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Band 5, Kapitel 11–20

11. Kapitel.

Was Montgelar flüsterte …

… Der Meeresarm zwischen den beiden Hälften der Faluhn-Klippe … Morgenstimmung lag über den zackigen Felsmassen …

Graziös dahinschwebende Möwen kreisten im Sonnenlicht über der Weltabgeschiedenheit der Klippen …

Im Kanal nebeneinander vertäut das Wrack des Fliegenden Holländers, auf dem einem U-Boot ruhend, und das andere Unterseefahrzeug, der im Weltkriege verschollene ‚Ballin’, jetzt ein Schiff ohne Namen, mit einer Besatzung von sechzehn herkulischen Negern und einem Europäer an Bord …

Langsam entführte die dem Meeresarm durchziehende Strömung das plumpe Balkenfloß gen Westen – ganz langsam … Und auf beiden Inselteilen bewaffnete Schwarze, die den entflohenen Tiermenschen suchten und … nicht fanden.

Murat, der Homgori, hatte des Prinzeßchens Rat befolgt und war unter dem Floß in Sicherheit, hatte den Kopf in eine Lücke der dreifachen Balkenlage gesteckt und hielt sich mit den Händen an einen davon fest …

Der Abstand zwischen diesen gestattete ihm nach den Verfolgern auszuspähen … Über seinem Kopf lag schützendes Gebälk. Und Murats beharrtes Gesicht verzerrte sich immer wieder in wilder Wut …

Daß gerade die Neger ihn wie ein Stück Vieh hatten niederknallen wollen, stachelte seine schlimmsten Instinkte auf … Gerade die Neger! Denn Negerblut floß in seinen Adern, außerdem das Blut der Riesenaffen von der Kamerunküste, der Gorillas …

Und gerade weil in Murats Hirn sich menschliche mit der Intelligenz der freien Bewohner der Urwälder aufs glücklichste vereinigte, dünkte er sich mehr als diese Schwarzen … Er verachtete sie …

Regungslos hing er in dem Floß im Wasser …

Seine Armmuskeln erlahmten nicht … Er wartete … Draußen, wo der Brandungsgürtel wie ein wehender Schleier die Faluhn-Klippe umgab, wo die Riffe gleich kleinen Inseln schwarz und unzugänglich, von gurgelnden schäumenden Wassern umspült, emporragten, – dort draußen würde er ein sicheres Versteck finden, und wenn die Nacht kam, dann brachte die Dunkelheit auch die Aussicht, für seine gefangenen Freunde etwas zu unternehmen ….

So dachte Murat, der Treue, Dankbare, und spähte weiter nach den Feinden aus …

Langsam glitt das Floß dahin, unbeachtet …

Geriet nun in offenes Wasser zwischen Klippe und Riffgürtel …

Leichte Wellen schaukelten es …

Bis es mit dumpfem Stoß gegen einen Felsen prallte.

Murat ließ die Balken fahren, tauchte und schwamm unter Wasser mit mächtigen Stößen zwischen die Riffe, schnellte empor an die Oberfläche und umkrallte das Gestein …

Ein Blick in die Runde … Er war zufrieden … Haushoch die einzelnen Felsen … Und wie Mauern schlossen sie einen winzigen stillen See ein … Über ihnen sprühte der Tropfenstaub der Brandung, leuchtete in allen Farben des Regenbogens …

Der Homgori erklomm das eine Riff, fand eine Felsspalte, schüttelte das Wasser aus seinem Pelz und rückte einen Stein als Sitz zurecht …

Die Sonne traf seinen mächtigen Leib … Mollig regte er die muskelstrotzenden langen Arme …

Und dachte, daß es vielleicht ganz gut war, wie es nun gekommen … Er war frei …!! Frei und fähig, seine Sphinxfreunde zu retten … –

Die Sonne trocknete sein rostbraunes Haarkleid …

Immer wieder äugte er vorsichtig zur Faluhn-Klippe hinüber. Sah dann und wann auch einen der schwarzen Matrosen …

So verging eine Stunde … Die hartnäckigen Verfolger verschwanden … Wieder verstrich eine Stunde …

Die Sonne kletterte am Himmelsgewölbe empor. Murat merkte plötzlich, daß er Hunger hatte …

Zwei Meter unter ihm in dem von den Riffen eingeschlossenen Wasserbecken tauchten immer wieder Robben auf …

Doch sie waren scheu … Mit ihren großen runden verwunderten Augen hatten sie stets sofort die Gestalt dort oben in der Spalte erspäht und waren wie ein Blitz wieder versunken …

Murat zog sich tiefer in die Spalte zurück, nahm einen Stein, legte sich nieder und wartete …

Im klaren fast unbewegten Wasser erkannte er huschende Fische …

Dann schoß eine Robbe empor, hinter sich zwei Tiere von Armlänge … Das Muttertier hatte einen großen Fisch im Maul … Kroch auf eine flache Stelle der Riffmauer, und die Jungen folgten ihr …

Der Homgori hob den Stein …

Richtete sich etwas auf – zielte …

Und – ließ den Arm wieder sinken, sank selbst zusammen …

Draußen … fuhr das U-Boot davon … Soeben erst hatte es den Kanal verlassen … Zur rechten Zeit noch von Murat bemerkt …

Er dachte nicht mehr an Hunger und Robbenjagd, sein Hirn erfaßte nur, daß ihm die Freunde entführt werden könnten …

Traurig stand er im Schutze der Riffe und schaute dem entschwindenden Fahrzeug nach …

Seine scharfen Augen zeigten ihm das U-Boot, bis es am Horizont als winziges Pünktchen vom grauen Dunst verschluckt wurde.

Trotzdem getraute er sich nicht auf die Faluhn-Klippe hinüber. Er fürchtete menschliche List … Neger könnten auf der Klippe zurückgeblieben sein … Das U-Boot konnte tauchen und zurückkehren …

Die Robbe mit den beiden Jungen war längst geflüchtet. Der Homgori saß da und spürte wieder Hunger und Durst …

Ein neuer Gedanke ließ ihn behutsam nach dem Floß Ausschau halten.

Das Floß hatte sich festgerammt, hing noch an dem Felsen …

Gleich darauf wurde es wie von unsichtbaren Kräften freigemacht und begann gegen die Strömung in den Kanal hineinzutreiben – unendlich langsam …

Murat hing wieder unter den Balken … Seine Beine arbeiteten unermüdlich … Unermüdlich … Schwere Arbeit war’s – selbst für die Eisenmuskeln des Homgori.

Nun kam das Wrack des Fliegenden Holländers in Sicht … Es lag noch an derselben Stelle …

Weiter trieb das plumpe Floß. Murat schaute nach Feinden aus. Er kannte die Zeichen der Natur … Scharen von Seevögeln tummelten sich in den Lüften über beiden Inselhälften …

Scharen, die bisher geflüchtet waren vor der Anwesenheit der Menschen.

So gewann der Homgori die Überzeugung, daß keiner der schwarzen Matrosen hier zurückgeblieben sein konnte … –

Er wagte sich hervor … Stand auf dem zerstörten Deck des Zweimasters, den Revolver schußbereit …

Lauschte angestengt und äugte umher …

Sein tadelloser Geruchssinn nahm einen brenzligen Gestank wahr … Aus der zertrümmerten Achtertreppe drang er hervor …

Ob etwa die Schwarzen hier Feuer gelegt hatten?! – Und schon klomm der Homgori abwärts …

Klaffende Schußlöcher in den Bordwänden ließen Tageshelle herein …

So fand Murat eine Zündschnur, die in ein Fäßchen Pulver führte. Die Schnur schwelte stinkend weiter undweiter …

Murat entfernte sie, löschte mit Speichel deb glühenden Funken …

Er wußte die Wirkung von Explosionen abzuschätzen … Hatte er doch miterlebt, wie das Torpedo den Eingang der Höhle freilegte …

Das Wrack wäre durch die Explosion dieses Fäßchens Blattpulver auseinandergeflogen, und das U-Boot, das der Attrappe als Schwimmdock gedient hatte, wäre versunken …. –

Der Homgori kletterte tiefer, gelangte so zur offenen Turmluke des U-Bootes und tastete sich im Dunkeln bis zur kleinen Küche, wo er so lange suchte, bis er eine Schachtel Zündhölzer gefunden … und bald auch eine Laterne.

In einer kleinen Kiste schleppte er Lebensmittel nach oben, lagerte sie auf dem Deck des ehemaligen Gespensterschiffes und sättigte sich. Neben ihm lag sein Revolver, außerdem ein geladener Karabiner, den er eben aus dem Innern des U-Bootes mit nach oben genommen hatte.

Seine kleinen Augen glitten beständig über die Kanalufer hin … Aber die Vogelschwärmen kreisten weiter über den Felsen … Weiße Ketten von Möven saßen auf den Felsschroffen … Er brauchte nicht zu fürchten – vorläufig wenigstens …

Murat war Mensch und dachte weiter …

Das andere U-Boot konnte zurückkehren … Und wenn dann das Wrack noch vorhanden, würden die Neger von neuem nach demjenigen suchen, der die Explosion verhindert hatte …

Der Homgori beschloß, aus dem U-Boot unterhalb des Wracks alles zu bergen, was ihm nützlich sein konnte: Lebensmittel, Trinkwasser, Waffen, Geräte, Decken …

Dreimal belud er das Floß und fuhr nach den Riffen, verstaute seine Schätze in die Spalte des mächtigen Felsens, der ihm vorhin Zuflucht geboten hatte …

Dann zündete er die Lunte wieder an, nachdem er sie gekürzt hatte …

Aus sicherer Entfernung wollte er die Wirkung der Explosion beobachten …

Stand auf dem Floß – achtzig Meter entfernt …

Plötzlich schleuderte eine Riesenfaust das Wrack in die Höhe … Wie eine Seifenblase riß es auseinander … Der Luftdruck warf Murat hintenüber …

Als der Homgori sich wieder aufrichtete, war der Kanal mit schwimmenden Trümmern bedeckt … Und – – mitten zwischen zerfetzten Balken und Brettern schaukelte das U-Boot … Sein stählerner Leib hatte die Explosion überstanden … Nur die über ihm errichtete Schiffsattrappe war verschwunden … –

Murat paddelte auf das U-Boot zu, ging an Bord …

Und überlegte von neuem …

Im Norden der einen Hälfte der Faluhn-Klippe bildeten die Riffe einen meilenlangen Steindamm … Dort … könnte man das U-Boot verbergen …

Doch – mit den Maschinen wußte Murat nicht Bescheid … Nur eins traute er sich zu, ein Segel anzubringen!

Er frischte den längsten der treibenden Balken aus dem Wasser und befestigte ihn mit Stahltrossen und Tauen am Mittelturm …

Segel fand er in den Räumen des Bootes zwar nicht, aber genügend Bettlaken … Die knotete er zusammen …

Der Wind strich von Osten den Kanal entlang …

Das U-Boot kam in Fahrt … Als Steuer diente dem Homgori ein anderer Balken mit ein paar an einem Ende aufgenagelten Brettern …

So gelangte der Homgori zu den Riffen, schaffte die Vorräte und Waffen wieder an Bord und versuchte dann das schwierigere, die Insel zu umrunden und den Damm von Riffen zu erreichen …

Stunden mühte er sich ab … Unzählige Male prallte das Unterwasserfahrzeug gegen die Felsen … Endlich dann ein voller Erfolg! Ein Wasserbecken inmitten des Steindammes zeigte sich – ein kleiner sicherer Hafen!

Hier legte Murat den Notmast wieder um … Hier war er geborgen, vertäute das U-Boot und begann nun, die Innenräume genau zu besichtigen …

Nickte verständnisvoll, als er Torpedolancierrohre bemerkte und die langen blanken Metallzigarren …

Freute sich, als er in einer kleinen Kammer ein aus drei Teilen bestehendes Zinkboot entdeckte … zusammenschraubar – die Schnittflächen mit Gummi gepolstert.

Er schleppte die drei Teile an Deck und setzte sie zusammen… Hatte nun ein Boot von drei Meter Länge – mit schlanken Blattrudern, mit einem Steuer und Luftkästen an Heck und Bug … –

Stunden waren wieder verstrichen …

Die Sonne stand hoch … Die Mittagszeit war vorüber.

Murat bereitete sich neben dem Turme ein Lager und schlief bald ein …

Als er erwachte, umgab ihn die milchige Dämmerung eines sternenklaren Nachthimmels … Er fuhr empor – war im Moment völlig munter, reckte und dehnte sich … Dann erkletterte er flink das höchste der nahe Ritter, hatte ein Fernglas mitgenommen und spähte zur Faluhn-Klippe hinüber …

Grau und düster ragten die Felsmassen … Nichts war zu bemerken, was auf die Anwesenheit von Menschen schließen ließ …

Nichts?! – Der kluge Homgori stutzte …

Die Vogelscharen waren für diese nächtliche Stunde auffallend lebendig … So lebendig und unruhig, daß Murat bald die Überzeugung gewann, es müßte auf den Inselhälften drüben doch nicht ganz geheuer sein.

Er kehrte an Deck zurück, stillte Hunger und Durst, steckte noch zwei Pistolen in die weiten Taschen seiner blauen Leinenhosen und ruderte mit dem Zinkboot davon …

Der Wind war günstig. Murat fuhr in stillem Wasser hinter der Riffmole dahin, bog in eine enge Bucht der Nordhälfte der Insel ein, zog sein Boot an Land, trug es in eine dunkle Schlucht und schlich vorsichtig dem Kanale zu …

Und – mitten im Kanal lag das andere U-Boot …

Drei Gestalten bewegten sich an Deck … Zwei Laternen brannten …

Der Homgori kroch näher …

Er kannte den Dienst an Bord eines Schiffes … Wußte, daß zur Nachtzeit Wachen aufgestellt werden, daß diese Wachen nach Stunden abgelöst werden …

Und wartete geduldig …

Einer der drei Leute an Deck verschwand dann im Turm. Die beiden andern schlenderten über das Deck … Die glimmenden Spitzen ihrer Zigaretten waren wie schwebende Glühwürmchen …

Und Murat wartete …

Eine Stunde …

Dann wurden die beiden Wachen abgelöst …

Bis zum Nordufer waren’s kaum acht Meter …

Und Murat durfte sich auf die Treffsicherheit seiner Würfe verlassen. Suchte zwei handliche Steine, krochen noch näher …

Die beiden schwarzen Matrosen des namenlosen Schiffes unterhielten sich in jenem Negerslang, wie’s in den Südstaaten Nordamerikas gebräuchlich, über die Erfolge der heutigen Taucharbeit draußen im Osten, wo der Kreuzer mit der Goldladung gesunken, wo gestern der Kampf unter Wasser sich abgespielt hatte, wo dann auch der Fliegende Holländer beim Auftauchen unter Feuer genommen worden war …

Der eine meinte grollend:

„Unser Käp’ten fast die Gefangenen allzu zart an …! Was brauchen wir uns noch um das Gold des gesunkenen Kriegsschiffes zu bemühen, da wir doch weit mehr von dem deutschen Grafen erpressen könnten … Der Käp’ten ist ein verdammter Narr! Ich würde die Gefangenen schon zwingen… Auch die Weiber hat er jetzt neben seiner Kabine untergebracht und tut so, als ob er fürchte, wir könnten uns an ihnen vergreifen …!“

Der andere – lachend:

„Und – hättest du nicht Appetit auf diese weißen Dämchen, old Jonny?! He – hättest du nicht Appetit! Solch ein blondes Liebchen, old Jonny, – wie wär’s?!“

Und Jonny – wütend:

„Wenn’s der Käpten weiter so treibt, werden wir’s ihm zeigen, daß wir sechzehn gegen einen sind …! – Verdammt – sollen etwa nochmals sechs von uns so elend umkommen, wie gestern die Kameraden?! Ich …“

Jonny sollte in diesem Dasein den begonnenen Satz nicht mehr vollenden …

Ein Stein traf von der Seite seinen Kopf …

Mit einem kurzen Ächzen schlug er lang auf die Deckplanken …

Der andere, dem Blut und Hirnteile ins Gesicht gespritzt waren, kam etwas glimpflicher davon … Er war vor Schreck zurückgesprungen … Murats zweites Geschoß prallte ihm gegen die Brust … Und auch er sank zusammen – nur bewußtlos …

Der Homgori schwamm zum U-Boot hinüber … Ob er es dort vielleicht mit einem ganzen Dutzend Feinde würde aufnehmen müssen, das war im gleichgültig … Er wußte seine Freunde in Gefahr, und das gab den Ausschlag … Er sah jetzt eine ungewisse Möglichkeit, sie zu befreien, und das war ihm Grund genug, nötigenfalls sein Leben zu opfern …

Er schwamm ohne Übereilung. Seinen Revolver und die beiden Pistolen hatte er in die blaue Leinenhose gewickelt und sich diese auf dem Kopf wie einen Turban festgebunden, um die Waffen vor Nässe zu schützen. Sein langes Dolchmesser aber hatte er zwischen die Zähne genommen.

Einmal umrundete er das verankerte Fahrzeug … Auf der anderen Seite fand er das Beiboot an einer Strickleiter vertäut. So gelangte er an Deck, schaute flüchtig die beiden reglosen Gestalten an und kroch auf den Mittelturm zu …

Kaum hatte er diesen erreicht, als ein Geräusch ihn warnte …

Er kannte diese Geräusche von der Sphinx her … Es kam jemand die eiserne schmale Leiter zur Turmluke empor …

Er duckte sich zusammen …

Eine blaue Seglermütze – ein Kopf – Mannesschultern erschienen über dem Lukenrande …

Der Mann drehte Murat den Rücken zu …

Das mußte der weiße Kapitän des namenlosen U-Bootes sein …

Jetzt stand er still …

Das Dämmerlicht der Sternennacht hatte ihn dort vorn Murats beide Opfer ahnen lassen …

Er wandte sich mißtrauisch halb um – wollte den anderen Teil des Decks überblicken …

Und – – sah ganz dicht vor sich das unheimliche Antlitz des Homgori mit gefletschten Zähnen vor sich auftauchen …

Ein überlanger Arm legte sich blitzschnell um seinen Hals, und mit einem Ruck preßte Murat den vor Schreck Gelähmten an seinen Brustkasten …

Das Dolchmesser zog einen mattblinkenden Halbkreis durch die Luft …

„Töte … mich nicht …!“ keuchte der Mann in wilder Todesangst …

Die Klinge senkte sich tiefer, berührte den Hals …

„Wo … meine Freunde sein?!“ grollte der Homgori mit geifernden Wulstlippen …

„Ich … wollte Sie … ohnedies freigeben …“ japste der Kapitän, dem unter dem Armdruck des Tiermenschen fast die Genickwirbeln brachen …

„Du – – lügen! Du nicht freigeben … Du lügen!! Wo meine Freunde sein?! Du mich hinführen … Und wenn um Hilfe rufen, sterben müssen – wie du haben töten willst Murat!!“

Sein Arm glitt zurück … Aber die Hand umkrallte nun das Genick. Die Finger waren die eiserne Zangen.

So mußte der Kapitän in den Turm hinab … Der erste Schreck war vorüber … Und doch dachte der Mann nicht an Gegenwehr …

Vor einer Kabinentür machte er halt … Flüsterte:

„Hier sind die drei jungen Damen eingeschlossen … Soll ich öffnen? Der Schlüssel steckt …“

„Erst Mr. Nielsen und die anderen … Schnell!!“

Der Kapitän schritt weiter …

Bis zur vierten Tür …

„Hier ist’s … Soll ich klopfen? – Deine Freunde haben die Tür von innen verrammelt …“

Murat war durch die Bereitwilligkeit seines Gefangenen noch mißtrauischer geworden …

„Du Schlechtes planen …!“ stieß er hervor … „Du sterben, wenn …“

Der Kapitän hatte schon erwidert:

„Ich meine es ehrlich …!! Seit ich deine Freunde an Bord habe, hat sich vieles geändert … Meine schwarzen Matrosen wollen rebellieren … Der Anblick der jungen Mädchen hat sie toll gemacht … – Klopfe! Meine Leute schlafen im Vorschiff …“

Es war etwas im Tone des blonden Mannes, das nach Aufrichtigkeit klang …

Der Homgori klopfte … Klopfte stärker …

Und rief schließlich halblaut gegen die Tür:

„Hier Murat sein …! Öffnen!!“

Nichts regte sich in der Kabine …

Der Kapitän flüsterte hastig:

„Rechts – in die Nebenkabine … Dort kannst du durch den Ventilator deine Freunde verständigen.“

Er wandte sich um … Murat wurde wieder argwöhnisch, doch ohne Grund. Der Kapitän schaltete hier in der Nebenkabine das Licht ein und deutete auf eine große Kiste, die links in der Ecke stand …

„Ich werde auf die Kiste steigen … Oben in der Wand ist die Ventilatoröffnung … Ruft man hinein, so ist es nebenan zu hören …“

„Beide auf Kiste,“ beharrte der Homgori … „Murat rufen …“

Er ließ seinen Gefangene nicht los …

„Rufe!“ meinte der Kapitän …

„Hallo – hier Murat sein!!“

Eine Weile nichts …

Dann eine verschwommene Stimme von drüben:

„Bei Gott, das ist unser Murat!!“

Pasqual war’s.

Und der Homgori abermals:

„Richtig sein… Murat hier!! Euch befreien … Rasch Tür öffnen – – rasch …!!“

Drüben rissen eilfertige Hände die Holzstützen weg.

Die fünf Männer fieberten vor freudiger Erwartung …

Und die Tür flog auf …

Nielsen stand ganz vorn … Hinter ihm Dalaargen, Booder, Gottlieb und Pasqual …

Sie sahen den blonden schlanken Mann in Murats Gewalt … Und das kürzte die Begrüßung ab …

„Erst die jungen Mädchen!“ bestimmte Nielsen …

Man eilte hin … und Gipsy, Mela und Toni waren frei …

„Hinab ins Boot!“ kommandierte Nielsen … „Nur hier keine Freudenszenen … Noch sind wir nicht in Sicherheit …“

Booder eilte voran … Ein Blick rundum… An Deck war alles sicher …

Die Mädchen kletterten ins Boot …

„Sie nehmen wir mit, Graf Arthur Montgelar!“ sagte Nielsen finster zu dem Gefangenen. „Sie werden uns noch über Verschiedenes Aufschluß geben müssen!“

Das Boot konnte nur fünf Personen tragen, mußte zweimal den Weg zum Nordufer machen …

Montgelar – er hatte jetzt nichts mehr gegen diesen Namen eingewendet – benahm sich auch weiterhin durchaus folgsam.

Eine halbe Stunde später waren alle an Bord des anderen U-Bootes dort im Norden zwischen den Riffen …

Jetzt hatte Nielsen nichts mehr dagegen, daß man der Wiedersehensfreude in jeder Form Ausdruck gab, nachdem der Gefangene vorläufig sicher eingesperrt war, und ein Angriff durch das andere U-Boot und die Neger hier nicht zu fürchten war …

Tonerl hatte ihren Tom umhalst … Mela und Dalaargen küßten sich … Gipsy hing an Nielsens Brust.

Abseits standen die drei übrigen …

Und Pasqual brummte: „Es hat doch sein schönes, verlobt zu sein, Freund Gottlieb …“

Knorz streichelte seinen Teckel …

„Noch besser aber, einen treuen Freund zu besitzen!“ Und er reichte Murat die Hand …

Der Homgori schnitt ein unglaubliches Gesicht … Er war gerührt… Und das wollte er sich nicht anmerken lassen …

Auch die drei Brautpaare kamen jetzt herbei. Murat war der Mittelpunkt eines Kreises froher Menschen, deren Dankbarkeit so recht von Herzen kam …

Kein Wunder, daß des Homgoris Grimassen immer ärger wurden. Schließlich wußte er sich nicht anders zu helfen, als durch den Alarmruf, daß er … Hunger habe …

Und lachend rief Nielsen:

„Dann also – die Damen in die Küche …!! Vier Männer aber in den Turm und den Maschinenraum! Hoffentlich sind die Motoren noch in Ordnung. Wir müssen uns hierüber sofort Gewißheit verschaffen. Dann erst dürfen wir uns ganz sicher fühlen …“ –

Das Deck leerte sich … Nur Pasqual blieb als Wache oben zurück … Murat sollte vor der Kammer des Gefangenen Wache halten, denn von technischen Dingen verstand er nichts. Man hatte den Grafen Arthur Montgelar ungefesselt gelassen.

Der Homgori waren auch erst einige Male im Schiffsgang auf und ab patrouilliert, als der Gefangene plötzlich gegen die Tür donnerte …

Murat öffnete die Tür ein wenig, hielt aber den Revolver bereit …

„Ich muß unbedingt sofort Mr. Nielsen sprechen,“ flüsterte der Gefangene sehr erregt … „Unbedingt …! Hole ihn – und melde ihm, ich hätte ihm etwas von allergrößter Wichtigkeit mitzuteilen, – unendlich viel hängt davon ab …“

Murat verschloß die Tür wieder …

Zögerte … denn er wollte seinen Posten nicht ohne weiteres verlassen …

Da hörte er aus der nahen Kombüse das Klappern von Tellern … Trat dort ein und erzählte den drei jungen Mädchen, was der Gefangene verlangt hatte.

Mela eilte daraufhin in den Turm und kehrte kurz darauf mit Gerd Nielsen zurück.

Nielsen war genau so vorsichtig und mißtrauisch wie Murat. Mit schußbereiter Pistole betrat er die kleine erleuchtete Gerätekammer.

Der Gefangene erhob sich von einer Kiste, verbeugte sich …

Sagte mit derselben angenehmen Stimme, die den Sphinxleuten durch den Ventilator genugsam bekannt geworden:

„Herr Nielsen, wir werden uns einigen, hoffe ich.“

„Inwiefern?! – Zunächst aber, sind Sie Graf Arthur Montgelar?“

„Ich bin’s …“

Nielsen musterte ihn kalt …

„Dann – sind Sie auch der Mörder Ihres Bruders! – Was haben Sie mir mitzuteilen … Machen Sie es kurz. In meinen Augen sind Sie ein Verbrecher, der …“

Graf Montgelar fiel ihm ins Wort …

„Sie werden anderer Ansicht werden, Herr Nielsen … Mein Bruder Ortwin …“

„Schenken Sie sich alle Winkelzüge und Beschönigungsversuche … Was wünschen Sie?“

„Meine Freiheit!“

„Oh – Sie treten hier recht großartig auf …!! Freiheit – – Sie, – – Sie, der uns gefangennahm, um von Gaupenberg einen Teil des Azorenschatzes zu erpressen?! Herr, Sie scheinen …“

„Gestatten Sie …“ Und Montgelars weiche Stimme wurde etwas schärfer. „Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie alle keine zwei Stunden mehr leben, wenn Sie mich nicht sofort auf die Faluhn – Klippe zurückbringen … Keine zwei Stunden – – so war ich meinen Bruder Ortwin gehaßt habe wie sonst nichts auf der Welt!“

Ebenso unvermittelt sank seine Stimme wieder zum Flüstern herab …

„Wenn Sie also Ihr und Ihrer Freunde Leben erhalten wollen, Herr Nielsen, geben Sie nach und – mich frei! Versprechen Sie mir meine Freiheit, und ich will Ihnen sagen, welche Gefahr Ihnen droht …“

Nielsen blickte ihn scharf an …

Montgelar hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinem älteren Bruder. Nur die Augen zeigten einen merklichen Unterschied. Die Ortwins waren groß und fast krankhaft strahlend gewesen, die des jüngeren stets halb geschlossen und wie verschleiert …

„Gut …“ erwiderte Nielsen bedächtig … „Ich verspreche, daß Sie frei sein sollen, falls es sich hier wirklich um eine ernste Lebensgefahr für uns handelt.“

Der Graf nickte …

Dann beugte er sich vor …

Raunte Nielsen ein paar Sätze zu …

Und – selbst ein Mann wie Gerd Nielsen taumelte zurück – selbst ein Nielsen erblaßte und stierte dem Gefangenen in das höhnisch grinsende Gesicht …

 

12. Kapitel.

Fluch dem Golde …!

Ein anderes Bild …

Sonnenschein lag auf der Terrasse der Gaupenburg …

Der Kutscher Johann, jetzt in Dienerlivree, deckte den Frühstückstisch für die beiden Ehepaare …

Johanns Gesicht strahlte …

Sein Herr war wieder daheim – und die junge Gräfin Agnes würde nun hier Schloßherrin spielen … Die Gaupenburg würde wieder Gäste sehen und die leeren Pferdeställe würden wieder vierbeinige Insassen erhalten …

Johann lächelte stillvergnügt … Die Pferde waren ihm die Hauptsache … Denn ein trefflicher Kutscher ohne Pferde, das war wie eine Perücke ohne Haare …

Johann pfiff einen Reitermarsch …

Da – vor der offenen Flügeltür, die in Gaupenbergs Arbeitszimmer führte, die fettige Stimme der alten braven dicken Köchin:

„Johann, Vögel, die morgens singen, hohlt abends die Katz …!“ –

Und ihr feistes Gesicht sah wie das in Stein gehauene Unheil aus …

„Nanu – was ist denn das Gegenteil von Pfeifen, Helene?!“ meinte der baumlange Kutscher mißmutig … „Etwa weinen?! Dazu ist doch kein Grund vorhanden, sollte ich denken …!“

„So?! Kein Grund?! Hat die Gräfin nicht in der Nacht den Pokal fallen lassen und …“

„Quatsch – Aberglaube! Bleiben Sie mir mit solchem Unsinn vom Leibe – noch dazu bei so prächtigem Herbstwetter!“

Helene rang die Hände …

„Johann, Johann, versündigen Sie sich nicht!! Sie wissen recht gut, daß es mit dem Pokal …“

Da trat der Kutscher breitspurig vor sie hin …

„Sie sind eine alte Unglücksunke, Helene! Was soll wohl der Gräfin hier zustoßen?!“

„Oh – liegt nicht im Schuppen am See die Sphinx!“ ereiferte die Köchin sich … „Haben Sie nicht auch in den Zeitungen gelesen, daß unser Herr ständig von der Fürstin Sarratow und dem elenden Lomatz des Azorenschatzes wegen verfolgt wurde …! Und haben Sie …“

„Ach was – – Schluß damit! – Ist der Tee fertig? Die Herrschaften können jeden Augenblick kommen … Ich habe den Herrn Grafen vorhin am Fenster gesehen … Er rasierte sich, und die Gräfin war auch nicht mehr im Hemde …“

Helene verschwand … Ihrem jungfräulichen Gemüt war ein Hemd etwas allzu Anrüchiges …

Johann hinter ihr her …

„’n Vogel hat sie …!“ brummte er … „Die Fürstin Sarratow wird sich hüten, uns hier zu belästigen …! Die hat Schloß Gaupenburg wahrlich in keinem guten Andenken – im Gegenteil …!!“

Und er blickte kritisch auf sein Werk, rückte die feinen Tassen zurecht … Er ließ sich die Freude über die Rückkehr seines Herrn nicht durch Altweibergewäsch vergällen … Nein – dazu hatte er seinen Herrn viel zu lieb … Und leise pfeifend schlenderte er nach der Küche – nun gerade pfeifend! Er mochte die Katze sehen, die ihn, den langen Johann holen wollte …!! Oder etwa den Herrn Grafen, oder die junge Gräfin – – eine Katz – noch schöner!!

Und – – ahnte nichts von der großen gelben Katze, die dort im Heißen Moor in Joseph Lubsch’ Schlupfwinkel gefesselt lag … –

Das Ehepaar Hartwich fand sich auf der Terrasse ein …

Frau Ellen trat an die Brüstung und blickte über die weite Rasenfläche in den uralten Park hinein …

Hartwich legte den Arm um ihre Schultern …

„Wie herrlich wohnt doch Viktor,“ sagte Ellen leise … „Jetzt kann ich seine Sehnsucht begreifen … Es ist doch etwas besonderes an diesen uralten deutschen Familienschlössern … Wir drüben in Amerika sind nichts als Nachahmer einer Pracht, die wir nie erreichen werden, weil eben die Alterspatina fehlt … Wenn ich zum Beispiel an Josua Randercilds Zauberschloß Missamill denke, – wie sehr fällt es gegenüber der Gaupenburg ab …“

Und Georg Hartwich wiederholte sinnend:

„Josua – – Schloß Missamill, – – wie unendlich fern liegt das alles hinter uns, Ellen …“

So kehrten die Gedanken der Liebenden in die Vergangenheit zurück …

So kam’s, daß Ellen ebenso nachdenklich fragte:

„Wo mögen wohl unsere anderen Freunde jetzt weilen, – Nielsen, Knorz – – die lieblichen Bräute …?! Ob wir wirklich einen vollen Monat auf die Wiedervereinigung mit ihnen werden warten müssen Georg?“

Da erschienen Gaupenbergs in der offenen Flügeltür.

