Die elegante Jacht des Milliardärs, auf der sich Mafalda, José Armaro und die Zwergenhorde befanden, segelte mit westlichem Kurs in den anbrechenden Abend hinein.
Der Dakihäuptling Pullolaku stand auf der Kommandobrücke am Steuerrad. Es war Armaro nicht weiter schwer geworden, dem alten Negergnom die einfachsten Begriffe der Kunst des Steuermanns klar zu machen.
So konnten denn Mafalda und der Expräsident im Maschinenraum das Anheizen der Kessel beaufsichtigen. Sowohl die Fürstin als auch Armaro besaßen genügend technische Kenntnisse, um an Hand der in der Kammer des Obermaschinisten aufgefundenen Zeichnungen der Turbinen der Jacht die Schiffsschrauben in Gang zu bringen. Abenteurer wie diese beiden, Abenteurer so großen Stils, sind ja zumeist in allen Sätteln zu Hause.
Mafalda freute sich, mit welchem Eifer die als Heizer bestimmten Daki ihrer Arbeit nachgingen und wie anstellig sie sich zeigten. Die Fürstin hatte die geistigen Fähigkeiten dieser Wilden bisher doch stark unterschätzt.
Armaro trat jetzt an seine Verbündete heran und meinte zufrieden nickten:
„Das wird schon werden, Mafalda …! Noch eine Stunde, und der ‚Star of Manhattan’ schleicht nicht mehr wie bisher im Schneckentempo durch die Wogen … Nein, dann laufen wir achtzehn Knoten gen Westen … Dann können wir hoffen, die Antillen noch vor Tagesanbruch zu erreichen, was in unserer Lage durchaus wünschenswert wäre. Denn mit der kleinen Negerbande als Besatzung würden wir bei Tageslicht überall Verdacht erregen …“
„Allerdings, José … Und trotzdem ist mir bei dem Gedanken nicht ganz behaglich zu Mute, daß wir beide und diese Wilden uns erkühnen, eine so komplizierte Schiffsmaschine in Gang bringen zu wollen … Ich werde das Gefühl nicht los, daß eine Kesselexplosion oder Ähnliches uns alle in die Luft befördern könnte …“
Armaro lachte …
„Aber Mafalda …! Es gehört doch wahrlich nicht viel Genie dazu, am Manometer die Dampfspannung zu prüfen … Im übrigen sind Turbinen viel einfacher zu bedienen als gewöhnliche Schiffsmaschinen … Du machst dir da wirklich ganz unnötige Sorgen …“
„Hoffentlich …! – Ich bin jetzt hier unten wohl überflüssig und will einmal oben an Deck nach dem Rechten sehen …“
Sie stieg die eiserne schmale Treppe empor, gelangte in das Achterschiff und hörte hier vom Salon her das ausgelassene Kreischen der Daki …
Böses ahnend riß sie die Salontür auf …
Ein Bild bot sich ihren Augen da, das bei aller überwältigenden Komik die Fürstin doch aufs äußerste reizte …
Die Daki hatten das Alleinsein hier in den Wohnräumen dazu benutzt, sich auf ihre Art herauszuputzen.
Einige hatten in den Damenkabinen Unterwäsche gefunden und stolzierten so in seidenen Höschen umher, den Oberkörper in weiße Bordjacken gehüllt, die ihnen natürlich viel zu lang und viel zu weit waren.
Manche in Uniformröcken der Schiffsoffizier, andere nur in Oberhemden …
Die Dakiweiber wieder prangten in buntseidenen Überwürfen, zu denen die Bettgardinen ihnen die nötigen Stoffe geliefert hatten …
Und die ganze Bande, es waren hier etwa fünfundzwanzig versammelt – hatten die Weinkammer der Jacht geplündert und bald auch die schärfsten Sachen herausgefunden: Rum, Whisky und Ähnliches …
Aus den Flaschen tranken sie den schweren Alkohol, waren sämtlich schon halb bezecht, tanzten um den langen Tisch herum und bemerkten gar nicht die Fürstin in der offenen Tür, bis Mafalda mit gereizten Worten dazwischenfuhr …
In ihrem Ärger versetzte sie einem der Daki, der sie frech in seiner Trunkenheit angrinste, eine schallende Ohrfeige …
Das war das verkehrteste, was sie hätte tun können.
Wenn diese Horde nüchtern gewesen, würde der Respekt vor der imponierenden Erscheinung Mafaldas die Daki wohl in Schach gehalten haben …
So aber, in diesem Zustande alkoholischer Erregtheit schlug nun die fröhliche Stimmung dieser Wilden jählings in flammende Wut um …
Tückisch von Charakter wie die meisten Zwergenvölker, die in den Baumkronen tropischer Wälder hausen, dazu noch jetzt ihrer Übermacht sich sehr wohl bewußt und außerdem noch zu größerer Frechheit gegenüber Europäern durch die Vorgänge auf der schwarzen Insel angestachelt, umringten sie jetzt plötzlich die Fürstin mit drohenden keifenden Schreien und wilden Bewegungen … Besonders der von Mafalda geschlagene Daki tanzte vor ihr wie ein kleiner Satan hin und her und fuchtelte andauernd mit seinem Revolver umher, den man ihm vorhin anvertraut hatte …
Mafalda biß sich vor Grimm auf die Lippen, beherrschte sich aber und begann der Horde gut zuzureden.
Alles umsonst …
Denn die Zwerge verstanden nicht ein Wort von dem, was die Fürstin mit krampfhaftem Lächeln ihnen vorhielt …
Im Gegenteil, die Trunkenheit steigerte sich noch bei diesen des Alkohols ungewohnten Naturkindern infolge der Erregung …
Verzerrte Teufelsfratzen wogten vor Mafalda hin und her …
Der Lärm nahm zu …
Und dann – ein unglücklicher Zufall! – entlud sich der Revolver des Geohrfeigten, und mit gellendem Schrei brach eins der Zwergenweiber schwer getroffen zusammen …
Einen Moment Stille …
Und jetzt ein so wahnwitziges Gebrüll trunkener Leidenschaften, daß selbst die Fürstin erbleichte …
Rasch wollte sie den Salon verlassen …
Doch die Wut über die Verwundung des Weibes richtete sich jetzt gegen die verhaßte Europäerin …
Wie ein Panther sprang einer der Knirpse ihr in den Rücken, umklammerte ihren Hals …
Andere wagten dasselbe …
Wie die Kletten hingen sie an der Fürstin, rissen sie zu Boden …
Messer wurden gezogen …
Mafaldas Leben hing hier in Wahrheit an einem Seidenfädchen …
Und doch hatte sie auch diesmal Glück, die große Abenteurerin …
Angelockt durch den wüsten Lärm erschien der alte Häuptling Pullolaku im Salon …
Seine Stimme brachte die Rasenden zur Vernunft …
Nicht über lange …
Schnatternd, keifend redete die Horde auf ihren Häuptling ein. Einige Männer verlangten, man solle Mafalda und Armaro fesseln … Wozu brauchte man die beiden?! Weshalb sollte man nicht den schönen Rum weiter durch die Gurgel jagen?! Wozu sollte man sich bevormunden und schlagen lassen?!
Pullolaku befand sich in größter Verlegenheit …
Sein Einfluß auf die Daki war nicht allzu bedeutend … Nur zu leicht konnte die allgemeine Wut sich gegen ihn selbst wenden, falls er nicht für die Seinen Partei ergriff.
Auch die auf Deck als Wachen verteilten Daki waren inzwischen herbeigekommen …
Unten im Maschinenraum hörte man nichts von alledem. Vielleicht hätte Armaro dann noch die Lage retten können …
So aber nahm das Schicksal hier in ganz anderer Weise seinen Lauf, als Mafalda und der Expräsident es je hätten vorausahnen können.
Pullolaku sah sich schließlich gezwungen, dem Verlangen der Rädelsführer nachzugeben, die nichts anderes wollten, als sich völlig zu Herren der Jacht zu machen und dann … ein fröhliches Trinkgelage zu beginnen.
Mafalda wurde also aufs roheste an Händen und Füßen gefesselt, erhielt zahllose Stöße und Püffe …
Dakiweiber spien ihr ins Gesicht … Dakimänner besudelten sie noch ärger …
Leichenblaß lag Mafalda auf dem roten Teppich des Salons …
Dann wälzte sich der ganze Schwarm taumelnd, brüllend in den Maschinenraum hinab …
Die Fürstin war mit der sterbenden Zwergin allein.
Das schwerverwundete Weib hob mühsam den Kopf … Sah die weiße verhaßte Feindin …
Mit letzter Kraft schleppte sie sich zu ihr hin, Mordgier in den schon halb erloschenen Augen …
Mafalda rollte sich weiter …
Bis zur Wand …
Die Verwundete folgte … Blutiger Greifer quoll ihr über die dicken Negerlippen …
Jetzt hatte sie die wehrlose Feindin erreicht …
Schmierige Finger tasteten nach der Fürstin Kehle.
Würgten Mafalda …
Und Mafalda schnellte sich empor, über das Weib hinweg …
Das war ihre Rettung …
Die Verwundete spie in dickem Strahl schaumiges Blut aus … Sank zurück … Zuckte … War tot …
Dann kehrte auch schon die Horde mit dem gebundenen Armaro zurück …
Selbst die als Heizer bestimmten Daki hatten ihre Plätze bei den Kesseln verlassen …
Selbst der alte Häuptling war jetzt in eine Art Raserei verfallen, hatte jede Achtung vor den Europäern verloren …
Ein Chor von Irrsinnigen umjohlte die Gefangenen.
Rumflaschen kreisten …
Ganze Bäche Alkohol rannen die Kehlen der Dakis hinab …
Armaro hatte mit Mafalda nur einen verzweifelten Blick ausgetauscht …
Aber – noch gab er nichts verloren …
Und rief nun mit einer Stimme, die den Lärm übertönte, dem alten Häuptling in spanischer Sprache zu:
„Ihr werdet alle sterben …! Die Jacht wird in die Luft fliegen … Die Kessel sind geheizt … Wenn niemand da ist, der den Dampf abläßt, seid ihr alle des Todes! Bringt uns hinab in den Maschinenraum … Bewacht uns … Wir werden das Unglück verhüten … Nur wir können es …!“
Und diese Warnung verfehlte denn auch ihre Wirkung nicht …
Nein – Pullolaku war intelligent genug, die Wahrheit dieser Worte zu erkennen …
Er übersetzte den Seinen Armaros Worte …
Still wurde es …
Die Daki berieten …
Dann wurde Armaro von drei Dakis hinab in den Maschinenraum geschleppt …
Andere führten Mafalda auf die Kommandobrücke, damit sie die Jacht steuere … –
Pullolaku hatte den beiden Weißen befohlen, die nächste Küste anzusteuern … Hatte auch dafür gesorgt, daß seine Leute Armaro weiter zur Hand gingen …
Eine Stunde darauf flog der ‚Star of Manhattan’ mit wirbelnden Schrauben gen Westen …
Die meisten Zwerge waren bereits vor sinnloser Trunkenheit im Salon eingeschlafen … Nur wenige, die Verständigeren, hatten mit Maß dem Alkohol zugesprochen …
Und fünf von diesen belauerten im Maschinenraum jede Bewegung Armaros …
Zwei andere bewachten mit gespannten Revolvern die Fürstin …
Da die Kessel der Jacht Ölfeuerung hatten, da also der Zufluß von Brennmaterial leicht zu regulieren war, gaben die Turbinen auch ihre Höchstleistung her.
Wieder vergingen Stunden …
Mafalda hatte durch Pullolaku die Positionslaternen anzünden lassen. Nach Mitternacht war’s bereits … Die Jacht hatte den unbefahrenen Teil des Atlantiks längst hinter sich … Hin und wieder bemerkte Mafalda in der Ferne die Lichter anderer Schiffe. Aber der Häuptling gab genau acht, daß die Fürstin all diesen Ozeandampfern auswich …
So raste denn die Jacht unaufhaltsam weiter …
Mafalda war so müde, daß sie unter anderen Umständen ohnmächtig umgesunken wäre …
Doch hier hielt die Rachgier sie aufrecht …
Der Wunsch, all diese Knirpse, die sie besudelt, bespien hatten, in den sicheren Tod zu schicken …
Wenn gerade niemand auf sie achtete, beugte sie sich über das Mundstück des Sprachrohrs, das in den Maschinenraum führte, und verständigte sich so mit Armaro …
Der Expräsident war mit allem einverstanden … Die schwarze Bande mußte sterben … Keiner sollte entrinnen …
Und – weiter rastet der ‚Star of Manhattan’ …
Stundenlang…
Bis gegen drei Uhr morgens die Fürstin trotz der Dunkelheit gerade voraus felsige Gestade erkannte …
Wieder neigte sie sich über das Sprachrohr …
„José – – Achtung …! Vor uns eine Insel … Noch zehn Minuten schätze ich!“
Und Armaro erhöhte die Glut unter den fauchenden Feuerungen der summenden Kessel …
Ein Lächeln umspielte unmerklich seinen Mund …
Abermals kam Mafaldas Stimme herab …
„Geradeaus eine starke Brandung – dahinter ein Stück flacher Strand … Zu beiden Seiten steile Uferwände …“
Nochmals ließ Armaro die Ölfeuerung heller aufflammen …
Und oben auf der Brücke sagte die Fürstin zu dem alten Häuptling:
„Jetzt bringe Sennor Armaro nach oben … Nur er kann jetzt die Jacht steuern, wo wir sofort landen werden …“
Der Häuptling gehorchte …
Armaro kam auf die Brücke … Acht Daki bewachten die beiden Europäer …
Und – konnten doch nicht ahnen, was nun geschehen sollte, konnten doch nicht verhindern, was Mafalda Sarratows Rachgier ersonnen hatte …
Die Jacht passierte die Brandung, ohne ihre Schnelligkeit zu verringern …
Und jenseits vor dem Streifen sandigen Ufers ein paar Klippen …
Zwei davon halb unter Wasser …
Und auf diese jagte das elegante Schiff jetzt zu …
Plötzlich ein überlautes Schnarren – ein Stoß dann, der die auf der Brücke befindlichen Zwerge übereinanderkollern ließ …
Nur Mafalda und Armaro, vorbereitet auf das, was sich ereignen würde, hielten sich aufrecht, sprangen nun in die See hinab, schwammen dem Lande entgegen …
Die Jacht lag festgerammt zwischen den Klippen – mit wirbelnden Schrauben, überhitzten Kesseln und abgedrosselten Ventilen …
Keiner der Dakis war des Schwimmens kundig …
Der furchtbare Stoß hatte auch die Bezechten munter gemacht …
Wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen lief alles an Deck hin und her …
Und gerade als die beiden Flüchtlinge an Land stiegen, flogen die drei Kessel der Jacht fast gleichzeitig in die Luft …
Der ‚Star of Manhattan’ riß infolge der Explosion auseinander. Dampfwolken hüllten ihn ein … Trümmer sausten umher … Zerfetzte Zwergenleiber klatschten ins Wasser … Halb verbrühte Daki brüllten im letzten Todeskampf …
Als der Wind die weißen Dampfschwaden vertrieben hatte, war von der Jacht kaum noch etwas auf den Klippen zu bemerken …
Mafalda und Armaro drangen in den Urwald jenseits der steilen Ufer ein und wanderten auf gut Glück einen schmalen Pfad entlang, kamen schließlich zu der Hütte eines Mulatten, der hier auf einer Lichtung eine kleine Zuckerrohrpflanzung besaß, gaben sich als Schiffbrüchige aus und erfuhren von dem Mulatten, daß sie sich hier auf der Insel Guadeloupe und zwar auf deren westlichem Teile, auf Basse Terre, befänden.
Inzwischen war der neue Tag bereits angebrochen.
Mafalda, Armaro und der Mulatte standen auf dem Vorplatz der Hütte und beratschlagten, wie der farbige Pflanzer hier bei sich vorläufig die Gäste unterbringen könnte.
Und gerade da geschah etwas, das wieder einmal bewies, wie das unberechenbare Geschick mit den Kämpfern um den Azorenschatz sein Spiel trieb …
Gerade da gewahrte Mafalda ein seltsames Etwas, das fast pfeilschnell weit nach Osten zu vom Himmel her herabfiel …
Und – hinter den Kronen der Urwaldbäume verschwand …
Es war … die Sphinx …!
Und rasch nahm Mafalda ihren Verbündeten beiseite, teilte ihm das Beobachtete mit …
Armaros Augen leuchteten …
„Wir haben Glück, Mafalda … Jetzt heißt es die Sphinx finden …! Merke dir genau die Richtung …“
Und zu dem Mulatten:
„Wir haben es uns anders überlegt, Sennor Tarfico … Wir werden zu Fuß bis zur nächsten größeren Pflanzung wandern, wo man uns einen Wagen leiht zur Fahrt nach dem Hafen von Basseterre …“
Der riesige Mulatte schien enttäuscht. Seine Augen glitten abermals über Mafaldas kostbare Ringe hin …
„Ich warne euch, Sennor,“ meinte er eindringlich. „Die Urwälder von Guadeloupe sind jetzt kein harmloser Aufenthalt … Eine Bande von entflohenen Sträflingen hat sich zusammengetan und macht die Gegend unsicher …“
Armaro lächelte …
„Amigo, wir fürchten uns nicht … Da – wir haben jeder zwei moderne Pistolen … Und – noch nie habe ich gehört, daß auf Guadeloupe das Straßenräubergewerbe im Schwange …!“
Der Mulatte zuckte die Achseln …
„Wie Ihr wollt, Sennor …! Aber es ist Tatsache! Vier weibliche Sträflinge sind aus der Haftanstalt Basseterre vor einer Woche entwichen, haben Pferde gestohlen und treiben sich in den Wäldern umher … Sie haben noch ein paar Neger für sich gewonnen, und …“
Armaro lachte schallend …
„Sogar weibliche Desperados!! Amigo – das sind wahrscheinlich alte Hexen, die in Basseterre lange Finger gemacht haben …!“
„Ihr irrt, Sennor … Es sind vier Europäerinnen, die ein Schurke an ein Freudenhaus in Basseterre verkauft hatte und die dann die Inhaberin der berüchtigten Schänke niederstachen, um entweichen zu können … Man verurteilte sie zu Gefängnis … Und nach dem sie einen Monat die Sträflingskleider getragen, brachen sie aus … Ich lüge nicht, Sennor … Bleibt lieber hier bei mir … Nachmittags kehrt mein Sohn mit dem Wagen zurück. Dann fahre ich euch nach der Stadt … Dies Sennorita wird ja gern mit einem ihrer Ringe bezahlen …“
Armaro lehnte auch dies Anerbieten ab.
Und nach etwas kühlem Abschied von dem Mulatten schritten er und Mafalda den Fahrweg entlang gen Osten … wieder durch das Schweigen der gewaltigen Urwälder von Guadeloupe …
Eßbare Früchte erquickten sie … Und obwohl ihre Glieder ihnen kaum noch gehörten, trieb die Goldgier sie doch vorwärts …
Als der Fahrweg, der nur in einem Wagengleis bestand, das sich durch die Lichtungen schlängelte, nach Süden abbog, benutzten sie abermals einen kaum erkennbaren Pfad, der sich in östlicher Richtung durch das Dickicht zog …
Doch Stunden vergingen, und trotz vielfachen Abweichens nach rechts und links und trotz aller weiteren Bemühungen, die hier doch fraglos gelandete Sphinx zu finden, mußten die beiden Abenteurer gegen acht Uhr vormittags ihre Bemühungen vorläufig aufgeben.
Mafalda erklärte, daß sie am Rande ihrer Kräfte sei.
Auch Armaro taumelte schon vor Schwäche wie ein Trunkener …
Gerade wollte sie sich unter einem Baum in das Gras werfen, als vor ihnen aus einem Gebüsch eine Reiterin hervortrabte …
Eine schwarzhaarige Sennorita im Sportkostüm.
In der Linken die Zügel …
In der Rechten eine jener Parabellumpistolen mit langem Lauf, die einem guten Schützen vollständig einen Karabiner ersetzen …
„Buonas Dias!“ rief die Reiterin den beiden als Gruß zu. „Dürfte ich fragen, wer Sie sind?“
Armaro log: Schiffbruch – – und so weiter!
Fragte dann vorsichtig:
„Verzeihen Sie, Sennorita … Wir sahen vor ein paar Stunden ein kleines Luftschiff niedergehen … Vielleicht haben Sie es ebenfalls bemerkt …“
Die schwarzhaarige Yvonne Lataille musterte die beiden nun mit ganz anderen Blicken …
Armaro erkannte jetzt auch, daß er hier fraglos einen der weiblichen Desperados vor sich habe.
Da erwiderte die Reiterin auch schon: „Ein Luftschiff?! Nein! Dergleichen gibt es hier auf Guadeloupe auch kaum. – Aber Ihr, Sennor, und Eure Begleiterin sollen ganz in der Nähe ein behagliches Unterkommen finden. Folgt mir nur …“
Sie ritt voran. – Armaro gab Mafalda achselzuckend ein Zeichen. Das hies: ‚Jeder Widerspruch wäre der Banditin gegenüber zwecklos …’
So folgten sie denn dem schwarzhaarigen Mädchen.
Schon nach kurzer Zeit wurde der Boden steinig und der Urwald immer lichter, und plötzlich lag hier mitten auf einer buschreichen Blöße ein enormes Felsgebilde, ein seltsamer Berg aus dunklem Granit in Würfelform.
Die Reiterin hielt fünfzig Meter vor der Südkante dieses wohl turmhohen Steines an, zog eine silberne Pfeife aus dem Gürtel und gab damit viermal ein ganz bestimmtes Trillersignal.
Nach wenigen Minuten erschien aus dem mannshohen Gestrüpp am Fuße des Würfelfelsens ein anderes Mädchen in ähnlicher Tracht.
Yvonne Lataille war inzwischen abgestiegen. Nun wandte sie sich an Armaro und Mafalda …
„Sie entschuldigen, daß ich Ihnen jetzt erst meinen Namen nenne … Ich bin die Oberin des Erholungsheims für weibliche Angestellte … Es ist nun Sitte bei uns, daß wir Fremde nur mit verbundenen Augen in unser Heim führen. Sie werden sich also die schwarzen Kapuzen über die Köpfe ziehen, die meine Freundin mitgebracht hat …“
Armaro verbeugte sich – ganz Kavalier …
Lächelte …
„Hm – ein merkwürdiges Erholungsheim, Sennorita, dessen Oberin im Herrensattel wie ein Jockey sitzt und eine Pistole als Sonnenschirm mit in den Wald nimmt …“
„Sie werden weit Merkwürdigeres sehen, Sennor,“ erklärte Yvonne kühl. „Bitte – die Kapuzen!!“
Das war schon halb ein Befehl.
Mafalda und Armaro gehorchten. Die Kapuzen waren so dicht, daß auch nicht ein Lichtstrahl hindurchdrang.
Armaro fühlte eine Hand an seinem Ärmel …
Man führte ihn davon …
Wohl zehn Minuten dauerte es, bevor Yvonne Lataille rief:
„So, nun dürfen Sie wieder die Binden entfernen.“
Und die beiden taten’s …
Grelles Sonnenlicht blendete sie einen Moment …
Dann … prallten sie leicht zurück …
Dicht vor ihnen lag … die Sphinx auf dem sandigen Boden eines von hohen Mauern umgebenden Hofraumes …
Und dicht … neben ihnen stand Yvonne, hatten ihre Gesichter beobachtet und sagte nun eisig:
„Ich weiß jetzt Bescheid … Sie beide kennen die Sphinx … Sie beide gehören offenbar mit zu den Feinden des Grafen Gaupenberg … – Blicken Sie nach rechts …!“
Und Armaro und Mafalda wandten die Köpfe …
Sahen … Edgar Lomatz und den Dakizwerg Maupati in der prallen Sonne an zwei Pfähle gefesselt dastehen …
„Die beiden,“ meinte Yvonne verächtlich, „sind Diebe … Der Weiße wollte mich überlisten … Yvonne Lataille fällt auf so plumpe Dinge nicht herein … – Geben Sie nun zu, mit zu Gaupenbergs Feinden zu gehören?“
Armaro nickte nur …
„Ihr Glück!“ rief Yvonne. „Hätten Sie gelogen, würde ich Sie unbarmherzig zwei Stunden in der Sonne haben braten lassen … Jetzt werde ich Sie nur einsperren …“
Und wieder schrillte die Trillerpfeife …
Aus einer niederen Tür der Granitmauer traten drei Neger heraus …
Der eine packte Mafalda … Die beiden anderen Armaro …
Und durch dieselbe Tür führten sie nun die Gefangenen je in ein dunkles Gelaß …
Schwere Holztüren schlugen krachend zu … Riegel kreischten …
… So endete vorläufig des Expräsidenten und der Fürstin Jagd auf den Azorenschatz …
So … – als Gefangene Yvonne Latailles, der Straßenräuberin von Guadeloupe-Basseterre …
„Was … war das?“ fragte der dicke Mormonen den deutschen Seemann Nielsen, indem er die rechte Hand hob und dorthin deutete, wo das seltsame große Fahrzeug, vor dem die Aztekin mit ihrem Nachen in so wilder Angst geflüchtet war, sich gleichsam in milchigen Dunst aufgelöst hatte …
Gerhard Nielsen hielt Mantaxa noch in den Armen, ließ sie nun sanft auf den Steinboden gleiten und legte ihren Kopf auf einen kleinen Hügel trockener Seepflanzen, die der unterirdische Ozean hier ausgeworfen hatte.
Selbst Nielsens Gesicht verriet deutlich eine gewisse Unruhe, als er nun Tillertucky bedächtig antwortete:
„Ich habe nicht mehr gesehen als Sie, Mister Tillertucky … Jedenfalls war es ein größeres Schiff, das nach Art der altgriechischen Kriegsfahrzeuge durch lange Ruder bewegt wurde …“
„Freilich, – auch wie die früheren Galeeren, auf denen die Sträflinge an ihren Ruderplätzen angeschmiedet waren,“ nickte der Mormonenpriester. „Ich glaubte auch an Deck eine ganze Menge Menschen zu erkennen … Meine Augen sind allerdings nicht gerade hervorragend, Mister Nielsen …“
„Es stimmt schon … Auch ich sah mindestens ein Dutzend Leute … Das Schiff hatte an jeder Seite etwa fünfzehn Ruder … Auffallend war die Geräuschlosigkeit, mit der diese Ruder arbeiteten …“
Und all das sagte er ganz gegen seine sonstige Gewohnheit mit gedämpfter Stimme – ohne jene überlegene Ironie, mit der er zumeist Menschen und Dingen gegenübertrat.
„Vielleicht waren’s Überlebende der Azteken…“ meinte Tillertucky zögernd. „Überlebende jener Katastrophe, durch die König Mataguma sein durch Inzucht entartetes Volk auslöschen wollte und auch ausgelöscht hat – bis auf Mantaxa, wie wir bisher annahmen.“
„Von ihren Landsleuten wäre die junge Indianerin kaum geflogen,“ warf Nielsen kopfschüttelnd hin. Und fügte energischem zu: „Lassen wir alles zwecklose Raten … Bringen wir Mantaxa wieder zum Bewußtsein … Sie wird uns am besten sagen können, was es mit der Galeere auf sich hat …“
Er beugte sich über das Mädchen und sah zu seinem Erstaunen, daß es die Augen weit offen hatte …
Er half ihr wieder auf die Füße … Ein seltsam geistesabwesender Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Die Blicke schienen gespannt den unendlichen Ozean dieser geradezu ungeheuren Höhle abzusuchen.
„Mantaxa,“ sagte Nielsen eindringlich, „Mantaxa, was war das für ein Schiff, vor dem du flohst …?“
Sie antwortete nicht …
Nur ein Zittern lief über ihre Gestalt hin, und etwas wie ein qualvoller Seufzer – halb ein Stöhnen – kam über ihre Lippen …
Nielsen schaute den Mormonen vielsagend an …
Und fragte nochmals:
„Mantaxa, verheimliche uns nichts … Befanden sich Azteken auf dem Fahrzeug mit den vielen Rudern?“
Doch das braune Mädchen schwieg beharrlich, senkte den Kopf und seufzte abermals …
Nielsen gab sein Forschen so schnell nicht auf …
„Mantaxa, wir werden dich gegen jede Gefahr schützen … Du bist uns willkommen, sollst unsere Freundin sein … Nur – sei offen! Was war das für ein Schiff?“
Schweigen …
Noch tiefer sank des Mädchens Kopf. Ihre Haltung drückte eine rührende Hilflosigkeit aus.
Da unterließ Nielsen alle weiteren Fragen.
„Kehren wir an die Oberwelt zurück,“ meinte er zu Tillertucky. „Mantaxa wird uns begleiten … Wir müssen mit den Kameraden diese Dinge besprechen. Unsere Lage hier auf der Insel ist ernster, als wir’s anfänglich annahmen. – Der ausgebrannte Dampfer ist infolge der Hitze völlig unbrauchbar. Die meisten Nieten der Eisenplatten der Bordwandungen haben sich gelockert … Das ausgebrannte Wrack saugte Wasser und dürfte jetzt schon auf dem Grunde des Binnensees liegen. An Waffen besitzen wir zwei Revolver, drei moderne Pistolen – und wenig Munition. Und jetzt droht uns noch die Gefahr, daß die Insassen der geheimnisvollen Galeere durch den Schacht nach oben steigen und uns überfallen. – Vorwärts also, Tillertucky …“
Sie gingen …
Und Mantaxa folgte den Männern ohne Widerspruch.
Als man das Ende des steilen Schachtes erreicht hatte, wandte Nielsen sich an den Mormonen…
„Wir müssen diese Steinplatte, die den Zugang des Schachtes verschließt, derart befestigen, daß niemand sie zu entfernen vermag …“
Bei dieser Arbeit half Mantaxa unaufgefordert.
Durch Steine und Felsstücke stützte Nielsen die Platte in einer Weise ab, daß es unmöglich schien, sie von der anderen Seite, vom Schacht aus, auch nur ein wenig zu verschieben.
Samuel Tillertucky hatte so wacker Steine herbeigeschleppt, daß er jetzt vollständig erschöpft war. Nielsen kletterte daher zunächst allein an dem Tau in den Kraterdom hinauf, holte Gaupenberg, Dalaargen und Hartwich, die in der Wohngrotte bei den Damen gesessen hatten, und zu vieren zog man dann erst Mantaxa und schließlich auch den Dicken empor. –
Eine halbe Stunde später fand in der Wohngrotte eine große Beratung statt. Es waren hier versammelt: Gaupenberg, Hartwich, Knorz, Doktor Falz, Pasqual Oretto, Dalaargen, Nielsen, Tillertucky, der Milliardär Josua Randercild, Kapitän Durley und Tom Booder, der Erste Offizier der geraubten Jacht, von deren Zerstörung durch die Kesselexplosionen noch keiner dieser Männer etwas ahnte.
Die Damen hatten sich bis auf Mantaxa und die Prinzessin Toni Dalaargen zum Nordstrand begeben, um dort im Schatten der hohen Ufermauern frische Luft zu schöpfen. Eine Anzahl Matrosen sollte die Frauen bewachen, damit nicht etwa von irgendeiner Seite gegen sie ein Anschlag verübt würde. Schon aus dieser Vorsichtsmaßregel, die von Nielsen dringend anempfohlen worden war, ging zur Genüge hervor, wie ernst der blonde Seemann die Lage der jetzigen Bewohner der schwarzen Insel beurteilte.
Daß Toni Dalaargen und Mantaxa den Spaziergang zur Nordküste nicht mitmachten, hatte einen bestimmten Grund. Die Aztekin war den übrigen Frauen gegenüber äußerst scheu geworden, obwohl man sie aufs liebevollste behandelt hatte. Nur der Prinzessin so überaus sanfte Art hatte schließlich erreicht, daß Mantaxa sich ganz an das liebliche Tonerl anschloß und daß sie diese dann auch bat, bei ihr zu bleiben, wenn sie vor der Versammlung der Männer nochmals ausgefragt werden würde.
Nun saßen Toni und Mantaxa in zwei Rohrsesseln mit an der langen Tafel, um die herum die Herren sich zwanglos niedergelassen hatten.
Mantaxa wagte nicht aufzuschauen. Sie ahnte, daß jeder ihr anmerkte, wie sie mit aller seelischen Kraft ein Geheimnis zu hüten bestrebt war, das mit zu den dunkelsten des ehemaligen unterirdischen Aztekenreiches gehörte.
Nielsen ergriff als erster das Wort. Seine Ausführungen waren knapp und übersichtlich. Er betonte, daß es für die jetzt hier auf der schwarzen Insel Befindlichen keine Möglichkeit gebe, die Insel zu verlassen, nachdem das ausgebrannte Wrack der ‚Sonora’ nun tatsächlich weggesunken sei …
„Auch die Lebensmittelfrage,“ fuhr er ebenso ernst fort, „wird im kurzen sehr dringlich werden. Wir sind zu zahlreich, als daß Vogeleier und die Beute der Angler uns alle ernähren könnten.
Daß aber ein Schiff in Sicht kommt und uns aufnimmt, bleibt eine Hoffnung, die vielleicht völlig eitel ist. Mithin muß etwas geschehen, damit schleunigst auf andere Weise Hilfe herbeigeholt wird …“
Er machte eine Pause …
Dann: „Wir müssen ein Floß bauen, und einige von uns müssen versuchen, mit dem Floß die nächste Küste, und das wäre eine der Antilleninseln, zu erreichen.“
„Bravo!“ rief Kapitän Durley. „Dasselbe hätte ich vorgeschlagen.“
Und Gaupenberg nickte …
„Einverstanden!“
Nielsen sprach weiter:
„Dann wäre dieser Punkt erledigt. – Ich komme jetzt zu der vielleicht noch wichtigeren Frage, wie wir uns vor einem Überfall durch die unbekannte Besatzung der Galeere dort unten auf dem Höhlenozean wirksam schützen können. Vorläufig haben wir den Zugang des Schachtes verrammelt und sechs Matrosen als Wache dort aufgestellt. – Bevor wir nun hierüber beraten, muß Mantaxa, die wir als eine der Unsrigen betrachten, uns über die Bedeutung dieses Fahrzeugs, vor dem sie in so hellem Entsetzen die Flucht ergriff, Aufschluß geben. Deshalb habe ich sie auch gebeten, dieser Versammlung beizuwohnen. Ich bin überzeugt, daß Mantaxa die Galeere kennt … Und nochmals bitte ich Sie nun, uns ehrlich zu erklären, was für eine Bewandtnis es mit diesem Schiffe hat …“
Aller Augen waren auf die junge Indianerin gerichtet …
Mantaxa saß zusammengesunken da, – ein Bild hilfloser Angst und Unentschlossenheit …
Toni Dalaargen hatte ihr den einen Arm um die Schulter gelegt und flüsterte ihr zu: „Sprich dir das Herz frei, Mantaxa … Wir alle meinen es doch nur gut mit dir …“
Ihre weiche Stimme wirkte besser als Nielsens ein wenig energische Mahnung.
