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Band 5, Kapitel 21–30

21. Kapitel.

Gußlars Dublonenschatz.

Der sehr ehrenwerte Herr Benjamin Jekowzer wurde grüngelb im Gesicht vor maßloser Wut, und schleuderte verächtlich die Hand voll Golddublonen in den offenen Koffer zurück …

Gußlar, der ihm gegenüber in dem kleinen Privatkontor am Tische saß, hatte einen merkwürdig leeren Ausdruck im Gesicht …

Um die schmale Nase zeichneten sich zwei weiße Flecke höchster Erregung auf den Wangen ab …

Er starrte den Hehler ungläubig an und sagte dann stockend mit schwerer Zunge:

„Das – das ist … doch unmöglich … Die … Münzen haben doch den Klang reinen Goldes …“

Der Uhrmacher lachte schrill …

„Messing …!! Goldgehalt gleich Null, Baron … Werde es Ihnen beweisen …“

Er griff nach Prüfstein und Säure …

„Bitte – hier ist die Säure für dreihundertdreißig Karat …“

Er nahm eine der Dublonen aus dem Koffer und rieb den Rand kräftig auf dem Stein, tat dann mit dem Glasstäbchen Säure über die Stelle …

„Da – verschwunden …!! Nichts bleibt …! Nichts …! Ihre Dublonen sind eben Münzen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Baron, und damals war das Geld und das Gold in Europa noch knapper als heute … Damals wurden die Münzen derart verfälscht, daß ihr ganzer Schatz vielleicht hunderttausend Mark wert ist … Vielleicht!“

Seine Fäuste ballten sich – fielen schmetternd auf die Tischplatte …

Seine Stimme kreischte …

„Und ich – ich Narr habe mich durch die Fürstin bestimmen lassen, an diesem unsicheren Geschäft nicht zu beteiligen …!! Fast eine Million habe ich dabei eingebüßt – eine Million …!! Meine ganzen Ersparnisse habe ich diesem Phantom, dem Azorenschatz, geopfert …!! Und Sie, Baron, – Sie bringen mir anstelle des Barrengoldes einen Koffer voll … Dreck mit zurück …!!“

Er sprang auf …

Schüttelte die Fäuste in der Luft …

Gußlar war noch bleicher geworden …

All seine Träume einer friedlichen Zukunft waren dahin … Die Heimat – alles hatte er wieder verloren …

Ungeheure Bitterkeit erfüllte ihn …

Das Schicksal hatte ein grausames Spiel mit ihnen getrieben … Ehrlich gefunden hatte er den herrenlosen Dublonenschatz … Ehrlich wollte er seine fernere Zukunft aufbauen …

Alles – alles vorbei …

Noch trüber war nun die Zukunft als je zuvor …

Und mit glasigen Augen den Hehler anstarrend, sagte er mit erlöschender Stimme:

„Auch ich habe meine Ersparnisse eingebüßt, Jekowzer … Auch ich …!! Und jetzt …“

„… jetzt werden Sie … den Kampf von neuem aufnehmen, Baron … Sie müssen es …! Sie haben freiwillig die Moorinsel verlassen … Sie werden zurückkehren … Sie müssen es … Denn – Sie haben mich geschädigt, Sie allein …! Wenn Sie sich nicht darauf verlassen hätten, daß dieses Messing da Gold ist, dann … dann ständen die Dinge jetzt anders …!“

Er spuckte Gußlar die Worte beinahe ins Gesicht.

Schaum stand ihm in den Mundwinkeln … Seine Lippen zitterten …

Den Baron Gußlar packte ein namenloser Ekel …

Schwerfällig erwiderte er – ohne recht zu wissen, was er sprach … Sein Hirn war leer …

„Ich … werde … Ihnen … den Verlust ersetzen, Jekowzer … Ich … kehre zurück … Noch heute … Ich habe den Doppeldecker im Walde … gut versteckt.“

Benjamin Jekowzer kreischte wieder:

„Es wäre auch noch schöner, wenn Sie etwa aus so täppischen idealen Grundsätzen auf den Azorenschatz verzichten wollten …! Mit Idealen bleibt man ein armer Schlucker …! Merken Sie sich das …!“

Gußlar hatte sich erhoben …

Müde, wie gebrochen …

Einen letzten Blick warf er auf den offenen Koffer – auf den Berg von Dublonen …

Dort lagen seine zerschellten Hoffnungen …

Messing … Messing – –

Er nickte dem Hehler zu …

„Auf Wiedersehen …“

Und – nach einer Pause bitter:

„Jetzt – jetzt bin ich da wieder angelangt, wo ich vor Jahren mich schon befand, – – arm, verbittert … Hoffnungslos …!“

Und er schritt hinaus, den Kopf gesenkt … – Durchschritt den Laden und trat auf die Straße hinaus …

Es regnete …

Gußlar merkte es kaum …

Sein Blick traf eine Normaluhr …

Zehn … zehn Uhr vormittags …

Diese Stunde – ein neuer Wendepunkt seines Lebens. Abermals zurück auf die Bahn des Verbrechens …

Oh – wie würde Mafalda sich freuen …

Mafalda …!! Ja – wenn’s ihr nur im Heißen Moor geglückt wäre, die Dublonen vom Floß in die grundlose Tiefe zu schleudern …

Wenn’s ihr geglückt wäre, – – dann würde er sie nicht verlassen haben …

Und so ging er denn dahin, eingehüllt in dunkle Gedanken.

Wieder ein Verlorener …

Benjamin Jekowzer aber stand über den Dublonenschatz gebeugt und wühlte mit den Händen im … Golde …

Ein höhnisches Grinsen umzuckte seinen brutalen Mund …

Dieser Narr … dieser Narr von Baron!! Wie leicht der sich hatte täuschen lassen …

Millionen lagen hier …

Millionen …!!

Reines Dukatengold war’s …

Der Narr … Der Narr!!

Oh – mochte er nur noch mehr heranschleppen – alles, alles, die Milliarden … Dies hier – ein Nichts im Vergleich zu dem Azorenschatz …!!

Dicke Schweißperlen standen dem Hehler auf der Stirn …

Sein fahles Gesicht war ekle Fratze der Habgier …

Sein Grinsen Verruchtheit … Seine Augen bodenlose Abgründe gemeinster Gesinnung …

„Narr!!“ rief er nochmals …

Dann schloß er den modernen Tresor in der Ecke auf und tat die Dublonen in Leinenbeutel gefüllt hinein …

Seine Hände zitterten bei dieser Arbeit … Seine Zunge leckte immer wieder die trockenen Lippen …

Die Tür des Panzerspindes fiel zu …

Benjamin Jekowzer stellte den leeren Koffer in einer Ecke … Es war ein alter schäbiger Lederkoffer … Das Futter innen zerrissen …

Und hinter diesem Leinenfutter steckte eine einzelne Goldmünze … Eine einzige Dublone …

Unbeachtet …

Nur eine einzige … –

Jekowzer saß vorn im Laden über seinen Arbeitstisch gebeugt, die schwarze kleine Lupe in das rechte Auge geklemmt …

Die Ladentür ging auf … Die Glocke schrillte …

Es war Gußlar …

Der Hehler schnellte von seinem Sitz empor …

Angst packte ihn …

Seine scheuen Augen musterten Gußlars Gesicht …

„Ich wollte nur den Koffer mitnehmen,“ sagte der Kurländer müde und stumpf … „Ich will nicht Geld für einen anderen ausgeben … Ich muß einiges für die neue Fahrt einpacken … – Haben Sie … das elende Zeug schon anderswo verstaut, Jekowzer …?“

Der atmete auf …

„Gewiß, gewiß …“

Und er lief in das Privatkontor, holte den Koffer, war froh, daß er dem Baron aus den Augen kam.

Langsam kehrte er in den Laden zurück… Er hatte sich inzwischen wieder leidlich gefaßt …

Und doch war Gußlar stutzig geworden …

Ein Mann wie er, der jahrelang hier in Berlin drei verschiedene Rollen gespielt hatte, der in Wahrheit Gentlemangauner gewesen, der nur den Reichen genommen, der nie einen Armen geschädigt hatte, – ein solcher Mann mußte jede Kleinigkeit beachten, mußte dauernd auf der Hut sein …

Jekowzers Erschrecken bei seinem Eintritt war ihm nicht entgangen … Und doch deutet er es sich anders, glaubte, daß der Hehler vielleicht gefürchtet hätte, er könnte anderen Sinnes geworden sein, könnte jeden weiteren Versuch, den Azorenschatz sich anzueignen, ablehnen wollen …

Jekowzer reicht ihm den Koffer …

„Baron, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen,“ meinte er überhöflich. „Ich war vorhin etwas grob … Wir kennen uns jetzt so lange, daß …“

„Lassen Sie nur …!“ unterbrach Gußlar ihn … „Ich habe kein Recht mehr, empfindlich zu sein …“

Und er gab dem Uhrmacher die Hand …

„Wiedersehen, Jekowzer …“

Fühlte, wie eiskalt des Hehlers Finger waren …

Schaute ihn nochmals prüfend an …

Da schlug Jekowzer den Blick zu Boden …

„Viel Glück, Baron …“

Gußlar schritt davon, winkte auf der Straße einem Auto und ließ sich nach der Friedrichstraße fahren …

Hier stieg er die fünf Treppen in einem der älteren schmalen Geschäftshäuser bis zur Mansarde hinan … Hier hauste er in der Maske des buckligen Graveurs Geller …

Zwei kleine, dürftig eingerichtete Zimmer waren’s, – mit der Aussicht auf die Dächer …

Gußlar öffnete einen Schrank, entnahm einem Geheimfach, das er selbst angelegt hatte, Perücken, Bärte, Schminken, Fläschchen und Tuben …

Er hatte im Heißen Moor seine Maske als Geller zurückgelassen … Er wollte dorthin als Geller zurückkehren … Sein Gesicht als Werner von Gußlar sollte nicht durch diesen neuen Angriff auf die Milliarden entehrt werden.

Vor dem Stehspiegel in der Schlafstube veränderte er nun sein Äußeres …

Dachte an mancherlei … Seine Verzweiflung war geschwunden … Das, was er vorhatte, bedurfte die Zusammenfassen aller Kräfte … Mit Mutlosigkeit im Herzen war das Spiel von vornherein verloren.

Nun packte er allerlei in den Koffer, was er hier in diesen Räumen, die er vielleicht nie mehr betreten würde, nicht zurücklassen wollte … –

Ein Zufall …

Einer jener Zufälle, die in ihren Wirkungen unberechenbar sind …

Gußlars Hand fuhr in den Riß des Futters hinein.

Seine Fingerspitzen berührten etwas Kühles, Hartes.

So … brachte er die eine Dublone zum Vorschein.

Und – schleuderte sie wütend in den Papierkorb …

Die Münze fiel durch das Geflecht auf den Fußboden …

Und – ein reiner heller Ton durchzitterte das Stückchen – – ein Ton lauteren Goldes …

Gußlar horchte …

Der Ton klang in seinen Ohren nach … war wie ein warnendes ehrliches Flüstern …

Gußlar ging und hob die Dublone empor … Trat ans Fenster … Warf sie auf das Fensterbrett, prüfte erneut den Klang …

Ein ungewisser Argwohn kam ihm …

Doch nein, er hatte ja mit eigenen Augen gesehen, daß der Prüfstein und die Säure nichts von dem scheinbaren Edelmetall bestehen ließen …

So schob er die Dublone denn in die Westentasche.

„Immerhin ein Andenken …,“ murmelte er … –

Der Graveur Geller begegnete auf der Treppe der Portierfrau …

„Sie verreisen wohl wieder, Herr Geller?“ meinte die dicke Hausbesorgerin …

„Ja – haber auswärts Arbeit … Zum Glück … Die Zeiten sind schlecht … Übrigens könnten Sie meine Schlüssel an sich nehmen … Vielleicht muß ich mir etwas nachschicken lassen …“ –

So brach Gußlar denn auch diese Brücke hinter sich ab …

Er wollte, wenn sein Vorhaben geglückt, Berlin nur mehr für Stunden besuchen …

Sein Plan stand fest … Niemals würde er den Grafen Gaupenberg um den ganzen Schatz bestehlen … Nur soviel würde er mit sich nehmen, als er brauchte, um Jekowzer mit Zinsen zu entschädigen …

Er empfand größte Hochachtung vor Gaupenberg und dessen Selbstlosigkeit. Diese Milliarden rauben – das wäre ein Verbrechen am deutschen Volke gewesen! Derlei tat ein Baron Gußlar nicht … –

Anderthalb Stunden später wanderte er von dem idyllischen Dorfe Kaputh nach Westen zu in die Wälder.

Seinen Koffer hatte er in einen Rucksack gelegt und ein Stück Leinwand darüber gebreitet. In seiner bescheidenen Kleidung sah er wie ein ländlicher Hausierer aus.

Vor sechs Stunden war er hier auf einer Lichtung im Morgengrauen gelandet … Er wußte, daß im Doppeldecker noch genügend Benzin vorhanden … Ohne Mühe fand er die Lichtung …

Das Flugzeug stand einsam unter den Bäumen. Der Regen hatte aufgehört. – Gußlar überlegte, ob er sofort wieder aufsteigen solle … Er fürchtete, daß vielleicht ein Zufall einen Förster herbeiführen könnte … Und das würde dann fraglos unangenehme Erörterungen geben …

So trug er denn den Körper in die Gondel und drehte den Doppeldecker mühsam mit dem Propeller nach dem längsten Teil der Lichtung hin.

Der Aufstieg gelang … Das Fahrgestell streifte zwar die Baumkronen, verfing sich jedoch nicht in den Ästen, und das Flugzeug gewann schnell größere Höhen … –

Gußlar saß auf dem Führersitz hinter den dicken blanken Fenstern und ließ die eintönige Musik des Motors und des Propellers seine Nerven immer mehr beruhigen …

Allmählich überkam ihn auf die Freude an diesem stolzen Dahingleiten hoch über den Wolken … Allmählich fand er sich selbst wieder … Was half es auch, den zertrümmerten Hoffnungen nachzutrauern …

An Mafalda dachte er …

Seltsam, ein gelindes Sehnen erwärmte sein Herz! Sehnsucht nach dieser Abenteurerin, die … ihn liebte, der er mehr geworden als nur Liebhaber für flüchtige Stunden …

Das Gefühl, daß es nun doch wieder auf Erden einen Menschen gab, der seinem Herzen näherstand, war wie ein Trost für ihn … –

In der Ferne bemerkte er ein Verkehrsflugzeug, das ihm entgegenkam …

Rasch schraubte er sich höher …

Und je mehr er südwärts gelangte, desto klarer wurde der Himmel …

Die großartige Einsamkeit hier in zweitausend Meter Höhe wirkte auf ihn wie eine erhabene Andacht, die er mit seinem Gott und sich selbst abhielt …

Werner von Gußlar glaubte an einen Gott … Nicht an den Gott, den anmaßende Mönchshirne in Jahrhunderten herausgeklügelt hatten, nicht an den ‚gütigen Schöpfer’, der andererseits so blutdürstig war, einen Wahnwitz wie den Weltkrieg zuzulassen …

Sein Gott war derselbe, an den der Einsiedler von Sellenheim, Doktor Falz, glaubte … War der Gott aller Klugen, Denkenden und Ehrlichen …

Und mit diesem Gott setzte Gußlar sich in stummem Zwiegespräch hier in den lichten Höhen über seine Rückkehr auf den Dornenpfad des Verbrechens auseinander …

Das gab ihm auch die innere Ruhe wieder … Das gab auch seinem Plane neue Richtlinien … Er fand einen Weg, der zwischen Gut und Böse dahinführte … Er vertraute der edelmännischen Nachsicht des Grafen Gaupenberg …

Frei und leicht war ihm zumute …

Seine Blicke glitten dankbar in die endlosen Fernen des Himmelszeltes …

Und – diese Blicke wurden starrer … Die Augen Gußlars kniffen sich zusammen …

Dann langte er rasch nach dem Fernglas, das neben dem Pilotensitz hing …

Stellte es ein …

Stutzte von neuem …

Dort schräg unter ihm, bisher nur ein graues Pünktchen, jetzt durch die Linsen deutlich zu erkennen, – ein kleines Luftschiff …

Es konnte nur die Sphinx ein …

Langsamen Fluges zog sie dahin – gen Süden …

Gußlar überlegte …

Die Sphinx hatte doch im Bootsschuppen am Bergsee gelegen … Und nun – hier in über dreitausend Meter Höhe mit südlichen Kurs?! Wie nur war das möglich?! Sollten etwa die Sphinxleute aus irgend einer Veranlassung aufgestiegen sein?!

Er mußte sich Gewißheit verschaffen … Gefahr war ja kaum dabei … Man würde seinen Doppeldecker für ein harmloses Verkehrsflugzeug halten … ihn unbehelligt lassen …

Und – abermals schraubte er sich höher …

Kam der Sphinx näher und näher … Merkwürdig – das Luftboot schnellte urplötzlich mit Hilfe seiner besonderen Auftriebskraft senkrecht empor … Wie ein Pfeil – so, als ob es eine Begegnung mit dem zweiflügligen Riesenflugzeug vermeiden wollte …

Gußlar … folgte …

Diese Jagd erregte seine sportliche Leidenschaft … Außerdem aber hatte er auch Argwohn geschöpft … Wenn die Sphinxleute sich in dem Luftboot befanden, – weshalb dann diese Flucht?!

Höher – immer höher ging’s empor …

Gußlar fühlte die Eiseskälte dieser Höhen durch die Wände der Gondel hindurch … Spürte auch andere Wirkungen … Ohrensausen setzte ein, schweres Herzklopfen …

Und – noch seltsamer …

Dort schräg über ihm hing jetzt die Sphinx mit ruhenden Propellern im Äther … Ließ sich von einer leichten Luftströmung nach Norden zurücktreiben …

Der Doppeldecker war jetzt bald mit ihr in einer Höhe … Umkreiste sie …

Auf der Sphinx keine lebende Seele … Aber das Sehrohr war herausgeschraubt …

Enger und enger wurden die Kreise des großen Vogels …

Gußlar konnte das Verdeck überschauen …

Und – jetzt – jetzt gewahrte er doch etwas …

Da lag an der Reling ein Weib. Halb auf der Seite …

Ein Weib …

Seine … Geliebte: Mafalda – – die Fürstin Sarratow.!!

Regungslos … In einer unnatürlichen Stellung. So, als ob sie bewußtlos umgesunken …

Gußlar starrte hin …

Vergaß für Sekunden, daß er sich hier in über viertausend Meter Höhe befand …

Daß ein einziger Ramstoß der Sphinx genügen würde, seinen Doppeldecker in die Tiefe zu schicken …

Und – dieser heimtückische Angriff erfolgte … Gerade als der Vogel über die Sphinx hinwegstrich, schnellte sie empor – wie ein metallener Riesenball … Traf die linke untere Tragfläche … Hob den Doppeldecker empor, ließ ihn seitlich abrutschen …

Und doch – jetzt wo die Gefahr sicheren Todes ihm so nahe, – jetzt war der Baron von Gußlar Herr der Situation …

Riß das Seitenfenster auf … Schwang sich hinaus.

Dort – die Außenleiter der Sphinx …

Drei Meter entfernt …

In der nächsten Sekunde wär’s zu spät …

Er hatte das Knistern und Krachen der brechenden Versteifungen der Tragflächen gehört … Er wußte genau, ihm blieb keine andere Wahl …

Er sprang …

Flog mit dem Oberleib gegen die Leiter …

Seine Hände umkrallten die Sprossen …

Ein stechender Schmerz in der Brust drohte ihm die Besinnung zu rauben …

Und doch – seine Finger hielten fest …

Sein Körper hing senkrecht hinab …

Dann – war er wieder vollends Herr über seine Muskeln und Sehnen …

Die rechte Hand löste sich, griff höher …

Die linke folgte …

Dann fanden auch seine Füße auf der untersten Sprosse halt …

So hielt er sich minutenlang in derselben Lage, den Kopf zurückgebogen …

Wartete …

Starrte nach oben zum Rande der Reling …

Wartete, daß dort vielleicht ein Mensch erscheinen würde, um ihn in den leeren Luftstrom hinabzustoßen …

Und – seine Rechte tastete nach der Waffe … Holte sie aus der Beinkleidtasche hervor …

Ein Gefühl der Sicherheit stellte sich ein …

Erschien dort über ihm wirklich jemand, dann … dann würde er nicht zögern … Würde abdrücken … Er wollte nicht sterben, wollte sich nicht morden lassen … Nicht das Opfer von irgendwelchen Schurken werden, die jetzt die Sphinx im Besitz hatten …

Niemals waren hier die Sphinxleute an Bord …

Die hätten sich nicht verborgen gehalten …

Die würden niemals diesen Angriff auf den Doppeldecker unternommen haben …! –

Er … wartete …

Die Pistole schußbereit …

Nichts geschah …

Und da wußte Gußlar denn, daß sein verzweifelter Sprung unbeobachtet geblieben war … Daßs man ihn hier an der Außenleiter nicht vermutete …

Überlegte wieder …

Und kletterte höher …

Die Pistole zwischen den Zähnen … Bis er über die Reling hinwegschauen konnte …

Leer das Deck …

Und dort – seine Geliebte …

Mafalda Sarratow …

Tot – – oder nur bewußtlos … Neben ihr auf den Deckplanken eine halb aufgerauchte Zigarette – ein weißes kurzes Röllchen – das eine Ende schwarz verkohlt, das andere zerdrückt, noch feucht von den Lippen Mafaldas …

Gußlar schwang sich über die Reling …

Warf sich sofort lang nieder, kroch schnell vorwärts – bis zum Turme, um aus dem Bereich des Sehrohres zu kommen …

Wartete hier abermals …

Die Waffe in der Hand …

Den Blick auf die Turmluke gerichtet …

Wartete …

Richtete sich auf …

Die Luke war offen …

Ein Blick hinab …

Dort … Lomatz im Korbsessel … über den Spiegel des Sehrohres gebeugt …

Lomatz – – nur Lomatz … Der Lump, der ihn nachts auf dem Moorinselchen im Stiche gelassen … Lomatz, der Verräter …

Gußlar begrifft … Lomatz Herr der Sphinx …!! Lomatz hatte Mafalda niedergestreckt – irgendwie!!

Und Gußlar – – nun die Turmleiter hinab …

Zwei Sprünge …

Lomatz hoch aus dem Sessel …

Stierte in die Pistolenmündung … Stierte in das Gesicht des Kurländers, des angeblichen Graveurs Geller …

Erkannte ihn …

Das Blut wich ihm aus den stoppelbärtigen Wangen …

Gußlar schlug zu – mit der Linken …

Herzgrubenschlag …

Lomatz knickte zusammen … Fiel über den Korbsessel, rutschte zu Boden …

Der Baron legte die Waffe weg, nahm sein Taschentuch, drehte es zusammen … Fesselte Lomatz die Hände …

Suchte dann erst in den kleinen Wandschränken nach Stricken, fand eine Rolle starken Bindfaden und sorgte dafür, daß Edgar Lomatz ohne fremde Hilfe nicht mehr freikommen konnte …

Dann – wieder mit der Pistole in der Hand – ein Gang durch die Kabinen …

Er sah in der einen Else von Parland und Montgelar – beide bewußtlos – beide ihm völlig fremd …

Fand in der Nebenkabine die drei Sphinxleute … Nielsen, Hartwich, Pasqual, – wehrlos, gebunden, geknebelt …

Die drei starrten ihn an … Auch diese drei sah er zum ersten Male …

Schlug die Tür wieder zu …

Mafalda …! Hinauf zu Mafalda, die oben in der eisigen Kälte an Deck lag …

Er trug sie hinab …

Ihre Hände, ihr Gesicht – fast Leichenfarbe …

Er bettete sie in einer der Kabinen, suchte nach einem belebenden Trank …

Entdeckte in der kleinen Kombüse drei Flaschen Rotwein – noch verkorkt … Flößte der Fürstin den roten duftenden Rebensaft ein … Öffnete ihr die Bluse, rieb Brust und Hals … Horchte auf das Pochen des Herzens, das immer kräftiger wurde … Saß neben dem Bett, und seine Gedanken umspielten die seltsame Verkettung von Umständen, die ihn hier wieder mit der Fürstin zusammengeführt hatte …

Schicksal … Schicksal!! – Wer hier an bloßen Zufall glauben wollte, wäre ein blinder Tor!

Das Schicksal hatte es gewollt, daß sie wieder zueinander fanden …! Das Schicksal hatte ihnen beiden den Weg vorgezeichnet …

Mochte nun werden, was die Vorsehung mit ihnen, den Gestrauchelten, im Sinne hatte …

Vielleicht – – vielleicht ging der gemeinsame Pfad aufwärts – empor zu den lichten Höhen des reinen Gewissens und des stillen Bewußtseins eines bescheidenen Glücks … –

Werner von Gußlar beugte sich über Mafalda und küßte sie …

Ein Kuß wie ein Schwur: ‚Ich will dich nimmermehr verlassen – nimmermehr …!!’

Die Sphinx aber trieb weiter gen Norden …

Langsam … Mit leichtem Winde …

 

22. Kapitel.

Verspielt – alles verspielt!!

Der Kriminalkommissar Wendler, der mit seinen sechs Beamten in der Gaupenburg zurückgeblieben war, hatte nach der Abfahrt der drei Regierungsvertreter den Grafen Gaupenberg gebeten, ihm einen Führer mitzugeben, da er die große Moorinsel und die Mumiengrotte, in der nach Gottliebs Schilderung einer Anzahl Toter lag, pflichtgemäß besuchen müsse …

Wendler war ein Mann anfang der Dreißig, einer die Vertreter des modernen Typs von einem Deutschen, der sich in gewisser Weise amerikanisiert hat – äußerlich wenigstens …

Eine schlanke, kräftige Gestalt, breit in den Schultern, ein bartloses Gesicht mit sehr scharf markierten Zügen und ein paar Augen, die ebenso kühl wie klug in diese verderbte Nachkriegswelt blickten …

Dazu eine leidenschaftslose Stimme ohne jede Wärme …

Der ganze Mann wie eine tadellos konstruierte Maschine – und doch überaus sympathisch.

Nicht umsonst hatte die Regierung gerade Fritz Wendler nach der Gaupenburg geschickt. Der Kriminalkommissar hatte bereits eine ganze Reihe hochwichtiger politischer Aufgaben gelöst, die ebenso viel Geschick die Energie und absolute Verschwiegenheit erfordert hatten. –

Gaupenberg erwiderte ihm, der beste Führer sei Dr. Falz, da dieser ja die große Moorinsel seinerzeit entdeckt habe und im Heißen Moor am sichersten sich zurechtfände.

So begab sich den Wendler mit seinen Leuten, auch alles jüngere Beamte von erprobten Fähigkeiten, zur Turmruine, wo der Einsiedler von Sellenheim ihn sehr liebenswürdig empfing.

Wendler hatte bereits mancherlei aus den Zeitungen über den geheimnisvollen früheren Arzt erfahren und erkannte im Laufe der Unterhaltung sehr bald, daß er es hier mit einem geistig bedeutenden Menschen zu tun hatte, der in keiner Weise den Sonderling hervorzukehren suchte, sondern sich im Gegenteil ganz schlicht und bescheiden wie jeder gewöhnliche Sterbliche gab.

Falz erklärte sich sogleich bereit, die Beamten zu begleiten …

Die beiden Herren standen vor der Tür, und Wendlers Blick ruhte mit stillem Verlangen auf dem weit offenen Eingang des Turmes … Er konnte in die kleine Vorhalle hineinschauen … Er hätte zu gern diesen Turm, diesen Rest der einstigen Burg Sellenheim, von innen besichtigt …

In den Zeitungen war ja auch allerlei von den unterirdischen Gewölben erwähnt gewesen – freilich nur in vorsichtigen Andeutungen, da niemand etwas Bestimmtes wußte …

Falz, der gute Menschenkenner, erriet des Kommissars Gedanken …

Und in seiner gütigen Art meinte er:

„Wenn es Sie interessiert, Herr Wendler, will ich Ihnen gern mein bescheidenes Heim zeigen … Ich weiß sehr wohl, daß über diesen Turm allerlei Gerüchte im Umlauf sind, von denen das Meiste der Phantasie der einfachen Leute dieser Gegend entstammt, die nur zu gern die Dinge in ihrer Art ausschmücken … Kommen Sie, Herr Wendler … Ihre Leute warten wohl hier draußen …“

Der Kommissar folgte dem Einsiedler …

Und nach zehn Minuten standen die beiden unten in den geheimen Gewölben – vor der Mumie des Alchimist – inmitten dieser Umgebung, die seit Jahrhunderten unverändert geblieben …

Falz erzählte, wie er diese Räume seinerzeit entdeckt hatte, wie er dann mit Hilfe der Aufzeichnungen des Luithard Brandfels immer tiefer in die seltsame Wissenschaft der Alchemie eingedrungen sei …

Wendler fragte jetzt geradezu:

„Man behauptet, Herr Doktor, daß Sie hier ein Geheimelixier gefunden haben, das uns Sterbliche gegen den Tod schützt … Graf Gaupenberg erwähnte auch, wie Sie seine Gattin hier unten in den Gewölben wieder zum Leben erweckt hätten … Ist denn wirklich etwas Wahres an diesem Elexier? Der nüchterne Verstand sträubt sich geradezu gegen derartige Behauptungen, die man in das Reich der Märchen verweisen möchte, wenn nicht Tatsachen uns eine andere Überzeugung beinahe aufzwingen würden … Sie, Herr Doktor, sollen doch bereits verschiedentlich den Kugeln Ihrer Feinde nur eben durch ein Wunder entgangen sein …“

Dagobert Falz blickte den um so viele Jahre Jüngeren ernst und sinnend an …

„Ich merke, Sie fragen nicht aus müßiger Neugier, Herr Kommissar …,“ erwiderte er. „Ich kann es verstehen, daß jeder Gebildete sich für Dinge, die außerhalb der exakten Wissenschaften liegen und die das Gebiet des Okkultismus streifen, interessiert, und Sie in Ihrer Stellung ganz besonders, da ein Mann Ihres Berufs sich dauernd über alles Neue auf dem Laufenden halten muß … Trotzdem, Herr Wendler, darf ich Ihnen eine bestimmte Antwort nur dann geben, wenn Sie mir Verschwiegenheit zusagen. Meine Geheimnisse sind nichts für die breite Öffentlichkeit … Meine Geheimnisse greifen hinüber in eine nicht allzu ferne Zukunft … Ereignisse stehen bevor, die das gesamte Menschengeschlecht dem Wahnsinn einer durch nichts zu beschwichtigenden Angst überantworten würden … – Mehr … darf ich nicht sagen … Glauben Sie mir, es ist auch besser für Sie, daß Sie nicht weiter fragen … Denken Sie an Kassandra, die die Zukunft schaute und der das Leben deshalb nur eine Pein war … – Nur eins noch, Herr Wendler, der Azorenschatz und all das, was an teilweise phantastischen Ereignissen um ihn herum sich emporrankt, darf nicht als eine gewöhnliche Fülle von Gold bewertet werden … In diesen Goldbarren, in diesen goldenen Milliarden schlummern Kräfte, die sich bereits auf vielfachste und wunderbarste Art ausgewirkt haben – und noch auswirken werden … Das Gold als solches, als Zahlungs- und Tauschmittel wird …“

Da schwieg er, schüttelte sacht den grauen Kopf und wandte sich langsam um …

Mit dem Kriminalkommissar geschah Seltsames. Ihm war’s, als ob ein eisiger Hauch über ihn hinwegstrich … Er fühlte, daß er die Farbe wechselte … Ein unbestimmtes Ahnen zeigte ihm für Sekunden das Bild einer ungeheuren Weltkatastrophe …

Einen letzten Blick warf er noch auf die in dem alten Lehnsessel sitzende Mumie des Alchimist. Dann folgte er dem Doktor, der bereits die Geheimtür geöffnet hatte …

Wendler war froh, als er draußen vor dem Turme wieder im strahlenden Sonnenschein stand …

Das leise Grauen, das aus seiner Seele wie eine unsichtbare Last ruhte, schwand … –

Dr. Falz verschloß den Eingang des Turmes … Meinte dann …

„Gehen wir, Herr Wendler … Sie werden auf der großen Moorinsel noch manches Merkwürdige zu sehen bekommen …“ –

Eine halbe Stunde später stießen zwei Nachen vom Südufer des Heißen Moores ab und glitten durch die vielverzweigten Kanäle von dannen …

Im vorderen befanden sich Falz, Wendler und zwei Kriminalbeamte, im anderen deren vier Kollegen.

Diese Fahrt durch das endlose Sumpfgebiet dauerte gut vierzig Minuten. Dann erst war die Insel erreicht. Man landete unweit der Ruinen der früheren Niederlassung. Falz führte die Herren dann durch das dichte Buschwerk und das Wäldchen nach der Lichtung, die im Osten von dem hohen schroffen Felsenhügel begrenzt wurde, in dessen den Ruinen zugekehrter Westwand die breite Spalte gähnte, die den Zugang zu der gefährlichen Grotte bildete.

Wendler schaltete seine Taschenlampe ein und beleuchtete aus sicherer Entfernung die engen beieinander liegenden Toten …

Ganz vorn erblickte er die Leiche des unglücklichen Orlando, des Klowns und Edelsteindiebes …

Der Kriminalkommissar erklärte, er müsse die Toten ins Freie schaffen lassen, da er sie nach Papieren durchsuchen wolle …

Mit angehaltenem Atem erledigten die Beamten die traurige Arbeit …

Dreizehn starre Gestalten ruhten nun nebeneinander im Grase der Lichtung: elf der ‚Kavaliere’, die Gußlar in der Verkleidung als Graveur Geller für die Expeditionen gewonnenen hatte, ferner der Pilot des Doppeldeckers und der Klown Orlando.

Selbst Dr. Falz wußte nicht, wer diese Toten waren, wie sie nach der Insel gelangt und was sie in die verderbliche Grotte, in die Giftgase der Höhle getrieben hatte. Daß sie hierher gekommen, um im Verein mit Mafalda und Lomatz den Azorenschatz zu rauben, lag sehr nahe. Mehr jedoch war vorläufig nicht festzustellen.

Erst die bei den Toten vorgefundenen Papiere gaben Aufschluß über ihre Persönlichkeiten. Einer der Kriminalbeamten kannte die Namen dieser elf Gescheiterten, wußte, daß man sie bei der Berliner Polizei längst als besonders vorsichtige Hochstapler und Gauner beargwöhnte.