Man begrüßte sich … war heiter und glücklich … Nur über Agnes Antlitz lags wie ein Schleier …

Johann servierte den Tee …

Die rundliche Helene brachte ‚selbstgelegte’ Eier, wie sie stolz erklärte … Hartwich lachte … und Helene machte ein beleidigtes Gesicht …

„Gott – Sie wissen doch, wie ich’s meine, Herr Hartwich …!“ – Und rauschte davon …

Gaupenberg schickte Johann mit allem Nötigen nach dem Bootsschuppen am stillen Bergsee … Ein ganzer Frühstückskorb war Dr. Falz, Inge und dem Fürsten Sarratow gepackt worden …

Jetzt erst hörte Johann die Namen der neuen Freunde seines Herrn: Inge Söörgaard, – das klang gut … Aber Fürst Sarratow?!

Er stutzte – schaute Gaupenberg unsicher an …

„Fürst Sarratow, Herr Graf …?!“

„Ja, – – nun gehen Sie, Johann … Grüßen Sie die Herrschaften herzlich von uns … Gleich nach dem Frühstück besuchen wir sie …“

Die beiden Ehepaare waren allein …

Agnes sagte zögernd:

„Ellen, Viktor und ich haben beschlossen, nach Sellenheim überzusiedeln …“

Hartwichs blickten die junge Schloßherrin erstaunt an …

„Weshalb denn das?!“ fragte Georg verwundert.

Gaupenberg winkte ihm heimlich zu … Da brgriff Hartwich, meinte scheinbar gleichgültig:

„Ach so – – Ihrer Mutter wegen, Agnes … – Verstehe …! Nun, Ellen und ich werden euch beide hier schon würdig vertreten … Ellen ist ganz verliebt in die Gaupenburg …“

Man berührte das Thema nicht weiter … Und doch – wieder war die Stimmung dahin, wie in der Nacht gleich nach der Ankunft, als der unselige Pokale seinen Inhalt über den Teppich ergoß …

Man sprach über ernste Fragen … Mafaldas Name wurde notwendig erwähnt, – man erörterte die Möglichkeit ihres erneuten Auftauchens hier in der Gegend.

Und – erörterte so Dinge, die längst Wirklichkeit geworden, denn zur selben Stunde lag Mafalda in Werner von Gußlars Armen oben auf dem Felsenhügel neben den Ruinen der Moorsiedlung … –

Gegen neun Uhr vormittags brachen die beiden Paare dann auf … Wanderten durch den Park, durch Felder und Wald hinab zum Bergsee …

Die jungen Frauen schritten hinterdrein, Arm in Arm … Agnes schüttelte der Freundin ihr Herz aus, sprach von ihrer Angst vor den weiten Räumen der Gaupenburg, in denen sie so viel gelitten … Erzählte von den geheimen Gängen – von der Geheimtür in der Wandtäfelung in Viktors Arbeitszimmer, – wie sie einst vor dieser Tür bewußtlos gelegen hatte, wie der treue Gottlieb sie dann bei sich verborgen hatte …

Ellen wußte wenig bisher von alledem …

Immer wieder fand sie ein herzliches Wort für Agnes …

„Schatten der Vergangenheit sind’s doch nur, mein Blondchen … Schatten, die nie wieder aufleben werden … Jetzt bist du die Gattin des Mannes, den du liebst, trägst ein Kind von ihm unter dem Herzen … Wie sollte sich Viktor wohl je wieder von dir abwenden?!“

Und Agnes – in trauriger Verträumtheit …:

„Mir … mir ist so bang, Ellen … Auf meiner Seele lastet ein Druck, der mir fast den Atem nimmt … Deshalb habe ich auch Viktor gebeten, daß wir nach Sellenheim übersiedeln sollen …“ –

Und zehn Schritt vor ihnen die beiden Männer – vielleicht noch ernster …

„Ich wollte nur Agnes nicht unnötig aufregen,“ meinte Gaupenberg mit gedämpfter Stimme … „In Wahrheit, mein alter Georgs, bin ich sehr in Unruhe über das, was uns die nächste Zukunft bringen kann … Mafalda wird niemals diesen Kampf aufgeben … Oder erst dann, wenn das Gold in den Gewölben der Reichsbank in Berlin ruht oder sonstwo unter staatlicher Obhut sich befindet. Und Mafalda weiß genau, daß sie sich beeilen muß, wenn sie überhaupt noch gerade mir einen Streich spielen will … Sie weiß, weshalb wir uns hier nach der Gaupenburg begeben haben, – eben um uns mit der deutschen Regierung ins Einvernehmen zu setzen …“

Hartwich meinte gelassen: „Mafalda mag den Azorenschatz suchen …!! Wird ihr verdammt schwer werden, ihn zu finden …! Die Mumiengrotte auf der Moorinsel bewacht das Gold besser als ein Regiment Militär …! – Nur nicht unnötige Sorgen sich machen, Viktor …! Das ist wirklich überflüssig … – Willst du denn nun persönlich in Berlin alles ordnen?“

„Ja, ich möchte heute Abend abreisen … Agnes bleibt bei ihrer Mutter in Sellenheim … Ich weiß sie dort in guter Hut … Ich werde Dr. Falz bitten, sich ihrer anzunehmen. Falz wird Agnes wie seinen Augapfel hüten … Und im übrigen, Georg, du bist ja hier!“

„Gewiß … – Hast du Agnes schon mitgeteilt, daß du sie heute Abend verläßt?“

„Nein, nein … Das wird noch viel Tränen geben … Agnes ist in ihrem jetzigen Zustand so überaus empfindlich, und sieht so unglaublich schwarz …“ Er seufzte leise … „Wenn Ellen sie nur ein wenig aufheitern könnte …! Vielleicht wird auch das Wiedersehen mit ihrer Mutter sie günstig beeinflussen … Ah – da sitzen ja unsere Freunde vor dem Bootsschuppen im Grünen … Einen Tisch haben sie ins Freie getragen … Falz winkt … Man hat uns bemerkt …“

Sie schritten rascher den schmalen Weg abwärts.

Inge kam ihnen entgegengeeilt … Das blonde stattliche Mädchen strahlte vor Frische und Lebensfreude …

Nach herzlicher Begrüßung nahm Gaupenberg dann den Doktor abseits und trug ihm seine Bitte vor …

„Sehr gern, lieber Gaupenberg,“ erklärte Falz sofort … „Ich kenne Frau Markgraf, Gottliebs Schwester, persönlich … Sie können unbesorgt sein … Was in meiner Macht steht, wird geschehen, um Agnes vor allem zu schützen, was ihr zustoßen könnte …“

Gaupenberg drückte ihm warm die Hand …

„Dann reise ich ruhigen Herzens ab … – Noch etwas, Herr Doktor, glauben Sie, daß Mafalda uns sehr bald wieder in den Weg treten wird?“ Und er blickte den Einsiedler von Sellenheim forschend an …

Dagobert Falz schaute zur Seite – über die bewaldeten Höhen hin, die das Heiße Moor von den Ländereien der Gaupenburg trennten …

Sein kluges, stets so versonnenes Gesicht wurde noch ernster …

Ohne den Grafen anzusehen, erwiderte er leise:

„Wir alle sind nur Marionetten im großen Welttheater … Wir können das, was man Schicksal oder Vorsehung nennt, in keiner Weise beeinflussen … Können nur das eine, unseren Weg reinen Herzens gehen! Und – das tun wir alle, die wir uns zu der Sphinxgemeinde rechnen … – Fragen Sie nicht weiter, lieber Gaupenberg … Was auch eintreten mag, wir werden letzten Endes doch ernten, was wir gesät haben. Und wenn diese Ernte auch vielleicht anders ausfällt, als wir uns jetzt vorstellten: Es wird eine Ernte sein!“ –

Er legte Gaupenberg die Hand auf die Schulter und fügte hinzu: „Sie wissen, daß ich gezwungen bin, vieles zu verschweigen, was sich mir als besondere Erkenntnis offenbart … Würde ich mein Wissen preisgeben, würde ich der Vorsehung in den Arm fallen … Und das darf ich nicht … Das hieße, gegen die Allmacht ankämpfen …“

Dann wandte er sich um und schritt der Gruppe der übrigen Freunde wieder zu …

Das Ehepaar Gaupenberg verabschiedete sich und schlug den steilen Pfad zu der Bergruinen empor ein und gelangte bald in den Wald …

Arm in Arm gingen diese beiden Menschen dahin, die sich ihr Glück so schwer errungen hatten …

Gaupenberg begann vorsichtig von seiner Reise nach Berlin zu sprechen …

Agnes blieb stehen …

Durch die Baumkronen huschte ein Sonnenstrahl und umspielte ihr köstliches Blondhaar …

Schwere Tropfen hingen in ihren Wimpern …

„Du – – willst mich hier allein zurücklassen, Viktor …“ sagte sie tonlos – und in ihren Augen war eine verzehrende Angst …

„Agnes – du bist doch bei deiner Mutter … Außerdem wird auch Dr. Falz heute Abend zu Frau Markgraf übersiedeln … Ich werde auch spätestens in zwei Tagen zurücksein, mein Liebling …“

Er hielt ihre Hände … Redete weiter … Suchte ihre ungewisse Furcht zu zerstreuen …

Agnes sah wohl ein, daß diese kurze Trennung notwendig war. Und doch konnte sie den lähmenden Bann einer geradezu folternden Angst nicht abschütteln.

Sie weinte still vor sich hin …

Umsonst waren Gaupenbergs tröstende, beruhigende Worte … Umsonst waren seine Zärtlichkeiten, sein Hinweis auf Dr. Falz’ erprobten Schutz …

Schließlich wurde er ein wenig ungeduldig …

„Du mußt dich zusammennehmen, Agnes …! Bedenke, es ist meine Pflicht, die Verhandlungen mit der deutschen Regierung persönlich zu führen … Ich werde zusehen, ob ich nicht schon morgen Abend wieder zurückkehren kann …“

Und er zog sie sanft mit sich fort …

Schweigend gingen sie weiter …

Der Wald wurde lichter …

Der Weg senkte sich durch abgeerntete Kornfelder in das endlose Hochtal hinab … Rechte Hand zog sich das Heiße Moor hin – unübersehbar, eine Wildnis von Wasser, winzigen Inselchen, Buschwerk und Bäumen … Die zahllosen Kanäle blinkten im Sonnenschein …

Und links das Trinkbad Sellenheim, eingebettet in das frohe Grün von Buchen- und Eichenwäldern … Die Bergabhänge mit ernsten Tannen schimmerten in dunklerem Grün … Weiße Häuschen lugten durch Baum und Busch … Graue Schieferdächer krönten den Bau des kleinen Kurhauses …

Am Rande des Moors weideten Schafherden – ein Gewimmel grauer Punkte … Auf den Abhängen erkannte man Rinder in allen Farben … Der Wind trug das Läuten ihrer Glöckchen ist zum Waldrande hin …

„Dort – das muß das Haus der Frau Markgraf sein …!“ rief Agnes plötzlich …

Und jetzt drängte die Vorfreude auf das Wiedersehen mit ihrem Mütterchen ihre Angst doch zurück …

„Komm, Viktor … Komm …! – Wie wird Mutter überrascht sein, sie ahnt sicherlich noch nichts …“

„Vielleicht doch, mein Liebling … Ich bin sogar überzeugt, daß in Sellenheim bereits jedes Kind weiß, daß ich mit einer Schloßherrin in der vergangenen Nacht …“

Agnes preßte seinen Arm …

„Viktor … – – die Mutter – – die Mutter!!“

Und sie lief vorwärts – der zarten Matrone entgegen, die da soeben aus dem Dorfe in den Feldweg eingebogen war …

Frau Sanden hielt ihr einziges Kind umschlungen.

Weinend – schluchzend …

Keines Wortes fähig …

Erst als Gaupenberg neben die beiden Frauen trat, als er nun mit bewegter Stimme sagte: „Geben Sie unserem Herzensbunde noch nachträglich Ihren Segen,“ da wandte Agnes Mutter sich dem Schwiegersohne zu …

Und er umfaßte und küßte sie …

„Mutter, gib uns deinen Segen …!“ bat er nochmals …

Sie nahm die Hände ihrer Kinder, legte sie ineinander …

„Gott schütze euch … Gott erhalte euch euer Glück …!“

Ein lahmer, abgerissener alter Landstreicher kam gerade vorüber …

Der Mann blieb dann unter den ersten Bäumen stehen, schaute zurück … Über das schmierige bärtige Gesicht flog ein höhnisches Grinsen …

„Familienidyll …!! – Nun – das Glück wird nicht lange währen, Herr Graf, so war ich Edgar Lomatz heiße und Ihnen ein Steinchen in den Weg rollen werde, über das Sie böse stolpern sollen, Herr Graf … Sehr böse …!!“

Er humpelte weiter … Verließ den Weg und setzte sich nun in Trab … Sein Ziel war das Städtchen Gaupenberg, die nächste Eisenbahnstation …

Hier in Gaupenberg kleidete er sich in einem Trödlerladen neu ein, nachdem er mit dem Inhaber des Geschäfts einen anderen Handel abgeschlossen hatte … Einen seltsam geformten goldenen Becher hatte er ihm verkauft … Der Becher zeigte die roh eingravierten Bildnisse einiger Gottheiten des einstigen Aztekenvolkes: den blutigen Vitzliputzli und den Sonnengott Ma mit dem dreifachen Haupte … Der Becher konnte nur aus der hohlen Eiche von der großen Moorinsel stammen … – –

* * *

Und vom Ufer dieser Insel stieß zur selben Zeit das Floß ab, das Gußlar und Mafalda mühsam aus Balken, Baumästen nun Baststreifen hergestellt hatten.

Baron Werner von Gußlar hatte es eilig … Der Gedanke, daß Lomatz vielleicht wirklich das Grab geplündert und die Golddublonen gestohlen haben könnte, quälte ihn unausgesetzt …

Schweigend handhabte er den langen schlanken Birkenstamm, den er als Stoßstange zurechtgestutzt hatte.

Mafalda beobachtete ihn heimlich …

Sie hoffte, daß Gußlar das Grab leer finden würde. Dann war Gußlar ihr verfallen … Dann würde er sie nie mehr verlassen – nie mehr …! Sie liebte ihn … Was sie je für Gaupenberg empfunden, war ein Nichts gegen diese leidenschaftliche Hingabe, mit der sie sich Werner von Gußlar zu eigen gemacht …

Gußlar war ein anderer Mann als Gaupenberg … Gußlar war eine Persönlichkeit … Gußlar war ein zweiter Nielsen – vielleicht noch kraftvoller in allen als Gerd Nielsen …!

Eine Schicksalsstunde war’s für den Kurländer, als er jetzt das Floß durch das Labyrinth der Kanäle trieb.

Und die Wegweiser, die umgeknickten Birken, bewährten sich abermals …

Das von Schilf umsäumte Inselchen war erreicht.

Gußlar sprang an Land, half Mafalda hinüber …

Und da war’s, daß sie sich wieder an ihn schmiegte.

Ihn küßte – immer wieder …

„Du … darfst nicht von mir gehen … Du darfst nicht …! Ich …“

„– ja – ich weiß, was du hoffst,“ sagte er mild und verzeihend … „Wenn mein Schatz mir geraubt ist, willst du mich teilnehmen lassen an deinen Plänen … – Komm, Mafalda …!“

Er eilte voran – hin zu den beiden Felszacken zwischen denen der Haufen Gestrüpp scheinbar noch unberührt lag …

Gußlar entfernte die Zweige und Äste …

Entfernte die schützende Decke des alten Grabes …

Sonnenlicht fiel in die Felsgrube, auf das Skelett … auf den rostigen Kasten … auf die Dublonen, auf diesen Schatz, der hier vielleicht in den wilden Zeiten des Dreißigjährigen Krieges vergraben worden war – vielleicht von denselben Flüchtlingen, die drüben auf der großen Moorinsel gehaust hatten … –

Mafalda war erblaßt …

Gußlar atmete tief auf …

„Das Schicksal ist diesmal mit mir, nicht gegen mich …“ sagte er dumpf …

Und dann ergriff er der Fürstin Hand …

„Mafalda, hier an dieser Stätte, wo meine Zukunft sich nun entschieden hat, bitte ich dich nochmals, begleite mich! Der Doppeldecker wird uns sicher davontragen …!“

Die Fürstin Sarratow entriß ihm ihre Hand …

„Fluch über dieses Gold – – dreifachen Fluch …!! Dich macht es reich – mich bestiehlt es …!!“

Sie war wie von Sinnen …

Und warf sich plötzlich abermals an seine Brust …

Flehte, weinte, bat …

Und – – sie tat Gußlar leid. Er fühlte, daß dies alles keine Komödie … Er bedauerte sie …

Sprach zu ihr wie zu einem kranken Kinde … Noch eindringlicher als vorhin auf dem Hügel … Nicht dem begehrenswerte Weide, das sich ihm hingegeben, galten seine schmucklosen, von Herzen kommenden Worte, – nein, hier sprach Mensch zu Mensch, hier kämpfte ein Charakter um das Seelenheil einer Verblendeten …

Mafalda horchte hin … Wie Glockenschläge umrauschte das alles ihr Ohr …

Aber nur wie Abschiedsglocken …

Jedes Wort, das über Gußlars Lippen kam, gab ihr die Überzeugung: Der ist für dich verloren!

Und mit jäher Regung kehrte sie ihm plötzlich den Rücken und schritt davon …

Setzte sich drüben hin unter die leise rauschenden Krüppelkiefern, stützte den Kopf in die Linke und starrte vor sich hin …

Ein Stein lag da, mit einer Kante an eine Baumwurzel gelehnt … Ameisen liefen in geschäftiger Eile auf dem dunklen Granit hin und her … zerrten einen toten großen Käfer mit sich fort, mühten sich, bis sie ihn an die Steinkante geschoben hatten, und er über diese hinweg hinunter in das grüne Moos stürzte …

Mafalda hob plötzlich den Kopf …

Das Tun der fleißigen Tierchen hatte für die Fürstin Sarratow gleichsam symbolische Bedeutung gewonnen … Die Ameisen wollten den Kadaver des großen Käfers, der vielleicht üble Düfte ausströmte, aus der Nähe ihrer Behausung entfernen, – also warfen sie ihn über den Rand des Steines …

Die Golddublonen, die Gußlar gefunden, glichen diesem Käfer insofern, als Mafalda nichts sehnlicher wünschte, als daß Gußlars Schatz für immer verschwände.

Und genau wie hier die Ameisen den Kadaver über Bord – über den Rand des Steines geschoben hatten, ebenso brauchte man Gußlars Schatz nur irgendwie über Bord drängen … Das Floß würde sich an jener Stelle senken, und die ganze goldene Herrlichkeit im sumpfigen Grunde des Moores … –

Mafaldas Gesicht färbte sich dunkler vor innerer Erregung …

Was sie jetzt beabsichtigte, war eine ungeheure Gemeinheit …

Gelang’s, so konnte zweierlei eintreten! Entweder Gußlar verzieh ihr und blieb mit ihr zusammen, um anderes Gold zu erringen, oder aber er stieß sie in Wut und Schmerz von sich und trennte sich von ihr!

Mithin – sie hatte dabei nur zu gewinnen, denn – behielt er die Dublonen, war er ja ohnedies für sie verloren …! –

Nun erwog sie die Einzelheiten ihres niederträchtigen Planes …

Sie wollte ruhig hier sitzen bleiben, bis Gußlar seinen Schatz auf das Floß gebracht hatte, bis er sie rufen oder holen würde …

Die völlig Teilnahmslose würde sie spielen … Würde meisterhaft heucheln, würde nur verkörperter Schmerz über das baldige Auseinandergehen sein … So würde er in keiner Weise mißtrauisch werden … –

Eine halbe Stunde verstrich …

Dann kam der Baron langsam herbei …

Mafalda hielt die Hände vor das Gesicht gedrückt.

Er rief sie an …

„Laß mich hier …!!“ stöhnte sie auf, wie mit Tränen kämpfend …

„Vorläufig muß ich dich hierlassen,“ sagte er herzlich … „Das Floß trägst nur mich und meinen … Schatz … Ich werde dich nachher abholen … In einer Stunde kann ich zurück sein …“

Die Fürstin Sarratow zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb …

Oh – hiermit hatte sie nicht gerechnet – hiermit nicht …!

Ihre Pläne waren gescheitert …

Sie … sie sollte an Land bleiben … Und er … er würde die Dublonen ungehindert bergen …!

Regungslos saß sie … Ihr Hirn fieberte …

Und ihr Hirn … fand einen Ausweg …

Sie erhob sie …

Müde, matt, trostlos – – scheinbar …

„Ich … werde dann hinter dem Floße herschwimmen,“ sagte sie leise … „Ich … fürchte mich hier allein … Ich bleibe nicht hier … Meine Kleider kannst du auf das Floß nehmen … Die wiegen nichts.“

Flehend schaute sie ihn an …

Und er nickte …

„Wenn du eine so ausdauernde Schwimmerin bist! – „Ich selbst muß ja das Floß schieben … Es liegt sehr tief im Wasser …“

Sie gingen zum Ufer …

Mafalda warf Stück um Stück ihrer Kleidung ab.

Endhüllte ihren prachtvollen Körper …

Gußlar kehrte ihr den Rücken … Er wollte zartfühlend sein …

Dann – – ein leises:

„Liebster …!!“

Er drehte sich um …

Nochmals so lockend …:

„Liebster …!!“

Mit ausgebreiteten Armen stand Mafalda da …

Priesterin der Venus …

Göttin Astarte …

Gußlar duckte sich zusammen …

Zwei Sätze …

Er riß sie in seine Arme …

Alles war vergessen … Alles – sein Schatz, die Heimat, die Zukunft …

Unter die säuselnden Kiefern trug er das nackte Weib …

Auf weiche Moospolster legte er sie … Küßte sie wild, als er sie umschlang. –

* * *

Mafalda lag mit halb geschlossenen Augen da …

„Und – mich, mich willst du verlassen?!“ flüsterte sie … „Sag, schenkte je ein Weib dir solche Seligkeit …?!“

„Nein, Mafalda, – keine, und keine wird mir je wieder im Rausche des Glücks geben, was du mir gabst … Deshalb, du begleitest mich! Du mußt mich begleiten – heim in die stillen Wälder Kurlands … Dort werden wir ein neues Leben beginnen, dort wird die Vergangenheit in uns langsam sterben …“

Mafalda … blieb stumm …

Ihre jetzt weit geöffneten Augen umfingen sein schmales Gesicht …

„Ja – wir bleiben zusammen,“ wiederholte er nochmals …

Und sie – mit rätselvollem Lächeln …

„Dein Wille geschehe …! Ja – – wir bleiben zusammen …“

Zum Ufer trug er sie zurück …

Langsam watete sie ins Wasser …

Und Gußlar drückte das Floß in die offene Fahrrinne …

So traten sie den Rückweg zur großen Moorinsel an.

 

13. Kapitel.

Arme Agnes …!

Josef Lubsch, der Idiot, landete mit seinem Nachen, in dem der betäubte und gefesselte Tiger lag, wohlbehalten in seinem Schlupfwinkel …

Es war für den Geisteszustand des Schwachsinnigen überaus kennzeichnend, daß ihm jedes Verständnis für die Gefährlichkeit der gelben Bestie fehlte.

Obwohl der Tiger bereits durch allerlei zuckende Bewegungen und durch Öffnen und Schließen der Augenlider verriet, daß er allmählich aus der durch die Gase in der Mumiengrotte hervorgerufene tiefe Betäubung erwachte, zog der Bucklige das Tier doch mit einer Kraft, die niemand diesem verwachsenen langen Scheusal zugetraut hätte, bis zu der kleinen von Felsstücken umfriedeten Blöße inmitten des undurchdringlichen Dickichts des Inselchens …

Hier stärkte Joseph sich zunächst durch ein paar rohe Hühnereier, die er mit Behagen ausschlürfte …

Als der Tiger dann plötzlich die ersten Anstrengungen machte, die Stricke loszuwerden, und dabei sich hin und her wälzt und keuchende Brüllaute ausstieß, nahm Joseph einen Knüttel und zog im Tiger ein paar über die Schenkel – rief dazu ärgerlich:

„Still liegen, du Packan …!! Sonst in Loch einsperren …!!“

Daß der Tiger diese Züchtigung sehr übel vermerkte, war nicht weiter verwunderlich …

Er krümmte sich zusammen, schnellte halb in die Höhe und hätte mit dem weit aufgerissenen Rachen seinen Wächter beinahe erwischt gehabt …

Doch mit Affenbehändigkeit war Joseph zurückgesprungen.

Wurde jetzt wütend … Trommelte mit dem Knüppel so lange auf des Tigers Schädel herum, bis die Bestie wieder regungslos dalag …

Joseph kicherte stolz …

Dicke Beulen entstanden zwischen den spitzen Ohren des Tigers. Die Kopfhaut war stellenweise voll Blut gelaufen.

Immerhin war dem Schwachsinnigen nun doch eine Ahnung aufgegangen, was ihm bevorstände, falls die Bestie die Stricke abstreifte …

Gewiß – es waren Stricke aus frischem Rindenbast, die Joseph selbst geflochten hatte, – zäher als Leder, solange der Bast noch feucht war.

Trotzdem schien es dem Idioten ratsam, die gelbe Katze in das Felsloch einzusperren, das sich hinter seiner Zweighütte in den größten der Felsblöcke hineinzog.

Zu diesem Zweck mußte er die Rückwand der Hütte entfernen. Das Felsloch hatte er mit großer Schlauheit als seine allerletzte Zuflucht durch einen Brombeerstrauch und Steine verbaut.

Er zog den Tiger in die Hütte, entfernte den Strauch, die Steine und schlüpfte in das Loch hinein …

Die Höhlung war vielleicht drei Meter lang, zwei Meter breit und ebenso hoch … Der Zugang aber so eng, daß der Tiger kaum hindurchpaßte …

Joseph zerrte und zerrte … Nur ruckweise bekam er die Bestie, die Hinterbeine voran, in die kleine Höhle hinein …

Er mußte also notwendig, um den Tiger vollends in die enge Grotte zu ziehen, bis in den hintersten Winkel kriechen …

Inzwischen war jedoch die Riesenkatze aus der halben Betäubung wieder erwacht …

Gerade als der Schwachsinnige sich nun an der Bestie vorüber ins Freie drängen wollte, schnappte der Tiger zu, erwischte zum Glück nur eine Jackenzipfel und zerfetzte so Josephs ohnedies nicht mehr allzu salonfähige Jacke derart, daß der Rückenteil fast völlig herausgerissen wurde …

Mit knapper Not gelangte der Bucklige in den hellen Sonnenschein zurück – atemlos, an allen Gliedern schlotternd und doch erfüllt von einer unsinnigen Wut.

Selbst we ein Tier gebärdete er sich jetzt … griff nach dem Knüppel, kroch wieder halb in das Felsloch hinein und versetzte der Bestie einen Hieb über die Nase …

Der Erfolg war verblüffend …

Der Tiger, vor Schmerz bis zur Raserei aufgestachelt, wand sich wie eine Schlange, in rollenden Bewegungen …

Und plötzlich – – hatte er die Vorderbeine frei.

Joseph sah’s …

Schleunigst zog er sich zurück, nahm einen großen Stein, preßte ihn in das Loch und keilte ihn mit Hilfe kleinerer Steine fest …

Der Schweiß rann ihm nun von der Stirn … Sein schiefes Gesicht mit den schielenden Augen war kaum mehr menschenähnlich …

Als er dann oben, wo noch über dem Steinverschluß eine handbreite Spalte freigeblieben war, die Nase der Bestie erblickte, stieß er mit dem Knüppel blindlings zu …

In der kleinen Höhle ertönte das Wutgebrüll des rasenden Tieres überlaut wie ein Chor toller Dämonen …

Joseph lachte … lachte schrill …

Die Nase der Bestie troff vor Blut … Die Vorderpranken kratzten an dem festgekeilten Stein entlang … Immer von neuem …

Und immer wieder stieß der Idiot mit dem Knüppel zu …

Bis der Tiger mit dumpfem Aufheulen die nutzlosen Bemühungen, die Freiheit zu erlangen und den Stein zu entfernen, aufgab und sein Kopf von der schmalen Spalte verschwand … –

Der Schwachsinnige kam jetzt ein wenig zur Ruhe.

Müde und wie zerschlagen, warf er sich vor seiner Hütte nieder und wischte sich mit der schmierigen Hand den Schweiß vom Gesicht.

Sein Atem flog … Seine Lippen zitterten … Wie ein Krampf ging es über seine vertierten Züge hin.

So lag er und starrte den Stein und die handbreite dunkle Spalte darüber mit einem Gemisch von Mordgier und lächerlichem Triumph unverwandt an …

Er fühlte sich Sieger …

Er hatte den Tiger zurückgescheucht …

Oh – wenn jetzt die schöne Dame abends sehen würde, wie gut er die große gelbe Katze eingesperrt hatte, dann würde sie ihn loben …

Oh – – er, Joseph Lubsch, war ein Held … Und die schöne Dame würde ihm wieder die Hand reichen … Und dann würde ihm wieder so seltsam heiß werden, wenn er ihre weichen Finger in den seinen spürte … So seltsam … heiß … –

Sein ganzes Denken galt jetzt plötzlich Mafalda …

Nur Mafalda. Der Tiger war vergessen. Das war kennzeichnend für Josephs Geisteszustand. Es war ihm unmöglich, sich mit mehreren Dingen, die sein Interesse irgendwie wachgerufen hatte, gleichzeitig zu beschäftigen. Nur immer eine Angelegenheit hatte Raum in seinem kranken Hirn.

Jetzt war die schöne Dame das Einzige, was sein Sinnen und Trachten erfüllte …

Er besann sich. Erst abends nach Dunkelwerden sollte er sie von der Insel abholen …

Erst abends …

Eine verzehrende Unruhe packte ihn plötzlich …

Was alles konnte sich noch bis zum Abend ereignen.

Und – wieder machten seine Gedanken einen Sprung …

Den Tiger hatte er hier bewachen sollen … Deshalb hatte er in seinem Schlupfwinkel bleiben sollen … Doch der Tiger war nun sicher untergebracht … Also konnte er, Joseph Lubsch, jetzt das Inselchen getrost verlassen und achtgeben, daß der schönen Dame nichts zustieße …

Er sprang empor … nahm das kostbare Aztekenschwert als Waffe mit.

Und bald glitt sein Kahn durch die Kanäle der Sumpfwildnis … Kniend handhabte Joseph die Ruder, damit er möglichst rasch sich ducken, sich unsichtbar machen könne, falls irgendwie Gefahr drohte.

Er, der mit der Natur von Kindheit an so innig verwachsen war, wußte auch die tausend feinen Zeichen der Natur zu deuten …

Und so wurde er jetzt plötzlich argwöhnisch, als rechts von ihm zwei Entenvögel lärmend hochgingen.

Da waren Menschen im Moor …

Menschen, hier mitten im meilenweiten Sumpf, wo niemand sich hingetraute, weil jeder sich zu verirren und den Rückweg nicht mehr zu finden fürchtete …!

Menschen – ohne Zweifel …!!

Auch ein paar Krähen strichen krächzend davon …

Menschen –, und Joseph mußte feststellen, wer sich hier in die Wildnis hineingetraut hatte …

Rasch und doch behutsam schoß der Nachen in anderer Richtung weiter …

Jeden der Kanäle hier in der Nähe der Insel kannte der Idiot – jeden …! Im Dunkeln hätte er sich zurechtgefunden … –

Das Gestrüpp, mit dem die zahllosen Moorinselchen bedeckt waren, versperrte jede Aussicht …

So geschah’s denn, daß Joseph mit einem Male gerade vor sich auf einer größeren Wasserfläche ein Floß bemerkte, auf dem ein schlanker Mann mit einem langen Ast als Stoßstange arbeitete …

Der Mann kehrte Joseph den Rücken zu …

Blitzschnell war der Idiot mit seinem Nachen im deckenden Schilf verschwunden …

Beobachtete …

Sah noch mehr …

Sah hinter dem Floß den Kopf einer Schwimmerin.