Die Aztekin hob den Kopf. Ihre dunklen Augen glitten über die Gesichter der Männer hin und blieben auf Nielsen haften …
„Ich … darf … nichts … verraten,“ sagte sie leise … „Ich habe einst zufällig dieses Geheimnis des Königs Mataguma und der Priester erfahren … Man wollte mich töten, damit ich für alle Zeit stumm bliebe … Man schonte mich nur, weil ich zu Füßen des goldenen Standbildes des Gottes Vitzliputzli Schweigen gelobte …“
Ihr hübsches Antlitz war in Erinnerung an jene schreckensvollen Stunden aschgrau geworden. Sie zitterte … Ihre Lippen konnten kaum die Worte formen …
„Quält mich nicht weiter,“ flehte sie nun … „Quält mich nicht … Ich … werde nie etwas verraten …!“
Und die mitleidige Prinzessin rief gleichfalls: „Bitte – peinigen Sie doch die Ärmste nicht weiter!“
Doch Nielsen, der nur an das Wohl und Wehe aller dachte, sagte hart:
„Eine Frage muß Mantaxa mir beantworten … Ich muß wissen, wieviel Leute sich auf der Galeere befinden … Daß es Azteken sind, steht jetzt fest. – Also, Mantaxa, – was kannst du hierüber angeben?“
Die Indianerinnen ließ wie mutlos den Kopf sinken …
Flüsterte: „Es möge hundert sein … Vielleicht auch mehr … Vielleicht weniger … Obwohl ich glaube, es werden doch …“
Sie schwieg …
Vom Eingang des Felsenschachtes her, der in den Kraterdom hinabführte, war ein Matrose bis zum Beratungstisch gestürmt …
Atemlos keuchte er hervor:
„Man hat die Steinplatte zur Seite gerückt … Harry Port hat drei Schüsse abgefeuert … Jetzt ist wieder Ruhe …“
Der Mann sank auf einen Stuhl …
„Es … es sind mindestens fünfzig Indianer.“ berichtet er stockend weiter … „Sie haben Fackeln und Waffen … Streitäxte, Lanzen, Wurfkeulen … Nur durch die Schüsse sind sie verscheucht worden … Mit Stämmen schoben sie die Festplatte beiseite, versuchten sie zu zertrümmern … Ein Toter liegt dich hinter der Platte … – Die Stöße aus dem Gang wurden mit größter Kraft geführt …“
Dieser stämmige Amerikaner machte einen viel zu verstörten Eindruck, als daß lediglich eiliger Lauf ihn derart außer Atem gebracht haben konnte.
Doktor Dagobert Falz war es nun, der den Mann in seiner so überaus wohltuend beruhigenden Art fragte:
„Ist Ihnen vielleicht an diesen Indianern – es sind im übrigen Azteken – noch etwas aufgefallen? – Sie haben doch fraglos gute Nerven, und Ihre Erregung scheint mir noch eine andere Ursache als nur diesen Sturmangriff der geheimnisvollen Feinde gehabt zu haben …“
Der Matrose grinste verlegen …
„Master Falz, – – die … die Kerle sahen die Teufel aus,“ meinte er zögernd …
„Hatten sie bemalte Gesichter?“
„Nein … Das nicht … Aber diese Gesichter waren kaum menschenähnlich, waren zu Satansfratzen verzerrt … Die meisten hatten auch Schaum vor dem Munde … Wie … wie … Verrückte … Und – so brüllten sie auch – wie Irrsinnige …! Ich habe einmal in einer Kneipe in Frisco einen Kerl miterlebt, der plötzlich das Delirium kriegte, Master Falz … Und genau wie der … so sahen auch diese Azteken aus …“
Falz wandte sich da langsam Mantaxa zu …
Und sagte vielleicht noch gütiger: „Mantaxa, diesen deine Stammesgenossen sind als Geisteskranke vom König Mataguma und den Priestern nach dem unterirdischen Ozean und auf die Galeere verbannt worden … – Ist es so?“
Die junge Indianerin flüsterte nur: „Ich … darf nicht sprechen … Ich … habe zu Füßen des Gottes Schweigen gelobt …“
„Ich will nicht weiter in dich dringen, meine Tochter,“ nickte Doktor Falz sanft. „Ich weiß auch so, was ich von diesen Unglücklichen zu halten habe. Es wird so sein, wie ich annehme. Das entartete Volk der letzten Azteken war ja bereits dem Wahnsinn preisgegeben! Nur deshalb wollte König Mataguma es mit einem Schlage vernichten … Etwas jedoch hatte er nicht bedacht, als er die große Katastrophe herbeiführte und die Wassermassen des Atlantik in die Grotte unterhalb der Insel Christophoro leitete … Und dies eine war, daß die Katastrophe sich nicht weit genug ausdehnte, um auch die Galeere der Wahnsinnigen zu versenken … Die Galeere blieb, und du, Mantaxa, flohst vor dem Schiffe, weil du merktest, daß die Irren offenbar ihre Wächter und Aufseher beseitigt hatten und völlig Herren des Fahrzeuges waren …“
Mantaxa neigte ganz wenig wie zustimmend den Kopf …
Doktor Falz fügte in kräftigerem Tone hinzu: „Aber gerade weil wir es nun hier mit einer Schar von unglücklichen und doppelt gefährlichen Menschen zu tun haben, dürfen wir nichts versäumen, uns gegen ihre Angriffe zu schützen. – Graf Gaupenberg, alle weiteren Befehle sind Ihre Sache …“
Wie ein unheilvoller Bann lag es jetzt über der Versammlung. Der Gedanke, daß man vielleicht mit diesen infolge ihrer geistigen Umnachtung zu Tieren herabgesunkenen Geschöpfen um das Leben würde kämpfen müssen, – und weiter das Bewußtsein, zur Abwehr der furchtbaren Feinde nur vier Schußwaffen zur Verfügung zu haben, – schließlich auch noch die Sorge um die Beschaffung der nötigen Lebensmittel und die Schwierigkeiten, die sich einer Rückkehr in bewohnte Gegenden entgegenstellten, – – all das verstärkte noch das Gefühl der Unsicherheit und einer gewissen Verzagung selbst bei diesen Männern, die doch mit wenigen Ausnahmen bereits in diesem wechselvollen Ringen um den Azorenschatz dem Tode so und so oft kaltblütig ins Auge geschaut …
Schweigen jetzt …
Ein Schweigen, als ob der Eiseshauch eines dunklen Verhängnisses durch die freundliche Wohngrotte strich.
Und dann – wie erlösend und befreiend Gerhard Nielsens, des Unverwüstlichen, gleichmütigen Worte:
„Na – wir werden auch mit diesem Malheur noch fertig werden! – Ich will in den Felsengang hinab und dort mal zusehen, wie man den Schacht für alle Zeit versperren kann … Es genügt, wenn ein paar der Herren mich begleiten … Vielleicht kommen Sie, Dalaargen, und Hartwich mit … Die Azteken dürften den Ansturm ja kaum so sehr bald wiederholen. Die Schüsse haben ihnen einen bösen Denkzettel gegeben …“
Graf Gaupenberg ließ es sich jedoch nicht nehmen, gleichfalls den dreien sich anzuschließen. Auch Falz und Pasqual Oretto meinten, sie wollten sich einmal an Ort und Stelle überzeugen, ob die Gefahr eines Durchbruchs der gefährlichen Gegner wirklich so sehr groß sei.
Als diese sechs Sphinxleute nun in Begleitung des Matrosen in der Nähe der verbarrikadierten Steinplatte anlangten, trat ihnen der junge Seemann Harry Port entgegen – derselbe, der Nielsen vormittags so wacker geholfen hatte, die Bewußtlosen in die Grotte zu schaffen …
Port, den Revolver in der Rechten, meldete kurz, daß sich inzwischen nichts Neues ereignet habe …
„Die Bande verhält sich jetzt ganz still, Mister Gaupenberg … Wir haben noch neue Felsstücke vor die Platte gekeilt … Aber oben am linken Rande ist eine Öffnung, so daß man ein Stück des steilen Schachtes überschauen kann, in dem noch drei von den roten Teufeln weggeworfene Fackeln brennen und genügend Licht geben …“
Gaupenberg trat an das Guckloch heran und blickte hindurch …
Er sah den erschossenen Azteken dicht hinter der Steinplatte auf dem Rücken liegen – mit Stirnschuß.
Der Unglückliche hatte einen leichten Tod gehabt.
Die drei Harzfackeln lohten mit rötlichen Flammenzungen zwischen dem Geröll am Boden und schickten schwarze Qualmwolken zur Felsendecke empor.
Mit einem Male gewahrte Viktor Gaupenberg in den tieferen Teilen des Schachtes ein paar verschwommene Gestalten … Doch nur einer dieser Azteken wagte sich noch weiter aufwärts, taumelte dann in ganz merkwürdiger Weise wie ein Trunkener und schlug plötzlich vornüber, fiel mit dem Gesicht in das Steingeröll und blieb reglos liegen – wie tot … –
Der Graf wandte sich nach seinen Freunden um und teilte ihnen das soeben Beobachtete mit.
Nacheinander schauten nun alle durch die kleine Öffnung, und Nielsen und Georg Hartwich erkannten mit ihren scharfen Seemannsaugen, daß auch weiter unten im Schacht die Gestalten, die Gaupenberg nur unklar unterschieden hatte, jetzt gleichfalls am Boden lagen …
„Vier sind’s,“ erklärte Nielsen. „Mit dem oben Umgesunkenen also fünf … Was bedeutet das …?!“
Dagobert Falz, der noch durch die offene Spalte zwischen Steinplatte und Felswand hindurchlugte, sagte jetzt sehr energisch:
„Die Leute sind fraglos entweder bewußtlos oder gar tot. Ich schlage vor, wir räumen die Barrikade weg und überzeugen uns, was dort am Ufer des unterirdischen Ozeans geschehen ist.“
Doch selbst Pasqual Oretto, der zumeist jede Ansicht des Doktors billigte, äußerte nun allerlei Bedenken … Und die übrigen taten dies noch eifriger. Nielsen betonte, daß es sich vielleicht nur um eine List der Azteken handele und man am besten vorläufig abwarte, was weiter geschehe.
Auf seinen Rat wurden den als Wachen hier aufgestellten Matrosen nun auch die drei restlichen Schußwaffen übergeben. Mit Hilfe dieser zwei Revolver und zwei modernen Mehrladepistolen sollten die Matrosen jeden Angriff abwehren können.
Die sechs Herren kehrten darauf wieder in die Wohngrotte zurück. Man war jetzt allgemein beruhigt hinsichtlich dieser neu aufgetauchten Gefahr, und Nielsen wollte nun sofort in der nördlichen Bucht mit dem Bau eines seetüchtige Fahrzeuges beginnen, zu welcher Arbeit sich genügen freiwillige Helfer meldeten.
So konnten denn Gaupenberg, Dalaargen und noch einige andere getrost den Frauen zum Nordstrande folgen. Auch die Prinzessin Toni und Mantaxa schlossen sich ihnen an. Das blonde liebliche Tonerl hatte ihren Arm in den der jungen Aztekin eingehakt, und links neben ihr schritt Tom Booder, ihr getreuer Verehrer, eifrig plaudern dahin.
Als diese drei nun ein Stück zurückgeblieben waren, sagte Toni Dalaargen plötzlich schuldbewußt zu dem schlanken Amerikaner:
„Mister Booder, eigentlich bin ich ganz allein für dieses Giftattentat verantwortlich … Ich ahnte ja, daß Armaro nicht zu trauen war … Aber …“ – und sie rötete jäh – „aber … anderes hatte meine Gedanken abgelenkt …“
Tom lächelte spitzbübisch …
„Ich etwa, Tonerl!“ flüsterte er zärtlich …
„Oh – Sie sind … Sie sind ein ganz schlechter Mensch … Ich sollte mit Ihnen kein Wort mehr sprechen …!“
Und sie wandte den Kopf zur Seite … schaute Mantaxa an … Die aber blickte träumerisch aus ihren Glutaugen über das unendliche sonnenbeschienene Meer hin …
Und der kecke Tom Booder flüsterte dem Prinzeßchen ins Ohr:
„Ein schlechter Mensch?! Etwa weil ich Sie geküßt habe, Tonerl?! Und – haben Sie nicht … ganz still gehalten?!“
Er haschte verstohlenen nach ihrer Hand …
Merkwürdig, Toni Dalaargen überließ sie ihm …!
Noch merkwürdiger, sie erwiderte den zärtlichen Druck seiner Finger …
Und am merkwürdigsten, sie drehte den Kopf wieder nach Tom hin, und ein Blick traf ihn, aus dem ihm alles andere als Kälte und Abweisung entgegenstrahlte!
So begann denn nach diesen Stunden traurigster Aufregungen das Regiment einer heiteren Gottheit auf dem Felseneiland …
Gott Armor ging um …
Unsichtbar trieb er sein Wesen …
Niemand sah ihn … Nur einzelne Paare spürten ihn …
Einzelne Glückliche …
Und so wie hier nun Tonerl und Tom Hand in Hand am Ufer der Nordbucht angelang der Küste zuschritten, – genau so standen drei andere Paare Hand in Hand angesichts des gleißenden Ozeans an der Steilküste unterhalb der Wohngrotte …
Drei Paare:
Georg Hartwich und sein geliebtes Weib, – ferner Dalaargen mit seiner Braut, der rotblonden Mela, und – das jüngste Ehepaar Gaupenberg und die holde Agnes …
Und vor ihnen auf dem flachen Sandstreifen drehten sich Toni Dalaargens Gefährtinnen in graziösem Reigen, sangen dazu ein schwermütiges Lied …
Ein paar Meter zurück aber saßen Doktor Falz, der Milliardär Randercild und der treue Gottlieb mit seinem Teckel Kognak auf ein paar großen Steinen …
Dagobert Falz deutete jetzt auf Gaupenberg und Agnes und mein leise:
„Wir werden den beiden da ein Hochzeitsnestchen bauen müssen … Wie denken Sie darüber, lieber Knorz? Dort am Binnensee am Südufer gibt es eine flache Grotte, die als Brautgemach hergerichtet werden müßte – in aller Stille – als Überraschung für die beiden … Solch ein jungvermähltes Paar hat ein verbrieftes Anrecht auf Alleinsein, auf Flitterwochen …“
Und dabei umspielte ein unendlich gütiges Lächeln des Doktors bärtige Lippen.
Josua Randercild war von der Idee begeistert. Bevor noch Gottlieb hatte antworten können, sprang er auf und flüsterte:
„Stehlen wir uns davon …! Kommen Sie …! Mit Blumen und grünen Zweigen werden wir die Grotte ausschmücken … Zwei der Betten aus der Wohngrotte bringen wir hinein …“
Der kleine Milliardär war wirklich Feuer und Flamme …
Und Gottlieb erst recht …
So schlichen die drei denn langsam nach Osten zu weiter, bogen in eine Schlucht ein und gelangten nach etwas mühseliger Kletterpartie an den Binnensee. Unterwegs waren sie einigen der Eier suchenden Matrosen begegnet. Die Leute hatten gegen zweihundert Möveneier gesammelt, wußten jedoch nicht, wie viele davon schon angebrütet sein mochten.
Welche Überraschung nun aber für die drei um das Alleinsein des jüngsten Ehepaares so sehr besorgten Männer, als sie hier am Binnensee vor der als Brautgemach ausersehenen Grotte den dicken Tillertucky bemerken, der soeben im Schweiße seines feisten Vollmondgesichtes eine Matratze schleppte und damit in der Grotte verschwand!
Und noch mehr, soeben traten Tillertuckys beide Frauen Sarah und Hekuba aus der Steintür des Kraterdomes und trugen ihrerseits die Teile von auseinandergenommenen Betten …!
Randercilds merkwürdiges Bocksgesicht war endlos lang …
„Nun – sollte etwa der Mormone an dasselbe gedacht haben wie wir?“ fragte er gedehnt …
„Glaube ich nicht!“ platzte Gottlieb heraus. „Vielleicht baut er nur ein Nest für sich und seine beiden Weiber – und seine fünfundzwanzig Kinder …!“
Falz sagte schmunzelnd: „Lieber Gottlieb, die fünfundzwanzig Kinder hat er daheim gelassen …! Und weshalb soll gerade er, der doch das Paar getraut hat, jetzt nicht auch an das menschlich so Naheliegende denken, den Vermählten ein Heim zu schaffen?! Gehen wir hin … Fragen wir ihn …“ Als als sie nun der Grotte sich weiter nährten, erschien plötzlich Samuel Tillertucky wieder im Freien, bemerkte die drei und machte erst ein recht verlegenes, dann aber ein sehr ärgerliches Gesicht …
„He – was treiben Sie denn hier, Mister Tillertucky?“ rief Randercild gereizt …
Der fette Mormone erwiderte ebenso gereizt:
„Die ganze Freude haben Sie mir verdorben …! In zehn Minuten wäre alles fertig gewesen …! Wir haben wie die Schiffstauer geschuftet …! Und nun …“
Falz unterbrach ihn …
„Also für Gaupenberg und Agnes?“
„Für wen denn sonst, Doktor?! Sogar einen der Teppiche aus den Grotten haben wir gemaust … Jetzt fehlt nur noch das zweite Bett … Und Blumen und grüne Zweige …“
Josua Randercild vergaß seine Enttäuschung, strecke Tillertucky die Hand hin und meinte:
„Bravo, Gefährte …! Wir wollten genau dasselbe! Sie sind uns zuvorgekommen … Wir helfen Ihnen …“
So ging denn die Arbeit noch schneller vonstatten.
Und als die anderen vom Nordstrande zurückkehrten, um in den Grotten oben die gemeinsam Hauptmahlzeit einzunehmen, wurde dieses kleine Geheimnis vor Gaupenberg und Agnes sorgsam gehütet. –
Inzwischen war es vier Uhr nachmittags geworden.
Die Wachen vor der verbarrikadierten Steinplatte hatten nichts Neues gemeldet. Von den Azteken war nichts mehr vernommen worden.
Nach der Mahlzeit begann für die Bewohner der schwarzen Insel die mannigfache Beschäftigung von neuem. Einige betätigten sich beim Bau des Floßes, andere durchsuchten die Brandruine des einsamen Hauses nach noch brauchbaren Gegenständen … Wieder andere halfen beim Fischfang … Die Frauen aber mußten nach Nielsens Angaben am Ufer der Nordbucht aus den vorhandenen Stoffen ein großes Segel für das Floß nähen.
Dieses Floß hatte jetzt bereits eine bestimmte Form erhalten. Nielsen, der zunächst nur ein offenes Floß aus Balken und Brettern hatte zimmern wollen, beabsichtigte nunmehr ein prahmähnliches Fahrzeug herzustellen mit hohen Bordwänden.
Baumaterial stand genügend zur Verfügung, auch ein pechähnliches Material zum Abdichten der Fugen. Dieser zähflüssige Stoff war vulkanischen Ursprungs und trat in einer Schlucht der Ostseite der Insel als Quelle zutage, wie man dies in vulkanischen Gegenden häufig findet.
Von den Frauen beteiligte sich nur eine einzige beim Bau des Floßes, und zwar die junge Detektivin Gipsy Maad.
Nielsen hatte verstohlen gelächelt, als Gipsy ihm ihre Hilfe anbot. Er wußte ja, das hübsche, frische und forsche Mädel liebte ihn! – Ganz genau wußte er das. Und – ihm war’s nicht unangenehm, daß er bei der Arbeit hier so ein wenig sich herumzanken konnte, was schon des öfteren geschehen war …
Die Matrosen hörten schmunzelnd zu … Und dieser oder jener streute dann noch eine kräftige Bemerkung ein, die allemal Gipsy unrecht gab …
So ging’s denn auch beim Floßbau recht vergnügt zu. –
Tom Booder aber, der arg Verliebte, machte sich stets etwas bei den Frauen am Buchtufer zu schaffen.
Als Seemann glaubt er ihnen gute Ratschläge betreffs der Herstellung des Segels geben zu müssen.
So verteidigte er wenigstens vor sich selbst seine Vorliebe für die schattige Nordseite der Bucht, wo flinke Fingerchen Stich an Stich setzten und eifrige Lippen dazu allerhand zu plaudern wußten.
Der wahre Magnet für Booder war natürlich Toni Dalaargen. Zu gern hätte er sie einmal aus der Mitte der Gefährtinnen entführt … Zu gern wäre er einmal mit ihr zu zweien einsame Pfade gewandert. Tonerls heutige Zärtlichkeit hatte die Flammen in seinem Herzen noch höher angefacht.
Und dann bot sich ihm wirklich eine Gelegenheit, mit dem Prinzeßchen ohne Zeugen ein paar ernste Worte zu sprechen. Toni wurde von Agnes, die hier bei dieser Arbeit gleichsam die Leiterin spielte, gebeten, aus der Grotte einige Rollen Nähgarn zu holen. Und da erbot sich Tom denn sofort, der Prinzeßin suchen zu helfen, weil niemand so recht wußte, wo die Garnvorräte verstaut waren.
Ganz brav wanderten die beiden durch die Schlucht nach der Brandruine des einsamen Hauses, durch den Garten zum Binnensee und dann zur Steintür, die in den Kraterdom führte …
Ganz brav …
Denn hier draußen gab es ja überall neugierige Augen …
Aber als Tom Booder dann eine der neben der Steintür stehenden Laternen angezündet hatte, als Toni nun harmlos neben ihm den steilen Gang zu den Wohngrotten emporstieg, da machte der Arglistige plötzlich halt, setzte die Laterne auf einen Vorsprung der Felswand und … legte Tonerl rasch den rechten Arm um den schlanken Leib, zog sie an sich …
„Tom …!!“ rief das Tonerl …
Und es klang wie ein unwilliger Schrei …
Der Amerikaner kümmerte sich nicht darum …
Aber als er das Tonerl nun küssen wollte – wie gestern Nachmittag an der Bucht, da rief das Prinzeßchen, indem es ihm die kleinen Fäuste gegen die Brust stemmte:
„Tom – Sie sind wirklich ein schlechter Mensch! Ist das Ihr Dank dafür, daß ich Ihnen heute zeigte, wie lieb Sie mir als guter Kamerad sind?!“
Tom Booder war’s, als stürze ein Kübel Eiswasser über sein Haupt …
Er machte ein so verblüfftes Gesicht, daß Toni eifrig hinzufügte:
„Sie werden doch meine Freundlichkeit heute nicht falsch gedeutet haben?! Soll ich Ihnen denn stets von neuem wiederholen, daß ich von der sogenannten Liebe nichts wissen mag?! Weshalb nur zerstören Sie immer wieder diese reine Freude in mir, in Ihnen einen lieben Bruder gefunden zu haben?! Denn mein Bruder Fredy – ach, der hat ja nur Augen für Mela …!“
Toms erste Bestürzung hatte sich jetzt gelegt …
Ärger stieg in ihm hoch … War’s denn möglich, daß dieses liebliche Geschöpf noch gestern unter seinen Küssen erbebt war und diese Küsse erwidert hatte, und jetzt abermals die unsinnigen Gedanken über Liebe vor ihm entwickelte?!
Und aus dem Ärger wurde rasch ein siegesgewißer Übermut …
„Tonerl,“ sagte er zärtlich, „auch einem Bruder darf man gelegentlich einen Kuß geben … Also …“
Und mit einem kraftvollen Ruck hatte er sie vollends an sich gepreßt …
Fand ihre Lippen …
Was gestern geschehen war, wiederholte sich jetzt …
Gott Armor beherrschte die schwarze Insel …
Das Prinzeßchen wehrte sich nur zaghaft … Wieder erwachte unter den Liebkosungen des Mannes das begehrende Weib in ihr …
Die Natur siegte …
Und die Natur hat dem Menschen das Liebesverlangen ins Blut gepflanzt … Die Liebe ist ein Gebot der Natur …
Und heute ließ Tom Booder sein Tonerl nicht so bald wieder aus den Armen …
Heute sorgte er dafür, daß die närrischen Gedanken von Kameradschaft und Geschwisterliebe völlig verscheucht wurden …
Heute hatte er sich auf einen Felsblock gesetzt, hatte Toni auf den Schoß genommen …
Kein einziger Strahl der Laterne traf das zärtliche Paar …
Dunkel war’s, wo sie saßen und wo unter Toms stürmischen Zärtlichkeiten Tonerls Wangen immer heißer erglühten …
Kichernd und frohlockend hockte über ihnen unsichtbar der kleine geflügelte Gott … Brauchte keinen Pfeil mehr zu versenden …
„Oh Tom, wie schäme ich mich nur …!!“
Und doch küßte sie ihn immer wieder mit brennenden Lippen …
Wer weiß, wie lange die beiden hier im verschwiegenen Winkel des Felsenganges noch auf ihrer Art … das Nähgarn gesucht hätten, wenn nicht plötzlich neben ihnen Tillertuckys mächtige Gestalt aufgetaucht wäre … Und hinter ihm Gottlieb Knorz …
Mit einem hellen Schrei wollte Tonerl von Toms Knien empor … Doch seine starken Arme hielten sie fest…
„Meine Braut …!“ sagte er lachend. „Schade nur, Mister Tillertucky, daß Sie uns nicht sofort trauen können … Wir waren so gut im …“
Das Prinzeßchen hielt ihm den Mund zu …
Und Samuel meinte freundlich:
„Weshalb sollte ich Sie beide nicht auch sofort ehelich zusammentun können?! Wenn Sie beide es wünschen, – es ließe sich sofort einrichten …“
Da zog Tonerl ihren Tom schleunigst den Gang empor – lief mit ihm davon … –
Tillertucky schmunzelte …
„Mister Knorz,“ seufzte er, „ach – wenn man doch auch noch einmal so jung wäre …! Ach – wenn ich so an meine Hochzeit denke …!“
„An welche denn! Sie haben doch fünf Frauen … Also auch fünf Hochzeiten gehabt – und fünfundzwanzig Kinder.“
„Bitte – die Kinder kamen erst später …!“
„Will’s hoffen … – Doch wir dürfen uns von unserem Thema durch das Liebespaar nicht abbringen lassen, Mister Tillertucky … Gehen wir weiter … – Sie hatten mir soeben einiges über Ihre Gefangenschaft bei den Dakizwergen erzählt und dabei erwähnt, daß mitten in jenen Urwäldern an den Nilquellen eine weite Lichtung lähe, auf der sich eine einzelne Niederlassung befände, deren europäische Bewohner mit den Zwergen in bestem Einvernehmen lebten … Und sie nannten auch den Namen dieser Farmerfamilie …“
„Ja … Deutsche sind’s, Mister Knorz … Werter heißen die Leute … Von Kamerun aus waren sie mit ihren Ochsenwagen quer durch Afrika getreckt …“
Gottlieb stand wie angewurzelt …
„Werter …?! … Deutsche …?! Und von Kamerun aus?! – Heißt das Oberhaupt der Familie mit Vornamen Heinrich?“
„Ja – Heinrich Werter …“
„Und – – drei Söhne und eine Tochter hat das Ehepaar Werter?“
„Allerdings …“
Da nahm Gottlieb das Mormonen Hand und preßte sie wie einen Schraubstock …
„Tillertucky!!“ rief er … „Wissen Sie, wer diese Werters sind?! Das sind … die Spender des Goldschatzes! Das sind die Braven, die das Gold fanden, in Barren schmolzen und dem U-Boot mitgaben …! Das sind die bisher verschollenen Werters, die Kamerun als Flüchtlinge verlassen mußten …! – Gott im Himmel, – wenn man bedenkt, wie seltsam die Vorsehung die Geschicke der Menschen durcheinander wirft! Von Ihnen erhalten wir nun endlich Aufschluß über den Verbleib dieser wackeren Familie! – Oh – das muß ich sofort meinem Herrn und Hartwich erzählen … Hartwich kennt ja die Werters persönlich … Er ist ja der einzige Überlebende des U-Bootes, er war mit dabei, als das Gold in das U-Boot verladen wurde … – Kommen Sie … Kommen Sie …! Ihre Mitteilung ist uns ja so ungeheuer wichtig …“
Und Gottlieb eilte weiter …
Hinter ihm drein keuchte der dicke Mormone …
Als sie durch die Steintür die Terrasse am Ufer des Binnensees erreicht hatten, sahen sie Gaupenberg, Agnes, Hartwich und noch mehrere andere am Nordufer stehen …
Und die Männer zogen soeben an einem Tau langsam etwas aus der Tiefe des Binnensees empor …
Dieses Etwas erschien jetzt an der Oberfläche …
Es waren … die beiden durch Stricke verbundenen Wracks der Wasserflugzeuge, auf denen vor einer Woche die ersten Sphinxleute hier auf der schwarzen Insel gelandet waren …
Dort, wo die tropischen Urwälder der französischen Kolonialinsel Gouadeloupe am dichtesten sind, – dort, wo die Zuckerrohrpflanzungen nur an den Rändern dieses ungeheuren Waldkomplexes sich finden und wo nach Norden zu der Vulkan Grande Soufriere, das Wahrzeichen der Insel, seine zerklüfteten Felsmassen tausendfünfhundert Meter hoch in die Lüfte reckt, dort erhebt sich auch auf breiter Lichtung, die ringsum von Dornendickichten gegen die Außenwelt abgesperrt ist, ein mächtiges Steingebilde, ein Granitwürfel von hundert Meter Seitenlänge …
Aus steinigem Boden wächst er empor, eines jener Naturgebilde, bei denen der Beschauer sich ungläubig fragt, ob nicht doch Menschenhände hier nachgeholfen haben, um diese glatten steilen Wände zu schaffen.
Und doch handelt es sich lediglich um eine Schöpfung natürlicher Kräfte, um eines jener Gebilde aus Gestein, wie man sie auch in anderer Form immer wieder antrifft: als Burgruinen, als Häuserfronten, als Pyramiden und Steinsäulen … –
Dichtes Gestrüpp umwucherte den Granitwürfel … So dicht, daß es undurchdringlich erschien …
Nachdem Christoph Kolumbus 1493 drei dieser Insel entdeckt, für Spanien in Besitz genommen und wegen ihrer Ähnlichkeit mit der spanischen Sierra de Gouadeloupe auf diesen Namen getauft hatte, – nachdem dann 1635 französische Flibustier mit zahlreichen Schiffen sie für sich erobert hatten, suchten diese Piraten großen Stils für ihre reiche Beute ein passendes sicheres Versteck.
Ein Zufall führte eine Schar Flibustier einst quer durch die Urwälder bis auf diese Lichtung und bis an den Fuß des Granitwürfels. Beim Umherstöbern im Gestrüpp der Südseite des enormen Felsgebildes entdeckte einer von ihnen eine breite, kurze Spalte im Gestein. Vorsichtig in diese eindringend, fand der Seeräuber zu seinem Erstaunen so einen Weg in das Innere des Würfels, fand hier einen viereckigen freien Platz, über dem der heitere Himmel blaute, fand desweiteren in den Seitenteilen des hohlen Würfels Höhlen und Gänge – ein förmliches Labyrinth …
Die Flibustier ergriffen Besitz von dieser natürlichen Festung. Zehn Jahre hausten hier eine Anzahl von ihnen als Wächter der Beutestücke, die man in geheimen Verstecken untergebracht hatte. Aber die Seeräuberflotte, von englischen und französischen Kriegsschiffen in der Schlacht bei Kuba völlig vernichtet, kehrte nie mehr nach Gouadeloupe zurück, und die zwanzig Mann Besatzung der Felsenfestung raffte das gefährliche Sumpffieber hinweg.
Wieder vergingen Jahrhunderte, bis abermals Europäer auf der Urwaldblöße erschienen, nachdem sie sich mühsam als gehetzte Flüchtlinge den Weg durch den Dornenring der Lichtung gebahnt hatten.
Vier Reiterinnen waren’s …
Vier jungen Geschöpfe, die durch menschliche Verruchtheit schließlich aus Not und Haß zu weiblichen Desperados geworden waren: Yvonne Lataille und ihre drei Leidensgefährtinnen!
Die schwarze Yvonne gewann noch vier riesige Neger, die sie aus der rohen Gewalt eines vertierten Pflanzers befreite, als dankbare, zuverlässige Verbündete …
Der Granitwürfel wurde so der Verfolgten sicheres Heim …
Und zur selben Stunde, als hunderte von Meilen nach Osten zu auf der schwarzen Insel der Mormonenpriester und Gerhard Nielsen auf dem unterirdischen Ozean das schemenhafte Bild der Galeere der Wahnsinnigen schauten, stand Yvonne Lataille vor dem an einen Pfahl im Hofe der Steinfestung gebundenen Edgar Lomatz und fragte, indem sie auf die hier gleichfalls ruhende Sphinx deutete:
„Wollt ihr mir jetzt sagen, Sennor, wer ihr seid und wo ihr die Sphinx mitsamt den Schätzen an Deck gestohlen habt? Oder hat die Sonne eure Verstocktheit noch nicht gelöst?!“
Edgar Lomatz bot ein bemitleidenswertes Bild dar, wie er so, halb ohnmächtig, halb verbrannt von der unbarmherzigen Sonne, in den Stricken hing …
Seine feuerrotes Gesicht zeigte überall glasige Flecke: Brandblasen! Der Mund war halb geöffnet … Die Lippen trocken und rissig … Die Zunge hing halb zum Munde heraus … – Die geschwollenen Augenlider hoben sich jetzt schwerfällig …
Ein erloschener Blick traf das frische Gesicht Yvonne Latailles …
Krampfhaft zuckten die Lippen …
Ein Lallen erst … Dann Worte, kaum verständlich:
„Edgar Lomatz … Ich … gebe … alles zu … Graf Gaupenberg und die Seinen befinden sich auf einer Insel nach Osten zu … Einer bisher unbekannten Insel … Genau nach Osten …“
Seine Augenlider sanken wieder herab …
Yvonne rief einen der Neger herbei …
„Herkules, binde die Gefangenen los … Bringe sie in eine der Kammern … Celeste mag ihre Brandwunden kühlen …“ –
Drei Meter von Lomatz entfernt ein zweiter Pfahl … Dort stand der Dakizwerg Maupati, der letzte der armen schwarzen Horde, die durch menschliche Gewinnsucht aus ihrer fernen Urwaldheimat am Nil entführt worden waren und die nun sämtlich – bis auf Maupati – diese Heimat nicht wiedersehen sollten. Ein Teil von ihnen war auf der schwarzen Insel gefallen. Die anderen waren mit der Yacht ‚Star of Manhattan’ zu Grunde gegangen.