Dann entdeckte Wendler bei dem Flugzeugführer einen Zettel, auf dem dieser sich den Namen des Mannes, der ihn für die Fahrt angeworben, notiert hatte. Daneben stand die Summe, die er als Handgeld erhalten und seine Berliner Adresse …

„Dieser Graveur Geller wird zu ermitteln sein …,“ meinte der Kommissar nachdenklich. „Er ist fraglos mit hier auf der Insel gewesen … Im übrigen nehme ich an, daß die Fürstin Sarratow, Lomatz und dieser Geller die Leute absichtlich in die Grotte schickten, um sie für immer stumm zu machen …“

Dann befahl er seinen Beamten, die Leichen wieder in ihre Naturgruft zu bringen …

„Wir werden nun die Insel gründlich durchforschen,“ bestimmte er weiter. „Ich will diesen ungeheuerlichen Massenmord restlos aufklären. Die Leute können nur im Flugzeug hier gelandet sein … Wir werden Spuren finden … Ich habe noch immer gefunden, was ich suchte …“

Und wieder eine halbe Stunde später standen Dr. Falz und der Kommissar vor der bereits in Verwesung übergegangenen Leiche des früheren Rechtsanwalts Benz, die im Gestrüpp der Halbinsel auf der Westseite der Moorinsel lag …

Unweit davon auf buschfreier Stelle waren noch genau die Räderspuren des Doppeldeckerfahrgestells zu erkennen … Auf einem lehmigen Fleck auch die Eindrücke der Tatzen des Tigers …

Wendler hatte dem toten Benz die Brieftasche aus der zerfetzten Jacke gezogen …

Meinte nun:

„Richard Benz also – auch ein Gescheiterter … Vor drei Jahren noch ein gesuchter Anwalt … Bei der Kriminalpolizei seitdem großes Sorgenkind … Der Mann war intelligent, war nie zu fassen – genau wie die anderen … Dieser Geller hatte da eine Auswahl von Helfershelfern getroffen, wie sie nicht besser sein konnte.“

Falz als Arzt erklärte, die entsetzlichen Wunden des Toten könnten nur von den Krallen des Tigers herrühren …

„Die Bestie muß sich befreit haben, Herr Wendler … Vielleicht sind die Anderen vor dem Tiger in die Grotte geflüchtet … So ohne weiteres möchte ich doch nicht an überlegten Massenmord glauben …“

Ein dumpfes Grollen in der Ferne ließ die beiden Herren den südlichen Horizont mustern …

Die Bergspitzen jenseits von Sellenheim waren in dichtes Gewölk gehüllt …

Eine atembeklemmende Schwüle lastete über dem Heißen Moor …

„Das gibt ein schweres Gewitter,“ meinte Falz. „Wenn wir nicht bis auf die Haut durchnäßt werden wollen, tun wir gut, in den Ruinen einen Unterschlupf zu suchen …“

Auch die anderen Beamten fanden sich jetzt hier auf der Halbinsel ein. Sie meldeten ihrem Vorgesetzten, daß sie auf der Insel sonst nichts von Wichtigkeit entdeckt hätten.

Da das Unwetter schnell näher kam, begab man sich nach den Ruinen zurück. Kaum hatte man hier in einem Gemäuer Schutz vor dem bereits beginnenden Gewitterregen gefunden, als auch schon eine wahre Sintflut aus dem pechschwarzen Gewölk herabprasselte …

Im Augenblick wurde es vollkommen finster, da der Himmel rundum mit schwarzen Wolken bedeckt war.

Blitze zuckten herab … Eine dürre Buche neben der Lichtung lohte für Sekunden, vom Blitze getroffen, auf …

Die acht Männer in dem engen Gemäuer hatten es sich so gut es ging, bequem gemacht. Die unaufhörlichen Donnerschläge verboten jede Unterhaltung. Wendler rauchte. Falz saß neben ihm auf einem Balkenstück. Die Lichtung draußen wurde im Umsehen zum kleinen Teich …

Der Kommissar beobachtete, sobald eine neuer Blitz auch das Innere dieses Unterschlupfes für Sekunden mit fahler Helle erfüllte, das kluge, ernste Gesicht des Einsiedlers …

Wendler konnte die Andeutungen nicht vergessen, die Dr. Falz unten in den Gewölben der Turmruine ihm gegenüber getan hatte – Andeutungen, deren unbestimmter Inhalt den Kriminalkommissar noch jetzt in einen Zustand unerklärlichen Angstgefühls versetzten. Immer klar ward ihm, daß der Einsiedler von Sellenheim nur auf eine Weltkatastrophe, auf eine Vernichtung des Menschengeschlechts durch irgend ein Naturereignis angespielt haben konnte …

Wieder ein Blitz … links von dem Gemäuer … Die feurige Schlange fuhr in die stärkste der alten Eichen.

Ein geradezu ohrenbetäubender, sinnverwirrender Krach …

Selbst die Beamten waren vor Schreck hochgeschnellt.

Sahen nun, daß der gewaltige Baum auf der kleinen Lichtung sich langsam neigte – langsam erst – immer schneller dann …

Und – zu Boden stürzte – hinein in die angesammelten Regenmassen – mit Dröhnen und Splittern, mit Ächzen und seltsamen Lauten wie ein sterbender Riese …

Es war … die hohle Eiche … Es war derselbe Baum, der vor kaum achtundvierzig Stunden den Goldschatz der Azoren in seinem Innern beherbergt hatte.

Neue Regenmengen kamen herab …

Aber mit diesem letzten Blitz hatte sich das Gewitter nun auch ausgetobt. Allmählich ging das Unwetter in einen feinen Landregen über …

Drei Uhr nachmittags war’s, als die Beamten und Dr. Falz aus dem Gemäuer heraus wieder ins Freie traten.

Das Bild der Lichtung war durch die umgestürzte Eiche, die mit ihrer Krone bis zum Eingang der Grotte den durchweichten Boden bedeckte, völlig verändert …

Falz und Wendler besichtigten den Baumstumpf, der noch etwa einen Meter über die mächtigen Wurzeln emporragte …

Der Kommissar nickte …

„Hohl – ich dachte es mir …!“

Und leuchtete mit der Taschenlampe hinein …

Sah unten am Stumpf das Loch, dessen Rindendeckel zur Seite gefallen war …

Sah noch mehr …

Unter faulendem Laub und Moder blinkte es leuchtend …

Wendler bückte sich …

Zog eine breite goldene Armspangen hervor, die mit Edelsteinen besetzt war …

Falz sagte nur: „Ein Stück aus dem Königsschatze Matagumas …!“

Die anderen drängten herbei …

Das Kleinod wanderte von Hand zu Hand …

„Was mag es wohl wert sein?“ fragte einer den Doktor bescheiden.

„Liebhaberwert … Jeder Stein ein Vermögen,“ meinte Falz …

Der Kommissar achtete nicht auf diese Bemerkung … Spähte zwischen den Bäumen hindurch auf die Heide hinaus … Trotz der Schleier des feinen Regens hatte er dort soeben in verschwommenen Umrissen ein spindelförmiges Etwas bemerkt …

Schaute schärfer hin …

Ein kleines Luftschiff lag dort … Es konnte nur die Sphinx sein …

Die Sphinx, die während des Gewitters hier gelandet sein mußte … –

Wendlers leiser Zuruf machte nun auch den Doktor auf das Luftboot aufmerksam …

Falz flüsterte – und auch seine Stimme klang erregt:

„Es ist die Sphinx … Es …“

Schwieg …

Aus den Regenschleiern tauchte die Gestalt eines Mannes auf … und näherte sich nun langsam dem Eichenhain.

Falz und die Beamten duckten sich hinter dem Baumstumpf zusammen …

Der Mann war bucklig, hatte wohl einen Vollbart und zeigte in seinen Bewegungen scheue, ängstliche Vorsicht …

Vor der Krone der durch den Blitz gefällten Eiche blieb er stehen …

Umschritt den Stamm und machte vor dem Grotteneingang halt …

Der Doktor und Wendler waren ihm lautlos gefolgt.

Die anderen Beamten hatte der Kommissar mit einer Handbewegung zur Sphinx geschickt … Sie sollten sich des Luftbootes sofort bemächtigen … –

Der Mann … war Gußlar …

Noch mehr trat er an die Felsspalte heran … starrte hinein … wandte sich um …

Dicht vor ihm nun Falz und der Kommissar … Dieser mit der Dienstpistole im Anschlag …

Gußlar fuhr leicht zurück …

„Wer sind Sie?“ fragte Wendler scharfen Tones … „Ich möchte Ihnen gleich erklären, daß ich Kommissar der Berliner Kriminalpolizei bin … Wer sind Sie?“

Der Kurländer wollte etwas erwidern …

Da – aus der Richtung der Sphinx ein kurzer gellender Schrei …

„Werner …!!“

Mafaldas Stimme …

Gußlar … erstarrte …

„Wer sind Sie?!“ – und Wendlers Zeigefinger suchte den Abzug der Pistole …

‚Vorbei …!!’ schoß es Gußlar durch den Kopf …

Dann sagte er mit einer krampfhaften Anstrengung, sich zu beherrschen:

„Mein Name ist Geller, Herr Kommissar …“

„Ah – – Graveur Geller aus Berlin?“

Gußlar merkte, es gab kein Entrinnen mehr …

„Ja – Graveur Geller …,“ erklärte er mit verzweifelt gespielter Gleichgültigkeit …

„Wie sind Sie hier auf die Insel gelangt?“

Gußlar senkte müde den Kopf und blieb stumm.

Wendler nun – drohend, bohrend:

„Nicht wahr, es hat Sie wieder hierher an den Ort Ihrer Verbrechen zurückgetrieben …?! – Geben Sie zu, daß Sie es waren, der jene Toten dort in der Grotte in Berlin angeworben hat, – daß Sie diese Leute dann … beseitigt haben?“

Gußlar-Geller blickte auf … Blickte den Kommissar mit einem merkwürdig trostlosen Ausdruck in den Augen fest an und erwiderte:

„Ich bin kein Mörder … Und nun tun Sie mit mir, was Sie wollen … Ich … habe verspielt – alles!!“

Wieder senkte er den Kopf …

„Gehen Sie voran zur Sphinx,“ befahl Wendler … „Ich erkläre Sie für verhaftet … Wagen Sie keinen Fluchtversuch … – Vorwärts!“

Der Kurländer gehorchte …

Dr. Falz schritt hinterdrein. Er war ein stiller aufmerksamer Beobachter gewesen …

Und – er war ein besserer Menschenkenner als Wendler … Dieser Geller war für ihn ein Unglücklicher – kein Verbrecher …

Es regnete weiter …

Und durch den feinen Sprühregen näherten sich die drei nun der Sphinx …

Sahen oben an Deck vor der Reling Mafalda, die von zwei Beamten festgehalten wurde …

Dann … tauchten plötzlich aus der Turmluke rasch hintereinander Nielsen, Hartwich und Pasqual Oretto auf …

Nielsen erkannte den Einsiedler, winkte …

„Hallo, Herr Doktor … – Da sind wir wieder! Und das ganze Gaunergesindel mit dabei!!“

Georg Hartwich – noch freudiger:

„Der Azorenschatz ist gerettet, Herr Doktor …!! Und – – Graf Arthur Montgelar mit an Bord!! Er war der famose Ministerialdirektor!!“

Werner von Gußlar aber blickte zu Mafalda empor…

Traurig, verzweifelt …

Er wußte, man würde ihm und Mafalda keinen Glauben schenken …! Man würde nach dem äußeren Schein urteilen …! Und sein Los würde … das Zuchthaus sein!

 

23. Kapitel.

Murats Erlebnis im Parke.

Eine Stunde vorher … In der Kabine, in die Gußlar die bewußtlose Fürstin getragen hatte …

Unter Gußlars heißem Kuß, der so ohne jedes sinnliche Begehren Mafaldas Lippen berührte, war die Ohnmächtige wieder zu sich gekommen …

Ihre Lider hoben sich langsam … Ihr verschwommener Blick blieb auf dem Gesicht des Mannes haften, den sie in dieser Verkleidung schon einmal gesehen hatte – als Graveur Geller, damals auf der Lichtung der Havelwälder, als der gefesselte Tiger zurückbleiben sollte …

Mafalda stierte dieses bärtige Gesicht ungläubig an … Es konnte ja nur ein Traum sein … Wie sollte Geller wieder hier auf die Sphinx gelangt sein?!

Doch – ein leises Lächeln glitt da über Gußlars Antlitz hin …

„Mafalda …,“ sagte er weich und beugte sich tiefer herab … „Mafalda, so haben wir doch wieder vereint …! Erkennst du mich…“

Der Fürstin dunkle Augen weiteten sich …

„Du – – du …?!“ flüsterte sie … „Du wieder bei mir …! Du, nach dem ich mich gesehnt habe, den ich nie wieder aufgeben werde …!“

Sie schlang ihm die Arme um den Nacken … Über ihrem Gesicht lag’s wie weihevolle Andacht …

„Werner, Werner, – ich habe ja so unendlich bereut, dir nicht gefolgt zu sein …! Unendlich bereut …! Ich weiß nicht, was mit mir vorgegangen. Ich bin eine andere geworden … Nichts liegt mir mehr an den Milliarden! Nur du sollst bei mir bleiben, nur dich will ich mein eigen nennen …!“

Tränen glänzten in ihren langen Wimpern … Ihre Stimme verriet ihre innere Ergriffenheit, verriet ihre Liebe … Gußlar ahnte, daß Mafalda Sarratow den breiten Pfad des Schlechten verlassen hatte, daß sie durch ihn in Wahrheit zu besserem Leben erweckt war …

„Ich bleibe bei dir …,“ sagte er mit tiefster Innigkeit … „Du weißt nicht, wie glücklich es mich macht, daß du mit der Vergangenheit gebrochen hast … Es ist eine uralte Wahrheit! Ein jeder hält sein Schicksal in der eigenen Hand – ein jeder ist seines Glückes Schmied!“

Mafalda nickte ihm zu …

„Unser Glück werden wir in den Wäldern deiner Heimat finden … Wie hieß doch dein väterliches Gut? Hieß es nicht Gußlaren …? Dort werden wir den Frieden suchen, den inneren Frieden …“

Er hatte plötzlich die Lippen wie in herbem Schmerz fest zusammengepreßt … Seine Augen wurden matt und trübe …

„Werner, was hast du …?! Weshalb mit einem Male dieses Gesicht?!“ Und Mafalda richtete sich auf … Ihre Arme glitten von seinem Nacken, und ihre Hände umkrampften die seinen …

„Werner, was … ist geschehen? – Oh – verhehle mir nichts … Dein Antlitz verrät mir, daß du …“

Er seufzte leicht auf …

Aber diese Regung von Kleinmut dauerte nur Minuten …

Seine Blicke wurden wieder froh und siegesgewiß …

„Mafalda, vieles ist geschehen … Grausame Enttäuschungen habe ich hinter mir … Mein Dublonenschatz ist wertlos … Benjamin Jekowzer bewies mir, daß die Münzen an Gold fast nichts enthalten … Und verlangte von mir daher den Ersatz der Summen, die er für die Expedition hierher geopfert … So bin ich denn mit dem Doppeldecker wieder aufgestiegen, traf die Sphinx, sah dich oben an Deck bewußtlos liegen … Lomatz rammte mein Flugzeug … Ein Sprung rettete mich … Ich hing an der Außenleiter, ich kletterte höher, überraschte Lomatz und überwältigte ihn … – So liegen die Dinge, Mafalda … Ich bin wieder arm – ärmer denn je … Aber ich hoffe auf Gaupenbergs Großmut … Wir, Mafalda, werden ihm die Sphinx und den Azorenschatz ausliefern, ihm seine drei Freunde wiederbringen … Wir werden als Lohn nichts weiter erbitten als nur das Geld für Jekowzer und eine Summe, die unsere Zukunft sichert, die es uns ermöglicht, Gußlaren zurückzukaufen … Gaupenberg ist ein Ehrenmann … Er wird uns Dank wissen, daß wir …“

Die Fürstin preßte seine Hände …

Stieß hervor: „Werner, Jekowzer ist … ein … Lump! Jekowzer hat von mir jenen Edelstein als Sicherheit entgegengenommen, den ich im Ohr des Tigers versteckt fand …! Ein Lump, dem ich trotzdem dieses Wiedersehen zwischen uns verdanke … Ein doppelter Lump, da er dich auch fraglos hinsichtlich des Wertes der Dublonen getäuscht hat … Ich habe doch einige der alten Münzen in der Hand gehabt! Wenn ihr Goldgehalt so lächerlich gering gewesen wäre, wie Jekowzer es behauptet, dann würde das unedle Metall in dem feuchten Grabe der kleinen Moorinsel wohl Grünenspan angesetzt haben …! – Schade, daß ich dir nicht an einer der Münzen den frechen Schwindel beweisen kann, Werner. Es wäre ein leichtes … In der Kombüse der Sphinx wird Essig zu finden sein, und …“

„Mafalda – – hier!!“

Gußlar hatte die eine Golddublone, die er im Futter des Koffers gefunden, schnell aus der Westentasche hervorgeholt …

Seine Hand zitterte leicht. Sein Gesicht brannte vor Empörung …

Nur zu deutlich erinnerte er sich jetzt an Jekowzers Erschrecken beim Wiedereintritt in den Laden …

Ja – Jekowzer hatte ihn in doppelter Weise hintergangen, war doch wegen seiner Geldausgaben für die Expedition durch den Edelstein gedeckt gewesen, hatte ihn … bestohlen – bestohlen um den Dublonenschatz!!

Nicht minder erregt war die Fürstin …

„Werner, hole Essig … Noch besser Salzsäure … Vielleicht findest du in dem kleinen Laboratorium der Sphinx Salzsäure … Beeile dich … Ich werde …“

Er fiel ihr ins Wort. „All das ist nicht mehr nötig, Mafalda …!“ – Und er schilderte ihr Jekowzers seltsam scheues Benehmen bei seinem Wiedererscheinen und die eigenen Zweifel, als diese eine Münze mit so vollem hellen Klang auf die Dielen des Mansardenstübchens gefallen war …

Wieder hielten sie sich bei den Händen … Mafalda lehnte an seiner Brust … Lächelte ihn an …

„Werner, Jekowzer wird herausgeben müssen, worum er dich betrogen … Wir brauchen nicht als Bittende vor Gaupenberg hinzutreten, nur als Gebende … Nichts werden wir als Lohn verlangen – nichts …!“

Und leiser – sehr ernst:

„Nur … ich werde etwas erbitten, nur ich … Daß Gaupenberg mir verzeiht! Ich möchte das neue bessere Leben mit der Gewißheit beginnen, daß die Sphinxleute meiner nicht mehr in Haß und Verachtung gedenken!“

Gußlar strich ihr sanft über das dunkle Haar …

„Recht so, Mafalda …! Und – er wird verzeihen! Wir wollen auch sofort seine Freunde, die gefesselt drüben in der Kabine liegen, befreien und …“

Doch die Fürstin schüttelte jetzt energisch den Kopf, unterbrach ihn …

„Nichts übereilen, Werner …! Nie eins vergessen, daß gerade Nielsen, Hartwich und der alte Portugiese Pasqual Oretto meine erbittertsten Feinde und Männer sind, die vielleicht aus hartem Gerechtigkeitsgefühl uns beide doch festnehmen würden …! Außerdem – an Bord befinden sich noch zwei Menschen, die wir gleichfalls schützen müssen … Ein Graf Arthur Montgelar und Lomatz geschiedene Gattin Else von Parland …! Zwei Menschen, Werner, die … die Sphinx geraubt haben, die in der Maske von Vertretern der Regierung kühn nach der Gaupenburg kamen und denen ich … die Freiheit verdanke! Zwei Menschen, die aus den seltsamsten Motiven diesen Streich verübt haben. Montgelar, verliebt in Else von Parland, mehr noch, sie vergötternd und um ihre Liebe ringend, – sie, voller Haß, weil er seinen Bruder, ihren Geliebten, im erbitterten gegenseitigen Kampf getötet hat, – sie, diesen Haß sich trotzdem nur einredend, in Wahrheit längst gerührt durch sein hingebungsvolles Werben, – ein Paar, das also sein Glück finden muß wie wir es gefunden haben, Werner …! Ich habe mit Else von Parland gesprochen, ich war bei ihr in der Kabine … Sie suchte auch mich zu täuschen, wie sie sich selbst über ihre Gefühle täuschte …! Sie hat schließlich weinend sich selbst verwünscht, weil sie erkannte, wie es in ihrem Herzen, mit ihren Gefühlen für Montgelar bestellt war … – Dann, Werner, verübte Lomatz den längst geplanten Anschlag gegen uns … Harmlos bot er uns Zigaretten … Rauchend stieg ich an Deck, um Montgelar und Else sich selbst zu überlassen … An Deck wurde mir plötzlich schwarz vor den Augen … Ich sank zu Boden … Lomatz war Herr der Sphinx.“

„Und – jetzt sind wir es, Mafalda …!“ rief Gußlar mit stillem Jubel und küßte sie. „Wir – Herren der Sphinx …! Wir werden das Luftboot und den Schatz Gaupenberg zurückbringen, werden bitten, daß auch Montgelar und Else von Parland unbehelligt bleiben!“

Sie hielten sich umschlungen …

Ihre Herzen klopften aneinander … Ihre Seelen, geläutert durch reines Wünschen, verschmolzen in eins.

Mafaldas Augen waren wie verklärt …

Mit Werners Hilfe begleitete sie ihn in den Turm.

Zeigte ihm die Handgriffe an den Schaltbrettern.

Die Sphinx flog wieder gen Süden, wo dichtes Gewölk am Horizont lagerte.

Die Fürstin bemühte sich dann um Montgelar und Else. Doch erst nach einer Stunde stellten sich bei Else von Parland schwache Anzeichen des wiederkehrenden Bewußtseins ein …

Inzwischen war die Sphinx längst über dem schwarzen Gewölk, längst über den finsteren Wolkenmassen, aus denen Blitz auf Blitz hinabzuckte …

Der Spiegel des Sehrohrs zeigte dann Werner von Gußlar in einer Wolkenlücke tief unten die Moorinsel.

Und gerade als auch Montgelar wieder zum Bewußtsein kam, landete das Luftboot im feinen nebelartigen Sprühregen auf dem Heidestreifen westlich von der früheren Ansiedlung.

Kaum lag die Sphinx still, als Gußlar Mafalda erklärte, er wolle sofort einmal feststellen, ob man auch wirklich hier auf der Insel allein sei … Dann erst wollten sie, wie bereits genau vereinbart, Georg Hartwich nach der Gaupenburg schicken, damit dieser den Grafen Victor herbeihole …

Und – alles kam anders, ganz anders …

Wie es kam, niemals hatten Gußlar und Mafalda mit einem solchen Eingreifen eines tückischen Schicksals gerechnet!

Gußlar verhaftet …!

Mafalda verhaftet …! Kriminalbeamte an Bord der Sphinx … Beamte, die zum Unglück Hartwich, Nielsen und Pascale noch gefesselt auffanden …!

Der Schein war gegen Gußlar und die Fürstin! Niemand würde glauben, daß sie den Azorenschatz wieder ausliefern wollten! Niemand …!! Das wußten sie …

Und – – schwiegen …

Setzten allen Fragen Wendlers dasselbe hartnäckige verbitterte Schweigen entgegen …

Denn – hätte es wohl einen Zweck gehabt, hier an Deck in Gegenwart Nielsens, Hartwichs, Dr. Falz’ und Pasquals die Wahrheit zu sagen – diese Wahrheit, die jedoch nur als freche Lüge belächelt werden würde?!

Und – konnten Montgelar und Else von Parland etwas an dieser traurigen Wendung der Dinge ändern?!

Auch sie hatte der Kriminalkommissar für verhaftet erklärt …

Hartwich beschuldigte diese beiden nicht nur des Raubes der Sphinx, sondern auch der Benutzung vergifteten Weines …!

Eins jedoch war in all diesem Unheil wie ein geringer Lichtblick. Der Einsiedler von Sellenheim trat für die Verhafteten ein und verhinderte, daß man ihnen Handschellen anlegte …

In seiner ruhigen bestimmten Art sagte er zu Wendler:

„Herr Kommissar, ich werde für die Vier jede Garantie übernehmen … Bringen Sie sie in meine Turmruine … Es gibt da an der anderen Seite hinter meinen Wohnräumen zwei Gelasse, die jede Sicherheit bieten …“ –

Die Sphinx stieg wieder auf. Und als sie nach kurzer Fahrt vor dem Turme niederging, brach die Sonne durch die Wolken und beleuchtete mit freundlichem Schein das ernste Bild. Mafalda und Else wurden in den Turm geführt – dann auch Gußlar und Montgelar! Drei Kriminalbeamte blieben gleichfalls in der Ruine – als Wächter …

Und nochmals erhob sich die Sphinx …

Landete nochmals – im Schloßhof der Gaupenburg, wo bereits Graf Viktor mit seinen Getreuen sich versammelt hatte, um das Luftboot freudig zu empfangen, das längst in den Lüften bemerkt worden war.

Edgar Lomatz wurde gefesselt in das Burgverließ im Westturme gebracht … Vor der Eisentür sollte beständig einer der Beamte wachen … –

Sechs Uhr nachmittags dann …

Im großen Speisesaal des Schlosses saßen die Sphinxleute, Frau Sanden und Kommissar Wendler an festlicher Tafel …

In den alten kostbaren Kronleuchtern brannten unzählige Kerzen …

Gottlieb Knorz hatte das Familiensilber der Gaupenbergs zum Eindecken der Tafel benutzt …

Reicher Blumenschmuck duftete in wundervollen Vasen …

Heitere, glückliche Gesichter freuten sich der Wiedervereinigung …

Gottlieb, der nun wieder seine Stellung als gräflicher Diener und Schloßvogt hatte übernehmen und bei Tisch bedienen wollen, war von Gaupenberg mit herzhafter Grobheit abgekanzelt worden …

Noch schöner wäre es ja, wenn Gottlieb Knorz sich selbst herabwürdigen wolle …! Wo doch sogar Murat, der Homgori, seinen Platz an der Tafel habe! Nein – mit dem ‚Diener spielen’ sei’s nun für alle Zeiten vorbei …

„Du gehörst zu uns als Gleichgestellter, mein treuer Alter …! Und sollst sogar rechts neben Agnes sitzen! Dabei bleibt’s!“ –

Daß Murat ich hier im Speisesaal nicht recht behaglich fühlte, daß er sogar zweimal sich heimlich verdrückt hatte und erst von Pasqual aus der Küche zurückgeholt werden mußte, konnte ihm niemand verdenken, da der Gebrauch von Messer, Gabel und Löffel ihm noch immer erhebliche Schwierigkeiten bereitete.

Erst als er zwei Glas Wein getrunken, kam auch er in Stimmung. –

Kriminalkommissar Wendler zeigte für den Homgori lebhaftes Interesse. Er hatte in den ausländischen, besonders den amerikanischen Zeitungsartikeln, die dann von der deutschen Presse übernommen worden waren, mancherlei über den Tiermenschen gelesen, der damals im Schlosse des Milliardärs Randercild eine so wichtige Rolle gespielt hatte. Trotzdem hatte er nicht recht an die Existenz dieses Mischlings zwischen Neger und Gorilla geglaubt.

Kaum war dann die Tafel gegen acht Uhr von der Gräfin Gaupenberg aufgehoben worden, als Wendler den Homgori in Gegenwart Pasquals und Gottliebs in ein längeres Gespräch zog, um die Intelligenz dieses seltsamen Geschöpfes zu prüfen. Er war erstaunt, wie beschlagen sich Murat auf den verschiedensten Gebieten erwies, bewunderte aber noch mehr die Fähigkeit des klugen Tiermenschen zu logischem Denken …

Und lauchernd meinstete er dann, daß die deutschen Gelehrten wahrscheinlich sehr erpicht darauf sein würden, Murat genauer zu untersuchen …

Eine Bemerkung, die der Homgori jedoch sehr übelnahm …

„Murat dies nie erlauben,“ stieß der Tiermensch in seinen tiefen Kehllauten hervor, wobei er die Oberlippe hochzog und das mächtige Gebiß entblößte. „Murat sein kein Affe, sein Mensch, sein einer von Sphinxleuten …“

Und gereizt wandte er sich ab, sprang auf das Fensterbrett und von da mit elegantem Satz in die Krone einer uralten Kastanie, die gut acht Meter entfernt war.

Pasqual und Gottlieb lachten über Wendlers verblüfftes Gesicht …

Und Knorz meinte schmunzelnd:

„Unser Murat ist nur in einem Punkt empfindlich, was seine Ahnen mütterlicherseits angeht! An Gorillas mag er nicht erinnert werden …“

Wendler beobachtete den Homgori, der nun blitzschnell zur Erde hinabturnte und sich auf dem Parkwege Dr. Falz anschloß, der sich bereits verabschiedet hatte und allein seiner Turmruine zuwanderte.

Der Homgori bat den Einsiedler, ihn mitzunehmen.

„Murat es hier gar nicht gefallen,“ erklärte er ehrlich … „Murat sich bewegen müssen … Murat hier immer soll Schuhe tragen … Schuhe nicht brauchen, Mr. Falz …“

Der Doktor nickte ihm zu …

„Mußt dich schon daran gewöhnen, Freund Murat … Das hilft nun nichts … Du willst doch ein gesitteter Mensch werden …“

Schweigend gingen sie weiter … Der Homgori mit schlenkernden Armen – immer wieder zu den hohen Parkbäumen emporlugend … Zu gern hätte er sich dort oben in den Ästen nach Herzenslust ausgetobt …

Falz lächelte still … Sagte dann freundlich:

„Ich denke, Murat, du ziehst dort im Gebüsch deine Schuhe aus und machst mal einen Spaziergang durch die Baumwipfel des Parkes … Wie wär’s damit? – Ich werde es niemandem erzählen … Sonst schilt Gottlieb Knorz, der dich ja durchaus zum Gentleman heranbilden will … Also nur vorwärts, Freund Murat … Die anderen werden annehmen, du hättest mich zur Turmruine begleitet … Vergnüge dich nach Kräften … Und dann komm zu mir und ruhe dich aus … Auf Wiedersehen …“

Wie ein Blitz war Murat in den Büschen. Im Nu hatte er die lästigen Schuhe abgestreift … und war oben in der Krone einer Riesenbuche, wiegte sich auf einem der obersten Äste hin und her …

In wildem Entsetzen stoben vor ihm zwei Eichkater davon, die hier an Bucheckern sich gütlich getan hatten.

Murat turnte immer weiter …

Wurde immer waghalsiger … Der bei Tisch genossene Wein wirkte noch nach …

Und so kamst denn, daß er im dichtesten Teile des Parkes, dort, wo noch die Reste der alten Burgmauer als Schutthaufen sich auftürmten, beim Sprung von Baum zu Baum einen trockenen Aste erwischte und … in die Tiefe sauste …

Freilich – er milderte die Wucht des Sturzes, indem er sich an dünneren Zweigen festkrallte …

Trotzdem prallte er noch mit unangenehmer Heftigkeit gerade auf die höchste Stelle eines der vom Unkraut überwucherten Schutthügel auf …

Mit solcher Kraft, daß … der Boden unter ihm polternd hinabstürzte und er weiter in einen gemauerten Schacht plumpste, wo er dann auf einer verfallenen Steintreppe liegen blieb …

Er war auf diese Weise in einen der uralten Ecktürme der Gaupenburg hineingeraten – in einen Turm, von dem äußerlich nichts mehr vorhanden war und von dessen Vorhandensein selbst Graf Viktor nichts ahnte.

Eine ganze Weile lag Murat stöhnend da und betastete seinen schmerzenden Rücken …

Über ihm sah er das zackige Loch, grüne Zweige, Unkrautstauden …

Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, stand er vorsichtig auf und blickte sich in dem Rest des alten Gemäuers neugierig um.

Die Treppe war nach oben zu eingestürzt. Nach unten aber mündete sie anscheinend in einen Gang, der mindestens fünf Meter unter der Erdoberfläche sich hinzog …

Murat kletterte abwärts …

Ja – es war ein gemauerter Gang, der nach Westen und Osten mit leichten Krümmungen weiterlief.

Des Homgori scharfe Augen hatten sich schnell an das hier herrschende Dämmerlicht gewöhnt …

Unschlüssig starrte er in die Finsternis hinein … Zu gern hätte er diesen Gang genau untersucht … Doch ohne Laterne war’s kaum möglich …

Dann kam ihm ein guter Gedanke …

Er turnte die verfallene Treppe empor, kletterte an den Resten der Stufen bis zu dem Loche, das sein Körper hier in die verwitterte Gewölbedecke geschlagen hatte, und suchte sich draußen ein paar passende Aststücke …

Auf die primitive Art der Urwaldmenschen brachte er durch Aneinanderreiben die Aststücke zum Glimmen … Trockene Gräser flammten auf und setzten einen dicken Kiefernzweig in Brand. Noch drei weitere dieser harzigen Äste nahm der Homgori mit nach unten …

Nun hatte er Fackeln, verfolgte jetzt den unterirdischen Gang zunächst nach Westen hin.

Der gemauerte Gang war tadellos erhalten, über mannshoch und etwa zwei Meter breit. – Nach einer geraumen Weile stand der Homgori dann vor einer kleinen, arg verrosteten eisernen Tür, die zwei mächtige Riegel hatte, die zugeschoben waren und in den Krampen eingerostet.

Murat schlug mit der Faust dagegen. Schließlich drückte er sie wirklich zurück und versuchte nun die Tür zu öffnen. Sie mußte jedoch auch an der anderen Seite verriegelt sein und ließ sich nicht aufschieben. Der Homgori gab ärgerlich alle weiteren Bemühungen auf und kehrte um, schritt nun den Gang nach Osten entlang und stellte fest, daß dieser Teil verschiedene Treppen enthielt und mindestens zehnmal so lang war als der Weg zum westliche Ende.

Auch hier fand er eine ähnliche Eisentür, die ihn gleichfalls dann zur Umkehr zwang.

Eine halbe Stunde mochte er so unter der Erde zugebracht haben. Als er durch den Turm wieder ins Freie geklettert war, bedeckte er das Loch mit Zweigen, Moos und Steinen und nahm sich vor, nachher Gottlieb Knorz zu erzählen, was er hier entdeckt hatte.

