Nachdem Pater Mario Lopez die Liebenden in ihren beiden Gemächern allein gelassen hatte, war er, wieder auf seinen Krummstab sich stützend, langsam durch die Straßen der unterirdischen Stadt zum See und zu den Palästen hinübergewandert.
In seinem mitfühlenden frommen Herzen lebte nur ein Gedanke: Hartwich und Ellen doch noch irgendwie zu retten!
Ein Letztes wollte er nun noch versuchen, eine Unterredung mit dem greisen König Mataguma!
Während er von der Uferstraße die breite Freitreppe zum Königspalaste emporstieg, während sein Denken immer wieder die Aussichten einer gemeinsamen Flucht mit den Liebenden erwog und doch keine Möglichkeit fand, die zahlreichen Wachen zu täuschen, die von dem Ältestenrat der Azteken jetzt überall aufgestellt waren, öffnete sich plötzlich die breite, goldbeschlagene Flügeltür, und der gebeugte, uralte Herrscher dieses Restes des einst so mächtigen Volkes betrat die Terasse.
Der Pater, der längst die Aztekensprache fließend beherrschte, begrüßte den König mit einigen schlichten Worten ohne jede Unterwürfigkeit.
Mataguma schaute den Mönch aus immer noch klaren, lebhaften Augen prüfend an.
„Du kommtst, um für die Fremdlinge zu bitten,“ meinte er … Und sein von tiefen Falten durchfurchtes Gesicht wurde finster und grausam. „Du vergißt, daß sie vier der meinen getötet haben, daß das Blut der Gefallenen nach Rache schreit …! – Schweige, Mario Lopez! Schweige und begleite mich …“
Mühsam stieg er neben dem bedrückten Pater die Treppe hinab, wandte sich nach rechts am Seeufer entlang, wo die Höhle sich noch meilenweit fortsetzte und eine unterirdische Gebirgslandschaft von dem rätselhaften Lichte der Grottendecke beschienen wurde.
Weiter und weiter schritten die beiden Greise …
Bis sie an einen einsamen Felsenhügel gelangten, dessen Spitze fast die Höhlenwölbung oben berührte.
Wie ein ungeheurer Steinpfeiler wirkte dieser Hügel, wie eine Säule, die die Grottendecke stützte.
Und noch mühsamer und langsamer erklommen diese beiden Männer, denen die Last der Jahre schwer auf den altersschwachen Schultern ruhte, diesen Hügel …
Schritt für Schritt …
Oft stehenbleibend, Atem schöpfend …
Eine halbe Stunde brauchten sie, um die flache, mit Felsgeröll bestreute Spitze zu erreichen.
Ermattet setzten sie sich hier nebeneinander auf einen Stein.
Der greise König begann dann:
„Mario Lopez, seit endlosen Jahren weilst du hier als unser Gefangener. Manches von den vielfachen Künsten der Weißen haben wir von dir gelernt. Als damals das große Schiff an den Riffen und Christophoro strandete, als die Wogen es auseinanderschlugen und Fässer und Kisten an Land geworfen wurden, erzähltest du mir, daß fünf dieser Fässer Schießpulver enthielten …“
„Es ist so,“ nickte der Pater. „Die Fässer hast du wegschaffen lassen, Mataguma …“
Der greise König hob den Arm …
„Dort unter den Steinen liegen sie … Dort, wo die Decke unserer Höhle mit den Fingern zu erreichen ist …“
Der Pater, durch den sonderbar geheimnisvollen Ton des Herrschers stutzig geworden, fragte zögernd:
„Und – wozu liegen sie gerade hier, Mataguma?“
Der König erhob sich.
„Komm, – tritt näher …!“
Und er ging hinüber zu dem Steinhaufen, wo die Pulverfässer verborgen waren …
Heller leuchtete hier die Höhlendecke. Jetzt sah man deutlich, daß das Gestein der Wölbung nicht an allen Stellen dieses gelbe, nachts wieder erlöschende Licht ausstrahlte.
In breiten Adern nur zogen sich diese leuchtenden Streifen nach oben.
Der Pater, dem bisher eine genaue Untersuchung unmöglich gewesen, fand nun endlich eine ihn befriedigende Erklärung für dieses physikalisch so interessante Phänomen. Diese Adern des Gesteins mußten sich bis oben – bis zum Meeresboden oder zur Insel emporziehen und dort aus dem Tageslicht gleichsam die Leuchtkraft aufsaugen und hier nach unten wieder abgeben!
Während er über diese Lösung noch nachdachte, hatte der greise Herrscher den Steinhaufen erklommen und winkte ihm nun …
Mario Lopez folgte, stand neben Mataguma … Und sah, daß rechts von ihnen aus einer feinen Spalte in langen Zwischenräumen Wassertropfen herabfielen.
„Prüfe sie durch den Geschmack,“ sagte der uralte Azteke in demselben flüsterndem Tone. „Es ist Seewasser, es ist salzig … Mithin kommen diese Tropfen von oben aus dem Ozean, und mithin kann die Gesteinsschicht, die uns von den Tiefen des Meeres hier trennt, nur ganz dünn sein …“
Der Mönch streckte den Finger aus …
Ein Tropfen fiel auf die Fingerspitze – – noch einer …
Und Mario Lopez prüfte …
„Seewasser!“ entschied auch er.
Und wieder deutete der greise König mehr seitwärts, wo eine breitere Spalte wie ein Schacht sich aufwärtszog …
„Glaubst du, Mario Lopez,“ fragte der Azteke mit unheilvollem Ernst, „daß die Pulverladung der fünf Fässer, wenn sie dort in der Spalte zur Entladung kommt, die Gesteinsschicht wegreißen könnte, die uns von dem Ozean trennt?“
Der Pater wich etwas zurück …
„Woran denkst du, Mataguma?“
„Ich hab zu fragen …! – Antworte! Wird die trennende Schicht zerstört werden?“
„Wenn die Fässer ganz fest in der Spalte verkeilt werden, und wenn sie gleichzeitig explodieren – dann ja!“
Mataguma nickte befriedigt.
„Ich habe drei meiner Diener hierher bestellt,“ sagte er lebhafter, fast in freudigem Tone. „Du wirst den dreien zeigen, wie die Fässer dort festzuklemmen sind, und du wirst auch eine Zündschnur anfertigen, Mario Lopez …“
Wieder machte der Mönch eine Bewegung tiefsten Erschreckends …
Mataguma lächelte verzerrt …
„Die Männer nahen …! Bereitet das Werk vor. Zum Lohn sollst du frei sein, Mario Lopez, sollst deine Tage auf der Oberwelt beschließen …“ –
Der Pater tat, was ihm befohlen,. Er ahnte, was der altersgebeugte, kluge Mataguma plante …
Die drei Diener, jüngere Leute von trägem Geiste, hatten Leitern mitgebracht. Nach einer Stunde war alles geschehen.
Der König rief die Diener zu sich. Er stand an der Nordseite des Hügels, wo dieser zwanzig Meter tief in eine Schlucht senkrecht abfiel.
Und kalt und hart sagte der Greis:
„Beugt euch über den Rand des Felsens … Was seht ihr dort unten?“
Ahnungslos senkten sie die Oberkörper, suchten einen Blick hinab zu werfen in die finstere Schlucht.
Mataguma stieß mit den Händen zu … Mit einer Kraft, die der eherne Wille des Geistes ihm verlieh …
Drei grelle Schreie …
Unten drei dumpfe Schläge …
Und der greise König wandte sich nach dem Pater um, der wie beschwörend sein Kruzifix erhoben hatte …
„Ich kann keinen Mitwisser dulden, Mario Lopez … Du wirst schweigen … – Komm, kehren wir zur Stadt zurück …“
Schweigend wie vorhin legten sie den Weg zurück…
Und oben auf dem Hügel blieben die Zündschnüre zurück, die aus den Fässern in der Spalte herabhingen. –
Auch für die Höhlenbewohner war der neue Arbeitstag nun angebrochen.
Der große See war von den Barken der Fischer belebt …
Am Seeufer wuschen Frauen und Mädchen Stoffe und Kleider. Kinder spielten im seichten Wasser …
Und auf der breiten Terrasse des Palastes häuften Priester harzige Hölzer zu großen Scheiterhaufen, befestigten an jedem der Holsstöße einen starken Pfahl, umbanden ihn mit goldenen schweren Ketten …
In feierlichem Zuge holten sie dann aus dem Tempel auf goldstrotzender Sänfte das bunte abschreckende Götzenbildnis Vitzliputzlis herbei, stellten die Statue neben die Scheiterhaufen …
Alles mit stumpfer Ruhe – wie Automaten …
Alle bereits angekränkelt von dem gefährlichen Gift der Verwandtenehen, – ein sieches, zu Irrsinn und völliger Entartung verdammtes Volk … –
Und – – in den beiden Gemächern der Liebenden küßte Ellen den Gatten immer wieder mit lechzenden Lippen …
Stunden rannen ihnen auf bräutlichem Lager dahin wie flüchtige Sekunden …
Ein hartes klingendes Pochen an die Metalltür schreckte sie auf.
Errötend entwand Ellen sich den starken Armen Georgs und ordnete das wirre aschblonde Haar …
Pater Mario Lopez trat ein, brachte Speise und Trank …
Zwei Becher, gefüllt mit dem gegorenen Saft der Seealgen, wie er sagte …
Und Steuermann Hartwich verstand ihn: der Betäubungstrunk!
Mit einem heimlichen Kopfnicken dankte er ihm …
Ellen, die ahnungslose Ellen, spielte Hausfrau, legte dem Gatten immer wieder von den Speisen vor, nötigte ihn zum Essen …
Und als sie beide dann die schweren goldenen Becher an die Lippen führten, als Ellen noch heiter rief:
„Trinken wir auf die Zukunft, die Freiheit, Geliebter!“ da rann es dem Steuermann eisig über den Rücken …
Die Fittiche des Todes umwehten ihn …
Er … trank …
Und spürte sehr bald die Wirkung …
Eine wohlige Müdigkeit …
Leicht wurde dabei der Körper, als schwebe er …
Und Ellen saß auf Georg Hartwichs Knie, hielt ihn umschlungen, küßte ihn … flüsterte:
„Mir … ist … so seltsam zu Mute, Georg … Vor meinen Blicken verschwimmt alles … Ich sehe Szenen eines Wandelpanoramas vorübergleiten … Taxata sehe ich … Und das Gesandtschaftsgebäude … Ich sitze mit den Eltern beim Frühstück auf der Terrasse … Und Rittmeister Aristo kommt, mich zum Tennisplatz abzuholen … Immer mehr Leute kommen … Georg, Georg, ich … sehe den Präsidenten … Und ein Flugzeug … Ich liege in der Gondel … wie tot … Und … werde … hinausgetragen – – auf eine … Insel, Georg … Menschen, braunrote Gesichter … Azteken schleppen mich …“
Da – verstummte sie …
Die Visionen gingen in grausame Wirklichkeit über.
Priester des blutigen Vitzliputzli füllten das Gemach …
Hoben Ellen empor …
Schoben Hartwich mit fort – durch enge Gassen der unterirdischen Stadt …
Wie im Traume schritten die Opfer dahin …
Noch Arm in Arm …
Und Ellens Geplapper – wie aus dem Munde einer Fiebernden – umrauschte Georgs müdes Ohr.
Auf der breiten Freitreppe im Halbkreis das Aztekenvolk …
Stille begrüßte den ankommenden Zug …
Dann ertönten die goldenen Trompeten – hell, rein – wie Orgelklänge …
Man riß Ellen von Hartwich Seite …
Und weiter plapperte sie …
„… die Kirche, Geliebter … Die Orgel spielt … Zum Altar gehen wir beide … zur Trauung … Ein Chor singt uns das Hochzeitslied …“
Man hob Ellen auf den Holzstoß – fesselte sie an den Pfahl …
Sie erwachte nicht aus süßem Wahn …
Aber Hartwichs stärkere Natur hatte die Wirkung des mitleidigen Trankes leider zu schnell überwunden.
Hartwich sah – wußte …
Sah sich am Pfahle stehen …
Sah die Fackeln der Priester lodern …
Blick nach rechts …
Ellen – – Ellen …!!
Und ein Schrei kam ihm über die Lippen, daß Pater Mario Lopez jetzt vor Entsetzen in die Knie sank und das Kruzifix an das erblaßte Gesicht preßte …
Und betete … betete …
Hartwich suchte sich zu befreien …
Nur zu fest hielten die goldenen Ketten …
„Verfluchtes Gold,“ heulte er auf aus rasender Verzweiflung …
„Dreimal verfluchtes Gold!! Gib mich frei … frei …!!“
Das Knistern der aufflammenden Scheiterhaufen, der Qualm, die Hitze erstickten seine wilden heiseren Rufe …
Pater Lopez betete …
Die Goldhörner klangen zu Ehren Vitzliputzlis …
Priester des Götzen umtanzten die lohenden Stöße …
Das Volk der Azteken drängte näher heran …
Blutrausch – Flammenrausch packte die Menge …
Der heimliche Irrsinn brach aus – ein Massenwahnsinn …
Männer, Weiber, Kinder rasten mit den Priestern um die Wette in kreisendem Tanze …
Und … da geschah’s …
Da geschah’s, daß mit einem ungeheuren Getöse über dem See die Decke sich öffnete …
Daß Gaupenbergs Sprengladung den sorgsam vermauerten, verbarrikadierten Eingang zur Unterwelt wieder öffnete …
Unmassen Gesteins stürzten in den See …
Heulend, geifernd vor panischem Schrecken stürmten Priester, Männer, Weiber, Kinder davon …
Nur – – vier Menschen blieben …
Die beiden, denen die Flammen die Glieder umzüngelten …
Der Pater …
Und neben der Palastpforte Mataguma auf seinem goldenen Thron … –
Der Mönch sprang taumelnd empor …
Und … sprang zu, riß die brennenden Scheite auseinander…
Verbrannte die welken Hände …
Sprang zum anderem Holzstoß hin …
Kettete Ellen los …
Und hinter ihm reckte sich Mataguma empor, die blinkende Streitaxt hoch erhoben …
Schlug … nicht zu …
Ließ den Arm wieder sinken, schwankte davon – die Uferstraße entlang – zum fernen Hügel, über dem in der Felsspalte die Pulverfässer warteten …
… Und oben am Rande der weiten Öffnung die Insassen der Sphinx als Zeugen dieser blitzschnell sich abspielenden Vorgänge …
„Zur Sphinx!!“ ertönte Gaupenbergs schrille Stimme … Schrill vor Erregung, vor Angst um den treuen Freund, der da unten in der unheimlichen Zauberwelt der Felsenhöhle von den Flammen der Feinden bedroht war.
Alles hastete dem Luftboot zu, das im Abendrot friedlich neben dem von Granaten zerfetzten Stahlleibe des Goldschiffes im hellen Sande der Lichtung ruhte …
Die Sphinx stieg auf …
Nur Gottlieb Knorz, Murat und vier andere Homgoris blieben zurück. So war es ja schon vorher vereinbart worden.
Im Führerstand der Sphinx waren alle versammelt. Gaupenberg erteilte letzte Befehle, wie jeder sich zu verhalten hätte, wenn das Luftboot nun aus der horizontalen in die senkrechte Lage übergehen würde, um die Öffnung in der Höhlendecke passieren zu können.
Jeder klammerte sich fest. Was im Führerstand von lose herumliegenden Dingen vorhanden, wurde rasch in Decken gepackt.
Auch das dauerte nur Minuten. Schon neigte die Sphinx sich nach vorn – neigte sich immer mehr, bis – – sie vollends die senkrechte Lage erreicht hatte.
Nur ein so tadellos konstruiertes Fahrzeug wie das des Grafen Gaupenberg konnte ein derartiges Manöver wagen – nur eben die Sphinx, an deren Heck die Sphinxröhre ganz nach Wunsch die Anziehungskraft der Erde ausglich.
Langsam senkte sich das Luftboot …
Hart und kreischend schrammte sein Metallboden am Rande der Öffnung entlang …
Sekunden bangster Erwartung …
An den runden Fenstern des Mittelturmes glitten dunkle Felswände vorüber …
Dann schwand das rötliche Abendlicht der Oberwelt, und man sah durch die Fenster den gleichfalls schon verblassenden gelbfahlen Schimmer der Höhlenbeleuchtung mild und geheimnisvoll aufdämmern.
Die Öffnung war passiert …
Rasch nahm die Sphinx wieder horizontale Lage ein und glitt dich über dem Spiegel des Sees den hohen Palästen zu.
An Deck standen Doktor Falz, Pasqual und die beiden jungen Mädchen …
Alle bewaffnet … Die Karabinern schußfertig …
Der Scheinwerfer am Bug flammte auf … Breite blendende Lichtfluten schossen wie eine rasende Woge auf die Terrasse des Königspalastes zu …
Ein Bild bot sich da den Blicken dar, – wie ein phantastisches Gemälde:
Zwei qualmende, halb auseinandergerissene Scheiterhaufen, und zwischen ihnen, eng umschlungen, zwei Menschen: Georg und Ellen! Dicht daneben die hagere ehrwürdige Gestalt des Paters, und als Hintergrund die eigenartig – reizvolle Front des Marmorpalastes, die goldenen Flügeltüren und Matagumas leerer goldener Thron! –
Georg Hartwich starrte mit ungläubigen Augen der Sphinx entgegen …
Erkannte dann Pasqual, Agnes …
Sie winkten … winkten …
Und hinter ihnen zottige Gestalten, nicht Mensch, nicht Tier: die Homgoris!
Durch Hartwichs noch immer leicht umnebeltes Hirn zog ein flüchtiger Gedanke …
Eine Erinnerung wieder an das, was er einst fast prophetischen Mundes ausgesprochen:
Die magische Kraft des Goldes ist’s, die uns durch ein Meer unerhörten Erlebens treibt …!
Und – – hier nun abermals ein Beweis, wie wahr diese Worte gewesen!
Dies Sphinx in der Unterwelt …
Die Sphinx, jetzt langsam sich senkend am Rande der Terrasse …
Ein Wunder – kaum auszudenken in all seiner Vielseitigkeit: das unterirdische Aztekenreich – und das modernste aller Fahrzeuge, die glorreiche Sphinx! – –
Dann Agnes Sandens Stimme – jubelnd den Geretteten den ersten Gruß entbietend …
„Herr Hartwich – lieber Herr Hartwich, – – welch ein Wiedersehen!!“
Und neben ihr Mela Falz, Armaros einzige Adoptivtochter, – Mela, die Verbannte, Wiedergefundene …
Rief staunend – rief zögernd:
„Miß Barrouph, sind Sie’s denn wirklich …?! Miß Barrouph, – – erkennen Sie mich nicht?! Ich bin einst Isabella Armaro gewesen … Bin dort in Taxata auf den Tennisplätzen …“
Sie verstummte …
Pater Mario Lopez war rasch vorgetreten …
Warnte eindringlich:
„Vorsicht … Vorsicht!! Die Azteken werden zurückkehren … Besitzen Pfeil und Bogen, sind sichere Schützen …!“
Und seine Blicke glitten über die Fenster der Paläste hin …
Da erschien Gaupenberg an Deck. Die Sphinx lag still. Die Propeller ruhten …
Ein paar Befehle an die vier zottigen Affenmenschen.
Und im Nu sprangen die vier auf die Terrasse, verteilten sich, bewachten die Sphinx, die Menschen, die nun hier tief bewegt ein frohes Wiedersehen feierten.
Hartwich, Ellen noch immer stützend, die von der Wirkung des Betäubungstrunkes auch jetzt noch wie in einer Traumwelt sich befand, – – Hartwich drückte des Freundes Hand und wollte sprechen …
Nur ein Gestammel kam über seine Lippen …
Agnes nahm seine Hand …
Pasqual drängte sich heran … Klopfte Georg derb auf die Schulter …
„Sennor Georg, da sind wir …!!“ Und das ehrliche Gesicht des Tauchers strahlte vor Freude …
Da fühlte Steuermann Hartwich so recht, wie viel Liebe man ihm allseits entgegenbrachte …
Und fand endlich Worte …
Rief Gaupenberg zu:
„Viktor, Viktor, – mein Weib und mich hast du gerettet …! Hier … Ellen Barrouph – jetzt Ellen Hartwich, – – mein Weib!“
Gaupenberg lächelte kopfschüttelnd …
„Mein alter Georg, dann hast du es bereits weiter gebracht als ich! Ich bin … noch immer nur … Verlobt – – mit meiner Agnes …!“
Und er legte Agnes den Arm um die Schultern, küßte sie übermütig …
Heller Glücksschein auf allen Gesichtern. Selbst das ernste Greisenantlitz des Paters leuchtete …
Selbst Doktor Dagobert Falz meinte fröhlich:
„Diese Minuten wiegen in Wahrheit Tage und Wochen der Trübsal auf!“
Und doch mußte auch dieser allgemeine Rausch der Wiedersehensfreude den dringenden, mahnenden Anforderungen einer heiligen Pflicht weichen. Nicht um Liebe, Freundschaft, Treue und Aufopferung ging es hier … Um den Azorenschatz handelte es sich – um das Vaterland, das ferne, geknechtet, ausgesogene – um die Millionen deutscher Brüder und Schwestern, denen der Milliardenschatz den Weg zu wahrer Freiheit geben sollte! –
Gaupenberg wandte sich wieder an den Steuermann.
„Georg, die Azteken haben das Gold geraubt … Wir müssen …“
Steuermann Hartwich rasch: „Das Gold liegt dort im Palaste – in König Matagumas Schatzkammer …“ Und zu Pater Lopez:
„Ehrwürdiger Pater, Sie werden uns die Schatzkammer zeigen. Sie wissen, daß wir nicht für uns um diese Milliarden kämpfen … Wir müssen sie wieder an Bord der Sphinx bringen …“
Falz mischte sich ein …
„Übereilen wir nichts …! Der Pater hat uns bereits vor den Azteken gewarnt … Die vier Homgoris sind kein genügender Schutz. Ich schlage vor, daß wir unser Maschinengewehr dort auf der Straße aufstellen, die zwei von uns vom Dache des Palastes aus beobachten. Die Homgoris sind besser als Träger für die Goldbarren zu verwenden …“
Pater Lopez erbot sich, mit Doktor Falz diese Wache zu übernehmen … „Die Schatzkammer ist leicht zu finden … Es gibt nur ein großes Gewölbe hier unterhalb der Terrasse, und der Zugang ist eine Treppe mit goldenem Geländer in der Haupthalle …“
Pater Lopez machte eine kurze Pause …
Fügte nun mit erhobener Stimme hinzu:
Niemand sollte dort in das Schatzgewölbe der Azteken hinabsteigen, dessen Seele nicht gewappnet ist gegen die unheimliche Lockung des Goldes! Ein nichts sind eure Goldbarren gegen das, was die Azteken auf ihrem Riesenfloße vor hunderten von Jahren hierher brachten! Berge goldener Geräte, Berge von runden Goldscheiben lagern dort! – Ich weiß, daß eure Seele frei von Habgier ist. Geht hinab und schaut, was ich nur ein einziges Mal gesehen habe!“ –
Und Minuten später standen Gaupenberg, Hartwich und die vier Affenmenschen vor der schmalen Tür des Gewölbes.
Vier Riegel lagen davor. Jeder Riegel durch große Siegel aus Harz befestigt. In den dunkelbraunen Harz zeichnete sich scharf das Bild des blutigen Götzen Vitzliputzli ab.
Der Graf zögerte unwillkürlich, diese Siegel loszureißen.
Hinter ihm hielten die Homgoris Laternen in den mächtigen Pranken …
„Es muß sein, Viktor …,“ drängte der Steuermann. „Wir tun ja nichts Unrechtes … Wir holen nur, was uns gehört …“
Gaupenberg faßte zu …
Die Riegel glitten leicht kreischend zurück, und mit vereinten Kräften zogen die Freunde die schwere Tür langsam auf …
Das Licht der Laternen fiel in einen kleinen Vorraum, in dem nur eine einzige Statue auf einem Marmorsockel stand: Die überschlanke sechsarmige Göttin Chitulaua, die Mutter der Fruchtbarkeit, in jedem Arm ein Zwillingspärchen haltend.
Gold – gediegenes Gold, diese anderthalb Meter hohe Figur …
Abschreckend häßlich mit den ungeheuren Brüsten, dem hageren Gesicht und den grünen funkelnden Augen: Smaragde waren in die Augenhöhlen eingefügt!
Die vier Tiermenschen fletschten kampfeslustig die Zähne und betasteten die Statue, deren häßliches Aussehen sie offenbar reizte.
Der Graf und Hartwich schritten weiter. Ein Vorhang bedeckte die Türöffnung nach dem Hauptraum hin – ein Vorhang, der wie ein Sternenhimmel funkelte, dunkler Stoff, darauf in Abständen zackige goldene Sterne, den südlichen Teil des Firmaments darstellend.
Und dann das eigentliche Schatzgewölbe …
Dann aufblitzend im Laternenschein Haufen von edelstem Gelbgold.
