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Band 5, Kapitel 1–10

1. Kapitel.

Die zwölf Särge.

„Gehen wir erst mal weiter und sehen, was es dort drüben noch gibt … Mir ist’s, als ob dort Wasser schimmert …“ sagte der alte Knorz.

„Freilich, Freund Gottlieb, das ist Wasser … Die Grotte steht mit dem Meere in Verbindung … Also vorwärts! Wir sind hier zu dreien, und uns wird nicht gleich … – Hallo, Murat, was gibt’s?!“

Der Homgori war hinter den Särgen entlanggegangen … Hatte plötzlich einen kreischenden Laut ausgestoßen und focht mit den langen Armen in der Luft umher, griff dann in die Tasche der Wolljacke …

Sein Dolchmesser blinkte auf … und schoß schon herab …

Wogegen er sich da verteidigte, war nicht zu erkennen …

Bevor Knorz und Pasqual ihn noch erreicht hatten, schwang er schon in der Linken ein fast anderthalb Meter langes armdickes Tau …

Nein – kein Tau …

„Eine Schlange!“ brüllte Murat jetzt … „Murat sie zerschnitten hat … Waren noch mehr Schlangen da … Sind nun weg … Entflohen …“

Die angebliche Schlange wand sich in Murats Faust in blitzschnellen Windungen …

Und doch hatte Pasqual bereits erkannt, worum es sich handelte …

„Das ist kein Stück von einem Riesenreptil,“ meinte er sehr ernst. „Nein, Freunde, ich als Taucher weiß dies Ding besser zu deuten …! Es ist ein Stück von einem sogenannten Oktopus, eines Tintenfisches von der Krakenart … Das sind Tiefseeungeheuer mit acht bis zehn Fangarmen, die bis zu zwölf Meter lang werden … Diese Bestien gleichen Riesenspinnen … Ihr Körper besteht aus einer zähen gallertartigen Masse … Sie haben ein Riesenmaul und einen Hakenschnabel aus Hornmasse, tellergroße leuchtende Augen und am After eine Drüse, die eine schwarze Flüssigkeit enthält, die sie ins Wasser entleeren, sobald sie verfolgt werden. Das Wasser färbt sich dann dunkel, und so entwischen sie dem Angreifer. Ein einziges Mal hat mich solch eine Bestie überfallen, als ich aus einem Wrack vor der Tojo-Mündung einen Eisenkasten mit Geld herausholen sollte … Ich bin damals knapper Not dem Ungeheuer entronnen …“

Die Zuckungen des abgetrennten Fangarmstückes hatten inzwischen aufgehört. Schlaff hing es in Murats Hand – ein ekelhaftes Gebilde, graugrün, durchscheinen und im Innern die Blutgefäße erkennen lassend.

„Da – hier seht ihr die Saugwarzen am Ende des Fangarmes,“ erklärte Pasqual weiter … „Diese Saugwarzen lassen nichts mehr los, woran sie sich einmal festgesaugt haben … – Wirft den Dreck beiseite, Murat … Das Ding ist widerlicher als eine tote Schlange … Und – – ich denke, wir haben jetzt herausgefunden, wodurch Graf Montgelar den Verstand verloren hat … Er hat damals oben wie wir den eisernen Griff draußen entdeckt, hat diese Grotte betreten und ist von dem Riesenkraken angegriffen worden – vielleicht im Dunkeln …!! Im Dunkeln mögen die Fangarme sich um seinen Leib geschlungen haben … Kein Wunder, daß er da vor Entsetzen irre wurde, als er die Telleraugen des Ungetüm dicht vor sich aufleuchten sah. Es wird schon so sein, Freund Gottlieb … Es ist das eine Erklärung, die mir jedenfalls genügt … – Armer Graf, – ich weiß, was es bedeutet, mit solch schleimigen Kraken handgemein zu werden!“

Gottlieb überlief es kalt …

„Entsetzlich, Pasqual …!! Ja, du wirst wohl recht haben … Nur – wie ist Montgelar, falls er wirklich noch lebt, auf die Idee gekommen, den Fliegenden Holländer wieder aufleben zu lassen?!“

„Auch das werden wir vielleicht feststellen … – Murat, nimm hier die eine Laterne und halte dort drüben am Rande des Grottensees Wache, damit das Ungeheuer nicht nochmals herbeischleicht und uns heimtückisch überfällt … Gottlieb und ich werden mal die Särge näher besichtigen …“

Der Homgori schritt vorsichtig davon.

Knorz und Pasqual traten an den Sarg heran, der am nächsten nach der nun wieder geschlossenen Steintür auf dem kahlen Felsboden stand.

Das Eichenholz war ursprünglich wohl mit Farbe bedeckt gewesen. Doch die war im Laufe der Jahre längst in dieser feuchten Luft abgeblättert, und das Holz hatte eine blauschwarze natürliche Altersfarbe angenommen.

Im übrigen war an diesem ersten Eichensarge der langen Reihe außer den reichen Schnitzereien nichts von Bedeutung zu sehen – keine eingemeißelte Inschrift – nichts …

„Heben wir den Deckel ab,“ meinte Pasqual …

Knorz zögerte …

„Hm – ob wir nicht lieber damit warten, bis auch mein Herr und Steuermann Hartwich zur Stelle sind?!“

„Hast du Angst, Freund Gottlieb?! Was soll denn der Sarg enthalten?! Ein Skelett!! – Dieses Särge sind uralt, wie man schon an der Form sieht … Ich schätze auf ein paar hundert Jahre … – Los – zugepackt, Gottlieb …!“

Knorz gehorchte widerstrebend …

Der Sargdeckel war schwer …

Keuchend schoben sie ihn beiseite … Nägel oder Schrauben, die ihn hielten, gab es nicht …

So hatten sie denn nun den Unterteil zur Hälfte freigelegt …

Auf vermoderten Kissen und Decken lag da ein Skelett … Neben diesem ein langer Stoßdegen, ein Dolch, eine Feuersteinpistole und eine Bleikapsel mit Deckel, wie solche früher zur Aufbewahrung von Urkunden benutzt wurden.

„Na – sagte ich’s nicht!“ meinte der alte Portugiese mit gutmütigem Lachen. „Freund Gottlieb, diese Gebeine beißen nicht, und diese Bleikapsel wird uns über manches Aufschluß geben …!“

Er hatte sie schon in der Hand und klappte den Deckel auf, zog eine Pergamentrolle heraus und strich sie glatt …

Altertümliche Buchstaben – eine dem Taucher unbekannte Sprache …

„Freund Gottlieb – da, kannst du’s vielleicht lesen?!“

Knorz brachte die Laterne näher heran …

Schlackerte den mageren Vogelkopf …

„Bedauere, Pasqual … Immerhin, es scheint holländisch zu sein … Ein paar Worte klingen wie Plattdeutsch … – Nehmen wir den nächsten Sarg vor!“

Pasqual schob das Pergament in die Kapsel zurück.

„Die weiteren Särge werden kaum etwas anderes enthalten … Ich denke, wir kehren zur Sphinx zurück … Hier gibt es nichts mehr zu sehen … Denn der rückwärtige Teil der Höhle ist nichts als ein gewaltiger unterirdischer See und muß mit dem Meere Verbindung haben, sonst könnte der Oktopus hier nicht aufgetaucht sein …“

Er sprach sehr bedächtig, fügte nach kurzer Pause hinzu:

„Und wenn ich nun weiter behaupte, Freund Knorz, daß der geheimnisvolle Zweimaster hier unten seinen Hafen gehabt hat, dann widerspreche ich freilich dem, was ich vor ein paar Stunden so energisch ablehnte – daß das leuchtende Schiff vor Murats Augen versunken sei! Jetzt freilich liegen die Dinge anders …“

Und – er bückte sich …

„Bitte!!“

Gottlieb beleuchtete den Boden zwischen den beiden Särgen …

„Wahrhaftig – – zwei Zündhölzer!! Und daneben weiße Stearintropfen!!“

„Ja – und diese Zündhölzer liegen hier noch nicht lange … Das sieht man … Sie sind sogar erst vor kurzem benutzt worden … In dieser feuchten Luft würden sie vergilbt sein … – Schauen wir uns also doch noch mal nach Kleinigkeiten um …“

Und sie fanden mancherlei, was sie zuerst übersehen hatten: Stücke von ölgetränkten Putzlappen, Reste von Tabakasche, vier Zigarettenstummel, zwei Stecknadeln, drei Hosenknöpfe, ein Röllchen Zwirn und ein Stückchen isolierten Kupferdrahtes.

„Habe ich recht oder nicht?!“ meinte Pasqual schließlich … „Hier haben Menschen gehaust, die sich jedoch Mühe gaben, nichts liegen zu lassen, was ihre Anwesenheit verraten könnte!“

Gottlieb schaute den Freund an …

„Du glaub also, daß der Zweimaster unter Wasser hierher gelangt ist – in seinen Hafen?!“

„Ja – so widersinnig das auch erscheint. Ich glaube es bestimmt! Und ich weiß, daß wir von den Geheimnissen dieser Grotte noch nicht die Hälfte kennen!“

„Allerdings …!“ murmelte Knorz.

Dann wandten sie sich der Steintür zu …

Beleuchteten das mächtige Eisengestänge des Mechanismus der Tür und erkannten, daß der Rost von dem Eisen entfernt und alles frisch geölt war …

„Ein neuer Beweis!“ sagte der Portugiese nur …

Er packte zu … wollte die meterdicke Felsplatte nach innen aufziehen …

„Verdammt!“ keuchte er … „Hier muß es irgend einen Trick geben, durch den man den Mechanismus wieder in Gang bringt …!“

Knorz durchzuckte plötzlich ein eisiger Schreck …

„Pasqual, – – wenn wir hier eingesperrt wären!! Wenn wir nicht wieder hinaus könnten!!“

„Unsinn! Nur immer kalt Blut, Freund Gottlieb! Schauen wir uns diese verdammten Stangen und Hebel genauer an … – Aha – dort oben hängt in Ketten ein mächtiger Felsblock … Das ist der Antrieb des Mechanismus … Das sind Eisenrollen, Räder … – Nur Ruhe!!“

Aber auch seine Stimme klang durchaus nicht mehr so gelassen wie bisher … –

Nach einer halben Stunde gaben sie die Versuche, die Tür zu öffnen, als zwecklos auf …

Sie troffen von Schweiß … Auch Murat hatte geholfen … hatte mit Steinen an dem Gestänge gehämmert, hatte seine Muskeln spielen lassen …

Alles blieb umsonst … Nur waren nun die Eisenstangen verbogen … Doch die Tür rührte sich nicht …

Schweißtriefend die drei …

Doch Eiseskälte überfiel sie nun … Die beiden Karbidlaternen brannten schwächer … Ihre Füllung war verbraucht …

„Bald stehen wir hier im Dunkel,“ meinte Pasqual dumpf … „Niemand wird uns finden … Wir können uns nicht bemerkbar machen … Und die Turmluke der Sphinx haben wir verschlossen … Die Freunde sind eingesperrt … Sie werden die Luke aufbrechen müssen … Wenn wir ihnen wenigstens in der großen Kabine einen Zettel zurückgelassen hätten …!“

Murat sagte da in den tiefen Kehllauten seiner Mischrasse:

„Feuer anzünden … Dort Holz sein …“ Und er zeigte auf die Särge …

„Ah – dank dir, Freund Homgori!“ rief der Taucher … „Die Toten werden es uns verzeihen, daß wir ihre Sargdeckel zerschlagen … Es muß sein … Wir holen uns sonst hier den Tod in dieser Kälte … Und auch den Riesenkraken können wir uns nur auf diese Weise vom Leibe halten … – Los denn …! Murat, mach Brennholz … Es wird schwer genug sein, die feuchten Eichenbretter anzuzünden …“

Sie holten mit vereinten Kräften den Sargdeckel vollends herunter …

Der Homgori packte den Zentnerstein, mit dem er soeben das Gestänge bearbeitet hatte …

Wollte den Sargdeckel zerschmettern …

Eine befehlende Stimme da – aus dem Hintergrunde der Grotte …

Keiner der drei hatte in den letzten Minuten dorthin geschaut …

Sie fuhren herum …

Auf dem stillen Wasserbecken ein leuchtendes Schiff…

Der Zweimaster … Der fliegende Holländer …

Und fünf Schritt vor ihnen ein Mann in altertümlicher Tracht … Seine Kleider strahlten … Die Linke hielt er auf den Griff seines langen Stoßdegens gestützt.

Der Mann sagte laut und drohend:

„Sie sind meine Gefangenen! Folgen Sie mir!!“

 

2. Kapitel.

Nielsen und der Fliegende Holländer.

Inge Söörgard erwachte … Selbst die Nerven dieses frischen blonden Geschöpfes hatten durch die Nachtwachen am Krankenbett des Geliebten arg gelitten …

Sie erwachte über dem leisen Geräusch der sich schließenden Tür … So vorsichtig und behutsam Pasqual Oretto diese auch zugedrückt hatte: das klingende Geräusch des einschnappenden Drückers hatte das junge Mädchen munter gemacht …

Aus wirren traurigen Träumen fuhr sie empor …

Ihr Liebesleid, die bittere Enttäuschung, daß der Mann, der ihrem Herzen so nahe stand, so gut wie unlöslich an eine Verbrecherin gekettet war, hatte sich im Traume in drohenden Zerrbildern vervielfacht.

Ihr erster Blick galt jetzt dem Fürsten …

Der schlief … Seine tiefen ruhigen Atemzüge bewiesen ihr, daß irgend ein anderer sie geweckt haben müsse …

Sie schaute nach der Tür …

Und erinnerte sich so, daß sie soeben im Traume die Tür geöffnet und die Kabine verlassen hatte …

Im Traume …

Und dann … dann hatte sie noch etwas getan … war den Kabinengang hinabgeschritten …

Sie grübelte vor sich hin … Suchte sich das zu vergegenwärtigen, was sie nachher noch unternommen – im Traume …

Was nur … was nur?!

Plötzlich fiel es ihr wieder ein …

Und sie erschrak, obwohl doch alles nur unwirkliches Erleben …

Sie war … in Mafalda Sarratows Kammer gewesen …

Ja – das war’s …!! Sie hatte im Traume das Weib aufgesucht, das ihr Liebesglück zerstört hatte …

Und – was wollte sie dort bei der gefährlichen Hochstaplerin, die hier auf der Sphinx wie eine Mörderin in strenger Haft gehalten wurde?!

Nein – jetzt versagte ihr Gedächtnis …

Dennoch quälte sie sich weiter mit der Frage ab, was in aller Welt sie wohl, wenn auch nur im Traum, in Mafaldas Kerker gewollt haben mochte … Gerade weil sie so gar keine befriedigende Antwort darauf fand, regte diese Ungewißheit sie immer mehr auf … Dunkel empfand sie in ihrem Unterbewußtsein, daß dieser ganze Traum irgend einem besonderen Wunsche entsprungen war …

Was also konnte sie zu dem Weibe getrieben haben, das sie eigentlich als Vernichterin ihres Glücks hassen mußte und daß sie doch nur bemitleidete … Denn für ihre reine Mädchenseele waren ja Charaktere wie der Mafaldas ein vollkommenes Rätsel. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß eine Frau aus sich selbst heraus so tief sinken könnte … Sie hielt Mafalda für ein Opfer unseliger Lebensverhältnisse … Zu wenig wußte sie ja von all den abschreckenden Taten dieser raffinierten vielfältigen Betrügerin … Nur einiges über Mafaldas hartnäckigen und skrupellosen Kampf gegen die Sphinxleute war ihr in den letzten Stunden gelegentlich zu Ohren gekommen. Nichts ahnte sie von den Beziehungen, die einst zwischen Viktor Gaupenberg und der verführerischen Abenteurerin bestanden hatten …

Sinnend, grübelnd saß sie da … Starrte vor sich hin … Und überlegte stets von neuen, weshalb sie gerade diesen merkwürdigen, aufregenden Traum in sich wachgerufen haben mochte …

Es war ein Spiel mit einem ihr selbst unklaren Verlangen …

Ein Spiel, das sehr bald zu einem bestimmten Wünschen sich steigerte … – dazu, den Traum nunmehr in die Wirklichkeit umzusetzen …

Sie befand sich in einer seltsamen Gemütsverfassung … Eine völlig unklare Hoffnung lenkte ihre Gedanken … Und daraus erwuchs schließlich ein rasches Handeln. Sie erhob sich, verließ leise die Kabine … Stand vor Mafaldas Kerkertür … Sah links neben der Tür den Schalter für die an der Decke der Kammer befestigte Glühlampe … Und dich dabei einen Haken, an dem ein Schlüssel hing, der des Vorhängeschlosses für den Mittelriegel …!

Zögernd griff Inge Söörgard nach dem Schlüssel.

Und – – jetzt wußte sie genau, daß sie auch vorhin im Traume ebenso gezögert hatte …

Sie schloß auf, schob die Riegel zurück …

Schaltete das Licht ein …

Zauderte nochmals …

Öffnete trotzdem die Tür …

Mafalda stand aufrecht da …

„Ach – – Fräulein Söörgard!! Also doch …!!“

So begrüßte die Fürstin Sarratow das Mädchen, der sie mit einem einzigen Wort den Herzensfrieden wiedergeben konnte …

Inge fragte halb verlegen:

„Haben Sie … mich erwartet?!“

„Gewiß …!“ Mafalda lächelte rätselvoll … „Gewiß, denn … ich habe von Ihnen geträumt … Ich träumte mit aller Deutlichkeit, daß Sie hier in meiner Zelle waren und … mir den Mann abkaufen wollten, der nur noch dem Namen nach mein Gatte ist und der mir dennoch gehört … Ich träume selten, Fräulein Söörgard. Wenn es einmal geschieht, sind es stets Wahrträume …“

Inge war blaß geworden. Sie spürte hier geheimnisvolle Beziehungen zwischen diesem Weibe und sich selbst …

Und dann – mit einem Schlage stand auch das Ende ihres Traumes in schreckhafter Deutlichkeit vor ihrem Gedächtnis. Den Mann abkaufen, den sie liebte – – der anderen!! Ja – das war’s gewesen …!

Da sprach Mafalda schon weiter …

„Sie werden begreifen, daß mir an nichts so sehr gelegen ist als an der Wiedererlangung meiner Freiheit … Wenn Sie mir schwören, daß Sie mir zu einem Zeitpunkt, den ich für geeignet halte, zur Flucht verhelfen wollen, werde ich Ihnen Iwan Alexander großmütig … schenken … – Vielleicht verstehen Sie mich nicht ganz … Iwan Alexander wird dann eben frei sein – völlig frei … Meine Ehe mit ihm wird nicht mehr existieren …“

Inge begriff noch immer nicht …

Mafaldas Gesicht war ernst …

Ihr Flüstern wurde eindringlicher …

„Vielleicht sträubt sich Ihr Gewissen dagegen, an den Sphinxleuten einen scheinbaren Verrat zu begehen … Nun, diese Bedenken wären unnötig, denn ich werde mich hüten, jemals wieder dem Grafen Gaupenberg und den Seinen in den Weg zu treten … Ich habe längst eingesehen, daß dieser Kampf um den Azorenschatz zwecklos und töricht war …“

Sie sprach weiter …

Gut gewählte Worte klangen an Inges Ohr … Die schlaue Intrigantin warf ihre Netze aus, ein neues Opfer zu fangen …

„Schwören Sie …!!“ wiederholte sie zum Schluß … „Und der Mann, den sie lieben, wird mich abschütteln können – – für immer!“

Inge Söörgard zitterte …

Ihre Seele befand sich in wildestem Aufruhr … Und doch – – siegte die Liebe über alle Bedenken …

Tonlos stieß sie hervor:

„Ja – – ich … ich schwöre …!!“

Mafalda beugte sich vor …

„So hören Sie denn …! Als ich Iwan Alexander Sarratow heiratete, habe ich mir unter den vielen Namen, die ich wie Handschuhe wechselte, einen beliebigen herausgesucht … Der Fürst hat mich nur unter diesem Namen gekannt … Die Papiere, die ich ihm zwecks Erledigung der Formalitäten vor der Eheschließung vorlegte, waren … gefälscht … Mein wahrer Name tut nichts zur Sache …“

Und sie entnahm dem kleinen ledernen Brustbeutel drei eng zusammengefaltete Papiere …

„Bitte – dies sind die Legitimationspapiere, eine Geburtsurkunde und zwei polizeiliche Bescheinigungen! Jeder Chemiker wird die Fälschungen aufdecken. Geben Sie Iwan Alexander diese drei Papiere, und er wird Ihnen bestätigen, daß unsere Ehe nichtig ist … Damir ist Iwan frei …!“

Die blonde Inge zitterte noch stärker …

„So nehmen Sie doch!“ drängte Mafalda … „Weshalb diese Erregung?! Freuen Sie sich doch! Und – denken Sie an Ihren Schwur …!“

Sie drückte Inge die Papiere in die Hand …

„Gehen Sie …!! Und sobald die Sphinx irgendwo in gewohnter Gegend gelandet ist, werden Sie Ihren Eid wahrmachen, es sei denn, daß die Sphinxleute mit mir etwas vorhaben, daß eine Flucht vereiteln könnte … Dann benachrichtigen Sie mich …“

Und sie schob Inge in den Kabinengang, zog selbst die Tür zu und … lächelte …

Triumphierte …

Sie wußte jetzt, daß sie wieder frei sein würde … Was kam es ihr darauf an, den frechsten Betrug ihres Lebens aufgedeckt zu sehen?! – Frei sein … frei …!! Und dann zum letzten Male einen großen Schlag gegen die Sphinxleute wagen …! Und Lomatz sollte ihr helfen …! Sie hatte keinen anderen Verbündeten mehr …! –

Draußen vor der Tür stand Inge mit schlaff herabhängenden Armen …

Unfähig sich zu regen …

Die Papiere brannten wie Feuer in ihren Fingern … Was sie getan, erschien ihr so ungeheuerlich, daß sie sich immer aufs neue in ihrer dumpfen Verzweiflung fragte: ‚War ich es, die diesen Schwur leistete, der Undank und Verrat gegen die Sphinxleute in sich schließt?!’

Sie wollte zurück in Mafaldas Kammer … Wollte dem Weibe dort diese Urkunden vor die Füße werfen …

Und – regte sich doch nicht … Bemerkte zu ihrem noch größeren Entsetzen, daß ihre Empfindungen doch zwiespältig waren, daß der heiße Wunsch, den Mann ihrer Liebe frei zu sehen, stärker war als die Reue und das Schuldbewußtsein … Eins gab dann den Ausschlag – sie hatte geschworen! Der Handel war abgeschlossen! Mafalda hatte ihr im Vertrauen auf ihre ehrlichen Absichten die Papiere übergeben und sich damit eines Geheimnisses entäußert, daß für die Abenteurerin ebenso entehrend wie in gewisser Weise wertvoll war.

In einer Stimmung, wie sie sie noch nie in ihrem reinen Dasein bisher gekannt, verriegelte sie die Tür, legte das Schloß wieder vor und schlich wie eine Verbrecherin an das Krankenlager des Geliebten zurück …

Matt sank sie in den Korbsessel … Starrte den Schlafenden an …

Oh – wenn er wüßte, was sie soeben getan …!! Und – er würde es ja erfahren – – nur er! Aber – nicht alles!! Nein, auch ihn mußte sie belügen … Nichts durfte sie von dem abscheulichen Handel erwähnen … Nie durfte er auch nur ahnen, welchen Preis sie für die Papiere gezahlt hatte: – – Ihre Ehre, ihr reines Gewissen!!

In stumpfem Grübeln saß sie da … Regungslos … Und doch brauste in ihrer Seele immer wieder ein Sturm von Verzweiflung auf …

Bis ihr mürbes, müdes Hirn, wie zumeist bei Menschen, die unter dem inneren Zwiespalt von Gut und Böse sich krümmen, nach Entschuldigungsgründen für das Schlechte sucht und eine schwere träge Gleichgültigkeit sie befällt …

Mögen die Dinge ihren Gang gehen, dachte sie … Vielleicht findet sich nie die Gelegenheit, Mafalda zur Flucht zu verhelfen … Vielleicht griff die Vorsehung irgendwo ein … Vielleicht …

Und über solchen Gedanken kam der wohltätige Schlaf – ein traumloser Schlaf körperlicher und seelischer Erschöpfung … –

Stunden glitten ins dunkle Meer der Vergangenheit.

Stunden – bis es sich in der Sphinx regte …

Gaupenberg verließ die Kabine, die ihn und sein Glück barg, seine Agnes und … das neue werdende Leben …

Ging in den Turm, schob die Panzerplatten vor den runden Fenstern durch Hebeldruck beiseite und sah draußen strahlenden Sonnenschein die düsteren Felsgestade der Faluhn-Klippe beleuchten … Das Wasser des Meeresarmes zwischen den beiden Teilen des Inselchens gleißte und schillerte … Friedlich schwebten Seevögel hin und her … Auf einer flachen Uferstelle sonnten sich ein paar Robben … Die runden großen fast menschlichen Augen der Tiere glotzten neugierig nach dem grauen Leib der Sphinx hinüber … Vielleicht hielten sie das Luftboot für einen Walfisch …

Dann wollte Viktor Gaupenberg die Turmluke öffnen.

Verschlossen …!!

Und – der Schlüssel nicht im Schloß …

Wo war er …?! Wer konnte ihn abgezogen haben? Und zu welchem Zweck …?!

Am Boden des Führerraumes lagen noch die Decken, Murats Lager!

Und Gaupenberg eilte den Kabinengang hinab … fand Knorz und Pasquals gemeinsam Kabine leer … die Betten unberührt …!! Ob die Freunde etwa in der großen Kabine waren, vielleicht schon frühstückten?!

Er fand weder die beiden Alten noch den Homgori.

Dann gesellte sich auch Hartwich zu ihm …

Der Steuermann meinte:

„Die drei sind an Land, Viktor … Sie haben den Schlüssel der Turmluke mitgenommen … Sie werden schon zurückkehren …“

Agnes und Ellen wirtschafteten in der kleinen Kombüse umher …

Nachdem das Frühstück fertig, sah Hartwich nach den Gefangenen … Sie erhielten ihre Mahlzeit, wurden in den Baderaum geleitet, wieder eingeschlossen …

Auch Dagobert Falz betrat nun Kabine.

Man saß zu fünfen am langen Tisch … Agnes sagte:

„Inge schläft … Ich habe in die Kabine hineingeschaut … Nachher werden wir des Fürsten Verbände erneuern müssen, und dann übernehme ich die Krankenwache …“

Das Gespräch schleppte sich hin … Man wurde immer besorgter … Das Fehlen Gottliebs, Pasquals und Murats warf seine Schatten über die beunruhigten Gefährten.

Eine Stunde später entschloß Gaupenberg sich dazu, die Luke aufzubrechen. Hartwich versuchte es zunächst mit einem Dietrich. Aber das Patentschloß widerstand. Doch rechtzeitig noch fiel Gaupenberg ein, daß ja die Schlüssel der beiden anderen kleineren Luken gleichfalls zu diesem Schlosse passen müßten.

So gelangten die Freunde denn an Deck …

Drüben am Ufer das kleine Beiboot. Kein Zweifel also, die drei waren an Land gegangen, waren auf der Südhälfte der Klippe …

„Ich werde hinüberschwimmen und das Boot holen,“ meinte Hartwich …

Gaupenberg erwiderte, man könnte die Sphinx auch näher an das Ufer bringen … überhaupt am Ufer vertäuen. Gefahr sei nicht zu fürchten bei diesem hellen Licht.

Dr. Falz half die Anker heben … Die Propeller surrten, verstummten, und Hartwich sprang mit einer Stahltrosse auf das Ufer hinüber. Das Luftboot wurde festgemacht, und Falz und Hartwich begaben sich auf das Plateau hinauf, von dem in der verflossenen Nacht die drei Brautpaare gewaltsam entführt worden waren …

Hier oben auf der Kuppe stand noch das Zelt aus Segelleinen … Hier lagen zwei Karbidlaternen im Geröll und – – vier Browningpistolen …

Der Doktor und Hartwich spähten nach den drei Gefährten aus, begannen dann zu suchen …

Eine volle Stunde kletterten sie in den Felsen umher.

Und – – fanden nichts …

Georg Hartwich meinte schließlich:

„Es ist zwecklos, Herr Doktor … Die drei sind ebenfalls gefangengenommen worden …“

Der Einsiedler von Sellenheim nickte …

„Und doch wollen wir noch weiter suchen, lieber Hartwich … Es muß doch irgend eine Spur der drei zu finden sein … – Schauen Sie mich nicht so fragend an … Ich weiß genauso viel oder so wenig wie Sie … Ich bin nicht allwissend. Auch meine Fähigkeiten haben ihre Grenzen …“

Abermals verging eine Stunde. Ellen Hartwich hatte sich den beiden zugesellt …

Man suchte … suchte …

Man kam mehrmals an dem harmlosen Stück Moos vorüber, das den Griff der Eisenstange bedeckte … Man beachtete den grünen Fleck im Geröll nicht weiter … Und doch hätte er die Lösung gebracht … –

Um zehn Uhr vormittags begaben Falz und das Ehepaar Hartwich sich wieder an Bord. Gaupenberg und Inge Söörgaard lehnten an der Reling …

Hartwich zuckte finster die Achseln …

„Dein Freund Montgelar – wenn er wirklich der Fliegende Holländer sein sollte – hat nun auch diese drei entführt …!“

Viktor Gaupenberg preßte die Lippen zusammen …

Meinte gereizt: „Die Ironie ist hier kaum angebracht, Georg … Ich gebe mich geschlagen … Es kann nicht Montgelar sein! Denn Montgelar wüßte nun längst durch Nielsen und die anderen, daß ich, Viktor Gaupenberg, Eigentümer der Sphinx bin … Montgelar hätte schon die ersten sechs Gefangenen längst wieder abgeliefert und mich begrüßt …“

„Ja – wenn er noch … oder wieder zurechnungsfähig ist …!!“

Inge Söörgaard stand blaß und scheu dabei …

Dr. Falz sagte begütigend:

„Nicht diesen Ton zwischen euch, Freunde …! – Mag der Führer des Zweimasters sein wer wolle. Er gibt die Gefangenen nicht heraus, und wir sind nicht imstande, gegen ihn etwas zu unternehmen … Wir können nur abwarten und seinem Versprechen glauben, daß er unsere Gefährten nach einem Monat am Kap Retorta von San Miguel wieder freilassen wird …“

Gaupenberg reichte seinem alten Freunde die Hand.

„Hier – schlag ein, Georg …! Der Doktor hat recht, wir beide werden uns doch nicht entzweien – gerade wir! – Und weil nun ein weiterer Aufenthalt hier auf der Faluhn-Klippe zwecklos wäre, werden wir sofort aufbrechen …! Ich freue mich auf die Heimat! Und diese Freude, das Stammschloß meiner Väter wieder begrüßen zu können, wird auch durch die Gefangennahme unserer Getreuen insofern nicht allzu sehr getrübt, als ich die Gewißheit habe, daß sie an Bord des immer noch geheimnisvollen Schiffes nicht schlecht behandelt werden.“

„Bestimmt nicht!“ sagte Dagobert Falz leise, und sein sinnender Blick ruhte auf Inges bleichem Gesicht.

„Oh – Sie sehen sehr abgespannt aus, Fräulein Söörgaard …,“ fügte er hinzu …

Merkwürdig, eine heiße Flutwelle schoß dem blonden Mädchen in die Wangen …!

Alle bemerkten es …

Und Inge stammelte unter dem Einfluß dieser prüfenden Blicke verwirrt:

„Ich … ich werde mich hier draußen an der frischen Luft schon erholen …“

Dr. Falz beobachtete sie still …

Er, der gute Menschenkenner, sah in den Augen des jungen Weibes mehr als Verlegenheit, erkannte das böse Gewissen!

Und sagte trotzdem gütig:

„Nehmen Sie einen Liegestuhl, Fräulein Söörgaard, und ruhen Sie sich hier an Deck aus … Wir steigen sofort empor …“

Gaupenberg begab sich in den Turm. Hartwich machte die Trossen los und holte das Beiboot an Deck.

Dann erhob sich die Sphinx langsam aus dem Wasser, schwebte der Sonne entgegen …

Ein Tropfenregen plätscherte von dem gewölbten Schiffsboden in den Meeresarm …

Noch ruhten die beiden Propeller … Der Südwind trieb die Sphinx über die Felsmassen hin …

Dr. Falz, Ellen und Inge schauten zur Faluhn-Klippe hinab …

Einsam lagen die dunklen, zerklüfteten Steinmassen da …

Dann begannen die Luftschrauben zu arbeiten … Die Sphinx drehte den Bug nach Süden – glitt davon – schneller – immer schneller – – bald nur noch eine graue Punkt im Äther – – bald nur noch ein Pünktchen … Mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen.

Mit bloßem Auge …

Aber der Mann im blauen Segleranzug, der oben auf der Kuppe stand, wo noch vor einer halben Stunde das Zelt sich erhoben hatte, – dieser einsamen Mann hielt ein Fernglas in den Händen, stellte es ein und erspähte so die enteilende Sphinx …

Das krankhaft bleiche Antlitz des Fremden hatte einen ganz eigenen Ausdruck, als er das Glas nun sinken ließ …

Seine Augen leuchteten ebenso krankhaft … Und doch war es nicht das unruhige Flirren im Blick, wie man es bei vielen Geistesgestörten findet … Nein, das war der Glanz einer starken inneren Erregungen, die doch nur der davoneilenden Sphinx gelten konnte. –

Noch immer stand der blasse Seemann, dessen Gesichtsfarbe der eines Menschen glich, welcher viel in verbrauchter Luft sich aufhält, an derselben Stelle.

Längst war von der Sphinx nicht mehr zu erspähen …

Dann erschien aus jener Schlucht, wo Murat, der Homgori, den Griff der Eisenstange unter dem Moosstück gefunden hatte, ein zweiter Mann …

Der aber trug jene phantastische, mittelalterliche Tracht, wie die Besatzung des fliegenden Holländers sie für ihr geheimnisvolles Treiben als passende Maskerade erwählt hatte.

In strammer, fast militärischer Haltung pflanzte der bereits ergraute Alte sich neben dem Bleichen auf, legte die Rechte an den Rand des großen Filzhutes und meldete:

„Kapitän, Herr Nielsen bittet um eine Unterredung … Auch die Damen sind jetzt wohlauf …“

Der Bleiche nickte dem Graubart vertraulich zu …

„Lieber Jochem, hier unter uns wollen wir zwangloser miteinander verkehren …“

„Wie Herr Graf wünschen …“

„Ich bin sehr gespannt auf diese Unterredung mit Gerhard Nielsen … Du wirst das verstehen, Jochem … – Und wie geht es unseren zuletzt noch Gefangenen … Es war mir sehr unangenehm, daß wir auch ihnen gegenüber das Gas anwenden mußten … Aber dieser Tiermensch drang ja wie ein Unholde auf mich ein … Hoffentlich haben die drei nicht allzu viel Methan geschluckt …“

„Und wenn, Herr Graf, die Folgen sind ja nur unangenehm, nicht gefährlich … Wir mußten notwendig eine größere Menge benutzen, da die Körperkonstitution der drei nur allzu robust war … Im übrigen sind sie bereits bei Bewußtsein … Ich habe mich bisher vor ihnen nicht sehen lassen, denn Gottlieb Knorz würde mich ja zweifellos sofort wiedererkennen …“

„Ganz recht – das soll vermieden werden – vorläufig …! – Und in halb träumerischem Tone fügte er hinzu: „Die Vorsehung spielt doch wirklich zuweilen ganz seltsam mit uns Menschenkindern … Daß wir auch ausgerechnet hier der Sphinx und Viktor Gaupenberg begegnen mußten …! Daß gerade Viktor mit den Seinen nahe daran war, unsere Geheimnisse aufzudecken und uns von hier zu verscheuchen! Er wird es mir später verzeihen, weil ich ihm ein paar unruhige Stunden bereitet habe … Später! Wir mußten jedoch hier auf der Faluhn-Klippe weiter volle Bewegungsfreiheit behalten. Und das konnten wir nur, indem wir die Sphinx zur Abfahrt zwangen. Der Gedanke, sie zum 5. Oktober, also nach vier Wochen, zur Entgegennahme der Gefangenen nach dem Kap Retorta zu bestellen, war sehr glücklich, mein lieber Jochem … – Doch – gehen wir … Es wird sich ja nun herausstellen, ob Viktor mich an der Handschrift erkannt hat …“

Und der Fliegende Holländer und Jochem Klaus, einstmals Bootsmann auf der Jacht des Grafen Montgelar, schritten der schluchtartigen Vertiefung am Westfuße zu, wo die eine Steilwand die geheime Steintür barg.

Diese Türe stand weit offen … Die Besatzung des rätselhaften Zweimasters hatte den Mechanismus inzwischen wieder in Ordnung gebracht.

Die Grotte war jetzt durch mehrere Laternen erleuchtet. Man sah im Hintergrunde auf dem von grauschwarzem Gestein überwölbten Wasserbecken das Schiff des fliegenden Holländers ankern …

Man sah Leute der Besatzung in ihren malerischen Trachten hin und her eilen … Einige hatten Spitzhacken in den Händen … Aus einem Seitengang der Höhle ertönte Hämmern und Pochen …

An der linken Wand standen die zwölf schweren geschnitzten Eichensärge … Der Decke des ersten, den Knorz, Pasqual und Murat zurückgeschoben hatten, lag wieder ordnungsgemäß auf dem Sargunterteil.

Als der Kapitän an seinen Leuten vorüberschritt, grüßten sie ihn militärisch … Er dankte zerstreut. Im Geiste sah er sich bereits Gerhard Nielsen gegenüber. –

„Ein Boot, das ähnlich wie der Zweimaster eine plumpe, längst unmodern gewordene Form zeigte, brachte den Kapitän und Jochem Klaus auf das Gespensterschiff.

Jeder, der für technische Dinge nur etwas Blick besaß, mußte sofort erkennen, daß die Planken des Decks sehr dünn waren und daß im übrigen für den Zweimaster als Baumaterial nicht Holz, sondern Eisen verwandt worden war, freilich so geschickt, daß dies schon aus geringer Entfernung kaum noch bemerkt werden konnte.

Hier auf Deck befanden sich nur zwei der mittelalterlichen Matrosen als Wache. Auch sie grüßten den Kapitän sehr stramm, und der eine meldete dann noch mit der Hand am Hut:

„An Bord nichts Neues, Kapitän …!“

„Danke …!“ – Und zu Jochem: „Du kannst jetzt deiner Beschäftigung nachgehen … Sollte ich dich brauchen, so läute ich …“

Der alte Bootsmann zog sich nach dem Vorschiff zurück, während der Kapitän den Heckaufbau betrat, der eine einzige große und gleichfalls mit altertümlichen Möbeln ausgestattete Kajüte enthielt.