Einer Schwimmerin mit schwarzem reichen Haar …

Ah – – es war die schöne Dame …

Und – – sie sprach mit dem Manne …

Sie legte jetzt die linke Hand auf einen der Balken des Floßes …

Auch die andere …

Reckte sich aus dem Wasser hoch …

Drückte so das hintere Ende des ungefügen Fahrzeugs, das ohnedies tief im Wasser lag, so stark hinab, da ein eiserner Kasten, der mitten auf dem Flöße stand, ins Rutschen kam …

Und – die Frau war nackt … War … die schöne Dame …

Der Mann aber hatte sich, als er die veränderte Lage des Floßes spürte, und als das Wasser seine Schuhe umgurgelte, blitzartig herumgeworfen …

Packte den eisernen Kasten …

Ein Schrei gellte über das Wasser …

„Mafalda – – weg da von den Balken …!!“

Ein Lachen war die Antwort …

„Deine Dublonen sollen im Moor versinken …! Dann – bist du mein …!!“

Und noch höher schwang sich die Fürstin Sarratow.

Ließ ihr volles Körpergewicht das Ende des Floßes belasten …

„Mafalda – – Teufelin …!!“ Und Gußlar hob die Stoßstange …

Schlug zu … Nach der Fürstin rechtem Arm … Stemmte die Knie gegen den Eisenkasten – in diesem Moment kaum Herr seiner selbst …

Der Hieb hatte den Ellenbogen getroffen … Mit einem Schmerzenslaut sank Mafalda ins Wasser zurück …

Das Floß richtete sich wieder auf, streifte an einem Schilffeld entlang …

Da war eine vom Sturm umgestürzte Birke, deren Krone mitten im Schilf emporragte …

Gußlar nahm Mafaldas Kleider, warf sie in die Äste …

Und rief:

„Ich verzeih dir diesen mißglückten Streich, Mafalda … Aber – ich warne dich! Ich werde mich zu schützen wissen! Bleib zurück …! Betrittst du vor Ablauf von zwei Stunden die große Moorinsel, so werde ich dich unschädlich machen! – Ich kann ich verstehen … Deshalb, wenn jemals die Not dich zwingt, einen Freund aufzusuchen, bei mir findest du eine Heimat! – Und nun – leb wohl …!“

Eifriger handhabte er die Stoßstange …

Das Floß entschwand. –

Die Fürstin Sarratow arbeitete sich bis zu der Birke hin … Ihr rechter Arm war gelähmt … Mühsam schwang sie sich auf den Baum und ruhte aus – – voll Wut, Enttäuschung im Herzen, und doch auch verzweifelt und erfüllt von weher Trauer, weil sie nun den einen Mann, der ihr alles zu gelten schien, verloren hatte, weil ihre Pläne fehlgeschlagen waren und weil gerade das eingetreten, womit sie nicht gerechnet hatte …

Wie eine verführerische Nixe saß sie inmitten der Schilfstengel auf dem Baumstamm …

Und – von drüben blickte der Idiot mit vorgequollenen Augen auf dieses Bild köstlicher Nacktheit …

Glotzte und keuchte, als ob er gegen dämonische Gewalten ankämpfte …

Dann nahm er die Ruder …

Ein paar Schläge …

Der Kahn schoß aus dem Versteck hervor …

Mafalda hörte das Plätschern …

„Joseph …!! Joseph …!!“

Und der Schwachsinnige war schon neben ihr …

Hatte nur Augen für diesen weißen üppigen Leib.

Sein schiefes Gesicht ward noch mehr zur Fratze …

Mafalda glitt in den Kahn – packte das Aztekenschwert mit der Linken …

Ahnte, daß das Tier in dem Idioten wieder die Überhand gewonnen …

Sie mußte wieder Herrin dieser Brunst des Schwachsinnigen werden …

„Nimm meine Kleider in den Nachen!“ befahl sie kalt … „So – jetzt dreh dich um …!“

Und Joseph gehorchte …

Die herrische Stimme war stärker als der Trieb …

Mafalda schlüpfte in ihre Kleider …

Und überlegte …

Noch gab sie den Kampf um Gußlar nicht auf …

Noch nicht …!

Der Tiger – – der Tiger …!!

Zwar hatte sie die Bestie für jemand anders bestimmt …!

Jetzt … sollte der Tiger Gußlars Abfahrt von der großen Moorinsel verzögern –

– – nur verzögern …

Und sie befahl Joseph, schleunigst zu seinem Schlupfwinkel zurückzukehren …

Sie saß hinten im Nachen, knetete ihren rechten Arm, tauchte ihn immer wieder ins Wasser …

Joseph ruderte …

Grinsend sagte er:

„Oh – ich mit Tiger gekämpft habe, schöne Dame … Er ist jetzt in kleine Höhle hinter meiner Hütte eingesperrt …“

Die Fürstin Sarratow runzelte die Stirn …

„So ist die Bestie nicht mehr gefesselt?!“ stieß sie hervor …

„Nein – – aber eingesperrt – kann nicht heraus … Stein vor Loch festgekeilt …“

Mafalda schüttelte vor flammender Wut die Fäuste.

„Du – – du Dummkopf …!! Eingesperrt …?! Und ohne Fesseln …?! Was nützt mir die Bestie so?! Nichts – gar nichts …! Du erbärmlicher Dummkopf!!“

Joseph machte ein unglaublich blödes Gesicht … duckte sich scheu zusammen …

Mafalda verlangte Einzelheiten zu hören … Er erzählte … erzählte, und jetzt fühlte er sich nicht mehr als Sieger …

Auch der Fürstin Groll schwand dahin. Sie war gerecht genug zuzugeben, daß Josephs Verhalten der Bestie gegenüber nur eine Folge seines getrübten Verstandes gewesen war …

Sie wurde wieder freundlicher. Sie brauchte diesen Menschen, sie hatte jetzt keinen anderen Verbündeten … Lomatz war fraglos auf eigene Faust hinter dem Azorenschatz her … Lomatz – der Ungetreue, der Verräter …!

Hinter dem Schatz her …?! – Oh – mochte er nur zusehen, was er erreichte …! Mochte er später merken, was er aufs Spiel gesetzt, als er seine einzige Verbündete im Stiche ließ!

Und Werner von Gußlar?! – Nun – es würde andere Mittel und Wege geben, ihn am Aufstieg mit dem Doppeldecker zu hindern …!

Zunächst einmal – – der Tiger!! Sie mußte sich selbst überzeugen, ob die Bestie wirklich in dem Felsloche ohne Fesseln war. –

Der Nachen hatte den Schilfgürtel erreicht … Joseph landete, sprang ans Ufer, half Mafalda heraus …

Durch die Schlängelpfade der Dornenwildnis ging’s zum Lager des Schwachsinnigen …

Joseph voran …

Mafalda mit der blinkenden alten Waffe dicht hinter ihm …

Und – – Joseph stutzte …

Stand still …

Da war seine Hütte aus Zweigen … Da war die Rückwand, die er entfernt hatte …

Da war der Felsen … Das Loch …

Und – neben dem Loche lag der große Stein, den der Idiot so sicher festgekeilt zu haben glaubte.

„Was gibt’s …?!“ Mafalda schob Joseph beiseite.

„Da …!!“ lallte der Idiot scheu … „Da – Stein aus Loch weg … Tiger frei …“

Mafaldas Hand fuhr nach der Tasche – nach der Mauserpistole …

Ihre Augen glitten umher …

„Ins Boot zurück!“ flüsterte sie …

Wandte sich schon um …

Stürmte voran …

Und beide dann im Nachen…

Noch im Schilf … Beide atemlos …

„Begreifst du, was du angerichtet hast!“ zischte Mafalda dem Ärmsten in das verstörte Gesicht … „Tiger sind gute Schwimmer … Nirgends hier im Moor ist man jetzt vor der Bestie sicher …!“

Und doch – ihre Wut war nur deshalb so über alle Maßen, weil sie nun auch Agnes Gaupenberg nicht mehr das, was sie geplant hatte, anhaben konnte …

„Zur großen Insel!“ befahl sie … „Beeile dich!“

Der Kahn drängte sich durch das Schilf in offenes Wasser …

Joseph äugte über die Wildnis hin …

Dort nach Süden gingen Enten hoch … Möven folgten …

Neue Entenvölker …

Und Joseph zeigte nach Süden …

„Dort Tiger sein, schöne Dame … – Ganz bestimmt …“

„Und – wohin gelangt die Bestie, wenn sie in dieser Richtung weiter schwimmt?“

„Nach Sellenheim, schöne Dame …“

Mafaldas Augen blitzten auf … Mafalda … war zufrieden … –

Der Nachen hatte eine Viertelstunde drauf das seeartige Wasserbecken am Südufer der großen Insel erreicht …

Joseph war’s, dessen scharfe Ohren ein knatterndes Geräusch auffingen … Der Wind kam von Westen … Dort lag die schmale Landunge … wo der Doppeldecker niedergegangen war …

Und jetzt … jetzt erhob sich über die Baumkronen ein gelbweißer Riesenvogel …

Mafalda biß die Zähne so fest in die Unterlippe, daß ein Blutstropfen hervorsprang …

Also auch hier war sie zu spät gekommen – auch hier!! Auch den Mann hatte sie verloren, der ihr so edelmütig Hand und Herz angeboten, der ihr den Weg zu einem friedlichen, freundlichen Dasein hatte ebnen wollen …

Vielleicht den einzigen Mann, der, selbst ein Gestrauchelter, edel genug war, einer Mafalda Sarratow Liebe, Treue und Verständnis zu schenken …

Das Flugzeug da oben entschwand nach Norden …

Mafalda starrte zum lichtblauen Äther empor …

Ihre Augen schimmerten feucht. Reue quälte ihre Seele … Auch Gußlar war nun für sie nichts mehr als eine flüchtige Episode … Und hätte ihr doch alles werden können – alles!

Tränen rannen der Fürstin nun über die Wangen … Tränen, wie sie solche Perlen tiefen Leides seit Jahren nicht gekannt …

In diesem Augenblick fühlte sie, Werner von Gußlar war ihre einzige Liebe … Ihre erste tiefe innige Leidenschaft …!

Doch vorüber – – vorbei, – – durch ihre Schuld!

Hastig trocknete sie die feuchten Augen …

Aus Reue und Trauer wurde der Wille zum Handeln – zum Schlechten – zum letzten Schlag gegen die Sphinxleute …!

„Joseph …!!“

„Schöne Dame wünscht?“

„Würdest du bestimmt rechtzeitig merken, wenn jemand sich der Inseln nähert?“

Er nickte … „Inseln nur vom Süden zu erreichen ist, schöne Dame … Nur einer, der hier Wege kennt! Ist der Einsiedler von Sellenheim! – Wenn kommt, immer Vögel unruhig werden … Joseph merkt bestimmt …“

„Gut – dann werden wir jetzt den Schatz aus der hohlen Eiche nach dem Inselchen bringen, das du mir als Versteck vorgeschlagen hast … Du mußt jedoch stets achtgeben, ob etwas Verdächtiges im Moor vorgeht … – Landen wir in der Nähe der Ruinen …! Schnell!! – Wir haben ohnedies stundenlang zu tun.“

Während der Baron Werner von Gußlar mit seinem kostbaren Funde auf dem Doppeldecker in großer Höhe gen Berlin schwebte, während Gaupenberg, Agnes und Frau Sanden nun im Garten des Häuschens der Frau Markgraf in Sellenheim die Freude des Wiedersehens mit strahlenden Augen in Ruhe und Behagen auskosten, schafften Mafalda und Joseph Ladung auf Ladung nach dem winzigen, schilfumgürteten Felseninselchen unweit des großen Mooreilandes … Ein Inselchen war’s, eigentlich nur ein einziger Felsblock, in der Mitte im Gestrüpp eine tiefe Spalte …

Und in dieser Spalte häuften sich nun die Goldbarren und die Kostbarkeiten aus Matagumas Königsschatz …

Unzählige Male mußte der Nachen hin und her fahren …

Und immer beobachtete Joseph die Wildnis … konnte er Mafalda versichern, daß niemand sich nähere …

Nur weit, weit im Süden stiegen Entenschwärme auf …

Dort schwamm der Tiger von Insel zu Insel …

Hungrig bis zur Raserei …

Dort … lag das kleine Trinkbad Sellenheim, dessen Nordteil mit seinen großen Gärten bis an das Heiße Moor hinabreichte … Wo Viktor Gaupenberg um die Mittagsstunde Abschied von seinem geliebten Weibe nahm …

Frau Sanden war in der Laube von wildem Wein sitzen geblieben …

Das Ehepaar wanderte eng umschlungen unter den Obstbäumen dahin …

An der Hinterpforte des Gartens blieben die beiden stehen …

Vor ihnen breitete sich das Heiße Moor aus …

Endlos – eine geheimnisvolle Wildnis … Ein Sumpfgebiet, das der Schauplatz eines neuen Abschnittes des Kampfes um den Azorenschatz werden sollte …

„Ich werde im Städtchen ein Auto mieten, mein Liebling,“ sagte Viktor mit tiefer Zärtlichkeit. „Dann kann ich von Görlitz den Nachmittags D-Zug benutzen … Und morgen bin ich wieder bei dir … Ich weiß dich hier in guter Hut … Dr. Falz ist der beste Beschützer … Er wird sich noch vor Abend einfinden.“

Agnes kämpfte mit Tränen …

„Ich … will tapfer sein …“ flüsterte sie … „Und doch – ich wünschte, du wärest erst wieder bei mir …! – Viktor, verspricht mir eins! Sei vorsichtig in Berlin!“

„Ich werde vorsichtig sein – doppelt vorsichtig, weil du dir so schwere Gedanken machst, meine Agnes!“

Ihr Kopf ruhte an seiner Brust …

So schauten sie hinweg über das Heiße Moor …

Erkannten fern – ganz fern die hohen Eichen der großen Insel …

Und Gaupenberg fügte da hinzu:

„Wenn erst der Goldschatz aus der Mumiengrotte abgeholt worden ist, wenn erst die Regierung ihn in ihre Obhut genommen, dann … kommt für uns der Frieden, Agnes …!“

Sprach’s, – doch das Azorengold war nicht mehr in der Höhle …

Hatte inzwischen zweimal sein Versteck gewechselt.

Zweimal … – –

Gaupenberg zog Agnes sanft mit sich zurück zur Laube …

„Ich muß jetzt aufbrechen … Und du, mein Lieb, wirst mir den Abschied nicht schwerer machen als er mir ohnehin wird …“

Sie hielt sich tapfer, die blonde Agnes …

Stand neben der Mutter vor dem Häuschen auf der Straße und winkte dem Scheidenden nach …

Dann gingen Mutter und Kind Arm in Arm in das Häuschen zurück …

Frau Sanden wollte jetzt Frau Markgraf beim Instandsetzen der Zimmer für Agnes, Viktor und Dr. Falz helfen …

Agnes aber sollte sich durch Arbeit gleichfalls ablenken und im Gemüsegarten Schoten pflücken. Eine große Wirtschaftsschürze band sie sich vor und nahm ein Körbchen über den linken Arm … Sie gab der Mutter vollkommen recht: Nichtstun brachte nur auf dumme Gedanken …!

Und so machte sie sich denn mit Eifer ans Werk.

Um sie her lag der friedliche große Garten. Hühner scharrten auf den abgeernteten Beeten … Die Luft war erfüllt von den gesunden kräftigen Gerüchen des nahen Herbstes …

Die Gedanken des jungen Weibes waren bei dem Manne ihrer Liebe, bei dem Vater des Kindes, das ihrem Leib nun wuchs …

Der Frieden ringsum wirkte so wohltuend … Das feine Summen fleißiger Bienen, die von den Blüten der Spätblumen am Rande der Wege den süßen Saft sammelten, war wie eine Melodie schattensfreudigen Lebens.

Agnes’ ungewisse Angst um Viktor und um die nächste Zukunft verlor sich immer mehr …

Abends würde sich ihr väterlicher Freund hier einfinden … Dann würde sie mit ihren Mütterlein, mit Dr. Falz und Frau Markgraf in der Laube sitzen und plaudern … Und auch der morgigen Tag würde vorübergehen … Und dann kehrte Viktor zurück … Dann würde auch der Azorenschatz sehr bald abgeholt werden … Und – dann lastete auf den hier in der Nähe der Gaupenburg versammelten Sphinxleuten nur noch eine Sorge. Ob die Wiedervereinigung mit den neun Gefährten, die der Fliegende Holländer entführt hatte, ohne weitere Zwischenfälle vor sich gehen würde …!

Was wußte Agnes Gaupenberg von den Ereignisse auf der Faluhn-Klippe …?! Woher konnte sie ahnen, daß es keinen Fliegenden Holländer, kein Gespensterschiff mehr gab …?!

Sie vertraute der Zusage des Fliegenden Holländers. Am fünften Oktober sollten die Gefangenen am Kap Retorta auf San Miguel ausgeliefert werden! Aber – ob dies ohne neue Aufregungen, ohne neue Gefahren vor sich gehen würde, – Agnes bezweifelte es …!

So waren denn ihre Gedanken jetzt über Länder und Meere hinweggeeilt zu den düsteren Gestaden der Faluhn-Klippe, zu dem treuen Gottlieb Knorz, zu all den anderen, mit denen ein reiches Erleben auch Agnes zu fester Gemeinschaft verbunden …

Und wie sie sich nun nochmals jene rätselhaften Vorgänge dort auf der kleinen Doppelinsel hoch im Norden vergegenwärtigte, wie sie an jenes nächtliche Bild dachte, als daß unheimlich leuchtende Schiff in den Wellen versank, – gerade da war’s, daß ein gellender Schrei vom Heißen Moor her sie zusammenzucken ließ …

Der Schrei wiederholte sich …

Agnes stellte den halb gefüllten Korb schnell auf den Boden und eilte zur nahen Porte …

Das Gelände senkte sich hier zum Rande des Moores hinab. Üppiges Gras bot den drei Ziegen der Frau Markgraf überreiche Nahrung … Und Schafe und Rinder weideten dort … Behütet von dem alten Dorfschäfer, der jetzt in aller Hast davonstürmte – dauernd um Hilfe rufend, als ob der Teufel ihm auf den Fersen …

Noch mehr erblickte Agnes …

Die Herden jagten gleichfalls wie besessen von dannen …

Selbst die drei nicht weit vom Gartenzaun angepflockten Ziegen rissen an den Stricken, rannten im Kreise und blökten kläglich …

Agnes konnte nicht begreifen, wodurch Mensch und Tier dort auf dem frischen Wiesengrund von so panikartigem Schreck aufgestört worden seien …

Einzelne Erlenbüsche und einige Haufen Torf entzogen ihr den Anblick der gelben Riesenkatze, die soeben triefend aus dem Wasser gestiegen …

Jetzt rissen sich auch die Ziegen in ihrer Todesangst los und kamen auf die Pforte zugestürmt …

Und im selben Moment trat hinter einem der Torfhaufen der Tiger hervor …

Agnes hatte die Pforte geöffnet …

An ihr vorüber schossen die Ziegen in den Garten.

Sie selbst starrte ungläubig das Raubtier an …

Dachte zunächst nur an eine Sinnestäuschung …

Unmöglich schien’s ihr, daß die Bestie, die doch von Mafalda und Lomatz im Eindecker mitgenommen worden war, hier wieder auftauchen sollte …

Der Tiger war keine zwanzig Meter entfernt …

Ringsum gewahrte er keine andere Beute als nur die hellgekleidete Frauengestalt dort oben am Gartenzaun …

Hunger und die Mißhandlungen Josephs hatten in der ehemals gezähmten Bestie jede Scheu vor dem Menschen vernichtet …

Mit langen Sätzen kam er herbei …

Agnes … wollte fliehen …

Doch die Füße versagten ihr den Dienst …

Langsam wich jede Farbe aus ihren Wangen … In den Augen lag ein Ausdruck ungeheuren Entsetzens … Und so … so … stierte sie der Riesenkatze entgegen …

Mit hängenden Armen …

Mit Gedanken, die nicht ihrem eigenen Leibe gehalten, sondern nur dem keimende Leben, das zugleich mit ihr vernichtet werden würde …

Der Tiger setzte zum letzten Sprunge an …

Da – – erinnerte sich Agnes ihres väterlichen Freundes … tat dasselbe, was sie schon vor Monaten in ähnlicher Lage versucht hatte …

Sie rief im stillen Dr. Falz um Hilfe an …

Wie damals, als sie im Meere zu versinken drohte.

Und – – sank dann in die Knie, brach vornüber zusammen …

Über sie hinweg flog die gelbe Bestie – flog über den Zaun auf die morschen Bretter, die hier die große ausgemauerte Abfallgrube bedeckten …

Die Bretter splitterten krachend …

Der Tiger sauste in die Grube … Versuchte umsonst aus diesem Loch wieder herauszukommen … –

Eine halbe Stunde später hatte Frau Sanden die regungslos daliegende Agnes gefunden …

Und wieder eine halbe Stunde darauf hatte der Landjäger mit seiner Dienstpistole den Tiger erschossen …

An Agnes Gaupenbergs Bett standen die beiden Ärzte des Kurortes …

Frau Sanden starrte in das bleiche Gesicht ihres Kindes …

Agnes war nicht mehr zum Leben zu erwecken gewesen …

Agnes war tot …

Das Entsetzen hatte sie getötet …

 

14. Kapitel.

Tragödie der Liebe.

Das höhnische Grinsen blieb auf Montgelars vom Lichte der Kabinenlampe beschienenen Antlitz …

Ein Blick voller Geringschätzung traf aus seinen stahlgrauen Augen den Steuermann Gerd Nielsen …

Der hatte sich rasch wieder gefaßt … Sagte nun stockend:

„Gut – ich gab Ihnen mein Ehrenwort, Graf Montgelar, daß wir Sie freilassen würden, falls Ihre Angaben zutreffen … Ich als Seemann weiß, daß es hier im Nordatlantik einen solchen Meeresgeiser gibt – also eine Stelle, wo in Zwischenräumen infolge unterirdischer vulkanischer Gewalten turmhohe Wassersäulen emporschießen … Daß diese Stelle sich gerade hier zwischen den nördlichen Riffen der Faluhn-Klippe befindet, war mir entfallen … – Wenn also, wie Sie behaupten, nach etwa anderthalb Stunden das Naturereignis hier, wo unser U-Boot gerade ankert, wirklich eintritt, sollen Sie Ihre Freiheit zurückerhalten … Ich werde Befehl geben, daß das Boot anderswohin in Sicherheit gebracht wird … Anderthalb Stunden sind bald vorüber … Nachher … sind Sie frei … – Sobald geschehen, was nun am dringendsten, werde ich Sie wieder aufsuchen. Ich hoffe, daß Sie mir dann einige Fragen beantworten werden, die Ihren toten Bruder und Sie selbst angehen …“

Arthur Montgelar verneigte sich leicht …

Der Hohn war aus seinen Zügen geschwunden …

„Sie sollen erfahren, was Sie ja bereits zur Hälfte wissen … oder doch ahnen dürften … – Auf Wiedersehen, Herr Nielsen …“

Doch – – Gerd Nielsen blieb noch …

„Sie haben also, als wir Sie von der Faluhn-Klippe hier nach der Riffbarriere auf unser U-Boot schafften, die Örtlichkeit trotz der Dunkelheit erkannt?“ fragte er mißtrauisch …

„Ja, Herr Nielsen … Und – ich lese Ihnen die Zweifel an meiner Glaubwürdigkeit von der Stirn ab.“

„Allerdings – mir sind Bedenken gekommen … Unser U-Boot liegt hier tadellos versteckt. Wenn Ihre Leute Ihr Fehlen und unsere Flucht bemerkten, was vielleicht schon geschehen sein kann, werden sie alles tun, was in ihrer Macht liegt, uns zu finden …“

Montgelar unterbrach ihn …

„Und da nehmen Sie nun an, daß ich Sie vielleicht lediglich zwingen will, diesen Schlupfwinkel zu verlassen, damit meine Neger Sie leichter aufstöbern?! – Bitte, Herr Nielsen, hören Sie einmal ganz genau auf die Geräusche, die in diese Kammer dringen …“

Gerd Nielsen lauschte …

Und … vernahm nun wirklich etwas wie ein dumpfes leises Rollen …

Etwa so, als ob ein Eisenbahnzug sich naht, nur daß das Geräusch völlig gleichmäßig an Stärke blieb, verstummte und wieder einsetzte …

Da – wußte er genug …

Mit einem tiefen Aufatmen sagte er zu Montgelar:

„Ich danke Ihnen …“

Dann verließ er die Kabine …

Stieg an Deck, wo er Pasqual und Tom Booder antraf …

„Nun?!“ fragte Booder gespannt … „Was wollte der Mensch von Ihnen …? Murat erzählte uns, daß Montgelar Sie zu sprechen gewünscht hatte, lieber Nielsen …“

Und Gerd Nielsen erzählte …

„… Sie können sich wohl vorstellen, wie ich zurückprallte, als Montgelar mir mit kalten Worten mitteilte, unser U-Boot würde an dem Geiser mit hochgerissen werden und würde dann auf den Riffen in Stücke gehen …“

Auch Booder wechselte die Farbe … Auch er dachte nur an die an Bord befindlichen jungen Mädchen …

„Mein Gott – – unsere Damen!!“ stieß er hervor …

„Es wäre entsetzlich gewesen …! Ahnungslos haben sie sich zur Ruhe begeben … Und dann wäre …“

Da unterbrach der alte Portugiese ihn …

„Es stimmt schon alles, Freunde … Doch nun tun wir gut daran, diesen Platz zu verlassen … Blicken Sie ringsum auf das stille Wasser hier inmitten der Riffe … Sehen Sie nicht trotz der Dunkelheit die großen Gasblasen, die andauernd aus der Tiefe emporsteigen …?! Die hätten uns gleich warnen sollen … Aber niemand hat sie beachtet … – Montgelar wäre mit uns zugrunde gegangen … Nur deshalb warnte er uns … Aus Menschenfreundlichkeit wahrhaftig nicht …!“

Sie lehnten sich über das niedere Geländer …

Das Sternenlicht spiegelte sich im Wasser als zahllose verzerrte Pünktchen wieder … Und daneben quoll es aus den Tiefen empor wie der Odem eines Ungeheuers, große Blasen – oben zerplatzend, kleine Wasserkreise hervorrufend, die tänzelnd sich dehnten.

Und Nielsen nickte:

„Es stimmt, lieber Pasqual … Wir liegen hier über … dem sicheren Tode … – Los denn mit den Tauen …! Hinaus aus diesem von Felsen umfriedeten Wasserbecken, das so harmlos ausschaute … – Booder, holen Sie die anderen nach oben … Nur Murat mag weiter vor Montgelars Tür wachen … Und stören wir unsere Damen nicht …“

Tom Booder bestieg das kleine Zinkboot und ruderte nach den Riffen hinüber, wo die Trossen festgemacht waren. Er löste sie, und Nielsen zog sie ein …

Dann wurden nach wenigen Minuten die Motoren in Gang gesetzt, und das U-Boot verließ den kleinen sicheren Hafen und wandte sich ostwärts, wo ein ähnlicher, wenn auch kürzerer Damm von Riffen ein ebenso gutes Versteck verhieß …

Inzwischen hatte Nielsen mit seinen Gefährten in Eile beraten, ob man die noch fehlende Zeit bis zum Ausbruch das Geisers warten oder sofort nach der Rücksprache mit Montgelar die Faluhn-Klippe für immer verlassen solle …

Die meisten stimmten für sofortige Abfahrt. Besonders Gottlieb war sehr viel daran gelegen, recht schnell nach Deutschland zu kommen. Sein Vorschlag, man solle mit dem U-Boot den nächsten norwegischen Hafen, und das war die Stadt Bergen, anlaufen und von dort mit der Bahn die Reise fortsetzen, fand allgemeine Zustimmung, da man auf diese Weise in drei Tagen auf der Gaupenburg sein konnte.