Dann begann er von neuem, nur etwas vorsichtiger, seinen Spaziergang durch die Baumkronen …

Die letzten Weindünste vertrieb er so aus seinem flachen Schädel, und bereits bei völliger Dunkelheit langte er schließlich vor der mächtigen Turmruine der früheren Burg Sellenheim an.

Vor der Tür saß einer der drei Kriminalbeamten.

Als Murat vor ihm auftauchte, griff der Mann unwillkürlich nach der Schlüsseltasche …

„Gut Freund …,“ sagte der Homgori, der seine Schuhe in der linken Hand trug. „Wo Doktor sein?“

Der Beamte musterte den riesigen Tiermenschen mit einiger Scheuch …

„Dr. Falz ist bei den beiden verhafteten Hochstaplern,“ erwiderte er kurz „Was willst du? Hast du etwas zu bestellen?“

Murat setzte sich ohne weiteres neben den Beamten auf die Holzbank …

„Doktor besuchen …,“ erklärte er … „Hier warten …“ Und er zog widerwillig seine Schuhe an …

Der Kriminalbeamte rückte zur Seite … Diese Nachbarschaft war ihm etwas unheimlich … Man konnte nie wissen, ob dieses Ungetüm von Tiermensch nicht plötzlich einen Wutanfall bekam … Gefährlich genug sah der zottige Bursche.

Murat mühte sich mit den Schnürsenkeln ab und stöhnte …

„Bitte – helfen …,“ meinte er sehr bescheiden … „Murat die Bänder sonst zerreißen …“

Das klang so kindlich harmlos, daß der Beamte lachen mußte und dem Homgori dann die Schuhe zuschnürte.

Sie kamen ins Plaudern …

Murat mußte von den Abenteuern der Sphinxleute erzählen … Er tat es gern, denn er liebte diese Erinnerungen … Am eifrigsten berichtete er von den Erlebnissen auf der schwarzen Insel, die nachher im Meere versunken war – von den Wohngrotten, von der Riesenhöhle und dem Schiff der wahnsinnigen Azteken … – –

Während er so hier vor dem Heim des Doktors harmlos in Erinnerungen an wildbewegte Abenteuer schwelgte, ereignete sich im Westturme der Gaupenburg tief unten im kahlen, kalten verließ etwas anderes, – etwas, das mit Murats Erlebnis im Park eng zusammenhing.

Hier im alten Burgverließ war Lomatz untergebracht worden. Man hatte ihm eine Matratze, Decken, ein Tischchen, einen Schemel und eine Petroleumlaterne in den viereckigen, ausbruchssicheren Kerker geschafft, hatte ihm auch die Stahlfesseln abgenommen, da ein Entweichen aus dem Verließ unmöglich war – wenigstens unmöglich schien.

Draußen vor der dicken Eisentür im breiten Gang hatte es sich einer der Kriminalbeamten bequem gemacht, saß in einem Korbsessel an einem Tische und labte sich beim Scheine einer hellen Karbidlampe an Speise und Trank … Auch Zigarren und Zigaretten hatte ihm der Kutscher Johann vorhin gebracht, ebenso ein paar Bücher …

Um acht Uhr erschien dann ein Kollege und löste den Wächter ab …

Sie sprachen eine Weile miteinander, öffneten auch die Kellertüren und holten das Eßgeschirr wieder aus der Zelle heraus … Denn auch Lomatz hatte eine einfache Mahlzeit erhalten.

Lomatz lag auf der Matratze und beachtete die Beamte nicht weiter, tat, als ob er schliefe …

Und – war dort wach – war sogar in einem Zustand höchster Erregung …

Denn kurz bevor die beiden Beamten das Verließ betreten hatten, war Lomatz durch seltsame Geräusche aufmerksam geworden, die durch die Mauer zu kommen schienen …

Es klang wie wiederholtes Dröhnen …

Etwa so, als ob gegen Metall gehämmert worden wäre – mit einem weichen Klöppel …

Es waren … Murats Faustschläge, die den eingerosteten Riegeln galten …

Lomatz lauschte mit angehaltenem Atem …

Jetzt – – wie ein Rütteln an einer eisernen Tür.

Und – dort drüben an der Mauer all diese Geräusche …

Unmöglich konnte diese Mauer ebenso dick wie an der Eingangstür sein – unmöglich! Sonst wären diese verschiedenartigen Töne nicht so deutlich zu hören gewesen …

Kaum hatten nun die beiden Beamten das Verließ wieder von außen verschlossen, als Lomatz die wollenen Decken von sich warf, die Petroleumlampe vom Tisch nahm und nach jener Stelle der Mauer schlich, wo die Geräusche zu vernehmen gewesen …

Lomatz untersuchte die Mauer …

Plötzlich schoß ihm vor Freude das Blut in heißer Welle ins Gesicht …

Rasch machte er kehrt, stellte die Laterne wieder auf das Tischchen …

Oh – nur jetzt keine Übereilung, keine Unvorsichtigkeit …

Nur jetzt nicht …!

Und – keine vorzeitige Hoffnung …!!

Ruhe – – ruhig überlegen …!

Die Laterne durfte er nicht von hier entfernen … Und sein Lager mußte er so herrichten, als ob er dort schlafend liege …

Er zog die Jacke aus, die Schuhe … Stellte eine Art Puppe her … Stopfte die Jacke mit einer Decke aus …

Bereitete eine zweite Decke so über die Puppe, daß die Jacke und die Stiefel zu sehen blieben und daß ein Zipfel der Decke den Kopf des Schläfers zu verhüllen schien.

Dann schraubte er die Laterne kleiner … Das schwache Licht ließ das Lager im Halbdunkel …

Und doch – er brauchte irgend eine Leuchte …

Das Tischchen hatte eine Schublade. Er zog sie heraus … Ohne viel Geräusch brach er die Rückwand los … Das Fichtenholz war trocken und von Harzadern durchzogen …

So setzte er das Brett denn an der Flamme der Laterne in Brand. Auch den Rest der Schublade nahm er mit …

Die Geheimtür in der Mauer ließ sich unschwer nach innen aufziehen … Es war eine jener Türen, wie man sie in alten Bugen oft genug antrifft, ein mit Ziegelsteinen ausgemauerter Eisenrahmen, der sich in vier Angeln drehte …

Die kreischten …

Aber Lomatz wußte, daß der Wächter draußen kaum etwas hören konnte … Dazu war die eiserne Eingangstür zu dick …

Er leuchtete nun in den Raum hinter der Geheimtür hinein …

Eine zweite Tür … – aus Eisen … Riegel – zwei Riegel …

Mühsam schob er sie zurück …

Und – Triumph – – diese Tür ließ sich nun gleichfalls aufstoßen …

Schnell zog Lomatz die andere zu … Schlüpfte in den Gang …

Schloß auch die Eisentür …

Hämmerte die Riegel vor …

Dann – stand er regungslos – keuchend vor Aufregung …

Bückte sich …

Wußte ja, daß an dieser Eisentür sich jemand vorhin zu schaffen gemacht hatte …

Hatte ja die Geräusche vernommen …

Und – sah nun in der dicken Staubschicht am Boden des unterirdischen Ganges die mächtigen Eindrücke der großen nackten Füße des Homgori …

Erschrak …

Murat war hier gewesen … Gerade Murat …!

Ein Zittern lief über Lomatz’ scheue zusammengeduckte Gestalt hin …

Ein Zittern schrecklicher Angst …

Gerade Murat …!!

Lomatz wäre am liebsten umgekehrt …

Und – doch siegte der Wunsch, die Freiheit wiederzuerlangen, über die Furcht vor dem riesenhaften Tiermenschen …

Lomatz sagte sich mit Recht, daß jedes Zögern eine Torheit sei …

Blieb er in dem Verließ und schaffte man ihn nach Berlin, stellte ihn dort vor Gericht, so war er dem Henker verfallen … Sein Schuldkonto war zu groß … Totschlag, ja Mord – man würde ihn seiner zahllosen Verbrechen wegen niemals begnadigen … Sein Kopf war dem Richtbeil verfallen …

Und – was konnte ihm von Murat geschehen?! Schlimmsten Falles auch nur der Tod!

Weshalb also zaudern?!

Und – er löschte das brennende Brett, tastete sich im Dunkeln weiter …

Und – – sah plötzlich vor sich in der Finsternis flackernden Lichtschein …

Sah den Homgori …

Der bog jetzt zur Seite ab … Das Licht der Fackel verschwand.

Lomatz schlich vorwärts …

Erblickte den Tiermenschen, der gerade in dem Turmrest emporkletterte, der jetzt durch das Loch sich ins Freie schwang und seine Fackel in die Tiefe zurückschleuderte …

Sie brannte weiter …

Lomatz … jubelte … Er hob sie empor …

Beobachtete noch, wie der Homgori das Loch bedeckte …

Jubelte – denn er hatte wieder Licht, – sagte sich mit Recht, daß Murat sobald nicht wiederkehren würde, sonst hätte er das Loch nicht verschlossen …

Lomatz lief nun eilends den Gang nach Osten hinab, wollte feststellen, wo dieser mündete …

Und – fand so die Eisentür an diesem Ende des Ganges …

Fand die beiden Riegel zurückgeschoben …

Konnte sie trotzdem nicht öffnen …

Und – – horchte plötzlich auf …

Hörte Stimmen …

Sah an der Seite der Eisentür einen schmalen Lichtstreifen …

Da war eine Ritze …

Da war Licht hinter der Tür …

Lomatz brachte das rechte Auge ganz dicht an dieses kleine Sehloch …

Und – konnte hineinschauen in Gußlars und Montgelars kleine Kerkerzelle …

Erblickte die beiden – ihnen gegenüber Dr. Falz …

Horchte …

Verstand einzelnes …

Reimte sich den Rest zusammen …

Seine Gedanken arbeiteten …

Unmöglich war’s, daß er allein mit der Sphinx das Weite suchte …

Er brauchte Hilfe …

Und – dort drüben schienen jetzt Gußlar und Montgelar gerade in der rechten Stimmung zu sein, alles zu wagen …!! –

Ungeduldig wartete er, daß Falz sich entfernte …

Der Doktor erhob sich denn auch sehr bald …

Sagte sehr ernst:

„Baron Gußlar, wenn auch ich Ihnen glaube, daß Sie und die Fürstin die Absicht gehabt haben, die Sphinx dem Grafen Gaupenberg samt dem Azorenschatz zu übergeben, ich fürchte, die anderen werden starke Zweifel hegen, insbesondere der Kriminalkommissar … – Ich selbst habe ja auch auf Ihr Geschick keinerlei Einfluß, Herr Baron – leider nicht! Nachdem die Behörde jetzt hier eingegriffen hat, müssen die Dinge ihren vorschriftsmäßigen Gang gehen. Gewiß, ich will versuchen, den Kriminalkommissar zu bewegen, daß er Sie freiläßt, verspreche mir aber sehr wenig davon …“

„Ich auch, Herr Doktor!“ rief Gußlar mit unendlicher Bitterkeit … „Wir haben eben … verspielt, alles verspielt! Wir wollten das Gute, und das Schicksal stieß uns grausam zurück … – Ich danke Ihnen für Ihre Anteilnahme, Herr Doktor … Immerhin ist es mir ein geringer Trost, daß wenigstens Sie überzeugt sind, daß ich weder ein Massenmörder noch ein feiger Lügner bin, der jetzt noch Ausflüchte und Märchen ersinnt …“

Falz nickte den beiden Gefangenen freundlich zu und verließ das kleine Gemach …

 

24. Kapitel.

Der letzte Gruß der Sphinx.

Das kleine Turmgemach, in dem Gußlar und Montgelar untergebracht waren, war kaum vier Meter im Quadrat …

Dr. Falz hatte von seinen eigenen bescheidenen Möbeln verschiedenes hergegeben, um sowohl den beiden verhafteten Männern als auch den nebenan eingekerkerten beiden Frauen den Aufenthalt zwischen den kahlen Mauern einigermaßen erträglich zu machen.

Nachdem Falz die Zelle verlassen, saß Werner von Gußlar noch eine Weile zusammengesunken auf seinem Stuhle und starrte finster und mit sich und der Welt zerfallen vor sich hin.

Dann – ein bitteres Auflachen …

„Graf Montgelar, nun haben Sie es gehört! Man wird mir nicht glauben – keine Silbe …! Wir bleiben in Haft …! Und auch Sie, den ich Gaupenbergs menschenkundiger Nachsicht empfehlen wollte, teilen mein und Mafaldas trostloses Geschick!“

Er sprang auf …

Reckte sich …

„Bei Gott, Montgelar, wenn es einem, der gleichsam reinen Herzens ein Übeltäter gewesen wie ich, so ergeht, – wenn man spürt, daß Gott und die Welt sich von einem abwendet, dann … dann fühlt man auch das Schlechte, das nun mal in jeder Menschenseele lauert, wieder üppig ins Kraut schießen …! Unkraut wächst ja bekanntlich am schnellsten …! Und – ich wünschte, ich wäre frei …! Ich wünschte, dasselbe Schicksal, das soeben das Gute in mir höhnisch in Scherben geschlagen hat, gäbe mir eine Gelegenheit zum Entschlüpfen …! Dann – würde ich fortan auf alle moralischen Bedenken pfeifen …! – Hol’s der Teufel, Montgelar, diese närrischem Menschheit wünscht ja nicht, daß man sich aus dem … Dreck emporarbeitet …! Im Gegenteil – sie jagt uns wieder hinein! Und im Grunde kann man’s ihr gar nicht einmal verdenken …! Es ist genau dasselbe wie mit entlassenen Sträflingen … Keiner will sie beschäftigen … Jeder fürchtet, daß diese Gesunkenen abermals straucheln … Und erneut stehlen und …! – Oh – – jetzt frei sein, Montgelar …! Jetzt diesen dreimal verfluchten Azorenschatz wieder in die Finger bekommen! Ich wollte schon sorgen, daß man ihn mir nicht wieder abjagt! Alles in mir schreit nach Vergeltung!! Die Menschen sollen erfahren, daß ich, Werner von Gußlar, mich zu rächen verstehe!!“

Arthur Montgelar zuckte nur die Achseln …

„Baron, es wird genau umgekehrt kommen … Die Menschheit wird sich rächen … Würdige Herren, die den Kopf voller Strafgesetzparagraphen haben, und schlichte Bürger, die in ihrer Ehrpusseligkeit pflichtgemäß Abscheu vor jedem Gescheiterten empfinden, – werden über uns zu Gericht sitzen – über uns vier, – und das Ende vom Liede – wir werden Düten kleben oder Säcke nähen oder uns sonst wie im Gefängnis betätigen …“

Wieder lachte Gußlar …

„Ja – falls man mich nicht wegen Mordes vor die Geschworenen stellt! Dieser Herr Kriminalkommissar hat mir bereits unverblühmt zu verstehen gegeben, daß ich seiner Meinung nach ein … Massenmörder bin … Vieles spricht gegen mich – sehr vieles … Ich werde …“

Und – schwieg …

Die Tür ging auf …

Einer der Kriminalbeamten brachte auf einem Teebrett das Abendessen für die Gefangenen …

Höhnend rief Gußlar:

„Schau an! Wohl die Henkersmahlzeit! Das sind ja Delikatessen! Braten – Suppe –, Kompott – zwei Sorten Käse …! Oh – man verwöhnt uns …!“

Der Beamte erklärte kalt:

„Auf Befehl des Grafen Gaupenberg und mit Zustimmung meines Vorgesetzten …“

Er stellte das große Teebrett auf den Tisch und entfernte sich.

Gußlar schaute nochmals all die in der Tat geradezu auserlesenen Dinge an …

„Sehr anständig!“ murmelte er … „Für einen Massenmörder viel zu gut …!“

Und er nahm die Weinflasche in die Hand, prüfte das vergilbte aufgeklebte Papierschildchen …

„Rauenthaler 1902 … Donnerwetter, Montgelar, ein Weinchen, der seine dreiundzwanzig Jahre auf dem Buckel hat …! – Ich wäre ein Narr, wenn ich fasten wollte … Vielleicht ist’s die letzte anständige Mahlzeit, die mir angeboten wird … Morgen früh bringt man uns ja spätestens nach Berlin … Also, – essen wir …!“

Montgelar deutete mit der Hand auf die verschlossene Tür nach dem Nebengelaß …

„Ob man die Fürstin und Else von Parland ebenso gut versorgt hat, Baron …?!“ Sein Gesicht war in diesem Moment gramerfüllt und noch düsterer als das des Kurländers. Der Gedanke, daß das Weib, dem seine hingebungsvolle Liebe gehörte, durch ihn nun in diese Lage geraten, war für ihn weit ärger als das eigene trübe Schicksal.

Der Baron erwiderte nur:

„Man wird unsere Damen nicht anders behandeln als uns … Ich sage, Damen! Und ich wollte keinem raten, sie in meiner Gegenwart anders zu bezeichnen!“

Dann setzte er sich …

Montgelar griff nach dem auf dem Teebrett liegenden Korkenzieher …

„Erst einen Schluck Wein, Leidensgefährte … Wein ist der Tröster, Wein, Alkohol, – der Tröster der Verlierer …“

Und er entfernte die Staniolkappe vom Flaschenhals.

Hielt plötzlich inne …

Schaute sich um …

„Gußlar, hören Sie …!!“ flüsterte er scheu …

Der Kurländer starrte nach der Wand hin, wo die beiden eisernen Betten standen …

Stille …

Und – wieder dieselbe raunende Stimme – jetzt klarer, deutlicher:

„Achtung … – Hier Lomatz …!!“

Gußlar und Montgelar ruckten empor …

„Vorsicht …!“ kam’s weiter aus der verwitterten Mauer … „Können Sie nicht beobachtet werden?“

Jetzt hatte der Kurländer begriffen …

Eine wilde Freude flammte in ihm auf …

Mit zwei Schritten war er vor den Betten …

„Niemand kann uns beobachten,“ sprach er fast keuchend vor Erregung … „Wenn die Tür geöffnet wird, hören wir es rechtzeitig … Aber jetzt wird uns niemand stören …“

„Dann rücken Sie die Betten etwas zur Seite …“

Auch Montgelar stand nun neben dem Kurländer, hatte dessen Arm umkrallt …

„Gußlar – – die Freiheit!!“ Seine Stimme klang ganz unnatürlich …

Und sie schoben die Betten nach links …

Sahen dann, wie ein Mauervierecke sich nach innen drehte – wie die Geheimtür zwei handbreit sich öffnete.

Die rostigen Angeln kreischten …

„Unterhalten Sie sich laut!“ befahl Lomatz … „Diese verdammte schrille Katzenmusik könnte alles verderben.“

Und die beiden taten’s …

Redeten irgend etwas hin … Wußten kaum, was sie sprachen …

Wieder bewegte sich die Tür …

„So kommen Sie jetzt – – rasch!!“

Lomatz’ Kopf erschien …

„Rasch …!!“

Gußlar flüsterte heiser:

„Nicht ohne unsere Damen, Lomatz … Warten Sie … Die Verbindungstür ist nur verschlossen …“

„Warten?! – Nicht eine Sekunde!“ – und Lomatz drängte sich halb in die Zelle … „Wahnwitz wär’s, der Weiber wegen alles aufs Spiel zu setzen – Wahnwitz! – Vorwärts – folgen Sie mir …! Wir haben bei Gott keine einzige Minute zu verlieren …!“

Gußlar stand ihm am nächsten … wußte, daß der Lump sich nicht würde umstimmen lassen … Lump, wenn er sie jetzt auch befreien wollte …! Aus Anhänglichkeit tat er’s wahrhaftig nicht … Nur, weil er Kameraden brauchte …

Und Gußlar warf die Hände vor … Hatte den Hals des Verbrechers erwischt …

Ein Druck – ein Ruck …

Lomatz’ Schädel prallte gegen die Mauer …

„Halten Sie ihn fest, Montgelar,“ raunte der Kurländer dem Grafen zu … „Vorläufig ist er erledigt.“

Mit dem Korkenzieher tastete er in das Schlüsselloch der Verbindungstür … Wußte mit Schlössern Bescheid.

Der Riegel schnappte zurück …

Er zog die Tür auf …

Winkte nur … Die beiden Frauen drüben waren schon aufgesprungen …

Kamen …

Verschwanden als erste im unterirdischen Gang …

Montgelar trug den bewußtlosen Lomatz … Der Baron die Lampe aus der Zelle …

Schweigend gings im Laufschritt vorwärts … Treppen hinab – hinauf …

Gußlar jetzt voran … Die Lampe ganz tief …

Sah die Spuren in der dicken Staubschicht … Sah, daß sie in die Reste des Turmes abbogen …

Empor die verfallenen Stufen …

Dann – – ein mühseliges Emporklimmen …

Bis zu den mit Moos und Steinen bedeckten Ästen, bis zu dem Loche … –

Lomatz kam zu sich … wollte aufbrausen …

Fand sich in das Unabänderliche …

Man knotete die Jacken der drei Männer aneinander, zog die Frauen empor, stand dann in tiefer Dunkelheit unter den Parkbäumen …

Die alten Stämme rauschten im Nachtwinde …

Und die Fürstin nun voran … Wußte hier am besten Bescheid – zum Schloßhof …

Finsternis auch hier …

In den Büschen die fünf … spähend, atemlos …

„Wenn die Sphinxröhre herausgeschraubt ist, müssen wir weiter …,“ raunte Lomatz …

Oben an Deck schritt eine einsame Gestalt hin und her – der einzige Wächter, einer der Beamten. –

Gußlar kroch auf das Heck der Sphinx zu … Betastete das Gehäuse …

Die Röhre war da …

Keiner der Sphinxleute hatte damit gerechnet, daß abermals ein Feind auftauchen könnte …

Der Kurländer nun die Außenleiter empor …

Wurde angerufen …

„Wer da?!“

„Landjäger Müller aus dem Städtchen Gaupenberg.“

Und ruhig schwang Gußlar sich über die Reling.

„Ich soll Sie ablösen,“ sagte er ebenso ruhig …

Der Beamte blieb arglos …

Gleich darauf lag er in den Büschen, gebunden, geknebelt …

Ein Zittern ging durch den Bootskörper …

Die Sphinx hob sich vom Boden …

Langsam …

Schneller …

Der Wind trieb sie nordwärts …

Über die Gaupenburg hinweg … In die Finsternis der Septembernacht hinein … – –

Die korpulente Köchin Helene war zur selben Zeit in der großen Küche im Seitenflügel des Schlosses zusammen mit den beiden aus Sellenheim stammenden Stubenmädchen mit dem Reinigen des Geschirrs beschäftigt, während der Kutscher Johann und Gottlieb Knorz auf einem langen Tisch das Familiensilber säuberten und wieder in die zugehörigen Kästen taten.

Man unterhielt sich lebhaft … Gottlieb machte allerlei Scherze … Sein faltiges hageres Wilderergesicht, das so wenig an die üblichen Domestikenzüge erinnerte, strahlte vor Freude, Zufriedenheit und auch infolge des bei der Tafel genossenen Weines …

„Es soll nun also in nächster Zeit schon die dreifache Hochzeit stattfinden,“ erklärte er jetzt schmunzelnd. „Unsere drei Brautpaare haben ja auch lange genug gewartet … Brautstand bringt außer Rand und Band, heißt’s in dem alten Sprichwort. Und in einem anderen heißt’s: Aber die Ehe – bringt das dreifache Wehe!“

Die Mädchen in ihren blendend weißen Schürzen riefen Gottlieb empört allerlei ‚Schmeicheleien’ an den Kopf …

Er als alter Junggeselle könne die Ehe doch überhaupt nicht beurteilen …

Und Helene, die Dicke, meinte würdevoll:

„Sie sollten sich schämen, Knorz … Hier von dreifachem Wehe zu sprechen, wo man doch das Glück unseres gräflichen Paares und des Herrn Hartwich und Gattin so dicht vor Augen hat …!“

Worauf Gottlieb mit Begeisterung rief:

„Ja, – Helenchen, Ausnahmen bestätigen nur die Regel …!“

Er wollte noch mehr hinzufügen …

Aber – mit donnerndem Krach war da die größte der Bratenschüsseln einem der Mädchen aus den Händen gefallen …

Nicht ohne Grund …

Denn urplötzlich war da dicht vor ihr am offenen Küchenfenster das behaarte und seltsam verzerrte Gesicht des Tiermenschen aufgetaucht …

Vor Schreck hatte die Sellenheimer Maid laut aufgeschrieen …

Dann lag auch schon die Bratenschüssel in tausend Scherben am Boden. Murat schwang sich blitzschnell durch das Fenster in die Küche hinein … Fuchtelte mit den langen Armen wild in der Luft umher …

Wollte sprechen …

Nur gurgelnde Töne kamen über die dicken Lippen.

Bis ein wilder Schrei ihm die Sprache wiedergab.

„Sphinx … gestohlen … Sphinx weggeflogen!!“

Und seine rechte Pranke deutete hoch in die Luft …

Alle standen wie versteinert …

Gottlieb war erbleicht …

Die Knie zitterten ihm …

Murat fügte hinzu – so hastig, daß ihm die Worte nur so über die Zunge stolperten …:

„Murat kommen von Dr. Falz … Kommen in Schlosshof … Sehen Hof ganz leer … Nach oben blicken – und da Sphinx fliegen über Turm hinweg.“

Knorz warf den silbernen Teller, den er gerade in der Hand hielt, auf den Tisch und stürzte zur Küche hinaus …

Hinter ihm her Johann, Murat, Helene, die Mädchen …

Durch die Flure – die Zimmer – hinaus auf die Terrasse …

Hier brannten vier Lampen mit bunten Schirmen … Hier saß das Ehepaar Gaupenberg mit seinen Gästen … In dem uralten silbernen Bowlengefäß duftete ein köstliches Gebräu … Deutscher Waldmeister gab der wunderbaren Mischung edelster Weine die rechte Würze … Geschliffene Pokale waren mit dem goldgelbe Naß gefüllt, in dem die zarten Blättchen des Waldmeisters schwammen …

In bequemen Korbsesseln saß man … Alles in jener beschaulichen Stimmung, die ein gutes Souper und angenehme Gesellschaft hervorruft …

Die Liebespaare dicht beieinander … Hand in Hand.

Und jenseits der Terrassenbrüstung das feierliche Rauschen des Parkes und die zärtliche Dunkelheit der lauen Septembernacht …

In diesen Frieden platzte Gottlieb Knorz hinein … Ein Unglücksbote – verstört, in Miene und Haltung schon ankündigend, daß Unerhörtes geschehen …

Liebende Hände lösten sich … Aus verschleierten Augen schwand das heimliche Sehnen nach des Lebens höchster Erfüllung …

Eine Gruppe starrer banger Gestalten …

Und dann Gottliebs halber Aufschrei …

„Die Sphinx – – entführt – – gestohlen!“

Menschen, die noch soeben in süßem Behagen dahingeträumt hatten, flogen empor …

Ein Chor entsetzter Stimmen brauste auf …

Gaupenberg trat unsicher vor – trat auf den treuen Diener zu …

Da – hinter Gottlieb die übrigen: Johann, Murat, die Mädchen …

Murat brüllte, und seine Stimme drang hinaus in das Rauschen der Bäume …:

„Die Sphinx – – dort – – dort!!“

Und alle Köpfe fuhren herum … Aller Blicke glitten empor zum nächtlichen Sternenzelt …

Und – dort oben … – zwei Scheinwerfer – zwei blendende Lichtkegel …

Scheinwerfer der Sphinx …

Glitten umher … Strahlenbüschel suchten die Gaupenburg …

Lichtschein glitt über die Terrasse hinweg …

Kehrte zurück … Lag still, lag auf den blassen Gesichtern …

Alle starrten empor zu dem spindelförmigen dunklen Etwas dort am Firmament …

Dann – erloschen die Scheinwerfer jäh …

Zurück blieben geblendet die Augen … Verstört die Seelen …

Bis Wendler mit harter Stimme rief:

„Das – das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein … Unsere Gefangenen sind doch …“

Und – brach mitten im Satze ab …

Zwei seiner Leute schoben die Mädchen in der Flügeltür beiseite …

Zwei von denen, die in der Ruine Sellenheim gewacht hatten …

Der eine meldete …

Seine Sätze waren wirr … Und doch eins begriff jeder. Die Gefangenen waren entflohen …!! Hatten die Sphinx geraubt …! –

Nielsen nahm Gaupenberg unter den Arm …

„Steigen wir in das Verließ hinab …!“

Da – Murat trat vor … Schuldbewußt, stammelnd und stotternd berichtete er von seinem Erlebnis im Park …

Doch seine Selbstanklage war unnötig. Wie sollte er auch ahnen, daß seine Faustschläge gegen die eingerosteten Riegel der Eisentür Edgar Lomatz den Weg in die Freiheit weisen würden?!

Und so machte Gaupenberg ihm denn auch nicht den allergeringsten Vorwurf. Man wußte nun, wie die Gefangenen entweichen konnten. Die Herren begaben sich in das Verließ, drei Beamte unter Murats Führung in den Park zum alten Befestigungsturm. Inzwischen hatte man auch den gefesselten Beamten gefunden, der sich aus dem Gebüsch in Schloßhof gewälzt hatte.

Gaupenberg lernte so ein weiteres Geheimnis seines Schlosses kennen. Von dem unterirdischen Gang zur Ruine Sellenheim, die einst gleichfalls dem gräflichen Geschlecht gehörte, hatte niemand mehr etwas gewußt. Seit Jahrhunderten war die Kenntnis dieses Verbindungsweges verloren gegangen.

Um zehn Uhr waren die Sphinxleute und Kommissar Wendler wieder auf der Terrasse versammelt …

Die Bowle liebt unberührt. In dumpfem Schweigen saß man beieinander. Zu jäh waren all diese Menschen, die nun endlich Ruhe und Frieden gefunden zu haben glaubten, wieder in trostlose Hilslosigkeit gestürzt worden.

Dr. Falz, mitten unter ihnen, schaute still zum klaren Nachthimmel empor …

Dann begann er zu sprechen …

Erzählte von seinem Besuch in der Zelle Gußlars und Montgelars, und schilderte bis ins einzelne des Barons Geständnis und Absichten …

„Ich zweifele in keiner Weise an der Wahrheit seiner Angaben,“ schloß er nun seinen genauen Bericht. „Ich bin überzeugt, daß Gußlar und die Fürstin die Sphinx und den Schatz herausgeben wollten. Aber ich war auch ebenso überzeugt, daß Ihr, meine Freunde, ihnen keinen Glauben geschenkt hättet … – Es hat eben so kommen sollen, wie es gekommen ist …“

Niemand hatte hierzu etwas zu erklären. Kommissar Wendler starrte finster vor sich hin. Er fühlte dunkel, daß sein Eingreifen vielleicht zwei Menschen, die unter ihr bisheriges Dasein einen endgültigen Schlußstrich hatten ziehen wollen, wieder auf die Bahn des Verbrechens zurückgedrängt hatte.

Gerhardt Nielsen lehnte an der steinernen Terrassenbrüstung und hatte den linken Arm leicht um Gipsy Maads Nacken gelegt … Gipsy saß in einem Korbsessel dicht neben ihm …

Und in das bange Schweigen hinein sprach er mit seiner energischen Stimme:

„Es muß doch etwas geschehen …! Wir können doch nicht untätig bleiben …!“

„Was soll geschehen?!“ Gaupenberg hob die Schultern …

„Sie haben in Ihrem Laboratorium einen kleinen Sender, soviel ich weiß,“ sagte Nielsen ebenso energisch. „Die Sphinx hat Sende- und Empfangsapparate. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Lomatz, um vielleicht Depeschen, die die Verfolgung der Sphinx durch Flugzeuge anordnen könnten, die Antenne der Sphinx in Ordnung bringt. Wenn wir nun von hier aus auf derselben Welle, die von uns auf der Sphinx wiederholt benutzt wurde, auf Welle 1600, in den Äther hinausfunken würden, daß wir den fünf Leuten volle Freiheit zusichern, dazu noch einen Teil des Schatzes, dann könnte Gußlar vielleicht wieder umgestimmt werden. Ich sehe keine andere Möglichkeit, wieder in Besitz des Luftbootes zu gelangen, denn ein Fahrzeug wie die Sphinx mit Flugzeugen verfolgen oder suchen zu wollen, ist vollkommen aussichtslos …“

Dr. Falz nickte Nielsen zu … „Ihr Vorschlag ist gut, lieber Nielsen, und bietet die einzige geringe Hoffnung …“

Gaupenberg erhob sich schon …

„Versuchen wir’s … Wenn Sie mich ins Laboratorium begleiten wollten, Nielsen … Und auch du, Georg … Wir müssen die Depesche stundenlang funken, immer denselben Wortlaut … Wir lösen uns ab … Am besten, wir versuchen’s die ganze Nacht … Es ist ja unsere letzte Hoffnung … Denn der Baron Gußlar scheint mir ganz der Mann zu sein, sich nicht erwischen zu lassen … Ihm gegenüber werden wir nur mehr durch Nachgeben etwas ausrichten …“

Die drei Herren, denen sich noch Dalaargen und Wendler anschlossen, verließen die Terrasse …

Die Zurückbleibenden erörterten die Aussichten dieses Versuchs … Niemand versprach sich etwas davon. Alle waren überzeugt, daß die Sphinx und der Azorenschatz jetzt endgültig verloren seien, aber keiner wagte diese Gedanken in Worte zu kleiden. Man täuschte sich gegenseitig, um sich gegenseitig aufzurichten …

Falz hatte neben Agnes Platz genommen und hielt ihre Rechte …

Agnes schaute ihn fragend an …

Und er beugte sich zu ihr – ganz dicht, flüsterte ihr, die er wie sein eigenes Kind liebte, leise zu:

„Dir will ich’s anvertrauen, Agnes … Nur dir … Gerade dir, weil du zu denen gehörst, die die Schrecken einer nahen Zukunft überleben wird … Ich wußte bereits auf der Faluhn-Klippe, daß der Azorenschatz niemals die Leiden des deutschen Volkes lindern wird … Ich habe damals in jener Vision, von der auch du einen Teil schautest, in unheimlicher Klarheit gesehen, wie das Gold wieder dorthin verschwand, woher es emporgehoben wurde: in die Tiefen des Meeres! Und – in die unergründlichen Schlünde des Ozeans wird es zurücksinken … – Deshalb, Agnes, – deshalb sind alle Sorgen und Ängste dieser Milliarden wegen genau so überflüssig und zwecklos, als wollten wir versuchen, einen dahingegangenen Tag von neuem erstehen zu lassen. Gewiß – nichts soll unterlassen werden von den andern, von den Uneingeweihten, was an irdischen Maßnahmen zur Wiedererlangung der Sphinx und des Goldes geschehen kann … Wir beide aber wollen … schweigen … Wir müssen über den Ereignissen stehen … Denn noch anderes droht …“

Seine Stimme ward noch leiser, klang seltsam dumpf.