Hier legte jetzt der Fliegende Holländer seinen blauen Segleranzug ab und hatte sich dann in kurzem völlig verwandelt.

Dem schmalen, blassen Gesicht, das von einem dunkelblonden Spitzbart umrahmt war, stand diese bunte malerische Tracht eines längst dahingegangenen Jahrhunderts vielleicht noch besser, als die nüchterne Kleidung der Gegenwart.

Nachdem er sich so in den geheimnisvollen Unbekannten verwandelt hatte, der in der verflossenen Nacht auf dem kleinen Plateau den drei Brautpaaren gegenübergetreten war und der dann später ebenfalls Gottlieb Knorz, Pasqual und Murat so vollkommen überrascht hatte, öffnete er die Tür und rief den beiden Wachen draußen an Deck einen Befehl zu.

Gleich darauf brachten diese vom Bugaufbau her den Steuermann Gerhard Nielsen zu ihrem Kapitän, schweigend, mit schußbereiten Pistolen in den Fäusten …

„Treten Sie ein, Sir,“ sagte der eine Matrose höflich. „Unser Kapitän erwartet Sie …“ – Er sprach jetzt Englisch. Vorhin hatte er seine kurze Meldung in deutscher Sprache gemacht. –

Nielsen stand dem Manne, den Viktor Gaupenberg für den Grafen Montgelar hielt, gegenüber …

Durch die quadratischen Fenster der Kajüte, die sämtlich offen standen, drang das Hämmern und Pochen der Matrosen herein. Vier altertümliche Öllampen brannten hier. Aber ihr Brennstoff konnte niemals Öl sein. Ihr Licht war weiß, mit einem leicht gelbbläulichen Schimmer. Wahrscheinlich Karbid, dachte Nielsen und ließ seine Augen nach diesem kurzen Blick über die Umgebung wieder auf dem Antlitz des Schiffsführers ruhen, der sich selbst wiederholt als den Fliegenden Holländer bezeichnet hatte.

Eine geraume Weile musterten sich die beiden …

Nielsen wartete absichtlich. Der Fremde sollte die Unterredung eröffnen. Doch der deutete lediglich auf einen der Sessel an dem schweren, mit Seekarten bedeckten Eichentisch und nahm erst ihm gegenüber Platz, nachdem der Steuermann sich zögernd gesetzt hatte.

Wieder vergingen Minuten … Auf Gerhard Nielsens Stirn erschienen ein paar Falten … Und die nervigen Hände leicht gegen die Tischkante stemmend, begann er nun:

„Falls Sie Graf Montgelar sind, mein Herr, was soll das alles?!“ Das klang gereizt und fast drohend. Und des Deutschen hatte er sich zu dieser Eröffnung der Unterredung bedient, die ja nun zweifellos die dunkle Sachlage ein wenig klären sollte.

Der Kapitän verneigte sich förmlich.

„Ein Irrtum, Sir … Ich bin nicht Graf Mont … – Wie war doch der Name?“

„Montgelar …“

„Gut, Montgelar … Wie kommen Sie auf diesen Namen, Sir? – Ich bitte Sie auch, Englisch sprechen zu wollen, da ich das Deutsche nur ungenügend beherrsche …“

„Angeblich!“ lächelte Nielsen jetzt. „Nun – immerhin, Graf Gaupenberg hat die Schrift der beiden uns übermittelten Flaschenposten als die seines totgeglaubten Freundes Ortwin Montgelar wiedererkannt …“

Wieder verneigte der Fliegende Holländer sich steif.

„Wie gesagt, ein Irrtum, Sir! Mein Name, den ich einstmals führte, tut auch nichts zur Sache … – Sie baten mich um eine Unterredung … Sie wünschen? Fehlt es Ihnen an irgend etwas hier an Bord meines Schiffes? Sind sie nicht gut untergebracht?“

„Oh – in der Beziehung können wir uns nicht beklagen …“ Und Nielsen lächelte – etwas überlegen … „Wir haben sogar bereits unsere drei nach uns gefangengenommenen Gefährten begrüßen dürfen … Und bei dieser Gelegenheit hat Gottlieb Knorz mir dies hier ausgehändigt, Kapitän, – dies hier …“

Und er zog die norwegische Tabakspfeife aus der Tasche, die draußen in der Grotte vor den Särgen auf dem Felsboden gelegen hatte …

„Ich denke, Sie kennen dieses Geschenk, Kapitän!!“

Nielsen lachte jetzt … Denn der Fliegende Holländer war beim Anblick der Pfeife mit der in den silbernen Ringen eingravierten Widmung sehr verlegen geworden …

Und Nielsen meinte weiter: „Ich denke, Herr Graf Montgelar, Sie geben dieses Komödienspiel auf … Ich bin nicht gerade auf den Kopf gefallen … Man rühmt mir nicht nur scharfe Augen, sondern auch etwas geistige Regsamkeit nach … Sie erschraken soeben … Der Zug von Verlegenheit liegt noch auf Ihrem Gesicht … Und an Ihrer Linken sehe ich einen Wappenring, den Sie besser hätten in die Tasche stecken sollen, denn Ihr und mein Freund Gaupenberg hat mir das Wappen Ihrer Familie beschrieben … Und drittens und letztens, ich weiß jetzt auch …“ – und er sprach wieder seine Muttersprache – „weshalb Sie hier auf der Faluhn-Klippe als Fliegender Holländer hausen … Knorz erzählte von den zwölf Särgen draußen in der Grotte … Sie … suchen hier den Schatz des berühmtesten aller Flibustier, der …“

Der Kapitän war aufgesprungen …

„Ah – sind Sie denn allwissend, Sir …?!“ rief er unendlich verblüfft … „Woher in aller Welt können Sie nur …“

„Gestatten, Herr Graf, weil ich ein wenig zu kombinieren weiß und weil mir außerdem zufällig bekannt ist, wo dieser von Ihnen gesuchte Schatz der berüchtigten Seeräuber sich befinden dürfte …! Jedenfalls nicht hier!! Ihre Leute draußen klopfen da völlig umsonst die Felswände ab …! Denn – der Schatz lag in einem Felsenkastell auf der Insel Gouadeloupe, Herr Graf!!“

Der Kapitän starrte Nielsen verwirrt an …

Ihm fiel es offensichtlich sehr schwer, hier auch nur einigermaßen Haltung zu bewahren …

Wieder lachte Nielsen da gutmütig liebenswürdig …

Fügte hinzu: „Bauen wir unsere Beziehungen auf anderer Grundlage auf, Herr Graf …! Sie haben sich verraten … Sie sind Ortwin Montgelar … Und wenn Sie nun mir als Ihrem Landsmann zunächst einmal erzählen wollten, weshalb Sie für die Welt ein Toter sind, wäre ich Ihnen recht dankbar … Denn ehrlich gestanden, auf Klärung dieses Punktes bin ich am neugierigsten!“

Der Fliegende Holländer ließ sich mit einer Handbewegung, die wohl andeuten sollte, daß er sich geschlagen gebe, in den altmodischen Sessel zurückfallen.

 

3. Kapitel.

Der Mann mit dem Tiger.

Das Heiße Moor im Nordosten der Gaupenburg.

Wir kennen es … Wir haben damals, als der Kampf um den Azorenschatz sich erst zu entwickeln begann, Mafaldas Flucht durch die verschlungenen Wasserwege der endlosen Moorflächen mit erlebt …

Haben den Zwerg Pannaru auf der Insel mitten in dem unzugänglichen Sumpfgebiet sterben sehen …

Haben die Abfahrt der Sphinx von dieser Insel beobachtet …

Und – all das lag Monate zurück … Inzwischen hatte das Ringen um die Milliarden andere Geschehnisse heraufbeschworen, – – und was alles!! Unendlich viel war den Sphinxleuten widerfahren … Ereignisse hatten sie hinter sich, deren Überfülle, deren Seltsamkeit diesen gigantischen Kampf hoch hinaushob über die Grenzen alltäglicher Vorkommnisse … Das war kein Kampf gegen Verbrecher, kein Ringen zwischen Gut und Böse gewesen …! Das war – und hundertfach hatten’s die Männer erfahren! – ein traumhaft unwirkliches Jagen von Abenteuer zu Abenteuer – ohne Ruhepunkt, – eine Hetze vom Schicksal, ein ständiges Eingreifen dunkler Mächte in armseliger Menschlein armseliges Wünschen …

Und jetzt … – Nacht war’s – jetzt schwebte über den dünnen Nebeln des Heißen Moores abermals des Grafen Gaupenberg glorreiche Sphinx …

Nach Monaten wieder …

Beladen nicht nur mit den Schätzen des einst versunkenen U-Bootes … Auch mit dem güldenen Inhalt der Steinkammern des Königs Mataguma …

Schwebte hoch am Firmament … Getrieben nur vom schwachen Nachtwinde …

Und an der Reling mit Ferngläsern Graf Viktor, Steuermann Hartwich … Neben ihnen Agnes, Ellen, Dagobert Falz …

Soeben reichte Gaupenberg dem geliebten Weibe das Glas …

„Dort drüben, Agnes, das Stammschloß meiner Väter!“

Seine Stimme zitterte leicht …

Und tief bewegt fügte er hinzu:

„Die Heimat … die Heimat, Agnes! Möge sie uns Gutes bringen!“

Agnes hob das Glas dicht an die Augen … Wie ein Schauer überlief es sie …

Ganz leise nur flüsterte sie zurück:

„Traurige Erinnerungen, Viktor …!“

Und im Geiste durchlebte sie blitzartig nochmals all die trostlosen Stunden von damals, wie sie bewußtlos im geheimen Gange des Erdgeschosses gelegen und wie Gottlieb sie dann in seinem Zimmer verborgen hatte – vor Mafalda Sarratows gefährlichen Intrigen!

Eine andere Stimme weckte sie aus peinvollem Sinnen …

Georg hatte halblaut gerufen:

„Man erkennt die Umrisse der Insel unten trotz der leichten Nebelschleier … Aber etwas beunruhigt mich … Sahen Sie es nicht auch, Herr Doktor? Ein Licht wandelte über die Insel hin … Und das kann kein Irrlicht gewesen sein … Das war eine sehr hell brennende Laterne in der Hand eines Menschen …“

„Ohne Zweifel!“ nickte Dagobert Falz … „Wir tun also gut, dort nach Norden zu auf der äußersten Spitze der schmalen Landzunge niederzugehen, die sich weit in das Moor hinausschiebt … Das Licht durchquerte den Südteil der Insel in der Nähe der verfallenen Baulichkeiten der uralten Flüchtlingskolonie aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges …“

Gaupenberg meinte erregt:

„Ich habe nichts von einem Licht gesehen … Ich halte es auch ausgeschlossen, daß die Existenz der Insel, die doch nur uns bekannt ist, im Verlauf der letzten Monate auch anderen irgendwie …“

Agnes meldete sich jetzt …

„Dort, Viktor, – – dort …! Ich sehe das Licht … Selbst im Fernglas erscheint es nur als strahlendes Pünktchen …“

Auch Hartwich bestätigte das erneute Auftauchen des wandernden leuchtendem Punktes …

„Hier – rasch, – nimm das Glas, Viktor … – Siehst du etwas?“

„Ja – jetzt sehe ich’s … Das muß eine Laterne sein … Dort geht ein Menschen umher … Das Licht verschwindet wieder …“

„Aber die Nebel werden dichter …,“ sagte der Einsiedler von Sellenheim lebhaft. „Gehen wir getrost …“

Jetzt Ellen Hartwich:

„Achtung – – ich bemerke noch etwas …! Ein intensiv grünes Licht … Ein Stück von der Insel weg nach Süden zu …!“

„In der Tat!!“ preßte Gaupenberg hervor … „Was bedeutet das?! Jahrhunderte ist das Vorhandensein der Insel ein Geheimnis geblieben, bis Sie es entdeckten, Herr Doktor! Und nun sollte etwa ein Zufall in diesen Monaten unserer Abwesenheit dieses Geheimnis Fremden offenbart haben? Auch ich kann daran nicht recht glauben …“

„Grüne Irrlichter gibt es in Sumpfgebieten nicht!“ warf Hartwich hin. „Es sind Menschen dort unten …! Ich schlage vor, wir warten noch eine Stunde. Mit der zunehmenden nächtlichen Abkühlung werden die Nebel über dem Heißen Moor, das diese Bezeichnung seiner warmen Quellen wegen ja mit Recht führt, immer stärker …“

Aber Dagobert Falz erlaubte sich da die Bemerkung:

„Und jedes Orientieren wird uns unmöglich, lieber Hartwich! Wie wollen wir nachher die Spitze der Halbinsel finden?! Nur dort können wir uns sicher fühlen, nur von dort den anderen Teil der Insel nach den unwillkommenen Gästen durchforschen … – Ich denke, wir landen im Gleitflug … Der graue Rumpf der Sphinx zerfließt mit den Nebeln in eins … Niemand kann uns erspähen …“

Gaupenberg war gleichfalls für sofortiges Niedergehen …

Und so eilte Hartwich denn in den Führerraum des Mittelturmes und bediente die Steuerhebel, während an Deck Gaupenberg dem Doktor und dieser wieder Hartwich die nötigen Winke über die Richtung und die Entfernung bis zur Spitze der Landzunge zurief, denn das Sehrohr versagte in dieser nebligen Umgebung …

Nach kurzem Manövrieren senkte sich die Sphinx dann auch mit einem letzten Ruck nach abwärts mitten zwischen die Erlenbüsche hinein, die hier verschwenderisch am Rande des Moores wucherten…

Leise splitternd gaben die Zweige nach, und nun war die Sphinx völlig in Grün eingebettet, war gelandet – auf deutschem Boden – in der Heimat!

Mit mißtönendem Geschrei stob ein Krähenschwarm aus einer nahen Gruppe von verkrüppelten Kiefern empor und verschwand im Nebel …

Von den Wasserlachen des endlosen Sumpfes aber klangen die verschiedenartigsten Rufe der hier Sommer und Winter ansässigen Vögel herüber: Enten, Wildgänse, Rohrdommeln, Regenpfeifer … Niemals wechselten die beflügelten Bewohner dieses warme Quartier, das selbst im strengsten Winter nicht zufror, das ihnen das ganze Jahr über Nahrung und Schutz und tadellose Bauplätze für ihre Nester bot …

Lauschend standen die Besatzung der Sphinx an der Reling …

Nichts anderes vernahmen sie als die friedlichen Vogelstimmen …

Und doch erschauerte Agnes von neuem …

„Wie unheimlich!!“ meinte sie in seltsamer Unruhe … „Was bedeuten diese dumpfen Schreie, Viktor?“

„Rohrdommeln, Liebling – nichts anderes … Eine Vogelart, die den langen Schnabel halb ins Wasser steckt und dann ihre allerdings nicht ganz angenehme Stimme ertönen läßt … Im übrigen harmloses Getier, sehr scheu und …“

„Horch!!“ – Agnes rief’s – hatte jäh seinen Arm umklammert …

„Was – – war das?!“ fügte sie zitternd hinzu … „Viktor, das war doch keine Vogelstimme … Das war ein Hilferuf – – ein Mensch!!“

Die fünf hier an der Reling lauschten atemlos …

Bis Dr. Falz dann erklärte:

„Auch mir kam’s so vor, als ob dieses nächtliche Konzert der Bewohner des Heißen Moores durch Laute aus einer Menschenkehle gestört wurde … Ein kurzer Schrei nur …“

Die Sphinxleute verhielten sich regungslos …

Minutenlang …

Doch nichts geschah … bis Hartwich ungeduldig meinte:

„Werden wir nicht nervös …! Die beiden Lichter, das weiße und das grüne, haben unsere Nerven vielleicht sehr überflüssigerweise etwas gereizt … – Komm, Viktor, nehmen wir jeder eine Laterne und sehen wir nach, wer sich von zweibeinigen Geschöpfen hier herumdrückt …!“

Agnes hatte Gaupenbergs Arm noch nicht wieder freigegeben …

„Viktor, geh nicht …!“ flehte sie … „Mir ist so bang …“

Da lachte Ellen Hartwich so recht spitzbübisch …

„Unser Blondchen darf sich nicht aufregen …! Sie werden also wohl Georg getrost allein gehen lassen müssen, lieber Viktor …!“ Und zärtlich drückte sie die Freundin an sich und flüsterte ihr noch ins Ohr: „Es liegt in deinem Zustand, daß du jetzt so ängstlich bist, Agnes …!“

Dr. Falz erklärte nun, er würde Hartwich begleiten … Und auch er strich Agnes liebevoll über die bleichen Wangen …

„Lege dich nieder, mein Kind … Diese Nebel sind ungesund … Und wenn …“

Agnes war zusammengezuckt … Ebenso die neben ihr Stehenden …

„Ah – also doch ein Hilferuf!!“ stieß Hartwich ärgerlich hervor … „Die Heimat empfängt uns nicht eben freundlich …! Ich hätte gewünscht, unsere Landung wäre ohne diese immerhin recht beunruhigenden Anzeichen erfolgt …! – Vorwärts denn, Herr Doktor … Stecken wir jeder eine Pistole zu uns … Die Dinge hier behagen mir durchaus nicht …!“

Gaupenberg, dem bisher wenig zusagte, daß er nur aus Rücksicht auf seine junge Gattin sich von diesem vielleicht gefährlichen Gang ausschließen sollte, suchte Agnes’ Sorge durch liebevolle Worte zu zerstreuen …

Falz aber unterbrach ihn …

„Nichts da, lieber Graf …! Es bleibt dabei, Hartwich und ich übernehmen das Durchforschen der Moorinsel …“

„Und ich mache gleichfalls mit …!“ rief Frau Ellen leise. „Georg, du darfst mir das nicht abschlagen … Ich hätte hier doch keine Ruhe an Bord der Sphinx …“

Sie drängte ihn etwas abseits …

„Georg, ich spiele hier nur die Tapfere … Glaubst du denn, daß diese Hilferufe mich nicht genau so ängstlich werden ließen wie Agnes?! – Gehen wir … Der Doktor hat bereits bei Laternen aus dem Turm geholt … – Oh – – hörtest du?! Das war wiederum derselbe Schrei … Beeilen wir uns …! Vielleicht befindet sich dort ein Unglücklicher in Not!“

Dagobert Falz war schon die Außenleiter der Sphinx halb hinabgestiegen … Gaupenberg reichte Ellen noch schnell seine Pistole … Warnte dabei:

„Seid vorsichtig …!! Hier ist irgend etwas nicht so, wie es sein sollte …! Georg, nicht allzu wagemutig …!! Vergeßt unsere bösen Erfahrungen nicht …!“

Dann waren Agnes und er allein an Deck des Luftbootes … Sie lehnte sich sanft an seine Schulter, legte den Arm um ihn und meinte flüsternd:

„Viktor, Viktor, wir hätten doch nicht gerade hier landen sollen … Das Moor ist so unheimlich … Der Wind spielt mit den Nebelfetzen … Es scheint mir wie Gespenster in wallenden Gewändern, und der …“

Sie verstummte … hielt den Atem an …

Auch Gaupenberg vernahm ganz deutlich einen neuen Hilferuf … Glaubte sogar das Wort ‚Hilfe verstanden zu haben …

Agnes bebte …

„Mein Gott, was mag dort vorgehen …?! Viktor, wie trügerisch war doch unsere Hoffnung, daß wir hier in der Nähe der Gaupenburg alle Gefahren und Aufregungen weit hinter uns lassen würden …! Wenn wir nur erst …“

„Still – – still …!!“

Und beide standen wie Statuen … Horchten …

Ein einzelner Schuß war gefallen …

Jetzt folgte ein schrilles Lachen aus derselben Richtung …

Ein Lachen – – überlaut … gellend – – wahnwitzig …

Dann – – wieder ein heller Schrei …

„Das – – war Ellen, Viktor!!“

„Ja – –, – Was tue ich …?! Ich kann doch nicht untätig hier an Bord bleiben, wenn unsere Gefährten vielleicht …“

Aus der Turmluke hatte sich lautlos eine Gestalt hervorgeschnellt … Eine zweite folgte …

„Willkommen in der Heimat, lieber Graf …!“ höhnte Mafalda Sarratow hinter dem ahnungslosen Paare … Den jäh sich umwendenden Gaupenberg traf ein heimtückischer Hieb des Verbrechers Lomatz … der den Umsinkenden auffing …

Agnes stierte Mafalda an …

Wankte … Und drängte doch das Entsetzen über das Auftauchen der beiden Gefangenen und die wilde Angst vor dem, was nun die allernächste Zukunft bringen mochte, mit aller Energie zurück, dachte nur an das werdende Leben, das sie unter dem Herzen trug, an ihr Kind …

Und wurde ruhiger … Ihres väterlichen Freundes Dagobert Falz Verheißung beherrschte sie … Sie sah sich wieder in jener tropischen Urwaldlichtung vor dem großen Blockhause, … ihr Kind in sich tragend … Nur Sekunden währte diese klare Erinnerung an jene beseligende Vision …

Aus der zarten, weichherzigen Agnes war da mit einem Schlage wieder die andere Agnes geworden, jedes Weib, das vor Monaten mit Knorz und Pasqual durch die unwirtlichen Teile der Insel San Miguel gestreift war, den entführten Geliebten zu suchen …

Mafalda stand noch immer dicht vor ihr, während Lomatz auf den Deckplanken kniete und dem Grafen mit einem Taschentuch die Hände auf dem Rücken zu fesseln suchte …

Leichte Nebel auch hier an Deck … Und doch Mafaldas Gesichtszüge, das triumphierende, hohnvolle Lächeln, deutlich zu erkennen …

Agnes hielt noch das Fernglas in der schlaff herabhängenden Rechten … Eines jener schweren, großen Schiffsferngläser, deren Metallteile einem Menschen wohl gefährlich werden können …

„Das Blättchen hat sich wieder einmal gewendet, Frau Gräfin …,“ höhnte Mafalda plötzlich … „Wie konnte Viktor Gaupenberg aber auch gerade hier landen – hier in der Nähe des Schlosses, das ihm doch nur …“

Sie brach jäh ab …

Sie hatte nicht beachtet, wie Agnes Gaupenbergs Augen unter dem Einfluß einer übergroßen Willensanspannung sich leicht zusammengezogen, wie die weichen, schönen Lippen sich zusammengepreßt hatten …

Agnes hatte mit der Linken dem Weibe vor ihr einen wilden Stoß versetzt, hatte fast gleichzeitig mit dem Fernglas hart zugeschlagen …

Und der kniende Lomatz sank mit dumpfem Ächzen zur Seite …

Nichts half es Mafalda, daß sie jetzt, waffenlos wie sie war, vor Agnes noch weiter zurückwich …

Agnes Gaupenberg kämpfte hier um den Gatten und um das Kind von ihm, das sie in sich trug …

Und Agnes war sich sicher, daß auch dieser Kelch an ihr vorübergehen würde … Ihre gläubiges Vertrauen auf die Vorsehung wurde belohnt …! Mafalda stolperte im Zurückweichen über die niedere Achterluke, schlug nach hinten um, griff umsonst einen Halt suchend in die Luft und fiel so schwer auf den linken Ellenbogen, daß der jähe Schmerz sie für Sekunden betäubte …

Sekunden, die der Gegnerin vollauf genügten …

Agnes schleppte den bewutlosen Gatten zu Luke … Éin Ruck, sein Körper glitt die Treppe hinab … Agnes verschwand gleichfalls ihm folgend … Der Lukendeckel schlug zu … Und gerade als Lomatz mit heiserem Fluch sich aufgerafft und ihn gepackt hatte, glitt von innen der Riegel vor …

Mafalda erschien neben ihrem Verbündeten … Einen Moment wollte die sinnlose Wut über diese schmachvolle Niederlage ihr erhitztes Hirn umnebeln … Doch sie zwang sich zur Ruhe …

„Wir sind frei, Freund Lomatz,“ meinte sie achselzuckend. „Frei, – und wir dürfen fürs erste nicht zu viel verlangen … Fort von hier …! Sonst kommen uns Falz und das Ehepaar Hartwich in den Weg …!“

Und schon war sie wieder einmal Herrin der Situation … Sie war’s gewesen, die Inge Söörgaard zum Verrat verführt hatte … Sie hatte vorhin, als Inge ihr melden kam, daß die Sphinx nunmehr gelandet sei, auch Lomatz befreit …

Eilends kletterten sie jetzt die Außenleiter der Sphinx hinab … liefen die schmale Halbinsel entlang – vorsichtig – geschützt durch die Nebelschleier …

Lomatz überließ Mafalda den Führung. Mafalda wußte hier Bescheid …

Und doch begriff er nicht recht, wie sie von dieser von meilenweiten Sümpfen umgebenden Insel die Flucht fortsetzen wollte, da ihnen doch weder ein Boot noch sonst ein Mittel zur Verfügung stand, die verschlungenen Wasserwege des Heißen Moors zu durchqueren …

Mafalda blieb plötzlich stehen …

Vor ihnen ein Wäldchen, das bis zum Ufer sich hinabzog …

Und – – dort zwischen den Birken und Eichen brannte offenbar hinter einer aus Zweigen geflochtenen Schutzwand ein Feuer …

„Warte hier …!“ flüsterte Lomatz jetzt … „Das Anschleichen überlaß besser mir … Daß Fremde sich auf der Moorinsel befinden, hörten wir ja bereits vorhin aus Bemerkungen der Sphinxleute, die wireine Weile belauscht hatten …“

Er glitt davon …

Die geflochtene Schutzwand entpuppte sich sehr bald als die Rückseite einer einfachen Hütte … Und als Lomatz nun deren Vorderseite überschauen konnte, hielt er unwillkürlich vor Schreck den Atem an …

Vor der Hütte stand ein großer Holzkasten … mannshoch, mindestens vier Meter lang und doppelt so breit.

Lomatz wunderte sich. Schon diese Hütte, in der auf einem sehr primitiven Herd aus Steinen ein kleines Feuer flackerte, erschien ihm hier auf der unzugänglichen Moorinsel geheimnisvoll und merkwürdig. Noch mehr aber der Kasten da – dieses ungefüge Ding, das aus roh behauenen Baumstämmen zusammengezimmert war. Das dazu benutzte Holz sah an den offenbar nur mit einer Axt geglätteten Flächen noch recht frisch aus.

Dann vernahm Lomatz aus dieser plumpen Riesenkiste ein Geräusch … Es klang wie tappende Schritte.

Er wagte sich nicht weiter vor … Wollte schon zu Mafalda zurückkehren, als ein kräftiger Windstoß nicht nur die auch hier zwischen den Bäumen lagernden leichten Nebelgebilde für Minuten zerstreute, sondern auch von der Riesenkiste her die scharfe Ausdünstung von Raubtieren bis zu Edgar Lomatz’ Versteck hinübertrug …

Noch mehr ereignete sich …

Ein Mann tauchte von Süden her auf, wo die Bäume des kleinen Wäldchens in das Erlengestrüpp des Ufers übergingen …

Viel konnte Lomatz von diesem Fremden nicht erkennen. Immerhin etwas ganz genau, der Mann war von hühnenhafter und doch schlanker Gestalt. Obwohl er in den Armen zwei scheinbar bewußtlose Menschen mit sich schleppte, waren seine Bewegungen leicht und von einer gewissen kraftvollen Grazie …

Zwei scheinbar Bewußtlose …

Lomatz erkannte Dr. Falz und Hartwich!!

Ein wildes Frohlocken zog da durch seine verderbte Seele … Kein Zweifel – die drei von der Flugschiffbesatzung waren von diesem Fremden überrumpelt worden! Auch Ellen Hartwich würde der Mann wohl noch herbeischaffen …!

Der Hünen trat mit seiner doppelten Last schon an den Kasten heran – an die eine Längsseite, die, wie jetzt offenbar wurde, mit einem Gitter versehen war.

Lomatz kroch näher heran … Bis er alles überschauen konnte …

Der Riese hatte seine beiden Gefangenen ins Gras sinken lassen, schloß nun eine schmale Gittertür auf, die in einen engen Verschlag führte. In der größeren Abteilung bewegte sich irgend eine Bestie – ein langgestrecktes Tier, – das wohl ein Tiger sein mußte.

Nachdem der Fremde den Doktor und Steuermann Hartwich in den Verschlag eingesperrt hatte, eilte er wieder davon …

Keine drei Minuten später erschien er mit Ellen Hartwich in den Armen … Auch sie brachte er in demselben Kasten unter. Dann löschte er das Feuer in der Hütte und schritt von neuem in die neblige Nacht hinaus. Seine Absichten lagen klar auf der Hand. Er wollte feststellen, woher die drei gekommen waren und wie sie hier auf der Moorinsel gelandet sein könnten!

Nachdem der Mann verschwunden, eilte Lomatz zu Mafalda zurück. Sie berieten kurz. Mafalda war entschieden dafür, daß man sich mit diesem Fremden verbünde …

„Ich werde diesen Riesen schon zahm machen …,“ meinte sie siegessicher …! Zunächst aber, schleichen wir zur Sphinx zurück! Überzeugen wir uns, wie dieser Hüne sich mit der Anwesenheit des Luftbootes hier auf dem Eiland abfindet!“

Lomatz widersprach ihr nicht weiter. Und gleich darauf hatten sie die schmale Landzunge wieder erreicht, wo die Sphinx an der äußersten Spitze im Gebüsch niedergegangen war.

Aber – die Sphinx war verschwunden … Nur noch die niedergedrückten Büsche und deren geknickten Zweige zeigten die Stelle an, wo das Luftboot gelegen hatte …

Und an dieser Stelle erschien nun ebenfalls der Fremde … Hätte nicht das Splittern eines trockenen Astes sein Nahen angekündigt, so würde er Mafalda und Lomatz überrascht haben …

Die beiden fanden jedoch Zeit, sich der Länge nach niederzuwerfen, und die hierbei entstehenden Geräusche wurden von den ärgerlich hervorgestoßenen Worten des Hünen übertönt, der seine brennende Laterne auf den Boden gerichtet hatte und unschwer erkannte, daß hier ein größeres Fahrzeug die Pflanzenwelt flach an den Boden gedrückt hatte …

„Eine ganz verdammte Geschichte!“ fluchte der Mann in einem Deutsch, das sofort den geborenen Wiener verriet … „Endlich glaubt man sich hier vor der Polizei sicher – und dann diese Überraschung …!! Wenn nun wenigstens Orlando noch hier wäre!! Die Pest, daß er’s mit der Rückfahrt immer so eilig hat – – wirklich die Pest!! Nun kann ich zusehen, wie ich allein die Bestie wegbringe! Denn ich muß weg – unbedingt!! Alles steht auf dem Spiel!“

Und fluchend zog er ab …

Die Büsche rauschten leise …

Aber hinter dem Riesen drein huschten Mafalda und Lomatz, jetzt fest entschlossen, sich diesem fragwürdigen Menschen vorerst nicht zu zeigen, sondern nur zu beobachten, auf welche Weise er es wohl anstellen würde, von hier mit dem Tiger fortzukommen.

Der Fremde schlug die Richtung nach dem Wäldchen ein, bog dann jedoch links ab, wo ein weites Stück Heide sich hinzog. Inmitten dieses Heidestreifens hatte vor Monaten die Sphinx gelegen … Von hier war sie wieder aufgestiegen – gen Portugal, und in der Nähe des Junto-Berges hatte dann der zweite Akt des großen Dramas begonnen.

Und auf diesem Feldstreifen lag auch jetzt, verborgen unter Segelleinen und darüber gebreiteten Zweigen, ein Luftfahrzeug, ein moderner Eindecker von schnittiger Form.

In kurzem hatte der Hünen das Flugzeug freigelegt … Dann schob er es bis zum Rande des Wäldchens, drehte es mit dem Propeller nach Norden, so daß er freies Anlaufsfeld vor sich hatte, und näherte sich der Hütte, holte einen frisch geschlachteten Hammel heraus und schnitt ein Hinterviertel aus ihm heraus …

Kniend, neben sich die Laterne, arbeitete er schnell und doch überlegt …

Er löste den Knochen aus dem Fleisch heraus und schüttete in das Loch aus einer Blechbüchse ein weißes Pulver, band die Teile wieder mit einem Bindfaden zusammen und warf es dann durch die dicken Gitterstäbe in den Käfig …

Der Tiger begann sofort zu fressen. Der Mann beobachtete ihn eine Weile und öffnete dann die Tür des Seitenverschlages, brachte das Ehepaar Hartwich und den Doktor – die drei waren an Händen und Füßen gefesselt, jedoch bereits wieder bei Bewußtsein – ins Freie hinter die Hütte und kümmerte sich in keiner Weise um Georg Hartwichs drohende Reden … Sagte nur ärgerlich:

„Schweigen Sie!! Sie haben mir den ganzen Kram verpfuscht!!“

Dann kehrte er zu dem Käfig zurück. Hier hatte die gelbbraune Riesenkatze sich dicht am Gitter niedergetan und schien fest zu schlafen. Die Nachtmahlzeit soeben war ihr offenbar nicht bekommen.

Der Mann zerrte den betäubten Tiger durch die Klapptür des Nebengelasses aus dem Käfig und bis zu dem Eindecker hin …

Hier fesselte er das Tier mit Lederriemen … Welch ungeheure Kräfte er besitzen mußte, zeigte sich jetzt so recht, als er den Tiger in die kleine geschlossene Gondel des Flugzeuges schaffte – eine Arbeit, die er wie spielend erledigte.

Wiederum begab er sich zu Hütte, riß die Wände und das Dach derselben auseinander und häufte die Trümmer um den Käfig herum auf …

Trockenes Moos und Reisig setzte er in Brand …

Flämmchen wurden zu Flammen … Die Lohe sprang höher … Roter Feuerschein durchdrang die leichten Nebelgebilde …

Der Mann mit dem Tiger warf noch einen letzten Blick auf die brennende Trümmerstätte …

Dann eilte er zu dem Eindecker, wollte den Motor zu Probe ein paar Minuten laufen lassen …

Wieder waren Mafalda und Lomatz hinter ihm …

Und unweit des knisternden Riesenfeuers erhob sich jetzt aus dem Gestrüpp der Graf Gaupenberg …

Zwei – drei rasche Schnitte …

Er hatte die Freunde befreit …

Drückte ihnen Waffen in die Hände …

„Vorwärts – der Kerl darf nicht aufsteigen …!! Und auch unsere beiden Gefangenen müssen wir wieder in unsere Gewalt bekommen!“

Hartwich rieb sich die Handgelenke … „Gut – los den!! Der Lump hat uns nicht gerade zart behandelt!! Wurst wider Wurst …!!“ –

Der Mann mit dem Tiger stand neben dem Eindecker … Der Propeller pfiff … Der Motor knatterte.

Mit voller Kraft stemmte der Mann sich der Zugkraft der Luftschraube entgegen … Er war zufrieden mit dem Lauf des Motors …

Da – eine Hand legte sich auf die Eisenmuskeln seines Armes …

„Würden Sie zwei Verfolgte mitnehmen, mein Herr?“ fragte Mafalda bittend …

Sein Kopf war herumgeschnellt …

Zwei Gestalten dicht vor ihm …

„Haben Sie Mitleid …!“ flehte die Abenteurerin noch eindringlicher. „Wenn Sie uns vor denen helfen, denen wir kaum erst entronnen sind, biete ich ihnen Millionen!“

Der Hühne sah Mafaldas lockendes Antlitz im Lichtschein der knisternden Glut …

Aber seine Züge blieben finster und drohend …

Ein verächtliches Auflachen … „Millionen?! – Wer sind Sie beide? Aber die Wahrheit bitte …!!“

„Fürstin Mafalda Sarratow – dort mein Kamerad Lomatz … Vielleicht haben Sie von dem Goldschatz der Azoren in den Zeitungen gelesen …“

„Ah – – Fürstin Sarratow!! Ob ich davon gelesen habe!! Noch gestern …!! Und …“

„Die Sphinx war hier …“

„Die … Sphinx?!“

„Ja – mit den Schätzen an Bord … Vielleicht ist sie sogar noch hier … Nehmen Sie uns mit …!“

„Das – – ändert die Sache … – Klettern Sie in die Gondel … Schnell …!! Ich werde …“

Mafalda war schon an der kleinen Tür … und in der Gondel …

Half Lomatz …

Der schwebte im Sprunge halb in der Luft, als Gaupenbergs Stimme aus nächster Nähe drohte …

Doch da stemmte der Mann mit dem Tiger sich nicht mehr der Zugkraft des Propellers entgegen … Der Eindecker begann zu rollen … Und sein Besitzer wollte sich gleichfalls emporschwingen …

Hartwich feuerte …

Lief hinter dem Flugzeug drein … Falz neben ihm …

Und nochmals schoß Steuermann Hartwich im vollen Laufen …

Doch so sehr die drei Männer durch der Dunkelheit auch rannten, – der Eindecker war schneller als sie …

In der Gondel saß Edgar Lomatz bereits an den Hebeln …

Ein leichter Druck ging durch das Flugzeug … Es kam vom Boden los – tauchte in die Nebelschleier ein …

Die Sphinxleute machten keuchend halt …

Starrten nach oben …

Dann ein gellender Schrei aus den Lüften …

Ein dumpfer Krach – wie das Aufschlagen eines Körpers auf den Heideboden …

Gaupenbergs Laterne fand den toten Riesen … – mit gebrochenem Genick …

Eine Kugel hatte dem Hünen die linke Schulter durchbohrt … Der Knochen war zersplittert … So hatte er denn das Gestänge des Fahrgestells loslassen müssen, war in die Tiefe gestürzt …

Mafaldas Opfer …

Und neben ihm kniete Hartwich, erhob sich nun wieder.