Haufen bis zu ein Meter Höhe …
Dicht an dicht …
Die Freunde standen wie gebannt.
Nur die Homgoris, kaum recht ahnend, welch enorme Reichtümer hier aufgestapelt waren, scharrten mit den Greiffüßen spielend den einen Goldhügel auseinander. Ein feines Klingen lief durch den Raum – die berauschende Musik des Goldes, das Dämonenkichern dieses … elenden Metalls, das Sünden heraufbeschwört, Blut in Strömen fließen läßt und Hader und Feindschaft sät …
Die Freunde standen wie gebannt …
Bis der Steuermann beklommen flüsterte:
„Der Pater hat recht, unser Milliardenschatz ist ein Nichts im Vergleich zu König Matagumas Schätzen – – ein Nichts …“
Den Namen des greisen, klugen Aztekenherrschers sprach er aus …
Mataguma …
Mataguma, der jetzt oben auf dem fernen Hügel, dessen Kuppe so dicht bis unter die Höhlendecke reichte, sinnend verweilte und an die Tragödie seines Volkes dachte – an den nahenden, unvermeidlichen Wahnsinn, der schon in den kranken, stumpfen Seelen schlummerte … –
Der greise König hatte noch gesehen, daß das fliegende Schiff der weißen Fremdlinge durch die breite Öffnung herabgeschwebt war …
In seinem Herzen wohnte neben der Liebe zu seinem Volke ein unauslöschlicher Haß gegen die Europäer, ein Haß, der sich von Geschlecht zu Geschlecht weiter vererbt und der einst den Spaniern, den Eroberern Mexikos, der Heimat, gegolten hatte …
Liebe und Haß …
Und aus Liebe und Haß wollte Mataguma alles Lebende vernichten, was in der Höhle jetzt ahnungslos eingeschlossen war …
Sein Volk – die Fremdlinge …
Sein Volk, damit es bewahrt bliebe vor einem grauenvolleren Sterben in Siechtum und Irrsinn …
Die Fremdlinge – aus Rache …! Aus Haß!
Und die welke, zitternde Hand schlug aus Stahl und Stein Funken und brachte den mürben Baumzundern zum Glimmen …
Dort vor Mataguma lagen die Enden der Zündschnüre …
Noch ein letzter Blick in die Ferne, über den See, Stadt, und Paläste, die bereits fast in Dunkel gehüllt waren.
Der Greis bückte sich, vereinte die Enden der Zündschnüre in der Linken und blies den Zunder heller …
Pulverkörnchen sprühten auf …
Eine unsichtbare Macht fegte den Greis mit zerfetzten Gliedern in die Tiefe …
Ein Knall, als berste die Erde auseinander …
Und aus immer weiter bröckelndem Loche schoß ein turmdicker Strahl Meereswasser auf den Hügel, zerschmetterte Felsen und Steine, riß mit donnernden Getöse die Öffnung breiter und breiter …
Der Ozean überfiel die Unterwelt …
Der Ozean griff an …
Schickte Wogenberge über das unterirdische Land …
Füllte den Hohlraum mit schäumenden Wellen … –
Der Luftstoß der Explosion hatte die Sphinx mit dem Heck gegen den Königspalast geschleudert …
Krachend knickte das Aluminiumgehäuse der Sphinxröhre …
Splitternd ging die Glasröhre, der Lebensnerv des Bootes, in Stücke …
Die Sphinx fiel dumpf dröhnend auf die Terrasse.
Und auf ihren Deckplanken lagen Agnes, Mela und Ellen – durcheinandergeschleudert wie leichte Papierpuppen, halb betäubt durch die Gewalt des Luftstoßes, durch den ungeheuren Knall und das Getöse, das immer lauter und lauter wurde …
Agnes sprang auf …
Ein Blick zur Seite …
Wogenberge mischten bereits ihr Wasser mit dem des Sees …
Neue rollten heran …
Und Agnes erkannte:
der Ozean griff an!
Ihrer blassen Wangen röteten sich wieder in jäher Angst um den Geliebten …
Abwärts klomm sie an der Außenleiter …
Hinein in das offene Flügeltor des Palastes …
Die vier Homgoris stürzten ihr entgegen …
Hartwich, Viktor folgten …
Agnes rief:
„Der Ozean …!!“
Und ihre Stimme versagte …
Gaupenberg trug sie hinaus – auf die Sphinx …
Der Scheinwerfer leuchtete noch …
Beleuchtete das nahende Verderben …
Doktor Falz und der Pater hasteten herbei …
Auf den Deckplanken des toten Luftbootes bleiche Gesichter – unruhig hin und her rennende Halbtiere…
„Das Ende!“ sagte Pater Lopez und hob das Kruzifix – betete … Wußte, daß Mataguma hier den Vernichter spielte.
Gaupenberg beriet mit Hartwich …
Eine Ersatzröhre einzusetzen, war jetzt unmöglich … Es würde zu lange dauern …
„Wir müssen warten, bis die Flut die Sphinx emporhebt, bis die Sphinx schwimmt,“ sagte der Steuermann, dem Ellen zittern am Arm hing … „Und wenn sie schwimmt, müssen wir genau unter der Gewölbeöffnung uns halten … damit wir ins Freie gelangen … Und …“
Des Paters laute inbrünstige Stimme schrillte vom Gebet zur Warnung.
„Die … Azteken …!!“
Und aus dem Flügeltor nahte eine andere Woge – menschliche Leiber – im Wahnsinn verzerrte Gesichter …
Pfeile schwirrten …
Blinkende Streitäxte wirbelten …
Und … Schüsse knallten …
Kugeln aus kleinen Repetierpistolen durchschlugen die braunen Leiber der menschlichen Woge …
Hinter der Reling knieten die Verteidiger …
Nur die Homgoris, ihre Eisenstangen schwingend, waren mitten in den Haufen der Azteken hinabgeschnellt …
Ihre Eisenkeulen durchfurchten die Woge …
Bestialische Wut trieb die mit Pfeilen gespickten zottigen Ungeheuer zu unerhörtem Gemetzel …
Bis einer nach dem anderen zusammensank …
Bis Beilhiebe die treuen Schädel von Agnes’ Leibgarde spalteten und ein letztes tierisches Klagegeheul Abschied von der weißen Herrin nahm …
Bis oben an Deck auch die letzte Patrone verschossen war …
„Das ist das Ende!“ sagte der greise Pater wieder …
Und betete … betete …
Wer nicht betete, das war unser kleiner hagerer Gottlieb Knorz, der da oben auf der Insel mit den fünf Homgoris als Wache zurückgeblieben …
Oben auf dem brandungumtobten Christophoro, wo ihm das grandiose Orgelkonzert des gegen die Klippengürtel anrennenden Ozeans dauernd ein Lied vom wilden Meere sang, ein so urwüchsiges Lied voll dumpfrollender Akkorde, daß der brave Gottlieb weder etwas von der Explosion der Pulverfässer noch von den Schüssen dort unten gehört hatte.
Inzwischen war die Nacht angebrochen, inzwischen hatte sich auch all das ereignet, was mit der Person des schlanken, sympathischen Rittmeisters Juan Aristo zusammenhing …
Aristo war als einziger der vier verhafteten Offiziere dank seiner Schwimmfertigkeit glücklich durch die Brandung an die Küste gelang, und dann von Murat, diesem intelligentesten der Affenmenschen, gefesselt in Gottliebs Versteck geführt worden.
Hier hatte der treue alte Diener des Grafen Gaupenberg sehr bald mit Aristo Frieden und Freundschaft geschlossen.
Als Murat dann vom Strande die Meldung brachte, daß die Jacht ‚Medusa’ jetzt eine Verbindung zum inneren Klippengürtel hergestellt habe, da war auch Aristo mit zur Nordküste geeilt, wo man draußen jenseits der Brandung undeutlich die Jacht beim Sternenlicht erkannte und auch das starke Tau, das vom Vordermast zu den Riffen hinüberlief.
Einer der Matrosen der Jacht hatte soeben auf ähnliche Weise, wie dies von den Küstenstationen zur Rettung Schiffbrüchiger allgemein bekannt ist, an diesem Tau mittels einer Gleitrolle die Klippen erreicht.
Die Rolle wurde jetzt wieder durch eine dünne Leine an Bord geholt, und ein zweiter Mulatte vertraute sich der starken Trosse an, glitt durch die gefährliche Brandung und landete an derselben Stelle wie der erste Matrose, der den Kameraden, bis zum Gürtel im Wasser stehend hier erwartet hatte.
Admiral Torresco, der Kommandant der ‚Medusa’, hatte Befehl gegeben, daß die glücklich drüben Angekommenen warten sollten, bis sie zu einem Dutzend versammelt waren.
Dann wollte er selbst die schwankende Gleitbahn benutzen und persönlich sich überzeugen, ob die Insel besetzt sei und was es mit dem Schatze auf sich habe. Ihm lag daran, beim Eintreffen Seiner Exzellenz des Präsidenten diesem den Schatz gleichsam gefahrlos überreichen zu können, denn er war unglaublich ehrgeizig, dieser kleine Fettwanst Benito Torresco, und ihm gelüstete nach dem höchsten Ehrenposten der patalonianischen sogenannten Kriegsflotte – nach der Stellung des Großadmirals! –
Als nun auch der zweite Matrose drüben hinter den Klippen kauerte, über die nur noch die letzten Ausläufer der Brandungswogen hinwegschäumten, da wandte Gottlieb sich an den klugen riesigen Murat.
Der Homgori hörte aufmerksam zu, nickte zustimmend mit dem für den ungeschlachten Körper viel zu winzigen beharrten Niggerkopf und begann mit seinen vier Artgenossen hastig in der Gorillasprache zu schnattern.
Dann nahmen sie alle ihre kurzen keulenartigen Eisenstangen zwischen die Zähne und krochen zwischen den Steinen ins Wasser hinein, wateten weiter und weiter, stets nur die Schädel über der Oberfläche – nur fünf dunkle Punkte auf der unruhigen Flut.
Die beiden Mulatten dort zwischen den wasserumrauschten Klippen standen nebeneinander, die Gesichter der See zugekehrt, und schauten nach dem dritten Manne aus, der soeben in dem Gurte der Gleitrolle hängend das Tau hinabglitt …
Und gerade als dieser dritte durch den haushohen Gischt der Brandung hindurchsauste, sanken die beiden anderen mit eingeschlagenen Schädeln – mit rasch verhallendem Todesschrei nach hinten über, und an ihrer Stelle erschienen zwei der Homgoris – Murat und einer, der sich ebenfalls durch besondere Klugheit auszeichnete.
Der dritte Matrose sah sich plötzlich zwei zottigen Bestien gegenüber …
Und noch eine Leiche trug die Brandung mit fort – irgendwohin – ins offene Meer …
Murat hielt sich genau an Gottliebs Befehle.
Den drei Toten hatte er die breitrandigen, mit einer Schnur unter dem Kinn befestigten Strohhüte und die hellen Matrosenblusen abgenommen.
Im Schutze der Felsen verwandelten drei der Tiermenschen sich so in Admiral Torrescos Untergebene.
Da der Scheinwerfer der Jacht infolge der Gischtschleier der Brandung die Klippen nicht erreichte, mußte diese Maskerade vorläufig verborgen bleiben.
Der vierte Matrose kam … und schwamm als Leiche davon …
Die Gleitrolle lief wieder zum Schiffe zurück … –
Im Gestrüpp am Ufer lagen Juan Aristo und Gottlieb.
„Machen Sie sich kein Gewissen daraus, Sennor Knorz, daß diese Banditen da hingemäht werden wie elende Robben von grausamen Robbenfängern,“ sagte Aristo finster. „Die Besatzung der ‚Medusa’ besteht ausschließlich – das ist in Taxata offenes Geheimnis – aus begnadigten Schwerverbrechern, denen die Hanfschlinge schon um den Hals gelegen hat und die der Schuft Armaro dann begnadigte, weil er weiß, daß diese Garde dankbar und ergeben und zu allem bereit ist. Wenn wir diesen Kerlen in die Hände geraten wären, würden sie es mit uns nicht anders gemacht haben …“
Gottlieb erwiderte trotzdem mit schlichtem Unbehagen:
„Immerhin – es sind doch Menschen, Sennor Aristo …! Und wenn ich gewußt hätte, daß die Jacht gleich so viel Mann landen würde, wäre ich …“
Aristo, der durch Gottliebs Fernglas andauernd die Vorgänge am Klippengürtel verfolgt hatte, rief jetzt:
„Da – die Jacht schickt niemand mehr herüber! Torresco muß …“
Der Knall eines Geschütztes übertönte selbst das Toben der Brandung …
Eine Granate explodierte unweit der Stelle, wo die Homgoris im Wasser standen und wo auch das diesseitige Ende des Taus festgeklemmt war …
Dem Geschütztschuß folgte ein rasendes Maschinengewehrfeuer …
Selbst die Ufer wurden bestrichen, und Aristo und Gottlieb konnten nicht schnell genug sich hinter ein paar größere Steine ducken.
Aristo fluchte …
„Der Fettwanst Torresco hat gemerkt, daß da etwas nicht in Ordnung ist, Sennor Knorz! Gnade uns Gott, wenn er jetzt unter dem Schutz der Maschinengewehre seine Banditen landet!“
Gottlieb seufzte …
„Die armen treuen Homgoris!“ meinte er. „Es wird nicht mehr viel von ihnen übrig sein …“
Aristo hob den Kopf und lugte nach der ‚Medusa’ aus …
Immer noch fegte die Kugelsaat über Klippen und Ufer hin …
Und – an dem Tau glitten jetzt gleichzeitig zwei Matrosen entlang, und ein kleinerer Scheinwerfer war oben im Mastkorb aufgestellt worden, so daß der Strahlenkegel jetzt über den Gischt hinwegspielte und hell und klar jene Stelle beschien, wo das Tau verankert war. –
Aristo hatte richtig vermutet. Torresco hielt die Klippen andauernd unter Feuer, und die beiden soeben dort angelangten Matrosen hatten gespannte Revolver in den Händen, um jeden Angreifer sofort niederschießen zu können.
Murat und die Seinen aber waren verschwunden.
Da langte der Rittmeister Aristo wortlos nach Gottliebs Karabiner …
Schob die Sicherung zurück und legte die Waffe, die Zweige beiseite drückend, oben auf den Stein auf.
Um ihn her klatschten die Geschosse gegen die Felsen …
Steinsplitter zerfetzten ihm die Haut …
Er zielte gelassen …
Und auf den Schuß hin warf drüben einer der Matrosen die Arme in die Luft und stürzte rücklings ins Wasser …
Ein zweiter Schuß …
Aristo lachte grimmig …
„Die Klippe ist wieder leer, Sennor Knorz …“
Er duckte sich tiefer …
„Wie mit Erbsen schmeißen die Kerle,“ brummte Gottlieb … „Nun werden sie die Landungsversuche ja wohl aufgeben …“
Und da – drei Schritt vor ihnen ein Geschoßeinschlag …
Eine Granate …
Der Luftdruck schleuderte die Steine auseinander.
Und blutend und bewußtlos lagen zwei tapfere Männer im Ufergestrüpp …
Rasender noch fegte die Kugelsaat über Klippen und Strand …
Schlief wieder ein zu ruhigem gleichmäßigen Geknatter …
Der Mond kam empor …
Seevögelschwärme umkreisten wie weiße Wolken, aufgestört durch die Furie Mensch, ihre Nistplätze an den sonst so stillen Gestaden von Christophoro …
Mondlicht beleuchtete die blutigen zerschundenen Gesichter Aristos und Gottliebs.
Und drüben am Klippenkranz standen jetzt schon sechs der Banditen des Admirals Torresco bereit, und zwei weitere schwebten soeben am Tau hernieder – ebenfalls bis auf die Zähne bewaffnet, jeder ihr Handgranaten im Gürtel, jeder mit der lockenden Aussicht zur Tollkühnheit angefeuert, für die Eroberung der Insel zum Offizier befördert zu werden.
Zerschundenen – blutig lagen die beiden da … Bewußtlos – wehrlos …
Und noch immer ratterten die Maschinengewehre …
Noch immer klatschte Kugel um Kugel hierhin und dorthin …
Aus den Büschen schob sich da ein zottiger Körper hervor …
Murat …
Packte Gottlieb, zog ihn tiefer ins Gestrüpp hinein. Übergab ihn hier den beiden Homgoris, die außer ihm noch am Leben waren …
Packte den Spanier, den schlanken Juan, und trug auch ihn von dannen – zur Mitte der Insel, wo im dichtesten Dornengestrüpp die kleine Felsengruppe ein sicheres Versteck bot, wo neben der brennenden Laterne auf der Wolldecke der halbblinde alte Teckel lag.
Der Hund witterte den Herrn, roch das Blut, kroch zu Gottlieb hin, winselte kläglich …
Da erwachte der Alte …
War ein Siebziger fast, und doch noch zäh und kernig wie ein Junger …
Saß aufrecht im Sande, starrte seinen Hund an – den Homgori … den blutigen Aristo … Und besann sich … …
Schreck – Angst klärten die noch wirren Gedanken.
„Murat, wie sieht’s am Strande aus?“ stieß er hervor.
Der kluge Murat leckte die Streifschußwunde am linken Arm …
„Zwei von uns sind tot,“ sagte er in tiefen Kehllauten. „Und drüben stehen sechs Männer, sechs Feinde …“ Sein behaartes Negergesicht verzog sich zu wilder, rachgieriger Grimasse … „Sie werden das Ufer nicht erreichen … Murat wird mit den Seinen Felsen schleudern …“
Gottlieb schüttelte den Kopf …
„Nein, Murat, auch ihr drei würdet erschossen werden … Ich weiß etwas Besseres. Wir werden uns in der Grotte verschanzen … – Rasch, tragt Sennor Aristo hinüber … Rasch!“
Er stand auf, taumelte noch …
Und bezwang die Schwäche …
Hob seinen Hund empor, blies die Laterne aus, raffte die Decke auf und winkte den beiden anderen Homgoris, den Proviant und die Waffen nicht zu vergessen.
So schritt er voran – immer hastiger, vorüber an dem Grabe der armen Silvia Gonzalez, deren heißer Liebestraum so kurz gewesen …
Vorüber an dem zerklüfteten Felshügel – bis zu der klaffenden Öffnung im Steinboden des Grotteneinganges, – und hier beugte er sich nieder und warf einen forschenden Blick in die dunkle Unterwelt …
Sah nicht viel …
Da nur ganz fern den Scheinwerfer der in der Riesenhöhle weilenden Sphinx als hellen Strich schimmern und einen Teil der Paläste beleuchten …
Bis … ihm doch etwas aufstieß, der Spiegel des unterirdischen Sees lag höher als vordem! Weit höher! Das Wasser war gestiegen! –
Er ahnte nicht von der Katastrophe dort unten …
Nichts …
Glaubte die Freunde eifrigst an der Arbeit, den geraubten Schatz wieder an Bord der Sphinx zu schaffen.
Und sagte sich, daß es jetzt seine Pflicht sei, die Freunde schleunigst zu warnen – das Vorgefallene zu melden, die Landung der Banditen Exzellenz Armaros!
Melden – – warnen! Doch – wie – wie sollte er dies tun?!
Da warf er sich lang auf den Boden nieder, schob sich ganz dicht an die Öffnung heran, reckte den Arm mit der Repetierpistole abwärts und gab zwei Alarmschüsse ab …
Lauschte plötzlich …
Streckte den Kopf noch tiefer …
Vernahm jetzt von dort unten her das brüllende Getöse des angreifenden Ozeans – des Meereswassers, das unaufhaltsam in turmdickem Strahl die Höhle zu füllen trachtete …
Sah nun auch die rollenden Wogen der rasch wachsenden Überschwemmung … Nahm das Fernglas und … richtete es auf die ferne Sphinx, die dort auf der Terrasse des Königspalastes ruhte …
Ward so Zeuge des Kampfes …
Erblickte die hinter der Reling kauernden Gestalten.
Erlebte so den Verzweiflungskampf der treuen Tiermenschen gleichsam mit …
Bis … jäh der Scheinwerfer der Sphinx erlosch.
Und tiefste Finsternis schreckvoll die Unterwelt in schwarze Schleier hüllte …
Minuten noch wartete Gottlieb …
Starrte hinab … Hörte das Brausen des hereinbrechenden Ozeans …
Und – erhob sich müde, um Jahre gealtert …
Wußte – das war das – – Ende!!
Das Wasserflugzeug, das den Präsidenten Armaro in rascher Fahrt an Bord der ‚Medusa’ hatte bringen sollen, war unterwegs durch verschiedene Motorpannen aufgehalten worden, hatte mehrmals auf den Ozean niedergehen müssen und war nur durch die Tüchtigkeit des Führers endlich, wenn auch mit vier Stunden Verspätung, in die Nähe der Robigas-Eilande gelangt.
Don José Armaro befand sich in allerschlechtester Laune, die er sowohl über den Fliegeroffizier als auch über den Mechaniker durch ironische Grobheiten entlud.
Als die drei Inseln im Sternen- und Mondlicht am Horizont auftauchten, hatte Admiral Torresco gerade mit Hilfe der Gleitrolle ebenfalls die inneren Klippen erreicht und watete nun mit seinen zwölf Matrosen dem Ufer zu.
Hier im inneren Riffgürtel tummelten sich mit Vorliebe Haie herum, und da ein paar dieser gefräßigen Meeresbestien vorhin zwei der erschossenen Homgoris zerrissen und verschlungen hatten, waren durch den sich dabei entspinnenden Kampf unter diesen Hyänen des Ozeans noch mehr der gefährlichen Riesenfische herbeigeeilt.
Als die verräterischen Rückenflossen der Bestien dem dem Lande zuwatenden Trupp die drohende Gefahr zeigten, ließ der Admiral sofort einige Handgranaten ins Wasser schleudern, was denn auch den gewünschten Erfolg hatte.
So kam Torresco mit seinen zwölf Banditen denn wohlbehalten auf die Insel und überzeugte sich in kurzem, daß die Verteidiger die Nordhälfte des Eilandes geräumt hatten.
Dann schraubte sich auch schon das Wasserflugzeug tiefer und tiefer, und nach kurzem Signalisieren mittels Laternen ging es gleichfalls am Nordufer in einer kleinen Bucht nieder.
Torresco half Seiner Exzellenz eigenhändig an Land und erstattete Meldung.
Armaro befahl, daß zunächst noch weitere sechs Matrosen von der ‚Medusa’ herüberkämen und ein Maschinengewehr mitbrächten.
Die Nachricht, daß Rittmeister Juan Aristo sich gerettet haben und zum Feinde übergegangen sei, ließ ihn nur scheinbar kalt. In Wahrheit nahm er sich vor, sofort hier an Ort und Stelle ein furchtbares Strafgericht abzuhalten. Die Insel Christophoro war patalonianischer Besitz, und Matrosen der Republik hier die Landung zu verwehren, war Freibeuterei – wäre von jedem Staate mit dem Tode bestraft worden.
Die sechs Matrosen und das Maschinengewehr waren sehr bald zur Stelle.
In weiten Abständen ließ Armaro jetzt die Leute nach der Südseite vorrücken, während die ‚Medusa’ mit ihren Scheinwerfern das Eiland dauernd ableuchten mußte.
Als so zwei der Matrosen und der Fliegeroffizier sich dem Eingang der Grotte näherten, wurden sie plötzlich angerufen …
Gottlieb Knorz schrille Stimme gebot ihnen drohend Halt …
Und als Warnung feuerte er auch einen scharfen Karabinerschuß ab, indem er die Kugel dem einen Matrosen dicht über dem Kopf hinwegpfeifen ließ.
Die drei machten schleunigst kehrt.
Als der Fliegeroffizier nun Armaro meldete, daß der Grotteneingang durch Felsstücke verrammelt sei, und daßvor dieser Barrikade sich in der Mulde des Gesteins eine sehr große Öffnung befände, schickte der Präsident nach kurzem Überlegen den Admiral als Parlamentär wieder vor.
Torresco schwenkte sein Taschentuch und gelangte auch bis dicht an das riesige Loch im Felsboden, dessen Bedeutung ihm genau so unklar war wie Seiner Exzellenz und allen übrigen Leuten der Jacht.
Knorz meldete sich …
„Sie wünschen, Sennor!“ brüllte er durch die Barrikade dem kleinen fetten Unterhändler zu.
Torresco erklärte, er käme auf Befehl Seiner Exzellenz, des Präsidenten von Patalonia. Die Insel sei patalonianisches Gebiet, und da die Landung der Matrosen vorhin mit bewaffneter Hand hintertrieben worden sei, hätten sich die Insassen der Grotte auf Gnade und Ungnade zu ergeben.
