Vorgebirge Retorta … Schroffe Felsen – in Terrassen ansteigend bis zum grünen Waldgürtel …
Einsamste Stelle der blühenden Insel San Miguel, der Perle der Azoren … Ein Paradies, zum Teil der Kultur erschlossen, zum Teil noch Wildnis …
Und über dem Vorgebirge in der Dunkelheit ein spindelförmiges Luftboot …
Die Sphinx …
Vorsichtig sich senkend – hinab bis zum Wasserspiegel des Meeres, das hier unter Wind glatt und ruhig wie ein stiller Bergsee war …
Elf Uhr war’s …
Ferne Fischerboote zogen im Mondschein heimwärts … Fern warf ein Dampfer seine Rauchmassen über die See – Rauch, der zur dunklen Fahne wurde, der wie ein wehender Trauerschleier hinter dem eilenden Schiffe blieb …
Trauerschleier!
An der Reling der Sphinx stand Dr. van der Baake …
Blickte dem Dampfer nach …
Ihm war der Gedanke gekommen: Trauerschleier!! – Er wußte, daß dieses Schiff über ein kurzes nichts mehr sein würde als ein ausgeglühtes Wrack … Die Menschen darauf Häuflein Asche …
Er wurde diesen Gedanken nicht mehr los … Gerade hier an Bord der Sphinx nicht, wo die Liebe stille Feste feierte, wo Baron Gußlar und Mafalda und der Graf Montgelar mit der schönen Else von Parland Seligkeiten genossen, wo selbst Frau Mertens Antlitz wie im Widerschein dieser Liebe wieder jung geworden war …
Liebe, die dem Tode nahe, dem großen Sterben und Verderben … –
Gußlar trat auf ihn zu …
„Ich will einmal loten, Herr Doktor – die Tiefe hier messen … Mafalda erzählte mir, daß hier etwa das U-Boot damals gesunken sei und daß nach Westen zu sich auf dem Meeresgrunde ein steiler Abhang befinden soll …“
„Und – weshalb loten?“ fragte Baake erstaunt …
„Verzeihen Sie … Das erfahren Sie nachher … – Sie geben wohl ein wenig auf die Umgebung acht, Herr Doktor …“
Und er ließ das Bleilot über die Reling von der surrenden Rolle in die Tiefe gleiten …
Die beiden Anker der Sphinx hatten hier Grund gefunden, in zwölf Meter Tiefe …
Das Lot zeigte ebenfalls zwölf Meter an.
Gußlar verlängerte die ein Ankerkette, und die Strömung drückte das Luftboot mehr nach Westen …
Wieder lotete der Baron …
Und – jetzt fand er auf dreihundert Meter keinen Grund mehr …
Die Sphinx lag also über dem unterseeischen Abgrund … –
Inzwischen waren auch Mafalda und Else von Parland an Deck erschienen. Montgelar saß noch neben Frau Merten in der gemeinsamen Kajüte am Abendbrottisch. Edgar Lomatz aber lag gefesselt in einer Vorschiffkammer …
Mafalda blickte sinnend auf das im Mondlicht deutlich erkennbare Vorgebirge …
Erinnerungen – blutige Erinnerungen stiegen in ihrem Geiste auf …
An die tapferen Kabylen, die damals hier niedergemäht wurden durch verderbliche Kugelsaat … An ihren Abstieg in Taucheranzug zum Wrack des U-Bootes … An Gaupenbergs Verwundung – an ihrer Flucht ins Innere der Insel …
Hatte sie das alles wirklich selbst erlebt …
Waren das alles nicht nur wirre Träume gewesen? Gab es wirklich eine Zeit, wo sie nicht nur die Milliarden, sondern auch Viktor Gaupenberg für sich erringen wollte …?!
Fern – unendlich fern diese Erlebnisse … So, als ob eine andere Mafalda daran beteiligt gewesen, nicht sie selbst …
Und – es war ja auch gar nicht mehr dieselbe Mafalda von einst … Nein – heute stand hier ein Weib an Deck der Sphinx, das von Grund auf verwandelt war … –
Gußlar rief ihr zu:
„Es war Zeit, Maffa …“
Er nannte sie jetzt nur noch mit dem Kosenamen, den auch Frau Merten stets benutzte …
„Bitte hole deine Mutter und Montgelar an Deck … Auch Lomatz soll nach oben geschafft werden. Montgelar mag ihm die Fesseln abnehmen …“
Baake trat hinzu …
„Baron, wir alle sind noch im unklaren über Ihre Absichten,“ sagte er schlicht …
„Minuten nur noch, Herr Doktor, und Sie werden Bescheid wissen … In Anwesenheit aller werde ich erklären, wie ich den Goldschatz der Azoren zu verteilen gedenke …“ –
Dann waren sie um ihn an der Reling versammelt …
Lomatz mit gebundenen Händen … Finster … Zeigte ein Abtlitz, das vor ohnmächtiger Wut und Haß nur noch eine Fratze war …
Und Mafalda, der Doktor, Arthur Montgelar und die glückliche Else, deren Lippen nicht mehr erkalteten unter dem Übermaß der glühenden Küsse des geliebten Mannes …
Der Mond am Firmament, die Region der Sterne waren weitere Zeugen der eindrucksvollen Szene …
Gußlar sprach …
Erhobenen Tones …
„Hier, zehn Meter nach Osten zu, ging im Herbst 1915 das U-Boot unter, das die Milliarden von der Küste Kameruns nach Deutschland bringen sollte, um dem deutschen Volke den Sieg zu erleichtern … Jahrelang lagen die goldenen Barren hier auf dem Grunde des Meeres … Nur ein einziger Mann kannte das Geheimnis, wo diese Schätze zu suchen waren. In edler Selbstlosigkeit tat er sich mit dem Erfinder der Sphinx, seinem Freunde, zusammen … Sie hoben und bargen den Schatz … Aber – ein Fluch hing an diesem Golde – ein Fluch oder eine geheimnisvolle Macht … Dr. Falz nannte es: Magische Kräfte!
Nun gut, nennen wir es magische Macht! Diese Kräfte verwirrten Unzähligen die Sinne … Goldgier trieb sie zu unerhörten Verbrechen … Die Sphinxleute erlebten Dinge, deren gradiöse Phantastik leider überall blutige Spuren hinterließ … Menschenleben wurden geopfert … Der Moloch Gold forderte stets neuen blutigen Tribut …
Es war – kein Segen an diesem Schatz, dessen Wert noch durch die Kleinodien des Aztekenkönigs vermehrt wurde …
Auch ich wurde von demselben Taumel erfaßt … Benjamin Jekowzer betraute mich mit der Aufgabe, das Azorengold zu … rauben … Meine Gefährten kamen um. Neue Opfer des Götzen Gold!
Und – doch brachte mir jene Expedition nach dem Heißen Moor die Erfüllung meines Lebens, schenkte mir … mein Weib, das Weib, das nun die Ergänzungs meines Ichs geworden …
Mafalda …!
Noch etwas gewann ich, den Dublonenschatz – ebenfalls Gold, aber ehrlich erworbenes Gold, das niemandes Eigentum mehr.
Und – ein drittes errang ich, nur eine Überzeugung, und doch vielleicht das Wichtigste für die Allgemeinheit, die Überzeugung, daß der Azorenschatz dem deutschen Volke niemals Segen bringen würde, daß die verderblichen Kräfte sich auch ferner auswirken würden in Gestalt von Verbrechen, Unheil, Verwirrung der Seelen!
Als es uns gestern Nacht glückte, von der Gaupenburg mit der Sphinx zu entfliehen, da hatte ich aus unendlicher Bitterkeit darüber, daß meine guten ehrlichen Absichten verkannt und angezweifelt worden, den Entschluß gefaßt, den Schatz … zu versenken …“
„Wahnwitz!!“ kreischte Lomatz mit schriller Stimme.
Greller als der Schrei der nächtlich kreisenden Möven …
„Schweigen Sie!“ sagte Gußlar hart … „Sie haben kein Recht mehr, meine Entschlüsse zu kritisieren … Sie sind geblieben, was Sie gewesen, ein heimtückischer Verbrecher, der niemandem Treue hält, ein schamloser Egoist, dazu noch ein hinterlistiger Feigling! – Wenn Dr. Falz von der magischen Kraft des Goldes gesprochen hat, so trifft das doch zu. Das Gold forderte Blut, es läuterte aber auch! All die Menschen – und das hat der Einsiedler von Sellenheim mir gegenüber betont –, die mit dem Azorenschatz in Berührung kamen und lebend aus dem erbitterten Kampfe hervorgingen, hatten gleichsam einen Prozeß seelischer Erneuerung durchgemacht … Ich will hier nur eine einzige dieser Personen als Beispiel anführen, – die, die ich liebe: Mafalda!
Aber Sie, Edgar Lomatz, – Sie bilden die … einzige Ausnahme! An Ihnen sind all diese eindringlichen Mahnungen des Schicksals spurlos vorübergegangen …“
Sein Blick wandte sich den ewigen Gestirnen zu …
„Noch etwas hat mit der Einsiedler von Sellenheim vorgestern Abend in der Zelle der Ruine mit wunderbaren Worten, für die mir erst jetzt das rechte Verständnis aufgegangen, klar gemacht, daß dort droben im Weltall ein Gott wohnt, der unsere Geschicke leitet! Und wenn dieser Gott in feierlichen seltenen Stunden mit uns stumme Zwiesprache hält, wenn wir Menschen an uns das erfahren, was man ‚Eingebung des Augenblicks’ nennt, dann, meine Freunde, soll man reinen Herzens diese Eingebung hinnehmen und befolgen – reinen Herzens …“
Seine Stimme sank ein wenig …
„Einer solchen Eingebung werde ich jetzt gehorchen … Ich weiß, daß ich recht handele, daß auch ein Mann wie Dr. Falz mein Tun billigen würde … Was aus Bitterkeit in mir als Entschluß gereift war, wurde zur höheren Eingebungen in dem Moment, als Sie, Herr Doktor, uns befreiten und als ich erfuhr, daß mein Dublonenschatz mir verblieben … – Freunde, ich habe also die Sphinx mit den Goldmilliarden hierher gelenkt, um … den Azorenschatz für immer verschwinden zu lassen … Wir werden die Kisten mit den Goldbarren und den Juwelen dem Meere wieder übergeben … Hier, wo die Sphinx jetzt ankert, klafft ein Abgrund im Meeresboden … Dort in jenen Abgrund soll das Gold verschwinden …“
Er schwieg …
Man hörte nur Lomatz’ keuchende Atemzüge …
Der Verbrecher zerrte an seinen Fesseln …
Dann – brüllte er – – brüllte, als ob der Wahnsinn aus ihm emporlohte:
„Sie … sind … verrückt …!! Verrückt …!! Ins Tollhaus gehören Sie …!! Ein Schuft sind Sie! Ich habe Sie befreit – ich rettete Sie …!! Und jetzt wollen Sie mich als Bettler wieder …“
Seine Stimme schnappte über … Ein heiseres Kreischen nur noch – unverständlich – Laute einer Erregung, die nichts Natürliches mehr an sich hatte …
Kalt sagte Gußlar:
„Nicht als Bettler sollen Sie von dannen ziehen, Edgar Lomatz! Die Hälfte des Dublonenschatzes gehört Ihnen! Und das mag rund eine Million sein – übergenug für Sie!“
Und zu Montgelar:
„Kommen Sie, Graf … Wir wollen die erste Kiste nach oben holen … Sie, Herr Doktor, bewachen diesen Menschen inzwischen! Zeuge soll er sein, wie das Gold, der Moloch Gold, in diese Tiefen des Ozeans zurückkehrt … Und – – wissen mag er, daß Dr. Falz mir gegenüber die feierlich bedeutungsvollen Worte sprach:
‚Baron Gußlar, niemals würde das deutsche Volk durch dieses Gold irgendwie zur einstigen Macht und Größe, zum einstigen inneren Frieden zurückgeführt werden! Nicht klingende Schätze bringen ein Volk aus dem Sumpf einer verhängnisvollen Nachkriegszeit wieder empor, sondern nur Arbeit – – Arbeit, die Anspannung aller sittlichen, geistigen und körperlichen Kräfte! Dieser Milliardensegen würde in den breiten Massen nur dürre Hoffnungen auf eine Wiederkehr jener Zeiten einer trügerischen Papiergeldflut erwecken, in denen die Ansprüche des einzelnen über Gebühr wuchsen und die Arbeit nur zum Spiel geworden war! Arbeit muß ernstes Wollen und Streben nach höchsten Leistungen sein. Solche Arbeit fördert und bringt Völker in die Höhe … Goldene Schätze zerrinnern … Das Bleibende ist das Pflichtgefühl und der Arbeitswille im Gedanken an das Wohl der Gesamtheit!’
So sprach der Doktor … – Sätze, die sich in meinem Hirn eingegraben haben! – Kommen Sie, Graf, … Die Schicksalsstunde ist da … Der Azorenschatz wird versinken … Muß versinken!!“
Und er schritt dem Turm zu … Montgelar hinter ihm …
Lomatz stierte in die Gesichter der drei Frauen und Dr. Baakes …
Und … brüllte abermals:
„Das – – das wollen Sie dulden …?! Milliarden – ersäufen …!! Wahnwitz – – Irrsinn …!!“
„Ihrer Auffassung nach!“ meinte Dr. van der Baake ruhig … „Unsere Aufassung ist eine andere … Ich könnte Ihnen, wenn ich wollte, etwas anvertrauen, daß Ihnen das Blut aus den Wangen treiben würde … Etwas, das Ihre Goldgier abtöten würde … Ich – – muß schweigen! Genug, daß ich selbst mich mit der Last dieses Wissens umherschleppe …!“
Lomatz lachte gellend auf …
„Redensarten eines Narren – nichts weiter …!! – Tausendmal habe ich mein Leben um dieser Milliarden willen gewagt … Meine Seele, und mag sie noch so verflucht sein, ist mit diesem Schatzes verwachsen …!“
Und – noch lauter – – wieder wie im lodernden Wahnsinn:
„Ich wünschte wahrhaftig, daß ich mit dem Golde in die Tiefe fahren würde! Niemals werde ich meines Lebens wieder froh werden, wenn die Milliarden dort im Abgründe des Ozeans ruhen – unerreichbar!!“
Schon bei seinen letzten Worten waren Gußlar und der Graf in der Turmluke aufgetaucht …
Trugen die erste der schweren Holzkiste nun herbei …
Schwangen sie auf den Rand der Reling …
Gußlar rief:
„Hinab mit dir, trügerisches Gold! Kein Bedauern folgt dir! Du hast deine Pflicht erfüllt, hast Menschenherzen geläutert, Menschen in Liebe zusammengeführt!“
Da – ein tierisches Gebrüll …
Lomatz hatte seine Handfesseln gesprengt …
Ein Satz zur Reling von ihm …
Doch die Kiste kippte bereits – – fiel …
Weit beugte Lomatz sich über die Schiffsbrüstung …
Erhaschte die Kiste noch …
Ein krummer starker Nagel ragte da aus dem Holze hervor …
Bohrte sich in Lomatz’ Jackenärmel …
Und … die zentnerschwere Kiste riß ihn mit sich über die Reling hinweg …
Ein Aufplatschen im Wasser …
Ein letzter Schrei …
Und das Meer schloß seinen gewaltigen Rachen über dem unseligen Manne, der soeben noch sich selbst den Tod gewünscht hatte …
Gußlar und seine Gefährten waren über dieses jähe Verschwinden das Verbrechers im ersten Moment so bestürzt, daß sie kein Glied zu rühren vermochten …
Bis dann Dr. Baake sich über die Reling beugte und rief:
„Er muß den Verstand verloren haben … Er ist der Kiste nachgesprungen … Laternen her und Taue! Er wird wieder auftauchen!“
Keiner ahnte den wahren Zusammenhang … Keiner hatte beobachten können, daß der Nagel sich in den Jackenärmel eingebohrt hatte …
Man leuchtete das Meer rund um die Sphinx ab … Gußlar brachte sogar das kleine Beiboot zu Wasser.
Zehn Minuten vergingen …
Eine Viertelstunde …
Dann gaben sie es auch … Und Gußlar meinte ernst: „Es kann nicht anders sein, die Goldkiste hat ihn mit in die Tiefe gezogen! Der Unglückliche wird nie mehr zum Vorschein kommen.“
Und Dr. van der Baake murmelte …:
„Lebend jedenfalls nicht! Nur dann vielleicht, wenn der Ozean einmal … verdunsten sollte … Möglich ist alles … Dann würde auch der Azorenschatz wieder sichtbar werden … Dann könnten vielleicht, falls es noch Menschen auf Erden gibt, diese Menschen über den trockenen Grund des Weltmeeres dahinwandern und plötzlich in dem Abgrund die zerschellten Holzkisten und das Gold finden – und … die Reste von Lomatz’ Leiche – –, Wenn es da noch Menschen gibt …“
Niemand achtete auf diese seltsamen Worte …
Gußlars Gedanken galten allein der Vollendung des begonnenen Werkes. Die Milliarden sollten verschwinden! Lomatz’ Tod sollte diese Arbeit nicht unterbrechen!
Wieder begab er sich mit Montgelar in den Kielraum der Sphinx hinab …
Wieder kippte eine der Kisten über die Reling …
Das Meer spritzte auf unter dem harten Aufschlag, warf Wellenkreise …
Und – sein Rachen schloß sich abermals über einem Teil des Goldschatzes der Azoren …
Als stumme Zuschauer standen Dr. Baake und die drei Frauen dabei …
Mafalda war bleich …
Seltsame Empfindungen durchwogten ihre Seele …
Das heiß umstrittene Gold versank hier vor ihren Augen in den Schlünden des Ozeans … Alles, was die Verteidiger und die begehrlichen Feinde der Milliarden erduldet und gewagt, war nun so vollkommen gegenstandslos geworden …
Je mehr von den wertvollen Kisten der Ozean verschlang, desto deutlicher fühlte die Fürstin Sarratow, daß das, was jetzt hier geschah, eine tiefere Bedeutung haben müßte …
Es war ihr, als ob ihre eigene wildbewegte Vergangenheit, als ob all das Böse und Schlechte, das sie angestiftet und vollendet, in immer weitere Fernen zurückgedrängt würde …
Traumhaft nur noch erschien ihr diese Vergangenheit … Und als nach Stunden dann die letzte der Goldkisten über Bord flog, da war auch in ihrer Seele das Einst vollständig verblaßt … Da war’s, als ob diese Opfergabe der goldenen Schätze an den Ozean sie entsühnt hatte …
Mit leisem Aufschluchzen warf sie sich zitternd Gußlaren an die Brust …
Der streichelte ihr Haar …
Auch er selbst war bleich geworden …
Seine Stimme klang dumpf und verändert, als er ihr zuflüsterte:
„Nun ist’s in Wahrheit vollendet! Nun bleibt uns nur noch eins zu tun übrig: Gaupenberg die Sphinx auszuliefern! Dann, meine Maffa, dann werden wir drei, wir und deine Mutter, das neue Leben beginnen.“
Auch Montgelar und Else hielten sich umschlungen.
Und abseits standen die beiden Alten, Frau Merten und Baake, – schweigend …
Zwei Menschen, die das Schicksal zusammengeführt hatte, zwei, die zueinander gehörten, die bereits jahrelang in trautem Frieden dort in der fernen Villa im Kiefernwalde einander alles gewesen waren – nur dem Namen nach Herr und Dienerin …
Baake ergriff dann plötzlich die welke Hand des Weibleins …
„Anna, ich denke, wir bleiben zusammen, was auch Ihre Kinder beschließen mögen … Gußlar will nach Kurland zurückkehren … Sehen Sie zu, daß Sie ihn veranlassen, vorläufig noch drüben auf San Miguel auszuharren, bis … bis … nach dem ersten Oktober, Anna … Ich habe meine ganz bestimmten Gründe, Ihnen dringend zu raten, all Ihren Einfluß aufzubieten, daß Gußlar und Mafalda diese Reise verschieben …“
Und – nur in Gedanken fügte er hinzu: ‚Wenn diese Reise wäre zwecklos …! Es ist besser, hier auf San Miguel inmitten der Wunder einer köstlichen tropischen Natur den Tod zu erwarten und … vereint zu sterben!’
Frau Merten, längst an Baakes Absonderlichkeiten gewöhnt, sagte ihm zu, um was er bat, ohne näheren Aufschluß zu verlangen …
Dann kam Gußlar schon auf den Doktor zu …
„Wir wollen uns jetzt irgendwo in der Nähe des Vorgebirges drüben im Walde vorläufig verbergen,“ meinte er, immer noch mit tiefem Ernst und im vollen Bewußtsein dessen, was hier auf seine Veranlassung geschehen … „Der Graf und die Sphinxleute können kaum vor drei Tagen hier sein, es sei denn, daß sie ein Flugzeug zur Reise benutzten … Wir können uns also noch einige Zeit von diesen letzten Strapazen und Aufregungen erholen … Oder schlagen Sie etwas anderes vor, Herr Doktor?“
„Nein, nein … Ich bitte Sie nur, Ihr Glück in diesen Tagen so recht von Herzen auszukosten, lieber Baron … Durchstreifen Sie mit Mafalda die Wälder … Erfreuen Sie sich an allem, was die Natur uns Menschen bietet …“
Und er reichte ihm in seltsamer Ergriffenheit die Hand, wiederholte nochmals:
„Genießen Sie Ihr Liebesglück, Baron …! Und – übereilen Sie nichts … Verschieben Sie die Reise nach Kurland noch … Auch Frau Mertens Wunsch ist es, noch einige Zeit auf San Miguel zu bleiben …“
Das Weiblein nickte eifrig …
„Ja, Werner, wenn du mir den Gefallen tun und noch einige Zeit …“
Gußlar fiel ihr sofort herzlich ins Wort …
„Gewiß, Mutter, gewiß …! Ich werde nichts übereilen … Wenn du gern einmal eine Weile eine tropische Landschaft …“
Mitten im Satz brach er ab …
Else von Parland hatte leise aufgeschrien …
Sie war’s, die als erste die Männergestalten erblickte, die soeben halbnackt und triefend sich über die Reling schwangen …
Europäer, mit braunen frischen Gesichtern …
Junge stramme Kerle – in der Hand drohende Pistolen …
Matrosen des ‚Star of Manhattan’, der weiter ostwärts in einer Bucht vor Anker gegangen …
Josua Randercilds bewaffnete Macht, die jetzt die Sphinx zurückerobern sollte …
Ein Dutzend Matrosen unter Führung des Steuermanns Patterson …
Und der stiernackige Patterson machte hier nicht viel Federlesens …
War für ihn ein Mordsspaß, dieser Angriff … Wollte dem Lumpengesindel, das die Sphinx gestohlen, schon zeigen, was so zwölf Amerikaner wert waren …
Er erinnerte sich an jene blutrünstigen Räubergeschichten aus Kaliforniens Goldgräberzeiten …
Brüllte nach dem Vorbild jener Buschklepper von einst:
„Hände hoch!! Wer auch nur muckst, dem blasen wir ein paar Kugeln durch den Kadaver!“
An Gegenwehr war hier nicht zu denken …
Else von Parland weinte laut …
Frau Merten war vor Schreck in die Knie gesunken …
Gußlar blickte finster auf die prachtvollen halbnackten Kerle …
Mafalda lehnte wie betäubt an der Reling …
Nur Dr. Baake lächelte ironisch schmerzlich.
