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Kapitel 81–90

81. Kapitel.

Wer schickte Baru …?

Agnes Sanden hatte sich kaum im Flur von Diego Rovenna wieder verabschiedet, um in die Küche zu eilen, als am anderen Ende des Ganges eine nur mit einem Lendenschurzfell bekleidete zottige Riesengestalt auftauchte.

Es war Murat, der klügste der Halbmenschen, der klügste der Zöglinge Doktor Gouldens …

Er bemerkte den Herrn der Hazienda, und im Nu verbarg er sich hinter einem der Schränke, schaute dann Rovenna lange nach, als dieser über den Hof nach dem Stallgebäude ging. –

Murat wußte, in welchem Zimmer der kranke Gaupenberg untergebracht war, wußte auch, daß Agnes dort am Bett des Kranken wachte.

Er trat ein …

Als Gaupenberg den Homgori erkannte, gerade diesen einen Homgori, dessen weiße Narbe an der einen Backe schon von weitem leuchtete, winkte er ihn näher heran.

Murat schaute sich suchend um.

„Wo weiße Miß sein, Miß Agnes?“ fragte er in den tiefen Kehllauten der Affenmenschen. „Murat der weiße Miß etwas erzählen will …“ – Und sein behaartes Gesicht mit den Wulstlippen drückte Sorge und Unruhe aus …

„Agnes wird sofort wieder hier sein, Murat,“ erwiderte Gaupenberg freundlich und musterte jetzt zum ersten Male mit völlig klaren Sinnen die ungeschlachte Halbtiergestalt des Homgori.

„Gut das!“ knurrte Murat und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden.

Auch Murat schaute ihn an.

„Wie Ihr heißen, Mister?“ fragte er nach einer Weile, indem seine äußerst beweglichen Greiffüße nach den Fliegen haschten, die nur allzu zahlreich im Zimmer umhersummten.

„Gaupenberg heiße ich,“ erklärte Graf Viktor belustigt. Dieser Homgori gefiel ihm.

Murat wiederholte langsam – wie in der Schule ein Kind buchstabiert:

„Gau – pen – berg … Gaupenberg … – Mister Gaupenberg, der Mister Rovenna ein falscher Mann sein …“

„So?! Inwiefern denn, Murat?“

„Drei von den Meinen hatten einen Mann nachts gejagt, der einen anderen in der Luft erschossen hatte … Lo – matz, Lomatz heißt er. Wir sollten ihn jetzt fangen. Da haben die drei mir gesagt, daß Lomatz von fünf Reitern geschützt wurde und daß einer davon Rovenna war. Vier Reiter nahmen Lomatz mit. Der fünfte kam zum brennenden Observatorium. Das war Rovenna. Und er entfloh dann vor Baru und den anderen. Also weiß er, wo Lomatz ist, also ist er ein falscher Mann, Mister Gaupenberg. Und deshalb bin ich aus dem Urwalde bis hierher gelaufen, um der weißen Miß dies zu erzählen.“

Gaupenberg sah sofort ein, daß Murats Warnung durchaus begründet war.

In dem er einige Fragen an den Homgori richtete, kleidete er sich rasch an und wartete nun voller Ungeduld auf Agnes’ Rückkehr.

Bevor Agnes jedoch erschien, fand sich Doktor Falz im Krankenzimmer ein, war freudig überrascht, Gaupenberg so frisch und munter anzutreffen, und beriet nun sofort mit ihm, wie man hier dem fraglos drohenden Verrat schleunigst wirksam begegnen können, ohne jedoch die Ereignisse durch mißtrauisches Benehmen etwa zu beschleunigen.

Falz betonte noch, daß man nun ja auch wüßte, weshalb Rovenna die Insassen der Sphinx so dringlich durch Pasqual eingeladen habe, seine Gäste zu sein.

Die beiden Männer, deren Reden der intelligente Murat aufmerksam lauschte, kamen rasch dahin überein, daß man am klügsten täte, sofort zur Sphinx hinüberzugehen und unverweilt aufzusteigen.

Da mischte Murat sich ein …

„Mister Gaupenberg denken an arme Homgoris, die zum Teil noch in den Wäldern … Nur die drei warten drüben am Waldrande, die Lomatz und die Reiter beobachtet haben … Arme andere Homgoris werden von Rovenna erschossen werden, wenn sie ahnungslos hier zum Hause kommen … Homgoris haben das nicht verdient, haben weiße Miß und …“

Gaupenberg sagte schon:

„Du hast recht, braver Murat … Wir werden aufsteigen, werden aber so dicht über der Hazienda bleiben, daß wir die deinen schützen können … – Eile wieder in den Wald … Rufe sie alle zusammen … Euer Trommeln ist ja endlos weit zu hören …“

Murat nickte, grinst zufrieden und schlüpfte hinaus.

Als er durch die Hintertür des Hauses den Hof betreten wollte, bemerkte er Rovennas vier Angestellte, die soeben aus einem den Nebengebäude den Büschen zueilten, die sich wie ein grüner Streifen bis zum Liegeplatz der Sphinx hinzogen.

Murats sah auch, daß Rovenna selbst jetzt dasselbe Nebengebäude verließ und wieder im Stalle verschwand.

Der kluge Affenmensch, dessen Argwohn noch durch die lebhafte Besprechung zwischen Gaupenberg und Doktor Falz verstärkt worden war, schlich jetzt den vier Männern lautlos nach …

So wurde er denn Zeuge, wie die vier nun ganz harmlos tuend der Sphinx zuschlenderten, auf deren Deck Gottlieb Knorz unter einem ausgespannten Sonnensegel gerade mit seinem Teckel frühstückte, während sich Pasqual Oretto vor wenigen Minuten in eine der Kabinen zurückgezogen hatte, um ein paar Stunden zu schlafen.

Gottlieb sah die vier Angestellten Rovennas heranschlendern …

Ahnte nichts Böses …

„He, Sennor Knorz,“ rief jetzt der Diener Manuel, „können wir uns einmal die Sphinx auch von innen anschauen? – Ein Luftboot haben wir unser Lebtag nicht gesehen, und Sie werden gewiß nichts dagegen haben, daß wir an Bord kommen …“

Knorz erhob sich und trat an die Reling heran.

„Es tut er leid, Sennores … Doktor Falz hat uns angewiesen, niemand an Deck zu lassen … Sie wissen das ja bereits, Sennores …“

Manuel spielte mit einem Lasso …

„Nun – dann verzichten wir natürlich,“ meinte er gleichmütig …

Die Außenleiter der Sphinx war emporgezogen, und … der Lasso mußte nun helfen …

Manuel wirbelte den langen Lederriemen wieder wie spielend um den Kopf …

„Soll ich Ihnen mal zeigen, Sennor Knorz, wie geschickt ich bin?“ rief er lachend … „Da über Ihnen hängt die Spitze eines Baumastes … Geben Sie mal acht …! Um diese Spitze werde ich die Schlinge werfen …“

Und schon schnellte sein Arm hoch …

Und – die Schlinge flog Gottlieb Knorz um den Hals …

Wurde mit einem Ruck zugezogen …

Kopfüber stürzte der alte treue Diener des Grafen Gaupenberg in die Tiefe …

Und noch während sein hagerer Leib durch die Luft flog, hatten die übrigen drei Männer im Nu sich bis zur Bordwand der Sphinx vorgeschnellt, hatten sich einer am anderem emporgeschwungen, so daß der oberste gerade noch die Reling mit den Händen ergreifen konnte …

Schon hatte der Mann den Rand der Reling umklammert, als ein mit ungeheuerlicher Kraft und Sicherheit geschleuderter Stein seinen Hinterkopf traf …

Lautlos sank er mit zerschmettertem Schädel nach hinten und schlug dich neben dem ohnmächtigen Knorz auf den weichen Grasboden auf …

Und dann auch schon ein zweiter Stein – wieder ein fast zentnerschweres Felsstück …

Manuel brüllte vor Schmerz …

Mit gebrochenem Schenkel kollerte auch er zur Seite …

Murats schrilles Geheul ertönte jetzt …

Ein so wildes Geheul, daß die beiden noch unverletzten Aufseher des verräterischen Züchters entsetzt in den Wald stürmten, verfolgt von Murat, der jetzt nur noch Tier war – eine mordgieriges Bestie – ein Ungeheuer, das mit den geballten Fäusten das furchterregende Signal seiner Sippe trommelte …

Einen armdicken Baumast fand er …

Und … Rovennas Leute überlebten diesen Tag nicht mehr …

Murat eilte zur Sphinx zurück …

Und auch um Manuel wäre es nun geschehen gewesen, wenn nicht inzwischen Gaupenberg, Agnes, Doktor Falz und Mela sich hier eingefunden hätten …

Ein paar Zurufe aus Agnes’ Munde genügten, Murat zu besänftigen …

Man kümmerte sich nicht weiter um Rovennas Diener …

Rasch wurde Gottlieb Knorz, der offenbar schwer verletzt war, an Bord gebracht …

Gerade als die Sphinx dann emporsteigen wollte, erschienen einzeln und auch zu mehreren die Homgoris am Waldrande, herbeigerufen durch Murats dröhnende Signale …

Acht waren es im ganzen …

Baru und zwei andere fehlten …

Und sie fanden sich auch nicht wieder ein, obwohl die Sphinx noch eine volle Stunde über der Hazienda und dem Walde kreuzte und obwohl die Tiermenschen immer wieder ihre gellenden Schreie und ihr dumpfes Trommeln über die schweigenden Wälder schickten.

Während dieser Stunde hatte Pasqual Oretto eine ebenso beunruhigende wie rätselhafte Entdeckung gemacht: Alfonso Jimminez war … entflohen! Und dabei war die Eisentür der Kammer, in der er gefesselt gelegen hatte, von außen verriegelt und die Wände und die Decke, ebenso der Fußboden des kleinen Raumes vollständig unbeschädigt. Auch die Stricke fehlten, mit denen der Geheimagent gefesselt gewesen war.

Dieses Verschwinden des gefährlichen Gegners war um so unbegreiflicher, als Pasqual ihm noch morgens um sechs Uhr Trinkwasser, Früchte und Fleisch gebracht hatte.

Pasqual erinnerte sich genau, daß er die Tür wieder sorgfältig verriegelt hatte …

Alle Versuche, Jimminez’ Flucht irgendwie aufzuklären, blieben umsonst.

Doktor Falz meinte, es müsse sich unbedingt irgend jemand an Bord geschlichen und den Geheimagenten befreit haben.

Als die Herren jetzt wieder die Kammer untersuchten, drängte sich Murat plötzlich an Gaupenberg vorüber und gurgelte aufgeregt hervor, indem er auf einen stark verstaubten Kistendeckel zeigte, dessen Staubschicht einen verschwommenen Fleck undeutlich erkennen ließ:

„Da – das sein Spur von Homgorihand! Nur Baru solch mächtige Hand haben … Baru ist hier gewesen … Baru kann vom Baum auf Deck der Sphinx gelangt sein, Mister Gaupenberg …“

Doktor Falz rief:

„Wahrhaftig – Murat beschämt uns alle …! Er hat recht … So muß es gewesen sein … Baru ist mit Hilfe der Bäume an Bord gekommen und hat Jimminez befreit …!“

„Hm – auf wessen Geheiß denn?!“ meinte Gaupenberg zweifelnd „von sich aus wird Baru doch nie auf diesen Plan gekommen sein …“

Die anderen schwiegen nachdenklich …

Und ebenso nachdenklich kehrte man nun auf Deck zurück, wo Mela und Agnes unter dem Sonnensegel saßen und Hand in Hand wie Schwestern miteinander plauderten.

* * *

Lomatz und Diego Rovenna hatten vom Heuboden des Stalles aus einen Teil der Vorgänge am Liegeplatz der Sphinx beobachtet und dann auch untätig zusehen müssen, wie die Sphinx sich leicht und schnell emporschwang und nun weite Kreise über der Hazienda zog.

Lomatz’ Enttäuschung und Wut über diesen Fehlschlag kannte keine Grenzen.

Er überschüttete Rovenna mit Vorwürfen … Dessen Leute seien daran schuld, daß der Azorenschatz nun für immer ihm unerreichbar bleiben würde …

Bis der ehemalige Advokat kühl bemerkte:

„Es wäre besser, wir würden beraten und uns hier nicht zwecklos streiten. Ich gebe den Schatz noch lange nicht verloren! Jetzt lassen Sie mich nachsinnen, Pläne schmieden, Sennor Lomatz, feinere Pläne als die Ihren – – Advokatenpläne!“

Er lächelte selbstbewußt …

Und er tat’s mit einigem Recht. Er war ein Mann von anderem Schlage als der jämmerliche Edgar Lomatz, der jede ehrliche Arbeit bisher gescheut und nur durch Schurkenstreiche, Spionage, Gaunereien größten Stils und gewissenlose andere Verbrechen sich die Mittel zu einem behaglichen Faulenzerdasein verschafft hatte.

Diego Rovenna war Spieler, war eine intelligenter Mensch, nur ein einziges Mal vom schmalen Pfade der Ehrlichkeit abgeglitten und dann volle acht Jahre hier in der Einöde von San Miguel Tag und Nacht unermüdlich tätig gewesen, um seine Züchterei aus bescheidensten Anfängen zu einem Exportgeschäft größten Stils zu erweitern. Es war ihm auch geglückt, und lediglich der unselige Rückfall in die alte Leidenschaft hatte ihn wieder zum Bettler gemacht … Und – – zum Verbrecher – – durch das unheilvolle Gold!

Ein ganz anders gearteter Mann war er als Edgar Lomatz. Einer, der bewiesen hatte, daß er … arbeiten konnte, sich abmühen und ein Vorhaben auch durchzusetzen verstand.

In diesem selbstbewußten Lächeln, das so gar nichts Freches, Herausforderndes an sich hatte, offenbarte sich sein wahrer Charakter, der Grundzug seines Wesens: Energie und Entschlossenheit!

Lomatz fühlte das geistige und moralische Übergewicht dieses seinen neuen Verbündeten. Er merkte, Diego Rovenna würde sich eines Tages nicht so leicht beiseite schieben lassen wie all die anderen Kämpfer um den Milliardenschatz, denen das Gold jäh den Lebensfaden zerschnitten hatte wie ein glühendes haarscharfes Messer.

Unbehaglich wurde Lomatz zu Mute …

Dumpfe Feindseligkeit gegen Rovenna empfand er – wie alle die kleinen, niedrigen Seelen sie gegenüber dem Starken, Kraftvollen und Vornehmeren als versteckten Haß rasch in sich aufkeimen sehen …

Und ironisch fragte er nun:

„Da bin ich wirklich gespannt auf Ihre Kniffe, Rovenna, sehr gespannt …! Zunächst scheinen Sie die Sachlage doch ein wenig falsch zu bewerten, mein Lieber … Noch kreist die Sphinx über Ihrer Hazienda … Da – hören Sie das Propellergeräusch! Hören Sie das furchtbare Trommelkonzert und Geheul dieser behaarten Halbmenschen, die mit an Bord sind …! Was hindert den Grafen Gaupenberg wieder zu landen und uns beide hier auszuheben?! Nichts – nichts …! Wie wollen Sie dieser Rotte von riesigen Homgoris, die die urwüchsige Kraft der Gorillas und die Ringkämpferstatur der Neger in sich vereinen, Widerstand leisten?! Drei – vier könnten wir niederschießen … Die übrigen würden uns zerfleischen!“

Rovenna hob unmerklich die Schultern – eine Bewegung der Gleichgültigkeit …

Und ohne sich umzuwenden starrte er durch den runden Ausschnitt in der Außenwand des Heubodens weiter nach der Sphinx aus …

Sagte kühl:

„Wenn das Luftboot landen sollte, wird man uns umsonst suchen …“

„Ah – Sie haben ein Versteck bereit?“

„Freilich habe ich das … Ein Versteck, das kein Polizeispion finden würde … Ein Versteck, das mir der Zufall vor Jahren offenbarte …“

„Und – wo?!“

„Mein Geheimnis, Lomatz …! – Ihre Angst ist also sehr überflüssig … – Warten wir ab …“

Lomatz zog hinter Rovennas Rücken die Stirn wütend kraus …

Stieß dann hervor: „Wir sind Verbündete geworden, sollten keine Geheimnisse voreinander haben …“

Ebenso kühl erwiderte der Spanier:

„Unsere Bekanntschaft ist noch zu jungen Datums … – Die Sphinx erscheint wieder in meinem Sehfeld … Sie schlägt den Kurs nach Westen ein … Ihre Geschwindigkeit nimmt zu …! Lomatz, wir sind frei! Wir können hinab in den Hof … Kommen Sie!“

„Es kann eine List sein …!“ warnte der Feigling. „Sie könnten umkehren und …“

Ein eigentümlicher Blick Rovennas brachte ihn zum Schweigen …

Und schweigend folgte er dem Züchter, der nun unten im Hofe sofort die Richtung nach der bisherigen Liegestelle der Sphinx nahm.

Hier fanden sie den Diener Manuel – mit zerschmettertem rechten Oberschenkel, halb ohnmächtig, schwer stöhnend …

„Der Mensch wird uns nur lästig sein, Rovenna,“ flüsterte Lomatz vieldeutig.

Rovenna erwiderte laut:

„Manuel hat mir treu gedient …!“ Und sich zu dem Verletzten hinabbeugend:

„Ich werde dich ins Haus tragen, armer Kerl … Bei deiner Katzennatur wird das Bein bald heilen …“

Ein leiser Aufschrei neben ihm liß ihn hochfahren.

Lomatz hatte den Revolver aus der Tasche gerissen.

Zischte:

„Der Satan hat hier seine Hand im Spiel …!“

Rovenna konnte nichts Verdächtiges bemerken …

„Sie sehen wohl Gespenster!“ meinte er mit deutlicher Verachtung …

Aber Lomatz’ aschfahles Gesicht war doch zu verzerrt vor Furcht und Entsetzen, als daß hier lediglich eine Sinnestäuschung oder dergleichen vorliegen konnte …

„Teufel – was gibt’s denn?“ wiederholte Rovenna ärgerlich …

Lomatz’ Blicke hingen unverwandt auf einer Stelle des Dickichts, wo nun auch der Spanier etwas Helles schimmern sah …

Und – – neben diesem hellen Fleck erkannte er den riesigen Schädel des stärksten der Affenmenschen: Barus Gesicht und funkelnde kleine Augen …!

Im Moment hatte er da seine Repetierbüchse halb im Anschlag …

Eine Stimme kam aus dem Gestrüpp – eines Weibes Stimme:

„Werft die Waffen weg! Oder …!!“

Und so drohend und scharf war dieser Anruf, daß Lomatz sofort gehorchte …

Auch Rovenna tat’s …

Flüsterte aber:

„Achtung – wir fliehen …! Nach dem Stalle …! Ich nehme Manuel mit!“

Der richtige Augenblick zur Flucht war’s …

Vielleicht der einzige, wo sie einige Aussicht auf Erfolg hatten …

Aus den Büschen trat eine helle Gestalt hervor, hinter ihr ein herkulisch gebauter Mann, und hinter diesem wieder drei Homgoris …

Rovenna hatte Manuel emporgerissen …

Lief davon … Mit Sätzen, zu denen nur die höchste Not einen Menschen, der noch einen anderen trägt, fähig macht …

Krachend schlug die Stahltür zu …

Und – – krachend flog Baru, der Riese, dagegen … Prallte zurück … heulte auf vor Wut …

„Baru – – zurück!!“

Und diese Frauenstimme übte auf den wieder zum tollwütigen Gorilla verwandelten Homgori eine geradezu magische Gewalt aus …

Er schaute sich um …

„Baru – zur Seite …! Sie schießen …!“

Noch im letzten Moment brachte Baru sich durch einen Sprung vor Lomatz’ Revolverkugel in Sicherheit.

Lomatz hatte durch das kleine Fenster der Stalltür gefeuert …

Verschwand jetzt … Eilte Rovenna nach … in das Versteck, das der Züchter vorhin nicht näher hatte bezeichnen wollen.

Die Frau aber, deren willenloser Sklave der jähzornige, bärenstarke Baru war, sagte zu ihrem hühnenhaften Begleiter:

„Es dürfte ratsam sein, auch mit Lomatz Frieden zu schließen und einen neuen Bund gegen die Insassen der Sphinx zu bilden. Was wir voneinander zu halten haben, wissen wir jetzt. Und weil wir es wissen, werden wir uns nicht zum zweiten Male gegenseitig verraten und betrügen, mein lieber Jimminez!“

Der Geheimagent nickte …

„Wie du wünschest …! Dein Wille geschehe! Du sollst unsere Führerin sein!“

Die Frau, zu der er dies sagte, trug einen rauchgeschwärzten, stellenweise versengten Herrenflanellanzug …

 

82. Kapitel.

Die Welt der Finsternis.

Steuermann Hartwig hielt die bewußtlose Frau, von der er in der unheimlichen Finsternis dieses unbekannten Gewölbes auch nicht das geringste sehen konnte, noch immer in hilfloser Befangenheit in seinen Armen.

Sehen konnte er nichts …

Aber Frauenhaar umduftete ihn, zartes Parfüm umschmeichelte ihn, und das feine Frou Frou seidener Röcke verwirrte ihn eben so wie der sanfte Druck des weichen üppigen Busens der Unsichtbaren gegen seine noch feuchte Seemannsjacke …

Parfüm – seidene Unterkleider … Und ein wahrscheinlich noch junges Weib hier in diesem Kerker, in den ihn der schweigsame uralte Mönch mit den tröstlichen, vorsichtig geflüsterten Worten hineingeschickt hatte:

‚Sie hören noch von mir …!’

Und all das in einem Traumlande traumhaften Erlebens …

All das hier in der unterirdischen fremden Welt, in die ihn der Sturz aus der Schatzhöhle wider seinen Willen hatte eindringen lassen …!

Traumhaftes Erleben …

Zaubergewalten der Goldmilliarden waren wieder am Werke …

Die magische Ausstrahlung dieser ungeheuren Anhäufung des edlen Metalls weckte neues Geschehen! –

Die Unsichtbare regte sich plötzlich … Ein leiser Seufzer kam über ihre Lippen …

Dann – ein klagender Schrei besinnungsloser Angst.

Sie fühlte sich von Männerarmen umklammert …

Die Erinnerung erwachte, daß urplötzlich eine Hand über ihr Gesicht, ihren Hals geglitten war …

Da sagte Georg Hartwich rasch, und seine tiefe ehrliche Stimme klang beruhigend und vertrauenerweckend:

„Fürchten Sie nichts …! Ich bin ein deutscher Seemann, den ein Mönch hier einegesperrt hat … – Fürchten Sie nichts, wir sind ja offenbar Leidensgefährten …“

Sie hatte sich aufgerichtet, stützte sich aber noch auf seinen Arm …

Um die beiden einsamen Menschen lag die Finsternis wie pechschwarze Vorhänge …

Hartwich fügte hinzu:

„Georg Hartwich heiße ich … Ein Zufall, ein Mißgeschick schleuderte mich in den unterirdischen See hinab … Ich bedauere aufrichtig, daß ich Sie so erschreckt habe. Ich war eben erst in das Gewölbe gelangt, hatte mich vorwärts getastet. Da hörte ich Ihre leisen Schritte, das Rauschen Ihrer Kleider …“

Endlich meldete sich jetzt auch die Unsichtbare. Eine liebliche, weiche, junge Stimme war’s … Und die Aussprache des Deutschen, das der Frau recht geläufig schien, verriet sofort die Engländerin oder Amerikanerin.