„Leuchte mal, Viktor … Hier ist eine Brieftasche … mit Papieren und Zeitungsausschnitten …“

„Die können wir später prüfen … Ich habe die Sphinx in den Kronen der uralten Eichen drüben bei den Ruinen der einstigen Ansiedlung verankert.“

Dr. Falz erwiderte, man dürfe sich jetzt doch wieder sicher fühlen. Der Fremde habe hier mit dem Tiger allein gehaust, und es sei vielleicht ratsam, die Papiere sofort durchzusehen …

„Agnes wird sich meinetwegen ängstigen, Herr Doktor …,“ erklärte Gaupenberg darauf. „Am besten ist’s, ich kehre mit Ellen zur Sphinx zurück … Wenn Agnes weiß, wie die Dinge jetzt liegen, wird sie mich ohne Sorge wieder gehen lassen … Ich bringe dann gleich Werkzeuge mit – Spaten und Hacken … Wir müssen den Toten doch bestatten …“

Gaupenberg und Ellen Hartwich schritten davon, beide schweigsam jeder den eigenen Gedanken nachhängend …

Bis Ellen dann leise sagte:

„Unsere Heimkehr nach dem Stammsitz Ihrer Väter hat leider durch dieses seltsame Erlebnis hier eine böse Trübung erfahren, lieber Viktor … Wenn nur nicht immer wieder der Weg zu unserem idealen Ziel durch Menschenblut gekennzeichnet würde! Mir … graut zuweilen vor dem, was wir erlebt haben … Ich wünschte, wir hätten den Schatz bereits denen übergeben, die ihn dann endgültig zum Wohle des deutschen Volkes verwenden sollen …“

„Oh – weiß Gott, Ellen, ich wünsche dasselbe auch!“ rief Viktor Gaupenberg … „Ich wünsche dies um so mehr, als wir … von Verrat umlauert sind – auch auf der Sphinx!! – Wer hat Mafalda und Lomatz befreit, Ellen …?! Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht? Es können nur Fürst Sarratow oder Inge Söörgaard gewesen sein!! Ich habe mir die Tür der Kammer Mafaldas genau angesehen … Gewiß – scheinbar hat Mafalda von innen gewaltsam geöffnet … Aber die Beschädigungen sind so gering, daß jeder auf denselben Verdacht kommen wird wie ich. Da Fürst Sarratow sich von seinem Krankenlager nicht erheben kann, muß Inge Söörgaard, so unbegreiflich das auch erscheint, die Riegel der Tür zurückgeschoben haben!“

Ellen war jäh stehen geblieben …

„Inge! – Niemals glaube ich das, Viktor …!! Inge, dieses liebe scheue Mädchen mit den reinen Augen – – niemals!“

Gaupenberg erwiderte ernst:

„Genau so hat Agnes gesprochen – genau so …! Dann aber sah sie sich gleichfalls die Tür an … Und nun – – Sie werden ja hören, wie sie denkt, Ellen!! Und Agnes urteilt doch wahrlich nicht vorschnell!“

„Allerdings nicht …“ –

Ellen schritt weiter …

Und fragte zagend:

„Ja – aber wie mag Inge denn auf den Gedanken gekommen sein, uns derart all das, was wir an ihr getan, mit Undank zu lohnen?!“

Gaupenberg lachte ärgerlich auf …

„Liebe, Ellen …!! Liebe!! – Inge liebt den Fürsten. Inge wollte eben Mafalda von Bord unseres Luftbootes entfernen!! Vielleicht fürchtete sie – sehr überflüssigerweise! – eine Aussöhnung zwischen den Ehegatten … – Wer kennt sich in einem Weiberherzen aus?! Ihr Frauen seid nun einmal unberechenbare Geschöpfe … Liebe und Leidenschaft hat schon viele straucheln lassen …!“

„Haben Sie denn mit Inge bereits gesprochen, Viktor?“

„Nein – nein …! Sie schläft, jetzt – anscheinend! Und meine Agnes wacht an Deck der Sphinx … – Dort sind die Ruinen bereits… Dort zwischen den Eichen hängt die Strickleiter herab … – Klettern Sie voran, Ellen … Ich halte die Leinen straff …“

Hoch oben aus den nebelumhüllten Baumkronen da Agnes Gaupenbergs Stimme:

„Hallo, Viktor …!! Seid ihr’s?!“

„Wir sind’s …!! Wir kommen an Bord …!“

Und oben an Deck starrte die liebliche Gräfin Gaupenberg aufs neu nach dem hellen Feuerschein hinüber, der dort drüben wie ein roter leuchtender Dunst aus den grauen Nebelmassen emporquoll …

Sie ahnte noch nichts von dem Toten, von dem Mann mit dem Tiger …

Sie hatte nur die Schüsse und das Propellergeräusch gehört … Aber eins schien ihr nach alledem gewiß, daß das Schicksal den Sphinxleuten auch hier keine Atempause gönnen würde, daß der Kampf vielleicht noch erbitterter als bisher fortgesetzt werden würde, dieser Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen selbstlosem Wollen und schrankenloser brutaler Habgier!

Dann – stand Ellen neben ihr …

Die beiden Freundinnen umarmten sich stumm …

Sie empfanden in diesem Augenblick genau dasselbe, ungewisse Angst um das, was ihren Herzen am teuersten, um die Männer, die … der Goldschatz der Azoren ihnen beschert hatte und die derselbe Milliardenschatz ihnen vielleicht wieder rauben würde … –

 

4. Kapitel.

Das Ohr des Tigers.

Inge Söörgaard saß zusammengekauert in dem Sessel neben Iwan Alexander Sarratows Krankenlager, schien zu schlafen …

Schien …

Ihre Augen brannten – ohne Tränen … Ihre Hirn lohte unter wilden Selbstvorwürfen …

Vorhin hatte Graf Gaupenberg flüchtig in die Kabine hineingeschaut und war dann wieder gegangen …

Vorhin – als die Sphinx hier zwischen den Baumkronen verankert worden war …

Und jetzt pochten die Zweige der alten Eichen von außen wie knöcherne Geisterfinger gegen die Aluminiumhaut der Sphinx …

Immerfort …

Ein Pochen, wie ein ernstes Mahnen – unausgesetzt: ‚Inge, Inge, – – gestehe deine Schuld ein …!!’

Geisterfinger …!!

Und Inge öffnete die Augen …

Schaute den schlafenden Geliebten an … Milder Lichtschein der kleinen Lampe traf das blasse schmale Gesicht …

Inge hielt die Hände im Schoße gefaltet …

Wenn Alexander jetzt erwachen würde …!! Und – wenn sie ihm dann alles mitteilen könnte … Er würde sie verstehen, würde … alles entschuldigen und verzeihen …! Aus Liebe war sie ja zur Verräterin geworden, aus reiner übergroßer Liebe zu ihm, der noch immer glaubte, für alle Zeit an Mafalda gekettet zu sein …!

Und – war doch frei …! War niemals Mafaldas rechtmäßiger Gatte gewesen!

Hier in ihrer Tasche raschelten ja die Papiere, die gefälschten Papiere, die Beweise für die Nichtigkeit einer vorschnell geschlossenen Ehe …!! Die Papiere – – der Lohn für Mafaldas Freiheit …

Judaslohn …!! –

Oh – wenn Alexander nur erwachen wollte …! Inge hielt es ja kaum mehr aus vor bangen Zweifeln.

Konnte es denn wirklich geschehen, daß Alexander vielleicht doch anders über dieses ihr Tun urteilen würde als sie es erhoffte?!

Nein – nein, das war unmöglich! Das war vollkommen ausgeschlossen …

Liebe – Liebe hatte ihr den Sinn verblendet …

Liebe kennt aber auch Nachsicht und gütiges Verstehen …! –

Da – – regte der Fürst sich …

Seine Augenlider zitterten …

Öffneten sich …

Sein Blick glitt umher … Der Kopf drehte sich ein wenig …

„Inge!!“ flüsterte er zärtlich …

Sie war schon vor seinem Bett in die Knie gesunken.

Spürte seine Hand auf ihren blonden Flechten …

Erschauerte … Horchte auf …

Er flüsterte – und in seiner Stimme war tiefste Innigkeit:

„Du hast mir also verziehen, du Liebes? Verziehen, daß ich dir verschwieg, was einst vor Jahren …“

„Still!!“

Und sie preßte den Kopf in die Kissen …

„Still, – du … beschämst mich … Was gilt deine Schuld gegen die meine?!“ Sie schrie es heraus in namenloser Qual, hatte jäh wieder den Kopf gehoben und starrte den Geliebten an …

„Inge – was hast du?!“ fragte Sarratow ungläubig, bestürzt …

Sie wollte sprechen …

Doch nichts als Tränen … Tränen rannen über ihre Wangen …

Und abermals wühlte sie den Kopf in die Kissen.

Dann ein neuer Versuch, diese Qual schnell zu beenden …

Wieder schaute sie den Fürsten an …

„Ich … habe … Mafalda zur Flucht verholfen!“ stieß ich hervor …

Und jetzt, wo das Schlimmste gesagt, wo der Damm banger Angst geborsten, – jetzt brachen die Fluten eines erschütternden Geständnisses über den Fürsten herein …

Ruckartig richtete Iwan Alexander Sarratow sich auf.

Ohne Inges Antlitz auch nur eine Sekunde von seinen prüfenden, ungläubigen Augen zu befreien …

Bis sie erschöpft schwieg …

„Zeige mir die Papiere, Inge …,“ meinte er seltsam gepreßt … Seine Stirn lag in düsteren Falten … Um den Mund lauerte ein harter, unbeugsamer Zug.

Inge Söörgaard beobachtete aus tränenumflorten Augen jede Veränderung in seinem Gesicht … Sie gab bereits alles verloren, fürchtete, daß sie umsonst auf Nachsicht und Verständnis gehofft hatte …

Eine starre Ruhe überlief sie …

Langsam erhob sie sich … nahm die drei Papiere aus der Tasche ihres derben Sportrockes, der ihr bereits droben im Norden auf ihres Bruders Robbenfangschiff gute Dienste geleistet hatte …

„Bitte …!“ Und sie reichte ihm den Preis des Verrats …

Hastig faltete er die Legitimationen auseinander …

„Näher her mit der Lampe!“ rief er in verbissener Wut …

Inges Hand bebte … Er merkte es nicht … Er hielt die Papiere gegen das Licht …

„Lügnerin!!“ stieß er dann hervor … „Die Papiere sind echt …!! Ich wußte es!“

Inge Söörgaard bezog die Beschimpfung auf sich selbst …

Ein weher Schrei entfuhr ihren Lippen …

Da erst begriff Fürst Sarratow …

Die unseligen zerknitterten Papiere flatterten zu Boden …

Inge hatte das Lämpchen schnell auf den Tisch zurückgestellt …

Eilte zur Tür …

„Inge …!!“ Und jetzt klang seine Stimme wie das selige Läuten zarter Friedensglocken … Jetzt klang Liebe und Güte durch dies eine Wort …

„Inge …!!“

Beide Hände streckte er ihr entgegen …

„Inge, glaubtest du etwa, daß dir dieses ‚Lügnerin!’ galt …?! Glaubtest du wirklich, ich könnte mich so wenig hineindenken in deinen Seelenzustand?!“

Dann saß sie auf dem Bettrand … Und zwei Menschen hielten sich umschlungen … Zwei, die doch zueinander gehörten, die jetzt erst so recht fühlten, wie stark und groß ihre Lieber war …

Inge weinte leiser …

Er küßte sie, küßte ihr die Tränen fort, streichelte das helle Blondhaar …

„Du – du, mein Liebling …,“ sagte er weich … „Wie konntest du nur annehmen, daß gerade ich dir ein unerbittlicher Richter sein würde?!“

Und als sie ruhiger geworden, sprach er eindringlich auf sie ein …

Sie nickte zu allem …

Ja – dasselbe Geständnis würde sie Gaupenberg gegenüber wiederholen … Dann erst würde sie sich ganz frei fühlen …

Dann erst …!! –

Ein letzter langer Kuß, und Inge Söörgaard verließ die Kabine …

Stieg zur Turmluke empor, kam an Deck …

Keine Nebelschleier hüllten die Sphinx und die leise rauschenden Eichenkronen mehr ein …

Drei Gestalten dort drüben …

Zögernd schritt Inge auf sie zu …

Gaupenberg, Agnes und Ellen Hartwich schauten ihr entgegen …

Inge machte vor ihnen halt …

Ihre Worte überstürzten sich … Nichts beschönigte sie … Schilderte ganz schlicht, wie sie auf den Gedanken gekommen war, Mafalda aufzusuchen, wie dann all das übrige sich entwickelt hatte: der Verrat, ihr Schwur und schließlich das letzte – Mafaldas und Lomatz’ Flucht …!

Leiser wurde ihre Stimme, als sie nun mit flehender Gebärde hinzufügte:

„Fürst Sarratow … hat mir verziehen … Mafalda belog mich! Die Papiere sind nicht gefälscht, und des Fürsten Ehe besteht zu Recht …! – Herr Graf, seien auch Sie mir ein milder Richter!“

Bevor Gaupenberg noch antworten konnte, hatte Agnes das blonde Mädchen schon umschlungen …

„Wer je geliebt und um Liebe gelitten, wird Ihnen verzeihen, Inge …!“

Und sie küßte Inge auf die Wange, wandte sich dem Gatten zu …

„Viktor, ich kenne dich …! Und du – – kennst Mafalda!!“

Gaupenberg sagte herzlich:

„Fräulein Söörgaard, meine Agnes trifft stets das Richtige. Wer je geliebt und um Liebe gelitten, der kann hier nur eins, vergeben und vergessen! – Quälen Sie sich jetzt nicht mehr mit Selbstvorwürfen …! Nie wieder soll diese Angelegenheit irgendwie erwähnt werden! Hier meine Hand, Fräulein Söörgaard … Auf gute dauernde Kameradschaft!“

Inge schluchzte …

Und auch Ellen Hartwich fand nun ein paar herzliche Worte für sie …

Dann ließ Gaupenberg die drei Frauen allein … Holte Hacke, Spaten und eine Laterne und kehrte nach dem Heidestreifen zu dem Toten und den beiden Freunden zurück.

Hartwich rief ihm schon von weitem entgegen:

„Viktor, wir kennen jetzt das Geheimnis dieses Mannes mit dem Tiger … Er war Dompteur und heißt Marcell Maxwell, ein geborener Wiener … Zuletzt beim Zirkus Sarrasani in Dresden beschäftigt … Und aus den Zeitungsausschnitten dürfte weiter hervorgehen, daß dieser Maxwell zusammen mit einem Zirkusklown namens Orlando den berühmten Diamant ‚Peter’ gestohlen hat, jenen Edelstein, den Zar Peter I. von Rußland dem Kurfürsten von Sachsen einst schenkte … Offenbar sind dann Maxwell und Orlando hierher geflüchtet … Unbegreiflich ist nur, weshalb sie den Tiger mit in diese Sumpfwildnis geschleppt haben …“

Und Dr. Falz erklärte seinerseits:

„Wir haben die Kleider Maxwells aufs genaueste durchsucht … Er hatte den Edelstein nicht bei sich … – – Auch mir bleibt es vollkommen unklar, weshalb der Tierbändiger gerade einen Tiger hierher gebracht hat.“

„… Mit dem nun Mafalda und Lomatz irgendwohin unterwegs sind …,“ fügte Graf Gaupenberg kopfschüttelnd hinzu …

„Wenn sie nur beide bei der Landung das Genick brechen möchten!“ brummte Hartwich …

Gaupenberg dachte an Inges Geständnis … Erzählte, was soeben an Deck der Sphinx sich ereignet hatte …

Und Dr. Falz meinte da: „Bravo, lieber Graf! Vergeben und vergessen!! Ich hätte nicht anders gehandelt … Das arme Mädchen ist ohnedies genug zu bedauern …“

Dann begannen sie die traurige Arbeit, gruben ein Loch in den Heideboden …

Hartwich lief zur Sphinx und holte ein Stück Segelleinen … Das wurde Marcell Maxwells Leichentuch …

Erdschollen deckten den starren Körper. Ein Hügel wölbte sich über dem einsamen Grab. Dr. Falz belegte es mit ausgestochenen Platten Heidekraut, Gaupenberg sprach ein Vaterunser …

Dann gingen die Männer hinüber zu den Ruinen der früheren Ansiedlung, zu den Eichen … Berieten unterwegs … Beschlossen, den Tag hier abzuwarten und nach Maxwells Begleiter, Orlando, zu suchen … Vorläufig durften sie sich hier sicher fühlen, denn Mafalda und Lomatz waren ohne jede Geldmittel und daher zunächst ungefährlich …

Müde waren die drei …

Kamen an Bord und begaben sich zur Ruhe, nachdem Hartwich die Strickleiter eingezogen und den Deckel der Turmluke von innen verschlossen hatte …

Hier in den Kronen der Eichen konnte niemand der Sphinx und ihren Insassen etwas anhaben … – –

* * *

Der Eindecker flog hoch am nächtlichen Himmel gen Norden …

Edgar Lomatz hatte bereits mit Mafalda alles nötige besprochen. Man wollte irgendwo in der Nähe von Berlin an einsamer Stelle landen. Nur dort hoffen die beiden Verbündeten sich irgendwie Geld verschaffen zu können … Nur dort hatten sie einige Bekannte von früher her … Nur Berlin war für Hochstapler ihres Schlages der geeignete Boden … –

Mafalda stand in der Gondelkabine neben dem betäubten und gefesselten prachtvollen Tiger … Schaute die Bestie mit stiller Bewunderung an …

Vorhin hatte Lomatz der Fürstin den Vorschlag gemacht, den Tiger einfach aus der Gondel in die Tiefe zu werfen – als unnützen gefährlichen Ballast …

„Ich töte nichts, was meinen Namen trägt,“ hatte Mafalda abgelehnt …

Tigerin Mafalda!! – So hatte man die schöne Fürstin einst in Berliner Gesellschaftskreisen genannt … Einst!!

Und nun stand die Abenteurerin und freute sich am Ebenmaß der kraftvollen Glieder dieses stolzen Dschungelbewohners …

Bückte sich plötzlich …

Der Tiger hatte dort am rechten Ohr eine große wunde Stelle … Ekelhafte Fliegen hatten ihre Klümpchen gelbweißer Eier auf die zerschundene Haut gelegt.

Die Fürstin holte Wasser herbei, wusch die Wunde.

Und die Bestie blieb reglos …

Mit einem Male stutzte das Weib … Hatte gerade das Ohr des Tigers in den Fingern, hatte es zur Seite gedrückt …

Ein Stückchen Leinwand – nur ein paar Fäden, ragten aus dem Ohr hervor …

Mafalda zog daran …

Zog stärker …

Und – etwas wie ein Leinwandsäckchen kam zum Vorschein …

Die Fürstin befühlte es …

Riß es auf …

Watte …

Und in der Watte ein Diamant von Taubeneigröße.

Ein wasserklarer Edelstein …

Strahlenbündel lockte das Licht der Gondellampe aus dem Diamanten hervor …

Die Fürstin lächelte … und streichelte den Kopf der Bestie …

‚Also deshalb hat dein Herr dich mit ins Heiße Moor genommen – als Versteck für den Edelstein, den er fraglos irgendwo gestohlen hatte … Und du, arme Kreatur hast den Fremdkörper aus dem Ohr entfernen wollen, hast dich wund gekratzt!

Mafalda kamen diese Gedanken wirklich aus dem Herzen. Sie liebte Tiere – auf ihre Art …

Tiere – zum Beispiel bissige Bulldoggen mit tückischen Augen und breitem Brustkasten … Oder Katzen, die niemand zu streicheln wagte, weil sie stets hinterlistig mit den haarscharfen Krallen zuschlugen …

Oder auch Bestien im Zoologischen Garten, die erst frisch gefangen waren und in denen noch die ganze Wildheit der früheren schrankenlosen Freiheit pulsierte … Solche Tiere scheuchte sie durch den stechenden Blick ihrer schwarzen Augen in die fernsten Käfigwinkel.

Sie liebte daher auch diesen Tiger, der sie so reich beschenkt und ihr die Sorgen um die Beschaffung elenden Geldes genommen … –

Einen prüfenden Blick warf sie auf Lomatz …

Der saß mit dem Rücken nach ihr hin auf dem Drehsitz des Steuers …

Und der Edelstein verschwand in der Fürstin Rocktasche … Das Leinensäckchen und die Watte schleuderte sie durch das Fenster in die Nacht hinaus.

Längst hatte das Flugzeug das Bergland, in dem die alte stolze Gaupenburg sich erhob, und das gewaltige Hochmoor hinter sich …

Mafalda trat neben ihren Verbündeten …

„Wo mögen wir sein, Freund Lomatz?“

„Ich schätze an der Südgrenze des Spreewaldes … Innerhalb einer Stunde können wir landen … Ich kenne da in den weiten Wäldern um Potsdam herum manche stille Waldlichtung. Wenn wir bei Tagesanbruch niedergehen, wird uns niemand beobachten …“

„Ja – und dann fahre ich mit der Bahn nach Berlin und besorge dort Geld und kaufe alles nötige ein … Du bewachst den Eindecker und den Tiger …“

„Oho – – besorge Geld …!! Das klingt ja fast, als brauchtest du nur zur Deutschen Bank zu gehen und ein Darlehen aufzunehmen …!“ Er lachte ironisch.

„Vielleicht wird’s auch wirklich keine größeren Schwierigkeiten machen … Ich habe einen guten Bekannten in der alten Jakobstraße, Freund Lomatz …“

„Und – der wird dir auf dein holdes Antlitz hin Geld vorschießen – solche Summen, wie wir sie brauchen?!“

„Gewiß … Denn ich werde ihm den Mund gehörig wässerig machen – auf den Azorenschatz, mein Lieber! Der Mann hat schon andere Spekulationen gewagt …“

„Hm – ob es ratsam ist, einen Fremden in derartige Pläne einzuweihen?!“

„Weshalb nicht …?! Der alte Jekowzer schweigt.“

„Ach – Benjamin Jekowzer …!! Der also!! Grüße ihn von mir … Auch ich stand mal in Geschäftsverbindung mit ihm …“

„Dann weißt du ja, was man von ihm zu halten hat …“

„Allerdings …! Der schlaueste Hehler von ganz Berlin! Nie zu fassen! Ein Ehrenmann nach außen hin, Vorsitzender in zahllosen Vereinen, Ehrenmitglied von so und so vielen Wohltätigkeitklubs … – Oh – – ein Gentleman …!“

„Na also …!!“ – –

Morgens acht Uhr …

Berlin … Alte Jakobstraße …

Verräucherte Häuser, Laden an Laden … Hinter armselig ausschauenden Fenstern jonglierte man mit Millionen …

Und mitten zwischen diesen Geschäftslokalen, die so jämmerlich aussahen, als ob dort die Pleite überall auf den ausgetretenen Schwellen hocke, ein schmales blitzsauberes Haus, ein Uhrmacherladen im Erdgeschoß…

Am breiten Schaufenster in Goldbuchstaben schlicht und bieder:

Benjamin Jekowzer
Uhrmacher

Nichts weiter …

Von der Straße aus sah man Jekowzers kahlen Schädel über den Arbeitstisch gebeugt, im rechten Auge eine Lupe, in den Händen winzige Instrumente …

Man sah auch seinen weißen Arbeitsmantel, eine rotblaue Stupsnase und einen blonden Spitzbart …

Vor fünf Minuten erst war Benjamin Jekowzer im eigenen Auto aus seiner Villa am Wannsee hier eingetroffen – wie täglich …

Weiß Gott, er hätte es nicht mehr nötig gehabt, auch nur einen Finger zu rühren … Und tat es trotzdem … Er war einer von denen, die nie genug bekommen …

Mafalda Sarratow öffnete die Ladentür, trat ein.

„Morgen, Jekowzer …“

Der stand und starrte …

Verbeugte sich dann steif …

„Guten Morgen, Durchlaucht …“

Sein kluger Blick überflog Mafaldas Erscheinung.

Die Fürstin sah geradezu heruntergekommen aus … Nur – das Gesicht – – oh, das war das Gesicht von früher – – die schöne Fürstin Sarratow …!

Aber Benjamin Jekowzer hatte in den Zeitungen in letzter Zeit allzuviel über diese Abenteurerin gelesen, und Personen, über die man spricht, hielt er sich vom Leibe.

Mafalda fühlte sehr wohl diese kühle Ablehnung …

Und setzte sich auf einen der Schemel an den Verkaustisch …

„Bitte …!“ legte den Edelstein auf die Glasplatte.

Jekowzer warf nur einen einzigen Luxblick auf das Kleinod … Erkannte es sofort …

Schüttelte den Kopf …

„Bedauere, Durchlaucht … Die Kriminalpolizei sucht den Peter seit acht Wochen …“

„Peter?!“

Er merkte, daß sie nicht heuchelte …

„Der Stein stammt aus dem Grünen Gewölbe in Dresden und heißt Peter, ist das kostbarste, was Europa in der Art aufzuweisen hat …“

„Ah …!! – Ich fand ihn im Ohr eines Tigers.“

Jeder andere hätte ungläubig gelächelt … Jekowzer war sofort im Bilde. Er wußte, daß Marcel Maxwell und Orlando nicht nur den Peter, sondern auch einen Tiger und einen Eindecker gestohlen hatten …

„Wenn Durchlaucht erzählen wollen …,“ bat er höflich …

Mafalda begann – der Wahrheit gemäß! Erwähnte die mit Gold und Juwelen vollgepfropfte Sphinx …

„Ich brauche eine Million,“ schloß sie … „Und würde einen Schuldschein über fünfzig Millionen ausstellen …“

Jekowzer streichelte seinen blonden gefärbten Spitzbart …

In seinem Innern war Kampf … in seinem Gesicht nichts als ein grüblerischer Zug.

Mafalda wartete …

Geduldig …

Sie wußte, was geschehen würde …

Jekowzer holte tief Atem …

Nahm den Edelstein …

„Bitte – dort in mein Privatkontor …“

Und hier in dem engen Stübchen wurde der Handel perfekt … Hier wurde die Angelegenheit ‚Sphinx’ mit aller Nüchternheit besprochen … mit Jekowzerscher Gründlichkeit …

„Wie denken sich Durchlaucht die Sache?“ fragte der ehrbare Uhrmacher.

„Ich brauche zwölf Leute, die mit mir durch dick und dünn gehen …“

„Werden abends bereits sein …“

„Ich brauche ferner ein großes Passagierflugzeug mit einem Piloten, der genauso zuverlässig sein müßte …“

„Um sieben Uhr abends steht es im Flughafen Tempelhofer Feld bereit …“

„Die Leute müssen bewaffnet sein …“

„Selbstverständlich, Durchlaucht …“

„Dann muß ich sofort etwa fünfzigtausend Mark erhalten, den Rest abends, damit ich die Männer bezahlen kann …“

Jekowzer schrieb einen Scheck über fünfzigtausend … „Ich werde die Bank verständigen … Durchlaucht werden keine Schwierigkeiten haben …“

„Danke … Noch eine Frage?“

„Ja, Durchlaucht … Gesetzt den Fall, der Anschlag gelingt … Dann können Durchlaucht und Lomatz mit der Sphinx davonfliegen, und ich hätte das Nachsehen.“

„Begleiten Sie uns …!“

„Niemals – niemals! Bedenken Sie meinen guten Ruf, Durchlaucht! Aber – ich werde einen Vertrauensmann mitschicken, Durchlaucht … Ja – das ist am … sichersten … Einen Mann, der wie ich ein doppeltes Gesicht hat … Durchlaucht werden ihn ja kennen lernen … Jetzt aber – verzeihen Sie – muß ich allerlei erledigen …“

„Ich störe nicht weiter …“ Sie reichte ihm die Hand … „Auf Wiedersehen … Und falls nicht, meinen Dank, Jekowzer …“

Er küßte ihr galant die Hand – ganz Gentleman …

Kaum war dann Durchlaucht verschwunden, als Benjamin Jekowzer zu telefonieren begann …

Eine Männerstimme meldete sich …

„Guten Morgen, Baron … Sie liegen noch im Bett … Entschuldigen Sie die Störung … Vielleicht könnten Sie in einer Stunde bei mir sein … Es lohnt …“ –

Baron Werner von Gußlar betrat punkt neun Uhr den Laden …

Baron Gußlar war enteigneter kurländischer Edelmann … Enteignet und entgleist. Von seinem Doppelleben jedoch ahnte niemand etwas …

Er war im übrigen ein mit peinlicher Unauffälligkeit gekleideter schlanker Herr Mitte der dreißig … Ein bartloses hageres Gesicht mit Hakennase, messerscharf, und einem Zug unendlichen Hochmuts um den Mund …

Gußlar saß auf einem der Hocker am Verkaustisch und hörte scheinbar gelangweilt zu …

Schaute seine schmalen Hände an, die genau so viel Rasse verrieten wie seine ganze Erscheinung …

Als Jekowzer dann mit seinem interessanten Vortrag zu Ende war, nickte der Baron nur …

„Stimmt – es lohnt …! – Also zehn Millionen für mich … – Abgemacht … Ich besorge alles … Ein großer Doppeldecker dürfte gegen hunderttausend Mark kosten … Nun – hundertzwanzigtausend genügen … So viel habe ich gerade auf der Bank … – Auf Wiedersehen denn, lieber Jekowzer … Lassen Sie mich hinten hinaus …“

Aus Jekowzers Privatkontor führte eine Tür in den Hausflur. Das Haus war das Uhrmacher Eigentum. Im ersten Stock wohnte ein älterer Schriftsteller namens Ferdinand Mannichen …

Hier bei Mannichen schloß Gußlar die Wohnungstür auf und war … daheim in seinem zweiten Bau …

War noch nicht Ferdinand Mannichen, wurde es aber sehr bald …

Vor dem Spiegel im bescheidenen Schlafzimmer prüfte er seine Maske – die eines ärmlichen alten Herrn mit Goldbrille …

Und um zehn Uhr war Ferdinand Mannichen in einem Bankgeschäft und erhob hundertzwanzigtausend Mark … Die Angestellten behandelten ihn mit ausgesuchter Höflichkeit …

Und Mannichen lenkte seine Schritte weiter zum Zentrum Berlins – zur Friedrichstraße, wo in einer Mansardenwohnung an der Ecke der Französischen Straße ein Graveur namens Hubert Geller hauste …

Geller existierte nicht … Gellers Wohnung war lediglich Gußlars dritter Fuchsbau …

Der Graveur Geller – rotbärtig, bucklig, begab sich in das Café ‚Ohio’ am Halleschen Tor, wo stets die Blüte der vornehmen Gauner der Weltstadt anzutreffen war, wo der Türhüter außen sofort auf eine bestimmte Steinplatte des mit Fliesen ausgelegten Eingangs trat, wo innen am Büfett dann ein Knall ertönte, als ob ein Sektkork in die Luft ging – ein Warnsignal!

Aber die Kriminalpolizei kam selten in dieses Lokal. Wer im ‚Ohio’verkehrte, hatte nichts auf dem Kerbholz oder war sich seiner Sache sicher …

Auch biedere Bürger gingen dort ein und aus … Es war ein Café mit dem äußeren Anstrich höchster Wohlanständigkeit …

Hubert Geller, Stammgast, ging in das Billardzimmer … Sechs Kavaliere handhabten hier mit Geschick die Billardstöcke …

Kavaliere, die jedem Salon zur Zierde dienen würden: ein früherer Rechtsanwalt, zwei frühere kaiserlich russische Rittmeister, ein gewesener Arzt und zwei Herren von echtem Adel …

Sechs Leute, die alle schon ‚gesessen’ hatten, aber nie mehr ‚sitzen’ würden … Dazu waren sie mittlerweile zu schlau geworden …

„Ah – Geller!!“

Man begrüßte ihn mit lautem Hallo … stellte sich in eine Ecke …

„Kinder – ich brauche zwölf Mann zu einer Filmaufnahme – für eine Woche etwa,“ begann der Graveur …

Die Gesichter der Herren wurden ernst …

„Pro Tag tausend Mark im voraus …“

Nun leuchteten die Gesichter auf … und diese Gesichter waren intelligent und energisch.

„Jeder muß einen Browning mitbringen … – Ihr besorgt wohl das noch fehlende halbe Dutzend … Hier sind zwölftausend Mark … Anzahlung … Abends sieben Uhr müßt ihr vor dem Flughafen Tempelhofer Feld euch einfinden – ohne Gepäck, nur Mäntel und Masken … Der Rest des Geldes wird während der Fahrt bezahlt … Ziel und Zweck bleibt bis zuletzt geheim. Falls einer nicht mitmachen will, sage er es gleich …“

Jeder wollte mitmachen …

Man spielte wieder Billard … Die Sache war erledigt … Diese Herren liebten keine unnötigen Fragen …

Der Graveur Geller aber fuhr hinaus nach Niederschöneweide – zu den Borner Fabriken …

Nannte einen anderen Namen, sprach von einer diskreten Filmaufnahme und kaufte einen großen Borner Doppeldecker …

Fragte nach einem gewandten Piloten … Stellte auf seine Weise fest, daß die Borner-Werke einen Mann vor drei Tagen wegen kleiner Unredlichkeiten entlassen hatten …

Und diesen Mann besuchte er nachher …

Um drei Uhr nachmittags war alles erledigt …

Um sieben Uhr würde der Doppeldecker mit den zwölf Kavalieren, mit Lomatz und Graveur Geller aufsteigen und dann die Fürstin von einer vorher vereinbarten Stelle abholen – die Fürstin und den Tiger …

Und um Mitternacht bereits würde man über der Insel im Heißen Moor schweben …

Wenn alles klappte, würde der Baron von Gußlar morgen zehn Millionen besitzen und das Stammgut seiner Väter in Kurland zurückkaufen können…

 

5. Kapitel.

Des Fliegenden Holländers Ende …

Wieder einmal waren nun also die Sphinxleute getrennt worden, und diesmal vielleicht unter noch merkwürdigeren Umständen als bisher …

Neun von ihnen befanden sich in der Gewalt des geheimnisvollen Fliegenden Holländers auf der Faluhn – Klippe, während auf dem Luftboot nur die beiden Ehepaare Gaupenberg und Hartwich sowie Dr. Falz zurückgeblieben waren, außerdem noch Fürst Iwan Alexander Sarratow und Inge Söörgaard … –

Eilen wir also nochmals über Meere und Länder hinauf zu den Grenzen des Eismeeres, wo der Faluhn-Klippe düstere Gestade den einsamen Ozean überragen, wo die nimmermüden Wogen in ewigem Spiel ihren Gischt emporschleudern zu zackigen grauschwarzen Felsmassen …

Im stillen unterirdischen See ankerte der Zweimaster des Fliegenden Holländers …

In der Grotte brannten ein paar große Karbidlaternen und warfen ihren grellen Schein auf das altertümliche Fahrzeug, auf die hohen Aufbauten und die blinkenden Fenster der Kajüten …

Und in einer dieser Kajüten saßen acht von den Gefangenen um den runden Tisch in der Mitte des Raumes … Einer fehlte: Gerhard Nielsen! – Der weilte gerade drüben am Heck in der Kapitänskajüte … Er wollte mit dem rätselhaften Manne, den man mit einigem Recht für den Grafen Ortwin Montgelar hielt, sich durch freundschaftliche Aussprache auseinandersetzen …

Die acht hier um den Tisch herum harrten der Rückkehr des Gefährten mit wachsender Spannung …

Gottlieb Knorz, wie immer seinen Teckel auf dem Schoß, meinte achselzuckend:

„Weshalb schweigen wir eigentlich, als ob wir uns in einer Kirche befänden?! – Freund Pasqual, erzähle etwas …! Dann vergeht uns die Zeit schneller.“

Pasqual Oretto schaute durch das Fenster hinaus … Er konnte die zwölf Särge drüben an der Grottenwand genau erkennen …

Langsam wandte er den verwitterten Kopf …

„Erzählen soll ich?! – Nein, in dieser Stunde würde mir nichts Rechtes einfallen … Aber ein Rätsel will ich euch aufgeben, Freunde … Wer es löst, dem verspreche ich diesen alten Dolch, den ich zum Andenken an das Erlebnis hier zu mir gesteckt habe – den Dolch aus dem ersten der zwölf Särge …“

Er legte die kunstvoll gearbeitete Waffe auf die Tischplatte …

Und fragte:

„Wer kann mir eine einleuchtende Erklärung dafür geben, wie dieser Zweimaster hier auf den unterirdischen See geraten ist? – Dieses Problem, Freunde, beschäftigt mein Hirn schon seit einiger Zeit … Denn der See hier hat keine sichtbare Verbindung mit dem Meere … Und wenn’s eine unterirdische Verbindung gäbe, etwa in Form eines natürlichen Kanals, dann bliebe die weitere Frage zu beantworten, ob dieser Zweimaster denn ein U-Boot ist?!“

„Ausgeschlossen!“ rief Tom Booder sofort …

„Nun – schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort!“ sagte Pasqual ernst. „Bitte, Mr. Booder, wenn nicht U-Boot, – wie kann das Schiff hierher gelangt sein?! Die Steintür drüben läßt nicht einmal ein schmalles Boot hindurch, geschweige denn diesen Zweimaster … Außerdem, wäre die Tür breit genug, so müßte das Schiff über die Felsen bis zu jenem Eingang … geflogen sein! – Also … wer mag sich den Dolch verdienen?! Wer erklärt mir dies Unfaßbare?“

Der Herzog von Dalaargen, der dicht neben Mela Falz saß und deren Hände in den seinen hielt, meinte halb scherzend:

„Es gibt eben zwei völlig gleiche Schiffe …! Das eine befährt draußen das Meer als Fliegender Holländer und weckt so alte Seemannssagen … Das zweite wurde hier in der Grotte erbaut und hier auf dem See als Wohnschiff verankert. – Zufrieden, lieber Pasqual?!“

„Nun – so ganz von der Hand zu weisen wäre Ihr Einfall nicht, Herr Herzog …,“ erwiderte der Portugiese und blickte fragend nach dem Homgori hinüber, der plötzlich aufgestanden war …

„Was gibt’s, Murat?“ fügte er hinzu …

Der kluge Tiermensch deutete auf den Tisch, auf die wenigen Möbel der Kajüte und dann auf den Fußboden …

Da erst wurden die anderen aufmerksam. Die Dielen waren durchlöchert! Löcher von Bleistiftstärke waren es nur, aber dicht an dicht, wie einem Riesensieb!

Und die Möbel, – jedes Stück trug denselben braunen dicken Firnißanstrich, der jedoch stellenweise merkwürdig weißlich schillerte, auch die Tischplatte …

Dann fuhr der Homgori, was er soeben schon einmal getan, mit dem angefeuchtetem Zeigefinger über eine dieser wie von kristallisierten feinen Ablagerungen glänzenden Stellen der Tischplatte hin und führte die Fingerspitze wieder zum Munde, sagte in seinen tiefen Kehllauten:

„Salz!“

Und Pasqual Oretto ergänzte:

„Salzwasser des Ozeans, das hier getrocknet ist und Rückstände hinterlassen hat! Mithin … taucht dieses Schiff tatsächlich unter die Oberfläche des Meeres – wie ein U-Boot …! Und damit das Wasser abfließen kann, ist der Fußboden durchlöchert …“

Die anderen schwiegen betroffen, da ihnen diese Beobachtung entgangen war … Und niemand fand auch mehr Zeit, eine Bemerkung zu machen …

Die Tür flog auf … Nielsen trat ein …

Sein Gesicht war finster und verschlossen …

Unmutig setzte er sich neben seine Gipsy … Fühlte die fragenden Blicke …

Und erklärte:

„Es ist Graf Montgelar …! Und er ist keineswegs geistesgestört … Er war sehr liebenswürdig … Ich hatte ihn auch bereits soweit, daß er mir über seine Person und sein jetziges Leben als Fliegender Holländer Aufschluß geben wollte … Da erschien einer seiner Leute in der Kapitänskajüte und machte ihm eine anscheinend sehr wichtige Meldung … Der Mann flüsterte, so daß ich nur einzelne Worte verstehen konnte, aus denen nicht viel zu entnehmen war … Anscheinend haben die Wachen draußen auf der Klippe ein Schiff erspäht … Und es muß eine besondere Bewandtnis mit diesem nahenden Schiffe haben, denn Montgelar wurde sehr erregt und bat mich in halb befehlendem Ton, hier zu euch zurückzukehren, Freunde … Jedenfalls, die Unterredung ist im Grunde resultatlos verlaufen …! Wir wissen nur, der Totgeglaubte Graf Montgelar lebt und … sucht hier in der Grotte und auf der Klippe das, was wir an anderer Stelle gefunden haben: die Riesenbeute der Flibustier aus dem Felsenkastell von Gouadeloupe, die nun in dem Urwaldkloster lagert! Draußen die zwölf Särge aber sind die letzten Ruhestätten hervorragender Flibustieranführer.“

Keiner der Sphinxleute hätte es auch nur im entferntesten für möglich gehalten, daß sich hier auf diese Weise abermals ein Zusammenhang zwischen weit zurückliegenden Ereignissen und der Gegenwart enthüllen könnte.