Rief nun Patterson zu:
„Keine überflüssige Kraftverschwendung, Master …! Sie sehen ja, daß wir friedlich wie Lämmer sind … Immerhin könnten Sie mir vielleicht verraten, mit wem wie hier die Ehre haben?!“
Aber John Patterson, geborener Kentuckyer, war für solchen Verkehrston nicht zu haben …
„Wer wir sind, werdet Ihr Halunken schon noch erfahren! – Boys – raus mit den Stricken! Bindet die saubere Gesellschaft! Und Sie, Ozzeola, geben mit der Laterne das vereinbarte Signal nach der Jacht …“
Während die Matrosen nun den Befehl in ziemlich brutaler Weise befolgten, winkte der Seminole mit der Laterne nach Osten zu, worauf der ‚Star of Manhattan’ sofort in voller Fahrt herbeikam und dicht neben der Sphinx Anker warf.
Josua Randercild erschien triumphierend an Deck des Luftbootes, das jetzt durch die Scheinwerfer der Jacht taghell erleuchtet war.
Die sechs Gefangenen standen am Mittelturm …
Der kleine Milliardär blieb vor der stillen Gruppe stehen, musterte jeden einzelnen …
Die Gefangengenommenen waren ihm fremd. Nur Mafalda – die kannte er nur zu gut …
„Sieh da – die Fürstin Sarratow …!“ meinte er verächtlich. „Also wieder mal erwischt, Frau Fürstin! Sie besinnen sich wohl noch auf Josua Randercild …! Sie haben mir da auf meinem Schlosse Missamill recht übel mitgespielt! Jetzt sind wir quitt, Mafalda Sarratow!“
Und in anderem Tone – kurz und befehlend:
„Wer von Ihnen ist der Baron Gußlar?“
Der Kurländer, die Hände auf dem Rücken gefesselt, trat vor …
„Ich bin Werner von Gußlar, Mr. Randercild …“
Der Milliardär fixierte ihn scharf …
„Hm – schade um Sie …! Sie sehen nicht wie ein Verbrecher aus …! – Daß sie die Sphinx und die Milliarden geraubt haben, weiß ich … Was tun Sie jetzt hier am Kap Retorta?“
„Ich erwarte den Grafen Gaupenberg und die Sphinxleute, die ich durch eine Depesche hierher bestellt habe …“
Randercild lachte meckernd …
„Gott steh mir bei, Sie sind nicht auf den Mund gefallen!! Das Lügen geht Ihnen glatter als …“
„Ich lüge nicht … Der Graf wird in spätestens drei Tagen hier sein …“
Da wurde der Kleine doch stutzig. Sein Bocksgesicht verzog sich …
„Hm – allerdings, Gaupenberg hat auch mich hierher bestellt,“ meint er kopfschüttelnd. „Merkwürdige Sache das … Der Graf bestellt mich her, und mein Ausguckmann meldet mir, daß er mit dem Fernrohr ein Schifflein hier ankern sehe, das wie die Sphinx ausschaue … Ich nehme das gute Fernrohr – und mich rührt fast der Schlag, es ist die Sphinx! Da lasse ich die Jacht schleunigst in einer Bucht verschwinden und schicke meine Leute im Boot am Ufer entlang zum Vorgebirge … Es klappt alles … Ich habe die Sphinx … – Und jetzt – jetzt, Baron Gußlar, erklären Sie mir zu meiner einigermaßen großen Überraschung, daß Sie den Grafen hier erwarten würden … – Was wollten Sie denn mit Gaupenberg hier verhandeln?“
„Nichts, Mr. Randercild … Ich wollte ihm die Sphinx zurückgeben …“
Randercild war starr …
„Warum – entweder sind Sie der frechste Schwindler oder …“
„… ich rede die Wahrheit, Mr. Randercild … – Der Graf wird bestätigen, was ich hier behaupte …“
„Schön … Mag sein … Sie wollen die Sphinx zurückgeben … – Und der Azorenschatz?“
„Bedauere, Mr. Randercild, es gibt keinen Azorenschatz mehr …“
Randercild meckerte ironisch …
„Freundchen, wir haben die Sphinx im Auge behalten … Und sahen Kisten über Bord fliegen … Jetzt geht mir ein Licht auf … Ein großes Licht. Sie haben den Goldschatz hier versenkt, um ihn später einmal wieder heben zu können!“
Gußlar lächelte kühl …
„Ja – versenkt, Mr. Randercild … Richtig … An dieser Stelle … Wollen Sie vielleicht einmal loten lassen?! Wenn Sie hier auf dreihundert Meter Grund finden, würde ich mich sehr wundern … Denn – ich habe gelotet! Und die Seekarten zeigen an dieser Stelle gleichfalls eine Tiefe von fünfhundert Meter an, die sich nach Süden zu noch bis auf zweitausend Meter vergrößert – also ein Abgrund im Meeresboden, Mr. Randercild … Und dort ruhen jetzt die Milliarden.“
Josua Randercild stierte den Baron sprachlos an …
Dann platzte er heraus:
„Mann – – sind Sie denn wahnsinnig?! Mann – Sie haben also wirklich …“
„Ich habe!!“ Und Gußlars Stimme wurde lauter und eindringlicher. „Ich habe etwas getan, daß ich jederzeit vor meinen Gewissen beantworten kann! Ich habe vernichtet, was vernichtet werden mußte … Das Gold war ein Verhängnis für uns Menschen – wäre ein noch größeres Verhängnis geworden! Wenn Graf Gaupenberg hier sein wird, werde ich mich und meine Handlungsweise zu rechtfertigen wissen!“
Dr. van der Baake mischte sich ein …
Drei Schritt – dicht vor dem kleinen Milliardär stand er …
„Mr. Randercild, wenn Sie ahnen würden, wie unendlich lächerlich und zwecklos diese Aufregungen sind!“ sagte er in so unendlich überlegenem Tone, daß Randercild ihn völlig verdutzt anstierte … „Ja – – lächerlich, Mr. Randercild!! Sie, ein Privatmann, behandeln uns wie Banditen und …“
„Gestatten Sie,“ kollerte der kleine milliardenschwere Ziegenbock da heraus … „Gestatten Sie mal, Sie sind Banditen – noch mehr als das!! Von der sogenannten Fürstin Sarratow weiß ich das bestimmt! Und von Ihnen und den andern muß ich’s wohl notwendig annehmen … Oder – ist’s etwa kein Banditenstreich, die Goldkisten hier ins Meer zu werfen – ganz abgesehen von allem anderen!!“
Er war wirklich wütend, der Kleine … Und das kam so wohl in seiner kreischenden Stimme, als auch in seiner Haltung mit den drohend geballten Fäusten zum Ausdruck …
„Im übrigen, mein verehrter Master,“ schloß er seine wutschnaubende Erwiderung, „– im übrigen ist nichts lächerlich, was ich tue, … Ich bin Johann Randercild, und wenn ich auf der Neuyorker Börse persönlich erscheine, dann … zittern die Makler …!!“
Dr. van der Baake lächelte sanft …
„Möglich, Mr. Randercild …! Mögen Sie zittern! Wie lange sie aber noch zittern werden, können auch Sie nicht sagen … Nein – in die Zukunft vermag niemand zu blicken …! Stellen Sie sich zum Beispiel einmal vor, daß unsere alte Erde eines Tages das Pech hätte, sich von dem Schweif eines Kometen oder, zweier Kometen umwedeln zu lassen – Eine Art von Fächelung, die ihr unter Umständen verdammt schlecht bekommen könnte, wenn diese … Fächer zum Beispiel so etwa zweitausend Grad Hitze ausstrahlten …“
Und das alles in einem Tone, der jedem Hörer unwillkürlich ‚die zweitausend Grad Hitze’ einen Eisesschauer über den Leib trieben …
All das begleitet von demselben traurigen, todernsten und vieldeutigen Lächeln, das in dem welken faltigen Gesicht des hageren Männleins wie das Grinsen eines Totenschädels wirkte …
Josua Randercild versuchte umsonst, Haltung zu bewahren …
Und doch fragte er nur stockend und halb verlegen:
„Wer – – wer sind Sie?! Wie kommen Sie auf so … alte Ammenmärchen?!“
„Dr. van der Baake,“ stellte sich das Männlein mit ernster Höflichkeit vor … „Astronom, Chemiker, Physiker – kurz – – ein Privatgelehrter, der noch vor vierundzwanzig Stunden im Turme seiner Villa in Berlin-Zehlendorf vor dem Objektiv seines Fernrohrs saß und den Sternenhimmel betrachtete – Sternenhimmel, wie die Laien sagen … Wir Astronomen sprechen von Weltsystemen … Unsere Welt, die Erde, ist ja mit die winzigster im ungeheuren Kosmos …“
Randercild wußte mit diesem ihm unbehaglichen Gelehrten nichts rechtes anzufangen …
Meinte kurz: „Wenn Sie mich etwa einschüchtern wollen, Verehrtester, so ist Ihnen das nicht gelungen … Ihre Prophezeiungen sind … für die Katz!! Kein vernünftiger Mensch glaubt mehr an diesen Unfug vom Weltuntergang … – Sie sechs werden jetzt auf meiner Jacht untergebracht werden … Und vor die Türen ihrer Zellen werde ich Posten aufpflanzen, Verehrtester …! Wenn dann Graf Gaupenberg eintrifft, mag er über Sie weiter entscheiden … – Dabei bleibt’s …!“ Und er wandte sich kurz ab …
Nicht mal wütend – nein, – ein ganz anderes Gefühl hatte jetzt bei ihm die Oberhand gewonnen …
Baakes Worte hatten doch einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht … Er war deshalb unzufrieden mit sich selbst … Welche Torheit, sich über derlei Dinge aufzuregen!! – Und er winkte dem stämmigen Steuermann …
„Patterson, weg mit den sechs Leuten, – sorgen Sie dafür, daß sie sicher eingesperrt werden … Und dann – dann nehmen Sie ihnen die Fesseln wieder ab …!“
Er kletterte in den Turm hinab … War erst die Eisenleiter zur Hälfte abwärts gekommen, als ihn ein neuer Gedanke schleunigst wieder nach oben trieb …
„Halt, Patterson … Halt!“ rief er. „Ich möchte den Baron noch etwas fragen … – Also, Baron Gußlar, ich vermisse den siebenten, meinen lieben Freund Edgar Lomatz, der ja ebenfalls hier wieder als moderner Luftpirat ein Gastspiel gegeben hat … Ist der Lump etwa unten in der Sphinx irgendwo versteckt?“
Gußlar schüttelte den Kopf …
„Lomatz hat es nicht mehr nötig, sich zu verstecken, Mr. Randercild … Er ist mit der ersten Goldkisten, die wir versenkten, mit in die Tiefe gegangen … Durch eigene Schuld …“
Und er erzählt Einzelheiten …
Randercild sagte nicht ein Wort dazu …
Merkte, daß der Baron die Wahrheit sprach …
Das entsetzliche Ende des großen Verbrechers konnte ihn ihm zwar kein Gefühl des Bedauerns wachrufen, aber ihm erschien es im Verein mit der geradezu unfaßbaren Tatsache des Verschwindens des Azorenschatzes doch so seltsam eindrucksvoll, daß er sich still wegwandte und den Seminolen herbei winkte …
„Ozzeola, holen Sie ein Lot … Loten Sie ringsum der Sphinx die Tiefe genau ab …“
Dann stieg er in den Turm hinab …
Er wollte allein sein …
Wollte sich all das, was hier soeben vorgegangen, in Ruhe überlegen …
In Ruhe …!
Wenn nur dieser Dr. Baake nicht von den Kometen geschwatzt hätte …! Zum Teufel – – es war ja Unsinn!! Weshalb sich darüber den Kopf zerbrechen?!
Sinnend stand er nun im Führerraum des Luftbootes vor den Schaltbrettern …
Starrte auf die blanken Hebel …
Verdammt!! Was war denn nur in ihn gefahren?! Was war das für ein unerklärlicher Druck auf seiner Seele?! Ein Druck, als ob er sich vor einem unsichtbaren Gespenst fürchtete …
Gespenst – –! Des Dr. Baakes Worte etwa?!
Und Josua Randercild warf sich mit verkniffenem Gesicht in einen der Korbsessel …
Wenn nur Graf Gaupenberg erst hier wäre …!
Und – – Dr. Dagobert Falz …! Ja – – Dagobert Falz! Mit dem wollte Josua einmal über all diese Dinge sprechen …
Durch den verwüsteten Park der Gaupenburg schritten Viktor und Agnes Arm in Arm …
Zum letzten Male … Um Abschied zu nehmen von der Stätte, an der sie sich kennengelernt, an der das große Leid und das große Glück ihrer Liebe begonnen hatte …
Arm in Arm, still und ernst …
Die Nachmittagssonne beleuchtete die noch qualmende Brandruine …
Rauchwölkchen zogen noch aus den leeren Fensteröffnungen ins Freie, verwehten im Winde …
Brenzliger Geruch erfüllte die Luft …
Wie schwarze Skelette standen die toten Parkbäume.
Ringsum ein Bild der Vernichtung …
Ringsum Totenstille …
Einsam die Brandstätte …
Und nur die beiden Liebenden machten nun auf dem Vorplatz halt und schauten ernst auf die traurigen Reste des Stammschlosses derer von Gaupenberg-Gaupa.
In einer Ergriffenheit, die keine Worte fand …
Nur ihre Hände suchten sich, umklammerten sich mit innigem Druck … –
Dann bogen die beiden wieder in den Park ein …
Gingen bis zur Ostseite, wo im unversehrten Hain düsterer Tannen das Erbbegräbnis der alten Familie sich erhob, ein schmuckloser Bau aus Granitquadern mit schwerer eichener Flügeltür … die Gaupenberg nun öffnete …
Sie war unverschlossen, und der große Schlüssel steckte von außen …
Der Raum der kleinen Kapelle war erleuchtet. Vor dem Altar brannten alle Kerzen in den Kandelabern. Gottlieb erwartete unten in der Gruft seinen Herrn …
Eine Steintreppe führte in diese weite kühle Gruft mit den Reihen schwerer, würdiger Särge …
Seit fast drei Jahrhunderten waren hier die Toten des Hauses Gaupenberg beigesetzt worden – Greise, blühende Jugend, – wie der unerbittliche Schnitter sie hinweggerafft hatte …
Auch hier brannten die Wandleuchter …
Hier stand der treue Gottlieb neben dem Sarge des Grafen Viktor, seines ersten Herrn, mit einem Kranz von Feldblumen in der Hand …
Sein Herr nickte ihm zu …
Nahm ihm den Kranz ab und gab ihn Agnes …
Gottlieb zog sie still in den Hintergrund zurück …
Das gräfliche Paar kniete nieder …
Hand in Hand – in stummem Gebet …
Kein Wort wurde laut …
Nur die Flammen der Kerzen knisterten …
Stumm legte Agnes dann den Kranz zu Füßen des Sarges nieder …
Und stumm, wie sie gekommen, entfernten sich die Liebenden …
Stumm löschte Gottlieb die Kerzen in der Gruft. Er hatte in den Augen seines geliebten Herrn eine Träne schimmern sehen … Auch er spürte das warme Naß über die runzligen Wangen rinnen …
Er wußte, daß dies der Abschied für immer wahr … Wußte es, weil Gaupenberg und Dr. Falz vor einer Stunde die Gefährten um sich versammelt hatten und weil der Einsiedler von Sellenheim dann in so tief ernsten Worten davon gesprochen hatte, daß nun die Zeit gekommen, wo man … die neue Heimat aufsuchen müsse – – müsse! – Und keine näheren Erklärungen hatte er dazu abgegeben, nur betont, es würden Ereignisse eintreten, die den ferneren Aufenthalt in Europa, in Deutschland, unmöglich machten … Wenn man am Kap Retorta von Baron Gußlar die Sphinx wieder ausgeliefert erhalten habe, dann solle sofort die Abreise nach südlichere Gefilden erfolgen – dorthin, wo die Familie Werter, die wackeren selbstlosen Landsleute, sich seit Jahren im Gebiet der Nilquellen niedergelassen hatten … –
Gottlieb stieg die Steintreppe zur Kapelle empor und löschte auch hier die Kerzen.
Als er dann das Erbbegräbnis verließ und die Tür abschloß, tauchte plötzlich aus den dunkel grünen Tannen die massige zottige Gestalt Murats auf …
Der Homgori blieb vor Gottlieb stehen und flüsterte in den dumpfen Kehllauten, zu denen seine mächtige Stimme nur schwer sicht dämpfen ließ:
„Mr. Knorz, fremde Mann stets hinter Graf und Gräfin schleichen – fremde Mann aus Berlin … Murat hinter fremde Mann bleiben … Der jetzt mit Mr. Wendler reden … Stehen beide hinten an Parkpforte …“
Gottlieb machte eine gleichgültige Handbewegung …
„Das wird schon stimmen, Murat … Das Verhältnis zwischen den Beamten und uns ist jetzt etwas gespannt … Der Kommissar traut uns nicht recht … Und – verdenken kann man’s ihm kaum …“
Er seufzte …
„Du wirst das alles ja nicht so stark empfunden haben, Murat … Aber – es bereitet sich fraglos etwas vor … Ich habe so das Gefühl, als ob Doktor Dagobert Falz den Azorenschatz bei seinen Entschlüssen gar nicht mehr berücksichtigt hat … – Gehen wir, Murat … Es gibt noch allerlei zu tun … Der Graf will manches, was aus dem Schlosse gerettet worden ist, mitnehmen – – Kleinigkeiten, an denen er hängt, Bilder und sonstiges … Das muß noch verpackt werden.“
Und sie schritten nebeneinander dahin, erreichten bald die Ruine Sellenheim, wo die Sphinxleute unter den nahen Bäumen an einem langen Tische sich niedergelassen hatten … –
Kommissar Wendler und der Kriminalassistent Blümke wanderten derweil dem kleinen Dorfe Bergfeld zu, das von der Gaupenburg und dem Bade Sellenheim durch einen hohen bewaldeten Bergrücken getrennt war. Die anderen Männer Wendlers waren bereits vorausgeeilt. Es war jetzt kurz vor drei Uhr nachmittags.
Blümke sagte in seiner bedächtigen Art:
„Das ganze Verhalten des Grafen Gaupenberg läßt darauf schließen, Herr Kommissar, daß er hierher nicht mehr zurückzukehren gedenkt … Ich habe sein Gesicht gesehen, als er das Erbbegräbnis verließ und sich dann nochmals umwandte, wie dies nur jemand tun, der für immer Abschied nimmt … – Herr Kommissar, man steht hier vor so vielen Rätseln, daß einem förmlich der Kopf schwirrt …“
„Allerdings, lieber Blümke, allerdings …! Wenn man zum Beispiel noch die Vorgänge in der Villa des Doktors van der Baake in Zehlendorf berücksichtigt, wenn man an meines Kollegen Schätzler dortige Schlappe denkt und daran, daß die Zettel mit den Zahlen, die Schätzler im Turmgemach der Villa gefunden hatte und die nun von Professor Gorlick nachgeprüft worden sind und als Berechnungen der Bahn zweier Kometen sich herausgestellt haben, die anscheinend demnächst in größter Nähe der Erde vorüberziehen werden, – wenn man berücksichtigt, daß dieser Baron Gußlar tatsächlich in der verflossenen Nacht die Depesche an Gaupenberg abgeschickt hat und daß nun am Kap Retorta die Zusammenkunft der Sphinxleute mit den Dieben des Schatzes stattfinden wird, dann … dann … bleibt einem geradezu der Verstand stehen!! – Jedenfalls werden wir dort am Kap Retorta all diese ungelösten Fragen klären können! Und – das werde ich …! – Beeilen wir uns … Das Flugzeug kann jeden Moment in Bergfeld eintreffen … Es kommt von Westen heran, so daß sein Nahen durch den hohen Bergrücken den Sphinxleuten verborgen bleibt … Wir steigen dann sofort auf … Ich will möglichst vor Gaupenberg auf San Miguel sein …“ –
Eine halbe Stunde später gingen Wendler und seine Leute an Bord des großen Passagierdoppeldeckers, einer oft erprobten und im Polizeidienst schon häufig benutzten Maschine, die auf einer Waldwiese gelandet war.
Der Aufstieg verlief ohne Schwierigkeiten, und der Doppeldecker gelangte auch mit zwei Zwischenlandungen gegen ein Uhr morgens bereits in die Nähe der schönsten der Azoreninseln, San Miguel, wo er, abermals begünstigt durch die windstille, mondhellen Nacht, ohne Unfall eine Meile südlich des Kaps Retorta auf einer großen Waldblöße niederging.
Wendler und seine sechs Beamten, die sich inzwischen durch stundenlangen Schlaf gekräftigt hatten, brachen sogleich zu Fuß nach dem Kap auf, indem sie sich stets in der Nähe der Meeresküste hielten.
Die wundervolle tropische Natur ringsum, die köstliche milde Luft, gewürzt durch den Salzhauch des Ozeans, belebte die sieben Beamten wie ein erfrischender Trank und spornte ihren Eifer nur noch mehr an, die Sphinx womöglich noch vor dem Eintreffen Gaupenbergs in ihre Gewalt zu bekommen.
Denn davon war Wendler fest überzeugt, daß die Sphinx bereits hier in der Nähe in einer der einsamen Buchten der bewaldeten Küste lag.
Der kleine Trupp hatte nach einer halben Stunde dann soeben eine schmale Bucht umschritten und mühsam einen dichten Streifen Unterholz passiert, als sich vor ihren Augen das Bild eines zweiten Meereseinschnittes zeigte, schroffe Felswände – Mondlicht auf dem stillen Wasser – – und … zwei Fahrzeuge dort unten, eine Jacht und ein spindelförmiges kleineres Boot: die Sphinx!