„Ich bin schon wieder ganz gefaßt, Herr Hartwich … Mag ich auch zu Tode erschrocken gewesen sein, ich bin jetzt doch hier nicht länger allein! Ich habe einen Gefährten! Und mein Herz verrät es mir, Sie sind ein Mensch, der mir bedauernswertem Mädchen ein wahrer Freund sein wird!“

„Das will ich!“ Und Hartwich drückte ihre Hand. „Das will ich, und wenn ich mich in diesem leider so unglaublich finsteren Gewölbe erst einmal richtig herumgefühlt habe, werden wir vielleicht auch fliehen können.“

„Fliehen?! Fliehen?! – Unmöglich …! Das werden Sie bald einsehen …“ Wortlos und wie zerbrochen klang jetzt ihre Stimme … „Aber – kommen Sie … Ich will sie leiten … Nicht überall in diesen natürlichen Gewölben ist’s so dunkel … Es gibt eine Treppe nach oben – zur flachen Spitze des Felswürfels empor, der den Mittelpunkt dieser Insel bildet … – Kommen Sie nur, Herr Hartwich … Dort oben verbringe ich stets viele, viele Stunden …“

Sie zog ihn hinter sich her …

Durch schmale und breite Gänge …

Immer durch tiefste Finsternis …

Dann rief sie:

„Achtung – die Treppe …!“

Und hinauf ging’s in einem breiten Schacht, im Innern des Felsens aufwärts, bis von oben das gelbliche Licht dieser unterirdischen Welt fahl und unschön aufschimmerte …

Bis nun Georg Hartwich vor dem schlanken Weibe auf der Kuppe des Steinwürfels stand – vor einem Weibe in kostbarstem tief ausgeschnittenen Gesellschaftskleide, – vor …

„Ellen Barrouph …,“ nannte die aschblonde Frau ihren Namen …

Der Steuermann schaute sie an wie ein unfaßbares Wunder …

Obwohl das fahlgelbe Licht im Verein mit der krankhaften Blässe ihres Antlitzes den stolzen, feinen Linien ihrer Züge wenig günstig war, erkannte Hartwich doch, daß diese junge elegante Dame zu jenen Glücklichen gehörte, denen Mutter Natur vollendete, lebendige Schönheit verliehen hat … –

Ellen Barrouph wurde unter Hartwichs bewundernden Blicken etwas verwirrt …

Er merkte es …

„Verzeihen Sie …,“ murmelte er … „Verzeihen Sie …! Wie konnte ich ahnen, in diesem Kerker eine solche Leidensgenossin vorzufinden …!“

Sie hatte seine Hand noch in ihren warmen, schlanken Fingern …

Die lösten sich jetzt …

Und – – mit einem jammervollen Aufschluchzen legte Ellen Barrouph beide Hände vor das Gesicht …

„Wenn Sie wüßten, was ich erlebt habe …!“ rief sie, und Grauen und Seelenpein schwangen wie erschütternde Akkorde in ihrer Stimme mit …

„Wenn Sie wüßten …!! Und – keiner ahnt es – – keiner von denen, die nicht mit Liebe und treuer Sorge umgaben …!“

Sie weinte …

Hatte sich gegen eine der Felszacken gelehnt, die diese breite Plattform wie ein Zaun oder wie Burgturmzinnen in weiten Abständen umrahmten …

„Seit drei Wochen lebe ich hier …,“ flüsterte sie hastiger …

Ihre Tränen versiegten …

„Drei Wochen, Herr Hartwich, – – allein, allein …! Nur den Mönch sah ich zuweilen … Er ist es, der mir Speise und Trank bringt, die er mir unten hinter die Metalltür stellt … Nie spricht er ein Wort … nie …! Und ich habe vor ihm auf den Knien gelegen, habe ihn angefleht, Erbarmen mit mir zu haben und mir zu erklären, weshalb er so unendlich grausam sei und mich hier gefangen halte … – Nie öffneten sich seine welken Lippen …“

„Und – wie kamen Sie hierher?“ fragte Hartwich voller Spannung …

Sie hatte sich jetzt wieder gefaßt.

„Setzen wir uns dort auf jenen Stein zwischen den Zinnen,“ erwiderte sie und trocknete mit einem Spitzentüchlein die feuchten Wangen. „Das da ist meine Aussichtsbank, Herr Hartwich … Setzen wir uns …“

Hartwich sah den großen unterirdischen See vor sich, und drüben in weiter, weiter Ferne ganz verschwommen das eine Ufer mit den sieben Marmorpaläste …

Er starrte hinüber …

Dort auf der Terrasse des einen Palastes war ihm der Mönch entgegengetreten …

Dort hatte all das Seltsame, Wunderbare, aber auch Unheimliche begonnen … –

Neben ihm begann Ellen Barrouph zu sprechen …

„Wie ich hierherkam, wollen Sie wissen, Herr Hartwich … Und ich – weiß es nicht!“

Er wandte den Kopf, Unglauben im Blick …

„Wie ist das möglich?! Sie wissen es nicht, Fräulein Barrouph?“

„Nein …! – Hören Sie mich an … – Ich bin das einzige Kind des amerikanischen Gesandten John Barrouph, der seit vier Jahren die Vereinigten Staaten in der Republik Patalonia vertritt …“

„Ah – – Patalonia …!“ murmelte der Steuermann …

„Kennen Sie Taxata, die Hauptstadt von Patalonia, Herr Hartwich?“

„Ich kenne so ziemlich alle Hauptstädte der Welt, Fräulein Barrouph … Taxata ist eine Perle, eine Phantasie …! Schade, daß dort Mischlinge die Herren sind, ein übles Banditengesindel …“

„Nun, dann kann ich mich noch kürzer fassen … – Meine Eltern und ich verkehrten in Taxata natürlich auch bei dem Präsidenten José Armaro, dem Despoten.“

„Habe von ihm genug gehört,“ nickte Hartwich.

„Ein Diplomat, Schurke, genialer Staatsmann – alles in einem Topf …!“

„Diese Charakteristik mag zutreffen … – Vor drei Wochen etwa gab Seine Exzellenz, der allmächtige Präsident, ein Gartenfest. Während dieses Festes wurde ich plötzlich in einer Laube, wohin ich mich etwas abgespannt und ermüdet zurückgezogen hatte, ohnmächtig … Und – – erwachte hier oben – – neben dieser Festplatte …“

Ihre Stimme zitterte …

„Stellen Sie sich vor, Herr Hartwich, in dieser Umgebung kam ich wieder zu mir …! – Stellen Sie sich die ersten Stunden meines Alleinseines auf diesem Felswürfel vor …! Ich fürchtete, wahnsinnig zu werden … Ich …“

„Bitte – regen Sie sich nicht auf,“ meinte der Steuermann herzlich und nahm ihre Hände in die seinen. „Denken Sie nicht mehr daran … Sie sind nun nicht mehr allein … – Sie müssen mir jetzt ein paar Fragen beantworten, denn ich will darüber schlüssig werden, was ich zunächst in unserem Interesse tun kann … – Haben Sie nie versucht, an diesem Felswürfel außen hinabzuklettern?“

„Nein … nein! Die Wände sind steil senkrecht und vollkommen glatt … Dabei ist der Felsen gut fünfzehn Meter hoch …“

„Und einen anderen Ausgang als die Metalltür dort unten gibt es nicht?“

„Nein …“

„Haben Sie hier irgend eine Lagerstätte – dergleichen?“

„Ja … unten neben der Steinplatte in einem Winkel eine Art Holzgestell, das mit Fellen bespannt ist, dazu zwei Decken, eine große Tonschüssel und zwei Tonkrüge, die der Mönch abwechselnd mit Wasser füllt …“ –

Hartwich schwieg jetzt eine Weile und schaute prüfend nach oben, wo die Höhlenwölbung sich über die Landschaft dieser unterirdischen Welt ausspannte …

Ihm fiel es auf, daß das gelbliche Licht schwächer und schwächer wurde …

„Gibt es hier denn so etwas wie Tag und Nacht?“ fragte er hastig.

„Ja … Tag und Nacht – wie auf der Erde, Herr Hartwich. Nur daß hier die Nacht keinen Mond, keine Gestirne kennt …“

„Sonderbar … – Besitzen Sie Zündhölzer, ein Feuerzeug?“

„Nein …“

„Ich leider auch nicht mehr …“

Wieder schwieg er dann …

Es wurde nun rasch dunkel um sie her …

Minuten vergingen …

Dann war der Steuermann Hartwich mit seinem Plane fertig.

„Fräulein Barrouph,“ erklärte er so schlicht, als ob es sich um etwas ganz Selbstverständliches handelte, „wir werden noch in dieser Nacht fliehen. Meine Abenteuer berichte ich Ihnen später. Jetzt haben wir Wichtigeres vor. – Ob der Mönch sich heute Abend nochmals hier einfinden wird?“

„Nein, bestimmt nicht, Herr Hartwich. Er erscheint immer nur frühmorgens mit dem Trinkwasser und den Lebensmitteln, von denen ich übrigens noch einen großen Vorrat habe. Falls Sie also Hunger verspüren sollten …“

„Den verspüre ich allerdings,“ nickte der Steuermann fast gutgelaunt. „Gehen wir also in ihr Gemach hinab, Fräulein Barrouph … Für Licht werde ich schon sorgen …“

„Wie – ohne Zündhölzer, ohne Lampe?“

„Lassen Sie mich nur machen … Geben wir!“

Und als sie dann die Steintreppe zu den Gewölben hinabstiegen, fragte Hartwich wieder:

„Haben Sie denn niemals einen anderen Menschen hier in dieser Unterwelt außer dem Mönch gesehen?“

„Nie …“

„Hm – seltsam …! – Und mir war’s doch so, als ob ich eine Unmenge Gestalten drüben am anderen Ufer vor den Palästen wahrgenommen hätte, wie ich noch oben in der Grotte am Rande der Öffnung spähend lag, – bevor ich eben durch abbröckelndes Gestein mit in die Tiefe gerissen wurde …“

Aus der Finsternis wieder Ellens Stimme:

„Diese Beobachtung habe auch ich fast täglich gemacht, Herr Hartwich … Auch mir kam es so vor, als bewegten sich drüben ganze Scharen von Menschen. Die Entfernung ist jedoch zu groß, um mit Sicherheit etwas unterscheiden zu können.“ –

Tastend bewegte Hartwich sich weiter und weiter abwärts. Die junge Amerikanerin dagegen war hier bereits mit jedem Fußbreit Boden völlig vertraut.

Und am Fuße der Treppe reichte sie ihrem Gefährten die Hand.

„Nun muß ich Sie führen,“ meinte sie, und ihre Stimme war lebhafter und kräftiger als bisher. Der Gedanke, nun in diesem entschlossenen, stämmigen und ehrlichen Seemann einen treuen Freund und Helfer gefunden zu haben, weckte in ihr wieder all die besonderen Vorzüge ihres Charakters: Energie, Selbstvertrauen und mutige Standhaftigkeit!

Noch zehn Schritt …

„So – hier ist mein Wohn- und Schlafgemach,“ erklärte Ellen ohne jede Prüderie. „Gesehen habe ich es noch niemals – nur gefühlt bei diesem Leben in Finsternis!“

„Wir werden sehr bald sehen, Fräulein Barrouph. Sie sagen, Ihr Bett sei ein mit Fellen bespannter Holzrahmen … Anderes Holz zu Fackeln ist hier nicht vorhanden?“

„Nein …“

„Dann zeigen Sie mir, wo das Bett steht … Ich muß es zertrümmern …“

Gleich darauf vernahm die junge Amerikanerin das Splittern von Holz …

Und Hartwich Stimme:

„Sehr gut das – sehr gut …! Es ist harziges Kiefernholz … Kommt und sehr gelegen, Fräulein Barrouph … Nun brauche ich noch ein großes Stück Seide … Denn Seide brennt am leichtesten an, besonders, wenn sie noch Farbstoff enthält. Sie müssen also schon etwas von Ihrer Toilette opfern … Es hilft nichts!“

Ein leises klingendes Lachen folgte …

Ein Lachen, das endlich wieder einmal den Weg über Ellens Lippen fand …

„Wie gern opfere ich einen Teil dieses Flitterstaates, Herr Hartwich …! Hier für diese Kerkerhaft hätte wahrlich ein Kleid aus Sackleinen besser gepaßt!“

„Bravo – bravo!“ lachte da auch der Steuermann. „Nur nicht den Kopf unnötig hängen lassen, Fräulein Barrouph! Wer dem Tode ins Antlitz zu lachen versteht, den meidet der Sensenmannm!“

Das schnirrende Geräusch reißender Seide ertönt mehrmals …

Dann drückte Ellen ihrem Beschützer das Stück des bunten Seidenstoffes aus … ihrem Unterrock in die Hand …

„Bitte … Genügt es?“

Sie sah nicht, daß er das weiche Gewebe, dem ebenfalls der Parfümduft und der zarte Hauch des Frauenkörpers anhaftete, an die Nase führte …

Sah nicht, daß ein spitzbübisches Lächeln seinen Mund umspielte … Konnte auch nicht ahnen, daß ihm dieses Abenteuer mit diesem reizvollen tapferen jungen Weibe ein sehnsüchtiges Prickeln in allen Nerven trieb …

„Es genügt,“ erklärte er mit etwas veränderter Stimme. „Ich werde nun aus einer der Patronen meiner Pistole das Geschoß entfernen und durch das aufflammende Pulver die Seide zu entzünden suchen … Erschrecken Sie also nicht … Der Knall wird nur schwach sein …“

Eine Weile Stille …

Dann sah Ellen einen Feuerstrahl, hörte den Schuß ganz schwach nur …

Die Seide brannte …

Hartwich hatte sie zu einer Lunte zusammengedreht, bließ nun in das glimmende Ende kräftig hinein… Bis ein Flämmchen aufzuckte … Bis er einen dünnen Holzspan anzünden konnte und mit diesem ein armlanges Stück der einen Rahmenleiste des Bettes …

„Licht – – Licht!!“ jubelte Ellen und faltete unwillkürlich die Hände …

„Gewonnen!“ sagte Hartwich frohlockend. „Jetzt rasch einen Imbiß, Fräulein Barrouph …! Und dann müßte es doch mit dem Teufel zugehen …“ – er stockte – „verzeihen Sie – den Teufel wollen wir hier aus dem Spiel lassen … – und dann – das Befreiungswerk!“

Er schob die Fackel in eine Felsritze. Sie brannte stark qualmend. Das Holz war so harzreich, daß dieses geschmolzen zu Boden tropfte.

Hartwich schaute sich um.

Ellen stand vor einem flachen Steine, der offenbar ihren Tisch vorstellte …

Rief nun: „Bitte – bedienen Sie sich … Hier ist gebratenes Fleisch … Hier Früchte, Datteln, Feigen, Bananen … Und hier gekochte Eier …“

Er trat näher …

„Teller?!“ meinte er erstaunt … „Metallteller?!“

„Ja – und sogar recht schweres Metall … Es funkelt wie Gold …“

Hartwich nahm einen der merkwürdig geformten Teller und besichtigte in …

„Gold!“ sagte er und ein ungeheures Staunen lag auf seinem blondbärtigen Gesicht.

„Unmöglich …!“

Ellen lachte leise. „Unmöglich …! Sie müssen sich irren, Herr Hartwich …“

„Nein …! Und – – nun weiß ich auch, weshalb die Metalltür zu diesen Gewölben einen so besonderen Klang gab, als der greise Mönch hinter mir zuwarf … Die Türe muss … massives Gold sein! Genau wie diese sechs Teller hier!“

Ellen lachte nicht mehr …

„Eine Zauberwelt … Eine Märchenstadt drüben,“ flüsterte sie … „Mir wird wieder ganz bang bei diesem Gedanken, daß wir beide vielleicht niemals mehr das Tageslicht erblicken werden …“

„Keine Sorge!“ Der Steuermann begann zu essen. „Keine Sorge, Fräulein Barrouph … Ich haue uns schon heraus! Und damit Sie nun schnell das Nötigste erfahren, wir befinden uns hier wahrscheinlich unter den Klippenreihen der Insel Christophoro, eines der drei Robigas-Eilande …“

„Mein Gott, die Namen habe ich noch nie gehört.“

„Kein Wunder! – Die Robigas-Inseln sind so abseits von jeder Schiffsroute gelegen und so öde, daß die Republik Patalonia auf diesen ihren Kolonialbesitz kaum stolz sein kann! Und da die Inseln der Mulattenrepublik gehören, ist es auch leicht, eine Verbindung zwischen Ihrer fraglos sorgfältig vorbereiteten Entführung und … Ihren Entführern herzustellen. Nur Patalonianer sind’s, die an Ihnen diesen Schurkenstreich begingen, Fräulein Barrouph! Es sollte wohl auch nicht ganz unwahrscheinlich sein, daß sogar Seine Exzellenz der Präsident José Armaro dahinter steckt. Ist er mit Ihrem Vater verfeindet?“

„Nein, nein … Durchaus nicht! – Allerdings, mir hat er so etwas den Hof gemacht, der alte Lebemann … Doch stets durchaus in den Grenzen, die er mir als einer Dame gegenüber einhalten mußte …“ –

Hartwich war gesättigt …

„So, jetzt werden wir uns die Gewölbe erst einmal ansehen … Ich werde noch drei von den Holzstücken als Reservefackeln mitnehmen …“ –

Die Grottengänge bildeten ein förmliches Labyrinth. Nur der eine Gang von der Metalltür bis zur Steintreppe war sehr breit und wenig gekrümmt.

„Alles natürliche Höhlen,“ erklärte der Steuermann zu Ellen, die seiderauschend und leichtfüßig, ein Bild begehrenswertester Weiblichkeit, neben ihm herrschritt. „Sie haben sich wohl nie aus dem Hauptgang hinausgewagt, Fräulein Barrouph … Ohne Licht wäre das auch ein sehr gefährliches Unternehmen gewesen …“ Er blieb stehen, hob die Fackel höher … „Da – sehen Sie – ein Abgrund läuft hier quer über den Felsengang …! Ein unvorsichtiger Schritt im Dunkeln, und man stürzt hinein …“

Ellen umklammerte jäh seinen Arm …

„Dort … dort unten … Skelette! Menschliche Gerippe!!“ hauchte sie entsetzt …

Auch Hartwich blickte in die Tiefe des Schlundes hinab, über die jetzt das rötliche Flackerlicht hinhuschte …

Er … blieb stehen …

Er sah die menschlichen Gebeine – einen ganzen Haufen …

Er ahnte, all diese Menschen waren einst hier wie Ellen und er eingesperrt gewesen und hatten … ihre Unvorsichtigkeit bitter büßen müssen! –

Die junge Amerikanerin drängte sich noch näher an ihn heran …

„Kehren wir um, Herr Hartwich …! Ich wünschte, ich hätte diese Gerippe nicht gesehen! Ich will nicht wieder in die alte Mutlosigkeit und dumpfe Verzweiflung zurückfallen … Kehren wir um …!“

„Ja … Und – denken wir an unserer Befreiung! – Vorwärts, die Decken und das Leder Ihres Bettes werden vielleicht gerade zu einem Seil reichen, das uns von der Spitze des Würfels zum Boden hinabträgt …!“

„Wenn es doch gelänge …! Auch ich …“

Sie brach jäh ab …

Ein heller klingender Ton schwebte plötzlich durch das Labyrinth der Grotten …

Ein ferner Klang von Metall …

„Die … Tür!“ raunte Hartwich seiner Gefährtin zu …

Ellen blickte ihn an …

„Sie sind … beunruhigt? Sie … fürchten irgend etwas?“ Und wie schutzsuchend schob sie ihren Arm in den seinen …

„Es kann der Mönch sein … Vielleicht der greise Mönch … Er versprach ja, daß ich noch von ihm hören würde …“ – Der Steuermann flüsterte nur. Sein Gesicht war ernst …

Und fügte hinzu: „Da – nehmen Sie die Fackel, Ellen …“ – Er nannte sie ohne weiteres mit dem Vornamen. Hier in dieser Lage erschien ihm die Anrede ‚Fräulein’ albern und überflüssig. „Bleiben Sie stets soweit hinter mir, daß Sie auf einen Wink hin die Fackel rasch mit Ihren Röcken verdecken können …“

Er zog die Repetierpistole aus der Tasche …

„Noch fünf Schuß, Ellen …! Also – – nur Mut!“

„Ich bin nie feige gewesen, Georg …“

Und auch ihr glitt der Vorname des Mannes, den sie vor einer Stunde zum ersten Mal gesehen, wie etwas Selbstverständliches über die Lippen …

Sie waren noch keine zwanzig Meter denselben Weg zurückgeschritten, als derselbe klingende metallische Ton, jetzt heller und lauter, mit starkem Nachhall bis zu ihnen drang und Hartwich rasch wieder an Ellens Seite trieb …

„Warten wir hier,“ flüsterte er … „Dort – hinein in die enge Spalte … Sie verbirgt uns … – Warten wir ab, was geschieht …“

Eng aneinandergepreßt standen sie in der schräg nach oben sich hinziehenden, kaum einen halben Meter breiten Kluft …

Hartwich hatte die bereits recht kurze Fackel noch weiter nach oben zwischen zwei Steine geklemmt, und Ellen wieder hatte den Rock ihres kostbaren Gesellschaftskleides mit beiden Händen breit nach den Seiten gezogen, um den Lichtschein abzusperren …

Minuten vergingen …

Lautlose Stille … Die Fackel knisterte … Die beiden Menschen atmeten tief und schwer …

Nichts geschah …

Dann raunte der Steuermann seinem Schützling zu:

„Wenn’s der Mönch gewesen ist, kann er die Grotten schon wieder verlassen haben … – Reichen Sie mir die Fackel, Ellen …! Ich halte diese Ungewißheit nicht länger aus …“

Ellen drehte sich um …

Und streckte den Arm aus …

Regte sich plötzlich nicht mehr … Starrte dem schwarzen Qualm der Fackel nach, der offenbar durch einen Luftzug nach oben zu davongetragen wurde …

„Georg …!!“

„Was gibt’s …?“

„Der Qualm, Georg …! Sehen Sie …! Diese Spalte muß oben irgendwo münden! Sehen Sie … – Zugluft streicht über die Spalte …!“

„Bei Gott …!!“

Und er drängte sich an mir vorüber …

Nach kurzer mühseliger Kletterpartie standen sie mitten unter wirr übereinander liegenden Steinblöcken am Fuße des hohen Felswürfels, … waren … frei …!

 

83. Kapitel.

Der neue Bund.

Und nun nochmals zurück in die Urwälder und Klüfte und Täler der Azoreninsel San Miguel …

Zurück in die Nähe der Hazienda des Sennor Diego Rovenna, zurück zu jenem Vormittag, an dem diese weltabgeschiedene ländliche Besitzung der Schauplatz so aufregender Szenen gewesen war … –

Auf Doktor Dagobert Falz’ Geheiß hatte Agnes Sanden den zwölf Affenmenschen, ihrer getreuen Leibgarde, den Befehl erteilt, nach dem entflohenen Edgar Lomatz zu suchen und ihn lebendig oder tot zur Hazienda zu bringen.

Die Homgoris waren dann in kleinen Trupps in den Wald eingedrungen, und eine dieser Abteilungen, bestehend aus dem riesigen Baru und zwei anderen Homgoris, Barus besonderen Freunden, gelangte bei dieser Streife durch die Wildnis auch bis in die Nähe der Ruinen des völlig ausgebrannten Observatoriums.

Die drei Affenmenschen kauerten sich auf einem Hügel neben dem Hohlwege nieder und wollten hier im Schatten einer einzelnen uralten Korkeiche ein wenig ausruhen.

Hundert Meter vor ihnen qualmte die Brandruine. An einzelnen Stellen zuckten auch noch Flammen auf, erloschenen aber immer wieder sehr bald und sandten weißliche Fahnen, rasch zerflatternde helle Schwaden in den sonnendurchleuchteten Äther empor.