„Exzellenz gewährt Ihnen fünf Minuten Bedenkzeit. Erscheinen Sie dann nicht unbewaffnet vor der Barrikade, so wird diese durch Handgranaten weggeräumt werden, und Sie alle werden sofort standrechtlich erschossen.“
„Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn!“ lautete Gottliebs kecke, für Torresco unverständliche Antwort. „Wir brauchen keine Bedenkzeit. Wir sind hier sieben Mann, die mit Waffen gut versehen sind, und wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie uns hier wochenlang belagern. – Scheren Sie sich zum Teufel, Sie dicker Affe!“
Der gute Knorz schnitt gewaltig auf …
Keine Rede von sieben Mann! Ganz allein stand er hinter der Felsmauer, neben sich nur die drei Homgoris. Juan Aristo war noch immer nicht fähig, sich zu erheben.
Der feine Sennor Admiral schäumte vor Wut, machte kehrt und erstattete Armaro Bericht, der hinter dem nahen Felshügel wartend auf und ab geschritten war.
Kaum hatte der Präsident die freche Antwort der Höhlenverteidiger vernommen, als er auch schon die Matrosen den Angriffen eröffnen ließ.
Auf allen Vieren krochen die Mulatten, gedeckt durch Felsgeröll, bis auf zehn Meter an die Barrikade heran.
Handgranaten flogen im Bogen gegen die Felsmauer …
Prallten ab, krepierten am Boden …
Ohne sichtlichen Erfolg …
Denn die Barrikade war Murats und seiner beiden Artgenossen treffliches Werk …
Da waren zentnerschwere Blöcke von den Homgoris aufeinandergeschichtet worden, Blöcke, die nur die Muskeln dieser Ungetüme bewältigen konnten …
Und dreifach war dieser Wall, besaß nur ein paar enge Schießscharten … –
Ein neuer Regen von Handgranaten prasselte herab.
Einer Kanonade gleich explodierten die Sprengkapseln …
Ohne Erfolg …
Und jetzt hatte Gottlieb im Mondlicht für seinen Karabiner zweimal ein sicheres Ziel gefunden …
Zwei Kopfschüsse brachte er an …
Und es kühlte den Eifer der Matrosen merklich ab …
Eine Ruhepause trat ein …
Gottlieb wandte sich rasch an Murat …
„Schnell – eine zweite Barrikade, dort hinten, wo Sennor Aristo auf den Decken liegt – an der engen Stelle … Beeilt euch, Murat … Laßt in der Mauer nur einen schmalen Durchschlupf für mich …“
Murat und die beiden Homgoris verschwanden, nahmen die bisher abgeblendete Laternen mit.
Nun war Gottlieb Knorz ganz allein …
Nein – doch nicht ganz allein … Zu seinen Füßen hockte Kognak, der Teckel … winselte …
Die Schüsse, der Lärm der Explosionen da draußen hatten den Hund aufgeregt. Zuweilen stieß er ein kurzes Heulen aus … Rieb dann wieder den Kopf an Gottliebs Waden, als wollte er seinem Herrn klarmachen, daß ihm dies alles wenig gefalle.
Der alte treue Diener des Hauses Gaupenberg spähte angestrengt in die milchige Dämmerung der Mondnacht hinaus …
Seine Gedanken … weilten in der Unterwelt – bei der Sphinx, bei den Freunden, die dort ebenfalls von bösem Mißgeschick betroffen worden sein mußten, sonst wäre die Sphinx ja längst wieder erschienen …
Angst, Sorge um all die Lieben dort in der Tiefe marterten seine Seele …
Was lag an ihm?! Nichts – nichts! Was tat’s, wenn er hier den Tod fand?!
Aber … Agnes, seine liebe, blonde Agnes, jetzt wieder seines Herrn Braut …
Und dann Gaupenberg, Doktor Falz, Melanie und sein Freund Pasqual …!
Und – – Georg Hartwich, der ehrliche aufopfernde Georg!!
Ob all diese, an denen sein altes Herz hing, dort in geheimnisvollen Tiefen des Erdinneren elend umkommen würden?!
Ob tatsächlich irgendwoher ungeheure Wassermassen in die Riesenhöhle eindrangen und den See immer mehr füllten?! –
Da, – abermals ein Dutzend Handgranaten …
Und – wieder ohne Erfolg …
Drei davon glitten sogar rückprallend in die weite dunkle Öffnung hinein und explodierten erst im Niederfallen in der Aztekenhöhle …
Kaum war der Lärm der Detonationen verstummt, als die Matrosen die Barrikade mit Gewehren zu beschießen begannen.
Gottlieb lachte …
„Dumme Kerle! Ebenso gut könnt ihr mit Gummibällen werfen!“
Trotzdem duckte er sich sorgfältig, lugte nur vorsichtig mit einem Auge durch den schmalen Spalt …
Auch diese Schüsse verstummten …
Und – wieder brachte Gottlieb da eine Kugel an.
„Nummer drei!“ brummte er, als der Getroffene emporschnellte und mit ausgebreiteten Armen ins Geröll stürzte …
„Nummer drei von euch Schatzräubern! Werden noch mehr werden … Werde euch den Appetit auf das Azorengold schon versalzen!“ –
Wieder Ruhe draußen …
Armaro beriet mit Torresco und dem Fliegeroffizier …
Nur Torresco wußte etwas von dem Schatze, der nach des Geheimagenten Jimminez Depesche in der Grotte lagern sollte …
Der Fettwanst war ein Dummkopf.
„Wenn Exzellenz den Insassen der Grotte Schonung versprechen würden, kämen wir vielleicht am ehesten zum Ziel,“ meinte er. „Ein solches Versprechen kann dann ja durch … ein Versehen nichtig gemacht werden.“
Armaro brauste auf …
„Ich verbiete mir derartige Vorschläge, Admiral! Wenn ich etwas verspreche, halte ich es auch …!“
Er liebte es, allzeit den unfreiwilligen Ehrenmann herauszubeißen.
Torresco beeilte sich, seinen Fehler wieder gutzumachen …
„Exzellenz haben mich falsch verstanden … Unter einem Versehen kann man …“
„Schweigen Sie! Niemals werde ich diese Leute dort schonen …!“ Und so dem Flieger:
„Kapitän, signalisieren Sie der ‚Medusa’, daß ein Schnellfeuergeschütze sofort an Land geschafft werden soll …!“
Der Offizier signalisierte …
Und während das Aufblitzen der Laterne die neuen Befehle Armaros an Bord der Jacht trug, lag im dichtesten Gestrüpp der Insel ein blondbärtiger untersetzter Mann:
Georg Hartwich!
Lag und beobachtete …
War vor wenigen Minuten erst in jenem Schacht die Steintreppe emporgeklommen, in dem gestern die Menschenwoge der Azteken ihn und Ellen wieder zurückgescheucht hatte …
War derjenige gewesen, der als erster an diesen geheimen Ausgang zur Oberwelt gedacht hatte, nachdem der Angriff der Azteken auf die Sphinx durch die Naturgewalten abgeschlagen worden war – durch eine riesige Flutwelle, die plötzlich über die Terrassen der Paläste hinweggefegt war, die Azteken mit fortgerissen und die Sphinx als schwimmendes Boot wieder flottgemacht hatte …
Da war die Sphinx dann auf den See hinausgetrieben – immer noch mit zerstörtem Lebensnerv, mit zertrümmerter Sphinxröhre – nur ein Boot jetzt wie jedes andere …
Und dann geschah das, was den auf Deck der Sphinx versammelten Kämpfern um den Azorenschatz den Beweis erbracht hatte, daß auf der Oberwelt, auf Christophoro, Dinge sich abspielten, die es ratsam erscheinen ließen, die Öffnung in der Gewölbedecke zu meiden …
Drei Handgranaten waren dicht unter dem weiten Loche hier im Innern der Riesenhöhle explodiert … Außerdem hatte ja auch das infolge der Handgranatenexplosionen überreich durch die Öffnung herabpolternde Gestein bereits darauf hingedeutet, daß der mit den Homgoris oben auf der Insel zurückgelassene Gottlieb Knorz in schwere Bedrängnis geraten sein müsse …
So hatte denn der Steuermann sich freiwillig erboten, durch den Schacht emporzusteigen und sich über die Vorgänge auf Christophoro Gewißheit zu verschaffen.
Nun lag Georg Hartwich auf zerklüftetem Fels inmitten der Dornen …
Der Sternenhimmel, der friedliche Mond und der Scheinwerfer der ‚Medusa’ zeigten ihm in welch verzweifelter Situation sich der brave Gottlieb befand …
Und – nicht nur Gottlieb allein …!
Die Jacht Armaros, mit deren Eintreffen man gerechnet hatte, war leider eine Stunde früher als vorauszusehen hier aufgetaucht, brachte nun auch die Insassen der Sphinx in die Gefahr, sich dem Tyrannen von Patalonia auf Gnade und Ungnade überantworten zu müssen …!
Hartwich kam zu einem raschen Entschluß …
Vorsichtig glitt er wieder von seinem Felsenversteck herab und kroch dem inmitten dichtester Dornenbüsche gut verborgenen Ausgang des Schachtes zu …
Eilte die Steintreppe hinunter und wurde auf den tiefsten, bereits von den Wassern des rasch ansteigenden Sees umspülten Stufen von Ellen, seinem geliebten Weibe, erwartet … –
Ellen hatte jetzt die Folgen des Betäubungstrankes vollständig überwunden.
Blaß und aufgeregt umklammerte sie den Gatten …
„Georg, was ist geschehen?“ rief sie atemlos … „Ich sollte dich holen, Georg … Die Riesengrotte füllt sich immer mehr mit eindringenden Meeresfluten … Gaupenberg meint, daß in einer Vierteltunde spätestens hier der Eingang zum Schacht bereits unter Wasser liegen wird …“
Sie zog den Steuermann mit sich fort …
Und während beide nun über die wippende Laufplanke zum Deck der schwimmenden Sphinx hinüberschritten, sagte Hartwich dumpf:
„Die ‚Medusa’ ist da …! Matrosen sind gelandet …. Gottlieb verteidigt sich in der Strandhöhle.“
Ellen stieß einen leisen Schrei aus …
Und beschienen von dem Lichte mehrerer Laternen, wurde das junge Paar nun von den anderen Freunden umdrängt …
„Laternen aus! Scheinwerfer ausschalten!“ befahl Hartwich in seiner energischen Art … „Nur eine Laterne laßt brennen … Oben – – ist der Teufel los! Armaros Jacht hat Leute gelandet, die unseren Knorz und die Homgoris in der Strandgrotte angreifen. Daher die Handgranaten … – Wir dürfen hier nicht entdeckt werden … Rascher – weg mit dem Licht …!! Und die eine Laterne noch mit einem Tuche verhängen …“
Gaupenberg wurde durch die Erregung des Freundes angesteckt.
„Wie schützen wir die Sphinx?!“ meinte er mit einer verzweifelten Handbewegung nach dem Heck des Bootes hin. „Ich habe mir soeben die Beschädigungen das Metallbehälters der Sphinxröhre angesehen … Stunden würde es dauern, bevor wir die Schäden ausgebessert und die neue Röhre eingesetzt hätten …! Auf keinen Fall darf unser vortreffliches Schifflein diesem Armaro in die Hände fallen! Das hieße diesem Mulatten-Despoten die wichtigste Erfindung dieses Jahrhunderts auszuliefern! Niemals dulde ich das, und wenn ich die Sphinx versenken müßte …!“
In engen Kreise standen all die Braven da, die bisher für den Goldschatz der Azoren gekämpft hatten …
Doktor Dagobert Falz meldete sich jetzt. An seinem Arme hing Melanie, seine Tochter, die in diesen Minuten höchster Bedrängnis sich in zärtlicher Kindesliebe an den Vater anschmiegte.
„Meine Freunde,“ sagte Falz-Fator ernst und wieder mit jenem Schwärmerausdruck in den Augen, der ihm in den Momenten halben Weltentrücktseins stets eigen war … „Meine Freunde, machen wir uns unsere Lage klar. Die Wasser des Ozeans werden diese unterirdische Welt der armen, jetzt wohl größtenteils schon ertrunkenen Azteken soweit füllen, bis der Wasserspiegel hier mit dem des Atlantik eine Höhe erreicht hat. Dann wird von dieser Riesenhöhle nur noch ein winziger Teil dort oben unter dem höchsten Punkte der Felsendecke wasserfrei sein. Alles andere ist dann versunken, der Goldschatz der Azoren, der enorme Schatz des Königs Mataguma und – – die Paläste, die Stadt dort drüben … Alles wird unter den ungeheuren Salzwassermengen des Atlantik wie unter einer Kristallschicht jedem Menschen, jedem Auge entzogen sein …! Und – das ist wichtig, meine Freunde! Weder die Goldbarren noch die Schätze der Azteken werden je wieder ohne unseren Willen gehoben werden können! Nur wir wissen, wo sie verborgen sind. – Das – – ist der eine Punkt meiner Ausführungen. Nun zu uns selbst und der Sphinx! In kürzester Zeit wird die Treppe im Schacht von Fluten gesperrt sein. Deshalb hört meinen Vorschlag! Ich will hier auf der Sphinx bleiben als Wächter … Ich will, falls Armaro etwa nachher durch die große Öffnung dort oben Leute an Tauen herab schickt, um die dann mit Wasser bereits zum allergrößten Teil gefüllte Höhle zu untersuchen, die Sphinx so lange an einer flachen Stelle versenken, bis die Leute diesen winzigen Rest des einstigen unterirdischen Aztekenreiches wieder verlassen haben. Die Sphinx ist ja versenkbar, hat drei Wasserbehälter im Kielraum, die sich nachher wieder durch die elektrischen Pumpen entleeren würden. Ich selbst gehe mit unserem Boot für diese Zeit in die Tiefe. –
So wird die Sphinx gerettet werden, nur so! Und so können wir den Präsidenten Armaro auch am besten täuschen, können angeben, daß die Sphinx mit dem Schatze unter meiner Führung beim Nahen der Jacht aufgestiegen sei. –
Was Sie, lieber Gaupenberg, im übrigen noch Armaro mitteilen werden, das besprechen Sie mit unseren Freunden aufs Genaueste, damit keinerlei Widersprüche in diesen Angaben uns verratenm. –
Die Zeit drängt …! Verlaßt die Sphinx … Es muß sein! Steigt im Schacht empor und rettet Gottlieb, den Armaro sonst fraglos sofort erschießen läßt. Sorgt euch nicht um mich …“
Und – dann – leiser und in seiner prophetischen Art:
„Ich … werde hier nicht umkommen! Ich bin gefeit gegen den Tod …! Ich trank das Elixier der Verjüngung, des ewigen Lebens … Ich werde noch über die Erde wandeln, wenn eure Leiber längst in Staub zerfallen …“
Er schwieg …
Und da eine andere Stimme, tiefer, voller, die des Tauchers, des wackeren alten Pasqual Oretto:
„Auch ich bleibe hier auf der Sphinx! Denkt an die Dorgas-Klippe, meine Freunde! Derselbe Fluch lastet auf mir wie auf Doktor Falz: Leben zu müssen bis an aller Welt Ende!“
Stille ringsum …
Melanie weinte am Halse des geliebten Vaters …
Flüsterte: „Behalte mich bei dir … Liefere mich nicht diesem Schurken aus, diesem Armaro, der mich in die Verbannung schickte …“
Fator, der Gütige, nickte nur und küßte sein Kind auf die Stirn … –
Und der Ozean wälzte derweil unaufhörlich neue Wassermassen in die Riesengrotte …
Höher und höher stieg die Flut …
Zusehends …
Da schloß Gaupenberg den Doktor und Pasqual zum Abschied fest in die Arme …
Rührung übermannte ihn …
„Ich danke euch – – Ich danke euch! Ihr seid die Retter, die Wächter der Sphinx!“
Auch den anderen wurde die Trennung von den Zurückbleibenden unendlich schwer.
Agnes küßte die rotblonde Mela immer wieder …
Auch Ellen zog Melanie an sich …
Und Hartwich zerquetschte fast vor innerer Ergriffenheit des Doktors und Pasquals Hände …
Stumm, würdevoll und doch mit einem Strahlen tiefster Herzensgüte in den altersschwachen Augen stand der Pater Mario Lopez dabei …
Seine Gedanken weilten bereits dort oben auf der Insel …
Bei dem Manne, der ihn vor einem halben Jahrhundert heimtückischerweise hier an den Gestaden von Christophoro ausgesetzt hatte …
Bei – Don Rosé Armaro, dem Präsidenten, dem Tyrannen …
Ein … Wiedersehen nach fünfzig Jahren …!! – Der ewige Gott hatte es gewollt, daß er doch noch nicht nur das Licht der Sonne, sondern auch den Mann von Angesicht zu Angesicht schauen würde, der ihn in die Finsternis des Aztekenreiches unwissentlich hinabgestoßen hatte …! –
Höchste Zeit war’s jetzt, daß Gaupenberg und die Seinen in den Schacht eilten …
Höchste Zeit …! Denn der Schachteingang war nur mehr etwa anderthalb Meter hoch vom Wasser frei, und die Sphinx mußte bis dicht an den Eingang herangeschoben werden, damit die fünf Personen mit Hilfe der Laufplanke noch trockenen Fußes die Treppe erreichen konnten …
Ein letzter leiser Abschied nun von hüben und drüben.
Die Laufplanke wurde eingezogen …
Und der schwache Lichtschein der auf Deck der Sphinx brennenden Laterne verschwand vollends …
„Nun denn – sehen wir, wie wir mit Armaro fertig werden!“ meinte Viktor Gaupenberg hier in der tiefen Finsternis mit fester Stimme …
Und seine Agnes eng umschlingend, tastete er sich die Stufen aufwärts …
Ihm folgte der zweite Paar: Georg und Ellen!
Und den Beschluß machte der hagere, weißbärtige Mönch …
So stiegen sie der Oberwelt wieder entgegen …
Präsident Armaro und Admiral Benito Torresco hatten es sich doch zu einfach vorgestellt, ein Geschütz mit Hilfe eines von der Jacht zum inneren Klippengürtel gespannten Taues und der Gleitrolle an Land zu schaffen.
An der Stelle, wo das hundert Meter lange Tau sich infolge der Belastung durch das zentnerschwere Geschützrohr am stärksten durchbog, blieb die Gleitrolle einfach hängen. Man hatte eben versäumt, eine Leine an Land zu befördern, deren eines Ende an das Geschützrohr hätte befestigt werden müssen.
So kam es denn, daß Gottlieb eine Atempause von fast dreiviertel Stunden erhielt, die ihn veranlaßte, einmal wieder nach Rittmeister Juan Aristo zu sehen. Er ahnte eben, daß die Angreifer sich zu einem letzten ganz energischen Vorstoß gegen den Höhleneingang rüsteten und daß er damit rechnen müsse, die erste Barrikade sehr bald zu räumen.
Zu seiner Freude hatte Aristo inzwischen das Bewußtsein wiedererlangt. Ein paar Schlucke Kognak brachten ihn nun rasch vollends auf die Beine.
Als er hörte, wie die Dinge draußen ständen, lachte er finster auf …
„Lebend werde ich Armaro niemals in die Hände geraten, Sennor Knorz …! Er würde mich ja doch auf der Stelle füsilieren lassen. Sie sollen also an mir einen Helfer haben, der keine Kugel ins Blaue schicken wird! – Her mit einem Karabiner, Sennor Knorz! Her mit Patronen! Verkaufen wir unser Leben so teuer als möglich!“
Murat, der intelligenteste der riesigen Affenmenschen, kam jetzt mit seinen Artgenossen herbei. Das Licht der auf einem Stein stehenden Laterne fiel auf ihre gewaltigen zottigen Leiber. Sie trugen wieder nur noch die Rindenschurzfelle. Die Jacken und Strohhüte der Matrosen hatten sie längst als lästig abgeworfen.
Murat meldete mit tiefen Kehllauten, daß die zweite Barrikade bis auf einen schmalen Durchschlupf fertig sei.
Gottlieb nickte ihm freundlich zu. „Gut, Murat …! Zeige nun nochmals den Seinen, wie man mit einer Pistole umgeht. Sei aber vorsichtig dabei …“
Der Goliath von Homgori fletschte kampfeslustig die Zähne, kauerte neben der Laterne nieder und winkte den beiden anderen …
Während er nun in der Gorillasprache mit schnatternder Zungenfertigkeit den klugen Halbtieren den Mechanismus der kleinen Waffen klar machte, flüsterte Knorz dem schlanken Spanier zu:
„Die drei ahnen nicht, daß auch ihre Stunden gezählt sind … Sie tun mir leid, diese treuen Geschöpfe, die an Agnes Sanden mit so hündischer Ergebenheit hängen … – Gehen wir, Sennor Aristo.“
Und indem er seinen halbblinden Teckel wieder auf den Arm nahm, schritt er der Barrikade zu.
Hier, wo die beiden Männer nun im Dunkeln standen und durch die Schießscharten hinausspähten, wo kaum fünf Meter vor ihnen das ausgedehnte Loch im Felsboden klaffte, durch das die Sphinx vor etwa drei Stunden senkrecht abwärts schwebend in die Riesengrotte eingefahren war, meinte Aristo zögernd:
„Und Ihre Freunde dort unten, Sennor Knorz?“
Gottlieb ahnte noch nichts von all den wildbewegten Szenen im unterirdischen Aztekenreiche …
Sagte zuversichtlich:
„Meine Freunde werden längst durch das Getöse der explodierenden Handgranaten aufmerksam geworden sein, werden mit der Sphinx wieder emporsteigen und mit einem Blick die Lage überschauen … Sind wir beide und die drei Homgoris dann schon hinüber, Sennor Aristo, so wird Graf Gaupenberg, mein lieber Herr, fraglos dafür sorgen, daß … wir beide wenigstens ein ehrliches Grab erhalten … Sollten wir noch leben, so besteht geringe Aussicht, daß wir … mit einem blauen Auge davonkommen. Der Sphinx ist jederzeit möglich, die ‚Medusa’ mit Bomben zu bewerfen … Und der Herr Graf würde gewiß nichts unversucht lassen, mich zu retten …“
So sprach der brave Gottlieb …
Und – im selben Augenblick ereignete sich hinter dem hohen Felshügel, wo Don Rosé Armaro und der Admiral mit den bereits stark deprimierten Matrosen der Jacht sich aufhielten, etwas anderes …
Das – – Geschütz war da …!
„Endlich!“ rief Armaro … „Endlich! – Bringt es rasch in Stellung, meine Jungens! Zeigt den Kanaillen dort in der Höhle, daß mit uns nicht zu spaßen ist!“
Die Mulatten, dieses auserwählte gewissenlose Gelichter, hatten inzwischen bereits eine Art Verschanzung an der anderen Seite des Hügels aufgeschichtet und schleppten jetzt jubelnd und brüllend das Geschütz hinter diesen kugelsicheren Steinwall … –
Ein – – leiser Pfiff kam da über Gottlieb Knorz’ Lippen …
Er hatte das Geschützrohr bemerkt …
Und wußte, das war … das Ende!
Sagte kein Wort …
Nur der Pfiff war wie ein gleichgültiges Todessignal.
Neben dem alten wackeren Diener sagte Rittmeister Aristo ingrimmig:
„Feige Brut …!! Ein Geschütz! Wir müssen weichen, Sennor Knorz …! Eine Granate in unsere Barrikade, und sie begräbt uns unter sich …!“
Zaudernd nur räumte Gottlieb diesen Platz …
Bückte sich, hob seinen Teckel empor …
Dann nahten die Homgoris …
„Zurück, Murat!“ befahl der alte Mann. „Zurück! Und rasch – noch eine dritte Barrikade …!! Rasch! Eine noch dickere, stärkere …! Jeden Schritt werden wir verteidigen! Und hier in der schmalen Grotte werden die Schergen des Herrn Präsidenten ihr Geschütz unter unseren Augen und … Kugeln in Stellung bringen müssen! Wollen sehen, wie ihnen das bekommt!“
Kaum hatten sie dann die nächste Biegung der Strandhöhle umgangen, als hinter ihnen mit ohrenbetäubendem Krach eine Granate die Steinbarrikade auseinanderwarf …
Knorz riß die Laterne empor …
Im Nu waren sie dann hinter dem zweiten Wall …
Im nun hatte Murat die bereitgelegten Felsblöcke in den schmalen Durchschlupf geklemmt …
Felsblöcke von drei Zentner Gewicht … Rauh und kantig, fast schwarz von Farbe, durchzogen von silbern glitzernden Glimmerstreifen …
Murat war stolz auf dieses sein Werk, auf diesen drei Meter dicken Wall …
„Bei Gott!“ rief auch Knorz, als er nun diese Verschanzung genauer musterte. „Mögen sie nur schießen – auch mit Granaten! Ihre kleinkalibrigen Schnellfeuergeschütze richten hier nichts aus!“
Auch Juan Aristo als Fachmann erklärte grimmig:
„Hier können wir uns Stunden halten, Sennor Knorz …! Vielleicht kommt die Sphinx doch noch zur rechten Zeit …!“
Und – – die Sphinx?!