Toni Dalaargens leiser Ausruf: „Wie seltsam – Gouadeloupe und die Faluhn-Klippe!!“ war daher durchaus berechtigt …

„In der Tat seltsam!“ nickte Gerhard Nielsen. „Umso seltsamer, als wir, meine Freunde, stets von neuem auf derartige rätselhafte Verbindungen zwischen einst und jetzt stoßen! Dr. Falz hat recht nur zu recht, unser ganzes Erleben wird von geheimnisvollen Mächten geleitet! Und niemand kann wissen, in welcher Weise …“

Er verstummte …

Drei der in altertümliche Tracht gekleideten Matrosen des Fliegenden Holländers betraten die Kajüte.

Der eine sagte höflich:

„Auf Befehl des Kapitäns müssen wir Sie mit verbundenen Augen in eine andere Kajüte bringen. Der Kapitän erwartet, daß Sie auch fernerhin seine Anordnungen ohne weiteres befolgen werden … Wenn Sie sich also bitte die Augen verbinden lassen wollen …“

„Tun Sie, was Sie müssen,“ meinte Nielsen kurz. „Allerdings dürfte diese Vorsichtsmaßregel uns gegenüber insofern wohl unnötig sein, als ich dem Kapitän bereits versprochen habe, daß wir nichts von dem verraten werden, was wir hier an Bord sehen und hören …“

Der Matrose verbeugte sich …

„Befehl ist Befehl, Herr Nielsen … Zuerst bitte die Damen …“ – Der Mann war fraglos ein Deutscher … Er sprach einen Dialekt, der an den der Holsteiner erinnerte.

So wurden denn Gipsy Maad, Mela Falz und Toni Dalaargen durch die Matrosen hinausgeführt.

Die Zurückbleibenden verharrten in nachdenklichem Schweigen …

Die Matrosen kehrten sehr bald zurück, und als nächste wurden jetzt Nielsen, Tom Booder und der Herzog mit verbundenen Augen über Treppen und durch Gänge in eine enge Kabine hinabgeleitet, wo man ihnen die schwarzen Tuchstreifen wieder abnahm. Den Schluß machten Gottlieb, Pasqual und der Homgori.

Als die neun Gefangenen des Grafen Montgelar nun wieder beisammen waren, als sie jetzt auf kleinen Klappstühlen dicht beieinander saßen, über ihnen in dieser völlig leeren Schiffskammer eine einzelne elektrische Birne brannte, deren Licht gerade nur hinreichte, den grauen Ölfarbenanstrich der Wände und der Decke zu erkennen – als draußen der Türschlüssel umgedreht wurde, da meinte Nielsen, indem er mit dem Fingernagel etwas Farbe von der Außenwand abkratzte:

„Wenn ich nicht wüßte, daß es unmöglich ist, so würde ich behaupten, wir sitzen hier in der Kabine eines U-Bootes …!“

Und er deutete auf eine runde dicke Eisenscheibe, die durch eine Schraubverschluß an der leicht gebogenen Außenwand befestigt war …

„Ein Fenster?“ fragte Tom Booder unsicher …

„Nein, Freund Tom, kein Fenster … Dazu liegt die verschlossene Öffnung zu dicht über den Dielen … Es ist eine Öffnung für ein Torpedolancierrohr, das man entfernt hat. Hier um die Scheibe herum sind noch überall Schraubenlöcher zu erkennen …“

Plötzlich spürten die Sphinxleute da eine leichte Erschütterung, hörten gleichzeitig ein taktmäßiges Stampfen und Surren …

Pasqual rief kopfschüttelnd:

„Das sind Motoren, Herr Nielsen!“

„Allerdings …! Und jetzt behaupte ich doch wieder, daß wir uns auf einem U-Boot befinden!! Da – unsere Kabine schwankt … Und dort an der Türwand beginnt ein Ventilator zu arbeiten … Daneben – wie ein Auspuffsrohr …“

Er erhob sich, stieg auf den Schemel und hielt die Hand vor die Rohröffnung …

„Ohne Zweifel künstliche Luftzufuhr …“ erklärte er … „Man fühlt den Sauerstoffstrom … Wir sind auf einem U-Boot …“

Die Schwankungen nahmen zu … Nielsen hatte sich wieder gesetzt …

Den neun war seltsam beklommen zu Mute. Man erging sich in allerlei Mutmaßungen und wurde noch nervöser, als Nielsen ärgerlich meinte:

„Graf Montgelar hätte uns hier nicht einsperren sollen! Ich werde mal energisch klopfen … Es wird schon jemand erscheinen …“

Aber so kräftig Nielsen auch gegen die Tür donnerte, es blieb umsonst! Niemand meldete sich.

„Die Tür ist von Eisen …,“ meinte Nielsen und nahm wieder Platz …

Die unbehagliche Stimmung wuchs …

„Nichts ist scheußlicher als derartige Ungewissheit!“ brummte Fredy Dalaargen, der seinen Mela leicht umschlungen hielt.

„Von Ungewißheit kann hier keine Rede mehr sein,“ erwiderte Nielsen. „Es ist ein U-Boot!“

Pasqual nickte. „Auch ich bin nun überzeugt, daß der Zweimaster, des Fliegenden Holländers Schiff, nur eine Attrappe ist, die über dem U-Boot sich befindet … Wir wurden vorhin doch nach unten geführt – drei Treppen … Die letzte war sehr schmal und von Eisen.“

Gottlieb Knorz erinnerte jetzt an die Löcher im Fußboden der Kajüte und an die geringen Salzablagerungen an den Möbeln dort oben …

Nielsen horchte auf. „Davon weiß ich bisher nichts! Erzählen Sie doch mal genauer, Gottlieb …“

Der tat’s …

Da meinte Gerhard Nielsen, indem er sich an Pasqual Oretto wandte:

„Ihre Vermutung trifft das richtige … Ja, der Zweimaster ist eine Attrappe, ist über einem U-Boot aufgebaut … Das Deck des Unterwasserfahrzeuges bildet also den Schiffsboden des Zweimasters … Dies, Freunde, erklärt nun auch zur Genüge die Tatsache, daß der Zweimaster vor unseren Augen in den Wellen verschwand …! Wie hatten uns nicht getäuscht, das U-Boot tauchte eben und nahm die Attrappe mit in die Tiefe …!“

Er sprang auf … trat an die runde Eisenscheibe heran, suchte den Verschluß zu öffnen. Seine Kräfte reichten dazu nicht aus.

„Murat …!!“

Der Homgori war schon neben ihm …

Packte zu …

Murats Zähne rieben sich knirschend gegeneinander.

Sein behaartes Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung …

Dann – hatte er die armdicke Schraube um eine Drehung nach links gedrückt …

Verschnaufte …

Begann von neuem …

Nielsen sagte zu den Gefährten:

„Ich vermute, daß hinter dem Deckel sich eine dicke Glasscheibe befinden wird … Wir wollen …“

Murat keuchte hervor …: „Of – – offen!!“

Nielsen hob die Scheibe herab …

Ja – ein Fenster war freigelegt worden – ein rundes Glasfenster …

Und draußen grüne Dämmerung… Fische huschten vorüber …

Die Sphinxleute drängten vor dem Fenster zusammen …

Achteten gar nicht darauf, daß die Geräusche der Motoren mit einem Schlage verstummten …

Sahen plötzlich aus der grünen Dämmerung die Umrisse eines dunklen Gegenstandes auftauchen …

Das Wrack eines mächtigen Schiffes auf dem Grunde des Ozeans …

Und dicht daneben legte sich das U-Boot in die Tiefseepflanzen, ließ Unterwasserscheinwerfer aufleuchten, so daß das Wrack mit einem Schlage ganz deutlich zu erkennen war …

Auf der Seite lag es … Drei Schornsteine … Panzertürme – Geschützrohre … Ein Kiegsschiff war’s…

Noch mehr war zu sehen. Taucher arbeiteten dort … Taucher in jenen allermodernsten Anzügen, die geradezu einer Rüstung aus Stahl gleichen … Taucherausrüstungen für größere Tiefen …

Sechs solcher unbeholfenen Ungetüme waren zu sehen …

Sie hatten das U-Boot bemerkt … Standen regungslos … Starrten durch die Glasscheiben ihrer Helme auf die grellen Lichtfluten … Vor der Panzerbrust trug jeder eine Laterne …

Vorsintflutlichen Ungeheuern glichen sie …

Standen regungslos …

Nicht lange …

Tonerl schrie auf …

Hinter den sechs modernen Rittern der Tiefsee waren sechs andere sichtbar geworden … Genau so gerüstet … Nur daß diese sechs in den stählernen Händen Äxte trugen.

Und – – jetzt auch die Äxte erhoben …

„Ah – sie hauen die Luftschläuche durch …!“ schrie Pasqual …

Er brüllte förmlich … denn er sah dort draußen sechs Kollegen bedroht, er, der ehemalige Hafentaucher von Lissabon …

Ein Ringen entwickelte sich nun dort draußen, wie es grauenvoller und seltsamer kaum auszudenken war …

Kampf … Kampf Mann gegen Mann …

Die plumpen Riesengestalten umklammerten sich …

Rollten vom schrägen Deck herab …

Dann – leuchtete zwischen den Kämpfern ein greller Blitz auf …

Das U-Boot erhielt einen Stoß …

„Eine Wasserbombe!!“ – Und Nielsen erbleichte.

Da, die Scheinwerfer erloschen…

Das Wrack war nur mehr eine dunkle Masse, schien zu versinken …

Denn – das U-Boot schoß empor …

Wieder ging eine schwere Erschütterung durch den Stahlleib, der förmlich erbebte…

Dies Sphinxleute hielten sich gegenseitig fest, stemmten Arme und Beine gegen die Außenwand …

Das U-Boot taumelte …

Und die grünliche Dämmerung vor der dicken Glasscheibe wurde lichter und lichter …

Ein dritter Stoß …

Tonerl hing an Tom Booders Brust …

Lähmendes Entsetzen hier in der verschlossenen Kammer …

Nielsen rief atemlos:

„Der Graf befindet sich fraglos im Kampf mit einem anderen Schiff … Die Erschütterungen können nur Treffer von Wasserbomben gewesen sein … Wir müssen die Tür aufsprengen … Sonst ersaufen wir hier wie die Ratten in einer Falle … Murat, nimm die Eisenscheibe … Schlag die Tür ein …“

Der Homgori hob die fast zentnerschwere Platte empor – für ihn ein nichts …

Schwang sie über dem flachen Schädel …

Mit ohrenbetäubendem Krach prallte die Scheibe gegen die Tür …

Nochmals …

Und wieder …

Da … waren die Riegel zertrümmert …

Der Eingang flog auf …

Nielsen drängte Murat zur Seite … Winkte …

Und die acht Gefährten folgten ihm …

Ein Schiffsgang … Elektrische Lampen … Eine kurze Treppe … Der Kommandoturm des U-Bootes … – Leer …

Aber offen die Luke …

Nielsen wollte empor …

Holzstücke, Balkenreste mußte er erst wegräumen …

Und durch ein Chaos von gesplitterten, zerfetzten, Resten des Zweimasters arbeiteten die neun bleichen Gestalten sich bis zum Deck empor – bis in den klaren Sonnenschein des jungen Morgens …

Verschwunden waren die Aufbauten, die Masten … Überall Schußlöcher … Und zwischen diesen Trümmern die Leichen der Besatzung des Fliegenden Holländers …

Hingemäht die Männer durch Maschinengewehrfeuer … Jeder mit einem Dutzend Kugeln im Leibe.

Und ringsum das Meer mit rollenden Wogen …

Leer – – leer …

Kein anderes Fahrzeug weit und breit in Sichtweite …

Nur das U-Boot – und über ihm die Schiffsattrappe – eine Trümmerstätte … –

Die Neuen starrten sich an … blickten wieder auf die Toten – auf die verzerrten Gesichter, die noch vor Minuten aus finsteren Augen nach dem Feinde ausgespäht hatten …

Nielsen wandte sich an seine Verlobte …

„Gipsy, bring Mela und Toni wieder nach unten … Dies hier ist nichts für Mädchenaugen …! Geht – wir müssen hier zunächst aufräumen und die Toten dem Meere übergeben …“

Aber sowohl Mela als Toni sträubten sich …

„Ich würde in den Räumen unten vor Angst vergehen!“ rief das Prinzesschen und umklammerte ihren Tom …

Und Mela wieder sagte fast vorwurfsvoll:

„Gerd, unsere Nerven haben schon anderes ertragen …! Ich bleibe!“

„Gut – dann setzt euch bitte dort auf den Balken am Heck und überlaßt uns das weitere …“

Mela und Toni gehorchten. Gipsy Maad half den Männern bei der traurigen Arbeit, die Toten erst einmal unter den Trümmern hervorzuziehen …

Acht Leichen legte man nebeneinander … Und als neunten holte man schließlich auch den Grafen Montgelar unter den Resten des Bugaufbaus hervor …

Aufs Genaueste untersuchte man jeden einzelnen, ob nicht doch vielleicht noch eine Spur von Leben vorhanden …

Es war umsonst … Die meisten hatten Kopfschüsse neben anderen Verletzungen, die nur von Sprengstücken herrühren konnten. Fünf waren entsetzlich verstümmelt.

Schweigend arbeiteten die Männer … Schnürten die Toten in Stücke von Segelleinwand ein, um jede dieser Hüllen dann durch Eisen zu beschweren …

Nielsen sprach ein Gebet … und dann glitten die Toten ins Meer hinab …

Als letzter Graf Ortwin Montgelar, in dessen Taschen Gottlieb ein Bündel Papiere gefunden hatte …

Der Fliegende Holländer war nicht mehr …

Und keiner seiner bisherigen Gefangenen wußte, ob Graf Montgelar nicht etwa all seine Geheimnisse für immer mit hinab auf den Grund des Ozeans genommen hatte.

Vielleicht würden die Papiere über mancherlei Aufschluß geben – vielleicht … –

Gerhard Nielsen versammelte jetzt die Gefährten am Heck neben dem Balken, auf dem Toni und Mela saßen … Und begann:

„Freunde, was sich in der letzten Stunde abgespielt hat, wird wahrscheinlich niemals restlos aufgeklärt werden … Ich vermute folgendes: Montgelar hat nicht nur auf der Faluhn-Klippe nach den Flibustierschätzen gesucht, sondern nebenbei auch aus dem Wrack des Kriegsschiffes eine Goldladung mit Hilfe von Tauchern herausholen wollen. Dieses Kriegsschiff, das wir dort in der Tiefe erblickten, kann der Kreuzer ‚Matapan’ sein, der, wie ich mich erinnere, im Frühjahr 1918 von Amerika Gold nach Europa bringen sollte und seitdem als verschollen gilt … – Ich nehme weiter an, daß außer Montgelar noch ein anderes Schiff es auf den gesunkenen Kreuzer abgesehen hatte … Diese Schiff wurde Montgelar gemeldet, und er verwies darauf sofort die Höhle in der Faluhn-Klippe, wollte den Gegner wohl vertreiben. Der Kampf begannen in den Meerestiefen … Die Taucher der beiden Parteien fielen übereinander her … Wasserbomben zwangen das U-Boot zu schleunigem Auftauchen. Als sich dann die Zweimasterattrappe über die Wogen hinaushob, als des Grafen Leute hier an Deck stürmten, wurden sie elend zusammengeschossen. Und doch muß es ihnen noch gelungen sein, einen Torpedoschuß bei dem Gegner anzubringen … Der Feind versank, muß versunken sein, denn andernfalls hätten wir unbedingt noch ein Fahrzeug bemerken müssen …“

Nielsen blickte die Gefährten fragend an …

Tom Booder nickte. Er als Seemann fand diese Erklärung durchaus den beobachteten Vorgängen angepaßt.

Und auch Pasqual Oretto meinte:

„Das hat Hand und Fuß, Herr Nielsen … Nur eins fehlt …“

„Und – das wäre?“

„Schwimmende Überreste des anderen versenkten Schiffes … Ich habe tadellose Augen …“

„Hm – ganz recht, lieber Pasqual … Auch ich vermißte solche Anzeichen einer Katastrophe … Andererseits ist es nicht immer unbedingt nötig, daß ein Schiff beim jähen Wegsacken Spuren auf der Meeresoberfläche hinterläßt …“

„Etwas schwimmt stets umher,“ murmelte Pasqual. „Doch streiten wir uns nicht um Dinge, die schließlich von geringerer Bedeutung sind … Was gedenken Sie jetzt zu tun, Herr Nielsen?“

„Es gibt nur eins für uns. Zurück zur Faluhn-Klippe, die dort im Nordosten und nicht allzu weit entfernt liegen muß. Wir werden in Ruhe die letzten Reste der Schiffsattrappen beseitigen und haben dann das U-Boot ohne dies hinderliche Anhängsel zur Verfügung. Einer von uns mag hier oben Wache halten. Die anderen brauche ich unten im Bootskörper … Wenn Sie die Wache übernehmen wollen, Dalaargen … Mela leistet Ihnen fraglos gern Gesellschaft … Und auch Fräulein Toni könnte besser hier oben weiter frische Luft schöpfen … Sie sehen noch rechts angegriffen aus, Prinzesschen …“ –

So waren also Fredy Dalaargen mit Braut und Schwester allein auf dem verwüsteten Deck …

Saßen auf dem Balken nebeneinander und sprachen leise und scheu über die letzten Ereignisse …

„Das alles war wie ein böser Traum …,“ meinte Toni Dalaargen und erschauerte … „Ob denn die Taucher dort in der Tiefe alle ertrunken sein mögen?!“

Ihr Bruder schwieg … Auch Mela seufzte nur …

„Vergessen wir diese traurigen Bilder,“ meinte Dalaargen dann. „Man darf ja auch über all das nicht nachdenken … Tausend ungelöste Fragen stürmen sonst auf uns ein … Weshalb wollte Grafen Montgelar, obwohl er wußte, daß wir seines Freundes Gaupenberg Gefährten sind, uns einen vollen Monat gefangen halten und uns dann erst am Kap Retorta auf San Miguel die Freiheit schenken?!“

Mela Falz nahm ihres Verlobten Hand …

„Fredy, vielleicht geben auch hierüber die Papiere Aufschluß, die Gottlieb bei der Leiche Montgelars gefunden hat … Wäre es nicht am besten, wenn du sie herholst und wir sie sofort hier lesen! Die Freunde unten im U-Boot dürften hierzu vorläufig kaum Zeit haben …“

Dalaargen erhob sich sofort …

„Ein guter Vorschlag, Mela … Ich bin in wenigen Minuten zurück …“

Er eilte davon, stieg die halb zerstörte Haupttreppe hinab und bahnte sich mühsam einen Weg bis zur Turmluke des U-Bootes.

Hier im Kommandoturm fand er Nielsen und Pasqual, die soeben die Motoren in Gang gesetzt hatten …

Gottlieb und Murat waren im Maschinenraum.

Als Dalaargen Nielsen hastig mitteilte, weshalb er für kurze Zeit seinen Posten oben an Deck verlassen hätte, erklärte Nielsen achselzuckend:

„Lieber Herzog, wir haben die Papiere bereits flüchtig durchgesehen. Es ist nichts von Bedeutung darunter … Und das eine, was wertvoll sein köntte, etwa zehn Blätter Notizen, ist in Geheimschrift verfaßt … Wenn Sie damit Ihr Glück versuchen wollen …! Ich fürchte nur, Sie werden nichts ausrichten … Es scheint eine sehr komplizierte Zahlenschrift zu sein … deren Zeichen ohne jeden Zwischenraum aneinandergereiht sind …“

„Nun – versuchen kann man’s ja immerhin …“

Und Dalaargen eilte weiter – zwei eiserne schmale Treppen hinab …

Gottlieb reichte ihm die Papiere und sagte zweifelnd:

„Ob Sie etwas erreichen werden, Herr Herzog?! – Jedenfalls viel Glück! Denn wir alle möchten nur zu gern auch Aufschluß über die offenen Fragen haben – so zum Beispiel, wie dem Grafen Montgelar die Flucht aus der Privatirrenanstalt gelungen ist, ob er wirklich geisteskrank war und wie er sich dieses U-Boot verschafft hat … – Ah – unzähliges geht einem da durch den Kopf, Herr Herzog …! Weiß Gott – das Schicksal könnte uns getrost einmal Ferien gönnen, denn bei dieser Hatz von Abenteuern streiken auch meine Nerven nächstens!“

Und das kühne faltige Vogelgesicht des treuen Alten verzog sich dabei in so komischer Weise, daß Fredy Dalaargen lächeln mußte, ob er wollte oder nicht …

Er klopfte Knorz auf die Schulter …

„Gottlieb, ich wünschte, ich hätte Ihre Nerven!! Sie und Pasqual sind zwar die Ältesten irgendwie aber doch die Jüngsten von uns! – Wiedersehen … Ich möchte Mela und Toni nicht zu lange oben an Deck allein lassen …“

Und er eilte davon …

Eine ungewisse Sorge befiel ihn plötzlich …

Er atmete erst auf, als er Mela und Tonerl noch friedlich auf dem Balken sitzen sah …

Einen prüfenden Blick warf er rund um … Der Ozean gleißte im Sonnenschein … Die Wogen hoben und senkten den zerstörten Zweimaster, der nun in voller Fahrt als Oberbau des U-Bootes der Faluhn-Klippe wieder zusteuerte …

Der Ozean ringsum war leer … Kein Segel, nirgends die Rauchfahne eines Dampfers …

Nur Möven aller Art umschwärmten das elende Wrack des Fliegenden Holländers …

Möven, die auf der Faluhn-Klippe ihre Nistplätze hatten … –

Dalaargen setzte sich zwischen die beiden jungen Mädchen.

Gemeinsam blätterten sie nun die Papiere durch … Es waren allerlei Personalurkunden des Grafen Ortwin Montgelar, ein paar Briefe von dessen jüngerem Bruder und andere Schreiben, die offenbar die Besatzung des Zweimasters betrafen …

Dann die Notizen in Chiffreschrift …

Eine halbe Stunde versuchten die drei, aus diesem Chaos von Zahlen irgendwie einen Sinn herauszuklügeln. Dann gaben sie es auf … Dalaargen schob die Papiere in die Tasche …

„Es ist zwecklos!“ meinte er …

Gipsy Maad tauchte auf der zerstörten Treppe auf, winkte, deutete nach Norden …

„Dort die Faluhn-Klippe …!!“ rief sie und winkte abermals …

Dalaargen und die Mädchen gingen ihr entgegen.

Dann standen sie zusammen an der zerschossenen Reling und blickten hinüber nach den beiden zerklüfteten Felseneilanden, die nur durch einen ganz schmalen Meeresarm getrennt waren …

Kaum fünfhundert Meter war das U-Boot mit seiner Schiffsattrappe von der Südhälfte noch entfernt …

Toni Dalaargen lehnte sich plötzlich schwer gegen die Schulter ihres Bruders …

Fahle Blässe überzog ihr Gesicht …

Und stammelnd nur brachte sie über die Lippen:

„Dort – – oben auf dem Plateau – – dort – – Graf Montgelar!!“

Vier Augenpaare starrten hinüber …

Und genau an derselben Stelle, wo man vor drei Tagen von der Sphinx aus die schlanke Gestalt im blauen Segleranzug erspäht hatte, genau dort stand jetzt wiederum ein Mann, die Arme über der Brust verschränkt …

Dalaargen murmelte nur:

„Bei Gott, – wenn ich nicht wüßte, daß wir des Grafen Leiche vor einer Stunde nach Seemannsart bestattet haben, würde ich sagen: Das ist Ortwin Montgelar!“

Die Gestalt dort drüben bewegte sich jetzt … wandte dem offenen Meere den Rücken und trat hinter einen der Felsblöcke der hohen Hügelkuppe …

Kam nicht wieder zum Vorschein …

 

6. Kapitel.

Die Kreuzotter.

Der Morgen zog über dem Heißen Moor herauf … Die feinen Nebelgebilde zerflatterten vor den ersten Stößen des Morgenwindes …

Das endlose Sumpfgebiet enthüllte seine Wunder – seine engen Wasserstraßen, dieses Labyrinth von verkrauteten Tümpeln und stillen Moorweihern …, seine zahllosen Inselchen, mit Gestrüpp bewachsen, seine dichten Schilffelder und den Reichtum seiner Wasserfauna.

Das bunte Volk der geflügelten Bewohner dieser unzugänglichen Wildnis begrüßte den Morgen mit vielfachem Stimmengewirr … Entenschwärme erhoben sich, gingen an anderer Stelle wieder hernieder und ließen das braune Sumpfwasser hoch aufspritzen …

Auf der großen Insel inmitten des Heißen Moores aber schwebte die in den Kronen uralter Eichen verankerte Sphinx … mitten im Grün urdeutscher stämmiger Bäume … Und hielt mit ihren Metallwänden die Schätze des Azorengoldes und der Reichtümer König Matagumas sicher umschlossen …

Nichts regte sich an Deck … Die Turmluke war von innen versperrt … Die Insassen des Luftbootes schliefen.

Eine Nacht lag hinter ihnen, wie sie keine zweite zu erleben wünschten … Mit welch freudiger Hoffnung waren sie hier im Heißen Moor gelandet …! Und dann waren die Enttäuschungen gekommen – Schlag auf Schlag! Die unbekannte, unzugängliche Insel hatten sie bewohnt gefunden … Mafalda und Lomatz waren entflohen, und was dies für die Sphinxleute bedeutete, konnten nur sie ermessen! Der Fürstin Sarratow rücksichtslose Energie im Verein mit Lomatz’ Verschlagenheit, – es war der Beginn eines neuen Abschnittes des wechselvollen Ringens um den Azorenschatz!

Kein Wunder, daß Agnes Gaupenberg in dieser Nacht stundenlang wach in den Kissen lag und das Geschehene immer von neuem überdachte und auch später, als sie eingeschlummert war, mehrmals aus unruhigen Träumen emporschreckte …

Sie hörte des geliebten Gatten tiefe ruhige Atemzüge neben sich und war froh, daß wenigstens er im erquickenden Schlummer frische Kräfte für die kommenden bangen Tage gewann …

Und vor ihrer reinen Seele zogen die bunten, trüben und doch auch beglückenden Bilder aus jener Zeit vorüber, als sie auf der Gaupenburg den Grafen Victor lieben gelernt, und er sich Mafaldas wegen von ihr abwandt hatte …

An ihr Mütterlein, das dort drüben jenseits des Heißen Moores in dem kleinen Trinkbade Sellenheim bei Gottlieb Knorz’ herzensguter, wenn auch launischen Schwester ein Unterkommen gefunden. – An die gütige, zarte Matrone erinnerte sie sich mit der stillen Vorfreude des Wiedersehens … Und diese Gedanken verscheuchten Mafaldas drohendes Bild … Und schließlich war der unruhige Schlaf auch zu stärkendem Schlummer … –

Zehn Uhr vormittags war’s …

Da erschien als erster Dr. Dagobert Falz an Deck.

Die hohe hagere Gestalt des ‚Einsiedlers von Sellenheim’ lehnte in nachdenklicher Haltung am Flaggenstock des Hecks …

Drüben nach Westen zu erhob sich jenseits der bewaldeten Hügelkuppe der trutzige Bau der Gaupenburg.

Und etwas links davon konnte Dr. Falz in einem Einschnitt zwischen den Bergen den stumpfen massigen Turm der Ruinen Sellenheim erkennen …

Dort hatte der Doktor jahrelang als menschenscheuer Sonderling gehaust, hatte mit dem Geschick gehadert, das ihm Weib und Kind geraubt …

Sein Weib ruhte längst unter dem grünen Efeuhügel eines Berliner Friedhofs. Sein einziges Kind aber, seine Mela, hatte er wiedergefunden – auf dem fernen, fernen Eiland … Und wenn er auch jetzt wieder von ihr getrennt war, er war sicher, sie würden sich wiedersehen! –

Ein Geräusch unten am Fuße der knorrigen Eichen weckte den Einsiedler von Sellenheim aus seinem stillen Grübeln …

Ein Geräusch, als ob ein trockener harter Zweig unter dem Schritt eines Menschen knickte …

Er beugte sich vor … Eine Lücke in dem Blätterdach der Eichen ließ ihn einen kleinen, fast zwergenhaften Menschen im grüngrauen Sportanzug erkennen – einen fuchsbärtigen Mann, der aufmerksam die Spuren im Grase prüfte und ihnen dann nach der offenen Heide zu folgte.

Dr. Falz eilte in den Turm hinab und holte die Strickleiter herauf …

Befestigte diese an der Reling, schaute nochmals nach dem Fremden aus und kletterte dann abwärts.

Der Mann dort weit vor ihm hatte jetzt das frische Grab des Tierbändigers Marcell Maxwell erreicht …

Blickte sich immer wieder scheu um und behielt die rechte Hand in der Jackentasche, wo er offenbar eine Waffe bereit hatte.

Der frische Hügel schien ihn stark zu beunruhigen. Sein ganzes Verhalten war das eines Menschen mit sehr schlechtem Gewissen …

Dr. Falz beobachtete den Mann hinter einem der zahlreichen Steinblöcken hervor, wartete geduldig, bis jener nun auf das Wäldchen zueilte, in dem Maxwells Hütte gestanden hatte.

Hier unter den Erlen und Birken überraschte er den Fremden, der kopfschüttelnd die durch Feuer zerstörten Reste des Käfigs und der Hütte betrachtete …

Trat leise hinter ihn, legte ihm die Hand auch die Schulter …

Der Kleine fuhr wie ein Blitz herum, riß eine Repetierpistole aus der Tasche und sprang ein paar Schritte zurück …

Der Einsiedler von Sellenheim sagte mit milder Stimme:

„Nicht wahr, Sie sind ein Freund dessen, der hier in der verflossenen Nacht den Tod fand – des Mannes mit dem Tiger … – Stecken Sie Ihre Waffe wieder weg … Sie stehen hier einem Menschen gegenüber, der gegen jede Kugel gefeit ist … – Wer sind Sie?“

Der Kleine lachte schrill …

„Wer ich bin, geht Sie gar nichts an …! Und wenn Sie es wagen sollten, mir zu folgen, knalle ich Sie nieder … Darauf können Sie Gift nehmen! Mit derlei Unsinn wie ‚gefeit’ müssen Sie Dümmeren aufwarten …!“

Und er wollte sich, rückwärts schreitend, nach der Heide zu entfernen …

Dr. Falz jedoch setzte sich gleichfalls in Bewegung …

Seine von den blinkenden Brillengläsern beschatteten ernsten Augen hatten einen drohenden Ausdruck angenommen …

„Es ist sehr töricht von Ihnen, gerade mir gegenüber eine freundschaftliche Einigung abzulehnen!“ rief er dem Fuchsbärtigen zu …

Und auch seine Hand versenkte sich nun in die Jackentasche …

Der andere schien nur auf dieses Zeichen, das auch sein Gegner bewaffnet sei, gewartet zu haben …

Brüllte …:

„Hände hoch, alter Freund!!“

Und – feuerte, da der Doktor trotzdem in die Tasche langte …

Feuerte nochmals …

Nach diesem zweiten erfolglosen Schuß aber veränderte sein wutverzerrtes Gesicht sich mit einem Male.

Ein Fluch entschlüpfte seinen Lippen …

„Werfen Sie Ihre Waffe weg!“ befahl Dagobert Falz mit erhobener Stimme. „Sie verdienen keine Schonung …“

Und sein Browning unterstrich diese Worte …

Ein harter blecherner Knall, und des Fremden Sportmütze wirbelte durch die Luft …

Da ließ der seine Pistole ins Gras fallen …

Fahlen Antlitzes stand er da … In seinen Augen war ein Ausdruck des Grauens …

Schon so mancher hatte den Einsiedler von Sellenheim in dieser Weise angestarrt wie eine Ausgeburt der Hölle …

„Wer … wer sind Sie …?“ stammelte der kleine sehnige Mensch mit zitternden Lippen …

„Einer, dem der Tod nichts anhaben kann,“ sagte Dagobert Falz wieder in seiner weichen menschenfreundlichen Art. „Und jetzt – die Wahrheit! Wie heißen Sie?“

„Jean Orlando …“

„Und waren ein guter Bekannter Maxwells?“

„Ja …“

„Was tat Maxwell hier?“

„Er … er war geflüchtet …“

„Weshalb?“

„Wir … wir hatten gemeinsam einen Edelstein gestohlen, den wir in dem einen Ohr des Tigers verbargen …“

„Einen wertvollen Stein?“

„Den wertvollsten, den es in Europa gab, den sogenannten ‚Peter’ aus dem Grünen Gewölbe in Dresden …“

„Und wo halten Sie sich verborgen? Auch hier auf der Insel?“

„Nein – ich wohne drüben in Sellenheim als angeblicher Maler … Ich brachte für Maxwell und den Tiger Proviant. – In der vergangenen Nacht sah ich trotz des Nebels hier in der Richtung der Insel einen Feuerschein … Deshalb bin ich heute früh im Boot heimlich hierher gekommen … Sonst kam ich immer nachts …“

„Und Ihr Beruf?“

„Klown …“

Dann nickte Falz … „Ich sehe, Sie bleiben bei der Wahrheit … Und deshalb will ich Ihnen nichts mehr in den Weg legen, die Insel wieder zu verlassen … Ich verlange jedoch, daß Sie aus dieser Gegend sofort verschwinden. Ihr Freund ist tot. Zwei internationale Verbrecher entflohen mit dem Eindecker und dem betäubten Tiger. Maxwell hing im Fahrgestell und stürzte ab. Der Diamant ist für Sie verloren … – Gehen Sie! Ich folge Ihnen bis zu Ihrem Boot … Sollte ich Sie heute Abend noch irgendwo hier in der Nähe antreffen, so übergebe ich Sie der Polizei. Vielleicht hat man Ihnen drüben im Örtchen von dem … Einsiedler von Sellenheim erzählt … Der steht hier vor Ihnen … – Gehen Sie …!“ –

Orlando ruderte fünf Minuten später eilends davon.

Er war froh, daß er durch die Nachsicht seines unheimlichen Gegners entschlüpfen konnte … Er hatte in Sellenheim übergenug von dem Einsiedler gehört, und er zweifelte keinen Augenblick, daß der Graubart mit der Brille dieser Einsiedler gewesen sei. –

Dr. Falz aber schaute Jean Orlando vom Inselufer aus so lange nach, bis das Buschwerk des Riesensumpfes ihm die kleine hagere Gestalt des Zirkusklowns entzog.

Dann kehrte er zu den Eichen zurück – zu den Ruinen der früheren Ansiedlung … Blieb plötzlich stehen … Da befand rechts von ihm in der Steilwand des Felsenhügels, den ein Spiel der Natur hier in diese Moorwildnis verpflanzt hatte, sich eine breite Spalte, die in eine geräumige Höhle hineinführte, deren zerfurchtem Felsboden ohne Unterlaß giftige Gase entstiegen … Es war ein Gasgemenge, das die Verwesung menschlicher und tierischer Leichen verhinderte, ein Gas, das geruchlos war und jedes Lebewesen nach kurzer Zeit tötete.

Diese Grotte hatten jene Ansiedler zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges als Begräbnisstätte benutzt … An den Wänden hatten sie, ähnlich wie in den alten Katakomben, die Toten in aufrechter Stellung festgebunden … Aus den Toten waren Mumien geworden …

Diese Höhle betrat Dr. Falz jetzt. Das Tageslicht fiel durch die Eingangsspalte in breiter Bahn hinein und zeigte so eine am Boden hingestreckte Kindergestalt …

Kein Kind …!

Pannarus Mumie vielmehr, jenes südamerikanischen Zwerges, der hier zu Beginn des Kampfes um den Goldschatz der Azoren eine besondere Rolle gespielt hatte …

Pannaru lag zusammengekrümmt auf der Seite …

Das vertrocknete Gesicht wirkte abschreckend …

Dagobert Falz folgte lediglich einer Eingebung des Augenblicks, als er nun die Mumie des Zwerges vorsichtig emporhob und an der rechten Wand niederlegte.

Es war eine jener Eingebungen, durch die eine rätselhaft waltende Vorsehung schon häufiger den Kämpfern um den Azorenschatz unerwartet im entscheidenden Augenblick Hilfe gespendet hatte.

Falz verließ die Begräbnisstätte wieder und näherte sich der durch das Astgewirr der mächtigen Eichen fast bis zum Boden herabhängenden Strickleiter …

Da ein klingendes munteres Lachen von oben – ein fröhlicher Zuruf:

„Guten Morgen, Doktorchen!!“

So nannte ihn nur eine einzige der Damen Ellen Hartwich – die zuweilen so übermütige Ellen.

„Morgen, kleines Frauchen!“ rief er zurück. „Schon munter?! Und so vergnügt …?“

„Wohl mit Recht, Doktorchen …! Ich habe durch mein Fernglas beobachtet, wie Sie den Fremden fein säuberlich davonjagten … Wer war das?“

Dagobert Falz begann die Strickleiter emporzuklettern…

„Das war ein Zirkusklown, Frau Ellen … Jean Orlando, der … zweite Mann mit dem Tiger …“

Er schwang sich an Deck … Schüttelte Ellen die Hand …

„Sie sind ja die reine Frühaufsteherin!“ scherzte er.