Gerade unter derselben Korkeiche lagerten jetzt die Homgoris, die ihre immergrünen Äste und Zweige auch über die beiden Gräber hinweg reckte, die man hier im Morgengrauen für Doktor Gouldens unkenntlich Überreste und für die Leiche des tapferen Kabylenführers Abd el Sarfa gegraben hatte …

Auf dem einen der beiden Grabhügel lag ein aus weißlichen Steinen geformtes Kreuz. Auf dem anderen ein in derselben Weise hergestellter Halbmond als Zeichen der Glaubenszugehörigkeit des Kabylen, als Zeichen des Islams!

Mit etwas scheuen Blicken hatten die mit menschlicher Intelligenz begabten Halbtiere diese Gräber gemustert und sich dann abseits gesetzt.

Sie unterhielten sich nun schnatternd in der Sprache ihrer Affenahnen, der Gorillas. Baru, obwohl körperlich der kräftigste aller Homgoris, war den anderen geistig doch nicht ganz ebenbürtig. Die rein tierischen Instinkte gewannen bei ihm immer wieder die Oberhand.

Das Gespräch der drei drehte sich hauptsächlich um die Vorgänge der verflossenen Nacht. Die Homgoris wußten, daß eine weiße Miß dort im Steinhause Doktor Gouldens verbrannt war – oben im Turme, und daß man nichts mehr von der so elend Umgekommenen in der Bandruine gefunden hatte. –

Baru ließ plötzlich jenes warnende Grunzen hören, das stets ein Zeichen drohender Gefahr bedeutete …

Er hatte sich soeben plötzlich flach ins Gras geworfen und raunte nun den beiden anderen, die seinem Beispiel sofort gefolgt waren, in tiefen Kehllauten zu:

„Ein Mensch …! Dort … ein Mann!“

Die drei hoben ihre flachen Köpfe, die zu dem mächtigen Leibe viel zu klein geraten waren …

Drüben in einem breiten Riß der geborstenen Mauern stand ein schlanker Mann, eine Sportmütze tief ins Gesicht gedrückt …

Der Mann trug einen Herrenflanellanzug, der durch Feuer und Rauch arg gelitten hatte …

Vorsichtig, mißtrauisch schaute der Schlanke sich um.

Sprang nun über ein paar qualmende Balken hinweg und tauchte in den Büschen neben dem Hause unter.

„Lomatz!“ sagte Baru triumphieren, indem er den Namen mühsam zusammenbuchstabierte … „Lomatz …! Die weiße Miß Agnes wird mit uns zufrieden sein!“

Und er fletschte die Zähne nach Gorillaart, kroch in das Gestrüpp hinein und winkte seinen Freunden, ihn hier zu erwarten.

Lautlos glitt er weiter …

Instinktiv vermied er jeden trockenen Ast, damit kein Knacken des unter seinen riesenhaften Greiffüßen zerbrechenden Holzes den Mann warnen könnte, den er beschleichen wollte …

Und doch wandte er sich mit unglaublicher Geschwindigkeit vorwärts, gelangte gerade auf eine kleine Lichtung, als der Schlanke hier mit Gier wie ein Verschmachteter die eßbaren Beeren von einem großen Santillastrauche pflückte.

Baru kroch hinter den Mann – immer näher …

Richtete sich auf …

Und jetzt, wo er den Ahnungslosen anspringen wollte, wo der Gedanke an Kampf und Beute sein Blut rascher durch die Adern trieb, war im Nu aus dem Halbtier, dem Doktor Goulden mühsam die englische Sprache und manches andere gelehrt hatte, wieder der grimme tückische gefährliche Gorilla der endlosen Urwälder Westafrikas geworden.

Barus kleine Augen leuchteten vor Mordgier. Die breite Oberlippe des Mundes hatte sich emporgezogen und ließ die blendend weißen Fangzähne sehen – diese prächtigen Hauer, die so gar nicht zu dem beharrten menschenähnlichen Gesicht paßten.

Alle Muskeln des ungefügen und doch so gewandten Körpers spielten wie zur Probe …

Noch tiefer duckte Baru sich zusammen …

Jede Spur menschlichen Empfindens war in ihm erloschen …

Er wußte, wie er den Feind da im Nu töten würde: durch einen Biß ins Genick – und durch Erwürgen! Nicht einmal einen Schrei würde das Opfer ausstoßen können …

Seine Beinmuskeln spannten sich …

Die Hände stützte er auf die Erde, um sich so noch größeren Schwung geben zu können …

Das Tierische in seinem negerähnlichen, wenn auch mit Haaren bedeckten Gesicht trat immer stärker hervor …

Doch – – seltsam …!

Baru – – unterließ den Sprung, den Angriff …

Barus Augen, sein Gesicht desgleichen, nahmen einen anderen Ausdruck an …

Und – – prüfend sog er jetzt leise immer wieder die Luft ein …

Sein überaus feiner Geruchssinn hatte ihm im letzten Moment stutzig gemacht …

Die Witterung des Schlanken da war nicht die eines Mannes …

Diese besondere Witterung erinnerte Baru an die der weiße Miß Agnes und an die der zweiten weißen Miß, die mit zur Sphinx gehörte, an die Melas …

Eben – an die anders geartete Ausdünstung von Frauen … –

Nochmals prüfte er nun diese Witterung …

Die Schlanke hatte sich soeben nach einem tieferen Zweige des Strauches gebückt, und diese Bewegung hatte stärkere Duftwellen zur Folge gehabt.

Baru war nun überzeugt, das war kein Mann! Das war ein Weib, eine weiße Miß!

Seine Mordgier erlosch …

Anderes aber gewann nun in der Seele des bärenstarken Homgori Macht, der noch stärkere Trieb, den der Kulturmensch in seiner veredelten, durchgeistigten Form Liebe nennt … –

Blitzartig durchzuckte Barus Hirn die Erinnerung an jene Stunden, als er nahe daran gewesen, Agnes gewaltsam zu entführen, als alles in ihm, dem Halbmenschen, nach dem Besitz des blonden Mädchens geschrien hatte …

Nur Agnes Sandens Klugheit und Murats Einmischung hatten damals das Schlimmste verhütet.

Hier – hier war niemand, der Baru hindern konnte, jenes Weib dort niederzuwerfen und in die Arme zu nehmen …

Mochte sie schreien – mochte sie sich wehren! Gegen seine Kräfte war sie nur wie ein schwaches Kind …! –

Baru richtete sich auf …

Trat einen Schritt vorwärts …

Und da – drehte der Schlanke sich zufällig um … Es war … Mafalda Sarratow, die Totgeglaubte – seit dieser Nacht, in der Gaupenberg sich im brennenden Turme so unzweideutig von ihr abgewandt hatte, seine Todfeinden … gerettet wie durch ein Wunder – – und hier nun einer Gefahr gegenüber, die für ein Weib schlimmer, denn ein jähes Ende!

Ein Blick in das von satanischer Gier und Wollust verzerrte Gesicht des Affenmenschen hatte ihr im Moment offenbart, was ihr drohte …

Aber Mafalda Sarratow war keine Frau gewöhnlichen Schlages …

In diesen Sekunden, wo es für sie hieß, einen raschen Entschluß zu fassen, um den Unhold kampflos von sich abzuwehren, da er ihr ja fraglos nicht mehr Zeit gönnen würde, die in der Tasche steckende Pistole hervorzuziehen, – in diesen Sekunden, wo Baru die weiße Miß in Männerkleidern anstierte, wie eine Schlange das durch den stechenden Blick wehrlos gemachte Vögelchen, – in dieser winzigen Spanne Zeit bewies Mafalda, daß sie mehr war als eine bloße Abenteurerin …

Zeit gewinnen – das war alles!

Diese kurze Spanne Zeit, die das Untier ihr noch gönnte, bevor es sich auf sie stürzte, künstlich recken – das war ihr erster blitzschneller Entschluß …

Und genau wie Agnes gestern nachmittag in dem öden Hochtal die Horde der Halbmenschen durch die Macht der Stimme besänftigt und dann gezähmt hatte, genau so verfuhr auch die Fürstin jetzt …

„Bleib’ stehen!“ rief sie Baru befehlen zu …

Und diese helle scharfe Stimme im Verein mit dem starren, harten Blick der Menschenaugen gemahnte den Riesen unwillkürlich an die Unterrichtsstunden bei Doktor Goulden, wenn dieser, mit Nilpferdpeitsche und Revolver in den Händen, noch beschützt durch seine beiden mit langen Eisenstangen bewaffneten Neger, Barus Käfig betreten hatte …

Und dann – war Baru untätig geblieben – hatte nur ein einziges Mal einen Angriff gewagt, der ihm lediglich brennende Wunden eingetragen …

Ebenso hell und scharf hatte Gouldens Stimme geklungen … Genau so durchdringend war sein Blick gewesen …

Und wie diese für Baru so erniedrigenden Erinnerungen nun so jäh in seinem Hirn lebendig wurden, – als Sekunden zu Minute sich dehnten, da hatte Mafalda mit geschicktem Griff zweierlei getan, mit der Rechten die Waffe hervorgeholt, mit der Linken die Sportmütze abgerissen, unter der ihr prachtvolles schwarzes Haar in losem Knoten verborgen gewesen …

Dieses Freigeben ihre wunderbaren Haarfülle, die jetzt wie ein blauschwarzer Mantel dem rassigen, leidenschaftlichen Gesicht als Hintergrund diente, – dieses Hinabwallenlassen der bis zu den Knien reichenden, im Winde leicht sich bewegenden Haarschleier, war ein echt weiblicher Trick, berechnet für das primitive Gemüt eines Halbtieres …

Mit einem Schlage hatte so die durch den hellen Flanellanzugs einen Mann vortäuschende Erscheinung Mafaldas gleichsam sich zu ihrem eigentlichen Geschlecht bekannt. Die Haarpracht des Hauptes gab ihr die volle Weiblichkeit zurück!

Baru stierte die so jäh Veränderte jetzt mehr verblüfft als gierig an.

Hatte schon der scharfe befehlende Anruf einen Teil der bestialischen Lüste erstickt, so schwand nun abermals ein nicht geringes Maß davon unter dem Eindruck dieses neuen Bildes dahin … –

Mafalda beobachtete das Mienenspiel des zottigen, mit einem Lendenschurzfell bekleideten Riesen aufs genaueste.

Sie, die Abenteurerin, die ohne Menschenkenntnis, ohne blitzartiges richtiges Erfassen des wechselnden Ausdruckes menschlicher Züge stets eine elende Stümperin geblieben wäre, faßte auch jetzt den richtigen Moment ab, um Baru völlig niederzuzwingen…

Sie, die Waffengeübte, hatte längst die Sicherung der gespannten Pistole mit dem Daumen zurückgeschoben und wußte nun, daß Baru ihr nicht mehr gefährlich werden könne …

Ihre Stimme klang noch schärfer und durchdringender, als sie dem Affenmenschen jetzt zurief:

„Denke an Herkules, den stärksten von euch, den Goulden mit dieser Waffe von der Terrasse aus erschoß …! Ein Druck meines Fingers, und du sinkst tot zu Boden!“

Alles verstand Baru von diesen hastigen Worten nicht …

Aber er hatte miterlebt, wie Herkules auf den Knall hin zu Boden kollerte und sich nicht mehr regte, hatte auch später noch bei den Angriffen auf die beiden Neger die verderbliche Wirkung dieses kleinen Dinges da in der weißen Miß schmaler Hand genugsam kennengelernt …

Drohend glotzte ihm das kleine schwarze Mündungsloch der Pistole an …

In seiner Erinnerung sah er noch deutlich, wie aus diesem schwarzen Auge da ein Blitzstrahl hervorbrechen konnte, der unfehlbar tötete …

Wäre er nur ein Tier gewesen, dann hätte ihn der Gedanke an den Tod nicht geschreckt. Das Tier weiß nichts von Sterben. Baru war ein Halbtier, in vielem mehr Mensch als Gorilla.

Auch der Rest seiner Gelüste zerflatterte. Dasselbe Gefühl der Ohnmacht gegenüber der größeren Intelligenz der Vollmenschen mit ihren unheimlichen Hilfsmitteln überkam ihn jetzt, wie er’s auch Goulden, seinem Herrn und Lehrer gegenüber so und so oft gespürt hatte.

Mafalda hatte gesiegt …

Baru grunzte mißmutig:

„Wir suchen einen Mann, der Lomatz heißt … Die weiße Miß Agnes hatte es uns befohlen …“

Die Fürstin lächelte jetzt …

Jenes Lächeln, das selbst auf diesen Unhold, der doch nur ein armseliges Zwitterwesen war, verwirrend wirkte …

Sie wagte etwas – wagte alles …

Ließ die Waffe sinken und streckte Baru die Hand hin …

„Willst du fortan mir gehorchen, Baru, bei mir bleiben? Sollst es gut haben … Du bist in meinen Augen ein Mensch wie ich … Wir wollen Freunde sein …“

Er … ergriff ihre Hand …

Beschnupperte sie – ganz nach Affenart … Stand ihr nun dicht gegenüber… Und der Duft ihres Frauenleibes, den sein feiner Geruchssinn nun stärker witterte, machte ihn zu ihrem Sklaven …

Das Weib hatte gesiegt. Baru, der Riese, ward liebenshörig, unterlag jener Liebeshörigkeit, die aus dem urwüchsigen Empfinden des Fortpflanzungstriebes erwächst … – –

Und Sekunden später dann hatte Mafalda Baru durch die Äste der Bäume zum Waldrande bei der Hazienda Sennor Diego Rovennas – zur Sphinx geschickt …

Hatte Jimminez, den Geheimagenten, befreien lassen.

Und wieder zwei Stunden später stiegen aus der kleinen Höhle, die unter dem Stallgebäude der Hazienda Rovennas sicheren Schlupfwinkel gebildet hatte, der Züchter und Lomatz wieder ans Tageslicht – als Verbündete Mafaldas und des Geheimagenten …

So hatten sich denn die drei Verbrecher und Todfeinde, die schon in Deutschland auf der Gaupenburg den Kampf um den Azorenschatz eingeleitet, hier wieder zu gemeinsamem Handeln zusammengefunden …

Jetzt in anderer Weise als damals vor Wochen … Jetzt wußten sie, daß ihr gegenseitiger Verrat sie nur geschwächt hatte, daß sie nur gemeinsam siegen konnten, daß jeder weitere Verrat eine Schädigung ihrer Pläne bedeuten würde.

Kaltblütig und ohne Scheu besprachen sie dies alles in Gegenwart ihres neuen Verbündeten Rovenna, der auf diese Weise sofort erkennen lernte, mit welch niedrigen, verworfenen und gefährlichen Freunden er es hier zu tun hatte. –

Diese vier und die drei Homgoris verließen am Spätnachmittag mit einem Motorschoner, den Rovenna bisher zum Transport seiner Maultiere nach Europa benutzt hatte, die Ostgestade der Azoreninsel San Miguel und steuerten, begünstigt von Wind und Wetter, der fernen Insel Christophoro zu.

 

84. Kapitel.

Der Ball beim Präsidenten.

Taxata, die Hauptstadt der Mulattenrepublik Patalonia … Perle der Ostküste von Südamerika …

Gelegen an der von hohen Vorgebirgen umrahmten Bai von Taxata, amphitheatralisch sich aufbauend auf palmengeschmückten Bergterrassen, als Hintergrund die düstere Majestät des mit Urwäldern bedeckten Armaro-Gebirges, so genannt nach dem Machthaber der Republik, dem allgewaltigen José Armaro …

Blutgedüngt die Straßen der Stadt und der Boden der Umgegend infolge der zahllosen früheren Revolutionen …

Bis dann José Armaro durch Geld und unmenschliche Strenge dieses Banditenvolk vor einigen zwanzig Jahren gebändigt und ihm eine Scheinkultur und ebenso nur scheinbaren inneren Frieden beschert hatte … –

Auf der untersten der Bergterrassen im neuen modernen Viertel von Taxata der Palast Seiner Exzellenz des Präsidenten …

Ein Palast – und eine Festung zugleich …

Zwei Kasernen für die beiden Leibregimenter des Tyrannen von Patalonia dicht neben dem Palaste. Und diese Regimenter eine Elitetruppe mit eiserner Disziplin.

Der ganze Palast samt dem ausgedehnten Park stets von Wachen umgeben …

Stets vier Geschütze oben auf der breiten Treppe vor dem prunkvollen Haupteingang bereitstehend – wie zur Zier, wie ein harmloser, wenn auch kriegerischer Schmuck … – –

An jenem Abend, als Alfonso Jimminez sich auf der Insel Christophoro freiwillig den Insassen der Sphinx gefangen gab, erstrahlten die Gesellschaftsräume im ersten Stockwerk des Palastes in festlichem Glanze zahlloser elektrischer Beleuchtungskörper.

Gegen neun Uhr rollte Auto auf Auto heran …

Sie brachten die Gäste seiner Excellenz zum ersten großen Gesellschaftsabend, den José Armaro nach Monaten der Trauer um den Tod seiner jäh verschhiedenen Adoptivtochter Isabella den Hunderten seiner Freunde und … heimlichen Feinde gab …

In den drei Festsälen und den ausgedehnten Nebenräumen elegante Frauen, goldstrotzende Uniformen, dunkelhäutige Herren in ordenübersäten Frackanzügen, die Gesandten fremder Staaten in ihren Galatrachten, ferner die reichen Haziendabesitzer aus dem Inneren des Landes, zum Teil im farbenfrohen Nationalkostüm …

An dreihundert Menschen, die hier durcheinanderwogten, plaudernd umherstanden, bis gegen halb zehn Uhr Trompetensignale zur Tafel riefen.

Da der Speisesaal nicht all diese Hunderte faßte, waren in den Nebenräumen kleinere Tische aufgestellt worden, wo zumeist die weniger hervorragenden Persönlichkeiten ihre Plätze angewiesen erhielten …

So auch vier Offiziere des ersten Leibregiments seiner Exzellenz …

Ihr Tisch stand in einer Ecke des sogenannten Blauen Salons, und neben ihnen war noch eine größere Tafel für die Beamten der Ministerien aufgestellt. –

Als die vier Offiziere, ein Major und drei Rittmeister, nach dem an den Saaltüren ausgehängten Plänen der Platzverteilung ihren Tisch gefunden hatten, sagte der Major Carrigo zu seinen drei Freunden:

„Freuen wir uns! Exzellenz hat uns nur einen Gefallen erwiesen. Wir sind unter uns.“

Da der runde Tisch mehrere Meter von der Beamtentafel entfernt war und da zwischen den Herren vom Zivil und den Offizierkorps der Leibregimenter von jeher eine starke Spannung bestand, konnten die vier sich hier so gut wie allein fühlen.

Major Carrigo, ein kleiner sehniger Kreole, der jahrelang vor dem Weltkrieg zur deutschen Armee abkommandiert gewesen war und jetzt hier im Generalstab arbeitete, füllte die Weingläser und trank seinen Freunden dann schlau blinzelnd zu …

„Auf gutes Gelingen!!“

Sie taten ihm ernst Bescheid …

Und Rittmeister Aristo, einer der wenigen reinblütigen Spanier in der Armee der Republik, meinte flüsternd:

„Seien Sie vorsichtig, Major …! Mir gefällt es gar nicht, daß man gerade uns hier zusammengesetzt hat … Es kann ein Zufall sein … kann … Aber Armaros Spione sind stets gegenwärtig.“

Er wollte noch mehr hinzufügen.

Ein Diener, ein Neger, brachte den ersten Gang: Schildkrötensuppe in Tassen, dazu köstlich duftende Pasteten …

Nachdem der Diener zum anderen Tisch hinübergegangen war, meinte Carrigo leise:

„Wir brauchen Verrat nicht zu fürchten, lieber Aristo … Die wenigen, die mit zum ‚inneren Hause’ gehören, sind unbedingt zuverlässig. Die Idee mit dem Radioklub war jedenfalls glänzend, – modern und harmlos nach außen hin …“

Aristo, ein hübscher, schlanker Mann von dreißig Jahren, dessen Vorfahren einst dieses Land für Spanien mit erobert hatten, bis Patalonia sich dann selbstandig machte, schaute sinnend vor sich hin.

Seit dem rätselhaften Verschwinden Ellen Barrouphs, zu deren eifrigsten Verehrern er gehört hatte, war er fast schwermütig geworden.

Das Gespräch an dem kleinen Tische kam ins Stocken. Carrigo widmete sich den Pasteten, und die drei anderen Herren hingen ihren Gedanken nach; aßen, tranken mehr mechanisch …

Bis der eine Rittmeister zu Aristo leise sagte:

„Miß Ellens Vater, der amerikanische Gesandte, ist ebenfalls erschienen … Das wundert mich …“

„Und der neue Gesandtschaftsrat Mister Roger Shelling gleichfalls,“ nickte er und zog die Stirn in Falten. „Im Vertrauen, ich halte den Herrn für einen Detektiv, den Mister Barrouph sich aus New York verschrieben hat. Niemals wäre dieser unglückliche Vater heute hier Gast des heuchlerischen Schurken Armaro, wenn er damit nicht eine ganz bestimmte Absicht verbinden würde.“

Carrigo lächelte und zeigte seine tadellosen Zähne.

„Dieser Shelling war gestern verkleidet im Hafenviertel … Auch ich werde durch meine Spione gut bedient.“

Achselzuckend meinte einer der beiden anderen Rittmeister:

„Auch ein Detektiv wird Miß Ellen nicht finden! Dazu ist der Fuchs zu schlau, dem er nachspürt.“

„Vorsicht …!!“ mahnte Juan Aristo wieder. „Denken Sie an Benito, der vor zwei Jahren …“

Er machte eine Handbewegung um den goldstrotzenden Kragen seines Uniformrockes herum …

Und wieder eine Weile Schweigen …

Carrigo trank das dritte Glas Wein … Schaute Aristo mitleidig an …

„Dies Glas galt Ihrer Liebe, Aristo! Ich leerte es auf Ellens glückliches Wiederfinden!“

„Sie … ist tot oder … entehrt,“ sagte der Spanier dumpf. „Aber – sie wird gerächt werden …! Wenn Armaro erst vor acht Gewehrläufen steht, wird er wohl ein Geständnis ablegen!“

„Der?! Ein Geständnis?!“ Major Carrigos gelbbraunes Jockeigesicht verzog sich … „Menschen vom Schlage dieses genialen Verbrechers fürchten den Tod nicht! – Sie fürchten nur für ihrer Macht …!“ Und nach kurzer Pause grüblerischen Tones: „Wenn man nur wüßte, weshalb Seine Exzellenz, unser spezieller Freund, Miß Ellen hat entführen lassen?! Ich sehe mich da geradezu einem Rätsel gegenüber. Er selbst ist in den Tagen, die Miß Barrouphs Verschwinden folgten, stets hier in Taxata gewesen – sogar bis heute. Meine Spione haben ihn nie aus den Augen verloren, auch – in dieser Festung nicht …“ Er lächelte ironisch … „Armaro ahnt nicht, daß unter seiner Dienerschaft drei begeisterte … Radioamateure sich befinden …! Nun – jedenfalls – weshalb also dieser Streich, der so ungeheures Aufsehen erregt hat! Man bedenke auch, während eines Gartenfestes des Präsidenten dieser glanzvollen Republik, die wir als unser Vaterland über alles lieben, löst sich eine junge Dame gleichsam in Luft auf …!! Auch nicht die allergeringste Spur von ihr wird mehr gefunden! Taxata, das ganze Land, die ganze kultivierte Welt ist voll von diesem unerklärlichen Ereignis! Unsere Polizei und rasch herbeigerufene amerikanische Kriminalbeamte von Ruf schwärmen wie die Bienen umher …! Nichts entdeckt man – nichts!