„Anderes, mein Kind … Auch das schaute ich in unheimlich klaren Bildern … Auch das werde ich in meinem Hirn verschließen … Weshalb Angst und Entsetzen säen?! Weiß ich doch nicht, ob von uns vielleicht nicht alle, die hier zusammengehören, dieses … Weltende überstehen werden – – vielleicht … vielleicht …!“

Agnes’ schmale Hand wurde in des Einsiedlers zärtlichen Fingern eisig kalt …

Grauen schnürte ihr die Kehle zu …

An den Geliebten dachte sie, an das Kind, das sie unter dem Herzen trug …

Ein Seufzer nur kam über ihre Lippen, ein fehlendes:

„Oh mein Gott, – – schütze uns, du allmächtiger dort über den Sternen!“

Dagobert Falz streichelte ihre eisige Hand …

„Ruhe, Agnes, Ruhe … Noch können Wochen, Monate vergehen, bis auch diese meine Vision sich erfüllt … Tapfer sein, Agnes! Sich nichts anmerken lassen! Und – – nie vergessen, daß du jedenfalls und dein Gatte und … dein Kind bestimmt zu denen gehören, die eine große Mission zu erfüllen haben, ein neues Menschengeschlecht der verwandelten Erde zu schenken, nachdem der Weltkrieg die Menschheit bis in die Tiefen der Seele hinein verderbt hat! Unglaube, Gottlosigkeit, Machthunger, Genußsucht, Trägheit – noch anderes mehr sind die Folgen dieses jahrelangen Mordens … Die Feinde Deutschlands glauben im eigenen Interesse das deutsche Volk niederhalten zu müssen, fürchten, daß wie einst im Jahre 1813 das gesamte Deutschland sich eines Tages wider gegen seine Peiniger erheben könnte! – Welch ein Wahnwitz liegt in dieser Furcht! Welch ungeheure Blindheit! Sehen denn die Lenker der Geschicke der anderen Nationen nicht, daß alles, was an Menschen auf Erden lebt, von Grund auf verwandelt ist, daß die Bestie im Menschen geweckt ist und weiter wütet wie in den unseligen Kriegsjahren?! Wohin du blickst, mein Kind, überall die untrüglichen Zeichen der allgemeinen Auflösung! Man hat einen so genannten Frieden in Versailles geschlossen, man hat angeblich den Moloch Krieg in Fesseln gelegt … Und dabei rüsten die Staaten wie nie zuvor, bauen Luftflotten, Panzerschiffe, konstruieren neue Mordwaffen, mischen Giftgase, können sich nicht genug tun mit der Erschaffung von Vernichtungsmitteln! Lächeln muß man über diese Staatsmänner, die da mit Phrasen die Welt und sich selbst belügen. In Nordafrika wütet der Kampf zwischen Farbig und Weiß, in Syrien, Palästina desgleichen … Überall stehen die Völker Gewehr bei Fuß … bereit zu neuem Morden … – Und der innere Frieden der Nationen?! Hat es jemals innerhalb der Nationen so unendlich viel Haß gegeben wie heute?! Hat nicht die Politik die Gemüter aller guten Regungen entkleidet?! Feindschaft, Verachtung, Niedertracht, Gehäßigkeit: So fühlt man gegenseitig! So ist’s nicht nur in Deutschland – überall ist es so! Eine neue Zeit sollte nach dem Phrasengeklingel der Allmächtigen der Nationen mit dem Ende des Weltkrieges beginnen… ‚Alles für das Volk!’ schrien diese Scharlatane der Staatskunst! Und – was ist geworden?! Die Völker stehen dem Bankrott gegenüber. Ströme von Gold fließen dem Gläubiger der Welt zu – fließen nach Amerika! Der große Geschäftsmann Unkle Sam erstickt in Gold … – Widersinn, Unnatur, Narrheit – das erleben wir jetzt!! Die Welt leidet an Alterserscheinung, stirbt ab … Wenige sind’s, die diese warnenden Vorzeichen beachten … Und diese Wenigen könnten ihre Stimme noch so laut erheben, sie würden verlacht werden! – Gottesglauben ist auf den Müll geworfen! Die neue Zeit brauchte keinen Gott! Ich aber sage dir – und nicht zum ersten Male, dort oben über den Sternen thront einer, der mit trübem Lächeln dies freche Gaukelspiel hier auf Erden beobachtet! Ich sage dir, es gibt einen Gott! Es gibt eine geheimnisvolle Macht, die uns regiert! Uns alle! Tausendfach habe ich’s gespürt! Und – dieser Gott ist nicht mehr langmütig wie einst! Wie er das jetzige Geschlecht von der Erde tilgen wird, weiß ich nicht … Aber – er wird es auslöschen! Vernichten wird er, was sich unter dem Namen Kultur in stolzer Überhebung bläht! Nichts wird bleiben – kein Stein auf dem andern! Nur eine einzige Oase wird die Einöde des grauenvollen Nichts beleben … Diese Oase, mein Kind, hast du geschaut – – als Vision wie ich! – Sei getrost, Agnes! Und jetzt wollen wir den Freunden raten, sich zur Ruhe zu begeben …!!

 

25. Kapitel.

Das große Wunder.

An Bord der Sphinx …

Und die Sphinx wieder in der Gewalt des Mannes, der die Menschen jetzt haßte, weil sie ihn verstoßen hatten …

Haßte – mit der unendlichen Bitterkeit dessen, der das Gute gewollt und dem nur die dunkle Vergangenheit angerechnet worden war: Baron Werner von Gußlar! –

Die Sphinx flog gen Norden …

Durch Nacht und Dunkelheit …

Hatte soeben durch die gleißenden Lichtfinger der beiden Scheinwerfer der Gaupenburg letzten Gruß entboten …

Gußlar stand im Kommandoturm … Um ihn herum seine Gefährten: Mafalda Sarratow, Graf Arthur Montgelar, Else von Parland und Edgar Lomatz …

Lomatz mit verkniffenen Lippen, tückischem Blick …

„Halten Sie Frieden, Lomatz!“ mahnte Graf Montgelar ernst …

Der Verbrecher brauste auf …

„Habe ich Sie befreit oder nicht – Sie vier?! Kann ich verlangen, daß der Baron sich bei mir entschuldigt, weil er mich in der Zelle wie ein wildes Tier gewürgt und mit dem Kopf gegen die Mauer gestoßen hat …?! War das ein Benehmen gegenüber Ihrem Retter?!“

Da sagte Gußlar eisigen Tones:

„Gewiß – Sie sind unsere Befreier, gewiß …! Aber – niemals haben Sie etwa aus Kameradschaft dies getan! Wir kennen Sie, Herr Lomatz! Sie brauchten uns! Ohne uns hätten sie nicht fliehen können! Die beiden Frauen wollten Sie ihrem Schicksal überlassen … Ich mußte Gewalt anwenden … Ich habe keinen Grund, mich zu entschuldigen …“

Lomatz’ blasses Gesicht wurde noch starrer …

„Nun gut, – dann eine andere Forderung, die noch berechtigter ist, ich habe hier an Bord zu befehlen! Ich bin der Befreier! – Ich verlange zu wissen, wohin Sie die Sphinx steuern, Gußlar?“

„Bitte, Herr Baron oder Herr von Gußlar! – Ich lehne jede Vertraulichkeit von Ihrer Seite energisch ab. Ich nenne Sie ‚Herr Lomatz’ und ersuchen Sie um das gleiche …! – Was das Kommando hier an Bord angeht, so mag die Mehrheit entscheiden. Fragen Sie den Grafen, die Fürstin und Ihre geschiedene Gattin, wem sie sich anvertrauen wollen: Ihnen oder mir!“

Montgelar erklärte kurz:

„Darüber kann wohl kein Zweifel bestehen!“

Und Else von Parland blickte ihren einstigen Gatten mit einer so deutlichen Verachtung an, daß ihm die helle Röte der Wut in die fahlen Wangen schoß.

Gleichmütig sagte Mafalda:

„Was du, Edgar Lomatz, bisher an Hinterlist und Verräterei begangen, macht dich untauglich für jede Verantwortung! Gußlar hat allein zu bestimmen, was geschehen soll …“

Ein freches hohnvolles Grinsen flog über Lomatz’ verlebte Züge …

„Schau an, – die Bekehrte meldet sich!! Willst wohl in ein Kloster, Mafaldachen …! Scheint so! Willst dir einen Heiligenschein verdienen! Nur zu!! Was Satanas einmal in den Klauen hat, wird …“

Gußlar machte eine Bewegung, als ob er sich auf den Elenden stürzen wollte …

Beherrschte sich …

Meinte nur: „Wenn Sie es nochmals wagen sollten, die Fürstin in dieser Weise herabzusetzen, werden wir anders mit Ihnen umspringen!“

Und Montgelar murmelte ziemlich verständlich:

„Unverschämter Lump!“

Lomatz biß die Zähne in die Unterlippe …

Sein Blick suchte den Boden …

Er überlegte …

Ohnmächtige Wut erstickt ihn fast …

Dann hob er mit einem Ruck den Kopf …

Schaute Gußlar an …

„Ich verlange, daß der Schatz sofort geteilt wird … – Sofort! Die Hälfte mir, die andere Hälfte Ihnen und den dreien da … Dann trennen wir uns … Ich wünsche, daß Sie mich in der Nähe von Berlin absetzen … Ich habe da einen Bekannten von früher, der ganz einsam wohnt … Er besitzt ein Häuschen, das unweit des Berliner Vorortes Zehlendorf im Walde liegt.“

„Wird ein netter Bekannter sein!“ brummte Montgelar …

Gußlar aber erwiderte kurz:

„Der Azorenschatz und die Kleinodien des Aztekenkönigs bleiben vorläufig zusammen … Nichts wird geteilt … Ich habe zunächst noch in Berlin etwas zu erledigen … Und dann, Herr Lomatz, werden Sie … abgelohnt werden! Dann können Sie … verschwinden …“

Lomatz krampfte die Fäuste zusammen …

Für einen Moment …

Blitzschnell überlegte er … Konnte auf Grund seiner Menschenkenntnis recht gut beurteilen, daß hier mit Gewalt nichts auszurichten.

Wenn ein Werner von Gußlar in diesem Tone ihm seinen Anteil an dem Schatz verweigerte, dann tat man klüger, in der einzig richtigen Art sich vorläufig mit den Dingen scheinbar abzufinden …

Und das hieß, nicht etwa sofort nachgeben! – Nein, das hätte Verdacht erregt! Das hätten die sogenannten Kameraden hier nie geglaubt …! Also – Komödie spielen! Jene Komödie, die noch stets ihm geglückt …

Und – wieder ballte er die jetzt halb erhobenen Hände …

„He – was soll das? Mich ablohnen – – ablohnen?! Bin ich Ihr Bedienter, Herr Baron?!“ – Seine Stimme kreischte, überschlug sich …

Die anderen empfanden nichts als Ekel bei alledem.

Und Gußlar nun wegwerfend, in Wahrheit ihn abfertigend wie ein Schuhputzer …:

„Was sich unter ablohnen verstehe, werden Sie sehen! Sie sollen erhalten, was Ihnen gebührt – mehr noch! Pochen Sie nicht auf Ihre Retterrolle! Denken Sie an die Zigaretten – an die betäubenden Zigaretten! Einer, der anderen nur hilft, weil er muß, handelt aus Eigennutz! Und jetzt – Schluß der Debatte, Herr Lomatz! – Sie erwähnten einen Freund, der ein einsames Grundstück besitzt … Wir brauchen ein Versteck in der Nähe Berlins, wenn auch nur für kurze Zeit … Sie könnten mir nachher die nötigen Weisungen geben, wo das Haus zu suchen ist … Wohnt der Mann dort allein?“

Lomatz ließ die Fäuste sinken …

Ein finsterer Blick traf Gußlar …

„Suchen Sie sich allein ein Versteck!“ sagte er scheinbar ärgerlich … „Wenn ich hier nur geduldet bin, dann handeln Sie auch gefälligst selbst!“

Und er drehte sich um, wollte den Kommandoturm verlassen …

Auch nur Komödie …

Blieb stehen …

Wandte den Kopf …

Zuckte die Achseln, lachte …

„Na – vorläufig ziehen wir ja noch am selben Strange!“ rief er immer noch den Beleidigten spielend. „Ja – ein Mann wohnt dort ganz allein … Ist uralt … Uralt ist seine Wirtschafterin … Ein Sonderling ist’s … Ein Sterngucker … So einer, der in seiner Person strengste Wissenschaftlichkeit und wieder auch … geriebenstes Gaunertum besonderer Art vereinigt … Was er als … Gesetzaußenseiter treibt, will ich nur andeuten … Zu Strapazen ist der untauglich … Er tut daheim, was die Polizei und die Herren von der Reichsbank wenig freut … – Jedenfalls – dort sind wir sicher … Wie in Abrahams Schoß …“

„Gut – und der Mann heißt?“ meinte Gußlar.

„Dr. van der Baake … War mal Holländer.“

„Dann werden wir dort also langten … Wir sind in zwei Stunden spätestens in Berlin – noch bei Dunkelheit … Und mein Geschäft in der Stadt dauert keine vier Stunden. Mittags können wir wieder aufsteigen … Wenn wir dann irgendwo auf einsamer Insel angelangt sind, wird … die Verteilung erfolgen … Jetzt tun Sie gut …,“ – und er wandte sich an Else von Parland und den Grafen – „sich ein wenig niederzulegen … Es kann möglich sein, daß wir einigen Strapazen entgegengehen … Also – sammeln Sie Kräfte …! – Mafalda, du bleibst wohl bei mir …“

Was Lomatz tun wollte, war ihm gleichgültig … Und – der zog sich denn ebenfalls in eine der Kabinen zurück …

Die Liebenden waren allein …

Allein in dem engen, runden Führerraum …

Zum ersten Male allein, seit die Freiheit ihnen wieder als köstliches Geschenk beschert worden …

Mafaldas glückliche Augen ruhten voller Hingabe auf dem Gesicht des Geliebten …

Ihr Antlitz war durch das, was in ihrer Seele als wunderbare Wandlung vor sich gegangen, wie veredelt, wie von innen heraus durchgeistigt mit dem köstlichen Schimmer neuen, besseren Menschentums …

Und mit unendlicher Zartheit, ohne jede Koketterie schmiegte sie sich an ihn …

„Werner, Werner, nun doch wieder in Freiheit vereint!“

Ihre Stimme war Glück und Seligkeit …

Und streichelte den Mann, in dem nach den letzten Ereignissen nur Bitterkeit und Haß lebten, wie mit den weichen welken Händen einer gütigen Mutter …

Da glomm auch in seinen Blicken ein Widerschein dieses Glückes auf … Da fielen von ihm all die häßlichen Empfindungen wie Schlacken von einem köstlichen erzenen Guß langsam ab …

Er drückte Mafalda an seine Brust, küßte sie …

„Mafalda …!!“

Seine Augen strahlten die gleiche Liebe …

„Mafalda – wir – zwei Gescheiterte – zwei Ausgestoßene … Die Welt will uns nicht … Bauen wir uns unsere eigene Welt …! Gußlaren, das Stammgut meiner Familie, ist kein Phantom mehr …! Gußlaren werden wir zurückerwerben – mit ehrlichem Golde – mit dem Dublonenschatz, um den Benjamin Jekowzer mich betrog … – Zur Jekowzer werde ich in Berlin gehen! Das ist mein Geschäft, das ich dort zu erledigen habe …! Und – wehe ihm, wenn er sich weigert …! Aber – er wird es nicht … Er ist feige …“

Mafaldas Züge wurden angstvoll …

„Werner, ich … begleite dich zur Jekowzer …,“ erklärte sie sehr bestimmt …

„Unmöglich!“ lehnte er ernst und ebenso bestimmt ab … „Du bist die einzige hier an Bord außer Else von Parland vielleicht, auf die voller Verlaß. Du mußt die Sphinx bewachen. Wenn wir gelandet sind, dann sollen die anderen von Bord. Nur du bleibst … Nur du …! Und schon jetzt, Mafalda, wache mit Ohren und Augen! Bedenke, wir wissen über Montgelar zu wenig … Wer bietet uns eine Garantie, daß Lomatz ihn nicht dazu verleitet, gegen uns aufzutreten. Sei überzeugt, Lomatz plant Arges!“

Mafalda nickte sinnend …

Langsam machte sie sich aus Gußlars Armen frei und sank in einen der Korbsessel …

Ihr Gesicht war mit einem Schlage wie umwölkt … verriet, was in ihr vorging …

Die Sorgen, die Befürchtungen waren erwacht …

Dunkel und unsicher erschien ihr plötzlich wieder die Zukunft …

Die Hände hatte sie im Schoße verschlungen …

Den Kopf gesenkt …

Und so beobachtete sie den Geliebten, der über den Kompaß gebeugt dastand und jetzt Sphinx auf fünfhundert Meter Höhe hinabgehen ließ …

„Werner!“

Er drehte sich um …

Ihre Blicke trafen sich …

„Werner, – – was hast du mit dem Azorenschatz vor?! Du sprachst zu Lomatz von ablohnen … Mir schien’s, als ob …“

Sein Gesicht war jäh wie aus Erz gemeißelt …

Nur dieses Männerantlitz konnte solche Wandlung durchmachen in Sekunden … Nur dieses Antlitz so vollkommene eiserne Entschlossenheit ausdrücken …

Er lehnte sich an das Tischchen, auf dem die Empfangs- und Sendeapparate der Sphinx standen …

Verschränkte die Arme über der Brust … Eine tiefe Falte wölbte sich in der Stirnhaut über der Nasenwurzel …

Seine Augen glitten prüfend zur Gangtür …

Die war verschlossen …

Seine Augen kehrten zu Mafalda zurück … Hart, erbarmungslos waren diese Augen …

Leise seine Stimme … Und doch wie Metall …:

„Mafalda, eine Frage … Mafalda, du willst erfahren, was mit den Milliarden geschehen wird … – Eine Frage …: Glaubst du, daß dieses unselige Gold dem deutschen Volke Segen bringen wird …?“

Die Fürstin wurde ein wenig verwirrt …

Die ungewisse Ahnung stieg in ihr auf, daß Gußlar Absichten hegte, die vielleicht im ersten Moment widersinnig, verbrecherisch scheinen mochten …

„Werner, was … planst du?!“ flüsterte sie scheu.

„Liebling – erst antworte mir …! Antworte mir als Weib, das die Abgründe des Lebens und das ganze klägliche Menschengeschlecht kennt … – Wie denkst du dir die Folgen, wenn diese Milliarden der deutschen Regierung übergeben werden?“

Die Fürstin schloß halb die dunklen Augen und stützte den Kopf leicht in die Linke …

Sann … sann … Und sagte ehrlich:

„Die Gläubiger Deutschlands werden das Gold beschlagnahmen … Die Milliarden wandern ins Ausland … Wenn Deutschland sich weigert, wird man Gewalt anwenden … Es kann vielleicht zu politischen Verwicklungen schlimmster Art kommen …“

„Es kann?!“ Er lachte leise auf … „Es wird, Mafalda! Und – Deutschland wird von dem Golde nichts haben – nichts! Seine Schulden werden nur zum geringen Teil getilgt werden durch diesen Azorenschatz …“

Und nach kurzer Pause …

„Mafalda, Dr. Falz war bei mir in der Zelle der Ruine von Sellenheim … Das sind keine drei Stunden her… Jedes seiner Worte hat sich gleichsam in mein Hirn eingebrannt – seiner Worte, die den Schatz betrafen … In eine Ecke hat er mich gezogen, damit Montgelar uns nicht verstehen sollte … Des Einsiedler Stimme war wie das Raunen eines Geistes aus einer anderen Welt … Er sprach etwa folgendes: ‚Baron, wenn jemals diese Milliarden dem heiligen Zwecke zugeführt werden, den das Freundespaar Hartwich und Gaupenberg so selbstlos von Anfang an im Auge hatte, dann würde mein Vertrauen zu einer anderen Macht, der ich keinen Namen geben kann und darf, aufs schwerste erschüttert werden …!’ – So sprach er … – Und du, die ich liebe, du, die Geist genug besitzt, diese Worte abzuwägen, sage mir, wie du sie deutest …!“

Die Fürstin hatte jetzt die Hände um die Seitenlehnen des Sessels gekrampft und sich weit vorgebeugt … In ihrem Gesicht war eine schreckvolle Gewißheit.

„Mein Gott …!“ hauchte sie, „was alles ist dieses Goldes wegen gesündigt worden … Was alles habe ich selbst ersonnen und getan, um diese Reichtümer zu erobern! Wie köstlich schien es mir, Herrin unermesslicher Schätze zu sein! Und jetzt – jetzt … hat Dr. Falz, der wahrlich niemals etwas hingeredet hat, was nicht seine schwere, schwere Bedeutung hatte, doch offenbar mit seinen Worten nur eins gemeint! Das Gold wird … verschwinden, wird niemals einem Menschen oder einem Volke zu eigen werden!“

Noch ernster wurde da Gußlars Blick …

Noch leiser die Stimme:

„Ja, Mafalda, niemandem zu eigen werden! So soll es sein!“

Die einzelnen Worte fielen wie die Schwertstreiche des Schicksals …

„Mafalda, ich habe beschlossen, das Gold zu … versenken – – in die Meere …!“

Die Fürstin erblaßte leicht …

Ein Schauer ging ihr über den Leib …

Sie spürte, daß diese Absicht des Geliebten nicht in seinem eigenen Hirn geboren worden war, daß diesen Entschluß Einflüsse hervorgerufen hatten, die außerhalb irdischen Wollens lagen …

Sie spürte auch, daß dies eine Entscheidung war, die mehr auf sich hatte als lediglich den Verlust irdischen Gutes …

Und Gußlar wieder:

„Dr. Falz hat noch mehr zu mir gesagt, mein Liebling … Etwa folgendes: ‚In demselben Moment, Baron, wo der Azorenschatz verschwinden würde, wären auch die Geschicke all derer, die mit ihm im Guten und Bösen verknüpft sind, losgelöst von dem Einfluß dieser magischen Kräfte, die jeder Ansammlung größerer Mengen edlen Metalls anhaftet … Die sogenannte exakte Wissenschaft, die Herren Gelehrten mit der erkünstelten Bescheidenheit oder der herausfordernden Anmaßung ihres erbärmlichen Stückwerks von Erkenntnis, – diese Männer, die selbst kaum ahnen, wie wenig sie wissen, würden mich mit spöttischen Blicken mustern und mich mit dem Achselzucken ihrer überheblichen Ignoranz abtun … Genau wie sie zumeist den modernen Okkultismus belächeln … Und doch, Baron, es ist so – es liegt eine geheime Macht in diesem Golde, die jedem, der nur sehen will, spürbar ist. Schon als das Gold von der braven Familie Werter an der Küste Kameruns gefunden wurde, begann diese Macht zu wirken … Schon damals bereiteten sich Dinge vor, die trotz des Weltkrieges, trotz all der Ströme von Blut sich in eiserner Logik weiter entwickelten … Nun ist die Saat fast reif … Aber … die Halme sind faul, die Ähren leer … Der Schnitter naht …’ – Mit diesen Worten, Mafalda, brach der Doktor plötzlich ab, als ob er schon zuviel gesagt hätte …“

Und die Fürstin beschlich abermals dasselbe Grauen wie vorhin … Da war ein Etwas, das unsichtbar vor ihr stand … Sie fühlte die Nähe dieses Rätselhaften.

Und – sie erschauerte …

Pakte wie in heller Angst Gußlars Hände …

„Werner … Werner, der Tod … ganz nahe … Ich fühle es …! Unser Glück – – nur gemeinsames Sterben …!! Aber – das darf nicht sein!“

Ihre Züge waren merkwürdig entstellt … Sie sprang empor … Ihr Flüstern war wie Wehen von Geisterstimmen …

Und Gußlar horchte in tiefem Erschrecken auf diese Laute … Hätte er die Augen geschlossen, würde er geglaubt haben, das dumpfe Raunen des Einsiedlers von Sellenheim zu vernehmen …

„Werner, – wo willst du den Schatz versenken?“ – Und sie hielt seine Hände …

Ihre Finger waren eiskalt …

„Am Kap Retorta – dort, wo das Gold damals heraufgeholt wurde, wo man das U-Boot gehoben wurde, um dann nach der Insel der Azteken durch die Lüfte entführt zu werden … Dort, wo unweit der Küste Tiefen von dreitausend Meter gemessen sind, werde ich die Milliarden dem Ozean übergeben …“

Mafalda atmete schwer …

„Werner – und dann – dann hört der magische Einfluß des Schatzes auf …! Dann – ich weiß es, denn eine innere Stimme sagt es mir jetzt infolge der Andeutungen Dr. Falz’, – dann sind die Geschicke der Verteidiger und der Angreifer des Azorenschatzes wieder ungebunden … Dann … naht der Schnitter, der die verdorbene Ernte schlägt …: der Tod!! – Werner, ich will leben – mit dir zusammen! Ich will glücklich sein, will durch ein reines Glück büßen! Nur mit dir vereint kann ich das! Und deshalb, wir – werden der Sense des Schicksals entgegen …!“

Sie öffnete die Bluse …

Zog zwischen ihren Brüsten eine winzige Glasphiole hervor – zwei Zentimeter lang, mit eingeschliffenem Glasstöpsel …

Gefüllt mit einer zartroten Flüssigkeit …

„Werner – ein Andenken an böse Tage, an Zeiten, als du mich noch nicht bekehrt hattest! – Werner – es ist Diebesgut – – Gestohlen bei günstiger Gelegenheit! Es ist – das Elexier des Lebens, von dem Dr. Falz auch nur ein einziges Fläschchen besitzt …! – Acht Tropfen, Werner, nur acht Tropfen, und – der Tod meidet uns! Wie ein Fluch soll dieser Trank sein – der Fluch, bis zum Ende aller Tage über die Erde wandeln zu müssen – bis zum Jüngsten Gericht! Und doch ein Segen für die, die nicht dahin welken wollen mit der ungeheuren Last einer dunklen Vergangenheit auf der Seele …! – Werner – hier dieses Glas … Das klare Wasser … Acht Tropfen nur …“

Sie zog den Stöpsel halb aus der Phiole …

Ihre Hände bebten leicht …

Ach Tropfen zählte sie ab …

Das Wasser erstrahlte wie von innerer Leuchtkraft.

„Trinke, Geliebter …!“

Gußlar zögerte …

„Trinken – unserer Liebe wegen – – Trink …!“

Er nahm das Glas …

Und es wog ihm wie die Schwere des Erdballs …

Dasselbe Grauen kroch ihm jetzt über den Rücken, wie Mafalda es eben schon zweimal verspürt …

Dann – setzte er das Glas an die Lippen …

Trank …

Mit geschlossenen Augen …

Spürte seltsam aromatischen Geschmack …

Und – vor den geschlossenen Augen sprühte unnatürliche Helle auf …

Ein greller Kreis …

Leuchtende Nebelgebilde …

Gußlar war’s, als ob die Metallwandung des Turmes sich aufgelöst hätte, als ob er rund um diesen hellen Kreis wallender Nebel das ausgestirnte Firmament erblickte …

Die Nebelflocken aber, die zunächst noch wild durcheinander tanzten, nahmen sehr bald bestimmte Formen an …

Das, was Agnes Gaupenberg bereits so und so oft erlebt hatte, das Wunder einer Vision, die ihr ein Bild der Zukunft zeigte, offenbarte sich nun auch Werner von Gußlar …

Die dunklen Umrisse des Bildes wurden schärfer und schärfer …

Und – Mafalda beobachtete sein wie im Starrkrampf versteinertes, immer bleicher werdendes Gesicht.

Angst packte sie …

Schon glaubte sie, daß das Elexier des Lebens bei ihm eine andere Wirkung haben würde … Schon bangte sie um sein Leben …

Ergriff seine schlaff herabhängenden Hände …

„Werner!!“

Sie rüttelte ihn …

Da – entspannte sich sein Gesicht … Ein mildes, überirdisches Lächeln flog um seinen Mund …

Er schien zu erwachen, schaute die Geliebte an …

„Seltsam!“ murmelte er … „Seltsam …!! Wer mir vor Minuten gesagt hätte, daß etwas Derartiges möglich, den hätte ich ausgelacht …“

Und mit einer Bewegung heißer Zärtlichkeit zog er Mafalda an seine Brust …

Küßte sie – raunte ihr ein paar Worte ins Ohr.

Die Fürstin bog wie in freudigem Schreck den Kopf zurück …

„Das sahst du?“ fragte sie den holder Verwirrung.

„Ja, Mafalda … Ich sah dich – auf deinem Schmerzenslager … In deinem Arm … unser Kind … Und in deinem Antlitz den erhabenen Frieden der Mutterschaft … – Begreifst du nun, weshalb diese unsere Liebesstunde auf dem Felsenhügel der Moorinsel deine Seele ummodelte, weil du da … Mutter wurdest!“

Und wieder küßte er sie …

Eng umschlungen standen sie …

Minutenlang …

Dann nahm Gußlar die winzige Phiole …

„Ich mische dir den Trank des Lebens, Geliebte … Ich wünsche, daß du hier an meiner Seite das große Wunder gleichfalls genießt … Hier, Mafalda, … Trink …! Und gib acht, was die Mächte dort droben über den Sternen dir offenbaren werden …“

Die Fürstin leerte das Glas mit der leuchtend roten Flüssigkeit …

Gußlar zog ihren Körper fest in seine Brust … Und – das Wunder vollzog sich … Mafaldas Augen schauten den strahlenden Nebel …

Ein Beben ging durch ihren Leib …

Dann – ein leiser Schrei …

Ein Ausdruck des Grauens trat in ihre Züge …

„Werner … Werner …!“

Überlaut war ihre Stimme …

Wachsbleich die Wangen …

„Werner, – – – Lomatz … Der Goldschatz … – – Gottlieb Knorz … Das Kap Retorta … Mein Gott … – Sterben … das Ende … entsetzlich!!“

Ihre Lider sanken herab …

Gußlar hielt eine Bewußtlose in den Armen …

 

26. Kapitel.

Der neue Komet.

In derselben Nacht saß ein greisenhaftes Männchen mit einem unförmigen Wasserkopf und schütterem Bart in dem oberen Turmgemach seiner kleinen Villa in einem tiefen Sessel vor dem Objektiv eines großen Fernrohrs, das durch das Dach des Turmes wie ein Geschützrohr hinausragte …

Mildes Licht erfüllte den viereckigen Raum – das Observatorium des Doktors van der Baake …

Ohne jede Regung saß das kahlköpfige Männlein da …

Schraubte nur zuweilen an der Einstellung der Linsen …

Bis er den Komet Delta III gefunden …

Bis er ihn klar mit seinem feurigen Schweif vor sich hatte – den pfeilschnellen Wanderer im Weltenraum …

So klar, daß er genau die bunte Strahlenwirkung seiner Hauptmasse erkannte …

Ein zufriedenes Lächeln glitt über das pergamentartige welke Gesicht …

Sein Komet war’s …

Er hatte ihn entdeckt … Er hatte seine Bahn berechnet … Und nur der Neid der zünftigen Kollegen war’s gewesen, der den Komet ‚Delta III’ getauft hatte – und nicht ‚Komet Baake’, wie er es verlangt hatte … –

Mit einem Male ging’s wie ein Ruck durch den ausgemergelten Leib …

Was … was bedeutete diese jähe Abweichung des Kometen von seiner bisherigen Bahn?!

Was bedeutete dieser kurzer Bogen?! Wie konnte das ferne jagende Gestirn so unvermittelt seine Kurve ändern?!

Und Dr. Baake schwenkte das Riesenfernrohr herum …

Suchte …

Da mußte im Weltall irgendein anderes Gestirn den Delta III von seiner vorgegebenen Bahn abgelenkt haben.

Suchte mit fieberhafter Spannung …

Und – schnellte halb aus dem Sessel hoch …

Aus der Unendlichkeit des Alls erglühte da ein helles Pünktchen …

Die Linsen änderten ihre Stellung …

Das Pünktchen wuchs …

Ein … zweiter Komet …

Keiner der bisher bekannten …

Ein neuer Wanderer im Weltenraum …

Dr. van der Baake klammerte sich an den Lehnen des Sessels fest …

Sein Totenkopfgesicht brannte in der Glut ungeheurer Erregung …

Seine Hände tasteten nach Papier und Bleistift …

Notierten …

Sternbilder … Kurve …

Rechneten …

Seine Gedanken erhitzten sich …

Ein Blick in das Objektiv …

Ein Blick auf das Papier – die Zahlen …

Ein Blick in gedruckte Tabellen …

Und – – die heiße Röte ward jäh zu geisterhafter Blässe …

Der Doktor stierte auf die Zahlen …

Verglichen nochmals – – nochmals … Immer wieder…

Zeichnete erneut …

Seine Hände flatterten …

Sein Gesicht zuckte … Die Augen hinter den Gläsern der Hornbrille irrlichterten …

Doch – das Ergebnis blieb dasselbe …

Die Rechnungen stimmten …

Es gab keine andere Möglichkeit. In acht Tagen, genau um Mitternacht, mußte die Erde die Schweife der beiden Kometen passieren …

Beider Kometen …!

Delta III und der neue Wanderer würden dann aneinanderprallen – im Weltenraum …

Die Rechnung stimmte …! –

Van der Baake lehnte wie betäubt im Sessel …

Er wußte, dies war das Ende – das Ende Welt … der Menschheit …! Und – – genau am ersten Oktober um Mitternacht würde die Katastrophe eintreten …

Nichts würde auf Erden dann mehr existieren – nichts!

In seinem heißen Hirn tauchte die Erinnerung an unzählige neuere Voraussagen von einem Weltuntergang auf … Und stets hatten die Gelehrten diesen Untergang falsch vorherverkündet – stets …

Da … nahm er zum dritten Male Papier und Bleistift …

Beobachtete nochmals …

Beobachtete wiederum die beiden Kometen …

Sein kahler Schädel bedeckte sich mit Schweißperlen.