Nachdem das U-Boot nun an seinem neuen Liegeplatz wieder vertäut worden war, und nachdem auch alles sonstige vereinbart worden, was die baldige Abfahrt betraf, begab sich Nielsen wiederum zu Montgelar hinab und führte ihn in eine der größeren Kabinen … Trotzdem blieb er vorsichtig. Murat mußte vor der Tür bleiben, denn Nielsen traute diesem Manne in keiner Weise, der im Gegensatz zu seinem einschmeichelnden Organ fraglos ein hinterlistiger, brutaler Charakter war …

Die beiden namen an einem kleinen Tischchen Platz, und Montgelar begannen dann unaufgefordert:

„Sie wünschen wohl zunächst Aufschluß über meinen Bruder Ortwin, Herr Nielsen … Ich sagte Ihnen schon, daß Ortwin und ich uns gehaßt haben … Die Gründe dieser gegenseitigen Abneigung sind leicht zu erraten, wenn ich Ihnen andeute, daß Ortwin und ich dieselbe Frau liebten … Eine Frau, die uns beide betrog, indem sie einen Dritten wählte … Oder – bezeichnen wir es genauer, sie wollte nicht, daß ihre Person uns auseinanderbrachte! So heiratete sie kurz vor dem Weltkrieg einen schlichten Privatgelehrten, wie der Mann sich nannte. – Edgar Lomatz!“

Nielsen beugte sich vor …

„Wie – – Edgar Lomatz?!“

„Allerdings – den Verbrecher Lomatz …!“

„Und – wer war die Frau?“

„Das war ein Fräulein von Parland, Else von Parland, eine Waise, gänzlich mittellos …“

Nielsen fuhr sich mit der Hand über die Stirn … Er mußte seine Gedanken sammeln …

„Lomatz war damals doch wohl noch sehr jung …“ meinte er dann …

„Gewiß … Aber er war bereits derselbe Lump wie heute … Ich lernte ihn kennen, und auch mich bestach er durch sein gewinnendes Wesen … Er hatte Else von Parland völlig umgarnt … Sie war ja noch sehr unerfahren damals …“

„Und … was geschah weiter?“

„Oh – sehr vieles, Herr Nielsen … Ortwin, der Else bis zum Wahnsinn liebte, unternahm nun mit seiner Jacht schleunigst eine Reise nach dem Nordkap, um sich abzulenken … Sein Freund Viktor Gaupenberg begleitete ihn … Was sich dann auf der Faluhn-Klippe ereignete, ist Ihnen bekannt. Ortwin fand die Grotte mit den zwölf Särgen der Flibustierkapitäne, fand das alte Pergament in der Bleikapsel und erkannte, daß ihm hier ungeheure Reichtümer winkten, fals er den Flibustierschatz fände, von dem in der Urkunden die Rede war …“

„Ah – und dann … spielte er nur den Wahnsinnigen …“

„So ist’s … – Er handelte nach einem genau überlegten Plane … Er wollte für die Welt tot sein … Daß bei alledem der Schmerz um Else Palandt mitsprach, daß er also vielleicht geistig doch nicht so ganz normal war, darf man wohl annehmen … Jedenfalls, er inszenierte die Komödie seiner Beerdigung … Entfloh aus der Privatheilanstalt … Einzelheiten hierüber entziehen sich meiner Kenntnis … – Er kaufte von einem Mittelsmann dies ausrangierte englische U-Boot, ließ anderswo die Zweimasterattrappe bauen, den Fliegenden Holländer, und warb eine Besatzung an, die ihm treu ergeben war …“

„Verzeihung, – woher wissen denn Sie diese Dinge?! Sie waren doch mit Ortwin vollkommen entzweit …“

„Gewiß … Aber ich glaubte an seinen Tod nicht … Ich war damals gerade dabei, meine Kenntnis eines kleinen Geheimnisses auszuschlachten … Davon später … Jedenfalls, ich blieb auf Ortwins Spur … Ich lies ihn beobachten … Ich war der einzige, der darüber genau unterrichtet war, wer der Fliegende Holländer gewesen, der hier in dieser Meeresgegend die Schiffe schreckte und die alte Sage zu neuem Leben erweckte …“

„Ihr Bruder wollte durch das Gespensterschiff jeden Fremden von der Faluhn-Klippe fernhalten …“

Arthur Montgelar nickte mit einem verzerrten Lächeln …

„Ja – das wollte er … Und – er hatte auch … seine Senta an Bord … Sie kennen die Sage, Herr Nielsen …“

„Freilich … – Wie – ein Weib war mit auf dem Geisterschiff?“ – Nielsen fragte wie einer, der mit Leib und Seele diesen Eröffnungen folgte …

Montgelar preßte einen Moment die Lippen zusammen, stieß dann hervor:

„Ja – – Senta – – ein Weib …! Es war … Else von Parland, geschiedene Lomatz …! Ortwin hatte sie, die in Elend lebte, in Berlin aufgesucht und mit sich genommen …“

Er atmete keuchend …

Seine sonst so trügerisch weiche Stimme klang schrill und voller Haß …

„Und Else hatte ihm so nach Jahren eingestanden, daß sie in Wahrheit nur immer ihn geliebt hatte – nur ihn …! Sie ging mit ihm …! Verkleidet als Mann … Wurde seine Geliebte …!“

Er sprang von seinem Schiffsstuhl empor … Die ungeheure Erregung riß ihn hoch …

„… seine Geliebte …!! – Haben Sie nicht unter den Leuten des Fliegenden Holländers einen Menschen mit zierlicher Figur bemerkt, der ihm nie von der Seite wich?! – Das war Else von Parland!! Das war sie …!!“

Nielsen dachte nach …

„Nein – ich besinne mich nicht … – Aber – weiter bitte …“

Montgelar lehnte an der Wand …

„Ja – – weiter …! – Ich will mich kürzer fassen … Ich wühle da in Wunden, die noch immer bluten … – Mein Haß stieg ins Unnatürliche, nachdem ich wußte, daß Ortwin nun die Frau besaß, um deren Liebe ich mich dem Teufel verschrieben hätte … – Und ich kannte den Ort, wo der mit Gold beladene englische Kreuzer untergegangen … Ich wußte noch mehr! Das deutsche Handels U-Boot ‚Ballin’ war im Weltkrieg bei den Bermucas-Inseln aufgelaufen und von der Besatzung verlassen worden … Es lag tief im Schlick … Ich habe es durch einen Bergungs-Dampfer in aller Stille heben lassen … Ich habe mit meinen sechzehn Schwarzen in der Verborgenheit dieses prachtvolle Schifflein gänzlich wiederhergestellt … Und mit diesem U-Boot wollte ich das Gold aus dem Kreuzer bergen …“

„Was auch Ihr Bruder beabsichtigte, wie mir scheint …“ warf Nielsen gespannt ein …

„Ja – nachdem er meine Pläne durch intensives nächtliches Spionieren aufgedeckt hatte …! – Ich könnte Ihnen stundenlang von dem heimlichen, unheimlichen Krieg zwischen unseren beiden Schiffen erzählen, Herr Nielsen … Stundenlang …! Nun – das Schlußdrama haben Sie ja miterlebt … Nachdem Ortwin sechs meiner Taucher hatte töten lassen, ging ich ihm durch Wasserbomben zu Leibe … Als sein Schiff dann oben an der Meeresoberfläche erschien, kannte ich kein Erbarmen mehr … Nur ein einziger Mann des Fliegenden Holländers kam mit dem Leben davon – ein Mann – kein Mann! Ein verkleidetes Weib – Else von Parland!“

Sein Gesicht ward zur Fratze …

„Bei mir an Bord ist sie jetzt … Hat mir all ihre Verachtung, ihren Haß ins Antlitz … gespien …! Sie hat Ortwin geliebt … Und – mich – mich haßt sie nun als … seinen Mörder …!! Und doch war’s ein ehrlicher Kampf … Genau wie ich die Besatzung des Fliegenden Holländers zusammenschießen ließ, genau so hätte Ortwin mich vernichtet! Versucht hat er’s des öfteren …“

Nielsen schüttelte langsam den Kopf … Ihm war in der Tat ganz wirr … Er mußte sich erst hineinfinden in die Einzelheiten dieser wahrhaft phantastischen – und so grausigen Tragödie …

Dann fragte er zögernd:

„Und – was beabsichtigen Sie nun mit Else von Parland zu tun, Graf Arthur?“

Montgelar schaute einen Moment zu Boden …

Hob den Blick wieder …

„Herr Nielsen …“ – er sprach jedes Wort mit Betonung – „Herr Nielsen, Else Palandt hat mir erklärt, daß sie unter einer Bedingung mein Weib werden würde. Ich soll ihr den Goldschatz der Azoren zu Füßen legen!!“

Nielsen starrte ihn zweifelnd an …

Montgelar lachte bitter auf …

„Es ist so! Sie hat mir geschworen, daß sie in der Stunde mein sein wird, wo ich sie zum reichsten Weibe der Welt mache!“

„Und – – deshalb wollten Sie uns als … Mittel für Ihre Erpresserabsichten benutzen?“

Montgelar atmete noch hastiger …

„Ja … ja …!! Und – ich will ehrlich sein. Ich … muß den Azorenschatz haben! Muß!! Sie kennen Else Parland nicht …! Aus dem halben Kinde von einst ist ein berückendes Weib geworden …“

Nielsen aber murmelte:

„Unbegreiflich …! Was will die Frau mit den Milliarden?! Wozu will sie Milliarden besitzen – wozu?!“

Da trat Montgelar dicht an Nielsen heran …

„Weil sie … mich verderben will!! Deshalb!! Weil sie hofft, daß ich in diesem Kampf umkommen werde! Weil – – ihr Haß gegen mich keinen besseren Plan erfinden konnte, mir zu schaden!! Deshalb – – nur deshalb! Und ich – ich werde ihr beweisen, daß Arthur Montgelar der Mann ist, selbst etwas Derartiges zu vollenden! – Herr Nielsen – warnen Sie Ihren Freund Gaupenberg vor mir! Ich bin sein Feind – der Feind aller derer, die den Azorenschatz zu hüten suchen! Nicht Goldgier treibt mich …! Nein – Liebe!! Und das ist stärker als alles andere!“

Nielsen empfand plötzlich aufrichtiges Bedauern mit diesem zerfahrenen Menschen, der sein Herz an ein Weib verloren, die ihm mit Abneigung und Verachtung begegnete und die der trotzdem zur Liebe zwingen wollte …

„Graf Montgelar,“ sagte er eindringlich und doch mit dem warmen Unterton des Menschenfreundes, „haben Sie sich auch überlegt, was Sie da zu tun gedenken?! Sie sind Abenteurer geworden – nun gut …! Jetzt aber geht Ihr Sinnen und Trachten auf fremdes Eigentum … Daß Sie das Gold aus dem gesunkenen Kreuzer bargen, daß Sie mit Ihrem Bruder in Feindschaft lebten und daß diese gegenseitige Feindschaft bis zum gegenseitigen Vernichtungswillen sich auswuchs – all das ist vielleicht menschlich begreiflich und bis zu einem gewissen Grade entschuldbar. Daß Sie nun jedoch dieser Frau wegen Räuber und vielleicht Mörder werden wollen – – – Regt sich denn nichts in Ihrem Innern gegen eine solche … Gemeinheit?! Den Goldschatz der Azoren rauben – das heißt Ihr eigenes Volk schädigen, und … Sie sind doch Deutscher!“

Montgelar war bei dem Wort ‚Gemeinheit’ sichtlich zusammengezuckt …

Sein Kopf senkte sich schwer auf die Brust …

Etwas Hilfloses lag in seiner ganzen Haltung …

„Gemeinheit …!“ wiederholte er leise und nickte mehrmals … „Ja – Gemeinheit …!! – Oh – es wäre besser, Sie würden mich als Gefangenen mit sich nehmen …! Dann würde ich …“

Er brach mitten im Satze ab …

Seufzte schwer … – Rief wie in bitterer Selbstanklage:

„Ich … ich bin ein kläglicher Schwächling …! Alles in mir schreit nach diesem Weibe – – alles …!! Seit Jahren ist mein Denken und Fühlen nur auf Else von Parland eingestellt …! Ich komme nicht von ihr …! Der Tod wäre mir eine Erlösung!“

Er schaute sich wild um …

Und – in diesem Augenblick glaubte Nielsen das Rätsel dieser Mannesseele zu verstehen: Ortwin von Montgelar war ohne Zweifel geistig nicht ganz normal gewesen, doch dieser Artur Montgelar war es ebensowenig! Zwei Kranke hatten sich bekämpft! Ihr böser Engel war ein Weib gewesen!

Und unwillkürlich dachte Nielsen da an Mafalda Sarratow …

Sollte nun wirklich eine zweite Frau, ausgestattet mit verführerischem Liebreiz, in dieses Ringen um den Azorenschatz eingreifen – – aus Haß …?!

Und – hatte nicht er, Gerhard Nielsen, unter diesen Umständen die Pflicht, Arthur Montgelar hier an Bord zurückzuhalten?!

Sein Entschluß war schon gefaßt …

Er erhob sich …

Sein Gesicht war ernst und streng …

„Graf Montgelar, Sie bleiben!“ erklärte er kurz … „Folgen Sie mir!“

Sein Gegenüber starrte ihn ungläubig an …

Stieß dann hervor:

„Und Ihr Versprechen, Ihr Ehrenwort, Herr Nielsen?! Habe ich Sie und Ihre Freunde deshalb gewarnt, daß Sie mich nun … wieder einsperren wollen?!“

Seine Stimme schwoll an … Eine ungeheure Erregung schüttelte seinen Körper …

„Ich verlange, daß Sie Ihr Wort einlösen …! Ich … will frei sein, und wenn es mein Verderben wäre …! Ich will …!! Sie wären ein … Lump, wenn Sie mich gewaltsam hier zurückhalten würden …!“

Nielsen erklärte nur kühl:

„Ich meine es gut mit Ihnen … Ich bot Ihnen die Möglichkeit, sich selbst zu … befreien … – Kommen Sie … Ich werde Sie auf den Nordteil der Klippe hinüberrudern lassen …“

Er ging voran …

Arthur Montgelar folgte … Schweigend gelangten sie an Deck …

Dort kletterte der Graf in das Zinkboot … Pasqual Oretto nahm die Ruder …

Und durch das Dämmerlicht der Sternennacht glitt das Boot an den Riffen entlang … Gerd Nielsen, Gottlieb und Booder schauten dem kleinen Fahrzeug nach …

Dann erklärte Nielsen leise:

„Freunde, wir haben es hier mehr mit einem Unglücklichen als mit einem Verbrecher zu tun … Freunde, wenn ich euch erzähle, was ich nun über die Brüder Montgelar weiß, werde Ihr erkennen, daß Liebe zum Verhängnis werden kann … Mafalda liebte Gaupenberg auf ihrer Art … Eifersucht und Goldgier trieben sie zu Verbrechen … Die Brüder Montgelar hatten ihr Herz an eine andere Frau verloren … Und diese Frau steht im Zusammenhang mit dem, was wir erlebt haben … Diese Frau ist Edgar Lomatz’ geschiedene Gattin … Zur greifen denn abermals dünne Fäden aus der Vergangenheit herrüber – wie stets, wie bei allem, was den Goldschatz betrifft. Nichts ist ohne Zusammenhang …“

Und er berichtete Einzelheiten …

Auch der Herzog Fredy von Dalaargen und Murat hatten sich den an der Reling Stehenden zugesellt.

Still hörte man Nielsen an …

Und als der geendet, sagte Dalaargen nur …:

„Tragödie einer Leidenschaft …!!“

Da kehrte auch schon das kleine Boot mit Pasqual Oretto zurück …

Man hißte es schnell an Deck … Und warf die Trossen los …

Das U-Boot verließ die Riffe, nahm Kurs nach Südost – auf die norwegische Küste zu …

Und als es vielleicht zehn Minuten unterwegs war, als die Faluhn-Klippe bereits am Horizont zu entschwinden begann, stieg plötzlich in der Richtung der nördlichen Riffbarriere eine gewaltige Wassersäule zum Himmel empor …

Eine ungeheure Fontäne, selbst bloßem Auge erkennbar …

Stand sekundenlang still – fiel dann zurück …

Es war der Meeresgeiser, vor dem Arthur Montgelar gewarnt hatte … Der Geiser, der nur alle zwölf Stunden ein einziges Mal den Ozean zur Säule empor schleuderte … –

Nachmittags fünf Uhr landete das U-Boot in einer der zahllosen Buchten unweit der Hafenstadt Bergen.

Man vertäute es am Ufer und überließ es hier seinem Schicksal …

Die acht Sphinxleute und der Homgori Murat, der nun einen vollständigen Leinenanzug, Schuhe und einen Südwester trug, bestiegen abends halb zehn den nach Christiania bestimmten Schnellzug …

In einem Abteil dritter Klasse saßen sie beieinander.

Es ging der Heimat entgegen … Es ging südwärts gen Deutschland – zur Gaupenburg … Dort würde man die Freunde und die Sphinx antreffen …

Alle freuten sich auf das Wiedersehen … Alle waren gehobener Stimmung …

Der Zug brauste durch die wundervolle Gebirgswelt Norwegens … durch Tunnels und an schroffen Abgängen entlang …

Die drei jungen Mädchen schliefen … Hand in Hand mit ihren Verlobten saßen sie da, die Köpfe an deren Schultern gelehnt … –

Achtzehn Stunden später betrat die Reisegesellschaft in Trelleborg das Fährschiff, das sie nach Saßnitz bringen sollte …

Es war das Fährschiff ‚Deutschland’ …

Und – somit war es deutscher Boden, den sie nun glücklich erreicht hatten …

Deutsche Zeitungen kaufte Nielsen hier an Bord …

Gottlieb war’s, der als erster die Überschrift des verhängnisvollen Artikels entdeckte:

Graf Gaupenberg in Deutschland.

Der Goldschatz der Azoren soll der Regierung übergeben werden. Gräfin Agnes Gaupenberg plötzlich verstorben!’

 

15. Kapitel.

Totenwache.

Nachdem Graf Viktor sich von Agnes und Frau Sanden verabschiedet hatte, wanderte er eiligen Fußes an der Ruine Sellenheim vorüber nach dem Bootsschuppen am kleinen Bergsee, wo er seine Freunde noch vor dem langgestreckten Holzbau im Baumschatten am Tische sitzend antraf.

Bisher hatte man die Sphinxröhre, den Lebensnerv des Luftbootes, nicht aus dem Metallgehäuse am Heck entfernt, da man noch immer mit Zwischenfällen rechnete, die ein sofortiges Aufsteigen vielleicht erfordert hätten.

Gaupenberg bat Hartwich und Dr. Falz, nunmehr die Sphinxröhre herauszuschrauben und sie dann im Tresor im Schlosse sicher unterzubringen …

Er nahm nun auch hier von den Gefährten Abschied, drückte jedem warm die Hand und wünschte dem Fürsten Iwan Sarratow gute Besserung, sagte noch zu Inge Söörgaard, daß sie den Rekonvaleszenten doch gar sorgsam behüten solle und schlug nun die Richtung nach dem Schlosse ein.

Inzwischen hatte der Kutscher Johann bereits die Reisetasche seines Herrn gepackt, so daß Viktor Gaupenberg sofort nach dem nur eine Meile entfernten Städtchen aufbrechen konnte.

Der klare Herbstvormittag zeigte ihm auf dieser Wanderung durch Felder und Wälder die Schönheiten seiner Heimat in all ihrer Vielseitigkeit …

Frohgemut schritt er dahin … Seine Gedanken weilten bei Agnes … Nichts schien es zu geben, was sein Vorhaben irgendwie stören könnte.

Als er in dem Städtchen angelangt war, begab er sich sogleich zu dem einzigen Autoverleiher, der ihn von Ansehen gut kannte. Leider hatte dieser jedoch das Tourenauto soeben an einen modisch gekleideten blondbärtigen Herrn zu einer Fahrt nach Berlin vermietet.

„Tut mir außerordentlich leid, Herr Graf …“ dienerte der Verleiher überhöflich. „Einen anderen Wagen habe ich momentan nicht zu Verfügung … Aber vielleicht benutzen der Graf das Auto mit dem tschechischen Geschäftsreisenden gemeinsam … Der Herr wollte in zehn Minuten wieder hier sein …“

Gaupenberg war einverstanden …

Der Tscheche entpuppte sich als ein sehr höflicher Mann … Trotz seiner heiseren Stimme und trotz seiner mangelhaften Beherrschung der deutschen Sprache machte er auf Gaupenberg einem recht sympathischen Eindruck. Man einigte sich … Der Tscheche wollte den Grafen in Görlitz absetzen …

Mittags halb zwölf verlieh das von einem jüngeren Chauffeur gesteuerte Auto das kleine Städtchen …

Und – bereits fünf Minuten drauf wurde bei dem Verleiher von Sellenheim aus angerufen …

Falls Graf Gaupenberg noch dort sei, solle er sofort nach Sellenheim kommen … Seiner Gattin sei etwas zugestoßen … –

Doch der große Tourenwagen fuhr schon die Chaussee entlang … Die beiden Herren saßen nebeneinander … Der Tscheche hatte sich als Vertreter einer Prager Kristallwarenfabrik vorgestellt. Sein großer Musterkoffer war hinten festgeschnallt.

Der Geschäftsreisende bot nach einer Weile Gaupenberg eine Zigarette an …

„Selbst für einen Grafen nicht zu schlecht …“ lächelte er … „Echt türkischer Tabak … Nur ganz leicht parfümiert …“

Gaupenberg glaubte nicht ablehnen zu dürfen… Er war auch nicht im geringsten argwöhnisch gegenüber diesem Fremden, dessen Entgegenkommen er diese Fahrt bis Görlitz verdankte.

Er rauchte und lobte die Zigarette …

Der Tscheche erzählte allerlei …

Gaupenberg gähnte krampfhaft. Er fühlte eine bleierne Müdigkeit in allen Gliedern … Eine Müdigkeit, die er für durchaus natürlich hielt … Die letzten Tage hatten ihm kaum zehn Stunden Schlaf gegönnt.

Und – so nickte er denn plötzlich in seiner Polsterecke ein …

Der noch immer glimmende Zigarettenrest fiel ihm in den Schoß …

Der Tscheche warf den Stummel rasch hinaus, schaute seinen Begleiter prüfend an und nickte befriedigt …

Dann musterte er die vor ihm liegende Landstraße, erhob sich und gab seinem Filzhut einen Stoß …

Der Hut flog davon …

„Hallo!“ brüllte der Tscheche dem Fahrer zu … „Anhalten – – mein Hut!!“

Der Chauffeur bremste …

Der Wagen stand …

„Holen Sie den Hut …“ rief der Reisende … „Dort hinten liegt er … Ich will inzwischen aus meinem Koffer etwas herausnehmen …“

Der Fahrer sprang ab und lief den Weg zurück …

Als er mit dem Hut zum Auto zurückkehrte, hatte der Tscheche den Deckel des Koffers hochgeklappt …

Die Chaussee lief hier schnurgerade … Weit und breit war kein Mensch zu sehen …

Der Chauffeur reichte dem Tschechen den Hut …

„So – hier – rauchen Sie mal eine gute Zigarette …“ meinte der Blondbärtige … „Rauchen Sie nur … Wir haben Zeit … Der Grab kommt zum D-Zug noch immer zurecht …“

Und die präparierte Zigarette tat auch hier ihre Schuldigkeit …

Es erging dem Chauffeur nicht anders als Gaupenberg …

Die Müdigkeit verwandelte sich rasch in einen Ohnmachtsanfall – in tiefe Bewußtlosigkeit …

Der Tscheche fing den Umsinkenden auf … legte ihn in den Wagen …

Im Nu hatte er aus dem Riesenkoffer ein in alte Tücher gewickeltes schweres Eisenstück herausgenommen, den einzigen Inhalt des Koffers …

Dann schleppte er den Chauffeur nach hinten, warf ihn in den leeren Koffer hinein und klappte dessen Deckel zu. –

Der Tscheche … war Edgar Lomatz … Und Lomatz spielte nun Wagenführer … Das Auto jagte weiter – bis zu einem Landweg, der nach links abbog … Ein alter verwitterter Wegweiser stand windschief am Rande der Böschung … Kaum mehr zu lesen war die Aufschrift:

Zum Heißen Moor

Und diesen Weg verfolgte Lomatz nun …

In mäßigem Tempo …

Durch abgeerntete Felder – an zwei Dörfern vorüber … Bis der Weg anstieg, sich durch Täler emporwand – demGebirge entgegen … Bis das endlose Hochmoor in Sicht kam …

So erreichte Lomatz die Nordgrenze des Heißen Moores, die weiten Gestrüppstreifen, die hellen Birkenwäldchen …

Hier hörte der Weg auf …

Mitten ins Dickicht sauste der Wagen … Die Sträucher rauschten, schlossen sich wieder hinter dem Auto …

Lomatz stieg ab …

Zunächst durchforschte er die Umgebung des Platzes … Nur in der Ferne gewahrte er eine Schafherde …

Dann kehrte er zum Auto zurück und fesselte die beiden Bewußtlosen …

Den Grafen ließ er im Gebüsch liegen …

Gleich darauf raste das Auto denselben Weg zurück – bis zur Chaussee – bis … in den Graben rechts der Straße … Der Chauffeur steckte im Koffer, dessen Deckel nur los aufgelegt war, so daß der Mann nicht ersticken konnte …

Lomatz entfernte Bart und Perücke, zog den Mantel aus, nahm ihn über den Arm und wollte sie schon entfernen, als ihm etwas Besseres einfiel …

Er trug den gefesselten Chauffeur ebenfalls in das nahes Gebüsch und flößte ihm dort noch ein paar Tropfen ein …

Dann erst wanderte er den Feldweg zu Fuß entlang und war nach einer Stunde wieder am Rande des Heißen Moores …

Jetzt glaubte er jede Spur genügend verwischt zu haben … Nun mochte man den Grafen Gaupenberg suchen …! Vorläufig würde die deutsche Regierung keinerlei Nachricht von ihm erhalten … Und das war die Hauptsache … –

Lomatz setzte sich neben seine Gefangenen …

Ein triumphierendes Lächeln lag um seinen Mund.

Er hatte gesiegt … Der Zufall war ihm günstig gewesen … Was er erst in Berlin zu erreichen gehofft, war ihm hier schon geglückt … Viktor Gaupenberg war sein …!!

Behaglich streckte er sich lang ins Gras …

Überlegte …

Lächelte von neuem … Höhnisch – – und der Hohn galt Mafalda …

Sie ahnte nichts … Sie glaubte, daß sie allein das Versteck des Schatzes in der hohlen Eiche auf der großen Moorinsel kannte …

Und – war doch von ihm beobachtet worden …!

Der Schatz würde verschwinden …

Noch heute abend …

Für immer – und … nur für ihn! Dann – dann war er allein Herr der Milliarden … Konnte sich Zeit lassen, das Gold zu barem Gelde zu machen, indem er jeden Monat eine Last davon nach Berlin brachte …

Er lächelte …

Er war doch der Schlauste …

So – – glaubte er …

Und nahm eine Zigarette …

Keine präparierte …

Rauchte … Beobachtete Gaupenberg … Der war noch immer wachsbleich – hatte die Augen geschlossen.

Lomatz zog abermals das Fläschchen aus der Tasche, dessen Inhalt schon vorhin den Chauffeur noch tiefer eingeschläfert hatte.

Auch Gaupenberg schluckte die Tropfen …

Nun war Lomatz sicher, daß der Graf nicht vor Ablauf von zwölf Stunden erwachen würde …

Er schlich davon … Ein Boot mußte er sich beschaffen … Er wußte schon, welche Rolle er spielen würde … Naturforscher – dergleichen … Pflanzensammler …

Er wanderte weiter … Schaute immer wieder mißtrauisch in die Runde …

So kam er zu der Schafherde, erblickte in einem Tale nach Norden zu ein kleines Dorf …

Der Schäfer gab ihm bereitwilligst Auskunft …

Ja – einen Nachen könnte der Herr wohl erhalten … Drüben, wo das Moor blankes Wasser am Ufer zeigte, liege ein Kahn … Der gehöre ihm, dem Schäfer … Der Herr brauche nur eine Mark zu zahlen – für den ganzen Tag … Aber vorsichtig solle der Herr sein … Im Moor verirre man sich sehr leicht. –

Lomatz zahlte drei Mark …

Im kleinen Gasthof des Dörfleins nahm er dann eine warme Mahlzeit ein … Er erzählte auch hier dem Wirt, daß er Doktor und Naturforscher sei, der im Moor nachts die Irrlichter studieren wolle …

„Irrlichter?!“ Der Wirt schüttelte den Kopf … „Die gibt es hier nicht, Herr Doktor … Nur faulende, leuchtende Weidenstümpfe …“

Lomatz lächelte überlegen …

„Es gib in jedem Moor Irrlichter … Sumpfgase, die sich unter gewissen Bedingungen selbst entzünden.“ –

Hier blieb er bis zum Anbruch der Dämmerung … Dann erst beglich er seine Rechnung und wanderte wieder dem Heißen Moor zu …

Die Nebelschwaden schwebten bereits über den Sümpfen … Der Schäfer hatte seine Herde zum Dorfe getrieben … Lomatz war allein, brachte den Kahn in die Nähe der Stelle, wo sein Gefangener lag, und trug den Grafen in den Nachen … Dann stieß er vom Ufer ab, zündete jedoch die große Laterne, die ihm der Wirt des Gasthofes mitgegeben, erst später an. –

Lomatz handelte auch weiter mit der ganzen Ruhe des gewiegten Verbrechers.

Da er hier von der Nordseite des Moores aus die Insel niemals gefunden hätte, steuerte er den Nachen immer möglichst am Ufer entlang nach Süden zu. Wo die Kanäle zu eng waren, benutzte er die Stoßstange, vermied jedes Geräusch und übereilte sich nicht. So brauchte er denn fast zwei Stunden, bis er in der Nähe von Sellenheim anlangte. Er hörte die Glocken der Dorfkirche läuten und wunderte sich, daß noch jetzt um neun Uhr abends die Glocken ertönten …

Nun war er in bekanntem Fahrwasser … Nun mußte er aber noch vorsichtiger sein. Also löschte er die Laterne, konnte sich jetzt nach den geheimen Wegzeichen, den umgeknickten Birken, richten. Inzwischen waren die Sterne am nächtlichen Firmament erschienen. Auch die Mondsichel lugte durch die dünnen Nebelgebilde zum Heißen Moor hinab.

Lomatz ruderte lautlos … Nach zehn Minuten verstummten die Glocken der Dorfkirche … Das Schweigen des endlosen Sumpfgebietes umgab den Abenteurer.

Häufig schrak er zusammen, wenn ein Volk Enten lärmend vor ihm hochging …

Dann wieder dieselbe Totenstille …

Gurgelnd schoß das trübe Wasser an den Planken des Kahns dahin … In der Ferne die Stimmen der gefiederten Bewohner des Moors – undeutlich, verklingend, wieder auflebend …

Abermals war soeben eine Kette von Enten davongestrichen. Lomatz ließ die Stoßstange schleppen, spähte nach der nächsten Wegmarke aus …

Da … vernahm er vor sich menschliche Laute …

Im Nu schob er den Kahn ins Schilf, duckte sich zusammen …

Wieder Stimmen …

Und keine vier Meter entfernt schwamm ein Kahn vorüber …

Lomatz hatte die eine Stimme erkannt: Mafalda!!

Die zweite Person in dem Nachen konnte nur Mafaldas neuer Verbündeter, der Idiot, sein …

Der Nachen entschwand …

Unruhe befiel den Abenteurer … Eine ungewisse Ahnung, daß die Fürstin Sarratow den Azorenschatz vielleicht inzwischen anderswo verborgen haben könnte, trieb ihn zu größerer Eile an … Mit einem Male bewertete er das, was er an diesem Tage und in der verflossenen Nacht getan, ganz anders … Was ihn bisher überaus schlau erschienen, schätzte er nun weit geringer ein … Seine Flucht von dem Moorinselchen, der Verrat an Gußlar und Mafalda, – all das Übrige erschien ihm durchaus nicht mehr als Leistung eines überragenden Geistes …

Sofort hätte er an die Möglichkeit denken müssen, daß Mafalda den Schatz noch sicherer unterbringen könnte, daß ihr diese hohle Eiche in der Nähe der Ruinen der früheren Ansiedlung nicht genügen könnte …

Seine Ahnung ward so fast zur Gewißheit …

Schweißtriefend arbeitete er mit der Stoßstange, den Rudern …

Jetzt störten die ihn umflatternden Enten nicht mehr … Jetzt war es ihm gleichgültig, ob der Nachen rauschend und prasselnd Gebüsche streifte …

Nur vorwärts – – vorwärts …!!

Und so gelangte er denn auch mit seinem Nachen und dem Gefangenen in überraschend kurzer Zeit bei der großen Moorinsel an …

Die Laterne glomm auf …

Lomatz rannte zu den Ruinen …

Rannte wie gehetzt … dort zu der Eiche …

Einen Sprung … Ein Klimmzug … Er schaute in die Öffnung des Stammes hinein …

„Leer …!!“

Er brüllte es in die Stille ringsum …

Seine Stimme schnappte über … Rasende Wut packte ihn – gegen sich selbst …

„Narr – – Narr …!! Wieder verspielt …!!“

Und – zurück zum Nachen …

Retten, was noch zu retten war … Mafalda finden – ihr nicht von den Fersen weichen – sie überlisten, ihr das Geheimnis abringen, ohne daß sie es merkte …

Wieder arbeitete er mit Stoßstange und Rudern … Wieder hastete er durch den Irrgarten des Riesensumpfes – nach Sellenheim … Dorthin hatten Mafalda und der Idiot sich gewandt – diese Richtung eingeschlagen …

Nach Sellenheim …

Wo so spät abends die Kirchenglocken noch geläutet hatten …

Doch – daran dachte Lomatz nicht mehr … Nur noch an die jähe Vernichtung all seine Hoffnungen … Herr über die Milliarden hatte er sich gewähnt … Hatten Mafalda das antun wollen, was ihm nun selbst geschehen. Der Schatz war verschwunden, anderswo versteckt – – anderswo! Zwecklos also sein schlaues Attentat gegen Gaupenberg …! Zwecklos für ihn dieser Gefangene – eigentlich nur eine Last, die er schleunigst loswerden mußte …

Durch den Nebel drang Hundegebell … Er näherte sich dem Südufer … Löschte die Laterne …

Seine Bewegungen wurden vorsichtiger, lautloser.

Er landete zwischen Büschen … Horchte eine Weile.

Dann trug er Gaupenberg die Anhöhe hinan, legte ihn ins Gras und nahm ihm die Fesseln ab …

Selbst bis hierher reichten die Nebelschleier des Heißen Moores, das selbst im Winter infolge der zahlreichen heißen Quellen niemals zufror …

Und durch die feinen feuchten Schleier glitt jetzt dicht an dem erschrockenen, blitzschnell sich duckenden Lomatz eine Gestalt vorüber – ein langer hagerer buckliger Mensch: Joseph Lubsch, der Idiot …

Zum Wasser eilte der Schwachsinnige hinab …

Lomatz folgte ihm …

Lomatz hoffte …

Hoffte nicht zu unrecht …

Ahnte, daß Mafalda ihren armseligen Bundesgenossen als Spion ausgeschickt hatte …

Joseph Lubsch blieb am Ufer neben einer dicken Weide stehen und ahmte dreimal den Schrei eines Uhus täuschend ähnlich nach …

Lomatz schob sich auf allen Vieren näher heran …

Ein Kahn tauchte auf … Mafalda schob ihn vorwärts …

Die heisere Stimme des Idioten ward vernehmbar.

„Tiger tot, schöne Dame … Landjäger hat ihn erschossen … Auch blonde Frau tot und liegt in Kirche im Sarge … Vom Mauer kann durch Fenster sehen schöne Frau …“

„Leiser!!“ warnte Mafalda seltsam gepreßt …

Ihr Herzschlag hatte bei dieser Meldung für einen Moment ausgesetzt …

Blonde Frau?! – Etwa Agnes – Agnes Gaupenberg?! Sollte der Tiger etwa wirklich durch einen Zufall das Opfer sich erkoren haben, das ihm zugedacht gewesen?!

Mafalda stieg hastig aus …

Flüsterte mit Joseph …

Lomatz verstand nur hin und wieder ein Wort …

Dann schritten die Fürstin und Joseph langsam davon – langsam – stets horchend, überaus vorsichtig.

Edgar Lomatz blieb abermals hinter ihnen …

Um die uralte Kirche von Sellenheim zog sich eine dicke Mauer herum … Uralte Gräber gab es hier, zumeist Erbbegräbnisse der adligen Familien der Umgegend.

Joseph half der Fürstin auf die Mauerkrone. Die Zweige einer Kastanie berührten die Mauer und verbargen die beiden Gestalten …

Von den hohen Fenstern der Kirche war das eine geöffnet – das dem Altar zunächst liegende …

Im offenen Sarge, in Blumen gebettet, ruhte dort, umspielt vom Flackerschein mehrerer armdicker Kerzen, die Gräfin Agnes Gaupenberg …

Und vor dem Sarge im dunklen Gestühl, hielten Georg Hartwich und Ellen die Totenwache … –

Mafalda starrte die tote Feindin an – hatte die Linke auf das Herz gepreßt … Das schlug ihr wie ein Schmiedehammer in der Brust … Es war das … Gewissen, das sich meldete …

Die Fürstin Sarratow fühlte plötzlich eisige Schweißperlen auf der Stirn …

Umsonst suchte sie in ihrer Seele eine Empfindung von Schadenfreude über dieses Ende der verhaßten Feindin wachzurufen …

Nichts als Grauen und Entsetzen regten sich in ihrem Innern …

Ihre Lippen zuckten …

Und keuchend raunte sie Joseph zu:

„Fort von hier – – nur fort …!“

„Still!!“

Joseph drückte ihren Arm …

Vor dem Sarge war eine dritte Gestalt erschienen.

Ein hagerer Mann im langen Radmantel war’s …

In der Hand trug er einen breitrandigen Filzhut …

Es war Dr. Dagobert Falz, der Einsiedler von Sellenheim …

Mafalda sah, wie Georg Hartwich sich jetzt schnell erhob und auf den Doktor zutrat …

Falz machte eine langsame, beruhigende Handbewegung nach der Toten hin …

Dann schritt er vorwärts, beugte sich über Agnes Gaupenberg und hob das eine Augenlid vorsichrig empor …

Wandte sich um und flüsterte wieder mit Hartwich und Ellen …

Ellen Hartwich ergriff einen Stuhl, stieg hinauf und blies die eine Kerze aus …

Eine nach der andern …

Im Inneren der Kirche wurde es dunkel …

Da blitzte der grelle Lichtkegel einer Taschenlampe auf …

Die Kirchentür knarrte … –

Mafalda und Joseph liefen wie gehetzt von dannen …

 

16. Kapitel.

Die Stimme aus dem Nebel.

Als Frau Sanden von den beiden Ärzten den traurigen Bescheid erhalten, daß Agnes vor Schreck einem Herzschlag erlegen sei, war die Ärmste bewußtlos umgesunken …

Frau Markgraf schickte sofort einen Boten nach dem Schlosse … Dann fiel ihr ein, daß sie ja vom Postamt aus nach der Gaupenburg telephonieren könne.

Sie tat’s … Johann meldete sich …

Frau Markgraf teilte ihm das Furchtbare mit, erfuhr dann, daß der Graf bereits vor anderthalb Stunden nach dem nahen Städtchen gewandert sei …

Sie rief nun den ihr bekannten Autoverleiher an. Der konnte ihr jedoch nur erklären, Graf Gaupenberg sei mit einem tschechischen Reisenden vor fünf Minuten in Richtung Görlitz davonfahren.

Der Kutscher Johann aber war sogleich nach dem Bootsschuppen gelaufen, wo er das Ehepaar Hartwich, den Fürsten Sarratow und Inge Söörgaard noch am Tische unter den Bäumen antrat.

Der Kutscher war fahl und so erregt, daß er kaum die Worte fand, das entsetzliche Unglück den Freunden seines Herrn zu schildern …

Georg und Ellen wollten und sofort Dr. Falz, der vorhin sich nach seiner früheren Behausung, der Turmruine begeben hatte, benachrichtigen, konnten den Einsiedler jedoch in den beiden Erdgeschoßräumen nicht entdecken. Ihr Rufen blieb umsonst … Falz schien sein wunderliches Heim schon wieder verlassen zu haben.

So eilte das Ehepaar denn weiter gen Sellenheim.

Beide verstört … Ellen immer wieder in Tränen ausbrechend und immer wieder den Goldpokal erwähnend – den Unglückspokal und den verschütteten Wein.

Als sie im Häuschen der Frau Markgraf angelangten, fanden sie Frau Sanden bereits bei Besinnungen vor …

Agnes war in ihrem Schlafzimmer auf dem Bett vorläufig aufgebahrt …

Ellen sank neben ihr in die Knie …

Ihr fassungsloses Schluchzen wurde noch übertönt durch das wimmernde Weinen der untröstlichen Mutter.

Selbst Georg kämpfte mit Tränen …

Ein hehrer Frieden lag auf dem starren Antlitz der Toten … Engelhaft strahlten diese edlen Züge …

Der Geistliche des Ortes erschien …

Auf seinen Vorschlag traf Hartwich alle notwendigen Anordnungen zur Aufbahrung der toten Gräfin in der schönen alten Kirche, deren Patron ihr Gatte war … –

Depeschen wurden nach Görlitz gesandt, damit Gaupenberg umkehre … Antwortdepeschen liefen ein, daß der Graf am Bahnhof nicht eingetroffen sei …

Neue Sorgen …

Viktor Gaupenberg war nicht aufzufinden – genauso wenig wie Doktor Dagobert Falz …

Alle Last des Unheils ruhte auf Georg Hartwichs Schultern …

Er und Ellen wählten den Sarg aus … Frau Sanden war zu nichts fähig …

Der Landjäger von Sellenheim wieder übernahm auf Georgs Bitte hin die Suche nach Dagobert Falz …

Georgs letzter Hoffnung war der Doktor …

„Ellen,“ sagte er zu seinem jungen Weibe, als sie abends die Totenwache in der Kirche begannen, „Ellen, ich kann nicht daran glauben, daß Agnes tot ist … Bedenke, daß Agnes uns ihre Visionen geschildert hat, die Urwaldlichtung, das Blockhaus … Sie selbst mit dem Kinde im hochgewölbten Leibe … – Diese Visionen, deren mittelbarer Urheber Dr. Falz stets gewesen, haben sich noch regelmäßig als Wahrträume herausgestellte … Regelmäßig …“

Ellen nickte unter Tränen …

„Auch in mir lebt noch immer eine geringe Hoffnung … Wenn nur der Doktor nicht etwa von unseren Gegnern verschleppt worden ist …! Wenn er nur hier wäre …!“

Sie schwiegen und schauten zu der friedlichen Schläferin hinüber …

Stunden vergingen … – –

Und der Einsiedler von Sellenheim? – Dr. Falz hatte seine bescheidene Behausung in der Turmruine genau so wieder vorgefunden, wie er sie vor Monaten verlassen hatte …

Langsam hatte er die beiden Räume im Erdgeschoß durchwandert …

Dicker Staub bedeckte Tische und Bücherregale …

Der Einsiedler blieb vor dem Bilde seiner verstorbenen Gattin, einem großen Ölporträt, stehen und begann leise Zwiesprache mit der Dahingegangenen, mit der Mutter seines einzigen Kindes …

Seines Kindes … seiner Mela …

Wo war Mela jetzt?!

Dr. Falz machte sich Melanies wegen keine Sorgen …

Er wußte, daß er sie wiedersehen würde …

Er wußte mehr als ein Sterblicher … Denn er war längst über den Tod hinausgewachsen … –

Dann wandte er sich, ging in die Vorhalle und schloß die Tür zu den Kellerräumen auf …

Mit brennender Laterne betrat er die geheimen Gewölbe, in denen Luithard Brandfels, der Schüler des großen Alchimisten Theophrastus Parazelsus, das Lebenselixier gebraut und die Kunst des Goldmachens entdeckt hatte …

Alle Leuchter zündete Falz hier an und schaute sich mit dem trauten Gefühl des Heimgekehrten überall um.

Da waren die alten Holztische mit den zahllosen Kolben und Retorten … Da waren die Glühöfen und die Flaschen und Gläser, die Büchsen mit Chemikalien.

Da waren die Ständer, mit alten Folianten gefüllt.

Da waren tausend andere Dinge …

Da war auch der Lehnsessel mit der unheimlich lebenswahren Mumie des greisen Luithard Brandfels.

Die Mumie saß da, den Kopf in die Linke gestützt, wie schlafend …

„Ich grüße dich, Freund Luithard,“ sagte der Doktor ganz leise …

Er war es gewohnt, mit dem schweigsamen Gefährten einseitige Zwiesprache zu halten …

„Wir haben uns lange nicht gesehen … – Ich soll dich von deinem Meister grüßen … Der große Parazelsus träumt wie du als Mumie dahin … Tief unter dem Meere, in einer hohlen Klippe …“

Er rückte einen zweiten Sessel heran und setzte sich dem Toten gegenüber …

„Freund Luithard, dein Lebenselixier hat mir wiederholt gute Dienste geleistet … Und doch ist’s ein verdammenswertes Tränklein … Es spendet zu viel Leben … Es verscheucht den Tod bis ans Ende aller Tage, macht den, der es genoß, zum Weltenwanderer bis zum Jüngsten Gericht – zum Ahasver, – zum Ewigen Juden … – Freund Luithard, Pasqual Oretto und ich sind zwei von diesen Gezeichneten, die nicht sterben werden …“

Er seufzte schwer …

„Wenn das Menschengeschlecht auf unserem Planeten erloschen ist, ausgetilgt durch irgend eine grauenvolle Katastrophe, dann werden einige der Sphinxleute, ein paar Erwählte, ein neues Menschengeschlecht begründen … Dann wird die Schöpfungsgeschichte von neuem in anderer Art beginnen … – So zeigte mir eine Vision die ferne, ferne Zukunft … Freund Luithard, dein Tränklein soll nicht mehr verdammt sein.“

Er gähnte verstohlen …

Müdigkeit befiel ihn inmitten dieser Totenstille …

Seine Augenlider sanken herab … Er schlief ein …

Und träumte …

Träumte auf seiner Art …

Hörte Agnes Gaupenbergs gellen Schrei …

Sah den Tiger auf die Unglückliche losschnellen.

Hörte Agnes … ihn rufen … ihn, den väterlichen Freund, den Übermenschen …

Und – – erwachte …

Die Kerzen waren herabgebrannt …

Es war zehn Uhr abends …

Doktor Dagobert Falz erhob sich ohne Eile …

Ohne Eile verließ er den Turm und wanderte gen Sellenheim …

Er wußte mehr als ein Sterblicher … Er lenkte seine Schritte zur alten schönen Kirche, deren Fenster matt erstrahlten …

Trat ein …

Hartwich fuhr empor …

„Gott sei Dank, Herr Doktor! – Wo waren Sie nur? Wir haben Sie gesucht …“

Falz lächelte mild …

„Ich war bei meinem Freunde Luithard, lieber Hartwich …“

Dann trat er an den Sarg heran …

Hob vorsichtig Agnes Gaupenbergs eines Lid …

Wandte sich dem Ehepaar Hartwich wieder zu …

„Löschen Sie die Lichter, Frau Ellen … Diese Beleuchtung ziemt einer Toten, nicht einer Lebenden … Agnes lebt … Ein Starrkrampf hat die Ärzte getäuscht … Wir werden Agnes in die Turmruine bringen – in aller Stille … Nie darf sie erfahren, daß sie hier aufgebahrt gewesen …“

So erloschen denn die Kerzen …

Falz hob Agnes aus dem Sarge, hüllte sie in eine dunkle Altardecke, und unter Vortritt Georgs, der seine Taschenlampe eingeschaltet hatte, verließen die drei die dunkle Kirche …

Auf einsamen Seitenwegen wanderten sie der Turmruine zu …

Links von ihnen zog sich das Heiße Moor, jetzt ein Nebelmeer, in endlose Fernen hin …

Dr. Falz trug Agnes Gaupenberg in seinen Armen wie eine zärtliche Mutter ihr krankes Kind. – Ellen Hartwich hatte jetzt völlig das Gefühl verloren, daß die Freundinnen etwa tot zwei. Sie schritt links neben dem Einsiedler und streichelte zuweilen Agnes’ Hände, die über des Einsiedlers Schultern herabhingen.

Georg wieder ging voraus und beleuchtete den steinigen Pfad …

Plötzlich da vom Moore her ein klarer Anruf …

Gaupenbergs Stimme …

„Hallo – – wer dort?!“

Wie angewurzelt blieben die drei stehen …

„Hallo – Viktor – – hierher …!!“

Aus den Nebeln des flachen Wiesenabhangs schälte sich eine Gestalt heraus …

Gaupenberg kam langsam näher, mit unsicheren Bewegungen – wie ein Trunkener …

Der Doktor flüsterte rasch dem Ehepaar Hartwich zu:

„Verschweigen wir ihm die Wahrheit … Laßt mich sprechen … Auch ihm scheint etwas zugestoßen zu sein …“

Gaupenberg war neben ihnen … Stutzte … Seine Gestalt ruckte zusammen …

„Agnes …?! Was ist mit Agnes geschehen …?!“ rief er in jäher Angst … „Weshalb dieses weiße Kleid?! Was …“

Falz sagte mit seiner unendlich gütigen Stimme:

„Lieber Graf, Agnes ist nur vor Schreck ohnmächtig geworden … Beunruhigen Sie sich in keiner Weise. Wir bringen Ihre Gattin in die Turmruine, weil ich dort alle nötigen Medikamente zur Hand habe …“

Und Georg legte seinen Arm in den des Freundes.

„Viktor ich werde dich stützen … Komm, es ist besser, wir halten uns hier nicht länger als nötig auf.“

Doch Gaupenberg drängte ihn beiseite …

„Leuchte, Georg … Ich muß Agnes’ Gesicht sehen … Ihr verbergt mir etwas … Ich … will die Wahrheit wissen …“

Der Einsiedler von Sellenheim erklärte fest: „Wenn ich Ihnen versichere, daß Agnes in kurzem wieder zum Leben erwachen wird und daß es für Sie, Graf Gaupenberg, in Ihrem jetzigen Zustand besser ist, nichts weiter zu fragen, dann sollte Ihnen dies genügen … Ihre Gattin wird den Unfall ohne Nachteil überstehen … – Gehen wir …!“

Und er schritt weiter …

Seine Persönlichkeit gab auch hier wieder den Ausschlag. Viktor Gaupenberg stützte sich auf Georg, und der kleine Zug bog nun in den Wald ein.

Ellen ging jetzt mit der Taschenlampe voran … Gaupenbergs Blicke hingen unverwandt an dem bleichen Gesicht der geliebten Gattin, das an des Einsiedlers Brust ruhte …

Ein Gefühl körperlicher und geistiger Mattigkeit ließ ihn schweigen. Es waren die Folgen der schweren Betäubung …

Georg sprach leise auf ihn ein …

Beruhigt ihn von neuem …

So langte man gegen elf Uhr abends vor dem verfallenen Gemäuer an. Falz legte die Bewußtlose jetzt in Hartwichs Arme, nahm den Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür …

Schloß dann wieder ab und ging den anderen voran hinunter in die Kellerräume und durch die Geheimtür in die Gewölbe – in eine unterirdische Welt, die bisher nur ihm bekannt …

Rasch versorgte er den Leuchter mit neuen Kerzen und zündete diese an …

Staunend blickten die drei Freunde des Einsiedlers sich um …

Der legte Agnes nun auf einen der Tische und trat an ein Schränkchen heran, nahm eine versiegelte Glasröhre heraus, die eine opalisierende Flüssigkeit enthielt.

Es war das Lebenselixier des berühmten Theophrastus Parazelsus.

Gaupenberg sank in den Sessel, in dem der Doktor vorhin all die Stunden geruht hatte. Seine Beine trugen ihn nicht mehr …

Starr blickte er auf den Einsiedler, der nun den Kork aus dem Röhrchen zog …

„Heben Sie Agnes’ Kopf ein wenig an …“ sagte er zu Hartwich …

Und dann zu Gaupenberg …

„Lieber Graf, wenn ich jetzt Ihre Gattin aus dem Starrkrampf durch diese Mixtur des Lebens wieder erwecke, wird das, wie Sie längst wissen, für Agnes ganzes Dasein von weittragenster Bedeutung sein. Wer das Elixier des Lebens kostet, ist über den irdischen Tod erhaben – wie ich es schon bin, wie Pasqual Oretto es ist … Geschlechter werden ins Grab sinken, die Bewohner der Erde werden hingemäht werden. Nur die werden die gewaltige Katastrophe überstehen, denen das Elixier des Lebens den irdischen Leib getränkt hat …“

Dann beugte er sich über die leblose Gestalt …

Ach Tropfen rannen durch die halb geöffneten Lippen …

Falz trat zurück, verkorkte das Röhrchen und tat es in den Schrank zurück …

Nahm nun Agnes’ Rechte und fühlte nach dem Puls.

Gaupenberg hatte sich taumelnd erhoben. Georg umschlang ihn, führte ihn näher an den langen Tisch …

Die Kerzen flackerten …

Und da – begriff Viktor urplötzlich, was das weiße Atlaskleid mit dem reichen Spitzenschmuck bedeutete …

Heiser seine Stimme – voller Entsetzen …

„Agnes … war tot …! Agnes war …“

Falz hob die Hand …

„Agnes war nicht tot … – – Schon oft haben Ärzte durch einen schweren Starrkrampf sich täuschen lassen … – Da – die Augenlider zittern … Der Herzschlag meldet sich … – Setzen wir Agnes dort in den Sessel … Und Frau Ellen mag ihr das Kleid ausziehen. hüllen wir sie in meinen Mantel …“

Die Männer halfen … Traten dann beiseite … Nur Falz blieb neben der Bewußtlosen …

Minuten später öffnete Agnes die Augen, schaute sekundenlang mit leerem Blick geradeaus … Und schon sanken die Lider wieder herab …

„Hartwich, dort auf dem Regal finden Sie ein Fläschchen Kognak,“ rief Falz leise … „Ein Gläschen steht dort auf dem Schrank …“

Der Alkohol unterstützte die Wirkung des Elexiers.

Agnes’ Brust hob und senkte sich in kräftigeren Atemzügen …

Jetzt hielt Gaupenberg ihre Hände … Und ihr erster bewußter Blick traf sein Gesicht …

„Viktor …!!“ flüsterte sie versonnen … „Viktor … ich …“

Falz drückte ihr leicht die Hand auf den Mund …

„Nicht sprechen, Agnes … Du siehst, es ist dir nichts geschehen, mein Kind … Wir werden dich jetzt oben auf meinen Diwan betten … Wir bleiben bei dir … Du wirst schlafen, und wenn du erwachst, wirst du nichts mehr spüren als eine geringe Müdigkeit …“

Seine Finger strichen zart über die Stirn seiner Frau hin – ganz zart …

Ein tiefer wohliger Seufzer kam über ihre Lippen.

Ein träumerisches zärtliches „Viktor … Viktor …!“ hauchte sie …

Schon war sie wieder eingeschlafen …

Leichte Röte färbte jetzt ihre Wangen …

Falz trug sie nach oben …

Und hier in seinem Studierzimmer saßen die Freunde dann neben dem Diwan und lauschten dem, was Gaupenberg über seine Erlebnisse zu berichten wußte …

„Lomatz war der Tscheche …,“ sagte Gaupenberg leicht erregt … „viel zu spät merkte ich’s … Merkte es erst, als mich diese bleierne Müdigkeit befiel … als meine Glieder mir nicht mehr gehorchten …“

Falz hatte für seine Gäste eine Flasche alten Portwein entkorkt …

„Trinken Sie aus, lieber Graf,“ mahnte er jetzt … „auch Sie sollen nun hören, was unserer Agnes zugestoßen war …“

Gaupenberg erbleichte, als Falz den Tiger erwähnte.

„Und dieser Tiger, meine Freunde,“ erklärte der Einsiedler weiter, „ist der sicherste Beweis, daß unsere Gegner Mafalda und Lomatz wieder am Werke sind … – Es dürfte daher ratsam sein, daß wir die große Moorinsel nicht ganz ohne Bewachung lassen. Ich schlage vor, daß Hartwichs und ich sofort nach Sellenheim zurückkehren, dort Frau Sanden von dieser glücklichen Wendung der Dinge Mitteilung machen und dann die Insel aufsuchen. Wir drei können uns mit etwas Proviant versehen und dort auf der Insel bleiben, bis Sie, lieber Graf, vielleicht telegraphisch oder telephonisch von der deutschen Regierung Beamte zur Sicherung des Azorenschatzes angefordert haben … Es würde genügen, wenn zwei oder drei Landjäger die Bewachung übernehmen. Ebenso rate ich Ihnen, Regierungsvertreter hier nach der Gaupenburg zu bitten … Reisen Sie nicht nach Berlin …! Es ist zu gefährlich. Man weiß nie, ob Mafalda und Lomatz nicht vielleicht wieder Verbündete gewonnen haben. Wir sind jetzt ja nun gewarnt und werden uns danach richten …“ –

Um Mitternacht verabschiedeten sich Hartwichs und Falz von Gaupenberg, der nun bei seinem ruhig schlummernden jungen Weibe allein zurückblieb.

Eine Lampe mit grüner Glocke brannte auf des Einsiedlers Schreibtisch und warf nur gedämpften Schein auf die schöne liebliche Dulderin … Gaupenberg hatte den Schreibsessel neben das Kopfende des Diwans gerückt und war in eine Art Halbschlaf versunken …

Er hatte vorhin den Eingang des Turmes von innen wieder fest versperrt. Da außerdem die kleinen Fenster der beiden Zimmer vergittert waren, brauchte er keinen fremden Eindringling zu fürchten …

Doch plötzlich schreckte er empor …

Ihm war’s, als ob draußen vor den verhängten Fenstern zahlreiche Menschen hin und her gingen …

Jetzt vernahm er auch gekämpfte Stimmen …

Seinen Argwohn erwachte …

Seine Hand glitt in die Jackentasche …

Er spannte die Mauserpistole …

Das Raunen und Tuscheln vor den Fenstern des Arbeitszimmers wollte nicht aufhören …

Ein kratzendes Geräusch an der Mauer belehrte ihn, daß jemand zum Fenster emporkletterte …

Rasch drehte er die Lampe aus …

Horchte abermals …

Starrte auf die matten Vierecke der Fenster … Das Licht der Sternennacht ließ die hellen Vorhänge deutlich sich abzeichnen …

Abermals Stimmen …

Nun wurde an der Tür gerüttelt …

Dann … pochte jemand gegen das eine Fenster …

Eine laute Stimme:

„Hallo – – hallo, hier Nielsen …!! Herr Doktor, öffnen Sie …!!“

Gaupenberg traute seinen Ohren nicht …

Nielsen … Gerhard Nielsen …?!

Jetzt eine andere Stimme … Gottlieb – – der treue Gottlieb Knorz …

„Herr Doktor, … Wir sind’s – – alle Mann!!“

Gaupenberg eilte in die kleine Vorhalle …

Riß die Tür auf …

Und draußen im Mondlicht standen die Gefährten …

Gottlieb – die drei Brautpaare, Pasqual und Murat …

Gaupenberg packte den braven Knorz bei den Schultern …

„Gottlieb, wie kommt Ihr hierher …?!“

Dann schloß er ihn in die Arme …

Die anderen drängten herbei …

Ein Hin und Her von Fragen und Antworten schwirrte …

Und Knorz jubelte:

„Oh – Agnes lebt …!! Agnes lebt …!! Ich wußte es ja …! Dr. Falz würde meine junge Gräfin nicht sterben lassen …!“

Gaupenberg berichtete ganz kurz alles Nötige …

Daß Hartwich und Falz die Wache auf der großen Moorinsel übernehmen wollten, – daß der Azorenschatz hinter einer Steinmauer in der Mumiengrotte liege …

Sofort erboten sich Pasqual und Gottlieb, anstelle des Ehepaares Hartwich und des Doktors nach der Insel zu rudern und vorläufig dort zu bleiben … Murat sollte sie begleiten …

Und sogleich brachen die drei denn auch nach Sellenheim auf, kamen gerade noch zur rechten Zeit dort an, fanden Hartwichs und den Doktor bereits in einem größeren Nachen am Ufer und feierten hier nun mit den Gefährten gleichfalls ein frohes Wiedersehen …

Knorz erzählte, daß die Reisegesellschaft, nachdem sie in den Zeitungen die Depesche über Agnes tödlichen Unfall gelesen, von Saßnitz aus in einem Dornerflugzeug geflogen und erst vor einer Stunde gelandet sei …

Hartwich wollte natürlich gern sofort erfahren, wie die Freunde der Gefangenschaft entflohen waren. Aber Gottlieb meinte gutgelaunt, sein Bericht würde ein verdammt langes Garn werden … Das alles solle Herr Georg nur von Nielsen berichten lassen …

So trennte man sich denn …

Die drei stießen vom Ufer ab und verschwanden mit ihrem Nachen im Nebel …

Hartwichs und Falz wanderten nach der Ruine Sellenheim zurück …

Nicht allein …

Eine schattenhafte hagere bucklige Gestalt folgte ihnen …

Das war Joseph Lubsch, der Idiot … Es war Mafaldas Verbündeter …

 

17. Kapitel.

Den das Moor verschlang …

Edgar Lomatz hatte dicht an der Kirchenmauer gelegen, als Mafalda unter dem Einfluß jäh erwachter Gewissensqualen sich zur Flucht wandte …

Auch jetzt blieb er ihr und dem Schwachsinnigen auf den Fersen. Die beiden wandten sich dem Ufer des Heißen Moores zu, und der Nebel begünstigte nicht wenig Lomatz’ lautlose Bewegungen …

Erst dicht vor dem Nachen machte Mafalda halt. Sie war völlig außer Atem … Sei immer noch das eine Bild vor sich: den Altar, den blumengeschmückten Sarg und das bleiche Antlitz ihrer Feindin …

Nun stand sie still, die Hand auf das jagende Herz gepreßt …

Nun kamen ihr andere Gedanken …

War Agnes Gaupenberg wirklich noch ihrer Feindin?! War Viktor Gaupenberg ihr nicht gleichgültig geworden, nachdem sie in Werner von Gußlars Armen gelegen hatte?!

Die krächzende Stimme des Schwachsinnigen rüttelte sie wach …

„Schöne Dame, Joseph wieder in Versteck zurück will … Joseph hier Landjäger fürchten … Landjäger auch nachts streifen umher … Was hier noch sollen?! Blonde Frau aus Kirche weg … Joseph genau sehen … Doktor sie forttragen … Schöne Dame weglaufen, aber Joseph beobachten alles …“

Mafalda horchte auf …

„Was redest du da …?! Dr. Falz hat die Tote aus dem Sarge gehoben und …“

„Oh – bestimmt so sein … Schöne Dame springen von Mauer … Joseph noch genau sehen, wer aus Kirchentür kommen … Einsiedler trug blonde Tote …“

Die Fürstin Sarratow ergriff des Idioten Hand …

„Joseph, wenn du treu bist, wenn du mich … lieb hast, suche festzustellen, wohin man die Gräfin Gaupenberg bringt …! – Schnell – laufe zurück … Vielleicht trägt der Doktor sie zu Frau Markgraf – vielleicht auch in Schloß … Ich erwarte dich hier … Lege den Kahn am nächsten Inselchen fest …“

Ihre heißen Finger drückten Josephs schmierige Hand …

Sie spürte, daß dieser Hand zitterte … Sie ahnte, daß wieder die tierische Gier in der Seele des Schwachsinnigen durch diese körperliche Berührung aufgeflammt war …

Noch näher trat sie an ihn heran … Der Duft ihres Parfüms, ihres warmen Leibes umwehte ihn …

„Joseph, wenn du mich lieb hast – – tu’s für mich …!“

Und ihre Stimme war klingendes Lachen …

Der Idiot stieß einen gurgelnden Schrei aus … wandte sich um und rannte davon …

Der Nebel verschluckte seine Gestalt …

Die Fürstin Sarratow schob den Nachen ins offene Wasser, sprang hinein …

Die Stoßstange trieb den Kahn zum nächsten Inselchen …

Hier saß Mafalda nun auf der Ruderbank und sann vor sich hin …

Ein lautloses Lachen kam über ihre Lippen …

„Ich … Närrin …!! Gewissensbedenken – Agnes wegen!! Agnes lebt – wird leben! Des Doktors höllische Künste werden ihr den Odem wiedergeben …“

Jetzt war sie wieder sie selbst: Tigerin Mafalda!

„Närrin!“ sprach sie nochmals halblaut vor sich hin …

Ein leises Plätschern im Wasser machte sie stutzig.

Sie beugte sich vor …

Aber die Nebelschleiern waren zu dich, als daß sie irgend etwas hätte unterscheiden können …

Dann vernahm sie auch zu ihrer Beruhigung das Krächzen einer Wildente …

Ihr Mißtrauen schwand …

Und wieder saß sie und grübelte …

Hier im Kahn lagen, eingewickelt in einen zerrissenen Sack, zehn Goldbarren … Mit diesen zehn Barren wollte sie das neue Leben beginnen … – Alles hatte sich bereits genau überlegt … Irgendwo in der Nähe von Berlin wollte sie eine abgelegene kleine Villa unter anderem Namen erwerben … Und dorthin würde sie dann allmählich den Azorenschatz schaffen – ganz allmählich …

Nur – nur etwas störte sie bei diesem einfachen, selbstverständlichen Plane, daß sie einen Mitwisser hatte, daß Joseph den Ort kannte, wo das Gold jetzt verborgen …

War Joseph so unbedingt zu trauen?! War er nicht geistig minderwertig?! Konnte er nicht, falls etwa der Landjäger ihn fing, aus irgendeinem Grunde alles verraten?!

Anderseit – brauchte sie nicht einen Verbündeten, nach dem Lomatz auf eigene Faust als abermaliger Verräter den Kampf um den Azorenschatz fortsetzen wollte?!

Wo war Lomatz?! Lebte er noch …?! – Oder war er vielleicht doch auf dem lecken Nachen im Heißen Moor umgekommen?!

Sie grübelte … grübelte …

Und – ihr ging’s jetzt um Josephs Sein oder Nichtsein …

Um … sein armseliges Leben ging’s …

Mafalda kam zu keinem Entschluß … Nur das eine wollte sie bestimmt, noch in dieser Nacht mußte sie diese Gegend hier verlassen! Wenn Gaupenberg erst gemerkt hatte, daß das Gold nicht mehr in der Grotte lag, würde er alles aufbieten, seiner Feinde habhaft zu werden …! –

Anderthalb Stunden vergingen …

Vom Ufer her dreimaliger Ruf des nächtlich jagenden Uhus …

Die Fürstin Sarratow trieb den Nachen von dem Inselchen zu der Stelle hin, wo die hagerer krumme Gestalt des Idioten im Nebel noch groteskere Formen annahm …

Joseph schwang sich in den Kahn und stieß ihn gleichzeitig mit dem Fuße vom Ufer ab …

Mafalda fragte …:

„Hast du Glück gehabt? – Wie steht’s …?“

Der Schwachsinnige hörte kaum hin …

„Still sein …!! Leute in der Nähe, schöne Dame …“

Seine Stimme war noch unnatürlicher als sonst …

„Was gibt’s?! – So rede doch!“ Die Fürstin wurde ungeduldig …

Josef beugte sich zu ihr hin …

„Männer und großer Affe in Nachen zu Insel,“ flüsterte er mit schlotterndem Unterkiefer … „sehr großer Affe … Brust wie ein Stier – so lange Arme! Oh – und Gesicht voller Haare … Ganz bestimmt ein Affe …“

Er meinte Murat, den Homgori … Dessen Anblick hatte den nachhaltigsten Eindruck auf ihn gemacht …

Mafalda dachte gleichfalls an Murat …

Aber – das war ja unmöglich! Sie wußte doch genau, daß Murat und der größere Teil der Sphinxleute von dem Fliegenden Holländer gefangengenommenen waren …!

Und doch, wie kam Joseph gerade auf einen Affen?!

Mafalda hielt seinen Arm fest, der schon eifrig die Stoßstange gebrauchte …

„Was für Männer waren’s, die du bemerktest?“

„Oh – auch Frauen – junge Weiber, schöne Dame … Eine so blond wie die Gräfin …“

Mafalda schüttelte den Kopf … Sollten die Gefangenen etwa wirklich hier wieder aufgetaucht sein?!

„Hörtest du irgend einen Namen?“ forschte sie weiter …

„Ja … Ein Mann mit Namen Pasqual – so ähnlich … Zweiter war alter Diener Gottlieb Knorz … Ihn kennen … Dann noch großer Affe … Das sein die drei im Nachen … Und noch mehr bei Turm Joseph sehen … Leute klopfen an Fenster … Graf aufmachen und bald rufen, daß Agnes leben … Sehr vergnügt alle Leute …“

Und wieder stieß er die Stange ins Wasser …

Der Kahn durchquerte ein paar Kanäle …

Mafalda reimte sich jetzt das Wichtigste zusammen.

Die Gefangenen waren hier wieder eingetroffen – die Sphinxleute wieder vereint … Und Knorz, Pasqual und Murat waren unterwegs nach der Insel …!!

Da war es Zeit, daß sie das Moor verließ! Und am ratsamsten war’s, Joseph mitzunehmen … Der konnte ihr den Sack mit den Goldbarren tragen … Der konnte ihr auch sonst nützlich werden …

„Kehre um!“ befahl sie ihm… „Zurück zum Ufer – aber nicht in die Nähe von Sellenheim … Wir wollen diese Gegend verlassen, Joseph … Kennst du vielleicht drüben im Städtchen Gaupenberg einen Mann, der Diebesgut angekauft – einen Hehler also?“

Joseph kniete neben Mafalda …

Seine Angst vor dem Riesenaffen war geschwunden.

„Händler schon kennen,“ nickte er … „Sein sehr reich … Heißen Lipinski, Benno Lipinski …“

„Und er ist verschwiegen?“

„Joseph denken ja …“

„Dann also vorwärts …! Reiche mir das eine Ruder … Ich helfe dir … Das Heiße Moor sieht uns vorläufig nicht wieder!“

Der Nachen lag an einem schilfumgürteten Inselchen …

Der Idiot bückte sich nach dem Ruder …

Plötzlich glitt der Kahn wie von selbst aus den Schilfstengeln ins offene Wasser … Gleichzeitig griff Joseph, den Mafalda infolge des Nebels selbst hier im Nachen nur undeutlich sah, mit beiden Händen nach dem Halse und fiel über Bord ins Wasser – tauchte unter und kam nicht mehr zum Vorschein.

Mafalda packte den Bootsrand und starrte auf die trübe, unruhige Flut … Kleine Wellen kreisten über der Stelle, wo Joseph versunken … Blasen stiegen empor …

Mafalda nahm hastig die Stoßstange … Suchte den Schwachsinnigen wieder herauszufischen …

Angst und Entsetzen ließen ihre Hände zittern … Der Gedanke, daß sie nun hier sich selbst überlassen war, daß sie Joseph durch einen rätselhaften Unfall eingebüßt haben sollte, trieb sie zu verzweifelten Rettungsversuchen an …

Aber die Stange fand hier niedrigen festen Grund, tauchte überall in einen weichen Schlamm ein …

Außerdem hatte der Nachen auch durch diese hastigen Bewegungen Mafaldas seine Lage verändert, war noch weiter von dem Schilfgürtel des Inselchens in den Nebel hineingeraten – in diesen zähen grauen Nebel, der zur Nachtzeit die Sumpfwildnis desto dichter einhüllte, je kühler die Nächte waren …

Die Fürstin wußte nicht mehr, wo Joseph über Bord gefallen …

Sie mußte all diese zwecklosen Versuche, den Ärmsten aus dem Schlamm herauszuholen, aufgeben. Sie war überzeugt, daß nur ein plötzlicher Schwindelanfall Joseph den Tod gebracht haben könnte … Was sonst?!

Und jetzt bedauerte sie den Verlust ihres Verbündeten aufrichtig und voller Verzweiflung über ihre sie niederdrückende Einsamkeit. Ein Gefühl der Hilflosigkeit bemächtigte sich ihrer … Sie begriff nicht, wie sie vorhin mit dem Gedanken hatte spielen können, sich Josephs zu entledigen …

Und doch – sie mußte fliehen – – mußte!! Jetzt wurde ihr bewußt, in welcher Gefahr sie schwebte …

Die Sphinxleute wieder vereint …!! All ihre Gegner in der Nähe …! Da war Nielsen, der gefährlichste von allen … Da war Murat, der Tiermensch, begabt mit den feinen Instinkten der klugen Menschenaffen … Da war Gipsy Maad, die Detektivin …

Und – die Fürstin Sarratow packte die Stoßstange fester …

Flucht war nun ihr einziger Wunsch …

Fort aus dem Heißen Moor …! Fort aus der Nähe der Gaupenburg!

Sie stieß den Nachen weiter dem Ufer zu … Das konnte nicht allzu fern sein … Sie hörte die Hunde in Sellenheim bellen …

Zuweilen geriet sie in Sackkanäle, mußte umkehren.

Das Entsetzen über Josephs jähen Tod zerrte noch immer an ihren Nerven …

Dann erkannte sie die ersten hohen Torfhaufen am Ufer …

Landete …

Horchte – spähte umher …

Nahm die Pistole, spannte sie – steckte sie gespannt in die Jackentasche ihre Sportkostüms …

Hob den jämmerlichen zerfetzten Leinensack empor.

Brachte ihn kaum auf die Schulter … So schwer wogen die Goldziegel …

Trat aus dem Nachen aufs Trockene …

Vorsichtig – fast scheu …

Schlich zagen Schrittes davon …

Keine sechs Meter …

Vorüber an dem Hügel der hier aufgebauten Torfstücke …

Und – prallte zurück …

Ein Mann mit nacktem Oberkörper stand da – über dem linken Arm Kleidungsstücke …

Eine Stimme:

„Ah – Mafalda?! Welch ein Zufall?! Finden wir uns wirklich wieder zusammen …?!“

Lomatz – Edgar Lomatz …

Unverständlich – doch in dieser Stimmung erschien Mafalda dieses Wiedersehen wie ein Gnadengeschenk …

„Gott sei Dank …!“ Sie ließ den Sack zu Boden fallen … „Gott sei Dank – ich bin nicht mehr allein!“

Sie streckte dem Genossen so vieler brutaler Verbrechen die Hand hin …

„Wo war’s du nur …?! Weshalb …“

Lomatz lachte … Sein scheußliches lautloses Lachen.

„Für eine Unterhaltung eignen sich Ort und Stunde kaum, liebe Mafalda … Diese Nacht ist zu Taten bestimmt … – Eine Frage, wo hast du mit des Idioten Hilfe das Gold versteckt? – Wir werden es nämlich holen … Mit der Sphinx, Mafaldachen … – Also wo ist’s?“

„Auf einem Inselchen in der Nähe des Südufers der großen Moorinsel …“

Sie hatte keine Sekunde mit der Antwort gezögert … Sie war froh, daß Lomatz wieder mit ihr zusammengetroffen war …

„Ich merke, du lügst nicht,“ meinte er kurz. „Laß den Sack hier nicht liegen … Gehen wir … Ich erzähle dir unterwegs das nötige … Hier in der Nähe von Sellenheim ist’s nicht mehr geheuer … Nielsen und die anderen sind wieder da … Der Teufel hat sie befreit – so scheint’s … Nun, es schadet nichts … Ich habe vorhin den Bootsschuppen am Bergsee umschlichen … Dort sind nur dein lieber Gatte und das Fräulein Inge Söörgaard als Wächter zurückgeblieben … Vor dem Schuppen stand das Pärchen … Sprachen von der Sphinxröhre, die zwar aus dem Gehäuse am Heck des Bootes herausgeschraubt, aber noch nicht ins Schloß geschafft worden ist … Die Nachricht von Agnes Gaupenbergs Tod hat die Herrschaften etwas verwirrt. Die Sphinxröhre liegt noch im Schuppen unter alten Decken und Matten … – Du verstehst mich, Mafalda … Wir werden deinen Herrn Gemahl und Inge ein wenig unliebenswürdig behandeln und uns dann die Sphinx leihen, was ja nicht zum ersten Male geschieht.“

Sie waren bereits am Waldrande … blieben rechts des Weges, der zur Turmruine führte, unter den Bäumen … Hier herrschte das milde Dämmerlicht der Herbstnacht … Hinter ihnen lag das Heiße Moor mit seinen Nebelschleiern …

Lomatz fragte nach einer Weile:

„Wo hast du denn deinen buckligen Freund gelassen, Mafalda?! Bist du seiner überdrüssig geworden?!“

Und er zog seine Kleider an – schlüpfte in das Hemd, die Weste … Inzwischen war ja sein Körper getrocknet …

Mafalda schaute ihn starr an … Blieb stehen …

„Oh – woher weißt du, daß …“

„… daß du dich mit einem Idioten verbündet hattest? – Aber verehrte Freundin – wir sind doch vielseitig … Wir haben doch Augen im Kopf …! Und keine schlechten …“

Ein ungewisser Verdacht kam Mafalda da …

„Weshalb … warst du vorhin so wenig bekleidet?“

Und ihre Frage klang scheu – fast angstvoll …

„Vielleicht …“ – Er lachte vor sich hin und nickte ihr zu – „Vielleicht hatte ich eine kleine Schwimmtour hinter mir …!“

„Lomatz!!“ – Sie war zurückgewichen …

Mit einem Schlage hatte sie Josephs jähen Tod in seiner wahren Bedeutung erfaßt …

„Gehen wir weiter …“ sagte Lomatz kalt … „Und schenke dir gefälligst alle Fragen … Sei froh, daß wir wieder beisammen sind … Ohne mich wärest du kläglich verschütt gegangen … Du kennst wohl den Gaunergusdruck für ‚verhaftet werden …’ …“

Mafalda schritt neben ihm her …

Grauen im Herzen …

Sah immer in Gedanken ein gräßliches Bild: Joseph, von einer Schlinge über Bord gerissen und von einem schweren Stein in die Tiefe gezogen – ersäuft wie ein räudiger Köter …

Still schritt sie neben dem kaltblütigen Mörder her … Durchschaute ihm nun vollends … Ein feines, grausames Spiel hatte er gewagt … Hatte Mafalda erst des Buckligen beraubt, damit in den grauen Nebeln des Heißen Moores das Gefühl der Verlassenheit sie vorbereitete auf sein Wiederauftauchen und auf seine Wünsche, das Versteck des Schatzes zu erfahren …

Ein feines, blutiges Spiel …

Und es war geglückt …

Sie, die Fürstin Sarratow, war nun abermals an diesen Menschen gekettet, der keinerlei sittliche Hemmungen kannte und der doch im Grunde ein jämmerlicher Feigling war, stets besorgt um sein Leben, nie wahren Mut beweisend, ein Intrigant, kein Abenteurer großen Schlages … –

Still schritt sie neben dem kaltblütigen Mörder her … Und Lomatz errieten ihre Gedanken …

Diese beiden Menschen kannten sich gegenseitig bis in die feinsten Fältchen ihrer angefaulten Seelen …

„Woran … denkst du?!“ überfiel er sie jäh mit einer Frage, die keiner Antwort bedurfte … „Trauerst du etwa deinem schönen Joseph nach …?! Oder haderst du mit dem unberechenbaren Geschick, das nun doch Agnes Gaupenbergs vor den Krallen deines Tigers bewahrt hat …?!“

Dieser scheußliche Hohn empörte Mafalda …

„Ich bin glücklich, daß Agnes lebt,“ sagte sie mit einer ruckartigen verächtlichen Kopfbewegung … „Agnes ist mir gleichgültig geworden, bedeutet mir nichts anderes mehr als die übrigen Sphinxleute. Sie ist eine Gegnerin – nichts weiter! Genau wie Gaupenberg … Was ich für ihn einst gefühlt, ist tot – vollkommen tot … – – Und jetzt möchte ich dich, Edgar, dringend bitten, mir gegenüber einen anderen Ton anzuschlagen …“

Er blickte sie von der Seite forschend an …

„Du kommst mir verändert vor …“ meinte er sinnend. „Du mußt etwas erlebt haben, daß …“

Und hielt inne …

Fragte schnell: „Wo ist Gußlar geblieben? Weshalb trenntet ihr euch?“

Sie antwortete nicht …

Wie ein schmerzhafter Stich hatte sie es beim Aufklingen dieses einen Namens durchzuckt …

Lomatz grinste …

„War ein nettes Schäferstündchen dort oben auf dem Hügel … – Hast dich wohl in den feinen Burschen vergafft, Mafaldachen …?!“

Der Fürstin schoß das Blut in die Wangen …

Ihre Rechte fuhr empor …

Nicht viele hätte gefehlt, und sie würde Lomatz ins Gesicht geschlagen haben …

Sie bezwang sich …

Schwieg …

Ekel packte sie … Ekel vor diesem Menschen, mit dem sie immer wieder auf Gedeih und Verderb verbunden …

Ein Ekel, wie sie ihn bisher vor Lomatz’ abgrundtiefer Gemeinheit so nie empfunden …

Und in diesem Moment tat sie gleichsam einen erstaunten Blick in ihr Inneres … Was war mit ihr vorgegangen, daß so plötzlich Regungen in ihrer Seele auflebten, die längst erstorben gewesen …

Seltsam genug schon, daß der Anblick der in Sarge ruhenden Agnes ihr Gewissen so stark und nachhaltig geweckt hatte … Gewiß, diese weicheren Empfindungen hatte sie wieder zu verscheuchen gesucht … Hatte geglaubt, daß ihr Mitleid eine Narrheit gewesen …

Jetzt wußte sie, es war doch irgend etwas mit ihr geschehen – etwas Unbegreifliches – etwas wie ein erster zaghafter Schritt vorwärts!

Und – an Gußlars Worte dachte sie … Gußlar hatte sie emporführen wollen aus den Abgründen dieses wilden Lebens in die friedliche Stille eines Daseins, wie die ehrlichen Menschen es genossen …

Ob Gußlars eindringliche Worte wirklich so stark noch immer in ihr nachklangen, daß die Verruchtheit eines Lomatz sie abstieß wie etwas, das ihr seelisch fremd geworden?! War sie denn besser als Lomatz?! Hatte sie denn nicht auch kalten Blutes Menschen geopfert – – des elenden Goldes wegen?!

War der Azorenschatz es wirklich wert, dieses unselige Leben voller Gefahren, voller Nervenreize fortzusetzen?! Wer es nicht besser, auf die Milliarden zu verzichten und sich mit Wenigem zu begnügen?!

Jäh schreckte sie hoch …

Lomatz hatte sie tiefer in den Schatten der Bäume gerissen …

Ein Wagen kam von Sellenheim her den Waldweg entlang …

Ein schlichter Zweispänner …

Vorn ein älterer Bauer … Hinten Frau Sanden, das Ehepaar Hartwich und Dr. Falz …

Der Wagen rollte vorüber …

„Beeilen wir uns!“ flüsterte Lomatz … „Die Sphinxleute sind fraglos noch sämtlich im Tume … So haben wir es lediglich mit deinem Herrn Gemahl und seiner Geliebten zu tun … Geht ihm bereits wieder dem Fürsten Iwan Alexander Sarratow … War verdammt munter … Hatte die blonde Inge auf dem Schoß … Vielleicht stören wir das Pärchen jetzt bei illegitimen Liebesfreuden …“

„Schweig …!! Du kannst geradezu widerwärtig sein …!!“

Und Mafalda blieb zurück …

Lomatz lachte … Sagte mit zurückgewandtem Kopf:

„Der Gußlar scheint dich für ein Nonnenkloster vorbereitet zu haben, Mafaldachen … Na – die Schrullen werden nur von kurzer Dauer sein …! Ich kenne dich, Tigerin Mafalda …!“

So schritten sie weiter … Er fünf Schritt voran … Sie gesenkten Kopfes hinterdrein …

Und – abermals lauschte sie staunend den wispernden Stimmchen, die in ihrer Seele nicht zum Schweigen kamen …

Was – was nur war mit ihr vorgegangen …?!

Gußlar … Gußlar …!!

Ein heißer Schauer überlief ihren Leib …

Ein rätselhaftes Glücksgefühl überflutete sie …

Lomatz ärgerliche Stimmen da:

„Zum Teufel – willst du dich wohl gefälligst ducken …! Dort oben ist die Turmruine … Und wir haben hier jetzt auf offenem Felde nur die wenigen Sträucher als Deckung …!“

Mafalda hatte gar nicht bemerkt, daß sie den Wald bereits verlassen hatten …

Sie blickte geradeaus …

Dort vor ihnen der kleine See … Links am Ufer der Bootsschuppen … Und dort über den Baumkronen die massigen Türme der alten Graupenburg … –

Im Bootsschuppen brannte Licht …

Die Fenster blinkten durch die nächtliche Dämmerung wie helle Vierecke …

Im Bootsschuppen saß Inge Söörgaard und las …

Saß am schlichten Holztisch, eine der Laternen neben sich …

Fürst Sarratow schlief in einer der Kabinen der Sphinx …

Die Türen des Schuppens waren von innen verschlossen … Und neben Inges Buch lag auf dem Tisch die geladene Waffe …

Inge hob lauschend den Kopf …

Schritte draußen … Stimmen …

„Hallo … – Hier Nielsen …!! Bitte öffnen …!“

Inge eilte zur kleinen Pforte …

Schob die Riegel zurück …

Wie ein Panther schnellte da ein Mann auf sie zu.

Nicht Nielsen …

Ihr Schrei verklang in einem Röcheln …

Und Mafalda riegelte die Pforte wieder von innen ab …

 

18. Kapitel.

Mafaldas Tränen …

„Eine verdammt ungemütliche Gegend, Freund Knorz!“ brummte Pasqual Oretto in dem Bretterkahn, der sich langsam durch Nacht und Nebel der großen Moorinsel näherte. „Daß ich als ehrlicher Seemann jemals in einem solchen Unding vom Boot mit einer Stange in den Fäusten mich vorwärtsarbeiten müßte, hätte ich mir auch nicht träumen lassen …! Da lob’ ich mir doch den Ozean …! Daß ein Mann nicht alle zehn Meter auf ein Dreckgebilde von Insel …! – Murat – weniger Schub, mein Söhnchen … Spare deinen Muskelkräfte … Du zerbrichst uns ja die Ruder …!“

Gottlieb kniete vorn im Nachen und hielt die große Karbidlaterne hoch, um die Wegmarken, die umgeknickten Birken, nicht zu verfehlen …

„Links – links!“ Wieder jetzt … „Links in den Kanal hinein, Freund Pasqual …!“

„Kanal …?! Kanal?! – Nette Kanäle das …!!“ hohnlachte der Portugiese. „Wassertümpel sind’s … Kanal – darunter verstehe ich was anderes … – Murat, mein Söhnchen, du sollst nicht so kräftig rudern … Da sitzen wir schon wieder mal im Schlamm fest …! Nimm die Stange, Murat … Rückwärts … Rückwärts …!“

Und Gottliebs Stimme:

„Wir müssen ganz dicht bei der Insel sein … Ich höre Bäume rauschen … Das sind die Buchen neben der alten Siedlung …“

Pasqual wieder:

„Verdammt – was stocherst du doch immer im Schlamm umher, Murat …?! So mach doch, daß wir dieses elende Gebäude von Brettern wieder flott kriegen …!“

Des Homgori tiefe Kehllaute:

„Dort unten Leiche liegen, Mr. Oretto … Bestimmt Leiche … Oh – da der Tote sein!“

Mit einem Ruck hatte er den Leichnam nach oben befördert, packte mit der Hand zu und erwischte den Jackenzipfel …

Gottlieb drehte die Laterne …

„Wahrhaftig – ein Mensch! – Spül mal erst den schwarzen Schlamm etwas ab, Murat … Man erkennt sonst nicht mal, ob’s Mann oder Weib …“

Der Homgori tat’s …

Das entstellte Totengesicht grinste die drei im Nachen wie höhnisch an …

„Lange liegt der noch nicht hier im Moder …“ meinte Oretto gleichmütig … „Wer der Mann wohl sein mag?“

„Kenne ihn nicht,“ erklärte Knorz … „Hier aus der Gegend ist der nicht … Die Hiesigen kenne ich sämtlich von Ansehen … – Murat, lege die Leiche hinein in den Kahn … Und dann seht zu, daß wir wieder flottwerden …“

Es gelang …

Der Nachen glitt vorwärts, stieß aber sofort wieder hart auf …

„Baumwurzeln!“ brüllte Gottlieb … „Das ist die Insel … Wir waren also wirklich schon dicht am Ziel.“

Er stieg an Land … Pasqual folgte … Zuletzt kam der Homgori. Sie zogen den Kahn vollends aufs Trockene …

„So, nun wollen wir mal den Toten uns genauer anschauen,“ meinte Knorz, indem er seinen Teckel Kognak, der auch diese nächtliche Fahrt wieder mitgemacht hatte, auf die Erde setzte …

„Still, Kognak …! Nicht heulen, wenn du auch die Leiche witters …! Du alter Knabe mit zahnlosem Maul solltest lieber deine Kehle schonen!“

Der Homgori war bereits ohne Scheu neben dem Toten niedergekniet und durchsuchte dessen Taschen, brachte unter anderem auch ein völlig durchweichtes Lederetui zum Vorschein … Es enthielt außer durchnäßten Papieren eine Rettungsmedaille. Immerhin ließen sich die Papiere noch entziffern. So stellten Pasqual und Gottlieb denn fest, daß der Tote der Klown Orlando war – jener Orlando, von dem ihnen Hartwich verschiedenes erzählt hatte … Orlando war der Gefährte des Dompteurs Maxwell gewesen, des Mannes mit dem Tiger …

Da die Leiche keinerlei äußere Verletzungen aufwies, behauptete Oretto, der Mann müsse ertränkt worden sein …

Die Wahrheit konnten sie nicht ahnen … Niemand war ja Zeuge des Todes Orlandos gewesen … Niemand wußte, daß die Goldgier ihn derart verblendet hatte, daß er nicht einmal den Biß der Kreuzotter spürte … Das giftige Reptil hatte ihn getötet … Mit jäh schwindendem Bewußtsein war er vom Uferwand kopfüber in das Moor gestürzt, als er den schmerzenden, geschwollenen Arm im Wasser kühlen wollte. –

Knorz und der Portudiese rieten hin und her, wer wohl den Klown beseitigt haben könnte … Und diese Erörterungen versetzten sie unwillkürlich in eine unruhige Stimmung …

Gottlieb war’s, der seinen geheimsten Gedanken dann Ausdruck gab, indem er energisch meinte:

„Freund Pasqual, ich fürchte fast, wir werden eine böse Enttäuschung erleben … Lassen wir den Toten vorläufig hier liegen … Ich muß mich schleunigst überzeugen, ob der Schatz überhaupt noch vorhanden … Gehen wir!“

Und er nahm die Laterne vom Boden auf und schritt voran – durch Büsche und dann durch den Waldstreifen, vorüber an verfallenem, von Unkraut überwuchertem Gemäuer …

Für Pasqual und Murat war die große Moorinsel unbekanntes Gebiet …

Der Portugiese war erstaunt, daß es hier inmitten der meilenweiten Sümpfe eine so ausgedehnte Insel mit zum Teil felsigem Boden gab. Noch mehr wunderte er sich über den prächtigen Baumwuchs, über die mächtigen Buchen und Eichen …

Knorz hastete vorwärts. Er hatte für nichts mehr Interesse …

Dann standen die drei vor der schroffen Wand des Felsenhügels, vor der Spalte darin, dem Eingang zu der Mumiengrotte …

Der sorglose Homgori wollte spornstracks hinein. Gottlieb riß ihn ärgerlich zurück …

„Ich habe dir doch bereits gesagt, daß die Höhle stets stets mit giftigen Gasen gefüllt ist und daß …“

Da … Er hatte den Arm mit der Laterne vorgestreckt … Verstummte …

Und neben ihm nun Pasquals entsetzte Stimme:

„Heiliger Sebastiano – ein Haufen Leichen …!!“

Die drei stierten in die Grotte … Das grelle Karbidlicht enthüllte alle Einzelheiten des schaurigen Dramas, das sich hier vor etwa vierundzwanzig Stunden abgespielt hatte …

Da lagen die unglücklichen elf ‚Kavaliere’ – da lag der Pilot des Doppeldeckers …

Mit verkrümmten Leibern …

Die fahlgelben Totengesichter verzerrt …

„Mein Gott!!“ flüsterte Gottlieb … „Was … was bedeutet das …?! Wer sind diese Männer?! Hartwich erwähnte doch nur den Tierbändiger und den Klown … Wer …“

Da hatte der Portugiese ihm bereits die Laterne abgenommen …

„Ich werde hineingehen, Freund Gottlieb … Mich flieht der Tod … Ich trank das Elexier des Lebens … Ich bin verdammt, das Ende aller Tage abzuwarten …“

Und er schritt vorwärts …

Beleuchtete die Toten …

Schritt tiefer in die Grotte – bis in jenen Winkel, wo die eingestürzte Steinmauer nichts mehr verbarg.

Pasqual stand regungslos …

Der Azorenschatz war gestohlen …!!

Kein Zweifel – der Schatz war geraubt! Hier hinter dieser Mauer hatte er gelegen – geschützt durch die Giftgase … Und – war doch verschwunden …!

Pasqual Oretto wandte sich um …

Gottlieb war neben ihm aufgetaucht … Gottlieb hielt den Atem an …

Die beiden Männer nickten sich zu … Und mit einer verzweifelten Handbewegung eilte Knorz wieder ins Freie, wo Murat, den Teckel im Arm, ihn erwartete …

„Gestohlen!“ keuchte Gottlieb mit blassem Gesicht …

„Murat – alles gestohlen …!! Nicht ein einziger Goldbarren mehr da …!! – Mafalda …!!“

Und den einen Namen stieß er in grimmer Wut hervor …

Pasqual gesellte sich zu ihnen …

Auch er war verstört … ratlos durch diese furchtbare Enttäuschung …

„Mafalda!!“ rief Gottlieb nochmals … „Ich ahne den Zusammenhang … Mafalda hat jene Toten dort als Helfershelfer hierher gebracht … Mafalda schickte sie ins Verderben …!! – Pasqual – wir haben hier nichts mehr zu bewachen …! Zurück zu unseren Freunden …! – Was wird mein Herr sagen …?! Der Schatz verschwunden … Und wir ohne jede Ahnung, wo man ihn hingeschafft haben kann! Alle Mühe, alle Gefahren umsonst …!! Umsonst all die Monate aufreibenden Erlebens …!!“

Sie standen und schauten stumpfen Blickes in die verhängnisvolle Grotte hinein …

„Suchen – suchen!!“ meldete sich Murat da … „Schatz nicht weit sein … Viel zu schweres Gold, um weit zu tragen … Suchen …!!“

Knorz lachte ärgerlich …

„Suchen?! Wie willst du das wohl anfangen, Murat?! Bei diesem Nebel, bei dieser Dunkelheit …!! Und dann – glaubst du, daß Mafalda das Gold so verborgen hat, daß man es leicht findet?! Ich denke, du kennst dieses Weib. Die ist schlauer als wir …! Die wird schon ein Versteck gewählt haben, wo ihre Beute sicher ist …! – Gewiß – weit kann sie das Gold nicht gebracht haben … Das ist unmöglich …! Oder … oder – – sie war mit einem Flugzeug hier … Und dann, Freunde, dann … können wir getrost den Gedanken aufgeben, jemals wieder den Schatz zurückzuerhalten …“

Trostlose Verzweiflung lag in diesen letzten Sätzen.

Aber Pasqual Oretto wollte so leicht nicht auf Nachforschungen verzichten …

„Freund Gottlieb, Murat hat ganz recht … Wir müssen suchen … Der Morgen ist nicht mehr fern … Murats feine Nase und scharfe Augen werden uns helfen … Wir warten das Tageslicht ab … Was würde es nützen, wenn wir die Gefährten jetzt alarmierten?! Gaupenberg würde fraglos dasselbe tun, was Murat vorschlägt: Suchen …! – Nur nicht verzagen, Gottlieb …! Verdammt – wir haben doch sicher schlechtere Dinge erlebt als dies hier!“

Knorz nickte …

„Hast wie immer den Mut zur Tat, Pasqual …! Gut, bleiben wir … In den Ruinen drüben finden wir schon einen Winkel, wo wir lagern können … Ein Feuer wird uns die kleinen blutgierigen Bestien vom Leibe halten … – Kommt, Freunde …“

Sie schritten über die Lichtung hinweg …

Bald hatten sie auch in einer der Ruinen einen kleinen Raum gefunden, der für sie geeignet war.

Murat erbot sich, die Lebensmittel und die Decken aus dem Nachen zu holen …

„Ich Weg auch ohne Laterne finden …“ meinte er … „Gleich wieder zurück sein …“

Und er lief davon – mit schlenkernden Armen, etwas schwerfällig … Das lag nun einmal in seiner Abstammung, diese Unbeholfenheit seiner Bewegungen, wenn er aufrecht ging … –

Mit dem Instinkt des Tiermenschen gelangte er genau an die Uferstelle, wo der Nachen aufs Trockene gezogen worden war …

Ich dabei lag Orlandos Leiche …

Murat überlegte …

Dann nahm er den Toten empor und eilte zur Grotte hin.

Trat hinein – hielt wie Knorz den Atem an, legte die Leiche nieder und kehrte um …

Und als er dann mit dem großen Korb und den Wolldecken in dem verfallenen Gemäuer wieder anlangte und Knorz und Pasqual mitteilte, daß er den Toten zu den übrigen getragen habe, nickte Oretto zustimmend …

„War recht so, Murat … Das erspart uns ein Begräbnis … In der Grotte verwesen die Leichen nicht … Wer weiß, ob nicht die deutschen Gerichte sich die Toten noch ansehen wollen … Graf Gaupenberg wird das alles ja melden müssen … Wir befinden uns hier in einem Kulturstaat, nicht mehr irgendwo in der Wildnis oder auf freiem Ozean …“

Und bedächtig stopfte er seine Seemannspfeife, begann zu rauchen, denn die Mücken waren auch hier in ganzen Schwärmen vertreten …

Knorz hatte Holz gesammelt. Ein kleines Feuer knisterte und qualmte …

Und um das Feuer saßen die drei und besprachen nochmals die jüngsten Erlebnisse …

Keiner bezweifelte, daß nur Mafalda hier wieder die Hand im Spiele gehabt hatte …

Pasqual streckte sich dann der Länge nach aus …

„Schlafen wir, Freund Gottlieb … Murat mag wachen … Wir haben einen schweren Tag vor uns. Wir werden unsere Kraft brauchen …“ –

Der Homgori hockte mit untergeschlagenen Beinen da und schob hin und wieder einen Ast in die Glut, lauschte den tiefen Atemzügen der beiden Alten und kaute schmatzend an einem Stück Brot …

Das Feuer flackerte zuweilen höher auf … sank dann wieder zusammen …

Die Laterne war ausgelöscht worden … Der schwache rötliche Feuerschein war draußen nur aus nächster Nähe wahrzunehmen.

Murat, der stets hungrige, war nun gesättigt …

Blinzelnd starrte er mit den kleinen schwarzen Augen in die Glut …

Seine Gedanken beschäftigten sich ausschließlich mit dem Verschwinden des Schatzes …

Und diese Gedanken trieben ihn schließlich hoch und ins Freie … Er hatte noch schnell ein paar Äste in das Feuer gelegt, damit es nicht erlösche.

Nun stand er auf der Lichtung – im Dunkeln, im feuchtwarmen Nebel …

Über ihm matte Pünktchen, das nächtliche Firmament …

Der Mond war bereits verschwunden …

Und um ihn her Stille …

Mücken umsummten ihn … Die Bäume rauschten leise … Vom nahen Moor einzelne Laute von Wasservögeln …

Er schritt langsam geradeaus – zum Grotteneingang – ohne Laterne … Er fand sich auch so zurecht…

Stand nun vor der Felsspalte …

Dachte nach …

Dachte nur an den Schatz … – Er liebte seine Freunde … Sie waren gut zu ihm. Er war einer ihresgleichen …

Wenn er vielleicht den Schatz entdeckte, dann würde er den Gefährten eine große Freude bereiten …

Und er grübelte … Er überlegte, wo Mafalda das Gold verborgen haben könnte, falls sie es nicht wirklich in einem Flugzeug entführt hatte … –

Mit einem Male horchte er auf …

Sein Kopf schnellte in den Nacken … Er stierte zum Himmel empor …

Lauschte angestrengt …

Nur seine überfeinen Ohren vernahmen das ferne ferne Surren von Propellern – ganz hoch in den Lüften … Aber doch gerade über ihm …

Murat schüttelte unzufrieden den Kopf …

Atmete nicht … Horchte angestrengt …

Aber das Rauschen der alten Eichen und Buchen störte ihn …

Ein Gedanke, er mußte eine baumfreie Uferstelle suchen … Dort würde er feiner hören.

Denn – was tat ein Flugzeug zu dieser Stunde über dem nächtlichen Moor?!

Er ahnte Besonderes …

Lief eiligst zum Nachen, weiter am Ufer entlang, bis er wirklich eine kahle Stelle gefunden …

Stand hier regungslos, den kleinen Kopf zurückgebogen …

Horchte … horchte …

Nichts … nichts mehr vernahm er … Kein Surren – kein Geräusch …

Bis dort vor ihm im heißen Moor ein Volk Enten lärmend hochging – unsichtbar über ihn … Und doch ein Beweis, daß dort irgendetwas die Tiere aufgescheucht hatte …

Da – nochmals derselbe Lärm … Nochmals eine Kette Wildenten … Und die strich ganz dicht über Murat hinweg …

Verschwand …

Der Homgori regte sich nicht …

Horchte wieder …

Alles war wieder still jetzt …

Nebel ringsum – graue Schleier … Wie dichte Vorhänge …

Und doch wußte Murat, daß da vor ihm im Moor irgend etwas geschah … Daß dort ein Flugzeug niedergegangen sein konnte.

Konnte …!!

Er mußte Gewißheit haben …

Im Nu hatte er seinen blauen Leinenanzug abgestreift …

Stieg ins Wasser …

Seine Füßer versanken im Schlamm … Er begann zu schwimmen … Seine langen muskulöen Arme brachte ihn rasch vorwärts …

Gerade hier am Südufer der Moorinsel zog sich ein breites offenes seeartiges Wasserbecken hin …

Murat sah plötzlich vor sich im Nebel Gestrüpp und helle Birkenstämme – ein Inselchen …

Er bog nach links ab …

Schwamm langsamer …

Horchte wieder …

Und da war’s ihm, als ob er … einen bestimmten Geruch spürte …

Einen Geruch, den er nur zu gut kannte …

So … roch die Sphinx … Benzin, Schmieröl, – – es war der charakteristische Geruch des Luftbootes.

Nur Murats Nase nahm ihn wahr …

Und – er schnupperte, sog die Luft prüfend ein.

Schwamm weiter …

Vermied das geringste Plätschern …

Wich noch ein paar der winzigen Moorinselchen aus.

Der Geruch wurde stärker …

Und dann – dicht vor dem Homgori auf dem Wasser eine hohe gekrümmte Wand …

Die … Sphinx …!!

Jetzt auch Geräusche …

Leises Knarren einer Planke, wie unter schweren Schritten … Schweren, aber lautlosen Schritten …

Wieder das Knarren …

Flüstern …

Und wieder das Knarren …

Murat umschwamm die Sphinx … Stellte fest, daß sie dich an einem Inselchen lag, das eine Laufplanke vom Deck über das Schilf ins Gestrüpp an Land gelegt war …

Jetzt – wieder flüsternde Stimmen …

Ein Weib …

Mafalda – – Mafalda … – – Und Lomatz!!

Der Homgori grinste triumphierend …

Die Planke knarrte von neuem …

Murat fand die Außenleiter der Sphinx …

Sprosse um Sprossen empor …

Schob den Kopf über die niedere Reling … Leer das Deck … Aber die Laufplanke meldete sich wieder … Eine gebeugte Gestalt – einen Sack auf dem Rücken – verschwand in der Turmluke …

Eine zweite Gestalt … Mafalda … Ebenfalls einen Sack auf dem Rücken … und hinein in die Turmluke …

Leer wieder das Deck …

Bis Lomatz erneut in der Turmluke auftauchte … Über die Planke schreitend …

Bis Mafalda erschienen – ihm folgen wollte …

Wollte …

Wie ein riesiger Ball schnellte der Homgori ihr in den Rücken …

Haarige Hände umschlossen ihren Hals … Rissen sie nieder …

Die Sinne schwanden ihr …

Murat schleppte die Bewußtlose in den Turm – in eine der Kabinen …

Oh – er wußte hier in der Sphinx Bescheid … Licht brannte im Kabineneingang …

Hinter der nur angelehnten Tür blieb Murat stehen.

Wartete …

Geräusche auf der Turmtreppe … Keuchen eines Menschen, der eine schwere Last schleppte …

Der Homgori duckte sich zusammen … Schob die Tür weiter auf …

Lomatz kehrte ihm den Rücken, wollte die zweite Treppe hinab …

Eine unheimliche Gewalt riß ihn rückwärts … Krachend fiel der Sack zu Boden …

Der Hieb einer gewaltigen Faust trat des Verbrechers Stirn …

Mit schwindendem Bewußtsein sah er des Homgori triefende Gestalt, die gefletschten Zähne …

Sank lautlos über dem Sack zusammen … – –

Pasqual Oretto erwachte … Eine besonders freche Mücke hatte sich seine Nase als Angriffspunkt erkoren …

Pasqual nieste mehrmals …

Auch Knorz wurde munter …

Das Feuer war fast erloschen …

„Wo steckt Murat wieder?!“ brummte der Portugiese und rieb seine Nase …

Gottlieb holte die Zündhölzer hervor …

Die Karbidlaterne flammte auf …

„Murat schnüffelt fraglos draußen umher …“ meinte Gottlieb …

Pasqual schaute nach der Uhr, gähnte …

„Fünf … fünf Uhr morgens … Wir haben kaum eine Stunde geschlafen … Ruf doch mal, Gottlieb.“

„Nein, Freund Pasqual, das wollen wir lieber bleiben lassen! Dazu ist das Terrain hier doch zu unsicher …“

Er trat ins Freie …

Sein Teckel folgte ihm …

Pasqual schürte noch schnell das Feuer, warf Reisig hinein …

Dann standen die Kameraden und der halbblinde Hund vor der Ruine und lauschten in den Nebel hinein.

Der Portugiese qualmte dicke Wolken aus seiner Pfeife …

„Verdammte Mückenbrut!!“

„Was Murat nur vorhaben mag …!“ meinte Gottlieb … „Daß er zwecklos in dieser Dunkelheit umherstreift, ist doch kaum anzunehmen …!“

Plötzlich knurrte der Teckel …

Blaffte leise …

Aus dem Nebel tauchte eine breitschultrige Gestalt auf … Wiegenden Ganges …

„Hallo – wo kommst du denn her, mein Söhnchen?!“ rief der Portugiese unwirsch. „Ich denke, du solltest uns bewachen …?! Bist ein netter Wächter …! Scheinst ein Bad genommen zu haben … Dein schöner Pelz trieft … Und splitternackt?! Schäm dich, Murat …!“

Der Homgori lachte … Es klang wie ein gurgelndes Dröhnen …

„Oh – Murat geschwommen, Mr. Pasqual … Murat jetzt Freunde mitnehmen … Nur kommen … Etwas zeigen – sehr Schönes zeigen …“

Gottlieb stutzte …

„Murat, du hast … den Schatz gefunden …!“

Wieder das dröhnende Lachen …

„Noch mehr als Schatz …! Nur kommen … Werden staunen … Vögel sehr viel verraten …“

Und er eilte voran …

Gottlieb holte schnell die Laterne … Pasqual nahm den Teckel in den Arm …

Sie schoben den Nachen ins Wasser …

Der Homgori ruderte … Der Bretterkahn flog schier dahin …

Bis – eine graue Wand vor ihnen als Hindernis emporwuchs …

Die Sphinx …!!

Und … „Die Sphinx!!“ – stieß Knorz hervor … „Bei Gott, unsere Sphinx …!!“

Sie kletterten an Deck …

Hinab in den Turm …

Eine Kabinentüren stand offen …

Zwei Menschen da, Fürst Sarratow und Inge, die zwei andere Gefesselte bewachten …!

Und – am Boden Mafalda und Lomatz – wehrlos – betrogen um die Beute – gefangen …

Mafalda war bei Bewußtsein …

Aus seltsam ernst traurigen Augen schaute sie Gottlieb, den treuen Diener des Hauses Gaupenberg, flehend an …

Ja – flehend …

Umsonst waren ihre Bitten bisher … Ihr Gatte hatte nur verächtlich dazu gelächelt …

Jetzt nochmals dieselben Worte – dieselben Wünsche.

„Gottlieb, haben Sie Erbarmen … Geben Sie mich frei …! Ich schwöre Ihnen, daß ich nie wieder gegen Ihren Herrn etwas unternehmen werde – – nie wieder! Ich hätte niemals geduldet, daß Lomatz den Azorenschatz raubt … Ich wollte mich mit einem geringen Teil begnügen … Ich wollte … einen Strich unter mein bisheriges Leben machen …! – Oh – glauben Sie mir doch …!! Glauben Sie mir! Schenken Sie mir die Freiheit! Sie retten eine Menschenseele!“

Knorz hörte wohl, daß ein besonderer Klang diese Sätze durchzitterte …

Aber – – Mafalda – – Komödiantin!! Immer Komödiantin gewesen! Immer bereit zu Lug und Trug, zu noch Schlimmerem …!!

Knorz wandte sich ab …

„Dank dir, Murat …!“ Und er drückte des Homgori Hand …

Winkte dem Fürsten und Inge …

„Es genügt, wenn wir die Tür verriegeln …!“

Und schlug sie zu …

Mafalda stöhnte laut auf …

Ihre verzweifelten Gedanken waren bei Gußlar …

Oh – wenn sie nur auf Gußlar gehört hätte …!! Wenn Sie ihm gefolgt wäre …!!

Zu spät … zu spät …

Riegel schnappten …

Neben ihr Lomatz – höhnend, frech, schadenfroh:

„Mitgefangen – mitgehangen, Mafaldachen …!! Wirst den Eintritt in ein Kloster noch verschieben müssen … Wirst nun wohl deutsche Gefängnismauern kennenlernen …!“

Mafalda … weinte leise …

Mafalda – – weinte …!!

Echte Tränen …

Die dem verlorenen Seelenfrieden galten …

Und der Frieden wäre für sie Werner von Gußlar gewesen!

 

19. Kapitel.

Die beiden anderen Autos.

Es war eine Nacht, wie nur die Sphinxleute ähnliche Nächte schon durchlebt hatten … Eine Nacht, in der die Ereignisse sich jagten, in der das launenhafte Schicksal mit Menschen Fangball spielte …

Es war diese Septembernacht am Heißen Moor, eine Nacht, erfüllt vom Ahnen des langsamen Absterbens der Natur …

Und doch auch die Nacht der Wiedererweckung …

Denn Agnes Gaupenberg lebte …

Die blonde Agnes war dem Leben zurückgegeben – dem liebenden Gatten – den treuen Freunden …

Überraschend schnell hatte sie die Folgen des schweren Starrkrampfes überwunden … Lag auf dem Diwan in Dr. Falz Studierzimmer, eingehüllt in den Radmantel, – neben ihr Viktor Gaupenberg, ihre Hände halten … Auf der anderen Seite des Diwans saß Frau Sanden, deren Augen feucht schimmerten vor unendlicher Freude …

Agnes lebte …

Ein versonnenes Lächeln verschönte ihr blasses Gesicht …

Sie blickte rundum … Liebe strahlte ihr entgegen … Die Gefährten waren um ihr Ruhebett versammelt … Zärtliche Augen streichelte sie …

Da waren alle die, von denen das Schicksal auf der Faluhn-Klippe die anderen getrennt hatte: die drei Brautpaare – die holde Toni Dalaargen mit ihrem Tom, die frische Gipsy Maad, der unverwüstliche Nielsen.

Da waren Mela und der Herzog, neben ihnen Dr. Falz, die Hand seines Kindes streichelnd …

Georg und Ellen lehnten am Schreibtisch …

Und über all diese Menschen ergossen die Kerzen des großen Kronleuchters aus Hirschgeweihen sanfte Helle …

Nielsen erzählte …

Agnes hatte ihn gebeten, sofort zu berichten, wie die Freunde der Gefangenschaft des Fliegenden Holländers entgangen waren … Agnes hatte ausdrücklich betont, daß sie sich wieder völlig frisch fühle …

Das versonnene Glückslächeln verschwand von ihrem zarten Antlitz. Nielsens Schilderung wurde immer dramatischer …

Er erzählte vom Tode der Besatzung des Gespensterschiffes – von dem zweiten U-Boot …

Wie abenteuerliche Märchen das alles …

Und von Arthur Montgelar sprach er – von der Liebe der beiden Brüder – von ihrer großen Leidenschaft …

Else von Parland, geschiedene Lomatz, wurde erwähnt …

Das Drama wurde zur Tragödie …

Keiner der Zuhörer regte sich …

„Montgelar hat uns Feindschaft angesagt …“ berichtete Nielsen weiter … „Montgelar will dem rätselhaften Weibe den Azorenschatz zu Füßen legen … Rätselhaft diese Frau, die niemand von uns gesehen hat, die sich Montgelar entzieht, bis die Milliarden in seinem Besitz … – Wie Wahnsinn erscheint jedem kühlen Kopf diese Bedingung eines Weibes, die Arthur Montgelar haßt … Montgelar selbst nimmt an, daß sie ihn verderben will, daß er bei diesem Ringen um den Azorenschatz zugrunde gehen soll … Und doch – er will’s versuchen, er war offen genug, mich zu warnen … – – Freunde, so also liegen die Dinge … Wir müssen mit Montgelar rechnen … Als wir von der Faluhn-Klippe abfuhren, ankerte sein U-Boot mit den schwarzen Matrosen noch im Kanal zwischen den beiden Inselhälften …“

Er verstummte …

Auch die anderen schwiegen …

Unwillkürlich schaute alles auf Dagobert Falz … Der Einsiedler von Sellenheim war wie immer der Mittelpunkt des Kreises der Sphinxleute … Von ihm erwartete man irgend eine Äußerung …

Doch er … schwieg …

Sein kluges Antlitz war etwas erhoben … Seine Augen halb geschlossen … Sein Blick wie in endlose Fernen gerichtet …

Dann sprach er leise – wie ein Träumender:

„Stunden sind verflossen … Der Morgen naht … Die Sphinx kehrt zurück …“

Man horchte auf …

Man vernahm draußen das Surren von Propellern.

Hartwich riß den Vorhang des einen Fensters beiseite …

Bleigraue Dämmerung …

In geringer Höhe … die Sphinx …

Niemand wußte bisher, daß das Luftboot entführt worden …

Hartwich stieß das Fenster auf …

Tom Booder und Dalaargen eilten hinaus … winkten …

Sicher und graziös senkte sich die Sphinx herab …

Landete vor dem Turm im Steingeröll … An Deck Inge Söörgaard, Fürst Sarratow und der Homgori …

Es war jetzt halb sieben Uhr morgens …

Die Nacht der Schrecken vorüber …

Mafalda und Lomatz gefangen … Der Azorenschatz an Bord der Sphinx … Die Gefährten vereint …

Und die Sphinxleute umdrängten das Schiff …

Gaupenberg hatte Agnes in die Arme genommen und ins Freie getragen …

Oben an der Reling Gottlieb Knorz – mit überlauter Stimme erzählend, mit den Armen umherfuchtelnd.

Plötzlich dann die Sonne – erst nur matt ihre Strahlen durch den Dunst am Horizont sendend …

Sehr bald in voller Pracht emporsteigend – Siegerin über das Dunkel … Blendende Helle lag über dem abwechslungsreichen Landschaftsbild, über dem blaugrauen Luftboot, der Turmruine, den Gesichtern der Sphinxleute …

Murat war der Held dieser verflossenen Nacht … Er war’s nicht zum ersten Male … Als Gaupenberg ihm dankte, als Agnes ihm die Hand drückte, machte der Homgori vor Verlegenheit ein ganz unglaubliches Gesicht …

Nielsen war’s, der dann vorschlug, die Sphinx im Schloßhofe landen zu lassen, dort die Sphinxröhre zu entfernen und den Schatz in die Keller der Gaupenburg zu bringen …

„Wir alle können im Schlosse wohnen – wir alle werden Wächter spielen …! Ich möchte den sehen, der uns dann mit Gewalt das Gold rauben könnte …!“

Man ging an Bord …

Nur Dagobert Falz bat, ihn in seinem Heim zu belassen …

„Die Routine ist mir lieb geworden … Und in zehn Minuten bin ich bei euch, Freunde, wenn’s nottut …“

So stieg denn die Sphinx ohne ihn auf …

So wurden die Gastzimmer der Gaupenburg bis aufs letzte besetzt …

Mafalda und Lomatz sperrte man getrennt in zwei Gemächern des Ostturmes eing. Eine Flucht schien von hier unmöglich … Die Fenster waren nur schießschartenähnliche Öffnungen, die Mauer meterdick, die Türen starkes Eichenholz, dazu noch mit Eisen beschlagen. –

Die dicke Köchin Helene verlor über diesen Massenbesuch zunächst ein wenig den Kopf, obwohl die drei jungen Mädchen ihr bereitwilligst zu helfen versprachen … Dann telephonierte Johann nach Sellenheim, und eine Stunde drauf trafen zwei Aushilfen ein …

Allmählich kam so etwas Ordnung in das ‚Hotel Graupenburg’, wie Nielsen schmunzelnd erklärte …

Lachend und scherzend deckten Gipsy, Mela und Tonerl auf der Terrasse den großen Frühstückstisch.

Der bescheidene Murat, vor dem Helene und die aus Sellenheim herübergekommenen beiden Stubenmädchen zunächst gräuliche Angst gehabt hatten, saß in der Küche mit der Kaffeemühle zwischen den Schenkeln und spielte Leiermann …

Alles war in Bewegung …

Frohgelaunt …

Daß die Schrecken der Nacht kaum erst der Vergangenheit angehörten, konnte die allgemeine gute Laune nicht stören. Dazu waren alle längst allzu sehr an Gefahren und Aufregungen gewöhnt …

Nur Agnes Gaupenberg hatte sich niedergelegt, und Viktor war in dem verdunkelten Schlafzimmer bei ihr geblieben, bis sie eingeschlummert war. Dann löste Frau Sanden ihn ab …

Er und Nielsen stiegen nun in den Keller hinab, um ein passendes Gelaß für den Azorenschatz auszuwählen …

Schließlich gelangten sie bei dieser Besichtigung der Gewölbe durch einen schmalen Gang auch in das Burgverließ des Westturmes …

Dieses hatte eiserne uralte Doppeltüren und nur zwei enge Luftschächte …

Die Herren einigten sich, daß nach dem Frühstück der Schatz hierher transportiert werden sollte … Einen sichereren Aufbewahrungsraum konnte es kaum geben. –

Inzwischen hatten Gottlieb und Pasqual die Sphinxröhre aus dem Metallgehäuse am Heck entfernt und in den eisernen Schrank oben im Laboratorium des Grafen eingeschlossen.

Gegen neun Uhr versammelte man sich auf der Terrasse … Der Kutscher Johann sollte im Schloßhof die Sphinx bewachen. Mafalda und Lomatz waren bereits vorher mit Speise und Trank versorgt worden. Dalaargen und Booder hatten dies übernommen gehabt und die beiden Gefangenen im tiefen Schlaf der Erschöpfung auf ihren eisernen Feldbetten angetroffen.

Als man kaum am Frühstückstisch Platz genommen hatte, kam ein elegantes offenes Auto in schneller Fahrt den Schloßberg hinan.

Zwei Herren saßen außer dem Chauffeur in dem großen Wagen.

Gaupenberg eilte die Treppe hinab, als der Wagen vor der Schloßrampe hielt.

Die beiden Männer von den Rücksitzen stellten sich als Vertreter der Regierung vor – ein Ministerialdirektor Cord und ein Regierungsrat Moll …

„Herr Hartwich hat nachts nach Berlin depeschiert, wie Ihnen bekannt sein dürfte, Herr Graf …“ erklärte der Ministerialdirektor, nachdem er Gaupenberg einen vom Reichsaußenminister unterzeichneten Ausweis vorgezeigt hatte. „Ihr Freund hatte infolge Ihres Verschwindens um polizeilichen Schutz des Azorengoldes gebeten. Wir haben den Auftrag, den Schatz zu übernehmen und mit Hilfe der Sphinx nach Berlin zu bringen, was möglichst geheim bleiben soll …“

Gaupenberg führte die Herren in sein Arbeitszimmer, rief noch Nielsen und Hartwich hinzu und verhandelte in deren Gegenwart weiter mit den beiden Regierungsvertretern, die allen Wünschen Gaupenbergs aufs höflichste entgegenkamen …

Ministerialdirektor Cord war ein älterer graubärtiger Herr, wohlbeleibt, gemütlich und doch auch sehr bestimmt. Der Regierungsrat Moll sprach wenig, schien sehr verschlossen zu sein und brachte das, was er zu sagen hatte, in außerordentlich dienstlicher Art vor …

Gaupenberg war durchaus einverstanden damit, daß der Azorenschatz sofort nach Berlin überführt würde, stellte nur die Bedingung, daß die Konstruktionsgeheimnisse der Sphinx unbedingt gewahrt würden …

„Deshalb möchte ich Ihnen, meine Herren,“ erklärte er, „drei von meinen Freunden mitgeben, die mein Luftboot noch heute hierher zurückbringen sollen. Die Fahrt bis Berlin kann drei Stunden dauern. Das gleiche rechne ich für das Ausladen des Schatzes … – Von den Goldbarren und den Kostbarkeiten König Matagumas möchte ich mir etwas zum Andenken zurückbehalten, ebenso wie ich meinen Freunden Andenken verehren möchte …“

„Was wohl selbstverständlich ist, Herr Graf …“ nickte der Ministerialdirektor … „Ich möchte nochmals betonen, daß der Regierung sehr viel daran gelegen ist, recht bald in den Besitz des Goldes zu gelangen, damit nicht etwa die Gläubiger Deutschlands Zeit finden, den Schatz zu beschlagnahmen, womit mancherlei Anzeichen nach zu rechnen wäre. Die Regierung hat auch Vorsorge getroffen, das Gold in aller Stille außerhalb von Berlin unterzubringen, und zwar ist beschlossen worden, das kleine Jagdschloß Grunewald hierzu zu benutzen. Das ist schon jetzt durch Polizei in weitem Umkreise abgesperrt worden, und die Wälder ringsum werden eine heimliche Landung der Sphinx durchaus begünstigen … Wenn es Ihnen recht ist, Herr Graf, werden Herr Regierungsrat Moll und ich den Schatz nun sofort in aller Form übernehmen, während Sie die Andenken für Sie auswählen wollen … Für uns ist jede Minute wertvolle …“

„Dem steht nichts im Wege …“ Und Gaupenberg erhob sich. „Ich werde den Herren dann auf der Sphinx einige Erfrischungen reichen lassen, Ihnen dort auch meine Gefährten vorstellen … – Was soll mit der Fürstin Sarratow und mit Edgar Lomatz geschehen?“

Der Ministerialdirektor überlegte …

Meinte dann: „Wir können die beiden mitnehmen – schon um Ihnen die Sorge zu ersparen, die Gefangenen bewachen zu müssen, Herr Graf …“

Gaupenberg war auch hiermit sehr einverstanden.

Man begab sich in den Schloßhof hinab. Inzwischen hatten sich die übrigen Sphinxleute hier bereits versammelt, da Gaupenberg Nielsen auf die Terrasse geschickt hatte, damit dieser die Freunde von der baldigen Abfahrt der Sphinx verständigte.

Die beiden Regierungsvertreter begrüßten die Damen und Herren mit ausgesuchtester Liebenswürdigkeit. Der Ministerialdirektor erklärte, er wolle nachher den tapferen Verteidigern des Azorenschatzes den vorläufigen Dank des Vaterlandes in kurzer Rede abstatten …

Und dies tat er dann auch in sehr herzlichen schlichten Worten, nachdem das unten im Kielraum der Sphinx lagernde Gold besichtigt und durch eine Urkunde, die von Gaupenberg und Hartwich einerseits und von den beiden Beamten anderseits unterzeichnet wurde, offiziell übernommen worden war …

Des Ministerialdirektors markige Sätze klangen in einem Hoch auf die Sphinxleute und das deutsche Vaterland aus … –

Gottlieb und Pasqual hatten mittlerweile bereits die Sphinxröhre eingeschraubt. Georg Hartwich, Pasqual und Nielsen sollten das Luftboot nach Berlin steuern.

Der Gaupenberg jetzt von den Goldbarren und den Kostbarkeiten König Matagumas einiges ins Schloß schaffen ließ, führten Dalaargen, Gottlieb und Johann die beiden Gefangenen in den Hof.

Mafalda und Lomatz waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die Fürstin war sehr blaß und schaute überhaupt nicht auf. Lomatz dagegen musterte mit frechen Blicken die Sphinxleute und sagte an Deck des Luftbootes zu dem Ministerialdirektor:

„Das Spiel scheint ja nun endgültig verloren zu sein …! – Haben Sie im übrigen einen Haftbefehl?“

Diese Unverschämtheit quittierte der Beamte durch eine kurze Kehrtwendung.

Mafalda und Lomatz wurden jeder in eine der Kabinen eingesperrt.

Unter einem nochmaligen Hoch auf Deutschland stieg die Sphinx langsam empor …

Die im Schloßhof Zurückbleibenden winkten …

Von der Reling schwenkten Hartwich und die beiden Regierungsvertreter ihre Taschentücher…

Dann begannen die Propeller zu arbeiten …

Wenige Minuten später war die Sphinx hinter leichtem Gewölk verschwunden …

Gaupenberg wandte sich den Gefährten zu …

„Freunde, jetzt sind wir freie Menschen – frei von der Sorge um den Azorenschatz …! Jetzt wollen wir an uns selbst denken …! Wir alle brauchen Ruhe und Erholung … Die Gaupenburg und ihre wundervolle Umgebung wird uns in den nächsten Wochen alles bieten, was wir ersehnen.“

Man kehrte auf die Terrasse zurück …

Eine Stimmung herrschte, wie sie die Sphinxleute kaum mehr gekannt hatten. Das Bewußtsein, die heilige Pflicht dem Vaterlande gegenüber nun erfüllt zu haben, gab allen etwas Freudiges, still Zufriedenes …

Man genoß den köstlichen Vormittag … Man brachte jetzt auch Agnes auf die Terrasse … Plauderte, scherzte … Dalaargen erklärte, es sei jetzt höchste Zeit, daß die drei Brautpaare die gemeinsame Hochzeit vorbereiteten. Man beriet, schmiedete großartige Pläne. Gaupenberg meinte, diese dreifache Hochzeit solle ein wahres Volksfest werden … Ganz Sellenheim solle teilnehmen … –

Der Kraftwagen, in dem die beiden Regierungsvertreter eingetroffen waren, hatte längst die Rückfahrt nach Berlin angetreten. Gegen halb zwölf kam den Schloßberg ein anderes Auto hinauf …

Hielt vor der Rampe …

Drei Herren entstiegen ihm …

Johann empfing sie, fragte nach ihren Wünschen.

Die Sphinxleute oben auf der Terrasse bemerkten, daß Johann plötzlich zusammenschrak und einen Schritt zurücktrat … Seine Haltung drückte mehr als nur bloßen Schreck aus … Wie entsetzt hatte seiner beiden Arme erhoben … Drehte sich nun um – rief kreischend – mit überschnappender Stimme:

„Herr Graf – Herr Graf – – bitte – – schnell … schnell …!!“

Gaupenberg wechselte die Farbe …

Auch die anderen starrten einander mit zagenden Blicken an …

Knorz war’s, der heiser hervorstieß:

„Wir … wir sind … betrogen worden …! Zwei Schwindler haben uns getäuscht …!“

Und er gab nur den Gedanken aller Ausdruck …

Gaupenberg lief schon die Treppe hinab …

Einer der drei Herren kam ihm entgegen …

„Herr Graf – mein Name ist Platen, Unterstaatssekretär im Reichsaußenministerium … Herr Graf, Ihr Diener teilt mir soeben mit, daß die Sphinx mit dem Azorenschatz bereits unterwegs sei … Herr Graf, – Sie sind Schwindlern in die Hände gefallen … Hier mein Ausweis … Hier die Depesche, die Herr Hartwich nach Berlin gesandt hat … Und dort –“ er wies den Schloßberg hinab – „dort kommt das zweite Auto mit sechs Kriminalbeamten, die hier die Sphinx bewachen sollten … Die Regierung wünscht nicht, daß der Schatz nach Berlin gebracht wird …“

Die Gesellschaft von der Terrasse war Gaupenberg gefolgt…

Hörten alles mit an …

Niemand dachte hier an die Einhaltung gesellschaftlicher Gepflogenheiten … Niemand stellte sich den drei Herren vor … Eine Aufregung herrschte, die leider nur zu berechtigt war. –

In Gaupenbergs Arbeitszimmer versammelte man sich …

Das zweite Auto hielt vor dem Schlosse … Kriminalkommissar Wendler, der mit den Maßnahmen zur Bewachung der Sphinx betraut war, brachte dann durch sein bestimmtes Auftreten etwas Ruhe in diesen verstörten Kreis …

Er begann zu fragen … In diesen Fragen war System … Der Lauf der letzten Ereignisse enthüllte sich …

„Es unterliegt keinem Zweifel, daß die beiden Schwindler gute Beziehungen zum Reichsaußenministerium gehabt haben …“ meinte der Kommissar. „Wie hätten sie sonst Kenntnis von Herrn Hartwichs Depesche erhalten?!“

Gaupenberg fiel erst jetzt der Graf Arthur Montgelar ein …

Er berichtete, was seine Freunde auf der Faluhn-Klippe erlebt hatten und erwähnte auch Montgelars Kampfansage …

Einer der drei Herren der Regierungskommission rief:

„Montgelar …?! Arthur Montgelar …?! – Ich … ich muß mich leider schuldig bekennen … Montgelar ist ein Studienfreund von mir … Gestern spät abends besuchte er mich – ganz überraschend … Ich war soeben aus dem Ministerium zurückgekehrt … Ich hatte Herrn Hartwichs Depesche in der Aktentasche und auch die Ausweise für uns … Montgelar war minutenlang allein in meinem Arbeitszimmer … Nachher verabschiedete er sich hastig …“

Da – aus dem Hintergrund tiefe Kehllaute …

Murat stand dort … Sagte:

„Mann mit grauem Bart und Brille sein Mann von Faluhn-Klippe gewesen – Waren Graf Montgelar!“

Und – auch Gipsy Maad stieß jetzt hervor:

„Murat hat recht …! Der Ministerialdirektor war Montgelar … Die Stimme klang mir bekannt … Sie war so weich und sympathisch … Ohne jeden Zweifel – es war Montgelar!“

„Nun – dann war das der schlaueste und großartigste Gaunerstreich, der je gewagt wurde!“ nickte der Kommissar.

Gaupenberg saß wie gebrochenen im Klubsessel … Neben ihm Agnes, die seine Hände hielt …

Trostloses, ratloses Schweigen nun …

Jeder wußte, daß eine Verfolgung der Sphinx oder ein Suchen nach dem Luftboot gleich aussichtslos war.

Jeder in der Runde wußte es …

Dann wieder Gipsys Stimme:

„Mein Verlobter Gerd Nielsen ist an Bord der Sphinx … Er wird helfen, selbst wenn man ihn gefangen nimmt – selbst wenn man ihn zum wehrlosen Bündel zusammengeschnürt … Ich gebe noch nichts verloren … Wir können nur eins – abwarten!“

Gaupenberg nickte der jungen Amerikanerin dankbar zu …

„Ja – – Nielsen …!! Er ist unsere letzte Hoffnung …“ –

Eine Stunde später fuhren die beiden Kraftwagen wieder davon. Gaupenberg hatte mit den Herren der Regierung alles, was die Lage erforderte, genau vereinbart. Der Kommissar und die sechs Beamten sollten in Sellenheim bleiben – vorläufig … –

Wie anders sah es jetzt auf der Gaupenburg aus! Alle Freude war dahin … Mit betrübten Mienen ging man umher …

Ellen Hartwich, die ihren Georg ungewissen Gefahren an Bord der Sphinx überantwortet wußte, bewies eine seltene Seelenstärke – genau wie Gipsy Maad, die sich um Nielsen sorgte …

Gottlieb wieder hatte seinen Freund Pasqual verloren und schlich mit einem Gesicht umher, als ob er finstere Mordgedanken im Hirne wälzte …

„Diesen Montgelar hänge ich auf!“ sagte er zu Murat, als sie beide in der Küche sich nützlich machten … „Wenn Mafalda etwa Montgelar dazu bestimmt, unsere Freunde für immer verschwinden zu lassen, dann … dann …!!“

Der Homgori meinte mit ähnlichem Gesichtsausdruck:

„Mr. Knorz – erst haben, dann aufhängen …! Schwer werden, Feinde zu fangen …“

„Leider – leider!! Mit der Sphinx können sie nach Australien fliegen – zum Nordpol … Überallhin …!!“

 

20. Kapitel.

Haß und Liebe.

Die Sphinx flog in fünfhundert Meter Höhe dahin.

Nielsen und Hartwich saßen im Führerraum, während Pasqual die Motoren bediente …

Ministerialdirektor Cord und Regierungsrat Moll schritten oben an Deck hin und her. Die scharfe Zugluft störte sie nicht. Hier waren sie allein und unbelauscht.

„Es bleibt zu erwägen,“ meinte der angebliche Cord, „ob wir Lomatz und die Fürstin, die mit der Sphinx umzugehen wissen, zu unseren Verbündeten machen, oder ob wir auch sie irgendwo aussetzen … Ich halte es für richtiger, die beiden freizulassen, denn dieser schlauen Nielsen könnte allzuleicht mißtrauisch werden, wenn wir plötzlich erklären, wir müßten das Fahrtziel ändern.“

Der angebliche Regierungsrat Moll, der auf der Gaupenburg so sehr schweigsam gewesen und der das wenige, was er zu sagen gehabt, mit merkwürdig belegter Stimme vorgebracht hatte, erwiderte flüsternd – und jetzt klang seine Stimme auffallend frauenhaft:

„Sie haben bisher unverschämtes Glück gehabt, Arthur Montgelar …!“

Feindselige Gehässigkeit war in diesen Sätzen zu spüren …

Montgelar blieb stehen …

Seine Augen hingen gleichsam flehend an dem durch blonden Bart und Hornbrille tadellos maskierten Antlitz des Weibes, das er bis zum Wahnsinn begehrte …

„Else …! Else – ich erinnere Sie an Ihr Versprechen …!!“ stieß er hervor. „Jetzt ist das Azorengold Ihr Eigentum …! Ich habe es für Sie erobert – – ich …!! Und – jetzt fordere ich die Belohnung!“

Else von Parland schaute ihn kalt an …

„Noch ist der Schatz nicht mein, Arthur Montgelar … Hartwich, Nielsen und der Portugiese sind frei … Sind nach wie vor Hüter des Goldes! Tun Sie auf das letzte! Die drei müssen unsere Gefangenen werden!! Einigen Sie sich mit Lomatz und der Fürstin! Sie haben ganz recht, dieser Nielsen wird mißtrauisch werden, wenn er den Kurs ändern soll …“

Sprach’s – und war nur darauf bedacht, den Mann zu verderben, der ihr den Geliebten getötet hatte …

Arthur Montgelar biß sich auf die Lippen …

Sein Blick, der sich in ihre Augen bohrte, war voller Zweifel und Unsicherheit …

„Oh – wenn ich nur die Gedanken hinter Ihrer Stirn lesen könnte, Else …!! Wenn – – ich … den Haß beseitigen könnte, den Sie gegen mich hegen – und zu Unrecht …!“

Sie lachte schneidend auf …

„Wenn es Haß allein wäre …! Aber – es ist ebensoviel Verachtung! Ein Mann, der die Empfindungen einer Frau ihm gegenüber kennt und der diese Frau trotzdem zur Liebe zwingen will, – nein, nicht Liebe, zum Sinnenrausch nur, – der Mann … ist ein Tier!“

Montgelar stöhnte auf … Sein Kopf senkte sich …

Wie ein Gestammel kam’s über seine Lippen …

„Tier – – ein Tier?! – Else – jahrelang habe ich mich nach Ihnen gesehen … Jahrelang kein anderes Weib angerührt … Immer … immer nur auf Sie gehofft, Else …! Begreifen Sie denn nicht, daß diese Liebe mehr verdient als nur Haß und Verachtung …?!“

Sie wandte sich schroff ab …

Einen Moment hatte etwas wie Mitleid an ihr Herz gerührt …

„Erledigen Sie, was zu erledigen ist …,“ meinte sie kurz …

Und trat an die Regeln, stützte sich mit den Händen auf die oberste Eisenstange und schaute hinab in die Tiefe …

Dort unten grüne Wiesen – Täler – bewaldete Höhen … Dörfer und Städtchen – – alles gebadet im klaren Herbstsonnenschein …

Else von Parlands Gedanken waren bei dem einen, den sie geliebt hatte – bei Ortwin Montgelar …

Der ruhte jetzt auf dem Grunde des Meeres dort hoch im Norden …

Sie … wollte jetzt an Ortwin denken …

Wollte ihren Haß von neuem aufstacheln …

Nie wieder durfte es geschehen, daß sie wie soeben eine Regung des Mitleids mit dem … Mörder spürte, mit diesem Manne, der dem Geliebten so ähnlich sah – zu ähnlich …! Es gab Augenblicke, in denen Else von Parland, wenn sie mit Arthur sprach, sich der Täuschung träumerisch überließ, daß Ortwin vor ihr stände, daß Ortwin noch lebte …

Nein – nein, nur kein Mitleid!

Nur Haß – Haß und Verachtung! Und – – Rache!

Mochte Arthur jetzt die Fürstin und Lomatz als Verbündete gewinnen …

Zwei Verbrecher, die vor nichts zurückschreckten …

Und – die sollten ihre Werkzeuge werden …! Niemals sollte Arthur Montgelar die Stunde erleben, wo er ihr mit Recht sagen konnte: ‚Jetzt ist der Azorenschatz dein!!’

Niemals …!! –

Sinnend ruhten ihre Blicke auf dem fernen, tiefen Landschaftsbilde …

Der klare Septembertag mit der herbstlichen durchsichtigen Luft zeigte ihr all die Schönheiten dieses windschnelle Fluges durch den sonnendurchstrahlten Äther.

Ihre Gedanken … waren nicht mehr bei Ortwin Montgelar …

Ihre Gedanken waren bei Arthur Montgelar …

Er … liebte sie … Und – wie mußte er sie lieben …!! Was alles setzte er ihretwegen aufs Spielt!! Mit dem Golde, das er durch seine Taucher aus dem gesunkenen Kreuzer herausgeholt hatte, hätte er als reicher Mann irgendwo beschaulich leben können …! Jeden Wunsch konnte er sich erfüllen! Und – hatte doch nur eine Sehnsucht: Sie – sie, Else von Parland!

Und – weiter spann sie diese Gedanken …

Gegen ihren Willen … War Weib … Jedes Weib wird durch solche Liebe gerührt – jedes …! Und auch sie machte hier keine Ausnahme … Sie wollte hassen, vernichten, und in einem verborgenen Winkel ihres Herzens lauerte bereits das Mitleid … – –

Arthur Montgelar stand im Turme der Sphinx neben Hartwich und Nielsen … Bereitwilligst erklärten ihm diese die technischen Einzelheiten der Schaltbretter. Dann erwähnte er so nebenbei, daß er die beiden Verhafteten verhören wolle, trat in den Kabinengang und öffnete die Kammer, in der die Fürstin Sarratow auf einem Korbsessel saß …

Nachdem er die Tür hinter sich wieder zugezogen hatte, schaute er Mafalda eine Weile prüfend an …

Die Deckenlampe beleuchtete ihr leidenschaftliches, jetzt jedoch sehr bleiches und ernstes Antlitz …

Arthur Montgelar begriff, daß dieses Weib durch ihre Reize unendlich viel Unheil angerichtet hatte …

Ihre dunklen Augen hatten sekundenlang seinem Blick standgehalten. Dann senkte sie die Lider, machte mit den Schultern eine unwillige Bewegung und meinte gereizt:

„Fragen Sie nur … Ich habe nicht die Absicht, irgend etwas zu beschönigen …“

Montgelar war überrascht …

„Hoffen Sie Ihre Lage zu bessern, indem sie offen zugeben, so und so oft sich gegen die Gesetze vergangen zu haben?“ fragte er tastend …

Er hatte anderes erwartet, er hatte geglaubt, die Fürstin wurde nach Art aller Verhafteten wortreich gegen ihre Festnahme protestieren.

Noch mehr wunderte er sich jetzt über ihre Antwort.

„An meiner Lage gibt es nichts mehr zu bessern … Ich weiß, daß man mich günstigen Falles für Jahre ins Zuchthaus sperren wird … Ich will das, was ich getan, nicht noch verschlimmern … Ich … bin müde geworden …“

„Müde?!“

Sie blieb stumm …

Montgelar beugte sich zu ihr hinab …

„Fürstin Sarratow, ich bin nicht Beamter … Ich bin … etwas Ähnliches wie Sie – Abenteurer!“

Sie bog sich zurück … Starrte ihn an …

„Abenteurer, Fürstin … Ich frage Sie, ob Sie sich mit einem geringen Teil des Schatzes begnügen wollen, wenn ich Ihnen zur Freiheit verhelfe …“

Mafalda kniff die Augen leicht zusammen … Über der Nasenwurzel erschienen ein paar tiefe Falten …

Und diese Augen waren für Kleinigkeiten geschärft … Sie sah, daß dieser Mann sein wahres Gesicht unter falschem Bart und durch sonstige Hilfsmittel verborgen hatte …

„Wer – sind Sie?“ fragte sie leise …

„Namen gehören nicht hierher … – Ich brauche Sie und Lomatz … Ich will die drei Sphinxleute, die sich hier auf dem Luftboot befinden … ausschalten … Sie beide sollen die Sphinx steuern … – Bitte – entscheiden Sie sich …“

Mafalda öffnete die Augen ganz zwei …

„Ich verlange … nichts von dem Schatz – – nichts, – nur die Freiheit … Das genügt mir …“

Montgelar wurde mißtrauisch …

„Das – ist sehr sonderbar, Fürstin … Sie, die seit Monaten nur einem Ziele mit allen Mitteln zustrebt, erklären jetzt, daß …“

„Oh – die Beweggründe meines Verzichts gehen Sie nichts an … Es kann sehr wohl geschehen, daß eine Frau sich mit einem Schlage ändert … Wir Frauen sind unberechenbar, und je mehr natürliches Temperament wir haben, desto widerspruchsvoller erscheinen wir … Ich – – schwöre Ihnen, ich verlange nur die Freiheit! Für den Preis will ich Ihnen helfen, die Sphinx an den Ort zu steuern, den Sie bestimmen.“

Montgelar fühlte, das war ehrlich gemeint!

Er nickte …

„Gut, Fürstin, dann sind wir einig … – In kurzem bin ich wieder bei Ihnen … Dann – sind Sie frei.“

Mit einer weltmännischen Verbeugung verließ er die Kabine und betrat die Kammer Edgar Lomatz’ …

Hier ein anderes Bild …

Lomatz hatte kaum erfahren, daß zwei schlaue Betrüger die Sphinx entführt hatten, – wußte kaum, daß dieser Ministerialdirektor in Wahrheit seinesgleichen war, als er auch schon frech die Hälfte des Schatzes forderte …

Montgelar merkte, daß er mit diesem Lump kein leichtes Spiel haben würde und war klug genug, zum Schein auf diese Bedingung einzugehen.

Dann begab er sich wieder in den Turm …

Fragte beiläufig, ob an Bord der Sphinx nicht vielleicht ein guter Tropfen zu haben sei …

Nielsen lachte …

„Und ob!! Hartwich kann uns ein paar Flaschen Rotwein heraufholen … Auch ich habe Durst …“

So stiegen denn Georg Hartwich und der ‚Ministerialdirektor’ in die Vorratskammer hinab …

Brachten fünf Flaschen Rotwein nach der kleinen Kombüse, wo Hartwich Gläser hervorsuchte, während Montgelar zwei Flaschen entkorkte und heimlich und schnell den Inhalt eines kleinen Röhrchen in diese Flaschen entleerte …

Zehn Minuten drauf sanken im Turme Nielsen und Hartwig nach jähem Schwindelanfall bewußtlos zusammen. Die Gläser, die sie noch in der Hand hielten, zersplitterten am Boden …

Montgelar eilte in die Kabinen und nahm Mafalda und Lomatz die Fesseln ab …

Noch war Pasqual Oretto unten im Maschinenraum als letzter Gegner zu erledigen. Montgelar begab sich mit einem gefüllten Weinglas hinab. Der biedere Taucher trank ohne Arg … –

Während Lomatz die Sphinx mit kundiger Hand steuerte, trugen Mafalda und Montgelar die drei Betäubten in eine Kabine, fesselten sie hier sorgfältig, und schlossen die Tür ab. Die Mauserpistolen und Taschenmesser der drei hatte Montgelar zu sich gesteckt. –

Else von Parland saß jetzt oben an Deck auf einem Klappstuhl im Windschutz des Turmes …

Als Montgelar in der Turmluke erschien, blickte sie ihn fragend an …

Er stellte sich neben sie …

„Gelungen!“ meinte er mit einem tiefen Aufatmen … „Allerdings habe ich Lomatz die Hälfte des Goldes zugesagt … Ich bin an dieses Versprechen in keiner Weise gebunden … Ich werde Lomatz zur rechten Zeit ebenfalls auszuschalten wissen … Und deshalb, Else – jetzt sind Sie Herrin der Milliarden – Sie allein!! Jetzt – – gehört Ihnen auch die Sphinx …!! Bestimmen Sie, was weiter geschehen soll …!“

Seine Stimme vibrierte …

Er vermochte die freudige Erregung kaum zu verbergen …

Else von Parland entfernte mit ein paar raschen Griffen Perücke, Bart, Brille …

Ihr reiches aschblondes Haar floß in freien Wellen um ihre Schultern …

Die Zugluft spielte mit dieser Haarfülle … trieb sie wie eine Fahne zur Seite …

Das junge Weib erhob sich …

„Arthur Montgelar, sind Sie wirklich so selbstlos, für sich nichts von dem Golde beanspruchen zu wollen?“ meinte sie langsam – mit besonderer Betonung …

„Nichts! Nur … Sie, Else, – nur Sie begehre und liebe ich …! Alle Schätze der Welt würde ich hingeben, wenn ich aus Ihrer Seele diesen Haß tilgen könnte, – einen Haß, der grundlos ist …! – Else, soll ich Ihnen denn stets von neuem wiederholen, daß Ortwin, mein Bruder, mich genau so samt meinen Leuten vernichtet hätte, wie ich jetzt mit ihm getan?! Waren Sie nicht an Bord seines U-Bootes, haben Sie nicht miterlebt, daß er mir nachstellte, als wäre ich ein wildes Tier?! War’s nicht ein gegenseitiger Vernichtungskrieg, hat nicht Ortwin mich nur deshalb auslöschen wollen, weil … ich Sie liebte, Else …?! – Sein Sie doch gerecht …!“

Wie ein flehender Schrei waren diese letzten Worte.

Und auch Montgelars Augen flehten … Jetzt war er nicht der begehrliche Liebhaber, der um jeden Preis die Frau seiner Liebe in die Arme pressen wollte …

Else von Parland errötete plötzlich …

Diese Augen – – das waren Ortwins Augen …

Und – rasch wandte sie den Kopf …

Zwang sich zu eisiger Ablehnung …

„Die Sphinx …“ – sie zögerte – „die Sphinx soll umkehren …“

Und hastiger – überstürzt:

„Die Sphinx … soll in großer Höhe die Nacht abwarten, soll über der Gaupenburg kreuzen … Wenn es dunkel geworden ist, werde ich Ihnen dann das eigentliche Ziel der Fahrt angeben, Arthur Montgelar – erst dann!“

Montgelars Gesicht zeigte Unruhe und Bestürzung.

„Umkehren?!“ meinte er zaghaft … „Das … das kann ich Lomatz und der Fürstin nicht zumuten … Sie werden sich sträuben … Sie werden …“

Else von Parland lachte …

„Und – Sie nennen mich Herrin des Schatzes und der Sphinx …?! Nach einem so jämmerlichen Wicht, wie Lomatz es ist, soll ich mich richten?! Und – dem haben Sie die Hälfte meiner Milliarden zugesagt?! – Überlegen Sie sich das alles einmal, Arthur Montgelar …!! – Nein – vielleicht hätten Sie die Bedingungen erfüllt, wenn diese beiden Verbrecher wieder von Bord sind – vielleicht dann!! Und nun sorgen Sie dafür, daß Sie nicht länger Zielscheibe meine Spottes sein müssen, Arthur Montgelar!!“

Sie … stieg in den Turm hinab …

Blieb hier einige Sekunden stehen … musterte Lomatz und Mafalda – etwa wie eine große Dame zwei exotische Tiere betrachtet …

Nicht ein Wort hatte sie für die beiden …

Und ihre reife, vornehmen Schönheit war für den Mann, dessen Namen sie einst getragen, dessen eheliches Weib sie gewesen, wie ein pfeifender Peitschenhieb …

Lomatz prallte zurück …

Keine Ahnung hatte er davon gehabt, daß seine geschiedene Gattin den Herrn Regierungsrat gespielt hatte …

„Else – – du?! Du?!“

Und seine Gestalt kroch vor Verlegenheit förmlich in sich zusammen …

Sie lächelte kaum merklich, lächelte unendlich verächtlich …

Dann schritt sie weiter, betrat eine der Kabinen, wo sie ihre Reisetasche abgelegt hatte …

Vor dem Spiegel säuberte sie ihr Gesicht von den Spuren des Klebstoffes und des falschen Bartes … benutzte wohlriechende Puder, ward wieder Weib – Dame …

Wer sie sah, begrifft, daß die Brüder Montgelar dieser Frau wegen zu Todfeinden geworden …

Ihr aschblondes Haar hatte sie unter der weichen Reisemütze geordnet, hatte eine Stirnlocke etwas kokett hervorgezupft …

Weib war sie … in allem …

Und schaute nun ihr Spiegelbild an, die taufrischen Lippen, die tiefen, dunklen Augen mit dem etwas melancholischen Blick …

Und dachte an … Arthur Montgelar … Nicht mehr an Ortwin … Dachte daran, daß Arthur nichts – nichts von den Milliarden begehrte … Daß seine Liebe den Goldrausch besiegt hatte, daß aber der andere, dessen Geliebte sie gewesen, doch noch eine Gottheit neben ihr gehabt, daß Ortwin mit zäher Energie den alten Flibustierschatz besucht hatte, daß es Stunden gegeben, wo diese verheißungsvolle Beute der großen Piratengemeinschaft sein ganzes Sinnen und Trachten gewesen – und sie selbst nur vielleicht Spielzeug für Stunden der Lust …

Unzufrieden war sie mit sich … Mehr als das …! Zwiespältige Empfindungen rührten ihre Seele auf … Haß und Verachtung waren zusammengeschrumpft … Strenge Richterin war sie über ihr Tun… Hatte sie nicht Arthur geholfen, den Azorenschatz zu entführen?! Hatte sie nicht nach kurzem Sträuben die Maskerade mitgemacht und den Regierungsrat Moll gespielt?! Hatte sie sich nicht schon da selbst belogen, als sie sich einredete, daß die Sphinxleute in der Gaupenburg den Betrug merken würden?! Und – war sie nicht doch mit allen Mitteln weiblicher Verstellungskunst bestrebt gewesen, dieses Abenteuer zum erfolgreichen Ende zu bringen?!

Mit schwerer müder Bewegung sank sie in einen der kleinen Rohrsessel …

Müde – gleichgültig … Zerfallen mit sich selbst.

Mochte geschehen, was da wollte … Sie würde keine Hand mehr rühren … Sie würde die Dinge ihren Gang gehen lassen …

Und oben an Deck Arthur Montgelar …

Allein … einsam … Allein hier gegenüber … fünf Feinden … Drei, die gefesselt, betäubt, eingeschlossen waren … Trotzdem Feinde … Und zwei, die seit Monaten ihren Weg durch Gefahren und Verderben gewählt, zwei Verbündete, zusammengekettet durch Verbrechen und brutale Raubgier …

Er – allein gegen fünf … Else nur unbeteiligte Zuschauerin – wie an Rande einer Arena, Gladiatorenspielen zuschauend, den Tod des einen Kämpfers ersehnend – seinen Tod …!

Er lehnte am Mittelturm, die Arme über der Brust verschränkt … Ihm erging es nicht anders als Else von Parland …

Müde war er, müde dieses Ringens um Liebe … Ein blinder Tor, der ein Weib in seine Arme zwingen wollte – – zwingen …!

Und doch, – – seine Gestalt strafte sich … Er hatte Else versprochen, daß sie unbeschränkte Herrin des Azorenschatzes werden sollte … Er war nicht der Mann, sein Wort zu brechen … Was später geschah – ihn durfte es jetzt nicht beeinflussen … –

Mit energischen Bewegungen stieg er in den Turm hinab …

Hier hatte inzwischen Mafalda mit ironischer Neugier Lomatz ausgeforscht, wer diese Frau gewesen, vor der seine freche Selbstbeherrschung so kläglich Schiffbruch gelitten.

Lomatz, voller Wut auf sich selbst, daß dieses Weibes Anblick ihn dergestalt außer Fassung gebracht hatte, war gehässig aufgefahren …

„Nichts geht’s dich an, Mafalda … Übrigens – es ist ja so gleichgültig – die Frau war einst meine Gattin … Eine verarmte Adlige, eine Waise …“

„Sie scheint dich ja in sehr gutem Andenken behalten zu haben, mein lieber Edgar …! Weiß Gott, sie ist schön … Vielleicht erst schön geworden, nachdem sie deinem Einfluß entronnen …“

Er warf ihr einen häßlichen feindseligen Blick zu …

„Laß das …! Ich denke, wir haben anderes zu erörtern …“

Seine Augen glitten mißtrauisch umher. Seine Stimme sank zum Flüstern herab …

„Mafalda, wir haben Glück gehabt … Mehr als das! Mafalda, mit diesen beiden werden wir schnell fertig werden … Ich kann mich doch auf dich verlassen …?“

Sie nickte nur … Schaute zu Booten …

Da erschien Montgelar auf der Turmtreppe …

Blieb vor den beiden stehen …

„Ich möchte Sie bitten,“ wandte er sich höflich an Lomatz, „die Sphinx noch höher steigen zu lassen … Wir dürfen nicht vergessen, daß Gaupenberg jetzt Mittel zur Verfügung hat, uns zu verfolgen … Eine Depesche an die Regierung nach Berlin, und man wird alle deutschen Verkehrsflugzeuge mobil machen … Man wird schon jetzt wahrscheinlich einen Ring von fliegenden Spähern um die Gaupenburg gezogen haben … Wir sind schon anderthalb Stunden unterwegs … Doch wir müssen uns unsichtbar machen … Und am sichersten sind wir meines Erachtens dort, wo man uns am wenigsten vermuten wird … hoch über dem Gelände der Gaupenburg …“

Seine Worte waren klug gewählt. Lomatz sah ein, daß diese Befürchtungen ihre Berechtigung hatten … Die deutschen Flugplätze besaßen genügend Fahrzeuge, den Äther weithin abzusuchen …

Lomatz meinte kühl:

„Gut – diese Gefahr besteht vielleicht … Wir wollen nichts versäumen … In viertausend Meter Höhe sind wir unsichtbar …“

Und – die Sphinx schwenkte herum …

Stieg empor … immer höher … in die Region der dünnen Luftschichten, der Kälte …

Eisiger Luftstrom drang sehr bald durch die offene Turmluke herein …

Der Höhenmesser zeigte dreitausendfünfhundert Meter …

Lomatz fühlte in der dünnen Luft sein Herz stärker pochen … In seinen Ohren rauschte das Blut …

„Genug!“ meinte er … „Dreitausendfünfhundert – es mag genügen …“

Arthur Montgelar beobachtete genau, wie Lomatz an den Schaltbrettern hantierte …

„Geh in den Maschinenraum hinab,“ rief Lomatz der Fürstin zu … „Du weißt Bescheid … Achte auf die Ölspeisung, damit die Motoren sich nicht heiß laufen … Sieh nach der Spritzkühlung …“

„Ich begleite Sie, Fürstin …,“ meinte Montgelar verbindlich … „mit Motoren weiß ich Bescheid … Für zarte Damenhände ist das keine Arbeit …“ –

Lomatz war allein …

Nahm aus der Brusttasche das Zigarettenetui – dasselbe, das er Gaupenberg dargeboten hatte …

Zählte die präparierten Zigaretten …

Noch fünf … – Es reichte für seine Plan … Drei hätten gereicht …

Nickte und steckte das Etui wieder ein …

Die Sphinx flog gen Süden … Hoch über den lichten Wolken des klaren Herbsttages … Flog denselben Weg zurück …

Lomatz hatte das Sehrohr herausgeschraubt …

Hin und wieder warf er einen Blick auf den Spiegel, prüfte er den Kompaß …

Seine Gedanken spannen die Einzelheiten seines Planes weiter aus …

Wenn es dunkel geworden, würde er die Zigaretten freundlich verteilen … Andere waren nicht an Bord … Und wenn die drei Menschen, die ihm unbequem, gleich den Sphinxleuten abgetan waren, würde er die Sphinx auf der großen Moorinsel für kurze Zeit landen lassen, würde sechs Menschen … ausbooten und wieder aufsteigen … Allein – allein … Dann mochten die sechs, wenn sie erwachten, sich gegenseitig mit Beweisen des Hasses und der Feindschaft bedenken … Oh – das würde sehr amüsant werden …

Er lächelte – sein abscheulichstes Lächeln …

Und dann würde er den Azorenschatz verbergen – eer allein … Vielleicht irgendwo im Gebirge südlich von Sellenheim … In den endlosen Bergwäldern, wo die Felsmassen lange Trümmerhalden bildeten und Verstecke boten, die keines Menschen Fuß erreichen konnte …

Diesmal wollte er nichts übereilen … Nichts …

Und diesmal hütete er sich, vorzeitig zu triumphieren. –

Unten im kleinen Maschinenraum stampften die Motoren …

Auf schmaler Holzbank saß Mafalda, schaute dem Manne zu, dessen Namen sie noch immer nicht kannte.

Nur eins wußte sie. Das war kein Verbrecher etwa vom Schlage eines Edgar Lomatz!

Das war ein Mann – von anderer Art … Als Mann ihr gleichgültig … Als derzeitiger Verbündeter wichtig …

Sie versuchte ihn auszuhorchen …

Montgelar blieb höflich und wich ihren Fragen aus …

„Wir werden uns sehr bald wieder trennen, Fürstin,“ meinte er … „Werden uns dann wohl nie wieder begegnen … Ich könnte Ihnen einen falschen Namen angegeben … Fragen Sie nicht … Sagen Sie mir lieber, ob es von Ihnen aufrichtig war, als Sie mir erklärten, daß Sie für den Azorenschatz kein Interesse mehr hätten …“

„Oh – ein Interesse daran habe ich schon …“ Und sie lächelte ein unergründliches Sphinxlächeln … Sie brauchte nicht zu fürchten, daß er ihre geheimsten Gedanken erraten würde …

Montgelar schaute sie scharf an … Die Lampen hier im Maschinenraum waren verstaubt … Die Beleuchtung dürftig …

„Ein Interesse, Fürstin?! Und vorhin …“

„… sprach ich die Wahrheit … Nicht einen einzigen Goldbarren, nicht einen einzigen Edelstein aus König Mataguma Schatz verlange ich …“

„Verzeihen Sie, Fürstin … Das ist ein Widerspruch.“

„Scheinbar, mein Herr … Fragen Sie nicht …! Ich wiederhole Ihre eigenen Worte …“

Montgelar schüttelte den Kopf …

„Frauen sind Rätsel … Schöne Frauen gefährliche Rätsel …“

„Sie irren, mein Herr … Ich war gefährlich … Ich habe jetzt nur einen einzigen Wunsch … – Sie würden mich noch weniger begreifen als jetzt, wenn ich Ihnen diesen Wunsch nennen würde … Doch – sprechen wir von anderen Dingen … Vielleicht von … Edgar Lomatz … Ich … möchte Sie vor ihm warnen.“

„Warnen?! Sie?! Vor Ihrem Freunde?!“

„Freund?!“ Mafalda machte eine unendlich verächtliche Handbewegung … „Leider darf ich mich durch diese Ihre Bemerkung nicht einmal beleidigt fühlen … Ich bin um nichts besser als Lomatz – – leider! Aber – ich möchte …“

Sie schwieg … Fuhr in verändertem Tone fort:

„Nein – ich kenne Sie zu wenig … Einem Fremden gewähre ich keinen Einblick in mein Inneres. Jedenfalls, ich warne Sie! Wir müssen vor Lomatz auf der Hut sein … Ich habe ihm nie getraut … Er wird bestimmt versuchen, uns zu … betrügen, zu verraten … Nun, ich kenne seine Arbeitsmethoden … Ich werde die Augen offen halten … – – Was soll nach Dunkelwerden geschehen?“ änderte sie unvermittelt das Thema.

„Das … das möchte ich erst noch mit Else von Parland beraten, Fürstin …“

„Sie … ist Ihre Geliebte?“

Montgelar biß sich auf die Lippen … Das Blut schoß ihm ins Gesicht …

„Nein, die … Dame ist nicht meine Geliebte …!“

„Verzeihen Sie … – Und – was verbindet Sie beide? Nur … die … Goldgier?!“

Mafalda beobachtete ihn …

Dieser Mann begann sie zu interessieren … Sie ahnte da dunkle Zusammenhänge besonderer Art …

„Fragen Sie nicht!“ War seine widerstrebende Antwort … „Jedenfalls – die Goldgier ist es nicht …! Das mag Ihnen genügen, Fürstin …“

Mafalda sah genau, daß ein schmerzliches Zucken um seine Mundwinkel glitt …

Sie erhob sich …

„Sie … lieben Else von Parland,“ sagte sie leise und legte ihm vertraulich die Hand auf den Arm … „Seien Sie ehrlich … Vielleicht kann ich Ihnen helfen.“

Sie atmete tief – es klang wie ein weher Seufzer.

„Denn – auch ich habe mein Herz verloren,“ fügte sie schlicht hinzu. „Auch ich weiß jetzt, daß das Gold … ein Fluch ist – verflucht – das Unheil der Menschheit, das Gift der Seelen …“

Arthur Montgelar blickte sie ernst und traurig an.

„Helfen, Fürstin?! – Mir kann niemand helfen … Mich würde auch niemand verstehen …“

Mafalda nahm seine Hand …

„Nicht verstehen?! Oh – ein Weib, das liebt und … bereut und einem verlorenen Frieden nachtrauert, versteht alles … – Was … verbindet Sie mit Else von Parland?“

Und er – getrieben von dem Wunsche, sich einmal die Seele erleichtern zu können:

„Haß und Liebe, Fürstin …!“

Mafalda horchte auf …

„Else von Parland haßt Sie?!“

„Ja …! – Mehr noch – sie möchte mich … verderben …!“

„Das … ist mir unverständlich … Hassen, – und sie half Ihnen, auf der Gaupenburg …“

„… half mir, weil sie einen anderen Ausgang erwartete …“

Er entzog ihr seine Hand …

„Wollen wir dies alles bitte ruhen lassen, Fürstin … Wir sind uns doch zu fremd …“

„Nein, nein, – ich glaube, Sie sind doch ein schlechter Beurteiler der Frauenseele …, Soll ich einmal mit Else von Parland …“

„Nur das nicht!“ fiel er ihr ins Wort … „Nur das nicht …! Ich merke, ich habe schon zu viel gesagt … Gehen Sie, Fürstin … Lassen Sie mich hier allein … Nur eins noch, was Sie betrifft… Ich habe mir von Ihnen ein ganz falsches Bild gemacht … So, wie ich Sie hier beurteilen gelernt habe, können sie allerdings mit diesem Lomatz nichts gemein haben …“

Und die Fürsten Sarratow – sinnend, schmerzlich:

„Ja – vielleicht nichts mehr gemein haben – jetzt nicht mehr …“

Und – sie dachte an Werner von Gußlar …

Stieg langsam die schmale Eisentreppe hinan …

Oben im Kabinengang zögerte sie …

Dann betrat sie Else von Parlands Kabine …