Nur vorsichtige Gerüchte tauchen auf … Man raunt sich dies und jenes zu …

Armaro ist der eifrigste von allen, die nach Ellen Barrouph suchen, und … ist der Mittelpunkt dieser Gerüchte …! – Ich frage nochmals, weshalb dieser Streich, der ihn teuer zu stehen kommen kann?!“

Rittmeister Aristo zuckte traurig die Achseln … schwieg …

Von den großen Sälen kamen verschwommene Walzerklänge herüber …

Geigen schluchzten …

Und Juan Aristo starrte gedankenverloren auf die große, mit Blumen gefüllte Vase, die mitten auf dem Tische stand …

Eine Vase aus feinstem Porzellan war’s, mit durchbrochenem Muster, daß man innen noch die Blumenstiele erkennen konnte …

Aristos dunkle Augen wurden plötzlich kleiner …

Der geistesabwesende, schmerzliche Zug schwand jäh aus dem gebräunten männlichen Antlitz, dessen Linien so sympathisch und so voller Energie und besonderer Klugheit waren …

Die drei anderen am Tische merkten diese Veränderung …

Noch immer stierte Aristo die Vase an …

„Teufel, – was haben Sie denn!“ fragte der kleine Major flüsternd und beugte sich weit über den Tisch …

Da sagte Aristo ebenso leise:

„Schieben Sie mal die Vase unauffällig zur Seite, Major … Tun Sie es nur!“

Und bevor er diese Sätze sprach, hatte er seine Serviette wie im Scherz gegen die Vase geworfen, so daß der feine Damaststoff sich lose um das durchbrochene Muster schmiegte.

Major Carrigo hatte plötzlich unmerklich die Farbe gewechselt. Er, die Seele der neuen gegen den Tyrannen Armaro gerichteten Verschwörung, war ein heller, findiger Kopf, ein Mensch, der blitzschnell zu begreifen pflegte …

Scheinbar harmlos lächelnd streckte er die Hand aus …

Aber – die Vase rührte sich nicht …

„Festgeschraubt!!“

Carrigo Stimme war tonlos …

Und Rittmeister Aristo fügte hinzu:

„Der Tisch hatte in der Mitte ebenfalls ein Bein … Und der Tisch läßt sich ebensowenig weiterrücken wie die Vase …! Wenn Sie scharf durch das Muster schauen, sehen Sie dort, wo die Blumenstiele aufhören, in der Vase etwas wie eine dunkle Dose, ein Mikrophon, dessen Leitung durch den mittleren Tischfuß geht … Mithin …“

„… sind wir mit Hilfe des Mikrophons belauscht worden!“ vollendete der kleine Major …

Dann … Stille …

Und – – drei Gesichter, mühsam beherrschte Mienen … – – –

An der Haupttafel im großen Speisesaal saß Seine Exzellenz der Präsident von Patalonia zwischen den Gattinnen des englischen und des deutschen Gesandten.

Exzellenz trug Frackanzug …

Das weiße, volle, gescheitelte Haupthaar, der weiße Knebelbart, die buschigen weißen Augenbrauen und die jugendlich frischen Farben waren für ihn genauso kennzeichnend wie die schmalen, feinen Hände, um die ihn jede Dame beneidet hätte …

Wie er so mit liebenswürdigster weltmännischer Sicherheit mit der Gattin Lord Cornaroofs plauderte und zuweilen den ausdrucksvollen Kopf leicht nach dem Takte der temperamentvollen Militärmusik wiegte, hätte niemand in ihm das kaltherzige, berechnende, tückische Ungeheuer vermutet, das er in Wirklichkeit war …

Dann trat ein Diener hinter seinen Sessel, reichte ihm auf silberner Platte einen dreifach versiegelten Brief.

„Dringend, Exzellenz,“ flüsterte der Kammerdiener.

Armaro entschuldigte sich bei seiner Tischdame …

Und – erbrach den Brief, zog einen Zettel heraus, hielt ihn so, daß nur er den Inhalt lesen konnte …!

Funkchiffredepesche, aufgenommen neun Uhr fünfzehn Minuten. – Dechiffriert durch Doktor Paolo Ristero

Und dann folgte das, was der Geheimagent Alfonso Jimminez von Bord der Sphinx aus auf Welle 1600 ins Weite geschickt hatte: daß der Azorenschatz in der Grotte auf der Insel Christophoro lagere, daß er selbst sich den Insassen der Sphinx gefangen geben würde und daß Seine Exzellenz unverzüglich ein schnelles Schiff mit zuverlässigen Bewaffneten nach Christophoro senden solle – möglichst Seine Exzellenz Privatjacht, die am wenigsten Argwohn erregen würde … –

Als Don José Armaro diese Zeilen überflog, veränderte sich sein Gesicht kaum merklich …

Und doch brauste in seinem Innern ein Orkan von Gedanken …

Endlich wieder Nachricht über die Goldmilliarden und die Sphinx, die ihm als Erfindung von ungeheurer Tragweite mindestens ebenso wichtig war wie der Milliardenschatz …!

Er überlegte kurz …

Schrieb dann unter die Depesche ein paar flüchtige Bleistiftzeilen …

War noch nicht ganz damit fertig, als ein zweiter Diener einen weiteren versiegelte Brief brachte …

Armaro hörte mit Schreiben auf, las erst diese zweite Meldung:

‚Die vier am Tische überführt. Ihr Gespräch ist Wort für Wort mitstenographiert worden. – Aguilo’

Diesmal blitzten Armaros Augen einen Moment drohend auf …

Dann – schrieb er weiter …

Gab seinem Kammerdiener den Zettel und raunte ihm zu:

„Sofort – aufs schnellste!“ – –

Und eine Viertelstunde später …

Gerade als die verstörten vier Offiziere des Leibregiments noch immer die unheilvolle Vase anstierten.

Da … wurde jedem von ihnen durch einen Militärordonnanz eine versiegelte geheime Ordre überbracht …

Und die lautete bei allen gleich:

‚Sie haben sich sofort ohne alle weiteren Reisevorbereitungen von hier aus zum Hafen und auf die Jacht Seiner Exzellenz, die am Nordkai ankert, zu begeben. Dort werden Sie zu besonderer Mission Verwendung finden.

Der Kriegsminister
Ramon Silvio Torres’

Die Herren mußten den Empfang des Befehls schriftlich bestätigen. Dann verschwand die Ordonnanz wieder.

Major Carrigo erhob sich …

Stramm, aufrecht …

„Leben Sie wohl, meine Herren … Der Dienst ruft mich …“

Er ging …

Die anderen folgten …

Aber in der Garderobe trafen sie sich wieder …

Sie wußten genau, daß sie nun ständig beobachtet wurden, daß der Tiger Armaro bereits seine Krallen nach ihnen ausstreckte …

„Was tun?“ flüsterte Juan Aristo …

Der kleine Major schaute ihn an …

„Ob wir hier im Taxata sterben oder – – auf See … – Sterben werden wir! – Sie hatten doch recht, Aristo, als Sie uns warnten … Der Schuft war klüger als wir …! Ich für meinen Teil gehe an Bord der ‚Medusa’ …! Gehe ich nicht, werde ich verhaftet …!“

Und er warf den leichten weiten Umhang über die glitzernde Uniform, faßte an die Mütze und schritt der Haupttreppe zu …

Auch die beiden anderen Rittmeister und Mitverschworenen verließen einzeln den Palast.

Juan Aristo blieb am längsten in der Garderobe, strich vor einem der hohen Stehspiegel das Haar glatt und … entwarf Pläne – verwarf sie wieder …

Sein Hirn arbeitete mit Hochdruck.

Er wollte nicht sterben, wollte sich nicht beseitigen lassen – – Ellens wegen!

Er liebte sie …

Und wenn sie ihm auch bisher niemals irgendwie gezeigt hatte, daß sie seine Gefühle erwidere, so etwas wie Seelenfreundschaft bestand doch schon zwischen ihnen beiden!

Nein – er wollte leben …! Um jeden Preis! Er wollte dieses Verschwinden Ellens aufklären! Er mußte Ellen wiederfinden!

Dann plötzlich eine Erleuchtung …

Mister Rohrer Shelling, der angebliche neue amerikanische Gesandtschaftsrat …!

In Wahrheit ein Detektiv aus New York, sicherlich ein hervorragender Detektiv …!

Und – – Aristo verließ nun ebenfalls den Palast, schlenderte die Plaza al Triompho hinab und bog in die Rua Festina ein …

Und während er so dahinschritt, kritzelte er unter dem weiten Umhang rasch ein paar Zeilen auf ein Stück Papier, faltete es eng zusammen und rief dann ein Mietauto herbei …

„Zum Nordkai!“ befahl er …

Das Auto rollte davon …

Und als es unweit des Hafenbollwerks hielt, als Aristo bezahlte, da drückte er dem Chauffeur auch den Zettel und eine große Banknote in die Hand …

„Geben Sie das Papier noch heute dem amerikanischen Gesandtschaftsrat Roger Shelling! Und schweigen Sie!“

Darauf wandte er sich der Laufplanke zu, die das Deck der eleganten Jacht ‚Medusa’ mit dem Kai verband …

Die Planke wippte unter seinen Füßen …

Aristo lächelte gleichgültig, dachte: ‚Ich weiß, daß ich gefährlichen Boden betrete …!’

Dann trat ihm an Deck der Jacht deren Kapitän entgegen …

„Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Sennor Aristo.“

Die Treppe nun hinab in die prachtvoll eingerichteten Achterräume …

In den schmalen Gang zwischen den Kabinen …

Und … hier sah Aristo vor drei Kabinentüren je zwei Matrosen mit Karabinern im Arm Wache halten …

Der Kapitän öffnete eine Tür …

In dieser Kabine warteten zwei weitere bewaffnete Matrosen, traten nun in den Gang hinaus …

Der Kapitän der Jacht, Offizier der patalonianischen Kriegsmarine im Range eines Admirals, drückte die Tür zu und … zeigte Aristo einen vom Präsidenten unterzeichneten Haftbefehl.

„Ihren Säbel!“ sagte er dann barschen Tones.

Aristo hakte den Säbel los …

„Bitte …“

„Sie sind hier Gefangener! Richten Sie sich danach!“ – Und der Admiral, ein reinblütiger Patalonianer, das heißt ein Mulatte, stelzte hinaus, schloß die Tür von außen ab … –

Zehn Minuten später glitt die ‚Medusa’ aus dem Hafen in den dunklen, nächtlichen Atlantik hinein – mit fünfundzwanzig Knoten Geschwindigkeit gen Osten – gen Christophoro …

 

85. Kapitel.

Ein seliges Paar …

Gen Osten … gen Christophoro …

Der Schatzinsel entgegen …

Unaufhaltsam durchschnitt der scharfe Bug der großen eleganten Jacht des Präsidenten die Wogen des Atlantik … An Bord zwei Dutzend Matrosen, die Seine Exzellenz blind ergeben waren … An Bord auch vier Gefangene, die Opfer von Exzellenz Armaros überlegener Schlauheit … –

Und … gen Westen – gen Christophoro …

Der Schatzinsel entgegen …

Unaufhaltsam durchschnitt der spindelförmige Leib der Sphinx des Grafen Viktor Gaupenberg den klaren Äther in hohem Fluge … An Bord all die uns lieb gewordenen Menschen, die für den Azorenschatz kämpften … An Bord auch die neun Halbmenschen, die Homgoris, unter Führung des klugen, treuen Murat, Agnes Sandens Leibwache …

Und die Jacht ‚Medusa’ und das Luftboot Sphinx nun gleichsam im Wettrennen miteinander, wer die einsamen Gestade zuerst erreichen würde, in einem Wettrennen, von dem keine der beiden Parteien freilich etwas ahnte …

Nur einer der Kämpfer, der Treueste der Getreuen, fehlte an Bord der Sphinx: Steuermann Georg Hartwich, der nun unten in der unterirdischen märchenhaften Welt der Riesengrotte mit Ellen Barrouph vereint dem Kerker auf der Insel entflohen war. –

Während die Sphinx so ihren Weg durch die Lüfte nahm, nachdem man beschlossen hatte, weder auf Baru und die zwei noch fehlenden Affenmenschen zu warten, noch etwa Lomatz und den verräterischen Rovenna gefangen zu nehmen, was doch nur gewaltsam und mit Blutvergießen hätte geschehen können, – während nun die Sphinx also dem fernen Ziele zuflog, wurde in der Hauptkabine des Bootes unter dem Vorsitz Gaupenbergs ein allgemeiner Kriegsrat abgehalten.

In der Kabine waren mit Ausnahme Agnes Sandens und Mela Falz’, die im Führerstand die Steuerung des Bootes besorgten, alle übrigen Insassen versammelt, sowie als Vertreter der Homgoris auch Murat, dieser hochintelligente, kräftige und zuverlässige Leiter der Horde der Halbtiere, denen man als vorläufigen Aufenthalt das Achterdeck angewiesen hatte, wo sie eng nebeneinander auf den Deckplanken kauerten …

Um den langen schmalen Tisch saßen die Teilnehmer an diesem Kriegsrat herum: Gaupenberg, rechts von ihm Doktor Falz, dann Gottlieb Knorz, Pasqual Oretto und … Murat, der Homgori.

Soeben hatte Doktor Falz, der die ganzen letzten Ereignisse und die Gesamtlage in längerer Rede beleuchtet hatte, seine Ansprache mit den Worten geschlossen:

„Bedenken wir also, daß unsere beiden Hauptgegner Lomatz und Jimminez wieder frei sind und daß niemand von uns mit Sicherheit behaupten kann, die Fürstin Sarratow sei tatsächlich in den Flammen umgekommen. Wir stehen also vielleicht wieder den selben drei Gegnern gegenüber, die vor Wochen diesen gigantischen Kampf gegen uns begonnen haben. Besonders betone ich nochmals, daß Jimminez und Lomatz wissen, wo der Milliardenschatz sich jetzt befindet, in der Höhle von Christophoro! – Ich würde mithin vorschlagen, daß wir zunächst die Goldkisten wieder anderswohin schaffen und dann nach unserem Freunde Hartwich suchen. Ich hoffe bestimmt, daß wir ihn finden werden. Haben wir ihn wieder wohlbehalten an Bord, so landen wir an einer einsamen Stelle der Ostküste Südamerikas in der Nähe einer größeren Hafenstadt. An dieser Stelle bleibt die Sphinx, bis zwei von uns durch Vermittlung des deutschen Generalkonsuls sich mit der deutschen Regierung zwecks Übernahme des Goldes ins Einvernehmen gesetzt haben. – Dieser mein Vorschlag bietet den Vorteil, daß sowohl die Sphinx als auch der Schatz für unsere Feinde gleichsam vom Erdboden verschwinden, bis eben die Verhandlungen mit der deutschen Regierungs zum Abschluß gelangt sind, die ja, um das Gold vor dem Zugriff der Entente zu schützen, in größter Heimlichkeit geführt werden müssen.“

„Bravo!“ rief Pasqual, der Taucher, da … „Bravo – der Vorschlag gefällt mir! Und da ich annehme, daß auch niemand dagegen etwas einwenden kann, möchte ich als früherer Seemann gleich auch einen sicheren und versteckten Liegeplatz für die Sphinx näher bezeichnen. Es gibt da in der Nähe von Taxata, der Hauptstadt der Republik Patalonia, eine sehr tiefe, sumpfige Meeresbucht, die wegen ihres ungesunden Klimas in weitem Umkreis unbewohnt ist. Im Westwinkel dieser Bucht erhebt sich aus Schilf- und Rohrfeldern eine Bergkuppe, die etwa dreihundert Meter Höhe hat, oben bewaldet und ganz unzugänglich ist. Die schädlichen Ausdünstungen der Sümpfe reichen bis zu dieser Bergkuppe nicht empor. Wir können dort also in voller Sicherheit wochenlang leben. Ich habe diesen Berg vor vielen Jahren einmal besucht, weil wir Wildgänse in den Sümpfen schießen wollten. –

Dieses Versteck bietet wie gesagt den großen Vorteil, daß die Hauptstadt Taxata nur etwa zehn Meilen weiter nördlich liegt. In Taxata hat ja ein deutscher Gesandter seinen Amtssitz, und so könnte Grab Gaupenberg mit diesem Herrn die geheimen Verhandlungen einleiten.“

Gottlieb Knorz meldete sich jetzt zum Wort.

Er hatte sich von dem Sturz vom Deck der Sphinx herab schon wieder leidlich erholt, sprach allerdings noch etwas stockend …

Er erinnerte daran, daß gerade die Republik Patalonia die Heimat des gefährlichen Jimminez sei und daß doch die ersten Abschnitte des ungeheuren Ringens um die Goldmilliarden deutlich die Einmischung patalonianischer hoher Beamter hätte erkennen lassen …

„Ob es also ratsam ist, daß unser Unterhändler gerade Taxata besucht, erscheint mir daher recht fraglich,“ schloß er seine große Rede.

Graf Gaupenberg erhob sich jetzt.

„Mein lieber Freund Gottlieb,“ begann er, „hat soeben Einwendungen gegen Pasquals Vorschlag erhoben, die gewiß ihre Berechtigung haben. Und doch glaube ich, daß er die Patalonianer insofern überschätzt, als sie für uns als Feinde kaum mehr in Betracht kommen dürften, wenn wir die Kisten mit dem Golde und die Sphinx mit ihren Insassen an zwei verschiedenen Orten sicher verborgen haben …“

Pasqual und Doktor Falz nickten eifrig.

Gaupenberg fuhr fort: „Ich denke, wir handeln also gemäß dieser beiden Vorschläge. Es fragt sich nur noch, wo soll der Schatz vorläufig untergebracht werden?“

Pasqual erwiderte sofort in seiner bedächtigen Art.

„Am sichersten wäre es, wir trügen die Kisten wieder in das Wrack des U-Bootes hinein, das ja noch immer auf der kleinen sandigen Lichtung der Insel Christophoro ruht. Dann hebt die Sphinx, wie schon einmal, das U-Boot an Stahltrossen empor und trägt es mitten in die Brandung der Insel hinein, wo wir es zwischen den Riffen versenken. Die Stahltrossen bleiben am Bootskörper von U 45 befestigt, und kleine Bojen in Form unauffälliger leerer Tonnen werden an die freien Enden der Trossen angebunden, so daß wir später schnell in der Lage sind, die Trossen wiederzufinden und U 45 erneut zu heben. Da bekanntlich die Brandung an den Riffgürteln von Christophoro nie zur Ruhe kommt, weil drei verschiedene Meeresströmungen sich gerade dort kreuzen, ist es jedem Uneingeweihten unmöglich, diesen Stahlbehälter der Goldmilliarden zu entdecken und an den Schatz heranzukommen.“

Gaupenberg war einverstanden. Auch Gottlieb Knorz gab jetzt seine Bedenken auf, und in angeregter, froher und zuversichtlicher Stimmung schloß dieser Kriegsrat, bei dem nur eins von den Teilnehmern nicht hatte berücksichtigt werden können, weil eben niemand dies eine ahnte, daß Exzellenz José Armaro, Präsident der Republik Patalonia, bereits seine gierigen Hände nach den Goldmilliarden ausgestreckt hatte …! –

Kaum war die Beratung zu Ende, bei der in Viktor Gaupenbergs Herzen immer wieder ganz besondere sehnsüchtige Wünsche aufgestiegen waren, als er auch schon in den Führerstand eilte, um hier den beiden jungen Mädchen von den Entschlüssen der Versammlung Mitteilung zu machen.

Agnes, die liebliche, blonde Agnes, fand dieses Ergebnis der Beratung überaus günstig und zweckmäßig. – Weniger zufrieden war Melanie Falz. Sie, die den Präsidenten von Patalonia nur zu gut kannte, die ein Jahrzehnt als Adoptivtochter Don José Armaros im Palast in Taxata gelebt und dann die ganze brutale Heimtücke des Despoten am eigenen Leibe erfahren hatte, sie glaubte als Freundin all dieser braven Männer, die für den Azorenschatz schon so und so oft ihr Leben eingesetzt hatten, nur ihre Pflicht zu tun, wenn sie jetzt vor Exzellenz Armaro nachdrücklich warnte.

Da betrat auch Doktor Falz den Führerstand.

Er hörte die letzten Sätze seines Kindes, das er nun endlich nach so vielen Jahren wiedergefunden hatte, mit an und erwiderte ihr nun in jenem leisen, prophetischen Tone, den er stets in Momenten halben Weltentrücktseins anzuschlagen pflegte:

„Mein Kind, den vorbestimmten Lauf der Dinge kann niemand ändern! – Fator nannte ich mich dort auf dem in Flammen aufgegangenen Dreimaster … Fator, abgeleitet von Fatum, das Schicksal! – Nein – diesem Fatum entrinnt niemand! Wie der Weg der Gestirne nach ewigen, unwandelbaren Gesetzen geordnet ist, genau so ist der Menschen Lebensbahn eine längst vorbereitete Straße, auf der wir Erdenbürger dahinwandeln müssen! Müssen! Nur eins können wir tun – den Hindernissen ausweichen, die auf dieser Straße aufgetürmt sind, das heißt, unseren Verstand dazu benutzen, alles widrige zu meiden! Und – das geschieht jetzt hier nach reichlichem Überlegen auch hinsichtlich der Goldmilliarden. Wenn Armaro in diesem Ringen um den Schatz eine Rolle spielen soll, wenn also seine Lebensstraße zu diesem Schatze führt, dann – sind wir machtlos! Wir haben getan, was in unseren Kräften steht! Und – dabei wollen wir es bewenden lassen.“

Mela schwieg. Aber in ihrem Inneren fühlte sie plötzlich etwas wie eine dumpfe, düstere Vorahnung trauriger Geschehnisse.

Sie schmiegte sich an ihren Vater, und Arm in Arm standen sie nun hier allein in dem runden Raume mit den weißen Marmorschaltbrettern, den blitzenden Apparaten und dem großen Spiegel, auf dem das Sehrohr des Mittelturmes das Bild der Außenwelt so getreulich wiedergab.

Gaupenberg hatte Agnes leise gebeten, ihm eine Unterredung in ihrer Kabine zu gewähren.

Agnes hatte nur freundlich den Kopf geneigt und war ihm vorraus in den schmalen Schiffsgang getreten.

Als auch dann Gaupenberg aus dem Führerstand verschwunden war, hatte Doktor Falz mit gütigem Lächeln zu Mela gesagt:

„Mela, die beiden werden sich jetzt völlig aussöhnen … Sie waren einst ein glückliches Brautpaar, bis Mafalda Sarratows Intrigen sie auseinander brachten … Die Liebe wird ihren Einzug in die Sphinx halten, die göttliche Liebe, das hehre Sichvereinen der Geschlechter, die göttliche Saat kommender Generationen!“ Und mit einem Blick nach oben – ins Weltall hinauf: „Mögen die ewigen Gestirne die beiden schützen! Denn – – ob das Fegefeuer der Prüfung dieser Liebe schon gänzlich erloschenen, – wer will es wissen?!“

Mela lehnte sich noch enger an ihn …

Flüsterte scheu:

„Vater, mir ist so bang …! Ganz so, als ob schon die nächsten Stunden uns Schmerzliches bringen werden. Ich … fürchte mich vor diesem heißen Lande, vor Patalonia, vor … Armaro …!“

Doktor Falz strich ihr zärtlich über das rotblonde Haar …

„Mein Kind, fürchten … fürchten soll niemand das Dunkle, was wir Zukunft nennen. Nur … bereit sein soll jeder zu jeder Minute, wach sein, damit er die Hindernisse seiner Lebensbahn rechtzeitig erkennt …! Das ist unsere Pflicht! Alles andere … liegt bei den ewigen Gestirnen!“

Und er küßte ihre Stirn …

Dann wandte er sich dem Kompaß zu und prüfte, ob die Sphinx auch noch den richtigen Kurs hielt – gen Christophoro.