Die schwamm unten in der einstigen Riesenhöhle im Finstern – zwischen treibenden Leichen der armen Azteken … Schwamm auf einem See, der noch immer mehr sich verkleinerte, je höher die eindringenden Meeresfluten an den Wänden der ungeheuren Höhle hochkletterten … –
Der Knall des Geschützschusses hatte selbst das andauernde Toben der haushohen Brandungswogen am äußeren Riffgürtel der Insel übertönt …
Hatte auf die fünf Menschen, die unweit des Felsenhügels im Dornendickicht am verborgenen Schachtausgang kauerten, wie eine dringende Mahnung gewirkt …
„Alles ist zwischen uns vereinbart,“ sagte Gaupenberg hastig. „Vorwärts! – Greifen wir ein, bevor es zu spät ist …!“
Und da warf Ellen sich aufschluchzend an Georg Hartwichs Brust …
„Georg … Georg, – Armaro wird euch töten …! Ich will bei dir bleiben …!“
Der Steuermann streichelte ihr aschblondes Haar …
„Liebling, Armaro würde uns töten, wenn du und der ehrwürdige Pater mit uns kämet …! Wenn nur, wie wir nun beschlossen haben, Agnes, Viktor und ich uns zeigen, wenn wir ihm mit der Sphinx und ihren Machtmittel drohen, dann … wird er und schonen! Wir können Gottlieb nicht im Stiche lassen! – Sei verständig, Ellen …! Es gibt eine Pflicht der Kameradschaft, die über alles geht!“
Er küßte sie zärtlich …
Er fühlte ihren bebenden Leib an dem seinen …
Und wie zarte, wunderbare Traumbilder stieg da die Erinnerung an die eine Nacht im Tempel der Aztekenpriester in ihm auf … An die Nacht der Liebe!
Nochmals küßte er sein Weib …
Schob sie dann sanft von sich … –
Gaupenberg und Agnes waren bereits vorausgeeilt.
Er folgte ihnen …
Sein Herz war schwer … Der Abschied von Ellen war fast über seine Kräfte gegangen … Jetzt erst fühlte er, wie unendlich er Ellen Barrouph liebte, was sie ihm geworden in dieser kurzen Spanne Zeit, da er sie zum ersten Male, eine Bewußtlose, im Grottenkerker der Azteken in den Armen gehalten … –
Der Tyrann von Patalonier stand jetzt mit Admiral Torresco am Rande des breiten Felsloches, das in die Unterwelt, die jetzt vom Ozean ausgefüllte Unterwelt hinabführte.
Soeben hatten die Matrosen die Trümmer der zusammengeschossenen Barrikade beim Lichte eines an Land geschafften Scheinwerfers weggeräumt und waren in die Strandgrotte eingedrungen …
Armaro rief jetzt den beiden den Scheinwerfer bedienenden Leuten zu, diesen hier an der Riesenöffnung aufzustellen …
„Leuchtet hinab …! Ich will sehen, was sich dort unten befindet!“
Und ein grelles weißes Lichtband schoß nun aus der Linse des Scheinwerfers abwärts …
Auf den Wasserspiegel …
Enthüllte das Bild der überfluteten Riesenhöhle …
Und – – zeigte Armaro und Torresco auch … die … schwimmende Sphinx … Kaum zehn Meter entfernt …
So deutlich wie bei Tageslicht …
Zeigte Armaro drei Gestalten an Deck des schwimmenden Luftbootes …
Ein rotblondes Weib darunter. Mela – die einstige Adoptivtochter des Präsidenten, die Verbannte, angeblich Tote, in der Hauptstadt Taxata feierlich Beigesetzte!
„Isabella!!“ entfuhr es den Lippen Armaros …
Und neben ihm flüsterte Torresco, der ja auch in diesen Schurkenstreich eingeweiht war:
„Exzellenz – – die verbannte Isabella!!“
Don Rosé Armaro hatte blitzschnell einem vom Bedienungspersonal des Scheinwerfers den Karabiner entrissen …
Legte an …
Zielte nach unten …
Wollte Isabella, die er einst in einer ihm heute unverständlichen Anwandlung von Gerechtigkeitsgefühl an Kindes Statt angenommen, als gefährliche Zeugin durch eine wohlgezielte Kugel für immer stumm machen.
Da – fluteten brüllend und fluchend die Matrosen aus der schmalen Strandgrotte wieder hervor …
Da – – legte sich auch eine Hand schwer auf Armaros Schulter …
„Exzellenz,“ sagte Gaupenberg drohend, „weshalb wollen Sie dort auf Leute feuern, die Ihnen nichts angetan haben?!“
Armaro ließ die Waffe sinken …
Wandte sich um …
„Wer sind Sie?“ fragte er eisig.
„Graf Viktor Gaupenberg …“
„Ah – der Erfinder der Sphinx … – Sehr erfreut, Herr Graf …“
Der geschmeidige Präsident der Banditenrepublik wurde plötzlich wieder Weltmann, Diplomat …
Faßte leicht an die weiße Seglermütze, die er zu seiner recht geschmackvollen Uniform eines Generalissimus der patalonianischen Armee trug.
Sein Blick glitt zur Seite …
Da standen Agnes und Georg Hartwich …
Und wieder grüßte Exzellenz sehr höflich, war nun ganz Gentleman und Staatsoberhaupt …
„Wollen Sie mich bitte der Dame und dem Herrn vorstellen, Graf Gaupenberg,“ meinte er – jetzt die verkörperte Liebenswürdigkeit …
Und – Gaupenberg wurde es ob alledem unheimlich zu Mute …
Er erkannte jetzt, welch gefährlicher Intrigant dieser äußerlich so vornehme, imponierende Mann mit dem weißen Knebelbart und den schwarzen glitzernden Augen war …
Erkannte es besser als aus allen Schilderungen Melas und Ellens …
Spielte trotzdem genau wie dieser blutdürstige, Menschenleben verachtende Banditendiplomat notgedrungen Komödie …
Stellte Agnes und Hartwich Seine Exzellenz vor.
Und rund um diese Gruppe sammelten sich nun die erbitterten Matrosen, die in der Strandgrotte soeben wieder zwei Leute durch wohlgezielte Kugeln verloren hatten …
Mond und Sterne spendeten das nötige Licht …
Der Scheinwerfer war auf Torrescos geflüsterten Befehl ausgeschaltet worden …
Seine Exzellenz begann wieder:
„Herr Graf, da ich annehme, daß es einer Ihrer Begleiter ist, der dort die kleine Höhle verteidigt, der bereits unsere Landung hier zu verhindern suchte, dürfte ich Sie wohl um Aufklärung bitten, ob diese kriegerischen Maßnahmen gegen uns, die Eigentümer von Christophoro, auf Ihre Veranlassung hin eingeleitet worden sind?“
Seine Stimme klang bereits etwa schärfer …
Gaupenberg überlegte blitzschnell …
Er wußte, die Sphinx war entdeckt! Er konnte sie nicht mehr gegen Armaro als Drohung benutzen. Die Lage hatte sich für ihn und die Seinen aufs ungünstigste verschoben …
Er – mußte lügen … Mußte Armaro zu täuschen suchen …
„Exzellenz, ich bin auf das peinlichste überrascht, daß mein braver Diener leider meine Befehle insofern allzu eifrig befolgt hat, als er nur die Insel gegen … eine Schar Kabylen verteidigen sollte, die uns mit ihrem Schoner nachstellten …“
Ein Lächeln glitt über das Präsidenten Gesicht …
Das Lächeln … eines Tigers vielleicht …
„So – gegen Kabylen?!“ höhnte er unzweideutig. „Und doch habe ich Ihrem Diener vorhin einen Parlamentär gesandt und ihn wissen lassen, wessen Matrosen er niederknallt. – Herr Graf, Sie und die Ihren haben sich hier auf patalonianischem Grund und Boden wie … Piraten benommen …“
Seine Stimme ward schneidend und scharf …
„Sie alle sind meine Gefangenen …! Ich werde Sie vor ein Standgericht stellen – sofort! Das ist nicht nur mein gutes Recht, sondern meine Pflicht! Admiral, Untersuchen Sie die Leute auf Waffen …“
Gaupenberg erblaßte …
Nicht seinetwegen …
Agnes – – Agnes sollte hier etwa gleich ihm und Georg von diesem Gesindel, das immerhin das starre internationale Recht auf seiner Seite hatte, erschossen werden?! Denn daß dieses Standgericht ein Todesurteil fällen würde, unterlag für ihn keinem Zweifel. Armaro hatte ja das größte Interesse daran, ihn und alles, was zur Sphinx gehörte, für immer stumm zu machen …!
Und Agnes, wohl ahnend, was ihnen bevorstände, hatte sich jetzt an ihn gedrängt, hielt ihn leicht umschlungen …
Auf ihrem blonden prächtigen Haar schimmerte das Mondlicht … Ihr feines schmales Gesichtchen mit all dem holden, unnennbaren Reiz lieblicher Jungfräulichkeit war dem Tyrannen von Taxata zugekehrt …
Und auch in ihrer Seele nur die Angst um den Mann, den sie nun endlich als Verlobten sich zurückerobert hatte …
Nur diese Angst …
Und rief da Armaro mit ihrer weichen Glockenstimme beschwören zu:
„Exzellenz, wenn Sie uns richten wollen, dann – – nicht hier! Übereilen Sie nichts! Schonen Sie uns!“
Don Rosé Armaro, noch immer Bewunderer und lüsterner Don Juan jedem schönen Weibe gegenüber, maß Agnes Sandens zarte und doch so rassige Gestalt mit seltsamen Blicken …
Trotzdem, hier waren die Matrosen aufmerksame Beobachter! Hier mußte er … Diplomat bleiben …
Erwiderte eisig, indem er Torresco zuwinkte:
„Admiral, die Gefangenen übergebe ich Ihrer Obhut. Lassen Sie von der ‚Medusa’ noch drei Offiziere herüberkommen, als Beisitzer im Standgericht … Sie selbst übernehmen den Vorsitz … – Dem Diener des Grafen senden Sie einen neuen Parlamentär … Er soll sich ergeben …“
Und Armaro schritt davon, setzte sich wieder auf der anderen Seite des Hügels auf einen Felsblock, rauchte Zigaretten …
Und – dachte an den Milliardenschatz, an die Sphinx …!
Triumphierte …
Glaubte, daß beide ihm nun gehörten! Wähnte, das Gold läge in der Strandgrotte … Hoffte bestimmt, auch die Sphinx sehr bald in seiner Gewalt zu haben!
Und – doch beschlich ihn bei dem Gedanken an Isabella, die hier nun zu plötzlich und so ungelegen wieder aufgetaucht war, ein peinliches Gefühl der Unsicherheit …
Sollte er Isabella, die seinen Leuten doch von Ansehen nur zu gut bekannt war, ebenfalls hier … füsilieren lassen?!
Seine gute Laune schwand …
Er sprang auf …
Da erschien auch schon der kleine dicke Admiral … Meldete streng dienstlich:
„Exzellenz, ich hatte den Fliegeroffizier, der Euer Exzellenz mit dem Wasserflugzeug hierher gebracht hat, in die Grotte geschickt. Der Diener des Grafen hat erwidert, wenn sein Herr gefangen sei, so würde er die Grotte erst recht bis zum letzten Atemzug verteidigen …“
„Also – – das Gold!“ rief Armaro in jäh aufflammender Wut. „Torresco, Sie lassen sofort die Grotte wieder angreifen… Und das Standgericht wird den Grafen und den Steuermann zum Tode verurteilen. Das Mädchen – – bleibt mein, Torresco …! Sie verstehen – wird zu Gefängnis verurteilt. Die beiden Männer aber sind sofort zu erschießen … Ich betone nochmals, internationale Schwierigkeiten können uns daraus nicht erwachsen. –
Und sobald die Grotte unser, wird auch der Diener des Grafen füsiliert – kurzerhand, ebenso Aristo, der doch wahrscheinlich bei ihm ist. Dann werden wir uns der Sphinx bemächtigen … – Vorwärts, Torresco! Bevor der Morgen graut, muß die ‚Medusa’ mit dem Golde unterwegs nach Taxata sein …!“
Der Fettwanst Torresco zögerte …
„Exzellenz – Verzeihung … Sennorita Isabella befindet sich doch unten auf dem Luftboot …“
Armaro blickte sich scheu um …
„Isabella – – muß spurlos verschwinden – noch dort unten … – Torresco, Sie sollen zum Großadmiral befördert werden, wenn das Mädchen … mir keinerlei Ungelegenheiten mehr bereiten kann …!“
Und die beiden Würdenträger schauten sich an …
Verstanden sich …
„Ich … bin nach ein paar Stunden also bestimmt Großadmiral,“ sagte Torresco mit einem scheußlichen Grinsen. „Exzellenz sollen … mit mir zufrieden sein.“
Fünf Minuten darauf war ein nochmaliger Angriff auf die Strandgrotte mit Verlust von fünf Toten abgeschlagen worden …
Und zur selben Zeit standen Gaupenberg und Hartwich, jetzt wie die Schwerverbrecher gefesselt, zusammen mit Agnes bei Scheinwerferbeleuchtung vor – – ihren Richtern …
Torresco spielte den Ankläger …
Kein Wort von dem Schatze fiel … Nur ein paar Fragen an Gaupenberg, Hartwich und Agnes …
Alles nur lächerliche Komödie …
Dann der Spruch:
Todesstrafe durch Erschießen für die Männer, zehn Jahre Kerker für Agnes!
Als dieses Urteil verkündet war, rief Agnes blaß und mit zuckenden Lippen:
„Mörder – Mörder seid Ihr! Nichts anderes! Und – ich werde mit meinem Verlobten sterben … Ich will nichts von eurer Gnade wissen …“ –
Gaupenberg und der Steuermann gaben sich verloren …
Wer – wer sollte hier eingreifen?! Wer sie retten …?!
Dann hing Agnes schluchzend an seinem Halse …
Wie vorhin Ellen Barrouph ihren Geliebten umklammert hatte …
Rohe Matrosenfäuste rissen sie beiseite …
Ihre gellenden Schreie erstickte eine brutale Faust.
Und von wohltätiger Ohnmacht umfangen, sank sie langsam zu Boden …
Ihr letzter Blick umfaßte das erschütternde Bild der mit dem Rücken nach dem Hügel zu aufgestellten Freunde, vor denen acht Matrosen mit angelegten Gewehren standen – daneben Torresco, die Offiziere und auch Armaro …
„Es lebe Deutschland!“ rief Graf Gaupenberg laut und stolz, als der Fettwanst von Operettenadmiral sein Taschentuch hob, um den Matrosen das Zeichen zum Feuern zu geben …
Und über dieser Szene das ewige, strahlende Firmament …
Und der Mond mit feierlich mildem Licht …
Und als Begleitmusik zum Tode dieser beiden Tapferen das Donnern und Grollen der nahen Brandung …
Dies geschah in der wolkenlosen warmen Sommernacht auf Christophoro, dem südlichsten der drei Robigas-Eilande …
Anderes geschah auf der mittleren, von Christophoro etwa drei Meilen entfernten Insel Mala Gura …
Dort war jenes große Motorrennboot, die ‚Victrix’, kurz nach Dunkelwerden gelandet …
Dort, wo einst Melanie Falz als Isabella Armaro in der Steinhütte an der kleinen Halbinsel gehaust hatte, dort, wo die tapferen Kabylen von dem feigen, verräterischen Edgar Lomatz so brutal niedergeknallt worden waren, – in jener Steinhütte finden wir gegen elf Uhr abends die drei kühnen Insassen der ‚Victrix’ bei schlichter Mahlzeit versammelt.
Drei Amerikaner waren’s, drei der Leute des New Yorker Detektivs Jakob Worg, der in der Maske eines Gesandtschaftsrates namens Roger Shelling in Taxata seit Wochen auf Befehl der Regierung in Washington nach Ellen Barrouph suchte, gleichzeitig auch im Auftrage des untröstlichen Vaters, der in Ellen nicht nur sein einziges Kind verloren, sondern dessen geliebte Gattin auch tagelang im schweren Nervenfieber mit dem Tode gerungen hatte …
Jakob Worg war’s gewesen, der nach den Vorgängen während des großen Balles im Palast des Präsidenten die ‚Victrix’ hinter der ‚Medusa’ hergeschickt hatte.
Für das schlanke, gedeckte Rennboot, das mit seinen zwei jetzt aufgerichteten Signalmasten mehr einer kleinen seetüchtige Jacht glich, war es ein leichtes gewesen, der ‚Medusa’ so vorsichtig zu folgen, daß die drei Detektive auch Zeugen jener heimtückischen Verbrechen geworden waren, durch die der Fettwanst Torresco die verhafteten Offiziere in der Brandung hatte umkommen lassen.
Weiter hatten sie auch noch beobachtet, daß die ‚Medusa’ Matrosen landete und mit einem Male ihre Scheinwerfer spielen ließ.
Vor dem Lichte der weitreichenden grellen Strahlenkegel war die ‚Victrix’ schleunigst nach Norden geflüchtet. Und Carlson, der Führer des Bootes, hatte es für richtiger gehalten, hier auf Mala Gura zunächst einmal zu warten, bis die ‚Medusa’ das Meer mit ihren Scheinwerfern nicht mehr unsicher machte.
Soeben war Channon, der jüngste der drei, von einem kurzen Ausflug nach der höchsten Kuppe der Insel rückgekehrt und hatte gemeldet, daß er mit Hilfe des Fernrohrs festgestellt habe, die Scheinwerfer seien noch immer in Tätigkeit.
Dann hatte auch er sich an der Mahlzeit wieder beteiligt und bescheiden der Unterhaltung der beiden erfahrenen Kollegen gelauscht, die hauptsächlich über Ellen Barrouphs Entführung, über die umfangreichen Verhaftungen in Taxata und auch über den Inhalt der aufgegebenen Radiodepesche sprachen, in der von einem Schatz auf Christophoro die Rede gewesen war.
Gerade dieses Wort ‚Schatz’ hatte für die Detektive, die bisher nichts von dem Azorengolde wußten, den Anlaß zu einer ganzen Reihe von Vermutungen gegeben, wie das besonders bei Männern von ihrem Berufe der Fall sein mag, denen das logische Nachdenken und phantastische Ausspunnen von allerlei Möglichkeiten mit zum Handwerk gehört.
Carlson meinte, vielleicht handele es sich hier um einen Seeräuberschatz aus früheren Zeiten.
Belam, ein sehr hagerer, langer Mensch, behauptete seinerseits, es würde vielleicht auch mit dem Worte ‚Schatz’ etwas ganz anderes gemeint gewesen sein …
Jedenfalls mußte ihre Unterhaltung hier auf dem kleinen unbewohnten Eiland in der verlassenen Steinhütte für jeden Lauscher recht interessant sein, zumal sie sich keinerlei Mühe gaben, ihre Stimmen zu dämpfen. Hatten sie doch gleich nach der Landung hier die Insel einmal umrundet und auch von dem Hügel Ausschau gehalten. Sie glaubten sich auf Mala Gura eben allein … –
Ein Lauscher …
Und – wenn der junge Channon soeben bei der Rückkehr von dem Gange zur Hügelkette nur ein wenig mißtrauischer gewesen wäre, hätte er die Gestalt im Gestrüpp neben der Hütte fraglos bemerkt, zumal dieser Lauscher dort einen recht hellen Anzug trug.
Als der junge Detektiv in der Hütte verschwunden, wagte sich der Fremde wieder näher heran …
Das Mondlicht enthüllte jetzt alle Einzelheiten seiner Erscheinung – einer schlanken, tadellos gewachsenen Gestalt in hellgrauem Flanellanzug …
Auffallend war, daß der Fremde eine Sportmütze ganz tief ins Genick gezogen hatte, und daß unter dieser Mütze, die sich hoch aufbauschte, eine überreiche Fülle von Haar verborgen zu sein schien.
Das bartlose, zarte, wenn auch leicht gebräunte Gesicht des Schlanken war von überraschender Schönheit.
Viel zu schön und reizvoll, um das eines Mannes sein zu können … –
Nun stand dieser Lauscher dicht neben der einen Fensteröffnung der Hütte …
Kein Wort entging ihm …
Und zuweilen glitt da über seine Züge ein dämonisches Lächeln unendlichen Triumphs …
Nun hatte s i e genug gehört – übergenug, um abermals in dem Kampfe um den Azorenschatz eine entscheidende Rolle spielen zu können …
Sie …!!
Denn – – der Lauscher war Mafalda, Fürstin Sarratow …
Mafalda, die im Turme des Observatoriums den Flammen nur deshalb entgangen war, weil ein glücklicher Gedanke ihr im letzten Moment eingegeben, den Wasserhahn der bis oben in die Turmkuppel reichenden Wasserleitung zu öffnen und durch die Lüftungsklappen im Fußboden den Wassermengen Abfluß nach unten zu schaffen, so daß das Feuer im Turme nicht weiter aufwärts sich ausdehnen konnte …
Noch immer trug Mafalda auch den Anzug Doktor Gouldens …
Noch immer lebte in ihrem Herzen jene unselige Liebe zu Viktor Gaupenberg, die nun, in schrankenlosen Haß verwandelt, nur ein Ziel kannte: Viktor und Agnes wieder zu trennen oder – – zu vernichten! –
Mafalda Sarratow kehrte jetzt eilends zur Ostseite der Insel zurück, wo vorhin kurz nach der ‚Victrix’ und kurz nach dem Rundgang der drei Detektive jener kleine Schoner gelandet war, den der Maultierzüchter Diego Rovenna seinen neuen Verbündeten zur Verfügung gestellt hatte. –
Mafalda hatte sich von Bord nur entfernt, um sich Bewegung zu machen. Die lange eintönige Seereise in Gesellschaft der drei Männer, von denen sie den einen, Lomatz, tief verachtete, den zweiten aber, Alfonso Jimminez, als gefährlichen Riesen fürchten gelernt hatte und den dritten, Rovenna, trotz seiner eindeutigen Zudringlichkeit und trotz ihrer Vorliebe für liebeshungrige Kraftnaturen kaum beachtete, – diese Seereise hatte ihre Nerven infolge der verzehrenden Ungeduld und ihres blinden Hasses gegen Agnes und Gaupenberg auf eine harte Probe gestellt.
Noch nervöser und gereizter wurde sie, als der Schoner, nachdem er sich vorsichtig der Insel Christophoro genähert hatte, dort ebenfalls den Scheinwerfern ausweichen und vorläufig nun hier in einer schmalen, von Bäumen umgebenen Bucht ankern mußte.
In ganz anderer Stimmung kehrte die Fürstin jetzt an Bord zurück, wo ihre drei Verbündeten es sich auf dem Achterdeck bequem gemacht hatten.
Diego Rovenna, der gescheiterte Madrider Anwalt, begrüßte Mafalda mit der lachenden Frage:
„Nun, Fürstin, haben Sie hier den Möven die Köpfe verdreht?! Niemand kann Ihnen ja widerstehen … Selbst die da nicht!“
Und er deutete auf drei andere Gestalten, die auf dem Vorderdeck dicht nebeneinander kauerten …
Es waren – – die drei Homgoris, die Mafalda sich dort in der Nähe des ausgebrannten Observatoriums untertan gemacht hatte: der Goliath Baru und die beiden Affenmenschen, die sich schon früher in den Käfigen Doktor Gouldens ihm stets untergeordnet hatten. –
Mafalda erwiderte Rovennas Bemerkung nur mit einem Achselzucken, setzte sich abseits in den einzigen an Bord vorhandenen Liegestuhl und rauchte schweigend und gedankenvoll eine Zigarette.
Was sie da soeben dem unvorsichtigen Gespräch der Detektive entnommen hatte, war ja für sie äußerst wertvoll gewesen …
Sie wußte nun, daß Präsident Armaro, ihr früherer Liebhaber, den sie nur infolge der allgemeinen Erregung in Taxata ob dieses schamlosen Treibens Seine Exzellenz hatte verlassen müssen, von Spionen umgeben war, und daß jener Ellen Barrouph hochangesehener Vater den Präsidenten für den Entführer seines Kindes hielt.
Mit dieser soeben durch einen glücklichen Zufall erlangten Kenntnis von Dingen, die für Don José Armaro eine schwere Gefahr bedeuteten, wollte sie nun weiter durch feine Intrigen in den Kampf um die Goldmilliarden sich einmischen und alle jene Menschen ihren Haß fühlen lassen, die mitgeholfen, ihr den Grafen Gaupenberg zu rauben.