An Maupati, dem die Sonnennitze nicht viel angetan hatte, wandte sich nun Yvonne Lataille …
„Du hast Lomatz’ Worte gehört … Du bestätigst seine Angaben?“
„Ja, Sennorita … – Alles …! Und ich kann dir noch mehr jetzt verraten … Die Frau und der graubärtige Sennor, die ihr vorhin gleichfalls als Gefangene hierher brachtet, sind die Fürstin Mafalda Sarratow und der Expräsident von Patalonia namens José Armaro … Auch diese beiden gehören zu Sennor Gaupenbergs Feinden … Und Lomatz hat die Fürstin, seine Verbündete, auf der schwarzen Insel treulos im Stich gelassen, ist mit der Sphinx davongeflogen … Die Fürstin und Armaro werden dir genauer angeben können, wie es um die Leute der Sphinx steht … – Gib mich jetzt frei, Sennorita … Ich habe alles gesagt, was ich weiß … Ich will mit Sennor Lomatz nichts mehr zu tun haben …“
Yvonne überlegte …
Weshalb sollte sie diesen armseligen kleinen Burschen hier festhalten? Er konnte ihr in keiner Weise schaden, wenn sie ihn freigab …
Und so befahl sie denn den Neger Herkules, der soeben Lomatz ins Innere der Felsenfeste getragen hatte, auch Maupati loszubinden …
„Schaffe ihn dann in den Wald – mit aller Vorsicht,“ fügte sie leiser hinzu. „Er wird schon irgendwie den Weg zu einer Pflanzung oder zur Küste finden … Er stammt schließlich aus dem Urwald … Die Riesenbäume sind seine Heimat …“
Der Neger schüttelte unwillig den mächtigen Schädel.
„Sennorita, der Zwerg wird uns verraten … Am besten, man …“
Aber – den Rest des Satzes unterdrückte er. Er wußte, daß seine Herrin für derartige endgültige Prozeduren wie Aufhängen nicht zu haben war.
Die schwarze Yvonne ahnte, was Herkules am liebsten mit Maupati angefangen hätte.
Sehr energisch erklärte sie: „Wenn du dem Zwerge ein Leid antust, sind wir fertig miteinander …! Merke dir das! Nun beeile dich … Zwei Stunden wird es immerhin dauern, bis du wieder zurück bist …“
Brummend knotete der Zwerg die Stricke Maupatis auf und band ihm dann nur die Hände auf dem Rücken zusammen, zog ihm eine der schwarzen Tuchkapuzen über den häßlichen Kopf und führte ihn so ins Freie – über die buschfreie Lichtung in den Wald – auf dem schlau versteckten Pfad durch den Dornengürtel und weiter nach Norden zu – etwa eine Stunde lang, indem er sich bemühte, nach Möglichkeit nur festeren Boden oder Urwaldpfade zu benutzen, wo keine allzu deutlichen Fährten zurückblieben.
Dabei bewies Herkules auch in anderen Dingen die ganze Umsicht eines Menschen, der von Gefahren umdroht und mit den Eigenheiten der Wälder vertraut ist. Immer wieder blieb er lauschend stehen … Immer wieder prüfte er den Boden auf verdächtige Fährten hin. Er wußte, daß die eingeborenen Polizisten der Insel, zumeist Mulatten, seit Tagen in der Nähe der Festung umherschwärmten, unterstützt von den Pflanzern, die sich in ihrer Sicherheit durch die vier ausgebrochenen weiblichen Sträflinge aus schwerste gestört fühlten und die kaum mehr wagten, Geldtransporte nach einem der Hafenorte zu senden, nachdem zwei Boten von den weiblichen Desperados abgefangen und beraubt worden waren.
Herkules hatte nach einer Stunde die felsigen Ausläufer des Vulkans Grande Soufriere erreicht. Hier hörte der Urwald auf. Die Region des Knüppelholzes begann. Und hier nun nahm er dem Zwerge die Kapuze ab und ebenso die Handfesseln, sagte zu ihm, indem er ihm drohend die Riesenfaust vor das abstoßende Gesicht hielt:
„Wenn du verrätst, vorher du kommst und wer dich gefangen hielt, werden wir dich zu finden wissen! – Dort drüben nach Sonnenuntergang liegt das Meer und ein Hafenort… Verschwinde jetzt!“
Maupati wartete keine Sekunde … Mit affenartiger Geschwindigkeit schlüpfte er in die Büsche …
Herkules kehrte um.
Eiliger schritt er dahin – jetzt quer durch die Wälder … Ihm, der als Einsammler des wertvollen Harzes der wilden Kautschukbäume hier im Urwalde großgeworden, fiel es nicht schwer, sich ohne Weg und Steg zurechtzufinden.
Er ahnte nichts von der Hinterlist und Tücke, die in der Seele Maupatis wohnten … Ahnte nicht, daß der Zwerg ständig hinter ihm blieb … –
In einem der Hohlräume der Seitenteile des Granitwürfels, die durch Spalten im Gestein Licht von außen empfingen, saßen die vier Freundinnen an einem roh zusammengezimmerten, vom Alter geschwärzten Holztische beisammen.
In die Platte dieses Tisches waren lange Reihen von Buchstaben eingeschnitten, – französische Worte und Sätze, die in gedrängter Kürze einige Angaben über die ersten Herren der merkwürdigen Felseninsel enthielten.
Yvonne Lataille hatte diese Inschrift längst entziffert und kannte sie auswendig, so oft hatte sie dieselben grübelnd studiert.
Wir, die Piraten, unter Führung des großen Baron de la Chatterie, haben diese Festung für unsere Zwecke im Jahre 1635 Ende Oktober besetzt. Ich, Charles Rochelle, Befehlshaber der hier zurückgebliebenen Wache von zwanzig erlesenen Leuten, bin heute, am 6. Juni 1636, der letzte Überlebende dieser Wache. Das Sumpffieber hat binnen acht Tagen all meine Kameraden hinweggerafft. Ich habe sie im Hofe beerdigt, und auch mein Kopf ist bereits schwer und in meinen Adern glüht das Fieber. Auch ich werde sterben. Mein Grab soll die Stätte sein, wo meine Gebeine inmitten stummer Zeugen unserer Piratenfahrten ruhen werden. Im Osten geht die Sonne auf, trifft dann zuerst die Westseite der Innenwand der Festung, leuchtet hinein in den Zugang zu unseren Vorratskellern. Dann wandert sie nach Süden, biegt wieder nach Westen ab und versinkt im Meere …
Der, dem es vielleicht einmal vergönnt, diese meine Schrift zu lesen, denke an die Sonne und an die Piraten des berühmten Kapitäns Baron de la Chatterie …
Charles Rochelle
So lautete die Inschrift der Tischplatte.
Und an diesem Tische saßen nun die vier Freundinnen zusammen, die durch gemeine Niedertracht an ein Freudenhaus verkauft worden waren und dann selbst aus dem Kerker die Freiheit wiedergewonnen hatten …
Vier Französinnen aus einem Städtchen des sonnigen Südens, vier Mädchen, die in der Fremde ehrlichen Verdienst zu finden gehofft hatten und die nun … zu Verbrecherinnen geworden. –
Die schwarze Yvonne sagte:
„Sobald Herkules zurückgekehrt ist, werden wir unsere vier Neger in den Wald schicken, um Früchte zu sammeln … Wir müssen sie entfernen, denn sie dürfen nicht sehen, wo wir die Goldbarren und die übrigen Kostbarkeiten verbergen. Gewiß – sie sind treu, aber sie würden nie begreifen, daß wir nun, wo wir Gouadeloupe heimlich für immer verlassen wollen, nichts von dem Golde mitnehmen, sondern uns mit dem begnügen, was die beiden Überfälle auf die Boten der Pflanzer uns eingebracht haben. Dieses Geld genügt zum Ankauf eines kleinen Schoners. Und mit dem wollen wir die unbekannte Insel aufsuchen und den Sphinxleuten Hilfe bringen.“
Celeste, Ninon und Claire stimmten ohne Zögern diesem Vorschlag zu.
Nur Ninon, zierlichste und jüngste der vier, fragte noch:
„Und die Fürstin und Armaro? Und Lomatz?“
„Müssen uns natürlich begleiten … Wir lassen sie erst frei, wenn sie uns nicht mehr schaden können. Ich denke, so handeln wir am richtigsten …“
Die drei Mädchen hatten auch jetzt hiergegen nichts einzuwenden.
Der höhlenartige Raum, in dem sie sich befanden, verriet in vielem, daß er einst den Flibustiern als Wohngemach gedient hatte.
An den Felswänden standen Schränke, die aus dicker Baumrinde hergestellt waren, hingen auch allerlei Waffen und sogar ein paar verrostete Kettenpanzer. Holzschemel und Bänke vervollständigten die bescheidene Einrichtung. Über dem Tische hingen noch von der Steindecke zwei Ketten mit eisernen Fackelklammern herab. Das Gestein der Decke war rauchgeschwärzt, ebenso wie die oberen Spalten deutlich zeigten, wo der Qualm der Harzfackeln seinen Weg ins Freie genommen hatte.
Aus diesem Raume führte ein sehr enger Gang in mehreren Windungen zu einer zweiten ähnlichen Höhle, die den Freundinnen als Schlafgemach diente, und von hier wieder liefen zwei Gänge nach verschiedenen Richtungen weiter, der eine in den quadratischen Hof der Feste, der andere rechts steil aufwärts zur Oberseite des hohlen Würfels. –
Die schwarze Yvonne begab sich nun mit ihren Gefährtinnen in den Hof hinab, wo die anderen drei Neger neben der Sphinx standen und leise über das Luftboot und die noch auf dem Deck liegenden Reichtümer sich unterhielten.
Yvonne, gerade infolge ihrer trüben Lebenserfahrungen leicht zu Mißtrauen geneigt, suchte die Gedanken der Schwarzen von dem vielbegehrten Golde abzulenken und befahl ihnen, die in einem als Stall hergerichteten Grottenraum untergebrachten Pferde heute frühzeitiger zu füttern, da man mit Anbruch der Dunkelheit den Marsch zur Küste antreten werde.
Die Neger, gutmütige, etwas faule Gesellen, schlenderten denn auch dem Stalle zu. Yvonne aber suchte jetzt Mafalda und Armaro auf, um die sie sich bisher nicht weiter gekümmert hatte.
Das mit einer Balkentür versehene Felsloch, in dem die beiden eingesperrt waren, stammte noch als verschließbare Kammer aus jener Zeit, als die Flibustier hier in dem Granitwürfel ihren Schlupfwinkel gehabt hatten.
Yvonne hatte eine kleine Laterne angezündet, öffnete nun die Balkentür und hielt für alle Fälle ihre Pistole bereit.
Die Gefangenen hockten jedoch friedlich nebeneinander in einer Ecke und blinzelte müde in den grellen Lichtschein hinein …
„Sennor Armaro,“ begann die junge Französin ohne jede Schärfe im Ton ihrer vollen, wohlklingenden Stimme, „der Zwerg Maupati hat mir jetzt über die unbekannte Insel im Westen der Antillen verschiedene Einzelheiten mitgeteilt. Ich hoffe, daß Sie nicht den Versuch machen werden, mich zu belügen. Sie wissen, daß ich nötigenfalls auch sehr hart und rücksichtslos sein kann. Sie haben Senor Lomatz und Maupati an den Pfählen in der Sonne gesehen …! Das sollte Sie warnen …! – Wer befindet sich außer Gaupenbergs Freunden noch auf der schwarzen Insel?“
José Armaro, der nicht wußte, was alles Maupati diesem seltsamen Mädchen erzählt hatte, hütete sich, hier mit Lügen umzugehen.
„Auf der Insel sind außer den Sphinxleuten noch eine Anzahl Amerikaner, die zu der Milliardärsjacht ‚Star of Manhattan’ gehören,“ erwiderte er der Wahrheit gemäß.
Yvonne war über diese Angaben überrascht.
„Also sind Gaupenberg und die Seinen jederzeit in der Lage, die Insel trotz des Diebstahls des Luftbootes zu verlassen?“ meinte sie bedächtig und beobachtete dabei die Gesichter der Gefangenen recht genau. Ihr eigenes Antlitz lag im Schatten. Desto heller waren Armaro und Mafalda beleuchtet.
Und jetzt antwortete auffallenderweise anstelle des einäugigen Expräsidenten die Fürstin Sarratow …
Antwortete etwas zu hastig, als daß es Yvonne nicht hätte sonderbar berühren müssen …
„Gewiß können Sie das, – gewiß …! Der Milliardär Randercild ist ja ein Freund des Grafen Gaupenberg … Seine Jacht steht den Sphinxleuten zur Verfügung … – Im übrigen möchte ich …“
Yvonne fiel der Abenteurerin sehr energisch ins Wort.
„Sie lügen …!! Sie haben mir von einem Schiffbruch erzählt, der Sie an einsamer Stelle der Westküste von Basseterre schwimmend ans Ufer brachte … Und Ihre und Ihres Begleiters zerknitterte Kleidung spricht dafür, daß Sie beide völlig durchnäßt gewesen sind …! – Sie lügen …! Ich aber will die Wahrheit erfahren! Wie sind Sie von der schwarzen Insel hier nach Guadeloupe gelang? Welches Fahrzeug trug Sie beide hierher?“
Der drohende Ton des Mädchens konnte ein Weib vom schlage Mafaldas kaum einschüchtern.
„Wir entflohen mit der Motorbarkasse der Jacht,“ erklärte die Fürstin mit voller Ruhe.
Doch Yvonne Lataille gab sich auch mit dieser Antwort nicht zufrieden. Sie mußte unbedingt Gewißheit darüber erlangen, ob die Sphinxleute etwa auf dem fernen Eiland jetzt von aller Welt abgesperrt waren und keine Möglichkeit besaßen, ihre Feinde zu verfolgen.
Unschlüssig, wie sie sich diese Gewißheit verschaffen könnte, beobachtete sie mißtrauisch die Gesichter ihrer Gefangenen und sagte dann plötzlich:
„Ich fürchte, auch dies war eine Lüge, Sennora Sarratow … Also eine Motorbarkasse …, behaupten Sie! Gut, ich werde Lomatz fragen, was er davon hält. Er wird sicherlich nicht die Wahrheit entstellen. Er hat keinen Grund, für Sie beide irgendwie einzutreten. Erfahre ich, daß Sie mich zu täuschen versuchen, so werde ich Sie beide auf eine Weise bestrafen, die den Erfinder der Sphinx, den ich nicht kenne und den ich doch als Mann von Charakter und Genie verehre, vielleicht für immer von zwei Gegnern befreit …“
Dieser Sätze, die ohne jede Erregung gesprochen wurden, die aber gerade deshalb weit eindrucksvoller waren als eine lärmende Drohung, veranlaßten Armaro dazu, eiligst die Angaben Mafaldas zu widerlegen. Er wollte es eben um jeden Preis vermeiden, diese höchst gefährliche schlanke Yvonne noch mehr zu erzürnen …
Und erklärte nun, indem er sich etwas aufrichtete:
„Verzeihen Sie, – meine Gefährtin hat aus begreiflicher Rücksichtnahme auf meine Person in der Tat nicht ganz die Wahrheit gesagt … Wir sind mit der Jacht entflohen, die wir mit Hilfe einer Schar von Dakizwergen in unsere Gewalt brachten. Die Jacht lief hier an der Küste auf ein Riff. Die Kessel explodierten … und wir beide erreichten glücklich das Ufer …“
„Ah – also doch die Jacht!“ rief Yvonne … „Ich ahnte es! – Mithin sind die Sphinxleute und die Amerikaner jetzt ohne jedes Fahrzeug?“
„Ja …,“ bestätigte Armaro zögernd. „Es liegt zwar noch ein wracker Dampfer im Binnensee der Insel vertäut … Aber … auch diese Schiff kommt nicht mehr in Betracht. Wir haben es angezündet …“
„Das … genügt mir!“ meinte Yvonne tief aufatmend. „Dann … werde ich den Grafen und die anderen befreien – ich, Yvonne Lataille, die für alles Verständnis hat, was groß und edel ist, – und das ist der Kampf um den Azorenschatz, von dem jetzt alle Zeitungen berichten …!“
„Schwärmerin!!“ höhnte Mafalda mit hartem Auflachen. „Ich denke, Sie sind Französin …! Und Sie begeistern sich für einen Deutschen?!“
„Gerade als Französin verstehe ich Gaupenbergs und seiner Freunde selbstlose Vaterlandsliebe voll zu würdigen – gerade deshalb! Ich bin nur ein schlichtes Mädchen, eine Waise aus einer Stadt Südfrankreichs! Und bin nur durch die Schurkerei eines angeblichen Agenten, der gegen gute Bezahlung junge Mädchen für das Varieté ausbilden lassen wollte, erst nach Paris und dann noch weiter fortgelockt worden …! Aber …“
Und wieder Mafaldas höhnischer Zwischenruf:
„Nun – für eine schlichte Waise reiten Sie tadellos im Herrensattel und sind hier auch schnell berühmt geworden – als Straßenräuberin!“
Yvonne zuckte leicht zusammen …
Ihr Atem ging schwer …
Nur flüsternd erwiderte sie mit unendlicher Verachtung:
„Das Schicksal hat mich zu dem gezwungen, was ich getan …! Geld zur Flucht mußten wir uns verschaffen. Wir werden verfolgt … Wir sind fast vogelfrei …! Niemandem haben wir bisher …“
Und da zum dritten Male die Fürstin – lediglich aus blinder Wut über Armaros feige Nachgiebigkeit und über Yvonnes gelungenes Spiel:
„Und jetzt – jetzt können Sie fliehen! Jetzt haben Sie ja das ganze Azorengold für sich zur Verfügung – oder wollen Sie etwa den Schatz dem Grafen Gaupenberg anbetend in den Schoß legen?! Närrisch genug wären Sie dazu!“
Yvonne Lataille trat rasch einen Schritt vor … Beugte sich zu Mafalda hinab … Rief feierlich:
„Ja – das will ich – und das werde ich auch …! Aus meiner Hand soll Gaupenberg zurückerhalten, was sein ist …!“
„Sie … kommen zu spät, kleine Yvonne …! Vielleicht haben Sie sich gar in Gaupenberg verliebt, ohne ihn je gesehen zu haben …! – Zu spät, kleine Yvonne! Freilich – das Hochzeitsfest auf der schwarzen Insel fand einen jähen Abschluß, als wir mit der Jacht entflohen …!“
Yvonne trat wieder zurück …
„Oh – wie sehr ich Sie verachte!“ sagte sie mit leicht bebender Stimme. „In den Depeschen über die Vorgänge in Taxata sind auch Sie erwähnt, Fürstin … Ich will nicht wiederholen, als was man Sie bezeichnet! Vielleicht wissen Sie es selbst am besten!“
Und hastig verließ sie nun die Felsenkammer, verriegelt die Tür und kehrte in den Hof zurück. –
Mafalda und Armaro befanden sich wieder im Dunkeln …
Eine Weile schwiegen sie. Dann raunte die Fürstin dem Expräsidenten kurz auflachend zu:
„Ich verzeihe dir, José, daß du mich Lügen straftest! Es war gut so … Nun kennen wir dieser Närrin lächerliche Absichten … Das ist viel wert …“
Armaro entgegnete ebenso leise: „Unterschätze Yvonne nicht, Mafalda …! In diesem kleinen Frauenzimmer vereinen sich mancherlei für uns höchst lästige Eigenschaften: Energie, vornehme Gesinnung und ein gewisses keckes Draufgängertum neben natürlicher Schlauheit! – Wir hätten diplomatischer vorgehen sollen … Wir …“
„Noch diplomatischer, José?! – Ich lese in dem Hirn dieses Mädchens …! Sie wird irgend ein Fahrzeug sich besorgen, wird die schwarze Insel suchen, um Gaupenberg und die anderen abholen zu wollen … Den Schatz und die Sphinx aber wird sie hier in den Urwäldern verbergen …! Uns wird sie freilassen… Sie kann uns kaum mitnehmen … Und dann werden wir … finden, wonach wir seit Monaten …“
„Halt, – – und Lomatz?! Wenn Yvonne Lomatz gleichfalls freigibt?!“
„Lomatz …!! Lächerlich …!! Sein Konto ist übervoll …! Nie wieder würde ich ihn schonen – nie wieder! – – Still – – man kommt …“
Es war einer der Neger, der den Gefangenen Speise und Trank brachte, ihnen die Hände losschnürte und bei ihnen blieb, bis sie sich gesättigt hatten. Dann fesselte er Armaro wieder die Hände und nahm ihn mit sich, sperrte ihn in einen anderen ähnlichen Verschlag ein. – So hatte Yvonne es befohlen. –
Als Herkules dann gegen sechs Uhr nachmittags zurückkehrte und seiner jungen Herren schnell berichtet hatte, wo er den Dakizwerg freigelassen habe, schickte Yvonne die vier Neger, wie sie sich vorgenommen, in den Wald, damit sie für den nächtlichen Ritt nach der Küste noch genügend eßbare Früchte einsammelten.
Herkules und die anderen entfernten sich. Yvonne versperrte hinter ihnen den Eingang durch die mit Steinplatten von außen benagelte und daher nur schwer zu bemerkende Balkentür und begann darauf mit ihren Freundinnen die Goldbarren und alles Übrige, was an Kostbarkeiten noch auf dem Deck der Sphinx umherlag, in eine leere Kellerhöhlen der Festungen zu schaffen – eine anstrengende Arbeit, die eine volle Stunde beanspruchte. Aufs sorgfältigste wurde sodann dieser Kellergang durch Steine und Geröll ausgefüllt und alles so hergerichtet, daß niemand vermuten konnte, was sich hinter diesen Schuttmassen verbarg.
Nun war das Werk zu Yvonnes Zufriedenheit vollendet, und die vier Mädchen schritten wieder nach oben in den Hof.
Die zierliche Ninon, die zu Yvonne stets mit zärtlicher Bewunderung aufschaute, hatte der Freundin den Arm um die Schultern gelegt …
So traten sie in den sonnendurchleuchteten Hof hinaus … Dicht hinter ihnen kamen Celeste und Claire …
Und kaum hatten die vier die ersten frischen Züge der würzigen Waldluft eingeatmet, kaum hatten sie hier im Freien sich ein wenig erholt nach der ungewohnten körperlichen Anstrengung, da vernahmen sie auch schon in der Ferne ein paar schnell aufeinanderfolgende Schüsse.
„Unsere Neger – – die berittene Polizei …!!“ rief Yvonne und wechselte die Farbe … „Celeste – hinauf auf das Felsendach …! Claire – zum Eingang! Laßt euch nicht sehen …!“
Die beiden eilten davon …
Zitternd stand Ninon da …
„Und du, mein Kleines,“ wandte die schwarze Yvonne sich an ihren Liebling, „du wirst unsere Ponys satteln und in den Hof führen … Falls wir fliehen müssen, fals die Häscher den wahren Charakter dieses Granitwürfels durchschauen, dann werden wir trotz allem noch entkommen! – Mut, Kleine Ninon …! Mut!“
Und das zierliche Mädchen schritt denn auch beruhigter dem Stallraum zu.
Yvonne folgte jetzt Claire zur gut verhüllten Eingangstür. Zwischen den rohen Balken mit den von außen aufgenagelten Felsplatten – einer Erfindung der Flibustier, die hier die Jahrhunderte überdauert hatte – gab es gar zwar kleine Öffnungen, durch die man hindurchspähen konnte. Doch das mittlerweile dichte Gestrüpp draußen verhinderte heute nur zu sehr jeden Blick auf die Lichtung.
Claire meinte denn auch atemlos:
„Ich sehe nichts, Yvonne … Ich höre nichts … Wenn Herkules und die drei anderen nur nicht in einen Hinterhalt geraten sind …“
Yvonne schwieg …
Ihre Augen versuchten das Gestrüpp draußen zu durchdringen …
Und plötzlich tauchte da ganz unten im Grase, ganz unten zwischen den tiefsten Zweigen der wollige Kopf eines Negers auf …
Es war Herkules …
Mühsam kroch der Schwarze auf die Balkentür zu … Sein aschgraues Gesicht war schmerzhaft verzerrt … Und dicht vor dem Eingang verließen ihn die Kräfte … Flach fiel er nieder, regte sich nicht mehr …
Yvonne hatte schon die mächtigen eisernen Riegel zurückgeschoben. Mit Claires Hilfe schleppte sie den Verwundeten in den Felsengang.
Die Tür wurde wieder versperrt.
Herkules blutete aus zwei kleinen Einschußöffnungen dicht unter dem Halse … Aber trotz der beiden tödlichen Wunden kam er nochmals für Sekunden zum Bewußtsein.
Sein erlöschender Blick hing an Yvonnes verstörtem Gesicht, und seine Lippen formten schwerfällig letzte Worte …
Wie ein Hauch waren sie nur … Begleitet von kraftlosem Röcheln …
Yvonne kniete neben ihm, beugte sich ganz tief herab …
Hörte … verstand …
„Flieht … sofort … Zwerg … uns verraten … Die andern … tot … Flieht …!“
Und dann – ein Seufzer … Ein Ruck durch den mächtigen Leib … Herkules war verschieden … –
Yvonne sprang empor …
„Claire, hole Celeste vom Felsendach … Ich helfe Ninon die Ponys satteln … Schnell … Jede Sekunde ist kostbar …“
Und – Sekunden dauert es auch nur, bis die vier im Sattel saßen, denn Celeste war bereits aus eigenem Antrieb wieder in den Hof hinabgekommen gewesen …
Zwölf berittene Polizisten und mindestens ebenso viele Pflanzer hatte sie draußen in der Lichtung bemerkt … Man suchte nach Herkules’ Spuren … Offenbar wußte der Zwerg, den einer der Beamten vor sich auf dem Pferde hatte, doch nicht genau, auf welcher Seite des riesigen Steingebildes sich der Eingang befand … –
Yvonne öffnete wieder die Eingangstür … Bog als erste hinaus, horchte … winkte …
Vorsichtig ritten die Mädchen durch das dichte Buschwerk … Spähten voraus … Sahen den Weg zum Walde frei …
„Galopp!“ rief Yvonne … „Ich decke euch den Rücken …! Ihr wißt, wo der zweite Durchgang durch den Dornengürtel sich befindet …!“
So sprengten sie denn hinaus auf die Blöße …
Waren noch keine fünfzig Meter vom Eingang entfernt, als der gellende Schrei eines der farbigen Beamten die Verfolger herbeirief …
Yvonne erkannte, daß sie auf diese Weise niemals entkommen würden …
„Zurück …!! Celeste – – zurück! Claire – umkehren …! Ninon – – hierher …!“
Aber nur Ninon beachtete den Zuruf, riß ihren Pony herum und jagte neben Yvonne dem Eingang wieder zu …
Schüsse knallten bereits …
Ein Blick nach rückwärts zeigte Yvonne zwei reiterlose Pferdchen über die Lichtung rasen … Celeste und Claire waren aus dem Sattel geschossen worden … Ihr junges Blut färbte den steinigen Boden der Urwaldblöße … Ihre Hände krallten sich im Todeskampf um die Wurzeln dürrer Sträucher …
Und auch um Yvonne und Ninon sangen die Kugeln ihr verderbliches Lied …
Und – auch die zierliche Ninon schrie jetzt plötzlich gellend auf, drohte vom Pferde zu sinken …
Yvonne fing sie auf … Sprang mit der leichten Last in die Büsche, verschwand im Eingang, legte die zarte Gestalt vorsichtig nieder und versperrte die Tür.
Und als sie nun neben der Freundin kniete, als sie mit trockenem Aufschluchzen deren Hände ergriff, fühlte sie keine Regung des Leibes mehr …
Ninon war tot …
Mit einem halb irren Lachen erhob Yvonne sich …
Ihr Blick fiel in den Hof, auf die Sphinx – auf das Luftboot, das Lomatz unter steter Bewachung hier hatte niedergehen lassen müssen …
Auf … die Sphinx …!
Und da … presste sie plötzlich die Hände gegen die Schläfen …
Stöhnte in herbem Selbstvorwurf:
„Jetzt, jetzt denke ich an die Sphinx!! Jetzt – wo es zu spät ist! Sie hätte uns davongetragen … Ohne Gefahr …! Ich kenne den Hebel, der sie emporsteigen läßt … Ich hätte uns retten können …!“
Ein herzzerreißendes Lächeln lag um ihre Lippen.
Tränen verdunkelten ihren Blick …
So beugte sie sich über die tote Freundin, küßte die noch warmen Lippen zum Abschied …
Richtete sich wieder auf …
Und da – von der Tür her eine überlaute Männerstimme …:
„Ergeben sie sich, Yvonne Lataille! Ergeben sie sich! Hände hoch!“
Aber Yvonne hastete weiter …
Ein Schuß knallte …
Yvonne taumelte nach vorn, fiel auf die Hände … Raffte sich wieder auf …
Donnernde Schläge trafen die Steinplatten der Eingangstür …
Stein prallte auf Stein …
Die Platten zersprangen …
Die Balken zersplitterten …
Und durch die Felsspalte quoll eine Schar Männer in den Hof der Feste …
Im selben Augenblick schoß Gaupenbergs Luftboot wie ein losgeschnellter Pfeil in den Äther empor …
Zur selben Zeit fast hatte ein glücklicher Zufall aus der kreisrunden Erweiterung der Südbucht der schwarzen Insel, aus dem sogenannten Binnensee die beiden Wracke der Wasserflugzeuge wieder ans Tageslicht befördert.
Der, dem man diese Bereicherung der Hilfsmittel zum Verlassen der Insel verdankte, war der Portugiese Pasqual Oretto.
Oretto hatte als leidenschaftlicher Angler am Ufer des Binnensees gesessen und seine für größere Fische bestimmte Angel so tief gestellt, daß der Haken mit dem Köder dicht über dem Grunde hing.
Als er dann einen welsartigen Fisch von fast einem Meter Länge glücklich herausgeholt hatte, als er abermals die Angel ausgeworfen hatte, und der Schwimmer plötzlich in die Tiefe geschossen war, verfing sich der Haken beim Anrucken an irgend einem Gegenstand, und erst durch sehr kräftiges und vorsichtiges Ziehen konnte Pasqual ihn wieder frei bekommen.
An dem Haken hing nun ein großes Stück Leinwand – eine Leinwand von besonderer Art und Farbe.
Der Portugiese stutzte, als er sie genau beschaute. Er erkannte, daß es ein Stück von der Tragflächenbespannung eines Flugzeuges war. Sofort dachte er an das Verschwinden der Wracke der beiden Doppeldecker, mit deren Hilfe er selbst, Hartwich und noch einige andere Sphinxleute nach dem Schiffbruch in dem wütenden Taifun die Insel erreicht hatten und die dann verschwunden waren.
Die Möglichkeit, daß die Wracke hier im Binnensee von dem alten Herzog von Dalaargen, der die fremden Gäste damals noch für Feinde gehalten hatte, versenkt worden seien, lag sehr nahe. Oretto rief daher Gaupenberg, Georg Hartwich und ein paar Matrosen herbei und schlug ihnen vor, mit einem an einem Tau befestigten starken eisernen Haken den Grund der Bucht abzufischen. Der Haken würde sich dann schon an einem der Doppeldecker verfangen.
Ein Matrose schwamm in den See hinaus und warf Tau und Haken ins Wasser. Schon dieser erste Versuch hatte Erfolg. Der Haken faßte eine der Stützen der Steuervorrichtung des einen Flugzeuges, und so konnte man ohne besondere Mühe die so überaus wertvollen Wracke bergen.
Gerade als dies geschah, fanden sich auch Gottlieb Knorz und Samuel Tillertucky hier am Ufer ein. Der brave Gottlieb beachtete die halb zertrümmerten Doppeldecker jedoch kaum, nahm den Grafen und Hartwich beiseite und teilte ihnen in begreiflicher Erregung all das mit, was er soeben von dem Mormonen über jene deutsche Farmerfamilie Werter erfahren hatte, die damals im Jahre 1915 in so selbstloser Weise das an der Kamerunküste geschürfte Gold dem Vaterlande geschenkt hatte …
„In den Urwäldern der Dakis leben Werters jetzt,“ betonte Gottlieb nochmals. „Tillertucky hat unsere Landsleute zwar nicht selbst gesprochen, ihre Farm auf der Lichtung jedoch gesehen und auch verschiedentlich von dem Dakihäuptling den Namen Werter gehört.“
Diese Nachricht erregte besonders Hartwichs Interesse. Er kannte Werters ja, er hatte in jener Novembernacht 1915 mit in der Wasserhöhle geholfen, den Schatz an Bord des U-Bootes zu verstauen …
Und auch Gaupenberg erklärte sofort, daß er es für seine Pflicht halte, die Werters aus der Weltabgeschiedenheit jener Wälder wieder in die alte Heimat zurückzubringen …
„Wenn wir die Sphinx noch hätten, wäre dies ein leichtes,“ meinte er mit leichtem Seufzer. „Aber – wir wissen nicht einmal, wo wir unser Luftboot suchen sollen … Wir sind vorläufig noch Gefangene hier auf der Insel …“
„Nicht lange mehr!“ rief Nielsen, der soeben zu ihnen getreten war. „Wir werden die Motoren der beiden Flugzeugwracke auf dem vielleicht schon morgen fertigen Prahm montieren … Die Propeller sind in Ordnung … Benzin befindet sich oben in den Wohngrotten …“
„Ein guter Gedanke,“ nickte Knorz … „Wir können dann alle Mann der schwarzen Insel lebewohl sagen … Und für alles weitere wird der liebe Gott schon sorgen.“
Die Kunde von der Bergung der beiden Doppeldecker verbreitete sich sehr schnell …
Bald waren denn auch sämtliche Matrosen, die Sphinxleute und die übrigen hier am Buchtufer versammelt. Die allgemeine Stimmung war hoffnungsfroh und freudig. Der Gedanke, daß man vielleicht morgen schon ein leidlich seetüchtiges Fahrzeug zur Verfügung haben würde, ließ alle Augen aufleuchten.