„Oh – ich habe sogar bereits das Frühstück in der Kombüse hergerichtet … – Ob der Orlando der einzige Kumpan Maxwells war?“

„Ja – der einzige … Wir sind ihn los … Und wissen nun auch, weshalb der Tiger hierher gebracht worden war … Die beiden Diebe hatten den berühmten Edelstein Peter aus dem Grünen Gewölbe in Dresden der Bestie in das eine Ohr gestopft – ein recht gutes Versteck!“

„Nicht möglich …! Und – – Mafalda hat nun den Tiger mitgenommen … Ob sie etwa den Stein finden wird …“

Der vergnügte Ton zwischen Ellen und dem Doktor war schon wieder abgeflaut. Der Ernst der Verhältnisse verdrängte nur zu rasch jede heitere Stimmung.

„Nicht ausgeschlossen, daß die Fürstin ihn entdeckte, den kostbaren Peter,“ nickte Falz … „Leider nicht ausgeschlossen … Und danach werden wir uns richten müssen … Wenn Lomatz und die Fürstin etwa in Berlin bei einem Hehler den Stein losschlagen, haben sie wieder genügend Geldmittel zur Verfügung – für uns recht bedenklich! Trotzdem brauchen wir vorläufig nichts zu befürchten. Mir ist da vorhin ein recht praktischer Gedanke gekommen, wo wir das Gold aus der Sphinx bis auf weiteres am besten unterbringen … Nachher beim Frühstück will ich mit meinem Vorschlag herausrücken. – Wo ist Hartwich, Frau Ellen?“

Die aschblonde rassige Amerikanerin errötet etwas.

„Oh – – der Faulpelz liegt noch im Bett, Doktorchen … Wir haben uns ein wenig … gezankt …“

„So?! Gezankt?!“

Ellen wandte den Kopf zur Seite …

„Ja … aber den Anlaß kann ich Ihnen wirklich nicht mitteilen, Herr Doktor … Ich … ich bin neidisch … auf Agnes … Denn ich bin doch am längsten von uns verheiratet – schon drei Monate … Und …“

Sie schwieg …

Falz lachte herzlich auf …

„Hm – neidisch, Frau Ellen! Dann kann sich’s nur um …“

„Bitte – – nicht aussprechen, Herr Doktor …! Helfen Sie mir, den Frühstückstisch hier an Deck herzurichten, wo wir wie in einer grünen Laube sitzen werden … Auch den Fürsten Sarratow müssen wir nach oben bringen … Und recht gemütlich wollen wir es uns machen.“

Sie stiegen die Turmtreppe hinab. Falz folgte ihr. In der kleinen Kombüse trafen sie jedoch mit Georg Hartwich zusammen, der bereits alles nötige auf ein großes Teebrett gestellt hatte und schmunzelnd meinte:

„Wir lernen alles … Selbst Stewardsienste … – Hat sich Ellen etwa bei Ihnen beklagt, Herr Doktor?“

Falz hatte seine helle Freude an jungen Liebespaaren … War er doch im Herzen selbst jung geblieben.

„Wie man’s nimmt, lieber Hartwich,“ erwiderte er mit feinem Lächeln. „Man soll vor allen Dingen abwarten und dem … Klapperstorch alles weitere überlassen …! – Und jetzt ans Werk … Wenn Gaupenbergs an Deck erscheinen, sollen sie uns beneiden, wie gemütlich wir da nebeneinander sitzen … Sie könnten eigentlich den Fürsten nach oben schaffen, lieber Georg … Iwan Alexander Sarratow und Inge werden die deutsche Sonne und die deutschen Eichen doppelt freudig begrüßen …“ –

Und bereits fünf Minuten später saßen Hartwichs, der Doktor, Sarratow und Inge oben an Deck neben dem Turme in bequemen Korbsesseln und atmeten freudig die würzige Herbstluft ein …

Alexander Sarratows bleiche Wangen bekamen rasch etwas Farbe. Er lebte auf, wurde gesprächig und fand immer wieder ein leises herzliches Wort für die dicht neben ihm sitzende Inge, die auch von den anderen mit aufrichtiger Freundlichkeit behandelt wurde, damit sie recht schnell die verflossenen Nacht und ihre Verfehlung gegenüber den Kameraden vergäße …

Das Ehepaar Gaupenberg fand sich erst nach einer halben Stunde ein. Agnes hatte jetzt die beängstigenden Träume völlig überwunden, war von stiller, glückseliger Heiterkeit und sprach voller Freude von dem so nahe bevorstehenden Wiedersehen mit ihrem alten Mütterlein. –

Dann aber verlangte nur zu bald die heilige Pflicht gegenüber dem Vaterlande eine ernste Beratung.

Dr. Falz begann, indem er seinen Sessel ein wenig vom Tische abrückte:

„Liebe Gefährten, das Geständnis Orlandos und die Möglichkeit, daß unsere beiden gefährlichsten Gegner durch den Edelstein rasch wieder in den Besitz von beträchtlichen Geldmitteln kommen können, erfordert neue Entschlüsse. Mit Ihrem Plan, lieber Graf, nach der Gaupenburg überzusiedeln, habe ich mich bereits einverstanden erklärt. Wenn wir die Sphinx dort in dem Schuppen am kleinen Bergsee unterbringen und die Sphinxröhre, den Lebensnerv des Bootes, mit ins Schloß nehmen, kann niemand das Flugboot uns entführen. Würden wir aber das Gold in der Sphinx belassen, so müßten wir den Schuppen dauernd bewachen. Dies könnten wir dadurch umgehen, daß wir das Gold dort drüben in der Begräbnisgrotte der alten Siedlung verbergen, wo es infolge der besonderen Eigentümlichkeiten dieser Höhle vor jedem Uneingeweihten sicher wäre. Die Gase würden die Wächter sein. Daß man die Mumiengrotte trotz der tödlichen Gasausströmungen bei einiger Vorsicht sehr wohl betreten, also auch unsere Schätze hineinschaffen kann, brauche ich kaum zu erwähnen. Ich glaube kaum, daß es für das Gold eine bessere Stahlkammer gäbe als die Höhle. Wir landen mit der Sphinx dicht vor dem Eingang, und wir drei Männer – der Fürst scheidet ja leider vorläufig aus – können die Arbeit in drei bis vier Stunden erledigt haben. Wenn wir dann noch zum Abschluß eine Wand von Feldsstücken vor dem Grottenwinkel aufrichten, in dem das Gold aufgehäuft werden soll, können wir auf der Gaupenburg ohne jede Sorge die Verhandlungen mit der deutschen Regierung einleiten.“

Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall …

Eine Stunde später war man bereits eifrig am Werke, die unteren Räume der Sphinx zu entleeren. Auch Ellen und Inge halfen dabei, während Agnes als Wache dauernd die Ruinen und den Felsen umrundete. Fürst Sarratow wieder war mit seinem Korbsessel auf die Spitze des Hügels geschafft worden, von wo aus er mit Hilfe eines Fernglases weite Teile des Heißen Moores ständig beobachten konnte.

Und doch sollten diese Vorsichtsmaßregeln insofern zwecklos bleiben, als schon vor der Landung der Sphinx am Grotteneingang sich ein heimlicher Lauscher auf die Insel zurückgeschlichen hatte: Jean Orlando, der ehemalige Klown des Zirkus Sarrasani! –

Jean Orlando hatte zunächst wohl die feste Absicht gehabt, den Befehl des Einsiedlers von Sellenheim genau zu befolgen und das Moor und auch die weitere Umgebung zu verlassen …

Wie er dann jedoch seinen kleinen Bretternachen mit ruhigeren Ruderschlägen dahintrieb – wie er den am Inselufer stehenden Doktor aus den Augen verloren hatte, wurde gleichzeitig auch der Wunsch trotz aller Bedenken in ihm immer reger, festzustellen, ob etwa dieser Dr. Falz sich ganz allein auf der Insel befände.

Längst hatten ja auch deutsche Zeitungen Berichte über die Sphinx und deren Insassen gebracht. Gewiß, all diese Berichte waren phantastisch ausgeschmückt, weil niemand über die Abenteuer der Sphinxleute genau unterrichtet war. Nur die Namen der Gefährten des Grafen Gaupenberg hatten die Zeitungen ohne weitere Zusätze richtig veröffentlicht, und unter diesem Namen hatte der des Einsiedlers von Sellenheim an dritter Stelle gestanden … –

Jean Orlando durchfuhr jetzt gerade ein paar so enge Kanäle, daß er die Ruder einziehen und die Stoßstange benutzen mußte. Er und sein Freund Maxwell hatten hier überall in der näheren Umgebung der Insel besondere Kennzeichen angebracht, die es ihnen bei drohender Gefahr ermöglichen sollten, sich in diesem Labyrinth von engen Wasserwegen mühelos zurechtzufinden.

Orlando schlug jetzt eine andere Richtung ein, so daß er sich in großem Bogen der Nordseite der Insel wieder näherte. Mit äußerster Vorsicht trieb er den Nachen von einem deckenden Busch zum nächsten Gestrüpp, kauerte nieder, wenn er größere offene Stellen passieren mußte und bewies bei alledem ein Geschick, eine Ausdauer und Kraft, wie sie nur ein trainierter Körper besitzt.

So landete er denn schließlich an der äußersten Spitze der selben schmalen Halbinsel, auf der vor etwa elf Stunden die Sphinx niedergegangen war.

Nicht zu Unrecht vermutete Orlando, daß, wenn mehrere der Sphinxleute oder gar das Luftboot selbst sich hier befänden, nur die andere Inselseite, eben die Ruinen und der Eichenhain, wo er ja die meisten frischen Fußspuren gefunden, sein Ziel sein müsse.

Kriechend zumeist bewegte er sich nun vorwärts …

Gelangte auch unbemerkt bis zu einem dichten Brombeergestrüpp, das einen Steinhaufen vollständig überwuchert hatte.

Hier schob er sich so tief als möglich zwischen die stachligen Stauden hinein und schlug sich dann erst mit dem Taschenmesser genügend Raum, um sich freier bewegen zu können.

Er brauchte auch nicht allzu lange zu warten. Sein Versteck lag etwa zwanzig Meter seitwärts von dem Felshügel und der Steilwand, in der die breite Spalte den Eingang der Grotte bildete. Und so konnte er nun in aller Gemächlichkeit beobachten, wie die Sphinx an der Felswand sich herabsenkte …

Er sah die Männer, die Frauen … sah Dr. Falz an Deck des Luftbootes … Sah, wie die erste Ladung Goldbarren mit Hilfe einer Winde in einer offenen Kiste zur Erde niederschwebte …

Gold …!! Die Goldbarren …!!

Die Milliarden …!!

Was bedeutete der Diamant ‚Peter’ gegenüber diesen Reichtümern, die nun dort in das Felsloch geschleppt wurden …!!

Jean Orlandos Hände flatterten … Seine hohe Stirn war mit eisigen Schweißperlen bedeckt … Seine Augen quollen aus den Höhlen …

Goldgier – – Goldfieber …!!

Er hatte nie geglaubt, daß es etwas derartiges geben könnte. Jetzt spürte er es am eigenen Leibe …

Sein Blut rauschte und sang in den Ohren … Sein Herz jagte …

Gold – – Milliarden – – Milliarden!! Also kein Märchen all das, was da die Zeitungen berichtet hatten!

Wahrhaftig – der Azorenschatz existierte! Dort wurde er, nur wenige Schritte von ihm entfernt, Kiste auf Kiste, in die Grotte geschleppt …!

Und – wie merkwürdig sich die Männer und Frauen beeilten, schnell wieder aus der Höhle ins Freie zu gelangen …!

Wie keuchend sie dann jedesmal atmeten, eine Weile stehen blieben, bevor sie die Arbeit fortsetzten …!

Sehr seltsam war das …

Gerade so, als ob die Luft in der Grotte verdorben sei – in dieser Grotte, die er und Maxwell nur für Sekunden betreten hatten … Pannarus Mumie hatte sie wieder hinausgescheucht …

Seltsam war’s …

Und Orlando gewann sehr bald die feste Überzeugung, daß es mit der Luft in der Grotte tatsächlich eine besondere Bewandtnis haben müsse, zumal Dr. Falz als einziger dort längere Zeit verweilte – nur dieser unheimliche Mensch, der gegen den Tod gefeit war, wie Orlando nur zu gut wußte! –

Die Zeit verstrich …

Die offene Holzkiste, die als Behälter zum Transport in die Höhle benutzt wurde, enthielt jetzt andere Dinge …

Orlando keuchte vor Aufregung …

Bei Gott – auch das stimmte. Das konnten nur die Schätze aus den Gewölben des Palastes König Matagumas sein …!

Auch davon hatten die Zeitungen allerlei berichtet – freilich so unwirklich erscheinende Einzelheiten, daß jeder Leser die Achseln gezuckt haben dürfte …

Aber – dort waren sie, die uralten goldenen Tempelgeräte der Azteken – – dort waren die Gefäße, die blinkenden mit Juwelen besetzten Schüsseln und Krüge, die Waffen und Goldketten, die Armspangen – und vieles andere mehr …

Milliarden – – Milliarden!! Ein Schatz, wie ihn kühnste Phantasie nicht ersinnen könnte!! –

Und weiter verstrich die Zeit …

Anderes taten nun die beobachteten Männer … Schleppten Steine in die Grotte, große Felsbrocken und wieder Steine …

Jean Orlando lächelte höhnisch. Er merkte, die Sphinx würde bald die Insel verlassen! Dann würde er allein sein mit den Milliarden. – Ihm würden sie gehören, nur ihm …

Lächelte noch höhnischer …

Dann abermals kam jetzt das blonde junge Weib auf ihrem Rundgang an seinem Versteck vorüber … Vielleicht zum dreißigsten Male … Ganz dicht … Ganz ahnungslos …

Und schön war diese blonde Gräfin Gaupenberg – von jener milden Schönheit, von jener graziösen Lässigkeit in Gang und Haltung, die stets ein Zeichen eines aufrichtigen Charakters sind …

Der kleine sehnige Zirkusklown leckte sich die trockenen Lippen …

Oh – ein solches Weib zusammen mit den Milliarden …!! Das müßte ein Leben sein …!! Einen Milliardärtraum in die Wirklichkeit umsetzen, – und er – er würde es tun, er, Jean Orlando …!!

Wenn nur erst die Sphinxleute das Feld räumen würden …! Wenn er nur erst den längst gefaßten Entschluß in die Tat umwandeln könnte …!! –

Jetzt versammelten die Insassen des Luftbootes sich an Deck … Man hatte den Fürsten Sarratow an Bord getragen … rüstete sich zur Abfahrt …

Dann – – hob sich die Sphinx vom Boden …

Schnellte empor – den weißen Wölkchen entgegen.

Und ging im Gleitflug herab, landete dicht am Ufer des kleinen Bergsees unweit der Gaupenburg …

Orlando aber verließ sein Versteck, kroch ins Freie.

Wand sich durch die Brombeerstauden – achtete auf nichts …

Da lag dicht vor ihm auf sonnigem Fleck am Rande des Gestrüpps eine der Kreuzottern, die hier im Heißen Moor so überaus zahlreich waren …

Zusammengerollt schien das armlange Reptil mit der schwarzen Zickzacklinie auf dem Rücken zu schlafen … Hob sich kaum ab von den dürren Laubblättern auf den grünen Gräsern …

Und Jean Orlando wollte sich nun aufrichten, stützte die rechte Hand auf den Boden, fühlte einen schmerzhaften Stich im Zeigefinger, glaubte, sich an einem Dorn geritzt zu haben, sprang auf die Füße, eilte dem Felsenhügel zu …

Auf der Spitze des rechten Zeigefingers standen zwei winzige Blutströpfchen …

Er wischte sie nicht einmal weg …

Gold – – Milliarden …!!

Ein Blick in die Höhe … Die Sphinx war verschwunden …

Ein anderes sicheres Versteck für den Schatz suchen … – Das war die erste Aufgabe …

Und mit einem Male wurde er ganz ruhig … Der Goldrausch verflog … Der nüchterne Verstand gewann die Oberhand …

Ein anderes Versteck …

Und rechtzeitig fiel ihm ein, daß die stärkste der uralten Eichen in Mannshöhe im Stamm eine breite Öffnung hatte, daß der Stamm innen hohl war … Maxwell hatte diese Loch einmal bemerkt, hatte gemeint, das gäbe für den Notfall ein gutes Versteck …

Ja – – ein Versteck für die … Milliarden!! – Armer Maxwell – er lag dort drüben unter dem Heidehügel …

Und er, Jean Orlando, war nun Milliardär …

Ihm würde der Schatz gehören – nur ihm!! –

Zögernd betrat er die Grotte …

Lief wieder ins Freie …

Licht brauchte er – Licht …!

Holte Reisig, Baumäste …

Schichtete unweit des Eingangs in der Grotte einen Haufen auf …

Ein Zündholz sprühte … Flämmchen leckten hoch, knisterten, wurden zu gierigen Flammen …

Roter Feuerschein in der Mumienhöhle …

Und Orlando trotzdem noch zaudernd …

Bis die Goldgier ihn vorwärts trieb …

Da war die Steinmauer vor den Schätzen …

Oh – schlau hatten die Sphinxleute das eingerichtet … Eine Mauer, die nur einem Schutthaufen glich …

Orlando riß sie ein …

Polternd flogen Felsenstücke herab …

Orlando aber war mit ein paar Sprüngen im Freien … Atmete tief … Spürte ein leichtes Schwindelgefühl …

Atmete ruhig …

Und wagte sich dann zum zweiten Mal hinein …

Brachte die Reste der Mauer zum Einsturz … Sah den Hügel von Barrengold und güldenen Kostbarkeiten im flackernden Feuerschein …

Ein Schrei drängte sich über seine zuckenden Lippen – ein tierischer Schrei …

Und doch blieb er vorsichtig …

Hinaus ins Freie wieder …

Und – zum dritten Male dann hinein … Sechs – acht Goldbarren raffte er auf …

Rannte die kaum dreißig Schritt bis zur hohlen Eiche …

Zäh war Jean Orlando …

Und kannte keine Müdigkeit … Achtete nicht der merkwürdigen Schmerzen im Zeigefinger, die sich bald bis in den Arm hinaufzogen …

Eine Stunde …

Unglaubliches hatte er als einzelner geleistet …

Der Wahnwitz des Goldes gab ihm ungeahnte Kräfte …

Stunde um Stunde machte er den kurzen Weg …

Warf dann die letzten vier Goldpokale in das Loch des hohlen Riesenstammes …

Taumelte plötzlich …

Starrte auf seine geschwollene, blauschwarz verfärbte Hand …

Erwachte gleichsam …

Heulte auf vor Schmerzen …

Rannte hinab zum Ufer, warf sich nieder, tauchte den Arm in das braune Wasser …

Funken blitzten vor seinen Augen …

Das Atmen wurde ihm schwer …

Entsetzen packte ihn … Die furchtbare Ahnung, daß der Tod ihm bereits auf den Fersen, ließ ihn wieder emporfahren …

Aber seine Kräfte waren dahin …

Ein neuer Taumel …

Ein Aufklatschen im Wasser …

Und – – langsam versank Jean Orlando im weichen sumpfigen Grund des endlosen Heißen Moores.

 

7. Kapitel.

Gußlar als Robinson.

Einsam und verlassen lag nun wieder die große Insel. Nachmittags bewölkte sich der Himmel, und gegen sieben Uhr setzte ein stundenlanger Regen ein, der alle Spuren, insbesondere den von Jean Orlando bis zur Eiche ausgetretenen Pfad, völlig wieder verschwinden ließ. Das Gras richtete sich auf, und selbst die Stelle, wo die Sphinx vor der Steilwand gelegen hatte, war kaum mehr kenntlich.

Um dieselbe Zeit, als die Schleusen des Himmels sich über dem weiten Sumpfgebiet geöffnet hatten, war vom Flughafen Tempelhofer Feld in Berlin der große Doppeldecker aufgestiegen. Außer dem Piloten waren vierzehn Mann an Bord: die zwölf ‚Kavaliere’ aus dem Café am Halleschen Tor, ferner Baron Werner von Gußlar in der bescheidenen Maske des buckligen Graveurs Hubert Geller und Edgar Lomatz.

Hier in Berlin war schönstes Wetter. Der Pilot fand dann auch ohne besondere Schwierigkeiten die Waldlichtung in den Havelwäldern, wo Mafaldas Sarratow neben dem Eindecker und dem noch immer gefesselten, aber nicht mehr betäubten Tiger im Schatten einiger Büsche saß.

Kaum war das große Flugzeug niedergegangen, kaum hatte dann Hubert Geller sich der Fürstin als vertrauter Benjamin Jekowzers zu erkennen gegeben, als Mafalda auch schon befahl, die Bestie sollte in die Gondel des Doppeldeckers geschafft werden.

Geller-Gußlar, der bisher nichts von der Fürstin Absicht ahnte, den Tiger mitzunehmen, erwiderte kopfschüttelnd:

„Sie scherzen wohl nur, Durchlaucht … Zugegeben, daß die arme Bestie zum wehrlosen Bündel zusammengeschnürt ist … Aber – was soll dieser Ballast an Bord?!“

Mafalda erwiderte hochmütig:

„Das ist meine Sache, Herr Geller … Vorwärts – wir haben keine Zeit zu verlieren … Ich … brauche den Tiger …!“

Geller-Gußlar musterte die Fürstin kühl … Als Weib gefiel sie ihm … Das war eben eine Abenteurerin ganz besonderer Art … Temperament hatte sie … Und ein Weib ohne Temperament ist wie lauer Sekt …

„Wir wollen uns sofort hinsichtlich der … Kommandogewalt verständigen, Durchlaucht,“ meinte der ebenso gelassen. „Jekowzer kennt mich und hat nicht verpflichtet, das Unternehmen zu leiten. Und daran ist nicht zu rütteln, Durchlaucht. Der Tiger bleibt hier. Ich werde ihm eine gnädige Kugel hinter das Ohr jagen …“

Er zog seine Mauserpistole aus der Tasche …

Im selben Moment schlug Mafalda auch schon zu, und die Waffe flog seitwärts in das Gras …

In der offenen Gondeltür, in den Fenstern der Gondel lehnten als Zuschauer die zwölf ‚Kavaliere’ und der Pilot. Lomatz stand neben Mafalda …

Geller-Gußlar war überrascht … Ein solches Draufgängertum hatte er der Fürstin doch nicht zugetraut …

Und blieb wie bisher, sagte kalt:

„Wollen Sie es etwa auf eine Kraftprobe zwischen uns ankommen lassen, Durchlaucht?!“

Mafalda lachte geringschätzig …

„Ich – und nur ich habe hier zu befehlen …!! Merken Sie sich das, Herr Geller!“

Und sie stellte rasch den rechten Fuß auf die im Grase liegende Waffe …

Der Baron von Gußlar wandte den Kopf, winkte … Er arbeitete in der Maske des Graveurs nicht zum ersten Male mit den zwölf ‚Kavalieren’ zusammen. Er wußte, daß er sich auf sie verlassen konnte …

Winkte …

Drehte sich wieder der Fürstin zu …

„Zu welchem Zweck soll der Tiger mitgenommen werden?“ fragte er kurz.

„Geht Sie nichts an …!“

Da mischte Lomatz sich ein …

„Mafalda, ich begreife dich nicht!“ warnte er leise. „Uneinigkeit, bevor wir noch am Ziel sind – ein schlechter Anfang! Was liegt dir denn an der Bestie?!“

Die zwölf Herren in tadelos sitzenden Sportanzügen bildeten jetzt einen Halbkreis um die drei …

Mafalda warf einen Blick in die Runde …

Sie ahnte plötzlich, daß dieser so unbedeutend aussehende Geller kein zu verachtender Gegner war …

Und lenkte ein …

Die beiden traten abseits …

Mafalda flüsterte:

„Ihr roter Bart ist falsch … Wahrscheinlich auch Ihr Name …“

„Genau wie der Buckel!“ nickte Gußlar …

„Wer sind Sie also?“

„Einer, der es mit Ihnen jederzeit aufnimmt, Fürstin Sarratow … Einer, der vor fünf Jahren die Heimat verloren hat, der durch Ehrlichkeit sein Leben nicht fristen konnte, der schließlich Verbrecher wurde und raubte und stahl, wo andere es im Überfluß hatten … – Was soll der Tiger?!“

Mafalda zögerte …

Dann schaute sie Geller-Gußlar fest an …

„Ich … brauche ihn für meine Sache … Ich habe einen Mann geliebt, der sich dann einer … blonden schmachtenden Agnes wegen von mir abwandte … Für diesen Mann hätte ich mein Leben gelassen … Er stieß mich von sich … Ich war seine Geliebte …“

Gußlar verzog das Gesicht. „Derartige Gefühle soll man ausschalten, wenn es um Milliarden geht, Fürstin … Man darf stets nur ein einziges Ziel im Auge haben, sonst verzettelt man seine Kräfte …“

„Und wenn ich Sie nun … bitte, den Tiger mir für meine Zwecke zu belassen?“ – – und ihr warmer Atem schlug ihm ins Gesicht …

Sie hatte den Kopf vorgebeugt … Ihre dunklen heißen Augen lockten und versprachen …

Gußlar lächelte wieder – jetzt leicht ironisch …

„Fürstin, mein Ziel ist die Heimat!! Seit Jahren habe ich kein Weib mehr angerührt … Mein Mannestum kennt lediglich ein Wünschen und Wollen: den Stammsitz meiner Väter zurückzuerwerben! – Gut – die Bestie soll an Bord … Nicht Ihrer … Augen wegen, Fürstin … Sondern weil ich Ihren Haß verstehen kann … Nur eine Frage noch, wer ist der Mann, der eine andere Ihnen vorzog?“

„Graf Viktor Gaupenberg …!“

„Ah – – Gaupenberg … – der Erfinder der Sphinx …! – Fürstin, und den Mann wollen Sie etwa …“

„… Was ich will – Privatangelegenheit! – Ich habe Ihre Zusage … Lassen Sie den Tiger in die Gondel schaffen …!“

Gußlar biß sich auf die Lippen …

„Sie … haben mich überrumpelt, Fürstin …“

„Durchaus nicht! Wenn Sie so rasch ein Versprechen zurückziehen, sind Sie …“

„… Bitte …!!“

Sein Blick drohte …

Dann wandte er sich kurz um …

„Wickelt den Kopf des Tigers in eine Decke … und dann in die Gondel mit der Riesenkatze!“ –

Gleich darauf stieg der Doppeldecker wieder empor.

Der Eindecker blieb auf der Lichtung zurück.

Südwärts ging der Flug …

Bald wurde es völlig dunkel … Mafalda lehnte neben dem Piloten vorn in der kleinen Führerkabine.

Regen rieselte gegen die dicken Fenster …

Die beiden Propeller sangen ununterbrochen ihr pfeifendes Lied …

„Wir werden Mühe haben, die Insel zu finden,“ sagte der Pilot achselzuckend. „Der Regen ist uns sehr hinderlich, Durchlaucht …“

„Wir müssen sie finden …!“

„Sie unterschätzen die Schwierigkeiten, Durchlaucht.“

„Der Regen wird nachlassen … Das Moor ist groß … Und bei Sternenlicht ist die benachbarte Gaupenburg ein guter Wegweiser …“

Der Pilot schwieg …

Mafalda starrte durch die regennassen Scheiben in die Finsternis hinaus …

Der Doppeldecker flog mit mäßiger Geschwindigkeit. Um elf Uhr etwa konnte man über dem Heißen Moor sein, falls man die Richtung nicht verfehlt hatte …

Jetzt war es erst zehn Uhr … –

Lomatz öffnete die kleine Pendeltür …

„Mafalda, das Abendessen steht bereit …!“

Sie winkte ärgerlich ab …

„Geh – jetzt essen!!“

Die Türe schlug zu … Und die Fürstin Sarratow grübelte weiter vor sich hin … – Über ihre Rache …

Sie wußte, daß Agnes Gaupenbergs Mutter bei Gottlieb Knorz’ Schwester in Sellenheim lebte …

Agnes würde die Mutter besuchen, würde auch vielleicht an anderer Stelle zu … überraschen sein …!

Ein böser grausamer Zug lagerte um der Fürstin üppigen Mund …

Agnes Gaupenberg sollte sterben … Und wenn irgend möglich, gemeinsam mit ihrem Gatten – durch den Tiger, der nun seit vielen Stunden hungerte, der hinten im letzten Raum der Gondel in wilder Wut sich hin und her wälzte und seine Fesseln zu sprengen suchte … –

Im Hauptraum der Gondel saßen in bequemen Korbsesseln die zwölf ‚Kavaliere’, Lomatz und Gußlar-Geller. Die kleinen Wandklapptische vor jedem Sitz waren hochgestellt. Der Proviantkorb hatte allerlei Leckerbissen hergegeben …

Man unterhielt sich, sprach kühl und sachlich über die Aussichten des Unternehmens. Die ‚Kavaliere’ wußten nun, worum es sich handelte, um den berühmten Goldschatz der Azoren! – Das war durchaus nach dem Geschmack der zwölf Gentlemangauner … Zumal Gußlar-Geller vorhin jedem noch einen reichlichen Beuteanteil zugesagt hatte.

Man sprach mit der nüchternen Sachlichkeit von erprobten Kämpen auf dem dunklen Gebiet der Gesetzesverächter … Man benahm sich in jeder Weise als Gentleman … Kein rüder Ausdruck fiel … Man trank sich aus Kognakkelchen mit leichten Verbeugungen zu … Es war eben eine erlesene Verbrecherbande, die es jetzt auf die Schätze der Sphinx abgesehen hatte … Da war keiner unter ihnen, der auch nur im geringsten durch schlechte Manieren den Gesamteindruck störte …

Nicht einer …

Alles gescheiterte Existenzen, die aus der Vergangenheit wenigstens etwas hinübergerettet hatten in die traurige Gegenwart: ihre tadellosen Umgangsformen! – Und vielleicht noch etwas: den Korpsgeist der Verfemten! Keiner dieser zwölf hätte den anderen betrogen – keiner dieser dreizehn, den Gußlar gehörte ja mit zu ihnen!

Nur der vierzehnte bildet eine Ausnahme: Edgar Lomatz! Er war von anderem Schlage! Der fühlte sich in dieser Gesellschaft auch keineswegs behaglich. Der spürte genau, daß diese dreizehn da sich noch einen Rest von anständigem Charakter bewahrt hatten …

Seine Gedanken waren bei Mafalda … Ärger und stille Wut erfüllten ihn gegen seine Verbündete … Wie hatte Mafalda nur ausgerechnet derartige Leute als Helfershelfer sich aufdrängen lassen können!! Das waren gefährliche Burschen – gefährlich durch ihre Intelligenz, ihre abgestumpften Nerven und durch ihre … Ehrlichkeit!! Mit diesen Leuten würde man es nachher verdammt schwer haben …! Die würden für gemeine Schurkenstreiche kaum zu gewinnen sein …! –

Und hinten in der Gondel der winzigen Kammer kämpfte der Tiger gegen die Lederriemen einen verzweifelten Kampf …

Die Kammer war leer … An der Decke brannte eine Glühbirne.

Zuweilen krümmte die Bestie sich völlig zusammen und schnellte empor, fiel dann wieder zurück …

Geifer und Unrat näßten den Fußboden … Und weiter raste der Tiger in tollem Grimm. –

Weiter zog der große Doppeldecker seine Bahn …

Ins Ungewisse …

Doch der Regen ließ nach … und gegen elf Uhr verschwand das letzte Gewölk. Die Septembernacht zeigte nun klaren Sternenhimmel und die leuchtende Mondsichel …

Mafalda sagte zu dem Piloten:

„Tiefer hinab! Ich will mich zu orientieren versuchen …“

Sie nahm ein Tuch und rieb die geöffneten Scheiben blank …

Der Doppeldecker senkte sich …

Die Fürstin spähte durch ein scharfes Glas in die Tiefe …

Geradeaus erkannte sie bewaldete Berge …

Ganz links einen plumpen Turm: die Ruine Sellenheim!

„Sie haben die Richtung tadellos gehalten!“ rief sie dem Piloten zu … „Dort rechts unten – das Heiße Moor …! Steuern Sie noch mehr rechts … Wir müssen im Gleitflug niedergehen – ohne Geräusch … Beachten Sie, es gibt da an der Nordseite der Insel eine schmale Landzunge … Dort müssen wir landen …“

Lomatz riß die Pendeltür auch …

„Mafalda – – die Insel!!“

„Längst erspäht, Freund Lomatz …!“

Der Pilot erwies seine Kunstfertigkeit auch weiterhin …

Man landete im Buschwerk der Halbinsel unweit der Stelle, wo auch die Sphinx in der vergangenen Nacht kurze Zeit gelegen hatte …

Sofort setzten sich dann sechs der ‚Kavaliere’ unter Lomatz und Gußlar-Gellers Führung in Marsch – als Spähtrupp …

Um Mitternacht kehrten sie zurück …

Die Insel war leer … Die Sphinx mußte mit ihren Insassen anderswo von neuem gelandet sein.

Inzwischen hatte Mafalda, als sie auf der Halbinsel hin und her gewandert war, den kleinen Nachen entdeckt, in dem Jean Orlando am Vormittag so vorsichtig trotz Doktor Falz strengem Verbot sich wieder an die Insel herangeschlichen hatte …

„Die Sphinx wird zu finden sein,“ erklärte Mafalda jetzt. „Wir haben den Nachen zur Verfügung … Wir werden zu dreien das Moor durchqueren und dann die Gaupenburg aufsuchen …“

Um sie herum standen die anderen … Und all diese Männer waren bitter enttäuscht …

Nur die Fürstin, Lomatz und Gußlar-Geller hatten von vornherein mit Schwierigkeiten gerechnet.

„Sie glauben also auch, Fürstin, daß das Luftboot wieder in dem Holzschuppen am Bergsee unweit des Schlosses untergebracht worden ist?“ meinte Gußlar sinnend. „Herr Lomatz scheint hiervon überzeugt zu sein. Nun mir will es nicht recht in den Kopf, daß die Sphinxleute das Gold etwa in dem Luftboot belassen haben …“

„Sie werden den Schuppen bewachen,“ erklärte Mafalda sehr bestimmt. „Und wenn sie ihn nicht bewachen, dann haben sie eben das Gold anderswohin geschafft – vielleicht in die Keller der Gaupenburg … All das sind Fragen, die man nur an Ort und Stelle lösen kann … – Herr Geller, Sie begleiten Lomatz und mich …!“

„Gewiß, Fürstin … Brechen wir auf … Wir brauchen die Nacht für unsere Zwecke … Tageslicht ist ein Feind …“ Wandte sich an die Gentlemangauner: „Sie, meine Herren, müssen derweil den Doppeldecker unter Baumästen verbergen … Hüten Sie sich aber bitte, irgendwo allzu deutliche Spuren unserer Anwesenheit hervorzurufen. Sollten wir verhindert sein, noch in dieser Nacht zurückzukehren, so bleiben Sie auf jeden Fall den Tag über hier auf der Halbinsel und lassen sich nicht sehen! Sie wissen, was auf dem Spiele steht … Sollten Sie hier trotzdem entdeckt werden, so tritt eben unser Filmaufnahmeapparat in Tätigkeit… Dann sind Sie Filmleute, die hier Szenen eines Abenteuerfilms drehen wollen! – Nun – auf Wiedersehen …! Ihnen, Herr Beng übergebe ich bis zu meiner Rückkehr hier das Kommando …“

Der frühere Rechtsanwalt verbeugte sich …

„Sie können ohne Sorge sein, Herr Geller … Die Geschichte hier hat den Vorzug, aus dem Rahmen unserer sonstigen kleinen … Extratouren herauszufallen … Wir alle werden uns mit ganzem Interesse der Sache annehmen.“

Dann schritten Mafalda, Lomatz und Geller-Gußlar durch die Büsche zum Ufer hinab und bestiegen den Bretterkahn …

Nach dem ergiebigen Regen begann jetzt das Moor seinen nächtlichen Nebelodem doppelt stark auszuhauchen.

Lomatz ruderte, während Baron Gußlar die Stoßstange handhabte. Die Fürstin wieder saß vorn im Boot und achtete auf den Wasserlauf.

Zunächst hielt man sich dicht am Inselufer, bis man in die Nähe der alten Ruine der Ansiedlung gelangt war. An dieser Stelle hatte Mafalda vor Monaten auf der Flucht zum ersten Male die Insel betreten. Und von hier aus glaubte sie in dem Labyrinth der Kanäle sich zurechtfinden zu können.

Jetzt bog der Nachen in das eigentliche Moor ein.

Die Nebel wurden dichter und dichter …

Es war ein mühseliges Beginnen, bei dieser trüben Dunkelheit jene Wegmarken zu erspähen, die einzig und allein die Möglichkeit boten, in diese Wasserwildnis mit der Aussicht, festes Land zu erreichen, sich hineinzuwagen.

Die Wegmarken, ursprünglich nur Doktor Falz Geheimnis, bestanden in Birkenstämmen, die nach einer bestimmten Richtung halb umgeknickt waren.

Der Nachen kam nur äußerst langsam vorwärts …

Und trotzdem verlor man oft die geplante Richtung, mußte umkehren und von neuem eine der schiefen Birken suchen …

Über alledem verstrich die Zeit nur zu schnell …

Lomatz wurde ungeduldig …

„Dieses verfluchte Dreckloch von Sumpf!“ stieß er hervor, als der Kahn nun gar noch gegen ein Hindernis stieß, zurückprallte und halb voll Wasser lief …

„Benehmen Sie sich gefälligst anständig, Herr Lomatz,“ sagte Geller-Gußlar verächtlich. „Ihre andauernden Nörgeleien und zwecklosen guten Ratschläge mögen Sie für eine andere Gelegenheit und andere Begleiter aufsparen …“

Und zu Mafalda:

„Fürstin, der Nachen füllt sich immer mehr … Zünden Sie bitte die Laterne an … Der Kahn muß beschädigt sein …“

Mafalda beleuchtete das viereckige Brett, das die Spitze des Nachens bildete …

„Der Anprall hat das Brett an zwei Stellen gespalten,“ erklärte sie. „Wir müssen landen – irgendwo … Soeben haben wir doch ein größeres Inselchen passiert … Vielleicht besitzt es genügend festen Boden.“

Baron Gußlar tauchte die Stoßstange ein …

Der Nachen schoß rückwärts …

„Das ist das Inselchen!“ rief Mafalda … „Lomatz – mehr links!“ So – jetzt geradeaus …“

Mit Rauschen und Knistern schob der Kahn sich durch einen Streifen Röhricht hindurch und saß gleich darauf auf den Moospolstern des Ufers fest.

Mafalda setzte vorsichtig einen Fuß an Land …

„Hallo – sogar Steine!“ meinte sie überrascht und drängte sich dann in das Erlengestrüpp hinein, die Laterne hoch in der Linken …

Gußlar-Geller warnte sie:

„Fürstin – – Achtung! Diese Mooreilande sind tückisch …“

Und so Lomatz …:

„Raus aus dem Kahn! Kippen wir ihn um und untersuchen wir den Schaden genauer …“

Auch er fand Steine zwischen dem grünen Moosteppich des Ufers …

Meinte wieder: „So sehr klein kann dieses Inselchen doch nicht sein … Das dort ist eine verkrüppelte Eiche, so viel ich bei dem Nebel erkennen kann … Und dort recht stattliche Birken …“

Lomatz stieg gleichfalls an Land, blieb aber stumm.

Den Anschnauzer von vorhin vergaß er diesem Herrn Geller nicht!

Damit kam er aber bei Gußlar an den Unrechten.

„Wollen Sie etwa den Gekränkten spielen?!“ fragte der jetzt ziemlich scharfen Tones. „Derartige Albernheiten lassen Sie gefälligst bleiben …! Ehrgefühl ist eine schöne Sache … Aber dazu gehört zunächst … Ehre, mein bester Herr Lomatz! Und was ich über Ihre Taten, soweit die Zeitungen davon berichteten, erfahren habe, läßt mich stark an …“

Dieser Satz, der ohne Zweifel keine Schmeichelei für Lomatz enthalten sollte, wurde durch einen halblaute Ausruf der für die beiden Männer unsichtbaren Fürstin unterbrochen …

„Hallo – – hierher … – Schnell!“

Und unmittelbar darauf ein kurzer gellender Aufschrei …

Baron Gußlar stürmte durch das Gestrüpp …

Lomatz hinter ihm drein …

Gußlar stolperte im Nebel über eine Luftwurzel … und schlug lang hin … gerade zwischen zwei fast mannshohe bemooste Steine …

Im Stürzen hatte er beide Hände vorgestreckt gehabt, um die Wucht des Anpralls auf den Boden zu mildern …

Und diese seine Hände fuhren durch etwas morsches, schwammiges hindurch …

Berührten eine glatte Kugel, rutschten ab … fanden neuen Halt … an derselben Kugel …

Gußlars Tastsinn erkannte in der Kugel einen … Totenschädel … Und das Morsche, Schwammige, konnte nur ein völlig verfaulter Sarg sein …

Er erhob sich …

Der Nebel ließ ihn hier in dem Zwischenraum der beiden mächtigen Steine nichts als ein Loch erkennen – das Loch, das er mit seinen Händen gestoßen hatte …

Doch zunächst waren ihm Sarg und Totenschädel gleichgültig …

Vorsichtig schritt er weiter …

Der Boden stieg leicht an …

Von Lomatz keine Spur mehr … Auch das Licht der Laterne der Fürstin war nirgends zu erkennen …

Gußlar rief einige Male …

Niemand gab Antwort …

Es war denn, daß die über die Störung ihrer Nachtruhe empörten Wasservögel die Stimmen zu wüstem Lärm erhoben …

Baron Werner Gußlar tappte weiter … Noch zwanzig Schritt, und er stand abermals am Ufer des Inselchens. Nun wußte er, vierzig Schritt war das Sumpfeiland breit, etwa vierzig Schritt …

Wiederum rief er …

Das Wassergetier antwortete … Sonst niemand …

Da wurde ihm doch etwas unbehaglich zumute …

Ein Gedanke sprang flüchtig in seinem Hirn auf: ‚Verrat …!!’

Er wies ihn von sich … Und eilte nun am Ufer des Inselchens dahin, durch Gestrüpp und Dickicht, über freie Stellen …

Fand den Platz, wo sie vorhin gelandet waren …

Eines der beiden Ruder lag hier noch …

Der Kahn aber – war verschwunden …

Gußlar biß die Zähne zusammen … Ein Pfeifen entrang sich seiner Brust …

Also doch!! Verrat …!! Die beiden sauberen Verbündeten hatten ihn ausgebootet …!! Nun steckte er allein hier mitten im Heißen Moor, in den feuchten Nebeln …

„Schufte!“ sagte er dann ganz laut …

Er war kein Mann, der sich mit zwecklosem Grübeln abgab …

Umrundete das Inselchen nochmals, fand nichts.

Rief abermals …

Dann – – waren Mafalda und Lomatz für ihn vorläufig abgetan …

Seine eigene Person war jetzt die Hauptsache …

Und er trat unter die Bäume, fand dort, wo die Eichen standen, einen flachen Hügel …

Mücken umschwärmten ihn … Wie toll waren die kleinen Bestien hier … Sein Feuerzeug entzündete ein Stück Zeitung, das er in der Tasche trug … Das brennende Papier ließ ein paar dürre Zweiglein aufflammen, und bald loderte unter den verkrüppelten Eichen ein Feuer, vor dem die Armeen der geflügelten Blutsauger schleunigst den Rückzug antraten …

Der Baron Gußlar saß neben dem Feuer, den Rücken an die eine Eiche gelehnt, und rauchte eine Zigarre …

Es half nichts … Er mußte hier den Morgen abwarten … Bei diesem Nebel ließ sich nichts unternehmen. Wenn es erst hell geworden, würde er zu allererst einmal das Grab drüben zwischen den Steinen untersuchen und dann zusehen, ob er nicht irgendwie ein Floß bauen konnte …

Er rauchte und dachte unwillkürlich daran, daß er als Knabe sich nichts sehnsüchtiger gewünscht hatte, als einmal … Robinson spielen zu können …

Er mußte lächeln …

Nun war er ein Robinson … Und vielleicht unter weit merkwürdigeren Begleitumständen als jener echte Robinson, der ja wohl Alexander Selkirk hieß …

Das leise Lächeln fror wieder ein …

Jetzt grübelte er doch über Mafaldas und Lomatz’ Schurkenstreich nach … War überzeugt, daß die beiden nach einem genau vereinbarten Plane gehandelt hatten … Er war ihnen eben unbequem gewesen … Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, daß Benjamin Jekowzer ihnen einen Aufpasser von seiner Art mitgeben würde… Deshalb hatten sie ihn hier so schlau … ausgebootet …!

Und doch – manches bei alledem schien dem Baron von Gußlar nicht recht in diese Annahme eines vorbereiteten Verrats hineinzupassen … Da waren kleine Widersprüche, die den Vorgängen eine andere Deutung gaben …

Zum Beispiel: wie konnten Mafalda und Lomatz vorausahnen, daß er über eine Baumwurzel stolpern und lang hinschlagen würde?! – Außerdem, Lomatz hatte sich doch offenbar durch den letzten schrillen Aufschrei der Fürstin genau so sehr beunruhigt gefühlt wie er selbst …! –

Gußlar war ein großzügiger Mensch, aber auch gründlich. Er begann die letzten Ereignisse in Gedanken nochmals kritisch zu prüfen. Da war als erstes der Stoß des Nachens gegen das Hindernis, das nur ein halb versunkener Baum gewesen sein konnte …

Unmöglich konnten Mafalda und Lomatz diesen Baum bei dem Nebel vorher bemerkt und den Kahn auf das Hindernis gelenkt haben …

Schon dieser Anprall war doch nur ein Zufall gewesen …! Mithin war auch das Vollaufen des Nachens und die weitere Folge davon, das Landen hier auf dem Inselchen, genau so als Zufall anzusprechen. Ferner konnte dann auch Mafalda nicht etwa aus Berechnung die Schreie ausgestoßen haben … Ihr mußte wirklich irgend etwas Unangenehmes oder Gefährliches begegnet sein. Nur Lomatz hatte, als er die Fürstin nicht mehr auf dem Inselchen vorfand, heimtückischerweise sich mit dem Kahn entfernt.

Gußlar war jetzt mit diesem neuen Ergebnis seiner kritischen Denkarbeit zufrieden.

Da das Feuer niedriger zu brennen begann, erhob er sich und sammelte abermals Äste und Zweige, kam hierbei in die Nähe der beiden bemoosten Steinblöcke und beschloß, bei Fackellicht das Grab sofort zu untersuchen

Nachdem er von ein paar armseligen Kiefern dicke harzige Äste abgebrochen und sein Lagerfeuer zu hellen Flammen geschürt hatte, setzte er zwei der Kiefernäste in Brand und schritt wieder zu den beiden Felsblöcken hinüber.

Diese hatten etwa dreieckige Gestalt und waren gut zwei Meter hoch.

Zwischen ihren breitesten Stellen war ein Raum von etwa drei Meter Breite und vier Meter Länge.

Als der Baron von Gußlar nun sich bückte und den Boden zwischen den Steinen genauer betrachtete, stellte er sehr bald fest, daß man hier über eine natürliche Vertiefung zwischen den Felsblöcken Baumstämme von Schenkeldicke gelegt hatte, die im Laufe der Jahre verfault und mit einer Schicht von Blättern und Erde bedeckt waren. Er sah auch das Loch, das er beim Sturze in diese Balkenlage gestoßen hatte, räumte die morschen Stämme weg und fand seine Annahme vollauf bestätigt. Die über dem Erdboden hinausragenden Steine waren lediglich Zacken einer größeren Felsmasse, und das Loch zwischen ihnen erschien weit geräumiger, als er es hatte vermuten können.

In dem Loche lag auf einem erhöhten Unterbau von Felssteinen ein Gerippe. Von der Kleidung des Toten war fast nichts mehr vorhanden. Nur ein paar verrostete Spangen und Schnallen zeigten Gußlar, daß die Tracht der unbekannten Leiche die eines früheren Jahrhunderts gewesen sein mußte.

Wichtiger aber als das Skelett waren die Gegenstände, die man dem Toten mit ins Grab gegeben und neben dem erhöhten letzten Ruhebett niedergelegt hatte.

Da war ein Topfhelm mit Nasenschiene, wie sie zurzeit des Dreißigjährigen Krieges noch von manchen Landsknechten getragen wurden. Da waren ein ebenfalls von Rost arg zerfressener Kettenpanzer, ein langer Stoßdegen, ein reich verzierter Dolch und zwei altertümliche Luntenpistolen … Auf der anderen Seite aber – und jetzt stutzte Gußlar und hielt die Fackel tiefer – erkannte er unter den Resten einer vermoderten Lederdecke einen eisernen Kasten von etwa ein Meter Länge …

Gußlar stiegen die Gruft hinab … Als er mit dem Fuße gegen den Kasten stieß, fuhr dieser durch das vom Rost völlig zerstörte Eisen hindurch, und – ein Strom von Goldmünzen ergoß sich auf den Boden …

Der Baron hob ein paar von ihnen auf …

Es waren Dublonen – lauteres Gold …

Gußlar fühlte, wie sein Herz zu jagen begannen …

Aber er zwang sich zur Ruhe, richtete sich wieder auf …

Sinnend schaute er auf den Strom von Goldmünzen herab, der sich aus dem Loche des Kastens über den mit faulem Laub bedeckten Boden verteilt hatte …

Sein Herz schlug wieder wie vordem …

„Ein Wink des Schicksals …!“ murmelte er … „So recht sympathisch war es mir ja von Anfang an nicht, den Grafen Gaupenberg zu bestehlen … Gewiß, ich hätte dafür gesorgt, daß nur ein Bruchteil des Azorenschatzes ihm abgenommen worden wäre, nur ein Bruchteil … Jetzt – –“ – und er atmete tief auf – „Jetzt kann ich auch ohne dieses Verbrechen an einem Manne, der selbstlos und edelmütig dem deutschen Volke helfen möchte, meiner Sehnsucht stillen Traum erfüllen … Denn das, was ich hier entdeckte, ist rechtmäßig mein Eigentum! Ich bin der Finder! Mein ist, was ein Zufall mir bescherte …!“

Und der Baron von Gußlar steckte seine Fackeln in Ritzen der beiden Steine und schuf über dem Loche eine neue Decke aus Zweigen, entfernte alle Spuren, die irgend jemand auf das Vorhandensein dieses Grabes aufmerksam machen könnten, und häufte über der neuen Decke einen Berg von Gestrüpp auf.

Dann begab er sich zu den Eichen zurück, ließ sich neben den Feuern nieder und leistete sich eine zweite Zigarre …

Seine Gedanken weilten in der Heimat … auf dem Stammgut seiner Väter inmitten der fruchtbaren Gefilde Kurlands…

So … schlief er allmählich ein …

Schlief den ruhigen Schlaf eines Mannes, der jetzt den Schlußstrich unter diese letzten Jahre eines Daseins gezogen hatte, das täglich, ja stündlich ihn mit der Gefahr bedroht hatte, einmal im Zuchthaus zu enden … –

Und der Morgen zog über dem Heißen Moor herauf und die Nebel schwanden …

Das Lagerfeuer des Barons war längst erloschen … Die Sonne lugte durch das grüne Blätterdach. Gußlar erwachte erst, als ein Krähenschwarm sich in den verkrüppelten Eichen mit lautem Geschrei niederließ …

Er sprang empor …

Traumhaft unwirklich erschienen ihm jetzt die Erlebnisse der verflossenen Nacht …

Sein erster Gang galt den beiden Felsblöcken …

Sorgfältig prüfte er seine nächtliche Arbeit, verbesserte sie noch, bis er überzeugt war, daß niemand unter dem Haufen Gestrüpp eine Schatzkammer vermuten könnte …

Hunger und Durst spürte er … Am Ufer der Insel gab es überall Brombeergestrüpp mit dicken blauschwarzen Früchten. Gußlar sättigte sich und begann dann mit dem Bau eines Floßes. Als Werkzeug besaß er lediglich sein Taschenmesser und den langen Stoßdegen, den er zu diesem Zweck nachts der Grabkammer entnommen hatte …

Er ließ sich Zeit …

Bis er plötzlich unter dem Einfluß eines neuen Gedankens wie erschrocken vor sich hin starrte …

Der … Tiger …!! Der Tiger! Wenn die Fürstin nun etwa ihre Absicht verwirklichte …?!

Wenn sie, durch niemand gehindert, die Bestie wirklich für ihre Sache benutzte?!

Niemals hätte er selbst je geduldet, daß Mafalda ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnte …

Er hatte den Tiger nur mitgenommen, weil ihm das prächtige Tier dauerte … Es war zu schade, einfach niedergeknallt zu werden …!

Und jetzt – – war die Fürstin vielleicht drüben auf der großen Moorinsel … Vielleicht …!

Jetzt würde niemand dazwischentreten, wenn sie ihre finsteren Pläne ausführen wollte …

Und dies war’s, was den Baron Gußlar zu schnellem Handeln trieb …

Er … entkleidete sich, schaffte das, was den Namen Floß noch keineswegs verdiente, ins Wasser, legte seine Sachen darauf und schwamm, den Bündelhaufen vor sich herschiebend, durch die Kanäle davon, indem er sich nach den Kennzeichen des Weges, den geknickten Birken, richtete.

Nach einer halben Stunde hatte er auch wirklich die große Insel erreicht … Umrundete sie bis zu der Landzunge und watete hier aufs Trockene, legte seine Sachen wieder an und schlich weiter, bis er das mit Ästen bedeckte Flugzeug gefunden …

Es war leer …

Nicht einer der ‚Kavallerie’ war in der Kabine …

Anderes aber bemerkte Baron Gußlar …: Blutspuren auf dem Linoleum des Kabinenbodens – umgeworfene Korbsessel, Zeugfetzen …

Und – die schmale Eingangstür der Gondel hatte weit offengestanden …!

Gußlar horchte jetzt an der Tür der Kammer, wo der Tiger eingesperrt gewesen …

Alles still …

Zog seine Pistole … öffnete die Tür …

Leer der kleine Raum …

Zerbissene, zerrissene Riemen … Das eine Fenster zersplittert … Blut an den Glasresten im Rahmen …

Gußlar horchte plötzlich auf …

War das nicht soeben ein tiefes qualvolles Stöhnen gewesen?!

Und diese Laute kamen über menschliche Lippen … Von draußen – aus dem Gestrüpp …

Gußlar eilte hinaus …

Er ahnte ungefähr, was hier vorgefallen sein mußte.

Draußen fand er denn auch fünf Schritt weiter in dichtesten Gebüsch den früheren Anwalt Benz, einen der zwölf ‚Kavaliere’ …

Fand ihn … mit aufgerissenem Unterleib, halb zerfleischtem Gesicht …

Einen Sterbenden …

Bengs stiere Augen zeigten schon die Schleier der Todesschatten. Trotzdem erkannte er Gußlar noch …

Lallte kaum hörbar …

„Tiger … ausgebrochen … anderen … entflohen.“

Gußlar war bei dem Anblick der furchtbaren Verletzungen des Ärmsten erblaßt …

Drei Minuten später war Benz verschieden.

Gußlar aber nahm die gespannte Pistole in die Rechte und machte sich auf den Weg, die Männer, die mit ihm hierher gekommen waren, zu suchen.

 

8. Kapitel.

Der sprechende Ventilator.

Und nochmals die Faluhn-Klippe …

Klippe dunkelster Geheimnisse …!

Draußen auf dem Meere das Wrack des Fliegenden Holländers, zerstörte Schiffsattrappe, errichtet über dem Stahlleibe eines U-Bootes …

An Deck vier Menschen …

Vier, die soeben die Gestalt dort oben auf dem Plateau verschwinden gesehen hatten – – die Gestalt des toten Grafen Montgelar!! –

Gipsy Maad, frisch und lebhaft wie immer, sagte achselzuckend:

„Montgelar haben wir dem Meere übergeben … Es kann nur ein Fremder gewesen sein!“

„Vielleicht ein Mann der Besatzung, den der Graf auf der Klippe zurückgelassen hat …!“ meinte Mela Falz …

Jetzt erschienen auch Nielsen und Pasqual an Deck … Hinter ihnen Murat, der Homgori …

Man besprach das beobachtete …

„Wir laufen in den Meeresarm zwischen den beiden Inselteilen ein,“ bestimmte Gerhard Nielsen. „Ein einzelner Mann kann uns nicht schaden, sei es, wer es sei …!“

So nahm denn das U-Boot mit seiner Attrappe Kurs auf den schmalen Kanal.

Immerhin waren die Sphinxleute vorsichtig …

Nur Pasqual und Knorz lagen mit Ferngläsern oben an Deck zwischen den Trümmern und beobachteten.

Das Wrack lief in den Meeresarm ein …

Die Felsgestade lagen verlassen da … Nirgends etwas verdächtiges …

Man warf dann Anker – mitten im Kanal … Nielsen ließ aus den Balkenresten ein Floß zimmern … Alle halfen. Die jungen Mädchen spielten derweil Wächter. Die Stimmung war gedrückt. Man ahnte neue Schwierigkeiten voraus … Man sagte sich mit Recht, daß der Fremde dort auf der Kuppe sich wohl nochmals gezeigt haben würde, nachdem er jetzt gesehen haben mußte, daß das verankerte Wrack der Fliegende Holländer war … Der Mann konnte also kaum zu dessen Besatzung gehören …

Wer also war’s?!

Wer?!

Alle, die ihn flüchtig gesehen hatten, bestätigten seine Ähnlichkeit mit Ortwin Montgelar …!

Wer also war’s?!

Als das Floß fertig, ruderten Nielsen, Pasqual und Knorz an Land – zum Südteil der Klippe …

Sie wollten die Grotte besuchen, wollten feststellen, ob dort etwa noch Leute sich verborgen hielten.

Gerhard Nielsen hatte, bevor sie von dem Wrack abschießen, wieder einmal einen schweren Kampf mit Gipsy Maad gehabt. Die junge Amerikanerin wollte durchaus als vierte mit von der Partie sein. Als Nielsen ihrr das abschlug, verlangte sie Gründe zu hören … „Ich bin kein Kind, Gerhard … Ich bin deine Braut und kein hysterisches Nervenbündel … Fürchtest du Gefahren – Sprich!“

Nielsen hatte da in Gegenwart aller Gefährten erklärt: „Ihr habt mich zum Führer gewählt. Wir drei sind genug. Du bleibst …!“

Sie hatte sich hastig abgewandt.

Das Floß ruderte davon …

Und das Prinzesschen umarmte Gipsy und flüsterte begütigend:

„Er sorgt sich doch nur um dich …!“

„Und ich um ihn!“ fuhr die schlanke energische Detektivin auf. „Er vergißt auch, daß ich Amerikanerin bin … Wir lassen uns nicht … knechten …“

Und sie machte sich aus Tonerls Armen frei und stellte sich abseits und starrte nach Norden auf die Felsmassen des anderen Teiles der Klippe, wo es nichts zu sehen gab – gar nichts …

Die übrigen schwiegen und verfolgten mit etwas bangen Blicken das plumpe Floß …

Es landete …

Knorz winkte … Hob seinen alten Teckel ans Ufer, von dem er sich niemals trennte …

Tom Booder meinte da:

„Wir sollten lieber an die Arbeit gehen und die Attrappe vollends entfernen, damit schließlich nur das U-Boot uns bleibt …! Vorwärts – zugegriffen! Es genügt, wenn die Damen die Ufer beobachten …“

Fredy Dalaargen nickte. „Ja – man kommt sonst nur auf dumme Gedanken …! – Murat – her mit den Äxten …!“

Er warf die Jacke ab …

Der Homgori brachte die Werkzeuge …

Als der erste Axthieb dröhnend die Deckplanken erzittern ließ, drehte Gipsy sich um und kam langsam herbei …

Wortlos nahm sie ein breites Beil und half mit …

Das Hämmern und Pochen hallte weit über die stillen Wasser des Kanals hin …

Längst waren die drei Gelandeten verschwunden. Kaum außer Sicht des Wracks, hatte Nielsen seine Pistole aus der Tasche genommen …

„Tut ein gleiches, Freunde,“ meinte er einfach. „Ich habe so meine eigenen Gedanken, was den Mann auf der Felskuppe angeht … Das war vielleicht doch Graf Montgelar …!“

Pasqual blieb mit einem Ruck stehen …

„Oho, Herr Nielsen …! Montgelar?! Und das – das sagen Sie?!“

„Ja – ich sage es …!! Ich, mein alter Pasqual! Wir werden ja sehen!“

Auch Gottlieb schüttelte nur den Kopf …

Weiter gingen sie … Bis in die Schlucht unterhalb des Plateaus, wo Murat gestern die Stange mit dem eisernen Griff im Felsboden gefunden hatte …

Wo links davon die Steilwand sich emporreckte, in der die Steintür mit dem uralten Mechanismus von Eisenhebeln sich aufgetan …

Und diese Tür war offen geblieben, als der Fliegende Holländer mit seinem Doppelfahrzeug auf die eine Meldung hin untergetaucht war und durch die unterirdische Öffnung das freie Meer gewonnen hatte …

Und der Mechanismus war verbogen gewesen. Nur gewaltsam hatte die Tür sich aufbringen lassen. Auch das wußten die drei nur zu gut …

Standen jetzt vor dem nur einem kundigen Auge sichtbaren Umrissen der Steintür …

Nielsen sagte:

„Ich werde an dem Griff ziehen … Vielleicht hat man den Mechanismus wieder ausgebessert …“

„Man – – man?! Wer denn, Herr Nielsen?!“ polterte Pasqual hervor … „Das bringt doch kein einzelner fertig …!“

Gerd Nielsen schritt davon, bückte sich …

Mit beiden Händen faßte er in den eisernen rostigen Griff …

Seine Bärenkräfte genügten …

Langsam zog er den Griff etwa zwanzig Meter nach oben …

Pasqual rief herüber:

„Hallo – – die Tür bewegt sich!“

Nielsen richtete sich auf …

Sah, wie Knorz und der Portugiese die Grotte betraten …

Wollte warnen …

Zu spät …

Von hinten legten sich Riesenfäuste um seinen Hals.

Eine Decke flog ihm über den Kopf … Andere Fäuste umkrallten seine Arme …

Ein Ruck – er schwebte in der Luft … Schlingen fesselten ihm Arme und Beine … Man trug ihn davon.

Nur auf sein Gehör konnte er sich verlassen …

Hörte das Knirschen von schweren Stiefeln auf dem Felsboden … Menschen um sich her … Flüstern …

Und dann schwere hallende Schritte …

Man hatte ihn in die Grotte gebracht …

Man legte ihn nieder … In ein schaukelndes Etwas – in ein Boot …

Hob ihn empor, nachdem das Geräusch von arbeitenden Rudern und Plätschern von Wasser eine Weile angedauert hatten …

Und – eine Tür schlug nun mit metallischem Klingen zu …

Ein paar Bewegungen des Oberkörpers befreiten Nielsen von der schweren Wolldecke …

Ein Blick …

Da saßen neben ihm auf kleinen Klappstühlen Pasqual und Gottlieb Knorz … Der Teckel lag auf Gottliebs Schoß … Gefesselt die beiden, wie Nielsen …

Eine enge Kabine … Die eine Wand gewölbt …

Im übrigen leer bis auf drei schmale Bettmatratzen auf dem Fußboden …

An der Decke eine elektrische Lampe …

„Ich wußte es,“ sagte Nielsen leise … „Es konnte nur so sein, es mußte ein zweites U-Boot geben … Das hat den Fliegenden Holländer beschossen und die Besatzung niedergemäht …! Daher sahen wir keine Trümmer eines zweiten Fahrzeuges auf dem Meere schwimmen! Deshalb!“

Pasqual fluchte …

„Herr Nielsen, Neger waren’s, die uns an den Hals sprangen, als wir kaum die Grotte betreten hatten! Kerle wie die Riesen! Und nicht einen Schuß konnten wir abfeuern! Hol’s der Teufel – ich schäme mich! Wir hätten vorsichtiger sein sollen!“

„Was uns nichts genützt hätte,“ meinte Gottlieb in verbissener Wut …

„Ganz recht, lieber Knorz, nichts genützt!“ erklärte auch Gerhard Nielsen. „Sie hätten uns doch hinterrücks erwischt … Sie wollten uns ohne Kampf haben, und sie werden auch unsere Freunde in ähnlicher Weise gefangen nehmen … Sie … sie, die Leute des zweiten U-Bootes!“

Oretto brummte:

„Zweites U-Boot …! Mag sein, Herr Nielsen! Aber – ein zweiter Graf Montgelar?!“

„Ja …“ – Nielsen dämpfte die Stimme noch mehr … „Ein zweiter Graf Montgelar …! Denn Graf Ortwin hatte einen Bruder, Freund Pasqual … Da waren unter den Papieren, die wir bei ihm fanden, ein paar sehr alte Briefe dieses Bruders …! – Arthur Montgelar hat mit dem Jüngeren offenbar sehr schlecht gestanden … In den Briefen, die ich nur ganz flüchtig durchsah, war mehr als eine bemerkenswerte Stelle …“

Knorz stieß einen zischenden Laut aus …

„Oh – das Gesindel …!! Ich – ich hatte ja die Papiere in der Brusttasche, Herr Nielsen …! Man hat sie mir abgenommen …! Und auch die Geheimschrift war dabei, Herr Nielsen, die zehn Blätter voller Zahlen! Miß Gipsy gab sie mir zurück … denn sie war ja ebenfalls nicht daraus schlau geworden …“

Nielsen starrte zu Boden …

Sie schwiegen eine geraume Weile …

Schwiegen und sannen über die Rätsel nach, die sich ihnen hier von neuem aufgedrängt hatten …

Ringsum war’s totenstill …

Kein Laut drang in die Kabine …

Pasqual aber vertrug diese Untätigkeit seiner rührigen Zunge nicht lange …

„Herr Nielsen, und … und unsere Freunde?!“ fragte er flüsternd …

„Werden nach uns suchen, guter Pasqual … Werden ein paar an Land schicken … Und auch die wird man fangen wir uns … Nachher werden nur noch zwei, drei übrig sein … Und die müssen sich schließlich ergeben …“

„Und – dann, Herr Nielsen?!“

„Sie fragen zu viel, Oretto … Vielleicht – vielleicht läuft alles auf eine große Erpressung hinaus … Vielleicht wird nun Gaupenberg ein Lösegeld für uns vorschlagen – – viele Millionen natürlich … Ich weiß es nicht – – vielleicht! Vielleicht auch nicht! Vielleicht!“

„Sie … sind … niedergeschlagen, Herr Nielsen?“

„Nur der Ungewißheit wegen … Ändern läßt sich an alledem nichts … Selbst wenn wir uns gegenseitig unsere Fesseln aufknoten würden – wir können niemals ins Freie! Das Schicksal ist gegen uns!“

Gottlieb rutschte da auf seinem Klappstuhl hin und her …

„Wenn … wenn die Neger sich nur nicht an unseren jungen Damen vergreifen …!“ platzte er heraus … „Herr Nielsen, ob wir nicht doch einmal den Versuch wagen uns zu befreien?!“

„Zwecklos!! Wir müssen zusehen, daß wir im Guten mit den Leuten auseinanderkommen … Gewalt wäre verkehrt … Warten wir noch ab …!“

Antwort kam … Oben aus der einen Ecke der Kabine, wo der Ventilator eingebaut war …

Eine weiche angenehme Männerstimme:

„Sie haben recht, Herr Nielsen …! Es wäre zwecklos! – Nehmen Sie sich nur die Stricke ab … Und dann schreiben Sie am besten ein paar Zeilen an Ihre Freunde, Herr Nielsen … Ich möchte Ihren Damen gern jede Aufregung ersparen. Das kann ich nur, wenn ich der Notwendigkeit überhoben werde, hart zuzupacken. Ich bürge Ihnen mit meinem Wort, daß Sie alle, selbst der Homgori, in jeder Weise gut behandelt werden sollen …“

Die drei Männer starrten zu dem Ventilator empor …

Sahen dort nichts als das Rohr mit seiner runden Öffnung, hinter deren Drahtgitter die vierflügelige Luftschraube aus Messing blinkte. Der Ventilator war nicht in Tätigkeit.

Nielsen erhob sich dann …

Erwiderte ganz laut:

„Und wer ist’s, dessen Wort ich vertrauen soll?!“

„Auch das werden Sie erfahren,“ kam abermals die weiche Männerstimme aus unsichtbarem Munde. „Vielleicht ist Ihnen bekannt, daß Deutschland im Jahre 1916 ein drittes Handelsunterseeboot insgeheim nach Amerika schickte … Das große U-Boot ist verschollen … Sie, meine Herren, befinden sich jetzt an Bord dieses verschollenen Fahrzeuges, das seinerzeit ‚Ballin’ getauft wurde … – Das mag Ihnen vorläufig genügen … Ich verabschiedete mich … Ein Zettel und Bleistift, Herr Nielsen, liegt unter der einen Matratze. In zehn Minuten lasse ich Ihr Schreiben abholen. Auf Wiederhören …“

Die drei schauten sich an …

„Wir sind belauscht worden,“ flüsterte Pasqual scheu.

„Ohne Frage!“ nickte Gerd Nielsen. „In unserer Zeit hat man genügend Apparate zur Verfügung, selbst den schwächsten Schall zu verstärken … – Da – knoten Sie mir die Stricke auf, Pasqual … Sie haben die meiste Kraft in den Fingern … Ich werde den Zettel schreiben …“ – –

Auf dem Wrack war man in voller Arbeit, als Toni Dalaargen einen schwarzen Matrosen bemerkte, der sich langsam dem Ufer des Kanals näherte …

Ihr Zuruf ließ die Klänge der Äxte verstummen …

Der Neger schwenkte einen Zettel in der hoch erhobenen Rechten …

Gipsy Maad sagte mit leicht vibrierender Stimme:

„Da – ich habe es geahnt …! Unsere drei Gefährten sind abgefaßt worden!“

Der Schwarze hatte schon das Floß vom Ufer gelöst und trieb es mit Hilfe der plumpen Ruder auf das Wrack zu …

Der Mann war sauber gekleidet und sagte denn auch sehr bescheiden, als er am Wrack angelegt hatte, wo Dalaargen und Booder die noch leidlich erhaltene Schiffstreppe niedergelassen hatten:

„Ich soll diese Mitteilung abgeben und meinem Herrn Ihren Bescheid bringen …“

Dalaargen nahm ihm den Zettel ab …

Oben an Deck las er leise vor:

„Gefährten, wir drei sind an Bord eines U-Bootes gebracht worden und bitten euch, freiwillig an Land zu kommen und euch gleichfalls zu ergeben. Der Führer des U-Bootes hat uns auf sein Wort versichert, daß wir gut behandelt werden sollen. – Gerhard Nielsen.“

Gipsy Maad blickte die Freunde prüfend an …

„Wir gehorchen, denke ich …,“ meinte sie schlicht. „Ich jedenfalls werde Gerhardts Rat befolgen …“

Dalaargen zögerte …

Auch Tom Booder war unschlüssig. Aber das Tonerl schmiegte sich an ihn …

„Tom, Gerhard Nielsen hätte sich niemals dieses Schreiben abpressen lassen …“

„Niemals!“ rief Gipsy …

Und auch Mela Falz erklärte:

„Fredy, gehorchen wir …! Wir können die Freunde doch nicht im Stich lassen …“

Der Herzog trat an die zerschossene Reling und rief dem Neger zu:

„Wir ergeben uns …!“

Der Schwarze verneigte sich und erwiderte in fließendem Englisch:

„Dann ist es gut …“

Verbeugte sich abermals und schwenkte seine Matrosenmütze nach dem Südteile der Klippe …

Setzte sich auf das Floß und holte eine kurze Tabakspfeife hervor, stopfte sie und rauchte mit unerschütterlicher Ruhe, als ob es über ihm an der Reling auch nicht ein einziges Paar Augen gäbe, daß jede seiner Bewegungen verfolgte …

Obwohl der schwarze Matrose nun bei alledem eine gewisse nachlässige Zwanglosigkeit zeigte, gewann Gipsy Maad mit ihrem für Kleinigkeiten geschärften Blick den Eindruck, daß der Neger diese Zwanglosigkeit und bescheidene Biederkeit nur heuchelte. Ein Unbehagen beschlich sie, das noch verstärkt wurde, als auch Dalaargen leise erklärte:

„Ich weiß nicht recht, der Kerl mißfällt mir! Dieser stiernackige Riese ist mir zu zahm!“

Und das Prinzesschen meinte gleichfalls etwas bedrückt:

„Er hat einen Ausdruck in den Augen, der schwer zu enträtseln ist …“

Zu einer weiteren Aussprache über den Schwarzen war jedoch keine Zeit mehr …

Um die Biegung des Kanals schwenkte bereits ein großes aufgetauchtes U-Boot …

An Deck befanden sich ausschließlich Neger. Tom Booder zählte vierzehn Mann. Sie waren sämtlich sauber in blaue Matrosenanzüge gekleidet und schienen unbewaffnet zu sein.

Das U-Boot kam in schneller Fahrt heran und legte sich neben das Wrack des ehemaligen Gespensterschiffes.

Einer der Schwarzen, der anstelle der halsfreien Bluse eine Jacke mit zwei Goldstreifen an den Ärmeln trug, legte die Hand an die Mütze und rief:

„Ich bitte die Damen und Herren, zu uns an Bord zu kommen. Die Kabinen sind bereit. Unser Kapitän wird sich dann erlauben, Sie zu begrüßen …“

Gleichzeitig hatten sich aber auch schon ein halbes Dutzend der stämmigen Neger auf das Wrack geschwungen und beobachteten die Sphinxleute …

Dalaargen erwiderte dann auch notgedrungen:

„Wir sind hoffentlich nur Gäste Ihres Kapitäns, nicht Gefangene … Da wir keinerlei Gepäck besitzen, werden wir das Wrack sofort verlassen …“

Der Schwarze unten verneigte sich …

„Natürlich, Sir … Nur Gäste … Unser Schiff ist kein Pirat …“

Und doch – um die Wulstlippen dieses Negers, der zweifellos ein gebildeter Mensch war, spielte ein flüchtiges Lächeln voller Hohn und Brutalität …

Dalaargen sah’s …

Und neben ihm flüsterte Mela Falz beklommen:

„Fredy, wir haben uns überlisten lassen … Auch Nielsen ist getäuscht worden …“

Der Herzog erwiderte ebenso leise und hastig:

„Es hilft nichts … Wir müssen gute Miene zum bösen Spiel machen … Tun wir ganz harmlos … Nur keine Angst zeigen …“

Dann schritt er der Schiffstreppe zu. Die anderen folgten …

Als erste gingen Mela, Gipsy und Tonerl an Deck des U-Bootes hinüber. Dann Tom Booder und Dalaargen. Den Schluß machte Murat, der Homgori.

Kaum hatte dieser aber die Schiffstreppe betreten, als der Neger mit der Steuermannsjacke befehlend rief:

„Kehrt, du zottiges Scheusal!! Du bleibst auf dem Wrack!!“

Dalaargen drehte sich rasch nach Murat um …

Und bemerkte dabei, daß sie sechs Neger, die auf dem Wrack standen, nun Pistolen in den Händen hielten …

Er ahnte, was geschehen sollte … Man wollte Murat niederknallen … Der Wortbruch begann also bereits …

Auch die anderen hatten sich nach dem Homgori umgeschaut … Jeder liebte Murat, jeder … Und jeder fürchtete genau dasselbe wie Dalaargen …

Da war’s das stille, ängstliche Prinzesschen, das jetzt zu heroischem Tun sich aufschwang …

Sie kehrte um, drängte sich am Booder und Dalaargen vorüber und stellte sich dicht neben Murat, raunte ihm zu:

„Sie wollen dich töten … Spring ins Wasser … Ich decke dich mit meinem Leibe …!“

Und sie schob ihn zur anderen Seite des Wracks …

Der Homgori hatte in jäher Wut die Oberlippe hochgezogen und die mächtigen Zähne entblößt … Es schien so, als ob er sich auf diese Schwarzen stürzen wollte …

Wieder flüsterte Toni:

„Flieh! Spring ins Wasser! Tauche und bleibe unter dem Floß … Zwischen den Balken kannst du atmen …“

Murat schoß plötzlich kopfüber in den Kanal …

Die sechs Schwarzen kamen zu spät, und das U-Boot lag auf der anderen Seite des Wracks …

Inzwischen hatte sich der Neger, der auf dem Floß gesessen, längst auf das U-Boot hinüber begeben. Das Floß war auch schon ein Stück von dem Wrack weggetrieben. So begünstigten denn eine Reihe geringfügiger Umstände Murats Flucht.

Ein Boot nahm zwar sogleich seine Verfolgung auf, fand den Homgori jedoch nirgens und kehrte nach zehn Minuten zurück. Während dieser Jagd auf den Flüchtling hatten die Sphinxleute sich an Deck des U-Bootes eng zusammen gehalten … Die Schwarzen, selbst der Steuermann, warfen ihnen nun finstere Blicke zu …

Jetzt trat der Schiffsoffizier näher, machte eine knappe Verbeugung und sagte lediglich:

„Folgen Sie mir …! Die Bestie werden wir schon fangen! Wir brauchen keine Menagerie an Bord!“

Und dieser letzte Satz bewies ganz klar, daß die Angst der Sphinxleute um Murats Leben nicht unbegründet gewesen war …

Jetzt aber ging mit Mela Falz das leicht erregbare Blut durch …

„Menagerie!“ schrie sie den Negern empört ins Gesicht … „Murat ist Mensch – und ein besserer als Sie heimtückischer aalglatter Bursche!!“

Der schwarze Steuermann wich ein wenig zurück … Melas flammende Augen erschreckten ihn … Dann jedoch grinste er tückisch …

„Folgen Sie mir!!“

Und jetzt war’s ein Befehl … Jetzt winkte er seine Leute herbei …

„Sei still!!“ – Und Dalaargen ergriff Melas Hand. „Um Gotteswillen Ruhe …! – Das hättest du nicht tun sollen, Liebling …“

„Vorwärts!!“ brüllte der Schwarze ungeduldig …

„Wir kommen,“ nickte der Herzog. „Gehen Sie nur voran … Ich werde mit Ihrem Kapitän sprechen. Sie haben hier eine merkwürdige Art, Gäste zu empfangen!!“

Gleich darauf sahen sich die fünf in einer Kabine, die durch eine Türvorhang von einer zweiten getrennt war. Kaum waren sie eingetreten, wurde hinter ihnen abgeschlossen …

Als Dalaargen den Vorhang hob, erblickte er nebenan die drei Gefährten: Nielsen, Knorz und Pasqual!

Bevor der Herzog den dreien aber noch ein Wort der Begrüßung zurufen konnte, hatte Nielsen schon warnend den Zeigefinger auf den Mund gelegt …

Trotzdem drängte Gipsy sich rasch vor …

„Gerd, Gerd, ich habe es geahnt!“ – Und sie umschlang ihren Verlobten…

Eine andere Stimme da …

Von oben aus der einen Ecke – aus dem Ventilator – wie vorhin …

Eine weiche, angenehme Männerstimme – von fast berückendem Wohlklang …

„Gestatten Sie, daß ich Sie alle nunmehr an Bord meines Schiffes willkommen heiße …“

Pause …

Die Augen der Sphinxleute stierten nach oben …

Nielsen flüsterte erklärend …

„Der Herr zeigt sich nicht … Auch mit uns unterhandelte er in dieser Weise …“

Dann begann der sprechende Ventilator wiederum:

„Sie werden an Bord des ‚Ballin’ nichts zu vermissen haben, wenn Sie meine Anweisungen genau befolgen … Ich verlange nichts Unbilliges. Zuerst – liefern Sie die Schußwaffen ab!“

„Niemals!“ rief Nielsen sofort. „Das hätten Sie vorher zur Bedingung machen sollen, nicht jetzt, wo ich meine Freunde bewogen habe, sich kampflos zu ergeben!“

Pause …

Die Sphinxleute warteten …

Nun mußte der Kapitän ja vollends die Maske lüften …

Und – der Ventilator meldete sich – höflich, liebenswürdig:

„Gut, behalten Sie Ihre Waffen, die Ihnen ohnedies nichts nützen … – Zum zweiten: Sie werden jeder einen Brief an den Grafen Gaupenberg schreiben und ihn anflehen, auf meine Bedingungen einzugehen … Sie können ihm mitteilen, daß Sie hier Gäste an Bord des U-Bootes sind, welches einst ‚Ballin’ hieß und jetzt namenlos ist … Jeder von Ihnen muß einen solchen Brief schreiben, damit Graf Gaupenberg erkennt, daß er nachgeben muß – muß!“

Die Stimme war sanft geblieben … Obwohl das, was sie soeben gesprochen, nichts als abscheuliche Erpressung beinhaltete …

Nielsen fragte verächtlich:

„Mit einem Wort, Sie wollen Gaupenberg zwingen, für uns Lösegeld zu zahlen?!“

„Verzeihung – kein Lösegeld! Sie sind meine Gäste … Nur die Unkosten möchte ich erstattet haben, nichts weiter … Gewiß, es wird sich dabei um rund eine Milliarde handeln … Doch, was tut’s! Der durch den Königsschatz Matagumas angeschwollene Wert des Azorengoldes verträgt eine solche Einbuße ohne weiteres …“

Der Klang der Stimme änderte sich nicht … Aber gerade deshalb wirkte sie jetzt abstoßend und gemein …

„Und wenn wir uns weigern?!“ meinte Nielsen mit noch schärfer Verachtung …

„Dann … – So sehr ich es bedauere – werde ich meine Leute kaum davon zurückhalten können, die jungen Damen … etwas härter anzufassen … Sie verstehen mich wohl … Doch Sie werden es wohl nicht zum Äußersten kommen lassen … Davon bin ich überzeugt … Ich habe sechzehn Schwarze an Bord – die lange keine Frau gesehen haben …“

„Schämen Sie sich!“ schrie Nielsen, und auch ihn verließ jetzt die Ruhe … „Schämen Sie sich, Graf Arthur Montgelar! Sie sind Deutscher! Sie sind Graf Arthur Montgelar! Wie tief müssen sie gesunken sein, daß Sie zu derartigen Erpressermitteln greifen!“

Stille …

Die drei jungen Mädchen waren erblaßt … Ihre Blicke hatten sich scheu gesenkt …

Tonerl lehnte an Tom Booders Brust … Gipsy hatte Nielsens Hand ergriffen, und Mela Falz hielt Dalaargen umschlungen …

Stille …

Die Männer starrten die Ventilatoröffnung an … Doch die blieb still …

Minuten reihten sich aneinander …

Schließlich wurde Gerd Nielsen ungeduldig …

„Sind Sie noch da, Graf Montgelar?“

Keine Antwort …

Abermals Minuten …

Dann Nielsen zu den Freunden:

„Wir lassen niemand in diese beiden Kabinen hinein … Die Wände und Türen sind aus Eisen … Nebenan in der größeren stehen Möbel … Verrammeln wir die nach innen schlagenden Türen …! Diese Schufte hier sollen merken, daß wir keine alten Weiber sind! – Vorwärts …!!“

Seine Energie riß die anderen mit fort …

„Bravo!“ meinte Pasqual ebenso laut. „Bravo!! Die Halunken werden uns schon am Leben lassen, denn tot nützen wir Ihnen nichts! Wir werden mit dem edlen Sennor, falls er wirklich Graf Arthur Montgelar ist, verhandeln … Er wird etwas billiger werden müssen!! Eine Milliarde – – eine Frechheit!!“

Und Gottlieb Knorz:

„Dem Herrn Ventilator hat’s die Rede verschlagen, als er beim Namen genannt wurde! Oh – das schien ihm verdammt peinlich zu sein, dem Herrn Grafen! – Im übrigen – du hast ganz recht, Pasqual. Tot sind wir den Schuften wertlos! Also werden sie uns wohl nicht verhungern lassen!“

Nebenan gab es drei einfache Bettgestelle …

Deren Holzteile genügten …

Jeder packte mit an. Stützen wurden gegen die Türen gekeilt. Man scheute sich durchaus nicht, Lärm zu machen. Man wußte ja doch, daß jedes Wort belauscht wurde, denn auch die größere Kabine hatte einen Ventilator.

Nielsen besichtigte dann die Wände ganz genau, ob nicht vielleicht irgendwo noch eine Klappe oder dergleichen vorhanden …

Nein – nichts …! Man konnte sich vorläufig sicher fühlen …

Vorläufig …

Dann wurde für die drei jungen Mädchen die kleinere Kabine bestimmt. Obwohl nur der Vorhang sie von den Freunden trennte, sollten sie sich niederlegen und ruhen.

In der größeren saßen die fünf Männer beieinander – und als sechster der Teckel Kognak …

Eine Stunde war vergangen, seit der Ventilator die Unterhandlungen so jäh eingestellt hatte. Es war jetzt ein Uhr mittags …

Pasqual gähnte herzhaft …

„Es würde genügen, wenn zwei von uns munter blieben,“ murmelte er leise. „Knorz und ich brauche nicht mehr soviel Schlaf wie die Jugend … Also …!“

Nielsen hob plötzlich lauschend den Kopf …

„Das U-Boot fährt!“ stieß er hervor …

Ein fernes taktmäßiges Rollen wurde stärker … Ein Zittern ging durch den Metalleib der Schiffes …

„Ob … ob sie den armen Murat doch noch niedergeknallt haben?!“ meinte Gottlieb bedrückt …

Jetzt hallte draußen in dem Kabinengang das Stampfen zahlreicher Füße … Ein dauerndes Hin und Her setzte ein, als ob irgend etwas geschehen war, was die Besatzung zu höchster Eile angespornte.

Die Fünf blickten sich unruhig an …

Und Nielsen flüsterte: „Unsere Damen werden sich ängstigen … Falls sie eingeschlafen sein sollten, wachen sie über dem Lärm fraglos auf … – Gottlieb, Sie stellen ja hier die Ehrenwache für unsere Bräute vor. Sie sind der Älteste von uns … Schauen Sie doch mal in die Nebenkabine hinein … Ihnen kann das niemand verargen …“

Knorz nickte und schlich zum Vorhang, schob ihn etwas beiseite und rief:

„Alles Dunkel …!! Merkwürdig! Hier bei uns hat man doch das elektrische Licht brennen lassen … Lichtschalter gibt’s ja nicht …“

Er hatte den Kopf zurückgewandt …

Nielsen trat neben ihn …

Hob den Vorhang noch höher …

Eine breite helle Lichtbahn fiel in den Nebenraum – auf die drei Matratzen …

Leer …!

Mit einem Satz war Nielsen mitten in der Kabine.

Knorz riß den Vorhang vollends zur Seite …

Die anderen drängten herbei …

„Mein Gott …!“ stöhnte Tom Booder auf … „Verschwunden – – geraubt!! Mein armes zartes Tonerl!“

Nielsen deutete auf die noch in derselben Lage befindlichen Türstützen …

„Da – – der beste Beweis, daß die Kabine noch einen anderen Zugang hat!! Und – jetzt weiß ich auch, weshalb die Neger draußen vorhin so Lärm machten! Die Geräusche hier in dieser Kabine sollten übertönt werden!!“

Pasqual hatte plötzlich die der Matratze emporgerissen und hob nun auch ein Stück des Linoleumbelags vom Fußboden auf …

In den Dielen zeichneten sich scharf die Umrisse einer Falltür ab.

Nur durch sie konnten die jungen Mädchen fortgeschafft worden sein …

Die fünf Männer standen regungslos und starrten in beklommen Schweigen auf die verhängnisvolle Falltür …

Sie waren fünf … Und drei von ihnen wußten jetzt das Liebste, das sie auf Erden besaßen, in der Gewalt eines gleißnerischen Schurken und einer Horde stiernackiger Neger …

 

9. Kapitel.

Joseph, der Idiot …

… War das eine Freude für den treuen Kutscher Johann und die dicke Köchin Helene gewesen, als ihr Herr so überraschend auf der Gaupenburg erschienen und noch dazu mit der blonden Agnes Sanden und mit Herrn Hartwich, der ebenfalls inzwischen ein reizendes Frauchen sich zugelegt hatte …!

Der lange Johann und die Köchin wußten zunächst kaum, was sie zuerst beginnen sollten, um es den unerwarteten Gästen recht behaglich zu machen …

Sie hatten völlig den Kopf verloren, und erst ein tatkräftiges Scherzwort Hartwichs brachten die braven Hüter der Gaupenburg ein wenig zur Besinnung …

„Wir wünschen weder Kaffee, Schinken, noch Setzeier und Hausmacherleberwurst, liebe Helene …! Wir wünschen nur eins: Ruhe!! Schlafen wollen wir! Oben im ersten Stock werden ja wohl die Fremdenzimmer mit zwei Betten in Ordnung sein … – Also weiter keine Aufregung … Geht nur wieder in die Federn … Morgen oder besser heute vormittag können wir uns eingehender aussprechen …!“

So sagte Georg Hartwich, nahm Johann die Laterne ab und schritt mit seiner Ellen der Haupttreppe zu.

Die Köchin jammerte hinterher:

„Die Betten müssen ja aber erst bezogen werden, Herr Hartwich!“

Und dann knickste sie vor Agnes und fügte beschwörend hinzu …

„Wenn Frau Gräfin doch als Hausherrin bestimmen wollten, daß die Herrschaften sich erst mal eine halbe Stunde in des Herrn Grafen Arbeitszimmer setzten … Inzwischen werden Johann und ich zwei Zimmer herrichten …“

Gaupenberg klopfte der rundlichen Beherrscherin der Küchenregion vertraulich auf die Schulter …

„Treue Seele, Sie haben ganz recht …! – Hallo, Georg, Ellen, – Ihr müßt schon noch warten … Wir können doch nicht in unbezogenen Betten schlafen!“

Hartwich drehte sich halb um …

„Können?! Mir ist so, als ob wir schon häufiger ganz ohne Betten geschlafen hätten! – Aber wenn’s sein muß … warten wir!“

So kam’s denn, daß Agnes – wovor sie sich eigentlich gefürchtet hatte – jenen Raum betreten mußte, in dem einst Mafalda die verhaßte Nebenbuhlerin vollständig aus dem Felde geschlagen zu haben glaubte …

Da war die kostbar geschnitzte hohe Wandtäfelung … Dort in jener Ecke war die Geheimtür, die in die verborgenen Gänge des alten Schlosses führte … Und … dort war auch der Diwan, auf dem Viktor einst die gefährliche Abenteurerin in den Armen gehalten hatte…

Einst …

Und – doch lag das alles kaum fünf Monate zurück …

War’s ein Wunder, daß Agnes in dieser Umgebung sich scheu und bedrückt fühlte, daß die Vergangenheit mit unheimlicher Deutlichkeit in ihrer Erinnerung wieder emporwuchs gleich einem drohenden Schreckgespenst?! –

Viktor Gaupenberg merkte nicht, in welch banger Stimmung sein geliebtes Weib sich befand. Er war heiter und freudig erregt. Die Heimat hatte ihn wieder – die Stammburg seiner Väter …!

Und auch Georg und Ellen scherzten und lachten. Ellen als geborene Amerikanerin konnte gar nicht genug all die wertvollen Altertümer bewundern, die dieses große imposante Zimmer barg …

„Viktor, die Gaupenburg ist ein fürstlicher Besitz!“ betonte sie immer wieder …

Dann wurde Graf Viktor plötzlich doch ernst und nachdenklich …

„Einer fehlt mir hier,“ meinte er. „Der Treueste der Treuen, – mein alter Gottlieb! Die Gaupenburg ohne Gottlieb ist wie ein Haus ohne persönliches Gepräge …“

Sehr bald erschien dann die dicke Köchin, knickste und bat die Frau Gräfin, nach alter Sitte den Willkommtrunk entgegenzunehmen …

Auf kostbarem getriebenem Silbertablett hielt die bejahrte Köchin den Hauspokal der Gaupenbergs, gefüllt mit einem feurigen Burgunder …

„Oh – das ist lieb von Ihnen, Helene!“ rief Graf Viktor erfreut. „Trink mein Schatz,“ wandte er sich mit stiller Zärtlichkeit an sein junges Weib. „Alle Gräfinnen Gaupenberg haben seit dem sechzehnten Jahrhundert aus diesem Pokal das Wohl unseres Geschlechts dargebracht …!“

Agnes nahm den blinkenden Goldpokal mit seltsamer Scheu entgegen … Das Metall war so eiskalt … Sie erschauerte …

Und sagte stockend:

„So … trinke ich denn auf das Geschlecht der Gaupenbergs, dem ich nun ebenfalls angehöre … Ich trinke auf … unser Kind, Viktor!“

Ihre Blicke suchten die seinen …

Und langsam führte sie das schwere Gefäß zum Munde …

Ein geradezu höllisches Gelächter gellte da plötzlich vor den hohen Fenstern auf, die nach der großen Terrasse hinausgingen …

Ein so dämonisches Lachen, daß Agnes wie von einem Schlag getroffen zurücktaumelte …

Der Pokal entfiel ihrer Hand …

Der rote Burgunder ergoß sich über den Perserteppich mit dem rotgoldenen Muster …

Und Helene rief nicht minder schrill:

„Das ist der verrückte Joseph aus Sellenheim … Der gräßliche Mensch treibt sich überall umher! Einsperren sollte man ihn …! – Frau Gräfin dürfen sich nicht fürchten … Der Joseph ist im übrigen ganz harmlos … Ich werde sofort anderen Wein holen …“

Agnes stand leichenblaß mit hängenden Armen da.

Gaupenberg zog sie sanft an sich, streichelte ihr Blondhaar …

„Liebling, armer Liebling, so komm doch wieder zu dir … Es hatte nichts zu bedeuten …“

Und Agnes schaute ihn mit seltsam leeren Blicken an …

Sagte mit schwerer Zunge:

„Es hat doch etwas zu bedeuten, Viktor … Ich … ich werde hier nie glücklich werden …“

Ihre Augen schwammen in Tränen …

Hartwich und Ellen waren genau so bestürzt und verwirkt wie Gaupenberg …

Wollten den peinlichen Zwischenfall recht schnell vergessen machen und redeten mit erzwungener Harmlosigkeit auf Agnes ein …

Die junge Gräfin Gaupenberg aber schüttelte fast schwermütig den Kopf …

„Es bleibt ein böses Omen … Viktor, ich … ich will den Pokal nicht mehr sehen … Helene mag ihn wieder mitnehmen … Ich … fühle es, neues Leid werden uns die efeuumrankten Mauern der Gaupenburg bringen …!“

Die Köchin kniete auf dem Teppich und rieb eifrig mit ihrer blendend weißen Schürze, die sie schnell abgebunden hatte, den Weinfleck trocken … Den Pokal hatte sie auf ein Rauchtischchen gestellt …

Sie wagte nicht aufzuschauen. Sie wußte nur zu gut, daß jetzt dem Hause Gaupenberg Unheil drohte. Sie war so eng mit der Familie des Grafen durch fast fünfzigjährige treue und behagliche Dienstzeit verwachsen, daß sie alle die alten Überlieferungen kannte. Zweimal, so stand es in der Familiengeschichte, hatten die jungen Gattinnen der Herren von Gaupenberg den Pokal beim Willkommtrunk fallen lassen … Zweien der Gräfinnen war dies aus Ungeschick zugestoßen … Und gerade diese beiden waren bei der Geburt des ersten Kindes gestorben … –

Graf Viktor bat jetzt Helene, mit ihren Säuberungsversuchen einzuhalten …

„Der Wein wird auf dem Teppich kaum Spuren hinterlassen … Gehen Sie nur, Helene … Wir werden den Willkommtrunk morgen nachholen …“

Und Helene erhob sich …

Fast scheu verschwand sie mit dem goldenen Pokal.

Die Zurückbleibenden bemühten sich, ein harmloses Gespräch in Gang zu bringen. Selbst Agnes war tapfer genug, ihre seelische Beklommenheit zu verbergen …

Der Pokal wurde nicht mehr erwähnt, und eine Viertelstunde später konnten die beiden Ehepaare sich in ihre Schlafzimmer zurückziehen.

Kaum war Graf Viktor mit seiner Gattin allein, als er sie auch schon fest in die Arme schloß …

„Agnes, wie schmerzlich berührt es mich, daß du dich um des verschütteten Weines wegen mit schweren Gedanken quälst,“ sagte er voll tiefer Innigkeit. „Wenn du diese Mauern fürchtest, mein Liebling, können wir ja drüben in Sellenheim Wohnung nehmen … Jetzt im beginnenden Herbst sind dort in dem kleinen Trinkbade genügend Zimmer frei … – Sei ganz ehrlich, Agnes, du möchtest von hier fort, nicht wahr?“

Sie schmiegte sich noch enger an ihn …

„Ja, Viktor, ja … – Ich … fürchte mich hier …“ Sie barg ihr noch immer so blasses Gesichtchen an seiner Schulter …

„Viktor, wie sollte ich mich hier wohl heimisch fühlen können, wo doch dieser Abschnitt der Vergangenheit so viel Trübes birgt …“ Und – ganz leise: „Mafaldas Geist schwebt durch alle Räume …! Viktor – dieses Zimmer ist das, in dem Mafalda gewohnt hat!“

Gaupenberg erschrak …

„Oh – daran hätte Helene denken sollen …! – Gut denn – wir werden nach Sellenheim übersiedeln … Und – – Mafaldas Geist wird meine treue Liebe bannen …!“

Er küßte sie … küßte sie wie eine Heilige … Er verstand sie in allem … Sie hatte recht, Mafalda war frei, – und die Erinnerungen an das Einst war noch zu frisch, als daß Agnes darüber hätte hinwegkommen können …

„Ich danke dir, Viktor …“ sagte sie schlicht … „Wir werden bei Frau Markgraf, Gottliebs Schwester wohnen – im selben Hause mit meinem Mütterlein.“ –

Sie schlief dann sehr bald ein … Graf Gaupenberg aber lag noch lange wach und überlegte nochmals die Pflichten der nächsten Tage. Er war fest entschlossen, den jetzt in der Begräbnisgrotte der großen Moorinsel verborgenen Schatz so rasch als möglich der deutschen Regierung zu übergeben. Dann erst würde er Ruhe finden – er und Agnes. Vor Mafaldas Ränken …

Und doch drängten sich unwillkürlich in diese seine Entschlüsse ungewisse Befürchtungen ein … Er dachte an die letzte Vision des Doktors, an das Bild der tropischen Urwaldlichtung, das Agnes gleichfalls wie eine Fata Morgana geschaut hatte, – an das große Blockhaus auf der Lichtung und an Agnes, die mit seinem Kinde im Leib über den Blumenteppich dahingewandeln war …

Dann schlummerte auch er endlich ein …

Und ahnte nicht, daß zur selben Zeit der Azorenschatz bereits von fremder Hand an eine andere Stelle geschafft worden war, in die uralte hohle Eiche neben den Ruinen der früheren Ansiedlung! Ahnte nicht, daß diese fremder Hand bereits im tiefen Moor am Inselufer versunken war und daß der Klown Jean Orlando das Geheimnis dieses neuen Verstecks mit in den Tod hinübergenommen hatte … – –

Die abgerissene, bucklige Gestalt des verrückten Joseph verschwand im Parke von Schloß Gaupenburg

Der Idiot lief hämisch vor sich hinkichernd die Parkwege entlang. Er freute sich, daß er wieder einmal jemandem einen Schabernack gespielt hatte. Er haßte alle Menschen – alle … Jetzt um so mehr, als der Ortsgendarm von Sellenheim seit Tagen hinter ihm her war. Er wußte, daß man ihn wieder an eine Irrenanstalt bringen wollte … Aus Rachsucht hatte er auf Sellenheimer Feldmark einen beladenen Getreidewagen angezündet. Nun lebte er wie ein gehetztes Wild … Stahl Lebensmittel, schleppte sie in sein Versteck im Heißen Moor. Keiner kannte das Moor so gut wie er … Keiner war so schlau und vorsichtig wie er … Oh – sie sollten ihn niemals fangen, die Landjäger! Er hatte seine Verbündeten … Das waren die Schmuggler diesseits und jenseits der Grenze … –

Auf seinen selbst genähten Sandalen glitt er lautlos dahin …

Erreichte die hintere Parkpforte, schwang sich hinüber und eilte den Abhang zum kleinen Bergsee hinab.

Stutzte …

In dem großen Bootsschuppen am Seeufer war Licht… Alle Fenster leuchteten hell …

Er stand still … Überlegte … Sein krankes Hirn vermochte die Rückkehr des ihm von Ansehen wohlbekannten Grafen Gaupenberg nicht so rasch mit dieser seiner Beobachtung, daß der Bootsschuppen beleuchtet war, in Zusammenhang bringen …

Mißtrauisch blickte er sich um, kroch dann zum Seeufer hinab und hier an einem Buschstreifen entlang.

Langsam richtete er sich vor dem einen Fenster auf und schaute in den Schuppen hinein …

Sah die Sphinx dort auf dem Rollgestell liegen, sah drei Menschen – zwei Männer, ein blondes schönes Weib …

Den einen kannte er: Dr. Falz …! Und – den fürchtete er – gerade den Einsiedler von Sellenheim fürchtete er …!

Hastig lief er weiter – vorüber an der auf hohem Bergrücken emporragenden Turmruine, in der Dr. Falz früher gehaust hatte …

Hinab zum Rande des Moors …

Hier war von jeher seine Heimat gewesen … Schon als die Gemeinde Sellenheim ihm, dem elternlosen idiotischen Jungen, die Schafe zu hüten gab. Da hatte er oft die Tiere sich selbst überlassen und war auf einem Kahn in den Kanälen entlanggefahren … Wiederholt fand er den Rückweg nicht und hatte dann tagelang nur von Beeren gelebt …

Und jetzt, wo er erwachsen war, und der dumpfe Haß gegen alle Gesunden ihn zu immer niederträchtigeren Streichen getrieben, jetzt war das heißen Moor erst recht seine Zufluchtsstätte. Längst hatte er einen winzigen Nachen gestohlen und sicher verborgen. Seit jetzt der Landjäger ihn fangen wollte, wagte er sich nur nachts an Land …

Abermals kroch er jetzt trotz seiner verkrümmten Gestalt mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf allen Vieren zum Rande des Moors – zu einer Stelle, wo ein weites Schilffeld im Nachtwinde rauschte. Einen Baumstamm hatte er in dieses Schilf geschleppt und der bildete die Brücke bis zu seinem Nachen.

Als Joseph nun erst in dem Kahn saß und ihn mit der Stoßstange sacht in offenes Wasser drückte, kicherte er wieder hämisch vor sich hin … In dem Leinenbeutel auf seinem Rücken lagen ein Huhn, eine Menge Eier, zwei Brote und anderes. All das hatte er in dieser Nacht zusammengestohlen. Nun brauchte er das Moor erst wieder zu verlassen, wenn seine Vorräte verzehrt waren.

Der Bucklige schob den Nachen rasch vorwärts. Trotz Nebel und Dunkelheit erreichte er mit unfehlbarer Sicherheit eine Stunde später die große Moorinsel. Er wollte Brennholz holen, denn nur hier gab es harzige Krüppelkiefern in größerer Menge.

Nachdem er seinen Kahn sicher verborgen hatte, nahm er das Handbeil und wandte sich den Ruinen der Ansiedlung zu.

Bevor er jedoch im dichtesten Busch seine Arbeit beginnen wollte, schritt er dem Hain von Eichen zu, um sich wieder einmal an dem Anblick seiner Reichtümer zu erfreuen – Reichtümer nach seinen Begriffen, alles gestohlene Dinge, wahllos zusammengeraubt: ein billiger Wecker, eine Jagdflinte, ein paar Bücher, ein Grammophon und drei Gipsfiguren …

Am Fuße einer der Eichen kniete er nieder …

Da sprang aus dem mächtigen Stamm eine mannsdicke Wurzel hervor, und neben dieser hatte sich ein großes Loch befunden, das Joseph sehr geschickt durch eine Tür aus Eichenborke verschlossen hatte. Im hohlen Inneren der Eiche aber lagen seine Schätze …

Er hob den Verschluß heraus, rieb ein Zündholz an und setzte ein Stückchen Kerze in Brand …

Leuchtete in das Loch hinein …

Seine kleinen tückischen Augen, die von dicken struppigen Brauen überwölbt waren, öffneten sich immer mehr…

Dann griff er in das Loch hinein, zerrte mit aller Gewalt etwas hervor, das wie ein gelber Ziegel aussah.

Und – schwer war das Ding …!! Es funkelte und leuchtete …

Wie Gold …

Trotzdem warf der Schwachsinnige den Goldbarren wütend beiseite …

Wütend – denn seine Schätze waren zerstört – waren bedeckt mit denselben gelben Ziegeln … Nichts mehr war von dem Grammophon zu sehen – nichts von den anderen Dingen …

Joseph richtete sich auf, ging um den Baum herum.

Er wußte, daß sich oben im Stamme noch ein Loch befand …

An Knorren und Auswüchsen hielt er sich fest, leuchtete nun auch hier hinein …

Starrte auf die gefüllte Höhlung hinab …

Griff zu … Obenauf lag da ein kurzes Schwert mit breiter Klinge und funkelnden Edelsteinen am Knauf.

Das gefiel ihm. Das nahm er mit. Es war schärfer als sein Handbeil. Den Goldbarren schob er unten wieder in das Loch hinein – drückte den Borkendeckel davor und lief davon …

Lief nicht weit …

Josephs Ohren waren wie die eines Raubtieres … Seine Augen wie die eines Falken … Von Jugend auf war er in innigster Berührung mit der Natur gewesen … Und die Natur hatte ihm scharfe Sinne beschert …

Er stand und lauschte …

Hörte hoch in den Lüften seltsames Knattern …

Ein Windstoß fegte den Nebel auseinander …

Das dröhnende Geräusch verstummte … Und Joseph erblickte nun flüchtig einen Doppeldecker, der im Gleitflug zur Insel herniederschwebte …

Das war das Flugzeug Mafaldas. Es waren Gußlar, Lomatz und die zwölf ‚Kavaliere’ und … der Tiger …

Da bekam’s der arme Idiot mit der Angst …

Er kannte diese Riesenvögel … Er wußte, daß Menschen sich im Leibe dieser fliegenden Ungeheuer befanden, und er glaubte nicht anders, als daß diese Menschen es auf ihn abgesehen hätten …

Lief zu seinem Nachen, warf Beil und Schwert hinein und stieß vom Ufer ab, schlug die Richtung nach einem der größeren Eilande des Moors ein, wo es ebenfalls Krüppelkiefern gab.

Auch dieses Inselchen erreichte er trotz des Labyrinths von Wasserstraßen, trotz Nebel und ängstlicher Hast nach einer Viertelstunde.

Nun war er wieder ruhiger geworden, zog den Kahn in ein Gestrüpp und ging der Mitte des Inselchens zu.

Hier zündete er zunächst ein kleines Feuer an. Er war müde und hungrig. Stellte einen mit Wasser gefüllten Blechennapf über die Glut und kochte ein paar Eier …

Besichtigte das Schwert, kicherte zufrieden, strich liebkosend über die blitzenden Edelsteine, prüfte die Schärfe der Klinge und freute sich des kostbaren Fundes. Aß, gähnte und schlief ein …

Das Feuer erlosch …

Mückenschwärme fielen über den schlummernden her … Er erwachte, sprang auf, war im Moment völlig munter, hörte Stimmen, sah durch die Büsche matten Lichtschein, warf sich nieder, streute feuchtes Laub über die Feuerstätte und schlüpfte zu seinem Nachen zurück …

Plötzlich tauchte dicht vor ihm eine Gestalt auf … So urplötzlich, daß er nicht mehr ausweichen konnte.

Das war Mafalda …

Undeutlich nur erkannte sie den verwilderten Menschen …

Sah das blitzende Schwert in seiner Rechten …

Mit einem gellenden Schrei trat sie zurück, griff nach der Tasche ihrer Sportjacke …

Joseph, abermals im Glauben, daß die Häscher auch hier hinter ihm her seien, war ihr mit einem Satz an der Kehle …

Seine Spinnenfingern drückten ihr die Kehle zu …

Ein Ringen Leib an Leib folgte …

Zweimal konnte die Fürstin noch um Hilfe rufen.

Dann wurde sie ohnmächtig …

Joseph schleppte sie in den Kahn …

Stieß ab … und der Nebel verschluckte ihn und seine Gefangene.

Schweißtriefend, von unsinniger Furcht gehetzt, schob er den Nachen weiter und weiter … seinem Versteck zu – einer noch winzigeren Insel des gewaltigen Hochmoors – einem Eiland, das gleichfalls felsigen Untergrund hatte und das von einem Kranz von Röhricht so dicht umgürtet war, daß nur ein Kundiger es finden konnte …

Nur Gestrüpp gab es hier, Erlenbüsche, Brombeeren, wilden Hopfen – eine Wildnis, durch die nur ein Schleichpfad zur Mitte führte, wo Steinblöcke eine freie Stelle umhegten.

Das war Josephs Schlupfwinkel – eine Hütte aus geflochtenen Zweigen, ein Versteck, das nur ein Zufall Fremden offenbart hätte.

Hier legte er die bewußtlose Fürstin vor der Hütte nieder.

Ein Feuer lohte auf …

Joseph schaute sich die feine Dame im Sportkostüm staunend an …

Sein schiefes Gesicht, von einem wirren fuchsigen Bart umrahmt, änderte den Ausdruck …

Der Liebestrieb war bei dem Schwachsinnigen stärker entwickelt als alle übrigen Instinkte … Nie hatte er, den alle Menschen mieden, ein Weib berührt …

Und – seine Gefangene war schön …

Hoch wölbte sich die leise atmende Brust … Die vollen Lippen waren halb geöffnet … Weiße Zähne blinkten … Und ein feiner Duft umgab diese schöne Frau – ein Parfüm, das die Sinne des Idioten noch mehr anstachelte …

Ein Röcheln drang aus einer Kehle hervor …

Seine schmierigen nervigen Hände ballten sich zu Fäusten und öffneten sich wieder …

Seine Gestalt duckte sich zusammen … Die Augen flimmerten …

Dann … warf er sich mit einem tierischen Schrei gieriger Brunst über die Ohnmächtige, riß ihr die Röcke vom Leibe …

Mafalda erwachte …

Über ihr das grauenvolle Gesicht des Idioten, vom Feuerschein umspielt …

Freche Hände betasteten ihren Körper … und nur ein Weib wie die Fürstin Sarratow konnte in solcher Lage die Ruhel bewahren …

Nur sie konnte einem Irrsinnigen ihren Willen aufzwingen …

Sie zog die Beine zusammen und stieß ihn von sich …

Sie sprang auf – und war mit zwei Sätzen in der Hütte …

Hatte die Pistole in der Hand …

Eine Kugel fuhr über Joseph hinweg …

Sein löcheriger Filz, an dem er als Schmuck die bunten Flügel des Eichelhähers angebracht hatte, wirbelte zu Boden …

Lähmendes Entsetzen ließ ihn vor Angst in die Knie sinken … um Gnade wimmern … Vor nichts fürchtet er sich so wie vor Schußwaffen …

Seine heisere Stimme stolperte … Kaum verständlich waren seine Worte …

Doch – Mafaldas Blicke waren jetzt wie gebannt auf etwas anderes gerichtet …

Auf das blitzende Aztekenschwert dort neben dem Feuer …

„Woher hast du diese Waffe?“ fragte sie hastig … „Die Wahrheit – oder ich schieße dich nieder!“

„Aus Baum – aus Eiche …!“ keuchte der Idiot weinerlich …

Mafalda horchte auf …

„Wo steht diese Eiche …?“

„Große Insel – neben alte Steinhäuser …“

Ah – die Ruinen …!! Die große Moorinsel …!!

„Wann fandest du das Schwert?“ forschte sie atemlos weiter …

„Dieser Nacht … Dieser Nacht …“

„Fandest du dort noch mehr?“

„Ja … Alles voll – ganzer hohler Baum voll … Gelbe Ziegel, andere Sachen … Ganz voll …“

Und so horchte die Fürstin Sarratow den Schwachsinnigen weiter aus … Fragte unermüdlich …

Alles erfuhr sie. Mehr, als sie je erhofft hatte. Ein glücklicher Zufall warf ihr hier in den Schoß, was sie sonst vielleicht nie ermittelt hätte …

Der Azorenschatz in einer hohlen Eiche …!! Und die Sphinxleute in der Gaupenburg …!!

Triumph – – Triumph!! Jetzt brauchte sie weder Edgar Lomatz noch die Hilfe der Gentlemangauner aus Berlin …! –

Die Pistole behielt sie in der Hand, trat aus der Hütte hervor …

Ihr Sportrock hing ihr zerrissen um die Beine … Das abstoßende blöde Vieh dort hatte sich nicht Zeit gelassen, sein Opfer vollends zu entblößen …

Sie nahm neben dem Feuer Platz …

„Komm näher!“ befahl sie …

Und … lächelte … Das Dirnenlächeln, das schwachen Männern die Köpfe verdrehte, das Wünsche jäh aufsteigen ließ wie Meereswogen im Orkan …

„Komm näher!“

Und Joseph rutschte heran …

„Setz dich!“

Das Feuer trennte die beiden. Mafalda hatte das kostbare Schwert und das Handbeil neben sich gezogen.

„Wie heißt du eigentlich, mein Freund? – Sei ohne Sorge … Ich werde dir nichts tun … Im Gegenteil … Ich werde dich vor deinen Feinden schützen, wenn du treu bist … Wie heißt du?“

„Joseph Lubsch …“ – und der Idiot glotzte sie aus schiefen Augen an wie eine übernatürliche Erscheinung …

„So … Joseph Lubsch …“ – Sie nickte ihm freundlich zu … Ihr Lächeln fraß sich in sein verhärtetes Herz ein … Noch nie hatte ihn jemand angelächelt … Er kannte die Gesichter seiner Mitmenschen nur als feindselige Fratzen …

„Erzähle mir, was du so treibst, Joseph … Und – lege Holz in die Glut … Die Mücken werden unverschämt …“

„Holz erst holen …“ gurgelte der Idiot hervor.

„Hole Holz, Freund Joseph … Wir wollen es uns hier behaglich machen … Geh nur … Ich meine es gut mit dir …“

Und sie überwand sich und streckte ihm die linke Hand hin …

Wie ein Hund rutschte er näher, ergriff ihre Hand und preßte sie an seine Brust …

Sein Gesicht strahlte. Das Tückische der kleinen Augen war erloschen …

„Joseph treu … treu …“ stammelte er … „Holz holen … Huhn kochen … Brot geben Dame … Schönes Brot … Eier haben … Dort … in Beutel …“

Er wollte sich dankbar erweisen. Noch nie war ein Mensch freundlich zu ihm gewesen …

Dann sprang er auf …

Mafalda sah die verkrüppelte Gestalt prüfend an … Auf viel zu langen Beinen befand sich ein Rumpf, der durch den hohen Rücken und die schiefe Schulter noch kürzer erschien … Die Arme waren ebenfalls zu kurz … Auf dürrem Halse lag ein Eimerschädel … Das Gesicht mit zwei ungleichen Hälften sah wahrhaft grauenvoll aus … Die Stirn war ganz flach, der Schädel spitz und mit verfilztem Haar bedeckt.

Flüchtig dachte Mafalda an Murat, den Homgori … Das war nur ein Geschöpf, halb Mensch, halb Gorilla … Und doch nicht im entferntesten so abstoßend wie dieser Unglückliche, dem die Natur Seele und Leib verdorben …

Joseph eilte davon – dem Ufer zu, durch den vielfach geschlängelten Pfad zum Nachen …

Stieß vom Lande ab – hinein in das Röhricht, das im Winde wogte wie reifes Korn …

Ganz in der Nähe wußte er auf einem anderen Moorinselchen ein paar Krüppelkiefern …

Die brach er dann mit den Händen um, riß die Zweige ab. Das Beil hatte er vergessen mitzunehmen. Birken ergänzten den Holzvorrat. Nach zehn Minuten war er zurück in seinem Schlupfwinkel.

Mafalda hatte inzwischen ihren Rock mit Sicherheitsnadeln zusammengesteckt und saß wieder neben dem fast erloschenen Feuer.