In Agnes’ kleiner Kabine stand Gaupenberg vor dem geliebten Mädchen, hatte ihre beiden Hände in den seinen und sprach leise und flehend in heißem Werben auf sie ein …

„Agnes, wenn je ein Mensch Stunden härtester Prüfung durchgemacht hat, dann bin ich’s … – Agnes, als dort im Turm des nun niedergebrannten Observatoriums die Flammen und der Rauch mich und Mafalda immer drohender umtobten, da hat die Fürstin wiederholte versucht, in dieser Todesnot mich vollends zu umgarnen … Und da – habe ich trotz des Fiebers, das in meinen Adern raste, nur immer dich – nur dich vor mir gesehen … Da … ist meine Liebe zu dir gleichsam in den Flammen neu geboren worden … Da ist all das, was ich dir einst angetan, zu Asche geworden – – in meinem Inneren! Und nun, Agnes, – nun zeige auch du, daß du großmütig sein und völlig vergessen kannst!“

Seine Augen flehten …

Seine Hände waren kalt vor Erregung. Seine Stimme vibrierte …

Da … schmolz auch die letzte herbe Kälte in Agnes’ Herzen vor diesen sehnsüchtigen Sonnenstrahlen eines starken, echten Empfindens dahin …

Mit einem leisen Aufschluchzen legte sie Gaupenberg die Arme um den Hals …

„Ich … liebe dich … Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben …!“

Wie ein Jubelruf diese Worte …

Und ihre Lippen fanden sich in langem Kuß reinsten Glückes … –

Dann saß sie auf seinem Schoße, hatte den Kopf an seine Brust gebettet …

„Agnes,“ flüsterte er, „meine Agnes, vielleicht nur noch wenige Tage, und wir sind für immer vereint … Wir beide und der treue Gottlieb werden verkleidet nach Taxata wandern und dann dort vor dem deutschen Gesandten … ein seliges, junges Paar werden. Im Ausland haben ja die deutschen amtlichen Vertreter die Befugnis, als Standesbeamte zu wirken. Die nötigen Papiere habe ich hier auf der Sphinx. Der deutsche Gesandte wird uns kaum Schwierigkeiten in den Weg legen … – Agnes, meine Agnes, bist du einverstanden …“

Und sie bog den Kopf etwas zurück, schaut ihn an …

Eine Welt von Liebe lag in ihrem Blick …

Dann – küßte sie ihn …

Das war ihre Antwort …

Ein heißer Kuß voll bräutlicher Hingebung …

„Du – du …!! Nur noch Tage …!! Und dann werden wir in Taxata Hochzeit feiern … Agnes, Agnes – dort im Lande der Palmen, dort, wo die Natur alles so überreich begnadet hat …“

Ein … harter Finger pochte von außen an die Kabinentür …

Die beiden Glücklichen fuhren auseinander …

Gottlieb Knorz trat ein …

„Herr Graf,“ meldete er hastig, „Doktor Falz hatte soeben den Antennenmast der Sphinx zur Probe emporgewunden, um die Funkeinrichtung zu prüfen. So fing er denn gerade noch das Ende einer Depesche auf, die auf Welle 1600 von der Küstenstation von Fontmaka auf San Miguel abgesandt worden ist. Hier hat er diese Depesche niedergeschrieben, Herr Graf … Bitte …“

Und er reichte ihm einen Zettel.

Gaupenberg und Agnes überflogen die Bleistiftzeilen …

‚ … rate ich, sehr vorsichtig zu sein, da die Sphinx fraglos vorher die Insel erreichen wird. – Alfonso Jimminez.’

Gaupenbergs Stirn umwölkte sich …

„Ah – also Jimminez schon wieder an der Arbeit.!! – Komm, Agnes, besprechen wir mit Falz, was er von diesem Funktelegramm hält …“

Dann nahm er Agnes bei der Hand, sagte zu dem treuen alten Diener:

„Gottlieb, du kannst uns beiden Glück wünschen … Wir sind wieder ein Brautpaar wie einst … Und hoffentlich bald ein seliges … Ehepaar!“

Dem braven Alten traten Tränen in die Augen …

Schluckend vor Rührung stammelte er:

„Endlich – – endlich …!!“ Und er griff nach den beiden vereinten Händen der Liebenden, legte noch seine hagere sehnige Rechte darauf und flüsterte:

„Gott schütze euch …! Gott schütze euch …!!“ –

Im Führerstand aber meinte zur gleichen Zeit Doktor Falz sehr ernst zu Mela und Pasqual Oretto:

„Aus diesem Schluß der Depesche geht klar hervor, daß noch ein anderes Fahrzeug nach Christophoro unterwegs ist, eben ein Fahrzeug, das nach Jimminez’ Ansicht später als wir dort eintreffen wird. – Welch ein Schiff kann das sein? Wem galt die Depesche?“

Da erschienen auch schon Gaupenberg, Agnes und Gottlieb im Führerstand …

Nach kurzer Aussprache setzte Gaupenberg sich an das Tischchen mit den Funkapparaten, stülpte den Kopfhörer über und schaltete den kleinen Sender ein …

Auf Welle 1600 funkte er nun, um den Empfänger der Depesche auf diese Weise vielleicht zu ermitteln, ein zweites kurzes Telegramm in spanischer Sprache auf gut Glück ins Weite – immer wieder denselben Text:

‚Wann werdet Ihr voraussichtlich die Insel erreichen? – Jimminez.’

… Nach fünf Minuten die Antwort:

‚Achtung! ‚Medusa’ dürfte elf Uhr abends in Sicht der Insel sein. Admiral Torresco.’

Kaum hatte Gaupenberg dies den Anwesenden laut vorgelesen, als Mela auch schon entsetzt ausrief: „Die ‚Medusa’ ist die Privatjacht des Präsidenten Armaro! Und Admiral Torresco ist der Kapitän des Schiffes, ein Mulatte, der fast ebenso gefürchtet wird wie Armaro selbst! Ein blutgieriges Scheusal, ein Mensch ohne jedes Gewissen!“

Gaupenberg hatte sich etwas verfärbt. Er erkannte die ungeheure Bedeutung dieser Antwortetdepesche …

Und sagte doch kalt und gelassen:

„Erst um elf Uhr abends! Und wir werden die Insel spätestens um sechs Uhr nachmittags erreichen! Wir haben dann also noch fünf Stunden Zeit! Die genügen uns! Um elf Uhr wird U 45 samt dem Golde in der Brandung ruhen, und unsere Sphinx wird dann bereits nach der sumpfigen Bucht unterwegs sein …!“

„Und – – Georg Hartwich?!“ meinte Doktor Falz leise. „Ob wir Georg Hartwich wohl so schnell finden werden?!“ …

 

86. Kapitel.

Mario Lopez, der Mönch.

„Frei, Ellen … – wir sind frei!“ flüsterte Hartwich nochmals seiner Gefährtin zu, mit der er nun am Fuß des mächtigen Felswürfels mitten unter den Steinblöcken stand, die hier überall umherlagen.

Ellen Barrouph schmiegte sich an ihn …

„Georg – wir sind leider noch nicht frei! Sie vergessen, daß wir uns hier auf einer Insel befinden, daß uns kein Boot zur Verfügung steht, um den See zu durchfahren! Und dann – wie sollen wir überhaupt diese Grotte verlassen?! Sie sagten mir doch, daß Sie von oben durch eine Öffnung der Felsdecke hier in den unterirdischen Seen hinabgestürzt sind! Wie also sollen wir zu dieser Öffnung emporklimmen, selbst wenn wir ein Boot zur Verfügung hätten …?!“

Hartwich lachte leise …

„Ellen, wer viel bedenkt, kommt nie zum Ziel! Handeln ist alles – handeln! Das weitere findet sich schon – eins nach dem anderen!“

In tiefer Finsternis standen sie hier …

Die Fackel hatte Ellen unten in der Felsspalte festgeklemmt, durch die sie den Weg hier nach oben genommen hatten. Nur ein schwacher Lichtschein der qualmenden Flamme fiel durch den Ausgang der Spalte auf die nächste Umgebung.

„Ja, Ellen, – eins nach dem andern!“ fügte der Steuermann energisch hinzu. „Und zunächst werden wir nun wieder in die Grotten hinabsteigen und einmal sehen, was der Besucher dort unten gewollt hat, der die Metalltür so dröhnend öffnete und wieder schloß – die … goldene Tür, Ellen, denn ich bleibe dabei, das Metall ist Gold!“

Ellen Barrouph umklammerte seinen Arm …

„Hinabsteigen, Georg …?! Nochmals dort hinab, wo ich drei volle Wochen eingekerkert gewesen?! – – Georg, wenn uns dort irgendeine Gefahr erwartet?! Wenn dort vielleicht jene Menschen auf uns lauern, die ich immer nur drüben am andern Ufer des Sees in verschwommener Ferne vor den hellen Märchenpalästen beobachtet habe …?!“

„Dann – warten Sie hier auf mich, Ellen,“ erwiderte Hartwich wie tröstend. „Bleiben Sie nur getrost hier zwischen den Felsblöcken … Ich werde mich schon meiner Haut wehren, wenn mich jemand überfallen sollte! Doch – das wird unnötig sein. Ich bin überzeugt, nur der schweigsame greise Mönch ist dieser späte Besucher der Grotten gewesen. Vielleicht hat er uns sprechen wollen, vielleicht wäre es besser gewesen, wenn wir uns gemeldet hätten … – Doch – die Zeit drängt! Auf Wiedersehen …! Und nur Mut, Ellen …! Georg Hartwich hat noch vier Schuß in seiner Pistole, und dann diese seine Fäuste!“

„Ich … ich komme mit!“ entschied sie rasch. „Ich lasse Sie nicht allein gehen, Georg …“

Und etwas wie Zärtlichkeit klang in ihrer vollen Stimme mit.

Der Steuermann kletterte voran.

Da er noch zwei lange Stücke des harzigen Holzes der Bettstatt als Ersatzfackel bei sich hatte, zündete er nun eins dieser Stücke an …

So gelangten sie denn wieder in das weite Höhlenlabyrinth hinab.

Vorsichtig schlichen sie dem Hauptgang zu. Ellen Barrouph trug die Fackel, verdeckte sie, ihre Röcke breitziehend, damit kein allzu greller Schein nach vorn fiele.

Unangefochten kamen sie bis zur Steintreppe, neben der Ellens Wohngemach sich befand.

Immer wieder lauschten sie mißtrauisch …

Immer wieder …

Doch – nichts Verdächtiges …

Hartwich flüsterte:

„Beleuchten Sie den Raum, Ellen … Ich bleibe dabei …: Der Mönch war hier! Vielleicht ließ er uns eine Mitteilung zurück …“

Dann … rief er schon:

„Dort … Dort an der Wand … Ellen – ich hatte recht … Eine Steinplatte – mit Kreide beschrieben … Spanische Sprache … Ich werde vorlesen … Näher mit der Fackel, Ellen … näher!“

Und – – er las:

‚Ich, Mario Lopez, Pater der Brüderschaft vom Heiligen Berge, geriet vor fünfzig Jahren hier in dieser unterirdischen Welt in die Gefangenschaft der Nachkömmlinge jener Azteken, die einst von Cortez ihrer Reichtümer wegen zu Tausenden niedergemetzelt wurden, und von denen eine kleine Schar hier dieses unterirdische Reich gründete. Ich selbst, ein Opfer der Heimtücke Don José Armaros, mußte den Indianern schwören, nie wieder diese unterirdische Welt zu verlassen und, falls Europäer hierhergelangten, nichts von den Geheimnissen dieses Reiches durch meine Zunge zu verraten. Deshalb diese schriftliche Mitteilung.

Ihr beide, die ihr euch hier zusammengefunden habt, – – flieht – – flieht, so schnell ihr könnt. Übermorgen schon wird drüben in der Stadt das große Fest des blutdürstigen Gottes Vitzliputzli gefeiert – wie einst, so noch jetzt mit Menschenopfern!

Flieht!! Ihr werdet im dritten Gange neben der Hauptröhre eine schmale Spalte finden, die euch ins Freie führt. Am Ufer dieses Inselchens habe ich einen Nachen verborgen. Rudert damit lautlos nach der Ostseite des Sees, wo eine Landzunge sich in den See vorschiebt. Dort steigt aus, und ihr werdet am Ende der Halbinsel eine Treppe finden, die durch einen Schacht empor an die Oberwelt von Christophoro führt und in einem Dornendickicht mündet.

Mein Segen ist mit euch! – Ihr seid die ersten, die sich retten konnte …

Mario Lopez’

Nochmals überlas Hartwich diese Kreidezeilen. Dann wischte er die Schrift mit dem Ärmel aus und meint jubelnd:

„Ellen, – wir werden die Oberwelt wiedersehen! Ellen – ich werde meine Freunde wiederfinden!! – Vorwärts, Kameradin …! Vorwärts! Und – Dank sei diesem greisen Pater, der hier ein Menschenalter schon als Gefangener schmachtet!“

Ellen Barrouphs Augen hatten sich mit Tränen gefüllt …

Der Gedanke, nach diesen trostlosen, verzweiflungsvollen, endlosen Tagen düsterer Kerkerhaft wieder die frische Luft der freien weiten Welt dort oben atmen zu dürfen, heimzukehren zu ihren Eltern nach Taxata und wieder aufzuleben in Freiheit und Sicherheit, – all das trieb ihr die heißen Tropfen in die Augen …

Mit tränenumflortem Blick nahm sie jetzt Abschied von diesem Raume, in dem sie drei Wochen, halb irr vor grenzenlosem Leid, und doch auch stark und mutig immer wieder auf Rettung gehofft hatte …

Der Retter war gekommen: Georg Hartwich, ein schlichter deutscher Seemann, ein Mensch mit goldenem Herzen!

Und dieser Retter nahm Ellen nun sanft bei der Hand …

„Gehen wir, Kameradin …! Gehen wir!“

Sie folgte ihm. Ein köstliches Gefühl des Geborgenseins war in ihr …

Langsam kletterten sie dann wieder in der Spalte empor …

Gelangten zwischen die Steinblöcken – ins Freie …

Vorhin hatte noch tiefste Finsternis drüben über dem weiten See gelagert …

Jetzt blitzten dort oben in der Ferne, wo in der Höhlendecke die durch die Explosion entstandene Öffnung sich befand, zahllose Fackeln …

Zahllose flackernde Lichtpünktchen …

Schwebten in der Luft …

Schwangen hin und her …

Dicht unter der Höhlendecke …

Ganz dicht …

Ihr Glanz traf den Spiegel des Sees …

Und der See flimmerte hell wie im Mondschein …

Georg hatte Ellen auf einen der Blöcke hinaufgeholfen. Von hier oben konnten sie nun das seltsame Bild besser überschauen …

Zuweilen spritzte das Wasser des Sees hoch auf …

Dann – hatte man Hartwich begriffen, was dort vorging …

„Die Azteken schließen das Loch in der Höhlendecke,“ flüsterte er. „Sie wollen ihr unterirdisches Reich wieder unzugänglich machen, wie es vor der Explosion gewesen … Die Fackeln in der Luft werden von Leuten gehalten, die an Stricken hängen …“

„Und – wir?!“ Ellen lehnte sich an ihn. „Jetzt können wir nicht über den See rudern… Wir würden gesehen werden … Und dann …?!“

Hartwich ward es seltsam zu Mute.

Er fühlte, für Ellen Barrouph war er nicht mehr allein der Retter, der Kamerad! Und auch in seinem Innern war mit einem Schlage das Neue, Rätselhafte, das große Rätsel der Allmacht Liebe aufgegangen!

Flüchtig nur noch, wie an einen Traum aus fernen Tagen, gedachte er der armen Silvia Gonzalez, dieses jungen Weibes, das Jahrhunderte wie im Zauberschlaf gelegen und dann … der Liebe Seligkeit nur eine so winzige Spanne Zeit hatte kosten dürfen, die in Staub zerfallen, dort oben auf Christophoro bestattet lag …

Silvia war nicht mehr …

Das Leben den Lebenden – die Liebe den Kraftvollen, Gesunden, auf daß das Wort erfüllt werde: Seid fruchtbar und mehret euch! –

Ellen lehnte an seiner Schulter …

Ellen Barrouph, einziges Kind John Barrouphs, des Gesandten der Vereinigten Staaten in Taxata … – Und Ellens Haar duftete … Ihr junger Leib duftete ihm entgegen… Frühlingshauch der Liebe umwehte ihn …

Langsam legte Georg Hartwich den Arm um Ellens Schultern …

Sie erschauerte …

Und sie anblickend flüsterte er:

„Das Schicksal hat uns hier zusammengeführt … Ein paar Stunden kennen wir uns erst, und wissen doch, was wir voneinander zu halten haben, … daß wir Naturen sind, die sich ergänzen …“

Sein Flüstern wurde leidenschaftlicher …

„Ich … gebe dich nicht mehr her, Ellen … Niemals mehr …! Du gehörst mir … Ich habe dich erobert …“

Sie erschauerte …

Und der ferne, ferne Lichtschein der zahllosen Fackeln lag auf ihrem Antlitz wie das schwache Leuchten der Morgenröte …

Sie hob den Kopf …

„Ich … gehöre dir, Georg …,“ sagte sie leise und bestimmt. „Ich … liebe dich! Nur dich! Und diese Liebe hat von mir Besitz ergriffen wie der Sturmwind, der das Innerste aufwühlt … – Georg, ich habe noch nie geliebt … Ich wartete … Wir Amerikanerinnen sind merkwürdig romantisch veranlagt … und doch Kinder des nüchternsten, prosaischten Landes der Welt. –

Ich wartete … und ich hatte mir schon immer ausgemalt, daß mir einmal ein Mann unter ganz besonderen Umständen begegnen würde, der mir wie die Personifikation von Mut und Energie vorkommen müßte … – Georg, ich habe diesen Mann gefunden …“

Und ohne Ziererei, so recht als freies Weib, das sich seiner Bestimmung zur Liebe bewußt ist, legte sie ihm die Arme um den Hals und küßte ihn …

Immer wieder küßte sie ihn…

Das Gefühl beglückenden Geborgenseins ward verdrängt von der Seligkeit schrankenloser Hingabe … –

Georg merkte an ihrer innigen, tiefen Zärtlichkeit, daß er sich nicht getäuscht hatte. Ellen Barrouph war eine Vollnatur, war keusch in ihrem ganzen Sichgeben und doch liebendes, begehrendes Weib …

Anders als Silvia war sie … Silvia hatte vielleicht geahnt, daß ihr Glückstraum nur Tage währen würde … hatte ihm die Lippen wund geküßt, hatte nach Liebe gelechzt wie eine Verschmachtende …

Und hier nun – Ellen, Ellen, die in seinen Armen lag, die seine Wangen streichelte, sein Haar …

Die ihm leise, liebe Worte zuraunte …

Die – in allem … Dame blieb und doch Weib mit wachen Sinnen war …

Bis drüben über dem See mit dumpfem Getöse wieder eine Steinlawine hinabsauste …

Und der Widerhall sich fortpflanzte in der Riesenwölbung dieses unterirdischen Aztekenreiches – bis donnernde Echos die Sinne zum Schweigen brachten …

Hand in Hand nahmen Ellen und Georg den Weg zum Inselstrande …

Nur die fernen zahllosen Pünktchen leuchteten ihnen.

So fanden sie die Barke, die der gütige Mönch für sie hier zurückgelassen.

„Wir werden hart am Seeufer entlang rudern,“ sagte der Steuermann zu Ellen. „Dann kann man uns nicht bemerken.“

Er schob die kleine Barke mit dem freien Blattruder ins offene Wasser. Ellen saß am Steuer. Und langsam glitt der Nachen davon – nach Norden zu – um den See … weiter und weiter …

Die Fackeln drüben lohten noch immer.

Noch immer mühten sich die Bewohner dieser unterirdischen Welt, die Öffnung zu verschließen.

Ellen träumte vor sich hin.

Lautlos schlich die Barke durch das stille Wasser …

Und Ellen Barrouph dachte an Taxata …

Mußte an Taxata und den armen schlanken Rittmeister Juan Aristo denken, der sie stets so zart umworben hatte, den sie ihren Freund genannt …

Armer Juan! Nie – niemals hätte sie ihm mehr als Freundschaft schenken können …

Nun – hatte sich ihr Weibesgeschick erfüllt … Sie war nicht mehr Ellen Barrouph. Sie gehörte Georg – ihrem Georg …

Und sie lächelte verschämt und selig …

Das Lächeln … der Erfüllung …

Leise gurgelte das Wasser am Bug der Barke …

Wie Stimmen, die aus der Tiefe empordrangen …: „Ellen – Georg – – Ellen – – Georg …“

Sie … lächelte …

Das Lächeln seligen Glücks …

Um sie her war die Dunkelheit … Und in ihrem Herzen das strahlende Licht der gewährenden Liebe …

So genoß Ellen Barrouph diese nächtliche Fahrt.

Dann ein leichter Stoß …

Die Barke lag still … Und Ellen erwachte aus innigem Träumen …

„Die Halbinsel,“ flüsterte Hartwich. „Rasch deine Hand, Ellen … Das Ufer ist steil …“

Nun stand sie neben ihm …

Und jetzt hatten sie all die flackernden Lichtlein im Rücken …

Noch mehr waren dazugekommen: Barken, die den See belebten … Ruderer, die in der Linken Fackeln trugen …

„Weiter!“ sagte Georg gepreßt … „Mir scheint, man hat unsere Flucht entdeckt … Hörst du diese Töne? … Signalhörner! Und welch voller, reiner Ton … Nur Gold schwingt in so reinen Klängen…“

Er hob sie empor, trug sie …

Steinig war der Boden der Halbinsel, – voller Risse …

Und nur tastend setzte er stets den Fuß auf …

Schritt für Schritt …

Wie ein Orgelkonzert hinter ihnen das Tönen vieler, vieler Trompeten …

Der Steuermann eilte schneller hin …

Bis der unsichere Fuß die erste Treppenstufe fühlte.

Empor ging’s nun …

Hinein in den Schacht, der zur Oberwelt lief …

Um viele Biegungen der Steintreppe …

Bis jählings von oben flackernder Schein glostenden Holzes die Flüchtlinge in grelles, verräterisches Licht tauchte …

Bis von oben her ein Geheul die Schachtwände entlangglitt, wie aus den Kehlen tausender Teufel …

Ellen zitterte …

„Verloren, Georg …!“

„Niemals!“

Und zurück sprang er – die Stufen abwärts …

Und hinter ihnen eine Woge braunroter Leiber …

Näher … näher …

Die Pistole drückte der Steuermann seinem Weibe in die Hand …

Ellen feuerte …

Drei … vier Schüsse …

Fackeln rollten zu Boden … Menschen rollten hinterdrein …

Die Woge stockte …

Das Echo hallte wider wie eine Kanonade, ließ die Hörner verstummen …

So – – entkamen die beiden, die der Liebe Band für immer vereint hatte … Entkamen in die unbekannte dunkle Felswildnis neben der Halbinsel.

 

87. Kapitel.

Die beiden Scheiterhaufen.

Die Sphinx jagte gen Osten – in zweitausend Meter Höhe, nur ein heller Punkt, der im endlosen Äther schwamm.

Die beiden mächtigen Propeller brummten das dumpfe Lied ihrer ungeheuren Tourenzahl. Ein Sturmwind schien über das Deck hinwegzufegen. Und doch war es nur der Luftzug ihrer rasenden Geschwindigkeit.

Tief zusammengeduckt kauerten die neun zottigen Gestalten der Homgoris hinter der Reling, die ihnen den Orkan abfing.

Mitten unter ihnen der kluge Murat, der Führer der Leibgarde der weißen Miß Agnes, die sie alle verehrten.

Schnatternd unterhielten sie sich in ihrer Affensprache, kauten dabei behaglich die Schiffszwiebacke aus den Vorräten der Sphinx, die ihnen von Agnes vorhin als Zwischenmahlzeit gereicht worden waren.

Ihre mächtigen Gebisse zermalmten das harte Gebäck ohne Mühe, und nur selten schenkte einer der Affenmenschen sich aus der großen Kanne den Becher mit gesüßtem Tee voll.