Agnes und Gaupenberg, das junge Ehepaar, bildeten den Mittelpunkt des großen Kreises. Von allen Seiten wurde ganz besonders Pasqual Oretto beglückwünscht, dem man ja diesen wichtigen Fund zu verdanken hatte.
Nur die sechs Matrosen, die in der Tiefe vor dem Zugang zum unterirdischen Ozean Wache hielten, ferner Tom Booder und Toni Dalaargen und der treue Homgori Murat fehlten hier.
Murat lag oben in der Wohngrotte mit nur noch leichtem Wundfieber. Und Toni und Tom erschienen soeben in der offenen Steintür, die in den Kraterdom führte. Man hatte ihre Abwesenheit noch gar nicht bemerkt, und als sie nun Arm in Arm sich der Versammlung näherten, als das Tonerl verschämt und tief errötend aller Blicke auf sich gerichtet fühlte, als sie nun schnell ihren Arm aus dem des Geliebten ziehen wollte, da war’s abermals Gerhard Nielsens trockener Humor, der diese für das Prinzeßchen etwas peinliche Szene in heitere Fröhlichkeit verwandelte …
„Offenbar ist da ein neues Unglück geschehen …!“ rief Nielsen lachend. „Offenbar kommt dort ein neugebackenes Brautpaar! Sie, lieber Herzog, und Mela haben den beiden eben ein schlechtes Beispiel gegeben …!“
Ein schallendes Gelächter folgte … Und noch tiefer errötend flog Toni nun ihrem Bruder an die Brust.
Fredy Dalaargen lachte gleichfalls …
Streckte Tom Booder die Hand hin und meinte:
„Gratuliere, Schwager …! Nie hätte ich’s für möglich gehalten, daß es einem Manne gelingen würde, mein scheues Schwesterlein für sich zu erringen …! Gratuliere!“
Und dann legte er die Hände des jungen Brautpaares ineinander …
Randercilds meckernde Stimme forderte zu einem dreifachen Hoch auf die Verlobten auf …
Überlaut ertönte diese freudige Ovation …
Überlaut warfen die Felswände der Bucht die markigen Töne zurück …
Jeder wollte nun den beiden Glücklichen die Hand drückten …
Randercild erklärte, er würde für die Brautausstattung sorgen … Tillertucky erbot sich, das Paar recht bald zu trauen … Gipsy Maad meinte – und das galt hauptsächlich dem ehefeindlich Nielsen –, verschiedene Leute hier könnten sich ein Beispiel an Tom und Tonerl nehmen …
Kurz – es herrschte eine so muntere, ausgelassene Stimmung, das Gaupenberg sehr ernst daran erinnern mußte, wie nötig es sei, den Rest des Tages noch zu dringenden Arbeiten zu verwenden.
Da erst zerstreute sich die Versammlung. Die beim Prahmbau Beschäftigten schleppten die Flugzeuge zur Nordbucht, die Angler und Eiersucher nahmen ebenfalls ihre Tätigkeit wieder auf, und die Frauen beeilten sich, das Segel fertig zu nähen, denn Nielsen wollte durchaus nicht darauf verzichten, den Prahm auch mit einem Mast auszurüsten.
Am Binnensee war es still geworden. Nur eine einzige Person war hier zurückgeblieben: Mantaxa, die Aztekin …
Einsam saß sie, halb verborgen zwischen zwei Felsblöcken, und starrte gedankenvoll auf den schillernden Wasserspiegel hinab …
Sie fühlte sich unendlich verlassen … Sie war eine Fremde unter all diesen Europäern … Und die eine, die sich ihrer bisher angenommen hatte, die gütige Toni Dalaargen, war Arm in Arm mit ihrem Verlobten die nördlichen Abgänge emporgestiegen, hatte in ihrem jungen Glück das Indianermädchen völlig vergessen …
Eine dumpfe Traurigkeit lastete auf Mantaxas Seele … Sie war die letzte ihres Volkes … Sie stand ganz allein auf dieser ihr fremden Oberwelt da. Ihre Heimat war die Riesenhöhle unterhalb der Insel Christophoro … Dorthin sehnte sie sich zurück …
Die letzte ihres Volkes …! Denn die unglücklichen Wahnsinnigen, die wie Tiere auf der Galeere des Grottenozeans hausten, waren als Menschen nicht mehr zu rechnen …
Mantaxas seelischer Druck steigerte sich bis zu dem inbrünstigen Verlangen, daß sie sterben könnte – irgendwie …! Sie bereute bereits, daß sie heute vormittag dort unten auf dem unendlichen Gewässer mit ihrem Nachen vor der Galeere und den vertierten Gesichtern der Besatzung in sinnloser Angst geflohen war … Vielleicht hätten ihre unglücklichen Stammesgenossen sie sofort erschlagen … Dann – wäre alles Leid vorüber gewesen …!
Mantaxa weinte …
Ihr leises Schluchzen mischte sich in das sanfte Plätschern der kleinen Wellen des Binnensees …
Sie hatte das Gesicht in die Hände vergraben …
Und – eine andere Hand strich da unendlich zart über ihr schlichtes schwarzes Haar …
Eine milde Stimme sagte:
„Mein Kind, was bedrückt dich …? – Habe Vertrauen zu mir …“
Die Aztekin fuhr leicht zusammen. Aufblickend erkannte sie Dagobert Falz, den grauhaarigen ernsten Mann mit den tiefen, gütigen Augen …
Er setzte sich neben sie …
Seine Hände nahmen Mantaxas Rechte, streichelten sie …
Doktor Falz schwieg … Und doch hatte seine wortlose Art des Trostes etwas unendlich Beruhigendes. Der Einfluß dieses großen Menschenkenners und vielseitigen Gelehrten auf fremde Seelen versagte auch hier nicht.
Dann begann er zu sprechen … Wie nur er sprechen konnte … Er ahnte, was in dieser einsamen verwehten fremden Menschenblüte vorging … Er begriff ihre Verlassenheit …
Und genau so, wie er einst in dunkler Nacht der verzagten Agnes Sanden drüben jenseits des Weltmeeres im deutschen Vaterlande unweit der Ruine Sellenheim Mut und Trost prophetischen Geistes gespendet hatte, ebenso gelang es ihm auch hier auf der entlegenen Inseln dem rotbraunen Kinde eines ausgestorbenen Volkes die Last von der Seele zu nehmen …
„Mantaxa …,“ sagte er zum Schluß, indem er sich langsam erhob und den rechten Arm gen Himmel reckte, „Mantaxa, wenn wir Menschen nur geboren würden, um Schritt für Schritt dem Grabe zuzuwandern, wenn unser Leben keinen anderen Sinn hätte als auf den Tod zu warten, dann wäre es freilich ein klägliches Dasein! Aber – ein jeder von uns, mein Kind, hat eine Mission auf Erden zu erfüllen, ein jeder! Wir alle sind nur feine und allerfeinste Rädchen in der ungeheuren Maschinerie des Weltgetriebes … Du bist’s – auch ich! Und gerade du als die letzte deines einst so blühenden und berühmten Volkes muß sich jederzeit bewußt sein, daß von ihrer Person vielleicht im Ineinandergreifen menschlicher Schicksale weit mehr abhängen mag, als wo es sich um gewöhnliche Sterbliche handelt.“
Dagobert Falz’ Gesicht hatte jetzt jenen visionärn Ausdruck angenommen, der ihm in Minuten seelischen Entrücktseins eigen war …
Seine Stimme wurde leiser und geheimnisvoller …
Mantaxa erhob sich lautlos, um sich keines seiner Worte entgehen zu lassen …
„Droben am Firmament, das bereits die ersten Anzeichen des nahenden Abends trägt, an dem die Mondsichel schon als heller Punkt undeutlich sichtbar, – dort droben sehe ich, wie aus weißen Wolken geformt, eine ungeheure Eiswüste … Drei Gestalten wandern über die endlosen Schneefelder dahin … Und du, meine Tochter, bist eine dieser drei Gestalten … Die beiden anderen … ach … die Gesichter verschwimmen … Ich erkenne nur noch die Sphinx inmitten von Eisbergen … Erkenne nur noch … – Nein, jetzt ist alles – alles wie weggewischt …“
Mantaxa hatte plötzlich des Doktors Arm umklammert …
In ihrem rotbraunen Antlitz, das so sympathische Züge besaß, arbeitete eine ungeheure Erregung …
„Sennor Falz …,“ rief sie wie in heller Angst vor etwas Unfaßbarem, „Sennor Falz, einer unserer Priester, der die Gabe der Weissagung besaß, hat mir vor einiger Zeit Ähnliches vorherverkündet wie ihr es jetzt soeben tatet … Ich würde in meinem Leben noch einen Weltteil schauen, in dem alles Wasser zu durchsichtigem Glas erstarrt ist … Dort würde ich … die letzten meines Volkes mit Hilfe weißer Männer aus fremden Landen finden … – Oh – erst jetzt erinnere ich mich dieser Prophezeiung … Und jetzt … will ich weiterleben! Jetzt habe ich … ein Ziel, Sennor Falz …!“
„Eine Mission, mein Kind,“ meinte der Einsiedler von Sellenheim, der inzwischen aus seinem visionäreren Zustand wieder erwacht war. „Nun komm, Mantaxa, – begleite mich hinab in den Felsengang an die Barrikade … Wir wollen die dort wachenden Matrosen fragen, ob die Insassen der Galeere nicht nochmals erschienen sind …“
Und nebeneinander schritten sie dahin – wie Vater und Tochter, Hand in Hand …
Zwei Menschen, die von der rätselhaften Vorsehung in besonderer Weise gezeichnet worden waren.
Als sie dann unten angelangten, wo zwei Laternen die verrammelte Festplatte und die sechs Matrosen der Milliardärsjacht beschienen, meldete der junge Harry Port dem Doktor, daß hier noch alles beim Alten sei …
„… Die Azteken liegen noch reglos im Schacht, Master Falz … Und kein lebendes Wesen hat sich wieder gezeigt. Ich glaube, diese armen verrückten Teufel sind mit ihrem Schiffe auf und davon gefahren …“
Dagobert Falz blickte durch die schmale Öffnung in den steilen Schacht hinein … Nur eine der Harzfackeln brannte noch schwach … Ihre zuckenden Lichtstreifen glitten über die reglosen Gestalten hin …
Dann wandte der Doktor sich an Harry Port …
„Ich nehme dasselbe an,“ erklärte er. „Die Azteken werden uns nicht mehr belästigten … – Räumen Sie die Barrikade weg, – auf meine Verantwortung! Ich werde hinabsteigen … Und Mantaxa wird mit mir kommen … Uns droht dort unten keine Gefahr … Wir haben eine andere Mission hier auf Erden zu erfüllen als … den Tod durch Aztekenhand …!“
Die Matrosen zauderten …
Aber Doktor Falz wiederholte befehlend:
„Räumt die Barrikade weg …! Es ist Zeit, daß Menschenaugen prüfen, was dort in der Tiefe vorgegangen ist, weshalb diese Männer dort tot umgesunken sind …“
Da gehorchten die Matrosen …
Die Steine und Felsstücke flogen polternd beiseite …
Die Platte wurde langsam weitergeschoben …
Der Schachteingang war frei.
Falz nahm eine Laterne, trat zu einem der Toten heran und leuchtete ihm ins Gesicht … – Sofort fiel ihm die seltsame Veränderung der Pupillen bei diesem Azteken auf. Und genau dieselbe Erscheinung fand er bei dem anderen. Nur der, den Harry Ports Kugel niedergestreckt hatte, hatte das normale Aussehen eines durch ein Geschoß Niedergestreckten.
Dann winkte der Doktor Mantaxa …
Harry Port rief: „Darf ich mich hinab, Mister Falz? Ein Revolver kann nicht schaden, denke ich mir …“ Und er schwenkte seine blinkende Waffe.
„Gut, kommen Sie … Obwohl uns nichts zustoßen wird …“
So gingen sie denn zu dreien den steilen Schacht zum unterirdischen Ozean abwärts …
Erreichten die Ozeangrotte – das Ufer … Standen im magischen Lichte des leuchtenden Dunstes, der über der weiten Wasserfläche lagerte …
Standen … inmitten … von Toten …!
Ein Leichenfeld hier am Ufer …
Vielleicht dreißig … vierzig tote Azteken …
Selbst Harry Port packte das Grauen …
Mantaxa lehnte sich schwer an Doktor Falz.
Der ließ den Blick über das große Wunder dieser unterirdischen Welt schweifen – über das geheimnisvolle Gewässer, dessen Grenzen sich dehnten bis hin zu der anderen Riesengrotte von Christophoro …
Doch – die Galeere der Wahnsinnigen war nirgends zu erspähen …
Der Ozean war leer. –
Falz besichtigte die Toten …
Schritt von einem zum andern …
Überall dieselbe Erscheinung: die Pupillen der gebrochenen Augen waren unnatürlich geweitet und schimmerten gelblich …
Mit einem Male bückte sich der Doktor noch tiefer, hob ein Lederbeutelchen auf, dessen Außenseite mit bunten rohen Kerbschnitten verziert war …
Das Beutelchen war leer. Aber ähnliche Ledersäckchen glaubte Doktor Falz bei einigen der Dakizwerge bemerkt zu haben. Er schob es daher in die Tasche, wollte später feststellen, wie dieses Erzeugnis primitiver Zwergenhandfertigkeit hierher gelangt sein könne.
Und abermals ging er dann sinnend von einer Leiche zur andern, prüfte, ob auch bei allen das Leben wirklich entflohen, und gesellte sich Mantaxa und Harry Port wieder zu, die bis zum Schachtausgang zurückgewichen waren.
Sagte zu ihnen: „Ich begreife nicht recht, was hier vorgefallen ist … Diese Ärmsten sind keines natürlichen Todes gestorben, sind vielmehr vergiftet worden.“
Und da, als er nur dieses eine Wort aussprach, das so brutal die traurige Wahrheit verriet, – da erst baute sich in Dagobert Falz’ klarem Geiste blitzschnell die Brücke, die von dem jähen Ende des Gaupenbergschen Hochzeitsfestes, von dieser hinterlistigen Betäubung der sämtlichen Bewohner der schwarzen Insel zu diesem Massensterben hier hinüberführte …
Das Gift der Dakizwerge …!!
Das war’s …!
Dasselbe Gift, das dem Hochzeitsmahl so verhängnisvoll geworden, mußte hier weit furchtbarer gewirkt haben …
Und mit diesem Gift hing auch das Ledersäckchen zusammen …
Dieses Gift, das Tamua, war in dem Beutelchen enthalten gewesen …!
Wer aber hatte es hier am Ufer des Grottenozeans verloren?! – Nur drei kamen in Betracht: Mantaxa, Tillertucky und Gerhard Nielsen!
Und Doktor Falz nahm sich vor, diese Frage sofort zu klären. Mantaxa brauchte er nicht zu berücksichtigen. Nein – nur der Mormone oder Nielsen konnten das Gift hier zurückgelassen haben! Und – wie waren sie in den Besitz des gefährlichen Lederbeutelchens gelangt?! Weshalb hatten sie diesen Besitz verschwiegen?!
Falz ahnte, daß hier noch manches an den Tag kommen würde, was auch ihm vielleicht schmerzliche Enttäuschungen bringen könnte. –
Oben im Felsengang ließ er dann die Steinplatte wieder vor die Öffnung schieben und sie sorgfältig verrammeln. Da er zwei Matrosen als Wachen für genügend hielt, durften die anderen vier mit in die Wohngrotten emporsteigen, wo inzwischen die beiden Köche der Milliardärsjacht für die Bewohner der Insel die Abendmahlzeit zubereitet hatten: ein Fischgericht, und als Vorspeise Möveneier!
Die meisten waren hier in den Grotten auch schon erschienen. Doktor Falz fand Gerhard Nielsen draußen auf der Terrasse vor den drei Fenstern zusammen mit Gipsy und Samuel Tillertucky in angeregtem Gespräch.
„Würden Sie mich mit Nielsen und Tillertucky ein paar Minuten allein lassen …,“ bat der Doktor die junge Detektivin …
„Gern! Ich habe mich ja doch nur wieder mit Nielsen gezankt … Er kann unausstehlich sein …“ Und Gipsy verschwand …
Falz zeigte Nielsen und dem Mormonen nun das Ledersäckchen, erzählte, was er unten am Ufer des Grottenozeans entdeckt hatte …
Samuel wurde aschfahl. Auch der blonde Seemann machte ein etwas verlegenes Gesicht. Er mochte Tillertucky nicht gern verraten …
So sagte er denn nach kurzer peinvoller Pause:
„Herr Doktor, ich will Sie nicht belügen. Anderseits habe ich versprochen, die Herkunft dieses Beutelchens, in dem sich tatsächlich das Tamua-Gift befunden hat, zu verschweigen. Ich bitte Sie daher, lassen Sie die Sache auf sich beruhen! Ich werde vor unseren Gefährten erklären, ich hätte das noch halb gefüllte Beutelchen gefunden und es dann wohl unten am Ufer des Ozeans aus Versehen aus der Tasche gezogen.“
„Wie Sie wünschen, lieber Nielsen,“ nickte Falz und schaute den Mormonen dabei ernst an. „Die armen Azteken haben fraglos den Inhalt des Säckchens für eine Leckerei gehalten. Das Gift hat sie erlöst … Das Gift tat in diesem Falle vielleicht etwas Gutes …“
Dann wandte er sich um und betrat die Wohngrotte.
Eine Stunde später leuchtete der Himmel über der Insel im feurigsten Abendrot …
Röticher Glanz lag auch auf dem stillen Gewässer des Binnensees …
Auf Josua Randercilds Aufforderung hatten sich jetzt nach Tisch alle auf der Felsplattform vor der Steintür zum Kraterdom versammelt.
Randercilds meckernde Stimme gebot Schweigen …
„Freunde!“ rief er … „Gefährten, – die Stunde ist gekommen, wo wir unser jüngstes Ehepaar nun endlich zu seinem Heim geleiten können … Der Abend naht … Der Himmel erstrahlt in den zarten Farben der Liebe …“
„Hoch die Internationale!!“ rief der unverbesserliche Nielsen dazwischen.
„Sie sind einen Ekel!“ fauchte ihn Gipsy dafür wütend an …
Aber Josua Randercild ließ sich so leicht nicht aus dem Text bringen …
„Mister Nielsen hat nicht ganz unrecht …!“ meckerte er weiter. „International ist unsere Gesellschaft …! Deutsche, Amerikaner, Österreicher, ein Portugiese, eine Aztekin … – Wir alle freuen uns, das Ehepaar Gaupenberg nun in heiterem Zuge zu der kleinen Grotte führen zu können, die durch Freundeshand für sie als eheliches Heim hergerichtet worden ist … – Bitte – ordnen Sie sich zum Zuge – paarweise … Und mangels einer Musikkapelle mögen meine braven Matrosen ihre Kunstfertigkeit im Pfeifen des Sternenbannermarsches beweisen …!“
Agnes war hold errötet …
Aber Gaupenberg zog sie schon mit sich fort … Flüsterte, zärtlich ihren Arm drücken:
„Der Josua ist ein Prachtkerl!“
Dann setzte sich der lange Zug in Bewegung …
Voraus schritten Randercild und Tillertucky …
Ihnen folgte das junge Paar … Dann schlossen sich die anderen an …
Die Matrosen pfiffen, daß es nur so gellte … Die übrigen summten die Melodie mit …
So bewegte sich der Zug zur kleinen Grotte am Südufer, zum Brautgemach …
Der dicke Mormone war jetzt vorausgeeilt, hatte den durch grüne Zweige verzierten Segeltuchvorhang emporgehoben …
Der rötliche Abglanz des Abendhimmels erleuchtete die Stätte der Liebe, der Weibeserfüllung …
Der Zug machte halt …
Gaupenberg hatte einen raschen Blick in die Grotte geworfen …
Er war tief gerührt über diese zarte Aufmerksamkeit seiner Freunde …
„Sieh nur, Agnes … Sieh nur … Wie schön!“ flüsterte er … „Blumen und Grün überall … Blütenduft strömt uns entgegen …“ –
Randercild winkte …
Die Marschmusik verstummte …
Gaupenberg, Agnes am Arm, wandte sich den rasch zum Halbkreis sich Gruppierenden zu …
„Ich danke Ihnen allen, meine Freunde,“ sagte er bewegt. „Zwischen mir und Ihnen haben diese Tage hier auf der schwarzen Insel einen Bund geschmiedet, fester als Erz …! Nie werde ich vergessen, wie treu Sie alle zu mir gehalten haben und wie gut es Ihnen geglückt ist, meinem geliebten Weibe und mir nun auch noch diese zarte Überraschung zu bieten …“
Dann drückte er Randercild die Hand – auch Tillertucky und Gottlieb, der sich vor gedrängt hatte …
Der kleine Milliardär warf seine Sportmütze in die Luft …
„Drei Hochs auf das Ehepaar Gaupenberg …!!“
Die Felswände ringsum erschraken über dem brausenden Stimmenklang …
Dann … wieder Josua Randercild:
„Kehrt marsch – – mit dem Sternenbanner …!“
Die Matrosenlippen pfiffen …
Der Zug entfernte sich …
Und Agnes und Viktor schauten eng umschlungen den Freunden nach …
Ihre Herzen pochten …
Dicht vor der Grotte standen sie, umflossen vom zarten Schein der Abendröte …
Dunkelheit senkte sich über die Insel hinab …
Agnes und Viktor waren allein … Die Liebe wohnte in der kleinen Felsengrotte …
Liebe atmete die heiße Tropennacht …
Leise plätscherten die Wellen des Binnensees …
Liebe rauschte der Nachtwind in den grünen Zweigen am Eingang des Brautgemachs … –
Und unten – unten in den Tiefen der schwarzen Insel, – unten im Felsengang vor der Barrikade saßen die beiden Wachen, hatten bisher mannhaft gegen den Schlaf angekämpft …
Neben ihnen brannte die Laterne …
Immer wieder sanken ihnen die Köpfe auf die Brust herab … bis sie gurgelnd atmeten, bis der Schlummer sie in das wirre Land der Träume hinüberführte …
Im Schacht hinter der Barrikade ein Raunen und Wispern …
Blutroter Fackelschein …
Teufelsfratzen …
Leises Waffengeklirr …
Tückische irre Augen spähten durch die Spalten …
Zwei lange Speere fuhren durch die Löcher …
Zwei gellende Schreie …
Niemand hörte sie …
Nur die wahnsinnige Horde, die jetzt mit der Kraft des Irrsinns das Hindernis beiseite räumte …
Steine, Felsstücke bedeckten die Leichen der beiden Matrosen …
Vorwärts flutete die geifernde Schar … Fand den zum Kraterdom emporführenden Schacht … Fand das Tau … Turnte nach oben – einer nach dem anderen – sammelte sich im feierlichen Dome … –
Die Bewohner der schwarzen Insel bekamen nichts davon mit …
Ahnungslos ruhte Agnes’ blonde Lieblichkeit in den Armen des Gatten …
Hoch am Himmel stand das Mondlicht …
Bleiches Licht lag über der Insel des Verderbens in dieser heiß ersehnten Hochzeitsnacht …
Im Hofe der alten Flibustierfeste in den Urwäldern von Gouadeloupe standen die Polizeibeamten, die Pflanzer und die drei von ihnen Befreiten: Mafalda, Armaro, Edgar Lomatz …
Der Führer der farbigen Polizisten fragte die drei Europäer aus … – Mafalda antwortete …
Ein rascher Blick – und sie hatte Lomatz verständigt …
Sie … log … erfand glaubwürdige Märchen …
Keiner der Männer hier war dieser Abenteurerin auch nur im entferntesten gewachsen … Keiner von ihnen, der dieses Weib nicht mit begehrlichen Blicken gemustert hätte …
Sie log, gab andere Namen an …
Schiffbruch einer Privatjacht – – Marsch durch den Urwald, Überfall durch die vier weiblichen Desperados …
Das alles klang so einleuchtend … –
Und der einzige, der diese Lügen hätte widerlegen können, war nicht mit in die Felsenfeste eingedrungen: der Zwerg Maupati …!
Sein unruhiger, mißtrauischer Geist hatte ihn in die Wälder zurückgescheucht … Er hatte seine Rache vollendet … Dank verlangte er nicht … –
Kapitän Destinal, Führer der Polizeitruppe, verbeugte sich vor Mafalda …
„Ich danke Ihnen, Madam … Über das Luftschiff wissen Sie also nichts?“
„Bedaure, Herr Kapitän … – Nichts!“
„Nun, dann können wir uns ja einmal das Innere dieser Räuberburg genauer ansehen … – Holt die Leichen der Mädchen und der Neger herbei,“ wandte er sich an seine Leute …
Dann machte er mit erneuter Verneigung vor Mafalda eine einladende Handbewegung …
„Wenn Sie uns begleiten wollen, Madam …“
„Gern …“
Er ging mit Mafalda vorraus …
War ein Weltmann, der Kapitän Destinal …
Hatte Schulden wegen diesen elenden Posten hier auf Gouadeloupe annehmen müssen…
Hatte eine Schwäche für Weiber und Karten … Und dieses Weib hier trieb ihm das bereits etwas träge Blut heiß zu Kopf …
Mafalda ihrerseits ließ alle Register feinster Koketterie spielen … Blieb vornehme Frau – angeblich vornehme Frau … Lächelte müde … Kniff die Lider halb zusammen … Spielte die Blasierte … Und warf so heute das Netz auf andere Art …
Von Destinal war eine Laterne mitgenommen worden … Absichtlich hatte er sich dann mit Madam von den anderen abgesondert …
Und jetzt standen sie in der rauchgeschwärzten kleinen Höhle vor dem langen uralten plumpen Tisch.
„Ah – eine Inschrift!“ meinte der Kapitän. „Madam, das ist französisch – wahrhaftig …!“
Er begann zu buchstabieren …:
„Wir, die Piraten unter Führung des großen Baron de la Chatterie, haben diese Festung für unsere Zwecke im Jahre 1635 Ende Oktober besetzt. Ich, Charles Rochette, Befehlshaber der hier zurückgebliebenen Wache von zwanzig erlesenen Männern, bin heute am 16. Juni 1636 der letzte Überlebende dieser Wache. Das Sumpffieber hat binnen acht Tagen all meine Kameraden hinweggerafft. Ich habe sie im Hofe beerdigt, und auch mein Kopf ist bereits schwer und in meinen Adern glüht als Fieber. Auch ich werde sterben. Mein Grab soll die Stätte sein, wo meine Gebeine inmitten stummer Zeugen unserer Piratenfahrten ruhen werden. Im Osten geht die Sonne auf, trifft dann zuerst die Westseite der Innenwand der Festung, leuchtet hinein in den Zugang zu unseren Vorratskellern. Dann wandert sie nach Süden, biegt wieder nach Westen ab und versinkt im Meer.
Er, dem es vielleicht einmal vergönnt, diese meine Schrift zu lesen, denke an die Sonne und an die Piraten des berühmten Kapitäns Baronen de la Chatterie.
Charles Rochelle“
Mafalda hatte nicht nur mit gespanntester Aufmerksamkeit zugehört, sondern auch jedes der eingekerbten Worte verfolgt.
Als Destinal jetzt schwieg, meinte sie achselzuckend:
„Ein eigenartiges, aber unwichtiges Dokument aus früherer Zeit …“ Dabei schaute sie den Kapitän prüfend von der Seite an …
Destinal nickte. „Es gibt hier auf Gouadeloupe viele Erinnerungen an die berüchtigten Flibustier …“ Und er hob die Laterne und betrachtete die an den Wänden hängenden Waffen …
Die gefielen ihm …
„Oh – das wäre etwas für mein Herrenzimmer! Die nehme ich mit …“
Die Fürstin Sarratow atmete erleichtert auf … Dieser Destinal war zum Glück mit geistiger Blindheit geschlagen …!
Aber noch war die Gefahr nicht vorüber … Die anderen würden hier herkommen, und zwei so schlaue Füchse wie Armaro und Lomatz fanden fraglos heraus, daß diese Tischplatte vielleicht mehr wert war als all diese alten Waffen und Kettenpanzer …
Mafalda prägte sich jetzt den zweiten Teil der Inschrift recht genau ein. Ihr vorzügliches Gedächtnis kam ihr dabei zu Hilfe.
Dann bat sie den Kapitän, ihr doch einmal einen der Degen von der Wand herabzureichen …
Er tat’s …
Sie nahm die Waffe und ließ die Klinge pfeifend die Luft durchschneiden … Hieb dann blindlings auf die Tischplatte ein – wie in einem Anfall von Raserei.
Holzstücke, Späne flogen umher …
Destinal war etwas zurückgewichen …
Teufel, hatte dieses Weib Kräfte …!
Da warf Mafalda den Degen auch schon lachend in die Ecke …
„Ah – das hat mir gut getan, diese Bewegung!“
Sie atmete hastig …
Ihre Augen blitzten …
Die Inschrift war ausgelöscht …
Des Piraten Charles Rochelle Geheimnis stand nur noch im Hirn eines Weibes eingegraben …
Eine halbe Stunde später stand man wieder im Hofe der Festung …
„Kapitän,“ erklärte Mafalda mit berückendem Lächeln, „ich bin etwas romantisch veranlagt. Ich möchte ein paar Tage hier in diesem Felsen in der Wildnis verleben … Lassen Sie mir und meinem Bekannten drei der Ponys sowie etwas Proviant und ein paar Schußwaffen hier …“
Destinal war bitter enttäuscht. Aber Mafalda beeilte sich, ihm ein verheißungsvolles Wort zu spenden.
„Nach einer Woche besuchen wir Sie dann in Basseterre, Kapitän … Nicht wahr, Sie haben doch nichts gegen meine etwas romantische Idee einzuwenden …“
„Durchaus nicht, Madam …“ –
Gleich darauf ritten die Polizeibeamten und die Pflanzer im scharfen Trab davon …
Mafalda, Armaro und Lomatz winken ihnen nach.
Als der Trupp im Urwalde verschwunden war, sagte José Armaro unwillig:
„Jetzt können wir ja endlich ein offenes Wort miteinander reden, Mafalda … Was soll dieser Unsinn, hier in diesem Steinkasten tagelang hausen zu wollen? Glaubst du etwa, daß die vier Sennoritas, die ich ehrlich bedauere, den Azorenschatz hier versteckt haben?!“
„Ja, mein lieber José … Das glaube ich …“
Edgar Lomatz, dessen geschwollenes Gesicht deutlich die Spuren der Einwirkung der Sonnenstrahlen zeigte, stimmte Mafalda eifrig zu … Er fühlte sich in der Gesellschaft der beiden einstigen Verbündeten, die er auf der schwarzen Insel abermals so schamlos betrogen hatte, außerordentlich ungemütlich. Von einer Aussöhnung zwischen ihnen konnte keine Rede sein. Lediglich aus augenblicklichen Nützlichkeitsgründen hatten sie sich gegenüber der Polizei und den Pflanzern zusammengefunden. Nun aber, wo sie wieder unter sich waren, fürchtete Lomatz mit einigem Recht, daß besonders Mafalda die erste Gelegenheit benutzen würde, mit ihm abzurechnen. Seine Pistole hatten ihm die vier weiblichen Desperados abgenommen, von denen drei nun dort auf der Lichtung unter einem Baume bereits sang- und klanglos beerdigt worden waren.
Mafalda hingegen verfügte nicht nur über einen Karabiner, sondern auch über zwei Revolver, die der Kapitän Destinal ihr mit reichlicher Munition übergeben hatte.
Deshalb hielt Lomatz es auch für angebracht, jeden Anlaß zu einer Verstimmung nach Möglichkeit zu vermeiden um später den Versuch zu machen, heimlich zu verschwinden. Er kannte die Fürstin eben. Gerade weil sie in ihn auch jetzt nach Abzug des Reitertrupps ohne jede Spur von Haß und Feindseligkeit behandelte, traute er ihr das Schlimmste zu. Tigerin Mafalda mochte längst beschlossen haben, ihn hier durch eine gutgezielte Kugel zu erledigen, ein Schicksal, daß er reichlich nach der letzten hinterlistigen Treulosigkeit auf der schwarzen Insel verdient hate, wo er mit der Sphinx auf und davon geflogen war.
„Mafaldas Vermutung, daß der Schatz von den Mädchen hier oben verborgen worden ist, dürfte zutreffen,“ erklärte er mit etwas nervöser Hast. „Ich habe soeben begriffen, weshalb Mafalda hier noch ein paar Tage bleiben wolle … Wir werden das Versteck schon finden … Auf derlei Dinge verstehe ich mich …“
Die Sonne war jetzt hinter den Kronen der Urwaldriesen verschwunden …
Die Fürstin Sarratow hatte die beiden Revolver in den Gürtel ihrer Sportjacke geschoben und den Karabiner nach Jägerart in den Arm gehängt. Ihre Finger spielten mit dem Sicherungsflügel des Schlosses. Die Waffe war geladen …
Als Lomatz jetzt schwieg, schaute die Fürstin ihn mit einem Blick voller Hohn und Verachtung an …
Unter diesem Blick erblaßte Lomatz. Seine schlimmsten Ahnungen sah er jetzt schon bestätigt … Die Abrechnung nahte …
Wenn Mafalda ihn hier sofort niederschoß, würde niemand sie dafür zur Rechenschaft ziehen … Niemand hinderte sie daran … Niemand und nichts konnte diese rasche Justiz nach dem alten Spruch aller Desperados ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn …’ von ihm abwenden … Und etwas anderes als außerhalb des Rechts Stehende waren sie nicht, sie drei, die hier inmitten des Urwaldgürtels der Zuckerrohrinsel Gouadeloupe sich wieder zusammengefunden hatten.
Sein Leben hing hier an einem Seidenfädchen …
Mafaldas Finger spielten noch immer am Sicherungsflügel des Karabiners …
An einem Seidenfädchen hing Leben und Sterben … Und – von seiner raschen Entschlußfähigkeit war einzig und allein noch Rettung zu erhoffen …
Mafalda stand kaum vier Schritte vor ihm …
Er berechnete: zwei Sprünge – und seine Faust konnte eine Entscheidung herbeiführen …!