Betroffen blieben die Beamten unter den Bäumen am Rande des Abhanges stehen …
„Bei Gott – es ist die Sphinx!!“ flüsterte Assistent Blümke atemlos … „Aber – was für eine Jacht mag das sein?! Und – beide Fahrzeuge eng nebeneinander vertäut?!“
Wendler hatte schon sein Fernglas eingestellt …
Auch er war erregt … Er fieberte geradezu, und es kostete ihn ungeheure Mühle, wenigstens äußerlich Ruhe zu bewahren …
„Eine Privatjacht,“ meinte er leise … „Ein sehr elegantes Schiff … – Ah – jetzt bläht ein Windstoß die Flagge am Heck … Es ist das Sternenbanner … Amerikaner sind’s also …“
Die sieben Männer oben am Abhang schwiegen und beobachteten …
Die Jacht und die Sphinx waren nur etwa hundert Meter entfernt. Das Mondlicht lag voll auf den beiden verankerten Fahrzeugen. Sowohl an Deck der Jacht als auch auf der Sphinx befanden sich mehrere Wachen …
Letzlich flüsterte Blümke wieder:
„Herr Kommissar, mir fällt da soeben ein, daß doch der bekannte amerikanische Milliardär Josua Randercild, der ja als Unikum gleichsam verschrien ist, mit dem Grafen Gaupenberg und den Sphinxleuten eng befreundet ist … Gerade die damaligen Sensationsberichte der Neuyorker Zeitungen über die Ereignisse auf dem Schlosse Randercilds – ein gewisser Mr. Null spielte da die Hauptrolle – lenkten ja erst so recht die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die Sphinx und den Azorenschatz … – Herr Kommissar, wenn’s etwa Jacht Randercilds wäre?“
„Still!!“ – und Wendler nahm das Fernglas abermals an die Augen …
Von der Jacht war soeben eine flinke Barkasse abgestoßen und glitt dem Ausgang der Bucht zu, wo eine kleine Landzunge an der linken Seite sich ins Meer hinausschob …
Dort legte die Barkasse an, und ein einzelner Herr im hellen Anzug stieg aus, kletterte über die Felsen und stellte sich auf einen Steinblock an der äußersten Spitze der Landzunge, wo er nun ein langes Fernrohr auseinanderzog und nach Nordost zu den Himmel abzusuchen schien …
Wendler entging nichts von alledem …
Im Augenblick war sein Entschluß gefaßt …
„Blümke, wir werden den Herrn dort überraschen,“ sagte er hastig. „Vorwärts – heimlich hinab zur Landzunge … Ich muß Klarheit gewinnen … Wenn es wirklich Josua Randercild sein sollte, so wird er mir als Beamten die Verbrecher nicht vorenthalten, die er doch offenbar gefangen genommen hat … – Los denn – und keiner läßt sich sehen …! Ich hoffe, mich bis dicht an den Herrn heranschleichen zu können, während Sie, Blümke, mit den anderen die Barkasse ohne Gewalt entern müssen … Wir brauchen sie … Bitte verhalten Sie sich klug, Blümke …! In aller Freundschaft muß die Geschichte erledigt werden … Gewalt dürfen wir nicht anwenden … Wir sind hier auf fremdem Boden und haben es mit Amerikanern zu tun …“ –
Josua Randercild spähte nach dem Flugzeug aus, das seine deutschen Freunde herbeibringen sollte …
Eine verzehrende Unruhe hatte den kleinen Milliardär keinen Schlaf finden lassen. Nachdem er sich eine halbe Stunde ruhelos im Bett hin und her gewälzt hatte, war er wieder aufgestanden und hatte die Barkasse bestiegen …
Die Gedanken an die dunklen Andeutungen des Doktors Baake quälten ihn fortgesetzt … Er sehnte sich nach seinen deutschen Freunden … Von Dagobert Falz hoffte er Aufschluß über alle diese unklaren Geschehnisse zu erhalten …
Nun stand er hier einsam am Ende der Landzunge auf dem grauschwarzen Granitblock und hatte das beste Fernrohr seiner Jacht in den Händen …
Unermüdlich suchte er am Firmament nach einem Flugzeug …
Es war, als ob eine innere Stimme ihm sagte, daß die Sphinxleute längst unterwegs hierher seien …
Dann – und er fuhr herum wie ein Blitz, dann dicht hinter ihm eine fremde Männerstimme:
„Mr. Josua Randercild, nicht wahr?“
Der Milliardär sah einen schlanken jüngeren Herren im Sportanzug dicht vor sich … Ein frisches, kluges und energisches Gesicht …
„Der Teufel hole sie, Master …!! Einen so zu erschrecken!“ polterte er heraus. „Wer sind Sie?! Was treiben Sie hier?!“
Wendler verbeugte sich und lüftete die Mütze …
„Kriminalkommissar Wendler, Berlin, Mr. Randercild … Sie sind doch Mr. Josua Randercild?“
„Und ob …!! Stimmt schon, Mr. Wendler … – Und Sie – ein Kriminalkommissar?! Da brauche ich denn nicht weiter zu fragen, weshalb Sie sich hier herumdrücken … Natürlich der Sphinx wegen …“
Er grinste … Sein von fuchsigem Bart umrahmtes Bocksgesicht strahlte geradezu …
„Hm – Sie kommen zu spät Mr. Wendler … Die Sphinx habe ich beschlagnahmt, – ich, Josua Randercild …!“
„Entschuldigen Sie, Mr. Randercild, die Sphinx ist auf deutschem Boden gestohlen worden, und ich habe Haftbefehle gegen die Diebe … Den Azorenschatz soll ich gleichfalls sicherstellen …“
Randercild wurde ernst …
„Sicherstellen, Mr. Wendler … Schön gesagt …! Der ist schon sichergestellt – – vollkommen! Den wird niemand mehr rauben, mein Wort darauf …“
Er drehte sich wieder nach der offenen See zu und deutete mit dem Fernrohr nach dem Kap Retorta, das von hier aus deutlich zu erkennen war …
„Mr. Wendler …“ – und seine helle Fistelstimme sank zu Baßtönen herab – „Mr. Wendler, so traurig es ist, der Azorenschatz liegt dort drüben in etwa tausend Meter Tiefe im Ozean … Ich habe loten lassen … Tausendeinhundertfünfzig Meter lotete der Ozzeola, einer meiner Matrosen …“
Wendler glaubte, daß Randercild scherzte …
„Mr. Randercild,“ meinte er daher ziemlich scharf, „die Verhältnisse liegen wirklich nicht so, daß man billige Witze …“
„… Witze?! Witze?! – Mr. Wendler, mein Wort, ich habe selbst aus der Ferne beobachtet, wie die Goldkisten über die Reling flogen …! Baron Gußlar hat den Schatz versenkt – daran läßt sich nichts mehr ändern – gar nichts! Das ist eine Tatsache, die genau so unumstößlich ist, wie Lomatz’ Tod … Lomatz ist mit der ersten der Goldkisten mit in die Tiefe gegangen.“
Der Kommissar war blaß geworden …
Verwirrt schob er die Mütze aus der Stirn … Auf dieser Stirn standen dicke Schweißperlen.
Ihm erschien es geradezu unfaßbar, daß die Milliarden wirklich für immer verloren gegangen sein sollten … Die Handlungsweise Gußlars war für ihn das ärgste Verbrechen, das jemals ein Mensch an einem ganzen Volke verübt hatte …
Josua Randercild las ihm diese Gedanken vom Gesicht ab, meinte nun fast tröstend:
„Sie dürfen Gußlars Tat nicht etwa als eine Art Racheakt oder gar als die eines Wahnsinnigen bewerten, Mr. Wendler … Auch ich war freilich im ersten Moment genauso verstört wie Sie … Dann aber haben der Baron und der Astronomen Dr. Baake mich so halb und halb überzeugt, daß insbesondere Dagobert Falz, der Einsiedler von Sellenheim, mit einem Verlust der Milliarden bereits gerechnet hatte – mehr noch, daß er diesen Verlust niemals bedauern wird!“
Wendler konnte sich in diesen so widerspruchsvollen Gedankengang so schnell nicht hineinfinden, und erwiderte schroff und feindselig:
„Mr. Randercild, Sie, der Sie selbst über Milliarden verfügen, mögen diese Geschehnisse anders beurteilen. Für mich bleibt der Verlust des Azorenschatzes ein unermeßliches Unglück …! Millionen von Menschen durften sich der Hoffnung hingeben, daß durch diesen Schatz Deutschlands Not gelindert und …“
Randercild unterbrach ihn …
„Mr. Wendler, wenn Sie mit an Bord der Sphinx gewesen wären, als mir dieser unheimliche Dr. Baake Andeutungen über eine Weltkatastrophe machte, dann … hätten Sie jetzt ebenfalls andere Sorgen als die um das klägliche Gold …!“
Der Kriminalkommissar zuckte die Achseln. „Ich bitte Sie doch, Mr. Randercild, wie oft schon ist eine derartige Katastrophe vorausgesagt worden?! Wer gibt noch etwas auf dieser Art Prophezeiungen?! Gewiß – auch ein Berliner Gelehrter hat Baakes Berechnungen nachgeprüft und …“
„Ah – – nachgeprüft?! Und – – was erklärte er?“
„Er erklärte sie für richtig … Zwei Kometen sollen demnächst die Erde streifen … Einer von ihnen ist erst gestern nacht beobachtet worden, war nur kurze Zeit sichtbar … Zwei deutsche Sternwarten verständigten sich telefonisch über sein Aufleuchten und baldiges Verschwinden, und deren Berechnungen, die des Professors und von Dr. Baakes stimmen genau überein. Der neu entdeckte Komet und ein anderer mit der Bezeichnung Delta III werden sich in ihrer Bahn kreuzen, und diese Begegnung wird in allernächster Erdnähe stattfinden. – Das ist schon alles, was ich darüber weiß … Zur Beunruhigung dürfte trotzdem kein Anlaß vorliegen, da solche gefährlich erscheinenden Annäherungen von Kometen schon so häufig nichts anderes als nur einen starken Sternschnuppenfall für die Erde veranlaßt haben …“
Randercild streichelte nervös seinen rötlichen Bart …
Sein Gesicht war merkwürdig verändert …
Die Unruhe darin, diese heimliche Angst vor etwas Unfassbarem, die ihn nun schon seit Stunden quälte, hatte sich nur noch gesteigert …
„Ich wünschte, Dr. Falz wäre hier …!“ murmelte er vor sich hin, ohne Wendler weiter zu beachten … „Ich wette, Falz weiß über diese Dinge noch besser Bescheid als Baake …“
Der Kommissar seinerseits wollte die Sachlage nun unbedingt geklärt haben …
Meinte eindringlich: „Mr. Randercild – bitte, hier ist meine Legitimation … Ich stehe hier als Vertreter der deutschen Regierung vor Ihnen … Ich …“
„Stecken Sie das Papier nur wieder weg … Hier bei Mondschein kann ich’s doch nicht lesen … Ich glaube Ihnen im übrigen auch so … – Was wünschen Sie also?“
„Die Herausgabe der Sphinx und der Verbrecher!“
Randercild kniff die Augen zusammen … Reckte sich höher …
„Niemals, Mr. Wendler! Unter normalen Umständen würde ich Ihre Bitte erfüllen … So, wie die Dinge jetzt liegen, will ich Herr der Situation bleiben!“
Oh – er konnte schon imponieren, der kleine ‚Meck-Meck’, wie man ihn scherzend an deren Neuyorker Börse nannte …
Und er imponierte Wendler tatsächlich … In Haltung und Sprache Randercilds lag ein Etwas, das den Mann mit den eisernen Nerven und der eisernen Energie verriet …
„… Herr der Situation will ich bleiben, Mr. Wendler …! Erst muß ich Gewißheit haben, ob unsere alte Mutter Erde wirklich ihrem letzten Stündlein entgegen geht … Sollte dies zutreffen, Mr. Wendler, so werden Sie sich wohl selbst sagen, daß es haarsträubender Unsinn wäre, mit Gußlar und seinen Gefährten noch irgendwie abzurechnen …! – Sie sind natürlich nicht allein hier?“
„Nein … Ich habe sechs Leute bei mir … Wir kamen im Doppeldeckern hierher …“
„Nun, Sie sollen meine Gäste sein, wenn Sie wollen … Ich lade Sie ein, den Grafen und die Sphinxleute an Bord meines ‚Star of Manhattan’ zu erwarten … Als – – meine Gäste! Das betone ich … Sie verstehen mich wohl, Mr. Wendler …“
„Allerdings …“
Der Kommissar schaute vor sich hin …
Überlegte …
Seine Gedanken hasteten …
Weltuntergang …?! – Unsinn …!! Und – ob Gußlar das Gold wirklich versenkt hatte?! Wer konnte wissen, ob die Kisten nicht nur Steine enthalten hatten? – Wenn er nur einmal Gußlar sprechen könnte …!
Und – wandte sich an den kleinen Randercild:
„Mr. Randercild, würden Sie mir als Ihrem Gast gestatten, den Baron ins Verhör zu nehmen? – Offen gestanden, ich bezweifle jetzt, daß die Kisten, die in den Ozean geworfen wurden, wirklich die Barren und den Königsschatz Matagumas …“
Randercild legte ihm hart die Hand auf die Schulter.
„Man merkt, Sie sind Polizeibeamter … Man merkt, Sie wollen den Dingen eine neue Wendung geben! Verehrtester Mr. Kommissar, Josua Randercild läßt sich nicht so leicht an der Nase herumführen … Der Schatz ist futsch! Der Baron hat ihn niemals anderswo verborgen und dann mit Steinen gefüllte Kisten in den Abgrund versenkt – niemals! Wozu sollte er sich wohl auch diese Mühe gemacht haben?! Er wußte ja überhaupt nicht, daß die Sphinx beobachtet werden würde! – Nein – – es ist schon so, das Gold holt keine Menschenmacht mehr aus jener Tiefe hervor! – Im übrigen, reden Sie mit Gußlar, meinetwegen! Dort liegt meine Barkasse … Lassen Sie sich auf die Jacht bringen … Ich bleibe hier … Ich habe drei bengalische Flammen zu mir gesteckt. Die brenne ich ab, sobald ich ein Flugzeug bemerke … Schlafen kann ich doch nicht … Ich warte hier bis zum Morgengrauen … Lange kann es nicht mehr dauern …“
Und er drehte sich um und winkte nach der Barkasse hinüber …
Sofort kam einer der Matrosen, die sich auf dem Motorfahrzeug befanden, herbeigelaufen …
Es war Randercilds Liebling, der Seminole Ozzeola.
„Dieser Master und seine sechs Begleiter sind meine Gäste … Bringen Sie sie mit der Barkasse an Bord, Ozzeola … Bestellen Sie dem Kapitän, daß Mr. Wendler eine Kabine anzuweisen ist, und daß ihm der Baron Gußlar und Dr. Baake vorgeführt werden sollen, falls er es wünscht …“
Randercild reichte Wendler dann die Hand …
„Auf Wiedersehen, Mr. Wendler … Unsere Ansichten über das soeben Besprochene gehen zwar weit auseinander … Trotzdem gefallen Sie mir … Ich nehme nie ein Blatt vor den Mund … Würden Sie mir unsympathisch sein, dann hätte ich Sie anders behandelt …“
„Meinen Dank, Mr. Randercild … Ich bin Ihr Gast … Nichts weiter … Wir verstehen uns …“ –
Inzwischen hatte der schlaue, mit allen Salben gesalbte Blümke sich darauf beschränkt, mit seinen Kameraden zusammen aus nahem Versteck die Barkasse zu beobachten, da er an den Bewegungen Wendlers und Randercilds, aus der ganzen Art ihrer Unterhaltung gemerkt hatte, daß diese Zusammenkunft friedlich verlief.
Zum Glück hatte er nichts gegen die Barkasse unternommen …! Er hätte bei den Matrosen durch List oder dergleichen kaum etwas ausgerichtet …
Als er nun seinen Vorgesetzten mit dem einen Matrosen auf die Barkasse zuschreiten sah, als der Kommissar nun auch nach der Richtung hin, wo seine Leute sich hinter einem Hügel und Steingeröll verborgen hielten, eifrig winkte, kamen die sechs zum Vorschein …
Der Seminole warf nur einen flüchtigen Blick auf die fremden Gestalten und sagte dann zu Wendler …:
„Ich hatte Ihre Leute längst bemerkt, Master … Wir Matrosen von der ‚Star of Manhattan’ sind seit gestern bewaffnet – jeder mit zwei Browningpistolen …“
Es klang wie eine Warnung …
Wendler schaute den schlanken Indianer mit dem freien, stolzen und intelligenten Gesicht von der Seite an …
„Entschuldigen Sie … Sie gehören zu einem Stamme der Ureinwohner Nordamerikas …?“
Ozzeola erwiderte mit gewissem Stolz:
„Meine Vorväter waren die Herren der Halbinsel Florida … Das Volk der Seminolen trägt sein Schicksal mit Würde …“
Blümke mit den Seinen war heran …
Fragte in deutscher Sprache:
„Wie steht’s, Herr Kommissar? – Ich habe mich nicht recht an die Barkasse herangetraut … Die drei Matrosen spielten so auffällig mit ihren Pistolen … Außerdem merkte ich auch, daß es zwischen Ihnen und dem Milliardär friedlich herging …“
Wendler zuckte die Achseln …
„Wir gehen als Gäste an Bord der Jacht … Es sind da Dinge vorgefallen, die mich auch so ordentlich beunruhigen … – Sie können nachher zugegen sein, wenn ich den Baron Gußlar und den Doktor van der Baake verhöre … Randercild hat die ganze Gesellschaft gefangengenommenen …“
Sie bestiegen die Barkasse und setzten sich am Heck auf die mit Lederkissen gepolsterten Bänke …
Das flinke Motorfahrzeug schoß davon …
Wendler blickte seine sechs Leute der Reihe nach an.
In seinem Gesicht war nichts als Sorge und Unruhe …
„Der Schatz soll versenkt worden sein,“ meinte er halblaut … „Soll …!! Ich glaube nicht recht daran.“ – Und er erzählte, was er von Josua Randercild hierüber erfahren hatte …
Blümke lachte leise und ironisch …
„Kisten voller Steine – selbstverständlich, Herr Kommissar …! Nur das!! Gußlar wird das Gold eben anderswo untergebracht haben… Er wußte sich beobachtet und hat daher diesen Schwindel ins Werk gesetzt …! Nichts klarer als das! – Nun – wenn Sie dem Baron kräftig auf den Zahn fühlen, Herr Kommissar, wird wie Geschichte schon ein anderes Aussehen kriegen …! Mit diesem Gußlar werden Sie schon fertig werden, Herr Kommissar …“
Wendler schwieg dazu …
Ihm erschien es durchaus nicht so einfach, die Wahrheit ans Licht zu bringen …
Und – seltsam genug, auch er wurde jetzt die Gedanken an die beiden Kometen und die angebliche Erdkatastrophe nicht mehr los … –
Ernst und nachdenklich kletterte er dann das Fallreep der Jacht hinan …
An der Relingpforte stand der stämmige John Patterson, der jetzt als Schiffsoffizier die Wache hatte …
Der Seminole erstattete ihm Meldung …
Patterson war durchaus höflich, aber seiner ganzen Natur entsprechend etwas zugeknöpft.
Er führte Wendler in eine der leeren Kabinen des Achterschiffs und befahl Ozzeola, die sechs anderen Deutschen vorn im Mannschaftslogis unterzubringen.
Er liebte die Deutschen nicht. Er war Vollblutamerikaner. Er liebte überhaupt keine fremde Nation.
Als Wendler ihn dann bat, den Baron und Dr. Baake herbeibringen zu lassen, nickte er nur kurz …
„Sehr wohl, Master … Wird geschehen …“
Machte kehrt und verließ die Kabine …
Hatte die Tür noch nicht in das Schloss gedrückt, als oben an Deck Schüsse knallten …
Eine wahre Schnellfeuer erhob sich …
Auch Wendler hörte es …
War mit zwei Schritten neben Patterson …
Stürmte mit ihm zusammen wieder nach oben …
Ozzeola lief auf die beiden zu …
„Die Gefangenen sind entflohen …! Mit der Barkasse … Dort …!!“
Selbst seine stoische Ruhe war dahin …
Er deutete auf den Ausgang der Bucht …
Dort schoß die Barkasse dahin …
„Wir haben gefeuert, was wir in den Laderahmen hatten,“ fügte der Seminole hinzu …
„Das hörte ich,“ meinte John Patterson trocken … „Hoffentlich habt Ihr auch getroffen … Es war ja das reinste Maschinengewehrgeknatter …“
„Zwei sind bestimmt getroffen,“ mischte sich ein anderer Matrose ein. „Wir haben die Halunken erst regelrecht angerufen, daß sie halten sollten … Sie dachten gar nicht daran … Da feuerten wir eben …“
Blümke und die übrigen fünf Beamten erschienen nun gleichfalls neben der erregten Gruppe …
„Wie ist diese Flucht denn nur möglich gewesen?!“ meinte Wendler empört. „Die Bewachung der Gefangenen kann doch nur äußerst nachlässig gehandhabt worden sein … – Führen Sie mich zu den Kammern, wo die sechs untergebracht waren, Mr. Patterson …“
Der Steuermann stieß einen grunzenden Ton aus …
„Das heißt, Sie bitten darum, Mr. Wendler, – nicht wahr?! Den zu befehlen haben Sie hier nichts an Bord … – Im übrigen hat das auch Zeit …“
Und er zog seinen Signalpfeife …
Schrille Pfiffe gellten über das Deck …
Minuten später quollen an die zwanzig fixe Matrosen aus dem Treppenniedergang des Vorschiffes …
„Pinasse zu Wasser!“ befahl der Steuermann … „Ich will nicht John Patterson heißen, wenn ich diese Schufte nicht wieder fange! Die Pinasse läuft sechzehn Knoten … Das reicht!“ –
Wendler hatte sich wütend umgedreht und war mit Blümke und den Seinen abseits getreten …
„Blümke, wissen Sie, wo die Gefangenen gesteckt haben?“ fragte er leise …
„Gewiß, Herr Kommissar … Im Vorschiff … Der Indianer Ozzeola zeigte mir die beiden Türen … Davor stand ein Matrose Posten … Der steht noch dort …“
„Dann kommen Sie … Mit diesem Grobian von Patterson ist ja doch nichts anzufangen … An der Verfolgung beteiligen wir uns nicht … Ich muß herausbekommen, wie die sechs flüchten konnten … Hier stimmt irgend etwas nicht …!“
Die Pinasse schoß bereits mit acht Mann unter Pattersons Führung davon … –
Einsam stand Josua Randercild auf der Spitze der Landzunge …
Zwanzig Meter von ihm entfernt war die Barkasse vorübergejagt – ins offene Meer hinaus …
Und sein Fernrohr hatte ihm die Flüchtlinge nur zu deutlich gezeigt …
Auch zwei Gestalten, die auf den Heckbänken ausgestreckt lagen …
Opfer dieser verdammten Schießerei …!!
Josua Randercild war wie ein gereizter Stier …
Wie hatten sich seine Leute nur dazu hinreißen lassen, auf die Flüchtlinge zu feuern …?!
Und jetzt – kam die Pinasse herein – – knatternd – fauchend …
Patterson steuerte dich am Ufer der Landzunge hin …
Brüllte seinem Herrn zu:
„Wir holen sie ein, Mr. Randercild …!! Wir holen sie ein …!!“
Und Randercilds Fistelstimme:
„Idioten seid Ihr …!! Zwei Menschen habt ihr niedergeknallt …!! Nette Scherereien wird das geben!!“
Dann war die Pinasse schon vorüber …
Randercild seufzte jetzt …
‚Wenn nur erst Gaupenberg und Falz da wären!’ dachte er …
Denn die Last seiner Sorgen wuchs …
„Ich alter Esel!“ murmelte er … „Weshalb mußte ich auch die Jacht verlassen und hier mich aufbauen und zwecklos das Firmament absuchen! Wäre ich an Bord geblieben, so würde die Schweinerei nicht passiert sein …!“
Ein Ruderboot näherte sich vom ‚Star of Manhattan’ der Landzunge …
Ozzeola sprang auf einen Felsblock und eilte auf Randercild zu …
Zum ersten Male fauchte Randercild jetzt den Seminolen grob an …
„Wer hat Euch befohlen, auf die Flüchtlinge zu feuern?! Seid Ihr des Teufels?! Ihr habt anscheinend zweien auf der Barkasse das Lebenslicht ausgeblasen …!“
Der schlanke Seminole starrte seinen Herrn fest an.