Wer als Uneingeweihter diesen neun unerwartet gegenübergestanden hätte, wäre erblaßt vor der kraftvollen, rätselhaften Wildheit dieser Gestalten. Das freventliche Spiel Doktor Gouldens, der nun dort in der Nähe seines verbrannten Steinhauses neben dem tapferen Kabylen im Grabe ruhte, hatte hier Geschöpfe hervorgebracht, deren bedauernswertes Zwittertum zwischen Mensch und Tier sich in der abschreckenden Stärke des Gliederbaus und der noch abschreckenderen Eigenart der beharrten Negerzüge besonders äußerte.

Murat suchte den Seinen jetzt klarzumachen, was die Insassen der Sphinx weiter planten. Er wollte ihnen irgendwie auch erklären, daß es sich dabei in der Hauptsache um ein sehr wertvolles Metall, um Gold, handele, aber sie begriffen nicht, was ‚Gold’ bedeutete. Nur Murat hatte die Macht des Goldes voll erkannt, nachdem Agnes ihm an Beispielen die Tauschkraft des Goldes erläutert.

Am meisten freute es die Homgoris, daß diese sausende Fahrt, die sie ängstigte, nun bald beendet sein würde, und daß sie dann auf der Insel Christophoro die steif gewordenen Glieder im Umhertollten wieder geschmeidig machen könnten. –

In der Hauptkabine der Sphinx, dem sogenannten Salon, herrschte derweilen eine recht frohe, zuversichtliche Stimmung, obwohl doch das aufgefangene verstümmelte Telegramm des Geheimagenten und die Antwort von der Yacht ‚Medusa’ neue Verwicklungen, Kämpfe und Gefahren durchaus wahrscheinlich machte.

Das das glückstrahlende Brautpaar viel dazu beitrug, diesen heiteren Nachmittag noch zu verschönern, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. –

Gaupenberg hatte zu der bescheidenen Hauptmahlzeit Wein gespendet, und besonders die beiden intimen Freunde Gottlieb und Pasqual, die ja Agnes Sanden gleich innig wie ihr Töchterlein liebten, waren bei dem feurigen alten Burgunder recht lebhaft geworden.

Doktor Falz hatte sogar eine launige Tischrede gehalten, und nur eine kleine Unruhe gab’s, als Agnes durch Ungeschick ihr Burgunderglas umstieß, und der dunkelrote Wein wie Blut die weiße Tischdecke färbte.

Doktor Falz meinte dann lachend: „Ein Glück, daß das Glas gleichzeitig mit in Scherben gegangen ist …! Scherben gehören zum Polterabend, und da unser junges Paar sobald schon in Taxata in aller Stille sich zum Bunde fürs Leben vereinen will, kann diese kleine Festtafel recht gut als Polterabendfeier gelten.“

Die Gesichter wurden dann besonders ernst, als Gaupenberg nun in seiner Erwiderungsrede auch des treuen Georg Hartwich gedachte …

„Ich wünschte, er wäre in dieser Stunde, wo mein Herz vor tiefer Seligkeit schneller pocht, mitten unter uns …! Gedenken wir seiner als des Mannes, der jahrelang des Goldschatzes wegen einsam auf Formigas hauste – stets schon den hehren Gedanken in der braven Brust, das Gold für sein Vaterland zu bergen! In Georg Hartwich, meine Freunde, sehen wir all die Vorzüge des deutschen Volkscharakters in edelster Form vereint: Offenheit, kraftvolles Mannestum, Treue und Ausdauer! – Trinken wir auf unseren Georg, den wir hoffentlich schon in wenigen Stunden wieder mitten unter uns haben werden!“

Die Gläser klangen hell aufeinander …

Und weiter und weiter jagte das prächtige Luftboot seinem Ziele zu.

Fünf Uhr – erst fünf Uhr nachmittags war’s dann, als Gaupenberg im Spiegel des Sehrohres die hellen Gestade der drei Robigas-Eilande erblickte.

„Wackere Sphinx!“ meinte er zu Doktor Falz, der ihm in Führerstande Gesellschaft leistete. „Eine Stunde weniger hat sie für die Fahrt gebraucht, als ich es berechnet hatte. Eine Stunde mehr gewonnen! Wenn die ‚Medusa’ des Mulattenherrschers hier eintrift, sind wir längst auf und davon.“

Er ließ die Sphinx nun tiefer gehen …

Graziös glitt sie über den brüllenden Brandungsringen von Christophoro hinweg und legte sich, nachdem sie die Insel in geringer Höhe mehrfach umkreist hatte, leicht und sicher neben das Wrack des U-Bootes mitten in die Lichtung der Dornenfelder.

Als erste sprangen jetzt die Homgoris vom Deck in den weichen Sand …

Sand – klarer Seesand –, das war ihnen etwas Neues. Und übermütig tollten und rollten sie nun umher, bis ein Zuruf ihrer weißen blonden Herrin sie wieder um die Sphinx versammelte.

Gaupenberg wollte für alle Fälle vorsichtig sein. Danach hatte er auch seine Anordnungen getroffen, hatte bestimmt, daß Gottlieb, Pasqual und fünf Homgoris als Wache auf der Sphinx bleiben sollten, die übrigen wollte er mit in die Grotte am Strande nehmen, die er selbst ja bisher nicht kannte.

Mit Pistolen und Karabinern bewaffnet, die Homgoris jeder ein Stück Eisenstange als Keule in den mächtigen Pranken, – so bewegte sich der Trupp Menschen und Halbmenschen nun der Höhle zu.

Doktor Falz und Mela gingen Arm in Arm voran – Vater und Tochter, zwei Glückliche …

Ihnen folgte das Brautpaar, eng umschlungen …

Und hinter diesem trottete der gewaltige Murat, dem Gaupenberg als einzigem der Homgoris einen Revolver anvertraut hatte.

Murat wieder schlossen sich die anderen drei Homgoris an.

Vor dem hohen Felsenhügel, neben dem man gestern die Gebeine der armen Silvia Gonzalez zur ewigen Ruhe bestattet hatte, machte Falz-Fator halt …

Sprach ein paar tief empfundene Worte stillen Gedenkens, erinnerte daran, daß Silvia, das Kind des sonnigen Spaniens, ihr Liebesglück nur kurze Tage hatte genießen dürfen, daß sie hier auf Christophoro dahingewelkt war wie eine sterbende Blume … –

Dann schritt man weiter …

Umrundete den Hügel …

Da – blieb Fator plötzlich wie angewurzelt stehen.

Traute seinen Augen nicht …

Sah nichts mehr von dem durch die ungeheure Explosion freigelegten Eingang der Grotte, sah nur noch einen zweiten Hügel von Felsgeröll, der sich nun hier, breit und massig, über der Stelle des Eingangs hochtürmte.

Sein ungläubiges Staunen schwand ebenso schnell.

Er wandte sich Gaupenberg zu …

„Lieber Graf, was hier geschehen, mutet wie ein Wunder an …! Dort vor uns hatte sich der Schlund der Erde geöffnet, dort bin ich emporgestiegen aus der Grotte, aus der Schatzhöhle … Dort bin ich dann mit Mela, meinem Kinde, nach Georg Hartwich suchend, abermals in die Grotte hinabgeklettert. Und – wir fanden die durch die Explosion im Boden der Höhle neu entstandene breite Öffnung, an deren Rand wir sichere Anzeichen dafür bemerkten, daß Hartwich in die Tiefe gestürzt sein müsse, in den unterirdischen See, in die von fahlgelbem Lichte erfüllte Riesenhöhle … Und als Mela und ich noch am Rande ihrer Öffnung standen, da gewahrten wir in der Ferne auf dem See eine Menge bemannter Barken, und am Seeufer helle, hohe Paläste …“

Gaupenbergs Gesicht drückte Unruhe und Überraschung aus.

„Wie – Sie meinen, daß dort in der Tiefe … Menschen hausen?“ fragte er schnell.

Ja, lieber Graf … Es hausen dort Menschen, und meine Mela hat diese Bewohner des Erdinneren mehrmals drüben auf der Nachbarinsel Mala Gura beobachtet, wo sie ja als Verbannte fast ein Jahr zugebracht hat – als Opfer der brutalen Selbstsucht des Präsidenten Armaro, ihres Adoptivvaters. Was Mela mir über das Äußere dieser kupferroten Menschen erzählt hat, läßt mich vermuten, daß es sich um Abkömmlinge von südamerikanischen Indianern handelt. – Diesen Hügel hier haben diese Höhlenbewohner errichtet – nur sie! Haben so den Eingang zu der Schatzhöhle verschlossen und gleichzeitig auch den zu ihrer unterirdischen Welt. Da wir keine Zeit zu versäumen haben, mag Murat rasch seine Brüder herbeiholen. Die Kräfte unserer Homgoris werden den Hügel bald beseitigen.“

Murat eilte schon zur Sphinx zurück.

Gaupenberg starrte vor sich hin, sagte leise und zaudern:

„Wenn diese Höhlenmenschen uns nun den Schatz gestohlen haben, Herr Doktor?!“

Falz schüttelte den Kopf.

„Die Goldkisten ruhten hinter einer künstlichen Wand von Steinen. Nur ein Zufall könnte die Höhlenbewohner das Versteck haben entdecken lassen …“

Der Graf blieb trotz dieser Versicherung unruhig und bestürzt.

Sehr bald fingen dann Murat und die Seinen mit dem Wegräumen der zum Teil zentnerschweren Steine an.

Es war eine Lust, diesen stiernackigen muskulösen Gestalten zuzuschauen …

Stein auf Stein flog im Bogen zur Seite …

Besonders Murat leistete Unglaubliches. Angefeuert durch Agnes’ besorgte Miene, angefeuert durch Melas Lob und Gaupenbergs freundliche Worte, leisteten die neu Affenmenschen Wunderbares. In einer Stunde lag der Eingang zu der schmalen langen Grotte wieder frei, und mit brennenden Laternen drang man nun in das Dunkel der feuchten Höhle ein …

Allen voran Gaupenberg und Agnes, beide in gleichem Maße von banger Sorge erfüllt, ob der Schatz, um den man bereits so viel gelitten, noch vorhanden sein würde …

Der Lichtschein der Laternen fielen nun auf eine Menge Steine, die mitten im Höhlengang lagen …

Auch auf Kistenbretter – auf zersplittertes Holz.

Gaupenberg hatte Agnes umfaßt …

„Das Gold … gestohlen …!“ preßte er hervor.

Und hinter ihm sagte Falz-Fator tröstend:

„Leider, leider ist der Schatz wirklich geraubt, wie ich jetzt sehe. Aber wir werden ihn wiederfinden, zurückerobern …! Und wenn wir dort hinabmüßten in die unbekannten Tiefen des Erdinneren …!“

Gaupenbergs lähmendes Entsetzen beim Anblick der zertrümmerten Goldkisten währte nur Minuten …

Er raffte sich auf …

„Herr Doktor, es gilt, neue Entschlüsse zu fassen … – Sie sind überzeugt, daß nur die Höhlenbewohner den Schatz weggeschleppt haben können?“

„Wer sonst?!“

Und Fator-Pfalz bückte sich, hob zwischen den Steinen ein seltsam geformtes Beil aus blinkendem Stahl empor, dessen Holzstiel überaus reich mit Schnitzereien verziert war …

„Bitte … Dieser Beilstiel zeigt eine ganz bestimmte Art von Verzierungen. Hier sehen Sie ein Götzenbildnis, das des blutigen Vitzliputzli, des Hauptgottes der Azteken … Und das, was ich von den Palästen dort unten am Seeufer erkennen konnte, bestätigt nur meine jetzige Annahme, daß es Ureinwohner Mexikos, eben Azteken sind, die dort im Erdinneren ein … unterirdisches Reich gegründet haben, nachdem ihr Kulturstadt in Mexiko, dessen Bauten an Großartigkeit denen der alten Ägypter in nichts nachstehen, durch die Spanier vernichtet wurden – aus Goldgier!“

Er schwieg …

Und auch die anderen blieben stumm …

Der Gedanke, daß tatsächlich in den Schlünden des Inneren des Erdplaneten ein ganzes Volk hausen könnte, war zu unfaßbar, um überhaupt durch nichtige Reden erörtert zu werden.

„Zur Sphinx!“ rief Gaupenberg dann. „Zur Sphinx – zu neuem Kriegsrat!“

„Halt!“ meinte Doktor Falz da. „Wäre es nicht besser, wenn die Homgoris unter Murats Leitung sofort beginnen würden, auch die Öffnung im Boden dieser Höhle wieder von den Steinmassen zu befreien? Weshalb unnötig eine Stunde Zeit opfern!“

Gaupenberg, noch immer Arm in Arm mit der Geliebten, erwiderte lebhaft:

„Wir werden den braven Homgoris die Mühe sparen, Herr Doktor. Noch haben wir genügend Sprengmaterial an Bord der Sphinx, um schneller und wirksamer zum Ziele zu kommen.“

„Ein vortrefflicher Gedanke …,“ nickte Falz. „Gut – sprengen wir die Öffnung wieder frei! – Und dann?“

„Was schlagen Sie vor, Herr Doktor?“

Falz überlegte …

Sagte bedächtig: „Wir dürfen nicht vorschnell handeln. Alles muß genau erwogen werden. Die Hauptfrage ist wohl, wo bleibt die Sphinx, wenn wir uns dort hinabwagen?“

Agnes, die bisher nur die Zuhörerin gespielt hatte, mischte sich jetzt in ihrer bescheidenen Art in das wichtige Gespräch durch die zögernden Worte ein:

„Könnten wir die Öffnung nicht derart erweitern, daß die Sphinx uns in die Riesenhöhle hinabtragen kann? Wären wir nicht an Bord selbst hunderten von Feinden überlegen?!“

Falz und Gaupenberg schauten sich überrascht an …

Hieran hatten sie noch gar nicht gedacht … Und Gaupenberg meinte nun freudig:

„Agnes, dieser Rat ist … goldeswert! Weshalb sollte es nicht möglich sein, die Höhlendecke in solchem Umfang wegzusprengen, daß unsere Sphinx, wenn auch in senkrechter Stellung, durch das Loch schlüpfen könnte …! – Herr Doktor, hier hat soeben Frauenverstand das einzig Richtige getroffen! – Ich hole jetzt die Sprengpatronen und die für die Entzündung notwendige elektrische Batterie. Inzwischen können Sie, Herr Doktor, die günstigen Stellen zur Anbringung der Explosivladung auswählen und vorbereiten.“ –

Gaupenberg ging nicht allein. Agnes blieb bei ihm.

Schnell schritt das junge Paar um den zerklüfteten Hügel herum, an dessen Westseite vor Tagen Georg Hartwich die flache Steinplatte mit der eingemeißelten Inschrift entdeckt hatte, und damit den Eingang zu der schmalen Grotte.

Gaupenberg drückte Agnes’ Hand in weicher Zärtlichkeit.

„Mein Liebling, unsere Hoffnungen, recht bald für immer als Mann und Weib vereint zu sein, ist nun wieder geschwunden. Wer weiß, wann wir von dieser Expedition in die Tiefen des Erdinneren zurückkehren …!“

Und er umschlang sie, küßte sie …

Der frische Seewind strich über sie hinweg …

Über ihnen kreischten Möwen, Albatrosse – das ganze Heer der Seevögel, das hier auf dem einsamen Eiland hauste und ergrimmt war über die menschlichen Störenfriede …

Agnes blickte den Geliebten tröstend an …

„Vielleicht kehren wir schneller an die Oberwelt zurück, als wir es ahnen und … erhoffen …! – Unsere Liebe, Viktor, muß jetzt ja auch zurücktreten gegenüber dem, was du stets als ‚heilige Pflicht!’ bezeichnet hat! Denken wir erst in zweiter Linie an uns! Zuerst an unser deutsches Vaterland, das jetzt, ausgesogen und geknechtet, nach Freiheit, nach der Möglichkeit der freien Entfaltung seiner vielfachen Kräfte schmachtet!“

Sie zog Gaupenberg mit sich fort – der Sphinx zu …

Und mein gedankenvoll:

„Wäre es nicht angebracht, Viktor, wenn wir hier oben auf der Insel Murat und ein paar der Homgoris als Beobachter und als Wache zurückließen? Murat ist sehr intelligent. Ich werde ihm genau seine Aufgabe erklären, und du kannst überzeugt sein, daß er seine Pflicht getreulich erfüllen wird. Ich denke eben daran, Viktor, daß doch heute abend gegen elf Uhr die ‚Medusa’ hier an diesen Gestaden erscheinen wird, daß damit zu rechnen ist, daß die Jacht trotz der gefährlichen Brandung, die noch kein Fahrzeug unbeschädigt durchquerte, Matrosen landet, und daß diese Leute uns böse Schwierigkeiten bereiten könnten, während wir …“

Gaupenberg fiel ihr hastig ins Wort …

„Agnes – mußt erst du mich auf diese Möglichkeit ernster Zwischenfälle durch die ‚Medusa’ aufmerksam machen! Mußt erst du mich warnen vor Armaros Schergen!! – Liebling, Liebling – wir Männer können von dir lernen! Ja – Murat und vier Homgoris sollten sich im Dornendickicht versteckt halten … Wir lassen ihnen genügen Lebensmittel zurück, und außerdem soll Murat die Seinen auch rasch noch mit dem Gebrauch von Schußaffen vertraut machen. Es ist jetzt halb sieben Uhr … Wir haben zu alledem noch genügend Zeit …“ –

Als sie die Sphinx erreicht hatten, und als nun auch Pasqual Oretto und der treue Gottlieb Knorz von dem Raube des Schatzes durch die Azteken erfuhren, als Gaupenberg den beiden weiter mitteilte, daß Murat mit vier Homgoris als Beobachter hier zurückbleiben sollte, da schlackerte der hagere Gottlieb doch sehr bedenklich mit dem Kopf und meinte in seiner lebhaften Art:

„Die Homgoris allein – ohne einen von uns?! Herr Graf – davon rate ich entschieden ab! Ich kenne diese Affenmenschen nun bereits so gut, daß ich sowohl ihre Vorzüge wie ihre schlechten Seiten richtig einschätze, und zu letzteren gehört … der Wutkoller, der sie so jäh befällt! Ich erinnere nur an die Vorgänge am brennenden Observatorium! – Nein, Herr Graf, wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, ich bin durch den Sturz vom Deck der Sphinx noch immer derart lehndenlahm, daß mir ein paar Tage Ruhe nicht schaden könnten. Ich werde mit den fünf Homgoris mich in den Dornenfelder verbergen, und natürlich mein Kognak mit mir …!“

Dabei streichelte er den halbblinden Teckel, der sich auf einen Schiffsstuhl zusammengeringelt, behaglich sonnte.

„Herr Graf,“ fügte der biedere Alte noch hinzu, und seine hellen jugendlichen Augen blitzten auf, „wenn die Homgoris und ich Karabiner und Pistolen bekommen, so verteidige ich die Insel gegen eine ganze Armee!“

Gaupenberg lachte …

„Na, na, Gottlieb …! Du nimmst wie immer den Mund etwas voll! Der goldgierige Armaro kann froh sein, wenn es ihm gelingt, hier ein Dutzend Matrosen wohlbehalten zu landen! Und mit einem Dutzend werdet ihr allerdings fertig, falls die Kerle etwa Miene machen, uns in das unterirdische Aztekenreich zu folgen oder sonst wie Dinge treiben, die uns lästig sind.“

Doch Gottlieb beharrte bei seiner … Armee, meinte eifrig: „Ich und übertreiben?! Niemals, Herr Graf! Vergessen Sie bitte Jimminez und Lomatz sowie Diego Rovenna nicht! Die drei sind doch offenbar nun wieder vereint zu … wohllöblichem Tun, die Halunken! Gift will ich darauf nehmen, daß sie bereits in diesem Augenblick hierher unterwegs sind! Und – ob das … das Weibsbild, diese feine Fürstin, wirklich im Türme verbrannt ist, steht auch noch dahin! Also – eine Armee rückt an, Herr Graf! Eine Armee! Die ganze feindliche Sippe …!“

Gaupenberg drückte seinem braven alten Diener warm die Hand …

„Nun gut, eine Armee! Und deshalb sollst du, Gottlieb, hier auf Christophoro als General der Homgori-Armee zurückbleiben. Du hast ganz recht, die Aufgabe dieses Beobachtungsposten ist zu vielseitig und zu wichtig, um ihn unter Murats Befehl zu stellen …! – Ich danke dir, mein alter Gottlieb! Wenn ich dich hier oben auf der Insel weiß, werde ich dort unter der Insel, im Reiche der Azteken, freier handeln können!“

Bereits eine halbe Stunde später erschütterte der Donner einer mächtigen Explosion das ganze Eiland …

Felsstücke, Steine, Sand flogen hoch in die Luft …

Das Vogelvolk von Christophoro lärmte noch toller als bisher …

Und – in dem Boden der Schatzhöhle klaffte jetzt ein Loch von zehn Meter Breite und gut zwölf Meter Länge …

Kaum hatte das letzte nach der Explosion aus den Lüften wieder herabsausende Gestein polternd die Gestade der Insel geroffen, als die Insassen der Sphinx neugierig und doch mit einer gewissen Ehrfurcht vor den unerhörten Geheimnissen der Tiefe sich am Rande der Öffnung zusammendrängten …

Gaupenberg hatte schon vorher alle auf der Sphinx vorhandenen Ferngläser verteilt …

Bewaffnete Augen spähten in die von gelbem matten Lichte erfüllt Unterwelt hinab …

Der große See … die Paläste – die sieben phantastischen Marmorpaläste …

Und auf der Vorterrasse des mittelsten der gewaltigen Bauten loderten zwei Holsstöße …

Rote Flammenzungen leckten empor …

Ein … Schrei …

Wie ein nervenaufpeitschender Alarmruf …

Ein Schrei von Agnes’ Lippen …

„Menschen auf den Scheiterhaufen …!! Ein Mann – – ein Weib …!!“

Und dann Pasqual Oretto, der wackere Portugiese:

„Der Mann – – Georg Hartwich! Meine Augen trügen nicht!!“

Schweigen nun …

Das lähmende Schweigen des Bewußtseins, daß jede Hilfe den Unglücklichen dort zu spät käme …

 

88. Kapitel.

Ein Gnadenbeweis seiner Exzellenz …!

Der schlanke Leib der Jacht ‚Medusa’ durchschnitt mit sicherer Stetigkeit die langen Wogen des Atlantik …

Oben auf der Kommandobrücke stand Admiral Torresco, der Kapitän des eleganten Schiffes.

Natürlich Admiral …!

Präsident Armaro geizte nicht mit Titeln und Würden für seine Getreuen. Mochte die Flotte der glorreichen Mulattenrepublik auch nur aus vier Kreuzern bestehen, die keinerlei Gefechtswert besaßen, diese ‚Flotte’ zählte drei Dutzend ‚Admirale’!

Und Admiral Benito Torresco war eine Perle, das Juwel dieser sechsunddreißig Helden …

War klein, dick, säbelbeinig, pockennarbig …

Hatte zudem nur noch ein Ohr …

Unbestimmten Gerüchten nach war Torresco früher einmal als Pferdedieb abgefaßt worden, und dabei hatte man ihm zur Strafe das linke Ohr … wegoperiert … Ein Messerschnitt – was weiter?! –

Und dieser Fettwanst mit der gemeinen Seele eines Leichenfledderers war Kommandant der ‚Medusa’ …

Lehnte am Geländer der Brücke und rauchte eine echte Havanna … Spukte alle drei Minuten ins Wasser … Alle drei Minuten … Die Uhr hätte man danach regulieren können … –

Und unten auf dem blitzsauberen Deck des eleganten schnellen Schiffes lungerten gelbe und braune Matrosen in weißen Leinenanzügen umher: Mestizen, Mulatten, ein paar Neger auch … – Alles Kerle wie die Ringkämpfer. Alle mit einer Vergangenheit, in der ein Mord ein Nichts bedeutete …! –

Und – unten in den vier Kabinen, vor deren Türen die Doppelposten standen, saßen in düsterem Grübeln vier Männer, die es gewagt hatten, Patalonia von dem Tyrannen Armaro befreien zu wollen …

Vier, die nicht wußten, was ihnen nun drohte …

Rittmeister Juan Aristo hatte sich soeben auf das schmale Bett seiner Kabine geworfen …

Eine endlose Nacht, endlose Stunden eines sonnenklaren Tages lagen hinter ihm, dem Gefangenen …

Die Ungewißheit über sein Schicksal marterte ihn.