Es mußte ja ein Rechenfehler sein …

Mußte …

Stets hatten die Astronomen sich geirrt …

Wie ein Gnom hockte er zusammengekrümmt auf seinem Ledersessel …

Die Stirn in tausend Falten …

Der Bleistift flog … Malte Zahlen … Reihte Zahlenreihen aneinander – untereinander …

Der Zeigefinger fuhr in den Tabellen hin und her.

Dann – – dasselbe Resultat! Um Mitternacht am ersten Oktober dieses Jahres würden die beiden Kometen aus verschiedener Richtung die Erde streiften, würden dann genau über Nordamerika zusammenprallen – im Weltenraum …!

Dr. van der Baake leckte die trockenen Lippen.

Starrte vor sich hin …

Diesmal – das wußte er nun mit unumstößliche Gewißheit! – war für die Menschheit das große Sterben unausbleiblich …

Und – wieder fiel ihm der Roman des Wiener Schriftstellers ein, der mit so glänzender Phantasie eine ähnliche Katastrophe dichterisch behandelt hatte, den Durchgang der Erde durch den gasförmigen Schweif eines Kometen! Als eine der Hauptpersonen einen japanischen Professor … Der hatte diesen Erstickungstod der Menschheit gleichfalls vorausberechnet – – in jenem Roman …

Hier – diese Berechnung war jedoch grausame Wirklichkeit … Daran gab es kein Deuteln …

Und hier, der Schweif von Delta III und der des neuen Kometen bestand nicht aus Gasen, die alles irische Leben auslöschen würden … Nein – hier würde das Unheil sich in anderer Form vollziehen – vielleicht durch Hitzewirkung …

Vielleicht würde die Erde minutenlang einer Temperatur von Tausenden von Graden ausgesetzt sein …

Und – das würde dann die vollkommene Auslöschung alles pflanzlichen und tierischen Daseins bedeuten …

Die Erdoberfläche würde bis in große Tiefen hinab in Weißglut geraten … Alles würde in Staub zerfallen … Die Steinkohlenschichten würden in Brand geraten – die Moorflächen – die Torflager … alles … alles …

Und – wenn die Katastrophe vorüber, würde der Erdball sein, wie es in der Bibel hieß:

‚Und die Erde war wüst und leer …’

Dr. van der Baake erhob sich …

Schweiß trübte seine Brillengläser …

Taumelnd schritt er zu einem Schränkchen …

Das Weinglas füllte er …

Dreimal …

Seine Gedanken malten das Entsetzliche weiter aus.

Stier waren die Augen … Leichenhaft nun das häßliche Gesicht …

Der Ozean würde verdunsten … Kein Tropfen Wasser würde mehr auf Erden sein …

Die Welt ein Riesenkrematorium … Tiere, Menschen – ungezählte Millionen würden zu Asche zerfallen …

Und – – er … mit diesen Millionen – – er gleichfalls ein Todgeweihter …

Keine Rettung …!!

Er … schenkte sich das vierte Glas voll …

Feuriger Ungarwein war’s …

Vier Glas genügten für einen Rausch …

Heute, jedoch – keine Wirkung …

Nur in der Seele eine müde Stumpfheit …

Todgeweiht …

Daran war nichts zu ändern …

Noch acht Tage …

Acht Tage … Entsetzliche Tage … in denen mit jeder verinnernden Sekunde das Unglück näher rückte …

Und – Dr. van der Baake liebte das Leben … Nicht weil er genießen wollte … Nur weil er seine Arbeit liebte … Weil er mit zu denen gehörte, die durch das Studium des Weltalls die Überzeugung gewonnen hatten, daß droben im Weltenraum ein Etwas, unnennbar, unfaßbar, dieses köstliche Uhrwerk der Welt in Gang hielt …

Es – – mußte einen Gott geben! Das war Dr. von der Baake ebenso gewiß wie seine Berechnungen …

Weltall … Kosmos …

Und diese feine Maschinerie der Gestirne, der Planeten, Fixsterne, Sonnensysteme sollte aus sich selbst heraus nur durch Naturgesetze gelenkt werden?!

Welch ein anmaßender Unsinn …! Welche Vermessenheit der Ungläubigen! Welcher Frevel, dem Volke seinen Gott zu nehmen …! –

Langsam stieg der greise Mann die Treppe zum Turmdach empor – hinaus in die frische Herbstnacht …

Die Sterne funkelten über ihm …

Sterne?!

Welten – andere Sternenwelten – viel viel größer als die Erde, manche sicher bewohnt …

Sein Blick schweifte rundum …

Über seinen Garten, über die hohe Mauer, die sein Grundstück umschloß …

Sechs Meter hoch … Oben Stacheldrähte, elektrisch geladen …

Und drüben zwischen den märkischen Kiefern der stille See …

Links die Dächer von Zehlendorf, die Behausungen seiner Nachbarn, die er ängstlich mied …

Er lebte nur seinen Studien … Er hatte nur seiner Wissenschaft wegen gesündigt … Hatte seine Klugheit und Geschicklichkeit nur dazu benutzt, dieser Wissenschaft zu dienen …

Fälscher … – Banknotenfälscher war er geworden …!

Einer der besten, vorsichtigsten …

Nichts von dem ergaunerten echten Gelde hatte er zum Genuß verwendet … Nur sein Fernrohr gekauft – andere Apparate – dieses Haus erbauen lassen …

All das war … gewesen …

Dr. van der Baake hatte alles vernichtet, was an diese Zeit gemahnte …

Keiner konnte ihm mehr etwas nachweisen …

Und wenn … – In acht Tagen gab es keine Polizei mehr, keine Gerichte …

Um diese Stunde nach acht Tagen war der Planeten Erde gewesen … Vollständig – eingehüllt in die Qualmmasse der brennenden Städte, Felder, Kohlenbergwerke, Moore …

Ein Zittern ging über den welken Leib des kleinen Männchens hin …

Er selbst – mit unter den Toten …

Toten? – Nein – nur ein Häuflein Asche …! Nichts anderes mehr!

Nur dies …

‚Und die Erde war wüst und leer …!’

So würde es sein …

Kaum auszudenken…

Kaum zu begreifen …

Ihn fror …

Fester hüllte er sich in den zerschlissenen Schlafrock.

Nahm die Hornbrille ab … Putzte die Gläser …

Ganz mechanisch …

Sterben … sterben …!!

Gab es denn keine Hilfe?! Gab es wirklich keine Hilfe?! Keine Möglichkeit, dem Verhängnis zu entrinnen?!

Sollte sein findiger Kopf nichts ersinnen, das ihn vor dem Verhängnis bewahrte?!

Er lehnte sich an die Brüstung des Turmes …

Er stierte das Fernrohr an…

In diesem Moment haßte er es …

Wenn er nur ahnungslos geblieben wäre …! Wenn er nur diese letzten acht Tage in derselben Ahnungslosigkeit dahinleben könnte wie die übrige Menschheit! Was hatten ihm nun seine Studien eingebracht?!

Anerkennung?! – Nein – selbst den Komet Delta III hatte man ihm … abzuschwindeln gesucht! Die Herren Kollegen von der staatlich anerkannten astronomischen Zunft ließen keinen Außenseiter gelten …! Ärger hatte er gehabt – unendlichen Ärger, Schreibereien – vieles andere, was ihn empörte! Und jetzt – jetzt hatte er abermals in Wahrheit einen großen Erfolg aufzuweisen. Er zweifelte keinen Augenblick, daß nur er in dieser Nacht den neuen Kometen gesehen hatte … Nur er hatte gerade Delta III beobachtet … Nur er hatte den neuen Kosmosvagabunden auch wieder in kurzer Kurve im Weltraum verschwinden sehen … Keiner der Astronomen ahnte auch nur, was geschehen würde …

Nur er …!!

Verfluchtes Wissen war’s …!!

Und – das Gefühl der Einsamkeit packte ihn mit unheimlicher Gewalt …

Er kam sich vor, wie einer, der auf einer einsamen Insel zum Hungertode verurteilt war …

Wie ein Schiffbrüchiger, der genau berechnen konnte, wann seine Lebensmittel aufgezehrt sein würden!

Dieser Turm seines Hauses war die einsame Insel.

Und – dort unten im Hause schlief die treue Gefährtin seines Einsiedlerdaseins – ein armes, verwachsenes Weiblein, ungebildet – mit beschränktem Horizont …

Trotzdem glücklich zu preisen …!

Denn – – sie ahnte nichts …!!

Die … Glückliche …!!

Dr. van der Baake zog den riesigen Kopf noch tiefer zwischen die Schultern …

Er fror – ein unnatürliches Frostgefühl … Seine Hände eiskalt …

Und dazu noch diese entsetzliche Einsamkeit …

Wenn er nur einen Menschen gehabt hätte, mit dem er jetzt sprechen konnte – über die gleichgültigsten Dinge! Nur nicht stumm sein müssen – stumm und Stimmen des erregten Innern lauschen …

Stimmen, die doch nur von der drohenden Katastrophe raunten …

Wie säuselnde Kieferzweige ringsum – tausend wispernde Lippen: ‚Eine Woche – – acht Tage – am ersten Oktober um Mitternacht – – alles vorüber – – Alles!!’

Ihn fror in seiner Einsamkeit … Und voller Sehnsucht blickte er auf die fernen Lichter des Bahnhofs von Zehlendorf …

Hörte einen letzten Zug mit dumpfem Rollen über den eisernen Weg gleiten …

Sah die Reihe der erleuchteten Fenster wie einen Glühwurm durch die Nacht kriechen …

Und – – fuhr empor …

Der mächtige Schädel reckte sich nach vorn …

Was war das dort an der Gartenpforte …?!

Gestalten …

Männer …

Er kniff die Augen zusammen …

Ein Ruf kam aus der Dunkelheit…

„Hallo – Herr Dr. Baake?“

Der Einsiedler beugte sich über die Turmbrüstung.

„Dr. van der Baake … – Sie wünschen?“

„Ich muß Sie sprechen … Sofort …! Hier Kriminalpolizei …! Sperren Sie Ihre beiden Hunde ein.“

Das vertrocknete Männlein lächelte maliziös …

Aha – – die Polizei …

Also doch – – doch!! Endlich hatten die Herrschaften die Spur des großen Fälschers entdeckt …! Jahrelang hatten sie dazu gebraucht … Jahrelang!!

„Ich komme!“ rief er zurück …

Nochmals glitt sein Blick rund um die Gartenmauer …

Oh – – welch Aufgebot hatte man da seinetwegen auf die Beine gebracht! Dar waren ja mindestens zehn Leute in der Runde verteilt …

Er lächelte noch stärker …

Und ging … machte die beiden Doggen fest … schloß die Mauerpforte auf …

Ihm gegenüber ein Riese …

Taschenlampen blitzten auf …

„Kriminalkommissar Schätzler,“ sagte der blonde Riese sehr dienstlich …

„Freut mich,“ nickte der mumienhafte Doktor … „Bitte – die Hunde sind fest … Treten sie nur ein, meine Herren …“

Er war ganz ruhig … Konnte ganz ruhig sein …

Schon vor Monaten hatte er alles vernichtet, was ihm irgendwie hätte gefährlich werden können … Er brauchte kein Geld mehr … Hätte bis zum Ende seiner Tage genug gehabt … Jetzt – hatte er für diese nur noch acht Tage sogar übergenug …!!

„Bitte …!“

Der Kommissar Schätzler und zwei Beamte betraten den Vorgarten …

„Sie wissen wohl, was uns herführt, Herr Doktor,“ meinte der Kommissar gemütlich …

Dieser winzige Gnom mit dem Eimerkopf erschien ihm mehr als Witzblattfigur …

„Bedauere …,“ erwiderte Baake höflich. „Ich habe noch nie mit der Polizei zu tun gehabt … Ich kann mir nur denken, daß es sich vielleicht um eine niederträchtige Denunziation handelt … Hier in Zehlendorf liebt man mich nicht … Ich kümmere mich um gar niemand … Und gerade das nehmen die lieben Mitmenschen einem übel …“

„Was taten Sie jetzt so spät …?“ fragte Schätzler ironisch – behaglich …

„Ich habe den Sternenhimmel beobachtet …“

„Oh ja – ein netter Vorwand …! Nun – wir werden ja sehen … Wir werden das Haus durchsuchen, Herr Doktor … Sie … sind Banknotenfälscher!!“

Und dies Letzte in ganz anderem Tone – wie ein Angriff …

Baake schmunzelte …

„Fälscher?! – Das müssen Sie mir beweisen, Herr Kommissar …“

„Schon geschehen … Benjamin Jekowzer, der biedere Uhrmacher, der Ihre Falsifikate seit Jahren unter die Leute gebracht hat, – der sitzt fest, mein Lieber … Endlich! Der hat gestanden …“

Einen Moment erschrak das Männlein …

Aber – wie schnell ging das vorüber …! Wie unendlich gleichgültig war das alles … Jetzt – jetzt … – wo oben im Türme die Berechnungen lagen, die Zettel voller Zahlen – – die Todesberechnungen.

Wie unendlich gleichgültig …!

Und – trotzdem …

Sollte er etwa diese letzten acht Tage zwischen Kerkermauern zubringen – als Untersuchungsgefangener?!

Er reckte sich hoch …

Sein Gesicht strahlte Empörung …

„Herr Kommissar, falls dieser Jekowzer mich wirklich beschuldigt haben sollte, so kann ich Ihnen nur eins erklären: Der Mann ist mein Feind! – Doch, das besprechen wir wohl besser in meinem Hause … Bitte.“

Schätzler nickte …

„Gut – dann in den Turm … Ich hoffe dort manches zu finden …“

Sie stiegen die Treppen nach oben …

Voran der Gnom … Dann die drei Beamten …

Oben im Turmgemach sagte der Doktor mit kühler Höflichkeit:

„Hier ist meine Arbeitsstelle, Herr Kommissar … Suchen Sie!“

Schätzler wunderte sich über dieses greisen Zwerges unbegreiflichen Gleichmut …

„Setzen Sie sich …!“ meinte er unzufrieden … „Was haben Sie mir zu erklären?!“

„Nach Ihnen, Herr Kommissar … Nach Ihnen! Ich sehe in Ihnen nur einen Gast … Wäre ich ein Verbrecher – dann würde ich Sie und Ihre Leute unschwer verschwinden lassen können …“

Er lachte diskret …

Schätzlers verblüfftes Gesicht amüsierte ihn …

„Tatsache – verschwinden lassen, Herr Kommissar … Ich bin eben ein kleines Universalgenie … Tatsache … Bin Chemiker, Physiker, Astronom, Okkultist, Philosoph … Und Mensch – – Mensch, Herr Kommissar … – Aber – so nehmen Sie doch Platz, meine Herren … Hier sind Stühle genug … Ich beanspruche freilich meinen alten Sessel … Ich bin Gewohnheitstierchen … – So, das freut mich … Nun sitzen wir also … Und was nun das ‚verschwinden lassen’ betrifft, meine Herren: Chemie!!“

Schätzler und die beiden Kriminalassistenten begannen sich höchst ungemütlich zu fühlen … Die überlegene Hundeschnäuzigkeit dieses Menschen, der mit seinem durchgeistigten Gesicht geradezu den Typ des weltfremden Gelehrten darstellte, machte einen ganz besonderen Eindruck auf sie …

„Also Chemie, meine Herren …“ fuhr Baake nach kurzer Pause fort … „Chemie …!! Ich brauchte nur dort von jenem Tischchen die Flasche mit den drei Totenköpfen auf den Fußboden geworfen zu haben – nichts weiter … Und ich hätte es tun können … In demselben Moment wäre die Luft hier derart vergiftet gewesen, daß Sie, auch wenn Sie den Atem angehalten hätten, niemals die Tür erreicht haben würden … Ich selbst, meine Herren, habe ein Gegenmittel … Welches – das mag mein Geheimnis bleiben …“

Schätzler schüttelte den Bann, in den er so allgemach geraten, gewaltsam von sich …

Seine Hünengestalt richtete sich empor …

„Was enthält denn die Flasche, Herr Doktor?“

„Meine Erfindung, – soll ich Ihnen mal einen Beweis liefern? Ich werde die Flasche zum Fenster hinaus nach der Hütte der Hunde schleudern … Oder tun Sie es, Herr Kommissar … Bitte … Sonst fürchten Sie womöglich, ich könnte Sie drei in … Luft auflösen wollen …“

Schätzler winkte ab …

„Ich verzichte … Und – – die Sache mit Benjamin Jekowzer, Herr Doktor …?“

„Oh – das eilt doch nicht, – verzichten Sie nicht, Herr Kommissar … Es ist interessant … Denn – die Flasche ist wie ein großer Magier …“

„Trotzdem – lassen wir es …“

Jetzt hatte Schätzler die mit Zahlen bedeckten Zettel entdeckt …

Griff danach …

„Was bedeutet dies, Herr Doktor?“

„Weltuntergang …“

Todernst sagte er’s …

So ernst, daß Schätzler und die Beamten ihn entsetzt anstarrten …

Dr. van der Baake lehnte sich im Sessel zurück.

Auch er lachte jetzt …

„Nicht wahr – ein kapitaler Witz: Weltuntergang!!“

Den dreien war es unheimlich … War dieser Greis nicht recht bei klarem Verstand …?! War dieser Holländer – auch eine Möglichkeit! – ein ganz abgefeimter Verbrecher?! Hielt er sie etwa zum Narren?!

Schätzler schaute auf die Zettel …

„Also – was sind dies für Berechnungen, Herr Doktor?“ fragte er energischer …

„Weltuntergang!“

„Lassen Sie die Witze …!!“

Da reckte Baake die Hand gegen Schätzler aus …

Und in dieser Geste lag so viel Würde und Nachdruck, daß der Kommissar ich vorbeugte …

„Dann bitte ich um näheren Aufschluß …,“ meinte er unsicher und erfüllt von einem Empfinden, als ob dieser Greis doch mehr wüßte, als der Verstand des Durchschnittsgebildeten ahnen konnte …

„Ich habe nichts mehr hinzuzufügen,“ meinte der Gnom mit einem Ausdruck in den Augen, der ebenso weltschmerzlich wie voll verzehrender Angst war …

„Die Erde wird untergehen! Mehr sage ich nicht … Mehr wird man aus mir nicht herauspressen …“

Schätzler schob die Zettel in die Tasche …

„Vielleicht sind’s auch geheime … Aufzeichnungen, Herr Doktor … Zahlen können Buchstaben bedeuten.“ – Er wollte den Dingen eine andere Wendung geben. Er kam sich hier denn doch allzu sehr als eingedrungener Gast vor …

Seine klugen Polizeiaugen, die bei aller Gutmütigkeit so außerordentlich durchdringend einen Verdächtigen mustern konnten, ließen des kleinen Männleins Gesicht nicht einen Moment unbeobachtet.

Dr. van der Baake hielt es nicht für nötig, etwas zu erwidern …

Schätzler raffte sich auf …

„Sie leugnen also, dem Uhrmacher Jekowzer falsche Banknoten zum Vertrieb übergegeben zu haben?“ fragte er wieder ganz dienstlich …

„Jekowzer war vor einem Jahre etwa bei mir,“ sagte Baake verächtlich. „Wie er gerade auf mich verfallen, weiß ich nicht. Er bat mich, für ihn Gold umzuschmelzen. Ich merkte, daß es sich um Diebesbeute handelte. Das Gold waren Ringe, Schmuckfassungen und Ähnliches. Ich lehnte natürlich ab und erklärte ihm, daß ich mich in so unsaubere Geschichten nicht einließe. – Offenbar wagte er es nicht, bei sich daheim diese Arbeit des Umschmelzens vorzunehmen. – Wir schieden als Feinde. Denn Jekowzer hatte sich mir gegenüber eine Blöße gegeben. Jetzt will er mich hineinlegen … Nun, ich habe eine Zeugin, Herr Kommissar … Meine alte Wirtschafterin hat mit meiner Zustimmung unsere Unterredung damals belauscht. Wenn Sie wünschen, gehen wir hinab und wecken die alte Frau, die sich hier überall des besten Leumunds erfreut. Fragen Sie den Ortsgeistlichen, fragen Sie die Gemeindebeamten. – Und – – suchen Sie … Sie werden nichts finden, was mich belastet …“

Schätzler überlegte …

Er zweifelte kaum mehr daran, daß, falls Baake wirklich ein Fälscher, die Überführung dieses Mannes, das Herbeischaffen der nötigen Beweise sehr schwierig sein würde …

„Wie heißt Ihre Wirtschafterin, Herr Doktor?“ fragte er – eigentlich nur, um Zeit zu gewinnen …

„Anna Merten …“

„Gut, wollen Sie sie …“ und zu einem seiner Beamten: „Jürgens, begleiten Sie den Doktor …“

Baake und der Kriminalassistent verließen das Turmgemach.

Schätzler erhob sich, blieb vor dem anderen Beamten stehen …

„Was halten Sie von dem Manne, Dworak?“

Der zuckte die Achseln …

„Schwer zu sagen, Herr Kommissar … Schwer zu sagen … Wenn die Wirtschafterin bestätigt, daß zwischen Baake und Jekowzer so etwas wie eine erregte Auseinandersetzung stattgefunden hat, dann … dann … – Nun ja, der Jekowzer ist doch ein ganz gefährlicher Lump, wie wir nun wissen … Ein Hehler größten Stils … Hat bisher den untadeligen Ehrenmann gespielt … Möglich, daß er seine wahren Komplizen nur decken will … Und schließlich, sein Zeugnis allein wird nie ausreichen, den Doktor zu verurteilen …“

Schätzler nickte zerstreut …

Meinte leise:

„Weiß der Teufel, Dworak, ich fühle mich hier höchst unbehaglich …! Mir ist so, als ob in diesem Hause eine besondere Luft wehen würde … Sie ist schwer, diese Luft …“

„Das stimmt, Herr Kommissar … Und – mir er geht’s wie Ihnen … In Gegenwart dieses Baake bin ich irgendwie unfrei …“

Schätzler strich mit den Fingern über das kühle Messing des großes Fernrohrs hin …

„Ob es Baake mit dem Weltuntergang ernst war …?“ fragte er grüblerisch … „Baake ist in Gelehrtenkreisen bekannt … Wir haben ja Erkundigungen eingezogen … Wenn ein Mann wie er etwas Derartiges hinspricht, muß er doch wohl Beweise haben … Professor Larsen erwähnte, daß Baake vielleicht der beste Kometenkenner sei … Und ein Komet soll ja einmal unserer Erde den Todesstoß versetzen – irgend ein Komet … Man liest es immer wieder … Nur so soll die Erde einst vernichtet werden – nur so … Ich bin nicht Fachmann …“

Er redete wie einer, dessen Gedanken nur zum Teil über die Lippen sich drängen … Wie einer, in dem eine unbestimmte Furcht geweckt war und der diese Furcht verhehlen wollte.

Dworak fühlte das … Und meinte ehrlich:

„Der Doktor hat uns … behext, Herr Kommissar!“

Schätzler starrte das Fernrohr an …

„Ich werde ihn nicht verhaften …!“ stieß er hervor … „Die Wirtschafterin wird zu seinen Gunsten sprechen … Ich …“

Die Tür ging auf …

Ein verhutzeltes Weiblein von grotesker Häßlichkeit trat ein … Hinter ihr Baake und Jürgens …

Es kam, wie der Kommissar vermutet hatte. Die Alte schilderte ganz genau, wie unten in des Herrn Doktors Studierzimmer spät abends der fremde hagerer Herr, aus der Handtasche allerlei Goldsachen ausgepackt hätte … Wie der Herr Doktor sie vorher hinter dem Vorhang des großen Büchergestells verborgen habe … Wie er erklärte: ‚Anna, dieser späte Besucher gefällt mir nicht … Ich will nicht mit ihm allein sein …’

Und dann habe der Herr Doktor den Mann förmlich hinausgeworfen … Giftig sei der gewesen vor Wut …

Anna Merten erging sich in Einzelheiten …

Schätzler war zufrieden …

„Ich danke Ihnen,“ meinte er … „Die Sache ist erledigt … Es tut mir leid, daß wir Sie im Schlaf gestört haben …“

Die Wirtschafterin zog sich mit einem höflichen ‚Gute Nacht’ zurück.

Unten in ihrem Zimmer schloß sie sich wieder ein.

Ihr vertrocknetes Vogelgesicht feixte …

Das Schlüsselloch verhängte sie …

Öffnete ein geheimes Wandschränken, entnahm ihm einen Telephonhörer und hielt ihn ans Ohr …

Jedes Wort verstand sie, was oben im Turmgemach gesprochen wurde …

Eine Klingelleitungs führte von dort hierher … Und die Glocke hatte geschrillt, als der Doktor in seinem Sessel oben vor dem Fernrohr Platz genommen, und mit der Fußspitze den einen Nagel der Dielen herabgedrückte hatte …

Da hatte Anna Merten den Hörer schleunigst benutzt … unsichtbar teilgenommen an den Kampf um die Freiheit, den ihr Herr gegen die Beamten führte … Hatte Wort für Wort verstanden, was er über Jekowzer gesprochen … Hatte Bescheid gewußt …

War klug, die Anna Merten … Hatte mehr Hirn im Schädel als mancher Studierte …

So war’s denn geschehen, daß Dr. van der Baake die Feindschaft mit Benjamin Jekowzer eindrucksvoll genug beweisen konnte … –

Nun hielt Kommissar Schätzler im Hause noch eine flüchtige Durchsuchung ab …

Mehr zum Schein …

So kamen er, seine beiden Beamten und Baake schließlich auch in des Doktors Studierzimmer im Erdgeschoß …

Hier standen die beiden Fenster weit offen … Anna Merten haßte den kalten Tabakrauch … Und ihr Herr ließ die kurze Pfeife kaum bei den Mahlzeiten aus dem Munde …

Und – hier war’s, daß plötzlich aus dem Garten eine Stimme ins Zimmer drang:

„Licht aus, Herr Kommissar, – Licht aus …!!“

Einer der Beamten von draußen war’s …

Die elektrische Lampe verlosch …

Eine Gestalt schwang sich durch das eine Fenster.

„Herr Kommissar, ein Luftschiff …!!“

Der Mann war atemlos vor Erregung …

„Herr Kommissar, der Funkspruch, der kurz vor unserem Aufbruch im Präsidium bekannt wurde: Die Sphinx, das Goldschiff, gestohlen …!! Sie erinnern sich …!! Und – jetzt schwebt ein Luftboot über diesem Hause, senkt sich langsam …“

Stille …

Schätzlers Herz pochte rascher …

Die Sphinx …!!

Wenn’s wahr wäre …!!

Die Sphinx hatte die Gaupenburg mit den Feinden des Grafen an Bord um elf Uhr abends verlassen … Die Verbrecher hatten sich des Luftbootes bemächtigt … Und von der Gaupenburg war andauernd derselbe Funkspruch in die Nacht hinausgesandt worden:

‚Baron Gußlar, kehren sie zurück. Mein Ehrenwort, daß Sie und die anderen nicht verhaftet werden. – Graf Viktor Gaupenberg.’

… Immer wieder derselbe Text auf Welle 1600. Und im Nu war’s im Berliner Präsidium bekannt geworden … Sofort hatte man bei Kommissar Wendler telephonisch angefragt. Der hatte alles bestätigt. Die Sphinx und die Milliarden waren abermals gestohlen worden!

 

27. Kapitel.

Die Landstreicherin.

Die Männer am Fenster des Studierzimmers standen im Dunkeln …

Schätzler hatte Jürgens und Dworak zugeraunt: „Bewachen Sie Baake! Bleiben Sie dicht neben ihm!“

Die Männer standen und lauschten …

Draußen auf dem Hofe schlugen zuweilen die beiden Doggen an …

Verstummten wieder …

Durch die offenen Fenster kam der harzige Duft der nahen Kiefernwälder … Kam auch der Geruch des Gerbsees, der absterbenden Pflanzen … Die Erde, der nährende Boden, atmete gleichsam mit den heftigen Zügen eines Verscheidenden … Ihr Odem, war kühl und wie vom Ahnen des nahenden Winters erfüllt …

Die Männer horchten …

Die Sterne im Weltall flimmerten so harmlos und freundlich … Zwischen den Zweigen der Gartenbäume lugten sie hindurch …

Ein Windstoß strich über die Wälder hin …

In das Rauschen mischte sich ein schnell verklingendes Surren …

Die Sphinx war abgetrieben worden … Die Propeller drückten sie zurück …

Oben an Deck, an der Reling standen Gußlar und Lomatz …

Der Baron war mißtrauisch, weil das jähe Erlöschen des Lichtes in den beiden Erdgeschoßfenstern von ihm selbst wohl bemerkt worden war.

Er wandte sich an Lomatz …

„Die Fürstin soll die Sphinx nur bis zur Höhe der Baumkronen hinabgehen lassen …,“ meinte er nicht gerade unfreundlich, denn der Frieden zwischen ihm und dem schlauen Verbrecher war scheinbar wiederhergestellt. Sie sahen ja, die beiden Fenster waren hell! Was tut Baake noch um diese späte Stunde?“

„Sie vergessen, daß er stets die Nacht zum Tage macht, Herr Baron … Ich kann nichts Verdächtiges bemerken … – Ich werde Ihren Befehl der Fürstin übermitteln …“

Im Turme der Sphinx befanden sich Mafalda, Graf Montgelar und Else von Parland …

Lomatz kam hastig die eiserne Treppe herab. Mafalda stand vor den Schaltbrettern, beobachtete den Höhenmesser …

„Alles sicher!“ rief Lomatz … „Trotzdem wünscht der Baron, daß wir die Sphinx zunächst in den Baumkronen verankern … Also nur getrost weiter mit dem Hebel herum, Fürstin … Ich gebe Ihnen von oben ein Zeichen …“

Und er nahm ein zusammengerolltes Tau mit sich, an dessen einem Ende ein dreiarmiger kleiner Anker befestigt war.

Gußlar hatte inzwischen mit dem Fernglas die Villa, das Stallgebäude und den Garten sorgfältig abgesucht. Das Dämmerlicht der Septembernacht gestattete ihm immerhin, durch das Glas alle Einzelheiten zu erkennen. Er sah Licht im Turme. Die Fenstervorhänge waren nicht zugezogen. Niemand zeigte sich …

Die Sphinx sank sehr schnell …

Jetzt konnte Gußlar, da das Luftboot mit den Turmfenstern in einer Höhe schwebte, in das Gemach hineinschauen …

Da war das blanke Messingfernrohr … Da waren Tische mit Apparaten – ein hoher Ledersessel, Stühle.

Aber kein lebendes Wesen …

Lomatz erschien neben dem Baron …

„Dort die Kastanie …!“ meinte er flüsternd … „Ich werde den Anker in die Krone schleudern …“

Und er schwang das Tau im Kreise …

Mit leisem Splittern schoß der Anker durch die Zweige, klammerte sich fest …

Das Luftboot senkte sich noch drei Meter …

Lag dann still, mit dem Bug dicht an der Baumkrone – in der Windrichtung, das Heck nach dem See zu, parallel zur Westwand der Villa …

Die beiden Doggen bellten und heulten … Sie hatten die Sphinx bemerkt, reckten die Köpfe hoch, rissen an ihren Ketten … –

Im Studierzimmer flüsterte Kommissar Schätzler den Doktor zu:

„Beruhigen Sie die Tiere …! Zeigen Sie sich am Fenster …! Aber wehe Ihnen, wenn Sie diese Leute warnen, die da soeben hier auf Ihrem Grundstück gelandet sind …!“

Baake gehorchte …

Er ahnte nicht, daß gerade einer jener fragwürdigen Gesellen, mit denen er durch Benjamin Jekowzer bekanntgeworden, sich dort droben auf der Sphinx befand.

Ihm lag nur daran, einer Verhaftung zu entgehen. Er wollte die letzten Tage, die er noch zu leben hatte, frei sein …

Und so beugte er sich nun zum Fenster hinaus, rief überlaut:

„Still, Tyras und Nero …! Werdet ihr wohl Ruhe halten …! Still – oder der Knüttel bringt euch zur Vernunft!“

Seine Stimme klang durch die stille Nacht – weithin …

Und oben lehnte sich Edgar Lomatz über die Reling …

„Hallo, Herr Dr. Baake, – – hallo …!!“

Nur gerade so laut war’s, daß Baake ihn verstand.

Doch auch Schätzler vernahm die vielsagenden Worte.

Raunte Baake zu:

„Also einen dieser Verbrecher kennen Sie …!! – Tun Sie, als ob Sie allein wären …! Antworten Sie …! Und – hüten Sie sich, etwa …!“

Dr. van der Baake biß die Zähne in die Unterlippe … Neues Unheil drohte ihm … Wer war der Mensch dort droben an Deck der gestohlenen Sphinx?! Und – wie konnte er sich diesem Verhängnis entziehen?!

„Hallo …!! Wer sind Sie?! Was wünschen Sie?!“ – Seine Stimme war heiser und brüchig …

„Ich komme herab … Wir werfen eine Strickleiter hinunter … Kein Fremder ist’s, der von Ihnen einen kleinen Freundschaftsdienst verlangt … – Erwarten Sie mich im Garten … Aber sperren Sie die Köter ein … Es braucht niemand auf uns aufmerksam zu werden … Denken Sie an Benjamin, Herr Doktor … Sofort sehen Sie mich von Angesicht zu Angesicht …“

Kommissar Schätzler packte Backes linke Hand …

Stand hinter ihm in der Finsternis des Zimmers …

„Antworten Sie!“, flüsterte er … „Sagen Sie, daß Sie hinauskommen werden … Schnell …!“

Baake gab alles verloren … Gehorchte … – Was konnte er nur ersinnen, um dennoch irgendwie diesen unseligen Zufall abzuschwächen …?!

Schätzler zog ihn vom Fenster zurück …

„Her mit Ihrem Schlafrock – etwas fix! – Dworak, Sie haben die Größe des Doktors … Sie müssen den Kerl dort abfangen … Unter der Kastanie können die Schurken auf der Sphinx nichts beobachten … Nachher entern wir die Strickleiter empor … – Vorwärts!“

Man riß Baake den Schlafrock herunter …

Der Beamte Dworak nahm ihm noch die Hornbrille ab …

Die Hunde tobten wieder …

Und an der leicht hin und her pendelnden Strickleiter kletterte Lomatz eilfertig abwärts …

Triumph im verderbten Herzen … Der Hilfe Dr. Baakes gewiß …

Oh – die Sphinx sollte nur zu bald ihm allein gehören – ihm ganz allein …!