„Die Leute hielten nicht auf Zuruf, Mr. Randercild … Außerdem hatten sie auch Lewis und Burton, die in der Barkasse geblieben waren, niedergeschlagen und aufs Fallreep geworfen …“
„Trotzdem – Schweinerei!“ knurrte Randercild und stelzte eilig dem Ruderboote zu … –
Er fuhr zum ‚Star of Manhattan’ zurück …
Die beiden Kammern im Vorschiff, wo man die drei Frauen und die gefangenen Männer auf der Jacht untergebracht hatte, lagen nebeneinander.
Es waren Kabinen, die für Maschinisten bestimmt waren, jetzt aber leer gestanden hatten …
Enge, schmale Räume, aber sauber und praktisch eingerichtet, jedenfalls recht angenehme Kerker.
Gußlar, Montgelar und Dr. Baake hatten die erste halbe Stunde in dieser ihrer Zelle in dumpfem Schweigen verharrt, hatten sich an den kleinen Tisch gesetzt und grübelnd vor sich hingeschaut …
Ihre Gefangennahme erschien ihnen als böse Vorbedeutung für die kommenden Dinge … Besonders Baake war jetzt arg niedergeschlagen … Ihm ging so vieles durch den Kopf … Schicksalstücke war’s, daß er nun vielleicht doch die letzten Tage, hier noch zu leben hatte, abgesperrt von Sonne, Luft und der tröstenden Natur zubringen musste …! Wer konnte wissen, wie Gaupenberg und die Sphinxleute sich jetzt ihnen gegenüber benehmen würden, wo sie als Gefangene mit ihnen zusammentreffen mußten! Ganz anders wäre es gewesen, wenn Gußlar, wie dies seine Absicht gewesen war, als freier Mann den Sphinxleuten gegenübergetreten wäre und ihnen hätte erklären können: ‚Hier habt Ihr die Sphinx zurück, wie ich’s versprach! Das verwünschte Gold habe ich freilich versenkt!’
Baakes faltiges Greisengesicht zeigte wieder jenen traurigen, düsteren Ausdruck, den es seit der verflossenen Nacht so häufig angenommen hatte …
Seine kleinen Äuglein streiften zuweilen die Gefährten …
Auf deren Mienen waren umwölkt …
Auf Gußlars Stirn lagen die Falten wie Wulste …
Baake sann und sann …
Kämpfte mit sich …
Sollte er den beiden Leidensgenossen anvertrauen, was er wußte und woran er glaubte?!
Mit aller Bestimmtheit sah er an den bevorstehenden Weltuntergang vor sich …! Diesmal würde die Erde ihrem Schicksal nicht entgehen … Diesmal nicht!!
Und – war’s nicht besser, er weihte sie ein, die beiden?! War Gußlar nicht ganz der Mann danach, eine Flucht zu ermöglichen?!
Fliehen – – fliehen, – – frei sein!! Nur das erstrebte Baake jetzt … –
Montgelar hatte soeben eine gleichgültige Bemerkung über Randercild gemacht …
Hatte geäußert: „Man behandelt uns wenigstens anständig! Man hat uns die Fesseln wieder abgenommen …!“
Baake murmelte:
„Was hilft uns das?! Ich brauche Licht, Luft, Sonne, den freien Himmel – – die Freiheit! Ich will nicht hier in diesem Käfig verrecken …!“
Da schaute Werner von Gußlar auf …
Blickte den Dr. Baake lange an … Meinte gedämpft:
„Herr Doktor, Sie sollten endlich alles sagen …! Weshalb immer nur die halben Andeutungen?!“
Baake senkte den Kopf …
Hob ihn wieder mit einem Ruck …
Beugte sich über den Tisch …
Flüsterte:
„Baron, und Sie, Graf, – hören Sie mich an … Wir und die ganze Menschheit, auch alles, was auf Erden kreucht und fleucht, hat nur noch bis zum ersten Oktober um Mitternacht zu leben …“
Er war blaß vor Aufregung geworden …
Er schilderte seine Beobachtungen, seine Berechnungen …
„Die beiden Kometen haben im Gegensatz zu den früher beobachteten einen Schweif aus brennenden Gasen … Alles, was auf Erben durch die Einwirkung einer ungeheuren Hitze zu vernichten ist, wird vernichtet werden … Städte, Dörfer, Wälder – alles wird in Flammen aufgehen …! Obwohl diese Hitzeeinwirkung der Kometenschweife nur zwei und eine halbe Minute nach meiner Berechnung dauern kann, wird jegliches organische Leben ausgetilgt werden … Es gibt keine Möglichkeit, diesem Verhängnis zu entrinnen … Selbst unsere größten Höhlen, wie die Adelsberger Grotte und die Mammuthöhle in Nordamerika würden keinen Schutz vor diesen zwei tausend Grad Hitze bieten – auch in jene Hohlräume würde die Glut eindringen … Man müßte sich gerade meilentief unter der Erde verkriechen können – meilentief, – dann würde vielleicht eine geringe Aussicht bestehen, mit dem Leben davonzukommen – nur dann! Aber solche Höhlen gibt es nicht …“
Gußlar machte eine jähe Handbewegung …
„Sie irren, Herr Doktor …! Es gibt eine solche Höhle … Denken Sie an die Insel Christophoro! Mafalda hat mir Wunderdinge von dem unterirdischen Reiche der Azteken erzählt … Bisher hat noch niemand die Ausdehnung dieser Riesengrotte festgestellt … Sie enthält unter anderem einen unterirdischen See, der sich, in Wahrheit ein Meer, im Erdinneren, bis in die Nähe der Kleinen Antillen erstreckt … Sie haben ja in den Zeitungen von dem Versinken jener Insel gelesen, auf der die Sphinxleute eine Kolonie von einsamen Menschen antraten … Und diese Schwarze Insel, Herr Doktor, hat bestimmt mit dem unterirdischen Ozean in Verbindung gestanden … Schon daran können Sie ermessen, welche Maße die Höhlen von Christophoro besitzen!“
Baake war aufgesprungen …
Sein Gesicht war dunkelrot … Seine Stimme bebte, als er nun hervorstieß:
„Freunde, Gefährten, – um jeden Preis – – wir müssen fliehen! Es hätte keinen Zweck, etwa Randercild oder die Sphinxleute einzuweihen … Oder sie zu warnen! Vielleicht wurde selbst Dagobert Falz mir nicht glauben …! Wir müssen fliehen – sofort! Wir haben keine Zeit zu verlieren … Sie, Baron, sind ein Mann von vielfachen Erfahrungen …! Sorgen Sie dafür, daß wir irgendwie an Land kommen … Alles weitere findet sich dann von selbst …“
Gußlar und Montgelar deuteten jetzt gleichzeitig auf die linke Wand der Kabine …
Und der Baron flüsterte heiser: „Flucht – aber nicht ohne die, die wir lieben!“
Er erhob sich …
„Untersuchen wir die Kabine …“
Und er trat an eins der beiden runden Fenster heran, schlug den Vorhang zurück …
Wandte sich um …
„Vielleicht glückt es … Vielleicht …,“ meinte er noch leiser … „Bis zum Ufer ist’s nicht weit … Ich will zunächst einmal versuchen, mich mit Mafalda in Verbindung zu setzen …“
Und zu Montgelar:
„Passen Sie an der Tür auf … Warnen Sie mich rechtzeitig …!“
Dann öffnete er die runde, messingefasste dicke Scheibe, blickte nach links …
Und rutschte wieder in die Kabine zurück …
„Ich brauche ein Tau – einen Strick … – Her mit der Bettdecke dort, Herr Doktor … Helfen Sie … In Streifen schneiden …!“
Tod – Weltuntergang – – alles war vergessen … Gußlar war wie neugeboren … Die Freude an abenteuerlichem Erleben vereinte sich mit der Sehnsucht nach der Geliebten …
Im Nu war aus den Streifen ein Strick geflochten … an dem Fensterverschluß befestigt …
Wieder kletterte Gußlar hinaus – jetzt vollends.
Er hielt sich an dem Tau fest, reckte den rechten Arm aus – pochte gegen das erleuchtete verhängte Fenster.
Der Vorhang wurde zurückgeschlagen … Der Fürstin Sarratow blasses Antlitz, das in den letzten Tagen so schmal geworden, wurde sichtbar …
Sie öffnete die Scheibe, beugte den Kopf hinaus.
Jubel in ihrer gedämpften Stimme … Strahlen in den dunklen Augen …
„Werner …!!“
Und Gußlar gab ihr hastig Anweisungen …
„Legt die Oberkleider ab … Behaltet nur das Notwendigste an … In unserer Kabine hängen zwei Rettungsgürtel …“
„Bei uns auch …“
„Dann ist es gut … Die Rettungsgürtel für euch Frauen … Für deine Mutter zwei … Beeilt euch … Knotet eine Decke an das Fenster … Zuerst deine Mutter hinaus … Zum Glück befinden wir uns hier auf der dem Monde abgekehrten Seite – im Schatten … Beeilt euch!“
Das Wagnis schien zu gelingen …
Die Sechs schwammen im Wasser – eng nebeneinander …
Alles hing davon ab, daß die Deckwachen nicht aufmerksam wurden …
Und dann – gerade als Gußlar auf die nächste Stelle der Steilufers zuhalten wollte, – da rauschte die Barkasse heran …
Sechs Menschen sanken tiefer …
Nur die Köpfe schauten über die Wasseroberfläche hinaus …
Das Fallreep, an dem die Barkasse anlegte, war zehn Meter entfernt, lag mitschiffs …
Gußlar erkannte den Kriminalkommissar … Und hinter Wendler stiegen der schlanke Seminole die Schiffstreppe empor … die sechs Beamten … Nur zwei Matrosen waren noch auf der Barkasse …
Der Baron und Montgelar waren augenblicklich entschlossen, diese – gute Gelegenheit auszunutzen …
Die beiden Matrosen standen dicht am Fallreep …
Zwei Männer da hinter ihnen … Zwei Fausthiebe …
Mafalda zog ihre zitternde Mutter an Bord …
Baake löste die Taue …
Gußlar warf den Motor an …
Ein kreischendes „Halt!“ vom Deck der Jacht …
Die Barkasse schoß davon …
Nochmals ein Anruf …
Dann Schüsse …
Klatschen von Kugeln …
Kugelsaat …
Und – Montgelar sank zur Seite …
Lautlos fiel Else von Parland quer über ihn …
Weiter stürmte das Motorboot …
Mit – zwei Sterbenden, vier Lebenden …
Vorbei an der Landzunge … ins offene Meer … Wendete scharf nach Osten … Auf den Polsterbänken am Heck lagen die beiden stillen Opfer … Mafalda kniete, hielt Else von Parlands Hand …
Kein Lebenszeichen mehr …
Starr die Züge … Ausgelöscht ein blühendes Menschengeschöpf …
Und auch Arthur Montgelar war die tückische Kugel quer durch die Stirn gegangen …
Auch er starb, bevor noch die Barkasse in die nächste Bucht einbog …
Gußlar stand am Steuer … Mehr Statue als Mensch … Wie versteinert das Antlitz … Eine Trauer im Herzen, die ihn förmlich lähmte …
Dr. Baake saß neben dem toten Montgelar … Kaum mehr so viel Kraft im greisen Körper, sich aufrecht zu halten … Und neben ihm wieder Frau Merten – triefend, bebend, mit geschlossenen Augen … Gleichfalls halb ohnmächtig …
Und dann legte die Barkasse am Ufer eines Flüßchens an, das her im äußersten Buchtwinkel mündete.
Gußlar hatte sie in hohes Schilf und überhängende Zweige hineingesteuert …
Grüne Blätter streiften über die stillen Gesichter der beiden Toten hin …
Waldesrauschen ringsum … von Blumen und Blüten, die jetzt nachts ihren köstlichen Odem aushauchten … –
Gußlar warf den kleinen Anker an Land … Der krallte sich in den weichen Boden ein … Die Barkasse lag fest …
Mafaldas leises Weinen klagte um zwei, die sich liebten, die sich endlich gefunden hatten und nun sterben mußten – –: Schicksal!
Dr. Baake raffte sich auf …
„Baron, was nun?!“ fragte er bedrückt …
Frau Merten regte sich unter den zarten Liebkosungen ihres Kindes … Mafalda hielt die Zitternde umschlungen …
Gußlar sagte mit müder Stimme:
„Ein harter Preis für unsere Freiheit, Herr Doktor!“ Sein Blick ruhte auf den beiden Toten … „Was wir jetzt beginnen sollen? – Abwarten …! Wir werden verfolgt werden … Die Leute, die das Fallreep der Jacht emporstiegen, Herr Doktor, waren deutsche Kriminalbeamte … Der eine Kommissar Wendler – von der Gaupenburg …! Wie kommt er hierher – hier nach San Miguel?! Soll etwa Gaupenberg ihn hierher geschickt haben – auf meine Depesche hin?!“
Und dann – lebhafter, angefeuert von einem besonderen Einfall …
„Wendler kann nur im Flugzeug so rasch nach San Miguel gelang sein …! – Herr Doktor – lassen wir die Barkasse in diesem Versteck … Nehmen wir Abschied von den toten Gefährten … Das Flugzeug wird zu finden sein …!“ –
Auf den Polsterbänken der Barkasse ruhten die Leichen der Liebenden – Montgelar, Else …
Freundliche grüne Zweigeund deren Blütenduft umgab sie …
Gußlar rückte die Toten zurecht, faltete ihnen die Hände …
Dr. Baake sprach ein halblautes Vaterunser …
Dann verließen die vier das Motorboot …
Langsam, zögernd …
Frau Merten weinte an Maffas Arm …
Dr. van der Baake dachte flüchtig an die Nacht des ersten Oktober … Wenn die Matrosen des ‚Star of Manhattan’ die Barkasse nicht fanden, würde sie für Montgelar und Else … zur Aschenurne werden … Ihr stählerner Leib würde der großen Vernichtung standhalten … –
Gußlar schritt voran …
Die Nachtluft war so mild. Der Mond leuchtete noch.
Um die Bäume mondheller Lichtungen schwebten große Fledermäuse …
Friedliche Stille kam aus den Uferwäldern …
Gußlar wendete sich der Bucht zu, in der die Jacht und die Sphinx nebeneinander ankerten … Dort irgendwo mußte das Flugzeug Wendlers gelandet sein …
Er mahnte die drei Gefährten ernst zu Vorsicht …
Verbot sich jedes laute Wort … –
Eine halbe Stunde verstrich … Es ging bergan.
Und plötzlich öffnete sich der Wald, gab den Ausblick auf den felsenumstarrten Meereseinschnitt frei …
Dort unter der ‚Star of Manhattan’ – die Sphinx … Ein Ruderboot an flacher Uferstelle …
Menschen …
Männer … Frauengestalten … Unter ihnen eine gedrungene zottige Figur, unverkennbar Murat, der Homgori!
Also – – die Sphinxleute!
Kein Zweifel – – Sie waren eingetroffen …!
Im Mondlicht standen sie … Da waren Randercild, auch Wendler …!
Begrüßungsszene …
Allgemeine Aufregung … Josua Randercild hielt Dr. Falz umschlungen … Die hohe, eigenartige und Ehrfurcht gebietende Gestalt des Einsiedlers von Sellenheim war der Mittelpunkt aller … –
Dann – – berührte Baake leise Gußlars Arm.
„Dort links, Baron …“
Gußlar trat noch einen halben Schritt vor … Ein Urwaldriese hatte ihm bisher die Aussicht nach dort versperrt …
Eine schmale lange Waldlichtung … Drüben am anderen Ende die Konturen eines Doppeldeckers …
Ein Mann daneben, auf einem Baumstumpf sitzend – klein, hager – ein kühnes, rotbraunes Wilderergesicht mit Hakennase: Gottlieb Knorz, der Treueste der Treuen …!
Ebenfalls unverkennbar …
Einsamer Wächter … Den halbblinden gelben Teckel auf den Knien … –
Und Gußlar flüsterte zu den Gefährten:
„Mit diesem Flugzeug sind die Sphinxleute gekommen – soeben erst … Sie brauchen es nicht … Ehe sie die Sphinx zu unserer Verfolgung bereitgemacht haben, sind wir außer Sicht … Der Mond wird sofort verschwinden … Dort führt der Morgenwind Gewölk herbei … Die Wolken schützen uns … Wir müssen Gottlieb Knorz zwingen, uns den Doppeldecker zu überlassen … Aber – vermeiden wir jede Gewalttat … Drohen wir nur … Halten Sie ihn mit der Pistole in Schach, Doktor … Zum Schein … Es wird ja leider nötig sein, ihn, wenn auch mit aller Rücksicht, zu fesseln … Der Alte läßt nicht mit sich spaßen …“
Sie schlichen weiter, die vier Flüchtlinge …
Näherten sich im Schutze der Bäume …
Gottlieb, eine Zigarre im Munde, streichelte seinen Teckel …
Und, wie so oft, unterhielt er sich mit dem altersschwachen Tiere … Wie so oft vertraute er ihm seine geheimsten Gedanken an …
„Kognak – weiß Gott, die Zigarre schmeckt heute nicht … Gar nicht schmeckt sie … Überhaupt, Kognak, mir ist so merkwürdig zu Mute, seit wir hier vor zehn Minuten gelandet sind … Merkwürdig – – so schwer, so als ob diese Stätte Unheil brütet … Ist ja schon an sich keine erfreuliche Gegend, das Kap Retorta, alter Kognak … Besinnst dich wohl noch, wie wir zu vieren hier in der Nähe unseren Grafen suchten … Wie wir dann durch die Wildnis wanderten und schließlich in dem Observatorium am Monte Rossa landeten, wo der Amerikaner seine Affenmenschen züchtete – wo wir Höhlenkäfige fanden und die Homgoris dann das Observatorium stürmten … – Kognak, Kognak, – eine Zentnerlast drückt meine Seele …! Kognak, mir ist …“
Er fuhr mit dem Kopf herum …
Eine helle zittrige Stimme drohte:
„Keine Bewegung, Herr Knorz!“
Im Mondschatten unter den Bäumen standen drei Menschen …
Ein kleines Männlein – – Dr. Baake …
Pistole im Anschlag …
Zwei Frauen …
Die einen nun – und Knorz erkannte Mafaldas klares, klingendes Organ:
„Herr Knorz, ergeben Sie sich … Wir … brauchen den Doppeldecker … Wir …“
Sie … schrie auf …
Dicht neben ihr hatte sich Baakes Waffe entladen.
Wie dies geschehen konnte, Baake wußte es selbst nicht …
Gottlieb Knorz sank langsam vor dem Baumstumpf in das hohe Gras …
Der Teckel heulte auf …
Mafalda war schon auf ihn zugesprungen …
Kniete neben dem Todwunden …
Hob seinen Kopf …
Diese unselige Kugel hatte den Treuen der Treuesten hingemäht …
Quer durch die Brust war sie ihm gegangen …
Ein irres Lächeln verzerrte sein erblaßtes Gesicht …
Ein wehes Lächeln …
„Oh mein Gott, – – das haben wir nicht gewollt,“ stammelte die Fürstin … „Gottlieb, Gottlieb – Sie dürfen nicht sterben! Nur das nicht …!“
Auch Gußlar und die beiden anderen waren heran.
Beugten sich tiefer …
Gußlar rief klagend:
„Herr Knorz, – ein unglücklicher Zufall war’s … Wir …“
Da … da öffnete der alte Mann zum letzten Male die Lippen …
„Es … hat … so … sein sollen, Herr … Baron … Ich weiß, daß Sie … ein guter Mensch sind, daß … die Fürstin … eine andere geworden … Grüßen Sie … meinen Herrn … und Agnes … Mein … letzter Wunsch gilt … Ihrem Glück … In Afrika … neue Heimat … Nilquellen …“
Seine Stimme erlosch …
Ein paar krampfhafte Zuckungen des wunden Leibes.
Er lag still … –
Dr. van der Baake stierte auf dem Toten …
Schweiß perlte ihm über das faltige Gesicht …
Dann – – richtete er sich auf …
„Ich werde sühnen!“
Seine Stimme war rauh … In den Augen lag ein eiserner Entschluß …
Und er zog sein Notizbuch … Es war vom Wasser durchweicht. Gerade deshalb gab der Tintenstift doppelt kräftig die Schrift wieder … –
Als vier Minuten später Murat, Pasqual und Nielsen, durch den Schuß herbeigelockt, die Lichtung erreichten, verschwand der Doppeldecker hoch in den Lüften im düsteren Gewölk …
Neben dem Baumstumpf lagen zwei Tote …
Knorz – und – – sein Hund, jäh verschieden – – vor Schmerz – – neben der Leiche seines Herrn …
Auf Gottliebs Brust aber ein Zettel:
‚Meine Waffe entlud sich gegen meinen Willen … Dieser unselige Zufall hat mich veranlaßt, Sie alle zu warnen … Die Erde geht einer furchtbaren Katastrophe entgegen … Am ersten Oktober genau um Mitternacht wird die Erde nach meinen einwandfreien Berechnungen die glühenden Schweife zweier in ihren Bahnen sich kreuzenden Kometen passieren und dadurch alles Lebende vernichtet werden! Es gibt vielleicht eine Möglichkeit der Rettung …! Eine einzige!! Und das ist – – der unterirdische Ozean des Aztekenreiches! – Das, was nun das Schicksal mir als Schuld aufgeladen, werde ich zu sühnen wissen … –
Dr. van der Baake.“
Nielsen hatte seine Taschenlampe eingeschaltet und so den Zettel gelesen …
Pasqual und der Homgori standen neben Gottliebs Leiche …
Dem Portugiesen rannen die Tränen über die braunen runzligen Wangen …
Murat stieß vor Rührung ganz merkwürdig grunzende Töne aus …
Gerhard Nielsen legte nun den Zettel sorgfältig in seine Brieftasche …
Dann sagte er dumpf:
„Stellen wir eine Tragbahre aus Ästen her … Wir wollen den armen Gottlieb und seinen Kognak mit hinunter zur Bucht nehmen …“
Pasqual und Murat brachen starke Zweige …
Nielsen hatte sich tief in Gedanken auf den Baumstumpf gesetzt …
Der Zettel – der Inhalt des Zettels …!! Und – das, was dieser Dr. Baake hier voraussagte, stimmte genau mit Dagobert Falz’ Behauptung überein … Falz hatte ja jetzt den Gefährten gegenüber keine Hehl mehr daraus gemacht, daß er eine Weltkatastrophe als Vision geschaut hatte – als grauenvolle Reihe von Bildern … Wann diese Katastrophe eintreten würde, hatte er nicht gewußt … Nur das eine bezweifelte er nicht: Sie stand dicht bevor! –
Gerhard Nielsen hatte den Kopf in die Hand gestützt …
Selten nur war’s ihm geschehen, daß auch in seiner starken Seele eine unerklärliche Bangnis wie dunkle Schatten sich ausbreitete …
Er dachte an Gipsy Maad, seine Verlobte …
Noch immer nur seine Verlobte … In der Gaupenburg hatte die dreifache Hochzeit der drei Brautpaare gefeiert werden sollen …
In der Gaupenburg …
Es gab keine Gaupenburg mehr – nur eine rauchgeschwärzte Ruine … Es hatte auch keine Vermählungen mehr gegeben…
Auch den Goldschatz der Azoren dab es nicht mehr …
Die Milliarden lagen in zweittausend Meter Tiefe auf dem Grunde des Ozeans – zweitausend Meter, wie Josua Randercild betont hatte …
Zweitausend Meter …
Die Milliarden waren dahin – wie die stolze Gaupenburg …
Und – jetzt noch: Gottliebs Tod!!