Hunger, Durst quälten ihn …

Niemand war mehr in der engen Schiffskammer erschienen, nachdem Torresco die Tür von außen abgeschlossen hatte.

Und auch dieser Tag ging jetzt zu Ende … Die Sonne war soeben im Ozean versunken …

In Juan Aristos Ohren sang das Blut … hämmerte in seinen glühenden Schläfen …

Drückende Hitze herrschte in der Kabine …

Aristos Kehle, selbst die Lippen waren wie ausgedörrt …

Im Halbschlaf dämmerte er auf dem weichen Lager wie ein Fiebernder hin …

Mit offenen Augen sah er Traumbilder, seine schöne, schlanke Ellen Barrouph auf dem Tennisplatz die gelenkigen Glieder regen …

Oh – wie er sie liebte, die kühle Amerikanerin! Und – er durfte sie lieben, er, Juan Aristo, in dessen Adern kein Tropfen farbigen Lebenssaftes rollte, nur das edle Blut einer altspanischen Familie …

Jäh sprang er da empor …

Taumelte … vor Schwäche …

Die Gedanken an Ellen hatten ihn hochgetrieben.

Die Fäuste ballte er, reckte sie empor …

„Schuft – – Kanaille …!!“ – Und das galt Seiner Existenz, dem Präsidenten …

Dann – zufällig einen Blick durch eins der runden, kleinen Kabinenfenster …

Aristo stutzte …

Trat näher …

Eine Insel … Rundum eine ungeheure Brandung, deren Schaumkronen turmhoch spritzten und oben rosig im Abendsonnengold leuchteten …

Ein Gedanke in seinem Hirn. ‚Verbannung?! Will Armaro ihn und seine drei Freunde hierher verbannen?! Will Armaro, der bisher jede Verschwörung in Blut ertränkt hat, es so gnädig machen?!’

Da – hinter ihm das scheußliche quäkende Organ des fetten Torresco, der ganz leise eingetreten war:

„Ein paar Worte, Sennor Aristo …“

Der schlanke Spanier fuhr herum …

Der Fettwanst hielt ihm eine Pistole entgegen, grinste:

„Damit Sie keine Dummheiten machen, Sennor …! – Also – hören Sie … Sie sind überführt, an einer Verschwörung gegen das Leben Seiner Exzellenz, unseres allverehrten Staatsoberhauptes, teilgenommen zu haben … Ihre Strafe kennen Sie. Acht Gewehre – acht Kugeln – ein Gnadenschuß!“

Er grinste stärker …

„Seine Existenz schätzt die vier Sennors jedoch als tüchtige Offiziere … Er will Ihnen eine Chance gewähren, Ihr Leben zu retten …“

Und der Herr Admiral hob die durch Brillantringe verunzierte Gaunerklaue und deutete zum Fenster hinaus …

„Das da ist die Insel Christophoro, Sennor … Berühmt deswegen, weil nur ein ganz besonders glücklicher Zufall einen Schwimmer an den Strand trägt … Ein Schiff hat dort noch nie landen können … – Da nun Seine Exzellenz diese Insel genauer untersuchen lassen möchte, sollen Sie vier, jeder mit einer Leine um die Brust, den Versuch unternehmen, die Insel zu erreichen. Glückt es Ihnen, so wird Ihre Strafe lediglich in Landesverweisung bestehen. Freilich haben Sie außerdem noch die Pflicht, dann mit Hilfe der Leine ein starkes Tau nach dem Strande hinüberzuziehen und irgendwo an einem hochgelegenen Uferpunkt zu befestigen, damit Ihnen einige Matrosen und auch ich folgen können … – Also – entscheiden Sie sich …! Im Falle der Ablehnung dieses Gnadenbeweises steht oben an Deck bereits das Peloton bereit, um … Sie sofort zu erschießen.“

Juan Aristo lächelte geringschätzig …

„Ich … nehme an,“ erwiderte er nur …

„Dann folgen Sie mir …“ –

Und oben an Deck sahen sich nun die Freunde wieder.

Der kleine sehnige Major Carrigo hatte eine Zigarette zwischen den Lippen, nickte Aristo zu …

„Wir werden die Haifische füttern,“ meinte er achselzuckend. „Seine Exzellenz sorgt in wohlwollendster Weise für die Sättigung dieser Bestien …“

Und er griff nach dem Schwimmgürtel, schnallte ihn um die Brust …

Nahm die Leine, band sie an dem Gürtel fest und reichte dann seinen drei Leidensgefährten die Hand …

„Lebt wohl, Freunde …! Ich bin der Rangälteste … Ich beginne …“

Seine Zigarette flog über Bord…

Die eleganten Lackschuhe seiner Galauniform streifte er ab und … stieg auf die Reling …

Wandte sich nochmals um – zu Torresco …

„Bestellen Sie dem Bluthund Armaro einen Gruß, Admiral …! So wahr ich dort in der Brandung an den Klippen zu Brei zerschlagen werde, ebenso bestimmt wird Armaro eines Tages erschossen werden!“

Und – sprang hinab in die See …

Schwamm in langen Stößen, trotz der Uniform, die rasch voll Wasser sog, durch den Korkgürtel getragen, den Riffreihen zu …

Eine Brandungswoge hob ihn empor …

Drei Minuten später zogen die Matrosen der Jacht die Leine wieder ein ….

Von Major Carrigo war nur noch der … Rumpf übrig …

Haifische hatten dem Zerschellten die Glieder ausgerissen … –

Die beiden Kameraden Aristos waren fahl geworden …

Trotzdem versuchen sie’s … schwammen …

Wurden – – in ähnlichem Zustand wieder an Bord gehißt.

Aristo war so der letzte der vier.

Admiral Torresco zeigte sich jetzt nachdenklich. Er mochte wohl einsehen, daß an dieser Stelle, der Ostküste der Insel, eine Landung unmöglich war. Er ließ die ‚Medusa’, während die Dunkelheit schon hereinbrach, nach Norden zu die Insel umkreisen …

Und hier – – sprang dann Juan Aristo in die See …

Hatte durch das Unglück seiner armen Freunde gelernt, war auch ein vorzüglicher Schwimmer …

Hatte gesehen, daß gerade die an dem Schwimmgürtel befestigte Leine die freie Bewegung behinderte …

Und – – knotete sie los, als er kaum die ersten Gischtstreifen erreicht hatte und wo man von der ‚Medusa’ aus nicht mehr erkennen konnte, was er tat …

Schräg vor ihm gewahrte er in den dunklen Zacken des Klippenzaunes eine breite Öffnung, durch die jede Brandungswoge einen Teil ihrer Wassermassen wie durch eine Schleuse hindurchpreßte …

Und auf diese Lücke ruderte er zu …

Sekunden bangster Spannung dann …

Eine Woge kam – riß ihn mit fort, trug ihn durch die Riffzähne der gierigen Brandung – – hinein in stilles Wasser …

Aristo war schlau …

Hatte rasch hier im inneren Riffkranz sich zwischen zwei Felsen geklemmt, wollte hier erst die völlige Dunkelheit abwarten …

Wußte er doch, daß Torresco längst bemerkt haben mußte, daß er die Leine abgestreift hatte, daß man nun auf ihn feuern würde … –

So saß er denn, bis zu den Hüften im Wasser, zwischen den Klippen – dicht vor sich die Brandung – und dort links eine kleine buschreiche Halbinsel des Eilandes.

Was er vermutet, geschah …

Urplötzlich stoben in weitem Umkreise kleine Fontänen hoch: Geschoßeinschläge!

Der vor Wut rasende Fettwanst ließ sogar die beiden Schnellfeuergeschütze der ‚Medusa’ spielen …

Ohne bestimmtes Ziel wurden so der innere Riffkranz und das Ufer mit Kugeln und Granaten belegt …

Zahllose unschuldige Seevögel fanden den Tod …

Bis die Nacht diesem unsinnigen Treiben ein Ende machte. Da – schwamm Juan Aristo an Land, war kaum in den Büschen verschwunden, als der Scheinwerfer der ‚Medusa’ zu arbeiten begann …

Urplötzlich …

Urplötzlich schoß der weiße Lichtkegel vom Vorderdeck auf die Insel zu …

Bestrahlte auch einen felsigen Hügel …

Zeigte der Besatzung der Jacht auf diesem Hügel fünf zottige riesige Tiergestalten …

Anzuschauen wie Ungeheuer der Vorzeit …

Nur – Sekunden …

Dann waren die fünf mit einem Male wie weggewischt …

Torresco fluchte … Seine Matrosen bekreuzigten sich … Und selbst als er dem, der glücklich die Insel erreichen würde, Beförderung zum Offizier versprach, meldete sich nicht ein einziger … –

Anderes geschah auf der Insel …

Aristo ahnte nicht, daß er vom Strande aus scharf beobachtet worden war …

In den Büschen warf sich plötzlich ein unheimliches Geschöpf über ihn, drückte ihn zu Boden, riß ihm die Arme nach hinten …

Murat war’s … Und ein anderer der Homgoris fesselte ihm die Hände …

Murat nahm ihn empor, trug ihn durch Dornen und Dickicht zu einem Versteck zwischen mächtigen Felswürfeln, wo neben einer brennenden Laterne Gottlieb Knorz und Kognak, der Teckel, auf einer wollenen Decke lagen …

Juan Aristo glaubte zu träumen …

Nie in seinem Leben hatte er solch zottige Untiere mit behaarten Menschengesichtern gesehen …

Nie hatte er geglaubt, daß es auf San Miguel einen Doktor Goulden gegeben, der Neger und Gorillas paarte …

Nun stand er hier vor diesem alten, graubärtigen Europäer, der ihn finster aus scharfen Augen anblinzelte …

Gottlieb sah die triefende, goldstrotzende Uniform.

Hatte die Schüsse wohl gehört, hatte den Tod der drei anderen Schwimmer beobachtet und konnte aus alledem nicht recht klug werden.

„Setzen Sie sich,“ sagte er kurz. „Wer sind Sie?“

Rittmeister Aristo schaute immer wieder auf Murat, den Riesen, der hinter dem kleinen Europäer am Felsen lehnte …

„Wer sind Sie?“ Und zu Murat: „Geh, beobachte weiter …“

Der Affenmensch eilte davon.

Aristo setzte sich auf einen Stein. Begann zu sprechen, brauchte nicht zu lügen …

Was er erzählte, trug den klaren Stempel der Wahrheit.

Gottlieb nickte wiederholt …

Meinte dann:

„Entschuldigen Sie, Sennor … Das alles konnte ich nicht wissen …“

Und nahm Aristo die Fesseln ab, schob ihm eine Büchse Konservenfleisch hin, dazu Zwieback und einen Becher Tee …

„Bitte … Stärken Sie sich, Sennor …“

Aristo strich das nasse Haar aus der Stirn, langte zu …

„Und wer sind Sie, Sennor?“ fragte er höflich. „Wer sind diese … diese Untiere, die mich überfielen?“

Gottlieb Knorz erwiderte:

„Alles dürfen sie …! Nur – fragen dürfen Sie nicht!“

Aristo glaubte noch immer zu träumen …

Und doch kam nun bei ihm die Freude am Leben zum Durchbruch – die Freude, daß er gerettet war!

Er lächelte …

„Wie Sie befehlen, Sennor … Ich bin Ihnen auch so dankbar genug … Mit jedem Bissen werde ich wieder mehr und mehr ich selbst!“

Er aß, trank …

Nachher gab Gottlieb ihm eine Zigarre, meinte:

„Von des Grafen Spezialmarke …!“

„Welches Grafen …?“

„Verdammt – da habe ich mich ja verplappert,“ lachte nun auch Gottlieb. „Na – Graf Gaupenberg ist mein Herr, ein sehr guter Herr …“

„Und – der ist ebenfalls hier auf der Insel?“

„Ja und nein … Eine Etage tiefer, kann man so sagen …“

„Verzeihung … Das verstehe ich nicht …“

„Sollen Sie auch nicht, Sennor …“

Da tauchte Murat wieder auf …

Und – Juan Aristo prallte entsetzt zurück, als dieses Geschöpf, das er bisher für einen Affen gehalten, in gutem Englisch erklärte:

„Mister Knorz, die Jacht hat ein Faß an einem Tau in die Brandung gleiten lassen … An dem Faß hängen Anker, die sich nun in den Riffen festgekrallt haben. Das andere Ende des Taus ist am Vordermast befestigt, und ein Matrose turnt an dem Tau zu Insel hinüber … Der Scheinwerfer beleuchtet den Strand …“

Knorz erhob sich …

„Kommen Sie mit, Sennor Aristo … Die Geschichte wird brenzlich …“

Und er griff nach dem am Felsen lehnenden Karabiner …

Sagte noch zu dem halbblinden Teckel:

„Kognak, du bleibst hier … Dort am Ufer könnte es Kugeln regnen … Schlafe dich nur aus, alter Freund …“

Aristo stierte wieder den riesigen Murat an …

Dachte wieder: ‚Träume ich – wache ich?!’

Da – – drang vom Nordstrande der scharfe Knall eines Kanonenschusses herüber …

„Vorwärts!“ rief Gottlieb. „Verteidigen wir die Insel! Solange ich noch eine Patrone im Gewehrlauf habe, kommt mir keiner dieser Banditen hier an Land!“

 

89. Kapitel.

Das Drama eines Volkes.

Ellen Barrouphs hastiges Flüstern erreichte Georg Hartwichs lauschendes Ohr …

„Ich höre schleichende Schritte, Georg … Rund um dieses Felsstück herum …“

Und sie schob sich näher an ihn heran … Sie hatte bisher nach der anderen Seite hin in die grimme tückische Finsternis hinausgestarrt und gehorcht – nur immer gehorcht, ob die Azteken nahten, ob die infolge der Schüsse zurückgeflutete Woge von Menschenleibern jetzt den Engpaß der Treppe verlassen und sich suchend ausgebreitet hätte über diese Felsenwildnis, die zwei wehrlosen Flüchtlingen jetzt ein Versteck gewährte, die flache Kuppe eines steilen Blockes …

Hier lagen sie nun eng nebeneinander, die junge Amerikanerin und der deutsche Seemann…

Horchten wieder … Lauschten …

Und auch Hartwich vernahm nun deutlich das eilende Hin und Her zahlloser unsichtbarer Füße …

Drückte der Geliebten die Hand leicht auf den Mund, mahnte sie zu tiefstem Schweigen …

Das verklingende, rasch wieder auflebende Tapp-Tapp der Verfolger blieb in der Nähe …

Nichts war zu erkennen …

Nichts …

Nur drüben auf dem großen See loderten Fackeln in gleitenden Barken, ertönten die Signalhörner in wunderbar reinen Klängen.

Ellen suchte Georgs Hand …

Beider Finger krallten sich ineinander wie in stummem Gelübde: Wir sterben vereint! Wir gehören zusammen!

Minuten reckten sich zu qualvollen Ewigkeiten …

Und das tastende Tapp-Tapp rings umher wurde lebhafter …

Die Woge der Feinde rüstete wieder zu letztem vernichtenden Ansturm …

Jeder Laut erstarb plötzlich …

Nur wie ein Raunen aus hunderten von Kehlen schwirrte es dumpf und dröhnend, unbestimmbar umher, durch die laue weiche Luft dieser Unterwelt …

Bis – – mit einem Schlage dreißig – fünfzig – hundert Harzfackeln auflackerten …

Ein lohender Ring, der den einen Felsen umspannte, der die Gestalten der beiden Verlorenen dort oben in zuckende Helle tauchte…

Ein Ring von Fackeln und kupferbraunen Männern, die in lose, gegürtete rote Stoffe gehüllt waren – mit lang herabwallenden schwarzen Haaren, in denen seltsame Zierrate glänzten …

Zweihundert mochten es sein, die regungslos auf die Eingekreisten blickten, mit dunklen schimmernden Augen …

Regungslos …

Die Fackeln hoch in der Linken, in der Rechten die blitzenden Schlachtbeile ihres Volkes, mit denen sie einst schon die Goldgier der Spanier bekämpft hatten. –

Eine Barke strebte der nächsten Uferstelle zu. Ihr entstiegen zwei Greise: der hagere Mönch und ein altersgebeugter Azteke, der im weißen Haar eine Art Diadem trug.

Langsam näherten sie sich dem Felsen, blieben stehen …

Und Mario Lopez, der Pater, rief den beiden Eingekreisten in englischer Sprache zu:

„Ergebt euch! Jeder Widerstand wäre zwecklos.! Und – – wartet weiter!“

Hartwich erhob sich, half auch Ellen auf die Füße, hielt sie umschlungen …

„Wir ergeben uns,“ erwiderte er. Und die Repetierpistole, die nicht eine Patrone mehr im Laderahmen hatte, die also ein klägliches Spielzeug war, starrte mit ihrem Mündungsauge nur zum Schein dräuend auf die Aztekenkrieger…

„Wir ergeben uns … Aber unter einer Bedingung, daß wir nicht getrennt werden, daß man uns beieinander läßt …!“

Der Pater flüsterte mit seinem Begleiter, rief dann:

„König Mataguma verspricht es euch. Ihr werdet nicht getrennt werden!“

Und kam ganz nahe an den Felsen heran, reckte die Hand empor …

„Gib mir deine Waffe …!“ Leise dann die Worte, nur wieder ein Hauch: „Hoffet! Ich lasse euch nicht sterben …“

Steuermann Hartwich reichte ihm die Pistole …

Und gleich darauf saßen Ellen und er in einer großen Barke und wurden zum Südufer hinübergeschafft, zu den hochragenden Marmorpalästen, zu der unterirdischen Stadt, die sich hinter diesen Riesenbauten in einem Tale endlos weit ausdehnte.

Zwischen Scharen von Kindern aller Altersstufen, zwischen schlanken Frauen mit ernsten, schwermütigen Gesichtern ging es durch die peinlich sauberen schmalen Straßen über glatte, fein gemusterte Marmorplatten, die hier als Pflaster dienten, bis zu einem langgestreckten höheren Bauwerk, zu dessen breiten Pforten wieder Marmorplatten, verziert mit Götzenbildern, emporliefen.

Hier standen auf den obersten Stufen in zwei Reihen anders gekleidete Azteken: Priester des grausamen Gottes Vitzliputzli, – Stirn und Wangen mit farbigen Strichen bekleckst, gehüllt in grelle Mäntel, die schwer und straff herabhingen, schwer von den aufgenähten goldenen Schnallen, Arabesken und Spangen … –

Hartwich überflog auch die Gesichter dieser Priester mit prüfendem Blick …

Was ihm schon bei den anderen Bewohnern dieser unterirdischen Welt aufgefallen war, eine gewisse Stumpfheit der Züge, ein Mangel an Intelligenz in diesen Gesichtern, die sämtlich denselben längliches Schnitt, eine schmale, große Adlernase, hohe, fliehende Stirn und kleinen, schmallippigen Mund zeigten, – alles dies fand er hier bei dieser Priesterschaft, deren Bestimmung ihm der bunte Aufputz ihrer Gestalten verriet, in verstärktem Maße wieder.

In manchem dieser Gesichter lagerte sogar deutlich ausgeprägt etwas wie blöder Trübsinn, eine Starrheit der Ausdruckslinien, die an die typischen Merkmale harmloser Geisteskrankheit erinnerten.

Auffallend war ja auch die Ruhe in der Stadt während der Einbringung der Gefangenen. Und gerade dieser Nachwuchs erschien in bedauernswerter Weise geistig vollständig verkümmert. –

Vor der Hauptpforte des Tempels übergaben die Krieger die beiden ungefesselten Gefangenen der Priesterschaft.

Ellen und Georg wurden jetzt durch die Haupthalle in ein Seitengebäude gebracht, wo man ihnen zwei nebeneinanderliegende Gemächer mit vergitterten Fenstern und schweren Metalltüren als Kerker anwies.

Die Einrichtungsgegenstände dieser beiden Räume zeigten viel praktisches Geschick und einen primitiven künstlerischen Geschmack. Tische, Sessel mit Ledersitzen, schrankartige Gestelle und einfache Betten, wie Georg eins davon schon in den Grotten der Insel drüben kennengelernt hatte, waren zum Teil sehr reich mit Goldeinlagen verziert und machten die beiden luftigen Gemächer wohnlich und fast behaglich. Als Beleuchtung dienten mehrere Öllampen mit offenen Dochten… Das Öl war wohlriechend und brannte hell und ohne jeden Qualm. –

Nachdem die Priester die Türen von außen durch Riegel versperrt hatten, nachdem Ellen und Georg so sich selbst überlassen waren, sank die junge Amerikanerin weinend dem Geliebten an die Brust …

Ihre Nerven, die bisher noch den furchtbaren Erregungen der letzten Stunden standgehalten hatten, versagten jetzt plötzlich vollkommen.

In halbem Weinkrampf umklammerte sie den Mann, den ihr das Schicksal hier als Gefährten, als die Erfüllung ihres Liebessehnens in den Weg geführt hatte.

Kein Zuspruch, kein Trostwort konnte den krankhaften Tränenstrom zum Versiegen bringen.

Georg trug sie schließlich auf eine der Lagerstätten, blieb bei ihr, hielt ihre Hände und wartete, bis Erschöpfung und Abspannung mildtätig tiefen Schlaf auf ihre Lider senkten.

Er saß neben dem Lager, schaute trübe und im Innern selbst völlig verzweifelt in das schmale feine Antlitz, und in seiner ehrlichen Seele stiegen dumpfe Anklagen gegen sich selbst empor …

Wenn er Ellen nicht zur Flucht überredet hätte, wenn er diese Flucht weniger hastig betrieben hätte, würden sie niemals den Azteken in die Hände gefallen sein.

Seine Schuld war dieser traurige Ausgang der mit so viel Hoffnungsfreudigkeit begonnenen Flucht …! Und – seine Pflicht war es nun, Ellen um jeden Preis zu retten …! Sie durfte nicht, was der Pater Mario Lopez schonend angedeutet hatte, dem blutigen Gotte Vitzliputzli geopfert werden …!

Doch – wie Ellen retten, wie nur?!

Die Gedanken jagten ihn hoch …

Leise ging er in den Nebenraum hinüber …

Wollte hier mit sich allein sein … Wollte sein Hirn zermartern nach einem Mittel, der dunklen Zukunft trostlose Gewißheit irgendwie zu meistern …

Und – – hatte kaum den Türvorhang hinter sich zufallen lassen, als er auch schon dort am Fenster den Pater bemerkte.

Der greise Mönch winkte und deutete auf einen der Sessel …

„Ich habe manches mit Ihnen zu besprechen, mein Sohn …,“ sagte der Greis mit ernster Freundlichkeit. „Die Azteken haben mich meiner Schweigepflicht entbunden. Ich darf hier bei Ihnen nach Belieben aus und eingehen, bis …“

Er senkte den faltigen, weißen Kopf …

„… bis ihr Urteil vollstreckt wird, – das Urteil des Beirates des Königs, mein Sohn …“

„Und – das Urteil ist schon gefällt, ehrwürdiger Pater?“ fragte Steuermann Hartwich zaudernd.