Der Idiot warf die Holzlast zu Boden …

„Schon wieder da, Freund Joseph?!“ begrüßte Mafalda ihn. „Zerkleinere die Stämmchen … Beeile dich … Hier ist das Beil …“

Ein zufriedenes glückliches Grinsen lag um des Schwachsinnigen bärtigen Mund …

Er nickte … Im Nu hatte er kurze Stücke geschlagen … Das Feuer lohte wieder empor …

Mafalda beobachtete ihn. Er hatte Kräfte und besaß die Gewandtheit eines Wiesels. Er würde ihr ein guter Helfer sein …

Dann brachte Joseph einen eisernen Kochtopf herbei … Stolz packte er seine Vorräte aus dem Leinwandsack … Während das Wasser in dem Tiegel über dem Feuer stand, mußte er der Fürstin erzählen – von seinem Leben …

Er sprach unzusammenhängend – bald von diesem, bald von jenem. Immer wieder aber erwähnte er das Heiße Moor … Das war der Tummelplatz seiner armseligen Jugend gewesen. Das war nun seine Zufluchtsstätte …

„Man hat dich also schon einmal in eine Irrenanstalt eingesperrt gehabt, Freund Joseph?“ Fragte Mafalda …

Sein Gesicht ward wild und tierisch … Dann lachte er hämisch auf …

„Oh – Joseph schlau … Joseph dort sehr vernünftig – sehr … Nichts tun, was Ärzte nicht wollen … Bis Ärzte sagen, Joseph ungefährlich … So wieder rauskommen …“

„Wenn du das Moor so gut kennst, Freund Joseph, gibt es in der Nähe der großen Moorinsel vielleicht ein Inselchen, wo man die gelben Ziegel und all das andere verbergen könnte?“

Der Idiot begann das Huhn zu rupfen und dachte nach …

„Keine Insel …“ polterte er dann hervor … „Aber einzelnen großen Stein, ganz von Büschen umwachsen … Sieht aus wie großes Erlengestrüpp … Stein oben breiter und Loch darin – tiefes Loch …“

„Wie weit liegt er von der Insel ab?“

„Ist von alten Steinhäuser zu sehen – dort, wo viel freies Wasser …“

Er hatte jetzt nur noch Gedanken für die leckere Mahlzeit … Als Mafalda hin fragte, wann es hell werden würde, erwiderte er nur:

„Noch viel Zeit … Vorher Nebel stärker werden.“

Die Fürstin Sarratow schaute ihm zu …

Er nahm das Huhn aus … Seine schmalen langen Hände starrten vor Schmutz … Die Fingernägel waren krumm gewachsen – wahre Krallen … Und Mafalda glaubte diese Krallen wieder an ihrem Halse zu spüren … Trotzdem lächelte sie Joseph an, als er nun das Huhn in den Topf tat …

Er bot ihr Brot an. Sie dankte. Das machte ihn ganz traurig … Plötzlich lief er mit dem Beil davon … Kam mit einem Arm voll Brombeerzweigen zurück … Blauschwarze Früchte hingen schwer und reif an zähen Stielen …

Mafalda aß … Und der Idiot kniete neben dem Feuer und reichte ihr Zweig auf Zweig. Sein Gesicht glänzte freudig … –

Anderthalb Stunden später hatte Joseph Lubsch das Huhn restlos vertilgt. Die Fürstin Sarratow lag jetzt lang am Boden auf weichen Moospolstern und rauchte Zigaretten …

Ihr Plan war fertig …

Die Gentlemangauner sollten die große Insel verlassen … Und der Tiger sollte ihr dabei helfen …

Sie schaute auf die Armbanduhr …

Fünf Uhr morgens … Es wurde Zeit …

„Freund Joseph, du wirst mich jetzt nach der großen Insel bringen … Doch so, da wir nicht gesehen werden. In der Nähe der Landzunge mußt du mich absetzen …“

Der Schwachsinnige schnitt ein weinerliches Gesicht.

„Oh – Dame will Joseph verlassen … Joseph wird …“

„Nein, nein, wir bleiben zusammen, mein Freund … Ich verspreche es dir … Du weißt, daß ein Flugzeug auf der Insel gelandet ist … Die Männer sind meine Freunde … Wollen mir das rauben, was in der hohlen Eiche steckt … Ich werde sie verjagen … – Komm, besteigen wir den Nachen …“

Gleich darauf glitt der Kahn durch die Sumpfwildnis der großen Insel zu …

Und das war etwa um dieselbe Zeit, als der Baron Werner Gußlar seinen Dublonenschatz in dem einsamen Grabe gefunden hatte …

 

10. Kapitel.

Der Liebeshügel …

Während der Idiot nun den Nachen sicher, schnell und geschickt durch die zahllosen Kanäle trieb, hatte Mafalda die beste Gelegenheit, die Vorfälle dieser Nacht nochmals im Geiste an sich vorüberziehen zu lassen …

Unendlich viel war in wenigen Stunden geschehen … Die gemeinsame Fahrt mit Lomatz und jenem angeblichen Graveur Geller, dem Vertrauten Jekowzers, hatte durch das Leckwerden des Kahns ein vorzeitiges Ende gefunden … Wenn es den beiden, die dort auf dem Inselchen, wie Mafalda annehmen mußte, zurückgeblieben waren, nicht glückte, den Nachen abzudichten, waren sie dort gefangen … Und hiermit rechnete die Fürstin Sarratow, denn daß jemand es wagen würde, auf einem undichten Fahrzeug in die Wasserwildnis einzudringen, erschien ihr völlig ausgeschlossen. – So hatte sie denn diesen Geller, der ein nicht zu unterschätzender Gegner war, und auch Edgar Lomatz bei ihren jetzigen Plänen nicht weiter berücksichtigt.

Sie ahnte nichts von dem wahren Sachverhalt – nichts …! Wie sollte sie auch?! Wußte nicht, daß Lomatz den Vertrauten Jekowzers auf dem Inselchen heimtückisch verlassen hatte, daß er mit dem Nachen, der bei geringerer Belastung durch nur einen Menschen kein Wasser sog, entflohen war …

So nahte sie sich denn nun der Landzunge der großen Moorinsel unter recht irrigen Voraussetzungen. –

Joseph Lubsch bückte sich plötzlich zu ihr hinab und flüsterte, indem er die Stoßstange schleifen ließ:

„Dame, wir sind leicht da … Was ich tun soll, wenn Dame weggegangen?“

„Du bleibst im Nachen und erwartest mich … Verstanden, Freund Joseph?! Du wartest und unternimmst nichts – gar nichts!“

Joseph setzte den Kahn wieder in Bewegung. Da man bereits den offenen Wasserstreifen am Südufer der Insel erreicht hatte, griff er jetzt zu den Rudern. Mit lautlosen Schlägen trieb er den Nachen durch den immer dichter werdenden Nebel an der Insel entlang.

Der Morgen nahte. Der Wind frischte auf. Die geflügelten Bewohner der Sümpfe wurden munter. Überall meldeten sie sich. Rohrdommeln stießen ihre dumpfen Rufer aus … Wildenten lärmten … Krähenschwärme zogen in niedrigem Fluge zu entfernten Feldern zur Frühkost.

Dann lenkte der Schwachsinnige den Kahn vollends ans Ufer in ein Gestrüpp hinein, sprang an Land, half Mafalda heraus und flüsterte nochmals:

„Ich warten … Dame nicht wird Joseph allein lassen …“

Es klang traurig und angstvoll …

Mafalda drückte ihm die Hand …

„Und wenn es Stunden dauern sollte, ich kehre zurück, mein Freund …!“

Sie schlich davon …

Und sie verstand zu schleichen, die Fürstin Sarratow … Sie verstand alles …

Abenteurerin ganz großen Ausmaßes war sie … Intelligent wie selten eine Frau … Verderbt bis ins Mark … Zuweilen Sklavin ihrer heißen Sinne … Zuweilen nur … Sie brauchte den Sinnenrausch – – zuweilen … In Stunden rasender Begier erneuerte sie gleichsam ihre körperlichen und geistigen Kräfte …

Der freche Angriff des Idioten, seine zitternde unverhohlene Anbetung ihrer Schönheit hatte sie wieder daran erinnert, daß sie Weib war …

Ein feines Prickeln war in allen ihren Nerven … Hitzewellen durchflossen ihren Leib … Wochen war es her, seit sie zum letzten Male ihrem heißen Blut Genüge getan …

Und dieses Stürmen und Drängen ihres kräftigen gesunden Körpers gaben ihr in dieser Stunde erhöhte Elastizität …

Vorsichtig, der königlichen Bestie gleichend, deren Namen man ihr beigelegt – Tigerin Mafalda! –, näherte sie sich der Landzunge …

Fand den Doppeldecker …

Und hier nun erging es ihr genau so wie anderthalb Stunden später dem Baron Werner von Gußlar …

Das Flugzeug war unbewacht … Kein einziger der ‚Kavaliere’ war zu bemerken …

Mafalda stand nun im Gebüsch dicht neben dem Doppeldecker und lauschte …

Bis ein leises Stöhnen sie zusammenschrecken ließ.

So fand sie den früheren Anwalt Benz – entsetzlich zugerichtet – in seinem Blute schwimmend …

Flüchtig nur beleuchtete sie den Todgeweihten mit ihrer Taschenlampe …

Der Tiger …!! Nur der Tiger konnte diese furchtbaren Wunden geschlagen haben …

Angst packte die Fürstin …

Jeden Moment konnte das Raubtier wieder auftauchen …

Doch oben in der Gondel des Flugzeuges war sie sicher …

Hastig kletterte sie zu der kleinen Tür empor …

Hielt die Pistole bereit – in der Linken die Taschenlampe …

Die Kabine war leer …

Dort, wo die gefesselte Bestie gelegen, fand sie zernagte Riemen – ein zerbrochenes Fenster …

Mafalda fühlte sich geborgen und wollte hier das Tageslicht abwarten.

Draußen wurde es rasch heller. Der Wind verjagte die Morgennebel, und plötzlich schossen die ersten Sonnenstrahlen über die Insel hinweg.

Die Fürstin Sarratow war überzeugt, daß die noch lebenden elf ‚Kavaliere’ und der Flugzeugführer vor dem Tiger geflüchtet waren – vielleicht drüben in das Wäldchen … In die Bäume hinauf … Der Tiger aber mußte noch am Leben sein. Wäre es den Männern gelungen, ihn zu erschießen, so würden sie hierher zurückgekehrt sein …

Der Tiger war jetzt für Mafalda ein gefährliches Hindernis … Und doch siegte das Begehren, sich durch Augenschein Gewißheit zu verschaffen, ob der Azorenschatz wirklich in der hohlen Eiche verborgen war, über alle Bedenken. Denn so ganz traute die Fürstin den Angaben Josephs doch nicht, wenn sie auch nicht gerade annahm, er könnte sie absichtlich belogen haben. Aber sie hatte es mit keinem normalen Menschen zu tun. In Josephs Hirn konnte sich nur leicht Erlebtes und aus krankhaften Vorstellungen Herrührendes zu einem Scheingebilde von Wirklichkeit vermengen.

Mafalda ließ noch einige Zeit verstreichen, bis Sonne und Wind auch die letzten Nebelfetzen von der Insel vertrieben hatten.

Inzwischen war das qualvolle Stöhnen des in den Büschen liegenden Schwerverletzten immer von neuem laut geworden. Eine sonst fremde Regung von Mitleid veranlaßte Mafalda jetzt, einen Becher aus dem Wassertank des Doppeldeckers zu füllen und sich zu Benz zu begeben. Das Tageslicht zeigte die gräßlichen Wunden des Unglücklichen in all ihrer Furchtbarkeit.

Sie suchte Benz nun ein wenig Wasser einzuflößen. Er hatte jedoch wie im Kampf die Zähne so fest aufeinandergebissen, daß sie den Unterkiefer nicht bewegen konnte. So warf sie den Becher denn in die Sträucher.

Als sie sich aus ihrer knieenden Stellung wieder erhob, verschob sich ein Stück Stoff der zerfetzten Jacke des mit dem Tode Ringenden, und im Grase erblickte die Fürstin Benz’ Mauserpistole.

Sie nahmen sie an sich. Der Patronrahmen war noch gefüllt. Mafalda schob die Waffe in die Tasche. Sie besaß jetzt zwei Repetierpistolen und hatte so sechzehn Schuß zur Verfügung.

Unter allen nur irgend erdenklichen Vorsichtsmaßregeln begann sie ihren Marsch nach der anderen Inselseite. Sobald sie die buschreiche Landzunge hinter sich hatte, war die Gefahr, von der Bestie überraschend angegriffen zu werden, weit geringer. Sie schlug die Richtung quer über die mit Steinblöcken besäte Heide ein. Hier hatte sie jederzeit Gelegenheit, einem der Felsbrocken zu erklettern. Sie eilte nun rascher dahin, kam sehr bald an den Waldstreifen, der die Ruinen der ehemaligen Flüchtlingsansiedlung umgab, und mußte nun von neuem mit Ohr und Auge jede Sekunde für ihre Sicherheit sorgen.

Die Stille ringsum, nur unterbrochen durch das Rauschen der Blätter, bedrückte sie …

Ihr schien’s, als ob überall drohende Schrecken lauerten … Ihre Nerven meldeten sich …

Dann – beugte sie plötzlich den Oberkörper weit vor …

Eine Baumlücke gestattete ihr, den freien Platz zwischen den Ruinen zu überschauen …

Drüben ragte der Felsenhügel empor – die Steilwand …

Dort gähnte in der grauschwarzen Wand der Eingang der Grotte …

Und dicht darüber lag im taufeuchten Grase lang ausgestreckt ein gelber Tierkörper – der Tiger!

Mafalda hob einen Stein empor …

Schleuderte ihn nach der Bestie …

Sie sah genau, daß das Wurfgeschoß in eine Hinterpranke des Tigers traf …

Doch der blieb regungslos …

Da nahm die Fürstin die zweite Pistole in die Linke und schritt auf Fußspitzen vorwärts …

Blieb vier Schritt vor der Bestie stehen … Beobachtete …

Seltsam – das Tier atmete, wenn auch schwach … Die Flanken bewegten sich, die Augen waren offen, aber vollkommen verdreht, fast nur das Weiße sichtbar. –

Mafalda mußte hier aus der Nähe einen zweiten Steinwurf wagen … Schußwunden bemerkte sie nicht … Also, was war mit dem Tiger geschehen?!

Sie schleuderte und … traf den Rücken … Der Tiger zuckte nicht einmal zusammen.

Jetzt erst war die Fürstin beruhigt und trat noch näher heran. Dabei fiel ihr Blick auf den Grotteneingang … Im Dämmerlicht der Höhle sah sie nahe dem Eingang eine menschliche Gestalt zusammengekrümmt am Boden liegen. Sie erkannte den Mann. Es war der Flugzeugführer. Sein gelblich verfärbtes Gesicht bewies, daß er tot war …

Und hinter ihm lagen noch zwei Gestalten … zwei der ‚Kavaliere’ …

Mafaldas Gesicht wurde starr … Ein Erinnerungs war in ihr jäh lebendig geworden … Die Grotte war ein Ort des Verderbens … Tödliche Gase entstiegen den Ritzen des Gesteins …

Mafalda wußte nun, was hier geschehen. Die Männer waren vor dem Tiger ahnungslos bis hier in die Grotte geflüchtet … und – waren erstickt! Vielleicht alle … alle!! Selbst der Tiger mußte das Gas eingeatmet haben, war dann aber noch rechtzeitig ins Freie gekrochen und jetzt nur betäubt …! –

Sie tat zögernd noch ein paar Schritte vorwärts …

Blässe breitete sich über ihre Wangen …

Stand wieder still … Weiter im Hintergrunde lagen die anderen … Ein Haufen entseelter Körper … Gelbfahle Gesichter leuchteten im Dämmerlicht des hereinfallenden Sonnenscheins …

Mafalda biß die Zähne fest in die Unterlippe, bezwang das Zittern, das ihren Leib vor Grauen überlief …

Die große Abenteurerin beurteilte das Geschehene von ihren eigenen selbstsüchtigen Wünschen aus … Sagte sich, daß ihr im Grunde nichts willkommener sein konnte als dieses Massensterben ihrer Helfershelfer … Einen leichteren schmerzloseren Tod hatten diese Männer kaum finden können …

Sie raffte sich auf, ging nach den Eichen hinüber.

Da war der Riesenbaum … Da war oben das Loch im Stamm dicht unter dem ersten Ast …

Mafalda reckte sich empor …

Ein Blick in die Höhlung …

Und eine wilde Freude ließ ihr Herz schneller schlagen … Jähe Röte schoß ihr in das verführerische Antlitz …

Der Azorenschatzes – – Milliarden!!

In der kommenden Nacht würde sie mit Josephs Hilfe das Gold wegschaffen … In der kommenden Nacht würde der Schatz endgültig ihr Eigentum werden …!

Tatkraft erfüllte sie …

Sie begann zu laufen … hin zu der Uferstelle, wo Joseph mit dem Nachen wartete …

Der Schwachsinnige kauerte im Gebüsch …

Als Mafalda erschien, machte er eine warnende Handbewegung …

„Soeben Mann geschwommen sein – nach dort!“ Und er wies in die Richtung der Halbinsel … „Mann, der auf Floß Kleider vor sich herschob … Nackter Mann …“

„Nur einer?“ flüsterte Mafalda atemlos …

„Ja, Dame … einer …“

„Wie sah er aus?“

Josef beschrieb das Gesicht, so gut er es vermochte …

„Also nicht Lomatz …“ murmelte die Fürstin. „Dann kann es nur der angebliche Graveur Geller gewesen sein, der seinen falschen Bart und die Perücke abgelegt hatte …“

Sie fühlte sich beunruhigt …

Sie hatte weder mit Lomatz noch diesem Geller gerechnet …

Überlegte …

Sagte dann: „Der Mann wird hier kaum sehr bald wieder erscheinen, wird bei dem Doppeldecker bleiben – vorläufig jedenfalls … – Rasch – bringe den Kahn in die Nähe der Ruinen, Freund Joseph … Wir müssen den Tiger mitnehmen, von dem ich dir erzählte …“ –

Und fünf Minuten drauf zogen die Fürstin Sarratow und Joseph den Tiger an einem Strick zum Inselstrand hinab und in den Nachen hinein … Die Bestie regte sich nicht …

„Jetzt, mein Freund, rudere mit dem Tiger nach deinem Schlupfwinkel,“ befahl Mafalda. „Dort wirst du ihn fesseln. Schnüre ihm die Beine an den Leib … In deiner Hütte sah ich genügend Stricke liegen. Heute Abend nach Dunkelwerden kommst du dann mit dem Nachen, aber ohne den Tiger, an jene Uferstelle, wo du mich erwartet hattest. Ich muß den Mann beobachten, der nach der Halbinsel schwamm … – Beeile dich, Joseph … Rasch – verschwinde …!“

Der Idiot gehorchte …

Der Kahn glitt davon, und die Fürstin Sarratow kehrte nach den Ruinen zurück, wobei sie mit einem starken trockenen Ast, den sie als Harke benutzte, die Schleifspur im Grase nach Möglichkeit auszutilgen suchte.

Dann erklomm sie den Felsenhügel, legte sich dort in das niedere Gestrüpp und konnte so von hier aus auch einen Teil der Heide überschauen.

Zwanzig Minuten mochten vergangen sein … Da bemerkte sie den angeblichen Geller in der Ferne, wie er von der Landzunge her genau wie sie den Weg über die Heide nahm …

Auch er war überaus vorsichtig … Auch er fürchtete den Tiger …

Mafalda verlor ihn dann kurzzeitig aus dem Gesicht, als der Waldstreifen ihn deckte …

Doch bald tauchte er zwischen den Ruinen wieder auf … Die Pistole in der Rechten, schlank, hager, hochgewachsen …

Das war nicht mehr der bucklige Geller …

Das war ein Mann mit einem rassigen energischen Gesicht …

Mafalda sah, welch trainierter kraftvoller Körper dort mit ruhigen Bewegungen sich nun der Grotte nahte.

Sie … hielt den Atem an …

Wenn der Mann die Höhle betrat, war er verloren.

Dann … war sie auch diesen überflüssigen Helfer los …!

Jetzt konnte sie ihn nicht mehr im Auge behalten.

Sie lag zu weit vom Rande der Felswand entfernt.

Sie horchte – wartete …

Wartete mit pochenden Pulsen …

Minuten verstrichen …

Mafalda fieberte …

Sie wußte, wenn der Mann in der Mumienhöhle den Tod fand, war sie seine Mörderin! Sie hätte ihn warnen können … Aber – gerade er war der Gefährlichste! Sie dachte an die Szene auf der Waldlichtung in den Havelwäldern … Wie dieser Geller ihr dort gegenübergetreten war und wie er sie hatte fühlen lassen, daß er allein zu befehlen habe …!

Das war einer vom Schlage Gerhard Nielsen …!

Und flüchtig kam ihr die Erinnerungs an jene Stunde, als sie dort auf dem mittleren der drei Robigas-Eilande neben dem goldenen Hügel den Steuermann Nielsen durch allerlei Verführungskünste für sich hatte gewinnen wollen …

Oh – mochte dieser Geller sterben …! Gerade er! Obwohl – ja, schade war es doch um diesen stattlichen Mann … Das war kein aus den dunklen Tiefen armseliger Verhältnisse Entsprossener! In diesem Menschen pochte besseres Blut … Die Fürstin Sarratow hatte für die Beurteilung äußerer Erscheinung einen sicheren Blick …

Sie … erhob sich plötzlich …

Und ihre Gedanken drängten sich halb unbewußt über ihre Lippen …

„Er soll nicht sterben …! Er nicht!!“

Da – eine Stimme hinter ihr …

„Sehr nett von Ihnen, Fürstin …!“

Mafalda fuhr herum …

Gußlar lächelte …

„Ich bin Ihren Spuren gefolgt, Fürstin Sarratow! Und die Grotte – nun, die Toten schreckten mich ab … Es war nicht schwer, sich zusammenzureimen, daß es in der Höhle nicht ganz geheuer sein kann … Meine Freunde sind im übrigen glücklich zu preisen … Ihr Leben war verpfuscht … Ihr Streben war Müßiggang und Genießen … Sie hätten doch alle einmal im Zuchthaus geendet … Möge Gott ihnen gnädig sein …“

Sein Lächeln war verschwunden …

Er sprach noch ernster weiter:

„Ich rechne es Ihnen hoch an, daß Sie nicht retten wollten … Offen gesagt, ich habe Ihnen so viel Herz nicht zugetraut! Was in den Zeitungen von Ihrem Kampf gegen die Sphinxleute stand, rechtfertigte Ihren ‚Nom de Guerre’ Tigerin Mafalda! – Was mag übrigens aus unserem Tiger geworden sein?“

Mafalda blickte ihn forschend an …

„Zunächst – wer sind Sie?“

„Ich könnte Sie unschwer belügen, Fürstin … Doch nein … Ich bin der Baron Werner von Gußlar, Kurländer … – Ich denke aber, wir setzen uns lieber dort in die Büsche … Man kann nie wissen, ob nicht jemand von den Sphinxleuten die Insel aufsucht … Wir stehen hier zu exponiert, Fürstin …“

Sein Ton war leicht spöttisch geworden …

Mafalda fühlte sich unsicher … spürte seine Überlegenheit …

„Gut – verbergen wir uns …“ nickte sie …

Zwischen dem Brombeergebüsch gab es da eine freie Stelle. Dicke Polster bedeckten das Gestein. Die Fürstin streckte sich zwanglos nieder und stützte den Kopf in die linke Hand …

Gußlar lag dicht vor ihr …

„Wo haben Sie Ihren Freund Lomatz gelassen? Dem ehrenwerten Herrn möchte ich gern begegnen … Er hat sich mit dem lecken Kahn in der Nacht aus dem Staube gemacht und mich auf dem Inselchen alleingelassen. – Ein gemeiner Streich! Erst nahm ich an, daß auch Sie mich auf diese Weise … versetzt hätten, Fürstin … Nachher kam ich doch zu einer besseren Überzeugung … – Was ist Ihnen auf dem Inselchen zugestoßen?“

„Ein Schwachsinniger würgte mich und schleppte mich dann im Boot davon …“

„Nicht möglich!“ –

Die deutliche Ironien quittierte Mafalda mit einem Achselzucken …

„Bitte – sehen Sie mich, meinen Rock an, Baron … Der Idiot wollte sich in seinem Schlupfwinkel an mir vergreifen … – Nachher wurde er mein treuer Sklave …“

Ihre dunklen Augen lockten …

Gußlar umwehte der Duft ihres Parfüms … Ihres Leibes …

„Er hat Geschmack, der Idiot …!“ Und das war nicht ironisch gemeint …

„Danke …! – Wenn Sie meinen neuen Freund Joseph Lubsch sehen würden, Baron, dürften Sie begreifen, daß mir das Grauen vor diesem halben Tier mir die Kraft gab, ihn zurückzustoßen … Er hat mich dann hier zur Insel gerudert … Sah Sie, wie Sie nackt, ihre Kleider auf einem Floß vor sich herschiebend, der Landzunge zuschwammen …“

„Das stimmt, Fürstin … – Und der Tiger …?“

„Wird wohl tot in der Grotte liegen, Baron …“

„Vielleicht …!“ Er nahm seinen Zigarrentasche … „Sie gestatten, Fürstin … Zigaretten habe ich leider nicht da …“

„Danke – ich bin versehen …“

„Erzählen Sie mir nun bitte Einzelheiten … Sahen Sie den armen Benz? Der ist jetzt tot …“

„Ich wollte ihm Wasser einflößen …“

„Erzählen Sie …“

Er rieb ein Zündholz an … Auch Mafalda rauchte.

Sie schilderte alles, wie es sich zugetragen …

Und – sie war in allem ehrlich. Dieser Gußlar, ein Mann, der ihr gefiel, sollte an dem Milliardenraub teilhaben …

Gußlar horchte auf, als sie jetzt Josephs Fund in der Eiche erwähnte …

„Ah – der Azorenschatz liegt also in dem hohlen Baum?“

„Ja, Baron … Ich habe in das Loch hineingeschaut …“

„Und Sie meinen, Gaupenberg hat dieses Versteck erwählt?“

„Wer sonst?!“

„Sie haben recht, wer sonst?! – Dann müssen wir damit rechnen, daß die Sphinxleute hier auf der Insel sehr bald wieder auftauchen …“

„Vielleicht auch nicht … Sie glauben das Gold sicher verwahrt …“

„Nun gut … Und was gedenken Sie zu tun, Fürstin?“

Ihre Augen bohrten sich in die seinen …

„Mit Ihnen zusammen den Schatz entführen – im Doppeldecker …!“

„Hm – und Lomatz?!“

„Ich … verachte ihn …!“

„Nun – das wird ihn nicht gerade töten, Fürstin … Falls er mit dem lecken Kahn entkommen ist, wird er vielleicht nicht weit sein, der Herr Edgar Lomatz …“

Mafalda schüttelte den Kopf. „Ich halte es für ausgeschlossen, daß er noch lebt … Er wäre längst hier auf der Insel erschienen …“

„So?! – Haben Sie denn schon darüber nachgedacht, weshalb er mich in so verräterischer Weise verließ?! Haben Sie nicht auch wie ich den Argwohn, daß er sich gleichsam von uns losgesagt hat und daß er nur im Trüben fischen will?!“

Die Fürstin nahm die Zigarette schnell aus dem Munde. Ihr Gesicht drückte jetzt eine gewisse Unruhe aus …

„Oh – Sie mögen Recht haben, Baron … Er führte etwas im Schilde … Denn er muß fraglos nach einem wohlüberlegten Plane gehandelt haben …“

Gußlar rauchte drei Züge … Sein hageres Gesicht behielt den Ausdruck sorgloser Selbstsicherheit unverändert bei …

„Mich geht der Mann kaum mehr etwas an …“ meinte er nun. „Und Sie, Fürstin, müssen schon sehen, wie sie mit ihm fertig werden …“

„Was heißt als?“ Mafalda setzte sich aufrecht.

„Nichts anderes, als daß ich es ablehne, mich weiter um den Azorenschatz zu bemühen, Fürstin … Es geht gegen mein Gefühl, etwas zu stehlen, das einen ganzen Volke helfen soll …“

Die Fürstin starrte ihn an …

Ein Sonnenstrahl fiel durch die Äste der Brombeerbüsche und umspielte Gußlars harten Mund, enthüllte die Falten stillen Seelenleidens, die sich wie Risse zum Kinn hinabzogen …

„Scherzen Sie, Baron?!“ fragte sie ungläubig …

„Nein!“

„Dann – begreife ich Sie nicht! Sie sind doch Benjamin Jekowzers Freund, und Jekowzer hat viel Geld hergegeben, um …“

„Geld, das ich ihm zurückerstatten werde …“ unterbrach er sie. „Mein Freund war dieser Großhehler nie …“

Mafalda war wie ratlos …

„Aber … aber … sind Sie denn so reich, Baron, daß Sie …“

„Jetzt ja, Fürstin …“ Er schaute sie plötzlich in ganz anderer Weise an. „Reich genug, um auch Ihnen den Weg in ein ehrliches Dasein erleichtern zu können.“ Seine Stimme wurde milder und eindringlicher … „Sehen Sie, Mafalda Sarratow, – Ihr Weg führt nur in die Verdammnis – denn der Kampf um den Azorenschatz ist für Sie aussichtslos …“

„So?!“ Sie lachte ärgerlich auf. „Weshalb denn, Baron?!“

„Weil Ihnen zur großen Verbrecherin eines fehlt.“

„Ah – und das wäre?!“

„Die … toten Sinne als Weib, Fürstin … – Ich kenne Sie erst seit gestern … Es genügt mir … Es ist schade um Sie … Eine Frau, die so viel gesunde Sinnlichkeit besitzt, hätte einen Mann sehr glücklich machen und auch selbst sehr glücklich werden können … Liebe ist ja nichts als verfeinerter Naturtrieb … Aus diesem Fortpflanzungstrieb und seinen idealen Abzweigungen entspringen Güte, Nachsicht, Treue, Ehrlichkeit – vieles andere noch … – also Charaktereigenschaften, die ein ganz großer Verbrecher nicht brauchen kann … Diese Eigenschaften lähmen ihn vielleicht gerade im entscheidenden Augenblick …“

„Mich – – nie!!“ rief Mafalda halb spöttisch, halb stolz …

„Ein Irrtum, Fürstin … – Ich möchte Ihnen zum Beispiel den allerjüngsten Ihrer Fehler, der auf das Konto Ihrer gesunden Sinne kommt, vorhalten, daß Sie mich retten wollten, daß Sie mich dann in alles einweihten! Sie haben dies nur getan, weil ich Sie … als Mann reize!“

Mafalda krauste leicht die Stirn …

„Sie sind ein merkwürdiger Mensch, Baron …!“ kam es dann über ihre Lippen und sie senkte den Blick …

„Vielleicht bin ich ein … Vollmensch … Ich, Fürstin, habe in den letzten Jahren kein Weib angerührt, obwohl ich bis dahin ohne Frauen nicht leben konnte … Ich hatte ein Ziel im Auge … Nichts sollte meine Energie zersplittern – Keine Frau – absolut nichts …! Jetzt …“ – und er machte eine kleine Pause – „jetzt kann ich es mir erlauben, wieder Mann zu sein … Ich habe mein Ziel erreicht …“

Mafaldas Blick hob sich bis zu seinem kühnen rassigen Gesicht …

„Erreicht?! Wodurch Baron?“

„Durch die größte Macht der Welt. Den elenden Zufall!“

Seine Augen leuchteten …

Und indem er sich plötzlich aufrichtete, ergriff er ihre Hände …

„Ich … darf wieder Mann sein, Mafalda …! Und gerade jetzt hat ein ähnlicher Zufall mir ein Weib in den Weg geführt, daß für mich nur ein köstliches Gefäß ist – ein Gefäß, dessen Inhalt mir gleichgültig.“

Und – kraftvoll riß er sie an sich … Küßte die vollen weichen Lippen … –

Noch nie hatte ein Mann die Fürstin Sarratow in solcher Weise bezwungen …

Noch nie hatte ein Mann so wie der Baron Gußlar von ihr Besitz ergriffen! Nicht sie war diesmal die Gewährende, sondern er der Sieger!

Einen Augenblick hatte sich etwas in Mafaldas Seele gegen diese Unterjochung empört …

Einen Augenblick nur … dann gossen seine Küsse Feuer in ihre Adern …

Die bemooste Hügelkuppe wurde zum Hochzeitsbett … Der strahlende klare Herbsthimmel zum prunkenden Liebesdach …

* * *

Mafalda küßte Gußlar und flüsterte mit brennenden Wangen und jagenden Pulsen:

„Du – du darfst mich nie mehr verlassen … Nie mehr …! Du … wirst mein Schicksal werden …! Du hast das Bild des Anderen in meinem Innern völlig zertrümmert … Gaupenberg gilt mir nichts mehr … Dein will ich sein in alle Ewigkeit …“

Vom Heißen Moor strich ein großer Schwarm Krähen mit mißtönendem Krächzen vorüber … Die grauschwarzen Vögel zogen ganz tief, mit schweren, schweren Flügelschlägen …

Gußlar ruhte neben Mafalda und schaute ihr in das fiebernde Antlitz …

Sie hatte die Augen geschlossen …

Sie … schämte sich … Der helle Tag störte sie nun … Seit langem war wieder einmal in ihrem Herzen ein Gefühl keuscher Scham erwacht …

Gußlar hielt ihre Rechte in der seinen …

„Wie schön du bist, meine Astarte …“ flüsterte er.

Und sie, seine Hand pressend:

„Weshalb Astarte …?!“

„Astarte war die Göttinnen der Liebe, der schaffenden Naturkräfte, aber auch die des Krieges … Man stellte sie dar mit einer Mondsichel auf dem Haupte, auf einem Löwen reitend … Mithin eine sehr widerspruchsvolle Gottheit, wie du zugeben mußt, Mafalda, – Genau wie du …! Würde man dir das Kriegerische nehmen, bliebe nur noch die Liebe, und dann wärest du ein vollkommener Mensch …“

„Und – das Kriegerische?“

„Ist der Kampf gegen die Männer der Sphinx – was sonst?!“ Wieder wurde seine Stimme eindringlicher … „Mafalda, gib diesen Kampf auf … Folge mir in meine Heimat … In die weiten Wälder, an stille Landseen …! Mafalda, das wäre für dich der Weg aus der Tiefe aufwärts …! Vorhin, als du in meinen Armen lagst und unsere Herzen aneinander pochten, da flüstertest du, daß ich dich nie mehr verlassen solle … Ich möchte diesen Satz etwas ändern, verlaß du mich nie mehr, Mafalda! Bei mir ist der Friede … Was gewesen, wird versinken … Das Stammgut meiner Väter wird unsere Heimat werden … Wir sind zwei Gestrauchelte … Wir wollen gemeinsam uns wieder aufrichten …“

Sie öffnete langsam die Lider …

Hier halb verschleierter Blick, in dem noch die wilde Seligkeit der Liebesstunde schillerte, klärte sich …

„Also es ist dein Ernst, daß du auf die Milliarden verzichten willst?“ fragte sie mit schwerer Zunge – schwer wie die Flügelschläge der schwarzgrauen Vögel … und strich langsam den Rock nach unten…

Gußlar forschte in ihrem Antlitz … Und – war enttäuscht, so bitter enttäuscht … Er fühlte, daß Mafalda ihm wieder entglitt … Und – er bedauerte sie … Er suchte in jedem Menschen noch ein Fünkchen des Guten … Hatte gehofft, dieses Fünkchen zu freundlichen Flammen anfachen zu können …

„Ich sagte dir schon, daß ich habe mein Ziel erreicht habe!“ erwiderte er fast wehmütig … „Ich würde mich selbst verachten, wenn ich jetzt noch die Hand nach jenem Schatze ausstreckte … – Mafalda, gib … den Kampf auf …!“

Eine scharfe Falte bildete sich über ihrer Nasenwurzel …

Ihre Augen schlossen sich wieder …

Sie … kämpfte – vielleicht den entschiedensten Kampf ihres Lebens – gegen sich selbst …!

Sie liebte Gußlar …

Sie war ihm verwandt in vielem … Zwei Gestrauchelte – er hatte recht … Nur – nur daß in ihrer Vergangenheit alles, alles dunkel war … Und die seine – rein bis auf die letzten Jahre …

Und dann – was verlangte er von ihr …?! Sie sollte sich in diese Einsamkeit eines Landgutes flüchten, sollte dort als Gutsherrin leben – – stumpf, ohne die Erregungen eine ständig wechselnde Erlebens – – sie, Mafalda Sarratow?!

Unmöglich – – unmöglich …!! Sie kannte sich … Eines Tages würde sie … fliehen … Würde alles von sich werfen – – aus Sehnsucht nach … dem Schlechten …

Sie kannte sich …!

Richtete sich jetzt jäh empor, umschlang Gußlar.

„Du – du sollst bei mir bleiben!“ rief sie wie in wilder Angst … „Wir beide werden die Milliarden genießen … Am blauen Adriastrand lassen wir uns ein Schloß …“

Er hatte ihre Arme sanft von seinem Halse gelöst.

Da schwieg sie …

Trauer waren seinen Augen …

„Mafalda,“ sagte er mit tiefer Innigkeit, „wenn du je weltmüde geworden, komm zu mir! Das Gut Gußlaren im Kurland kennt jeder … Von dieser Stunde an hast du eine Heimat … Sie wartet auf dich …“

Und in anderen Tone:

„Du kannst mir jetzt helfen, meinen Schatz in den Doppeldecker zu bringen … Drüben auf dem Inselchen, wo Lomatz uns beide im Stiche ließ, fand ich in einem alten Grabe neben einem Skelett eine von Rost zerfressene Eisenkiste, die bis obenan mit Golddublonen gefüllt ist … Der Schatz ist mein rechtmäßiges Eigentum … Und dieses Gold soll mir die Heimat wiedergeben … – Hilf mir, ein Floß zu bauen … In den Ruinen unten gibt es genug Balken … Hilft mir … wenn du mich liebst …“

Mafalda blickte vor sich hin …

Dann – kurz und energisch: „Ich helfe dir …! Denn – – ich hoffe, daß die größte Macht der Welt, der Zufall, dich doch weiter an mich ketten wird …“

Sie schaute ihm jetzt direkt in die Augen …

„Ich hoffe, daß … Lomatz dich … bestohlen hat! Und dann – – bleibst du mein!“

Gußlar zuckte leicht zusammen …

Sprang empor …

„Ich will … ich muß Gewißheit haben …! Hinab zu den Ruinen! Schlimm genug, wenn ein mißgünstiges Schicksal mir wiederum … ins Gesicht getreten hätte …!“

Er preßte die Worte finster über die Lippen …

Mafalda lächelte nur …