So saß sie nun finster vor sich hinbrütend da und entwarf allerlei Pläne …
Bis Rovenna zu ihr trat, sich an die Reling lehnte und meinte:
„Fürstin, ich möchte mit Ihnen noch einige Einzelheiten unseres Vorhabens besprechen. Zunächst einmal die Umrisse. Wir wollen warten, bis die ‚Medusa’ den Schatz an Bord genommen und die Rückreise nach Taxata angetreten hat. Dann werden wir der Jacht scheinbar zufällig begegnen, werden unseren Schoner von der ‚Medusa’ ins Schlepptau nehmen lassen, und Sie wollen versuchen, die Besatzung samt den Offizieren zur Meuterei aufzuwiegen, was Ihnen bei den moralischen Qualitäten dieses Gesindels wohl auch gelingen dürfte, zumal noch die Goldgier hinzukommt. Der einzige, der nach Ihrer Ansicht nicht mitmachen dürfte, ist der Admiral Torresco. Nun, der wird dann eben mit sanfter Gewalt zum Schweigen gezwungen. Sind wir auf diese Weise erst Herren der ‚Medusa’, so sollen nachher auch die Leute der Besatzung irgendwie … ausgeschaltet werden, bis eben nur wir vier für die Verteilung der Milliarden in Betracht kommen …“
Mafalda nickte. „Ein einfacher Plan, ohne Frage … Ich zweifle kaum daran, daß er gelingen wird … Nur eins beunruhigt mich …“
„Und das wäre?“
Inzwischen waren auch Lomatz und Jimminez herbeigekommen, und der Geheimagent meinte spöttisch:
„Wenn dich etwas beunruhigt, Mafalda, dann tut man gut, recht vorsichtig zu sein, denn dann … hast du stets Hintergedanken …!“
Die Fürstin lachte kurz auf …
„Mit dem gegenseitigen Vertrauen zwischen uns scheint es nicht weit her zu sein!“
„Keinen Streit!“ rief Rovenna ärgerlich. „Sprechen Sie, Fürstin …! Was beunruhigt Sie?“
„Als unser Schoner sich vorhin Christophoro näherte, sah ich auf der Insel, bevor noch die Scheinwerfer aufblitzten, etwas Helles schimmern – offenbar ein Wasserflugzeug … Die hellen Tragflächen waren durch das Fernglas bei der weiten Entfernung nur undeutlich zu erkennen …“
„Ah!!“ machte Jimminez. „Und das erwähnst du erst jetzt, Mafalda?“
„Weil es mir bisher bedeutungslos erschien. Inzwischen habe ich schärfer darüber nachgedacht. Ich fürchte, das Flugzeug beweist, daß Präsident Armaro persönlich auf Christophoro anwesend ist.“
„Verdammt!!“ Jimminez hatte im Moment begriffen. „Und du meinst, wenn Armaro nun seine Jacht zur Rückfahrt nach Taxata benutzt, dann …“
„… dann wird unser Plan niemals glücken! Wenn Armaro sich an Bord der Jacht befindet, wären alle Versuche, eine Meuterei anzustiften, aussichtslos. Sein persönlicher Einfluß auf die Besatzung ist zu groß. Man fürchtet ihn, wenn er in der Nähe ist. Man kennt seine rücksichtslose Energie.“
„Nun – und?“ fragte Rovenna gespannt.
„Wir müssen uns eben vergewissern, was auf Christophoro vorgeht,“ erwiderte Mafalda ebenso kühl und überlegt. „Einer von uns muß mit dem Boot des Schoners nach Christophoro hinüber. Ein kleines Boot ist kaum zu bemerken, selbst im Scheinwerferlicht wohl kaum … Ich bin gern bereit, diese Erkundungsfahrt zu unternehmen, denn wir gehorchen unsere drei Homgoris, die als Ruderer Unglaubliches bei ihren Kräften leisten …“
„Ah!!“ machte Jimminez, der Riese, wieder …
Und dann trat er dicht an Mafalda heran, beugte sich zu ihr herab und schaute ihr prüfend in das undurchdringliche Antlitz …
Meinte grollend:
„Du – ich traue dir nicht! Der Teufel mag wissen, was du planst …!“
Die Fürstin lachte schneidend …
„Bei diesem Mißtrauen werden wir sehr viel erreichen …!! – Was sollte ich planen?! Etwa euch drei an Armaro verraten?! – Das würde ich niemals tun! Ich kenne Seine Exzellenz, den größten Diplomaten und Schuft ganz Amerikas, besser als ihr! Die Zeiten, wo er einem Wink von mir blindlings gehorchte, sind vorbei – endgültig! Das Feuer der Liebe ist bei ihm erloschen – wenigstens für mich. Insgeheim haßt er mich sogar, weil ich ihm damals in Taxata so viel Ungelegenheiten bereitet habe …“
„Lola Montez von Patalonia!“ höhnte der Geheimagent mit einer Anspielung auf die berüchtigte Geliebte des Bayernkönigs …
Rovenna fuhr ihn dafür grob an …
„Zum Teufel – halten Sie Frieden, Jimminez!“ Und ein Ekel stieg in ihm hoch gegen diese Menschen, mit denen er, der Gescheiterte, sich eingelassen hatte. Er war ja aus anderem Holze geschnitzt als sie, er hatte bewiesen, daß er auch ehrlich arbeiten konnte … – Und fügte hinzu: „Ich bin ganz damit einverstanden, daß die Fürstin mit den drei Homgoris hinüber rudert … Und Sie, Lomatz?“
Der mittelgroße, dürre Lomatz hob die Schultern bis zu den Ohren …
„Ich habe leider schon so viel Beweise von Mafaldas Hinterhältigkeit zu meinem Schaden am eigenen Leib verspürt, daß ich es für richtiger halte, wenn einer von uns die Fürstin begleitet …“
Rovenna stampfte wütend mit dem Fuße auf …
„Feine Verbündete …! Feine Verbündete!! Hätte ich schon auf San Miguel gemerkt, wie es zwischen euch steht, dann wäre ich besser dort geblieben! Hätte wieder gearbeitet, hätte nie mehr eine Karte angerührt! San Miguel hat eine Zukunft. Große Teile der Insel sind bereits der Kultur erschlossen, und auch was noch Wildnis ist, wird sehr bald … – Doch – was rede ich! Meine Hazienda ist hin! Das verfluchte Glücksspiel! – Reden wir hier nicht lange …! Ich werde die Fürstin begleiten … Und am besten ist wohl, wir bringen auch den Schoner näher an die Insel heran … Wenn wir von Südost Christophoro ansteuern, entgehen wir den Scheinwerfern. Dann setzten wir das Boot aus …“
Jimminez war einverstanden. Fünf Minuten später verließ der Motorschoner die kleine Bucht und verschwand bald in der milchigen Dämmerung der mondhellen Nacht …
Mafalda saß noch immer wie eine Statue in dem bequemen Liegestuhl …
Sie ahnte, daß es ihr infolge dieses nur allzu lebendigen Mißtrauens ihrer beiden einstigen Freunde nur schwer gelingen würde, mit Armaro insgeheim in Verbindung zu treten. Wenn Diego Rovenna die Bootsfahrt mit ihr und den Homgoris mitmachte, konnte sie nur schwer etwas unternehmen, denn sie wollte Rovenna gegenüber nichts von dem verraten, was ihr Inneres jetzt mit unbezähmbarer Glut erfüllte: Haß – Haß und Rachedurst! Das Gold war ihr gleichgültig! Nur die Menschen, die für dieses Gold gekämpft hatten, wollte sie in ihre Gewalt bekommen! Sie ahnte, daß auf Christophoro die Würfel des Schicksals für Gaupenberg und die Seinen rollten …! Sie mußte dabei sein, wenn Armaro über Leben und Tod dieser Menschen entschied! Sie wollte Agnes Sanden demütigen – so tief, daß das blonde keusche junge Weib … zur Dirne herabgewürdigt wurde! –
Und weiter und weiter glitt der kleine Schoner gen Südost…
Jimminez stand hinter Mafalda am Steuer. Lomatz bediente unten den Motor, und Rovenna unterhielt sich auf dem Verdeck mit Baru, dem Goliath …
Die Fürstin Sarratow grübelte … grübelte …
Wenn sie nur einen Ausweg fände …! Wenn sie nur irgendwie erreichen könnte, daß Rovenna hier an Bord bliebe …
Und da – mitten in ihre geheimsten Gedanken hinein ein lauter Ruf des riesigen Geheimagenten …
„Achtung …! Der Schoner gehorcht dem Steuer nicht mehr …!“
Und fast gleichzeitig vom Verdeck des Maultierzüchters Stimme:
„Dort rechts von uns – – ein Strudel … Ein Trichter im Ozean …! Lassen Sie die Schraube rückwärts arbeiten, Jimminez!! Schnell – sonst werden wir hinabgerissen in die Tiefe!“
Alfonso Jimminez schob schon die Hebelstange des Motors zur Seite …
Die Schraube schlug in entgegengesetzter Richtung … und doch wurde der Schoner wie von unsichtbaren Gewalten seitwärts gedrückt – immer schneller … schneller …
Mafalda war an die Reling gesprungen …
Dort im Mondenschein eine breite glatte Fläche …
Als ob die Wogen des Atlantik an jener Stelle durch eine Ölschicht besänftigt, geglättet wurden. Mitten in dieser Fläche aber ein Trichter von vielleicht zwanzig Meter Durchmesser, nach der Mitte hin vertieft – ein Loch im Wasser, in dem es quirlte und schäumte … gurgelte und zischte …
Ein Riesenstrudel …
Und – ein Riesenstrudel, entstanden durch jene Explosion, mit der König Mataguma sein der Verblödung geweihtes Volk ausgetilgt hatte …
Ein Riesenstrudel gerade über jener Stelle des unterirdischen Aztekenreiches, wo jetzt die Wasser des Ozeans in die Höhle hineinfluteten … –
Mafalda ahnte, daß es mit dem Schoner vorbei …
Vorn lag das Boot …
Und mit drei langen Sprüngen war sie nun neben dem mit modernen Luftkästen gesicherten Rettungsboote …
Ein paar Zurufe an ihre treuen zottigen Sklaven genügten … Und auf deren Riesenkräfte hoffte sie …
Rovenna war zu Jimminez ans Steuer geeilt …
Da – flog das Boot über die Reling … Bei der geringen Bordhöhe des kleinen Schoners kam es glatt auf die Wasseroberfläche zu liegen …
Und ehe Jimminez und Rovenna noch recht wußten, was dort vorn geschah, hatte Mafalda mit den drei Homgoris bereits das leichte Boot abgestoßen …
Die drei zottigen Affenmenschen tauchten die Ruder ein …
Ihre muskelstrotzenden Arme zogen so machtvoll die Riemen durch, daß das Rettungsboot den Kampf mit der Strömung des Strudels mit guter Aussicht auf Erfolg aufnahm …
Indessen war der Schoner auf gleicher Höhe mit dem Boote geblieben …
Jimminez, der jetzt Mafaldas abermalige Treulosigkeit voll begriffen hatte, riß die Pistole aus der Tasche …
„Der Satan muß sterben!“ keuchte er völlig von Sinnen …
Rovenna drückte ihm den Arm zur Seite.
„In solcher Lage jeder sich selbst der Nächste,“ meinte er kalt. „Sie hätten kaum anders gehandelt …“
Der Geheimagent stieß ihn zurück …
„Das ist schmählicher Verrat!“ rief er … „Das Weib wird …“
Er … schwieg …
Das Boot war in den wenigen Sekunden weiter vom Schoner abgetrieben …
Die Kraft der Homgoris siegte …
Und mit einem wilden Fluch starrte Jimminez dem leichten Fahrzeug nach, das bereits der Gefahr entronnen war …
Dann begann der Schoner sich zu drehen …
Immer rascher …
Lomatz erschien an Deck …
Fahl – verstört …
Die Spitze des Schoners tauchte urplötzlich tief ins Wasser ein …
Das Heck hob sich …
Und – – drei schnell verhallende Schreie noch …
Der Strudel hatte das kleine Schifflein mit Mann und Maus in die Tiefe gezogen …
… Admiral Torresco Bob das Taschentuch nur bis Schulterhöhe …
Ließ es wieder sinken …
Kein Schuß war gefallen …
Eine hohe, hagere Mönchsgestalt mit langem schlohweißen Bart war rasch von der Seite her vor die beiden Verurteilten getreten, in der Rechten ein silbernes Kruzifix dem Admiral entgegenstreckend …
Pater Mario Lopez war’s …
Und seine tiefe, unter der Last der Jahre stark schwankende Stimme rief drohend und feierlich:
„Halt!! Ich möchte mit José Armaros sprechen …!“
Der Präsident hatte den Oberkörper weit vorgebeugt …
Stierte den Pater mit unruhigen Augen wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt ungläubig an …
Und – verfärbte sich langsam …
Erinnerungen erwachten in ihm … Schuldbewußtsein trieb ihm das Blut rascher durch die Adern … Die Vergangenheit war jäh wieder lebendig geworden … Ein halbes Jahrhundert versank, und jener Tag lag wie ein düsteres Gemälde vor dem inneren Auge des Gewalthabers, wo er den Pater gezwungen hatte, ihn und jene reiche junge Amerikanerin ehelich zusammenzutun, und wo er Mario Lopez dann nach Christophoro gebracht hatte, damit der Zeuge dieser Ruchlosigkeit für immer verschwände …
Ein halbes Jahrhundert …
Und nun hier auf demselben Eiland im Lichte der Scheinwerfer dicht vor ihm der Totgeglaubte …
Ein ernster Mahner der Vergangenheit …
Einer, der ihm bewieß, daß dort droben jenseits des strahlenden Firmaments eine ewige, gerechte, rächende Vorsehung wohnte …
Und – – da beschlich den Despoten Armaro heute zum zweiten Male ein Gefühl der Hilflosigkeit … – Wie vorhin, als er Isabella unten in der Riesenhöhle auf Deck der Sphinx erkannt hatte …
Mehr noch als Hilflosigkeit… Das klare Empfinden, daß sein Glücksstern im Erlöschen sei, daß diese Fahrt, den Schatz zu erbeuten, der Wendepunkt seines blutigen Lebenspfades werden würde …!
Und wieder da des Mönches Stimme:
„José Armaro, ich möchte dich allein sprechen! Gib Befehl, daß diese Hinrichtung unterbleibt …!“
Der Despot suchte sich aufzuraffen zu entscheidendem Tun … Sein Ansehen stand hier auf dem Spiel… Die Augen der Offiziere, der Matrosen waren fragend, staunend auf ihn gerichtet … Ein Mönch, ein Pfaffe wagte es, dem allmächtigen Herrscher der Republik fast zu drohen?! Wie ging das zu?!
Sein Ansehen mußte schwinden, wenn er … nicht einen Ausweg fand, der Szene ein anderes Gesicht zu verleihen …
Und … der Mann versagt hier, aber der feine Diplomat siegte …
„Ehrwürdiger Pater, als gläubiger Christ will ich euren von Herzensgüte zeugenden Wunsch erfüllen,“ erklärte er mit gewissem Selbstbewußtsein …
Und zu Torresco:
„Die Hinrichtung unterbleibt vorläufig …!“
Dann winkte er dem Mönch …
„Kommt, ehrwürdiger Pater … Ein Diener unserer heiligen Kirche findet stets bei mir ein offenes Ohr …“
Er schritt voran – um den Hügel herum …
Mario Lopez folgte.
Nun standen sie einander ganz dicht gegenüber …
„Du weißt, wer ich bin,“ begann der Greis schlicht und eindringlich. „Wir waren in der Jugend fernen Tagen Freunde, José Armaro … Bis ich erkannte, wohin deine dunklen Wege liefen – zu Macht und Reichtum! Und … zu unerhörten Verbrechen! – Was du dann mir angetan, sei dir vergeben. Mein Dasein war das eines Gefangenen – fast fünfzig Jahre lang … Und Gott hat’s gewollt, daß der Tag meiner Befreiung auch die Stunde herbeiführte, wo ich von dir als Sühne etwas Gerechtes fordern kann. Schone diese Männer dort! Männer sind’s, denen … die Schuhriemen zu lösen du nicht einmal wert bist!“
Seine Stimme schwoll an …
„Verlaß diese Insel! Ich weiß, daß deine gierigen Hände sich nach fremden Golde ausstrecken! Und – ich schwöre dir, was du suchst, befindet sich nicht hier auf der Insel – – liegt unter Meeresfluten begraben, – – der Goldschatz der Azoren!“
Armaro fuhr leicht zusammen …
Er wußte, der Pater sprach die Wahrheit! Niemals hätte der Mönch die Hand zu falschem Schwur erhoben …
„Wo – – ist das Gold?“ rief er gepreßt … Und die Enttäuschung verlieh seinen Zügen etwas Müdes, Hoffnungsloses … Wieder überkam ihn auch dasselbe Empfinden: ‚Dein Glücksstern erlischt …!!’
Der Mönch schüttelte langsam den Kopf …
„Es muß dir genügen, daß das Meer den Schatz verschlungen hat! Gott ist mein Zeuge, das Gold ist für dich verloren! Verlaß die Insel! Gib alle die frei, die hier gegen dich kämpften …“
José Armaro war nicht mehr der energische, brutale, gewissenlose Despot … Ein anderer war’s, der hier auf Christophoro jetzt seine Milliardenträume in Nichts zerflattern sah – einer, der den Glauben an sich verloren hatte, der aus einem Gefühl schwächlicher Unsicherheit nun erwiderte:
„Der Diener des Grafen ist uns hier auf patalonianischem Grund und Boden mit bewaffneter Hand entgegengetreten – auf Befehl seines Herrn…! Wenn du als … Sühne von mir etwas verlangst, so will ich die Leute den ordentlichen Gerichten in Taxata zur Aburteilung überantworten …“
Pater Mario nickte …
„Auch das genügt mir …! Aber bedenke wohl, das Gericht wird dann auch öffentlich über diesen deinen versuchten Schatzraub verhandeln …! – José Armaro – gib die Leute frei – und entferne dich mit deinen Schergen!“
Der Gewalthaber starrte vor sich hin …
Alles in ihm bäumte sich dagegen auf, hier nachgeben zu müssen …
Und – weshalb?! Nur dieses elenden Greises wegen?!
Seine brutale Seele lechzte förmlich nach der früheren Spannkraft – nach jener eisigen Gleichgültigkeit, mit der er stets über Leben und Tod entschieden hatte.
Und – war doch zu stark niedergedrückt durch das dumpfe Gefühl: Dein Weg geht abwärts! –
Nochmals mahnte da der Pater:
„José Armaro, die Vernunft gebietet, jedes Aufsehen zu vermeiden! Gib die Gefangenen frei …! Und – räume die Insel …!“
Der Despot stand mit gesenktem Kopf – hilflos, ein Spielball der widerstrebendsten Gefühle …
Schon öffnete er die fest zusammengepreßten Lippen.
Wollte … nachgeben … Wollte, ein Geschlagener, das Eiland verlassen …
Da … tauchte neben ihm eine Gestalt auf …
Ein Weib in hellgrauem, stellenweise verbranntem und rauchgeschwärztem Flanellanzug …
Mafalda Sarratow!
Das … böse Elemente – Die Kraft zum Bösen griff ein …
Ein Weib, in dem Eifersucht, Haß, Rachgier alles Gute erstickt hatten … –
Armaro hob den Blick …
Der Mond schien in Mafaldas rassige leidenschaftliche Züge …
„Mafalda …!“ – Und Armaro trat zurück … „Mafalda – – du, – – du hier auf Christophoro?!“
„Soeben erst gelandet – von der ‚Medusa’ aus – – mit Hilfe des Taus und der Gleitrolle … Und – noch zur rechten Zeit gelandet …! Torresco teilte mir bereits mit, was hier soeben geschehen … – Wer ist der Mönch?“
Ihre frische Stimme, diese unbezähmbare Energie der verbrecherischen Vollnatur, übte auf Armaro eine ganz besondere Wirkung aus …
Die Hilflosigkeit, Unsicherheit schwanden …
Mafalda, seine Vertraute von einst, seine Beraterin, der er so manchen politischen Erfolg verdankte, war ihm wie eine Quelle neuer Kraft …
Die Fürstin zog ihn rasch abseits …
Flüsterte:
„Wer ist der … Pfaffe?“
Und Armaro log nicht … Ein paar hastige Sätze klärten Mafalda über den Pater genügend auf …
Ein böses Lächeln erschien um ihren Mund …
„Schicke ihn auf die ‚Medusa’ hinüber … Verspricht ihm alles – und halte nichts! Auf der ‚Medusa’ wird sich ein kleiner … Unfall ereignen … Ich habe da drei Halbtiere mitgebracht … Warte nur ab.“
Und sie wandte sich um und trat an Mario Lopez heran …
Sie war ihm fremd … Sie war Komödiantin – alles war sie, was sie sein wollte …
„Der Präsident hat sich von mir erweichen lassen, ehrwürdiger Pater …,“ sagte sie demütig und bescheiden … „Ihre Freunde werden frei sein … Begleiten Sie mich nur auf die Jacht hinüber … Drei schwerverwundete sterbende Matrosen verlangen nach geistlichem Zuspruch …“
Der Mönch blickte Armaro an …
„Mein Wort zum Pfande!“ erklärte der Despot eifrig. „Sie alle sind frei …“
Und setzte in Gedanken hinzu:
„Vogelfrei …!!“ –
Mario Lopez schritt neben Mafalda her – dem Strande zu …
Die Fürstin sprach harmlos und voller Tücke …
Fragte auch nach Ellen Barrouph …
Erfuhr so, daß die Tochter des amerikanischen Gesandten noch im Dickicht neben dem Schachtausgang verborgen war …
Dann trug die Gleitrolle mit zwei belasteten Gurten den Pater und Mafalda zur ‚Medusa’ hinüber, wo der Fürstin zottige Ruderknechte jetzt auf dem Vorderdeck lagerten, aus achtunggebietender Entfernung angestaubt von der Besatzung, die diesen Untieren sich nicht zu nähern wagte …
Als die beiden nun an Deck gelangt waren und einer der Offiziere dem im Männeranzug doppelt verführerischen Weibe überhöflich entgegeneilte, meinte Mafalda abwehrend:
„Sofort, Sennor … sofort …! Ich will dem ehrwürdigen Pater nur meine drei Homgoris zeigen, bevor wir zu den Kranken gehen …“
Und sie wandte sich nach links, winkte dem Mönch, der in seiner übergroßen Weltfremdheit infolge seiner endlosen Gefangenschaft im unterirdischen Aztekenreiche die Verworfenheit dieser Frauenseele noch immer nicht durchschaute.
Beide näherten sich so den drei Affenmenschen …
Und Mafalda sagte wie scherzend:
„Oh – sie sind eifersüchtig, diese intelligenten Halbbestien …“
Mario Lopez, dessen schwache Augen nur undeutlich die Untiere dort vor sich bemerkten, erwiderte nichts. Er wollte nicht verraten, daß er diese unglücklichen Geschöpfe bereits kannte – von der Sphinx her – von dem Kampfe auf der Terrasse des Königspalastes. Er schwieg, weil man ja übereingekommen war, möglichst wenig von den Ereignissen in der jetzt überfluteten Riesenhöhle zu verraten, damit Armaro nicht etwa auch noch von den Reichtümern der Schatzkammer Matagumas etwas erführe …
Und – so ging Pater Mario hier denn ahnungslos … dem Tode entgegen …
Mafalda hatte ihren teuflischen Plan längst in allen Einzelheiten sich zurechtgelegt …
Vier Schritte vor Baru, dem Goliath, der sich beim Nahen der Herrin erhoben hatte, schrie sie leise auf, taumelte, wie von einem Schwindel befallen, und … sank dem leicht erschrockenen Pater in die Arme – ließ sich von ihm stützen, schrie noch lauter auf und … stieß ihn zurück …
All das Berechnung – ein tückisches Spiel …
Und – was Mafalda erwartet, geschah …
Baru, in dem Glauben, daß die Herrin von dem hageren Manne bedrängt werde, sprang mit gellendem Kreischen zu …
Die Riesenfäusten packten den Pater, hoben ihn empor, schmetterten ihn auf die Deckplanken, rissen ihn wieder hoch und schleuderten den bereits Leblosen über die Regeln in die See …
Mafalda war – zum Schein – umgesunken …
Zum Schein rief sie um Hilfe, als ob sie Baru fürchtete, der sich jetzt über sie beugte …
Und doch war sie so schlau, den Goliath gegen jede Kugel mit dem eigenen Oberkörper zu decken …
Rief wieder: „Nicht schießen, Sennores… Nicht schießen …! Sein Wutanfall ist schon vorüber …!“
Dann erhob sie sich, befahl Baru, wieder zu den anderen Homgoris zurückzukehren, und schritt auf die erregte Gruppe von Offizieren und Matrosen zu …
Spielte weiter Komödie, entschuldigte Baru, der eben nur abermals seine übergroße Anhänglichkeit und Treue bewiesen habe, und erklärte sodann, sie wolle sofort wieder zur Insel hinüber und Exzellenz das Vorgefallene melden.
So trat sie denn zum zweiten Male den Weg durch die Brandung an … im Gurte hängend – hinabgleitend am feuchten Tau …
Siegerin … Siegerin – wie sie dachte!
Und als sie dann am Ufer vor dem sie erwartenden Armaro stand, als sie ihm kurz geschildert, wie ohne ihre Schuld der Pater nun ums Leben gekommen, fügte sie sehr ernst und bestimmt hinzu:
„José, einst gehörten wir zusammen … und jetzt – sind wir wieder vereint … für immer! – José – versprich mir, die Insassen der Sphinx werden hier sofort gerichtet! Und – das Urteil werde ich bestimmen …!“
Armaro reichte ihr die Hand …
Sie standen im Dunkeln … Das Licht der Scheinwerfer glitt über sie hinweg zum hohen Felsenhügel, wo neben den beiden gefesselten Gefangenen die blonde Agnes auf einem flachen Steine saß und Gaupenberg umschlungen hielt – daneben sechs Matrosen als Wächter, und ein paar Meter weiter Admiral Torresco mit den Offizieren …
Im Dunkeln standen sie …
„Ich danke dir, Mafalda,“ sagte Armaro laut, damit er das Brüllen der Brandung übertönte. „Du warst mir früher oft kluge Beraterin … Ein Glückszufall führte dich zur rechten Zeit herbei … Mit dem Tode des Paters sind jedoch die Widerwärtigkeiten hier längst nicht überwunden … Denke dir, die Sphinx schwimmt unten in einer Riesenhöhle, und auf der Sphinx befindet sich … Isabella! Du kennst sie – meine Adoptivtochter …“
„Ja … – – die … Verstorbene, José! Ich kenne sie!“
Armaro ballte die Faust …
„Ich habe nie Halbes getan, Mafalda … Nur im Falle Isabellas …! Ich verbannte sie, ließ einen leeren Sarg feierlich beisetzen … Und jetzt – taucht dieses Mädchen als drohendes Gespenst wieder auf!“
„Sie … wird uns nicht stören, José …“
„Gut, gut … Hoffen wir’s … – Und dann noch etwas, Mafalda … Ich habe da letztens in Taxata Wind von einer Militärverschwörung gegen mich bekommen … Ein harmloser Radioklub diente den Verschwörern als Treffpunkt. Ein Rittmeister Juan Aristo war mit dabei, und …“
„Ah – der flotte Aristo …! Ich besinne mich … Einer der wenigen reinblütigen Spanier der Republik.“
„Um Aristo zu vorschnellem Handeln zu drängen, ließ ich seine Angebetete, die Tochter des amerikanischen Gesandten John Barrouph, verschwinden und – hier auf Christophoro in tiefer Betäubung aussetzen …“
„Welche Unvorsichtigkeit …!“
„Leider wahr …! – Und doch hat Aristo sich dann wirklich hinreißen lassen, Äußerungen zu tun, die mir eine Handhabe zur Verhaftung der Verschworenen gaben. In der Zitadelle von Taxata sitzen jetzt achtundzwanzig Offiziere, drei andere sind tot, und Aristo steckt dort in der Strandhöhle und verteidigt sie zusammen mit Gaupenbergs Diener und drei von diesen scheußlichen Halbtieren …“
„Ah – sie und … den Schatz verteidigt er …“
Da – – lachte Armaro bitter auf …
„Der Schatz, Mafalda, ist verloren … Der Pater schwor mir, daß das Gold irgendwo auf dem Meeresgrunde liege …“
„Und – das glaubst du?!“
„Ja … Der Pater hätte niemals falsch geschworen …“
„So?! – Nun – wir werden ja sehen … – Wie steht’s nun mit der Amerikanerin, José?“
„Sie … ist von hier verschwunden. Vor drei Wochen ließ ich sie hier …“
„… Halt – beruhige dich! Sie … ist noch hier!“
„Wo – wo?! – Wenn meine Offiziere, meine Matrosen sie sehen, so … kann ich abdanken! Sie würden nicht schweigen … Es gibt viele unter ihnen, die mich hassen …“
„Vertraust du Torresco?“
„Ja … unbedingt, – das heißt, solange er noch Vorteile von mir zu erwarten hat …“
„Dann werde ich mit Torresco diese Ellen Barrouph … unsichtbar machen, José … Der Pater hat mir verraten, wo sie verborgen ist. Und nun begreife ich auch, weshalb sie sich nicht zeigte, als die Exekution der beiden Deutschen schon halb vollendet war. Sie weiß eben, daß ihr Auftauchen hier dich noch mehr reizen würde …! – Handeln wir jetzt … Schicke mir Torresco drüben zum Wrack des U-Bootes. Dort will ich ihn erwarten …“
Und rasch und gewandt eilte sie durch die Dornenbüsche der Mitte des Eilandes zu …
Warf noch einen Blick unendlichen Hasses zu den Felsenhügel hinüber, wo wie eine grelle Kinoszene im Glanze der Scheinwerfer Gaupenberg und Agnes zärtlich aneinandergeschmiegt dasaßen … Neben ihnen der blonde Steuermann, finster vor sich hinbrütend – in Gedanken stets bei seinem jungen Weibe, bei Ellen … Ellen Barrouph … –
Und Ellen …?
Die stolze, schöne Tochter John Barrouphs kauerte im Dornengestrüpp oben auf dem flachen Felsen, den schon Hartwich vorhin als Auslug benutzt hatte …
Kauerte hinter den zackigen dunklen Zinnen dieser Plattform und hatte von hier aus alles mit angesehen – alles …
Hatte Gott in inbrünstigem Gebet für Pater Marios erfolgreiches Eingreifen gedankt und auch Mafaldas Erscheinen bemerkt …
Die Fürstin erkannte sie nur nach Georgs Beschreibung. Und das Auftauchen dieses gefährlichen Weibes, das man längst für tot hielt, war Ellen wie eine böse Vorbedeutung schwer auf die Seele gefallen.
Weiter hatte sie beobachtet, daß Mafalda und der Pater zur Jacht hinübergezogen wurden, daß die Fürstin allein zurückkehrte …
Und nun stand dieses Weib dort rechts keine dreihundert Meter entfernt am Wrack des U-Bootes auf der Lichtung …
Nun … nahte Torresco, begrüßte die Fürstin …
Und jetzt … – Ellen stockte der Herzschlag! – kamen beide rasch durch eine Lücke im Gestrüpp auf ihr Versteck zu …
Ellen ahnte die Wahrheit, man suchte sie! Auch sie sollte nun gefangengenommen werden! Vielleicht auch Schlimmeres!
Und – – lautlos glitt sie da auf der anderen Seite des Felsens hinab …
Wand sich durch Dornen und Stacheln …
Kroch weiter und weiter …
Lief dann am Nordstrande entlang, begann wieder zu kriechen, näherte sich so dem Eingang der Strandhöhle von Westen her …
Und vor dem Eingang nur zwei Matrosen als Wache …
Fünf Schritt seitwärts standen sie, an einen Steinblock gelehnt, schauten zu der Gruppe drüben am Hügel hinüber …
Ellen schlüpfte in den dunklen schmalen Gang …
Über die zusammengeschossene Barrikade hinweg … tastete sich weiter … stolperte über die Leiche eines der hier vorhin beim letzten Angriff erschossenen Matrosen – im Dunkeln … überwand das Grauen, kam bis zur zweiten Barrikade … im Dunkeln …
Rief leise:
„Mr. Knorz … Mr. Knorz! Schnell! Lassen Sie mich ein! Ich bin Ellen Barrouph …“
Und jenseits der Steinmauer fuhr Rittmeister Juan Aristo hoch …
Ellen – – Ellen Barrouph …!
Rief jubelnd:
„Sofort, Miß Barrouph, sofort …! – Murat, hierher …! Weg mit den Felsblöcken …!“
Die drei Homgoris packten zu …
Knorz hielt die Laterne …
Die Felsblöcke flogen zur Seite …
Der letzte jetzt …
Lichtschein traf Ellens Gesicht …
Und – eine schwere Hand legte sich da auf ihre Schulter …
Von … rückwärts …
Riß sie an sich … Einer der Wachposten …
Brüllte Aristo zu:
„Schießt doch! Dann trefft ihr das Weib!“
Wollte, Ellen als Schild benutzend, davoneilen …
Und hinter ihm lauerte mit angeschlagenem Karabiner der andere Matrose …
Aristo schnellte vorwärts …
Ein Schuß …
Der Rittmeister vergaß den brennenden Schmerz in der Brust …
Schlug den Matrosen mit dem Revolverkolben nieder, stieß Ellen dem wackeren Knorz in die Arme – und sank zu Boden …
Über ihn hinweg jetzt Murat, eine Steinkeule schwingend …
Brüllend, daß in der engen Grotte alle Dämonen der Hölle erwacht zu sein schienen …
Von den beiden Matrosen entkam keiner …
Hinter der Barrikade aber, deren Eingang wieder verrammelt worden, lag der todwunde Aristo, und neben ihm kniete die Frau, die er so über alles geliebt hatte, und für die er hier nun freudig starb …
Die … Frau, die nun eines anderen Weib … Die dort im Tempel der Azteken in berauschend schöner Liebesnacht in Georg Hartwichs Armen gelegen – – als sein Weib, ihm angetraut vor dem drohenden Flammentode durch den gütigen Pater …
Von alledem wußte Aristo nichts …
Und hielt jetzt Ellens Hände …
Flüsterte mit letzter Kraft …
„Ellen – Ellen, – mit einem Kuß von hren Lippen möchte ich hinüberschlummern … Ellen, ich habe Sie geliebt … Ellen … unendlich geliebt …“
Und sie beugte sich tiefer …
Sie beging nichts Unrechtes, als sie jetzt sein Haar streichelte und … ihn küßte …
Einen Kuß tiefster Dankbarkeit …
Wie ein wohliger Seufzer kam’s dann noch über Juan Aristos blasse Lippen …
Ein letztes krampfhaftes Aufbäumen des wunden Leibes …
Und ein Tapferer hatte geendet …
Menschenschicksale sind wie die Blätter, die ein wütender Orkan vom grünen Baum reißt und durcheinander wirbelt, davonträgt, vereint, trennt … Bis die Zeit, die grimme Mörderin, sie trocknen läßt … zu Staub zermürbt – zu neuer Fruchtbarkeit der ewig gebärenden Mutter Erde … –
Wie hatte doch einst Georg Hartwich zu Fator gesprochen …?
Eine geheimnisvolle Kraft scheint dieser Unmenge edlen Metalls innezuwohnen … Und diese magischen Kräfte werfen uns alle, die wir um den Azorenschatz kämpfen, auf einem Ozean wilden Erlebens wie Schifflein hin und her …
So ähnlich hatte er gesprochen …
Und nun – schienen diese magischen Kräfte noch verstärkt, verzehnfacht …
Verstärkt durch Matagumas Königsschatz, mit dem zusammen das Azorengold jetzt in den Gewölben des von Wasser überfluteten Palastes des unterirdischen einstigen Aztekenreiches ruhte … –
Hierüber sprach Doktor Falz-Fator mit seinem Kinde und dem braven Pascal, nachdem sie, gewarnt durch den zu ihnen hinabblitzenden Scheinwerfer und durch Armaros drohende Handbewegung, die Luken wasserdicht geschlossen und das Boot gerade dort versenkt hatten, wo jener Hügel emporragte, von dessen Spitze aus vorgestern noch Georg und Ellen über den unterirdischen See hinübergestaut hatten zu den hellen Palästen am anderen Ufer … –
Die Sphinx war kein U-Boot. Nur eins hatte Gaupenbergs Erfindergenie vorgesehen, daß das Boot nötigenfalls sich unter Wasser verbergen könnte! Bis zu sieben Meter Tiefe hielten die Wandungen den Wasserdruck aus. Hierauf hatten Falz und Pasqual genau geachtet, als sie das Boot verschwinden ließen.
Jetzt saßen die drei Wächter der Sphinx in der großen Kabine beieinander und sprachen über ernste Fragen …
Mela hatte ihren leichten Rohrsessel dicht an den ihres Vaters gerückt und lauschte träumerisch den Worten der beiden Männer …
Doktor Dagobert Falz wiederholte seine Behauptung, die er schon einmal Hartwich gegenüber aufgestellt hatte, daß allen in der Erde ruhenden Metallmassen und geheimen Wasseradern doch offenbar besondere Kräfte innewohnen müßten, die sich in gewissen Strahlen äußerten, deren Einfluß jeder Rutengänger spüre und danach genau sagen könne, in welcher Tiefe und Richtung sich Erz- oder Wasseradern hinzögen …
„Mithin muß auch eine derartige Menge Gold Strahlen aussenden, mein lieber Pasqual,“ fügte er nun hinzu. „Und diese Strahlen sind’s, die uns alle … wie elektrische Puppen tanzen lassen …“
Er meinte das völlig ernst. Er, der Geheimnisse kannte, die noch jetzt von der exakten Wissenschaft angezweifelt wurden, hielt nichts mehr für unmöglich … nicht!
Der Taucher streichelte gedankenvoll seinen grauen Vollbart …
„Wie denken Sie sich den Ausgang dieses Inselabenteuers, Herr Doktor?“ fragte er nach einer Weile und blickte zu der von einem gelben Seidenschirm halb verhüllten elektrischen Lampe empor …
„Ich bin kein Prophet, Pasqual …“
„Und Ihre Visionen, Herr Doktor?“
„Kann ich nicht erzwingen, Freund Oretto … Nur wenn Personen in Gefahr sind, die meinem Herzen sehr nahe stehen, packt mich eine seltsame Unruhe … So war’s damals, als Agnes in dem verrufenen Viertel von Lissabon von dem Torero verfolgt wurde, so damals, als die Homgoris Sie in der Bergschlucht angreifen wollten, und …“
Er – – schwieg plötzlich …
Seine Züge wurden seltsam starr …
Seine Augäpfel drehten sich nach oben …
Mela wollte entsetzt hochfahren, aber ein Wink Pasquals berühigte sie …
Und so verging dann wohl eine volle Minute …
Noch steinerner, noch bleicher war des Doktors Antlitz geworden …
Und wie krampfhaft zuckten seine Lippen …
Stammelten Silben … Bis aus den unzusammenhängenden Silben ganze Worte und Sätze wurden …
Ein Geflüster nur – und doch von unheimlicher Wirkung infolge dieses seltsamen übersinnlichen Tones.
Mela hatte sich weit zurückgebeugt, schaute den Vater an … lauschte …
„Agnes … Agnes …“
Pause …
„Agnes … und … Baru, der Goliath …“
Schriller ward das Flüstern …
Den Zuhörern lief es eisigkalt den Rücken entlang … Das Wehen unirdischer Mächte war um sie her … Ganz deutlich empfanden sie es …
„Agnes … Baru … Baru … würgt sie … wirft sie nieder … Liebesgier in den Augen des Homgori … Mafalda … hohnlachend … dicht dabei … und … Gaupenberg …“
Dann sank Doktor Falz’ Kopf wie kraftlos vornüber …
Die Vision war vorüber, und langsam erwachte er. Mela und Pasqual hatten eisige Schweißtropfen auf der Stirn …
Und Doktor Falz’ Blicke glitten nun verstört über ihre Gesichter hin …
Scheu sagte er, und seine Stimme zitterte:
„Arme, arme Agnes …! Mafalda wieder am Werke …! Arme Agnes …!“
Pasqual fragte angstvoll:
„Und – was sahen Sie zuletzt, Herr Doktor?“
„Zuletzt …?“ Falz besann sich … „Zuletzt sah ich … Murat, Agnes’ treuen Riesen, der sich auf Baru stürzte … Und einen Kampf zwischen den beiden … Dann … verschwamm alles …“
Er atmete schwer …
Mela schmiegte sich wieder an ihn …
„Denke nicht mehr daran, Vater … Du kannst ihr doch nicht helfen …“
„Glaubst du, mein Kind?!“ Jetzt lächelte er wie befreit …
„Ich könnte schon helfen, Mela … Aber gerade weil die Vision mit dem Kampfe der beiden Homgoris schloß, weiß ich nun bestimmt, daß jede Gefahr für Agnes vorläufig vorüber. Agnes hätte mich sonst ja auch gerufen …“
„Gerufen, Vater?“
„Ja, mein Kind … Sie hat es schon zweimal getan … Und beide Male konnte ich ihr das Leben retten … – Doch – reden wir von anderen Dingen, meine Lieben …“
Mela fühlte, daß sie hier ein Thema berührt hatte, über das der Vater sich offenbar nicht mehr äußern mochte. Sie ahnte, eines seiner Geheimnisse, die ihn weit über Menschen und Menschentum hinaushoben, spielte hier mit. –
Pasqual Oretto erklärte nach einer Weile, man müßte doch auch hier wohl an Essen, Trinken und Schlafen denken. Er würde den Tisch decken und allerlei aus der Speisekammer herbeiholen …
„Seit sechzehn Stunden sind wir jetzt auf den Beinen, Herr Doktor … Halten wir uns frisch für später!“
„Ganz recht, lieber Pasqual … – Mela, hilf Oretto …“ –
Eine halbe Stunde später lagen Mela und Pasqual in den Nebenkabinen und schliefen.
Dagobert Falz … schlief nicht …
Saß noch immer am kleinen Tisch unter der gelben Lampe und sann … über Dinge nach, die unabwendbar waren …
Seine Pfantasie malte ihm sein Leben – sein Dasein bis an der Welt Ende, das Dasein Ahasvers, des Ewigen Juden…
Lange, Lange saß er so … Dann stieg er leise in den Führerstand empor, um zu prüfen, ob der Druck der in der Riesenhöhle immer noch steigenden Wassermassen der Sphinx auch nicht gefährlich werden könnte.
Er prüfte den Druckmesser …
Fünf Meter Wasser lagen über der Sphinx … Die Höhle mußte jetzt fast völlig gefüllt sein …
Er hatte das Licht im Führerstand eingeschaltet …
Die eine Fensterblende war offen …
Und das Licht mußte wohl das Wasser eine Strecke weit durchdringen, konnte zum Verräter werden.
Falz packte den Hebel der schweren Metallblende, wollte sie vorschieben …
Und da … erschien draußen vor der großen Linse ein … menschliches Gesicht … Verschwand wieder … Aber eine Hand hatte noch schnell gewinkt …
Und … Gesicht und Hand waren die … Agnes Sandens gewesen … –
Falz strich sich über die Augen …
Ein Traum nur?! Eine Sinnestäuschung?! – Er konnte es nicht entscheiden. Unruhe befiel ihn …
Und – er ließ die Blender offen …
Wartete … wartete …
Bis … mit einem Male etwas anderes dicht vor dem Fenster langsam vorübertrieb, die Leiche eines ertrunkenen Azteken …
Ganz langsam …
Und … Doktor Falz wartete weiter …
Minuten …
Endlose Minuten …
Bis … ein Freudenschimmer in seinen Augen aufstrahlte …
Agnes … Agnes war draußen wieder erschienen … winkte … eifriger als zuvor … verschwand …
Da trat Doktor Falz rasch an die eine Schalttafel heran …
Da waren die Einschalthebel für die elektrischen Pumpen, durch die man die Ballastbehälter im Kielraum der Sphinx füllen und entleeren konnte …
Der eine Hebel glitt herum … Unten in der Sphinx wurde das leise Geräusch der arbeitenden Pumpen hörbar …
Falz spürte eine Bewegung des Bootskörpers … Die Sphinx hob sich … Wasser quirlte vor dem Fenster …
Bis die dicke Glasscheibe über die Oberfläche emportauchte … Da stellte Doktor Falz die Pumpen ab, öffnete rasch die Turmluke …
„Agnes!!“
Wie in unterdrücktem Jubel rief er es …
Und Agnes Sanden in triefenden Kleidern, die ihr in Fetzen am schlanken Leibe hingen, glitt die Treppe hinab …
Das Licht im Führerstand traf ihr fahles Antlitz … In ihren Augen war noch ein unaussprechliches Grauen.
Dagobert Falz ergriff ihre Hände …
„Kind, was …“
Sie starrte ihn an … Ihr Mund verzog sich zu einer Grimasse unerhörter Verzweiflung …
„Tot … tot …!“ lallte sie … „Alle … alle … tot … erschossen …“
Ein Schauer ging über ihren Leib hin …
„Mafalda … ist wieder … aufgetaucht … Und … da … Draußen … auf dem Felsen … da liegen … zwei … Leichen …“
Halber Irrsinn flackerte in dem seelenlosen Blick …
„Zwei … Leichen … Jimminez und Lomatz … tot … auch tot …“
Dagobert Falz krampfte sich das Herz in namenlosen Weh zusammen …
„Komm, mein Kind, du mußt ruhen … Mußt dich erst wieder erholen … – Sprich jetzt kein Wort mehr …“
Und sanft führte er sie in die eine Kabine, in der Agnes schon vorher gewohnt hatte.
Sie ließ alles mit sich geschehen. Falz flößte ihr ein in Wasser aufgelöstes Pulver ein. Mit geschlossenen Augen lag sie in dem schmalen Bett. Das feuchte blonde Haar hing ihr wirr in das marmorblasse Gesicht.
Der Doktor schlich hastig hinaus. Er durfte über all diesem Leib die Sicherheit der Sphinx nicht vergessen … Er hatte den Deckel der Turmluke offen gelassen, und die Sphinx schwamm an der Oberfläche.
Unruhe trieb ihn an Deck … Matt leuchtete das eine Fenster des Turmes und warf ein weiches Licht über die zackigen Felsen neben der Sphinx …
Zwei Gestalten dort – noch halb im Wasser liegend … Zwei Männer: Jimminez und Lomatz!
So hatte Agnes also doch nicht irre geredet, als sie diese beiden erwähnt hatte. Wie aber kamen sie hierher, diese verbrecherischen Gesellen, die man doch dort auch San Miguel in der Farm des Maultierzüchters zum letzten Male gesehen hatte?!
Falz schaute zur Höhlendecke empor … Diese lag jetzt dicht über ihm. Die Riesengrotte war mit den hereinbrechenden Fluten des Ozeans gefüllt, das Wasser stieg nicht mehr …
Vergebens aber suchten seine Blicke nach der weiten Öffnung, durch die doch noch vor Stunden ein Schimmer der nächtlichen Dämmerung in diese Finsternis hinabgedrungen war. Nichts vom nächtlichen Firmament war mehr zu sehen. Es schien, als ob das Loch irgendwie verschlossen worden sei.
Falz stand regungslos … Ob Armaro, Präsident und Tyrann von Patalonianer, etwa die Öffnung hatte verrammeln lassen?! Ob dort oben auf der Insel Christophoro wirklich sich Dinge abgespielt hatten, im Vergleich zu denen seine kurze Vision vorhin ein Nichts bedeutete?!
Der Doktor seufzte …
Und langsam und schwerfällig, wie unter dem Druck einer Bürde, die ihm jede Spannkraft raubte, schritt er zur Reling des Bootes, stieg auf die Felsen hinüber und beugte sich über die Leiche des Alfonso Jimminez …
Seine Finger fühlten nach dem Puls des Geheimagenten …
Leiche?! – Nein – dann schwach spürte er noch den Pulsschlag …
Und auch Lomatz zeigte noch geringe Merkmale, daß das Leben nicht völlig entflohen.
Dagobert Falz murmelte:
„Das Schicksal will es!“
Und ohne Besinnen hob er den Geheimagenten empor und trug ihn in eine Kammer des Vorschiffs. Auch Lomatz brachte er dort unter. Auf ein paar leeren Säcken lagen nun hier die beiden Männer, die einst den Kampf um den Milliardenschatz eröffnet hatten … Waren wieder auf die Sphinx verschlagen worden – von denselben unheimlichen Mächten, die bisher sowohl mit den Verteidigern wie auch den Feinden des Azorengoldes ein gigantisches Spiel getrieben.
„Fatum – – Schicksal!“ sagte Dagobert Falz leise und schloß die Tür der Kammer, eilte nach oben …
Stand wieder auf Deck der Sphinx und starrte zur Höhlendecke empor …
Die breite Öffnung, durch die das Luftboot einst senkrecht in diese Wunderwelt der Riesengrotte hinabgeglitten war, schien irgendwie ausgefüllt zu sein.
Was bedeutete das?! – Hatte Armaro etwa darauf verzichtet, sich der Sphinx zu bemächtigen, deren Aufenthalt hier unten ihm nicht unbekannt war!
Falz mußte Gewissheit haben …
Er brachte einen der transportablen Scheinwerfer an Deck, schaltete den elektrischen Strom ein und ließ den blendenden Lichtkegel das Dunkel zerschneiden …
Der grelle Fleck wanderte an der Höhlenwölbung entlang, enthüllte den suchenden Augen des Einsiedlers von Sellenheim jetzt eine Schicht von Baumstämmen – einen Stamm neben dem andern – alle über die Öffnung gelegt, wie ein Deckel des Ausganges, fraglos noch mit Felsmassen beschwert!
Was … bedeutete das?!
Armaro sollte wirklich auf den Besitz der Sphinx verzichten, sollte sich damit begnügen, die Insassen des Luftbootes hingemordet zu haben, wie Agnes behauptet hatte?!
„Also – eingeschlossen hier!“ murmelte Dagobert Falz. „Eingeschlossen in dieser jetzt so engen Welt der Finsternis!“
Der Scheinwerfer erlosch wieder. Der Doktor stieg in den Turm hinab, schloß die Luke für alle Fälle und ließ auch die Sphinx wieder mit gefüllten Wassertanks bis auf den felsigen flachen Hügel sinken, der ihr schon vorhin als Liegeplatz gedient hatte.
Zunächst sah er nun nach Agnes, betrat ganz leise die Kabine.
Agnes schlief … – Und im Traume lächelte sie jetzt – lächelte selig, als ob ihr Verlobter sie liebend umfangen hielte …
‚Traumwelt – holde Trösterin!’ dachte Dagobert Falz mit kaum merklichem Seufzer. ‚Wenn dir, du freundliche Göttin, nur nicht das Erwachen folgen würde! Was – was wird werden, wenn in Agnes Geist nach diesem Schlummer die Erinnerung an all das wieder auflebt, was dort oben auf der Insel geschehen …!! Und – was ist dort geschehen?! Sollte es Wahrheit sein, daß alle hinstarben, die uns bisher so treue Gefährten gewesen?!’
Und weiter schlich er, sorgengequält, angstverzehrt und umsonst nach gläubigem Vertrauen auf eine gütige Vorsehung ringend, – schlich in die Kammer der beiden Männer, die das wunderbare Walten des Schicksals von Bord des kleinen Schoners mit dem Strudel in die Tiefe gerissen – hinein in das unterirdische, nunmehr zerstörte Reich der Azteken … und – wieder an Bord der Sphinx geführt hatte …
Jimminez und Lomatz lagen scheinbar noch immer in tiefer Bewußtlosigkeit. Ihre Hände, ihre Gesichter waren von Wunden bedeckt … Die scharfen Steinkanten des Schlundes, durch den der Ozean ins Erdinnere eingebrochen war, hatten sie festzuhalten versucht, hatten ihre Haut zerfetzt …
Still und gedankenvoll stand Dagobert Falz vor den beiden Feinden …
Nur ein paar wollene Decken warf er dann über sie … Lies die elektrische Birne in der Kammer brennen und verschloß die Tür von außen. Den beiden noch irgendwie zu helfen, damit das schwache Lebensflämmchen wieder angefacht würde, widerstrebte ihm. Zu viel Böses wohnte in den verderbten Seelen dieser Gegner, die bisher mit allen Mitteln den Milliardenschatz hatten an sich reißen wollen. –
Kaum waren aber des Doktors Schritte im Gange verhallt, als Alfonso Jimminez sich mit einem Ruck aufrichtete …
Er war bei Bewußtsein. Er, der Riese, der abgehärtete Abenteurer, hatte auch diese Gewaltprobe halben Sterbens nur zu gut überstanden …
Ein grimmes Lächeln verzog sein Gesicht …
Ein keuchender Atemzug …
„Auf der Sphinx – – in der Sphinx!! – Satanas hat die Hand im Spiel …!! Gott wollte uns im Strudel ersäufen … Satanas rettete seine zukünftigen Höllengäste …!!“
Und mit grober Hand packte er die Schulter seines Gefährten, rüttelte ihn …
„Schlapper Kerl!“
Er gab die Versuche auf, Lomatz sofort ins Bewußtsein zurückzuzwingen …
Seine Gedanken irrten rückwärts …
Mafalda Sarratow – – abermals Verräterin – – entflohen von dem Schoner im letzten Moment mit Hilfe der drei Homgoris …!
Seine Bärenfäuste ballten sich …
‚Warte, Mafalda …!! Wir sehen uns wieder …! Ich weiß, deinem früheren Geliebten bist du Helferin geworden, – Armaro, dem Schurken der Schurken! Warte – wir rechnen ab …!!’
Sein prachtvolles Gebiß knirschte aufeinander …
Aber wie immer, so machte auch jetzt das wilde, brutale Denken dieses Abenteurers einen jähen Sprung.
‚Mafalda – – für später …! Jetzt – – die Sphinx! Mein muß das Boot werden! Erfahren muß ich, was hier vorgegangen …!’
Und noch brutaler schüttelte er den schmächtigen Lomatz … Begann die Atmung des noch immer Bewußtlosen durch allerlei Mittel zu fördern. Er brauchte Hilfe … rasche Hilfe, einen Menschen, der zusammen mit ihm die Sphinx eroberte, bevor noch jemand ahnen konnte, daß die beiden Gefangenen bereits wieder gefährliche Pläne schmiedeten … –
Und wenige Meter weiter saß Mela Falz, des Doktors rotblondes Kind, am Lager der schlummernden Agnes und schaute mit tiefem Mitleid auf das sanft gerötete feine Gesichtchen der Braut Viktor Gaupenbergs …
Immer noch lächelte Agnes – ein Lächeln der Liebe, der Zärtlichkeit …
Neben Mela lehnte Doktor Falz an der Kabinenwand …
„Wenn sie erwacht … wenn sie erwacht!!“ flüsterte er … „Ob ihre Nerven dann dem Ansturm all der grauenvollen Erinnerungen standhalten werden, – ich weiß es nicht …“
Und sein bekümmerter Blick wanderte zu der Decke der Kabine empor, wo unter dem gelben Schirm die Birne glühte …
Sein Blick ward starr … Das gelbe Licht zerfloß … Es war, als ob für des seltsamen Mannes Augen alle Hindernisse schwanden … Das nächtliche Heer der Sterne am Himmelsgewölbe schien über ihm zu leuchten … Die ewigen Gestirne, denen er vertraute, über denen jener Gott thronte, zu dem Dagobert Falz wieder zu beten gelernt hatte …
Totenstille war’s in der Sphinx …
Dann – etwas wie ein dumpfes Krachen …
Falz hörte nichts … Und Mela blickte ihn an – zaghaft, scheu … Sah den weltentrückten Ausdruck in seinen Zügen …
Wagte nicht, sich zu regen …
Ein Tappen im Gange …
Die Tür flog auch …
Und in der Öffnung stand Alfonso Jimminez, in jeder Hand einen Revolver …
Sein Hohnlachen gellte durch den kleinen Raum …
Doktor Falz wandte sich langsam um. Sein Blick kehrte aus unendlichen Fernen in die Gegenwart zurück.
„Gehen Sie wieder in Ihre Kammer, Jimminez,“ sagte er ohne jede Erregung. „Gehen Sie …! Sie wissen, daß ich Ihre Waffen nicht fürchte …!“
Des Geheimagenten Aufmerksamkeit galt nur noch Mela Falz. Er hatte sie erkannt … Es war die Frau im Mövenkleide, war … des Präsidenten Armaro Adoptivtochter …!
„Gehen Sie!“ befahl der Doktor jetzt drohenden Tones …
Da – hinter Jimminez eine andere Stimme:
„Teufel noch mal, – was zögerst du! Mag der verdammte Einsiedler auch unverwundbar sein, das Weib dort ist es sicherlich nicht!“
Und Lomatz drängte sich vor …
Rief wieder: „Wenn der Kerl nicht gehorcht, knallen wir die Weiber nieder …! – Los denn …! Der Taucher ist bereits gut versorgt, und mit den drei hier werden wir auch nicht viel Federlesens machen!“
Edgar Lomatz zielte auf Mela …
Jimminez raffte sich auf … „Ihre Hände her, Doktor Falz …! Dieser Strick hat sich längst nach Ihren Handgelenken gesehnt …“
Falz hatte die Farbe gewechselt …
Zaudernd streckte er die Arme vor … Er mußte.
Jimminez und Lomatz waren die Herren der Sphinx.
Präsident José Armaro schritt unruhig neben dem Felshügel hin und her. Zuweilen warf er einen finsteren Blick auf die drei Gefangenen, die in einiger Entfernung auf Felsblöcken saßen. Dann lauschte er wieder in die Nacht hinaus, ob Mafaldas Unternehmen auch glücken würde, ob es ihr gelang, Ellen Barrouph verschwinden zu lassen …
Armaro hatte sich nur für kurze Zeit von dem berückenden Bewußtsein, daß gerade Ellen Barrouph seinen Untergang herbeiführen könne, zu befreien vermocht. Nur für kurze Zeit hatte er durch Mafaldas, seiner ehemaligen Geliebten, aufmunternde, zuversichtliche Worte ein gewisses Gefühl des früheren blinden Glaubens an seinen Glücksstern wiedergewonnen. Nur für kurze Zeit erschien ihm die Unmenge von Widerwärtigkeiten, die sich hier vor ihm aufgetürmt, bedeutungslos und leicht zu beseitigen.
Mit jeder verinnernden Minute jedoch bemächtigte sich seiner von neuem jene Zaghaftigkeit und jener Mangel an zielbewußter Entschlossenheit, die besonders der Anblick der unten in der Höhle auf dem Deck der Sphinx stehenden Melanie und dann Mafaldas Mitteilung von Ellen Barrouphs Vereinigung mit den Verteidigern des Milliardenschatzes in ihm hervorgerufen hatten.
Immer ruheloser wurde er, immer weiter strebte er bei seinem unstäten Auf und Ab von dem düsteren Felsenhügel der Mitte des Eilandes zu …
Bis er, verzehrt von einer Angst, die sich durch nichts mehr beschwichtigen ließ, hastig und scheu den schmalen Pfad nach jener Richtung einschlug, wo im Mondeslicht das Wrack des U-Bootes ruhte.
Hier neben dem von Granaten zerfetzten und von Muscheln über und über bedeckten Stahlleibe des einstigen deutschen Kriegsfahrzeuges machte er halt und blickte angestrengt dorthin, wo Ellen Barrouph in dem Dornengestrüpp verborgen sein sollte.
Er sah nichts … Weder von Mafalda noch von Admiral Torresco irgendwo eine Spur …
Armaro ahnte jetzt, daß irgendein böser Zufall neue Schwierigkeiten ihm in den Weg warf …
Nervös und mit zitternden Händen zog er das Fernglas aus dem Lederetui heraus und führte es an die Augen …
Wenn Ellen Barrouph etwa bemerkt hatte, daß man ihr ans Leben wollte?! Wenn sie … geflohen war! Dann – dann würde vielleicht doch noch alles an den Tag kommen, dann würde sie vielleicht …
Seine jagenden Gedanken nahmen urplötzlich eine andere Richtung …
Er hatte dort nach Osten zu, jenseits der Brandung ein schlankes kleines Fahrzeug bemerkt …
Das tadellose Fernglas zeigte ihm deutlich Form und Bauart, die beiden Masten. Es war das Motorrennboot der drei amerikanischen Detektive, die vorhin noch drüben auf der Nachbarinsel Mala Gura von Mafalda belauscht worden waren …! – Kein Zweifel – –: die Detektive, Vertreter der amerikanischen Regierung, heimlich nach seiner Hauptstadt Taxata beordert, um Ellen Barrouphs Verschwinden aufzuklären …! –
Don José Armaro, Präsident der Republik Patalonia, hatte plötzlich das Gefühl, als ob der Boden unter ihm schwanke …
Wenn es den dreien gelang, hier zu landen, wenn sie Ellen zu Gesicht bekamen, dann … dann war alles verloren …!
Was tun … was nur tun?! Die Jacht ‚Medusa’ etwa dem Rennboot entgegenschicken, es … rammen lassen?! – Unmöglich …! Das Rennboot war schneller als die Jacht …!
Aber – – der Doppeldecker, mit dem er von Taxata seiner Jacht gefolgt war, schaukelte ja dort neben der ‚Medusa’ auf Schwimmkörpern … Und eine einzige gute abgeworfene Bombe würde genügen, das Rennboot zu versenken …! –
Armaro hastete dem Felshügel wieder zu …
Eine schlanke Gestalt in grauem Herrenflanellanzug, eine Sportmütze tief ins Genick gezogen, kam ihm entgegen: Mafalda Sarratow!
„Sie ist entflohen?“ stieß Armaro heiser hervor.
„Leider, leider … In die Grotte ist sie entwischt – zu Gottlieb Knorz …“
Mafalda war selbst erregt … Ihre Stimme schwankte. Ihr Atem ging stoßweise …
Armaro lachte grell. „Du hast mir kein Glück gebracht … Da – dort auf der See schwimmt das Rennboot der drei Amerikaner … Und Ellen nur vorläufig in Sicherheit … Melanie unten in der Riesenhöhle auf der Sphinx … Das Gold verloren – irgendwo versteckt, wie der Pater beschwor …“
„Du bist ungerecht, José …,“ meinte die Fürstin verletzt. „Verlangst du, daß ich hier in Minuten all die Unklugheiten wieder gutmache, die dein Draufgängertum heraufbeschwor?! – Die drei Detektive müssen verschwinden – das als erstes! Du hast das Flugzeug zur Verfügung … Verspricht dem Fliegeroffizier und dem Monteur Geld und Beförderung, und …“
„Schon gut, Mafalda … Die Absicht hatte ich bereits …“
Und er ließ sie stehen, eilte weiter …
Mafalda folgte ihm langsam. Um ihren Mund lag ein hartes Lächeln … Im Schatten der Büsche blieb sie stehen und beobachtete Gaupenberg und Agnes, die eng aneinandergeschmiegt auf hartem Felsbrocken saßen …
In lohenden Flammen schlug da die tollste Eifersucht wieder in Mafaldas Herzen empor …
Und – ebbte ebenso schnell wieder ab, ließ in der Seele des schönen ränkesüchtigen Weibes nur den Willen zu ungeheuerlicher Freveltat zurück.
Mafalda fand Armaro am Strande im Gespräch mit dem Fliegeroffizier.
Dieser kleine, sehnige Mulatte versprach alles, was Seine Exzellenz wünschte …
„Wurfbomben habe ich nicht an Bord,“ erklärte er lächelnd. „Aber auf der ‚Medusa’ gibt es ja Granaten mit Aufschlagzünder, Exzellenz …“
Mafalda trat näher …
„Ich komme mich auf die Jacht,“ sagte sie. „Ich will meine drei zottigen Getreuen hier auf die Inseln hinübernehmen …“
Und leise zu Armaro:
„Wir werden Gottlieb Knorz schon herauslocken aus seinem Bau …“
Armaro zuckte die Achseln. Er hatte den Glauben an seine Verbündete nur zu schnell wieder verloren. Langsam kehrte er nach dem Felsenhügel zurück, winkte hier den dicken Torresco beiseite und meinte grollend:
„Ungeschickter ließ sich die Sache wohl nicht anfangen, Admiral …! Ellen Barrouph hat Ihre Ernennung zum Großadmiral mit zu dem Verteidiger der Strandgrotte genommen!“
Benito Torresco blieb stumm. Und Armaro schlenderte weiter, bis er vor Steuermann Hartwich haltmachte …
„Kommen Sie mit!“ befahl er dem nur an den Händen Gefesselten.
Er wollte jetzt seine Angelegenheiten wieder allein zu einem glücklichen Ende führen. Er wußte infolge der Vertrauensseligkeit des Paters Mafalda gegenüber, daß Mario Lopez diesen blonden Deutschen unten in der Riesenhöhle mit Ellen Barrouph zum Bunde fürs Leben vereinigt hatte.
Hartwich hatte sich erhoben. Er wollte den Tyrannen von Patalonianer nicht unnötig reizen.
Armaro schritt dem Wrack des U-Bootes zu, blieb dann stehen …
„Sie betrachten sich als Ehemann der Amerikanerin Ellen Barrouph?“ fragte er kalt.
„Ich bin es …,“ erwiderte Hartwich mit freudiger Bereitwilligkeit.
„Mithin kennen Sie Miß Ellens Abenteuer ganz genau?“
„Wenn Sie Ellens Entführung meinen – ja!“
„Und – wen hält Miß Ellen für den Anstifter dieser Entführung?“
Der lauernde Ton dieser Frage entging Hartwich nicht.
So verhaßt ihm auch jede Lüge war, hier mußte er Diplomat sein!
„Ellen hat keinen bestimmten Verdacht, Exzellens.“
„Ist das die Wahrheit?“
„Sie ist’s …“
„Nun denn, ohne Zweifel hat einer meiner politischen Gegner Miß Barrouph hierher bringen lassen, damit mir aus dieser Entführung Unannehmlichkeiten erwüchsen. Nur zu leicht könnte jetzt ja der Argwohn entstehen, daß ich selbst hierbei die Hand im Spiel gehabt hätte. Damit Sie, Sennor Hartwich und Miß Ellen einsehen, wie verkehrt ein solcher Argwohn wäre, bitte ich Sie, Ihrer Gattin, die sich zu Gottlieb Knorz in die Strandgrotte geflüchtet hat, mitzuteilen, daß sie hier unter meinem persönlichen Schutz sich befindet und daß ich es mir zur Ehre anrechnen würde, wenn sie die ‚Medusa’, meine Jacht, zur Heimkehr nach Taxata benutzen wollte. – Gehen Sie, Sennor Hartwich … Eine halbe Stunde sei Ihnen gewährt. Dann finden Sie sich in jedem Falle am Felsenhügel wieder ein. – Ich habe Ihr Wort?“
„Mein Wort darauf,“ erklärte Hartwich überglücklich …
Denn – was galt ihm jetzt alles andere, wo er hoffen durfte, Ellen wiederzusehen, mit ihr alles beraten zu können …! –
Armaro eilte schon davon. Elastischer, leichter schritt er dahin … Er hatte jetzt soeben einen neuen Weg eingeschlagen, hier doch als Sieger aus all diesen Schwierigkeiten und drohenden Weiterungen hervorzugehen.
So näherte er sich der kleinen Gruppe von Offizieren, die unweit des breiten Felsenloches, des Zugangs zu der Riesenhöhle, die fernere Entwicklung der Dinge abwarteten.
„Sennor Hartwich ist vorläufig frei,“ rief er ihnen zu.
Und zu einem der Matrosen: „Signalisieren Sie der ‚Medusa’, daß das Flugzeug bis auf weiteres nicht aufsteigen soll …“
Der Matrose nahm die Signallaterne und ließ in kurzen Zwischenräumen das Licht aufblitzen. –
Georg Hartwich waren von einem der Offiziere die Fesseln abgenommen worden. Ohne Laterne tappte er nun im Dunkeln durch die Grotte, rief laut seinen Namen, damit Gottlieb nicht etwa auf ihn feuere …
Dicht vor der zweiten Barrikade, hinter der jetzt die Verteidiger Posto gefaßt, stolperte er über die Leiche eines der beiden Matrosen, die hier durch Murats Steinkeule den Tod gefunden.
Ellen vernahm Hartwich Stimme als erste …
Mit einem Jubelruf eilte sie vorwärts … Sie hatte bisher völlig erschöpft mehr im Hintergrunde auf einer der hier stehenden Kisten gesessen.
Auch Gottlieb erkannte sofort, daß der Steuermann Einlaß begehrte.
„Murat – räumt die Blöcke weg!“ befahl er dem Homgori, der neben seinen beiden Artgenossen am Boden kauerte.
Die Tiermenschen sprangen auf. –
Ellen hatte den Mund in eine der Schießöffnungen gedrückt …
„Georg, Georg, bist du’s wirklich? Bist du frei?“
Unendliche Seligkeit erfüllte ihr Herz. Wenn ihr je in diesen letzten Stunden klar geworden, wie namenlos sie den Mann liebte, der ihr Retter und Befreier geworden, in dieser Sekunde wußte sie, was Georg Hartwich ihr geworden, wie zart und machtvoll er das liebende, begehrende Weib in ihr geweckt hatte, und wie innig sie sich eins mit ihm fühlte …!
Die Eisenmuskeln der Homgoris warfen die Blöcke beiseite …
Und draußen Hartwichs frohe Stimme:
„Ellen – ich bin frei, wenn auch nur für eine halbe Stunde …“
Dann war der Eingang geöffnet …
Dann flog Ellen Barrouph dem Geliebten an die Brust …
Gottlieb Knorz stand da und zwinkerte mit den Augen, als ob ihm Sandkörnchen hineingeflogen, und schnitt ganz merkwürdige Grimassen vor Rührung.
Lippe auf Lippe, Brust an Brust, eng umschlungen, so kosteten die Liebenden in zitternder Seligkeit dieses Wiedersehen aus …
Und dicht neben ihnen arbeiteten keuchend Murat und seine beiden Artgenossen, verschlossen in Eingang wieder …
Dann löste Georg sich aus Ellens Armen, reichte Gottlieb beide Hände …
„Mein treuer, braver Alter!“ sagte er tief gerührt … „Was alles ist inzwischen geschehen, seit wir Sie hier auf der Oberwelt als Hüter des Einganges zur … Unterwelt zurückließen …! Das Unheil hat sich jetzt an unsere Fersen geheftet, und wie dies alles hier enden wird, kann niemand voraussehen …“
Dann gab er Gottliebs Hände wieder frei. Sein Blick ruhte nachdenklich auf den mächtigen zottigen Gestalten der drei Homgoris …
Und ernst und mit einer gewissen finsteren Entschlossenheit fuhr er fort:
„Der Präsident Armaro versucht es jetzt mit der höheren Diplomatie, mit Lügen, Verstellung und Heuchelei. Er bietet dir, Ellen, seine Jacht zur Rückkehr nach Taxata an …“
Seine Augen glitten wieder zu seinem jungen Weibe hinüber. Die Laterne beschien Ellen Barrouphs feine, energische Züge. Sie hatte sich an die Felswand gelehnt, hatte wieder nach Georgs Hand getastet. Und Hand in Hand mit ihm erwiderte sie nun:
„Du kennzeichnest sein Angebot nur zu richtig, Georg. Höhere Diplomatie! – Ich traue Armaro nicht! Ich bleibe hier!“
Der Steuermann nickte. „Ich wollte deiner Entscheidung nicht vorgreifen, Ellen … Als mir Armaro dieser halbe Stunde Freiheit gewährte, um irgendeine neue Schändlichkeit einzuleiten, als ich dann durch die finstere Grotte mich hindurchtastete, ganz erfüllt von der Seligkeit, dich wiedersehen zu dürfen, da erinnerte ich mich gerade noch zur rechten Zeit an die Stunden, als Doktor Falz und ich hier in dieser selben Strandgrotte, dem einstigen Piratenschlupfwinkel, durch Jimminez und Lomatz einegesperrt worden waren. Ihr wißt …,“ – und er wandte sich mit seinen Worten nun auch an Gottlieb – „daß Falz und ich den zweiten Ausgang der Grotte nach der See hin, der ja jenseits der Riffgürtel und der Brandung in den Klüften einer einzelnen zackigen Klippe mündete, durch Dynamit zerstört, das heißt verschlossen haben. Menschenhänden wäre es nun unmöglich, diese Steintrümmer wegzuschaffen und den Ausgang dort wieder freizulegen. Ihr beide habt jedoch hier die drei Homgoris zu Verfügung …“
Ellens Kopf hob sich höher … Ein Leuchten lief über ihr Gesicht hin …
„Georg – ich ahne deine Absichten …,“ sagte sie freudig …
„Vielleicht doch nicht ganz, meine Ellen … – Ich hoffe, daß Murat und seine beiden Gefährten in einer halben Stunde mit der Freilegung dieses Ausgangs fertig sein werden. Am besten ist, sie fangen sogleich an. Gottlieb, nehmen Sie die Laterne … Gehen wir … Zeigen wir den Homgoris, was von ihnen verlangt wird. Armaro wird uns jetzt hier nicht angreifen. Davor sind wir sicher. Er möchte Ellen ja auf andere Art in seine Gewalt bekommen.“
So schritten sie denn nun tiefer in die Grotte hinein. Die beiden Laternen leuchteten ihnen. Voran ging Georg, dicht hinter ihm Ellen, dann Gottlieb mit seinem Teckel im Arm, und zuletzt die drei Tiermenschen.
Hartwich machte sehr bald halt. Hier, wo die schmale feuchte Strandgrotte sich zu einer größeren Höhle erweiterte, lagen all die zahlreichen Kisten und Fässer, die einst Alfonso Jimminez, damals im Weltkriege Kapitän eines Kaperschiffes, hier aufgestapelt hatte, weil ein englischer Kreuzer ihn verfolgte.
„Die großen langen Kisten dort enthalten Gewehre, die zum Schutz gegen die Nässe in Ölleinwand eingehüllt sind. Außerdem haben gerade diese Kisten Zinkeinsätze. Das vergessen Sie nicht, lieber Gottlieb … Drei dieser Kisten nebeneinander genagelt, ergeben ein plumpes, aber tragfähiges Fahrzeug …!“
Und weiter eilte er – bis zu jenem Schuttberg, der jetzt den Seeausgang versperrte.
Murat, dieser intelligenteste aller Zöglinge Doktor Gouldens, hatte im Augenblick begriffen, was von ihm und den seinen verlangt wurde. Sofort machten die drei sich an die Arbeit. Eine Laterne beließ man ihnen, die andere leuchtete Hartwich, Ellen und Gottlieb beim Rückweg zur Barrikade.
Vor der mit einem Stück Segel bedeckten Leiche des Rittmeisters Juan Aristo blieb Ellen stehen, zog das Leinen langsam weg …
„Georg, ein Tapferer, der für mich gestorben ist,“ sagte sie leise und tief erschüttert. „Ein Ehrenmann, Georg, der zusammen mit anderen Offizieren der Garnison Taxata der Willkürherrschaft Armaros ein Ende machen wollte. Achtundzwanzig Offiziere sitzen jetzt in der Zitadelle von Taxata und harren … des Henkers Armaros!!“
Sie legte das Segel wieder über den Toten …
Und als die drei dann hinter der Barrikade standen, entwickelte Georg seinen Rettungsplan nunmehr mit allen Einzelheiten. „Wenn Ihr beide mit den Homgoris entkommt,“ schloß er seine Ausführungen, „wird Armaro es nie wagen, Viktor und mich erschießen zu lassen … Er wird es deshalb nicht wagen, weil er dann mit deinem plötzlichen Wiederauftauchen rechnen muß, meine Ellen, und weil er weitere internationale Verwicklungen scheuen wird, die deine Aussagen heraufbeschwören würden.“
Ellen stimmt eifrig zu. „Es ist in der Tat dies die einzige Möglichkeit, uns und auch euch zu retten …“
Und auch Gottlieb Knorz, der sehniger Alte, nickte mit einem rachsüchtigen Lächeln, das sein mageres kühnes Wilderergesicht fast zu einer Fratze verzerrte.
„Der Tag der Abrechnung kommt, Don José Armaro …! Und dann wird der alte Gottlieb hoffentlich mit dabei sein!“
Rasch wurde nochmals alles beraten. Georg gab dem treuen Diener verschiedene Winke, wie dieser aus den Kisten am besten ein Boot herstellen könnte …
Knorz lächelte … „Bin kein unpraktischer Stubenhocker, Herr Georg …! Die drei Homgoris nehmen wir mit … Und der Gedanke, daß wir uns zunächst auf dem nördlichsten der drei Robigas-Eilande verbergen sollen, ist besonders gut …“
Dann fügt er hinzu, und ein listiges Schmunzeln lag dabei um seinen Mund:
„Sie haben noch eine Viertelstunde Zeit, Herr Georg … Will mal sehen, wie weit die Homgoris sind … Ich bringe sie dann mit, damit sie den Durchschlupf in der Barrikade wieder freilegen …“
Ohne weiteres griff er nach der Laterne und schritt davon …
Ellen und Georg blieben im Dunkeln zurück …
Hielten sich wieder umschlungen … Vergaßen alles ringsum … Wie damals in der Nacht im Kerker des unterirdischen Aztekentempels kosteten sie der Liebe seligen Rausch bis zur Neige aus … –
Und dann – – der Abschied …
Der Durchgang durch die Barrikade war frei …
Seitwärts standen Gottlieb, die drei Homgoris … Stumme Zeugen dieser Szene, dieses schmerzlichen Scheidens …
Ellen hing an Georgs Brust …
Sanft machte er sich frei, reichte nun Gottlieb die Hand, streichelte den halbblinden Teckel Kognak, gab auch Murat und dessen Gefährten die Hand …
Und eilte davon …
Die Lichtstrahlen der Laternen leuchteten ihm … –
Leichten Herzens schritt der Steuermann dem Felsenhügel wieder zu …
Er glaubte, alles zum Besten gewendet zu haben … Und Armaro gegenüber wollte er jetzt ebenfalls Diplomat sein.
Noch immer lag der Tropennacht milder Dämmerschein über Meer und Insel …
Armaro erhob sich von einem Felsblock, kam Georg ein paar Schritte entgegen.
„Nun, Sennor Hartwich?“
„Exzellenz, meine Frau ist zu erschöpft, um jetzt die Grotte verlassen zu können,“ erklärte der Steuermann höflich. „Außerdem ist Gottlieb Knorz nicht dazu zu bewegen, die halb Ohnmächtige freiwillig herauszugeben. Ich bin mit ihm hart aneinander geraten. Ich fürchte fast, daß sein … Verstand durch all die Aufregungen gelitten hat …“
José Armaro blickte Hartwich ironisch an …
„Auf eine ähnliche Antwort hatte die Fürstin Sarratow mich vorbereitet …“
Kein weiteres Wort … Nur sein Lächeln ward grausam und unerbittlich … Er winkte den in einiger Entfernung umherstehenden Matrosen.
Die sprangen zu … Hartwich wurde wieder gefesselt …
Ein Blick nach der Stelle hin, wo Gaupenberg und Agnes saßen, zeigte ihm dort auch Mafalda und deren drei blind ergebene Homgoris, den Goliath Baru und die beiden anderen zottigen Untiere!
Armaro räusperte sich …
„In einer halben Stunde wird Gottlieb Knorz sich ergeben, Sennor Hartwich …,“ meinte er sehr bestimmt. „Die Fürstin trifft doch stets das Richtige.“
Georgs Zuversicht schwand jäh dahin …
Eine furchtbare Ahnung krampfte sein Herz zusammen …
Roh stießen ihn die Matrosen vorwärts …
Dich an Mafalda vorüber … Die Augen des schönen Weibes ruhten auf Hartwichs Gesicht mit einem Ausdruck so wilden Hasses und höhnischen Triumphs, daß es ihm schwer wurde, Gleichgültigkeit zu heucheln.
In dieser halben Stunde, die Georg in der Strandgrotte zugebracht, hatte sich hier am Westufer mancherlei ereignet.
Als Mafalda mit Hilfe der über die Brandung zur ‚Medusa’ gespannten Taue und mit Hilfe der Gleitrolle an Bord der Jacht gelangt war, als sie hier kaum Baru, diesen stärksten der sechs noch lebenden Homgoris davon verständigt hatte, daß er und die beiden anderen mit auf die Insel müssten, traf auch schon Armaros Befehl ein, der den Fliegeroffizier anwies, vorläufig mit dem Doppeldecker nicht aufzusteigen.
Der Offizier, der mit Mafalda über den mutmaßlichen Grund dieser Gegenordre sich besprach, konnte auch von der Fürstin keinen Aufschluß über diese Sinnesänderung des Präsidenten erhalten. Der kleine sehnige Flieger, wie all diese Mischlinge der Banditenrepublik von einem krankhaften Ehrgeiz beseelt, war bitter enttäuscht, weil ihm diese gute Gelegenheit, durch einen gefahrlosen Angriff auf das Motorboot der drei amerikanischen Detektive rasch befördert zu werden, zu entgehen drohte.
Mafalda tröstete ihn. Dieser hagere Mulatte gefiel ihr. Der Mann hatte etwas an sich, das ihn als besonders geeignet für allerhand heimliche Intrigen erscheinen ließ.
„Hauptmann Sarotto,“ flüsterte sie an der Reling der ‚Medusa’ mit ihrem aufreizendsten, verheißungsvollsten Lächeln, „verlassen Sie sich ganz auf mich. Das Patent als Oberst ist Ihnen sicher, wenn Sie sich … ein wenig nach meinen Wünschen richten …“
Ramon Sarotto verbeugte sich. „Durchlaucht können in allem auf mich rechnen.“
„Nun gut …“ Sie begann noch leiser zu flüstern.
Sarottos intelligenteres Gesicht nahm den Ausguck ängstlicher Überraschung und stiller Ablehnung an. Mit der Zeit schienen Mafaldas Worte jedoch anders zu wirken. Er nickte wiederholt zustimmend, und als sie nun schwieg, erklärte er leise:
„Durchlaucht haben recht … Man muß Armaro jeden Moment den Fuß in den Nacken setzen können. – Durchlaucht, ich beuge mich Ihrer überlegenen Klugheit!“ –
Gleich darauf wurden zunächst die drei Homgoris an den Inselstrand geschafft. Sie befahl ihnen dann, hier am Ufer zu bleiben, und begab sich zum Felsenhügel, wo einsam und verärgert der dicke Admiral Torresco auf einem Felsstück sitzend, seine Zigarren rauchte.
Torrescos Wut richtete sich jetzt gegen Mafalda …
„Exzellenz hat mich soeben wie einen Schuhputzer behandelt …! Alles, was Sie vorschlagen, ist …“
Sie unterbrach ihn. „Torresco, die Dinge hier sind Armaro über den Kopf gewachsen. Er weiß nicht mehr, was er will … Und dieser Armaro, Freund Torresco, wird Wachs in meinen Händen werden … Es muß hier ein Ende gemacht werden. Halten Sie zu mir, Torresco, so wird in allernächster Zeit Ihnen noch Besseres winken als der lächerliche Titel eines Großadmirals der paar veralteten Panzerkähne, die sich so anmaßend ‚Flotte’ nennen … – Sie kennen mich, Torresco … Armaro befindet sich auf dem … absteigenden Ast … Diese letzte Offizierverschwörung gibt sehr zu denken …“
Das Fettwanst von Admiral starrte die Fürstin aus wässerigen Augen wie zweifelnd an. Er verstand ihre Andeutungen nur halb. Er legte sie sich so aus, wie es für ihn am vorteilhaftesten war … Und in seiner jämmerlichen Seele lebte derselbe maßlose Ehrgeiz wie in der des Hauptmanns Sarotto und vieler anderer Offiziere der glorreichen patalonianischen Wehrmacht.
Mafalda ging weiter, ihm nur noch kurz zunickend. Sie wollte ihre Worte nachwirken lassen. Sie wußte, daß Torresco den Präsidenten in dem selben Moment treulos im Stich lassen würde, wo man ihm die Aussicht auf die höchste Würde der Republik eröffnete.
Armaro war wieder neben dem Wrack des U-Bootes und beobachtete von hier aus mit seinem Glase das Motorboot der drei Detektive, das noch immer im Osten der Insel kreuzte und fraglos in aller Heimlichkeit die Vorgänge auf Christophoro verfolgen wollte.
Mafalda trat neben den Präsidenten.
Er wandte nur flüchtig den Kopf nach ihr hin.
„Meine drei Homgoris sind hier,“ sagte sie gleichgültig.
Er schwieg erst eine Weile. „Und wozu?!“ fragte er widerwillig.
„Das wirst du ja sehen … – „Wo ist Steuermann Hartwich? Er fehlt an dem Platze der Gefangenen. Hast du ihn etwa zu Gottlieb Knopp und Ellen in die Strandgrotte als Unterhändler geschickt?“
Einem Weibe von Mafaldas Intelligenz war es nicht schwer gewesen, das Richtige zu erraten. –
Sie fügte hinzu: „Also deshalb widerriefst du den Befehl für Hauptmann Sarotto … – Ich fürchte, Josè, du hast jetzt zu den früheren Unklugheiten noch andere gehäuft …“
Er zuckte mit ärgerlichem Auflachen die Achseln … „Ich habe eingesehen, daß ich selbst mein bester Ratgeber bin. Ich werde so tun, als ob einer meiner politischen Gegner, um mir zu schaden, Ellen entführen ließ … Man soll mir das Gegenteil beweisen …!“
„Ah – und du willst diese junge Amerikanerin also …“
„In voller Sicherheit auf der ‚Medusa’ nach Taxata bringen …“
Mafalda lachte leise. „Lieber José, du wirst alt … Zu alt, um diese Dinge überschauen zu können … Du hast dich doch bei Ellens Entführung mehrerer Leute bedient, die nur so lange schweigen werden, als sie noch Vorteile von dir zu erwarten haben, das heißt, solange du Präsident der Republik bist …“
Er hatte ihr halb den Rücken zugekehrt gehabt. Jetzt fuhr er herum …
Mafalda sprach völlig leidenschaftslos weiter:
„Du wirst nur noch so lange Präsident sein, als Ellen Barrouph nicht wieder auftaucht. Die drei Detektive dort auf See sind doch nur ein Teil derer, die in Taxata auf Befehl der Vereinigten Staaten umherschnüffeln … Diese Leute haben fraglos schon ein Recht engmaschiges Netz für dich geknüpft. Deine Idee, einen politischen Gegner die Schuld in die Schuhe zu schieben, wäre vortrefflich, wenn diese Spione nicht schon vorgearbeitet hätten. Sei überzeugt, sollte Ellen Barrouph ihren Schlupfwinkel verlassen, dir also scheinbar trauen, was ich nicht glaube, und solltest du sie nach Taxata bringen, so wird in wenigen Tagen vor dem Hafen ein amerikanisches Geschwader erscheinen und dich zur Abdankung zwingen, deine Verhaftung fordern und auch durchsetzen. Dann ist dir eins gewiß, erschossen zu werden! Dann werden eben deine Gegner ans Ruder gelangen und …“
Armaro hatte einen ganz merkwürdigen röchelnden Ton ausgestoßen …
Sein frisches Gesicht war farblos geworden …
Aber erbarmungslos sorgte die Fürstin dafür, daß die jähe Angst des Tyrannen um sein Leben noch mehr gesteigert würde …
„Und dann die Ereignis hier, lieber José … Ereignisse, die von der ganzen Besatzung der ‚Medusa’ beobachtet worden sind … Unten in der jetzt mit Wasser gefüllten Riesengrotte schwimmt noch die Sphinx. Melanie Falz, deine einstige Adoptivtochter, die du verschwinden ließest, ist an Bord … Wenn dies noch an den Tag kommt, daß du in Taxata einen leeren Sarg beisetzen ließest, dann … – Doch – wozu hier Worte verlieren, wo die Umstände Taten fordern.“
Armaro lehnte matt am Stahlleib des UBootes … Etwas Hilfloses, Verzweifeltes war in seinem Blick …
Mafalda entwickelte nun ihre Vorschläge, ihre brutalen Pläne …
Ein solches Übermaß von rachsüchtiger Niedertracht war darin, daß selbst Armaro ihr Antlitz mit scheuem Blick streifte …
„Wie gesagt, die drei Detektive dort im Rennboot müssen unbehelligt bleiben,“ wiederholte die Fürstin mit Nachdruck. „Du kümmerst dich nicht um sie. Du hast ja ein reines Gewissen …“
Armaro nickte matt. „Vielleicht hast du wirklich das Richtige gefunden, Mafalda …“ Er raffte sich auf. „Vorwärts denn …! Zuerst die Riesenhöhle – die Sphinx …“
Die beiden eilten zum Felsenhügel zurück.
Ein Tau war bald zur Stelle. Matrosen hielten es, und an diesem Tau kletterte Mafalda Sarratow durch die breite Öffnung bis zum Wasserspiegel des gewaltigen unterirdischen Sees hinab …
An einer Leine ließ man ein paar Laternen folgen.
Mafalda konnte nichts mehr von der Sphinx entdecken. Nur … Leichen schwammen hier umher … Leichen von Indianern, von Azteken …
Immer wieder umkreisten die grellen Blitze der großen Karbidlaternen das mit Wasser an gefüllte Gewölbe …
Die Sphinx war nirgends zu sehen. Sie mußte gesunken oder aber versenkt worden sein.
Die Fürstin erschien wieder oben am Rande des zackigen Loches und wurde von Armaro auf festen Boden gezogen.
Matrosen, Offiziere umstanden sie im Kreise.
Und laut erklärte sie: „Jenes Boot, das vorhin dort unten schwamm, ist untergegangen … Die Leichen der Leute, die auf Deck sich befanden, treiben im Wasser. Exzellenz – dort gibt es nichts mehr zu retten …!“
So begann die Komödie …
Und Mafalda führte sie auch weiter mit derselben eisigen Ruhe durch.
Ein Matrose mußte jetzt hinabklettern. Er kam wieder nach oben, meldete genau dasselbe: von einem Boote keine Spur … Nur Leichen! –
So war denn dieser erste Akt des Intrigenspiels besser und leichter geglückt, als Mafalda erwartet hatte.
Anderes hatte sie ja im Sinne gehabt, als gerade sie sich dort hinabwagte … Hatte mit den Insassen der Sphinx verhandeln, ihr Stillschweigen erzwingen wollen durch Drohungen, die sich auf Gaupenberg, Hartwich und Agnes bezogen …
Das war nun überflüssig geworden – Mafalda ahnte sehr wohl, was mit der Sphinx geschehen … Aber sie schwieg auch Armaro gegenüber. Sie wußte, daß die Sphinx stundenlang in geringer Tiefe unter Wasser liegen konnte … Sie wußte, daß die Insassen lebten … Und flüsterte nun Armaro zu:
„Nachher wird die Öffnung da bedeckt, José …! Erst Bäume, dann Steine und Felsstücke …“ – –
Der zweite Akt der Komödie begann …
Hartwichs Zeit war um. Der Steuermann hatte sein Versprechen gehalten, hatte sich den Schergen wieder gestellt.
Und als er nun, vorwärtsgestoßen von rohen Matrosenfäusten, die Stelle erreichte, wo Mafalda vor Gaupenberg und Agnes stand, hörte er die verhaßte und doch so melodische Stimme der Abenteurerin in deutscher Sprache mit unheimlicher Kälte zu Gaupenberg sagen:
„Sie bleiben also dabei, Herr Graf, daß der Azorenschatz irgendwo im Ozean liegt – unerreichbar für alle Sterblichen …! – Wo versank das Gold?“
Gaupenberg, der den Arm um Agnes’ Schultern gelegt hatte, wich den haßerfüllten Blicken dieses Weibes, die ihn einst in eine Welt von Lüge und Trug verstrickt hatte, absichtlich aus …
„Den Ort werde ich nie nennen,“ erklärte er fest …
Da wandte Mafalda sich ein Agnes. Ihre Höflichkeit diesem blonden Mädchen gegenüber war wie das Spiel einer Schlange mit einem wehrlosen Opfer.
„Fräulein Sanden, es tut mir leid, Sie bitten zu müssen, im Interesse Gaupenbergs und Hartwichs nun Ihrerseits den Ort zu nennen, wo der Goldschatz zu finden ist. Sollten auch Sie sich weigern, Fräulein Sanden, so werden der Graf und der Steuermann, die das Standgericht bereits zum Tode verurteilt hat, in wenigen Minuten sterben. Das soll ich Ihnen im Auftrage seiner Exzellenz des Präsidenten mitteilen.“
Agnes schaute auf. Ihre reinen Augen strahlten nichts als Verachtung.
„Hat der Präsident keinen anderen Boten?!“ sagte sie fest und mutig. „Gerade nur Sie, Fürstin Sarratow, über deren Lippen kaum je ein wahres Wort gekommen, die auch jetzt aus uns nur etwas herauslocken will, um uns dann umso sicherer in den Tod zu schicken?! – Gehen Sie …!! Gehen Sie …!! Weder mein Verlobter, noch Georg Hartwich werden je den Ort verraten – und ich erst recht nicht!“
Mafalda blieb höflich … Dieselbe niederträchtige, gemeine Höflichkeit, hinter der sich all die Abgründe dieser Weibesseele verbargen …
„Ich bedaure Ihren Starrsinn, Fräulein Sanden!“
Und leicht den Kopf zum Gruße neigend, ging sie zu Armaro hinüber.
Agnes schmiegte sich enger an Gaupenberg … In ihrem Herzen brannte jetzt eine verzehrende Angst.
„Viktor – Viktor,“ hauchte sie mit bebender Stimme … „Hätte ich anders zu Mafala sprechen sollen …? Glaubt du, daß … daß … wir noch irgendwie zu retten sind?“
Die Matrosen, die Hartwich hierher geführt hatten, warfen jetzt weiter nach dem Strande zu in dem lockeren Boden zwei Löcher aus …
Der Steuermann, der Agnes Sandens Worte zum Teil verstanden, erwiderte an Stelle Gaupenbergs:
„Dieses Ungeheuer mordet uns auf jeden Fall …! Alle wird er beseitigen! Und – soll das Gold doch nicht haben, der Schurke!“
Agnes schluchzte leise auf …
Hartwich blickte unruhig zu den Matrosen hinüber.
Wenn Armaro sich mit der Erschießung allzusehr beeilte, dann schwand ja auch die allerletzte Hoffnung, ihm mit Ellens Flucht drohen zu können! –
Der Steuermann beugte sich näher zu den beiden Leidensgefährten hin.
„Fräulein Agnes, hören Sie mich an … Gottlieb und Ellen wollen fliehen … Durch den Seeausgang der Grotte, den die drei Homgoris erst öffnen müssen … Sollten Viktor und ich – anscheinend schaufelt man dort schon unsere Gräber – sehr bald von diesen elenden Schurken gemordet werden, so haben Sie, sobald dort auf der einsamen Klippe jenseits der Brandung ein flackerndes Licht wie ein Sankt Elmsfeuer für Sekunden sichtbar wird, für Ihre Person nichts mehr zu fürchten. Will sich irgend jemand an Ihnen vergreifen, so drohen Sie mit Ellens Flucht – mit Ellens Entkommen und den Folgen, die daraus für Armaro entstehen müssen …“
Hartwichs leise und doch so kraftvoll männliche Stimme schwankte leicht, als er den Namen des über alles geliebten Weibes aussprach …
Und noch mehr vibrierte diese Stimme, als er nun hinzufügte:
„Sollte dieses Schlimmste eintreten, sollten wir, Viktor und ich, hier erschossen werden, so werden Sie, Fräulein Agnes, meiner Ellen die letzten Grüße ihres Gatten überbringen …“
Agnes Sanden verbarg jetzt in namenloser Angst das tränenfeuchte Gesicht an Viktors Brust. Ein Blick nach dem Strande hin hatte ihr ja die Matrosen bei der traurigen, unheilkündenden Arbeit gezeigt …
Gaupenberg streichelte wortlos ihr prächtiges Blondhaar …
Die Kehle war ihm wie zugeschnürt … Er ahnte, dies – – war das Ende!! Hier würden der treue Georg und er dem Schicksal erliegen, das ungerecht und grausamen die Verteidiger des Azorenschatzes der Willkür eines Mannes überantwortet hatte, dem das internationale Gesetz vielleicht die Befugnis gab, auf frischer Tat ertappte Piraten so kurzerhand abzuurteilen, nicht aber Leute, von deren Schuldlosigkeit er im tiefsten Innern überzeugt sein mußte. –
Er fand kein Wort des Trostes für Agnes… Trösten – –?! Wie sollte er ihr Trost zusprechen …?! Leere Redensarten nur konnten es werden …
Er schwieg. Nur fester drückte er sie an sich … Fühlte ihr Herz an dem seinen schlagen … Fühlte das Beben des jungfräulichen Leibes …
Und – – gedachte plötzlich der hehren Mission, die er zusammen mit Georg Hartwich übernommen, den Milliardenschatz für das deutsche Vaterland zu bergen …!
„Agnes,“ begann er leise, „Agnes, du wirst menschlicher Berechnung nach diesen Mördern hier entgegen … Du bist dann die Erbin eines heiligen Vermächtnisses. Du weißt, daß nicht nur das Azorengold, sondern auch die ungeheuren Reichtümer König Matagumas dort unten in den Gewölben des Königspalastes der Riesenhöhle lagern … Agnes, deine Pflicht wird es sein, diese Schätze ihrer Bestimmung zuzuführen …“
Auch seine Stimme schwankte …
Er sah, daß die Matrosen zum Hügel zurückkehrten. Die beiden Gräber waren fertig.
Agnes Sanden schluchzte nicht mehr. Eine starre unheimliche Ruhe hatte plötzlich all die verzehrende Angst aus ihrem Herzen weggewischt …
Sie hob den Kopf … Ihr leichenblasses Antlitz war dicht vor dem Gaupenbergs … Ihre Augen hingen an den seinen … Sekundenlang blickte sie ihn an, als ob sie jede Einzelheit des geliebten Gesichts für alle Ewigkeit sich einprägen wollte …
Dann küßte sie ihn … Und auch dieser Kuß war wie eine Liebkosung – weit jenseits aller bräutlichen Zärtlichkeit, war etwas unnennbar Großes, Heiliges … Heilig wie das Vermächtnis, das ihr der Geliebte hinterließ …
Lippe auf Lippe … Ein Abschied, wie ihn selten ein Liebespaar zu überstehen hat …
Hartwich schaute zur Seite … Unendliches Mitleid empfand er … Agnes, armer Agnes, – dies hier miterleben müssen als … Augenzeugin …!!
Die Matrosen nahten … Sechs Mulatten, Matrosen der ‚Medusa’, riesige Kerle, wuterfüllt über den Tod ihrer Kameraden, die beim Angriff auf die Strandgrotte den Tod gefunden.
Braune Fäuste rissen Gaupenberg empor …
Hartwich stand von selbst auf …
„Leben Sie wohl, Agnes …,“ sagte er schmerzlich.
Agnes Sanden hörte nichts … Zusammengekauert saß sie da … Hatte das Gesicht in den Händen verborgen, die Finger in die Ohren gedrückt … Ihr Körper schwankte auf dem harten Felsblock hin und her …
Und in ihrer jäh wieder erwachten Angst und Verzweiflung murmelte sie immer wieder dasselbe lautlos vor sich hin wie ein Gebet:
„Du, der du mir schon zweimal geholfen, verhüte diese Untat …!“
Dr. Falz galt dieses stille sinnloses Stammeln …
Georg Hartwich stand neben dem Freunde vor dem Sandloche … Ihnen gegenüber acht Matrosen…
Hartwich warf einen letzten Blick nach der einsamen Klippe hin, wo Gottliebs Signal aufleuchten sollte …
Kein Licht zeigte sich … Nichts … –
Hoch aufgerichtet die beiden deutschen Männer …
Admiral Torresco ließ das Taschentuch sinken …
Ach Schüsse …
Und drüben am Hügel schnellte Agnes empor, als ob die Kugeln sie getroffen hätten …
Schnellte empor und fiel ohnmächtig nach vorn auf das Gesicht …