„Ja … Und – – daran wird sich nichts ändern lassen … Ich bin machtlos … Ich hatte auf einen anderen Urteilsspruch gehofft … Leider, leider haben Sie vier Azteken erschossen … Und heute nachmittag, heute, wenn die Sonne droben blutrot im Meer versinkt, wird …“

Er flüsterte noch leiser …

„… wird zu Ehren dieses schändlichen Götzen, den selbst ich nicht aus dem dumpfen Ideenbereich dieses unglücklichen Volkes durch die barmherzige Lehre des Christentums verdrängen konnte, das große Fest der Flammen gefeiert werden …“

Hartwich starrte den Mönch an …

„Wir … sollen verbrannt werden?“ – Und die Worte wollten ihm kaum über die Lippen …

Der Vater beugte sich vor …

In seinen alterstrüben Augen leuchtete das Licht unendlicher Güte …

„Mein Sohn, ihr beide werdet schmerzlos hinübergehen in eine bessere Welt … Bevor man euch hinführt zur Seeterrasse, werde ich euch einen Trank heimlich reichen, der jeden Schmerz, jedes Angstgefühl in glückselige Träume verwandelt … – Seien Sie stark, mein Sohn … Verheimlichen Sie dem Mädchen, das nun dort nebenan den Schlaf der Erschöpfung schläft, die grausame Wahrheit. Genießen Sie noch die wenigen Stunden in Liebe und Glück … Und wenn es Sie beruhigen sollte, ich, ein geweihter Priester, will sie beide noch zusammentun zu … kurzem Lebensbunde …“

Er nahm Hartwich Hand …

„Mein Sohn, ich weiß, was in den Grotten der Insel geschehen, daß Ihr Euch in Liebe zusammengefunden … Vor Ihrem Herzen ist dieses Mädchen Ihr Weib, Georg Hartwich … Mein Glaube gebietet mir, Euch zu ermahnen, dieser Liebe auch den Segen Gottes zu geben …!“

Steuermann Hartwich nickte nur …

Er war kein gläubiger Christ, kein Kirchengänger. Er hatte auf weiten Seereisen, in der grandiosen Einsamkeit der Weltmeere und besonders während seines Robinsondaseins auf der Insel Formigas in seiner Seele ein neues Glaubensbekenntnis aufgebaut. Und den Abschluß dieser neuen innerlichen Entwicklung hatte ihm dann der geheimnisvolle Fator gegeben – oder Doktor Falz, der ewige Wandler auf Erden.

Was Doktor Falz ihm gelegentlich über seine Visionen erzählt hatte, war für Hartwich zur Offenbarung geworden. Es gab einen Gott, der dort über den Gestirnen thronte … Es gab eine Macht, die den Geschicken der Menschen ihre Bahn vorschrieb! Keinen Gott, der sich in die Formen eines bestimmten Bekenntnisses zwingen ließ! Aber einen Gott, der, allmächtig und allgegenwärtig, überall zu spüren war …

Und aus diesen rückschauenden Gedanken heraus schreckte den vor sich hin sinnenden Steuermann die zitternde gütige Greisenstimme auf …

„Noch schläft ihr Weib, Georg Hartwich … Da können wir beide noch anderes besprechen …“

Der Steuermann nickte nur wieder …

„Ihr Weib …!“ hatte der Pater gesagt … Ja – Ellen war sein …! Und Ellen sollte auch durch den Segensspruch dieses Priesters ihm verbunden werden …!

„Die Azteken haben oben in der Höhle der Insel Christophoro achtunddreißig Kisten mit Goldbarren gefunden …“

Da – – erwachte Hartwich gleichsam …

Der Schatz, – – der Schatz, um den bereits so viel Blut geflossen, in den Händen der Azteken?!

„Und – wo ist das Gold jetzt?“ stieß er hervor …

„So gehört es wirklich Ihnen?“ meinte der Pater ein wenig erstaunt.

Hartwich begann zu erzählen – alles, was mit dem Azorenschatz zusammenhing, in großen Zügen nur.

„Es gehört also weder mir noch sonst jemand,“ schloß er seine gedrängten Angaben mit heiliger Begeisterung. „Es gehört meinem Vaterlande, Deutschland! Und dieser Gedanke, daß alles – alles nun umsonst gewesen sein sollte, daß der Schatz verloren ist, treibt mir das Blut rascher zum Herzen als Flammentod und Martern …! – Wo befindet sich das Gold jetzt?“

„In der Schatzkammer des Königspalastes am See …. – Für die Azteken, mein Sohn, bedeuten jedoch diese Goldbarren ein Nichts! – Als vor fünfhundert Jahren eine Schar Azteken auf der Flucht vor den spanischen Eroberern auf einem Riesenfloße von Baumstämmen ihre Heimat verließ, nahmen diese achtzig Flüchtlinge auch all die Kostbarkeiten mit, die sie bis dahin vor den Spaniern hatten verbergen können … Ein zweites Floß trug Unmengen von Goldstangen, goldenen Geräten. Beide Baumflöße landeten nach Wochen mit nur noch vierzig Lebenden hier an den Gestaden von Christophoro, das erst später durch vulkanische Erschütterungen von den gefährlichen Rriffkränzen umgeben wurde. Diese Überlebenden fanden den Zugang zu dieser Riesenhöhle und – – wurden Höhlenbewohner, vermehrten sich, bauten die Stadt, die Paläste, beschafften sich Nahrungsmittel aus den Tiefen des fischreichen Sees, auch durch Ausflüge an die Oberwelt …“

Ein Seufzer stahl sich über seine Lippen …

„Und dieses Volk, jetzt aus etwa sechshundert Köpfen bestehend, ist … dem Untergange geweiht – einem grausigen Geschick! – Georg Hartwich, Sie werden die Bedeutung des Wortes Inzucht kennen. Bedenken Sie, vierzig landeten hier! Und diese vierzig sahen Kinder- und Kindeskinder um sich her aufwachsen – alle durch das Blut miteinander verwandt, alle abstammend von den wenigen Männern und Frauen. Und mit jeder Generation zeigten sich die Merkmale der verderblichen Inzucht, dieser Heirat von nahen Verwandten, stärker und stärker. Als ich vor fünfzig Jahren, ausgesetzt auf Christophoro durch einen Schurken, in die Gewalt der Azteken geriet, mußte bereits jedes dritte, vierte neugeborene Kind … getötet werden, weil Krüppel, weil armselige Geschöpfe zur Welt kamen … Und auch die ganze jetzige Generation dieses Restes eines einstigen Kulturvolkes trägt den Keim der Verblödung in sich. Das ist das Drama dieser Höhlenbewohner, Georg Hartwich. Noch eine Generation, und diese Wunderwelt hier unten wird nur … von Wahnsinnigen bewohnt sein!“

Noch immer hielt er Hartwichs Hand in der seinen.

Fuhr ebenso traurig und schmerzbewegt fort:

„Nun werden Sie auch begreifen, weshalb die reine Lehre des Christengottes an diesen armen, kranken Seelen so spurlos abgeleitet, weshalb man diese unglückseligen stumpfsinnigen Geschöpfe auch kaum für die bestialische Grausamkeit ihrer sogenannten Religion verantwortlich machen kann. Nur ein einziger unter ihnen ist geistig noch so aufnahmefähig, daß er das Unheil, das Drama seines Volkes überschaut; der weit über hundert Jahre alte König Mataguma! – Mit ihm habe ich wiederholt über dieses Verhängnis der Verwandtenehen gesprochen, und mir scheint, daß in seinem noch immer so klaren Kopfe irgend ein mir unbekannter Plan entstanden ist, dieses drohende Unheil allgemeinen Irrsinn zu verhüten …“

Der Steuermann hörte nur mehr aus Ehrerbietung zu …

Was ging ihn das Geschick dieser halbblöden Indianer an?!

Dort im Nebenraume schlief die ahnungslose Ellen – sein Weib!!

Nur der Gedanke an Ellen durchwogte sein reges Hirn …

Fluchtpläne entwarf er, während der Pater noch weiter über den uralten König Mataguma sich äußerte.

Flammentod – Scheiterhaufen!!

Seine Ellen – – niemals – – niemals!! Und wenn er sich und ihr in letzter Minute mit eigener Hand den Tod geben sollte. Niemals würde erdulden, daß Ellen diesen Tod erlitt! –

Dann horchte er wieder auf des Paters Worte …

„Gehen Sie zu ihr, mein Sohn … Wecken Sie sie … Bereiten Sie sie vor auf das, was ich freudigen Herzens euch beiden spenden will, den Segen Gottes eurem Liebensbunde …!“ –

Georg stand vor Ellens Lager …

Matt und weich lag das Licht der Öllampen auf dem jetzt sanft geröteten Antlitz des jungen Weibes …

Seines Weibes …! – Und sie lächelte im Traum, bewegte die Lippen … Ihr Gesicht drückte sehnsüchtiges Verlangen aus …

Da … küßte er sie, küßte sie wach … Fühlte ihre Arme um seinen Hals, die Glut ihrer Lippen …

Begann zu flüstern … Bis Ellen jäh begriff …

Ein Freudenschimmer verschönte ihre reinen Züge …

Und Arm in Arm betraten sie das Nebengemach …

Knieten nieder auf die harten, kühlen Marmorplatten …

Bebende Greisenhände legten sich auf ihre Scheitel … Eine bebende Stimme murmelte lateinische Formeln.

Dann sprach Pater Lopez ernst und feierlich:

„Was die Zukunft Euch auch bringen möge, Ihr seid eins – für immer – auf Erden und vor Gottes Thron!“

Und er beugte sich herab, hielt ihnen das kleine Kruzifix, das an seiner Gürtelschnur hing, zum Kusse hin … –

So wurde Ellen Barrouph auch vor den Menschen Georg Hartwichs Weib …

Und als sie sich nun wieder, erfüllt von den Schauern tiefer Andacht, erhoben, als Pater Lopez leise hinausschlich und das junge Paar allein ließ da … dämmerte hier in dieser unterirdischen Welt der neue Tag herauf.

Die Felsendecke der ungeheuren Grotte begangen in gelblichem Lichte zu erstrahlen …

Durch die vergitterten Fenster drang dieses seltsame Licht in das bräutliche Gemach …

Die Öllampen brannten nicht mehr …

Ellen ruhte in Georgs Armen …

Brautnacht im Morgendämmern …

Und – auf der Terrasse des Königspalastes am See schichteten Priester mit stumpfsinnigem Gleichmut die Scheiterhaufen höher und höher …

 

90. Kapitel.

Nach dem Ball …

Durch die nächtlichen Straßen der Hauptstadt Taxata rollten Autos – brachten die Gäste Seine Exzellenz des Präsidenten wieder heim von dieser glanzvollen Veranstaltung.

Drei Uhr morgens war’s …

Der flinke Kraftwagen des amerikanischen Gesandten glitt dem Villenviertel im Osten der Stadt zu …

Zwei Herren saßen schweigend in den weichen Lederpolstern: John Barrouph, der Gesandte der Vereinigten Staaten, und der neue Gesandtschaftsrat Roger Shelling, ein kleiner, hagerer Herr mit leicht ergrautem Spitzbart.

John Barrouph träumte schmerzlich vor sich hin. Der Verlust seines einzigen Kindes hatte auch seiner Kraftnatur einen bösen Stoß versetzt. Er war in diese letzten Wochen ein anderer geworden. Das Rätsel von Ellens Verschwinden hatte aus dem bisher so nachsichtigen, menschenfreundlichen Diplomaten einen rachedurstigen Grübler gemacht.

Roger Shelling, in Wahrheit der Newyorker Privatdetektiv Jakob Worg, rauchte bedächtig eine Zigarre.

Dann wandte er plötzlich den Kopf …

„Mister Barrouph, ich weiß jetzt, weshalb dieser Armaro Ihre Tochter entführen ließ …“

John Barrouph schreckte auf …

„Sie wissen …? Woher?“

„Vor zwei Stunden wurde ich während des Festes durch einen Beamten unserer Gesandtschaft in das Vestibül gerufen. Ein Chauffeur hatte dem Beamten für mich eine Nachricht übergeben. Der Zettel enthielt Bleistiftzeilen in einer hier noch wenig bekannten Sprache – in Esperanto, eine Vorsichtsmaßregel des Absenders. Und dies ist der Rittmeister Juan Aristo, den Sie mir bereits als eifrigen Bewerber Miß Ellens bezeichnet hatten. – Ich kann Ihnen Aristos Mitteilung wörtlich wiederholen:

Ich und drei meiner Freunde sind soeben während des Soupers durch ein in der Vase unseres Tisches verborgenes Mikrophon bei gefährlicher Unterhaltung über die von uns gegen Armaro angezettelte Verschwörung belauscht worden. Außerdem haben wir auch über Miß Ellens Verschwinden gesprochen und den Verdacht geäußert, daß Armaro hier seine Hand im Spiele habe. – Wir vier haben Befehl erhalten, an Bord der Yacht ‚Medusa’ uns zu begeben. Wir werden beobachtet. – Juan Armaro“

„Und – Sie folgern hieraus?“ fragte der Gesandte gespannt, den Detektiv anblickend.

„Ich folgerte daraus, daß Miß Ellens Verschleppung ein ganz besonders feiner, gemeiner Schachzug dieses Mulatten-Präsidenten ist, von dem übrigens wohl mancher europäische Diplomat noch etwas lernen kann. Ich folgere, Armaro ahnte, daß Rittmeister Aristo gegen ihn intrigierte, wußte aber auch, daß Aristo sich um Miß Ellen ernsthaft bewarb. Um nun Aristo zu Unvorsichtigkeiten zu reizen, um Aristos politischen Haß gegen sich noch eine andere Quelle zu geben, ließ er Miß Ellen verschwinden. Und der Gang der Dinge beweist, daß Armaro richtig spekuliert hat. Die vier Verschworenen haben sich hinreißen lassen, dort an ihrem Tische Gespräche zu führen, die ihnen nun das Leben kosten dürften.“

Der Detektiv hatte all dies sehr bedächtig und sehr bestimmt vorgebracht.

John Barrouph war enttäuscht.

„Ich kann Ihnen da nicht beipflichten,“ meinte er, während das Auto bereits vor dem Gesandtschaftsgebäude hielt. „Ihre Annahme, Armaro wollte den Rittmeister durch diesen Banditenstreich gleichsam zu einer Unvorsichtigkeit aufstacheln, erscheint mir denn doch etwas weit hergeholt.“

Die Herren stiegen aus.

Das Auto glitt weiter, um das villenartige Gebäude herum, zu den Stallungen.

Roger Shelling schritt über die Straße, die hier nach der Stadt zu steil abfiel und durch eine starke Steinwalbarriere am Rande geschützt war.

Der Gesandte folgte ihm.

Unter ihnen lag Taxata, die Perle der Seestädte …

Und mit dem prüfenden Blick des Naturschwärmers das Landschaftsbild umfassend, über dem der herrliche Sternenhimmel in all seiner Pracht flimmerte, meinte nun Roger Shelling:

„Ich warte hier auf meine Leute, Mister Barrouph … Nach Empfang des Zettels habe ich verschiedene neue Befehle ausgegeben. – Ah – ein Radler…“

Der Radler kam in flottem Tempo vorüber – ein Mulatte anscheinend …

Ein Stein rollte zu Shelling hin, der ihn aufhob und den um den Stein gewickelten Papierstreifen loslöste.

Der Detektiv bildete aus seinem leichten Abendmantel einen Windschutz, schaltete einen kleinen Leuchtstab ein und las …

„Jacht ‚Medusa’ verließ elf Uhr den Hafen. Rennboot ‚Victrix’ mit Carlson, Belam und Channon hinterdrein. Um ein Uhr Funkspruch von der ‚Victrix’, daß die Jacht fortgesetzt westlichen Kurs hält. Die vier Offiziere sind an Bord. – Brown.“

„Hilft uns nicht viel,“ murmelte John Barrouph.

„Glauben Sie?! – Sie sind nicht Detektiv, Mister Barrouph. Warten wir ab …“

Und er lehnte sich mit beiden Armen auf die Steinbrüstung zur Straße …

Der Gesandte schritt hinter ihm nervös auf und ab.

Dann nahte ein Maultiertreiber, dessen magerer Klepper hoch mit Ballen und Kisten beladen war …

Dasselbe Spiel wiederholte sich …

Es war wieder einer von Jakob Worgs Leuten.

Der Papierstreifen meldete:

‚Achtzehn Offiziere und zwölf Beamte, alles Mitglieder des von Major Carrigo gegründeten Radioklubs, sind in den letzten Stunden in aller Stille verhaftet worden und befinden sich nun auf der Zitadelle. – Urling.’

„Sie werden gut bedient,“ meinte Barrouph erstaunt.

„Unser Geschäft … Ich habe zwölf meiner Besten mit hier … – Wir werden bald noch mehr hören.“ –

Fünf Minuten verstrichen …

Im Osten zeigte sich der erste fahle Schimmer des neuen Tages …

Ein Reiter trabte vorbei, auch kein Europäer – – anscheinend …

Dasselbe Spiel …

Der Stein rollte, und der Detektiv las im Schutze seines Mantels:

„Habe an Armaro gerichtete Chiffredepesche aufgefangen und entziffert. Ein gewisser Alfonso Jimminez bittet Armaro, sofort die ‚Medusa’ nach der Insel Christophoro mit Bewaffneten zu senden, da der Azorenschatz jetzt dort in einer Grotte lagere und auch die Sphinx abzufangen sei. – Tipperty.“

„Ich habe nämlich drüben auf dem Monte Retello eine Funkstation eingerichtet,“ erklärte der Detektiv …

„Sie sind vielseitig … – Was aber soll das bedeuten: Azorenschatz – – Sphinx?! – Verstehen Sie das?“

„Nein, Mister Barrouph. Ich weiß aber jedenfalls, daß die ‚Medusa’ nun nach Christophoro unterwegs ist, dem südlichen der drei Robigas-Eilande …“

„Und – –?“

„Und – werden abwarten …“

Er rauchte eine neue Zigarre an.

Der amerikanische Gesandte fragte:

„Hoffen Sie noch auf weitere Meldungen?“

„Ja … – Meine Agentin Gipsy Maad hat ein Verhältnis mit Armaros Kammerdiener angesponnen. Der Mann ist bereits Wachs in ihren Händen. Gipsy Maad hat sicherlich noch Nachricht.“

Und wieder fünf Minuten später abermals der Radler von vorhin …

Und wieder dasselbe Spiel …: Stein – Papierstreifen – Mantel – Leuchtstab …

„Gipsy hat soeben von Diener erfahren, daß Armaro fünf Uhr früh mit Wasserflugzeug der Militärfliegerstation starten wird, und daß dasselbe Flugzeug an jenem Abend, als Miß Ellen aus dem Parke des Palastes verschwand, an einsamer Küstenstellte für Armaros Zwecke für längere Fahrt bereitstand. – Erbitte neue Befehle. – Brown.“

Jetzt war John Barrouph plötzlich wie verwandelt.

„Mister Shelling, – wenn Ellen damals mit dem Wasserflugzeug fortgeschafft worden wäre!“ rief er leise.

„Wahrscheinlich,“ nickte der kleine Mann. „Sehr wahrscheinlich … Warten wir nur ab. Wir finden Ihre Tochter schon. Armaro wird jetzt der Yacht folgen – im Flugzeug. Ich ahne, es geht um diesen unbekannten Azorenschatz! Ich muß mich jetzt umkleiden, Mister Barrouph, habe es eilig …“

Sie schritten dem Gesandtschaftsgebäude zu, in dem auch der Detektiv im Ostflügel wohnte.

Eine Viertelstunde später verließ Jakob Worg das Haus als armseliger japanischer Hafenkuli durch eine Seitenpforte des Gartens, umging das Villenviertel und … lächelte still vor sich in, als hinter ihm und seitwärts im Unterholz immer wieder der heisere Ruf eines Vogels erklang …

Er wußte, daß Armaro ihn beargwöhnte …

Er wußte, daß Dolchstöße hier billig waren.

Mitten in der Straße schlurfte er dahin, beide Hände in den Taschen der löchrigen Leinenhosen …

Aber unter der Krempe des schäbigen Sombrero hervor glitten seine scharfen Blicke unausgesetzt über Büsche und Felsen …

Und – – in jeder Hand hatte er eine gespannte, entsicherte Remingtonpistole …

So gelangte er in die Vorstadt, wo gleich vor der ersten elende Kneipe ein Maultierkarren hielt.

Mit einem Satz war Jakob Worg hinten im Wagenkasten …

Und gleichzeitig hieb auch schon der vorn sitzende Kutscher wie toll auf die beiden Maultiere ein …

Der zweirädrige Karren jagte davon, durch fünf, sechs Straßen, bog wieder nach Norden ein …

Und da war Jakob Worg sicher, daß er die Spione abgeschüttelt hatte …

Hinter ihm war die Landschaft leer. Er sprang ab …

„Auf Wiedersehen, Brown,“ sagte er nur und begann den Monte Retello zu ersteigen.

Der Agent Brown fuhr zur Stadt zurück, und Worg-Shelling verlor sich im dichten Walde, der bis an die Kuppe des Berges sich vorschob.

Hier am Waldrande, in den obersten Ästen dreier zusammengewachsener Riesenpinien, hauste seit Tagen wie ein Baumaffe Edward Tipperty, der Funker.

Auf einer Strickleiter, die er seinem Chef auf einen Pfiff hin herabließ, kletterte Jakob Worg nach oben, wo ein primitives Hüttchen aus Ästen nicht nur den jungen Tipperty, sondern auch die Funkapparate beherbergte.

In der winzigen, außen grün durchflochtenen Hütte brannte eine abgeblendete Karbidlaterne.

„Stellen Sie mit der ‚Victrix’ Verbindung her,“ befahl Worg. „Dann weisen Sie Carlson an, daß er sich auf keinen Fall von der ‚Medusa’ erspähen läßt, und daß er auch deshalb besonders vorsichtig sein muß, weil Armaro mit einem Wasserflugzeug der ‚Medusa’ folgen wird. – Beeilen Sie sich, Tipperty …“

Gleich darauf begann die Antenne der heimlichen Station zu schwingen …

Die Sonne stieg jetzt empor …

Und Jakob Worg beobachtete dann auch durch ein Fernglas, wie ein Flugzeug im Westen der Stadt langsam gen Osten über den Atlantik im Morgendunst entschwand …

Der Detektiv lächelte wieder …

Er hatte seine Karten gut gemischt. Er hoffte das Spiel zu gewinnen … – –

John Barrouph saß derweil am Krankenbett seiner Gattin und berichtete ihr, was Worg vorhin über Ellens Entführung gemutmaßt hatte.

Frau Edith Barrouph, vor drei Wochen noch eine stattliche Erscheinung, war jetzt nach dem schweren Nervenfieber völlig weiß geworden und nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Mit weher Stimme meinte sie nun:

„Ich glaube nicht, daß Ellen noch lebt … Ich kann es nicht glauben … Wenn Armaro sie wirklich aus dem Parke hat verschwinden lassen, wird er sie doch niemals auf jener Insel ausgesetzt haben …! Bedenke, John, – Ellen könnte dann dort zufällig von einem Schiffe …“

„Verzeih’, – kein Schiff besucht je die Robigas-Eilande … Und Christophoro wird kaum jemand betreten können … Nur ein Flugzeug kommt über die Brandung hinweg.“

Frau Edith Barrouph hatte unwillkürlich die Hände gefaltet …

„John, John, – wenn sie wirklich noch lebte …!“

„Worg nimmt es bestimmt an …“

„Und – was sagte er zu diesem Azorenschatz, der dort lagern soll?“

„Niemand weiß etwas von einem solchen Schatz … – Vertrauen wir auf Worg! Er ist der einzige, der es mit einem Schurken wie Armaro aufnimmt.“

Er küßte seine Frau, wünschte ihr gute Nacht und begab sich in sein Schlafzimmer hinüber.