„Vorzeichen!!“ würde Dagobert Falz wieder sagen … „Vorzeichen, daß wir vor einer letzten Entscheidung stehen!“
Gerhard Nielsen fröstelte in der milden Nachtluft.
Nielsen … sah Gipsys Bild vor sich …
Die strahlende, frische Gipsy …
Ob – – ob sie und er etwa mit würden sterben müssen in dieser Nacht der gewaltigen Katastrophe?!
Nichts hatte Dagobert Falz darüber geäußert, wer von den Sphinxleuten dem Weltunheil entrinnen würde.
Nichts davon … Nichts …
Genau so, wie er die Nachricht von dem Verschwinden des Schatzes wortlos hingenommen hatte … Fast gleichgültig, wie etwas, das er mit aller Bestimmtheit längst gewußt … –
Gerd Nielsen stand auf …
Pasqual hatte ihm zugerufen, daß die Bahre fertig war …
So legten sie denn nun die beiden Toten, Mensch und Tier, nebeneinander auf die grünen Zweige und duftenden Blumen, die Murat über die harten Äste gebreitet hatte …
So traten sie den Weg nach der Bucht an …
Der Morgen graute …
Im Osten zeigten sich die fahlen Farbtöne der Dämmerung … Die Nacht schwand …
Pasqual und Murat trugen die Bahre. Nielsen ging nebenher …
Stiller, trauriger, kleiner Zug …
Abwärts über die Terrassen der Steilwände …
Und unten dort auf den Wassern der Bucht, an Deck der Sphinx eine Gruppe von Menschen …
Ferngläser richteten sich auf die Nahenden …
Schon war es hell genug, das blasse Totengesicht auf der Bahre durch das Glas zu erkennen …
Gaupenberg stützte sich schwer auf Agnes …
„Gottlieb!!“ flüsterte er …
Und rundum Totenstille …
Ein Boot stieß von der Jacht ab, holte die am Ufer Wartenden.
So … kehrte Gottlieb Knorz zu Sphinx zurück …
Als … Toter war er wieder auf der Sphinx … seiner Heimat für so lange Monate. –
Toni Dalaargen weinte laut …
Die Männer drängten die Tränen zurück …
Agne wurde von einem Tränenausbruch geschüttelt … Sie drückte des Gatten kalte Hand.
Gaupenberg zog langsam die Mütze …
Seine Blicke ruhten in unendlichem Schmerz auf dem regungslosen Schläfer …
Mit Gottlieb Knorz hatte er die alte Heimat vollends verloren …
Stunden später …
Vormittags elf Uhr …
Am Kap Retorta – auf der obersten Terrasse … Bei düsterer Beleuchtung … Der Himmel mit Wolken verhangen – wie mit schwarzen Trauertüchern … Düster und unheimlich das Meer … Die Brandung ihrem gleichmäßigen Brausen wie das Stimmengewirr einer fernen ungeheuren Zuschauermenge …
Zwei Gräber waren hier auf der Terrasse in einer mit Erde ausgefüllten Felsspalte ausgehoben worden … ein breiteres für das Liebespaar Montgelar und Else von Parland, die man auf der Barkasse schon nachts aufgefunden hatte …
Ein schmaleres für Gottlieb Knorz … –
In ihren Paradeanzügen stand die Besatzung des ‚Star of Manhattan’ in zwei Gliedern da, am rechten Flügel die Bordkapelle …
Und näher den Gräbern zu standen die anderen, die Sphinxleute, Josua Randercild, seine Schiffsoffiziere, sein Leibarzt und die deutschen Kriminalbeamten. Ganz vorn Gaupenberg und Agnes, Hartwich und Ellen und Dr. Falz …
Und unten auf See unweit des Kaps ankerten die Jacht und die Sphinx … Die Flaggen auf Halbmast.
Die drei Toten lagen, in deutsche Marineflagge gehüllt, neben ihren letzten Ruhestätten … –
Gaupenberg wandte sich um und gab der Bordkapelle ein Zeichen …
Die milden, wehmütigen Klängen eines Chorals mischten sich in das Konzert des Ozeans …
Es begann sacht zu regnen …
Der Himmel weinte …
Die Frauen schluchzten leise …
Gaupenberg und Hartwich senkten Gottliebs Leiche in das Grab hinab … Nielsen und Tom Booder erwiesen dem Liebespaar denselben Dienst …
Die letzten Töne des Chorals verrauschten …
Graf Viktor begann zu sprechen …. mit vibrierender Stimme:
„Ein Mann ging dahin, der sein Leben nur meiner Familie geweiht hatte … Ich brauche über meinen alten braven Gottlieb nichts weiter zu sagen … Wer ihn kannte, liebte ihn … – Dir, dem Treuesten der Treuen, rufen wir so ein letztes Lebewohl zu … Möge Gott dir den ewigen Frieden geben …“
Und er und Hartwich bückten sich, ergriffen die Spaten …
Füllten das Grab …
Langsam wölbte sich der Hügel über Gottliebs einsamer Ruhestatt …
Steinplatten wurden um den Hügel gelegt, über die frische Erde …
Die Bordkapelle spielte wieder …
Das Holzkreuz mit der schlichten Inschrift war schon bereit …
Als es zu Häupten des Hügels befestigt war, trat Dr. Falz plötzlich vor …
Auf seinen ausdrücklichen Wunsch war sowohl Randercild als auch den deutschen Beamten und der Besatzung der Jacht der von Dr. Baake zurückgelassene Zettel verheimlicht worden …
Der Einsiedler von Sellenheim, auch heute wieder in dem für ihn so kennzeichnenden Anzug – Radmantel, Schlapphut –, entblößte sein Haupt …
Und mit seiner markigen und doch so gütigen Stimme sprach er nun zu der Trauerversammlung:
„Freunde – Gefährten – Teilnehmer an dieser ernsten Stunde …! Der Azorenschatz ging verloren … Es sollte so sein …! Nicht edles Metall macht das Glück der Völker aus – nur Arbeit und redliches gemeinsames Streben! – Mit dem Versinken der Milliarden war für mich, den eine höhere Macht zuweilen mit Visionen begnadet, die stets noch sich erfüllt haben, ein neues Vorzeichen für kommende Dinge gegeben, über die ich vor der Allgemeinheit nicht sprechen darf … Aber hier an dieser Stätte, wo drei weitere Opfer des geheimnisvollen Waltens höherer Gewalten ihr Grab gefunden, will ich all denen, die nicht mit zur Sphinx gehören, einen dringenden Rat erteilen … Drüben im Westen in weiter Ferne liegt die Insel Christophoro … Unter ihr zieht sich das Höhlenreich der Azteken hin … Ein unterirdischer Ozean breitet dort in unermesslichen Tiefen seine Wasser aus … Diesen Ozean, so rate ich euch, sucht auf und verharrt dort bist die Nacht vom ersten zum zweiten Oktober dieses Jahres vorüber … Mehr … darf ich nicht sagen …! – Und nun, Freunde, wölbt auf den Hügel über dem anderen Grabe – über denen, die sich liebten und sich fanden …“
Er trat zurück …
Wieder arbeiteten die Spaten … Wieder polterten die feuchten Erdschollen hinab … Wieder erklang gedämpft ein Choral der Bordkapelle …
Ein zweites Holzkreuz wurde aufgerichtet …
Stärker fiel der Regen … Noch schwärzer wurden die Vorhänge des Himmels …
Am östlichen Horizont lief ein fahler Schein über die Wolkenmassen … Dumpfes Grollen dröhnte über den Ozean …
Die ersten Blitze des heranziehenden Gewitters flammten auf …
Die Besatzung der Jacht und die deutschen Beamten stiegen die Terrassen hinab zu den Booten …
An den Gräbern blieben nur die Sphinxleute zurück … Selbst Randercild entfernte sich, neben ihm Mantaxa, die Aztekin und Ozzeola, der Seminole …
Die Sphinxleute scharten sich um Dagobert Falz … Murat, der Homgori, hielt sich bescheiden im Hintergrund …
Ernste, tränenschwere Blicke ruhten auf Gottliebs Grab …
Wieder war’s der Einsiedler von Sellenheim, der sich jetzt an die Seinen wandte:
„Wir haben bisher keine Gelegenheit gehabt, uns über die letzten Ereignisse auszusprechen, meine Freunde … Ich habe euch nur gebeten, den Inhalt des Zettels Dr. Baakes zu verschweigen … Ein Verbrechen wäre es, wenn wir unsere Gewißheit, daß die Tage der Menschen und aller Lebewesen auf Erden gezählt sind, der Allgemeinheit mitteilen wollten … Wir haben kein Recht, den höheren Mächten in den Arm zu fallen … Wir können auch nur wenige retten, indem wir sie mitnehmen würden nach jener grünen Oase, die die große Katastrophe überdauern wird … Nur diese Oase … und vielleicht … die Aztekenhöhle … vielleicht …! Ich habe sogar vielleicht schon meine Befugnisse überschritten, indem ich Randercild und den anderen den Rat erteilte, die kritischen Stunden in der Riesengrotte zuzubringen … Hier nun an diesem Ort, der uns allen stets heilig sein wird, muß ich noch etwas anderes berühren – gleichsam eine Pflicht erfüllen … Ihr alle wißt, daß ich das Elixier des Lebens besitze – auf mich überkommen durch einen Gelehrten, der tiefer in die Geheimnisse der Natur eingedrungen war als irgendein anderer Mensch … Einige von uns haben bereits, durch besondere Umstände veranlaßt, das Elixier bekommen, haben sich so gewappnet gegen den Schnitter Tod … Meine Absicht ist nun, euch allen, meine Freunde, die acht Tropfen der magischen Flüssigkeit zu reichen … Euch allen … Damit die Stunde der Katastrophe uns gefeit findet … – Dort sprudelt ein klarer Quell aus dem Felsen hervor … Hier ist ein Becher … Hier das Elixier … – Beginnen wir, Freunde …“
Er hatte das Fläschchen hoch erhoben …
Ein Blitz flammte hernieder …
Und im Lichte der starken elektrischen Entladung schien die Flüssigkeit auszuleuchten wie ein rosiger Diamant …
Dem Blitz folgte ein gewaltiger Donner …
Unter der Begleitmusik dieser ohrenbetäubenden Kanonade des Himmels trank Viktor Gaupenberg als erster den Becher leer – trank mit dem klaren Quellwasser zugleich das Elixier des ewigen Lebens …
Blitz auf Blitz zuckte jetzt hernieder …
Und jeder von ihnen zeigte in diesem Dämmerlicht des verfinsterten Himmels die Gestalten der Sphinxleute neben den beiden Hügeln wie eine Versammlung unirdischer Wesen …
Von Hand zu Hand wanderte der Becher … Wurde stets aufs neue gefüllt … aus der Quelle und aus dem wundersam strahlenden Fläschchen …
Als letzter kam der Homgori an die Reihe …
Und dann – während der Regen plötzlich nachließ, das Gewölk sich zerteilte und ein breiter Sonnenstrahl die Terrasse und die Gräber in gleißenden Schein tauchte – dann knieten die Sphinxleute nieder am Hügel des Treuesten der Treuen …
Zum letzten Male, bevor sie ihr neues Dasein begangen …
Knieten so, wie Liebe und Freundschaft sie vereint. Gaupenberg und Agnes, Hartwich und Ellen, dann die drei Brautpaare, neben ihnen Fürst Iwan Alexander Sarratow und Inge Söörgaard, – und ebenfalls in einer Reihe Dr. Falz, Pasqual Oretto und der Homgori …
Laut und klar sprach der Einsiedler von Sellenheim ein Vaterunser …
Dann erhoben sie sich …
Der Riß in den Wolken hatte sich erweitert …
Der Himmel grüßte mit belebendem Sonnenschein die Trauerversammlung …
Auf den Büschen und in den Gräsern glitzerten die Regentropfen …
Agnes, Ellen und die Mädchen eilten in den nahen Wald und wanden Kränze …
Nachdem nun auch die Gräber geschmückt waren, schritten sie still die Terrasse hinab, bestiegen das wartende Motorboot und gingen dann an Bord der Sphinx.
Um drei Uhr nachmittags vereinte eine gemeinsame Mahlzeit im Speisesaal des ‚Star of Manhattan’ alle die Menschen, die hier durch das Schicksal zusammengeführt worden waren …
Eine Stille, ernste Mahlzeit …
Ernste, versonnene Gesichter …
Auf allen lastete das Rätsel der Nacht des kommenden ersten Oktober …
Wendler, der neben Dr. Falz saß, bat diesen um ein Schriftstück für die deutsche Regierung, das auch Gaupenberg und Hartwich unterzeichnen sollten …
„Ich muß einen Beleg dafür haben, daß der Azorenschatz verloren ist, Herr Doktor … Ich werde mit dem Polizeidoppeldecker nach Berlin zurückkehren … Es ist meine Pflicht … Was auch kommen mag, ich will die Pflicht über alles stellen …!“
Falz drückte ihm die Hand …
„Sie sollen diese Urkunden haben … Aber – eine Bitte, Herr Kommissar! Nichts von dem, was ich auch Ihnen und Ihren Leuten riet – nichts von der Aztekenhöhle, von … der Nacht des ersten Oktober!“
Wendlers Gesicht wurde noch ernster …
„Herr Doktor,“ flüsterte er, „Sie sind also wirklich überzeugt, daß das Menschengeschlecht seinem Untergang entgegengeht?“
Falz schaute vor sich hin …
Meinte ebenso leise: „Ersparen Sie mir eine Antwort … – Malen Sie sich aber einmal aus, was sich ereignen würde, Herr Kommissar, wenn sich blitzschnell über die Kulturstaaten der Erde die Nachricht verbreiten würde, daß das Ende aller Dinge bevorstände …! Malen Sie sich Szenen aus, die sich in den Weltstädten abspielen würden …! Jede Scheu vor den Gesetzen wäre wie weggewischt … Die breiten Volksschichten würden im Taumel der Todesangst sich zu betäuben suchen … Plünderungen, Morde, die wildesten Ausschweifungen würden die Menschen als Furien sehen …! Es gehört nicht viel Phantasie dazu, noch weiter Dies bis ins einzelne zu schildern …“
Wendlers Lippen zuckten …
„Ich … bin … verlobt, Herr Doktor …“
Die Worte kamen ihm schwer über die Lippen …
Falz schaute ihn unendlich gütig an …
Und meinte mit besonderer Betonung:
„Tun Sie Ihre Pflicht … Nehmen Sie dann Urlaub … – Mehr will ich nicht sagen …“
Wendlers düstere Augen bekamen wieder etwas Leben …
„Ich … werde an Sie denken, Herr Doktor …“ –
Nachmittags sechs Uhr flog der Doppeldecker mit den Beamten auf und nahm Kurs gen Nordwest. Der Abschied zwischen Wendler, den Sphinxleuten und Randercild war kurz, aber doch herzlich …
Und wieder eine Stunde später stand Josua Randercild an Deck der Sphinx vor seinen Freunden …
Hielt Gaupenbergs beide Hände in den seinen …
Der kleine Milliardär war merkwürdig gefaßt, obwohl er sich sagte, daß er vielleicht keinen der Gefährten von einst jemals wiedersehen würde …
Nur in den Augenwinkeln blinkte es feucht, und seine Stimme zitterte, als er nun zu Gaupenberg sagte:
„Ich … ich habe … Sie alle liebgewonnen – alle … Mit ihnen scheide ich von meinen schönsten Erinnerungen … – Gott schütze Sie und … mich!“
Jedem drückte er die Hand …
Dann kletterte er schnell die Außenleiter der Sphinx hinab und in sein Boot …
Kaum hatte das sich einige Meter von der Sphinx entfernt, als diese sich schon langsam von der Wasseroberfläche löste …
Und da – – geschah etwas, das wohl allen, die als Zuschauer dieser plötzlichen Flucht Mantaxas, der Aztekin, beiwohnten, völlig überraschend kam …
Dr. Falz war’s gewesen, der Mantaxa vorhin dazu bestimmt hatte, die Reise in die neue Heimat auf der Sphinx mitzumachen …
Toni Dalaargen wieder hatte das braune Mädchen zärtlich gebeten, sich ihnen anzuschließen …
Da hatte Mantaxa zögernd nachgegeben …
Jetzt aber, als die Sphinx zu steigen begann, als sie drüben an der Reling der Jacht das edle Antlitz des Abkömmlings der berühmten Seminolenhäuptlinge erblickte, erwachten Liebe und Sehnsucht in ihr …
In diesem Augenblick fühlte sie, daß sie zu ihrem roten Bruder gehörte – – für immer …
Schwang sich über die Regeln, sprang hinab … Tauchte wieder auf, schwamm Randercilds Boot nach und wurde von dem Milliardär rasch an Bord genommen …
In ihren triefende Kleidern stand sie da und winkte … Winkte … – bis die Sphinx am klaren Firmament nur noch als fernes Pünktchen zu erkennen war …
Dann – – eilte sie auf Ozzeola zu …
Und ohne Scheu umarmte sie hin, schmiegte sich an ihn und küßte ihn …
Ohne Scheu vor all den Matrosen ringsum …
Nahm dann seine Hand, und mit stolzem Selbstbewußtsein sprach sie zu Randercild und den Anderen:
„Ozzeola wollte mein Bruder sein … Unten tief im Erdinnern am Gestade des Ozeans der Höhlen von Christophoro hat er mir das gelobt, … Und jetzt gelobe ich ihm: ,Sein Weib will ich sein – ich, die letzte meines Volkes – – sein Weib …!’!“
Randercild erfaßte die tiefe Bedeutung dieser Szene.
Unwillkürlich schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß diese beiden Farbigen vielleicht die Stammeseltern einer neuen Generation von indianischen Völkern werden würden …
Und er schritt auf sie zu, – in einer so feierlichen Stimmung wie vielleicht noch nie in seinem ereignisreichen Leben …
Ohne jede theatralische Bewegung legte er ihnen die Hände wie segnend auf die Häupter …
Seine sonst so schrille hohe Stimme war weich und dunkel getönt, als er vernehmlich sagte:
„Der Herr, der droben im All mächtig und allwissend die Geschicke jedes Einzelnen lenkt, – diese unsichtbare Macht, an die mich Dr. Falz in diesen letzten Stunden glauben lernte, mag euch segnen wie ich es tue …!“
Und nicht ein einziger war unter all diesen Matrosen, die zumeist den Glauben an Gott längst als abgetan betrachteten, – nicht ein einziger, der in diesem Moment nicht klar empfand, daß es sich hier um Geschehnisse handelte, die hinüber griffen in einen nahe dunkle Zukunft …
Keiner wagte auch nur zu lächeln …
Nur – – John Patterson, der erste Steuermann, wandte sich unwillig ab …
Für ihn war ein Farbiger nur ein Mensch niederer Sorte … Wie konnte Randercild nur so viel Aufhebens von den beiden Rothäuten machen!!
Überhaupt – all das, was in den letzten vierundzwanzig Stunden geschehen, behagte John Patterson durchaus nicht …
Was sollte diese Geheimniskrämerei vor der Besatzung?! Was bedeuteten die Worte jenes greisen Deutschen, der da an den Gräbern oben auf dem Kap so mahnend von der Aztekengrotte gesprochen hatte?!
Pattersons üble Laune wuchs noch, als Jusoa Randercild jetzt befahl, daß Ozzeola von jedem Dienst frei sein und in Mantaxas Kabine ziehen solle …
„Flitterwochen ohne Standesamt und Trauung!“ sagte er bissig zu dem Zweiten Steuermann Mac Lean, einem geborenen Schotten … „Nette Wirtschaft …!! – Und was das andere betrifft, Mac Lean, worüber wir uns schon vorhin unterhielten, man müsse doch unbedingt von Randercild verlangen, daß er uns reinen Wein einschenkt! – Was zum Teufel wird denn passieren?! Weshalb kehren wir nach Christophoro zurück? Ich habe keine Sehnsucht nach den Riesengrotten … Und die Marmorpaläste König Matagumas können mir auch nicht imponieren …! – Mac Lean, man müßte eine Deputation zu Randercild schicken … Man müßte energisch werden! Wenn tatsächlich irgend etwas bevorsteht, das uns …“
Der rothaarige baumlange Schotte fiel ihm ins Wort …:
„Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, Patterson, lassen Sie die Hände von diesen Dingen weg! Sie wissen doch, daß ich aus Schottland stamme, sogar aus dem äußersten Winkel, aus der Gegend des Lacehurst-Moores, dicht an der Küste, wo dauernd eine haushohe Brandung tobt … Jene Gegend gibt den Menschen ihr eigenes Gepräge … Wir, die wir dort großgeworden, besitzen fast alle die Gabe des Zweiten Gesichts …!“
„Mumpitz!“ lachte Patterson ironisch …
Mac Lean blieb ernst …
„Ich wünschte, es wäre Mumpitz, lieber Patterson … Aber leider, es ist Tatsache! Ich habe in der verflossenen Nacht wieder einmal in halbwachem Zustande ein solches Zweites Gesicht gehabt … Es ist das etwas ganz anderes, als wenn man nur träumt … Ganz etwas anderes … Man weiß, daß man nicht wacht, nicht schläft. Es ist so ein Mittelding zwischen beiden … Es ist ein Schauen von Bildern mit offenen Augen …“
Patterson grinste weiter …
„Na – und was haben Sie Geisterseher – – he?!“
Der Zweite Steuermann blickte scheu umher …
Aber es war keiner der Matrosen in der Nähe …
„Ich sah …,“ erwiderte er langsam, „ich sah das Stübchen in meinem Elternhaus – das eine Stübchen mit den alten Möbeln, der Standuhr, die schon weit über zweihundert Jahre alt ist, – sah die beiden Leutchen, grauhaarig, greisenhaft, nebeneinander auf dem kleinen Sofa sitzen …“
„Rührend!!“ spottete Patterson …
Mac Lean fuhr unbeirrt fort:
„Und – mein Vater las aus der Bibel vor … Jedes Wort hörte ich … Er las die Geschichte der Sintflut, die Geschichte von Noahs Arche … Über dem Sofa hing der Kalender … Ich … sah, es war das Blatt mit dem Aufdruck ‚1. Oktober’ obenan … Und die Standuhr zeigte fünf Minuten vor Mitternacht … Durch die Fenster konnte ich die Dorfgasse überblicken … Der Nachtwächter schlurfte draußen vorüber … Es war, als ob ich mich in dem Stübchen befände …“
Patterson grinste nicht mehr …
Der 1. Oktober …!!