Hohnvolles Grinsen lag um den schmalen Mund …

Sah von der Haustür her die Gestalt im langen Schlafrock nahen …

Sprang auf den Kiesweg … mit dem einen Fuß auf eine morsche Gartenbank …

Stolperte – sank halb in die Knie …

Da war Dworak schon über ihm …

War einer von denen, der Assistent Dworak, der nichts halb tat …

Hatte Lomatz mit eisernem Griff an der Kehle …

Schlug mit der rechten Faust zu …

Und Lomatz knickte zusammen …

Mit schwindenden Bewußtsein erkannte er dich oder sich im Baumschatten ein Gesicht, das ihm völlig fremd.

Schon mit schwindendem Bewußtsein nahm er noch wahr, daß abermals ein tückisches Schicksal ihm die sichere Beute entriß …

Dann lag er wie leblos auf dem Gartenweg …

Nach Luft ringend …

Dann drei – vier Gestalten, in den Büschen sich vorwärtswindend …

Voran Kommissar Schätzlers massiger und doch so gelenkiger Körper …

Vier Gestalten unter der alten Kastanie … die jetzt aneinander emporturnten zu den untersten Ästen …

Nur einer war’s, der an der Strickleitern emporklomm: Dworak – im wehenden Schlafrock …

Dworak, – nach oben rufend:

„Möchte Sie begrüßen, Herr Baron …! Sie sind mir willkommen …!“

Und oben an der Reling zwei Liebespaare …

Oben Werner von Gußlar, dem alle mißtrauische Vorsicht nichts nützte … Der besonders klug zu handeln geglaubt, als er Lomatz nach unten schickte … Gerade Lomatz, damit er und seine Gefährten auf der Sphinx vereint blieben … Der jetzt auch glaubte, daß es tatsächlich Dr. Baake, der die Strickleitern emporklomm … Der niemals ahnen konnte, wie ein unseliges Geschick hier wiederum gegen ihn und seine Freunde zum verderblichen Streiche ausholte. –

Der Kriminalassistent Dworak bewies auch jetzt, daß die Kollegen wohl recht hatten, wenn sie ihn den ‚tollen Dworak’ nannten … Verwegen, schlau, – dazu ein Körper, an jede Anstrengung gewöhnen … Und ein Hirn, das schnell jede Situation richtig bewertete.

Und einer, der schon Lomatz gezeigt, daß es bei ihm keine Rücksicht gab …

Langsam stieg er empor …

Ein Dr. Baake konnte die Strickleiter nur mühsam hinein …

Langsam …

Damit die Kameraden dort im Baume Zeit fanden, mit einzugreifen in dieses Spiel um Milliarden …

Weiter …

Und rief nochmals, die Stimme verstellend …

„Die alten Knochen wollen nicht mehr recht, Herr Baron …“

Gußlar – sich über die Reling neigend:

„Sie hätten sich diese Anstrengung doch sparen können, Herr Doktor …“

„Der Schlafrock hindert … Hätte ihn abwerfen sollen …“

Und dann – die letzten zwei Meter –, da war der Dr. Baake verblüffend jung mit einem Male …

War im Nu oben …

Über die Reling hinweg …

Die Dienstpistole im Anschlag … Die Hornbrille flog ins Leere … Sie hinderte ihn nur …

„Kriminalpolizei!“ brüllte er … „Keine verdächtige Bewegung …!!“

Und aus der Kastanienkrone Schätzlers dröhnender Baß:

„Keiner rührt sich! Wir schießen sofort!“

Aus dem Blättervorhang grelle Lichtkegel …

Beleuchteten die beiden Paare …

Beleuchteten Werner von Gußlars verzerrtes Gesicht …

Und Mafalda, die sich in einem Anfall von Schwäche an ihn klammerte …

Und Else von Parland, die in diesem Moment alles vergaß, was in ihrem Herzen noch an starrem Selbstbetrug gelebt hatte, – die sich mit leisem Schrei dem Manne, den sie liebte, an die Brust geworfen hatte …

Montgelar legte den Arm schützend um die schlanke, zitternde Frauengestalt …

Endlich – endlich war Else von Parland sein … Endlich war das Eis geschmolzen – endlich hatte die Liebe gesiegt …

Was kümmerte es ihn da, daß jetzt hier an Deck der Sphinx ein neuer Akt des großen Dramas vollendet wurde?!

„Du – du …!!“ flüsterte er Else von Parland in seliger Freude zu … „Wie habe ich dich geliebt von jeher – was habe ich um dich gelitten …!!“

Schon hatte da der Beamte Jürgens das Tau gepackt, hatte den Bug der Sphinx noch näher an die Baumkrone gezogen …

Schätzler sprang an Bord …

Noch nie in seinem Berufsleben hatte er eine Stunde durchgemacht wie diese …

Noch nie einen Sieg über Verbrecher errungen, der von so ungeheurer Wichtigkeit wie diese Rückeroberung der Sphinx … Noch nie vom blinden Zufall so begünstigt gewesen, wie hier! Er – er hatte die Milliarden gerettet! Er würde in kurzem dem Präsidium im Hauptquartier melden können, daß die Sphinx mit dem Azorenschatz geborgen sei …!

Und dies alles bewog ihn, milde mit den Gefangenen umzugehen, die keine Miene machten, sich irgendwie zur Wehr zu setzen …

„Baron Gußlar?“ fragte er den Kurländer …

Der hielt Mafaldas Hand …

„Ja – Werner von Gußlar …“

„Sie alle sind verhaftet … Weswegen, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen … – Da gegen Sie, Baron, Mordverdacht vorliegt, wie Kollege Wendler von der Gaupenburg aus meldete, muß ich Ihnen und ihren Kumpanen Handfesseln anlegen …“

Auch die drei anderen waren jetzt an Deck …

Gußlar erwiderte nur:

„Ich bin kein Mörder …!“ Und zu Mafalda …:

„Leb wohl …! Vielleicht ist dies die letzte Minute, in der wir uns nochmals Lippe auf Lippe schwören können, daß wir in unserer Liebe reines Glück gefunden hatten …“

Und er umarmte sie …

Küßte sie …

Schluchzend hing Mafalda an seinem Halse …

Selbst die Beamten waren ergriffen …

Blickten scheu zur Seite …

Die Lichtkegel der Taschenlampen glitten gleichfalls ins Leere …

Sekunden standen die beiden Liebespaare im Dunkeln.

Die Zeit genügten Gußlar …

Seine Lippen hauchten Worte – Trost:

„Nicht verzagen, Mafalda! Ich gebe den Kampf nicht auf …! Sieh zu, daß du in den Turm gelangst … Laß die Sphinx emporschnellen … Wirf den Lukendeckel zu …“

Dann gab er sie frei …

Sagte laut zu dem Kommissar:

„Bitte!“

Und streckte die Hände den Stahlfesseln entgegen …

Montgelar desgleichen …

Die Schlösser schnappten zu …

Der Fürstin Sarratow kühner Blick schweifte zum Mittelturm …

Nur vier Meter …

Der Lukendeckel stand offen …

Aber – einer lehnte dort am Turme, der Feindeslist kannte: Dworak!

Lehnte dort, die Dienstpistole in der Rechten …

Beobachtend – mißtrauisch … Hatte genügend von der Fürstin Sarratow gehört … gelesen …

Also das war sie, die Tigerin Mafalda …!

Begreiflich, daß sie Männer toll und zu Verbrechern gemacht …! In dem Weibe steckte der Teufel – man sah’s …!

Weibsteufel …!

Und – wie sie herüberstierte, die schlanke Bestie …!

Wie sie jetzt den Kopf müde sinken ließ …

Ah – – vielleicht war’s gut gewesen, daß er sich gerade hier aufgepflanzt hatte – – hier, wo’s ins Innere des Luftbootes hinabging …!

Schätzler rief Jürgens zu:

„Wir müssen versuchen, die Sphinx dort unten auf den Beeten landen zu lassen … – Sehen Sie mal zu, ob Sie mit der Auftriebsvorrichtung des Luftbootes fertig werden …! Sie sind ja Sachkenner in technischen Dingen …“

Jürgens stieg in den Turm hinab …

Mafaldas Hirn glühte …

Sie wollte siegen … Sie mußte siegen …

Und sagte leise zu dem hühnenhaften Kommissar:

„Ich warne Sie … Ein falscher Griff an den Schalthebeln, und die Sphinx schießt wie ein Pfeil empor …“ Ihre Stimme klang dabei so unendlich gleichgültig … So, als ob ihr am eigenen Leben nichts mehr läge …

Gußlar hatte aufgehorcht …

Meinte absichtlich leicht ironisch:

„Mögen die Herren uns alle doch zum Teufel schicken … Wenn wir bis achttausend Meter emporschnellen, sind wir erledigt – – Eisblöcke …!“

Schätzler wurde besorgt …

Trat rasch an die Luke – rief hinab:

„Jürgens, lassen Sie’s …! Es ist doch zu gefährlich … Wir werden ein paar Taue finden und die Sphinx tiefer hinabziehen … Oder …“ – und er drehte sich halb um – „oder würden Sie, Fürstin Sarratow, meinen Beamten die nötigen Weisungen geben?“

Da … mischte sich Dworak ein …

„Die Fürstin scheint mir gefährlicher als die Schalthebel, Herr Kommissar … Wir bekommen die Verhafteten auch so zur Erde hinab … Wer kann wissen, ob die Fürstin nicht vielleicht absichtlich uns alle … gen Himmel oder in die Hölle fahren läßt …! – Entschuldigen Sie meine Einmischung, Herr Kommissar … Aber ich habe da soeben einen Blick der Frau aufgefangen, der starke Sehnsucht nach der Turmluke verriet … Außerdem, Baron Gußlar hat den Abschiedskuß dazu benutzt, der Fürstin etwas zuzuflüstern … Ich rate zu allergrößter Vorsicht … Denken Sie an das, was Herr Wendler von der Gaupenburg aus meldete … Diese Leute sind nicht mit dem gewöhnlichen Maße zu messen …“

Schätzler wurde nun ebenfalls mißtrauisch …

Er traf seine Anordnungen so, daß Mafalda jede Hoffnung auf irgend einen kühnen Gewaltstreich aufgeben mußte.

Die Sphinx wurde mit Hilfe von vier Tauen langsam bis zur Erde herabgezogen, schwebte schließlich nur noch zwei Meter über dem Boden und wurde in dieser Lage an den starken Bäumen sicher vertäut.

Eine Gartenleiter, die man an die Reling lehnte, sollte dann den vier Gefangenen, die man inzwischen in zwei Kabinen der Sphinx eingesperrt hatte, zum Abstieg dienen. Lomatz lag noch halb bewußtlos und gefesselt am Fuße der Kastanie.

So war dem Kommissar Schätzler bisher alles nach Wunsch gegangen … Er rechnete kaum mehr mit unvorhergesehenen Zwischenfällen. Dr. van der Baake wurde von einem der Beamten im Studierzimmer bewacht, und wenn man jetzt das Gemeindeamt Zehlendorf telephonisch anrief und noch ein paar Polizeibeamte herbeiorderte, hatte man nichts mehr zu fürchten.

So glaubte Kommissar Schätzler …

Und doch hatten er und seine Leute etwas vollkommen übersehen. Daß in der Villa noch eine Person sich befand, die freilich durchaus harmlose erschienen. Es war dies die Wirtschafterin Anna Merten, das verhutzelte Weiblein, das vor kaum einer halben Stunde ihren Herren bereits einmal durch ihre schlau berechnete Aussage vor sofortiger Verhaftung bewahrt hatte.

Diese abschreckend häßliche Hexe hing mit hündischer Treue an ihrem Herrn. Seit vier Jahren besorgte sie seinen Haushalt. Von der Landstraße hatte er sie aufgelesen – in einer eisigen regnerischen Herbstnacht … Ein Spaziergang hatte ihn damals die Chaussee entlang geführt, und da war er dieses armseligen Häufleins von Lumpen und Menschenfleisch im Straßengraben ansichtig geworden …

Hatte sich über sie gebeugt, hatte den Fuselgeruch gespürt, der den röchelndem Munde der Vagabundin entströmte …

Seit langem schon war er mit seiner Aufwärterin, die er nur für die Vormittagsstunden hielt, unzufrieden gewesen. Die Person war neugierig, schwatzhaft, und bestahl ihn immer wieder.

Mitleid war’s, dazu die Hoffnung, daß diese Gesunkene hier im Chausseegraben vielleicht doch noch zu bessern sei und daß sie vielleicht ihm treuer dann dienen würde als jeder andere. Deshalb hatte er sie wachgerüttelt, hatte ihr auf die Beine geholfen und sie mit heim genommen …

Hatte sie gepflegt, ihr immer wieder gut zugeredet wie einem kranken Kinde …

Und war überrascht gewesen, daß diese alte Vettel sich dann bei vertraulicherer Aussprache als eine Frau von Bildung, Takt und Klugheit erwies …

Hatte gemerkt, daß Anna Merten durch harte Schicksalsschläge zur Säuferin und Landstreicherin geworden.

Noch nie hatte er’s seitdem bereut, daß er ihr eine neue Heimat gewährt … Noch nie hatte aber auch diese verkommene Greisin ihre Vergangenheit irgendwie erwähnt. Wenn er, was öfters geschehen, das Geheimnis ihrer besseren Tage zu lüften suchte, schüttelte sie stets traurig den Kopf … ‚Nicht daran rühren, Herr Doktor! Nicht daran rühren! Sonst kommt’s doch vielleicht wieder über mich, diese ungeheure Verzweiflung, und … ich verschwinde eines Tages, werde wieder, was ich gewesen: Landstreicherin, Bettlerin, Säuferin!’ – Da hatte er es aufgegeben …

Und Anna Merten war von früh bis spät auf den Beinen, war fleißig, rührig, sauber, suchte jetzt Trost und Vergessen in der Arbeit … Pflegte die Blumen im Garten, liebte jedes Tier …

Eine Gescheiterte mit einem warmen Herzen, mit einer empfänglichen Seele …

Und – vor ihr hatte Baake keine Geheimnisse … Sie wußte alles – alles …

Sie kannte die Villa … Sie kannte die besonderen Einrichtungen, die der Sonderling zu seiner Sicherheit angelegt …

Sie kannte seinen Ehrgeiz, seine Enttäuschungen … Sie litt mit ihm, wenn der Neid der zünftigen Astronomen ihm neue Bitternis bereitete …

So war Anna Merten …

Wer sie war, wußte niemand … Die Papiere, die sie bei sich gehabt hatte, lauteten auf Anna Merten, Witwe, geboren 1858 zu Hamburg, – Anna Merten, geborene Klausenitz … Der Doktor bezweifelte es … – –

Anna Merten war nicht wieder zu Bett gangen, nachdem Kommissar Schätzler sie verhört hatre, und nachdem sie in ihr Zimmer im Erdgeschoß zurückgekehrt war, dessen Fenster von den weiten Zweigen der uralten Kastanie überschattet wurden …

Im Dunkeln hatte sie an dem Hörer des Haustelephons gelauscht …

Als die Beamten und der Doktor das obere Turmgemach verlassen hatten, als die Erdgeschoßräume und der Keller durchsucht wurden, hatte sie an der Zimmertür gestanden und durch die fingerbreite Spalte gehorcht.

Nichts von dem, was dann weiter geschah, war ihr entgangenen … Nichts …

Die Sphinx hatte sie gesehen…

Und – wie sie des über der Krone der Kastanie schwebenden Luftbootes ansichtig wurde, war sie förmlich vom Fenster zurückgetaumelt …

War in einen Stuhl gesunken …

Hatte die knochigen verarbeiteten Hände ineinander geschlungen und gegen die Brust gepreßt, in der das Herz wie rasend klopfte …

Hatte mit den welken Lippen allerlei vor sich hin gemurmelt …

Seltsame Worte …

Unverständlich für jeden …

Nur für sie nicht …

Hatte an all das gedacht, was in den Zeitungen über die Sphinx gestanden … über den Kampf um die Milliarden … über die beteiligten Personen …

Und – an die Worte des Mannes, der von der Reling aus dem Doktor etwas zugerufen hatte …

Es … mußte die Sphinx sein…

Mußte…

Und – wieder erhob sie sich …

Lugte durch die Scheiben in den dunklen Garten.

Ihre Augen waren scharf …

Sie sah den Beamten in des Doktor Schlafrock – mit des Doktors Brille …

Sah, wie Edgar Lomatz unter der Kastanie niedergeschlagen wurde …

Sah, wie die anderen Beamten die Kastanie erkletteren …

Ihr reges Hirn erfaßte im Moment die günstige Situation …

Hinaus schlich sie in den Flur … In den Keller.

Fand sich in der Finsternis tastend zurecht …

Da war im Vorkeller eine doppelte Mauer – eine schlau angelegte Tür – ein Hohlraum, eine Treppe … Schmal, winklig … Ein Gang zwischen anderen doppelten Mauern … Wieder eine Tür, die hinter einem fast leeren Schrank in des Doktors Studierzimmer verborgen …

Ein Schrank, der sich von innen öffnen ließ …

Anna Merten wußte, daß diese Schranktür lautlos sich drehte …

Und lautlos schob sie sie auf …

Dunkelheit …

Doch schnell gewöhnten sich ihre Augen an die Finsternis …

Da saß Dr. van der Baake in Hemdsärmeln zusammengesunken im Schreibsessel …

Gefesselt an den Händen …

Da stand sein Wächter am offenen Fenster, um die Vorgänge draußen zu beobachten …

Ein unvorsichtiger Wächter …

Anna Merten kehrte um …

Eilte nach oben in den Turm … In das Gemach unter dem obersten Raume …

Schränke, Tische, Apparate auch hier. Baakes Laboratorium …

Anna Merten fand, was sie brauchte …

Kehrte abermals um …

Durch Keller, Geheimtüren, – in den Schrank …

Der Beamte hatte sich noch weiter zum Fenster hinausgebeugt …

Des alten Weibleins dürre Hände hielten die kleine gefüllte Glasspritze …

Auf Strümpfen glitt sie über die Dielen …

Ein feuchter Strahl traf das Beamten Gesicht …

Er fuhr herum …

Taumelte …

Schlug krachend zu Boden …

Lag still …

Die Merten schob die Spritze in die Tasche …

Hatte im Augenblick des Doktors Fesseln gelöst …

Baake drückte ihre Hand …

Kein Wort sprach er … Aber dieser Händedruck besagte alles …

Sie hoben den Beamten auf und trugen ihn in den Schrank – in den schmalen Raum zwischen den doppelten Mauern … Er würde erst nach Stunden erwachen …

Baake wischte ihm mit dem Taschentuch die Tropfen der Flüssigkeit vom Gesicht … Sonst wäre der Mann niemals mehr erwacht …

„Holen Sie die Flasche und eine größere Spritze,“ sagte der Doktor zu Anna Merten …

Sie lief wie ein Wiesel – kehrte schon zurück.

Baake beobachtete durch das Fenster, hatte einen warmen Mantel übergezogen …

Drehte sich nun um …

„Sie sind Herren der Sphinx,“ flüsterte er … „Vorläufig …!!“

Und nahm die handlange, dicke Glasspritze, fühlte sie aus der Flasche und schob sie so in die rechte weite Manteltasche …

Anna Merten fragte tonlos:

„Es ist also wirklich die Sphinx, Herr Doktor?“

„Ja … – Die Sphinx mit den Milliarden …“

„Es … es sind … Frauen an Bord …,“ murmelte die Merten …

„Zwei sah ich … Und der Kommissar hat mir gesagt, daß es die Fürstin Sarratow und eine gewisse Else von Parland sind …“

Aus dem Munde des Weibleins ein röchelnder Aufschrei …

Baake griff nach ihrer Hand …

„Anna – was haben Sie?! Anna – sie zittern! – Reden Sie …! – Reden Sie …! Nur jetzt Offenheit …! Anna – es …“

Die Merten schüttelte den häßlichen Kopf …

„Nein, nein, – das … das hat mit uns beiden nichts zu tun, Herr Doktor … nichts!“

Baake gab ihre Hand frei …

„Anna Merten, es wäre besser, Sie hätten Vertrauen zu mir …! Trotzdem, ich will Sie nicht quälen! Ich ahne, daß Sie eine dieser beiden Frauen kennen … – Anna, in den Schrank …! Für alle Fälle … Und – halten Sie auch die kleine Spritze bereit …!“

Er trat wieder an das Fenster …

Er mußte jetzt, er würde diese letzten acht Tage nicht im Kerker zubringen – diese acht Tage, die ihm noch zu leben vergönnt, ihm und der übrigen Menschheit!

Er beobachtete …

Draußen war nun die Sphinx dicht über dem Boden zwischen den Bäumen vertäut worden …

Drei Leute näherten sich dem Hause: Schätzler, Jürgens, ein dritter Beamter …

Der Kommissar wollte telephonieren … Jürgens und der andere sollten einen Kellerraum für die Gefangenen herrichten.

Durch die offenstehende Haustür betraten sie die Villa …

Links war die Treppe zum Studierzimmer …

Schätzler schaltete das elektrische Licht ein …

Baake saß im Schreibsessel – wie vorhin … Hände im Schoße … Scheinbar gefesselt …

Die drei blieben arglos …

„Ich gratuliere, Herr Kommissar,“ sagte Baake … „Vor elf Jahren hätten sie einen Orden für dieses Bravourstück erhalten … Jetzt bekommen Sie nur einen … Anschnauzer …“

Schätzler wurde grob …

„Unterlassen Sie die Unverschämtheiten …! – Anschnauzer?! Möchte wissen, weshalb?!“

„Weil Sie die Sphinx nicht besser … bewacht haben – deshalb!“

Seine Hände glitten empor … Etwas blankes blitzte in diesen Händen …

Ein dünner Strahl fuhr im Bogen durch die Luft – bewegte sich von rechts nach links …

So blitzschnell das alles, daß die verderblichen Tropfen überraschte Gesichter benetzten …

Schätzler und Jürgens wollten vorspringen …

Glitten schon zu Boden …

Der dritte Beamte ebenso …

Dr. van der Baake schaltete das Licht wieder aus …

„Anna – – die Flasche …!!“

Er füllte die Spritze vor neuen …

„Anna, trocknen Sie den dreien die Gesichter ab … – So – und nun weg mit ihnen – hinein in den Gang … Jetzt sind’s noch zwei …“ –

Oben an Deck der Sphinx stand Dworak … Der Kollege bewachte unten die beiden Kabinen …

Dworak brauchte eine kleine Nervenauffrischung … Er hatte sich eine Zigarette angezündet. Das half am besten … Bei all seiner Klugheit war er eine sehr nüchtern denkenden Natur, sehr prosaisch. Seinen Beruf liebte er, aber er hatte noch nie ein Fünkchen Poesie dabei gefunden. Seine Poesie war sein Heim, seine Familie, Weib und Kinder … Dort in der kleinen Wohnung war er ein anderer. Dort lebte der Mensch in ihm auf, der dann das scheußliche Dasein, wie er es kennen gelernt hatte von berufswegen, völlig vergessen konnte …

Und jetzt, Zigarette zwischen den Lippen, überlegte er als treusorgender Familienvater, was wohl an Extrabelohnung durch diese nächtliche Unternehmung für ihn und die Kollegen abfallen würde. Die Regierung würde sich fraglos nicht lumpen lassen … Nein, man würde ihnen von den Milliarden ein paar Tausend bewilligen … Und dann konnte er den Seinen so manchen stillen Wunsch erfüllen … So manchen!

Und diese Gedanken und die Zigarette lullten seine nimmermüde Wachsamkeit etwas ein …

So kam’s, daß er den Doktor Baake erst bemerkte, als dieser schon die Gartenleiter, die an der Sphinx lehnte, halb erklettert hatte …

„Hallo!“ – und mit drei Schritten war er am oberen Ende der Leiter und hatte die Taschenlampe eingeschaltet … „Hallo, – was wollen Sie denn hier, Herr Doktor?“

„Herr Schätzler schickt mich … Er hat nun eingesehen, daß ich mit Verbrechern nie etwas zu tun gehabt habe … Ich soll Sie ablösen … Sie möchten doch sofort …“

Und – da geschah’s …

Da drückte er die Knie gegen die eine Leitersprosse.

Hielt sich im Gleichgewicht … Hatte die Hände frei …

So schnell geschah’s, daß Dwight zu spät zurücksprang …

Etwas Feuchtes spritzte ihm ins Gesicht …

Seine Sinne verwirrten sich … Langsam sank er zur Seite …

Und Dr. van der Baake stieg in den Turm hinab, erschien im erleuchteten Kabinengang …

Der Beamte hier war in vier Sekunden ebenfalls erledigt …

Baake öffnete die eine verschlossene Kabinentür …

Gußlar und Montgelar saßen gefesselt in Korbsesseln …

„Sie gestatten, meine Herren, Dr. van der Baake … Ich habe mir erlaubt, die Polizei auszuschalten … Sie sind frei, meine Herren …“

Und noch ernster, fast traurig:

„Frei – für acht Tage … Am ersten Oktober nachts um zwölf werden Sie dann eine andere Art von Freiheit kennen lernen …“

Und er trat zunächst auf Gußlar zu und nahm ihm die Fesseln ab …

Es war jetzt drei Uhr morgens …

 

28. Kapitel.

Verlorene Heimat.

Drei Uhr morgens …

In der Gaupenburg … In des Grafen Laboratorium …

Die Deckenlampen brannten … Links am langen Holztisch, wo die Radioapparate ihren Platz hatten, saß Georg Hartwich und funkte stets denselben Text auf Welle 1600 in die herbstiche Nacht …:

‚Baron Gußlar, kehren Sie zurück. Mein Ehrenwort, daß Sie und die anderen nicht verhaftet werden. Graf Viktor Gaupenberg.’

Stets denselben Text in Morsezeichen …

Und zuweilen schaltete er dann den Sender ab und stellte den Empfänger ein …

Saß dann fünf Minuten mit dem Kopfhörer an den Ohren und lauschte …

Hörte auf Zeichen …

Telegraphiesender …

Hörte nie das, was er erhoffte …

So trieben es Hartwich und Gaupenberg als letzte Hoffnung seit Stunden …

Gaupenberg schritt in dem weiten Raume hin und her … Agnes lehnte in einem Sessel und schlief. Sie hatte sich nicht nehmen lassen, dem Gatten Gesellschaft zu leisten … Sie hatte gegen die Müdigkeit angekämpft und war doch eingeschlafen …

Gaupenberg blieb vor ihr stehen …

Sein trüber Blick belebte sich … Tiefe Zärtlichkeit lag in der sanften Art, wie er Agnes nun unmerklich über das blonde Haar strich …

Agnes fühlte seine Nähe … Erwachte …

Ihre Augen strahlten auf …

„Du – – du …!!“ flüsterte sie und nahm seine Hände …

Er setzte sich neben sie – ganz dicht …

„Du schliefst so fest … Ich wollte dich nicht wecken …,“ sagte er leise … „Und – du lächeltest so weich … Du mußt Gutes geträumt haben …“

Sie lehnte sich an ihn …

„Ich träumte die Zukunft,“ sagte sie versonnen … „Und diese Zukunft …“

Da brach sie mitten im Satze ab … Erinnerte sich an Dagobert Falz’ Warnung … Sie durfte noch nichts von dem verraten, was sie wußte …

Gaupenberg drückte sie an sich …

„Diese Zukunft bist du und … unser Kind …,“ flüsterte er innig … „nur ihr beide werdet mir des Lebens Inhalt sein, wenn erst die heilige Pflicht erfüllt ist …“

Seine Züge umdüsterten sich …

„Die heilige Pflicht, Agnes …! Das Gold – die Milliarden …! Und – bisher nichts, Agnes, – nichts … Keine Antwort von der Sphinx … Du siehst, wir sind unermüdlich. Georg hat mich soeben abgelöst … Dalaargen und Tom Booder haben wir schlafen geschickt … Sie konnten ja doch nichts helfen …“

Ein leises Geräusch von der Tür her …

Die öffnete sich …

Ellen Hartwich war’s, – in einem hellen Morgenrock …

Und – geisterbleich ihr Gesicht … Unsicher ihre Bewegungen … Die Augen unheimlich starr …

Gaupenberg sprang auf …

Eilte ihr entgegen …

Hinter ihm Agnes …

„Ellen, was …“

Hartwichs Gattin sank kraftlos an Agnes’ Brust …

Ein Schluchzen, ein helles Wimmern kam über ihre Lippen …

Hartwich hatte den Kopf gewandt …

War mit raschen Schritten neben den Freunden …

„Ellen, – mein Gott, was hast du denn …“

Sie versuchte zu sprechen …

Erst nur ein paar heisere Laute …

Dann ein Schrei …

„Feuer – – das Schloß brennt … Feuer …!“

Und jetzt, wo die Lähmung gewichen, deutete sie durch die hohen Fenster auf den Schloßpark …

Die Bäume schimmerten rötlich …

Der ganze Park war in rosigen Schein gehüllt …

Gaupenberg stürmte schon hinaus – in den Flur – in den Hauptflügel …

Qualm schlug ihm entgegen …

Trotzdem … Weiter …

Hinab ins Erdgeschoß …

Auf der Hälfte der Treppe trieb ihn die Hitze zurück.

Unheimliches Knistern drang an sein Ohr …

Klirrend zerbarst irgendwo eine Glasscheibe …

Gaupenberg kehrte um …

Oben in dem Gastzimmern hatte Hartwich schon die Schläfer geweckt …

Der Graf eilte die Seitentreppe hinab … Auf die Terrasse …

Sah nun den ganzen Umfang des Unheils …

Das Erdgeschoß des Mittelbaus stand in hellen Flammen … Überall brannten bereits die getäfelten Wände … Von Zimmer zu Zimmer hatte sich die Glut weiter gefressen …

Der Graf war minutenlang wie erstarrt …

Er begriff nicht, wie dieses Feuer überhaupt hatte entstehen können, es möglich gewesen, daß es unbemerkt diese Ausdehnung angenommen hatte …

Einen Augenblick kam ihm der Verdacht, hier müßte Brandstiftung vorliegen …

Doch nein, nur ein Kurzschluß in den elektrischen Leitungen konnte diese verheerende Feuersbrunst verursacht haben! Und das trockene Holz der getäfelten Wände, Möbel, Fußböden, Türen, all das hatte dem vernichtenden Element nur zu reiche Nahrung geboten …

„Ich habe von meinem Zimmer aus nach dem Städtchen telephoniert …,“ rief der treue Knorz, der in überaus mangelhaftem Anzug nun vor seinem Herrn stand … „Die Feuerwehr kann in einer Stunde …“

Gaupenberg lachte bitter auf …

Im gleichen Moment barsten wieder ein paar Fenster.

Stichflammen schossen durch die zersplitterten Scheiben …

„Hier gibt’s nichts mehr zu retten …,“ meinte Gaupenberg mit heiserer Stimme … „Gottlieb, es ist die Zeit, wo stets der Morgenwind sich erhebt … Da – die Wipfel der Bäume verneigen sich schon vor dem ersten Lufthauch … Ehe die Feuerwehr zur Stelle, ist die Gaupenburg nur noch ein Flammenmeer …“

Und der Graf behielt recht. Das Stammschloß seiner Ahnen ward zur rauchgeschwärzten Ruine …

Sogar der alte Park ging in Flammen auf, da der gegen Morgen zum Sturme angewachsene Wind die ungeheure Glut in die prachtvollen Baumbestände drückte, sie ausdörrte und wie Fanale emporlodern ließ: Eichen, Buchen, Kiefern, Tannen – alles ein Chaos von Feuerzungen und Rauch …!

Hilfsbereite Hände aus dem nahen Sellenheim hatten aus den oberen Räumen des Schlosses noch manches Wertvolle geborgen …

All das lag und stand nun in wüstem Durcheinander auf dem Rasenplatz vor der Terrasse umher …

Und wie stets fanden sich auch genug diebische Hände, die hier trotz der Wachsamkeit Gottliebs und Murats allerlei verschwinden ließen …

Übergenug Leute waren ja durch den meilenweit sichtbaren Brand herbeigelockt worden …

In Scharen standen sie umher, die Bauern und Städter, die Holzfäller und die Schmuggler, – Weiber und Kinder … zu hunderten …

Aber nicht einer war darunter, dem auch nur ein leiser Gedanke von Schadenfreude gekommen wäre. Dazu waren die Gaupenbergs zu eng mit der Gegend und der Bevölkerung verwachsen …

Und all diese Hunderte wußten auch, daß Graf Viktor jetzt seit Monaten mit seinem Freunde Hartwich unerhörte Abenteuer und Anstrengungen durchgemacht hatte, – um dem deutschen Volke zu helfen!

Jeder hier kannte die Geschichte des Azorenschatzes. Jeder bewunderte den Grafen … Bedauerte ihn und sein Mißgeschick …

Daß die armen Gebirgler trotzdem die gute Gelegenheit nutzten, dieses und jenes zu stehlen, – wer wollte es ihnen schließlich verdenken?!

Inzwischen waren Graf Gaupenberg und seine Gäste längst nach der Ruine Sellenheim übergesiedelt, wo Dr. Falz in aller Eile für die Unterkunft gesorgt hatte.