So erwiderte er denn der Fürstin bedrohlichen Blick mit etwas eher tragischem Achselzucken, meinte dazu:
„Ich kann nicht verlangen, daß deine Gefühle mir gegenüber freundschaftlicher Natur sind, Mafalda … Aber jeder ist sich selbst der Nächste … – Schließen wir Frieden, Mafalda … Hier meine Hand …“
Und er trat einen Schritt vorwärts …
Selbst die Fürstin war in diesem Augenblick auf einen Angriff nicht vorbereitet. Lomatz war ihr als Mensch bekannt, der sein Ziel in den seltensten Fällen durch brutale Tatkraft zu erreichen suchte … Sie traue ihm einen offenen Angriff einfach nicht zu …
Und doch hatte sie sich diesmal verrechnet …
Lomatz schnellte sich vorwärts …
Der Fausthieb saß …
Der rasche Griff nach dem Karabiner gelang …
Mafalda lag nach Luft ringend im Grase … Und Edgar Lomatz, jetzt mit angelegter Waffe, schritt rückwärts davon …
„Ich könnte euch beide auslöschen,“ rief er Armaro und der Fürstin zu … „Ich verzichte darauf … Aber – – hütet euch! Die Partie zwischen uns steht jetzt gleich …!“
Dann – in sicherer Entfernung – machte er halt.
Die Fürstin war mit Armaros Hilfe wieder aufgestanden. Ihre Gesichtsnerven zuckten wie im Krampf. Um die Nasenflügel zogen sich weiße Streifen bis zum Kinn hinab, – ein Zeichen einer inneren Erregung, die gleichsam das Siegel unter Lomatz’ späteres Schicksal war.
Lomatz beobachtete die beiden, überlegte dabei …
Sollte er sie zwingen, ihm die Felsenfeste zu überlassen? Sollte er sie hinausjagen in die Urwälder? Und – würde er sich dann, wenn auch nur für kurze Zeit, in dem unheimlichen Steingebilde sicherfühlen dürfen – so sicher, daß er nach dem Schatz in Ruhe suchen konnte?!
Nein – es wäre ein zu großes Wagnis gewesen …! Keine Sekunde wäre er die Angst losgeworden, die beiden könnten zurückkehren … Er mußte den Dingen eine andere Wendung geben …
Und so rief er denn abermals:
„Hütet euch …! Wir sehen uns wieder! Wenn nicht hier, dann anderswo …“
Und schritt weiter rückwärts, begann dann zu laufen … verschwand in der buschreichen Lichtung nach dem Walde zu.
„Ein kläglicher Abgang für den Schurken,“ sagte Mafalda verächtlich und suchte ihr noch immer jagendes Herz durch tiefe Atemzüge zu beruhigen … „Ein Narr, der alles halb tut!“ fügte sie auflachend hinzu. „Zu feige zu offener Tat … Ein Reptil, das im Dunkeln sein Gift verspritzt … Doppelt gefährlich, weil seine Gedanken schlau und tückisch …“
„Verschwendest du nicht zu viel Worte an den elenden Burschen?!“ unterbrach Armaro sie achselzuckend …
„Nur so viel, um dich vor ihm zu warnen, José … Wenn du besser achtgegeben hättest, wären wir den Karabiner nicht losgeworden.“
Sie schaute nach dem Walde hinüber, in dessen Tiefen schon die dämmerigen Schatten des nahenden Abends lagerten …
„Wir müssen das Tor dort vor dem Eingang wieder aufrichten …,“ meinte sie nach kurzer Pause. „Komm, hilf mir … Was starrst du so merkwürdig geistesabwesend in die Ferne?!“
Der Expräsident antwortete nicht sofort, sagte dann leise:
„Dort drüben steht der Baum, unter dem die Polizisten die drei toten Mädchen verscharrt haben – auch die vier Neger … – Arme junge Geschöpfe …! So früh mußten sie sterben … Und – waren im Grunde doch schuldlos … Du hörtest ja, was der Kapitän über sie berichtete …“
Spott kräuselte Mafaldas Lippen …
„Du … wirst alt, mein Freund … – alt und weinerlich …! Wer wie du so kaltblütig für Dutzende von Menschen den Gifttrank bereitete, sollte nicht weich werden, wenn es um junge Weiber geht …! Ich wünschte, auch die vierte hätte ins Gras beißen müssen … Dann wäre die Sphinx noch hier …“
Der einäugige Armaro schwieg …
Immer noch stierte er dorthin, wo die frischen Erdhügel sich undeutlich abhoben …
Ein Frösteln ging ihm über den Leib …
„Komm!“ rief Mafalda befehlend. „Bald ist es dunkel … Bis dahin müssen wir der Eingangstür ausgebessert haben …“
Armaro folgte ihr durch die Büsche …
Wenn er geahnt hätte, wie ihn diese Intrigantin auch jetzt nur wieder schamlos ausnutzte, wie sehr sie ihn belog, betrog …!
Niemals nahm Mafalda an, daß die schwarze Yvonne und deren Freundinnen den Goldschatz bereits vom Deck der Sphinx weggeschafft und anderswo verborgen hätten …! Nein, ihrer Berechnung nach hatte die Zeit hierzu nicht ausgereicht … Sie war überzeugt, das Gold und die Aztekenjuwelen befanden sich noch auf dem Luftboot, das nun irgendwo steuerlos im Äther trieb – mit der schwarzen Yvonne an Bord!
Aber ein anderer Schatz war hier in dieser natürlichen Festung vielleicht zu finden – ein anderer …! Und damit niemand außer ihr davon erfuhr, hatte sie mit dem Degen die Oberfläche der Tischplatte zerfetzt …
Und diese Flibustierschätze wollte sie allein für sich erringen – nur für sich …! Armaro sollte weiter glauben, daß sie hier das Azorengold fahnde …! In Wahrheit würde sie nur das Rätsel der Tischplatte zu lösen suchen … –
Es war für die beiden jetzigen Bewohner des Granitkastells nicht ganz leicht, so ohne jedes Werkzeug die zertrümmerte Tür wieder derart auszubessern, daß sie sich für die Nacht im Innern des ungeheuren Granitwürfels sicherfühlen konnten. Mafalda kam schließlich auf den Gedanken, den großen uralten Tisch aus der Wohnhöhle zu diesem Zweck mit zu verwenden. So gelang es ihnen denn wirklich, den Zugang zu der Felsenfeste derart zuverlässig zu verschließen, daß sie einen heimlichen Angriff von seiten Edgar Lomatz’ nicht zu fürchten brauchten, denn an den steilen Außenwänden emporzuklimmen, war für jeden Sterblichen unmöglich.
Nochmals prüfte Mafalda jetzt den Verschluß der Eingangsspalte …
Armaro lächelte darüber …
„Wer soll wohl die Felsstücke und diese Stützen von der anderen Seite entfernen können?! Du bist zu vorsichtig, liebe Freundin … – Sehen wir zu, was dein verliebter Kapitän Destinal uns an Eß- und Trinkbarem zurückgelassen hat …“
Die Fürstin erwiderte nur:
„Lomatz gegenüber kann man nie vorsichtig genug sein …! Vergiß auch das eine nicht, José, der Zwerg Maupati ist den Polizeibeamten nicht hierher gefolgt, war auch dann nicht mehr aufzufinden …! Mithin besteht sehr wohl die Möglichkeit, daß er sich mit Lomatz wieder vereint. Und mich haßt dieser schwarze Gnom … Mich haßt er, weil ich ihn damals im Garten der schwarzen Insel niederschlug … Gehen wir … Suchen wir uns eine der Höhlen dieses Fuchsbaus, die sich leicht verrammeln läßt … Dort werden wir dann die Nacht zubringen …“
„Was mir ein besonderes Vergnügen sein wird,“ meinte der Expräsident mit lüsternem Lächeln.
Aber ein so eisiger, ironischer Blick Mafaldas traf ihn da, daß er schleunigst hinzufügte:
„Hm – was natürlich nur ein Scherz war, Mafalda …“
„Ich hoffe es …! Komm …!“
Sie schritt voran …
Und zehn Minuten später saßen sie dann in dem Wohngemach der einstigen Flibustierbesatzung, das sich bei näherer Prüfung doch als am geeignetsten für ein Nachtquartier herausgestellte hatte, da der schmale, wenn auch hohe Zugang zu dieser Höhle sich durch die hier vorhandenen Rindenschränke und Bänke leicht verbauen ließ.
Beim Lichte einer reicht trübe brennendem Petroleumlaterne nahmen die Fürstin und Armaro hier ihre Abendmahlzeit ein.
Kapitän Destinal hatte ihnen nicht nur zwei Flaschen tadellosen Rum, sondern auch eine Anzahl Konservenbüchsen und zwei Päckchen Zigaretten gespendet und dabei betont, daß er ihnen dringend rate, den Alkohol nicht zu schonen, da die Nachtklub der umliegenden zum Teil sumpfigen Urwälder gefährliche Fieberkeime enthielte.
Armaro entwickelte einen sorglosen, gesegneten Appetit, auch ohne die Unruhe nicht ganz unterdrücken konnte, der Goldschatz sei mit der Sphinx auf und davon und ihm und der Fürstin nun wieder vielleicht auf ganz unbestimmte Zeit entzogen.
Er trank recht eifrig, und Mafalda tat alles, ihn zu reichlichem Genuß des mit Wasser nur wenig verdünnten Rums anzufeuern. Sie füllte die kleinen Aluminiumbecher immer wieder, schien selbst bereits etwas berauscht und verstand es vortrefflich, ihren Becher stets leer zu lassen.
Armaro befand sich denn auch bald in einer Stimmung, die ihn völlig vergessen ließ, wie höhnisch die Fürstin vorhin seine verliebte Bemerkung zurückgewiesen hatte.
Er wurde zärtlich, drückte seinen Schemel dichter an den Mafaldas heran und begann von alten Zeiten zu schwärmen, suchte Mafalda durch diese Erinnerungen an das Liebesglück in seinem Palast in Taxata, wo sie als seine Mätresse sich mit wahrhaft königlichem Glanz umgeben hatte, gefügiger zu machen …
Sie wies ihn jetzt nicht völlig ab, wollte ihn nicht unnötig reizen … Und – goß ihm nun, ohne daß er es merkte, den reinen Rum in den Becher …
Was kommen mußte, kam …
Diesen Mann, der bereits den Jahren nach ein Greis war und doch geistig und körperlich einem Vierziger glich, überkam plötzlich eine bleierne Müdigkeit …
Die Zunge gehorchte ihm nicht mehr …
Immer tiefer sank ihm der Kopf auf die Brust.
Die Trunkenheit hatte selbst die Sinnlichkeit besiegt.
Mafalda schleppte ihn mühsam in die eine Ecke, wo noch Spuren von Moos und Gras und ein paar Decken eine Lagerstatt andeuteten. Armaro fiel wie ein Klotz auf das harte Bett …
Und die Fürstin stand vor ihm, lauschte den tiefen gurgelnden Atemzügen …
Lächelte …
Tigerin Mafalda wieder …
Nahm die Laterne und einen der Revolver und verließ die Höhle, schritt durch die Felsengänge auf den Hof der Steinfestung hinaus.
Inzwischen war es Nacht geworden. Der Mond lugte über die hohen Umfassungsmauern des Hofes hinweg …
Die eine Hälfte lag daher in tiefem Schatten, die andere im bläulichen Dämmer des Nachtgestirns.
Mafalda ging zum verrammelten Eingang und lauschte hier minutenlang …
Draußen regte sich nichts …
Nur die Büsche rauschten im sanften Winde, und hin und her flatternde Fledermäuse stießen zuweilen ihr feines singendes Pfeifen aus … –
Die Fürstin trat in den Hof zurück … Schaute zum Monde empor, – und traumhaft zog der Gedanke an das Märchen vom Mann im Munde durch ihr reges Hirn …
Und … da gerade war’s, daß ihr wieder über den im Schatten liegenden Teil des Hofes hinhuschender Blick eine Gestalt zu bemerken glaubte, die sich blitzschnell in eine der Felsspalten jenes Seitenteiles des Granitwürfels hineinschwang …
Eine helle Gestalt …
In hellen schleppenden Gewändern … –
Kein Wunder, daß Mafalda Sarratow trotz all ihrer Aufgeklärtheit und ihres Mutes in diesem Moment leicht zusammenfuhr.
Ein seltsames Unbehagen spürte sie …
Es war nicht Angst … Es war nur das Bewußtsein, daß sie jetzt hier ganz allein auf sich angewiesen war – hier an diesem Orte, den eine lebhafte Phantasie sehr wohl mit den Geistern der toten Flibustier bevölkern konnte …
„Unsinn!!“ preßte sie dann ärgerlich zwischen den Zähnen hervor. „Unsinn …!! Es muß eine Sinnestäuschung gewesen sein!“
Und kühn und selbstbewußt schritt sie auf jene Spalte zu …
Beleuchtete nun den engen Felsenriß, der viel zu schmal war, einen Menschen hindurchzulassen.
Unterhalb dieser Spalte lagen ein paar Felstrümmer.
Mafalda schichtete sie übereinander, so daß sie bequem hinaufsteigen konnte, leuchtete jetzt in die kurze Kluft hinein …
Und sah, daß diese Spalte lediglich eine der vielen Öffnungen war, durch die einzelne der Höhlen des Fuchsbaus Licht empfingen.
„Sinnestäuschung!“ sagte sie nochmals halblaut …
Und doch tat sie dies nur, um sich selbst zu beruhigen.
Ihr seelisches Gleichgewicht war durch diese Erscheinung doch erschüttert worden.
Sie sprang von dem Steinhaufen herab, nahm die Laterne in die linke und den entsicherten Revolver in die rechte Hand …
Dann überlegte sie, rief sich die Sätze der Inschrift der Tischplatte genau ins Gedächtnis zurück …
‚Im Osten geht die Sonne auf, trifft dann zuerst die Westseite der Innenwand der Festung, leuchtet hinein in den Zugang zu unseren Vorratskellern. Dann wandert sie nach Süden, biegt wieder nach Westen ab und versinkt im Meer …
Der, dem es vielleicht einmal vergönnt, diese meine Schrift zu lesen, denke an die Sonne und an die Piraten des berühmten Kapitäns Baron de la Chatterie…’
Mafalda lachte – freute sich über ihr tadelloses Gedächtnis und über … die Dummheit all derer, die diese Tischinschrift gelesen und doch nicht begriffen hatten …!
Gewiß – wenn man die diesen Sätzen vorhergehenden Andeutungen nicht verstand, konnte man auch … den Weg der Sonne nicht verfolgen …!
‚Mein Grab soll die Stätte sein, wo meine Gebeine inmitten stummer Zeugen unserer Piratenfahrten ruhen werden.’
So hatte dieser Flibustier Charles Rochelle über sein Grab gesprochen …
Und daß diese stummen Zeugen der Piratenfahrten nur die Beutestücke der Flibustier sein konnten, daß also Charles Rochelles Leiche auf dem Piratenschatz ruhte, stand für die Fürstin Sarratow genauso fest wie die ihrer Ansicht nach unumstößliche Gewißheit, daß die Sphinx den Azorenschatz mit in die Lüfte emporgenommen hätte.
Und der Weg zu der Flibustierbeute? Der Weg zu der Beutekammer der Piraten? – Nichts einfacher als das, – denn Rochelles Angaben waren ja eindeutig genug für einen findigen Kopf!
So schritt Mafalda jetzt der Westseite der Hofwand zu …
Dort lagen die ehemaligen Vorratskeller der Flibustier …
Dort unten war sie heute schon einmal mit Kapitän Destinal gewesen, hatte in den tiefen Hohlräumen die Reste von eingesammelten Früchten, verfaulte Fässer und anderes gefunden.
Dort wollte sie jetzt hinab …
Aber bevor sie den Felsengang betrat, wandte sie sich nochmals wie unter unwiderstehlichem Zwange um und überschaute den weiten Hofraum …
Stutzte …
Hob blitzschnell den rechten Arm …
Wollte feuern …
Da war die helle Gestalt drüben auf der Schattenseite schon wieder verschwunden – diesmal scheinbar im Erdboden versunken …
Mafalda spürte ein eisiges Gefühl auf der Haut.
Ein Frösteln überlief sie …
Zu deutlich hatte sie jetzt die Erscheinung gesehen, als daß sie sich selbst noch hätte einreden können, es handele sich lediglich um eine Sinnestäuschung …
Und – diesmal kostete es sie ungeheure Überwindung, zu der Stelle hinzueilen, wo … der Geist des Würfelfelsens verschwunden – versunken …
Ein paar hastige Schritte …
Sie blieb wieder stehen …
Die Füße waren ihr so seltsam schwer …
Abermals lief ihr ein Eiseshauch über den Rücken.
Abermals versuchte sie umsonst, mit Vernunftsgründen diese lächerliche Gespensterscheu zu besiegen …
Unschlüssig starrte sie dorthin, wo hinter dürrem Gras und Steingeröll die Gestalt in den Boden versunken …
Sie stand noch im vollen Mondlicht …
Sie … wagte sich nicht in den Schatten hinein …
Bereute, daß sie Armaro trunken gemacht und nun hier allein gegen dieses Unerklärliche ankämpfen mußte.
Mit wildem Druck preßte sie gar die tadellosen Zähne in die Unterlippe …
Der Schmerz lenkte ihre Gedanken ab und gab ihren vibrierenden Nerven wieder Kraft und Ruhe …
Sie hob den Fuß …
Hinter ihr … ein dumpfes Stöhnen …
So unheimliche Laute, daß sie wie von fremder Gewalt geschleudert herumfuhr …
Zehn Meter vor ihr saß da auf einem Steine an der Umfassungsmauer, der östlichen, eine … andere Gestalt …
Eine der jungen Sennoritas, eine der weiblichen Desperados …
Im klaren Mondenschein …
Mit hängenden Armen – zurückgebogenem Kopf.
Und – dieses Gesicht da war der Fürstin nicht fremd …
Das war die jüngste und zarteste der vier Französinnen …
Das war Ninon …
Yvonnes Liebling …! –
Mafalda zitterte …
Ihre Sinne drohten sich zu verwirren …
Noch nie in ihrem abenteuerreichen Leben hatte sie jenes Grauen kennengelernt, das alle Glieder flattern macht und kalten Schweiß aus den Poren treibt …
Hier empfand sie zum ersten Male dieses Grauen.
Denn – Ninon war ja draußen auf der Lichtung unter dem Baume verscharrt worden …
Ninon war tot – erschossen …!
Und – saß nun dort … Bewegte die Augen … die Lippen …
Stöhnte wieder …
Ein Stöhnen, das zu furchtbar war, als das der Fürstin gereizte Nerven diese Probe noch überstanden hätten …
Sie floh …
Sie rannte wie gehetzt von dannen …
Hinein in den Gang, der zu der Wohnhöhle führte.
Hin zu Armaro …
Rüttelte ihn …
Immer wieder …
Schrie ihm in die Ohren:
„Armaro – – aufwachen …! Armaro – werde munter …!“
Armaro grunzte widerlich in seiner Trunkenheit.
Ermannte sich … Glotzte Mafalda an … Hob schwerfällig den Arm – wollte das Weib an sich reißen, das einst so oft sein üppiges Lager im Palast zu Taxata geteilt hatte …
„Vieh – – elendes Vieh!“ keuchte Mafalda und stieß ihn zurück. „Die Toten gehen um …! Mein Hirn brennt vor Grauen …! Und du denkst an …“
Armaro hatte sich mit einem Ruck aufgerichtet …
„Du … du … bist verrückt!“ lallte er. „Die … Toten gehen um …?! – Lächerlich …! Bist du noch Mafalda Sarratow?! Oder bist du ein hysterisches Frauenzimmer irgend einer frommen Sekte …?!“
Er lachte albern …
Sah jetzt erst ihr verstörtes, fahles Gesicht …
Und … wurde nüchtern bei diesem Anblick …
Murmelte scheu: „Rede vernünftig, Mafalda … Was ist geschehen …?“
Die Antwort … war ein gellender Schrei …
Mafalda hatte den Arm gehoben … Deutete auf den Eingang der Höhle …
Dort stand im trüben Laternenschein eine Gestalt mit blassem, blutigem Gesicht …
„Ninon …!“ schrie die Fürstin wie eine Irrsinnige.
Und quer über Armaro schlug sie ohnmächtig auf das dürftige Lager …
Der Dakizwerg Maupati war auf einen der Urwaldriesen am Rande der Lichtung geklettert, nachdem er gesehen hatte, wie die berittenen Polizisten und die Pflanzer die Flucht der vier Mädchen durch Schüsse zu verhindern suchten und dabei drei der Sennoritas getroffen aus dem Sattel sanken …
Maupati beobachtete von seinem sicheren Versteck aus auch alle weiteren Vorgänge auf der Waldblöße mit tückischer Schadenfreude.
Die Sennoritas und der Neger hatten ihn und den Sennor Lomatz, der sein Gefährte gewesen, stundenlang im Sonnenbrand an Pfähle gebunden stehen lassen, damit die Gefangenen die Wahrheit über die Sphinx verrieten … Da geschah es ihnen nur recht, daß die Berittenen sie jetzt niederknallten …
Nur eine von den Sennoritas hätte Maupati gern gerettet gesehen – die eine mit dem hellen Haar und dem schmalen Gesichtchen …
Ninon hatten die anderen sie genannt. Und Ninon war’s gewesen, die für die Gefangenen gebeten hatte – freilich ohne Erfolg … –
Maupati lag jetzt lang auf einen der Äste des Riesenbaumes …
Ihm war der Aufenthalt in den Baumkronen nichts Fremdes. In seiner fernen afrikanischen Heimat hatte er ja von Jugend an in den Urwäldern zumeist hoch über dem Erdboden sich fortbewegt.
Wie ein Leopard schmiegte er sich an den dicken Ast und starrte hinüber zu dem Granitwürfel …
Sah, daß die Reiter zwei der aus dem Sattel geschossenen Mädchen unter einen Baum legten und dann in das Gestrüpp am Fuße des Felsens eindrangen.
Nun konnte Maupati nichts mehr beobachten …
So wußte er nicht, was aus der Sennorita mit dem hellen Haar geworden, die gleichfalls von einer Kugel getroffen und dann von der schwarzen Yvonne in die Büsche getragen worden war …
Keiner der Reiter zeigte sich mehr. Aber ein paar Schüsse knallten noch …
Dann nichts mehr …
Und der Daki hielt es nun nicht länger auf seinem sicheren Posten aus …
Flink kletterte er auf die Erde hinab, kroch weiter – näherte sich dem Eingang der Felsenfeste …
Und erblickte plötzlich über dem Rande des Steinkolosses das Luftboot …
Es schoß empor – mit der Schnelligkeit eines von der Bogensehne getriebenen Pfeiles … war bald nur noch ein winziger Punkt am blauen Himmel … –
Maupati glaubte, daß Lomatz sich auf der Sphinx befände …
Oh – ihm gönnte er die gelungene Flucht … Lomatz hatte ihn stets gut behandelt … Lomatz war sein Freund.
Grinsend schob er sich weiter …
Konnte jetzt die Felsspalte überschauen …
Da … lag die Sennorita mit dem hellen Haar.
Ninon, die für ihn gebeten hatte … –
In Maupatis wildem Herzen hatte sich vielleicht noch nie vorher das Mitleid geregt …
Jetzt empfand er zum ersten Male etwas wie Bedauern über den Tod eines Menschen – über den Tod dieses Mädchens … – Vielleicht auch sprach noch anderes dabei mit … Vielleicht ein Gefühl der Liebe … Für den häßlichen Daki war die zarte Ninon wie ein überirdisches, göttliches Geschöpf gewesen. –
Der Hof der Feste, sah er weiter, war leer … Nur die Pferde der Reiter hörte er schnauben und stampfen.
Er kroch bis zu der Toten …
Schaute ihr in das feine Gesicht …
„Tot …“ murmelte er in seiner Sprache …
Und scheu und vorsichtig strich er über ihr Haar …
Dann machte er kehrt, blieb aber in der Nähe im Gestrüpp liegen. Er wollte sehen, was man mit der Toten beginnen würde. Er wußte, daß die Weißen ihre Toten in die Erde vergruben. Als Daki fand er diesen Brauch abscheulich und erfurchtslos. Bei seinem Volke baute man jedem Verstorbenen in den Ästen der Urwaldriesen eine kleine Hütte, setzte darin die Leiche aufrecht neben ein paar irdene Schalen, in denen wohlriechendes und stark qualmendes Harz schwelte. Volle vier Wochen wurden diese Harzfeuer dauernd unterhalten. Dann war der Verwesungsprozeß des Toten für immer unmöglich gemacht, und die Leiche trocknete zur Mumie zusammen. – Diese merkwürdigen Dakifriedhöfe in den Kronen der Bäume hatte der englische Reisende Lionel Gonders zum ersten Mal beschrieben und dabei betont, daß die Dakimumien, wenn man sie von der Rußschicht befreit, sich tadellos erhalten zeigten. –
Maupati lag in den Büschen unweit des Eingangs der Felsenfeste und wurde nun Zeuge, wie acht der farbigen Polizisten die Leichen der Neger und der drei Mädchen nach einem Baume auf der Waldblöße trugen, wo der Boden weniger steinig war.
Da die Beamten keine Spaten zur Verfügung hatten, mußten sie mit Bretterstücken und mit den Händen die beiden Gruben für die Schwarzen und die Sennoritas schaufeln
Der Zwerg kroch wieder näher heran. Niemand bemerkte ihn.
Und als die Farbigen dann die nur flachen Erdlöcher zugeworfen hatten und schwatzend und lachend dem Granitwürfel zuschritten, froh darüber, diese Arbeit erledigt zu haben, lag die Lichtung wieder einsam und verlassen, wie vordem, im letzten Schein der sinkenden Sonne da …
Nur fern am Waldrande hatten sich die drei reiterlosen, noch gesattelten Ponys der armen jungen Sennoritas zusammengefunden und weideten unbekümmert das dürre Gras mit hängenden Köpfen ab.
Maupati schlich an die beiden frischen Hügel heran. Auf den der Mädchen hatte einer der Farbigen, der wohl weichherziger als die anderen empfinden mochte, aus Ästen und Schlingpflanzen ein Kreuz zusammengebunden.
Der Dakizwerg überlegte.
Sein abstoßendes Gesicht mit den funkelnden tückischen Augen zuckte in seltsamer Erregung. Immer wieder spähte er zu den Büschen hinüber, die den Eingang der Felsenfeste verdeckten …
Dann begann er mit einem Male den Hügel wie ein Maulwurf aufzuwühlen. Sand und Steine scharrte er mit Händen und Füßen beiseite.
Er hatte genau sehen, an welche Stelle der Grube man die Sennorita Ninon gebettet und eine Decke über die Tote gebreitet hatte.
Seine Armmuskeln spielten …
Sein Atem flog … Mit wütendem Eifer arbeitete er, gönnte sich keine Sekunde Ruhe.
Dann hatte er die Tote, an der sein wildes Herz hing, freigelegt, trug sie abseits und brachte den Hügel wieder in Ordnung, stellte auch das Kreuz wieder auf.
Vorsichtig entfernte er sich nun mit der Leiche nach dem Urwalde zu.
Unter einem von Schlingpflanzen völlig eingesponnenen Baumriesen machte er halt. Die helle wollene Decke hatte er gleichfalls mitgenommen.
Auf diese Decke legte er die Tote, hockte mit untergeschlagenen Beinen dicht neben ihr und betrachtete ihr feines Gesichtchen mit wahrer Andacht.
Minuten vergingen so.
Dann schrak Maupati zusammen …
Ninons blasser Mund hatte sich halb geöffnet, und ein leises Stöhnen war über die feingeschwungenen Lippen gekommen wie ein Hauch …
Der Daki grinste plötzlich …
Eine ungeheurer Freude erfüllte ihn, denn Ninon … lebte …! – Er sprang empor … Seine Blicke eilten rundum. Dann lief er zu einem anderen Baum hin, schnitt mit seinem primitiven, aber haarscharfen Dolchmesser ein Stück von einer Rankenpflanze ab und beleckte kostend die Schnittfläche, aus der ein aromatisch bitterer Saft hervordrang.
Maupati hatte sich nicht getäuscht. Es war dieselbe Eustachia-Liane, die es auch in seinen heimatlichen Wäldern gab und deren Saft von den Dakis als Heilmittel gegen allerlei Krankheiten benutzt wurde.
Diesen Saft träufelte er Ninon jetzt in den Mund, hob ihren Kopf dabei leicht empor und beobachtete die Wirkung.
Die kaum merklichen Atemzüge wurden sehr bald kräftiger …
Ninon hob die Lider …
Damit das Mädchen nicht erschrecke, sagte Maupati hastig:
„Weiße Miß keine Angst haben … Maupati gut Freund … Weiße Miß für Maupati baten, als er an Pfahl in Sonne stand …“
Ninon senkte die Lider abermals … Sie war noch zu schwach, irgendetwas zu äußern.
Der Zwerg holte ein zweites, saftigeres Stück der Ranke und preßte den Saft wiederum der Verwundeten zwischen die Lippen. Das Mädchen machte jetzt bereits Schluckbewegungen.
Dann öffnete er ihre Kleider über der Brust und besichtigte die beiden kleinen, blutigen Schußwunden. Er erkannte genau, daß diese Wunden nicht an Stellen sich befanden, die einen Schuß tödlich machten. In den Kämpfen seines Volkes mit den umwohnenden Negerstämmen hatte er genügend Gelegenheit gehabt, Verwundungen beurteilen zu lernen.
Ebenfalls mit dem reichlichen Safte der Liane säuberte er die Wunden, zerkaute nachher ein Stück Liane, legte den Brei auf die Einschußöffnung und riß von Ninons Hemd lange Streifen zu einem Verband ab.
Das Mädchen war bei Bewußtsein und spürte alles, merkte aber auch, daß der Daki sie fast zärtlich und mit auffallendem Geschick behandelte. –
Maupati mußte das Mädchen jetzt umdrehen, damit er auch die Ausschußöffnungen verbinden konnte. Ninon stöhnte laut vor Schmerzen, obwohl der Zwerg alles vermied, ihren Körper irgendwie zu erschüttern.
Eine der Kugeln hatte das Rückgrat gestreift. Nur deshalb war Ninon in diesen starrkrampfähnlichen Zustand geraten. –
Der Saft der Eustachialiane zeigte nun seine einschläfernde, beruhigende Wirkung. Ninon verfiel in eine Art Halbschlaf. Die Schmerzen waren geschwunden. Ein Gefühl des Wohlbehagens durchströmte ihren jungen Leib.
Maupati hockte wieder neben ihr, ein treuer Krankenpfleger, ein aufmerksamer Wächter …
Seinen in der Wildnis geschärften Sinnen entging kein Geräusch, keine besondere Bewegung im Gestrüpp und im Blätterdach über ihm …
Ein Schwarm der goldgrün schillernden Gouadeloupe-Stare stob von der nahen Lichtung empor und fiel surrend in den nächsten Bäume ein. Das aufgeregte Wesen der scheuen Vögel sagte dem Daki, daß auf der Blöße jetzt Menschen sich bewegen mußten.
Er kroch durch die Dornen bis an den Rand des Waldes, erblickte dem Reitertrupp der Polizisten und der Pflanzer davontraben, sah drüben vor den Büschen des Granitwürfels Mafalda, Armaro und Lomatz den Reiter nachwinken …
Sein Affengesicht ward zur Grimasse von Haß und Wut. Beides galt Mafalda … Genau so wie Maupati für seinen Schützling Ninon ohne Bedenken sein Leben gelassen hätte, ebenso hätte er alles gewagt, die andere, die schwarzhaarige Miß zu töten … Mafalda hatte ihn im Garten der fernen Insel heimtückisch niedergeschlagen … Das vergaß er ihr nicht!
Und – Maupatis Affengesicht ward noch menschenunähnlicher vor gespannter Aufmerksamkeit, als nun dort vor den Büschen Lomatz die Fürstin niederschlug, den Karabiner an sich riß und dann nach dem Walde zu entfloh.
Der Zwerg lief schleunigst nach der Stelle des Dornengürtels hinüber, wo diese einige nur dem Eingeweihten erkennbare Lücken hatte und daher passierbar war. Auch der Reitertrupp hatte diesen Durchgang benutzt, und Lomatz wollte nun dort gleichfalls in den Urwald eindringen.
Er rechnete bestimmt damit, daß Maupati noch in der Nähe sei und er war daher keineswegs überrascht, als sein kleiner schwarzer Freund jetzt plötzlich vor ihm auftauchte und ihm lebhaft winkte.
„Maupati alles sehen …“ gurgelte der Daki freudig hervor. „Weshalb Mister Lomatz die schwarze Miß nicht totgeschossen haben?!“
Lomatz drückte Maupatis schmierige Hand …
„Man knallt doch nicht einfach eine Wehrlose über den Haufen …!“ meinte er achselzuckend.
„Schwarze Frau böse Schlange …“ sagte Maupati finster. „Große Dummheit, schwarze Frau am Leben zu lassen … Auch Armaro töten sollen, Mister Lomatz. Nicht gut sein für kranke Miß, die Nacht hier im Wald zu bleiben. Urwald gefährlich für weiße Miß und Mister Lomatz … Viel Sumpf überall … Viel Fieber …“
Edgar Lomatz hatte aufgehorcht.
„Kranke Miß? Wen meinst du?“ fragte er hastig.
„Nur mitkommen und sehen …! Sein Miß Ninon nicht tot … Leben noch … Schlafen jetzt …“
Dann stand der Abenteurer vor dem zarten Mädchen …
„Wie, Maupati, – du hast sie aus dem Grabe herausgeholt …?! Und – sie lebt wirklich …?!“ – Lomatz fand kaum die rechten Worte, seinem ungläubigen Staunen Ausdruck zu geben.
„Sehen selbst – leben!“ erwiderte Maupati kurz. „Aber kranke Miß hier nicht bleiben können … Wenn Mafalda und Armaro tot, wir könnten im Felsen drüben übernachten … Jetzt Miß vielleicht sterben an Fieber … Sehr schwach sein …“
Lomatz erinnerte sich jetzt an ähnliche Warnungen des Kapitäns Destinal … Er begann für sein eigenes Leben zu fürchten. Er kannte die Gefahren sumpfiger tropischer Waldgebiete.
Und nach kurzem Überlegen erklärte er:
„Die beiden dort in der Steinfestung werden den Eingang jetzt zur Nacht verrammeln … Du könntest einmal versuchen, ob du dich nicht einschleichen kannst … Bist geschickt und flink. Vielleicht gelingt es dir, an Mafalda und Armaro vorüberzukommen … Dann würdest du mich nachher von innen einlassen können …“
Der Vorschlag gefiel dem Daki.
Bevor er dann aber davonschlich, gab er Lomatz noch genaue Verhaltungsmaßregeln, was die Behandlung der Verwundeten betraf. Die Art, wie er das tat, hatte etwas so Rührendes, Fürsorgliches an sich, daß Lomatz sich fast beschämt fühlte. Nie hätte er dem Daki so viel primitives Gemütsleben zugetraut
Maupati verschwand in dem Dornengestrüpp. Im weiten Bogen näherte er sich den Büschen am Eingang der Felsenfestung. Er hörte allerlei Geräusche, Klopfen, Hämmern, Krachen von Holz!
Ja – Mister Lomatz hatte richtig vermutet. Mafalda und Armaro verrammelten die Zugangsspalte …! Da würde es wohl kaum möglich sein, noch in den Hof einzudringen …!
Immerhin – er wollte es wenigstens versuchen …!
Und schob sich durch die Büsche – lautlos sich windend wie die dunkel grüne große Butu-Schlange seiner Heimat, der die Daki göttliche Ehren erwiesen …
Hörte Stimmen …
Hörte die Fürstin sagen: „Holen wir die große Tischplatte …!“
Und – da war der Eingang frei …
Maupati huschte hinein in den Hof … Nach rechts in das Felsloch der westlichen Wand, das in die früheren Vorratskeller der Flibustier führte …
Hatte ein paar harzige Äste als Fackeln mitgenommen, und Lomatz hatte ihm sei Luntenfeuerzeug geliehen …
Im Dunkeln tastete er sich zunächst vorwärts, um hier irgendwo ein vorläufiges sicheres Versteck zu finden.
Im Dunkeln – im Winkel eines langen, nach Osten führenden Felsenganges wagte er schließlich die eine Fackel anzuzünden …
Kniend brachte er erst die Lunte des Feuerzeugs in Brand, hielt dann trockenes Moos an das glimmende Fünkchen und blies kräftig hinein …
Auf hartem Gestein kniete er …
Wunderte sich, daß der Stein unter ihm sich ganz wenig bewegte …
Als nun die Fackel brannte, trieb ihn sein Spürsinn, den Felsboden genauer zu untersuchen …
Zwischen den Granitstückchen lag da eine längliche Felsplatte …
Und gerade auf dieser hatte er gekniet …
Sie wippte unter dem Druck seiner Hand …
Seine Finger schoben sich unter den Rand … hoben sie empor …
Und … Maupati starrte in ein senkrechtes Loch hinab, aus dem ihm würzige Düfte entgegenstiegen. Der Geruch des Kampferholzes, der lieblichere der Vanilleschote und noch anderes …
Der Daki beugte sich tiefer …
Die Pfosten einer in dem Loche lehnenden Leiter erblickte er nun … zwei rohe Baumstämme, auf die man ebenso derbe Sprossen mit langen Schiffsnägeln aufgeschlagen hatte …
Maupati nickte zufrieden, kippte die Steinplatte hoch, so daß er sie hinter sich wieder zufallen lassen konnte, und begann den Abstieg.
Mit dumpfem Knall legte der schwere Stein sich wieder über die Öffnung …
Der Zwerg erreichte das Ende der Leiter. Die qualmende Harzfackel warf unsicheres Licht über eine niedere Höhle, die vollkommen mit Kisten, Ballen und Fässern ausgefüllt war.
Ganz vorn, unweit der Leiter, lag auf einigen Kisten ein Mann mit rötlichem langen Bart in der bunten Tracht eines früheren Jahrhunderts …
Eine Leiche – ein zur Mumie ausgetrockneter Toter.
Maupati war diese Mumie höchst gleichgültig. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf den toten Flibustier. Der sonstige Inhalt dieser Höhle war ihm wichtiger.
In einer Ecke waren Waffen aufgehäuft: Degen, Dolche, Steinschloßpistolen, Luntenflinten, ein paar verrostete Kettenpanzer …
Der Zwerg prüfte die Pistolen …
Ähnliche Schußwaffen hatte er zuweilen bei den Beduinen gesehen, die aus den Sandwüsten Mittelafrikas des Tauschhandels wegen bis an die Grenzen der Waldheimat der Daki gekommen waren.
Er nahm die am reichsten verzierte und schob sie in seinen Lendenschurz. Ob sie geladen, darum kümmerte er sich nicht. Die Hauptsache, sie war schwer, und wenn man sie am Lauf packte, gab sie eine vorzügliche Keule ab, da der Kolben stark mit Silber beschlagen war.
Maupati schnüffelte weiter umher. Mit Hilfe eines der langen Degen schnitt er einen mit Ölleinwand umhüllten Ballen auf. Er enthielt kostbare chinesische Seide, die jedoch in Stücke zerfiel, als der Zwerg sie auseinanderbreiten wollte.
Dann kam eine der von Alter geschwärzten Holzkisten an die Reihe. Sie war mit dicken Eisenbändern benagelt und hatte ein mächtiges Vorlegeschloß. – Maupati hatte neben der Mumie einen Eisenring mit vielen Schlüsseln verschiedener Größe liegen sehen. Da er von seinen Fahrten als Bootsmann auf einer Nilbarke sehr wohl wußte, wie solche Schlösser zu öffnen waren, holte er die Schlüssel und versuchte sie nacheinander.
Endlich war die Kiste offen. Obenauf lag ein weißer Mantel, wie ihn einst die Ordensritter getragen. Er war aus feinster Wolle gefertigt und noch gut erhalten, nur stark zerknüllt.
Maupati legte ihn beiseite und schnürte jetzt einen der vier umfangreichen Lederbeutel auf, die die Kiste vollkommen ausfüllten …
Golddublonen waren darin – Goldgeld aus jener Zeit, als die Flibustier die Meere unsicher gemacht hatten …
Maupati grinste …
Das hier war etwas für Mister Lomatz …!
Der würde sich darüber freuen … Der liebte das blanke Gold …!
Und der Daki setzte seine Untersuchung der Flibustierbeute fort …
Mit Hilfe der Schlüssel öffnete er fünf weitere Kisten, fand so goldene Altargeräte, mit Juwelen verzierte Madonnenbilder, goldene Tafelaufsätze, Armspangen, Halsketten, – – alles in zahlreichen Exemplaren, das meiste von hohem Kunstwert …
Und wie er nun so sich aus Neugier bis zum tiefsten Winkel der vollgepfropften Höhle durchgearbeitet hatte, stieß er hier auf eine kleine Balkentür, die durch leere Fässer sorgsam verstellt war.
Die Tür war mit Eisen begnagelt und hatte zwei Vorlegeschlösser, deren Krampen mit Blei in das Gestein eingegossen waren.
Er fand die zugehörigen Schlüssel, zog die Tür dann auf und leuchtete in einen niederen Gang hinein, der sich offenbar bis ins Freie fortsetzte, da die Luft hier mit dem Duft der außen am Fuße des Granitwürfels wuchernden Blumen und blütenbesäten Sträucher gesättigt war.
Maupati schritt den sehr bald steil ansteigenden Höhlengang empor und sah sich nun vor einer von außen durch Steine und Geröll verhüllten engen Öffnung, die tatsächlich im Freien mündete.
Er legte das Hindernis geräuschlos beiseite, Stein auf Stein, bis er hindurchschlüpfen konnte.
Rasch löschte er die Fackel.
Ringsum nur Gestrüpp, Büsche, Gras, Blumen, – eine Wildnis …
Maupati grinste in selbstloser Freude … Jetzt konnte er die kranke Sennorita hier in die Festung bringen. Jetzt brauchte Ninon nicht die giftigen Nebel der Urwaldnacht zu atmen … –
Edgar Lomatz saß neben dem Lager der Verwundeten unter dem von Schlingpflanzen eingesponnenen Urwaldriesen.
Den Karabiner hatte er entsichert über die Knie gelegt …
Die Abendschatten füllten bereits den Wald …
Das Nachtgetier wurde lebendig. Raschelnd huschte es im Gestrüpp hin und her … Eine Riesenkröte kroch dicht an Lomatz’ Füßen vorbei, ein Untier, dessen giftige Ausscheidung den Weg, den solch eine Kröte nimmt, derart verpestet, daß jeder Käfer, jede Schnecke elend krepiert, sobald sie den Pfad der Sagandra-Kröte kreuzen … Die Kröte kriecht daher auch stets denselben Weg zurück und braucht die Beute nur aufzulesen, sättigt sich so ohne Mühe … –
Lomatz war es unbehaglich zu Mute. Er war kein Freund der Dunkelheit … Der Urwald hatte zu dieser Zeit für ihn etwas Beängstigendes.
Es wurde immer finsterer …
Leuchtkäferlarven von Fingerlänge krabbelten im faulenden Laub umher … Leuchtkäfer trugen ihre gelbweißen oder grünlichen Laternenchen durch die Lüfte …
In der Ferne schrie der Kuka, der Totenvogel von Gouadeloupe, sein dumpfes Schu – schu – hu …
Lomatz war aufgestanden …
Ninon schlief jetzt ganz fest. Sie atmete tief und ruhig …
Es wurde Zeit, daß er sich an die Felsenfeste heranschlich … Vorher aber sollte er noch auf Maupatis Geheiß die Decke, auf der Ninon lag, durch zähe Lianen als Hängematte über dem Boden befestigen, damit die Verwundeten Erddunst nicht direkt einatmete.
Da tauchte Maupati plötzlich vor ihm auf – wie ein lautloser Gnom …
„Alles sehr gut, Mister Lomatz,“ flüsterte der Daki … „Sehr gut! Ich finden Höhle mit zweitem Ausgang … Wir tragen werden Miß Ninon in Höhle.“
Lomatz fragte nach Einzelheiten. Aber Maupati winkte ab …
„Selbst sehen … Weiße Miß schnell fortbringen … Jeder anfassen ein Ende von Decke …“
Lomatz mußte sich fügen, hing den Karabiner um und half die Schlafende samt der Decke emporheben.
Infolge er hierbei unvermeidlichen Erschütterungen erwachte die Verwundete … Die Schmerzen stellten sich wieder ein … Sie stöhnte …
„Hinlegen!“ befahl der Daki seinem weißen Verbündeten. „Maupati Sennorita erst geben Saft von Liane zum trinken … Dann nichts fühlen …“
Er fand selbst im Dunkeln einen dicken Trieb der Eustachia-Liane, schnitt ein Stück davon ab und träufelte den Saft der Verwundeten in den Mund …
Ninon schluckte gehorsam …
Nach ein paar Minuten trat wieder jener wohltätige Zustand sanften Dahindämmerns ein … –
Lomatz und Maupati schritten mit ihrer Bürde auf einem Umweg jener Stelle der Büsche am Fuße des Würfelfelsens zu, wo sich der Zugang zu der Beutekammer der Flibustier befand.
Bald darauf lag Ninon auf mehreren Ballen Seide weich gebettet in der Höhle …
Zwei Harzfackeln leuchteten …
Lomatz … Lomatz wühlte mit der rechten Hand in den Golddublonen …
Goldfieber ließ seine Augen glänzen … Goldrausch machte seine Nerven zittern …
Maupati stand dabei – mit einer Miene unendlicher Verachtung …
„Mister Lomatz …“ sagte er nochmals, „jetzt wir Mafalda und Armaro überfallen werden … Mitkommen nach oben …!“
Der Abenteurer konnte sich kaum losreißen von diesem verlockenden Klang der Golddublonen …
Taumelnd richtete er sich auf wie ein Trunkener …
Schaute Maupati verwundert an, der sich den weißen Umhang um die schmalen Schultern gelegt hatte …
„Was soll das, Maupati …?!“ fragte Lomatz unwillig …
„Gut seien so,“ nickte der Zwerg … „Maupati wird sehen, wo die beiden sein … Dann ich nicht erkannt werden … Gut so …“
Er hatte unten von dem Umhang ein meterbreites Stück abgeschnitten und dieses wieder in schmale Streifen zertrennt, die er zusammengerollt neben der klobigen Pistole im Lendenschurz trug …
„Hier Stricke zum Binden, Mister Lomatz … Gut halten … – Nun ich vorausgehen …“
Sie stiegen die Leiter empor – ohne Fackeln. Diese brannten in zwei Rissen der Höhlenwand.
Der Zwerg klappte den Steindeckel zurück und lauschte … Dann kroch er vollends empor …
Ninon blieb allein zurück …
Sie schlief …
Aber die zum Teil scharfen Gerüche, die einigen Warenballen entströmten, besonders der des Kampferholzes, reizten ihre Nasenschleimhäute. Nach einem kräftigen Niesen erwachte sie … richtete sich etwas auf, blickte unsicher umher …
Diese völlig fremde Umgebung weckte bei ihr den Glauben, daß sie lediglich im Fiebertraum dies alles schaue …
Mit steigendem Entsetzen starrte sie jetzt die Mumie des rotbärtigen Flibustiers Charles Rochelle an, des letzten Überlebenden der hier in der Felsenfeste vor Jahrhunderten zurückgebliebenen Wache – des letzten Toten dieser Wache, der sein Sterben hier in der Beutekammer erwartet hatte …
Die unheimliche Stille, der Anblick der vertrockneten Leiche und dieses Gemisch von Gerüchen, das ihr die Kehle zuschnürte, trieben sie von ihrem Lager hoch.
Kraftlos, sich an der Felswand entlangtastend, erreichte sie die Leiter … Noch halb benommen durch den Saft der Liane, kletterte sie die Sprossen aufwärts …
Sie handelte ohne jede Überlegung, die zierliche, zarte Ninon … Das Grauen vor der Mumie lieh ihr ungeahnte Kräfte … Im Dunkeln tappte sie vorwärts … Ein Zufall ließ sie den Ausgang finden …
Das helle Mondlicht war Wohltat für ihre flatternden Pulse … Und in einem Anfall völliger Hilflosigkeit taumelte sie auf einen Stein, lehnte den Rücken an den Felsen …
Schmerzen zerrissen ihre wunde Brust …
Stöhnend schloß sie die Augen …
Stöhnte noch tiefer in ihrer Qual …
Und – scheuchte Mafalda so in wilder Hast von dannen …
Sah die fliehende Gestalt, sehnte sich nach dem Anblick mitfühlender Menschen … taumelte hinter der Fürstin drein – hin zum Höhlengemach, wo Mafalda in irrer Angst den trunkenen Armaro wachrüttelte … wo Mafalda jetzt beim Anblick des Mädchens, das heute draußen in der Lichtung als Tote verscharrt worden, ohnmächtig zusammenbrach …
Und hinter Ninon zwei andere Gesichter …
Zwei Menschen, die nun zusprangen, die im Nu die beiden Feinde zu wehrlosen Bündeln zusammengeschnürt hatten …
Ninon lehnte matt mit umflorten Augen am Eingang der kleinen Höhle … Nur verschwommen sah sie, was hier geschah … Begriff die Zusammenhänge nicht … Bis Maupati und Lomatz sie stützten und sorgsam auf das dürftige Lager legten, während Mafalda und Armaro in der anderen Ecke auf hartem Gestein ruhten …
Die Bewohner der schwarzen Insel schliefen … Die Mädchen und die älteren Männer oben in der Wohngrotte. Die Matrosen, Dalaargen, Nielsen und Tom Booder im Garten unter einem primitiven Zelt …
Es waren nur zwei Wachen aufgestellt, die alle drei Stunden abgelöst werden sollten. Der eine Posten hatte die Nordbucht und den Garten, der andere den Binnensee und das Plateau über den Grotten abzupatrouillieren. Gleichfalls alle drei Stunden sollten auch die beiden Leute unten im Felsengang vor dem verbarrikadierten Zugang zum unterirdischen Ozean gewechselt werden.
Nielsen, Dalaargen und Booder hatten sich erboten, die zweite Wache von Mitternacht bis drei Uhr morgens zu übernehmen.
Nielsen erwachte nach kaum anderthalbstündigem Schlummer und richtete sich etwas auf. Das Zelt war erfüllt von den tiefen Atemzügen und den rasselnden Schnarchtönen der ermüdeten Schläfer.
Durch eine Ritze der nur lose übereinandergelegten Segelstücke des Zeltdaches fiel ein Strahl des Mondes auf Nielsens Taschenuhr …
Sie zeigte dreiviertel zwölf.
Der blonde deutsche Seemann schob sie wieder in die Tasche und schlug das Zeltleinen leise beiseite, trat ins Freie …
Die balsamischen Düfte des tropischen Gartens umwehten ihn. Er reckte die Arme hoch und gähnte …
Der Posten kam den Hauptweg entlang. Es war ein älterer Matrose namens Jobbfield.
„Alles in Ordnung, Mister Nielsen,“ meldete er halblaut …
„Eine wunderbare Nacht,“ meinte Nielsen und blickte zum ausgestirnten Firmament empor …
„Ist ja auch des Grafen Hochzeitsnacht,“ erlaubte sich Jobbfield mit einem Grinsen zu bemerken. „War ‘ne hübsche Feier, Mister Nielsen, als wir so mit Marschmusik das junge Paar ins Brautgemach geleiteten … Hat dem alten Joe Jobbfield gefallen, obwohl er Junggeselle ist …“
„So?! Ihnen hat’s gefallen?! Mir nicht …! Nein, ich danke gehorsamst dafür, mich so mit allerlei Klimbim ins Ehebett führen zu lassen … Halte das für taktlos von dem Impresario. Und das war Ihr Herr, der Jusoa Randercild …!“
„Hm – auch ‘ne Auffassung, Mister Nielsen … Hat was für sich …“
Und er rieb ein Feuerzeug an und setzte seine Seemannspiep wieder in Brand …
Nielsen sagte: „Gehen Sie schlafen, Jobbfield … Ich übernehme Ihre letzte Viertelstunde … Gute Nacht.“
Er ging davon, erklomm die Randhöhen des Binnensees und blickte über das im Mondlicht silbern schimmernde Gewässer hinweg zum Südufer …
Dort drüben befand sich die Hochzeitsgrotte, das Brautgemach …
Gerhard Nielsen sann vor sich hin …
Liebe … Liebe …!
Liebe überall …
Hier auf der schwarzen Insel hatte Gott Armor unglaublichen Unfug angerichtet …
Nun hatte sogar das scheue Prinzeßchen Tonerl sich mit Tom Booder verlobt …
Unglaublich …!
Und wenn’s nach Gipsy Maad gegangen wäre, dann würde auch er, Gerhard Nielsen, die Verlobungsringe bereits bestellt haben …
„Nun – darauf kannst du warten!“ brummte Nielsen und wollte wieder kehrt machen …
Wollte …
Stand wie angewurzelt …
Hatte Augen wie ein Luchs …
Teufel – was waren denn das für Kerle, die da in dichtem Haufen aus der Steintür des Kraterdomes herausquollen?!
Azteken …!
Bei Gott: Azteken! Die wahnsinnige Besatzung der Galeere …!!
Und Gerhard Nielsen blieb einen Moment der Atem weg vor ungeheurem Schreck …
Dann warf er sich rasch zu Boden … Seine Gestalt mußte sich hier oben gegen den Himmel scharf abheben …
Er beobachtete …
Und gleichzeitig kroch er rückwärts …
Die Azteken, die Irrsinnigen, fluteten wieder in den Kraterdom zurück …
Nielsen begann zu laufen …
Sein Alarmruf brachte Leben in das Zelt …
Wenige Worte – und er jagte weiter …
Jagte zum Plateau, um von der Terrasse aus in die Wohngrotte einzudringen …
Atemlos langte er auf dem mit Steintrümmern besäten Plateau an …
Die Hände hatte er sich blutig gerissen beim eiligen Erklimmen der schroffen Abhangs …
Was tat’s?! Hier galt es Leben und Sicherheit der Gefährten …
Und ebenso rücksichtslos gegen sich selbst glitt er nun an dem Tau hinab, das nach unten auf die Terrasse führte …
Die Fenster, gleichzeitig Türen, standen weit offen … Eine einzelne Laterne brannte in dem Hauptraum.
Dämmerlicht lag über den holden Schläferinnen – über den älteren Männern – über des treuen Homgori Murat Schmerzenslager …
Nielsen weckte zuerst Doktor Falz, dann Pasqual, Gottlieb und Kapitän Durley …
Hastige Beratung folgte …
Falz warnte vor einem Kampf mit den wahnsinnigen Azteken …
„Unser Floßfahrzeug ist fast fertig,“ meinte er … „Es trägt uns alle … Ziehen wir uns auf das Floß zurück … Wenn wir genügend Waffen zur Verfügung hätten, könnten wir es vielleicht auf einen Kampf ankommen lassen … aber so“
Pasqual und Gottlieb hatten bereits in richtiger Erkenntnis der Sachlage den Felsengang, den einzigen inneren Zugang zu den Wohngrotten, durch Bretter und Steine verrammelten …
Die Mädchen waren über diesen Geräuschen erwacht …
Aber Dagobert Falz zerstreute schnell ihre Angst …
Mit größter Ordnung wurde die Grotte verlassen … Nielsen, Durley und Pasqual zogen die Mädchen mit Hilfe des Taus von der Terrasse auf das Plateau. Falz und Gottlieb, denen sich auch Samuel Tillertucky, der Mormonenpriester, anschloß, beobachteten derweil die Azteken …
Diese hielten sich noch immer auf der Festplatte unten am Binnensee vor der Steintür auf …
Sie schienen unschlüssig, was sie unternehmen sollten, liefen hin und her, lärmten, schwenkten ihre Waffen und getrauten sich nicht weiter von der Steintür fort. Sie, die bisher im Zauberlicht der Unterwelt gelebt hatten, mochten in ihren ohnedies verwirrten Geistern durch den Anblick der nächtlichen mondhellen Insellandschaft noch mehr benommen sein …
„Herr Doktor,“ flüsterte der brave Gottlieb da, „wie melden wir nur meinem Herrn, daß die Azteken den Zugang zur Oberwelt erzwungen haben. Graf Viktor und Agnes weilen dort am Binnensee in der Hochzeitsgrotte … Wie nur kann man die beiden warnen?!“
Dagobert Falz erklärte mit der ihm eigenen Ruhe:
„Ich werde es tun, Gottlieb … Seien Sie ohne Sorge …! An mir geht der Tod vorüber. Das wissen Sie …“
Und er nickte Gottlieb Knorz, der seinen Teckel wieder im Arm hielt, und dem Mormonen kurz zu und schwang sich mit jugendlicher Elastizität in eine Felsspalte hinein …
Diese mündete acht Meter links von der Steintür dicht am Seeufer.
Falz hütete sich, daß ja kein herabrollendes Steinchen ihn allzufrüh verriet. Unbemerkt kam er unten an.
Vorsichtig nach rechts spähend, gewahrte er wenige Schritte entfernt etliche vierzig der armen geisteskranken Nachkommen des einst in Mexiko so mächtigen Aztekenvolkes …
Er überlegte …
Wenn es ihm gelang, sie irgendwie in die Steintür und in den Kraterdom zurückzuscheuchen, würde er die Grotte der Liebenden erreichen können – vielleicht sogar imstande sein, die Steintür zu schließen und durch Felsbrocken zu verrammeln …
Sein edles, würdiges Antlitz wandte sich nach oben – den ewigen Gestirnen zu, die dort am Firmament flimmerten …
In seine Augen trat jener visionäre Glanz, den all seine Gefährten an ihm längst kannten …
Es war, als ob Dagobert Falz in diesem Moment zu jenen überirdischen Mächten betete, die er dort über den Gestirnen im Weltall vermutete und denen er nie einen Namen gegeben … Was tat ein Name?! Gott – Vorsehung – –, alles blieb im Grunde dasselbe, blieb das geheimnisvolle Walten einer Menge unerklärlicher Einflüsse, die das Leben der Menschheit regieren …!
Und – ebenso jäh erlosch dieser Glanz in seinen Augen …
Sein Gesicht ward das eines Menschen, der mit Energie und Klugheit eine ernste Situation zu meistern sucht.
Sein Feuerzeug holte er hervor …
Und gleich darauf flog ein lohender großer Ball aus Papier, trockenem Moos und Gräsern mitten unter die in stumpfsinniger Untätigkeit hin und her laufenden Azteken …
So überraschend schien die feurige Kugel vom Himmel zu fallen, daß die Azteken mit schrillen Angstrufen in die Tür zurückwichen – in den Felsengang drängten …
Falz sprang vorwärts …
Die schwere, in dicken Metallangeln sich drehende Steinplatte warf er zu …
Drei – vier Felsstücke genügten …
Niemand hätte die Tür jetzt aufdrücken können …
Und Dagobert Falz hastete nach links am See entlang zum blumengeschmückten Hochzeitsgemach der Liebenden …
„Graf Gaupenberg …!!“ rief er, ohne den Vorhang der Grotte zu lüften …
Nochmals:
„Graf Gaupenberg …!!“
Keine Antwort …
Da riß Falz den Vorhang zur Seite …
„Gaupenberg – – Hallo – –!!“
Stille …
Falz drang in die kleine Grotte ein …
Da war das Hochzeitslager …
Aber – das junge Paar war nicht hier …
Leer die Grotte …
Falz stand sekundenlang in tiefer Bestürzung da …
Sollten etwa die Azteken die beiden Glücklichen hier gefunden und weggeschleppt haben?!
Es gab kaum eine andere Erklärung … Denn geflüchtet konnte das junge Paar nicht sein. Es hätte stets an den Azteken vorübereilen müssen … Es gab keinen gangbaren Weg nach Osten zu um den Binnensee herum.
Falz lief zurück zur Steintür … Stand unschlüssig.
Nein – so lieb und wert ihm Gaupenberg und Agnes waren, hier handelte es sich um Dutzende von Menschenleben! – Und er erklomm das Plateau erneut …
Gottlieb rief ihm schon entgegen:
„Wo ist mein Herr – wo seine Gattin? – Ich …“
„Sie begleiten uns, Knorz!“ fiel der Doktor ihm ernst ins Wort … „Da – hören Sie die Schüsse drüben von der Terrasse? Die Azteken sind in die Wohngrotten eingedrungen …! Vielleicht haben wir schon zu lange gezögert …“
Aus der milchigen Dämmerung der Mondnacht tauchte eine Gestalt auf …
Es war Nielsen …
„Zum Floß!!“ rief er … „Die Teufel haben Durley durch Speerwürfe getötet … – Die anderen sind bereits voraus … Schnell – sonst sind wir verloren … Meine beiden Revolver sind leer … Patronen besitze ich nicht mehr …“
Der Mormone keuchte neben den dreien her …
„Sind … sind meine beiden Frauen in Sicherheit, Mister Nielsen?“ japste er besorgt …
„Alle sind in Sicherheit …“
Sie trabten jetzt eine Schlucht hinab … Hatten den Garten dicht vor sich …
Falz rief, gleichfalls keuchend:
„Gaupenberg und Agnes sind aus der Grotte verschwunden … Ich wollte sie holen – warnen … Konnte sie jedoch nirgens finden…“
Nielsen blieb wie angewurzelt stehen …
„Verschwunden?! Dann …“
Einer der langen Aztekenspeere sauste klirrend neben ihm auf das Gestein.
Falz riß ihn vorwärts …
Oben am Rande der Schlucht erschienen immer mehr der grimmen Feinde …
Steine flogen krachend herab … Felsblöcke rollten, hüpften …
Hinter den Fliehenden war die Hölle los …
Das satanische Gebrüll der irrsinnigen Besatzung der Galeere erfüllte die Luft …
Nielsen mußte den Mormonen stützen … Dem dicken Tillertucky rann der Schweiß in ganzen Bächen über das feiste Gesicht …
Der Garten mit seinem dichten Gestrüpp entzog sich jetzt für Minuten den Blicken der Verfolger …
Sie wagten es, langsamer zu gehen, Atem zu schöpfen …
Kamen in den Hohlweg, der zur nördlichen Bucht führte …
Sahen das Wasser der Bucht im Mondlicht gleißen … Sahen das Floß, die Gefährten …
Und sprangen hinüber auf das ungefüge Fahrzeug.
Die Matrosen der Milliardärsjacht hielten schon die Stoßstangen bereit … Das plumpe Fahrzeug glitt vom Ufer weg …
Gottlieb, der soeben Gaupenberg und Agnes bemerkt hatte, drängte sich zu ihnen hin …
„Herr Graf, wir waren so in Sorge um Sie …“
„Mein treuer Alter, Agnes und ich sind durch den See geschwommen … Du siehst, wir triefen noch …“
Aus dem Hohlweg quollen die Azteken hervor …
Es mochten gegen sieben dieser Unglücklichen sein.
Georg Hartwich und Dalaargen, die jeder eine der beiden Repetierpistolen bereithielten, feuerten jetzt, um einem Steinbombardement zuvorzukommen …
Zwei, drei Azteken brachen zusammen…
Die übrigen aber, noch mehr gereizt durch diese plötzlichen Schüsse, rafften Felsstücke empor …
Alles duckte sich jetzt hinter der Balkenreling des Floßes zusammen …
Krachend trafen die schweren Steine die Schutzwehr …
Ein paar Schreie trotzdem …
Schreie von Getroffenen …
Mit tödlichen Kopfverletzungen sanken einige Matrosen um …
Das Floß schaukelte träge inmitten der Bucht …
Immer wieder kamen die verderblichen Geschosse herüber … Die Bucht war schmal …
Speere folgten …
Und doch mußten Nielsen, Dalaargen und ein ebenso tapferer, opferfreudiger Matrose sich über der Schutzwehr zeigen, mußten die Stoßstangen handhaben.
Die Vorsehung schützte sie …
Hartwich, Gaupenberg und Pasqual lösten dann die Ermüdeten ab …
So … erreichte das Floß, auf dem sich jetzt insgesamt achtunddreißig Personen befanden, endlich das offene Meer …
Endlich konnte man das Segel an dem plumpen Mast hissen …
Die Azteken, die am Ufer stets gleichen Schritt mit dem plumpen Fahrzeug gehalten, sandten den Flüchtlingen ein letztes gellendes Geheul nach … –
Aber – wie traurig sah es auf diesem Floß aus!
Von den achtunddreißig Personen lagen fünf im Sterben. Vier waren außerdem schwer verwundet, drei weitere hatten durch Steinwürfe leichtere Verletzungen davongetragen …
Und – kein Proviant war an Bord, kein Tropfen Trinkwasser … Niemand hatte ja mit einer so plötzlichen fluchtartigen Abfahrt gerechnet!
Eng zusammengepfercht die Gesunden … Stöhnend die Verletzten … Dazu das wilde Rollen des Floßes, das nun die Brandung durchquerte …
Und weiter, keine Möglichkeit, auf der Insel wieder zu landen! Keine Hoffnung, hier einem Schiff zu begegnen, denn die schwarze Insel lag ja außerhalb aller Verkehrsrouten! –
Nachdem die Brandung nun glücklich durchquert war, als jetzt der frische Wind das Fahrzeug gen Osten trieb – in einem elenden Schneckentempo, wurden zunächst die Verwundeten von dem Schiffsarzt der Milliardärsjacht versorgt.
Gaupenberg nahm die älteren Männer beiseite. Man beriet. Doch niemand konnte irgendeinen Vorschlag machen, der einen Hoffnungsschimmer aufblitzen ließ. Selbst Falz war ratlos. Pasqual meinte immer wieder, man solle an einer anderen Stelle der Insel in eine der Buchten hineinsteuern und den Kampf mit den Azteken aufnehmen …
Die anderen sprachen mit aller Energie gegen solch ein blutiges, aussichtsloses Beginnen …
Noch nie hatte unter den Verteidigern des Azorenschatzes solche Ratlosigkeit geherrscht …
Jeder erkannte schließlich, daß ihre Lage geradezu verzweifelt war … –
In einer Ecke des Floßes saßen die holden Mädchen, die Freundinnen der Prinzessin Toni Dalaargen … Dort hockten auch das liebliche Tonerl, Ellen Hartwich, Agnes und die beiden Mormonenfrauen …
Mutlosigkeit, gedrückte Stimmung überall …
Nielsen lehnte an der Balkenreling. Vor ihm stand Gipsy Maad, die Detektivin …
„Nun, Mister Nielsen, – jetzt sind auch Sie verstummt,“ sagte sie leise.
Er nickte … „Verstummt, weil ich zuhöre, was im Rate der Alten gesprochen wird, Miß Gipsy …“
Er schaute über das nächtliche unendliche Meer …
Schaute zurück zur schwarzen Insel …
Seine hellen Friesenaugen wurden plötzlich lebhafter …
Sein Ruf ließ aller Blicke gen Süden wandern …
Sein Ruf: „Die schwarze Insel – – ein Vulkan!!“
Totenstille auf dem Floße …
Drüben ein Naturschauspiel, wie nur wenige es geschaut haben …
Vulkanische Gewalten hatten das Felseneiland einst aus den Tiefen des Ozeans emporgehoben. –
Die unterirdischen Feuer ließen wieder verschwinden, was sie einst geschaffen hatten …
Rote Lohe war aus den Hügeln des Ostteiles der Insel hervorgebrochen … Feuerzungen schossen gen Himmel …
Ein dunkles Dröhnen mischte sich in das ewige Konzert der rollenden Wogen …
Das Meer schäumte auf, als ob ungeheure Tiefseebewohner mit gewaltiger Kraft es aufrührten …
Immer höher stieg die Lohe …
Ein Vulkan hatte seine feurige Esse geöffnet …
Qualmmassen schwebten empor … Aschenregen rieselte herab …
Das rote Licht der unheimlichen Naturerscheinung bestrahlte die starren Gesichter der Floßbesatzung …
Und – – langsam versank die Insel …
Fast unmerklich …
Explosionen ertönten …
Feuer und Wasser bekämpften sich … Dampfmassen, jäh entstehend, wirkten wie Pulverminen …
Riesige Felsstücke flogen durch die Luft …
Tiefer sank die Insel …
Die Insel der Seligen starb … –
Hand in Hand standen Agnes und Viktor …
Schulter an Schulter …
Agnes weinte …
Die Insel dort hatte ihr den Gatten beschert …
Die Insel war nur noch ein feuriger Fleck …
Jetzt eine letzte Explosion …
Das Meer brauste auf …
Der Himmel schien einzustürzen …
Dann … nichts mehr …
Über der Stelle, wo die schwarze Insel sich befunden, schwebten Dampfwolken, zerflatterten … Der Ozean flutete über das Grab des Gestades der Seligen hinweg …
Toni weinte … und mit ihr die holden Mädchen … Ihr Paradies war zerstört – – für immer … –
Und – – weiter trieb das plumpe Floß mit Sterbenden, Verwundeten, Lebenden …
Ohne Trinkwasser – ohne Proviant …
Hinaus in die Unendlichkeit des erbarmungslosen Ozeans …
Weiter …
Weiter …
Ein Floß der Qualen … –
Morgens um sieben Uhr warf man fünf Tote in die See …
Vormittags elf Uhr starben zwei der Verwundeten.
Folgten den anderen in das nasse Grab …
Die Sonne brannte hernieder auf armselige, verzagte Menschen …
Milliardär Josua Randercild sagte zu Gaupenberg:
„Zwei Tage noch – dann sind wir alle erledigt … Diese Hitze treibt uns dem Wahnsinn in die Arme.“
Viktor Gaupenberg schwieg … –
Nachmittags lagen vier der holden Mädchen bereits im halben Delirium des Durstes da …
Abends warf man wieder drei Tote über die Reling.
Fieber glühte in aller Augen … Nur wenige noch, die Kraft genug hatten, sich aufzurichten …
Kein Lufthauch zu spüren … Schlaff hing das Segel … Die Sonne stach wie mit Messern …
Samuel Tillertucky betete laut …
Nielsen saß oben auf der Balkenreling und spähte nach Schiffen aus …
Ein Schiff sah er nicht …
Aber die Rückenflossen von Haifischen, die das Floß umschwärmten … –
Abends zehn Uhr schwang sich eins der holden zarten Mädchen über die Reling – in einem Anfall von Wahnsinn …
Haifische schossen herbei …
Ein gellender Schrei …
Stille …
Das – war der Anfang für die Besatzung des Floßes der Qualen …
Und die Sphinx, des Grafen Gaupenberg technisches Wunderwerk …?
Vom viereckigen Hofraum der alten Flibustierfestung in der Urwaldwildnis der Insel Gouadeloupe war sie emporgeschnellt wie ein Pfeil, den die klingende Bogensehne der Sonne entgegenschickt …
Vom Hofe der Felsenfeste hatte die Sphinx die schwarze Yvonne entführt, gerettet …
Letzte Kraft nach schmerzhaftem Kugelschuß erbarmungsloser Häscher hatten Yvonne noch bis in den Turm des Luftbootes geführt – vor die Tafel mit Schalthebel …
Ein Griff – ein Ruck am blanken Hebel …
Die Sphinx stieg …
Stieg empor mit den Milliarden, die auf dem Deck wild umhergestreut lagen: Goldbarren, Juwelen, goldene Geräte – der Azorenschatz und der Inhalt der Schatzkammer König Matagumas …
Die Hand, die den Hebel herumgeschoben, sank schlaff herab. Vor Yvonnes Augen sprühten Funken auf … Siedehitze nahender Ohnmacht überlief ihren Leib …
Yvonne taumelte in einen der Korbsessel … Ihr Haupt fiel schwer auf die Brust …
In halber Ohnmacht dämmerte das junge Weib dahin …
Wie Traumbilder zuckten Fieberphantasien durch ihr Hirn …
Von der durchschossenen linken Schulter – zum Glück nur eine Fleischwunde! – sicherte roter Lebenssaft über weiße, zarte Haut, färbte die Sportbluse und … hörte später von selbst wieder zu fließen auf … –
Die Sphinx hatte in kaum fünf Minuten etwa sechstausend Meter erreicht …
Jetzt wirkte die Sperrvorrichtung, die Graf Gaupenberg in weiser Voraussicht ähnlicher Vorkommnisse mit in die Auftriebsskala eingebaut hatte.
Als der Höhenmesser genau sechstausend Meter zeigte, als bereits von oben durch die offene Turmluke eisige Kältewellen dieser Ätherregion hereindrangen und erstarrend Yvonnes Körper trafen, da senkte sich die Sphinx ganz von selbst wieder bis auf dreitausend Meter – automatisch … – In dieser Höhe schwebte sie mit der hier herrschenden Luftströmung gen Norden …
Stundenlang … Bis die Nacht kam … Bis unten in der Tiefe bereits die Umrisse der berühmten Tabakinsel Jamaika zu erkennen waren …
Da sprang der Wind um …
Die Sphinx, ein führerlose Freiballon, segelte jetzt denselben Weg zurück …
Stundenlang …
Und Yvonne dämmerte weiter vor sich hin … Sah die phantastischten Dinge, erlebte die wildesten Abenteuer …
Fieber … Fieber …!
Aber die kräftige Natur der jungen Französin siegte.
Sie schlief ein … Es war der Schlaf, der die Wiederkehr körperlicher und geistiger Belebung einleitete.
Als Yvonne dann erwachte, schien längst die Sonne … Ein neuer Tag war angebrochen.
Yvonne erhob sich. Der linke Arm schmerzte, war schwer wie Blei. In der Schulter zerrte und prickelte es.
Das junge Weib stieg an Deck … Sie wollte wissen, wo sich die Sphinx befand. Sie erinnerte sich an alles – an jede Einzelheit …
Tiefe Trauer erfüllte ihr Herz. Ihre Freundinnen waren tot … Tot auch die zarte Ninon, ihr Liebling.
So glaubte sie … –
An der Reling des Luftbootes stand sie nun, schaute hinab zur Erde …
Noch nie hatte sie sich in einem Luftfahrzeug befunden, noch nie die wunderbaren Bilder geschaut, die sich dem Piloten, den Passagieren eines modernen Flugzeuges darbieten wie ein köstliches Geschenk …
Unter der Sphinx zog leichtes Gewölk dahin … erglänzte das Meer an wolkenfreien Stellen, zeigte sich Land, Inseln …
Yvonnes Seele durchlebte die Andacht stillen Schauens …
Für Minuten vergaß sie, daß sie hier allein auf einem Luftboot weilte, dessen Propeller zertrümmert waren, von dessen technischen Einrichtungen sie nur eines kannte: den Hebel, der die Sphinx steigen und sinken ließ …
Vergaß auch ihren Liebling Ninon, vergaß die Goldmilliarden, die das graue Deck zum Teil in mehrfachen Schichten verhüllten.
Die Andacht wich … Der praktische Sinn der schwarzen Yvonne, die sich und den Freundinnen zur Freiheit verholfen jedoch das letzte grausame Schicksal nicht hatte abwenden können, stellte sich auf die harte Gegenwart ein.
Sie dachte an sich selbst, an ihre Verwundung – daran, daß sie sich bei Kräften erhalten mußte, wenn sie hier auf der Sphinx nicht elend umkommen wollte.
Eine Stunde später hatte sie die Schulterwunde verbunden und in der kleinen Küche eine Mahlzeit eingenommen.
Ihre geistige Frische wuchs. Ihre Gedanken begannen die Sachlage eingehender zu prüfen. Ihre Überlegungen waren klar und zielbewußt.
Sie hatte schon diesem elenden Lomatz gegenüber betont, daß sie eine begeisterte Verehrerin des Grafen Gaupenberg und daß sie mit dessen Absichten durch die Zeitungsberichte völlig vertraut sei. Sie war Französin. Gerade deshalb hatte sie Verständnis für jede opferfreudige Vaterlandsliebe. Sie würde nichts tun, was den Azorenschatz in Gefahr bringen konnte. Der Schatz gehörte Steuermann Hartwich und dem Grafen. – Deshalb durfte sie mit der Sphinx nicht an beliebiger Stelle landen … Nein – sie mußte versuchen, mit dem Luftboot jene unbekannte Insel zu erreichen, auf der nach Lomatz’ erzwungenem Geständnis Gaupenberg und seine Freunde weilten. Im Westen von Gouadeloupe sollte diese Insel liegen – dort, wo der Atlantik niemals von scharfen Schiffskielen durchschnitten wurde.
Wenn Sie die Insel finden wollten, mußte sie aber zunächst feststellen, wo sie jetzt mit dem Luftboot im Äther schwebte. Dies konnte sie nur, indem sie so weit niederging, daß sie Einzelheiten des Landes, der Inselgruppen unterscheiden konnte, und wenn sie ein Schiff anrief, dessen Kapitän ihr Auskunft geben könnte, ohne daß sie sich der Gefahr aussetzte, festgehalten zu werden. –
Yvonne stand vor dem Schaltbrett …
Ihre Hand schob den einen Nebel nach links.
Sie beobachtete den Höhenmesser …
Zweitausend … tausend …
Immer tiefer ging’s hinab …
Dann warf sie einen Blick auf den Spiegel des Sehrohres …
Der zeigte ihr nichts als schäumende Wogen.
Westwind drückte die Sphinx gen Osten …
Da erschien auf dem Sehspiegel ein Schiff – – ein Dreimaster … Weiße pralle Segel – eine flatternde Fahne …
Die Trikolore Frankreichs …
Yvonne schob den Hebel rasch noch mehr nach links.
Fünfhundert Meter …
Dreihundert …
Hundert …
Nun schwebte die Sphinx fast in einer Höhle mit den Mastenspitzen. Der Dreimaster hielt nordöstlichen Kurs.
Yvonne eilte an Deck, beugte sich über die Reling.
Eine lange Leine hatte sie bereit …
Ein Zettel wurde festgeknotet … –
Unten an Deck des ‚Danton’ fischte man Leine und Zettel mit einem Bootshaken. Auf dem Papier stand nur in französischer Sprache:
‚Welche Meeresgegend hier? – Bitte um recht genaue schriftliche Antwort.’
Der Steuermann des ‚Danton’ sagte zu dem Kapitän:
„Es kann nur die Sphinx sein … Sie wissen, das Luftboot des deutschen Grafen …“
„Aber anscheinend ist nur ein einziges Frauenzimmer an Bord … Ein verteufelt hübsches Weib, wie mir mein Glas zeigt … – Was tun wir, Sagette?“
„Nun – seien wir Kavaliere einer Frau gegenüber … Ich werde die Wahrheit schreiben …“ –
Yvonne zog die Leine empor, las dann:
Der schönen Unbekannten zur Kenntnis, daß wir uns hier etwa fünfzig Seemeilen östlich der Insel Gouadeloupe befinden. – Wollen Sie, Mademoiselle, uns nicht die Ehre erweisen und sich Bord an Bord mit unserem Dreimaster ‚Danton’ legen? Wir sind Franzosen und werden Sie ritterlich behandeln.
Francois Sagette,
Erster Steuermann des ‚Danton’
Yvonne beugte sich wieder über die Reling und winkte …
Dann ging sie rasch in den Turm hinab …
Die Sphinx schwebte höher …
„Schade!“ meinte der Kapitän des Dreimasters.
„Ja – es ist nichts mit dem Damenbesuch!“ nickte der Steuermann.
Der Dreimaster zog seine Bahn gen Nordosten … Die Sphinx trieb mit dem Winde gen Osten …
Bald kamen die beiden Fahrzeuge einander außer Sicht.
Yvonne war glücklich, weil ein günstiges Geschick sie nun offenbar jenen Meeresteilen entgegenführte, in denen sie die unbekannte Felseninsel zu suchen hatte.
In zweihundert Meter Höhe segelte die Sphinx. Yvonne hatte einen Schiffsstuhl an Deck gebracht und saß dicht an der Reling, ein Fernglas in den Händen.
Die Sphinx drehte sich bei ihrer Vorwärtsbewegung ständig langsam um sich selbst …
Yvonne konnte so, ohne ihren Platz zu wechseln, nach allen Seiten hin den Ozean mit Hilfe des Glases absuchen.
Gegen zwei Uhr nachmittags eilte sie für kurze Zeit in die Küche hinab, aß, trank und wechselte den Verband.
Dann harrte sie geduldig auf ihrem einsamen Posten an der Reling aus …
Weit und breit nur der Ozean … Kein Segel, keine Rauchfahne eines Dampfers, – – keine Spur von einer Insel …
Yvonne verzagte nicht. Sie vertraute ihrem Glück … Sie vertraute darauf, daß die Vorsehung gerade sie auserwählt hätte, den Grafen und seine Freunde zu befreien … Lomatz hatte ja zugegeben, daß die Verteidiger des Azorenschatzes auf der schwarzen Insel keinerlei Fahrzeug zur Verfügung hätten … –
Der Abend kam …
Das Meer blieb Wasserwüste – einsam, kein Zeichen von Land, kein Schiff …
Yvonnes Zuversicht sank. Und der Abend ließ ein leichtes Wundfieber in ihren Adern wieder aufleben. Sie fröstelte trotz der Hitze. Der Kopf wurde ihr schwer.
Und in diesem Zustande, wo die Energie halb gelähmt war, verzagte Yvonne …
Das Gefühl der Einsamkeit bedrückte sie … Mit heißen fiebernden Augen sah sie am nächtlichen Firmament Stern auf Stern erscheinen …
‚Ich werde die Insel nie finden!’ dachte sie mutlos … ‚Die Sphinx ist ein Spielball jeder Luftströmung … und ich muß schlafen, um bei Kräften zu bleiben … Und wenn ich erwache, kann ein gedrehter Wind mich vielleicht nach Norden getrieben haben.’
Müde, matt ging sie hinab in eine der Kabinen.
Unheimlich kam er jetzt die Totenstille in dem Luftboote vor …
Aus der Bordapotheke der Sphinx suchte sie eine Chinintablette hervor.
Sie … schlief ein …
Wieder kamen Traumgesichte … Yvonne fuhr zuweilen aus dem Schlafe empor, glaubte gellende Schreie zu hören …
Entschlummerte abermals …
Als sie erwachte, als sie auf den Chronometer im Turm der Sphinx schaute, war es elf Uhr – elf Uhr mittags.
Der lange Schlaf hatte ihr den Rest der Schmerzen aus der leichten Schußwunde genommen … Yvonne konnte den linken Arm heben und senken … Die halbe Lähmung war gewichen.
Dann eilte sie an Deck …
Kein Luftzug …
Bleifarben das Meer … Wolkenfetzen vor der Sonne … Drückende Schwüle …
Die Sphinx hing in der Luft – ohne jede Bewegung …
Und unten der Ozean leer – endlos – – leer die gestern … –
Yvonne bereitete sich ein Frühstück. Um zwölf Uhr war sie wieder an Deck…
Die Sonne war jetzt vollkommen verschwunden. Im Südwesten stand eine pechschwarze Wolkenwand …
Sturm – Unwetter …!! – Yvonne wußte die bedrohlichen Zeichen zu deuten … Und sie – allein auf der Sphinx … Allein jetzt Hüterin des Goldes – von Milliarden … Allein auf sich angewiesen bald allein im Kampf mit den Elementen …!
Das junge Mädchen starrte hinüber auf das finstere, düstere Gewölk …
Lautlos kroch es höher und höher …
Die Schwüle nahm noch zu …
An den Ecken der Reling, an den Rändern des Turmes zeigten sich gelbweiße Flämmchen, elektrische Lichtbüschel, St. Elmsfeuer genannt, – ein Beweis, wie gesättigt mit Elektrizität die Luft war …
Eine Riesenposaune schien in endloser Ferne einen heulenden Ton anzustimmen …
Die Overtüre des Organs begann … – Ein noch lauteres Heulen …
Urplötzlich Finsternis … Es war, als ob eine Riesenhand eine schwarze Decke über den noch soeben hellen Teil des Himmels gezogen hatte …
Ein Brausen kam näher und näher …
Ein kühler Luftzug … Wie der Odem eines Blasebalgs, von Giganten in Bewegung gesetzt …
Der Luftzug wurde zum Windstoß, der Windstoß zu übermächtigem Toben der Sturmes …
Im Augenblick fast …
Und Yvonne klammerte sich an die Reling, durfte sich zusammen, wollte zum Turmeingang flüchten …
Ein Blitz zerriß da die finsteren Vorhänge …
Yvonne sah schräg unter sich auf dem Ozean ein Floß schwimmen … Erkannte Menschen … Sah flehend emporgereckte Arme …
Da erlosch die jähe Helle …
Alles versank wieder in Dunkelheit und Nacht …
Die Sphinx trieb mit dem Sturme davon …
Sie schien zu fallen …
Denn Yvonne stand im Turme, die Hand am Hebel …
Das elektrische Licht beleuchtete den Höhenmesser.
Klatschend schlug das Luftboot in die rasende See … Wogenberge gingen über die Sphinx hinweg …
Hundert Meter seitwärts taumelte das Floß der Qualen auf einem Wellenberge, schoß ins Wellental hinab …
Kein Floß mehr … Zerschlagen die Balken der Reling …
Ein armseliges Ding mit armseligen Menschlein, die bis zu den Hüften im Wasser standen, die sich aneinander klammern und, die … nichts mehr hofften …
Blitz auf Blitz durcheilte das Firmament …
Diese unheimliche Beleuchtung zeigte die Sphinx, tapfer auf den Wogen treibend …
In diesen Momenten erkannte Yvonne im Sehspiegel das Floß …
Konnte … es nicht erreichen …
Ließ sie die Sphinx emporsteigen, dann entführte der Orkan wahrscheinlich das Luftboot …
Yvonne war verzweifelt …
Sollte sie jene Unglücklichen dort elend umkommen lassen?! Hatte sie nicht auch Frauengesichter auf dem traurigen Fahrzeug bemerkt?! Gab es denn kein Mittel, diese seitliche Entfernung zu überbrücken?!
Und da schnellte Yvonne jäh aus gebückter Haltung empor …
Ein Gedanke, würdig eines jungen Weibes, das sich und den Freundinnen den Weg aus dem Gefängnis gebahnt hatte …
Wie gehetzt eilte Yvonne in eine der Vorschiffkammern …
Ein Glück, daß sie die Räume der Sphinx so genau in Augenschein genommen hatte, daß sie auch mit Dingen Bescheid wußte, von denen andere Frauen kaum etwas gehört hatten …
Da war das Gestell für den Raketenapparat …
Dort die Raketen – die aufgewickelten Leinen …
Taumelnd schleppte Yvonne alles an Deck …
Taumelnd wie die Sphinx …
Verbiß die Schmerzen in der Schulter, die sich plötzlich wieder meldeten …
Zweimal fiel ihr das Gestell zur Seite …
Dann – – ein Zischen, Fauchen …
Mit feurigem Schweif schoß die Rakete über die raubgierigen Wogen … riß die Leine mit …
Ein Zufall?! Höhere Fügung?! – – Drüben bekam Gerhard Nielsen die Leine zu packen …
Andere Hände griffen zu …
Es waren nur noch wenige …
Die Leine straffte sich …
Mit Hilfe der Leine zogen die Unglücklichen eine Stahltrosse herüber …
Und das Floß der Qualen und die Sphinx waren aneinandergekettet durch unzerreißbare, zum Tau gedrehte Stahlfäden …
In der Wohngrotte des Felsenkastells im Urwalde von Gouadeloupe, in dem Raume, wo Mafalda durch klingende Degenhiebe die Inschrift der Tischplatte ausgelöscht hatte, – in diesem ehemaligen Wohnraum der Flibustier feierten Edgar Lomatz und der Zwerg Maupati den Sieg über Mafalda und Armaro …
Lomatz befand sich in einem Zustand, der nahe an Wahnsinn grenzte … Das Bewußtsein, daß nun ihm allein das Beutelager der Piraten, die Kisten mit Golddublonen und goldenen Geräten, gehörte, hatte seine durch die Ereignisse der letzten Tage ohnedies überreizten Nerven vollkommen in Unordnung gebracht.
Er fühlte selbst, daß seine innere Erregung, daß sein jagendes Herz und die Überfülle hastender Gedanken zu einer körperlichen Katastrophe führen könnten …
Das, was Mafalda und Armaro an scharfen Getränken übriggelassen hatten, sollte ihm nun die wilde Aufregung ersticken.
Er trank … trank …
Mit einem höhnischen Lächeln hob er den gefüllten Aluminiumbecher gegen die beiden Gefangenen …
„Prosit, Tigerin Mafalda …! Ihr Wohl, Sennor Expräsident …! – Ja – das Blättchen wendet sich manchmal …!“
Die Fürstin warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Das Blättchen wendet sich, Edgar Lomatz!“ wiederholte sie seine eigenen Worte …
Eine versteckte Drohung lag darin …
Aber Lomatz ließ sich nicht beirren …
„Ich werde diesmal vorsichtiger sein, teure Mafalda …! Diesmal treffe ich meine Anordnungen derart, daß … wir uns nie wiedersehen!“
Mafalda schwieg … –
Der Dakizwerg hatte nur einen halben Becher des berauschenden Giftes getrunken. Er wußte nur zu gut, welche Folgen die Unmäßigkeit im Genuß dieses Teufelswassers nach sich zog. Er wollte nüchtern bleiben. Seine Sorge galt einzig und allein der zarten Ninon, seinem Schützling.
Während Lomatz jetzt schon halb taumelnd sich wieder in die Beutekammer der Flibustier hinüberbegab, um nochmals die Menge des Goldes zu prüfen, kniete Maupati neben Ninons Lager und horchte auf ihre leisen Atemzüge.
Sie schlief …
Maupati legte sanft seine kleine braunschwarze Zwergenhand auf Ninons Stirn … Die Stirn war heiß, aber nicht zu heiß. Der Daki nickte befriedigt.
Dann trat er näher an die beiden Gefangenen heran und besichtigte deren Fesseln. Bei Mafalda zog er die Stricke um die Handgelenke fester zusammen. Die Fürstin wollte sich wehren, stieß ihn zurück. Da riß Maupati seinen vergifteten Dolch aus dem Lendenschurz … Sein abschreckend häßliches Gesicht drückte in fratzenhafter Verzerrung seine brutalen Gedanken aus …
Mafalda hielt still … –
José Armaro war infolge des Rausches, der bei ihm noch längst nicht verflogen, eingeschlafen … schnarchte, stöhnte warf sich hin und her …
Maupati, der wohl fürchtete, diese widerlichen Töne könnten Ninon wecken, versetzte ihm einen Fußtritt …
„Still sein!“ drohte der Zwerg. „Kranke Sennorita Ruhe brauchen!“
Und er kehrte an deren Lager zurück … –
Lomatz saß auf dem Rande einer der mächtigen Holzkisten und hielt einen der Ledersäcke mit Golddublonen auf dem Schoße.
Während er mit der Rechten in den klingenden Münzen wühlte, überlegte er, wie er diesen Piratenschatz am besten bergen könnte …
Er wollte das Kastell verlassen. Er fühlte sich hier doch nicht ganz sicher. Ein Zufall konnte andere Leute hierherführen … Mit Tagesanbruch wollte er marschfertig sein. Er wußte, daß außen auf der Urwaldlichtung noch die Ponys der vier Mädchen grasten. Wenn er sie einfing, konnte er sie als Packpferde benutzen und ihnen das Wertvollste aus dieser Höhle aufladen.
Der Alkohol und jetzt auch die Notwendigkeit, scharf nachdenken und allerlei berücksichtigen zu müssen, hatten seine Nerven scheinbar wieder in Ordnung gebracht.
Er stand auf … Nahm die Laterne … Beleuchtete die auf der vorderen Kistenreihe liegende Mumie des Anführers der einstigen Flibustierwache …
Lomatz wandte sich rasch wieder ab …
Das unsichere Laternenlicht hatte ihm ein höhnisches Grinsen auf dem eingetrockneten Mumiengesicht vorgetäuscht.
Hastig erklommen er die Leiter und eilte durch die Felsengänge auf den Hof des Würfelfelsens.
Ebenso hastig entfernte er dann die Barrikade vor dem Eingang und trat durch die Felsspalte ins Freie hinaus …
Seltsames begab sich aber, als er kaum die Beutehöhle verlassen hatte. Der mächtige Leib des rotbärtigen Flibustiers Charles Rochelle bekam plötzlich Leben …
Die Jahrhunderte alte Mumie erwachte … Das Gesicht verlor das Starre, Maskenhafte …
Mit einem Ruck war der in die Tracht des Flibustiers gekleidete Mensch mit dem geschickt vorgeklebten rötlichen Vollbart auf den Füßen …
Der Mann war kein anderer als jener Ranchobesitzer von der Südostküste der Insel, bei dem Mafalda und Armaro sich nach der Sphinx so vorsichtig erkundigt hatten.
Dieser Sennor Tarfico, in dessen Adern hauptsächlich portugiesisches Blut floß, gehörte zu jenen schlauen Naturen, die keine Gelegenheit vorübergehen lassen, wenn sie irgendwie im Trüben fischen können.
Die Fragen Mafaldas, ebenso ihre kostbaren Ringe und ihre wenig glaubwürdigen Angaben über den Schiffbruch, der sie hier an die Küste Gouadeloupes geworfen hätte, – all das hatte Ramon Tarfico dazu bestimmt, schleunigst seinen Jagdranzen zu packen, seinen Karabiner zu schultern und den beiden auf schmalen Wildpfaden durch den Urwald zu folgen.
Er, der in der Wildnis lebte und der diese Wildnis besser kannte als sonst einer, war so heimlicher Zeuge all dessen geworden, was sich hier in der Nähe der Würfelfestung abgespielt hatte.
Er war es, der dann auch Lomatz und Maupati nachschlich, als sie die verwundete Ninon durch den geheimen Eingang in die Beutehöhle schafften.
Und Ramon Tarfico war zu alledem noch ein abenteuerlustiger, verwegener Bursche … Wie ihm der Gedanke gekommen, hier in der Höhle, wo er sich sonst nicht sicher fühlen konnte, den toten Flibustier zu spielen, wußte er selbst kaum. Es war die Eingebung eines Augenblicks … Er war in seiner Art dann ein Meisterstück, wie tadellos er alles in kurzem für seine Zwecke vollendete.
Die Mumie lag jetzt draußen in den Sträuchern …
Die zum Leben erwachte Mumie aber hatte unter dem Wams eine kleine Öllaterne hervorgeholt, die so wenig Licht gab, daß die flache Hand genügte, die Vorderscheibe zu bedecken.
Tarfico ahnte, was Lomatz vorhatte. Wie alle Leute, die sehr lebhaft den Geist arbeiten lassen, hatte auch Lomatz die Angewohnheit, halblaut vor sich hin zu reden.
Der dürre Ranchero verließ jetzt die Höhle durch den geheimen Gang und beobachtete dann, wie Lomatz die Ponys einfing.
Als Lomatz sich mit den vier Pferdchen über die mondhelle Lichtung der Felsenfeste wieder näherte, hielt Tarfico es für ratsam, die Mumie wieder an ihren Platz zurückzubringen.
Die schauerliche Arbeit, dem steifen Mumienkörper die altertümlichen Kleider erneut überzustreiten und den Bart mit Baumharz zu befestigen, nahm doch einige Zeit in Anspruch. Gerade als Tarfico den Flibustier wieder auf die Kisten gelegt hatte, kam Lomatz in Begleitung Maupatis die Leiter herab. Der Portugiese konnte sich eben noch hinter ein paar Warenballen verkriechen.
Und doch hatte auch dies sein Gutes. Er hörte, wie Maupati in fast drohendem Tone forderte, daß eins der Ponys für Ninon als Transporttier bestimmt werde. Lomatz wollte hiervon zunächst nichts wissen. Er fürchtete, einen Teil des Goldes lediglich des kranken Mädchens wegen nicht mitnehmen zu können. Der Zwerg blieb fest. Schließlich gab Lomatz nach. Aber die Freundschaft zwischen beiden hatte einen bösen Riß bekommen.
Dann begannen sie in zunächst die Lederbeutel nach oben in den Hof zu schaffen.
Während Lomatz nachher die goldenen Geräte und die sonstigen Kostbarkeiten in Ledersäcke packte, sprach er mit Maupati auch über Mafalda und Armaro.
Maupatis ganze Denkungsart als unzivilisierter Wilder schätzte das Leben eines menschlichen Feindes nicht viel höher ein als das eines Tieres. Er war für restlose Arbeit …
„Töten, Sennor Lomatz … So am besten sein …“ schnatterte er in seinem unglaublichen Gemischt von Spanisch und Englisch …
Edgar Lomatz meinte listig:
„Gut – dein Dolch genügt, Maupati … Wenn ich dir den Gefallen getan habe, die Sennorita durch eins der Ponys transportieren zu lassen, so kannst du dafür unsere beiden Gefangenen erledigen. Dein Dolch ist vergiftet … Zwei kleine Stiche – und alles ist getan.“
Der Zwerg nickte …
„Gut so … Maupati gehorchen … – Schnell, Sennor Lomatz … Die Sonne zeigt sich schon …“
Noch drei Säcke mit kostbaren Geräten schleppten sie nach oben …
Dann holten sie Ninon aus dem Wohnraum der Flibustier. Das Mädchen erwachte nicht. Der betäubende Saft der Lianenranke wirkte weiter.
Mit der allen Naturvölkern eigenen Geschicklichkeit hatte Maupati dann in kurzem einer Art Tragbahre geflochten, die auf dem Rücken des ruhigste Ponys festgeschnallt wurde.
Als auch dies geschehen, meinte der Daki ohne jede Erregung:
„Maupati die beiden jetzt töten wird … Maupati gehen…“
Es war schon hell auf dem Hofe der Naturfestung.
Lomatz schaute mit stillem Schaudern in das abstoßend häßliche Gesicht des Zwerges …
Da wandte Maupati sich schon um und schritt der Felsspalte wieder zu, durch die er und sein weißer Gefährte soeben so fürsorglich das zarte Mädchen ins Freie getragen hatten …
Es schien, als ob Lomatz ihn nun doch zurückrufen wollte, als ob dieser feige Doppelmord selbst sein Gewissen geweckt hätte.
Er öffnete schon den Mund …
Aber mit einem lautlosen grausamen Auflachen drehte er sich um und packte einen der Ledersäcke und schnallte ihn dem eigenen Pony auf den Rücken.
Maupati war im Nu in dem Wohnraum der Flibustier, wo auf einem der plumpen Schemel noch die Laterne stand.
Mafalda saß da, den Rücken gegen die Felswand gelehnt. Neben ihr schnarchte der einäugige Armaro.
Die Fürstin schaute dem Zwerg starr entgegen …
Umsonst hatte sie versucht, die Fesseln ihre Hände abzustreifen … Blutige Striemen zogen sich um ihre Handgelenke …
Sie ahnte, daß es hier jetzt um Leben oder Tod ging …
Gerade weil Maupati allein zurückkehrte, gerade weil er die Rechte bereits am Griff des im Lendentuche steckenden Dolches hatte, sah sie voraus, was geschehen sollte …
Ihr Leben hing an einem seidenen Fädchen … Sie wußte es …
Alles Blut drang ihr zum Herzen … Sie erblaßte leicht …
Ihr Hirn arbeitete …
Hilfe – Rettung – – eine List …!!
Ein einziger guter Einfall …!!
Da stand der Daki schon dicht vor ihr …
Mit kaltem Grinsen zog er den Dolch … Bückte sich…
Mafalda zog plötzlich die gefesselten Beine vollends an den Leib …
Und mit aller Kraft, deren ihr trainierter, abgehärteter Körper fähig war, stieß sie die Füße dem kleinen braunen Geschöpf gegen den Unterleib …
Maupati flog nach hinten, – – wie ein harter Ball schlug sein Kopf gegen das Gestein …
Bewußtlos blieb er liegen …
Die Fürstin wälzte sich vorwärts … Der Dolch war klirrend zu Boden gefallen …
Mafalda bekam ihn trotz der gefesselten Hände zu packen …
Rollte noch weiter …
Kaltblütig warf sich über den reglos Daliegenden …
Maupatis Dolch durchbohrte … Maupatis Herz.
So starb der Daki, so starb Ninons kleiner Freund und Helfer. –
Mafalda weckte Armaro … durchschnitt behutsam dessen Strecke …
Dann war auch sie frei … reckte sie sich – dehnte die schlanken Glieder …
„Warte, Edgar Lomatz …!! Wir kommen …!!“
José Armaro, mit einem Male nüchtern und energisch wie in seinen besten Tagen, nahm die Laterne.
„Schleichen wir bis zum Eingang … Sehen wir, was Lomatz treibt …“
Sie eilten durch die Spalten und Gänge …
Tageslicht schimmerte ihnen entgegen …
Der Hof … war leer …
Nur eine Art Tragbahre lag am Boden … Auf dieser Bahre Ninon, der Liebling der schwarzen Yvonne.
Mafalda rannte zum Ausgang der Felsenfeste …
Durch die Büsche …
Bis sie die Lichtung überschauen konnte …
Sie sah gerade noch, wie Lomatz in schlankem Trab mit den vier hochbepackten Ponys in den Urwald einbog …
Ihr Gesicht verzerrte sich zu dämonischer Fratze …
Tigerin Mafalda fühlte sich abermals besiegt … –
Armaro trat neben …
„Das Unglück verfolgt uns, Mafalda … Der Lump von Lomatz …“
Die Fürstin unterbrach ihn …
„Vier Ponys hinterlassen Spuren, Armaro … Du darfst auch nicht vergessen, daß Kapitän Destinal von der Landpolizei mir jede Hilfe gewähren wird, die ich verlange … Außerdem, der Tag ist soeben erst angebrochen … Wir haben reichlich Zeit, eine größere Plantage zu suchen, von der aus ich vielleicht Destinal telefonisch benachrichtigen kann, falls wir beide eben nicht genügen sollten, diesem elenden Feigling die Beute wieder abzujagen …“
„Den Azorenschatz, Mafalda?! – Die vier Ponys, nein drei, denn das vierte Tier wurde von Lomatz als Reitpferd benutzt, – also die drei Ponys können doch nur Teile des Goldes und …“
Mafalda lachte ironisch …
„Der Azorenschatz und das, was jetzt noch dazugehört, nämlich die Reichtümer des toten Aztekenkönigs, war niemals hier im Kastell verborgen worden, lieber José …! Wenn ich früher so tat, als ob ich dies annähme, so habe ich mir eine kleine Irreführung erlaubt … Nein, das, was Lomatz uns stahl, sind andere Schätze …“
Jetzt enthüllte sie ihm das Geheimnis der Inschrift der Tischplatte …
Fügte hinzu:
„Komm, José, suchen wir nach des Flibustiers Angaben erst einmal die Höhle, wo auch der Tote ruhen muß … Wir werden sie finden … Mein Gedächtnis ist tadellos. Ich habe mir die Angaben jenes Charles Rochelle genau gemerkt …“
Nun – sie brauchten in der Tat nicht lange zu suchen …
Sie fanden die Steinplatte noch hochgekippt, fanden die Leiter, die Mumie, die geleerten Riesenkisten …
Armaro war still geworden …
Er spürte abermals Mafaldas Hinterhältigkeit, ihre Unehrlichkeit … Sie war keine Verbündete, auf die man sich verlassen konnte … Urplötzlich erkannte er, weshalb sie ihn trunken gemacht hatte. Allein hatte sie diese Höhle betreten wollen! –
Still und nachdenklich hörte er ihr zu, wie sie jetzt ihre Pläne zur Lomatz’ Verfolgung entwarf …
Er war mit allem einverstanden. Aber in seinen geheimsten Gedanken war er fest entschlossen, sich von Mafalda baldigst zu trennen – für immer … Seitdem dieses Weib damals in jener wildbewegten Nacht auf Christophoro wieder in sein Leben getreten war, hatte sein Sturz begonnen … Mit durch sie hatte er sein Amt, sein Land verloren … –
Sie kehrten in den Hof der Felsenfeste zurück. Die ersten Sonnenstrahlen schwebten jetzt über die Wipfel der Urwaldbäume hin … Und diese Helle liest das zarte, feine Gesichtchen der kranken Ninon auf der kunstvoll geflochtenen Tragbahre doppelt blaß und verfallen erscheinen.
Jetzt erst nahm Mafalda sich Zeit, über dieses von den Toten auferstandene Mädchen zu sprechen …
„Man hatte sie unwissentlich lebendig begraben …“ meinte sie gleichgültig. „Nur Maupati kann dieses halbe Kind rasch wieder aus dem Erdloch herausgescharrt haben … – Sie wird uns sehr lästig sein, fürchte ich …“
Armaro blieb einsilbig …
„Tragen wir sie in einen der Felsengange, wo es kühler ist,“ sagte er nur …
Die Fürstin nickte kurz. Ihr entging die Veränderung in Armaros ganzem Wesen nicht … Nein – eine so gute Beobachterin wie sie durchschaute sehr bald des Expräsidenten geheimste Gedanken.
Sie hoben die Bahre empor und trugen sie davon.
„So – jetzt Maupati!“ sagte die Fürstin kurz. „Er muß verschwinden … Beeilen wir uns … Wenn nicht anders, so werfen wir sie in eine der tiefsten Spalten innerhalb der Felswände …“
Armaro folgte ihr in den Wohnraum der Flibustier … Mafalda trug die Laterne …
Und beide stutzten …
Die Stelle, wo der Dakizwerg, seinen eigenen Dolch im Herzen, auf dem kahlen Steinboden gelegen hatte, war leer …
José Armaro sagte dumpf:
„Ich bleibe keine Minute länger in diesem unheimlichen Steinwürfel …! Mein Leben ist mir denn doch zu lieb, um es hier abermals auf Spiel zu setzen …!“
Er schritt voraus …
Die Fürstin kam langsam hinterdrein … Auch in ihrer verhärteten, abgestumpften Seele war etwas wie ein stilles Grauen erwacht …
Denn – wo war der tote Maupati geblieben?! Wer konnte außer ihnen noch in dieser Naturfestung weilen?! Wer hatte den toten Zwerg weggeschafft …?!
Erst draußen im Sonnenlicht fand Mafalda ihre Kaltblütigkeit wieder …
„Was wird mit dem Mädchen?“ fragte sie halb unwillig …
In dieser Frage, in dem Ton dieser Worte lag schon die Antwort: Wir lassen sie hier!
Aber Armaro erwiderte sehr bestimmt:
„Wir nehmen sie mit … Was sonst?! Es ist eine leichte Bürde …“
„Ein Bleigewicht für Leute, die es eilig haben …!“ lachte die Fürstin ärgerlich. „Trotzdem – – es sei! Vorwärts denn …“
Und als sie nun den Felsengang betraten, wo sie die Bahre niedergesetzt hatten, da … fanden Sie auf dem Geflecht … den toten Maupati vor …
Ninon … war nun verschwunden … –
Armaro verfärbte sich …
„Weg von hier …!!“ rief der einäugige Expräsident … „Hier ist die Hölle los … Hier …“
Er war bis ins Freie zurückgewichen …
Er schwieg …
An sein Ohr war aus sonnendurchstrahlten Lüften ein besonderes Geräusch gedrungen …
Surren von Propellern …
Sein Blick stierte nach oben …
Pfeilschnell kam da ein grauer Bootskörper herabgeschossen …
Die … Sphinx …!!
Und … „Die Sphinx …!!“ brüllte Armaro …
Neben ihm eine leise rauhe Stimme – die der Fürstin:
„Ja – – die Sphinx …!! Sie wird hier landen … Man hat uns längst erspäht … Dennoch, in der Beutehöhle der Flibustier sind wir sicher! Ich möchte den sehen, der die Höhle findet!!“
Und mit wilder Hast holte sie die Lebensmittel, die Kapitän Destinal für sie und Armaro gespendet …
Kaum waren die beiden dann im Innern der Ostseite der Felsenburg untergetaucht, als die Sphinx auch schon leicht und graziös in den Hofraum hinabschwebte.
Langsam drückte sie ihren Metalleib nun in das dürre Gras …
Und … lag still …
An der Reling standen … die Überlebenden des Floßes der Qualen und die schwarze Yvonne …
Die Überlebenden …!!
Nicht viele mehr …
Grausam hatte die sengende Sonne und nachher der Orkan unter den Insassen des plumpen Fahrzeuges aufgeräumt …
Erbarmungslos hatten die Qualen des Durstes zarte Mädchenblüten genickt …
Von all den lieblichen, harmlosen Geschöpfen, die einst die Insel der Seligen bevölkert hatten, lebte nur noch Toni Dalaargen …
Und von der Besatzung der Milliardärsjacht waren nur noch zwei Mann und Josua Randercild vorhanden.
Wie ein übernatürliches Wunder mußte es jedem erscheinen, daß alle die, deren Namen enger mit der Sphinx und mit dem gewaltigen Ringen um den Azorenschatz verknüpft, mit dem Leben davongekommen waren.
Als erste sprangen jetzt Gaupenberg, Hartwich, Nielsen und Steuermann Tom Booder auf die Erde hinab …
Ihnen folgte die schwarze Yvonne, die Retterin … Und hinter ihr kletterte die kecke Gipsy Maad, die junge Detektivin, die Außenleiter hinunter …
Von der Reling der Sphinx rief Agnes Sanden – nein, Agnes Gaupenberg ängstlich und in steter Sorge um den geliebten Gatten:
„Seid vorsichtig …! – Viktor – nicht vorschnell handeln! Mafalda und Armaro sind zu allem fähig.“
Und ebenso angstvoll erklang Toni Dalaargens feines Stimmchen:
„Tom, du darfst dich nicht in Gefahr begeben …! Lieber Tom, sei …“
Doktor Falz fiel ihr ins Wort:
„Kleines Prinzesschen, Tom wird nichts zustoßen … Tom ist jetzt einer der Unsrigen, einer der Sphinxleute … Und wie die Vorsehung die Sphinxleute schützt, das hat sich in diesen entsetzlichen vierundzwanzig Stunden gezeigt, wo wir, ein Spielball der Wogen, auf dem Floße dahintrieben …“ –
Jetzt stiegen auch noch Gottlieb Knorz, Pasqual Oretto und Fredy Dalaargen in den Hof hinab …
Yvonne erklärte den Männern, daß die Felsenfeste nur einen Ausgang habe, daß also die Fürstin und Armaro, da sie diesen Ausgang nicht benutzt hatten, unbedingt noch im Innern der Steinwürfels sich befinden müßten.
Man begann so suchen.
Man verteilte sich … Immer drei der Sphinxleute durchforschten einen bestimmten Abschnitt dieses Labyrinths von Gängen und Spalten …
Inzwischen wurden unter Doktor Falz Leitung die beiden Ersatzpropeller der Sphinx, die man eiligst aus zwei Balken des Floßes hergestellt hatte, wieder losgeschraubt, sauber geglättet und über einem Holzfeuer leicht angewärmt und immer wieder mit Öl eingerieben, so daß die Poren des Holzes schließlich völlig durchtränkt waren. Die Propeller hatten nunmehr eine Festigkeit, die vorläufig vollauf genügte. –
Eine Stunde war vergangenen …
Die Männer, die das Innere der Flibustierfeste durchstöbert hatten, fanden sich im Hofe wieder zusammen. Die Fürstin und Armaro waren verschwunden!
Yvonne bat jetzt den Grafen, man möge sie doch nach draußen auf die Lichtung begleiten … Irgendwo müssten doch ihre Freundinnen begraben worden sein, und wahrscheinlich würden die Polizeibeamten doch so viel Herz gehabt haben, über dem Grabe einen Hügel aufzuhäufen … Sie wolle an dieser Stätte, die ihren Liebling Ninon barg, ein stilles Gebet verrichten …
Gottlieb und Pasqual, ebenso auch Gipsy Maad erboten sich, Yvonne nach dem Grabe suchen zu helfen.
Und – sie fanden es …
Sie fanden noch mehr …! Die eifrige Gipsy war’s, die unweit der beiden Grabhügel im Gebüsch eine liebliche Schläferin, gebettet auf weichem Moos, entdeckte …: Ninon!!
Yvonnes Jubel kannte keine Grenzen …
Yvonne küßte ihren Liebling immer wieder. Und Ninon erwachte …
Ihre großen reinen Augen hatten Ähnlichkeit mit denen Toni Dalaargens. Dieselbe kindliche Unschuld strahlte aus diesen Sternen …
„Oh – daß gerade du mir erhalten worden bist!“ flüsterte Yvonne unter heißen Freudentränen … „Jetzt erst hat das Leben wieder Wert für mich …!“
Ninon lächelte schwach … Lallte matt:
„So müde bin ich, Yvonne … Schlafen – nur schlafen …! Ein … Zwerg rettete mich … Ein kleiner Neger … – So müde, Yvonne …“
Sie schloß die Augen …
Und entschlummerte wieder … –
„Wir werden eine der Bettmatratzen aus der Sphinx holen,“ schlug Gottliebs vor. „Dann können wir Ninon leicht und bequem zur Sphinx schaffen …“
Und er und Pasqual, begleitet von dem vergnügt dahinwatschelnden Teckel Kognak, eilten in die Würfelfestung zurück, waren sehr bald wieder an Ort und Stelle …
Behutsam wurde Ninon auf die Matratze gelegt.
Sie erwachte nur halb … Dann lag sie in einer der Kabinen des Luftbootes, und an ihrem Bett saß die schwarze Yvonne als treueste Pflegerin. –
Inzwischen hatte auf dem Hofe neben der Sphinx eine kurze Beratung stattgefunden. Es handelte sich um die Frage, ob man noch weiter nach Armaro und Mafalda suchen oder sofort wieder aufsteigen und Kurs auf Neuyork nehmen sollte, wohin Jusoa Randercild die gesammten Sphinxleute in seinen am Meere gelegenen Sommerpalast eingeladen hatte, damit sich alle erst einmal von den Strapazen der letzten Wochen erholen könnten.
Randercild betonte bei dieser Beratung nochmals, daß in den Kellerräumen seiner Sommerresidenz sich einbruchssichere Stahlgewölbe befänden, in denen der Azorenschatz vorläufig am besten aufgehoben sei.
Doktor Falz wieder erklärte, es hätte wenig Zweck, die Fürstin und Armaro gefangen zu nehmen. Man würde sich dadurch nur eine unangenehme Last aufladen. Er seinerseits sei für sofortige Weiterreise.
Worauf Gerhard Nielsen noch betonte, daß die beiden alten Gegner der Sphinxleute jetzt doch ohne alle Hilfsmittel daständen und kaum ernstlich zu fürchten seien … „Ohne Geld führt man weder einen Krieg noch einen solchen Kampf …!“ sagte er zum Schluß, und Gipsy Maad nickte ihm eifrig zu … Sie fand gerade diesen Hinweis Nielsens auf den Geldmangel der Feinde äußerst wichtig.
Nur Pasqual äußerte jetzt andere Bedenken …: hinsichtlich Edgar Lomatz’! – Niemand wußte ja, wo dieser geblieben … Niemand der Sphinxleute ahnte, daß hier im Felsenkastell das Beutelager der berüchtigten Flibustier sich befunden hatte. Selbst Yvonne war dies unbekannt. Gewiß – sie hatte wiederholt die Inschrift der uralten Tischplatte gelesen, besaß jedoch nicht Mafaldas scharfen Verstand, um aus den geschickten Andeutungen klug zu werden.
Und nun erinnerte der biedere Pasqual Oretto an den dritten der Gegner – an Lomatz …!
„… Er ist der gefährlichste der drei, weil er der feigste und schlaueste ist, mehr Hochstapler als brutaler Verbrecher … Ein solcher Mensch weiß sich stets Geldmittel zu verschaffen. Und wenn er dann mit der Fürstin und Armaro zusammen gegen uns einen neuen Feldzug beginnt, so werden unsere Hoffnungen auf eine ruhige friedliche Zeit in Mister Randercilds Palast sehr bald wie Seifenblasen zerplatzen … – Wenn ich mir also einen Vorschlag erlauben darf, einige von uns bleiben hier in der Nähe der Steinfestung und lauern den dreien auf. Ich erbiete mich freiwillig hierzu, und Gottlieb Knorz wäre fraglos auch mit von der Partie …“
„Und als Nummer drei melde ich mich!“ sagte Gerhard Nielsen in seiner selbstverständlichen Art …
„Hallo – und ich als vierte!“ rief Gipsy Maad da, die sich um keinen Preis von Nielsen trennen wollte. Sie liebte ihn, und sie hoffte bestimmt, daß er jetzt bereits ihre innigen Gefühle erwiderte, wenn er auch stets so tat, als gebe es für ihn den Begriff ‚Liebe’ nicht … –
Pasquals Vorschlag wurde angenommen. Man ließ den vier Zurückbleibenden alles an Waffen da, was man entbehren konnte. Viel war es nicht: zwei Pistolen, zwei Revolver und die Karabinern!
Ohne lange Abschiedsszene sagte man sich dann lebewohl, nachdem der Goldschatz aus seinem Versteck an Bord der Sphinx gebracht worden war.
Die vier Beobachter verbargen sich im Nordteil der Felsenfeste in einer grottenartigen Spalte, die nur einen schmalen Ausgang etwa vier Meter über dem Boden hatte. Mit Proviant und Trinkwasser waren sie für drei Tage versehen …
Die Sphinx erhob sich in die Lüfte …
Nahm Kurs gen Nordwest …
War in wenigen Minuten im blauen Äther verschwunden …
Und von diesem Moment an, wo Gaupenbergs Luftboot die Reise nach Josua Randercilds Sommerpalast antrat, kann man einen neuen Abschnitt in dem ereignisreichen Ringen um den Azorenschatz verzeichnen …
Von diesem Moment an traten andere Kräfte in Erscheinung, bedienten sich die Gegner der Sphinxleute anderer Mittel, um ihr Ziel zu erreichen … Andere Bundesgenossen warben sie, eine ganze Vereinigung moderner Hochstapler und Verbrecher …
Doch – – genug der Andeutungen …!
Das große Drama geht weiter …
Die nächste Szene führt uns hinab in die versteckte Höhle, in das Beutelager der Flibustier …
Führt uns zu Mafalda und Armaro, die in diesem verborgenen Raum Zuflucht vor den Sphinxleuten gesucht haben …
Vor drei Stunden waren sie hier als Flüchtlinge hinabgestiegen …
Drei endlose Stunden …
Nebeneinander saßen sie auf einer der Kisten im Dunkeln …
Lauschten in die Finsternis …
Fürchteten, daß man sie hier doch finden könnte …. daß dann ihnen beiden das Zuchthaus, wenn nicht gar Schlimmeres drohte …
Hörten auch die Stimmen der Sphinxleute, die alle Spalten und Gänge durchforschten, verschwommen durch die steinerne Falltür zu sich herabdringen …
Mehr als einmal glaubten sie sich entdeckt …
Doch – alle Angst war umsonst!
In den Felsspalten und Gängen wurde es irgendwann still …
Kein Laut mehr …
Eine volle Stunde nichts …
Dann aber – und beide studierten zur Seite in die Finsternis – dann ein Geräusch aus einer Ecke der Höhle …
Eine Kiste wurde beiseite geschoben, schrammte über den Steinboden hin …
Jetzt ein Lichtschein …
Eine winzige Laterne in der Hand eines hageren Mannes …
Mafalda erkannte den Eindringling sofort. Das war ja jener Ranchobesitzer Ramon Tarfico, bei dem sie sich nach der Sphinx erkundigt hatten … Das war jene habgierige Bursche, der Mafaldas Brillantringe so lüstern gemustert hatte …!
Und noch etwas war nun festgestellt, was der Fürstin weit wichtiger schien als das Auftauchen dieses Menschen: die Höhle hier besaß noch einen zweiten Ausgang!
Ramon Tarfico hatte bisher die beiden Gestalten nicht bemerkt …
Er glaubte bestimmt, daß er hier allein sei …
Er beugte sich jetzt über eine der Kisten, in denen die Lederbeutel mit den Golddublonen gelegen hatten …
Die Fürstin war lautlos aufgestanden …
Als Waffe hatte sie eine der alten Steinschloßpistolen schon vorher geladen gehabt …
Tarfico kehrte ihr den Rücken zu …
Mit raschem Griff entriß sie ihm die kleine Laterne.
Hob die Waffe …
„Ah – sehen wir uns also hier wieder, Sennor Tarfico!“ sagte sie ironisch. „Sie sind Armaro und mir natürlich vorgestern nachgeschlichen … Nun, das sei Ihnen verziehen … – Wie steht’s denn draußen im Hofe der Festung? Ist das Luftboot etwa wieder davongefahren?“
„Vor einer halben Stunde, Sennora …“ erklärte der Portugiese unterwürfig. „Freilich – ob es nicht zurückkehrt …?! Wer kann’s wissen, Sennora …“
„Ganz recht …! Verdächtig erscheint auch mir diese Abfahrt. Ich wittere irgendeine Falle …“
Die Fürstin brachte die Laterne näher an Tarficos Gesicht …
„Etwas anderes, Sennor … Wo ist der Mann geblieben, der mit den vier Ponys davonritt?“
Tarfico lachte stolz …
„Sennora, ich bin in der Wildnis aufgewachsen … Ich habe die Spuren der Pferde verfolgt … Dann kehrte ich um, weil ich hier noch Gold zu finden hoffte.“
Mafalda hielt den Atem an …
Sollte etwa dieser Tarfico Lomatz oder aber den Flibustierschatz in einem neuen Versteck entdeckt haben?!
Sie überlegte rasch …
Dann …: „Sennor Tarfico – ehrliches Spiel! Sie wissen so gut wie wir beide, daß Lomatz von hier ungeheure Mengen altes Goldgeld und andere Kostbarkeiten weggeschleppt hat. Machen vier gemeinsame Sache gegen Lomatz, teilen wir dann redlich …! – Wo befindet sich Lomatz jetzt?“
Ramon Tarfico kratzte sich den Kopf …
„Hm – wo?! – Ja, Senora, dort, wo er sich befindet, ist er vor allen Nachstellungen sicher …“
„So schlimm wird’s wohl nicht sein … Es müßte doch merkwürdig zugehen, wenn wir ihm die Beute nicht abjagen sollten, wirr drei … – Also – wo weilt er?“
„Im Kloster der Mönche vom Heiligen Berge, Sennora … – Ich weiß nicht, ob sie jemals von diesem Kloster gehört haben… Es liegt eine Meile nach Norden zu ebenfalls auf einer Urwaldlichtung. Der Heilige Berg ist ein steiler Felskegel mit flacher runder Spitze. Dort oben haben vor hundert Jahren Mönche einer Negersekte ein Kloster erbaut. Es gibt nur einen einzigen Weg zu diesem Kloster empor, und der ist für jeden Fremden gesperrt. Sogar die Polizei achtet diese alte Überlieferung, daß das Kloster vom Heiligen Berge gleichsam als Freistätte respektierte wird. Schon mancher Flüchtling hat dort Unterkunft gefunden. Jedenfalls, in jenen Mauern ist Lomatz vorläufig in Sicherheit!“
Die Fürstin und Armaro konnten ihre Enttäuschung schwer verbergen.
Mafalda fragte nach einer Weile:
„Und Sie wissen bestimmt, daß Lomatz mit den vier Ponys sich dorthin gewendet hat, Tarfico?“
„Bestimmt …! Ich folgte den Spuren. Lomatz ist ohne bestimmtes Ziel durch den Urwald geritten. Wo er steinigen Boden und Felsbildungen fand, hat er versucht, seine Fährten auszulöschen. Meine Augen sind schärfer … – Ein Zufall führte ihn zu der Lichtung. Dort wird er in den Feldern der schwarzen Mönche einige von diesen angesprochen haben. Ich konnte mich, gedeckt durch Buschreihen, bis an den Heiligen Berg heranschleichen. Auf dem Feldwege sah ich die Hufeindrücke der Ponys bis zu jener Stelle, wo der Zickzackpfad den Berg hinanführt. Lomatz ist im Kloster, Sennora … Das ist so gewiß, wie ich hier vor Ihnen stehe …“
Die Fürstin reichte dem Portugiesen jetzt die Hand.
„Tarfico – also ehrlich Spiel, ehrliche Bundesgenossenschaft … Auch ein Kloster ist keine moderne Stahlkammer einer Großbank… Auch in dieses Kloster kann man hinein, und wenn man es schlau anfängt, kommt man auch wieder hinaus – – mit Lomatz und dem Flibustiergolde!“
Tarfico schlug ein …
„Gut, Sennora … Ehrliche Freundschaft!“
Armaro und der Portugiese tauschten gleichfalls einen festen Händedruck …
Der neue Bund war geschlossen.
Eine Viertelstunde später, nachdem die drei das ganze Beutelager nochmals durchsucht hatten, ohne etwas Wertvolles mehr zu finden, verließen sie die Höhle und das Felskastell durch den geheimen Gang und schlichen im Gestrüpp der Lichtung im Urwalde zu. – –
Edgar Lomatz saß zu derselben Zeit – etwa drei Uhr nachmittags – in den bescheiden ausgestatteten Gemach dem schwarzen Prior des Klosters vom Heiligen Berge gegenüber.
Der uralte Neger, der hier das Oberhaupt einer Klosterbrüderschaft von sechzig Mönchen spielte, von denen kein einziger weniger als ein halbes Hundert Jahre zählte, – dieser weißbärtige würdige Greis, dem auch das wollige Haupthaar längst von der Last des Alters gebleicht war, hatte soeben den Fremdling zum ersten Male empfangen. Bisher war von dem Abenteurer lediglich mit den Mönchen verhandelt worden.
Der Prior sprach ebenso geläufig französisch wie englisch. Die folgende Unterhaltung wurde in französischer Sprache geführt.
Der Greis ließ sich erzählen, weshalb Lomatz hier vorläufig um Schutz gebeten, und der Hochstapler brachte genau dasselbe Märchen, gemischt aus Wahrheit und Dichtung, vor, das er bereits den anderen Mönchen mit vollendeter Biedermannsmiene erzählt hatte.
„Ehrwürdiger Prior, ich bin Deutscher und heiße Edgar Lomatz,“ begann er mit der Sicherheit des vielgewandten Abenteurers. „Von Beruf bin ich Forscher … Ich habe einen großen Teil der Welt bereist und mich steht’s für Dinge interessiert, die von meinen Kollegen vernachlässigt werden. Längst wußte ich, daß hier auf Gouadeloupe einst die Flibustier gehaust haben, jene Piraten, die auch unter der Bezeichnung Bukanier berüchtigt waren. In der Stadt Basseterre erfuhr ich von der Existenz einer natürlichen Felsenfestung, die mitten im Urwalde liegen sollte. Begleitet von einem zwergenhaften Diener, einem Daki namens Maupati, brach ich dorthin auf, fand auch das würfelförmige Steinkastell und entdeckte in einem der zahllosen natürlichen Felsengänge eine Falltür aus Stein, die in einen mit Kisten und Ballen gefüllten Höhlenraum hinabführte. Dort habe ich also jene Golddublonen und die anderen goldenen Geräte rechtmäßig als erster Finder mir angeeignet, denn – nach den Gesetzen aller Länder ist der erste Finder eines Schatzes auch der Eigentümer!“
Das schwarze Prior nickte. Sein vom unzähligen Falten zerrissenes Gesicht verriet eine ungewöhnliche Intelligenz. Seine Augen waren groß und voller Feuer … Eine hehre Reinheit lag in diesen Augen, auch ein stilles Prüfen und Forschen. Zuweilen wurde es Lomatz doch etwas unbehaglich, wenn diese Augen ernst und mit rätselvoller Tiefe auf ihm ruhten.
Lomatz fuhr fort: „Als mein Diener und ich die Schätze auf die Ponys verladen hatten, wurden wir …“
„Verzeihen Sie, Monsieur Lomatz,“ unterbrach ihn der Greis. „In dem Kastell hausten zuletzt vier junge Mädchen, die aus dem Gefängnis in Basseterre geflohen waren… Ich bin über alles, was hier in der Umgebung geschieht, stets sehr gut unterrichtet…“
Das klang wie eine Warnung. Lüge nicht! Ich würde jede Lüge durchschauen!
Edgar Lomatz überkam mit einem Male ein Gefühl der Unsicherheit …
Etwas zögernd erklärte er: „Ich wollte mich nicht zu sehr in Einzelheiten verlieren, ehrwürdiger Prior. Die Mädchen wuren von einem Polizeitrupp erschossen … Das heißt, nur zwei! Eine davon entfloh, die andere …“
„… wurde von Ihrem Begleiter aus dem Grabe noch lebend herausgescharrt,“ ergänzte der Greis. „Die Ponys gehörten den vier Sennoritas…“
„Oh – ich sehe, daß Sie alles wissen,“ meinte der Abenteurer etwas gepreßt. „Jedenfalls, mein Diener und ich wurden überfallen … Es waren da in dem Kastell zwei Europäer aufgetaucht, die …“
„… und diesen beiden entflohen Sie, Monsieur Lomatz …?“
„Ja. – Was aus Maupati geworden, weiß ich nicht … – Ich fand hier diese fromme Stätte und bat die in den Feldern arbeitenden Mönche um Schutz, da ich fraglos verfolgt werden dürfte …“
Der schwarze Prior strich mit der welken Hand die Falten seiner schneeweißen leichtwollenen Kutte glatt.
„Darf ich ihr Gedächtnis ein wenig auffrischen,“ sagte er dann mit der unendlichen Ruhe eines Mannes, der in achtzig Lebensjahren Welt und Menschen zur Genüge kennen und … verachten gelernt hat. „Sie sind mit Maupati nicht von Basseterre nach dem Kastell gekommen, Senor Lomatz, sondern Sie landeten mit einem Luftschiff … – Doch dies hat in ihrem Falle nichts zu bedeuten. Sie wünschen hier Schutz zu finden. Er ist Ihnen gewährt. Das, was Ihr Eigentum, wird sorgfältig für Sie aufbewahrt werden: die Flibustierbeute! Jederzeit steht es Ihnen frei, uns zu verlassen.“
Eine kurze Pause … Dann:
„Unser Kloster ist freilich nur eine Freistätte für alle schuldlos Verfolgten. Sollte sich herausstellen, daß Ihr Gedächtnis Sie noch in mehr Punkten Ihrer Schilderung im Stiche gelassen hat, so würde ich mich gezwungen sehen, anders mit Ihnen zu verfahren …“
Lomatz richtete sich höher auf …
„Mein Wort, ehrwürdiger Prior, daß ich der erste Finder des Flibustierschatzes bin! Er ist mein! Und Sie werden mein Eigentum schützen, wie Sie es mir versprachen …“
Eine müde Handbewegung des Greises …
„Monsieur Lomatz, an dem Golde kann auch … Blut kleben …! Gerechtigkeit ist mein oberster Grundsatz. Fals Ihre Verfolger hier herkommen sollten, werde ich mir von Ihnen die Vorgänge im Kastell gleichfalls schildern lassen …“
Lomatz verfärbte sich etwas …
„Man würde Sie nur belügen, ehrwürdiger Prior!“ stieß er hervor. „Einer meiner Feinde ist ein Weib, gegen deren Hinterlist …“
„Bitte, lassen Sie das meine Sorge sein, Wahrheit und Lüge zu scheiden, Monsieur Lomatz …“
„Ah – dann ist es wahrlich besser, ich verzichte auf Ihre Gastfreundschaft! Die Fürstin Sarratow, meine Gegnerin, würde …“
Abermals dieselbe Handbewegung des greisen Negers …
„Ich erhalte stets die neuesten Zeitungen, Monsieur Lomatz … Und die Zeitungen der ganzen Welt sind jetzt voll von Berichten über den Kampf um den … Azorenschatz! Auch Ihr Name findet sich wiederholt in diesen Artikeln – – wiederholt. Sie werden dort als einer der Führer der Feinde des Grafen Gaupenberg und dessen Getreuen bezeichnet. Sie haben seit Monaten Verbrechen auf Verbrechen gehäuft, Monsieur Lomatz, um die Milliarden an sich zu bringen … Die Fürstin Mafalda Sarratow soll Ihre Verbündete sein. Außerdem soll sich der vertriebene Präsident der Republik Patalonia, José Armaro, mit der Fürstin zusammengetan haben …“
Nun war Lomatz’ Stirn erdfahl geworden …
Sein scheuer Blick suchte den Fliesenboden des Gemaches …
Und wieder dann die milde, leidenschaftslose Stimme des Negergreises:
„Im übrigen kann ich Ihnen noch mitteilen, daß die Sphinx vor etwa vier Stunden, also kurz nach Ihrer Flucht mit den beladenen Ponys, im Hofe des Kastells gelandet ist, aber bald wieder emporstieg. Meine Beobachter wurden Zeugen, wie man das eine der Mädchen, die aus dem Grabe Gerettete, auffand … – Außerdem sind Sie auch bis hierher durch einen Ranchobesitzer namens Tarfico, der uns gut bekannt ist, heimlich verfolgt worden. Wenn Tarfico nun mit der Fürstin und Armaro gemeinsame Sache macht, dürften die Fürstin und der Expräsident sehr bald hier eintreffen … Ich lasse das Kastell jetzt genau im Auge behalten … Mir wird rechtzeitig gemeldet werden, falls Ihre jetzigen Feinde hierher unterwegs sind …“
Während der letzten Worte des Priors war links von der Wand her, wo ein Blechrohr mit einem Mundstück angebracht war, ein leises Pfeifen erklungen.
Der Prior erhob sich und trat an das Sprachrohr heran, meldete sich und drückte dann das Ohr gegen das Mundstück … lauschte …
Wandte sich Lomatz zu …
„Monsieur Lomatz, soeben erhalte ich die Nachricht, daß Tarfico und Ihre Feinde sich dem Kloster nähern … – Meine Beobachter haben auch bereits festgestellt, daß in dem Kastell vier von der Sphinxbesatzung zurückgeblieben sind, zwei ältere Männer und ein jüngerer sowie ein Mädchen und ein kleiner gelber Hund. Ich werde nun Befehl geben, daß auch diese vier hierher gebeten werden … Dann werde ich, Prior des Klosters vom Heiligen Berge, Gericht halten … Jedem soll Gerechtigkeit widerfahren …“
Lomatz Gesicht war bis hinab zum Hals leichenblaß geworden und glänzte feucht …
Er sprang auch …
„Ich verlange, daß man mich sofort ziehen läßt!“ rief er, und von seiner Stirn troff der Schweiß …
Der Prior nickte …
„Das steht Ihnen frei … Nur dürften Sie kaum so schnell den Urwald gewinnen, um Tarfico und den beiden anderen zu entgehen … Der Flibustierschatzes ist, wie Sie wissen, in die Kellergewölbe des Klosters gebracht worden … Bevor Sie Ihre Ponys, die Ihnen nicht einmal gehören, beladen haben, dürfte es … zu spät sein …“
Lomatz sank in den schlichten Holzstuhl zurück …
Ein Blick voller Wut und Haß traf den schwarzen Greis …
„Sie … haben mich in eine Falle gelockt!“ keuchte er in jäh losbrechendem Grimm. „Niemals werde ich als Weißer einem Neger wie Ihnen das Recht einräumen, über meine Taten zu urteilen …!“
Ein Lächeln unendlicher Verachtung flog über das kluge, milde Greisengesicht hin …
„Dieses Recht werde ich erzwingen …!“ Und mit einem Schlage verwandelte sich der Prior zu hoheitsvoller, energischer Persönlichkeit …
„Sie kennen meine Machtmittel nicht, Senor Lomatz …! Ein Wink von mir, und Zehntausende schwarzer Plantagenarbeiter, Zehntausende von Anhängern unserer Sekte stehen mir zur Verfügung …!“
Ebenso rasch veränderte sich dann sein Benehmen, seine Haltung und Sprache abermals … Der Greis wurde wieder zu dem stillen, weltklugen Lenker einer Klosterbrüderschaft, vor der selbst die Behörden der Insel Gouadeloupe eine gewisse Scheu empfanden …
„Ich werde ein gerechter Richter sein,“ sagte er ernst und doch gültig. „Ich habe Verständnis für alle Abgründe der menschlichen Seele … Ich werde auch die Fürstin vernehmen, ebenso die Leute von der Sphinx … Zwölf der ältesten Mönche werden wir beim Urteilsspruche helfen …“
Lomatz saß völlig niedergebrochen da … Er ahnte, was kommen würde … Er war unten in den Gewölben des Klosters gewesen … Er hatte da Zellentüren mit vergitterten kleinen Fenstern bemerkt …
Gefangenschaft für den Rest seines Lebens drohte ihm vielleicht …!
Sein Hirn empörte sich gegen dieses Verhängnis, suchte nach einem Ausweg …
Und plötzlich schnellte er hoch …
„Ehrwürdiger Prior, ich verlasse das Kloster …!“ rief er überstürzt. „Eins der Ponys genügt mir … Ich nehme von den Golddublonen mit, soviel das Tier außer mir tragen kann … Der Rest der Schatzes bleibt in Ihrer Obhut …“
Er stürmte davon …
Niemand hinderte ihn …
Und gerade, als Mafalda, Armaro und Ramon Tarfico durch die Felder der Lichtung dem Kloster zuschritten, jagte Lomatz im Galopp um den Bergkegel herum und verschwand im Urwalde …
Vier Beutel Golddublonen hatte er bei sich … Immerhin Geld genug, um den Kampf gegen die Sphinxleute aufs neue wieder einzuleiten …