Das gab ihm doch zu denken …
Der Dr. Falz hatte ja auch von der Nacht des ersten Oktober gesprochen …!
Mac Lean erzählte weiter – noch leiser, noch geheimnisvoller:
„Als mein Vater die Geschichte der Sinnenglut zu Ende gelesen hatte, sagte er zu meiner greisen Mutter: ‚Gib mir deine Hände, Dorrit … Hand in Hand wollen wir das Unheil erwarten … Es kommt … Ich habe uns sterben sehen …’ – und dann blickte er auf die Standuhr …
Die Zeiger bedeckten sich … Es war Mitternacht.
Und die Uhr begann zu schlagen …
Oh – wie genau ich ihren Klang wiedererkannte, Patterson …!
Langsam schlug sie …
Von draußen dröhnten die Schläge der Kirchturm dazwischen …
Mit einem Male – gerade beim achten Schlage – war das Stübchen urplötzlich in Flammen gehüllt.
Urplötzlich, Patterson …
Alle Möbelstücke lohten auf …
Nichts als Feuer …
Und – wie vom Blitze getroffen sanken meine Eltern vornüber auf den Tisch …
Waren einen Moment wie in Rauch gehüllt … und – – verschwunden …
Das Häuschen brannte …
Das ganze Dorf brannte …
Alles – – alles …
Das nahe Moor schlug haushohe Flammen …
Und dann, Patterson … – Dann sah ich plötzlich wieder die Wände meiner Kabine …
Ich war … erwacht …
Die Vision war zu Ende … – Und wenn Sie jetzt dieses mein Zweites Gesicht mit den Worten des greisen Deutschen vergleichen, dann …“
Pattersons breites Gesicht war aschgrau geworden.
In den Augen flackerte Todesangst …
Er packte Mac Leans Handgelenk …
„Sie … Sie … glauben, daß … die Erde … verbrennen wird …?!“ rief er heiser …
„Ich … weiß es … Sie wird nicht verbrennen … Aber alles, was auf Erden kreucht und fleucht, wird … Asche werden … Ich weiß es … Und … Josua Randercild weiß es auch, behaupte ich! Deshalb sollen wir die Nacht vom ersten zum zweiten Oktober dort an dem unterirdischen Ozean zubringen … Dort, wohin die verderbliche Glut nicht eindringen kann – oder doch nur so schwach, daß … wir am Leben bleiben, Patterson …“
John Patterson befeuchtete mit der Zunge die trockenen Lippen …
Wollte sprechen …
Die Kehle war ihm wie zugeschnürt …
In seinen Augen war das Entsetzen noch deutlicher geworden …
Dann – – keuchend – fast unverständlich:
„Sie meinen also, Mac Lean, daß wir gerettet werden?!“
„Vielleicht … – Aber, Patterson, daß Sie um Gotteswillen nichts den Anderen mithalten … Ja nicht, Patterson …! Unsere dreißig Matrosen sind jung, und der Gedanke, vielleicht sterben zu müssen, würde sie wahnsinnig machen …“
Auf des Ersten Steuermanns Stirn erschien eine senkrechte Falte …
„Ich … will Gewissheit haben!“ stieß er hervor … „Ich will Randercild zur Rede stellen … Noch ist’s ja Zeit …“
Die Signalpfeife des Kapitäns schrillte …
Die beiden trennten sich hastig …
Der ‚Star of Manhattan’ lichtete die Anker …
Zur … Fahrt nach Christophoro …
Das Deutsche Reisebüro ‚Atlantik’ hatte mit Hilfe einer großzügigen Reklame zur Fahrt nach Christophoro wirklich vierhundertvierundzwanzig Teilnehmer gefunden …
Diese Reklame hatte dem Publikum alle Wunder des unterirdischen Reiches der Azteken vor Augen geführt …
In Riesenplakaten, künstlerisch nach Photographien entworfen und prachtvoll in der tadellos abgetönten Farbenzusammenstellung, waren die sechs Marmorpaläste König Matagumas, die Reste der Aztekenstadt, und der See dicht vor den Palästen mit seinen Felseninselchen und auch dem Kerker gezeigt worden, wo Georg Hartwich mit Ellen Barrouph, der entführten Amerikanerin, seiner späteren Frau, zusammengetroffen war …
Diese echt amerikanische Reklame, die außerdem mit allerlei neuen Tricks gearbeitet hatte, war denn auch von Erfolg gewesen …
Während in Amerika, England und Frankreich das Interesse für Christophoro längst abgeflaut war, verließ nun der Meteor’, ein elegantes, schnelles Schiff mit allen modernen Einrichtungen, am 22. September Bremerhaven und steuerte durch den Kanal gen Westen …
Zweihundert Passagiere erster Kajüte, zweihundertzweiundzwanzig zweiter Kajüte, dazu eine Besatzung von fünfundzwanzig Leuten, mit diesem halben tausend Menschen der verschiedensten Berufsklassen, der verschiedensten Charaktere und Anschauungen strebte der ‚Meteor’ dem fernen Eiland zu.
Zwei Zwischenlandungen waren vorgesehen: Lissabon und auf einer der Azoreninseln.
Die Stimmung an Bord war glänzend. Der Wettergott hatte ein Einsehen und ersparte den Touristen die Qualen der Seekrankheit …
In Lissabon besichtigte man einen Tag lag dessen Baudenkmäler …
Herr Bäckermeister Mudicke, Berlin N, Ackerstraße, meinte über Lissabon:
‚Janz scheen, aber Hamburg is jroßartiger …’
Ohne Bedauern verließen die Vergnügungsreisenden die Hauptstadt Portugals … –
Am 27. September nachmittags kam Kap Retorta in Sicht …
Alle Mann waren an Deck … Damen, Herren, fesche Mädel, junge Gents …
Alle scharten sich um die ‚Erklärer’.
Von der Sphinx wurde erzählt, von dem U-Boot, dem Goldschatz …
Von den Kämpfen der Sphinxleute dort auf den Terrassen des Vorgebirges …
Und niemand ahnte, daß die Milliarden auf dem Meeresgrund lagen und daß noch vor zwei Stunden hier vor dem Kap die Sphinx und die Milliardärsjacht geankert hatten …
Unzählige Ferngläser richteten sich auf das Kap …
Und ausgerechnet war’s Bäckermeister Mudicke, Berlin N, Ackerstraße, der mit seinem erstklassigen Trioderbinokle die beiden Gräber und die Grabkreuze auf der obersten Terrasse entdeckte …
Inzwischen hatten schon andere der Passagiere stürmisch verlangt, daß man das Kap besuchen wolle, daß Boote hinübergeschickt werden sollten …
Die beiden Gräber reizten die Neugier noch mehr.
Der Kapitän gab schließlich nach …
Mudicke war einer der ersten im Boot … Mit ihm Frau und Tochter sowie Rechtsanwalt Hans Mickel, der hier an Bord bereits einen netten Flirt mit Klärchen Mudicke begonnen hatte, die ohne Frage in dem weiblichen Blumenflor die schönste, munterste und natürlichste war …
Und trotz seiner zwei Zentner Lebendgewicht kraxelte Emil Mudicke dann auch als erster die steilen Terrassen hinan …
Er besaß den Ehrgeiz, die beiden Gräber auch als erster zu photographieren …
Denn photographieren war die Hauptsache …
Ahnungslos keuchte Mudicke auf die Grabhügel zu.
Wunderte sich …
„Donnerwetter,“ – die sahen so merkwürdig frisch aus …
Und rundum war das Gras niedergetreten …
So, als ob hier erst heute ein Doppelbegräbnis stattgefunden hätte …
Dann …. fiel sein Blick auf die Inschrift des einen Holzkreuzes:
Hier ruhet der Treueste der Treuen
Gottlieb, Ernst, Joachim Knorz
gefallen im Kampf um eitles Gold am
27. September, morgens drei Uhr
Mudicke stand wie versteinert …
Gottlieb Knorz – – Gottlieb Knorz?!
Das war doch der in den Zeitungsberichten so oft genannte Diener des Grafen Gaupenberg!!
Und er drehte sich um, rief dem Rechtsanwalt Mickel zu:
„He – Mickelchen – – her mit Ihnen …!! – Kommen Sie, staunen Sie … Mir bleibt reineweg die Puste aus …! Da – lesen Sie! Lesen Sie …!!“
Immer dichter wurde jetzt der Kreis der Touristen um die beiden Gräber …
Erregte Gesichter …
Eifriges Anschwellen von Vermutungen und Kombinationen …
Immer wieder der Name ‚Gottlieb Knorz’ auf aller Lippen …
Man wußte ja aus den Radiodepeschen, die der Dampfer ‚Meteor’ aufgefangen hatte, daß der Goldschatz wieder gestohlen war … Auch, daß die Gaupenburg niedergebrannt war … Man wußte von den Vorgängen in der Villa des Privatgelehrten Dr. Baake in Zehlendorf …
Heutzutage ging’s eben mit dem Nachrichtendienst sehr schnell … Dinge, die vor vier Stunden geschehen, konnten in diesen vier Stunden über den Erdball verbreitet sein …
Deshalb waren auch die Namen Otto Graf Montgelar und Else von Parland vielen bekannt …
Das waren zwei der Diebe der Sphinx …
Und – nun standen diese Namen hier auf dem zweiten Holzkreuz, darunter nur:
Die Liebe und das Verzeihen
höret nimmer auf
Schließlich erklärte dann Rechtsanwalt Hans Nickel mit erhobener Stimme, daß es wohl keinem Zweifel unterliege, daß die Sphinx, die Sphinxleute und auch die Entführer des Luftbootes am Kap Retorta gewesen seien …
„Es muß hier zum Kampf gekommen sein, meine Herrschaften … Zu einem neuen Blutvergießen um die Milliarden!“
So schloß der flotte Rechtsanwalt …
Und Mudicke rief dann:
„Landsleute – Hut ab an dieser Stätte, an diesem Grabe des braven Dieners des Grafen Gaupenberg …! Hut ab – und ein stilles Gebet für ihn! Landsleute für uns alle ist er gestorben … Für Deutschland – des Azorenschatzes wegen!“
Die Herren entblößten die Häupter …
Und Pastor Redlich, Mickels Kabinengenosse, trat vor und betete laut ein Vaterunser …
Über vierhundert Deutsche beteten mit …
Hier auf der obersten Terrasse des Kaps … am Grabe Gottliebs Knorz.
Und still und ernst verließ man dann wieder das Vorgebirge …
Genauso still, wie die Sphinxleute vor Stunden die Terrasse hinabgeschritten waren …
Emil Mudicke ging neben Pastor Redlich her …
Und meinte leise:
„Ich weiß nicht, – mir ist ganz seltsam zumute, Herr Pastor … Ich habe die Gräber nicht mal photographiert … Mir ist’s, als ob … als ob …“
Und er schwieg … Seufzte … Fügte noch leiser, noch beklommener hinzu:
„Ja, Herr Pastor, gerade so ist mir, als ob irgendein Unglück droht, als ob’s mit mir auch nicht mehr lange dauern wird … Ich begreife das nicht … Ich leider doch sonst nicht an solchen Stimmungen … Aber dort oben am Grabe des Gottlieb Knorz’ – da ist’s mir angeflogen … Richtig angeflogen …“
„Das geht vorüber, lieber Herr Mudicke,“ meinte der Pastor herzlich. „Vergessen Sie die Gräber, erfreuen sie sich an dieser wundervollen Natur … Man wird selten ein Landschaftsbild finden wie dieses hier … Dazu noch das Bewußtsein, hier geradezu an einer historischen Stätte zu weilen …! Dort drüben hat das deutsche U-Boot mit dem Goldschatz auf dem Grunde des Ozeans gelegen … Dort haben die Sphinxleute es gehoben und nach Christophoro gebracht … – Mein Herz schlägt höher, wenn ich an all diese Einzelheiten denke …!“
Emil Mudicke, der in der Unterhaltung mit ‚Gebildeten’ sehr gut seinen geliebten Berliner Dialekt unterdrücken konnte, erwiderte darauf sehr trocken und sachlich:
„Und ich denke an das, was hier vorgefallen sein muß, Herr Pastor, – – ein neues Blutvergießen … Ich denke an all die Opfer, die diese Milliarden schon gefordert haben und … noch fordern werden – – vielleicht …! Ich bin nur ein einfacher Mann, Herr Pastor, der es durch seine Hände Fleiß zu einigem Wohlstand gebracht hat … Ich bin durch mein Geld nicht übermütig geworden … Nein – übermütig wird man nur, wenn einem das Geld in den Schoß fällt, wenn man es irgendwie gewinnt, ohne die Hände zu rühren … Und deshalb, Herr Pastor, – ehrlich aus meinem schlichten Verstand heraus sei’s gesagt. Als ich in den Zeitungen von diesem Milliardensegen las, der dem deutschen Volke bevorsteht, da habe ich nur den Kopf geschüttelt und zu meiner Frau gesagt: ‚Emilie,’ habe ich gesagt, ‚das wird ein böses Ding werden mit dem Goldschatz …! Millionen von Deutschen werden glauben, nun wird aus unserem Vaterland so ’ne Art Schlaraffenland werden mit süßem Faulenzen und gebratenen Tauben, die in der Luft herumfliegen … Und das wird nicht gut enden …’ Nein, Herr Pastor, das wird ’ne große … moralische Pleite … Den Ausdruck habe ich mal irgendwo gelesen. Er hat mir gefallen.“
Pastor Redlich, lang, hager, und blondbärtig, ereiferte sich jetzt …
„Ich verstehe Sie, lieber Herr Mudicke … Aber – ich bin nicht Ihrer Ansicht … Durchaus nicht … Ich behaupte, daß in unserem Volke noch genug moralische Kräfte sich erhalten haben, die über den vielleicht verwirrenden Einfluß des Goldes siegen werden.“
Und – – so sprachen diese beiden Männer in ihrer vollkommenen Ahnungslosigkeit weiter über ein Thema, das in Wirklichkeit längst abgeschlossen war – –
Denn – der Goldschatz der Azoren ruhte in zweitausend Meter Tiefe im Meere – unerreichbar für jeden …
Vorläufig unerreichbar …
Mit dem letzten Boot des ‚Meteor’ gingen auch die Familie Mudicke, der Rechtsanwalt Hans Mickel unter Pastor wieder an Bord des Vergnügungsdampfers, der gegen sieben Uhr abends seinen scharfen Bug nach Westen wandte und seinem fernen Ziele weiter zustrebte … –
Und doch – so seltsam es war – selbst Pastor Redlich merkte es und konnte es nicht wegleugnen, die Stimmung der vierhundertundzwanzig Touristen auf dem Dampfer war nicht mehr dieselbe wie vor dem Besuch des Kap Retorta und der beiden Gräber dort oben auf der Felsterrasse …
Seltsam war’s! Die Fröhlichkeit hatte etwas Erzwungenes … Die meisten hatten einen nachdenklichen Ausdruck in den Augen und starrten oft merkwürdig versonnen vor sich hin …
Als man sich in den beiden Speisesälen der ersten und zweiten Klasse zu Tisch setzte, als die beiden Jazzbandkapellen wie immer beim Souper zu spielen begannen, er war so mancher unter der Tischgesellschaft, den die leichte Musik störte …
Und im Speisesaal der ersten Klasse war’s die Geheime Regierungsrätin von Saalehn, hier die tonangebende Persönlichkeit, die sehr bald den Kapitän in ihrer energischen Art zurief:
„Herr Kapitän, es empört mich, daß die Kapelle unsere immer noch weihevolle Stimmung durch diesen modernen Tanzlärm geradezu stört, und ich glaube im Sinne vieler zu handeln, wenn ich Sie bitte, die Musik aufhören zu lassen …“
Tiefe Stille erst …
Dann von allen Seiten Rufe des Einverständnisses.
Die Kapelle legte ihre Instrumente weg und verschwand. –
Ähnlich war’s im Speisesaal der zweiten Klasse.
Hier präsidierte an der Abendtafel der Erste Offizieres des ‚Meteor’ …
Hier war’s Emil Mudicke, der ganz unvermittelt sich erhob, an sein Rotweinglas klopfte und ärgerlich sagte:
„Meine Herrschaften, mir ist diese Musik heute zuwider … Und die Herrschaften hier um mich herum denken genau so … Wir haben erst vor wenigen Stunden am Grabe eines Mannes gestanden, der für uns alle fraglos gestorben ist … Die Kapelle soll mit dem verdammten Gewinsel aufhören …! Das paßt nicht zu den Gefühlen, die noch jetzt in jedes guten Deutschen Brust sich regen!“
„Bravo – – Bravo …!!“ – Ringsum erklang’s als ehrliche Zustimmung …
Und so mußte denn auch hier die Kapelle einpacken.
Weiter und weiter glitt der ‚Meteor’ durch den nächtlichen Ozean …
Und als in den beiden Speisesälen dann der Nachtisch gereicht wurde, erschienen auf der weißen Leinwand in klaren Buchstaben die neuesten Tagesdepeschen, die der Funker des Dampfers vorhin aufgenommen hatte.
Alles schaute hin, las begierig mit …
Alles …
Da kamen zuerst politische Nachrichten …
Die interessierten weniger … Von Politik wollten die Touristen nichts wissen …
Dann aber:
‚Die Sphinx und der Banknotenfälscher …’
Dies als Überschrift …
Und darunter alles, was sich in der Zehlendorfer Villa des Dr. van der Baake ereignet hatte …
… Daß Dr. Baake und seine Haushälterin mit den Dieben der Sphinx gemeinsam entflohen … Das Kriminalkommissar Schätzler und seine Beamten heimtückisch betäubt worden waren … –
Und im Anschluß daran:
‚Der neue Komet. –
Die bei dem Privatgelehrten Dr. van der Baake von der Polizei beschlagnahmten Berechnungen der Bahn des neuen Kometen sind nochmals von verschiedenen Astronomen nachgeprüft worden. Es scheint kaum mehr zweifelhaft, daß dieser Komet und der schon seit Jahren bekannte Delta III demnächst in Erdnähe sich begegnen werden. Man wird dann mit einem starken Sternschnuppenfall zu rechnen haben. Betont sei nochmals, daß auch dieses kosmische Erlebnis zu Befürchtungen keinen Anlaß bietet. Die Meldung einer Berliner Zeitung, daß beide Kometen vielleicht durch die Einwirkung ihrer feurigen Schweife der Erde gefährlich werden könnten, ist bereits amtlich richtig gestellt worden. Da sich Berlins Bevölkerung bereits zum Teil stark beunruhigt fühlte und sogar an verschiedenen Straßenecken sogenannte Bußprediger die Menge durch unsinnige Schilderungen von einem Weltuntergang in starke Erregung brachten … Heute Nachmittag kam es an einzelnen Stellen der Stadt zu Plünderungen von Lebensmittelgeschäften … Die Polizei ist überall wieder vollkommen Herrin der Lage geworden. Die Regierung hat durch Plakate die Bevölkerung über den wahren Stand der Dinge aufgeklärt … Wie stets bisher, so wird auch diesmal die Annäherung der Kometen uns lediglich einen starken harmlosen Sternschnuppenschwarm bringen, also ein brillantes Feuerwerk, das uns das Weltall beschert.’
Es folgten weitere Nachrichten …
Niemand beachtete sie mehr …
Doch – seltsam war’s, dieser Radiodepesche, deren Zweck Beruhigung der Gemüter gewesen war, erzielte hier in den beiden Speisesälen des ‚Meteor’ das gerade Gegenteil …
Die Passagiere schauten sich gegenseitig bang forschend an …
Jeder erwartete von dem anderen, irgend eine Bemerkung zu hören, die den ‚Weltuntergang’ ins Lächerliche zog …
Seltsam – kein einziger wagte sich in dieser Weise zu äußern …
Niemand sprach ein Wort …
Alle starrten vor sich hin … In aller Augen war ein großes, stilles, dumpfes Bangen …
Emil Mudicke beugte sich ganz dicht zu Pastor Redlich hin, flüsterte heiser:
„Herr Pastor, nun weiß ich, was mich bedrückt! Wenn die Regierung schon durch Anschläge die Gemüter beruhigt, steht die Sache faul … Mit uns allen!“
Der Pastor hatte seine Hände im Schoße unwillkürlich gefaltet …
Und flüsterte zurück:
„Herr Mudicke, wir alle sind in Gottes Hand.“ –
Nach Tisch blieb an diesem Abend niemand mehr in den Gesellschaftsräumen …
Jeder zog sich in seine Kabine zurück …
Nur an Deck weilten ein paar Gruppen von Herren in leisem Gespräch beieinander …
Und in einer Ecke, des Promenadendecks der zweiten Klasse hielten sich zwei junge Menschenkinder eng umschlungen und küßten sich …
Hatten sich soeben ihre Liebe gestanden …
Rechtsanwalt Mickel und Klara Mudicke! –
Hans Mickel glaubte nicht an die Beschwichtigungsversuche der Regierung …
Er hatte Klärchen Mudicke von Herzen liebgewonnen und wollte noch vor der großen Schicksalsstunde, die vielleicht eintreten könnte, wenigstens noch dem Leben das Glück und die Seligkeit bräutlichen Sichfindens abgerungen haben …
Klärchen hatte es ihm leicht gemacht …
Sie küßte ihn ohne Scheu – ehrlich in ihren Empfindungen wie ihr schlichter Vater … –
Und weiter und weiter strebte der ‚Meteor’ der fernen Insel zu …
Christophoro …
Und hier auf Christophoro waren am selben Tage gegen elf Uhr vormittags die vier Flüchtlinge vom Kap Retorta mit dem Doppeldecker auf der Lichtung neben dem Wrack des U-Bootes gelandet …
Strahlender Sonnenschein hier … Vogelschwärme in der klaren Luft …
Nur Mafalda wußte hier Bescheid … Sie feierte ein ernstes Wiedersehen mit diesen steinigen Gestaden, mit diesen Riffen und Klippen, mit den im Winde sich wiegenden Dornenbüschen und Kakteen …
Arm in Arm mit Gußlar schritt sie auf die weite Öffnung im Felsboden zu … Hinter den beiden dann Dr. Baake und Maffas Mutter.