Als die Sonne aufging und der Sturm das Werk der Vernichtung vollends zu Ende führte, als die schwarzen Rauchmassen weithin bis über das Heiße Moor hinwegtrieben, da standen Agnes und Viktor einsam Arm in Arm neben der Ruine und schauten still hinüber zu den traurigen Überresten der stolzen Gaupenburg …

Arm in Arm …

Gaupenberg fahl im Gesicht – müde, zermürbt …

Agnes in starrer Ruhe …

Sie konnte weder über den Verlust der Sphinx und der Milliarden noch über diese neue Katastrophe irgendein Gefühl wirklichen Bedauerns aufbringen …

Sie konnte es deshalb nicht, weil all diese Geschehnisse hier ihr wie belanglose Vorläufe einer unendlich erschütternderen Reihe von Ereignissen vorkamen …

Wie die Vorboten dessen, was ihr väterlicher Freund Dr. Falz als Weltkatastrophe bezeichnet hatte …

Nein – in Agnes’ Brust lebte nur tiefes Mitleid mit dem Geliebten, der nicht ahnte und nicht ahnen durfte, daß eine Zeit nahe bevorstand, in der die Erde öde und leer sein würde, in der niemandem mehr die Milliarden von Nutzen sein konnten, in der Bauwerke in Trümmer zerfallen würden, die noch anderen Wert und andere Größe besaßen als die Gaupenburg …

Gewiß – sie hatte Viktor getröstet, hatte liebe, herzliche Worte gefunden …

Und doch dabei stets das Empfinden gehabt, daß sie hätte hinzufügen sollen: ‚Wir werden diese Stätte sehr bald für immer verlassen müssen, werden eine andere Heimat finden … Alles das, was hier lebt, wird dahinwelken … Nur wir nicht – an … anderer Stelle – in der neuen Heimat!“ –

Auch Dr. Falz hatte dem Grafen nur stumm die Hand gedrückt, als er ihm nachts auf dem Vorplatz des Schlosses begegnete. Auch er konnte es nicht über sich bringen, mit billigen Redensarten dieses Unheil anzusprechen, das nichts anderes war als ein deutlicher Wink des Schicksals, einer höheren Macht, den kommenden Ereignissen Rechnung zu tragen … –

Arm in Arm standen die Liebenden …

Und hinter ihnen in dichter Gruppe neben dem Eingang der Ruine Sellenheim die Gefährten, die übrigen Sphinxleute, und Frau Sanden …

Unter ihnen Dagobert Falz’, hohe hagere Gestalt im dunklen Radmantel, den großen Schlapphut tief ins Gesicht gedrückt … Die klugen, ernsten Augen hinter den blinkenden Brillengläsern ruhten unverwandt auf dem Ehepaar Gaupenberg …

Und Georg Hartwich, der dieses Greisenantlitz heimlich beobachtete, kam eine flüchtige Erinnerung an ein Bild des Göttervaters Odin …

An ein Bild: Odin, im wehenden Mantel und Schlapphut, das hehre, einäugige Antlitz gegen Asgard, die Götterburg, gerichtet … –

Dann schritt der Doktor plötzlich vorwärts, machte neben Agnes und Viktor halt.

Sagte in seiner ruhigen, gütigen Art:

„Lieber Graf, ich möchte Ihnen, nachdem nun auch dieses Ereignis eingetreten ist, das ich ebenfalls als Vision vorausgeschaut habe, einen Vorschlag machen … Sie besinnen sich wohl noch, daß der Mormonenprediger Tillertucky, der einige Zeit unser Gefährte war, von seiner Gefangenschaft bei einem Negerstamm im Gebiete der Nilquellen erzählte und dabei auch erwähnte, er habe dort eine Ansiedlung von Deutschen entdeckt, die bei der umwohnenden schwarzen Bevölkerung in hohem Ansehen standen …“

Gaupenbergs Gesicht belebte sich mit einem Schlage.

„Ja – die Familie Werter, Herr Doktor,“ nickte er eifrig … „Jene Braven, die damals im Herbst 1915 das an der Kameruner Küste gefundene Gold dem deutschen U-Boot übergaben – das Gold, den Azorenschatz …! Wir waren uns ja sofort darüber klar, daß es sich nur um diese Familie Werter handeln könne, und schon damals auf der schwarzen Insel, als der Mormone diese seine Erlebnisse schilderte, hatte ich die Absicht, die Landsleute dort mit der Sphinx zu besuchen…“

Dagobert Falz meinte nun ebenfalls lebhafteren Tones:

„Sie sprachen soeben das aus, was ich Ihnen vorschlagen wollte, lieber Graf … Wir, die wir zusammengehören, sind nun nach dem Brande der Gaupenburg gleichsam heimatlos geworden … Wir haben auch die Sphinx und die Milliarden eingebüßt …“

Er schaute mit weltentrücktem Blick zum Himmel empor …

Ganz leise dann:

„Und … das Gold … werden wir niemals wieder zurückgewinnen – niemals …! Das Schicksal will es nicht! Unsere Mission, was den Schatz betrifft, ist beinahe vollendet … Beinahe …“

Gaupenburg starrte ihn entsetzt an …

„Wie – – nicht zurückgewinnen – – niemals zurückgewinnen?! Heißt das etwa, daß wir alle Bemühungen aufgeben sollen, diese Milliarden, an die sich die Hoffnung eines ganzen Volkes auf Linderung seiner Drangsale knüpfte, nötigenfalls durch …“

Der Einsiedler von Sellenheim unterbrachen ihn …

„Nein – so ist’s nicht gemeint, Herr Graf – so nicht! Wir müssen sogar nach wie vor alles daransetzen, wenigstens die Sphinx zurückzuerobern … Und dies läßt sich mit meinem Vorschlag, die Familie Werter aufzusuchen, unschwer vereinen. Ich wollte darauf hinaus, daß wir ein großes Passagierflugzeug erwerben sollten … Die nötigen Geldmittel dazu besitze ich. Eine Depesche von Ihnen an die Dorner-Werke in Berlin würde genügen. Die Fabrik könnte das Flugzeug durch einen Piloten hierher bringen lassen, wo wir es dann sofort bar bezahlten. Ich würde auch dringend raten, lieber Graf, daß Sie das Telegramm bald aufgeben … Vielleicht ist der Doppeldecker dann schon nachmittags hier zu unserer Verfügung. Man kann nie wissen, ob wir ihn nicht sehr bald brauchen, ob nicht irgend eine Nachricht über die Sphinx einläuft, die uns veranlaßt, schleunigst mit dem Flugzeug die Verfolgung unseres Luftbootes aufzunehmen … – Sollte aber die Sphinx nicht wieder auftauchen, sollten wir die Hoffnung, sie zurückzugewinnen, endgültig aufgeben müssen, so hält uns erst recht nichts mehr hier zurück … Dann können wir die Reise zu den deutschen Landsleuten antreten und …“

Und schwieg …

Ein Radfahrer, ein Postbote, war soeben vor ihnen unter den Bäumen erschienen …

Winkte …

Rief: „Herr Graf, eine Depesche … Bitte …“

Gaupenberg öffnete das Telegramm …

Las …

Las nochmals …

Sein Gesicht nahm den Ausdruck ungläubigen Staunens an …

„Da – lesen Sie, Herr Doktor,“ meinte er kopfschüttelnd … „Ich … werde aus diesen Andeutungen nicht klug … Lesen Sie bitte vor, damit auch Agnes das Merkwürdige erfährt …“

Die Depesche lautete …

Graf Viktor Gaupenberg,
Gaupenburg bei Gaupenberg

Erwarte Sie mit allen Sphinxleuten nach drei Tagen am Kap Retorta, San Miguel, werde Ihnen dort übergeben, was Ihnen gehört. –

Der Kurländer

Falz hatte halblaut gelesen …

Nickte ernst …

„Also der Baron Gußlar …! Er ist Kurländer … – Sie sehen, lieber Graf, meine Vermutung trifft zu. Wir brauchen ein Passagierflugzeug! – Geben Sie dem Postboten am besten gleich die Depesche an die Dornerwerke mit … Es kann nichts schaden, wenn wir etwas früher am Kap Retorta eintreffen …“

Gaupenberg war einverstanden.

Rasch schrieb er auf eine Seite seines Notizbuchs den Telegrammentwurf …

Der Bote erhielt ein reichliches Trinkgeld und radelte davon. –

Der Einsiedler von Sellenheim drückte Gaupenberg fest die Hand …

„Die Würfel sind nun gefallen …,“ meinte er leise und in ganz besonderem Tone. „Alles nimmt so seinen Gang, wie es uns vorausbestimmt worden ist … Wir …“ – und seine Stimme ward noch feierlicher – „wir sind die Auserwählten, Graf Gaupenberg, die Erneuerer des Menschengeschlechts … Wir sind die vom Schicksal Gezeichneten … Unsere Wege sind nicht die der anderen Sterblichen … Gewöhnen auch Sie sich an den Gedanken, daß wir zu Besonderem bestimmt sind …!“

Gaupenberg warf einen halb verwirrten Blick auf sein junges Weib, als ob er erwartete, daß auch sie diesen Andeutungen gegenüber die selbe ratlose Verlegenheit zeigen sollte wie er selbst …

Aber Agnes lächelte nur …

Ein seltsames Lächeln tiefster Zuversicht – ein Lächeln gläubiger Gewißheit an eine schönere Zukunft.

Viktor Gaupenberg begann zu begreifen … Und auch in ihm erwachte nun dasselbe Gefühl der Abgeklärtheit gegenüber diesen letzten Ereignissen, die ihn noch soeben tief bedrückt hatten … Er begann zu ahnen, daß der Goldschatz der Azoren nur deshalb in die Welt gesetzt worden war als Mittelpunkt so unerhörten Geschehens, weil durch ihn die Seelen eines bestimmten Kreises von Personen geläutert und vorbereitet werden sollten für eine höhere Mission …

Seine Blicke ruhten jetzt nur noch mit stiller innerer mehr verklingender Trauer auf den dunklen Rauchmassen, die noch immer den Ruinen seines Schlosses entquollen …

Seine Linke, die noch immer von Dagobert Falz’ Hand umspannt wurde, erwiderte den innigen Druck und seine Rechte streckte sich nun der seines geliebten Weibes entgegen …

So standen die drei im Glanze der Sonne, die soeben über die verbrannten Kronen des Parkes hinweglugte …

Drei Menschen, eng vereint durch die magische Macht des Goldes …

Und hinter ihnen die übrigen Sphinxleute …: das Ehepaar Hartwich, der treue Gottlieb, Pasqual Oretto, die drei Brautpaare, der Fürst Sarratow und die blonde Nordländerin Inge, – Murat auch, der Homgori, und Frau Sanden …

Weiter zurück die anderen Männer, die hier bei den letzten Vorgängen ebenfalls eine besondere Rolle gespielt hatten: Kommissar Wendler mit seinen Beamten …

Und keiner von diesen wußte, aus welchem Grunde der Einsiedler von Sellenheim dort Hand in Hand mit dem Ehepaar Gaupenberg minutenlang so regungslos verharrte …

Keiner ahnte es …

Und doch spürten sie alle tiefe Ergriffenheit … Spürten das Wehen unsichtbarer Gewalten, das zusammen mit den freundlichen Strahlen der Sonne sich über sie ergoß wie ein geheimnisvolles Fluidum, aus dem Metall entströmend, – aus jenen fernen Gefilden, die nach keines Menschen Auge geschaut …

Und diese Ergriffenheit ward stärker und stärker …

Kommissar Wendler kämpfte dagegen an … Wollte sich nicht besiegen lassen von einer Stimmung, deren tiefsten Ursprung er nicht zu erkennen vermochte …

Er war’s, der dieser Szene ein fast plumpes, störendes Ende bereitete …

Schritt auf Gaupenberg zu …

Da lösten sich die Hände der drei …

Und Wendler sagte:

„Verzeihen Sie, Herr Graf … Meine amtliche Eigenschaft gebietet mir, Sie zu fragen, ob die Depesche, die Sie soeben erhielten, zu dem Raube der Sphinx irgendwie in Beziehung steht …“

Viktor Gaupenberg mußte sich erst zurückfinden in diese nüchterne Welt kalter Tatsachen. Zögerte mit der Antwort. Schaute unsicher den Einsiedler an …

Falz erwiderte da, indem er mit der Hand auf die Brandruine wies:

„Menschliche Macht, Herr Kriminalkommissar, wird hier nichts mehr ausrichten … Dem Grafen Gaupenberg ging die Heimat verloren … Der Graf und wir Sphinxleute werden noch heute diese Stätte für immer verlassen …“

Wendler verbeugte sich höflich …

„Trotzdem, Herr Doktor, – ich betone nochmals, ich bin Beamter! Meine Vorgesetzten werden von mir einen genauen Bericht einfordern – gerade weil es hier um die Goldmilliarden geht. Meine Pflicht ist es, zu fragen. Betrifft die Depesche die Sphinx?“

Dagobert Falz blickte ihn fest an …

„Ja …! Und dennoch bedauern wir, Ihnen den näheren Inhalt vorenthalten zu müssen, Herr Kriminalkommissar … Sie können mir altem Manne glauben, und wenn die ganze bewaffnete Macht der Erde sich aufmachen würde, um den Azorenschatz zurückzugewinnen – Es wäre zwecklos! – Begnügen Sie sich mit dieser Antwort! Mehr kann ich Ihnen nicht sagen und mehr werde ich Ihnen nicht sagen!“

Über Wendlers Gesicht lief ein unwilliges Zucken hin …

Aber er beherrschte sich … Er empfand doch zu viel Respekt vor diesem seltsamen Manne, der ihm gestern mit so liebenswürdiger Bereitwilligkeit die unterirdischen Räume der Ruine gezeigt und dabei so merkwürdige Äußerungen getan hatte – ähnlich wie jetzt, – Äußerungen, die ohne jede Effekthascherei in so prophetischem Tone vorgebracht wurden, daß wohl jeden dabei ein leises Grauen beschlichen hätte …

Wendler verbeugte sich nur und trat zurück … Winkte seinen Beamten und schritt mit ihnen der Brandstätte zu … Befahl dem einen: „Sie eilen sofort nach dem Städtchen Gaupenberg und verlangen den Vorstand des dortigen Postamtes zu sprechen. Der Depeschenbote vorhin kam aus Gaupenberg. Sie fordern in meinem Namen eine Abschrift des Telegramms, das der Graf erhalten hat …“

Der Beamte entfernte sich… Da die Feuerwehr des Städtchens sich gerade zur Rückkehr rüstete, fand er einen Platz auf dem Beiwagen der Spritze.

Bereits nach einer Stunde konnte er so seinem Vorgesetzten die Abschrift der Depeschen überreichen.

Wendler war über den Inhalt außerordentlich überrascht …

Nach drei Tagen am Kap Retorta auf San Miguel wollte der Kurländer, also Baron Gußlar, die Sphinx dem Grafen wieder übergeben?!

Was bedeutete das?!

Wie war es zu verstehen, daß dieser Gußlar die Beute freiwillig wieder ausliefern wollte?! Und – weshalb hatte Dr. Falz hieraus ein großes Geheimnis gemacht?!

Weshalb nur?!

Wendler dachte angestrengt nach …

Er hatte den Beamte an einer der Biegungen der Straße erwartet, die vom Schloßberg ins Tal führte.

Und er und seine Untergebenen standen nun hier neben dem Wege unter den breitästigen Buchen hinter ein paar Haselnußsträuchern …

Der Kommissar suchte den Inhalt der Depesche zu Dr. Falz’ letzten Äußerungen irgendwie in Beziehung zu bringen …

Und dann – ein besonderer Gedanke! Ob die Sphinxleute etwa aus irgendwelchen bisher undurchsichtigen Gründen die Absicht aufgegeben hatten, den Azorenschatz für die Allgemeinheit, für das deutsche Volk zu spenden, wie sie dies bisher doch gewollt hat?!

Aber – was in aller Welt konnte den Grafen und den Doktor nur umgestimmt haben?!

Wendler stand hier einem Rätsel gegenüber, das ihm geradezu unlösbar schien …

Und – nur eins wurde ihm klar, daß er hier einer Verantwortung gegenüberstand, die er allein nicht tragen wollte …

Er mußte sich unbedingt sofort mit dem Berliner Polizeipräsidium verständigen … Am einfachsten war, wenn er von dem nahen Trinkbad Sellenheim aus das Präsidium anrief. Als Beamter konnte er von der Post verlangen, daß er sofort Anschluß erhielt. Mochten dann die Herren in Berlin sich über diese Wendung der Dinge die Köpfe zerbrechen und ihm Verhaltungsmaßregeln erteilen …

„Begleiten Sie mich, Blümke,“ sagte er zu dem Kriminalassistenten. Und dann – als sie quer durch den Wald schritten:

„Sie haben die Depesche ja ebenfalls gelesen, Blümke … Was halten Sie davon?“

Blümke hob die Schultern …

„Schwer zu erklären, Herr Kommissar – sehr schwer … Ich habe mir schon so meine eigenen Gedanken darüber gemacht … Dieser Baron müßte ja geradezu unzurechnungsfähig sein, wenn er die Sphinx und die Milliarden wirklich dem Grafen wieder ausliefern wollte …! Welcher Gauner wird wohl freiwillig derartige Reichtümer von sich werfen?! Anderseits – weshalb bestellt dieser Kurländer den Grafen nach dem Kap Retorta?! – Und dann – noch eins, Herr Kommissar, ich weiß auch, was der Graf nach Berlin depeschiert hat … Er gab doch dem Boten ein Telegramm mit … Dieses war jedoch nicht etwa für Gußlar gestimmt, sondern ging an die Dorner-Flugzeugwerke in Adlershof… Der Graf hat dort einen Passagierdoppeldecker für zwölf Personen nebst Brennstoff für achtundvierzig Stunden bestellt … Das Flugzeug soll dann hier nach seinem Eintreffen bezahlt werden …“

Wendler war mit einem Ruck stehen geblieben …

„Blümke – der Himmel mag wissen, was dies alles soll …! Die Sphinxleute wollen also tatsächlich nach San Miguel …! Und Dr. Falz sprach von einer neuen Heimat …! – Unbegreiflich das alles …! – Blümke, – wenn mein Verdacht zutrifft, dann … dann kann Deutschland lange auf den Milliardensegen warten! Dann haben die Herren Gaupenberg und Genossen sich die Sache anders überlegt und werden …“

„… werden das Gold hübsch für sich behalten!“ ergänzte Blümke ebenso ironisch.

„Stimmt – der gesunde Egoismus mag bei Gaupenberg Oberhand gewonnen haben, nachdem sein Schloß niedergebrannt ist … Der Neubau wird Millionen kosten und …“

„… und – nun ist ihm eben das neue Schloß die Hauptsache, – in gewisser Weise begreiflich, wie ich zugeben will … – Nur – nur – – hol’s der Teufel, Blümke – nur paßt eine solche Handlungsweise sogar nicht zu dem sonstigen Benehmen des Grafen …! Nein – man mag grübeln und grübeln, es wird kein rechter Vers aus alledem!“

Blümke nickte … Seufzte …

„Auch das stimmt, Herr Kommissar … So ein neues Schloß kostet leicht zwei, drei Millionen, – was tut das bei rund zehn Milliarden?! Deshalb braucht der Graf doch nicht den ganzen Azorenschatz vorläufig für sich … zu reservieren …“

Und sie schritten weiter …

Unzufrieden, – und waren beide froh, daß die Herren in Berlin sich nun ganz allein die hochgeehrten Schädel zerbrechen mochten …

Ja – mochten sie das nur tun! Neugierig waren Wendler und Blümke über alle Maßen, was für Befehle sie jetzt erhalten würden …

Gegen halb neun vormittags waren sie in der Postnebenstelle in Sellenheim …

Der Beamte dort kam dem Kommissar diensteifrig entgegen …

Wendler hatte in fünf Minuten Verbindung mit dem zuständigen Oberregierungsrat in Berlin …

Zum Glück waren wenig Geräusche in der Leitung und die Verständigung daher einwandfrei …

So konnte Wendler denn dem Vorgesetzten ohne Unterbrechung und ohne Schwierigkeiten alles Nötige mitteilen …

Und abermals zehn Minuten drauf hatte Wendler seine allerneuesten Verhaltungsmaßregeln:

Nachmittags drei Uhr würde ein Flugzeug ihn und seine Beamten bei dem Dorfe Bergfeld unweit von Sellenheim in aller Stille aufnehmen und dann sofort nach San Miguel weiterfliegen …!

Was Wendler sonst noch von seinem Vorgesetzten erfuhr, hüllte die Absichten der Sphinxleute in noch tieferes Dunkel …

Und diese Vorgänge betrafen die Vorgänge in der einsamen Villa des Astronomen Dr. van der Baake.

 

29. Kapitel.

Mutter und Kind.

Dr. van der Baake stand in der Kabine der Sphinx, in die man Gußlar und den Grafen Montgelar eingeschlossen hatte …

Soeben hatte er den beiden die Fesseln abgenommen, hatte ihnen mit weltmännischer Höflichkeit seinen Namen genannt und fügte nun zu:

„Ich bedauere außerordentlich, meine Herren, daß Ihnen hier auf meinem Grund und Boden so Unangenehmes widerfahren ist … Ich habe mich bemüht, die groben Unhöflichkeiten der Polizei wiedergutzumachen … Mir ist dies auch gelungen, wie Sie sehen … Kriminalkommissar Schätzler, der mir mit seinem Beamten in dieser Nacht eine unerwartete und höchst überflüssige Visite abgestattet hatte, nachdem eine elende Kreatur von Verräter, ein gewisser Benjamin Jekowzer, mich …“

Hier unterbrach ihn der Kurländer zum ersten Mal.

„Entschuldigen Sie, Herr Doktor, der Uhrmacher Jekowzer aus der alten Jakobstraße in Berlin?“

„Ja – derselbe, Herr Baron … Sie scheinen ihn zu kennen …?“

„Allerdings …! Ist er … etwa verhaftet worden?“

„Leider! Das heißt, seine Verhaftung bedaure ich nur insofern, als mir selbst dadurch einige Aufregungen entstanden sind … – Um aber zunächst die Sachlage zwischen uns zu klären, meine Herren, Schätzler hat mir alles mitgeteilt, was die Sphinx und ihre jetzigen Insassen betrifft … Sie waren hier zu fünf an Bord: Edgar Lomatz, Sie beide und die Fürstin Sarratow, sowie Frau Else von Parland … Der Kommissar war sehr offen mir gegenüber. Er glaubte mich sicher zu haben. Ich bin nun im allgemeinen ein Feind von Gewalttätigkeiten. In diesem besonderen Falle aber mußte ich notwendig ein sehr einfaches Mittel anwenden, die Polizei für einige Zeit außer Gefecht zu setzen. Dies ist geschehen. Sie sind frei, meine Herren, und wir wollen nun auch die beiden Damen aus der Nebenkabine herausholen …“

Die überlegen ruhige Art des kleinen Männleins, dazu seine sarkastische Ausdrucksweise und seine liebenswürdige Herzlichkeit bewiesen Gußlar, daß er es hier mit einem Menschen besonderer Art tun hatte. Lomatz hatte also nicht zu viel gesagt, als er Baake als Sonderling bezeichnete.

Nochmals bedankten sich der Kurländer und Montgelar bei ihm für sein tatkräftiges Eingreifen. Dann schlossen sie die Nebentür auf …

Mafalda hatte kaum erfahren, welch günstige Wendung die Dinge genommen hatten, als sie auch schon ohne Rücksicht auf die Anwesenheit der anderen den Geliebten umarmte …

Mit Tränen heißer Freude in den Augen rief sie:

„Werner – Werner, so wird sich unser Zukunftstraum doch erfüllen lassen …! Ein Leben ernster Arbeit und stillen Glücks wird den Fluch der Vergangenheit von uns nehmen!“

Dr. van der Baake hatte das zärtliche Paar mit einem ganz eigenen Blick traurig gemustert …

Die … Glücklichen …!! Die Ahnungslosen …!! Von der Zukunft sprachen sie …!!

Zukunft …?! – Oh – diese Zukunft waren ganze acht Tage …!! Nur acht Tage …! Dann – dann würde das großer Verderben über die Erde hereinbrechen … Dann würde kein Stein mehr auf dem andern stehen … Kein Lebewesen mehr existieren! Nur noch Häuflein von Asche … Nichts weiter …!! –

Auch Montgelar hatte zart den Arm um Else von Parlands Schultern gelegt …

Hatte ihr liebe Worte zugeraunt …

Sie hatten sich ja nun gefunden, diese beiden Menschen, die sich das Leben gegenseitig so unendlich schwer gemacht in all den Monaten … –

Dr. van der Baake mußte die beiden Paare aus seliger Versunkenheit wieder in die raue Wirklichkeit zurückrufen … –

„Meine verehrten Gäste, wir wollen nicht vergessen, daß wir wichtige Entschlüsse zu fassen haben,“ sagte er mit erhobener Stimme. „Wir sind nur für Stunden hier sicher … Vor Tagesanbruch muß die Sphinx wieder unterwegs sein … Die Polizeibeamten werden sehr bald vermißt werden … – Gehen wir in mein Haus, in mein Studierzimmer … Auch Lomatz liegt noch unten auf dem Gartenweg gefesselt und halb bewußtlos … Die Beamten tragen wir am besten in die Villa. Es handelt sich dort um jenen Mann im Kabinengang und um einen zweiten oben an Deck … Das Betäubungsmittel wird etwa sechs Stunden vorhalten … – Beeilen wir uns …“

Mafalda und Else von Parland stiegen als erste die Gartenleiter hinab, die an die Außenwand der in den Bäumen vertäuten Sphinx gelehnt war …

Die Fürstin beugte sich zu Lomatz hinab, öffnete die Fesseln und half ihm auf die Füße …

Auch Else von Parland stützte den unsicher Schwankenden von der anderen Seite.

Lomatz konnte nur mit Mühe die Beine vom Boden heben … Sein Kopf lag tief auf der Brust und pendelte kraftlos hin und her …

Zuweilen drang ein tiefes Stöhnen über seine Lippen … Der Boxhieb, den ihm der Kriminalbeamte Dworak versetzt hatte, schien ihm doch ernstlich geschadet zu haben …

Schien …!!

Lomatz … spielte abermals nur Komödie …

Lomatz hatte sehr bald bemerkt, daß Baake die Polizei gänzlich ausgeschaltet hatte …

Und – jetzt wollte er hier durch List sein Werk vollenden …

In seiner verräterischen Seele flammte ein wilder Haß gegen Gußlar und die anderen … Sie würden ihm niemals freiwillig die Hälfte des Azorenschatzes ausliefern, wie er dies gefordert hatte … Gußlar hatte ihm keine eindeutige Antwort gegeben, sondern nur Redensarten gebraucht, die gar nichts besagten …

Also, die Sphinx stehlen – – die Sphinx von hier entführen!! Und – das mußte glücken … mußte glücken, wenn er den Kranken spielte, wenn der Gußlars Vorsicht einschläferte …!

So ließ er sich denn von Mafalda und Else halb tragen – ließ sich schleppen, als ob die Beine ihm immer noch den Dienst versagten …

In die Vorhalle fiel durch die offenstehende Tür des Studierzimmers eine breite Lichtbahn …

In dieser Tür stand Anna Merten, das verhutzelte häßliche Weiblein …

Blickte den dreien entgegen …

Stand regungslos, die Hände gegen die flache Brust gepreßt …

Bleich …

Ein unheimliches Bild bot diese ehemals so tief Gesunkene, in deren von Falten zerrissenem Vogelgesicht die dunklen Augen in seltsamem Feuer brannten …

Mafalda rief der Wirtschafterin zu:

„Wo können wir diesen Kranken vorläufig unterbringen?“

Diese helle, klangvolle Stimme der Fürstin ließ die Alte zusammenzucken …

Dann … trat sie schnell aus dem Lichtschein in den Schatten zurück und erwiderte:

„Betten Sie ihn nur auf den Diwan dort in meines Herrn Studierzimmer …“

Und – sie blieb im Schatten … Schaute nur von weitem zu, wie Lomatz nun auf den Diwan sank und mit geschlossenen Augen liegen blieb …

Anna Mertens Blicke hingen aus der Dunkel heraus unverwandt an der schlanken vollen Gestalt der Fürstin Sarratow …

Unverwandt …

„Bringen Sie bitte ein Glas Wein …,“ sagte Mafalda nun und näherte sich der Alten, die in der Türecke des Zimmers an einem Schranke lehnte …

Näherte sich ihr ahnungslos bis auf zwei Schritte.

Da – – über die zitternden Lippen des häßlichen Weibleins drang ein leises, schmerzliches Stöhnen …

Dann … ein einzelnes Wort …

Geflüstert nur …

Ein Kosename – ein Kindername:

„Maffa … Maffa …!“

Es war, als ob ein Fausthieb die Fürstin mitten vor die Stirn getroffen hätte …

Sie taumelte zurück – gegen einen Sessel …

Stützte die Hände krampfhaft auf die Lehne.

Mit vorgerecktem Oberleib starrte sie die alte Frau an …

Ihr Gesicht verfärbte sich immer mehr …

Ward aschfarben …

Maffa … Maffa …!!

Kindheitserinnerungen erwachten …

Konnte – konnte es denn möglich sein, daß Tote wieder lebendig wurden?! Konnte die Vorsehung ihr wirklich noch diesen einen heimlichen sehnsüchtigen Wunsch erfüllen …?! –

Anna Merten drehte sich plötzlich um und schritt hinaus …

Die Tür fiel in Schloß …

Die Fürstin raffte sich auf …

Wandte sich an Else von Parland …

„Ich … hole ein Glas Wein … Bleiben Sie bei Lomatz …“

Und – hastig folgte sie dem Weiblein …

Else von Parland aber schaute ihr verständnislos nach …

Was bedeutete dies alles?! Kannte Mafalda etwa diese häßliche Alte?!

Oh – geradezu unheimlich war diese Wirtschafterin ihr vorgekommen …! Welch junge lebhafte Augen glühten in dem faltigen abschreckenden Gesicht, das von bösen Leidenschaften verwüstet schien …! –

Die Fürstin lief den Flur entlang …

Ihre Beine zitterten …

Ihre Seele befand sich in einem Aufruhr wie nie zuvor …

Gewißheit mußte sie haben … Gewißheit …!! –

Anna Merten hatte in der Küche das Licht eingeschaltet. Die Tür war nur angelehnt … Und die ging nun langsam auf …

Mafalda trat ein …

Stand still …

Auge in Auge mit dem Weiblein, der ehemaligen Landstreicherin und Säuferin …

Mafalda wollte sprechen …

Die Kehle war ihr die zugeschnürt …

Ihre Blicke suchten in dem verheerten Antlitz des Weibleins nach den Spuren einstiger Schönheit – nach … einer Ähnlichkeit …

Oh – – die dunklen Augen … – Diese wundervollen leidenschaftlichen Augen …!!

Ja – das waren ihre eigenen Augen …

Das war das Letzte von der blühenden Gattin und Mutter von einst …!!

Und – – Maffa – – Maffa, der Kosename!!

Kein Zweifel … Kein Zweifel …!!

Da – – wieder flüsterte das Weiblein dasselbe Wort:

„Maffa …!!“

Die zärtliche Abkürzung für Mafalda …

Die Fürstin sank plötzlich in die Knie …

Hob die Arme – flehend, – – und ein Tränenstrom rann über ihre fahlen Wangen …

„Mutter … Mutter – – du lebst …?!“

Ein Schrei war’s … Ein besinnungsloses Aufschluchzen …

Und – auf den Knien rutschte die Fürstin Sarratow wie eine reuige Sünderin auf die alte Frau zu …

Tastete nach derben Händen …

„Mutter, verzeih mir … Mutter, – – stoße mich nicht von dir …! Mutter – ich bin nicht mehr die Mafalda von einst, die dich, wie ich entnehmen mußte, vor Verzweiflung in den Tod getrieben hatte …!“

Anna Mertens häßliches Antlitz wurde hart und steinern …

„Steh auf!“ sagte sie unversöhnlich … „So, wie du jetzt hier vor mir auf den Knien liegst, – so flehte ich dich vor fünf Jahren an, dieses wilde Leben einer Abenteurerin aufzugeben …! Und du – lachtest mir ins Gesicht …! Du, mein einziges Kind, mein einziges Andenken an den Mann, den ich so über alles geliebt habe, an deinen Vater, überschüttetest mich mit einem frechen Wortschwall, der nichts anderes war als ein höhnisches Loblied auf Genußsucht und Verworfenheit! – Damals fand man dann meine Kleider am Ufer des Elbstromes … Damals glaubte man, Anna Merten, Witwe des Prokuristen Heinrich Merten, habe sich selbst den Tod gegeben … Die Leiche sei ins Meer gespült – in den Ozean, das große Massengrab … Doch in Wahrheit wanderte ein Unglückliche, in Lumpen gehüllt, ziellos durch das Land – bettelnd, hungernd, frierend – eine Vagabundin – eine, die sich selbst diese Buße auferlegt hatte für ihre Vergehen dem Kinde gegenüber, das sie verzärtelt, verwöhnt, verhätschelt hatte, dem sie jeden Wunsch erfüllte und aus dem eigenwilligen Kinde auf diese Weise eine für das Leben untaugliche Menschenseele gemacht hatte – aus übergroßer Liebe! – Ja – büßen wollte ich – Landstreicherin war ich – verrecken wollte ich in kläglichster Verkommenheit! Das es dann anders mit mir wurde – ich danke es dem Doktor van der Baake …! Er hat mir eine neue Heimat geboten, er hat mich seelisch wieder aufgerichtet, und in Arbeit und treuer Pflichterfüllung fand ich hier den Frieden wieder! Dich – dich hatte ich aus meiner Erinnerung gestrichen – du warst tot für mich – vollständig – –!

Weshalb störst du nun hier meinen Frieden …?! Glaubst du, ich weiß nicht, was alles du in diesen letzten Jahren und Monaten getrieben hast?! Alles weiß ich – alles …!! In fremden Ländern hast du … als Dirne dein früheres Leben fortgesetzt –! Nach dem Milliarden recktest du deine gierigen Hände aus, bist auch jetzt mit der Sphinx hierher gekommen – eine von der Polizei Verfolgte, eine Verbrecherin …!“

Ihre Stimme war immer schriller geworden …

Und doch – in ihren Augen schimmerte es feucht … In ihren Augen lebte in geheimen Tiefen doch noch ein Fünkchen jener großen, übergroßen Mutterliebe. –

Mafalda gab ihre Hände nicht frei … drängte sich noch näher an die armselige Gestalt – umschlang sie …

„Mutter, Mutter, – du darfst mich nicht von dir weisen …! Mutter, siehst du denn nicht, daß deine Maffa nicht mehr die große Sünderin von einst ist?! Mutter, würde ich so vor dir knien, wenn ich nicht ein kleines, kleines Recht hätte, auf deine Verzeihung zu hoffen?! – Eine irrende Menschenseele hat Einkehr gehalten … Eine Liebe hat nicht geläutert … Mutter, ich habe den Mann gefunden, der mein Gewissen wachgerüttelt hat …!“

Ein neuer Tränenstrom erstickte ihre Stimme …

Und da – von der Tür her Werner von Gußlars volles, klares Organ …:

„Sie war eine Sünderin! War es …! Gott vergibt den Reumütigen! – Wollen Sie, Frau Merten, sich über Gott erheben?!“

Und er schritt vorwärts … Neben ihm Dr. van der Baake …

Und der Doktor legte seine Hände mit einer Gebärde unendlicher Güte auf die Häupter der beiden Frauen …

„Anna Merten,“ sagte er eindringlich, „die Vorsehung hat Sie und Ihr Kind wieder zusammengeführt – in letzter Minute! Die Vorsehung wollte nicht, daß Mutter und Kind unversöhnt dem Kommenden entgegengingen …! Anna Merten, was heute Nacht geschieht, ist Schicksalswalten …! Seien Sie barmherzig – seien Sie … Mutter!!“

Das Weiblein hob den Kopf …

Aus ihre Augen leuchtete Liebe …

Das welke Gesicht erstrahlte in seligem Verzeihen.

„Mein Kind – – mein Kind …!!“

Und sie preßte Mafalda an sich …

„Mein Kind – meine kleine Maffa …!!“

Still entfernten sich Gußlar und der Doktor …

Tief erschüttert …

Kehrten ins Studierzimmer zurück, wo Graf Montgelar und Else neben dem Diwan saßen, auf dem Edgar Lomatz jetzt mit halboffenen Augen ruhte …

Else von Parland fragte etwas scheu:

„Wo … bleibt Mafalda? Und – was ist’s mit ihr und der Wirtschafterin?“

Baake erwiderte feierlich:

„Mutter und Kind haben sich wiedergefunden! Wir aber wollen uns mit Ihnen freuen, und wenn unsere Abreise von hier nicht so dringend wäre, würde ich für uns ein kleines Fest ausrichten, wie es jener Vater in der Bibel tat, dessen mißratener Sohn reumütig ins Elternhaus zurückkehrte …“

Die anderen fühlten, wie ernst es dem Sonderling mit diesen letzten Sätzen war … Und schwiegen und gedachten des seltsamen Schicksalswalten mit der Ergriffenheit von Menschen, die bereits so und so oft am eigenen Leibe das geheimnisvolle Wirken einer dunklen Vorsehung gespürt hatten. Nur über Lomatz’ Gesicht lief flüchtig einen hämmisches Grinsen hin … Rührende Familienszene!! Wie konnte man nur deswegen so viel Aufhebens machen!! Wo doch andere Dinge mit so eindringlicher Notwendigkeit der Erledigung harrten …!

Dann sprach Baake schon weiter … Wandte sich am Gußlar …

„Wir haben noch zwei Stunden Zeit, Baron … Wir können also in Ruhe darüber beraten, was nun geschehen soll. Ich möchte gleich bemerken, daß Sie Frau Merten und mich als Gäste auf der Sphinx mitnehmen müssen. Ich kenne Ihre Absichten und Pläne nicht. Mir ist es gleichgültig, wohin Sie sich wenden. Gleichgültig ist mir auch das Gold, der Azorenschatz … Irdische Werte haben keinerlei Interesse mehr für mich …“ Und er dachte an den neuen Komet, an die Bahn dieses feurigen Weltenwanderers, – und an Delta III, den anderen Stern – an die drohende Katastrophe, der auch nicht das allerkleinste Lebewesen auf Erden entgehen würde …

Gußlar hatte sich in einen der Sessel niedergelassen …

Sein Blick schweifte zu Lomatz hinüber …

Und – da bemerkte er abermals, daß in den von den Lidern halb bedeckten Augen des gefährlichen Menschen regste Aufmerksamkeit funkelte, die in auffälligem Widerspruch zu der scheinbaren Mattigkeit stand …

Lomatz allein war hier der Störenfried, war das feindselige Element, das man unbedingt berücksichtigen mußte …

Und so sagte der Kurländer denn, indem er seine Stimme ein wenig dämpfte:

„Durch Jekowzers Verhaftung habe ich leider etwas eingebüßt, das mir mit Fug und Recht gehörte. Ich hatte im Heißen Moor unweit der Gaupenburg in einer verrosteten Kiste auf einem der zahllosen Moorinselchen eine Menge Golddublonen gefunden, die mir dann Jekowzer durch frechen Betrug als wertloses Messing hinstellte …“

Baake hatte eine Bewegung der Überraschung nicht unterdrücken können …

„Merkwürdig – merkwürdig!“ meinte er mit leichtem Kopfschütteln. „Wie doch jetzt gleichsam in letzter Stunde alle möglichen Ereignisse wie passende Rädchen eines Uhrwerks ineinander greifen …! – Baron, soeben wurden wir Zeugen, daß sich hier Mutter und Kind in Liebe wieder zusammenfanden! Jetzt erwähnen Sie einen Dublonenschatz, den Benjamin Jekowzer mir gestern in aller Frühe in einem neuen Lederkoffer zur Aufbewahrung übergab … Er behauptete, er habe die alten Goldmünzen ehrlich erworben, wolle sie nur deshalb nicht in seinem Hause behalten, weil bei einer plötzlichen Revision durch die Steuerbehörde ihm dann Unannehmlichkeiten erwachsen könnten … – Wem ich mehr Glauben schenke, Ihnen oder Jekowzer, brauche ich wohl nicht zu erklären. Die Dublonen befinden sich in einem Versteck meines Kellers, Baron …“

Kein Wunder, daß Gußlar, den der Gedanke, dieses Gold verloren zu haben, stark bedrückt hatte, jetzt in freudiger Erregung rief:

„Dann – dann ist alles gut! Dann habe ich es nicht nötig, meine Pläne zu ändern …“

„Und – die sind?!“ fragte Lomatz plötzlich vom Diwan her …

Er hatte sich etwas aufgerichtet …

Seine Blicke hingen in feindseliger Spannung an des Barons vornehm energischem Gesicht …

Und in einem Atem fügte er hinzu:

„Vielleicht drücken Sie sich jetzt etwas klarer aus, Herr Baron, als vorhin auf der Sphinx … – Also bitte …!“

Gußlar erwiderte kalt:

„Ich habe das, was sich bereits auf der Sphinx Ihnen erklärte, in keiner Weise zu ergänzen. Wir werden nach San Miguel fliegen. Am Kap Retorta, dort, wo einst der Schatz gehoben wurde, werde ich über ihn weiter verfügen. Meine Dublonen nehme ich mit. – Ich werde jetzt nur noch hier auf dem Postamt in Zehlendorf eine Depesche aufgeben. Sobald ich zurückbin, verlassen wir dieses Grundstück. – Sie, Herr Doktor, sagen mir vielleicht Bescheid, wie ich am raschesten nach dem Postamt gelangte …“

Lomatz war schlau …

Einen Moment lang hatte er sich versucht gefühlt, wieder wie auf der Sphinx aufzubrausen und eindeutigere Erklärungen zu fordern …

Doch – auch jetzt siegte bei ihm die verbrecherische Gerissenheit …

Er ließ sich in die Kissen zurückfallen …

Murmelte nur:

„Ich bin zu elend, um die Verantwortung für irgend etwas zu übernehmen … Ich halte es nur für überflüssig poetisch, ausgerechnet am Kap Retorta die Verteilung der Beute vorzunehmen …“

Gußlar überhörte diese Phrasen. Lomatz wollte ihn nur täuschen. Er merkte es … Lomatz würde nur auf den Augenblick warten, wo er sich entfernte … Er ahnte förmlich dessen Vorhaben … Und deshalb war es ihm nur lieb, daß auf diese Weise das Verhältnis zur Lomatz endgültig geklärt werden würde …

Bevor er dann die Villa verließ, hatte er noch eine kurze Aussprache mit Mafalda … Nur ein paar Sätze wechselten sie und – einen langen Kuß …

Von Baake wurde er bis zur Gartenpforte begleitet …

Den weihte er nicht ein …

Nein – mochten die anderen sich nur völlig harmlos zeigen … Lomatz’ Plan würde umso sicherer scheitern …

Eilig schritt er in die Nacht hinaus – in den nahen Wald hinein …

Und – – kehrte um …

Fand eine Stelle, wo er die Mauer unschwer überklettern konnte …

War im Nu hinüber …

War nun auf der noch an der Sphinx lehnenden Leiter … Auf dem Deck des Luftbootes, das man ohne jede Bewachung gelassen hatte …

Näherte sich dem Turme …

In dem Führerraum der Sphinx brannte Licht …

Und – – der Baron stutzte nun, als er durch die offenen Luke hineinschaute, als er gerade schräg unter sich die Schaltbretter und die beiden Tische mit den Apparaten vor sich hatte …

Beugte sich vor …

Da war – Dr. van der Baake …

Gußlars Augen wurden drohend und finster …

War Baake etwa doch ein Heuchler – ein Verräter?!

Der Baron hatte die Mauserpistole bereit … war mit zwei Sätzen die eiserne Leiter hinab …

„Herr Doktor …!!“

Baake drehte sich um …

Ganz gemächlich … ein rätselvolles, nachsichtiges Lächeln um die Lippen …

„Sie sind hier nicht mehr nötig, Herr Baron,“ sagte er gelassen. „Sie wären außerdem zu spät gekommen – viel zu spät … Bitte – dort im Kabinengang liegt Edgar Lomatz … Meine Glasspritze ist ihm schlecht bekommen … Er war gerade dabei, oben an Deck die Trossen zu lösen … Er hatte nicht lange gewartet … Kaum waren wir zur Gartenpforte gegangen, als er, wie die Fürstin mir erzählt hat, angeblich draußen etwas frische Luft schöpfen wollte … Ich hatte ihm ebensowenig getraut wie Sie … Ich traf die Fürstin bei der Rückkehr von der Gartenpforte … Sie schlich ihm nach … – Brauche ich noch mehr zu berichten, Baron?! Ich bin jetzt hier als Wächter an Bord, während unsere Gefährten das von meiner Habe zusammenpacken, was mir wertvoll …“

Wieder irrte da bei den letzten Worten ein trauriges Lächeln über sein Gesicht …

Und so fügte er hinzu.

„… Mitnehmen, was mir wertvoll … Obwohl all das so unendlich überflüssig ist … Genauso überflüssig, als ob ein zum Tode Verurteilter sich ein frisch gebügeltes Oberhemd mit auf das Schafott nehmen wollte …“

Werner von Gußlar meinte unsicher …:

„Verzeihen Sie, Herr Baron … Das war ein … blutiger Scherz, den ich nicht recht verstehe … Inwiefern überflüssig?!“

Eine müde Handbewegung Baakes …

Ebenso müde seine Stimme …

„Sein Sie froh, Baron, daß Sie’s nicht verstehen … Es ist besser für Sie …! Genießen Sie Ihr Liebesglück, genießen Sie das Leben und Ihre Jugend … – So – nun besorgen Sie Ihre Depesche … Ich ahne ungefähr, wem Sie depeschieren wollen … – Gehen Sie …!“

Und Gußlar wandte sich um … Seltsam bedrückt, seltsam nachdenklich … Eine Bergeslast fühlte er auf seiner Seele …

Und dachte abermals in diesem Augenblick an die ganz ähnlichen Bemerkungen des Einsiedlers von Sellenheim …

Unerklärliche Angst packte ihn … Nicht seinetwegen … Aber – er liebte – – liebte Mafalda mit aller Inbrunst und Hingabe … Um diese Liebe sorgte er sich … Diese Liebe wollte er auskosten, wollte an der Seite der Geliebte ein Dasein führen, das alle Flecken von einst wegwusch …

Wenn nun wirklich eine Weltkatastrophe drohte – und dies mußte er jetzt fast mit Bestimmtheit annehmen! – dann würden auch er und Mafalda hinweggerafft werden …! Dann würde diese heilige Liebe, die sie beide entsühnen sollte, ebenfalls ausgelöscht werden!

Und so schritt er den Waldweg entlang durch die kühle Herbstnacht, umrauschte von den märkischen Kiefern.

Und neben ihm her ging, ein unsichtbares Gespenst, die Sorge, die bange, ungewisse Furcht … –

Eine Viertelstunde später war die Depesche an den Graben Gaupenberg besorgt …

Und gegen fünf Uhr morgens erhob sich die Sphinx in die Lüfte … Nahm Kurs gen Westen … Flog über die deutschen Gefilde hinweg – zum letzten Male.

Das war dieselbe Stunde, in der dort an der böhmischen Grenze das Schloß des Grafen Gaupenberg in Flammen aufging … In der auch die Sphinxleute die Heimat verloren …

 

30. Kapitel.

Mantaxas roter Bruder.

Insel Christophoro …

Riffumstarrt …

Brandung umwogt…

Stätte wilden Erlebens … Von den Menschen wieder vergessen … Zu weltfern, um noch Neugierige herbeizulocken, die nur in der ersten Zeit nach Bekanntwerden der Ereignisse auf dem Eiland die riesige Höhle unter der Insel besucht hatten …

Längst wieder vergessen … Menschensinn harrt stets neuer Sensationen … –

Einsam wieder die Insel Christophoro …

Einsam das verrostete, muschelbewachsene Wrack des U-Bootes im Sande der von Dornengestrüpp umgebenen Lichtung …

Und am Ostrande neben dem Felsenhügel inmitten der kahlen Steinblöcke das zweite zackige Loch … Der Eingang zu dem unterirdischen Reiche der letzten Azteken – zu König Matagumas unterirdischen Zauberpalästen …

Und weiterhin mitten in den Dornen der zweite Ausgang, der Schacht mit der Steintreppe … –

Morgen war’s …

Ein glühend heißer Wind strich über das Eiland hinweg …

Träge schwebten die Möwen um die nassen, tropfenden Klippen …

Eine Frauengestalt saß da auf einem der Felsen in der Nähe der weiten Öffnung, den Blick in die endlose Ferne gerichtet …

Mantaxa, die Aztekin …

Das bräunliche, edle Antlitz mit den schwermütigen Augen hatte sie in die Linke gestützt …

Wie eine Statue saß sie da …

Um sie her im Sande und im Felsgeröll noch die Spuren der Anwesenheit all der Neugierigen, die das Eiland auf Extradampfern besucht hatten: Konservenbüchsen, Papierfetzen, Zigarettenreste – widerliche Überbleibsel einer Menge, vor der die Aztekin stets bis in die fernsten Winkel der ungeheuren Höhle geflohen war – bis hin zu dem unterirdischen Ozean, dessen Wasser trotz der Katastrophe auf der Schwarzen Insel wieder in geheimnisvoller Stille die gigantische Grotte füllten …

Trotz der Katastrophe …

Versunken war damals die Schwarze Insel, das ferne Gefilde der Seligen, auf dem das Prinzesschen Tonerl mit ihren Gespielinnen so glückselige Jahre verlebt hatte …

Versunken auch jener Zugang zum unterirdischen Ozean, durch den damals die armen, entarteten, wahnsinnigen Azteken, die Besatzung der Galeere, emporgestürmt waren zum Angriff auf die Sphinxleute …

Damals war’s, als Mantaxa den Sphinxleuten scheinbar für immer entschwand … Damals war’s, daß sie auf das unterirdische Gewässer flüchtete – im Boote der Galeere … Und – so entging sie der Erdbebenkatastrophe, von der die Insel der Seligen samt all den Unglücklichen verschlungen wurde …

In ungeheurem Quell waren die Wassermassen des Meeres zunächst durch das Felsloch in die Riesengrotte gestürzt …

Hatten Steine, Sand, Felsbrocken mit sich gerissen … Hatten so von selbst die Quelle wieder verstopft …

Wochen waren seitdem vergangen …

Wochenlang hauste Mantaxa nun bereits in diesen geheimnisvollen Tiefen …

Kam nur selten hier nach oben auf die Gestade der einstigen Pirateninsel Christophoro …

Nur dann, wenn der Hunger sie trieb, die Vogelnester am Strande zu leeren und durch Steinwürfe eine Möwe zu erlegen, damit sie nicht verhungerte …

So lebte Mantaxa jetzt, die letzte, allerletzte des Aztekengeschlechts …

So lebte sie – und ihre stille Gesellschaft einsamer Tage waren ihre Erinnerungen an die Sphinxleute, die ihr stets mit so großer Freundlichkeit begegnet waren.

Auch jetzt gedachte sie all dieser lieben Menschen, die sie stets als Gleichberechtigte behandelt hatten … Ganz besonders empfand sie nach Toni Dalaargen Sehnsucht … Es gab auch für sie Stunden, in denen ihre Einsamkeit schwer auf ihr lastete. Dann wünschte sie sich den Tod … Zwecklos und peinvoll erschien ihr dann dieses weltabgeschiedene Dasein. In solchen Momenten ward auch das Verlangen, mit den weißen Gefährten wieder vereint zu werden, übermächtig in ihr … Und doch wußte sie, daß sie niemals wieder mit den Freunden vereint werden konnte … Nichts wußte sie von deren ferneren Schicksalen, nicht einmal, ob sie noch lebten … –

Lange noch saß sie in derselben starren Unbeweglichkeit auf dem Felsblock …

Ganz Statue … Mit jener ehernen Unbeweglichkeit, wie ihre indianischen Ahnen diese stets schon als Eigenart ihrer Rasse gepflegt hatten …

Sah nicht, daß von Nordost her sich der Insel Christophoro eine weiße große Jacht näherte, daß diese Jacht nun außerhalb der Riffgürtel eine Barkasse aussetzte …

Die Jacht war des Milliardärs Josua Randercild Eigentum, war der Ersatz für den gescheiterten ‚Star of Manhattan’ … Trug denselben Namen wie ihre Vorgängerin … An Bord befand sich Randercild, seit einem Monat nun wirklich Besitzer von Christophoro, das er der Republik Patalonianer, wie dies schon längst seine Absicht gewesen, abgekauft hatte.

Randercild mit seiner kleinen untersetzten Figur und dem braunroten, halb komisch wirkenden Ziegenbockgesicht, stand am Heck der Barkasse und schaute mit einem Fernglas nach dem Eiland hinüber, gab den Matrosen am Steuer die nötigen Weisungen, wie man die gefährliche Brandung vermeiden könnte.

Dieser Matrose, ein schlanker Mann von kupferbrauner Gesichtsfarbe, war ein reinblütiger Indianer vom Stamme der Seminolen, die einst in Florida geherrscht hatten und dann nach langen erbitterten Kämpfen nach einer Reservation im Staate Minnesota übergeführt worden waren, wo sie im Laufe eines halben Jahrhunderts sich vollkommen zivilisiert hatten.

Ozzeola hieß dieser Seminolen, leitete seine Herkunft von dem gleichnamigen berühmten Häuptling und Freiheitskämpfer ab und gehörte nun seit Wochen mit zur Besatzung des ‚Star of Manhattan’.

Josua Randercild wußte die Intelligenz und Treue des jungen Seminolen besonders zu schätzen.

Auch jetzt unterhielt er sich mit ihm, schilderte ihm seine Abenteuer auf Christophoro und die Wunder der Riesengrotte, erwähnte dabei auch Mantaxa, die schöne Aztekin, die damals auf der Schwarzen Insel so spurlos verschwunden war.

Die Barkasse schoß wie ein Pfeil vorwärts, hatte nun die Westseite des Eilandes erreicht und jene Reihe von Klippen, deren äußerste Spitze die einzige Landungsstelle darstellte …

Randercild schaute abermals durch das Glas …

Gewahrte nun die einsame Gestalt der in lose lichtblaue Gewänder gehüllten Aztekin …

Ein leiser Ausruf des Staunens kam über seine Lippen …

Wenn er auch nur das Profil Mantaxas sehen konnte, er erkannte sie trotzdem …

„Mantaxa! Sie ist’s!“ murmelte er erregt … „Bei Gott – Sie ist’s!“

Die Barkasse legte an der Klippe an …

Randercild sprang auf den Felsen, eilte weiter …

Und im Bogen schlich er dann hinter die Aztekin, näherte sich ihr lautlos, gefolgt von Ozzeola und zwei Matrosen … –

Ein leises Geräusch drang da an Mantaxas scharfes Ohr …

Sie wandte den Kopf, schnellte hoch …

Ihre Augen weiteten sich …

Ein Freudenschimmer verschönte ihr melancholisches Gesicht …

„Oh – – Master Randercild!!“ rief sie glückstrahlend … „Master Randercild, – Mantaxa hat Sie nicht vergessen …! Sind auch die übrigen Freunde von der Sphinx in der Nähe?“

Ihr Blick schweifte über das Meer hin …

Sie sah die Jacht, die Barkasse … Ihre dunklen Augen leuchteten …

Randercild streckt ihr beide Hände hin …

„Mantaxa, braunes Kind, – du lebst noch?! Und wir haben dich als tot bedauert … Wir glaubten, du seist zugleich mit der Schwarzen Insel und deinen unglücklichen Landsleuten versunken …!“

Er drückte ihre Hände immer wieder …

Und fügte hinzu:

„Nach den Sphinxleuten fragst du, Mantaxa? – Oh – ich weiß nur wenig von ihnen … Auf meinem Schlosse Missamill trennten wir uns vor vielen Wochen … Nur durch die Zeitungen erfuhr ich einiges über unsere Freunde. Das letzte gestern durch ein Radiodepesche, die von meiner Jacht zugleich mit anderen Tagesneuigkeiten aufgefangen wurde … Gaupenberg und die Seinen sind abermals der Sphinx und des Schatzes beraubt worden … Die Gaupenburg wurde in der vergangenen Nacht durch Feuer zerstört. – Das ist alles, Mantaxa, was ich dir mitteilen kann …“

Er gab ihre Hände frei …

Seine Freude über dieses Wiedersehen war ehrlich.

Und heiteren Tones wandte er sich nun an den Seminolen:

„Hallo, Ozzeola, – das hier ist Mantaxa, von der ich Ihnen so mancherlei erzählt habe …!“

Ozzeola stand in stummem Staunen da …

Die eigenartige Schönheit Mantaxas hatte ihn vollständig in Bann geschlagen …

Und als die Aztekin nun den klaren Blick ihrer wundervollen Augen auf ihn richtete, senkte er verwirrt den Kopf …

Josua Randercild schmunzelte …

„Sie gefällt Ihnen wohl, die kleine Mantaxa …! Muß jedem gefallen, das braune Kind … Wir alle hatten sie lieb … – Jetzt aber, Mantaxa, mußt du mir berichten, wie du damals gerettet wurdest und was du inzwischen getrieben hast. Lebst du etwa ganz allein hier auf Christophoro?“

Mantaxa nickte …

„Ganz allein, Master Randercild … Hier und unten in unserem verödetem Reiche – in der Welt König Matagumas …“

Immer Neues hatte der Milliardär zu fragen … Und die Matrosen standen dabei und hörten staunend zu …

Er hatte sich dicht neben Mantaxa gesetzt, hatte wieder ihre Hand genommen und streichelte sie … Er freute sich – freute sich wie ein Kind … All die farbenfrohen, wilden Erinnerungen der damaligen abenteuerlichen Wochen lebten in ihm auf …

„Es war doch eine schöne Zeit, Mantaxa!“ seufzte er jetzt und streichelte ihre Hand … „Gewiß – der Tod strich damals verschiedentlich haarscharf an mir vorüber – haarscharf … Aber – das war immer besser als jetzt mein verfl … Kontor in dem Wolkenkratzer in Neuyork und all die Sorgen, wie man das noch mehr verfl… Geld nutzbringend anlegen soll! Und – eine Sehnsucht habe ich zuweilen nach den Sphinxleuten – unglaublich! Das waren doch Kerle, Mantaxa!! Zum Beispiel der Nielsen, dieser hundeschnäuzige Bruder, und dann der Gottlieb mit seinem Teckel und der alte Pasqual und Murat – – und ganz besonders der Doktor Falz – ja – – der!!“

„Ich habe ihn lieb,“ sagte die Aztekin schlicht …

„Und die Damen dazu, Mantaxa …!! Diese reizenden Geschöpfe … Die blonde Agnes, und Ellen und …“

„… und Toni Dalaargen!“ lächelte Mantaxa glücklich …

Randercild sprang auf …

„Hallo, Mantaxa, ich habe eine Idee …! Wie wär’s, wenn wir mit meiner Jacht so ein wenig nach Deutschland gondelten …?! Wie wär’s?! – Ich will hier nur mal sehen, ob die Marmorpaläste unten in der Höhle noch auf ihrem alten Platz stehen oder ob das Christenvolk sie etwa gemaust hat …! Habe der glorreichen Mulattenrepublik Patalonia ein Sündengeld für die Insel bezahlt – zwanzig Millionen!! Jetzt werde ich dort an der Landungsklippe eine Riesentafel anbringen:

Privatbesitz!!
Zutritt verboten!!

Kein Fremder kommt mir mehr hier auf die Insel! Wie sieht das hier aus – – Schweinestall!! Wie am Strande von Coney Island am Montagmorgen – denn Sonntags treiben sich dort stets hunderttausende von Ausflüglern herum! Schweinestall!! – Doch – was ärgere ich mich! Komm, braunes Kind, klettern wir in die Höhle hinab … – Und ihr kommt mit!“ wandte er sich an die drei Matrosen … Nachher kann die Besatzung in einzelnen Trupps die Höhle besichtigen …“

Mantaxas schritt voran …

Durch das Dickicht und die Dornen – bis zum verborgenen Schachteingang …

Hier zündete sie eine Harzfackel an …

Die endlose Treppe ging’s abwärts …

Und Randercild erklärte den drei Matrosen:

„Hier gab’s einen bösen Kampf mit Mantaxas Landsleuten … Hier stürmten die Aztekin empor, nachdem Hartwich und seine Frau vom Scheiterhaufen herab befreit worden waren …!“

Dann das Ende der Treppe – der Ausgang zum schmalen Uferstreifen des weiten unterirdischen Sees …

Dann das fahlgelbe, milde Licht, das hier überall dem Gestein entströmte …

Und drüben am Ufer die hohen, hellen Marmorpaläste …

Eine Zauberwelt …

Selbst die Matrosen und der Seminole waren so ergriffen von diesem wunderbaren Bilde, daß sie stumm und schweigend das seltsame Boot der Aztekin bestiegen und zu rudern begannen …

Das Boot mit den hohen geschnitzten Schnäbeln am Heck und Bug – den Götzenbildern … Hastig ruderten sie …

Und trunkenen Blickes schaute Randercild all diese köstliche Schönheit … All dies war nun sein eigen …

Näher kam man dem Westufer, den Landungsbrücken …

Deutlicher wurden die Einzelheiten der schimmernden Prachtbauten mit den breiten Freitreppen …

Das Boot landete …

Zuerst betrat man König Matagumas Palast …

Randercild fluchte wie ein Hafenstauer …

Er sah, daß die ‚Touristen’ hier mancherlei ‚Andenken’ hatten mitgehen heißen … Von den Zierraten der Mosaikwände fehlten ganze Stücke … Und auf den Marmorfliesen lagen auch hier allerlei häßliche Dinge sogenannter Kultur umher …

„Saubande!“ wetterte er … „Großreinemachen muß man hier erst abhalten!!“ –

Drei Stunden wanderte man in dieser unterirdischen Welt umher – bis zu jener Nebengrotte, die sich steil abwärtssenkte und die zu dem noch größere Wunder führte, zu dem unterirdischen, unendlichen Ozean, dessen Wasser sich einst bis zu den Gestaden der Schwarzen Insel ausgedehnt hatten …

Hier auf diesem Wasserbecken, das meilentief unter der Erdoberfläche lag, hatten einst die Aztekin ihre dem Wahnsinn verfallenen Gefährten auf der Galeere ausgesetzt …

Hier hatten diese Unglücklichen, abgesperrt von ihrem Volke, einsam das stille Meer durchkreuzt …

Und jetzt schaute Josua Randercild zum ersten Male dieses unermeßliche Gewässer, dessen einziger Zugang so versteckt lag, daß nur ein Eingeweihter ihn finden konnte …

Hier aber gab es keine leuchtenden Felswände …

So riesengroß war dieser Hohlraum der Erde, daß nichts von der Steindecke und den Ufern zu erspähen war …

Der Seminole hielt die Fackeln … Neben ihm stand Mantaxa …

Der rötliche Schein spiegelte sich im Wasser wieder … beleuchtete Mantaxas Gesicht …

Und sie blickte den Seminolen in holder Vertraulichkeit an … Er war von ihrer Rasse … Sie fühlte sich zu ihm hingezogen …

Ganz leise sagte sie, indem sie seine Linke ergriff:

„Du bist ein Indianer wie ich … Sei mein Bruder … Ich bin die letzte meines Stammes … Ich habe niemanden auf der Welt, der meines Blutes ist …“

Ozzeola fühlte, wie in seinem Herzen jäh die Liebe erwachte …

Liebe – auf den ersten Blick …

„Mantaxa,“ flüsterte er, „ich will dein Bruder sein … Nie mehr wirst du einsam sein – nie mehr! Ich werde mich nie mehr von dir trennen … Wir beide gehören einer aussterbenden Rasse an … Waren einst mächtig … Ganz Amerika gehörte uns … Jetzt – sind wir nur noch die Geduldeten! Mantaxa, ich bin dein Bruder …!“

Randercild und die beiden Matrosen waren eine Strecke weiter nach rechts am Ufer entlanggegangen … Was sie hier am meisten interessierte, waren die eigenartigen, zum Teil geradezu riesigen Muscheln und Krebse, die zwischen dem Steingeröll lagen und bedächtig umherkrabbelten …

Krebse waren darunter, gegen die ein ausgewachsener Hummer fast winzig erschien – Kerle von fast ein Meter Länge, vor deren Scheren man sich hüten mußte …

Und farbenprächtige Leuchtmuscheln gab es hier von den mannigfachsten Formen … Einige Arten strahlten so intensiv, daß man sie als Laternen hätte benutzen können …

Dann wieder gab es hier noch Meereswürmer, wie sie auch in der Südsee gefunden worden sind – behaarte schlangenartige Geschöpfe bis zwei Meter Länge …

Alle Wunder der Tiefsee offenbarten sich am Strande dieses unterirdischen Ozeans den staunenden Amerikanern …

Randercild beschloß, später einmal von all diesen Geschöpfen einige Exemplare dem Meeresmuseum in Neuyork zu schenken. Überhaupt mußte dieses ungeheure Gewässer unbedingt einmal genau erforscht werden. Hier sollten Gelehrte monatelang arbeiten … Denn wer konnte wissen, was alles noch die Wasser dieses Meeresbeckens enthielten! Vielleicht stieß man hier sogar auf jene vorsintflutlichen Wasserbewohner, von denen bisher nur die Knochengerüste mühsam wieder in den Museen zusammengesetzt worden waren.

Es wurde Zeit, wieder an die Oberwelt zurückzukehren …

Mantaxa und Ozzeola, die in leisem traulichen Gespräch alles um sich her vergessen hatten und nur das stille Glücksgefühl, sich hier gefunden zu haben, in harmloser Innigkeit ausgekostet hatten, wurden durch Josua Randercild durch ein Scherzwort wieder in die Wirklichkeit zurückgerufen …

„Hallo, ihr beiden da …! Ihr scheint euch ja schon mächtig angefreundet zu haben! Recht so – – recht so!! Jugend zu Jugend, und Farbe zu Farbe! – Sie können sich nachher an Bord Mantaxas überhaupt so etwas annehmen, Ozzeola …! Ist ein scheues Geschöpfchen, die kleine Aztekin! Wird aber schon wieder aufleben, wenn wir nur erst die Sphinxleute gefunden haben und das Prinzesschen Tonerl! Das war dir doch die liebste, Mantaxa nicht wahr?“

Mantaxa nickte eifrig … Sie war in ihrem Wesen wie verwandelt … Randercilds Herzlichkeit tat ihr unendlich wohl …

So begab man sich denn wieder nach oben auf die Insel …

Begrüßte den strahlenden Sonnenschein, das Donnern der nimmermüden Brandung und die leicht beschwingten Schwärme der Seevögel …

Bestieg die Barkasse und war in kurzem an Bord des neuen ‚Star of Manhattan’, einer Motorjacht, die vielleicht noch prächtiger eingerichtet war als ihre Vorgängerin …

Mantaxa erhielt eine der besten Kabinen zugewiesen. Und eine der beiden an Bord befindlichen Aufwärterinnen, die junge Frau eines Maschinisten, half ihr auf Randercilds Geheiß mit Wäsche und Kleidung aus.

Auch die übrige Besatzung durfte nun die Riesengrotte besichtigen. Mittags um ein Uhr ließ der Milliardär durch den Sender der Jacht eine Depesche über Berlin an Gaupenberg abgehen … Kurz und bündig telegraphierte er:

Habe Sehnsucht nach Ihnen und den übrigen Freunden. Wo wir uns treffen? Erwarte drahtlos Antwort auf der früher schon von uns benutzten Welle 1600. – Josua Randercild

Bereits um vier konnte der Funkentelegraphist der Jacht seinem Herrn die Antwort überreichen:

Alle sehr erfreut. Erwarten Sie uns am Kap Retorta, Insel San Miguel. Rate jedoch zur Vorsicht. Näheres mündlich. Gaupenberg

Der Milliardär saß gerade mit dem Kapitän und seinem Leibarzt Dr. Bucley beim Dinner, als der Telegraphist ihm diese Antwort brachte …

Er las, krauste die hohe Stirn und meinte:

„Hallo – – Retorta!! Und – Vorsicht …!! Da ist wieder etwas im Gange …!! – Gaupenberg hätte mir aber wenigstens darüber Aufschluß geben können, ob er die Sphinx inzwischen zurückerobert oder doch etwas über ihren Verbleib festgestellt hat …! – Kapitän, geben Sie Befehl, daß die Jacht sofort Kurs auf San Miguel nimmt …!“

„Sehr wohl, Master Randercild … In acht Stunden schaffen wir’s … Gegen Mitternacht können wir am Kap Retorta sein …“

Randercild wandte sich an seinen Leibarzt, während der Kapitän durch den Telegraphisten den Steuermann herbeirufen ließ …

„Doktor,“ meinte der kleine Krösus mit einem freundlichen Grinsen, das sein Bocksgesicht in tausend Fältchen legte, „Doktor, nun hat der Stumpfsinn ein Ende! Nun beginnt wieder eine fröhliche Hatz hinter der Sphinx her! Ganz egal! Jedenfalls – wir werden wieder etwas erleben …! Ein wahres Glück, daß Mantaxa mich auf den glorreichen Gedanken brachte, die Gefährten von einst wieder aufzusuchen! Alle Börsengeschäfte können mir … jetzt den Buckel runterrutschen! – He, da, James, – Sekt her!! Das alles muß begossen werden! Wir Amerikaner sind doch nur Abstinenzler auf dem Papier …!“

Und der Steward James holte gleich ein halbes Dutzend goldverbrämte dickbauchige Flaschen …

Eis knisterte in den Sektkühlern …

Die Maschinen der Jacht begannen zu arbeiten …

Da hob Randercild den Kristallkelch mit dem matten gelben perlenden Naß und ließ die Sphinx und die Sphinxleute leben …