Standen dann an dem zackigen Loch, blickten hinab in die Tiefe …
In die unterirdische Welt … In König Matagumas verödetes Reich …
Baake maß mit den Augen die Weite der Öffnung … Er war der schweigsamste …
Er sann nur darüber nach, wie er die Gefährten mit aller Bestimmtheit retten könne …
Und sagte plötzlich zu Gußlar:
„Baron, wir müssen die Tragflächen des Doppeldeckers abmontieren … Wir müssen die Gondel mit dem Fahrgestell unbedingt durch dieses Felsloch hinab in die Höhle schaffen …“
Gußlar blickte ihn erstaunt an …
„Und – wozu, Herr Doktor?“ fragte er kopfschüttelnd …
„Weil wir selbst in den entferntesten Teilen der Riesengrotte vor der Einwirkung der ungeheuren Hitze der Kometenschweife nur dann sicher sein werden, wenn wir die kritische Zeit … unter Wasser zubringen …“
Er sprach langsam und bedächtig …
„Baron, schon unterwegs hierher kam mir diese Idee … Die Gondel des Doppeldeckers ist in allen Teilen wasserdicht. Türen, Fenster, – alles hat Gummistreifen zur Abdichtung … Man baut jetzt die Gondeln aus weiser Vorsicht wasserdicht … – Wenn es nun gelänge, die Gondel bis auf den unterirdischen Ozean zu bringen, von dem die Fürstin sprach, dann wird es uns auch glücken, an einer nicht zu tiefen Stelle des Ozeans diese Gondel zu versenken – mit uns als Insassen …“
Er sagte ‚mit uns’ …! Und er wußte doch genau, daß in der Gondel sich dann nur drei Menschen befinden würden …
Nur drei … Daß er … seine Schuld sühnen würde …
Sprach weiter:
„Und dort in der Gondel, Baron, dort unter dem Wasserspiegel des Ozeans im Erdinneren, der durch die Hitze kaum verdampfen wird, wie dies hier auf der Oberfläche mit den Weltmeeren der Fall sein muß, – dort werden wir die kritische Zeit abwarten …! – Baron, lassen Sie uns mit den Vorbereitungen nicht zögern …! Beginnen wir sofort! – – Sofort! Wir werden noch ungeheure Schwierigkeiten zu überwinden haben … Unsere Energien muß uns helfen … Für uns darf es kein Unmöglich geben … Auch die Fürstin mag uns beistehen … Frau Merten kann derweilen für unsere Mahlzeiten sorgen … Verschwinden müssen wir von hier – uns im Erdinneren verbergen, irgendwo in einer Bucht des unterirdischen Ozeans … – Bevor noch die Jacht ‚Star of Manhattan’ hier eintrifft … Sie kommt bestimmt … Sie wird vielleicht schon nachts hier erscheinen … Bis dahin müssen wir in Sicherheit sein … – Glauben Sie mir, Baron, meine Idee ist gut! Nur an uns wird es liegen, ob wir diese Idee in die Tat umsetzen können …!“
Gußlar reichte dem Doktor die Hand …
„Ans Werk also!!“
Und seine Stimme war fest und voller Tatkraft …
Dann eilten sie zu der von Dornen umhegten sandigen Lichtung …
Zurück zum Doppeldecker …
Holten die Werkzeugkästen ins Freie …
Arbeit für nur drei Menschen begann – schwere, mühsame Arbeit… Mitten im Sonnenbrand der Äquatorsonne, mitten in einem Glutmeer, das über dem Eiland brütetet und durch den Seewind kaum merklich gedämpft wurde …
Und doch kannten die drei keine Ermüdung …
Heiß war das Gestänge der Tragflächen – glühend heiß … Mafaldas zarte Hände bekamen Blasen … Dr. Baake verlor Ströme von Schweiß … Wenn er, der betagte Mann, sich einmal eine Arbeitspause gönnte, stand immer dasselbe traurige Bild vor seinen Augen: Gottlieb Knorz mit durchschossener Brust im Grase liegend – – sein Opfer – – durch einen Unglücksschuß – – sein erstes und einziges Opfer! – Noch nie hatte er Menschenblut vergossen – noch nie …! Achtundsechzig Jahre eines ereignisreichen und doch erfolglosen Lebens lagen hinter ihm – – achtundsechzig Jahre! Und jetzt – jetzt gerade hatte das Schicksal ihm diese Blutschuld aufgeladen …! Einen Mann hatte er getötet, der seinem Herrn Dezennien, ein halbes Jahrhundert, treu gedient, hatte …! – Er … kam nicht darüber hinweg – – er konnte dies unselige Mißgeschick nicht vergessen …
Und – griff wieder zum Schraubenschlüssel …
Arbeitete weiter … –
Gußlars Hände schwangen die schwere Axt …
Eisenstangen bogen sich, knickten ein … –
Frau Anna Merten hatte den großen Spirituskocher des Doppeldeckers zwischen die nahen Felsblöcke in den Schatten getragen … Hatte eine primitive Küche hergerichtet … Bereitete das Mittagessen …
Und nachmittags vier Uhr waren die Flügel des Riesenvogels abmontiert …
Mann ruhte aus … nahm die Mahlzeiten ein.
Die drei waren vollständig erschöpft …
Trotzdem – nur eine Stunde Erholung …
Ein Gerüst wurde über der Öffnung erbaut … Die beiden Flaschenzüge und Taue und Trossen in Ordnung gebracht …
Um acht Uhr schoben die drei die Gondel bis zum Gerüst …
Und als die letzten Sonnenstrahlen die Spitze der Riffe beleuchteten, senkte sich die Gondel allmählich hinab in die Tiefe – in die fremde, unterirdische Welt.
Dreißig Meter …
Berührte den Spiegel des stillen Sees …
Schwamm auf dem See König Matagumas …
Das Gerüst verschwand …
Die Tragflächen und gefällte Bäume wurden im Dickicht verborgen …
Durch den Schacht und über die Steintreppe stiegen die vier abwärts … zogen die schwimmende Gondel ans Seeufer …
Der Propeller sprang an …
Die Gondel glitt den Palästen zu …
Fahlgelbes Licht strahlten die Felswände aus …
Dr. von der Baake stand oben auf dem gewölbten Deck …
Staunend – wortlos staunend … Ergriffen von der eigenartigen Schönheit dieser Höhlenwelt, dieser Riesenpaläste, dieser in das Tal sich einschwiegenden toten Stadt …
Man landete an einer der Ufertreppen …
Mafaldas Gesicht war bleich geworden …
Die Erinnerung an das Einst überwältigte sie …
Dort Matagumas Königspalast …
Ob sie ihn wiedererkannte …! Dort unten in den Gewölben hatten die Kleinodien des Aztekenherrschers geruht … Dort unten hatte sie den Expräsidenten von Patalonia, den entthronten Machthaber der Mulattenrepublik, hinterlistig eingesperrt …
Don José Armaro …!!
Was – was mochte aus ihm geworden sein?! Auch er hatte ja in ihrem Leben eine so bedeutungsvolle Rolle gespielt … Auch er hatte den Goldschatz der Azoren besitzen wollen …
Und – war nun wie verschollen … War vielleicht noch immer ein Gefangener der Mönche des Klosters vom Heiligen Berge …
Eine unsichtbare Macht trieb sie nun die steile Marmortreppe zum Königspalaste empor … Allein … halb gegeben ihren Willen …
Der eine Flügel der kunstvoll geschmiedeten Tür stand weit offen …
Mafalda sah es von weitem …
Überquerte die Terrasse …
War dicht vor der Tür …
Starrte in das Dunkel der Halle.
Wich plötzlich zurück …
Ein hochgewachsener Mann mit langem ergrauten Vollbart und braunem frischen Gesicht war in der Tür erschienen …
In diesem ernsten Gesicht unter buschigen grauen Braunen ein paar leuchtende scharfe Adleraugen …
Der Mann selbst in einem Jagdanzug aus Leder, fast wie ein Trapper, eine Büchse über der Schulter, im Jagdgürtel Messer mit Lederscheide und Pistole im Futteral …
Etwas Schlichtes lag über der ganzen Erscheinung, etwas Biederes …
Offen der Blick, harte Falten um den energischen Mund …
Ein völlig Fremder war’s der Fürstin Sarratow …
Überrascht musterte sie ihn
Bis er an den verwitterten ledernen Schlapphut faßte und in deutscher Sprache fragte:
„Wer sind Sie? – Ich habe Sie und Ihre Gefährten beobachtet … Weshalb haben Sie die Flugzeuggondel hier in die Höhle hinabgelassen?!“
Mafalda erwiderte zögernd:
„Verzeihung – und wer sind Sie?! – Ihre Tracht deutet auf einen Jäger hin …“
Der hochgewachsene Mann verneigte sich voller Würde …
„Meinen Namen habe ich seit Jahren niemandem mehr genannt … Ich lebe unter Menschen, die nicht nach Namen fragen – in einer Einsamkeit, wie sie weltabgeschiedenener kaum sein kann …“
Mafalda merkte, daß der Fremde ihr seinen Namen nicht nennen wollte … Nicht deshalb, weil sie Mafalda Sarratow war, sondern weil seine Vergangenheit ihm vielleicht Vorsicht gebot …
Aber gerade weil er anderseits von seiner Einsamkeit gesprochen hatte, glaubte sie ihm gegenüber offen sein zu können …
Mit einem liebenswürdigen Lächeln erklärte sie nun:
„Ich heiße Mafalda Sarratow … Ich bin …“
Seltsames da …
Der Fremde trat zurück …
Sein Gesicht flammte auf …
„Ah – – die Fürstin Sarratow …!“ Seine Stimme war noch immer gedämpft … Und doch – Empörung, fast Haß lag in dieser Stimme …
„… Die Fürstin Sarratow …!! Und – die drei anderen?! – Rasch, nennen Sie mir die Namen … – Rasch!“
Das war ein Befehl …
Und gleichzeitig hatte er mit hartem Griff ihre Linke gepackt und sie in die dunkle Halle gezogen …
Mafalda war wie betäubt …
Nannte ohne nachzudenken die drei Namen …
Eine unbekannte Empfindung trieb sie dazu, ehrlich zu sein …
„Also offenbar keiner von den anderen Schurken,“ stieß der Fremde kurt hervor …
Dann … packt er abermals zu …
Ungeheure Kräfte besaß er … Preßte Mafalda an sich, daß ihr der Atem verging, trug sie davon …
Fand sich hier im Dunkeln gut zurecht …
Gelangte durch einen Ausgang ins Freie, in die stillen Straßen der Aztekenstadt …
Weiter hinweg – in die ferne Endlosigkeit der Riesengrotte …
Bis zu einer Nebenhöhle …
Hier lagerte ein jüngerer Mann neben drei Reitdromedaren …
Sprang empor …
„Vater, wen bringst du?“ rief er staunend …
„Einen Teufel von Weib, Junge … Ein Frauenzimmer, das nie mehr ein Gelüst nach dem Azorenschatz verspüren soll …! – Sattle die Tiere, Junge … Wir treten den Rückweg an …“
Und er ließ die halb ohnmächtige Fürstin zu Boden gleiten …
Die Milliardärsjacht ‚Star of Manhattan’ durchschnitt in schneller Fahrt die langen Wogen des Ozeans …
Neun Uhr abends war’s …
In ihrer geräumigen Kabine saßen Ozzeola, der Seminole, und Mantaxa, die letzte der Azteken, auf dem Wandsofa dicht nebeneinander – Hand in Hand.
Soeben hatte einer der Stewards für das Liebespaar, das sich so sehr der besonderen Gunst Randercilds erfreute, das Abendessen gebracht – mit einem diskreten Lächeln, in dem doch so etwas Neid lag …
Nun waren die beiden wieder allein …
Mantaxa spielte mit flinken Händen die kleine Hausfrau, stellte von dem Teebrett Teller, Schüsseln und Gläser auf den Tisch und ermunterte den Geliebten durch ein heiteres Lächeln zum Zulangen.
Ozzeola, Abkömmlingen der Häuptlinge eines kriegerischen Volkes, hatte sich bisher noch immer nicht so recht in diese neue Rolle hineingefunden, die ihm Josua Randercilds hier an Bord allmächtiger Wille zugeteilt …
Seine Zärtlichkeiten gegenüber diesem schlanken Mädchen, das von seiner Farbe war und das mit ihm äußerlich so vieles gemein hatte: wie den edlen Gesichtsschnitt, die dunklen melancholischen Augen –, waren scheu und ein wenig unbeholfen gewesen …
Jetzt, wo die erste gemeinsame Mahlzeit willkommene Ablenkung bot, gab er sich freier und ungezwungener …
Die Unterhaltung zwischen den Liebenden kam nicht mehr ins Stocken …
Merkwürdig genug, daß es diese kleinen Hausfrauenpflichten, die von der jungen Aztekin mit so viel natürlichem Liebreiz erledigt wurden, den intelligenten Seminolen, dem trotz seiner bescheidenen Stellung als Matrose ein gewisser Sinn für Vornehmheit nicht fehlte, in Mantaxa das ihm in freier Hingabe zugewiesene Eheweib erkennen ließen.
In harmloser, heiterer Vertraulichkeit plauderten sie jetzt über allerlei Dinge, die ihrem gemeinsamen Interesse am nächsten lagen …
Mantaxa erzählte von dem großen Sterben ihres unglücklichen Volkes – von König Matagumas freiwilligem Tod …
Vor dem regen Geiste Ozzeolas entrollte sich ein Drama, das weit tragischer war als der Niedergang seines eigenen kriegerischen Volkes …
Und dann begann er von den Erinnerungen seines Stammes zu berichten … Von den Wäldern und Sümpfen Floridas, in denen die Alligatoren Bäche und Flüsse unsicher gemacht hatten – von den Kämpfen mit den Weißen und diesem jahrelangen erbitterten Ringen um jeden Fußbreit Boden …
Völkerschicksale …
Und – Hand in Hand die beiden Vertreter der indianischen Rasse …
Jetzt sich plötzlich eins fühlend in Gedanken an das große Sterben der roten Völker …
Jetzt durch diese Erinnerungen zusammengeschmiedet – zwei Menschen, die nicht ahnten, daß ihre Nachkommen emporwachsen würden zu einem neuen Geschlecht von Erdenbewohner … –
Der Steward kam und holte das Teebrett … Grinste verstohlen …
Dann pochte es wieder, und Jusoa Randercild betrat die Kabine …
Der kleine Milliardär mit dem Bocksgesicht blieb nur wenige Minuten …
Gütig und herzlich waren seine Worte … Er hatte für Ozzeola Zigaretten und für Mantaxa allerlei Naschwerk mitgebracht …
„Genießt eure Liebe!“ – das war sein Gutenachtgruß … – Etwas wehmütig hatte es geklungen … Denn Jusoa Randercild fühlte sich jetzt, wo das Ende aller Dinge drohte, plötzlich so unendlich einsam … Er, der Junggeselle, der nie Zeit gehabt, sich um Frauen und Liebe zu kümmern, – er begann zu begreifen, was dem Manne eine Lebensgefährtin bedeutete und was der wahre Sinn ehrlicher Gemeinschaft bedeutete … –
Nun waren sie allein, die Liebenden, ganz allein.
Eng umschlungen standen sie am runden Kabinenfenster und blickten über das im Mondschein silbern schimmernde Meer hinweg …
Der klare ausgestirnte Nachthimmel grüßte sie mit dem freundlichen Blinken seiner unzähligen Lämpchen.
Ozzeola küßte die Geliebte …
Immer wieder …
Und Mantaxa, das ehrliche und unverdorbene Naturkind schmiegte sich in heißem Begehren an ihn …
Heiß die Lippen – Heiß die Sinne …
Dann erlosch das Licht in verschwiegenen Brautgemach … – –
Im Vorschiff aber, im großen Mannschaftsspeiseraum, stand Steuermann John Patterson an einem Ende des langen Tisches und sprach zu zwanzig jungen kräftigen Burschen von der Weltkatastrophe …
Mut hatte er sich vorher angetrunken … Die Zunge und das Hirn hatte er sich geschmeidig gemacht …
„Klarheit wollen wir haben, Boys – – Klarheit! Randercild soll mit der Wahrheit herausrücken! Verdammt – wir haben doch wohl ein Recht darauf zu erfahren, ob’s wirklich mit uns allen zu Ende gehen soll …!“
Und die jungen gebräunten Gesichter an der langen Tafel wurden erregter …
Angst begann in den Augen zu flackern … Angst vor dem angeblich unausbleiblichen Verhängnis …
„Denn – falls es wahr ist, Boys!“ rief Patterson nun, „– falls wir alle in kurzem zu Asche zerfallen sollen, wie Mac Lean mir dies geschildert hat, dann – dann wollen wir diese letzten Tage noch leben – – leben, Boys …!! Randercilds Weinkammer ist gut gefüllt … Den Teufel was schert er sich um alle Alkoholgesetze …! – Boys, wer kommt mit zu ihm? Wer begleitet mich …? – Wählt drei aus eurer Mitte, Boys, – verstanden?! Drei!! Und – macht fix …!! Sonst geht Josua Randercild zu Bett … Jetzt sitzt er im Salon mit Dr. Bucley und … füllt sich die nötige Bettschwere ein …!“ –
Es war so …
In einem lauschigen Winkel des Jachtsalons lagen Randercild und sein Leibarzt in weichen Klubsesseln …
Die Beine weit von sich gestreckt …
Vor sich auf dem Tischchen blinkten Sektkelche …
Neben sich die Sektkühler mit den dicken Flaschen in knisternden Eisstücken …
„Bucley,“ sagte Randercild wehmütig – ernst, „der Himmel allein weiß, ob wir nach acht Tagen noch leben werden … Nein – was rede ich! Nach vier Tagen und anderthalb Stunden … Dann wird sich alles entscheiden … alles …“
Er wandte den Kopf …
Ein Steward war eingetreten …
„Mr. Randercild, eine Deputation der Besatzung möchte Sie sprechen …“
Der kleine Milliardär setzte sich mit einem Ruck kerzengerade aufrecht …
„He – was wollen Sie denn?!“ Ihm war unbehaglich …
„Weiß ich nicht, Mr. Randercild … Steuermann Patterson ist Führer und Sprecher … Ich darf die Leute wohl vorlassen …“
In Ton und Haltung des bisher stets bescheidenen Stewards war eine gewisse höhnische Unverschämtheit.
„Machen Sie Licht!“ befahl Randercild … „Alle Lampen …! – – So, und nun rein mit den Kerls … Bin neugierig …“
Er log. Er war gar nicht neugierig … Er wußte genau, was sie wollten – ganz genau …
Und Patterson und die drei Matrosen kamen breitspurig heran …
Pflanzten sich vor dem Tische auf …
Pattersons Bulldoggengesicht strahlte den reichlich genossenen Whisky in bläulicher Röte aus …
Bevor er noch das Maul aufmachen konnte, sagte Randercild eisig:
„Sie sind besoffen, Patterson …! Schämen Sie sich! Sie schwanken ja …! – Treten Sie zurück …! – Was wollt ihr?“ wandte er sich an die Matrosen …
Die jungen Burschen stand verlegen da …
Bis der eine dann herausplatzte:
„Mr. Randercild, wir kommen im Auftrag der ganzen Besatzung … Es soll ein großes Sterben auf Erden geben … Und darüber wollen wir genau Bescheid wissen, Mr. Randercild …“
Der Milliardär nickte bedächtig …
„Ihr wollt also die Wahrheit hören?“
„Ja, Mr. Randercild …“
Und John Patterson grunzte noch hinzu:
„Die volle Wahrheit …!!“
„Und – wenn ihr sie erfahren habt, – was dann?!“ Randercild erhob sich aus dem Sessel … Seine kleine Gestalt reckte sich …
Die Deputation schwieg und stierte auf den Teppich.
„Also, – – was dann?!“ wiederholte Randercild seine Frage …
John Patterson gab sich innerlich einen Stoß …
„Dann – dann … wollen wir auch mal Sekt saufen, Mr. Randercild!“ rief er frechsten Tones … „Dann hätte es keinen Zweck mehr, daß wir nur zu gehorchen und Sie nur zu befehlen haben …!“
„Ach so …!!“ machte Randercild ironisch … „Mithin – – Meuterei …!!“
Und er ging zu einem Wandschrank, öffnete ihn …
Da hingen Jagdbüchsen, aber auch Karabiner und Browningpistolen – alles sauber geordnet …
Randercild nahm zwei der schwarzen Pistolen heraus – in jeder Hand eine …
Und kehrte zur behaglichen Ecke zurück …
Gab die eine Pistole Dr. Bucley …
Des kleinen Milliardärs Gesicht war Stein geworden.
„Doktor – an die Tür!“ befahl er …
Bucley gehorchte …
Patterson und die drei Matrosen wurden verdammt blaß um die Nasen …
Randercild stand vor ihnen, spannte die Waffe und meinte:
„Ihr wollt Sekt saufen – – gut …! Kann ich verstehen …!“
Sein Gesichtsausdruck glich jetzt völlig dem jenes gefürchteten Börsenmachthabers Josua Randercild, der den ganzen Geldumlauf der Sternenbanner-Republik in Stocken bringen konnte, wenn ihm gerade danach zumute war …
„Ihr sollt Sekt haben!“ fuhr er fort … „Doktor, läuten Sie dem Steward …“
Der war im Moment zur Stelle, weil er draußen an der Tür gelauscht hatte …
„Bringen Sie zwölf Flaschen Sekt, James!“ befahl Randercild. „Aber etwas fix, alter Freund … Die Deputation hat Durst …“
James sah die Pistolen, sah eines Herrn Gesicht und war wie ein geölte Blitz wieder zur Tür hinaus …
War in vier Minuten mit dem Flaschenkorbe zurück.
„James, vier von den großen Pokalen …,“ sagte Randercild kurz …
Die Pokale wurden gefüllt, in jeden gingen zwei Flaschen Sekt hinein …
„So – nun trinkt Boys!“ meinte der kleine Milliardär plötzlich äußerst gemütlich. „Mag es euch schmecken … Es ist mein bester Sekt … Etwa schwer, das Zeug … – Aber – wer von euch vier Meuterern den Pokal von den Lippen absetzt, bevor er ihn geleert hat, den knalle ich nieder, so war ich Josua Randercild heiße …!“
Und – – die vier tranken …
Mußten trinken …
Ohne abzusetzen …
Die Augen quollen ihnen aus den Höhlen …
Aber vor ihnen drohte die Pistolenmündung …
Und – sie schafften’s wirklich …
Stellten mit blödem Grinsen die Pokale auf den Tisch zurück …
Und – sahen mit Grauen, die James auf des Herrn Geheiß in jeden Pokal noch eine Sektflasche entleerte …
Mußten abermals trinken …
Ihre Gesichter liefen blaurot an … Ihre Blicke wurden gläsern und stier …
Patterson schwankte hin und her …
Und – schlug plötzlich wie ein Klotz um …
Blieb auf dem Teppich liegen …
Sektleiche …
Die drei Matrosen hielten sich noch fünf Minuten auf den Beinen …
Standen und glotzten hilflos hierhin und dorthin …
Bis auch sie zu taumeln begannen …
„James – schiebe ihnen Sessel hin!“ rief Randercild.
Die drei sanken hinein …
Schlossen die Augen …
Betrunken bis zur Bewußtlustlosigkeit …
„Doktor, begleiten Sie mich,“ sagte der kleine Meck-Meck schmunzelnd. „Nun wollen wir der übrigen Bande Vernunft beibringen … Wird nicht schwer werden …“
Sie gingen über das Deck zum Vorschiff. Die Pistolen hatten sie in die Jackentasche geschoben.
Im Speisraum saß noch die Gesellschaft komplett beieinander …
Als Randercild und Bucley eintraten, gab’s auch hier verdammt verlegene Gesichter …
„’n Abend, Leute …,“ grüßte Randercild und stellte sich an das Kopfende des Tisches. „Ihr habt da eine kleine Meuterei inszenieren wollen … Patterson und seine drei Begleiter haben mir eure Wünsche vorgetragen … Ich war euch allzeit ein anständiger Brotherr … Allzeit … Ich habe auch den Wunsch der Deputation erfüllt … Sie wollten mal Sekt trinken … Nun – haben sie getan … Ist ihnen schlecht bekommen … Sind … besoffen, die vier … – Vorwärts – ihr folgt mir in den Salon … Ihr sollt die vier sehen …“
Und sie gehorchten wie die Lämmer …
Wie geprügelte Hunde … Das Wort ‚Meuterei’ hatte sehr abkühlend auf sie gewirkt …
Standen nun im strahlend hellen Salon …
Da Patterson auf dem Teppich …
Hatte den Sekt und den Whisky wieder von sich gegeben … Lag in stinkendem Schmutz …
Und in den drei Sesseln die drei anderen …
Kläglich, widerwärtig …
„Nun seht ihr’s, Leute …!“ sagte Randercild … „Nun könnt ihr euch ausmalen, wie ihr alle euch zurichten würdet, wenn ihr über meine Weinvorräte als Meuterer euch hermachtet! – Und nun auch die Hauptsache, Boys! Es stimmt – die Erde wird entvölkert werden … In der Nacht vom ersten zum zweiten Oktober wird unser Planet die glühenden Schweife zweier Kometen passieren … Alles, was auf Erden lebt, wird in Asche zerfallen … Nur eins kann uns retten, die Höhle auf Christophoro und – eiserne Disziplin! Ich will euch retten … Ich werde alles tun, was ich kann, damit wir der Katastrophe entgegen … Aber wie gesagt: Disziplin!! Mit Betrunkenen kann ich nichts anfangen?! – – So – jetzt entscheidet euch: Meuterei oder Gehorsam?! Meuterei – oder sicherer Tod?!“
Blasse Gesichter …
Verlegene Blicke …
Bis einer vortrat und erklärte:
„Mr. Randercild, wir sind kuriert …“ – Der Mann stotterte … Vor Aufregung und Angst … „Mr. Randercild, Sie haben recht! Wenn wir auf Patterson gehört hätten, wäre unsere Jacht ein Irrenhaus geworden …!“
„Na also!“ nickte Randercild „dann sind wir ja einig, Leute … Und nun geht beruhig wieder von dannen … Ich werde euch retten …! – Geht –nehmt die vier Sektleichen mit …!“
Und zur James:
„Säubern Sie den Teppich … – Gute Nacht … Morgen um sechs Uhr werden wir am Ziel sein … Dann reden wir weiter …“
Er drückte Bucley die Hand und schritt in seine Gemächer hinüber …
Die Boys aber nahmen die vier Trunkenen und trugen sie in den Speiseraum, wo Steuermann Patterson dann sehr unsanft durch dicke Tauenden leidlich ermuntert wurde … Sein Gesäß war noch tagelang gebrauchsunfähig …
So endete die Meuterei an Bord des ‚Star of Manhattan’, bevor sie noch recht begonnen hatte … –
Morgens kurz nach sechs kamen die drei Robigas-Eilande in Sicht, deren westliches Christophoro war.
Randercild stand neben dem Kapitän und dem innerlich und äußerlich zermürbten Patterson auf der Kommandobrücke …
Und Randercild tat Patterson gegenüber ganz so, als ob abends durchaus nichts Besonderes geschehen sei …
Die Jacht warf unweit der Brandung und unweit der einzigen Stelle, wo die Riffkränze eine Landung ermöglichten, Anker und setzte die Pinasse aus …
Randercild hatte bereits alles Nötige vorher angeordnet … Es sollte zunächst der Proviant auf die Insel geschafft werden, dann all die anderen Dinge, die Randercild auf einer endlosem Liste zusammengestellt hatte.
Der Pinasse folgten die Barkasse und die beiden großen Boote …
Stundenlang herrschte nun ein eifriger Verkehr von der Jacht zum Eiland – hin und her – hin und her …
Randercild selbst war mit Dr. Bucley sofort hinübergefahren … Einer der Matrosen entdeckte dann im Gestrüpp die abmontierten Tragflächen des Doppeldeckers … Randercild wieder hatte an den Spuren im Sande gemerkt, daß hier inzwischen Leute gelandet waren, die allem Anschein nach gleichfalls unten in das unendliche Gebiet der Riesenhöhlen eingedrungen waren. Und diese Leute – das sagten Randercild die abmontierten Tragflächen – konnten nur der Baron Gußlar und seine drei Begleiter gewesen sein … –
Randercild und der Doktor begaben sie nun in die Riesenhöhle hinab, indem sie den Schacht und die Steintreppe benutzten. Sie fanden Mantaxas altertümliches Boot am Gestade des Königssees und ruderten nach den Palästen, trafen hier jedoch keine Menschenseele an …
Auch die verödete Aztekenstadt und die hinter dieser liegenden Höhlengebiete durchstreiften sie, ohne jemanden zu begegnen.
Nur etwas fanden sie. An sandigen Stellen des Höhlenbodens die Eindrücke von Rädern – ganz frisch noch …
Randercild sah sofort, daß hier die Gondel des Doppeldeckers entlanggefahren worden war. Diese Räderspuren verliefen in der Richtung, wo es durch ziemlich steile Seitenhöhlen zum unterirdischen Ozean hinabging …
„Doktor,“ meinte der Milliardär, „wir werden Gesellschaft antreffen – dort am Gestade des Höhlenmeeres – den Baron, Mafalda und die beiden alten Leutchen, den Doktor van der Baake und Mafaldas Mutter … Und es ist gut so … Baake wird uns mit Rat beistehen …“
Noch etwas fanden sie. Am Eingang einer kleineren Nebengrotte frischen Kameldünger!
Unzweifelhaft Kameldünger …
Randercild schüttelte hierüber lange den Kopf …
„Bucley, begreifen Sie das?! Woher –? Wie kommen Kamele hierher?! – Und – hier eine Feuerstelle … Hier alle Anzeichen dafür, daß hier Leute gelagert haben … Mehrere Tiere waren’s … Hier auch Spuren … Hallo – – das sind Damenfüßlein gewesen …! Und – dies Männerstiefel – – anständige Fußnummer! – – Doktor, was …“
Er hatte mit seiner Karbidlaterne einen Stein beleuchtet …
Unter dem Stein lag ein weißer Zettel …
Hob ihn auf … War ein Blatt aus einem Notizbüchlein …
Der Doktor las laut vor, was mit Bleistift darauf gekritzelt war:
„Werner, zwei fremde Männer in Jägertracht entführten mich … Haben drei Dromedare bei sich … Ich weiß nicht, wer die Leute sind … Sie sprechen deutsch … – Volge uns nicht … Rette dich!! Du würdest die Dromedare doch niemals einholen … Warte die kritische Stunde ab … Dann erst suche mich … Ich bin dein – in Leben und im Tode … –
Mafalda“
Randercild stand dicht neben Bucley …
„Verdammt, – – die Fürstin entführt …! Drei Dromedare …! Bucley, ich wette, daß diese beiden Männer in Jägertracht von weit her gekommen sind – Aber – von der Erdoberfläche, Bucley? Ich wette auch, daß diese Aztekenhöhle Verbindung mit einem Erbteil hat, wo es Dromedare gibt! Und da wäre das nächste … Nordafrika!“
Der Doktor nickte …
„Mag stimmen, Mr. Randercild … Hier unten muß man sich gegenüber nichts mehr wundern – über gar nichts! Das Unmöglichste wird hier zur Tatsache.“
Er hielt den Zettel noch in der Linken vor der Brust …
Eine Hand langte plötzlich über seine Schulter …
Entriß ihm das Blatt …
Und jemand sagte ruhig:
„Verzeihen Sie, der Zettel ist für mich bestimmt!“
Randercild und der Doktor schnellten herum …
Vor ihnen stand Baron Werner von Gußlar …
Verbeugte sich … Erklärte ernst und traurig:
„Ich suche die Fürstin seit gestern, meine Herren … Sie verschwand ganz plötzlich, nachdem sie allein den Königspalast Matagumas betreten hatte …“
Randercild streckte ihm die Hand hin …
„Baron, ich habe nun von den Sphinxleuten erfahren, daß Sie trotz allem ein Ehrenmann sind … Ich freue mich, Sie hier wieder begrüßen zu können.“
Gußlar verneigte sich nur …
Las den Zettel …
Las immer wieder …
Sein schmales Gesicht sah müde und übernächtigt aus …
Randercild legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Baron, die Fürstin wird die Katastrophe überstehen … Die Männer, die sie entführten, können nur durch einen unterirdischen Verbindungsweg von Nordafrika hierher gelangt sein … Die Fürstin wird die Männer warnen, und diese werden die Unterwelt nicht verlassen, bevor nicht der kritische Zeitpunkt vorüber ist.“
Gußlar erwiderte nur:
„Wenn ich Mafalda lebend nicht wiederfinde, ist mein Dasein wertlos … – Mr. Randercild, ich nehme an, daß auch Sie das der Welt drohende Unheil hier in der Aztekenhöhle abwarten wollen … Meine Gefährten weilen bereits am Gestade des unterirdischen Ozeans …“
Auch hier zeigte sich Gußlar wieder als Mann.
Fügt hinzu:
„Handeln wir gemeinsam, Mr. Randercild … Dr. van der Baake meint, daß man mit Sicherheit der zu erwartenden enormen Hitze nur dann entgehen kann, wenn man unter Wasser die gefährlichste Stunde zubringt … Wir haben daher die Gondel des Doppeldeckers zum Gestade des Ozeans geschafft und beabsichtigen, in der Gondel unter der Oberfläche des Wassers eine volle Stunde auszuharren …“
„Ein guter Gedanke, Baron … Ein Gedanke, der auch uns nützen wird … Die Pinasse meiner Yacht ist groß genug für mich und meine Leute und läßt sich unschwer abdichten … Wir werden die Pinasse gleichfalls bis an den Ozean schaffen … – Kommen Sie, Baron … Wir sind Kameraden geworden … Und wir wollen als Männer weiter dafür sorgen, daß wir die Katastrophe überleben …“
Gemeinsam schritten sie davon …
Der verlassenen Aztekenstadt zu …
Abends gegen neun Uhr, als gerade das Abendbrot in wundervoller Farbenpracht am Himmel verglühte, näherte sich der Touristendampfer ‚Meteor’ den Robigas-Inseln …
Man saß gerade bei Tisch – und die Stimmung war noch genau so gedrückt wie bisher, – als die Nachricht sich verbreitete, daß das Eiland Christophoro in Sicht sei …
Alles eilte an Deck …
Niemand hatte mehr Interesse für die letzten Gänge des Soupers. Niemand hatte auch wieder Verlangen gespürt, die beiden Kapellen anzuhören …
Jetzt bog er ‚Meteor’ um die Nordspitze der Insel.
Da – ein allgemeines Staunen …
„Ein Schiff – – ein Schiff …!!“
Und wirklich – unweit der nordwestlichen Klippen schaukelte eine blendend weiße große Privatjacht in der trägen Mündungen langsam vor ihren Ankern …
Das Staunen wuchs …
Zahllose Ferngläser richteten sich auf Jacht …
„Merkwürdig!“ meinte Emil Mudicke zu Pastor Redlich … „Auch nicht eine einzige Menschenseele ist drüben an Deck … Wie ausgestorben ist das prächtige Schiff …!“
Der ‚Meteor’ rückte der Jacht näher und näher.
Auch auf der Kommandobrücke des ‚Meteor’ waren der Kapitän und der Erste Offizier inzwischen stutzig geworden …
Bald konnte man auch den Namen der Jacht entziffern:
Star of Manhattan
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich’s unter den Touristen, daß das fremde elegante Schiff dem Milliardär Randercild gehöre, der ja auch die ganze Insel Christophoro von der Republik Patalonia gekauft hatte …
Desto verwunderter war man, daß das Deck der Jacht noch immer leer blieb, obwohl die Sirene des ‚Meteor’ immer wieder ihre heulenden Töne über die See schickte …
Der dicke Kapitän sagte auf der Kommandobrücke zu dem Ersten Offizier:
„Westra, die Geschichte gefällt mir nicht …! Auf der Jacht muß etwas passiert sein – unbedingt! – Lassen Sie ein Boot klarmachen … Fahren Sie hinüber …“
Und gerade da war’s, daß der Funkentelegraphist des ‚Meteor’ auf der Brücke erschien und erregt meldete:
„Kapitän, soeben neue Radiodepesche des Berliner Telegraphenbüros aufgefangen … Amerikanische Astronomen der Sternwarte San Franzisko haben den neuen Kometen wieder im Sternbilde des Perseus entdeckt … Der Komet nähert sich der Erdbahn … Nach den Berechnungen der Amerikaner wird die Erde am ersten Oktober nach elf Uhr achtundvierzig Minuten und sechsunddreißig Sekunden die Schweifte der beiden sich begegnenden Kometen durchqueren und die Folge wird eine Riesenfeuersbrunst sein …“
Höxter fuhr den Funker unwirsch an … „Lassen Sie mich mit dem Unsinn in Ruhe …! Diese Depesche verheimlichen Sie auf jeden Fall …!“
Der Telegraphist blieb stehen, sagte noch erregter:
„Kapitän, in Berlin finden Plünderungen in größerem Umfange statt … Das Volk glaubt nicht mehr an die Beschwichtigungsversuche der Regierung … Und …“
Höxter winkte ab …
„Auch das wird den Passagieren vorenthalten …! Die Stimmung an Bord ist ohnedies schon wie bei einem Begräbnis …!“ –
Und zu dem Ersten Offizier:
„Also vorwärts, Westra, – hinüber zum ‚Star of Manhattan’ …! Wir müssen Gewißheit haben … Ich ahne, daß diese Leichenruhe auf der Jacht mit diesem verfl… Kometen ebenfalls irgendwie zusammenhängt …“
Westras Signalpfeife schrillte …
Er eilte von der Brücke an Deck …
Langsamer folgte ihm der Telegraphist … Er hatte jetzt Freizeit … war soeben abgelöst worden.
Und auf dem Weg zum Vorschiff hielt Rechtsanwalt Mickel ihn an …
„Einen Augenblick, Herr Schönke …“
Der Funker wollte weiter …
„Habe keine Zeit – Entschuldigen Sie …“
Aber Hans Mickel hielt ihn fest …
„Sie müssen Zeit für mich haben, Herr Schönke … Was andere nicht sahen, habe ich soeben beobachtet … Sie meldeten dem Kapitän etwas Wichtiges … Haben Sie neue Depeschen über die beiden Kometen aufgefangen?“
Schönke verneinte kurz …
„Lassen Sie mich gehen, Herr Rechtsanwalt!“ Und er riß sich förmlich los …
„Oh – – ich weiß dann genug!“ flüsterte Mickel.
Und seine Augen suchten Klara Mudicke, die zehn Schritt weiter an der Reling stand und sich bereits wiederholt nach ihm umgeschaut hatte …
Rasch schritt er auf sie zu …
„Hans, ein Boot fährt zur Jacht hinüber …!“
Dann bemerkte sie den toternsten Ausdruck in seinem frischen, hübschen Gesicht …
„Hans, – – mein Gott, – – was ist geschehen?“
Und er – – ganz leise: „Ich weiß es nicht … Der Funker rückt nicht mit der Sprache heraus … Sonst ist Schönke so überaus liebenswürdig … Heute wie verwandelt … Ich … ich fürchte, er hat neue Nachrichten über die Kometengefahr empfangen … Aber – er soll wahrscheinlich schweigen … Man läßt uns absichtlich im unklaren … – Klärchen …“ – und seine Stimme wurde energischer – „sollte es sich bestätigen, daß die Erde einer Katastrophe entgegeneilt, dann … dann lassen wir uns von Pastor Redlich trauen … Du sollst als … meine Frau mit mir zusammen … sterben … – Als mein Weib, Klärchen …! – Ich werde den Kapitän zwingen, die Depeschen bekannt zu geben …!!“
Und er drückte ihr die Hand und eilte der Kommandobrücke zu …
Klara Mudicke blickte ihm nach … In ihren Augen war nichts von Angst – nur Zärtlichkeit …
Sie konnte – konnte nicht an ein solches Weltenunglück glauben … Mit ihren zwanzig Jahren erschien ihr Tod und Sterben als etwas Unfaßbares – Unmögliches …
Und noch besonders jetzt, wo ihr junges Herz in heimlichem bräutlichem Glück so selig pochte und die Zukunft ihr Bilder köstlicher Freuden zeigte …!
Nein – es war ja unmöglich, daß etwas derartiges sich ereignen könnte – ganz unmöglich …! –
Indessen war Hans Mickel trotz des strengen Verbots, das den Passagieren das Betreten der Brücke untersagte, dort nach oben gestiegen – die mit Gummi beläuferte Treppe empor …
Stand plötzlich vor Höxter …
„Kapitän, ich verlange die Wahrheit zu wissen,“ sagte er halblaut und doch scharfen Tones … „Der Funker Schönke verweigerte mir die Antwort … Von Ihnen muß ich erfahren, was für Nachrichten Sie erhalten haben … Ich ahne, daß es sich um die Kometen und die Weltkatastrophe handelt … Bedenken Sie, daß …“
Der dicke Höxter unterbrach ihn schroff …
„Herr Rechtsanwalt, ich ersuchte Sie, die Brücke zu verlassen … Wenn mein Schiff vor Anker liegt, werde ich Ihnen Rede und Antwort stehen … Jetzt habe ich keine Zeit …“
Und er wandte sich um und hoffte so den flotten Berliner loszuwerden …
Irrte sich sehr …
Hans Mickel trat zwei Schritte vor …
„Kapitän, wünschen Sie vielleicht, daß ich die Passagiere zusammenrufe und in einer Versammlung …“
Da fauchte Höxter ihn grimmig an …
„Herr, sind Sie des Teufels?! Wollen Sie alle diese Menschen vor Angst und Entsetzen irrsinnig machen?! – Herr, Sie sind doch ein heller Kopf, können die Folgen überschauen …! Also, es sind neue Meldungen eingetroffen …! Die Katastrophe ist in drei Tagen zu erwarten – auch nach den Berechnungen amerikanischer Astronomen … In Berlin ist der Satan los … Man plündert …!! – Genügt Ihnen das?! Können Sie sich nun ausmalen, was hier geschehen wird, wenn ich nicht mit eiserner Energie weiterlüge und …“
Mickel nickte rasch …
„Ja … Sie haben recht, Kapitän … Entschuldigen Sie … Sie überschauen die Dinge besser als ich …“
Er streckte ihm die Hand hin …
„Kapitän, Sie … können auf mich rechnen … Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann …“
„Vielleicht ja, Herr Rechtsanwalt … – Gehen Sie nun … Wir haben noch drei Tage Zeit … In diesen drei Tagen wird vielleicht alles widerrufen – – vielleicht …“
Hans Michel verließ die Brücke …
Und unten an Deck hielt ihn die Geheime Rätin von Saalehn an …
Die feine, zierliche alte Dame zog ihn beiseite …
„Herr Rechtsanwalt, auch ich habe die Szene zwischen Ihnen und dem Funker beobachtet … Dann eilten Sie auf die Brücke … – Was ist geschehen? – Bitte – keine Ausflüchte – nicht mir gegenüber … Mit sechzig Jahren nimmt man vieles nicht mehr so tragisch.“
Mickel zögerte …
Dann aber dachte er, daß es vielleicht nützlich wäre, wenn er hier unter den Passagieren der Ersten Kajüte eine Vertraute hätte …
Die Geheimrätin gab hier den Ton an … Diese feingeistige, vornehme Frau besaß Einfluß …
Und so flüsterte er ihr denn hastig zu, was er soeben von Höxter bestätigt erhalten … Und schloß mit den Worten:
„Des Kapitäns Auffassung von der Sachlage kann ich nur teilen, gnädige Frau … Wir haben hier unter den Passagieren beider Kajüten eine ganze Anzahl von Elementen, die durchaus unzuverlässig sind und bei denen die niedrigsten Instinkte jäh zum Durchbruch kommen würden … – Es wäre gut, gnädige Frau, wenn wir in aller Stille mit Höxter und den Schiffsoffizieren und mit noch einigen Herren, denen man Vertrauen schenken darf, beraten würden … Irgend etwas muß doch geschehen … Wir können doch unmöglich tatenlos den Eintritt der Weltkatastrophe abwarten …“
Frau von Saalehn war ganz seine Ansicht …
„Zunächst, Herr Rechtsanwalt, müssen wir genau feststellen, welche Wirkungen dieser Durchgang der Erde durch die Kometenschweife haben kann … Der Kapitän muß uns die Depeschen vorlegen, aus deren Wortlaut sich dann vielleicht schon so manches entnehmen läßt … – Wir wollen hier jedoch nicht länger miteinander flüstern … Das könnte auffallen … Alles muß von uns vermieden werden, was die ohnedies schon beunruhigten und verängstigt Gemüter noch mehr erregen könnte … Auf Wiedersehen, Herr Rechtsanwalt …“
Mickel begab sich auf das Promenadendeck der Zweiten Klasse zurück … Klara Mudicke kam ihm entgegengeeilt … Ein Teil der Fahrgäste hatte jetzt doch wieder den Speisesaal aufgesucht, da ihnen die menschenleere Milliardärsjacht mit der Zeit langweilig geworden …
„Hans, was hast du erreicht?“ fragte das frische, natürliche Mädel mit strahlenden Augen, in denen alles andere nur nicht bange Todesfurcht leuchtete …
„Nicht viel, mein Schatz …“ Und um sie abzuwenden, zeigte er auf die Jacht …
„Da – das Boot kehrt zurück … Der ‚Star of Manhattan’ scheint wirklich von der Besatzung verlassen worden zu sein …“
Aber das blonde Klärchen ließ sich so leicht nicht abfertigen …
„Hans,– also was hast du ausgerichtet?“ forschte sie wieder … „Hat der Kapitän dir jede Antwort verweigert …?“
Der Rechtsanwalt blickte jetzt sein heimliches Bräutchen ernst an …
Um sie her war kein Lauscher …
„Klara,“ sagte er fest, „du wirst dich zu beherrschen wissen … Ich will dich nicht belügen … Du mußt aber vorläufig unbedingt schweigen …“
Und dann erzählte er …
Betonte dabei, daß durchaus noch nicht feststände, in welcher Weise sich die Begegnung der Erde mit den beiden Kometenschweifen auswirken würde …
„Nur eins ist wohl sicher – die Katastrophe droht!!“
Ende des fünften Bandes.
Anmerkung: