„Welchen Umfang die drohende Katastrophe haben wird, läßt sich bisher nicht einmal vermuten,“ fuhr Rechtsanwalt Mickel zu Klara Mudicke gewandt fort. „Dazu müßte man erst den Wortlaut der letzten Depeschen kennen … – Ich habe mich nun entschlossen, deine Eltern und Pastor Redlich mit ins Vertrauen zu ziehen … Und auch wir beide werden unsere Verlobung nicht länger geheimhalten … – Komm, mein Schatz, – dort stehen die Deinen mit dem freundlichen Pfarrer zusammen … Benutzen wir sofort die Gelegenheit zu verschwiegener Aussprache … Das Promenadendeck leert sich immer mehr …“
Nun – ganz wie Hans Mickel vorausgesehen, selbst Frau Emilie Mudicke nahm die bedrohlichen Neuigkeiten über die Kometen mit außerordentlicher Fassung auf …
Die korpulente, schlichte Frau, die ihrem Manne im harten Daseinskampf der ersten Jahre ihrer Ehe eine fleißige, treue und aufmunternde Stütze gewesen, meinte nur in ihrer einfachen Logik:
„Es müßte keinen Gott im Himmel geben, wenn’s geschehen sollte, daß etwa die Erde und alles auf dieser Erde verbrennen sollte! – Ich habe nie zu denen gehört, die den Gottesglauben in dieser bösen Zeit von sich geworfen haben … Aber wenn wirklich der ganzen Menschheit in dieser Weise der Tod droht, dann – dann, Herr Pastor, muß man ja an einem allgütigem allmächtigem Gott zweifeln …“
Pastor Redlich blickte gen Westen, wo die Abendröte ein kleines Wolkengebilde zu einem Wunderwerk feinster Farbenabtönung verwandelte …
„Liebe Frau Mudicke,“ erwiderte er der Bäckermeistersgattin, „wir Menschen haben kein Recht, an Gottes Wegen Kritik zu üben … Wenn wir uns so zu dem Allmächtigen stellen, daß wir nicht mehr mit blindem Kinderglauben in unserer Seele die Wohltat eines gläubigen Gemüts hinnehmen können, dann … haben wir Gott in uns bereits getötet … Alles, was er uns schickt an Gutem und Schlimmem, – all das werden wir in seinen Ursachen und Wirkungen nie begreifen …“
Und Meister Mudicke nickte dazu …
„Stimmt …! Gott weiß schon, was er tut …! Gott wird auch jetzt seine schützende Hand über uns halten, Emilie …“
Und dann zu Mickel – in anderem Tone …
„Na, Herr Rechtsanwalt, – mir scheint’s, als ob Sie noch was zu sagen haben … Mir scheint, zwischen Ihnen und Klärchen ist so gewissermaßen was vorgefallen …“ –
Ernster und stiller ist wohl selten ein Brautpaar beglückwünscht worden als dieses hier …
Die ganzen Umstände ließen keine fröhliche Stimmung aufkommen.
Aber überaus herzlich und innig begrüßten die beiden Eltern Mudicke den Schwiegersohn, und genauso herzlich klang Pastor Redliches Segenswunsch …
Mit einem Male tauchte dann vor der kleinen Gruppe der Erste Offizier des ‚Meteor’ auf …
Grüßte …
„Verzeihung, Herr Rechtsanwalt, – hätten Sie einen Augenblick Zeit für Kapitän Höxter …? – Er wollte in einer juristischen Frage Ihre freundliche Sachkenntnis in Anspruch nehmen …“
Mickel wußte sofort, daß diese juristische Frage eine … Existenzfrage der ganzen Menschheit war …
„Herr Westra,“ sagte er gedämpften Tones, „Sie brauchen vor diesen Herrschaften hier sich keinerlei Zwang aufzuerlegen … Ich habe meine … Schwiegereltern, den Herrn Pastor und meine Braut – Klara und ich stellen uns hiermit auch Ihnen als Verlobte vor – in alles eingeweiht … – Also – es handelt sich um die Erdkatastrophe?“
Der Erste Offizier trat näher heran …
„Zunächst dem Brautpaar meinen besten Glückwunsch … Leider muß ich diesem Glückwunsch nun sofort eine Neuigkeit anschließen, die außerordentlich ernst und schwerwiegend ist … Sie wissen, meine Herrschaften, daß ich drüben auf der Milliardärsjacht war … Ich fand alle Luken und Treppenniedergänge fest verschlossen … Oben auf der Brücke aber ist eine große Papptafel unter Glas angebracht, auf der etwa folgendes in englischer Sprache steht:
‚Die Jacht wird von der Insel aus bewacht. Sollte jemand an Bord des ‚Star of Manhattan’ kommen, so rate ich ihm, schleunigst die unter der Insel befindliche Riesenhöhle aufzurufen. Ich werde jedem, der diesen Rat befolgt, in der Höhle weiteres mitteilen lassen. –
Josua Randercild, Besitzer des ‚Star of Manhattan’.’
Und dann noch als Nachschrift:
‚In der Höhle Zuflucht zu suchen hat nur Zweck vor zehn Uhr abends am 1. Oktober … Nach diesem Zeitpunkt wird die von mir aufgestellte Wache zurückgezogen.’
Es ist mithin wohl mit aller Bestimmtheit anzunehmen, daß die Katastrophe am 1. Oktober nachts zu erwarten ist, und Kapitän Höxter möchte deshalb auch mit Ihnen, Herr Rechtsanwalt, beraten, wie man den Passagieren am leichtesten und unauffälligstem ein längeres Verweilen hier auf der Insel, eben bis über den 1. Oktober hinaus, erklärt, zumal der ‚Meteor’ ja programmgemäß schon morgen Abend die Rückreise antreten sollte … – Wenn die Herren also bitte einzeln recht bald die Kapitänskajüte aufsuchen wollten … – Ich habe im übrigen die Papptafel an Ort und Stelle gelassen. Von den Leuten, die mit drüben auf der Jacht waren, hat keiner sie gelesen …“
„Wir kommen, Herr Westra,“ erklärte Pastor Redlich kurz … „Bestellen Sie dem Kapitän, daß wir ihn in jeder Beziehung unterstützen werden … – Bis später also …“
Der Erste Offizier grüßte und entfernte sich.
Die fünf Menschen hier an der Reling mit ihren ernsten, besorgten Gesichtern verharrten eine Weile schweigend …
Selbst Klara Mudicke hatte nun mit einem Male begriffen, daß es hier um Leben oder Sterben ging.
Unwillkürlich schmiegte sie sich wie schutzsuchen an ihren Verlobten … drückte seine Hand und blickte ihn bang forschend von der Seite an …
Hans Mickel sagte leise:
„Der Milliardär Randercild ist zweifellos weit besser über die Einzelheiten des drohenden Unheils unterrichtet als wir … Es wäre zweckmäßig, wenn Kapitän Höxter mit uns Eingeweihten, zu denen auch Frau von Saalehn zu rechnen ist, in aller Stille nach der Insel hinüberfahren würde, damit wir mit der von Randercild aufgestellten Wache uns ins Einvernehmen setzen könnten, womöglich mit Randercild selbst … Denn eine Beratung vorher hätte wenig Zweck. Erst müssen wir die Maßnahmen kennen lernen, die der Milliardär zu seinen und seiner Leute Schutz getroffen hat … Danach werden wir uns dann richten können. Ich will nun also zu Höxter gehen und ihm meinen Vorschlag unterbreiten …“
„Bravo!“ meinte Emil Mudicke eifrig. „Bravo, Schwiegersohn …! Nur keine zwecklosen Redereien! Das ist so ein deutscher Erbfehler mit dem endlose Beraten! Handeln soll man …! Nicht das Mundwerk macht’s, sondern der Kopf im Verein mit dem Muskel!“
Und Hans Mickel begab sich zu Höxter in die Kapitänskajüte …
Die massige Gestalt Höxters saß in der Sofaecke … Das kluge, offene Gesicht des Schiffsführers zeigte einen wehmütig nachdenklichen Ausdruck …
„Ah – gut, daß Sie da sind, Herr Rechtsanwalt!“ Die Männer schüttelten sich kräftig die Hand. „Nehmen Sie Platz … – So – hier eine Zigarre und ein Schluck Rotwein … Mir ist Westras Meldung arg auf die Nerven gegangen … Was sagen Sie dazu, Herr Rechtsanwalt …? – Zunächst einmal – prosit! Man soll einen guten Tropfen deutschen Weines in keiner Lebenslage verachten … Trinken wir auf ein gemeinsames Wirken im Interesse aller, die sich hier an Bord befinden …!“
Mickel leerte das Glas in kurzen Schlucken … Ihm selbst tat etwas Anfeuerung not … Er merkte es …
Dann brachte er sein Sprüchlein vor: Fahrt zu Insel – in aller Stille!
Höxter war sofort einverstanden …
„Machen wir, Herr Rechtsanwalt! Gegen halb zwölf herrscht Ruhe auf dem Schiff … Dann rudern wir hinüber …“
Und dabei bliebs … –
Inzwischen hatten West, und der Zweite Offizier, der gleichfalls von allem unterrichtet war, in den Speisesälen die Passagiere auf Geheiß Höxters über den Verbleib der Besatzung der Milliardärsjacht in der Weise aufgeklärt, daß Randercild offenbar mit all seinen Leuten zwecks Durchforschung der Riesenhöhle einen längeren Ausflug in das unterirdische Aztekenreich unternommen habe … – Auch der Besatzung des ‚Meteor’ war dasselbe gesagt worden. – Ob und wie weit dies geglaubt werden würde, war ja vorläufig nebensächlich.
Punkt halb zwölf, als gerade die Mondscheibe aus dem leichten Dunst des Horizonts auftauchte, stieß ein Boot vom ‚Meteor’ ab, in dem sieben Personen saßen: Höxter, Redlich, Mudicke, Mickel, Frau von Saalehn und zwei ältere, zuverlässige Matrosen …
Das Boot landete an dem Riff außerhalb der Brandung, und von dort führte ein recht beschwerlicher, aber sicherer Weg über die Klippen bis zum Inselstrande …
Kaum hatten die nächtlichen Besucher Christophoros – die beiden Matrosen waren im Boot zurückgeblieben – die Öffnung im Felsboden des Eilands neben dem Steinhügel erreicht, als sich zwischen den Blöcken dieses Hügels eine hagere Gestalt erhob: Dr. van der Baake.
Er schritt auf die fünf zu …
Grüßte …
„Dr. van der Baake …“ stellte er sich vor … „Ich bin die Wache, die wir hier zurückgelassen haben.“
Mickel, der ein vorzügliches Gedächtnis besaß, stutzte sofort …
„Etwa der Dr. Baake aus der Villa in Zehlendorf?“ fragte er gespannt …
„Ja – derselbe Baake, der die Polizei in seinem Hause … ausschaltete, weil er nicht gerade in einer Gefängniszelle das erleben wollte, was uns allen bevorsteht … – Wissen Sie Bescheid?“
Höxter antwortete …
„Leider, Herr Doktor … Wir wissen, daß die Erde wahrscheinlich infolge der Begegnung mit den Kometen von einer Feuersbrunst heimgesucht werden wird, die …“
Baake lachte leise …
Ein trübes Lachen …
„Feuersbrunst?! – Meine Herrschaften, eine Feuersbrunst kann man das, was kommen wird, nicht nennen! – Zunächst – mit wem habe ich die Ehre?“
Höxter übernahm die Vorstellung seiner Begleiter und erklärte Baake dann, was ihm bisher über die Katastrophe bekannt sei …
Der hagere Privatgelehrte nickte …
„Die amerikanischen Astronomen haben sich um zwei Minuten geirrt … Punkt zwölf Uhr am 1. Oktober nachts werden die beiden Kometen allem Lebenden auf Erden ein Ende bereiten… Meine Berechnung stimmt besser … Sie ist unanfechtbar … – Aber – bitte folgen Sie mir … Unsere Unterredung dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen …“
Er schritt voran …
Bog um den Felsenhügel und deutete auf ein Zelt, das hinter Buschwerk halb verborgen war …
Sagte nur: „Ich habe die Wache hier freiwillig übernommen und werde auch nicht abgelöst werden …“
Dann hob er den Vorhang des Zelteingangs …
Im Innern brannte eine Karbidlaterne …
Frau von Saalehn setzte sich auf den einzigen hier vorhandenen Schiffsstuhl. Die übrigen auf den Bastteppich …
Eine Weile Stille …
Draußen tobte die Brandung … erklangen die schnell verhallenden Schreie nächtlich schweifender Möven …
Baake begann:
„Sie sollen nun alles erfahren, alles. Ein günstiges Geschick hat Sie und den ‚Meteor’ hierher geführt … Es besteht wohlbegründete Hoffnung, daß Sie gerettet werden … – Hören Sie mich an … Ich muß in die Vergangenheit zurückgreifen …“
Er sprach von sich, seinen Studien und Forschungen. Nichts beschönigte er. Er gab offen zu, daß er zum Banknotenfälscher geworden, um sich ein großes Fernrohr anschaffen zu können …
Schilderte die Vorgänge in seiner Villa, das Erscheinen der Kriminalpolizei und das Eintreffen der Sphinx mit Gußlar und seinen Begleitern …
Erwähnte die Fürstin Mafalda Sarratow und seine alte Haushälterin, die er von der Landstraße aufgelesen hatte …
Dann die Fahrt der Sphinx zum Kap Retorta – das Versenken der Milliarden – Lomatz’ Tod und das Auftauchen der Milliardärsjacht …
Sein Kopf sank ihm tief auf die Brust, als er dann auch berichtete, wie die Waffe in seiner Hand sich gegen seinen Willen entladen hatte und wie er so zu Gottlieb Knorz’ Mörder geworden …
Seine Stimme ward zum Flüstern …
„Ich … werde diese unselige Tat sühnen … Ich werde es tun … Und meine Sühne beginnt hier mit diesem einsamen Wachtposten … Ich habe Randercild erklärt, weshalb ich nicht abgelöst sein will …“
Dann schwieg er minutenlang …
Seine Gedanken spannen den Faden seiner Schilderung fort – nur seine Gedanken …
Er wollte nicht weiterleben … Hier oben auf der Insel wollte er die kritischen Stunde erwarten, wollte seine Beobachtungen in eine Schiefertafel einritzen, damit die ungeheure Glut dieser Niederschrift nichts anhaben könne und damit sie der Nachwelt erhalten bliebe …
Keinem wollte er diese seine Absichten mitteilen … Randercild und Gußlar hatte er gesagt, er würde sich schon rechtzeitig am Gestade des unterirdischen Ozeans wieder einfinden …
Und dann sprach er weiter …
Von diesem gewaltigen Meer im Erdinnern … Von Mafaldas Entführung … Von den Vorbereitungen, die Gußlar und Randercild dort in der Tiefe von Meilen unter der Erdoberfläche träfen, um unter Wasser die türkische Zeit zubringen zu können …
Und nicht ein einziges Mal unterbrach ihn einer seiner fünf Besucher …
Schicksale – unerhörtes Erleben rollten sich hier vor ihnen ab …
Der Goldschatz der Azoren versenkt …!!
Das wirkte ebenso lähmend wie die Einzelheiten dessen, was am 1. Oktober nachts zwölf Uhr bevorstand: die Vernichtung aller Lebewesen, Menschen, Tiere und Pflanzen! Eine Glutewelle von zweitausend Grad Hitze würde die Erde minutenlang einhüllen …!!
Stumm lauschten seine Gegenüber …
Aus blassen Gesichtern starrten fünf Augenpaare den Doktor an …
Der begann wieder:
„Ich würde Ihnen also raten, den Passagieren und den Matrosen die Wahrheit nicht vorzuenthalten, ihnen gleichzeitig aber zu versichern, daß eine Rettung durchaus wahrscheinlich, wenn meine Ratschläge genau befolgt werden. Sie müssen eben genau wie Randercild und wir die Boote des ‚Meteor’ so herrichten, daß sie für einige Zeit unten im Höhlenozean mit ihren Insassen versenkt werden können … Sie haben übergenug Arbeitskräfte zur Verfügung … Und – Sie haben noch volle drei Tage Zeit …!“
Kapitän Höxter gab Baake die Hand …
„Herr Doktor, es wird alles geschehen, wie Sie es uns raten … – Ein Teil der Matrosen und der Passagiere muß die Lebensmittel und die sonstigen wichtigen und notwendigen Dinge zum Höhlenozean hinabschaffen … Die anderen können die Boote mit wasserdichtem Verdeck versehen … Ich werde einen vollständigen Arbeitsplan aufstellen … In drei Tagen läßt sich vieles erreichen … – Wie weit ist’s bis zum Ufer des unterirdischen Meeres …?“
„Ein Fußgänger braucht gut anderthalb Stunden … – Morgen früh um sechs Uhr will Baron Gußlar mich hier besuchen … Der wird Ihnen dann den Weg zeigen …“
Hans Mickel hatte noch anderes auf dem Herzen.
Er zögerte … Ihm erschien es fast zu selbstsüchtig, hier angesichts des bevorstehenden Weltuntergangs an seine eigenen Angelegenheiten zu denken …
Und doch – er wollte volle Gewissheit haben …
Fragte Baake:
„Herr Doktor, absolute Sicherheit dafür, daß wir mit dem Leben davonkommen, ist nicht gegeben? – Ich will ehrlich sein … Ich bin frisch verlobt … Und – ich möchte, da meine Braut sich an Bord des ‚Meteor’ befindet, über diesen Punkt …“
Baake unterbrach ihn mit einem wehmütig gütigen Lächeln …
„Ich begreife Ihre Wünsche, Herr Rechtsanwalt … Jeder würde sie begreifen … – Absolute Sicherheit?! Nein – das kann ich nicht versprechen! Das kann niemand … Aber, wir können Glück haben! Wenn der Durchgang der Erde durch die Kometenschweife nur etwa zwei Minuten dauert, werden die Glutmengen sich kaum mit solcher Schnelligkeit und mit ihrer vollen Verderblichkeit bis in die Tiefen der Riesenhöhle ergießen können – wohl kaum …! Zumal wenn wir Menschen durch eine über uns liegende Wasserschicht geschützt sind, die doch erst verdampfen müßte … – Trotzdem, wenn Sie gern als Ehemann der kritischen Stunde entgegengehen wollen – tun Sie es! Auch Kapitän Höxter hat als Schiffsführer das Recht, Nottrauungen vorzunehmen, und Pastor Redlich wird ihre Ehe gern einsegnen!“
Mickel blickte seinen Schwiegervater fragend an …
Meister Mudicke sagte schlicht:
„Ich habe wahrhaftig nichts dagegen! Ich würde an Ihrer Stelle, lieber Schwiegersohn, genauso handeln – genau so!“
Und dann wandte er sich Dr. Baake zu …
„Noch etwas, Herr Doktor … Eins möchte ich doch gern erfahren … Wo ist denn nun die Sphinx mit ihrer Besatzung geblieben?!“
Baake zuckte die Achseln …
„Das entzieht sich meiner Kenntnis … Soweit ich Randercild verstanden habe, sind die Sphinxleute nach Afrika unterwegs – nach einer Gegend im Gebiet der Nilquellen … – Jedenfalls werden sie die Katastrophe bestimmt überleben … Wir anderen Menschen dürfen uns nicht mit ihnen vergleichen … Es sind Auserwählte, alle die zur Sphinx gehören … Es spielen da Dinge mit, die in das Gebiet des Unfaßbaren hinübergreifen …“
Frau von Saalehn, die bisher sich schweigend verhalten, meinte nun:
„Das Gebiet des Unfaßbaren, Übernatürlichen ist nichts als die Macht dessen, den die Menschen in verschiedenster Form als ‚Gott’ verehren … Ich habe die Erlebnisse der Sphinxleute, seit die Zeitungen darüber berichteten, genau verfolgt und habe in vielem die klare Bestätigung dafür gefunden, daß jede Äußerung des Einsiedlers von Sellenheim, der Azorenschatz übe eine magische Macht auf alle die aus, die mit ihm enger in Berührung kämen, offenbar zutrifft … Und aus dieser Äußerung schöpfe auch ich die Hoffnung, daß wir, die das Schicksal hier auf Christophoro vereint hat, gerettet werden … Denn wir wollen hier in diesem Falle das so oft mißbrauchte Wort ‚Zufall’ nicht in den Mund nehmen … Kein Zufall kann es gewesen sein, daß der ‚Meteor’ mit seinen rund fünfhundert Deutschen an Bord gerade am Kap Retorta kurz nach der Versenkung des Azorenschatzes eingetroffen ist … Kein Zufall, daß wir vom ‚Meteor’ nun Sie, Herr Doktor, Randercild und die anderen getroffen haben, und daß Aussicht vorhanden, dem Untergang aller Lebewesen zu entgegen … – Nein – eine höhere Macht hat auch uns auserwählt, die Katastrophe zu überdauern! – Herr Pastor – wie denken Sie darüber?“
Redlich reichte der alten Dame beide Hände.
„Gnädige Frau, was Sie da soeben ausgesprochen haben, wollte ich für mich behalten, weil solche Worte aus dem Munde eines Geistlichen nur zu leicht mißdeutet werden …! Ja – höhere Bestimmung, die Vorsehung hat hier eingegriffen …! Der ‚Meteor’ mit seiner bunt zusammengewürfelten Reisegesellschaft aller Berufsstände und verschiedenster Anschauungen wird für das neue Menschengeschlecht eine wichtige Rolle spielen … – Seien wir getrost, meine Freunde! Sorgen wir dafür, daß uns das Ende aller Dinge gewappnet findet. Gott will nicht, daß seine höchstentwickelten Geschöpfe in dumpfer Bangnis die Hände in den Schoß legen und – – untätig zusehen, was die Zukunft bringt! Rühren wir unsere Hände, und besonders unseren Geist!“ –
Noch manches gab es zu besprechen. Aber die fünf vom ‚Meteor’ fühlten jetzt eine ruhige Zuversicht, und auch Dr. Baake war lebhafter und angeregter geworden.
Gegen halb ein Uhr morgens begleitete er seine Gäste zu den Außenriffen und verabschiedete sich mit einem herzlichen:
„Auf Wiedersehen morgens um sechs Uhr …!“
Das Boot stieß von der Klippe ab und schoß dem ‚Meteor’ zu, der nun nur dreißig Meter von der Jacht entfernt, gleichfalls Anker geworfen hatte …
Baake schaute dem Boote lange nach … Dann kehrte er zu seinem einsamen Zelt zurück … holte ein großes Fernrohr, das Randercild ihm überlassen hatte, ins Freie und schraubte es auf dem Stativ fest … Suchte nun der Sternbild des Perseus … Und – – fand den fernen, fernen Weltallwanderer mit dem feurigen Schweif …
Fand seinen Komet … Den Vernichter der Menschheit … – den Erneuerer des Menschengeschlechts …
Seinen Mörder …
Denn er wollte und er würde sterben … Wollte nur bis zum letzten Moment beobachten …
Er hatte schon eine Idee, wie er der Gluthitze noch eine Minute länger als alle anderen Lebewesen trotzen würde …
Ein sauber gepflegtes Kartoffelfeld …
Auch das sauberste Kartoffelfeld mit seinen gleichmäßigen Reihen grüner Stauden, unter denen die nährende Erde die wahren Früchte reifen läßt, hat etwas prosaisches, alltägliches an sich …
Dieser Kartoffelacker nicht …
Über diesem Kartoffelfeld hinweg erscholl ein urdeutsches wehmütiges Lied … Das schlichte Lied der deutschen Volkspoesie:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
daß ich so traurig bin,
ein Märchen aus uralten Zeiten
es kommt mir nicht aus dem Sinn …
Ein blondes Mädchen sang’s …
Ein blondes Mädel mit blauen Germanenaugen – mit stattlicher, schlanker, voller Gestalt und einem frischen, von der Sonne geträumten Gesicht …
Auf dem Kopfe eine jener weißen großen Sonnenhauben, wie sie in der Mark in vielen Gegenden von den Bäuerinnen bei der Feldarbeit getragen werden.
Dieses Mädchen, das da mit der Kartoffelhacke die Erde um die Stauden lockerte und häufte, trug außerdem noch ein praktisches Kleid aus grobem gelblichen selbstgewebten Leinen …
Und sang das deutsche Lied in das Schweigen der sommerheißen Felder hinein – sang so kräftig, daß ein paar Mantelpaviane, die abseits auf einem nicht mit ausgerodeten Urwaldriesen saßen, behaglich lauschten und zuweilen wohlgefällige behagliche Grunztöne ausstießen …
Mantelpaviane … Ein halbes Dutzend dieser kräftigen und würdevollen Gesellen … am Rande eines – ein deutschen Kartoffelackers …
Und – ringsum in der Ferne die grünen Mauern eines tropischen Urwaldes …
In weiter Ferne …
Eine meilenweite Lichtung in diesen sumpfigen Wäldern im Quellgebiet des weißen Nils …
Eine Lichtung, die alle Vorzüge für eine Ansiedlung bot …
Und eine Ansiedlung gab es hier im Schatten einer Felsgruppe und mächtiger Bäume …
Saubere Blockhäuser, weiß gestrichen, saubere Umzäunungen mit weidendem Vieh afrikanischer Herkunft: Rinder, Schafe, zahme Antilopen …
Eine Ansiedlung, die geradezu deutschen Sinn für Sauberkeit, Ordnungsliebe und gefälliges Äußere verkörperte …
Ringsum noch andere Felder …
Roggen, Gerste, Hafer, – alles in tropischer Üppigkeit … –
Das blonde Mädchen hatte ein zweites Lied angestimmt …
Die sechs Mantelpaviane verließen den einsamen Urwaldriesen und wanderten gravitätisch den Weg entlang, der durch die Felder bis zum klaren Bache lief und hier über eine Holzbrücke auf die Baulichkeiten der Farm zuführte …
Im hellen Sande des Baches hockten die starken Affen und trieben allerlei Kurzweil …
Dann schlenderten sie, nachdem sie noch ihren Durst gelöscht hatten, den Weg zurück und näherten sich dem blonden Mädchen …
Machten vor der Arbeitenden am Ackerrain halt und setzten sich ernst und würdig nebeneinander, hörten wieder zu …
Das Mädchen schaute auf, ließ die Hacke ruhen und rief den Affen zu:
„Hallo – habt Ihr keine Arbeit, faules Völkchen!! Werdet Ihr euch mal ans Schöpfrad scheren …!!“
Sie drohte lachend mit dem Hackenstiel hinüber …
Und – wunderbar genug! – Die Tiere schienen sie zu verstehen …
Mit langen Sprüngen setzten sie davon …
Hin zu der Stelle, des Loches, wo der Antrieb eines Schöpfrades dicht über dem Boden in die Luft ragte, wo ausgehöhlte Bäume das Wasser dann über die trockenen Stellen der Felder verteilten.
Wunderbar genug, die Paviane packten die Hebel des Antriebs und begannen im Kreise zu marschieren – langsam – würdevolle … Das große Rad mit den Schöpfeimern drehte sich … Wenn die gefüllten Eimer oben schwebten, kippten sie von selbst um und entleerten ihren Inhalt in die breite Rinne …
Unermüdlich schritten die Tiere im Kreise, schnatterten nach ihrer Art und zupften sich mitunter übermütig am langen Halskragen … Dann kam das Rad wohl für ein paar Sekunden halb zum Stillstand …
Von den Farmgebäuden nahte ein schlanker Mann mit blondem Bart – jung, stattlich, von strotzender Gesundheit wie das Mädchen, ihr gleichend an hohem Wuchs, in der Farbe der Augen …
Blieb stehen, sagte zu ihr – und herzliche Wärme war im Ton der Stimme:
„Schwesterlein, für heute ist’s genug … Die Sonne meint es allzu gut … – Mutter läßt dir sagen, daß das Mittag fertig …“
Das Mädchen nickte ihm zu …
„Warm ist’s, Fritz …!!“ Sie lachte und tupfte die Schweißperlen von der Stirn … Fragte dann:
„Nun, wie war’s, Fritz? Hast du ein paar Zeitungen erhalten? Was hast du sonst etwas erlebt?“
Sie schulterte die Hacke, und nebeneinander schritten sie der Farm zu …
Der Bruder erzählte …
Gestern Abend war er mit seinem Reitdromedar von der Ansiedlung aufgebrochen, um aus der nächsten Ortschaft am Nilufer allerlei einzukaufen … War nur ein Negerdorf, diese Ortschaft, hatte aber eine große Faktorei einer englischen Firma und einen Kramladen … Auf geheimen Pfaden hatte der Reiter den sumpfigen Urwaldgürtel, der die Farm von aller Welt abschloß, passiert … War der beste Schutz für die Ansiedlung, dieser Riesensumpf … Wollten nichts zu tun haben mit der Außenwelt, die deutschen Farmer … Waren vor Jahren von weither gekommen – von den Küsten Kameruns – mitten im Weltkrieg … Im monatelangen Treck hatten sie halb Afrika mit ihren Ochsenwagen durchzogen. Nirgends gefiel es ihnen … Hier hatten sie dann für immer haltgemacht …
Weiter erzählte der Bruder dem blonden Schwesterlein:
„… Waren in Laomee wieder mächtig neugierig, woher ich wohl käme … Kannten mich ja schon, Maria … Hatten aber kein Glück mit dem Ausfragen … Nennen nicht dort den Geheimnisvollen …“
Er lachte gutmütig in sich hinein …
„Stimmt ja auch … Bin ein Geheimnisvoller, verrate nie Namen und Heimat … Zahle mit Goldkörnern … – Das macht sie am neugierigsten, die Herren dort …“ Seine Stimme wurde verächtlich … „Sind ja alle gleich, die Menschen – alle! Gold – Gold!! Dann flackern die Augen!! – Ja – und Zeitungen überließen sie mir gleichfalls, englische Zeitungen wieder, die freilich von Anfang September sind, Schwesterlein … Und heute haben wir den 28. September … Trotzdem – steht mancherlei Neues über die Sphinx darin und über den Azorenschatz – unseren Schatz!“
Dies letzte mit Stolz …: ‚Unseren Schatz!!’
„In Amerika, in der Nähe von Neuyork auf einem Milliardärsschloß waren die Sphinxleute zuletzt … Oh – du mußt das alles selbst lesen, Schwesterlein … Unglaubliches haben sie wieder erlebt bei dem Milliardär Randercild … Ein geriebener Verbrecher wollte mit Hilfe von Chinesen den Schatz rauben … Mr. Null hieß der Mann … Und die Fürstin Sarratow spielte dabei natürlich auch wieder eine üble Rolle, dieses gefährliche Weib …“
Sie kamen an dem Schöpfrad vorüber …
„Hallo – Arbeitsschluß!“ rief der Blonde den Mantelpavianen zu und winkte …
Freudig kamen die muskulösen Gesellen herbei gesprungen …
Umdrängten den ältesten Sohn des Farmers, wollten gestreichelt sein …
Der berichtete weiter:
„… Und auf dem Rückweg, Maria, den ich wieder unter den üblichen Vorsichtsmaßregeln antrat, begegnete hätte ich ein paar Daki-Zwergen, unseren nächsten Nachbarn … Benahmen sich sehr manierlich, die kleine Bande … Fragten mich nach ihren Stammesgenossen, die sich von dem Unternehmer hatten anwerben lassen. Tat mir leid, ihnen mitteilen zu müssen, daß die Ihrigen sämtlich zu Grunde gegangen und daß einer, der Maupati, der letzte Überlebende der Schar gewesen … – Du besinnst dich, Maria … Es stand ja ebenfalls in den Zeitungen. Maupati war doch mit den Sphinxleuten zusammengetroffen – auf der Schwarzen Insel, die nachher im Ozean versank …“
„Besinne mich schon!“, nickte das blonde Mädchen eifrig …
„Waren sehr traurig, die Zwerge, über diese Nachrichten … Fragten mich dann auch nach dem Mormonenmissionar, der eine Weile bei ihnen gewesen … Samuel Tillertucky!!“
Und er lachte still in sich hinein …
„Habe ihn so manchesmal gesehen, den ulkigen Mormonen mit seinen beiden Frauen … – Nun – ich konnte den Dakis auch über ihn so etwas Bescheid geben … Steht in den neuen Zeitungen … Tillertucky ist in seine Heimat am großen Salzsee zurückgekehrt – vom Milliardärsschloß aus …“
Maria dachte nur an die Sphinxleute. Wenn sie über diese etwas erfuhr, fieberte sie stets … Sie entsann sich ja so genau jener Nacht an der Kamerunküste, als in der Strandhöhle die Goldbarren in das U-Boot verladen wurden … Damals war sie noch ein halbes Kind gewesen. Und doch hatte jene Nacht auf sie einen unauslöschlichen Eindruck gemacht …
So fragte sie denn auch jetzt, während sie den Farmgebäuden immer näher kamen, umtollt von den sechs Mantelpavianen:
„Und – wohin ist die Sphinx von dem Schlosse aus weitergeflogen?“
„Gestohlen wurde sie … Ganz klar sind die Berichte hierüber nicht … Auf einem schwimmenden Eisberg kam es zu harten Kämpfen … Du mußt das wie gesagt, selber lesen, Schwesterlein …“
„Oh – das will ich – – Wort für Wort! Du weißt ja, Fritz, wie glühend mich die Sphinx interessiert!“
Vor dem weißen großen Blockhaus war eine grauhaarige, starkknochige Frau erschienen … Ihre blaue Wirtschaftsschürze flatterte leicht in Winde …
„So beeilt euch doch!“ rief sie ihren Kindern zu … „Das Mittagessen steht schon in der Veranda auf dem Tisch … Wilhelm hat einen argen Hunger und schilt über eure Saumseligkeit …!“
Dann eilte Frau Anna Werter wieder ins Haus zurück … –
Die offene Veranda an der Nordseite des Hauses war ganz von Bäumen umschattet …
Als die Geschwister um die Ecke bogen, sprangen ihnen drei mächtige Schäferhunde freudig bellend entgegen …
Und von der Veranda nun des Farmers zweitältester Sohn mit ärgerlicher Stimme:
„Fünf Minuten über zwölf ist’s …!! Natürlich hattet Ihr wieder allerlei zu schwatzen … – Vorwärts – setzt euch …!“
Der Tisch war bereits gedeckt – für vier Personen … Die Teller schon gefüllt …
Frau Werter kam, nahm ebenfalls Platz, faltete die Hände und betete mit leiser Stimme: „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast. Nimm schützend jetzt in deine Hut einen jeden, der dir Ehre tut … Schütze den Sohn mir und den Gatten, die vor Tagen uns verlassen hatten … Amen.“
Diesen Zusatz flocht Frau Anna regelmäßig seit dem 25. September in das Tischgebet ein … Denn an diesem Tage waren ihr Mann Heinrich Werter und der jüngste Sohn Karl zu ihrer abenteuerlichen Expedition aufgebrochen … –
Schweigend wurde von Mutter und Kindern die Suppe eingenommen … Dann aber, als die gebratenen Wildtauben als Hauptgericht auf dem Tisch erschienen, begann eine lebhafte Unterhaltung.
Fritz, der Älteste, mußte nochmals über seinen Ritt nach dem Nildorfe berichten …
Und wieder sprach man nun über die Sphinx und ihre Helden, über Gaupenberg, Hartwich, Knorz – all die anderen wackeren Helfer des Grafen …
Fritz Werter meinte dann, als der Nachtisch, eine Speise mit Fruchtsauce, herumgereicht wurde:
„Die Zeitungen schildern auch in einem längeren Artikel nochmals die Sehenswürdigkeiten der Wunderhöhle von Christophoro – dieses unterirdischen Aztekenreiches … Und als ich diesen Artikel während meines Rittes las, dachte ich unwillkürlich wieder an Vaters Behauptung, daß die Höhle hier in den Felsen neben unserem Wohnhaus mit der Aztekengrotte in Verbindung stehen müsse …“
Maria rief eifrig:
„Vater hat ja auch Beweise dafür, Fritz …! Die Leiche des fremden kupferfarbenem Mannes, die er vor vierzehn Tagen dort unten im Höhlenlabyrinth fand, trug doch so seltsame Kleidung …“
„Wodurch noch lange nicht erwiesen ist, Schwesterlein, daß die Möglichkeit besteht, unsere Grotte hier könnte sich über hunderte von Meilen hinziehen – bis zu jener Insel im Atlantik! Ich halte das für ausgeschlossen …“
Frau Anna seufzte leicht …
„Ich habe genügsam von diesem Ritt abgeraten … Was kann man aber gegen Vaters Eisenkopf ausrichten?! Und Karl war ja auch nicht eines Besseren zu belehren …“
Wilhelm Werter sagte achselzuckend:
„Für einen Ritt bis Christophoro würde auch der mitgenommene Proviant nie ausreichen …“
Maria warf mit einer gewissen Begeisterung ein:
„Du vergißt, daß Vater den Weg weit kürzer berechnet hat als den, den man auf der Erdoberfläche zurücklegen müßte … Vater behauptet, man würde kaum die Hälfte der Zeit brauchen … Und das kannst du doch nicht leugnen, Wilhelm, daß unsere Grotte hier auf viele Meilen mit Dromedaren sehr bequem zu durchqueren ist …“ –
Frau Anna wünschte gesegnete Mahlzeit …
Man erhob sich, und jeder ging nun seiner Beschäftigung nach …
Fritz fütterte die Hunde und die zahmen Paviane. Wilhelm begab sich in die Viehkraale und füllte die Wasserbottiche. Maria half der Mutter in der Küche beim Säubern des Geschirrs …
Die Mittagsglut der Tropen lastete über der Lichtung …
Die Luft flimmerte …
Die Tiere in den Kraalen hatten sich in den Schatten der Büsche zurückgezogen … Die drei Hunde waren durch den weiten Höhleneingang, der sich hinter Bäumen und Gestrüpp in der Felswand unweit des Hauses öffnete, in die kühle Grotte geflüchtet. Nur die Paviane tollten vor der Veranda umher. –
Nachdem der älteste Farmersohn noch in den Ställen nach dem Rechten gesehen hatte, ging er auf sein im Oberstock des geräumigen Blockhauses gelegenes Zimmer und packte die Sachen aus, die er für sich selbst, schon vor zwei Monaten bestellt, mitgebracht hatte. Ein Holzkistchen war’s, das den weiten Weg von Berlin bis hierher zurückgelegt hatte…
In dem Kistchen befanden sich außer einem Radioapparat mit vier Röhren die nötigen Batterien, drei Kopfhörer, zwei Rollen Antennenlitze, Ersatzteile, acht Ersatzröhren und ein Buch über drahtlose Telephonie.
Fritz Werter hatte in den Zeitungen so viel über die Radiowunder gewesen, daß er, der für alles Interesse besaß, und in dessen Zimmer eine ganze Bibliothek wissenschaftlicher Werke der verschiedensten Art stand, schließlich auf den Gedanken gekommen war, sich einen solchen Apparat schicken zu lassen.
Die Berliner Firma hatte noch eine kurze, klare Anleitung zur Bedienung des Empfängers beigefügt, und aus dem Buche konnte Fritz Werter sich unschwer über die Errichtung einer guten Antenne und einer brauchbaren Erdleitung informieren.
Den Seinen hatte er bisher diese seine neueste Leidenschaft verschwiegen … Und mit in der Tat leidenschaftlichem Eifer studierte er nun nochmals alles Nötige, um den Empfänger auch in Betrieb zu setzen.
Da er allein nicht imstande war, die Antenne zu spannen, rief er seinen Bruder Wilhelm herbei. Der machte ein höchst verblüfftes Gesicht, schüttelte dann den Kopf und erklärte die ‚ganze Geschichte’ für Unsinn …
Wilhelm war nur Landwirt und Viehzüchter, nebenbei eifriger Jäger …
Und so meinte er denn nun, es würde dem Bruder niemals gelingen, hier in dieser Entfernung von allen europäischen Ländern irgend einen Empfang von Telephonie zu erzielen …
„Abwarten!“ lachte der gutmütige Fritz … „Jedenfalls – wir werden sofort mal probieren … Hier sind zweihundert Meter Antennenlitze. Wir legen eine Doppelantenne an … Die Ableitung muß hier in mein Fenster führenden. Drüben der alte Brotfruchtbaum steht gerade in der richtigen Entfernung … Dort befestigen wir die eine Stange der Doppelantenne, hier am Hausgiebel die andere … – Denke mal, Wilhelm, wie schön es wäre, wenn wir vielleicht den Berliner Sender hören würden …! Wilhelm – Nachrichten direkt aus der alten Heimat – – wäre das nicht eine große, große Freude!“
Auch der jüngere Werter begann nun Interesse zu zeigen, und bereits nach einer Stunde war die Antenne mit ihren Isoliereiern tadellos gespannt, ebenso sauber die Ableitung angelötet und die Zinkplatte für die Erdung im Brunnen hinter dem Hause versenkt …
Frau Werter und Maria hatten zugeschaut und auch mitgeholfen. Die vier Menschen hier in der weltabgeschiedenen Einsamkeit waren jetzt wie im Fieber …
Standen in des Ältesten Zimmer und bewunderten nochmals den Apparat mit den blanken verspiegelten Röhren und den vielen Drehknöpfen …
Fritz zitterten so etwas die Hände, als er nun den Apparat mit den Batterien und mit Antenne und Erde verband und dann den Kopfhörer einstöpselte und überstülpte …
Immer wieder fragte er die gedruckte Erklärung um Rat, prüfte, ob auch alle Verbindungen richtig seien und schaltete dann die Lampen ein …
Erwartungsvoll schauten ihn die drei anderen an.
„Ich höre rauschen …“ sagte er atemlos …
Und er schlug leicht mit dem Fingernagel gegen die Röhren …
„Sie klingen – also ist alles in Ordnung …! Sie müssen klingen – wie helle Glocken …“
Nun drehte er den ersten Kondensator langsam von Null über die Skala …
Und – zuckte leicht zusammen …
„Bei Gott – ich höre sprechen!“ rief er jubelnd …
Und drehte den zweiten Kondensator …
Ein Pfeifton – dann plötzlich schwoll die Lautstärke an …
„Ein englischer Sender!! Ich verstehe jedes Wort … – Ah – die Station London …“
Sein Gesicht veränderte sich jäh …
„Was hörst du denn?“ drängte Wilhelm … „So rede doch …!“
Fritz winkte mit der Hand …
Seine braunen Wangen wurden fahl …
„Mein Gott – – entsetzlich!“ flüsterte er …
„Was ist entsetzlich, Fritz?! Was denn?!“
„… In London herrscht Aufruhr … Der König ist geflohen … Die Volksmenge plündert … Man hat zwei Ministerien gestürmt … Das Militär meutert … Die Polizei versagt … Ein Komet ist im Sternbilde des Perseus erschienen …“
So wiederholte er den Seinen Satz für Satz, was der Ansager in London ins Mikrophon sprach – – Satz für Satz …
Und – so erfuhren die Werters hier auf der Urwaldlichtung von der ungeheuren Panik, die überall auf Erden infolge einer Meldung der Sternwarte San Franzisko ausgebrochen war …
Von dem drohenden Weltuntergang, den die Regierungen der Kulturstaaten nicht mehr abzuleugnen wagten …
Fritz Werter schwieg jetzt …
Lauschte erneut …
„Ich … höre seltsamen Lärm!“ stieß er hervor … „Schüsse … Ah – jetzt wieder den Ansager:
‚Eine Volksmenge zerstört den Senderaum … Ich muß …’
Und dann – nichts mehr …“
Blaß schauten sich die Werters an …
Und Wilhelm jetzt:
„Sieh zu, ob du noch eine andere Station bekommst – – schnell …“
Fritz Werter stellte an den Kondensatoren …
Und da – – deutsche Worte …
Erst leise …
Er stellte nach … Die Lautstärke schwoll an …
„Berlin!!“ rief er … „Die Heimat …!! – – Die Polizei hat die Unruhen blutig niedergeschlagen … Jeder Plünderer wird sofort erschossen … Die Reichswehr bleibt zuverlässig … An den Straßenecken Maschinengewehre … Panzerautos patrouillieren die östlichen Stadtteile ab … Alle Läden geschlossen … Die Büros ebenso … Aber die Post will abends wieder die Briefbestellung aufnehmen … Plakate werden durch die Straßen getragen – des Inhalts, daß durchaus noch nicht gewiß sei, daß die Hitzewirkung der Kometenschweife so stark sein würde, wie man den Berechnungen nach bisher annehme … – In den Bergwerksbezirken strömt alles in die Stollen hinab … In den Städten dichtet man die Kellerräume ab, vermauert Fenster und Türen und will die kritische Stunde in den Kellern abwarten. Auf dem Lande graben die Leute tiefe Erdlöcher. Die Kirchen sind überfüllt … – Neueste Depeschen aus dem Ausland! In Leningrad in Rußland ist die Bolschewistenherrschaft gestürzt … Das Volk fleht die bisher angespiene Geistlichkeit um Rettung an … In Moskau furchtbares Blutbad … Aus den Vereinigten Staaten: Hetzjagd nach dem Höhlengebieten – zur Mammuthöhle – nach der Sierra … Die Züge überfüllt … Die Straßen voller Autos mit Flüchtlingen … – Frankreich: Meuterei der Truppen … Paris in der Gewalt farbigen Regimenter … Die Regierung entflohen … Die Marokkaner und Neger vergewaltigen Frauen und Mädchen … Das Regierungsviertel in Brand gesteckt … Überall in der Welt vollkommene Anarchie … Nur in Deutschland noch leidlich Ordnung … – – In zwei Stunden gibt der Berliner Sender weitere Nachrichten … – – Ich höre nichts mehr …“
Dicke Schweißperlen standen Fritz Werter auf der Stirn …
Und – wieder drehte er an den Kondensatoren …
Vernahm jedoch nur noch schwache Pfeiftöne …
Und seelisch völlig erschöpft schaltete er die Lampen aus …
„Mein Gott – – entsetzlich!“ flüsterte Frau Werter … „Ob – ob … das alles … denn wahr ist?!“
Wilhelm sagte dumpf:
„Mutter – es muß wahr sein … Leider!! – Mutter, ein Glück, daß auch wir unsere Höhle in so nächster Nähe haben und daß Vater und Karl in Sicherheit sind …!“ – Und zu dem älteren Bruder: „Fritz, wann soll denn die Katastrophe eintreten … Hast du das nicht auch gehört?“
„Ja … – Am 1. Oktober nachts zwölf Uhr …!“
Und Fritz legte den Kopfhörer weg …
Fügt energisch hinzu …
„Wir haben noch drei Tage Zeit … Wir werden das Vieh in die Höhle bringen – Futter – alles Wertvolle … Sofort … Dann vermauern wir den Höhleneingang … Beginnen wir ohne Zögern … Mutter, packe mit Maria die Küchengeräte zusammen … Wilhelm und ich werden in den tieferen Teilen der Höhle Umzäunungen für das Vieh bauen …“
Seine Tatkraft riß die anderen mit fort …
Arbeit war auch hier die beste Ablenkung …
Man vergaß die angekündigten Schrecken …
Man gewann mit der Zeit wieder ein ruhiges Sicherheitsgefühl … Maria zeigte sich weit tapferer als die Mutter, die immerfort die Abwesenheit des Gatten und des jüngsten Sohnes beklagte … Bis Maria ihr klarmachte, daß die beiden im Inneren der Erde am allerbesten geborgen seien … –
Als dann die zwei Stunden verflossen und die Zeit heranrückte, wo der Berliner Sender sich wieder melden wollte, waren die vier Werters abermals in des Ältesten Stube versammelt …
Jetzt bediente Fritz Werter den Apparat bereits mit weit größerer Ruhe …
Sehr bald hatte er denn auch mit dem außerordentlich abstimmscharfen Empfänger die Berliner Welle gefunden …
Der Ansager meldete sich gerade in üblicher Weise.
Die Vier konnten nur schwer ihre Erregung unterdrücken …
Und dann begann Fritz zu wiederholen …
„Die Lage in Berlin und in den anderen deutschen Städten hat sich wesentlich gebessert … Die Regierung hat ein Merkblatt über die drohende Katastrophe überall verteilen lassen … Lebensmittel werden umsonst ausgegeben … Ebenso Bausteine und Mörtel zum Abdichten der Keller … Die Einwohnerschaft wird aufgefordert, die Keller wohnlich herzurichten … Die Eiskeller der großen Brauereien werden zur Unterbringung wichtiger Akten der Ministerien reserviert … Die Bevölkerung ist ruhiger geworden … Vier Hetzer wurden auf dem Königsplatz öffentlich gehenkt … In der Stadt herrscht eine fieberhafte Tätigkeit … – – Allerneuestes: Kriminalkommissar Wendler, der des Azorenschatzes wegen mit sechs Beamten im Polizeiflugzeug San Miguel besucht hatte, ist zurückgekehrt. Die Milliarden sind von Baron Gußlar versenkt worden und zwar am Kap Retorta in zweitausend Meter Tiefe … Der Schatz dürfte damit für alle Zeit verloren sein … Die Sphinxleute selbst haben diese Nachricht merkwürdigerweise ziemlich gleichgültig hingenommen … Wohin die Sphinx sich mit dem Grafen Gaupenberg und den Seinen jetz gewandt hat, konnte Kommissar Wendler nicht angeben. Interessant ist, daß auch die Milliardärsjacht ‚Star of Manhattan’ am Kap Retorta erschienen war. – Nach zwei Stunden bringen wir weitere Meldungen … Das Nachmittagskonzert wird nur durch Schallplatten gegeben und durch Lautsprecher in den Straßen und auf den Plätzen verbreitet werden … Auf Wiederhören also um sechs Uhr …“
„Gott sei Dank!“ flüsterte Frau Werter … „So ganz schlimmen kann es dann doch nicht stehen … Wenn man noch Konzerte gibt!!“
Und die Werters gingen wieder an die Arbeit …
Gegen Mitternacht …
Erst um elf Uhr waren Frau Werter und ihre Kinder zur Ruhe gegangen …
Nur der Älteste nicht … In seinem Zimmer brannte noch die kleine Petroleumlampe …
Auf dem Tische am Fenster war der Empfänger mit seinen Batterien aufgebaut …
Fritz Werter hatte den Hörer auf dem Kopf und lauschte …
Die Fenster standen weit offen … Ein kräftiger Nachtwind fegte über die dunkle Lichtung hin … Schwarzes Gewölk segelte über das Firmament …
Fritz Werter hatte soeben ganz leise die amerikanische Station Neuyork gehört …
Mit der Zeit gelang es ihm, sie deutlicher einzufangen …
Was er erfuhr, war nicht gerade aufregend. Auch in Amerika waren die Gemüter etwas zur Ruhe gekommen … Die Massenflucht nach den Höhlengebieten hielt freilich an … Milliardäre, die in ihren Palästen Stahlkammern besaßen, ließen diese für sich herrichten … Andere Reiche mieteten U-Boote, um in diesen die kritische Stunde unter Wasser zuzubringen … – Inzwischen hatten die Astronomen die Bahnen der beiden Kometen, die jetzt bereits gut sichtbar, stets von neuem berechnet, waren aber zu keinem anderen Ergebnis als dem des deutschen Privatgelehrten Dr. Baake gekommen … Der ursprüngliche kleine Rechenfehlern der Sternwarte San Franzisko war richtiggestellt worden. Um Mitternacht – genau zwölf Uhr, würde die Erde die beiden Kometenschweife passieren!
Das, was der Amerikaner noch weiter ansagte, entging Fritz Werter, da urplötzlich ein blendend weißer Lichtschein durch das offene Fenster über sein Gesicht glitt …
So plötzlich, daß er erschrocken emporsprang, und in die Finsternis hinausstarrte …
Finsternis?!
Nein – da draußen lag der riesige Lichtkegel eines Scheinwerfers auf den Felsen, Bäumen und Äckern …
Bestrahlte auch die Farmgebäude …
Hoch aus der Luft kam die blendende Lichtflut …
So blendend, daß Fritz Werter für einen Moment die Augen schloß …
Schnell schaltete er den Empfänger ab, legte den Kopfhörer zur Seite und beugte sich zum Fenster hinaus.
Die drei Wächter des Hauses bellten und heulten.
Und – – droben in vielleicht hundert Meter Höhe erkannte der Farmersohn nun undeutlich die Umrisse eines kleinen Luftschiffes, das sich langsam senkte …
Da betrat auch schon Wilhelm das Zimmer seines Bruders, nur notdürftig bekleidet …
Rief:
„Fritz, Fritz, – es kann nur die Sphinx sein! Sie muß es sein! – Fritz, wenn …“
Schon war er neben dem Bruder …
Und beide hörten nun durch ein Megaphon eine dröhnende Stimme von der Reling des Luftfahrzeuges her:
„Hallo – – die Wertersche Farm?!“
Fritz winkte …
Brüllte mit voller Lungenkraft:
„Ja – – die Werter-Farm … Und wer dort?“
„Die Sphinx …!!“
Und dies eine Wort war für die Brüder die Erlösung von unerträglicher Spannung …
Sie winken nochmals …
Dann stürmten sie die Treppe hinab – ins Freie.
Sperrten die Hunde ein …
Denen war nicht zu trauen … Die waren keine Fremden gewöhnt … Hierher verirrte sich nie ein Fremder … Wäre auch sofort wieder weggewiesen worden … Denn die Werters wollten allein sein …
Die Sphinx sank immer tiefer … Ihre Propeller surrten nur noch schwach …
Und auf dem Vorplatz vor dem Farmgebäude legte sich das Luftboot nun sanft auf den hellen Sand …
Der Scheinwerfer am Bug wurde gedreht und beleuchtete das ganze Verdeck … Beleuchtete all die Menschen, die unweit des Mittelturmes an der Reling standen – all die Sphinxleute …
Vor ihnen die hohe hagere Stall des Mannes im Radmantel mit dem großen Schlapphut: Dagobert Falz, Einsiedler von Sellenheim, Gottvater Odin fast, der Einäugige …
Aus dem Turme erschienen noch Hartwich und Tom Booder …
Nun waren sie vollzählig, die Getreuen, die Auserwählten …
Dann begann Dagobert Falz mit einer Stimme, die auch bis zu den vier Werters, die in der Haustüre standen, – denn auch Frau Werter und Maria hatten sich bereits eiligst in die Kleider geworden:
„Gefährten,“ sprach der Einsiedler von Sellenheim, „– Gefährten, wir sind am Ziel! Lange haben wir diese Urwaldlichtung suchen müssen … Jetzt sind wir angelangt … Jetzt sehe ich das, was ich so oft in heiligen Visionen schaute, das weiße Blockhaus, die Felsgruppe daneben, den Hain tropischer Bäume … – Wir sind endgültig am Ziel …! Gesegnet seit dieser Platz, diese Felder, diese meilenweite Waldblöße …! Gesegnet für alle die, denen der Lenker der Menschengeschicke dort oben über den Sternen Besonderes bestimmt hat …!“
Seine Gestalt reckte sich noch höher …
„Freunde, genau wie ich euch allen das Elixier des Lebens gereicht habe, genauso will ich, hier mehr als symbolischen Akt, diese Gefilde, den Wohnort derer, die gleich uns unter dem magischen Einfluß des Goldes, ihres wahren Eigentums stehen, vorbereiten für die Stunde des großen Sterbens …“
Und er beugte sich über die Reling …
Das Fläschchen in seiner Hand strahlte wieder auf gleich dem Heiligen Gral in der hehren Halle der Gralsritter … Strahlte rosig und mild wie ein verlorener Fleck abendlicher Sonnenröte…
Und aus dem Inneren des Fläschchens sprühten die Tropfen des Elixier des Lebens hinab in den gesegneten Boden dieser urwaldumhegten Einsamkeit …
Falz trat zurück, verkorkte das Fläschchen wieder …
„Lieber Graf Gaupenberg, nun ist es an Ihnen, die Familie Werter zu begrüßen, die genau so zu uns zählt, wie jeder andere, der in den Monaten erreignisreicher Kämpfe sich uns anschloß und sein Schicksal an das unserige schmiedete …“
Gaupenberg winkte hinab, grüßte die vier Werters.
„Kommen Sie zu uns an Deck, meine Freunde …! Kommen Sie! Hier oben sollen sie uns gegenübertreten auf diesen Planken, die uns durch die halbe Welt getragen haben, auf denen die Goldbarren lagen, die Sie freiwillig hergaben für Ihr Vaterland …! – Kommen Sie …! Sie haben soeben von Dr. Falz gehört, daß Sie zu uns zählen, daß das große Verderben an Ihnen genauso vorübergehen wird wie an uns …!“
Fritz Werter konnte sich nicht länger beherrschen …
Als erster war er im Nu an der Außenleiter emporgeklettert …
Georg Hartwich streckte ihm beide Hände entgegen …
„Erkennen Sie mich wieder, Herr Werter … Steuermann Hartwich bin ich von U 45 … In jener Nacht an der Kamerunküste drückten wir uns zum letzten Male die Hand … Viele Jahre liegen dazwischen …!“
„Ob ich Sie kenne, Herr Hartwich …! Die Gesichter der Landsleute von damals vergesse ich nie …! Eine Szene wie damals bleibt im Gedächtnis …! – Willkommen hier auf Werter-Farm – Ihnen allen im Namen meines abwesenden Vaters ein herzliches Willkommen!“
Nun erschienen auch Frau Werter, Maria und Wilhelm neben ihm …
Die Sphinxleute drängten herbei …
Jeder wollte den Werters die Hand schütteln … Jeder hatte ein herzliches Wort für sie … Minuten nur, und all diese Menschen waren wie eine große Familie …
Niemand dachte daran, schlafen zu gehen …
Frau Werter wollte die Gäste sofort wenigstens mit einer Kleinigkeit bewirten … Sie gab nicht nach …
„Wir bauen hier auch Kaffee, Herr Graf … Und von diesem Kaffee müssen Sie alle ein Tässchen kosten … Und frische Butter und unser kräftiges Landbrot wird Ihnen schon munden …“
Frau Sanden begleitete sie in die Küche …
Die anderen betraten das Farmhaus … An Bord der Sphinx blieb nur Murat, der Homgori, als Wache zurück …
Er lehnte halb über der Reling, der mächtige zottige Bursche … Die Jacke hatte er abgeworfen … Die Tropenhitze war ihm so lästig, daß er die sechs Mantelpaviane ordentlich beneidete, ich vorhin infolge des grellen Scheinwerferlichtes aus der Krone ihres Nachtlagerbaumes herabgekommen waren und nun die Sphinx mißtrauisch und neugierig umschlichen …
Ohne Leinenhosen …!! – Wie Murat sie beneidete!! – Aber – es ging nicht anders … Er war kein Affe … Er war Mensch … Er mußte seine Blöße bedecken … Man hatte ihn gelehrt, Schamgefühl zu empfinden!
Allmählich wurden die Paviane mutiger …
Das stattliche Männchen kam die Leiter empor, stolzierten über das Deck und … beschnupperte Murat.
Stieß einen zufriedenen grunzenden Laut aus …
Murat bückte sich und streichelte das Tier …
Die anderen hockten im Halbkreis auf den Planken.
Murats Seele empfand dunkel eine Art verwandtschaftlicher Zuneigung … Und die Paviane, immer zutraulicher, begannen ihn auf ihre Art zu necken …
Witterten, daß in diesem Wesen ein Teil Blut von ihrer eigenen Art floß … –
Der Homgori besann sich auf seine Pflicht …
Umrundete das Deck, spähte in die Dunkelheit hinaus. – Der Scheinwerfer war abgestellt worden …
Das Gewölk am Himmel wurde noch dichter …
Drückende Schwüle lastete über der Lichtung …
Friedlich fielen aus den Fenstern des Farmhauses behagliche Lichtstreifen in die Finsternis …
Plötzlich blieb Murat stehen …
Und mit ihm die Paviane, die getreulich neben ihm geblieben waren …
Seine scharfen Augen hatten drüben hinter den Tierkraalen Gestalten bemerkt … Reiter scheinbar … Doch es war zu dunkel, als daß er hätte sagen können, ob es wirklich Reiter waren …
Immerhin, er beobachtete …
Die Gestalten verschwanden …
Und doch kam es dem Homgori so vor, als ob er drüben doch noch verschwommene, bewegliche Flecke gewahrte …
Eilends verschwand er im Turm … Holte ein Nachtglas …
Als er es aber an den Augen hatte, konnte er nichts Verdächtiges mehr bemerken …
Nur die Tiere in den Kraalen sah er … Darunter auch eine Anzahl hochbeiniger Dromedare … Vielleicht hatten diese ihn getäuscht … – Jedenfalls, er gab sich zufrieden, und seine Wachsamkeit wurde geringer. –
Und doch, Murat hatte sich nicht getäuscht …
Es waren Reiter gewesen, vier an der Zahl … Dromedarreiter aus dem fernen Nildorfe Laomee, Vier Europäer, Angestellte der Faktorei und der Besitzer des dortigen Kramladens …
Hatten sich jetzt vorsichtig zurückgezogen und standen neben ihren Tieren in einer tiefen Mulde der Lichtung – in graugrünen derben Leinenreitanzügen, mit Tropenhelmen, jeder zwei Pistolen umgeschnallt, jeder die Büchse am Sattelknopf …
Sagte da der eine:
„Also hier haust der Blonde, der nie seinen Namen nannte …“
„Ja – der stets mit Goldkörnern alles doppelt und dreifach bezahlte,“ meinte ein anderer …
Und der dritte, der vierschrötige, stets halb betrunkene Inhaber des Kramladens:
„Müssen eine Unmenge Gold haben, diese Leute hier … Wird schon gelohnt haben, daß wir dem Burschen nachschlichen … Oft genug haben wir’s versucht … Diesmal gelang’s …! War vorsichtig, der Mensch! Nützte ihm nichts …! Die Hiebe mit der Nilpferdpeitsche haben den Daki zum Reden gebracht.“
Und er deutete auf ein Bündel am Boden – einen Negerzwerg, ein winziges Geschöpf, das mit Stricken brutal gefesselt war und noch dazu einen Knebel im Munde hatte …
Sprach nun der vierte der Goldgierigen:
„Mir scheint, daß das Luftboot, dessen Landung wir beobachtet haben und auf dessen Deck so zahlreiche Menschen zu sehen waren, uns vielleicht weit wichtiger sein müßte als die Goldkörner …! – He, – geht euch kein Licht auf?! Erinnert euch mal an die Beschreibung des Goldschiffes, an die Maßeangaben der Sphinx in den Zeitungen, an die sonstige Beschreibung! Ich will verdammt sein, wenn sich’s dort drüben nicht um die Sphinx handelt …! – Well – was sperrt Ihr die Mäuler auf …! Well – das ist ’n ander Ding als so ein Beutel vielleicht aus dem Bachsande herausgewaschener Goldkörner!! Das sind … Milliarden, – das ist übergenug, um diesem verdammten Nest Laomee für immer den Rücken kehren zu können!“
Die drei wurden unheimlich lebendig …
Redeten wild durcheinander …
Sphinx – Sphinx – – Goldschatz der Azoren!! Das hatte gewirkt …!
Aber Mr. Harry Robbsam, jung, ausgemergelt vom Tropenfieber, stets mit einem halben Gramm Chinin und noch Nikotin im Leibe, nie die Zigarette aus den gelben Zähnen lassend, fuhr in das nutzlose Gerede grob hinein …
„Ihr seid mir die Richtigen, so etwas zu inszenieren!! – Habt ihr nicht gesehen, wie viel Männer dabei sind?! Übergenug, uns niederzuknallen …! – Nein – so wird das nichts …! Muß anders angepackt werden …! Muß dafür gesorgt werden, daß die Sphinx von hier nicht wieder weg kann, falls sie nur zufällig gelandet ist …! Habe meine Nase stets mit Eifer in die Zeitungen gesteckt … Habe genug von der Sphinx gelesen … Hat da eine Röhre am Heck, das Luftboot … Das ist der Lebensnerv! Schießen wir die Röhre kaputt … Dann einer von uns zurück nach Laomee … Holt unsere Schwarzen … Macht sie beritten … Vierzig – fünfzig Nigger als Kugelfutter … Und wir als Reserve … Wir werden die verdammten Deutschen schon wegblasen!“
Lachte heiser, der Harry Robbsam …
Das Lachen war Mord …
Die anderen drei mochten noch Bedenken hegen …
Für Sekunden …
Aber – – Milliarden – – Milliarden …!!
Das betäubte … Das brachte das Gewissen zum Schweigen …
Und Jack Buller, Inhaber des ‚Kaufhauses’ in Laomee grunzte höhnisch:
„Kräht kein Hahn danach, was wir hier anrichten!“
„Los denn, Jack!“ meinte Robbsam … „Du und ich – wir schießen am besten … Wir kriechen bis dicht an die Sphinx heran … Der Wächter oben an Deck kann uns unmöglich sehen … Die Tropenhelme lassen wir hier … Leuchten zu sehr, die Dinger … Los denn!“
… Zehn Minuten …
In der Stube des Farmhauses saßen die Werters mit ihren Gästen am langen Tisch …
Frau Werter schenkte den Kaffee ein … Der duftete wie Mokka …
Drei Petroleumlampen erleuchteten das Gemach … Eine große Familie hatte sich hier zusammengefunden …
Obenan saß Doktor Falz … Rechts von ihm Fritz Werter …
Der blonde Farmersohn erzählte von den Radionachrichten … von den Vorsichtsmaßregeln, die in Deutschland getroffen wurden …
Falz schwieg dazu …
Sein sinnender Blick war voller Trauer … Und doch freute und tröstete es ihn, daß der Menschheit das Wichtigste geblieben: die Hoffnung!!
Hoffend würden sie dem Verhängnis entgegenschauen …
Hoffend würden sie … in Asche zerfallen … –
Maria Werter und Toni Dalaargen reichten Teller mit belegten Brotschnitten herum …
Muntere und doch ernste Gespräche gingen her und hin …
Auf Gaupenbergs Stirn lastete eine Wolke tiefen Schmerzes … Agnes’ Hand hielt er in der seinen … Und beide dachten an den Treuesten der Treuen, der dort fern am Gestade des Atlantik sein Grab gefunden …
An Gottlieb Knorz. –
Schüssel plötzlich …
Durch die offenen Fenster kam überlaut das grelle Peng-Peng …
Geknatter …
Ein wildes Wutgebrüll Murats …
Die Schüsse verstummten …
Die Männer stürmten ins Freie …
Sahen undeutlich den Homgori, der mit Riesensätzen davonjagte – scheinbar ziellos in die Finsternis hinein …
Hinter ihm her die sechs Mantelpaviane …
Murat war den beiden Schützen dicht auf den Fersen.
Hatte zwei Umzäunungen übersprungen … damit den Weg zur Bodenmulde abgeschnitten …
Das Gewölk am Firmament riß auseinander …
Aus klaffendem Wolkenspalt Mondesglanz …
Licht … Dämmerung …
Jack Buller blieb zurück … Sah die zottige Bestie – das beharrte Gesicht …
Kreischte vor Entsetzen auf …
„Ein Gorilla …!!“
Vor ihm stolperte der junge Robbsam über eine Baumwurzel …
Jack schoß …
Schoß vorbei …
Murat stieß Töne aus, die den Verstand und die Hand lähmten …
Robbsam wollte wieder hoch …
Doch eine Riesenfaust traf da sein Genick …
Halswirbel knackten …
Ein Körper stürzte – würde sich nie mehr erheben …
Jack Buller kreischte wie ein Wahnsinniger …
Hörte hinter sich die Wutschreie des Ungeheuers …
Und – ein vorwärtseilender Satz von ihm waren drei verfolgende Sätze des Homgori …
Bullers Beine versagten … Sein Herz versagte …
Verzweifelt warf er sich zu Boden, stützte den rechten Arm auf … Zielte … Schoß …
Murat flog zur Seite …
Die Kugel streifte das winzige Ohr des Tiermenschen.
Und dann fuhr er wie ein Tiger auf Jack Buller los …
Ein Sprung durch die Luft…
Ein letzter wilder Schrei …
Murats Hände umkrallten schon den Hals … Ein Knie schlug gegen die Stirn …
Buller sank zusammen …
Niemals mehr würde er von Milliarden träumen …
Sein Kaufhaus in Laomee war herrenlos … –
Doch die beiden Anderen dort in der Mulde jagten auf ihren Tieren davon …
Schlotternd vor Furcht …
Ließen den Daki-Zwerg und die beiden anderen Dromedare zurück … –
Murat wandte sich zurück …
Erzählte den entgegenkommenden Freunde … Er hatte vorhin Kugeleinschläge auf dem Turm gehört – das Klirren der Sphinxröhre …
Man untersuchte das Metallgehäuse am Heck … Man fand die Sphinxröhre zertrümmert …
Die letzte …
Ersatz war nicht mehr vorhanden …
Laternen beleuchteten den Schaden …
Nur Dagobert Falz meinte gleichmütig:
„Wir brauchen die Sphinx nicht mehr … Sie hat ausgedient …“ –
Fritz Werter und seinem Bruder brachten auf einer Leiter als Tragbahre die beiden Toten herbei …
Fritz erklärte, daß er die Männer kenne, aus dem Nildorfe Laomee – es seinen ein Faktoreiangestellter und der Eigentümer des dortigen Kramladens!
Gerhard Nielsen, Dalaargen und Hartwich fanden die Mulde, die Dromedarspuren, den Daki-Zwerg …
Das winzige Geschöpf war halb tot, fast erstickt … Sein Rücken durch die Nilpferdpeitsche blutig geschlagen…
Man nahm ihm die Fesseln ab … Verband ihn … War freundlich zu dem Zwerg …
Der schwarze Gnom berichtete dann … Wie die vier Europäer ihn gezwungen hatten, sie durch den Sumpfgürtel zu führen …
E erhielt dann Speise und Trank, im Stalle eine Lagerstatt …
War dankbar, – – wie es sein Stammesgenossen Maupati einst gewesen …
Dieser Daki weckte mannigfache Erinnerungen in den Sphinxleuten … All diese Erinnerungen hingen mit der Schwarzen Insel, mit dem Eiland der Seligen zusammen …
Dort starb der alte Herzog von Dalaargen … Dort lernte das liebliche Tonerl ihren Tom kennen und machte ihm das Liebeswerben so unendlich schwer …
Dort feierten Viktor Gaupenberg und Agnes Sanden Hochzeit … Dort hatten die Sphinxleute dem jungen Paare die kleine Grotte am Binnensee als Brautgemach hergerichtet …
Für jeden der Sphinxleute war der Daki-Zwerg ein ernster und zugleich auch erfreulicher Hinweis auf jenen vergangenen Tage …
Tamua-Gift, – – Galeere der Wahnsinnigen, – – Verteidigung der Wohnhöhlen, – – – was alles hatten sie gerade dort erlebt! –
Der völlig erschöpfte Zwerg war sehr bald eingeschlafen …
Und Wilhelm Werter, Nielsen und Gipsy Maad, die ihren Verlobten durchaus begleiten wollte, hatten inzwischen die Verfolgung der beiden überlebenden Europäer aufgenommen …
Denn sie sollten Laomee nicht mehr erreichen. Das hatte Doktor Falz betont. Und Fritz Werter hatte ihm hierin recht gegeben. Die beiden würden fraglos mit den auf der Faktorei beschäftigten Negern wiederkehren! Die Sphinxröhre war nur zerschossen worden, damit das Luftboot nicht wieder aufsteigen könnte! Die Absichten der vier waren ja auch von dem Daki bestätigt worden …
Auf den drei schnellsten Reitdromedaren jagtenNielsen, Gipsy und der jüngere Werter, Harzfackeln in den Händen, auf der deutlich sichtbaren Spur der Flüchtlinge dahin …
Für Nielsen und seine Braut war’s ein böser Ritt … Sie waren den Sitz im Dromedarsattel nicht gewöhnt. Zum Glück waren es Reittieren, die sehr gleichmäßig trabten und nicht ‚stießen’ …
Mitten durch die Felder waren die beiden Überlebenden zunächst gen Osten gesprengt … Hatten dann auf dem nicht urbargemachten Teile der meilenweiten Lichtung sich mehr nach Süden gewandt …
Die Spuren führten schließlich zum Urwaldrand, wo ein sumpfiger See eine schmale Bucht bis in die Lichtung hineinschob.
Hier waren die vier und der Daki vor Stunden auf einem Baumfloß mit ihren Tieren gelandet.
Wilhelm Werter, im Fährtenlesen geübt, erklärte seinen Begleitern, daß die beiden an dieser Stelle das Floß wieder bestiegen hätten …
„… Eine weitere Verfolgung ist zwecklos … Bevor wir den Urwaldpfade drüben im Westen erreichen, den mein Bruder Fritz stets benutzt, wenn er das Nildorf besucht, haben die Männer den Urwaldgürtel passiert und einen so großen Vorsprung gewonnen, daß wir sie niemals mehr einholen können … Aber etwas anderes will ich tun … Ich werde das Dorf allein von weitem beobachten … Dann kann ich die Freunde hier rechtzeitig warnen, fals die beiden Faktoreiangestellten wirklich mit ihren Negern nochmals uns überfallen wollen … – Um meine Person brauchen Sie sich nicht zu sorgen, Herr Nielsen. Mir wird nichts zustoßen. Ich bin in der Wildnis großgeworden und leidenschaftlicher Jäger. Ich kenne hier jeden Fußbreit Boden. In sechs Stunden bin ich am Nilufer … – Auf Wiedersehen also … Richten Sie bitte meiner Mutter aus, daß ich auf jeden Fall am 1. Oktober morgens hier wieder eintreffe …“
Gerhard Nielsen und Gipsy drückten ihm zum Abschied die Hand.
Dann sprengte er davon, während sie selbst im Schritt nach der Farm zurück ritten, wo man jetzt den Scheinwerfer der Sphinx wieder eingeschaltet hatte, um die Umgebung vorsichtshalber abzuleuchten. Der weiße Strahlenkegel glänzte hell durch die Nacht und wies Nielsen und Gipsy den Weg.
Dicht nebeneinander ritten sie … Unterhielten sich … Ernst waren ihre Gespräche … Und doch stets der warme Ton der innigen Liebe in ihren Stimmen.
Über den neuen Tag, der nun bald anbrechen mußte, sprachen sie … Es war längst beschlossen worden, daß die drei Brautpaare der Sphinx, sobald die Werter-Farm erreicht war, Hochzeit feiern sollten … Und vorhin, als man Mutter Werters köstlichem Kaffee und anderen bescheidenen Leckerbissen alle Erde angetan hatte, war es Doktor Falz gewesen, der den Vorschlag gemacht, die dreifache Hochzeit bereits am kommenden Tage festlich zu begehen … –
Als Nielsen und Gipsy dann vor dem Farmhause anlangten, als sie den sie umringenden Freunden mitteilten, daß Wilhelm Werter das Dorf Laomee beobachten wolle, wurde dies allgemein gebilligt.
Auch Mutter Werter zeigte sich in keiner Weise ängstlich um ihren Zweitältesten …
„Der läßt sich nicht erwischen,“ meinte sie mit gewissem Stolz. Und fügte als kluge Frau hinzu: „So – und jetzt, denke ich, legen wir alle uns noch ein paar Stunden schlafen … Wenn wir die Hunde wieder freilassen, kommt niemand unbemerkt an die Farm heran …“
Man stimmte auch dem zu.
Fritz Werter trat seine Giebelstube an das Ehepaar Gaupenberg ab, während Hartwich und Ellen das Zimmer des jüngeren Werter bezogen …
Die meisten Sphinxleute konnten im Hause untergebracht werden. Denn die Kabinen der Sphinx waren hier in den Tropen kein angenehmer Aufenthalt. Nur Pasqual Oretto, Tom Booder und Nielsen bereiteten sich auf dem Deck der Sphinx unter einem schnell errichteten Zelte ihre Lagerstätten …
Viktor und Agnes standen in der Giebelstube am offenen Fenster und blickten auf die jetzt mondbeschienenen Lichtung hinaus …
Arm in Arm …
Und Agnes flüsterte träumerisch:
„Ich weiß, daß wir hier das neue Leben beginnen werden, Viktor … Diese Lichtung schaute ich in jener beglückenden Vision, als ich mich selbst im Zustand der Erwartung über eine große Waldblöße wandern sah … der Erwartung auf unser Kind, Viktor …! – Dagobert Falz, mein väterlicher Freund, hat recht. Wir sind am Ziel!! Hier werden wir leben und arbeiten – hier werden wir glücklich sein …“
Und Gaupenberg zog die Geliebte an sich und küßte sie zart wie eine kleine Heilige … –
Eine Stunde später, Agnes war bereits zur Ruhe gegangen, saß Gaupenberg noch am Fenstertisch vor dem Radioempfänger und suchte den Äther nach irgendeiner Welle ab …
Schließlich fand er denn auch die amerikanische Station Pittsburgh … Gerade als der Ansager sich meldete und den Namen der Sendestation nannte …
‚Hier Pittsburgh auf Welle 483 … Wir melden uns vorläufig zum letztenmal, da auch unser Personal die Stadt verläßt … Die gesamte Bevölkerung hat sich bereits in die bisher unbeachteten, sieben Meilen entfernten Tropfsteingrotten von Ladylyc zurückgezogen, wo man inzwischen neue sehr ausgedehnte Nebenhöhlen gefunden hat, so daß die Grotten Raum für Hunderttausende bieten … – Ich verabschiede mich hiermit von allen Hörern … Viele dürften es kaum mehr sein. Ob unsere Station nach der Mitternachtsstunde des 1. Oktober noch existieren wird, weiß niemand. Ob ich je wieder in dieses Mikrophon sprechen werde, bleibt eine dunkle Zukunftsfrage. – Leben Sie wohl, meine Damen und Herren … Wir wünschen Ihnen das, was wir uns selbst wünschen: Ein Wiederhören am 2. Oktober!’
Stille dann in den Muscheln des Kopfhörers … Selbst das Rauschen des Senders, hervorgerufen durch die Rückkoppelung, verstummte …
Gaupenberg starrte vor sich hin …
Diese letzten Worte des amerikanischen Sprechers hatten auf ihn einen tiefen Eindruck gemacht … Denn er wußte ja, die Station Pittsburgh würde sich nie wieder melden – nie wieder! Zwei Tage noch und es gab kein Pittsburgh mehr …! –
Langsam stellte er die Kondensatoren auf eine größere Wellenlänge …
Vielleicht – vielleicht kamen auch jetzt nachts von Berlin neue Nachrichten …
Da – ein leises Pfeifen – – Überlagerungstöne …
Er stellte den Empfänger nach. Er verstand ihn besser zu bedienen als Fritz Werter …
Und – – eine bekannte Stimme da im Kopfhörer – klar und deutlich …
Ein tiefes, markiges Organ …
Der Berliner Ansager …
Mitten im Satz hatte Gaupenberg den Sender bekommen …:
‚ … allgemeine Lage und Stimmung hat sich daher weiter gebessert … Die Ansprache des Reichspräsidenten, die gleichzeitig durch alle deutschen Sender verbreitet wurde, hat viel dazu beigetragen, alle Volksschichten zu beruhigen. Erfreulich ist, daß in den bereits hergerichteten Kellerräumen überall Röhrenapparate aufgestellt sind. Die Radiogeschäfte haben alles Nötige gratis geliefert, auch Lautsprecher. Wir bringen jetzt jede halbe Stunde vier Schallplattenstücke, leichtere Musik. Der Nachrichtendienst findet wieder jede zweite Stunde statt. –
Neueste Depeschen. – – Flüchtlinge aus Frankreich, die im Rheinland im Auto eingetroffen sind, melden übereinstimmend, daß der orkanartige Sturm, der in Nordfrankreich wütete, den Brand des Regierungsviertels in Paris über die ganze Stadt ausgebreitet hat. Die Willkürherrschaft der farbigen Truppen nimmt immer schlimmere Formen an. – –
Vom Balkan wird über Wien gemeldet, daß zwischen Mohammedanern und Christen überall schwere Kämpfe stattfinden. Die Mohammedaner machen die christliche Kultur für die drohende Weltkatastrophe verantwortlich. Aus Stambul ist eine Armee im Anmarsch auf die bulgarische Grenze. In Konstantinopel sind sämtliche Christen niedergemetzelt worden. – –
Aus London: Ganz England gleicht einem Tollhaus. Fragwürdige Elemente haben überall die Macht an sich gerissen …’
Da … nahm Gaupenberg den Hörer vom Kopfe.
Ein Grauen kroch ihm über den Rücken …
Unwillkürlich gedachte er der Worte des Einsiedlers von Sellenheim, – daß die Nachkriegszeit die Volksseele überall noch weit mehr vergiftet habe, als der Krieg selbst, – daß die Erdenmenschheit einer überreifen Saat gleiche, deren Wurzeln bereits verfaulen!
Er schaltete den Empfänger ab und legte sich leise auf das bescheidene, selbstgezimmerte Ruhebett des ältesten Werter, nachdem er noch ein paar Minuten auf seines Weibes tiefe ruhige Atemzüge gelauscht hatte.
Schlief ein …
Während draußen neben der hohen Felsgruppe die Urwaldriesen rauschten und die umherstreifenden Hunde zuweilen anschlugen …
Schlief ein – – in der neuen Heimat …
Eine Harzfackel knisterte … warf zuckenden roten Lichtschein über Menschen und Tiergestalten …
Schicke schwarzen Qualm zur Höhlendecke empor.
Heller Sand bedeckte den Höhlenboden …
Das Meer mußte hier einmal in diese ungeheuren Tiefen eingedrungen sein und die feinen Sandkörnchen mit sich gerissen haben …
Auch Holzreste, Pflanzen und anderes …
Von diesen Hölzern wurde das Lagerfeuer genährt, über dem auf eisernem Dreifuß eine Mehlsuppe im eisernen Tiegel kochte …
Die Fürstin Sarratow rührte langsam mit einem Blechlöffel die blasenwerfende Suppe …
Langsam – gedankenverloren … – Ihre Gedanken waren dort, wo ihr Herz war – bei Werner von Gußlar!
Und neben ihr saßen still und reglos ihre Entführer, ihre unheimlich wortkargen beiden Wächter, die nur selten mit ihr sprachen – nur das Notwendigste …
Die aber desto häufiger miteinander flüsterten …
Unweit des Lagerplatzes die vier Dromedare … Datteln kauend … bescheidene Geschöpfe, abgemagert hier in den Tiefen der Erde …
Mafalda war nun bereits anderthalb Tage Gefangene dieser Männer, von denen sie nicht einmal die Namen kannte …
Oft genug hatte sie in den ersten Stunden des raschen Ritts durch diese Schlünde des Erdinnern die beiden auszufragen versucht …
Der Graubärtige hatte ihr dann stets unwirsch Schweigen geboten.
Eins wußte die Fürstin, der Hass dieser Männer gegen sie beruhte auf ihrem einstigen Kampf gegen die Sphinxleute!
Mehr … wußte sie nicht, konnte sie auch nicht einmal erraten …
Gerade diese Schweigsamkeit ihrer Wächter, in der ebenso viel Haß wie Verachtung zu liegen schien, erbitterte sie aus höchste …
So und so oft hatte sie den beiden Männern Aufschluß über die letzten Ereignisse geben, hatte ihnen erklären wollen, daß sie nicht mehr die Mafalda von einst sei, daß der Azorenschatz gar nicht mehr existierte und daß die Erdbewohner einer Schreckensstunde entgegengingen, die alles Leben auslöschen würde.
Und auch jetzt, wo ihre Gedanken in heißer Sehnsucht bei Werner Gußlar weilten, – auch jetzt kam ihr abermals das leicht begreifliche Verlangen, diesen beiden Deutschen, die fraglos Vater und Sohn waren, über all diese Dinge die Augen zu öffnen …
Denn – schlechte Menschen waren es nicht! Nein – wenn sie ihre Gefangene auch streng und unfreundlich behandelten, so sorgten sie doch anderseits in jeder Weise für ihre Bequemlichkeit und wurden nie roh oder gemein … –
Mafalda starrte in die brodelnde Suppe … überlegte …
Noch zwei Tage …! Nur noch zwei Tage …!! Dann – – nahte die verhängnisvolle Stunde …
Und – sie wollte diese Minuten der Katastrophe überleben – – sie mußte es, – – ihrer Liebe wegen!
Und sie sagte sich mit Recht, daß hier in diesen unermeßlichen Höhlen, deren Wärme allein schon auf ihrer Lage weit unter der Erdoberfläche hindeutete, – daß hier in diesem Grottenweg, der tageweit irgendwohin an ein unbekanntes Ziel führte, die Hoffnung bestand, den Glutmassen der Kometenschweife zu entgehen …
Ja – sie mußte offen mit diesen Männern sprechen.
Denn auch deren Leben war ja genau so bedroht wie das ihre …
Nach der schlichten Mahlzeit wollte sie es tun – ganz bestimmt! –
Schweigend löffelten die drei die Mehlsuppe, aßen dazu hartes Brot und Dörrfleisch …
Mafalda spürte die Erregung in allen Nerven und aß fast nichts …
Die Entscheidung nahte …
Würden die beiden ihr glauben?! Konnte sie ihnen denn irgendwie beweisen, daß sie die Wahrheit sprach?! Würden diese Schweigsamen sie nicht als phantastische Lügnerin belächeln?!
Dann war der geeignete Zeitpunkt da …
Die Fürstin Sarratow begann …
„Ich bitte Sie, mich anzuhören … Ich muß weit zurückgreifen in die Vergangenheit …“
„Ihre Vergangenheit kennen wir …!“ meinte der Graubart abweisend. „Eine Abenteurerin sind Sie …! Denn Azorenschatz wollten Sie rauben! Gegen die Sphinxleute haben sie gekämpft mit den häßlichsten Mitteln!“
„Es – gibt keinen Azorenschatz mehr! Es gibt keine Abenteurerin Mafalda Sarratow mehr! Beides ist begraben – die Milliarden im Meer, das Schlechte in meiner Seele ausgerottet durch einen Mann, der mein Gewissen zu wecken verstand …“
Der Alte schaute sie unter buschigen grauen Brauen hervor forschend an …
„Was reden Sie da?! Der Schatz im Meere begraben?! Das muß …“
„… das ist Tatsache … – Und wenn Sie beide erst alles im Zusammenhang erfahren haben werden, dürften Sie kaum mehr zweifeln …“
Jetzt ließ der Alte sie sprechen … Horchte immer gespannter auf diese hastigen, überzeugenden Worte …
Mafalda begann mit den Vorgängen auf der großen Moorinsel bei Sellenheim …
Erzählte von dem Tiger, dem Edelstein im Ohre der Bestie, – von dem Uhrmacher Benjamin Jekowzer in Berlin, von Gußlar und der Expedition nach der Moorinsel …
Von Gußlars Dublonenschatz – von ihrer Liebe – von des Barons eindringlichen Ermahnungen und ihrer eigenen seelischen Einkehr …
Immer lebhafter sprach sie …
Und die beiden Männer spürten, daß niemand all diese Einzelheiten erfinden könnte, daß hier Tatsachen vor ihnen abrollten – Bilderreihen von packender Wucht …
Dann schilderte die Fürstin die nächtlichen Ereignisse in der Villa des Doktors van der Baake in Zehlendorf bei Berlin…
Erwähnte nun zum ersten Male auch die drohende Weltkatastrophe …
Wie der Doktor in jener Nacht am Fernrohr gesessen, wie er dann Berechnungen angestellt habe – wie zu seinem eigenen Entsetzen diese Berechnungen stimmten und das Furchtbare offenbar machten …
– Angstvoll blickte sie da in die Mienen ihrer Zuhörer … Fürchtete Spott und Hohn zu finden …
Doch nichts davon … Die beiden Männer in den derben Jagdanzügen, – diese schlichten, offenen, urwüchsigen Naturmenschen, hatten einen Vorteil vor den intelligentesten Kulturgelehrten: ein sicheres Gefühl für das, was Lüge oder Wahrheit, – einen Instinkt für Ehrlichkeit …!
Sie fühlten, daß Mafalda nicht ein einziges Wort hinzugesetzt, daß sie nichts beschönigt hatte …
So fühlten sie jetzt auch das Wehen des Schicksals – – die Flügelschläge des nahenden Verhängnisses für die Erde!
Die Fürstin hatte eine kurze Pause gemacht …
Und da geschah’s, daß der Graubart plötzlich leise zu ihr sagte:
„Fürstin, ich habe vieles durchgemacht in meinem Leben … Daß Sie jetzt nicht lügen, ist mir genauso gewiß wie die seltsame Schicksalsfügung, die uns nun in Ihrer Person offenbar eine Warnerin senden wollte … – Fürstin, jetzt sollen Sie erfahren, wer wir sind … Ich heiße Heinrich Werter, und das da ist mein jüngster Sohn Karl … Ich bin jener Farmer Heinrich Werter, der … den Azorenschatz einst fand … Jener Werter, mit dem die Geschichte des Schatzes so recht eigentlich beginnt …“
Mafalda hatte sich langsam erhoben …
Blässe überflutete ihr Gesicht …
Eine Erregung trieb sie hoch, die bis in die feinsten Verzweigungen ihrer Seele nachwirkte …
Sie lehnte an der kahlen Felswand …
Blickte zu den Männern hinab …
Und das, was Werter soeben ausgesprochen, daß das Schicksal sie als Warnerin für die Werters bestimmt habe, – dies ward nun auch ihr selbst zu unglücklicher Gewißheit, dies war’s, das ihr das Blut zum Herzen drängte und ihre Wangen unter dem Gefühl geheimnisvollen Zusammenwirkens unsichtbarer Kräfte entfärbte …
Magische Macht des Goldes …!!
Dr. Falz, – – der hatte dies Werner Gußlar gegenüber betont …
Ja – es mußte so sein! Magische Kräfte trieben ein rätselvolles Spiegel mit denen, die den Schatz bewachten, um ihn kämpften …
Magische Kräfte, nicht Menschenwille allein, hatten nun auch sie mit diesen beiden Werters zusammengeführt …! –
Heinrich Werter blickte sie gleichfalls an …
Und freundlich – vertraulich nun:
„Setzen Sie sich wieder, Fürstin … Berichten Sie weiter … Noch wissen wir nicht, wie der Azorenschatz verloren ging …“
Mafalda tat’s …
Nahm wieder am verglimmenden Lagerfeuer Platz.
In dieser Umgebung starren Gesteins, das bereits den warmen Odem des heißen Erdinnern aushauchte.
Und erzählte …
Jetzt noch schlichter, lebendiger …
Von den Szenen am Kap Retorta … Von Edgar Lomatz’ unheimlichem Tode, – der gleichsam in den Armen einer der Goldkisten mit versank …
Dann auch von der Insel Christophoro – dem Aztekenreich, – von Dr. Baakes Idee, den Doppeldecker abzumontieren und die Gondel an den Strand des unterirdischen Ozeans zu bringen …
Und – wieder sagte da Heinrich Werter, der Graubart, mit einem nachdenklichen Kopfnicken …:
„Also deshalb fanden wir die in merkwürdige Gewänder gehüllte und zur Mumie eingetrocknete Leiche eines Indianers in der Nähe unserer Farm hier in diesen unterirdischen Felsengängen …! Ein Azteke also – einer des ausgestorbenen Volkes, der vielleicht sich bis in jene Fernen verirrt hatte – jene Fernen, Fürstin, denn wir Werters hausen jetzt auf einer Urwaldlichtung unweit des Weißen Nils – seit Jahren! Von dort sind mein Sohn und ich zu diesem Ritt aufgebrochen, um einmal festzustellen, wie weit sich das Höhlengebiete ausdehnt …! Fünf Tage haben wir gebraucht, um den Weg bis Christophoro zurückzulegen – streckenweise in scharfem Trab, dann wieder, wenn wir in Nebenhöhlen ohne Ausgang geraten waren, im Schritt …“
Und jetzt nickte er der Fürstin zu …
„Zum Rückweg werden wir wohl nur drei Tage nötig haben … Da kommen wir noch gerade zur rechten Zeit, um die Meinen schleunigst mit uns in diese schützende Tiefe zu nehmen … – Fürstin, ich danke Ihnen!“
Er machte aus seiner leisen Rührung keinen Hehl …
Faltete dann die braunen verarbeiteten runzligen Hände und schien zu beten …
Vielleicht für Weib und Kinder … Daß Gott gnädig sein möge – sie retten und behüten!
Und – erhob sich mit jugendlicher Lebendigkeit …
„Aufbruch!!“ rief er. „Karl, mach die Tiere fertig … Fürstin, wir packen die Lebensmittel wieder zusammen …“
Eine neue Fackel zündete er an und ritt voraus …
Immer auf der deutlich sichtbaren Spur des Hinweges – alle Abschweifungen meidend …
Mafalda trabte neben ihm …
Karl folgte mit dem Lastdromedar …
Stundenlang ritten sie wieder …
Durch Felsendome und schmale Engpässe, durch Höhlen, in denen das Fackellicht sich in stillen Seen spiegelte …
Durch Kalksteingrotten, in denen das Wasser von der Decke tropfte und seltsame Zacken geformt hatte …
Durch alle Wunder dieser Unterwelt ritten sie … Durch Schlünde des Erdinnern, von deren Ausdehnung niemand auf Erden sich auch nur eine Vorstellung machen konnte …
An Stellen vorüber, wo unterirdische Bäche murmelten und ihre Ränder mit blank gewaschenen Goldkieseln bedeckt hatten …
Vorüber an grauweiß schimmernden Silberadern, die sich durch das Gestein als breite Streifen zogen …
Stundenlang …
Meist schweigend …
Nur hin und wieder richtete Heinrich Werter aus tiefen Gedanken heraus eine Frage an die Fürstin, wollte dann Einzelheiten noch genauer erfahren …
Viele dieser Fragen betrafen die beiden Kometen … Die große Katastrophe … –
Dann eine kurze Rast … Futter für die Tiere … Schlaf für die drei ermüdeten Menschen …
Mafalda war so erschöpft, daß sie sofort einschlummerte …
Aber wirre Träume schreckten sie wieder empor …
Von Gußlar hatte sie geträumt … Daß er nach ihr suchte, daß er ihretwegen die eigene Sicherheit vergaß …
Aufrecht saß sie da …
Das Lagerfeuer flackerte kärglich … Die Dromedare lagen und bewegten mahlend die Unterkiefer, käuten wieder …
Die Fürstin stand auf …
Leise …
Beobachtete Vater und Sohn, die fünf Schritt entfernte sich niedergelegt hatten …
Mafalda riß ein Blättchen aus ihrem Notizbuch, schrieb mit zitternder Hand:
‚Verzeihen Sie mir, Herr Werter, daß ich Sie verlasse und zurückkehre … Liebe treibt mich zu dem Manne hin, der vor Gott mein Gatte ist … –
Mafalda’
Leise legte sie den Zettel auf das Gepäck …
Und – doch nicht leise genug raunte sie nun ihrem Reittier den Befehl zu, sich zu erheben …
Heinrich Wärter, seit vielen Jahrzehnten in innigster Berührung mit der Natur, besaß auch die feinen Sinnesorgane eines Naturkindes …
Erwachte … als das Dromedar sich aufrichtete …
Mit drei Schritten war neben Mafalda …
Die Fürstin deutete errötend auf den Zettel …
Heinrich Werter sagte gutmütig:
„Fürstin, Sie hätten niemals den Weg nach Christophoro zurückgefunden!! Sie würden in dieser Einsamkeit des Erdinnern umgekommen sein …! – Ich verstehe Ihre Sehnsucht … Ich bin ja auch einmal jung gewesen, bin es eigentlich noch …! Meine Jahre sieht mir keiner an … – Fürstin, trennen Sie sich nicht von uns! Sollten wir und Baron Gußlar den 1. Oktober überleben, so werden wir auf diesem selben Wege uns begegnen … Er wird Sie suchen, und Sie ihn!“
Und er legte ihr die Hand gütig auf die Schulter …
„Ich sprechen nur zu Ihrem Besten, Fürstin … Und jetzt meine ich es gut mit Ihnen …“
Mafalda fühlte die große warme Herzlichkeit des schlichten Mannes …
Tränen traten ihr in die Augen …
„Ich … bleibe bei Ihnen …!“ erklärte sie fest … „Ja – es wird zwischen Werner und mir ein Wiedersehen geben …!“ Dabei lag die offene Rechte auf ihren Unterleib gepreßt.
Dann legte sie sich abermals zum Schlafe nieder …
Und jetzt träumte sie selige Bilder einer friedlichen Zukunft …
Bis ein Zuruf Heinrich Werters sie weckte …
Die Tiere waren schon gesattelt … Rasch wurde noch einen Imbiß eingenommen …
Dann ging es weiter …
Wieder viele Stunden – durch eine Welt der Wunder …
Durch Hohlräume von einer Ausdehnung, die die Abmessungen der Christophoro-Grotte bei weitem übertrafen.
Berge – förmliche Gebirge türmten sich in diesen unabsehbaren Einzelhöhlen auf …
Ringsum Totenstille …
Nur hier und dort das Aufklatschen fallender Tropfen … Nur hier und dort das Brausen von Wasserfällen, die in finstere Abgründe stürzten …
Und das Knarren der Dromedarsättel, das Klappen der Hufe, das Klirren der Kinnketten …
Mafalda wieder neben Heinrich Werter …
Fragte einmal:
„Ob wir bereits unter dem Erbteil Afrika uns befinden?“
„Längst, Fürstin, – längst …! Wir dürften hier bereits die Südostecke der Sahara über uns haben … Auf dem Hinritt habe ich mit dem Kompaß die Hauptrichtung dieser zusammenhängenden Grotten ermittelt … Sie geht ziemlich genau von Südost nach Nordwest … Meiner Schätzung nach müßten wir in fünf Stunden die Stelle erreichten, wo wir die Mumie des Azteken fanden … Und diese Stelle war bisher der von meiner Farm entfernteste Punkt der Grotten, den wir aufgesucht hatten …“ –
Der Graubart hatte sich nur wenig verrechnet – sehr wenig sogar …
Fünf Stunden, – und dann in einer engeren Höhle an der linken Seitenwand aufrecht sitzend die Mumie …
Der alte Werter zügelte sein Tier …
„Hier, Fürstin …! – Und mit diesem Toten grüßt uns meine einsame Heimat – die Werter-Farm!“
Er wollte noch mehr hinzufügen …
Da – neben ihm seines Sohnes Stimme:
„Vater, – ich höre das Blöken von Schafen … – Vater – ich irre mich nicht!! Horch …!!“
Die drei verhielten sich regungslos und lauschten …
Dann – ganz deutlich pflanzte sich der Schall hier in der nicht allzu hohen Grotte fort …
Ja – es war das Blöken zahlreicher Schafe …
Und jetzt auch – das dumpfe Brüllen von Rindern.
Heinrich Werter schaute den Sohn beunruhigt an.
„Karl, wie … wie ist das möglich?! Die Runde haben ja schon wiederholt die Höhle besuchen … Aber … unser Vieh?! Man muß es doch hier in die Grotte gebracht haben …!! Weshalb …?! – Begreifst du das?!“
Der jüngste Werter schüttelte den Kopf …
„Nein, Vater, ich begreife es nicht …“
Und wieder lauschten sie …
Bis Mafalda plötzlich erklärte:
„Herr Werter, vielleicht haben die Ihrigen ebenfalls irgendwie Kunde von der drohenden Katastrophe erhalten … Irgendwie … Vielleicht haben sie das Vieh hierher in Sicherheit gebracht …“
Aber Heinrich Werter gab durch eine kurze Handbewegung zu erkennen, daß dies unmöglich sei …
„Fürstin, wir leben dort auf der Waldlichtung so abgeschlossen von aller Welt, daß wir von den Vorgängen in den Kulturländern lediglich durch die Zeitungen etwas hören, die mein Ältester zuweilen aus der Faktorei eines Nildorfes besorgt … – Doch – was zögern wir hier?! Vorwärts! In wenigen Minuten werden wir ja mit eigenen Augen sehen, was uns jetzt unbegreiflich erscheint …“
Er trieb sein Dromedar zu scharfem Trab an …
Die Höhlengänge stiegen hier an … Und dann – eine kurze Biegung … Vor den drei Reitern Fackellicht …
Eine weite flache Halle …
Zäune aus rohen Baumstämmen … Unruhige Tiere, ungewohnt der neuen Umgebung … hin und her eilend in den Kraalen …
Und weiterhin … – Große Hütten aus grünen Zweigen – eine ganze Anzahl …
Hütte an Hütte …
Wie ein kleines Dorf … In der Mitte ein mächtiges Feuer – – Licht spendend …
Menschen beleuchtend …
Frauengestalten …
Und Heinrich Werter jagte weiter …
Hatte dort drüben sein treues Weib erkannt … Gefährtin mühseliger Jahre, vieler Arbeit, vieler Enttäuschungen … Mutter seiner Kinder …
Sein Tier hielt durch kurzem Zügeldruck …
Kniete nieder …
Er glitt aus dem Sattel …
„Anna – – Anna, wir sind wieder da …! Anna – glücklich zurück …“
Und er schloß sein Weib in die Arme …
Die Frauengestalten umringten die Ankömmlinge.
Mafalda … stand plötzlich Agnes Gaupenberg gegenüber …
Die zwei Gegnerinnen von einst …
Zwei, zwischen denen tödlicher Haß und bitterer Vernichtungswille seine finsteren Wolken aufgetürmt hatte …
Zwei, die nun hier abermals sich begegneten …
Nicht mehr Feindinnen …
Agnes sagte mit einem lieben, freundliche Lächeln:
„Fürstin, die Vorsehung führt uns wiederum zusammen … Was zwischen uns gewesen, ist längst begraben … Ich heiße Sie in unserem Kreise willkommen … Und Sie finden sich hier in froher Stunde ein. Alles ist bereit, unsere drei Brautpaare ehelich zu verbinden … Dr. Falz wird bei dem feierlichen Akt die Stelle des Standesbeamten übernehmen – genau wie ja auch er sehr bald das Oberhaupt der einzigen menschlichen Niederlassung auf Erden sein wird …!“
Und sie streckte Mafalda die Hand hin …
Die anderen traten näher …
Jeder hatte für die Fürstin ein Wort der Begrüßung …
Mafalda kämpfte mit den heiß aufsteigenden Tränen …
Konnte nur leise flüstern:
„Das – – all das verdiene ich gar nicht … Nein – sie alle sind viel zu gut zu mir …“ Weiter dann traf ihr Blick ein ernstes trauriges Augenpaar – Inge Söörgaard …!
Inge, die in aussichtsloser Liebe, der nie die letzte Erfüllung winkte, Mafaldas Gatten zugetan war …
Und jetzt – – Mafalda war dicht vor ihr …
„Fräulein Söörgaard …“ – und ihre Stimme bebte … – „jetzt in dieser Minute, wo dieser freundliche Empfang mich so tief beschämt, will ich auch Ihnen eine große Freude bereiten … Sie lieben den Fürsten … Fürst Sarratow ist nach Recht und Gesetz nicht mein Gatte … Schon einmal deutete ich Ihnen Ähnliches an … Ich habe, als wir heirateten, falsche Papiere benutzt … Mein Mädchenname ist Merten … Ich gab mich damals als eine geborene von Laskowski aus … Diese falsche Beurkundung bei der Vermählung macht die Ehe für nichtig … Dami ist Fürst Sarratow frei … Und fortan will ich nie mehr Fürstin Sarratow genannt werden … Mafalda Merten heiße ich – bis zu dem Zeitpunkt, wo der Mann meiner Liebe, Baron Gußlar, mir seinen Namen geben wird …“
Inge Söörgaard war erblaßt …
„Und – – und das ist die Wahrheit?!“ stammelte sie und preßte die Hände auf das jagende Herz …
„Das ist die Wahrheit, – so gewiß ich Mafalda Merten bin und meine Mutter mir verziehen hat …!“
Inges blonde Schönheit strahlte auf in übergroßer Seligkeit …
Und jäh wandte sie sich um – eilte davon … Durch das Labyrinth der Grotten – den durch brennende Fackeln gekennzeichneten Pfad entlang – – einen weiten Weg zum Ausgang, wo die Männer sämtlich mit dem Vermauern der Felsöffnung beschäftigt waren, wo soeben Murat eine Last von Steinen herbeischleppte und Fürst Sarratow mit einem Spaten in einem Fasse lehmigen Brei als Mörtel bereitete …
Inge erschien neben ihm …
„Iwan – – Iwan, – – Mafalda … soeben … angelangt …“
Und fliegenden Atems berichtete sie …
Iwan Alexander Fürst Sarratow warf den Spaten beiseite …
Öffnete die Arme …
„Inge, Inge, – dann soll der Doktor heute vier Paare vereinen – – auch uns beide, Inge …!!“
Und Inge warf sich an seine Brust …
Was kümmerte sie in dieser Sekunde die Anwesenheit der anderen Männer?! Sie küßte den Geliebten, flüsterte an seiner Brust …:
„Morgen – – der 1. Oktober! Heute – unser Hochzeitstag!!“
Noch fester preßte der Fürst sie an sich …
Wie eine rasch wieder schwindende Vision schaute er ein wunderbares Bild: den mächtigen Eisberg – funkelnd im Sonnenlicht – – das Wrack des Robbenfängers, – – und Inge und er dahinwandernd über die schwimmende Eismasse … – Dort hatte ihre Liebe begonnen … Hoch im Norden des Atlantik an der Grenze des Polargebiets …
Und hier im sonnigen Süden würde nun dieser Liebe die schönste Erfüllung erblühen – an dem Tage vor dem Weltuntergang …
Fünf Uhr nachmittags …
Am dreißigsten September …
Draußen auf der Urwaldlichtung Sonnenschein … Still, verlassen die Farmgebäude … Leer die Viehkraale …
Ein Reitertrupp nahte von Südost …
Vierzig Neger … Voran fünf Europäer … Alle schwer bewaffnet …
Kamen von Laomee, vom Nil … Hatten den Polizeimeister der Station bei sich …
Wollten Robbsams und Bullers Tod rächen …
Ritten dahin – im stolzen Bewußtsein ihrer Übermacht … Hatten sich für alle Fälle Mut angetrunken, die weißen und die schwarzen Herrschaften. Waren auch vorsichtig gewesen … Hatten die Farm und die auf dem Vorplatz liegende Sphinx erst eine Stunde von weitem mit Ferngläsern beobachtet um dann erst dann ein paar Neger als Späher auszuschicken … Die kamen zurück und meldeten, daß keine Menschenseele dort mehr vorhanden, die Gebäude leer, die Stuben des Wohnhauses leergeräumt …
Polizeimeister Skellon hatte dazu den whiskyroten Schädel geschlackert …
Er fühlte sich als Oberkommandierender …
„Sind ausgerückt, die Germans!“ meinte er geringschätzig. „Haben alles im Stiche gelassen, die Bande … Werden das Gold mitgenommen haben, die Brut!!“
Jetzt löste der Trupp sich auf, umzingelte die Farm …
Dann war man auf Schußweite heran …
Skellon und die vier anderen Europäer hielten bescheiden sich im Hintergrung … Man konnte ja nicht wissen! Eine Kugel war unberechenbar … Besser, daß die Nigger zunächst mal ihre schwarze Haut zu Markte trugen …
Der Ring schloß sich enger und enger … Aber kein Schuß fiel …
Die fünf Kultivierten wurden mutiger …
Drangen in das Wohnhaus ein …
Leer – – tatsächlich ausgeräumt …
Und kletterten dann an der Außenleiter der Sphinx empor …
Die Turmluke fanden sie verschlossen … Eisenblenden lagen vor den Turmfenstern …
Skellon schlackerte abermals mit dem Schädel …
„Nun – wir werden ihre Spuren schon finden! – Sie sind mit Sack und Pack abgezogen … Suchen wir die Fährte der Wagen … Wagenspuren lassen sich nicht verwischen …“
Man drang auch in die Büsche am Fuße der Felsgruppe ein …
Aber die Werters und die Sphinxleute waren schlau gewesen, hatten jede Fährte, die zum vermauerten Grotteneingang führte, sauber ausgetilgt. Denn Wilhelm Wärter hatte das Nahen der Strafexpedition rechtzeitig gemeldet … Und der Grotteneingang war so geschickt verschlossen worden, daß es nicht auffiel … Die äußere Schicht der eingefüllten Felsstücke hatte die Farbe der Umgebung … und von dem Lehmmörtel war nichts zu bemerken … –
Die Neger und die Weißen schnüffelten überall umher.
Überall … – Standen vor einem Rätsel, zumal man nun auch die vier großen plumpen Wagen der Farmer in einem Nebengebäude entdeckt hatte …
Skellon war wütend …
Der Alkoholdunst aus seinem Hirn schwand …
War kein Dummkopf, der Skellon … Konnte so allerlei, wenn er nüchtern war … Mehr als die Kontorjünglinge der Faktorei …
Suchte nochmals – allein … Sagte sich mit Recht, daß die Verschwundenen nur in nächster Nähe ein tadelloses Versteck gefunden haben müßten …
Da waren die Felsen – ein Hügel von gut vierzig Meter Höhe, baumbeschattet, von Gestrüpp umgeben.
Den Hügel nahm er sich vor … Bedächtig spähend – jede Kleinigkeit beachtend …
Kletterte überall umher …
Es wurde sechs Uhr … – Skellon gab die Sache auf, umschritt ein letztes Mal die Felsen …
Die Sonne funkelte durch die Büsche … Beleuchtete den Boden …
Der Polizeimeister stutzte …
Da stand er gerade vor dem vermauerten Eingang.
Merkwürdig, wie viel trockenes Laub hier umherlag.
Merkwürdig …!! – Und er kniete nieder und scharrte es beiseite …
Stutzte wieder …
Völlig zertreten die Grasnarbe hier – Stiefelspur an Stiefelspur …
Seine Augen hafteten auf dem Gestein gerade vor ihm …
Hm – wie höckerig die Felsen hier waren … Buckel an Buckel … So seltsam unregelmäßig …
Und er erhob sich, trat näher …
Besichtigte das Gestein …
Schob die Hand in eine der Spalten – ganz tief … Zog sie zurück, hatte zwischen Daumen und Zeigefinger feuchten Lehm …
Starrte auf das Lehmklümpchen und grinste …
Also – – da steckten sie – – da!! Hatten hier eine Mauer errichtet … Verdammt schlaues Pack …!!
Nochmals griff er in eine andere Spalte hinein …
Fühlte abermals ganz hinten eine zweite Steinschicht und noch feuchten Lehm …
Und – – fuhr zurück …
Da war gerade in Höhe seines Kopfes plötzlich ein großes Felsstück nach innen zu verschwunden …
Ein abschreckend häßliches, braunschwarzes Zwergengesicht wurde in dem Loche sichtbar …
Ein Daki …
Skellon stierte den Gnom überrascht an …
Seine Hand fuhr zum Ledergurt … Im Nu hatte er die Pistole heraus …
Der Zwergenkopf verschwand ebenso schnell …
Ein behaarter Arm fuhr aus dem Loche…
Murats muskulöser Arm …
Und – – zwei Schüsse knallten fast gleichzeitig … – Der Homgori hatte eine Sekunde früher abgedrückt … Skellons Kugel klatschte gegen das Gestein …
Seine letzte Kugel …
Er drehte sich um sich selbst, schlug zu Boden, lag auf dem Rücken … – gerade auf derselben Stelle, die er von dem trockenen Laub befreit hatte …
Neger stürmten herbei … Die vier Weißen folgten … – Man fand den Toten mit Stirnschuß … Sonst nichts …
Den Herren von der Faktorei wurde es unheimlich zumute …
Zwei Schüsse hatten sie gehört … Der zweite Schütze blieb unsichtbar …
Die Neger schwärmten umher, zerstampften den Boden, tilgten noch mehr jede verdächtige Fährte zum vermauerten Eingang …
Man trug Skellons Leiche vor das Wohnhaus, und die vier von der Faktorei berieten …
„Aufbrechen die Turmluke der Sphinx!“ riet der eine. „Finden wir nichts, stecken wir die Farm in Brand und kehren heim …!“
Die anderen waren schnell bereit …
Negerfäuste schwangen als Hammer ein Felsstück … Schläge dröhnten auf das Schloß der Luke … Gewaltige Schläge … Das Metall bog sich … Der Riegel brach, und man hob die Luke empor …
Die vier hinab in den Turm …
Gold – – Gold suchten sie!!
Fanden – – leere Kabinen … Ausgeräumt war die Sphinx … Nur die Maschinen noch vorhanden …
Wütend kletterten die vier wieder an Deck …
Die Schwarzen hatten schon Reisig zusammengeschleppt – einen ganzen Berg …
Ein paar Zurufe … Die Horde verteilte sich, wollte nun alles in Flammen aufgehen lassen … Sie trugen Reisigbündel in die Blockhäuser …
Keiner kümmerte sich um die Felsgruppe – keiner um die Stelle, wo Skellon erschossen worden war …
Murat und der Daki, am vermauerten Eingang als Wachen zurückgelassen, während tiefer in der Höhle vor den Laubhütten Dr. Falz vier glückliche Paare fürs Leben vereinte, waren durch das Schlupfloch ins Freie gekrochen und beobachteten die Brandstifter …
Des Homgori Gesicht war wild und mordlustig …
Ein Neger hatte soeben ein Reisigbündel vor der Tür des Wohnhauses angezündet und wollte nun diese Brandfackel durch das offene Fenster in eins der Vorderzimmer in den dort aufgehäuften Strauchberg werfen …
Da der blecherne Knall eines Pistolenschusses …
Der Schwarze taumelte, sank um …
Zwei weitere Schüsse … und zwei der Kontorjünglinge knickten mit Kugeln in den Beinen um …
Eine brüllende Rotte stürmte auf die Felsgruppe zu …
Von dort waren die Schüsse gefallen …
Man mußte die Schufte finden, – – mußte …!!
Bleich vor Wut die beiden anderen Europäer …
Wieder suchte man …
Unermüdlich …
Nigger kletterten in die Baumkronen … Vielleicht war dort oben das Wild …! Und doch – alles wieder umsonst …
Noch unheimlicher ward’s den Weißen … Sie merkten, daß Spiel hier war gefährlich, war ungleich … Man tat klüger, die Lichtung zu verlassen …
In aller Hast brachen sie auf, nahmen den toten Skellon und die drei Verwundeten mit … Niemand dachte mehr an Brandstiftung …
Still ritten sie davon – im Schritt – – gen Südost, wo am Urwaldrand im sumpfigen Gewässer ihre Flöße lagen …
Waren noch keine dreihundert Meter geritten, als vor ihnen die zwei Neger auftauchten, die sie zur Bewachung der Flöße zurückgelassen hatten …
Der eine schwang etwas weißes in der Hand – einen Brief …
Meldete dann, daß von Laomee ein Bote eingetroffen sei … Skellons Frau habe den Brief geschickt.
Der eine Faktoreiangestellte öffnete das Schreiben.
Las …
Begriff kaum …
Sein verstörtes Gesicht wurde noch verstörter …
Frau Mady Skellon hatte ihrem Manne geschrieben:
‚Lieber Edward, soeben brachte der Nildampfer ‚Roberts’ die Nachricht, daß von Kairo aus die Kunde sich verbreitet hat, die Welt würde morgen am 1. Oktober nachts zwölf Uhr durch zwei Kometen vernichtet werden. Der Kapitän des Dampfers erzählt, daß in Chartum bereits alle Schwarzen sich gegen die Europäer erhoben haben und daß in den Straßen gekämpft wird. Er selbst ist nur noch mit knapper Not mit seinem Schiff unbehelligt davongekommen. – Es muß etwas Wahres an dem angeblich drohenden Weltuntergang sein. In allen Ländern soll Panik herrschen.
Kehre sofort zurück und las die Ansiedler in Ruhe, Edward! Belaste dein Gewissen nicht jetzt noch mit Dingen, die dir im Jenseits hart angerechnet werden können. Ich habe dir so dringend davon abgeraten, etwas gegen die Sphinx nur der Milliarden wegen zu unternehmen. Du hast meine Frömmigkeit stets verlacht. Jetzt wirst du vielleicht in dich gehen, wo das Ende aller Dinge bevorsteht. Du wirst ja von dem Kapitän alles persönlich hören. Kehre zurück, Edward! Und – – schweige den Schwarzen gegenüber …! Die Heizer des Dampfers haben hier in Laomee schon zu viel von den Vorgängen in Chartum erzählt … Unsere Neger sind frecher denn je … – Kehre zurück … Ich bin in solcher Angst … – Mady.’
Der Mann, der dies mit leisem Grauen las, starrte auf das in eine Decke auf einem Dromedar festgebunden Bündel …
Dort lag Edward Skellon, dem diese Warnung galt … Und Skellon war tot …
Der Mann, der dies alles gelesen hatte, nahm seine drei Freunde abseits … Die beiden Verwundeten hockten bleich auf ihren Tieren …
Schauten einander mit leeren Blicken an …
Dumpfes Ahnen sagte ihnen, daß das Verhängnis unabwendbar, – – daß der Tag des Jüngsten Gerichts morgen anbräche …
Und – – ritten weiter …
Entsetzen im Herzen …
Wie Delinquenten …
Bestiegen die Flöße … Durchquerten die Sümpfe des Urwaldgürtels … –
Auf dem dritten Floß stand der Bote, den Frau Skellon mit dem Brief geschickt hatte …
War ein Araber, Mohammedaner … Hatte mit den schwarzen Heizern des Dampfers heimlich gesprochen.
Seine dunklen Augen glühten … Der stille, friedliche Diener war zum Fanatiker geworden …
Zehn Neger hörten ihm atemlos zu …
Haß gegen die Weißen predigte der Araber – – Mord, Vergeltung …
„… Ihre Sklaven sind wir … Dieses Land gehörte euch … Jetzt seid ihr nur noch geduldet … Ihr müßt für sie arbeiten … Und sie tragen die Schuld, daß Allah jetzt die Sterne schickt, die uns verbrennen werden …“
Seine Stimme schrillte vor Rassenhaß …
Negeraugen flackerten …
Negerseelen schwelgten im Vorgefühl des Blutrausches …
Rache – – Vergeltung …!!
Und als die Flöße landeten, – – vier Schüsse …
Heimtückisch … Aus nächster Nähe …
Vier, die im hohen Grase der Nilsteppe lagen … Skellons Leiche kollerte vom Dromedar zu den übrigen …
Die Stimme des Arabers schrillte wieder …
In seinen braunen Händen flatterte Frau Madys Brief …
Er las vor …
Wort für Wort …
Wiederholte die Sätze, die von der Frechheit der Schwarzen handelten …
Gebrüll drang zum Abendhimmel …
Tierische Wutschreie …
Dann jagte der Trupp los – gen Laomee …
Vierzig Bewaffnete …
Sinnlos vor Rassenhaß …
Nachts elf Uhr trafen sie in Laomee ein …
Mondlicht gleißte auf dem Nilstrom … Am Ufer, an der Landungsbrücke der Dampfer und ein paar große Frachtkähne …
Feuerschein lohte auf …
Frau Mary Skellon hatte ihr Haus verbarrikadiert.
Eine Stunde später lebte kein Weißer mehr in Laomee … Die Faktorei brannte … Der Dampfer von Flammen unloht trieb mit der Strömung …
Betrunkene Neger tanzten um flackernde Feuer …
Der Araber stand abseits – Verachtung im Blick …
Breitete seinen Gebetsteppich aus … Kniete nieder … Ein Bild, ein Beispiel dessen, was jetzt überall in den Tropen sich abspielte, wo die Europäer sich Gewalt angemaßt hatten über braune und schwarze Naturkinder. –
Der Araber betete inbrünstig zu seinem Gott, hob dann seinen Blick empor zum nächtlichen Himmel …
Dort droben, bereits mit bloßem Auge zu erkennen, eilten die beiden Kometen dahin … Ihre feurigen Schweife zogen hinter ihnen her…
Obwohl sie mit unendlicher Geschwindigkeit durch das Weltall jagten, schienen sie doch für den Betrachter hier unten stille zu stehen …
Zwischen den Millionen von Sternen nahmen sie ihren Weg des Verderbens – vorbei an fernen Weltsystemen – vorbei an Planeten und Sonnen – – in langer Kurve auf die arme Erde zu … –
Die Neger schwelgten in Branntwein …
Der Araber rollte seinen Gebetsteppich zusammen und verschwand still in seiner Hütte …
* * *
Zu derselben Zeit, als Polizeimeister Skellon vor dem vermauerten Höhleneingang die tödliche Kugel empfangen hatte, standen vor einem festlich als Altar geputzten Tische in der Grotte unweit der Laubhütten vier Paare Arm in Arm …
Und ringsum die Zeugen der ernsten Feier – die Familie Werter, die anderen Sphinxleute …
Und vor den acht Glücklichen des Einsiedlers von Sellenheim hohe, hagere Gestalt …
Seine klare, gütige Stimme sprach von Gott, der nicht nur den Tieren sondern auch den Menschen den Liebestrieb in die Seele gepflanzt hatte …
„… Pharisäische Menschenhirne haben aus diesem natürlichsten stärksten Trieb etwas Sündhaftes konstruiert … Wie soll wohl etwas Sünde sein, daß die Natur uns und ihren anderen Geschöpfen mitgegeben, genau wie etwa das Gefühl des Hungers zum Überleben?! – Gott verlangte: Seid fruchtbar und mehret euch! Liebe ist geheiligt durch ihr Endziel: Die Erhaltung des Menschengeschlechts! – Ihr aber, denen ich hier die Hände zum ehelichen Bunde zusammenlegen darf, werdet ein noch höheres Ziel haben: Die Erneuerung der Menschheit! Eure Liebe ist durch das Fegefeuer von Gefahren und Leid der letzten Monate kristallklar geläutert! Eure Seelen sind gereinigt durch diese Zeit des unerhörten Erlebens, das nun hinter uns liegt … So sollte es sein! Alles war Bestimmung! Das war der eigentliche Zweck dieses Ringens um eitles, nichtiges Gold: die Erwählten vorzubereiten! – – Und nun tretet als erste vor, Tom Booder und Toni Dalaargen, damit ich euren Bund segne!“
Die Fackeln an den Felswänden knisterten … Zwei große Karbidlaternen der Sphinx warfen hellen Schein auf das kniende Paar …
In den Kraalen meldeten sich die Tiere, die nun bereits ruhiger geworden …
Seltsame Feier … Ganz anders noch als Viktors und Agnes Hochzeit auf der Insel der Seligen …
Damals ein geschmücktes Zimmer – Harmoniumklänge …
Hier nur das kahle Gestein – – die Laubhütte – und Berge von Hausrat der Familie Werter sowie die Einrichtungsgegenstände aus den Kabinen der Sphinx nur, die Naturmusik der Tiere. Blöken von Schafen, dumpfes Brüllen von Rindern und das leise friedliche Meckern der großen nubischen Ziegen … –
Des Einsiedlers von Sellenheim Stimme vibrierte leicht, als er nun auch sein eigenes Kind, seine Mela, mit dem Herzog Fredy Dalaargen zusammentat …
„Werdet glücklich …!“ sagte er leise …
Und dann das letzte Paar: Inge und Fürst Sarratow …
Und – – abseits stand Mafalda Merten …
Tränen in den Augen … Bange Sehnsucht im Herzen …
Sehnsucht nach dem fernen Geliebten … –
Die Feier war vorüber …
Man beglückwünschte die Jungvermählten …
Und eilfertig trafen Frau Werter, Frau Sanden und Maria die letzten Vorbereitungen zum festlichen, schlichten Mahle …
Vier Tische waren zusammengerückt worden …
Bund zusammengewürfelte das Geschirr … Gaupenbergs Rede während des Mahles kurz und wehmütig … Gottlieb Knorz’ gedachte er … Brachte kein Hoch auf die Glücklichen aus, schloß nun mit den Worten:
„Eure Ehen, meine Freunde, mögen so werden wie die Georgs und die meine! Etwas Besseres kann ich euch nicht wünschen!“
Eine ruhige, feierliche Heiterkeit herrschte bei Tisch.
Dr. Falz ließ sich zu manchem harmlosen Scherzwort herbei …
Nichts störte die Festtafel … Nur die sechs zahmen Mantelpaviane trieben allerlei Allotria … Und auch die drei Schäferhunde umstrichen bettelnd den Tisch …
Um sieben Uhr abends war das Hochzeitsfest vorüber …
Für jedes der Paare hatte man eine besondere Hütte errichtet, hatte es den Liebenden recht traulich gemacht … Die Betten aus den Kabinen der Sphinx standen in den Hütten, dazu andere Möbel, Tischchen, Bordstühle …
Und wie einst auf der Schwarzen Insel das Ehepaar Gaupenberg in heiterem Zuge zur Hochzeitsgrotte geleitet worden war, ebenso wurden nun auch hier die Neuvermählten zu ihren Hütten gebracht …
Dr. Falz küßte sein Kind, umarmte seinen Schwiegersohn …
Dann verschwanden auch diese beiden in dem grünen Brautgemach …
Und die Werters und die übrigen begaben sich wieder an die Arbeit. Mancherlei gab es noch zu tun. –
Dagobert Falz und Gaupenberg schritten dem vermauerten Höhleneingang zu …
„Man soll nichts vernachlässigen, was man an Vorsichtsmaßregeln ergreifen kann, lieber Graf,“ sagte Falz auf eine Bemerkung Gaupenbergs hin. „Und wenn es vielleicht auch nicht unseretwegen geschieht, so doch der Tiere wegen, die wir hier in die Höhle genommen haben … Wir haben ja auch Zeit … Wir können die Mauer um das dreifache verstärken … Noch achtundzwanzig Stunden bleiben uns …“
Viktor Gaupenberg gab sich mit dieser Antwort nicht ganz zufrieden …
„Sie nehmen doch aber an, Herr Doktor, daß die ganze Urwaldlichtung dort oben von den Glutwellen verschont bleibt …!“ sagte er leicht beunruhigt …
„Gewiß … Ich nehme es an, aber nur auf Grund meiner letzten Visionen … Die haben noch nie getrogen … Und doch wiederhole ich, wenn die Möglichkeit sich bietet, sich zu schützen, und – man es nicht gut, fordert man das Geschick heraus! – Ah – da ist schon Murat … Dort der kleine Daki … Sie vertragen sich gut miteinander, die beiden …“
Auch hier zwei Laternen …
Der Homgori kam schnell herbei und erzählte … Schilderte den Brandstiftungsversuch der Leute aus Laomee und verteidigte wortreich sein Verhalten – den Gebrauch der Pistole …
Falz nickte ihm zu …
„Es war Notwehr, Murat … Wir machen dir keinen Vorwurf … – Die Reiter sind also bestimmt abgezogen?“
„Ja … Wir, Daki und ich, wieder draußen waren.“
„Dann kannst du wieder Felsstücke sammeln, Murat … Die Söhne des Farmers und Hartwich werden sofort erscheinen, und dann soll die Mauer noch verstärkt werden … Das Schlupfloch lassen wir bis morgen abend offen … Nun entfernt den Verschlußstein des Loches … Der Graf und ich möchten ins Freie …“
Sie krochen denn auch wirklich etwas mühsam hinaus.
Die Sonne ging gerade unter …
Seltsam fahl war das Licht der Abendröte …
Die beiden Männer umschritten erst die Baulichkeiten und erkletterten dann den Hügel …
Sie hatten Ferngläser mitgenommen … Suchten nun die Waldblöße ab …
Die Sonne versank zwischen den Wipfeln des Urwaldgürtels …
Es war, als ob irgend etwas ihr einen Teil ihrer Leuchtkraft genommen hatte … Wie ein blasser Mond verabschiedete sie sich von dieser Erdenhälfte …
Gaupenberg fragte:
„Einfluß der Kometen, Herr Doktor?“
„Ohne Zweifel …! – Ziehen Sie einmal bitte ganz langsam prüfend die Luft ein, lieber Graf … Was riechen Sie?“
Gaupenberg tat’s …
„Ah – – Ozon – – intensiver Ozongeruch …! Genau so, als ob man von einem Höhensonnenapparat bestrahlt wird …“
„Auch das ist auf die Annäherung der Kometen zurückzuführen … – Suchen wir die beiden Weltenwanderer …“
Sie richteten ihre Ferngläser auf das Firmament.
Die Dämmerung ging rasch in nächtliches Dunkel über …
Die Gestirne erschienen …
Dann Gaupenberg – das Glas an den Augen:
„Der eine Komet …!! Ganz tief am Horizont … Im Westen …“
„Und der andere im Osten … Jetzt schon mit unbewaffnetem Auge erkennbar … – Spüren Sie diese absolute Windstille, lieber Graf? Auch nicht ein Lufthauch … Nichts mehr – – nichts …! Eine unheimliche Reglosigkeit … Kein Blättchen bewegt sich … Und die Gestirne scheinbar glanzloser … Die Nähe der Kometen wirkt bereits … Wird sich steigern … Wer weiß, welch ein Bild morgen um diese Zeit der Himmel bietet … Ich … –“ – er zögerte – „… Ich bin noch nicht ganz einig mit mir, ob ich nicht doch hier im Freien die kritische Stunde abwarten soll … Ich möchte Zeuge der Katastrophe sein …“
Gaupenberg ergriff hastig seine Hand …
„Herr Doktor – das werden Sie nicht tun …! – Herr Doktor, das dürfen Sie nicht …! Ich erinnere an Ihre eigenen Worte von vorhin. Es hieße das Geschick herausfordern, wenn man nicht alles an Vorsichtsmaßregeln …“
Falz unterbrach ihn …
„Es ist doch wohl ein Unterschied, lieber Graf, ob ich aus rein wissenschaftlichem Interesse …“
Gaupenberg da – sehr ernst:
„Und Sie wollen uns dort unten in Angst und Unruhe um Ihre Person zurücklassen?! – Nein, das dürfen Sie nicht, Herr Doktor … Nein – denken Sie an Ihr Kind, Ihre Mela …! Denken Sie an uns alle, die wir Sie verehren und lieben!“
Dagobert Falz hatte sich halb abgewandt …
Schien kaum zuzuhören …
Lauschte in die Ferne …
Und – ganz unvermittelt – – in eigentümlich gepreßten Tone:
„Täusche ich mich …?! – Vielleicht sind Ihre Ohren besser, Gaupenberg … Es war mir, als ob ich Hilferufe vernahm …“
Die beiden rührten sich nicht …
Und jetzt … Gaupenberg beugte sich vor …
„Dort … dort drüben … – – Man ruft um Hilfe, Herr Doktor … Ich werde …“
„Halt, – – Sie bleiben …! Oder besser, wir beide sehen nach, was dort geschieht …“
Gaupenberg stellte rasch sein Glas ein …
„Da – wieder die Rufe, – – aus der Richtung des einzelnen Baumes jenseits des Roggenfeldes … – Kommen Sie, Herr Doktor … Ich habe meine Pistole bei mir …“
Sie eilten den Felshügel hinab …
Beide in ungewisser Angst … Beide in dem dunklen Gefühl, daß ihnen böse Überraschungen bevorständen.
Der einzelne Baum war ein gewaltiger Tamu mit zahllosen Luftwurzeln, mit Ästen, die sich waagerecht streckten und dann ihre letzten Sprossen senkrecht emportrieben …
Beladen mit weißen Blüten, deren scharfer Duft unerträgliche Kopfschmerzen hervorrief …
Da – – abermals ein schriller Ruf …
Gaupenberg war ein Dutzend Schritte voraus …
Er erblickte undeutlich zwischen den Luftwurzeln drei Gestalten … Und ringsum kleine flinke behaarte Teufel, eine Herde von wilden Mantelpavianen, gefährliche Angreifer, frech und listig, im Werfen von Steinen Meister …
Der Graf riß die Pistole heraus …
Feuerte … drei, vier Schuß …
Die Herde stob davon, nahm zwei Verwundete mit sich …
Und unter den Luftwurzeln kroch nun eine Gestalt hervor, richtete sich auf, wischte das rinnende Blut von der Stirn …
Gaupenberg stutzte …
War’s möglich …?!
War das nicht der Mormonenpriester Samuel Tillertucky, der Agnes und ihn getraut hatte …?!
„Tillertucky, – sind Sie’s wirklich?!“ rief Gaupenberg halb freudig, halb ungläubig …
Und die Antwort im wohlbekanntenm dröhnenden Baß:
„Bei allen Heiligen – – Graf Gaupenberg …!!“
Tillertucky lief vorwärts, breitete die Arme aus …
„Lieber Graf, – – welche Überraschung!!“
Und preßte den Herrn der Sphinx an sich … Weinte fast vor Jubel …
Dr. Falz nahte …
Und auch er mußte sich eine Umarmung gefallen lassen …
Zwei Frauengestalten wagten sich heran …
„Wahrhaftig, – – Sahra und Hekuba!!“ – und Gaupenberg drückte den beiden bescheidenen Gattinnen des Mormonen innig die Hand …
Samuel Tillertuckys feistes Gesicht leuchtete vor Seligkeit …
„Das – das habe ich nicht zu hoffen gewagt …!“ rief er … „Nein – dieses Wiedersehen mit den alten Freunden ist mir mehr wert als all die Diamanten! Sie wissen doch noch, Mr. Falz, daß ich hier in der Nähe als Gefangener der Daki-Zwerge in einem Termitenhügel eine Menge Edelsteine gefunden hatte und …“
„… und dieser Diamanten wegen sind Sie nun wieder hierher gekommen?“
„Gewiß … gewiß …! Doch nicht für mich wollte ich sie holen … Nein – nur für unsere heilige Kirche, für den Mormonenstaat … Unser Prophet hat mich hierher geschickt, nachdem ich ihm anvertraut hatte, daß offenbar ein Vogel, der an blanken Steinen Freude hatte, die Diamanten in den Termitenhügel geschleppt haben muß … Nein – nicht aus selbstsüchtigen Motiven, sondern …“
Und wieder unterbrach der Einsiedler von Sellenheim ihn – diesmal feierlich und mit einer würdevollen Handbewegung nach dem schillernden Firmament:
„Tillertucky, – Ihr Prophet schickte Sie … – scheinbar! In Wirklichkeit hatte das … Schicksal auch mit Ihnen und Ihren beiden Frauen besonderes im Sinn … In Wahrheit, Samuel Tillertucky, sind Sie einer der Unsrigen …! Und deshalb führte die Vorsehung Sie auf diese Lichtung … – Wissen Sie nichts von dem, was der Erde bevorsteht?!“
„Bevorsteht – – der Erde?! Was denn?!“ Und der Dicke schüttelte eifrig den Kopf, betupfte sich wieder die Stirn, die durch einen Steinwurf blutig geschlagen … „Nein – keine Ahnung habe ich … Wir drei sind seit vierzehn Tagen mit unseren vier Mauleseln von Chartum aus unterwegs … Vorhin hatten wir uns verirrt … Kamen hier auf die Lichtung, ließen unsere Tiere vorläufig zurück und wurden von den Pavianen überfallen … Leider hatte ich meine Revolver in den Satteltaschen vergessen … – Nein – ich bin völlig ahnungslos …!“
„Dann holen Sie zunächst einmal mit dem Grafen Ihre Maultiere … Gaupenberg wird Ihnen alles Nötige berichten …“
Und eine halbe Stunde später begrüßte auch Agnes voller Freude die alten Bekannten … Drückte auch Georg Hartwich dem Mormonen fest die Hand …
Es war nicht gerade einfach gewesen, den dicken Tillertucky durch das Schlupfloch des vermauerten Höhleneinganges hindurchzubekommen. Und die vier Maultiere mußte man notwendigerweise draußen lassen …
Bis gegen Mitternacht saßen die Gefährten von einst dann noch in der Höhle bei Laternenschein beieinander und frischten alte Erinnerungen auf …
Samuel hatte die Kunde von dem drohenden Untergang des Menschengeschlechts mit größter Fassung entgegengenommen … Hatte auch nicht einen Augenblick gezweifelt, daß die Katastrophe tatsächlich eintreten würde. Auch er hatte ja mit bloßem Auge die beiden Kometen am Himmel bemerkt … Nur eins beunruhigte und quälte ihn. Ob dieses Vergehen der Menschheit wirklich, wie Dr. Falz betonte, so blitzartig gleich durch einer elektrische Entladung erfolgen würde. –
Und als es dann genau um Mitternacht geworden, als der Einsiedler von Sellenheim einen flüchtigen Blick auf seine Uhr geworfen und sich erhoben hatte, da verstummten alle …
Dagobert Falz sagte schlicht:
„Freunde, noch vierundzwanzig Stunden trennen uns nun von dem Augenblick der Entscheidung … Gehen wir zur Ruhe … Die nächste Nacht wird uns bange Minuten bringen, die an unsere körperliche und geistige Widerstandskraft hohe Anforderungen stellen dürften … Gute Nacht, Freunde …!“
Und er und Pasqual Oretto begaben sich in die Laubhütte, die sie gemeinsam bewohnten.
Auch die anderen verschwanden in ihren grünen Zelten …
Still war’s in der Höhle geworden. Selbst die Tiere hatten sich niedergetan …
Nur am vermauerten Eingang spähte Murat, der Homgori, durch das Schlupfloch auf die mondbeschienene Lichtung hinaus … Murat, treuer Wächter der Gefährten, – unermüdlich, pflichtgetreu …
Neben ihm der kleine häßliche Daki, – dankbar, zufrieden …
Und nur in den vier Hütten der Jungvermählten noch das Raunen und Flüstern heißer Liebe …
Der erste Oktober …
Morgendämmerung … Bei völliger Windstille … Klarer Himmel … Nicht ein Wölkchen am Firmament mit der immer mehr verblassenden Mondsichel …
Die brausende Brandung an den Riffgürteln von Christophoro war schon gestern abend verstummt …
Eine für das Eiland beängstigende Stille herrschte …
Spiegelglatt war das Meer … Seltsam träge die Möwenschwärme … Dann wieder plötzlich in wilder Unruhe dahinschießend …
Regungslos lagen draußen an der Nordwestküste zwei verlassene Schiffe: der ‚Meteor’ und der ‚Star of Manhattan’
Niemand war mehr an Bord …
Niemand, der die beiden drohenden Weltenwanderer beobachtet hätte, die da hoch im Äther wie fest gebannt schwebten mit ihren leuchtenden Schweifen …
Unheimlich glanzlos ging die Sonne auf …
Trübes Licht über Meer und Insel … Bleigrau der Ozean – eine Farbe, wie bei dunklem Himmel, wie kurz vor einem Unwetter …
Nur einer hier auf Christophoro beobachtete die beiden Vernichter der Menschheit …
Dr. van der Baake …
Hatte nur ein paar Stunden nachts geschlafen …
Stand nun vor seinem Zelt, das Fernglas am Auge.
Eine schwere, schwere Müdigkeit in allen Gliedern … Vielleicht deshalb, weil die Luft bereits mit Ozon übersättigt war, weil die Annäherung der Kometen die merkwürdigsten elektrischen Wirkungen hervorrief.
Die Spitzen der Zeltstangen sprühten gelbweiße Lichtbüschel aus …
St. Elms-Feuer …
Sogar das Fernrohr war elektrisch geladen. Wenn Baake die Messingteile berührte, erhielt er einen leichten Schlag …
Und – das wunderbarste Bild!–: Drüben das Wrack des U-Bootes auf der Lichtung, dieser stählerne Spindelleib erstrahlte an allen Kanten und Spitzen so intensiv, als ob dort Leuchtkörper angebracht wären.
Baake beobachtete seinen Weltallpilgerer …
Im Fernrohr hatte der Körper des Kometen bereits einen Durchmesser von anderthalb Meter, der Schweif eine Länge von gut acht Meter …
Und Körper und Schweif gleißten in ständig wechselndem farbigen Lichte – wie eine ungeheure Rakete …
Dann sanken Baake die das Fernrohr haltenden Arme kraftlos herab …
Diese Müdigkeit – – diese durch keine Energie zu bannende Müdigkeit …!!
Und – was alles hatte er noch zu erledigen, wenn seine Absicht verwirklicht werden sollte …!!
Wenn nur erst Baron Gußlar, der sich morgens wieder hatte einfinden wollen, erschienen wäre …! Wenn er ihn nur erst wieder unter einem Vorwand weggeschickt hätte …!
Er mußte ja allein sein …! Niemand durfte ahnen, daß er sich selbst eine Sühne auferlegt hatte, die vielleicht zu dem unglückseligen Zufall, zu Gottlieb Knorz’ Tode, in keinem rechten Verhältnis stand …
Und doch, Baake wollte sich opfern! Er war ein alter Mann … Und der Abschluß seines Lebens, dieser Abschluß, würde sich nur trefflich einfügen in sein bisheriges wissenschaftliches Streben …
Die Schieferplatten hatte er bereits in aller Stille aus der Aztekenhöhle besorgt … Und in diese Tafeln würde er mit der Messerspitze seine Beobachtungen einritzen, würde so Urkunden herstellen, die unvergänglich waren, die auch den Feuergewalten trotzen würden … –
Geräusche hinter ihm …
Er drehte sich um …
Gußlar …!
Sie begrüßen sich herzlich …
Der Baron schaute mit ernstem Blick zur Sonne empor …
„Ja, wie bei einer Sonnenfinsternis,“ nickte Baake zerstreut … „Vielen Dank, daß Sie mir da wieder allerlei Leckerbissen mitgebracht haben … – Wie sieht es am unterirdischen Ozean aus?“
Gußlar stellte den gefüllten Korb vor das Zelt …
„Alles in bester Ordnung, Herr Doktor … Die Boote sind tadellos abgedichtet, und zur Probe haben wir sie heute mit voller Bemannung untertauchen lassen … Es klappte tadellos … Die Besatzung des ‚Meteor’ verträgt sich mit Randercilds Matrosen sehr gut … Es herrscht eitel Freude und Freundschaft … Die allgemeine Stimmung ist durchaus zuversichtlich … – Da es dort unten kaum noch etwas zu tun gibt, will ich Ihnen vorläufig Gesellschaft leisten …“
Baake erschrak … Biß sich auf die Lippen …
Und der Baron bemerkte die jähe Veränderung in den Gesichtszügen des Gelehrten, fragte überrascht:
„Das scheint Ihnen nicht gerade angenehm zu sein, daß ich noch bei Ihnen bleiben will …“
Sein prüfender Blick ruhte mißtrauisch auf Baakes faltigem, durchgeistigtem Antlitz …
„Oh – – Sie dürfen mich nicht mißverstehen …“ erklärte der Doktor nach einer kurzen Pause peinlichen Schweigens … „Sie wissen, daß ich das Alleinsein nicht nur gewöhnt bin, sondern daß ich es sogar liebe … Ich will ganz offen sprechen, es gibt jetzt hier auf der Oberwelt so vielerlei für mich zu beobachten, daß Sie mich nur ablenken würden, Baron … Das ist’s …! Wir wollen als Männer ehrlich zueinander sein … Ich möchte mich bei meinen Beobachtungen eben durch nichts stören lassen …“
Gußlar fühlte geradezu, daß Baake log und daß er ihn aus anderen Gründen entfernen wollte …
Vergalt nun Gleiches mit Gleichem …
Meinte:
„Ich begreife das vollständig … Auf Wiedersehen also, Herr Doktor … Wir dürfen Sie also gegen zehn Uhr abends unten erwarten …?“
Und er reichte ihm die Hand …
Baake schaute zur Seite …
Seine Finger, die in denen Gußlars ruhten, waren so auffallend kalt – wie abgestorben …
Und um den Mund lief ein noch seltsameres schmerzliches Zucken …
„Auf … Wiedersehen …,“ sagte er hastig … „Ja – so gegen zehn Uhr … Auf Wiedersehen … Grüßen Sie die anderen …“
Gußlar blickte ihn noch schärfer an …
Ein Verdacht stieg in ihm auf …
Urplötzlich ahnte er das Richtige …
Trotzdem schwieg er …
Ging durch freie Stellen des dornigen Dickichts, dem Eingang des Schachtes zu und schritt langsam die Steintreppe hinab …
Unten am Königssee der Aztekengrotte lag sein Boot.
Ebenso langsam ruderte er über das stille Gewässer und landete vor den Marmorpalästen …
Er ahnte, daß Baake ihn durch die große Öffnung im Auge behielt …
Machte das Boot fest und schritt weiter der verödeten Stadt zu …
Hier aber machte er halt …
Hier konnte der Doktor ihn nicht mehr sehen …
Und Gußlar wartete – volle zehn Minuten …
Hatte sich auf eine Steinbank vor eines der Häuser der Totenstadt gesetzt …
Dachte an Mafalda …
Mit demütiger und doch hoffnungsvoller Sehnsucht …
Es mußte ja ein Wiedersehen zwischen ihm und der Geliebten geben … So grausam konnte das Geschick nicht sein, daß es eine so wahrhaft Reumütige, Bekehrte auslöschte … –
Und als die zehn Minuten verstricken, begab er sich wiederum nach den Anlegebrücken, kettete das Boot los und trieb es leise über das regungslose Gewässer.
Stieg wieder im Felsschacht die Treppe hinan und erblickte nun, tief ins Gestrüpp sich duckend, das fahle unheimliche Licht der blassen Sonne …
Spähte nach Baake aus …
In der Nähe des Zeltes war er nicht …
Ah – – da kam er vom Nordstrande herbei, schleppte Steine im Arm, trug sie … nach dem Wrack des U-Bootes …
Und … erkletterte das Deck des U-Bootes, legte die Steine neben dem Turm nieder …
Eilte wieder zum Nordstrand – mit seltsamer Hast – wie einer, der keine Zeit zu verlieren hat … –
Gußlar hatte sich lang in den Sand gelegt und war auf allen Vieren bis zu einem der Felsblöcke gekrochen, von dessen flacher Spitze er, hinter einzelnen Gestrüppstauden verborgen, das Tun des Doktors genau verfolgen konnte …
Jetzt trug Baake in einem Stück Segelleinwand feuchten, graugrünen Ton herbei …
Schüttete ihn neben dem Turm auf die Deckplanken.
Unermüdlich arbeitete er …
Anderthalb Stunden waren verflossen …
Noch immer war Baake tätig … Und längst war es nun Gußlar zur Gewißheit geworden, daß der Doktor tatsächlich die Absicht hatte, die Weltkatastrophe hier oben abzuwarten …
Baake ummauerte jetzt den Turm mit Steinen …
Ließ nur zwei Öffnungen frei – gerade dort, wo in der Umrandung die beiden Granatschußlöcher klafften …
Gußlar konnte von der Höhe des Felsens alles ganz genau verfolgen …
Diese Öffnungen in der Mauer um den Turm erweiterte Baake nach außen hin in Trichterform, fügte mehrere Glasscheiben ein, die er aus dem Innern des U-Bootes geholt und sauber blankgeputzt hatte …
Die Mauer wurde immer dicker … Nahm Bienenkorbgestalt an und überwölbte so den Turm. Baake sorgte nur dafür, daß oben ein enges Loch gerade über der Lukenöffnung für ihn zum Hineinschlüpfen blieb. Dieses Loch wollte er offenbar später mit bereitgelegten und angepaßten Steinen und Ton verschließen. –
Der Baron war mit sich nicht ganz einig, ob er den Doktor von diesem selbstmörderischen Vorhaben, in dem gepanzerten Turm die Katastrophe und damit den Tod zu erwarten, abhalten sollte. Er ahnte, daß der Alte auf diese Weise den Unglücksschuß auf den wackeren Knorz zu sühnen gedacht, gleichzeitig aber auch den Überlebenden der vernichtenden Minuten sichere Angaben über den Verlauf der Kometenbegegnung liefern wollte.
Wie er nun noch so im Geiste erwog, was er tun solle, sich einmischen oder still wieder umkehren, war Baake durch die obere Öffnung seines steingepanzerten Turmes in das Innere des U-Bootes gestiegen.
Der Kurländer, immer noch im ungewissen, wie er sich zu des Doktors Absichten stellen solle, wurde mit der Zeit unruhig …
Baake war nun bereits zehn Minuten verschwunden.
Ob ihm vielleicht etwas zugestoßen war?! Ob vielleicht die elektrischen Lichterscheinungen an dem U-Boot, die immer intensiver wurden, so starke elektrische Entladungen hervorrufen konnten, daß der Doktor einen empfindlichen Schlag erhalten hatte?! Vielleicht lag er gar bewußtlos in dem halb zerstörten Tauchboot …!
Gußlar spürte jetzt auch an sich den erregenden Einfluß der übermäßigen Sättigung der Luft durch Ozon.
Inzwischen kam es ihm vor, als ob er Fieber hätte … Ein Zittern durchlief dann all seine Nervenstränge. Auch seine geistige Anspannung war krankhaft gesteigert. Sein Hirn arbeitete wie das eines Menschen, der an Gedankenflucht leidet …
Und das, was sein Hirn produzierte, waren wirre Bilder, die sich ohne jeden Zusammenhang ablösten …
Bald dachte er an Mafalda, malte sich aus, wie sie mit ihren Entführern durch die Höhlen des Erdinnern einem unbekannten Ziele entgegenstrebte …
Dann wieder malte ihn seine Phantasie ungeheuerlicher Einzelheiten des bevorstehenden Unterganges der Menschheit aus …
Dann wieder erblickte er Baake ohne Besinnung irgendwo unten im U-Boot …
Ein Zustand war’s, der einer vollkommenen geistigen Überreizung glich …
Schließlich hielt er es länger nicht aus …
Kletterte rasch von dem Felsen herab …
Er wollte Gewißheit haben, weshalb der Doktor in den verwüsten Räumen des Tauchboot alzu lange verweilte …
Und da – als er gerade durch das Gestrüpp sich hindurchwand, erschien aus der Turmöffnung von U 45 eine seltsame Gestalt …
Ein Fremder …
Im Moment hatte Gußlar sich niedergeworfen …
Der Fremde benahm sich ganz so wie ein Mensch, der ein schlechtes Gewissen hat …
Blickte sich scheu um …
Musterte besonders scharf die Büsche um den Schachteingang …
Und – welch unheimlicher verwahrloster Geselle war das da oben!!
Gleich einem Waldmensch – einem Greis, der sein Leben lang in der Wildnis fern von jeder Kultur zugebracht hat …!
Ein grauweißer, wüster Bart umrahmte ein braunes, von Falten durchkerbtes finsteres Gesicht … Lange Haarzotteln, vom Alter gebleicht, hingen um den massigen Schädel bis auf die Schultern … Und der Anzug des Greises entsprach durchaus diesem ungepflegten Haarwuchs … Bestand aus einer Art Umhang – einer zerrissenen Decke, die um die Lenden durch einen Strick aus Pflanzenfasern zusammengehalten wurde …
Dieser abschreckende Alte bewegte sich jetzt mit schleichenden Schritten auf dem Deck …
War nicht unbewaffnet …
An dem dicken Lendenstrick hingen die braunen Ledertaschen zweier Pistolen …
Dann schien dieses verwahrloste Geschöpf doch schließlich die Überzeugung gewonnen zu haben, daß niemand in der Nähe …
Und er sprang vom Deck auf die Sanddüne, die der Seewind an der einen Seite des Wracks zusammengetrieben hatte …
Trotzdem blieb er mißtrauisch, zog eine der Pistolen hervor und entsicherte sie …
Ganz dicht kam er so an Gußlars Versteck vorüber, der leider keinerlei Waffe bei sich hatte, weil er eben geglaubt, einer solchen hier auf Christophoro und noch dazu an diesem Tage nicht mehr zu bedürfen …
So konnte er denn den Greis nur aus allernächster Nähe betrachten …
Der Mann trug unter der zerfetzten Wolldecke nur noch die Reste eines unglaublich schmutzigen Hemdes. Dieses stand über der Brust offen … Diese war tiefbraun und stark behaart … Der ganze Mensch zum Skelett abgemagert …
Dem Zelte schlich er zu …
Davor stand noch der Korb mit den Lebensmitteln, den Gußlar für Dr. Baake mitgebracht hatte.
Mit geradezu tierischer Gier stürzte der Fremde sich über die Speisen …
Die Konservenbüchsen leerte er mit den Fingern … Die Flasche Rotwein aus Randercilds Vorräten hatte er im Nu ausgetrunken … –
Gußlar hatte jetzt sein Fernglas eingestellt …
Hatte nun das abstoßende Gesicht ganz deutlich vor sich …
Der Greis war einäugig … Das linke Auge schimmerte vollständig milchig …
Wirklich wie ein Tier fraß dieser Verwahrloste …
Und scheu wie ein Tier der Wildnis, das überall Gefahr wittert, waren auch die ruckartigen Kopfbewegungen … Immer wieder spähte er umher …
Dann ergriff er den Korb mit dem Rest der Speisen, nahm auch zwei Wolldecken von Baakes Lagerstätte aus dem Zelt und lief zum U-Boot zurück, wobei er die sandigen Stellen vermied und von Stein zu Stein sprang, um keine Spuren zu hinterlassen …
Gußlar erkannte jetzt, daß der Mann kein Europäer, sondern ein Mulatte war – jedenfalls ein Farbiger …
Er begriff nicht, wie dieser so vollständig vertierte Mensch hier nach Christophoro gelangt sein könnte …
Einen Augenblick dachte er wohl, es würde vielleicht ein Azteke – einer der früheren Bewohner der unendlichen Hohlräume unterhalb Christophoros sein…
Doch nein, der Mann zeigte keinerlei Stammesmerkmale der Azteken …! In dessen Adern floß kein Indianerblut … –
Nun verschwand der Fremde wieder im U-Boot …
Und der Kurländer ließ fünf Minuten verstreichen, bis er jetzt selbst zu Baakes Zelt eilte, und sich von dort den Karabiner holte, den der Doktor als Waffe hier auf der Oberwelt behalten hatte …
Werner von Gußlar nahm außerdem noch für alle Fälle die Zeltlaterne mit …
Er beeilte sich jetzt …
Dem Waldmenschen war das Schlimmste zuzutrauen … Und der Baron dachte mit Entsetzen daran, daß der Vertierte den Doktor womöglich ermordet haben könnte …
Mit allergrößter Vorsicht stieg er die aufgewehte Sanddüne empor und schwang sich an Deck des Wracks.
Auf Fußspitzen schlich er dem ummauerten Turm zu …
Hielt den Karabiner bereit …
Nun sah er den Steinpanzer des Turmes mit den Fenstern aus allernächster Nähe …
Bestaunte sich, wie praktisch Baake das Ganze angelegt hatte …
In der Tat, der Doktor hatte den Turm durch diesen Granitpanzer tadellos vor der Einwirkung der Hitze geschützt!
Noch vorsichtiger kletterte Gußlar in den Turm hinab …
Die Laterne hatte er vorher angezündet …
Traurig sah’s hier in dem Kommandoturm aus …
Alle Apparate vom Rost zerfressen … Zwei Skelette in einer Ecke, die letzten Reste tapferer deutsche U-Bootleute!
Dann die schmale Eisenleiter, die nach unten lief …
Gußlar horchte …
Stille …
Dieselbe trostlose, drohende Stille wie draußen auf der Insel …
Auch nicht der geringste Laut …
Und überall das St. Elms-Feuer, diese elektrischen Lichtbüschel …
Und in Gußlars Körper die krankhafte Erregung der ozonüberladenen Luft …
Er … lauschte …
Nichts – nichts …
Seine Nerven befanden sich in wildester Aufruhr.
Seine Hände bebten …
Die Beine versagten ihm fast den Dienst …
So stand er minutenlang auf den verrosteten eisernen Stufen …
Wieder jagten seine Gedanken … Ließen sich nicht in geregelte Bahnen zwingen …
Waren wie wild durcheinander flatternde Vögel.
Es gehörte schon des Kurländers ungeheure Energie dazu, um schließlich doch Herr über den rebellierenden Körper und Geist zu werden …
Unendlich leise wagte er sich weiter …
Bis er nach zehn Minuten behutsamen Forschens nur eins festgestellt hatte: daß weder Baake noch der Fremde sich hier im Innern des zerschossenen Wracks befanden!
Nein – es war nur eine Erklärung hierfür möglich. Der Waldmensch hatte sich durch ein Loch der zerfetzten Außenhaut des Tauchbootes – durch eins der vom Sand zugewehten Löcher einen Zugang zu irgend einem unterirdischen Schlupfwinkel angelegt …!
Und aus diesem Grunde gab Gußlar nun seinen weiteren Bemühungen ein neues Ziel …
Dort, wo durch die Granatlöcher Sand eingedrungen, untersuchte er diese Stellen …
Vermutete darunter vielleicht einen Holzdeckel, der ein Loch im Boden der Insellichtung verschloß …
Und – – hierbei ereilte ihn das Verhängnis …
Urplötzlich traf ein starker Hieb seinen Hinterkopf.
Er brach zusammen …
Und mit heiserem Auflachen packte ihn nun der unheimliche Greis und trug ihn einige Meter nach links, wo er dann aus der Wandung des Wracks den Deckel eines Torpedolancierrohres aufklappte …
Eine schräge Felsspalte lief von hier in die Tiefe.
Der Unheimliche ließ Gußlar los, und der betäubte Baron rutschte langsam abwärts, bis er nach etwa dreißig Meter neben dem bereits gefesselten Doktor Baake landete – in einer umfangreichen Höhle, deren einer Winkel dem Waldmenschen als Wohnraum diente.
Der verwilderte Alte fesselte nun auch Gußlar Arme und Beine und begab sich wieder in das Wrack empor, holte den Karabiner und des Barons Laterne und tilgte nach Möglichkeit alle Spuren … –
Dann blieb er bei seinen Gefangenen, schaffte in einer Blechkannen Wasser aus einer Höhlenquelle herbei und wusch Gußlar und Baake die zum Glück nicht weiter gefährlichen Kopfwunden.
Beide kamen dann auch fast gleichzeitig zur Besinnung …
Fanden sich auf einem Lager von trockenem Seetang liegen und fühlten auf ihren Stirnen kühle Kompressen, konnten aber kein Glied rühren …
Dicht neben ihnen saß der Unheimliche, der Einäugige …
Und flößte ihnen nun das Quellwasser ein, das ganz eigenartig schmeckte und offenbar stark kohlensäurehaltig war …
Gußlar und Baake erholten sich immer mehr …
Die Laterne beleuchtete das abschreckende Gesicht des Einäugigen, der sich jetzt eine von Gußlars Zigarren angezündet hatte …
Der Mann rauchte mit den Bewegungen und der Andacht eines Menschen, der den Genuß des Tabaks lange entbehrt hat …
Dann erneuerte er die Kompressen, fragte dabei in tadellosem Englisch:
„Wie fühlen Sie sich meine Herren? – Ich hoffe, daß Ihre Verletzungen Ihnen keine allzu lästigen Schmerzen bereiten … – Sie müssen schon entschuldigen, daß ich mich Ihrer Personen auf diese wenig vornehme Art bemächtigt habe. Aber ich mußte mir unbedingt Klarheit darüber verschaffen, was hier eigentlich auf meiner Insel vorgeht, die ich nun als Flüchtling seit sechs Wochen bewohne – leider nicht allein, da die Aztekin Mantaxa mich häufig genug hier oben gestört hat. Außerdem kamen ja auch eine Menge Touristen hierher, und dann war ich ganz auf den Aufenthalt hier im Erdinneren und auf Höhlenmolche als Speise angewiesen, was für einen gebildeten Mann sehr peinlich ist …“
Gußlar und Baake waren starr …
Daß dieser verkommene Fremde nicht scherzte oder in bewußter Selbstironie redete, merkten sie …
Und so meinte der Baron denn mit noch etwas schwerer Zunge:
„Wer sind Sie?! Sie nennen Christophoro ‚Ihre’ Insel?! Und als Flüchtling hausen Sie hier?“
Der Unheimliche nickte wehmütig …
„Ja – als Flüchtling …! Als ein Mann, der wie selten einer den Sturz von den Höhen der Menschheit in die Abgründe allgemeiner Verachtung und allgemeinen Hassens kennengelernt hat …“
Jetzt rief auch Baake:
„So nennen sie uns doch Ihren Namen …! Wenn Sie, wie Sie behaupten, einst auf den Höhen der Menschheit wandelten, also zu den Mächtigen der Erde gehörten, dann wird uns Ihr Name kaum fremd sein!“
Der Vertierte lächelte …
In Wahrheit ein Lächeln, das ins Herz schnitt …
„Meinen Namen kennen Sie so bestimmt, wie ich die Ihrigen nicht weiß …,“ erwiderte er – und in Sprache und Geste, die diese Worte begleitete, war eine gewisse Würde …
„Ja – Sie kennen meinen Namen,“ fügte er hinzu … „Ich will nicht gerade behaupten, daß ich zu den Mächtigen der Erde gehörte, deren Namen in aller Munde sind … Doch mein Name ist bekannt geworden, weil ich in irrer Gier nach … dem Azorenschatz die Hände ausstreckte und … dadurch alles verlor – – alles, selbst … mein linkes Auge …!“
Und als er dies kaum ausgesprochen, sagte Gußlar überstürzt:
„Dann … dann sind Sie Don José Armaro, der frühere Präsident der Republik Patalonia …!“
Und – – Armaro lächelte noch schmerzlicher …
„Nun – wenn Sie es erraten haben, ja – ich bin José Armaro! Ich bin das, was von Don José Armaro noch übriggeblieben …! Schauen Sie mich an! Der Mann, der in diesen Lumpen hier vor Ihnen sitzt, der nicht einmal mehr ein sauberes Hemd sein eigen nennt, – der wohnte einst in einem Palast, besaß eine elegante Jacht, besaß Autos, eine Leibgarde, – auf meinen Wink gehorchte eine Armee von hunderttausend Mann …!! Und – – jetzt, alles – – alles verloren!! Strafe dafür, weil ich nach heiligem Goldene die Hand begehrlich erhob, weil ich … hier auf Christophoro zwei selbstlose Männer, den Grafen Gaupenberg und seinen Freund Hartwich, vor acht Gewehrmündungen stellte …!!“
Sein Kopf sank auf die Brust …
Die Hände hielt er zwischen den Knien gefaltet …
Und – fuhr leiser fort:
„Ja, meine Herren, – so bin ich bestraft worden!! So hause ich nun hier auf Christophoro, nachdem ich den Mönchen vom Heiligen Berge entflohen war und allein im offenen Kutter die endlose Seereise gewagt hatte … – Doch – von dem Kloster vom Heiligen Berge dürften Sie nichts wissen …“
„Sie irren,“ meinte Gußlar voller Mitleid „auch davon hat mir die Fürstin Sarratow erzählt …“
José Armaro blickte den Baron forschend an …
„Sie erwähnen da schon zum zweiten Male die Fürstin … Und doch, ich kenne Sie beide nicht! Zu den Sphinxleuten gehören Sie nicht! – Also – wer sind Sie?! Und was hat es zu bedeuten, daß die beiden Schiffe dort draußen verlassen daliegen, – was bedeutet all das andere, das mir so sonderbar erscheint! Wie kommt’s, daß heute die Sonne so ohne allen Glanz mein Eiland beleuchtet? – Sprechen Sie – – sprechen Sie! Ich ahne ja, daß es sich hier um ganz merkwürdige Dinge handeln muß … – Doch – – zunächst, wenn Sie beide mir versprechen, nicht zu entfliehen und mir auch sonst zu gehorchen, will ich Ihnen die Fesseln abnehmen … Ich bin kein brutaler Bösewicht mehr … Ich bin nur auf meine eigene Sicherheit bedacht – – nur das!“
Gußlar und Baake zögerten nicht, das verlangte Versprechen zu leisten …
Und jetzt, wo sie der Fesseln ledig waren, und ihnen Armaro noch einen Schluck des erquickenden Quellwassers gereicht hatte, – jetzt erst betrachteten sie so recht genau und mit wachsendem Mitleid dieses jämmerliche Skelett von Mensch, das einst der Tyrann einer ganzen Republik gewesen …
Dann begann Gußlar zu sprechen …
Er faßte sich kurz …
Als er von der Weltkatastrophe die Hauptsachen erwähnte: Dr. Baakes Beobachtung der beiden Kometen und die Bestätigung seiner Berechnungen durch andere Astronomen, da erhob sich Armaro langsam von seinem harten Sitz …
Sein rechtes Auge schimmerte in seltsamen Glanz.
Und geheimnisvoll flüsterte er:
„Ich … ich habe es geahnt, nachdem ich den Schatz versinken sah … Nachdem ich – ich allein beobachten durfte, wie die Goldkisten auf dem Felsboden des Meeres zerschellten und ihren Inhalt umher streuten. Goldbarren – – die Kostbarkeiten König Matagumas!!“
Gußlar und Baake horchten auf …
War der Mann irrsinnig?! Er wollte mit angesehen haben, was unmöglich eins Sterblichen Auge hatte schauen können!
Unmöglich!! Denn es war ja festgestellt, daß der Azorenschatz in einen Abgrund des Meeres zweitausend Meter tief hinabgeglitten war …
Zweitausend Meter hatte Josua Randercild an jener Stelle gelotet …
Zweitausend Meter …!!
Sollte also ein Mensch wohl diese in ihrer Art einzigartige Szene haben beobachten können?!
Und so fragte Gußlar denn – in dem sicheren Bewußtsein, daß Armaro nicht voll zurechnungsfähig sein könne …:
„Wie wollen Sie es uns erklären, daß es Ihnen möglich gewesen, der Versenkung des Schatzes … unter dem Wasser beizuwohnen?!“
„Erklären, Herr Baron?! – Das ist nicht notwendig … Ich werde es Ihnen … zeigen – – zeigen!! Auch den unseligen Edgar Lomatz, der noch an der einen Kiste hängt und im Wasser schwebt – zwischen Tiefseepflanzen und Felsen …“
„Lomatz?!“ – Und – – Gußlar flog förmlich empor …
„Also … also haben Sie auch das gesehen, Armaro?“
„Allerdings …! Und auch Sie sollen das größte Wunder schauen, das die Natur je hervorgebracht …! Ein Wunder – dem Hirn unfaßbar – und doch Tatsache!! Ein Wunder, das …. – Doch nein, darüber sprechen, hieße nur, es entweihen …! Wenn Sie sich erholt haben, werden wir hinab in die Seitengrotte der Aztekenhöhle … In jener Grotte, durch die vorgestern drei Dromedarreiter dahin trabten … Und, Baron, – – darunter befand sich auch die Fürstin Sarratow!“
Werner von Gußlar wechselte die Farbe …
Mafalda …!!
Die Geliebte …!!
Endlich eine neue Nachricht von ihr – – endlich!!
Und – – Armaros schmierige Hand ergreifend, fragte er:
„Wie … wie behandelten die Männer die Fürstin?! – Damit Sie es wissen, Don Armaro, Mafalda ist … vor Gott mein Weib! Mafalda ist nicht mehr die Abenteurerin von eins …!“
José Armaro lächelte nachsichtig …
„Und wenn sie noch wäre wie einst, – – was schert sich Liebe um Charakterfehler bei dem anderen Teil?! – Und doch freue ich mich von Herzen, Herr Baron, daß es Ihrem persönlichen Einfluß gelungen ist, die Fürstin auf eine andere, bessere Bahn zu leiten.“
Im stillen Sinnen starrte er vor sich hin, fügte hinzu:
„Seltsam ist’s, daß die, die einst mit so brutalen Mitteln die Milliarden an sich bringen wollten, allmählich so völlig verwandelt worden sind … Ich habe dies ja an mir selbst erlebt. Freilich mußte das Schicksal erst mit härtesten Hammerschlägen mir das Gewissen wecken … Genau wie äußerlich von José Armaro, dem Tyrannen von Patalonia, nichts übrig geblieben ist, ebenso … sieht es in meinem Inneren aus … – – Nun aber zu Ihrer Frage, Herr Baron … Sie werden schon etwas ungeduldig … – Die Seitenhöhle der großen Aztekengrotte, von der ich soeben sprach, ist vielleicht an Ausdehnung noch gewaltiger als diese hier. Ungeheure Hohlräume ziehen sich nach Osten zu unter dem Ozean hin. Tagelang bin ich dort entlanggewandert, und erst in der verflossenen Nacht kehrte ich von einem dieser Ausflüge zurück, der mich eben … das größte Naturwunder schauen ließ. Und bei dieser Gelegenheit wäre ich beinahe mit den drei Reitern zusammengestoßen. Ich bemerkte ihrer Fackeln schon aus weiter Ferne … Verbarg mich … Sah, daß die Dromedarreiter halt machten und lagerten … Schlich näher heran … Und – – erkannte die Fürstin, konnte auch die beiden Männer belauschen … Es waren ein sehr rüstiger Graubart und ein hühnenhafter junger Mann … Sie waren weder freundlich noch unfreundlich zu der Fürstin. Sie behandelten sie eben als Feindin, aber als Dame, als Weib …“
Gußlar atmete erleichtert auf …
„Oh – sie nehmen eine schwere Last von meiner Seele, Don Armaro …! Ich danke Ihnen …!“
Wieder glitt ein traurig geheimnisvolles Lächeln über das verwüstete Antlitz des Expräsidenten …
„Herr Baron,“ sagte er mit erhobener Stimme, „aus den von mir belauschten Äußerungen der beiden Männer konnte ich etwas entnehmen, das mir auch darüber Aufschluß gab, weshalb sie die Fürstin entführt hatten … – Herr Baron, die beiden Männer waren offenbar niemand anders als jener deutsche Farmer Heinrich Werter und einer seiner Söhne – jener Werter, der im Jahre 1915 für sein bedrängtes Vaterland die Goldmilliarden spendete …! Also der wahre und erste Besitzer des Azorenschatzes!“
Gußlar starrte den unglücklichen Expräsidenten ungläubig an …
„Werter – – Werter …?! – Und Sie meinen, er nahm Mafalda mit sich, weil sie …“
„… weil sie einst zu den Feinden der Sphinxleute gehörte – ohne Zweifel! Nur deshalb entführte Heinrich Werter die Fürstin!“
„Und – was beobachteten Sie noch, Don Armaro?“
„Nicht eben viel … – Die Reiter rasteten drei Stunden, brachen dann wieder auf … Und ich kehrte hierher zurück … Wagte mich durch das U-Boot auf die Insel und sah die beiden vor Anker liegenden Schiffe …“
Werner von Gußlar hörte kaum mehr rechts hin.
War in tiefes Nachdenken versunken …
Eine geraume Weile herrschte Schweigen …
Dann hob Gußlar den Kopf …
„Don Armaro, glauben Sie etwa, daß diese Höhlen, die sich nach Osten zu hinziehen sollen, wie Sie behaupten, mit dem Festlande von Afrika Verbindung haben?! Wenn die drei Werters Dromedare benutzten und wenn …“
Armaro fiel ihm ins Wort …
„Die beiden Werters kamen aus der Gegend des Weißen Nils – das hörte ich … Und dorthin waren sie auf dem Rückwege …“
Gußlar ergriff plötzlich Armaros Hand …
„Dann – – weiß ich, was ich tue, Don Armaro …! Dann werde ich keine Sekunde zögern, Mafalda zu folgen um sie zu befreien … Es wird mir ein leichtes sein, den Werters zu beweisen, daß die Fürstin diese Gefangenschaft nicht mehr verdient …“
Und – noch lauter, noch bestimmter:
„Jetzt weiß ich auch, wohin die Sphinx sich gewandt hat! Jetzt weiß ich’s! Eben dorthin, wo die Werters sich niedergelassen haben! Jetzt verstehe ich einige Andeutungen des Einsiedlers von Sellenheim!! – Don Armaro, wollen Sie mich begleiten, mir den Weg zeigen? Die kritische Mitternachtsstunde werden wir dann in solchen Tiefen des Erdinnern abwarten, daß es vollauf genügend dürfte, wenn wir ein unterirdisches Gewässer insofern zu unserem Schutze benutzen, als wir eben den gefährlichen Zeitpunkt im Wasser zubringen und …“
Armaro hatte eine beruhigende Handbewegung gemacht …
„Herr Baron, wir werden in den Höhlen, die ich entdeckt habe, unbedingt sicher sein …! – Ja, ich begleite Sie! Und Ihnen, gerade Ihnen will ich dann auch das zeigen, was ich das größte Naturwunder nenne! – Nur für Lebensmittel und Laternen müssen Sie sorgen. Außerdem eine Bitte, verschweigen Sie den am unterirdischen Ozean Versammelten meine Anwesenheit hier! Ich … will tot für die Welt sein – – für immer!“ –
Nach kurzer Besprechung mit Dr. Baake, der hartnäckig an seiner Absicht festhielt, in seinem Panzerturm sich zu opfern, stiegen Gußlar und Baake wieder durch das Tauchbootwrack nach oben. Der Baron wollte gegen Mittag wieder mit Lebensmitteln, Laternen und Brennstoff für diese zurückkehren. Dann sollte sofort aufgebrochen werden …
Als Gußlar gegen neun Uhr vormittags nach der stundenlangen Wanderung durch die zum Teil recht abschüssigen Schlünde, die den Zugang zum unterirdischen Ozean bildeten, sich dem Engpaß näherte, der wie ein schräger Schacht das letzte Stück des Weges zum Weltmeere der Azteken darstellte, traf er hier eine Anzahl Matrosen des ‚Star of Manhattan’ an, die unter Aufsicht des Ersten Steuermannes Patterson diesen Engpaß zumauerten.
Fünf große Schiffslaternen leuchteten den wackeren Amerikanern bei der Arbeit.
Patterson trat auf Gußlar zu …
„Nun – wie schaut’s oben aus, Mr. Gußlar?“ fragte er gespannt …
Der Kurländer erzählte …
Von der völligen Windstille, von der glanzlosen Sonne, von dem übermäßigen Ozongehalt der Luft und den elektrischen Lichterscheinungen …
Dann auch von Baakes Entschluß, die Katastrophe im Turme des U-Boots zu erwarten … Schließlich von seiner eigenen Absicht, Mafalda noch heute zu folgen …“
„Sie können also den Schacht hier völlig vermauern, sobald ich mit meinem Gepäck ihn wieder passiert habe, Mr. Patterson,“ sagte er weiter. „Weder Baake noch ich werden uns irgendwie umstimmen lassen … Ich habe es eilig, Mr. Patterson … Auf Wiedersehen.“
Und er schritt mit seiner Laterne hastig davon …
Der Schacht machte eine kurze Biegung …
Dann sah Gußlar das unermeßliche Wasserbecken mit seinem zerklüfteten Felsgestade vor sich … Sah rechter Hand auf einer flachen großen Uferstelle das Zeltlager der hierher Geflüchteten und zahllose Laternen …
Hier war eine kleine Zeltstadt entstanden. Die Leute der Milliardärsjacht und die fünfhundert Menschen des ‚Meteor’ hatten an diesem Platze ihr gemeinsames Lager aufgeschlagen …
Josua Randercild kam dem Baron entgegen …
„Nun – wie steht’s?“ meinte er genauso gespannt wie vorhin Patterson …
Abermals mußte der Baron Bericht erstatten …
Langsam traten immer mehr Neugierige hinzu …
Als Gußlar nun erwähnte, daß Baake hierher nicht mehr zurückkehren würde, rief Randercild:
„Der Doktor ist verrückt! Ich lasse ihn mit Gewalt holen, wenn es sein muß …!“
„Das werden Sie nicht tun, Mr. Randercild,“ erklärte der Kurländer ziemlich scharfen Tones. „Jeder Mensch ist Herr seiner Entschließungen …! – Das wäre genau so unberechtigt und eigenmächtig, Mr. Randercild, als wenn Sie mich daran hindern wollten, meine Absicht auszuführen … Denn ich werde ebenfalls meine eigenen Wege gehen … Ich will der Fürstin folgen – ohne Säumen!“
Der kleine Randercild war einfach sprachlos …
Er hatte den Baron liebgewonnen. Gußlars ganze Art imponierte ihm auch. Aber jetzt dieser jähe Entschluß, Mafalda zu suchen, erschien gerade unsinnig …
„Wie – Sie wollen uns also wirklich im Stich lassen, Baron?!“ rief er ehrlich empört. „Und heute – – heute am 1 …!! Heute wollen Sie …“
Gußlar unterbrach …
„Ich habe nicht lange Zeit, Mr. Randercild … Ich pflege nichts zu tun, was ich nicht genau überlegt habe … An Sie richte ich die Bitte, mir Lebensmittel für zehn Tage, zwei Laternen und den nötigen Brennstoff zu spenden … – Mr. Randercild, erfüllen Sie mir diese Bitte …! Vielleicht ist es die einzige und letzte, die ich Ihnen gegenüber ausspreche.“
Randercild merkte an dem Tone der Stimme des Barons, daß dieser sich nicht würde umstimmen lassen …
Außerdem hatte sich auch der Kreis neugieriger Lauscher ringsum die beiden Männer immer mehr vergrößert, und aus diesem Kreise wurden Zurufe laut, die für Gußlar Partei nahmen …
Selbst Steuermann John Patterson hatte sich merkwürdigerweise hier eingefunden …
Und gerade er lauschte der Auseinandersetzung zwischen Randercild und dem Baron am begierigsten …
Der Milliardär reichte Gußlar plötzlich die Hand …
„Sie sollen haben, was Sie wollen, Baron … Obwohl mir die Trennung von Ihnen verdammt schwer wird … Verdammt schwer …! Sie sind ein Mensch ganz großen Kalibers, Baron … Sind mein Fall, Baron …! Was nicht oft passiert – nämlich daß ich für neue Bekanntschaften so schnell Interesse gewinne!“
Er erspähte den Seminolen in der Menge, rief ihm zu:
„He, Ozzeola, sorge dafür, daß Mr. Gußlar erhält, was er haben will … Ihnen und Mantaxa habe ich die Aufsicht über den Proviant übertragen … Also – rühren Sie sich, Herr Proviantmeister …!“ –
Und bereits eine Viertelstunde drauf verabschiedete Werner Gußlar sich von den jetzigen Bewohnern der Höhlenwelt …
Randercild begleitete den mit einem prall gefüllten Sack Beladenen bis zu dem Engpaß, in dem die Matrosen inzwischen mit ihrer Maurerarbeit schon weit vorwärts gekommen waren …
Die schmale Felskluft war bis auf eine Öffnung von ein Meter Breite und anderthalb Metern Höhe verschlossen, – die Mauer dabei gut zwei Meter dick.
Randercild schritt noch neben Gußlar ein weites Stück über den Engpaß hinaus …
Schweigend, ein wenig bedrückt …
Dann fragte er unvermittelt:
„Baron, ich wollte in Gegenwart der anderen nicht in Sie dringen … Baron, Ihr Entschluß ist doch ohne Zweifel durch etwas veranlaßt worden … Wodurch?! Seien Sie offen! Ich habe Sie schätzen gelernt … Ich werde für mich behalten, was Sie mir anvertrauen …“
Sie waren stehen geblieben …
Um sie her die Einsamkeit der Riesengrotte …
Neben ihnen Steintrümmer – – Felskuppen …
Phantastische Gebilde, jetzt beleuchtet durch die Lichtgarben der Laternen der beiden Männer …
Gußlar ließ seine schwere Last vom Rücken auf den Boden gleiten …
„Mr. Randercild,“ erwiderte er leise, „das ist vielleicht wirklich nur angebracht, daß ich Sie einweihe … Ich kann … sterben … Baake kann sterben … Und dann wäre, falls Sie und die Gefährten dort am Strande des Ozeans die Katastrophe überleben, niemand mehr da, der … Don José Armaros Angaben nachprüfen könnte …“
Randercild fuhr auf …
„Wer – – wer? Don José Armaro?! Meinen Sie etwa diesen Erzhalunken von …“
„… Ich meine den Expräsidenten von Patalonia … Ein Erzhalunke mag er gewesen sein … Er ist es nicht mehr … Er ist … ein Büßender, ein Reumütiger wie Doktor van der Baake … – Hören Sie mich an, Mr. Randercild … Armaro haust in einer Nebengrotte hier auf Christophoro, die einen Zugang durch das U-Bootwrack hat … Armaro hat … den versenkten Milliardenschatz und … Mafalda gesehen.“
Er erwähnte Einzelheiten, faßte sich aber trotzdem recht kurz, um keine Zeit zu verlieren …
Josua Randercild konnte nur immer wieder den Kopf schütteln …
Immer wieder …
Rief: „Aber – aber das ist doch geradezu unmöglich, Baron!! Wie will Armaro den Azorenschatz auf dem Grunde des Ozeans …“
Und Gußlar – sehr bestimmt:
„Er hat ihn gesehen! Er muß ihn gesehen haben! Wie sollte er sonst wohl gewußt haben, daß Lomatz mit der ersten der Goldkisten mit in die Tiefe sauste?!“
Randercild nickte …
„Allerdings – – allerdings … Da haben Sie recht … Trotzdem, da muß in der Tat eine Naturwunder eigenartigster Form vorliegen …!!“
„… Über das wir uns nicht weiter die Köpfe zerbrechen wollen, Mr. Randercild …! Man kommt selbst mit Hilfe der regsten Phantasie nicht dahinter! Das betonte Armaro mehrmals! – So – und nun – – leben Sie wohl! Sollten wir uns nicht wiedersehen, Mr. Randercild, so treten Sie die Erbschaft dieses neuen Geheimnisses an, das mit dem Azorengolde zusammenhängt. Dann werden Sie die Stelle finden, von der aus Armaro das Wunder schaute! – Leben Sie wohl – – und … grüßen Sie mir dann auch Mafalda! Bestellen Sie ihr, daß meine Liebe über den Tod hinausdauern wird …!“
Noch ein Händedruck …
Und Gußlar schulterte wieder den Proviantsack und schritt rüstig davon …
Das Licht seiner Laterne wurde schwächer und schwächer …
Randercild blickte ihm nach, wandte sich dann seufzend um und kehrte zu den Gefährten zurück – zum Strande des Aztekenmeeres, zu der Zeltstadt, die jetzt die Deutschen vom ‚Meteor’ und die Amerikaner beherbergte.
Hinter einem der Felsblöcke aber, neben dem die beiden Männer gestanden, erhob sich John Pattersons massige Gestalt …
Und … schlüpfte davon …
Hinter Gußlar drein …
Oh – John Patterson hatte seine schmähliche Niederlage im Salon der Jacht noch lange nicht vergessen!
John Pattersons Stellung der Besatzung gegenüber war durch diese ungeheure Blamage geradezu unhaltbar geworden … Die Matrosen verspotteten ihn … ‚John, die Sektleiche!’ – anders nannten sie ihn überhaupt nicht mehr … Jeder Respekt war dahin … jeder!!
Und in Pattersons niedriger Seele flammte ein grimmer Haß, der größer war als die Angst vor der bevorstehenden kritischen Mitternachtsstunde …
Einen Haß, der sich gegen alle und alles richtete … Und hinzukam noch etwas anderes: Zweifel an dem, was sich ereignen sollte – – sollte!! Zweifel an der Weltkatastrophe! Und deshalb – – auch Goldgier …!!
Denn – falfs die Katastrophe ausblieb, hatte das Gold nach wie vor seinen Wert, war die größte Macht der Erde – nach wie vor!! Und dann – den Azorenschatz an sich reißen …! Dann Josua Randercild stürzen, zum Bettler machen – – durch Börsenmanöver! Dann einen Kampf beginnen: Gold gegen Gold! – – Das würde Pattersons Rache sein …!
Und mit finsterer Energie begann er schon jetzt den Kampf …
Erst einmal die Milliarden erringen … Armaro und Gußlar folgen und sich selbst überzeugen, wie das ‚Weltwunder’ des Expräsidenten ausschaute! Alles weitere ergab sich dann schon von selbst! Und – mit dem Teufel müßte es doch zugehen, wenn man für den feinen Plan keine Helfer fände! Vielleicht ließ sich sogar dieser Armaro wieder aus einem frommen Paulus zu einem gefährlichen Saulus umkrempeln! Vielleicht …!! –
Mittlerweile wanderte Werner Gußlar mit seiner schweren Last durch die öden Straßen der toten Aztekenstadt – der Oberwelt wieder zu …
Der Proviantsack drückte … Gegen siebzig Pfund Gewicht waren auf die Dauer selbst einem Gußlar zuviel …
Mühselig stieg er dann in dem Schacht die zahllosen Steinstufen empor … Bis das bleiche Tageslicht ihn begrüßte, bis er Dr. Baake gewahrte, der vor dem Zelt am Fernrohr stand und wieder die Kometen beobachtete …
Der Baron wollte sich nun auch von ihm verabschieden …
Doch der Doktor winkte nur heftig ab, ohne das Auge von der Linse zu entfernen …
„Schon gut … Schon gut …!“ meinte er zerstreut … „Viel Vergnügen, Herr von Gußlar …! Viel Vergnügen …!“
Dann gab er ihm doch die Hand …
„Entschuldigen Sie schon … Doch ich sehe hier gerade etwas außerordentlich Interessantes … Delta III ist fraglos von seiner Bahn durch irgendwelche Einflüsse des Weltalls in scharfer Krümmung abgelenkt worden.“
Und er begann in Fachausdrücken zu reden, die für Gußlar vollkommen unverständlich waren …
Da unterbrach ihn dieser denn und sagte, sich bereits halb dem Wrack des U-Bootes zuwendend:
„Auf daß wir uns also lebend wiedersehen, Herr Doktor …!! – Alles Gute …!!“
Und er ging weiter … War doch ein wenig verletzt, weil Baake so eindeutig bewiesen, daß ihm die Wissenschaft doch über alle persönlichen Beziehungen ging …
Dann vom ummauerten Turme des U-Bootes her eine heisere, zerbrochene und doch freudige Stimme. Armaro!
„Sind Sie allein emporgestiegen, Herr Baron? – Ich fürchtete schon, Randercild könnte Sie vielleicht umstimmen …“
„Ich bin allein!“ – und Gußlar nickte dem Einäugigen zu …
Der kam sofort die Sanddüne hinab …
„Ich helfe Ihnen tragen, Baron … – So – – und nachher verteilen wir die Last … Jeder macht sich einen Rucksack zurecht …“
Sie verschwanden in der Turmluke …
John Pattersons rotbraunes Gesicht lugte von Schachtausgang her über das Dornengestrüpp …
Tauchte wieder unter …
Aber der einzige, der ihn hätte bemerken können, Dr. van der Baake, schwebte gleichsam in höheren Regionen, ließ das Auge nicht vom Objektiv und sah staunend, daß Delta III in ganz veränderte Richtung seine Band fortsetzte.
John Patterson kroch auf allen Vieren vorwärts.
Hier oben auf der Insel wurde ihm doch etwas unheimlich zumute …
Er sah die Lichtbüschel der mit Elektrizität überladenen Luft …
Sogar an seinen Fingerspitzen strahlten die gelblich weißen Flämmchen …
Er spürte auch die Wirkung des übermäßigen Ozongehaltes … Eine krankhafte Erregung bemächtigte sich seiner …
Seine Gedanken arbeiteten mit ungewohnter Lebendigkeit …
Dann malte er sich aus, welche Aufregung unten am Aztekenozean entstehen würde, wenn sein Fehlen den anderen auffiel …
Man würde nach ihm suchen … Man würde nicht begreifen, wo er geblieben sein könnte …
Aber – man würde den inzwischen vollends zugemauerten Engpaß kaum wieder öffnen … Seinetwegen gewiß nicht …! Dazu war er den meisten dort unten zu gleichgültig … Man würde eben über John Patterson zur Tagesordnung übergehen …!
Und – seine Gedanken machten einen Sprung – in die ungewisse Gegenwart …
Ob er es wohl wagen durfte, schon jetzt Gußlar und Armaro in das Wrack so folgen und den Deckel des Lancierrohres zu lüften?!
Würden die beiden nicht noch eine Weile mit dem Verteilen des Proviants und mit anderen Zurüstungen zu tun haben?!
Und – jetzt erst, als er so an den Proviant und die unermeßlichen Höhlen dachte, in denen es nichts gab als Fels, Fels und wieder Fels, – erst jetzt kam ihm zum Bewußtsein, daß er … verhungern müßte, wenn er wirklich wagen sollte, den beiden nachzuschleichen …
Jäh wurde ihm da das Unmögliche seines Vorhabens klar …
Jählings aber auch schon ein neuer Einfall, dem ein zufriedenes Grinsen folgte …
Dort drüben neben dem Zelte, von dem Stativ mit dem Fernrohr und von Baake durch ein paar Büsche getrennt, stand des Doktors Proviantkorb …
Es konnte kaum schwer sein, den Korb zu stehlen … Und wenn man sich mit bescheidenen Rationen begnügte, hielt man’s mit jenen Lebensmitteln schon eine Weile durch …!
So näherte er sich denn kriechend dem Zelte …
Weit leichter, als er’s angenommen, war der Diebstahl des Korbes … Zugleich aber auch eine böse Enttäuschung …
Der Korb war fast leer …
Denn – Armaro hat ihn ja bereits geplündert … Was noch vorhanden, reichte für einen Mann kaum drei Tage …
Trotzdem, John Patterson hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, Gußlar und Armaro auf den Fersen zu bleiben und das ‚Naturwunder’ mit eigenen Augen zu schauen …
Die … Milliarden, den Azorenschatz, – das Mittel, Randercild zu bekämpfen …!
So nahm er denn lautlos den Korb mit sich … schlich dann die Düne empor, sprang auf das Wrack … stieg nach unten …
Seine Laterne beleuchtete das verwüstete Innere des Tauchbootes …
Den Stahldeckel fand er …
Lüftet ihn behutsam …
Vermied jedes Geräusch …
Ein Blick in die Tiefe …
Ah – Gußlar – – Armaro …!
Sie schulterten gerade die Rucksäcke …
Griffen nach ihren Laternen …
Da ließ Patterson den Deckel wieder herabgleiten …
Zog die blaue Seemannsjacke aus … Packte den spärlichen Proviant hinein …
Und dann – wieder empor mit dem Metalldeckel.
Hinein in dem Felsenschacht, der so schräg nach unten lief …
Langsam schlich Patterson …
Hatte seine Laterne ausgedreht …
Streifte die Schuhe ab, verknotete die Schnürsenkel … Warf sie dann über die Schulter …
In weiter Ferne zwei Lichter. Gußlar und Armaro – auf dem Wege zum … Goldschatz der Azoren …!
Und hinter ihnen der stämmige, stiernackige John Patterson … Wie ein Gespenst … Im Dunkeln dahin schreitend … Lautlos … – John Patterson, ein gefährlicher Gegner, wenn sein Hirn nicht durch Alkohol umnebelt war …
Ein neuer Feind des Azorengoldes, das da in zweitausend Meter Tiefe für immer verloren schien …
Nur … schien …
So begann John Patterson die Verfolgung …
Sagte sich sehr bald, daß hier in diesen weiten Hohlräumen, die oft genug unterirdische Seen aufwiesen, die kritische Stunde der heutigen Nacht ihm kaum verhängnisvoll werden könnte …
Denn – wenn die Zeit da war, wo die Hitzewelle der Kometenschweife alles Leben auf Erden angeblich vernichten würde, dann – dann konnte er unschwer in einem der Wassertümpel untertauchen – für alle Fälle… Dann würde er eben nur durch das Rohr seiner Seemannspfeife atmen, die er nach oben über die Wasserfläche hinausstecken konnte … Seine Uhr hatte er heute früh genau nach dem Schiffschronometer der Jacht gestellt, den Randercild hatte mit an den Strand des Aztekenmeeres hatte nehmen lassen … Seine Uhr ging tadellos …! Er würde den richtigen Moment schon abpassen, falls wirklich Verbrennungsgefahr drohte … – –
Zu derselben Zeit spielten sich in der Zeltstadt am Ufer des Aztekenozeans andere Dinge ab …
Überall brannten Laternen … Dazu zwei durch Akkumulatoren gespeiste Scheinwerfer …
Und vor Randercilds Zelt eine festlich geputzte Menge …
Hunderte …
Die Touristen vom ‚Meteor’, die aus ihren Koffern die Abendtoiletten hervorgesucht hatten …
Dazu die Besatzung beider Schiffe – ebenfalls in Gala …
So hatte es Josua Randercild, den man als Besitzer von Christophoro auch stillschweigend als Oberhaupt der Zeltstadt anerkannt hatte, gewünscht …
Denn, Hochzeit sollte gefeiert werden!
Liebende wollten sich zusammentun, bevor noch die Mitternachtsstunde nahte …
Da waren nicht nur Rechtsanwalt Hans Mickel und Klärchen Mudicke …
Nein – da hatten sich noch andere Herzen gefunden, im ganzen sechs Paare …
Außerdem aber standen noch Ozzeola, der Seminole, und Mantaxa, die Aztekin, vor dem langen Tische, der mit der deutschen Flagge und dem Sternenbanner bedeckt war …
Leuchter brannten auf dem improvisierten Altar.
Kostbare silberne Leuchter vom ‚Star of Manhattan’ …
Festlich die ganze Szene …
Weit festlicher als die vierfache Hochzeit dort unten im Süden in der Höhle unweit des Weißen Nils …
Hinter dem Altar Randercild, die beiden Kapitäne der Schiffe und Pastor Redlich …
Mehr im Hintergrund die Bordkapelle des ‚Star of Manhattan’ …
Ein Choral leitete die Feier ein …
Die Kapitäne wirkten als Standesbeamte, hatten die Urkunden schon vorbereitet …
Der Amerikaner die für Ozzeola und Mantaxa, der Deutsche für die übrigen Paare …
Und die Liebenden, die hier im Erdinnern den Bund fürs Leben schlossen, unterzeichneten nun die Urkunden.
Mantaxa malte drei Kreuze …
Dann begann Pastor Redlich zu sprechen …
Ernst und eindringlich, herzlich und schlicht …
Vom Azorenschatz ging er in seiner Rede aus, von dem Völkerhaß, den der Weltkrieg hervorgerufen …
Und diese Feier hier in den Tiefen des einstigen Aztekenreiches stellte er als diejenige Verbrüderung zweier Nationen hin, die beide durch Fleiß und Schaffenskraft sich auszeichneten …
Die drohende Katastrophe erwähnte er nur kurz.
„Gott wird uns schützen!“ meinte er in hoffnungsvoller Gewißheit …
Dann segnete er die sieben Paare ein …
Ganz leise spielte die Kapelle dazu ein ernstes Lied …
Klärchen Mudicke, jetzt Klärchen Mickel, weinte …
Es weinten die meisten anwesenden Frauen …
Das außergewöhnliche dieses Festes packte wohl jeden …
Fast unwirklich war ja diese Umgebung …
Die hellen Zelte … Die künstliche Beleuchtung … Der Felsendom und der schillernde stille Ozean, auf dem die Fahrzeuge schwammen, in denen all diese Menschen die verhängnisvollen Minuten unter Wasser abwarten wollten … –
Dann Pastor Redlichs Schlußwort …
„Werdet glücklich! Und nehmt die Erinnerungs an diese ernste Stunde mit hinüber in euer gemeinsames Leben!“
Mutter Mudicke umarmte Tochter und Schwiegersohn … Meister Mudicke wischte heimlich eine Träne aus dem Augenwinkel …
Man umdrängte die jungen Paare … gratulierte …
Die Musikkapelle spielte den Sternenbannermarsch …
Da trat der Zweite Steuermann der Jacht unauffällig an Randercild heran …
„Was gibt’s, Mac Lean?“ fragte der Milliardär ein wenig beunruhigt den Schotten …
„Patterson ist verschwunden,“ flüsterte Mac Lean … „Ich habe ihn seit einer halben Stunde überall gesucht …“
Randercilt blickte den Steuermann fragend an …
„Hm – Sie glauben …?“
„Mr. Randercild, ich habe unsere Matrosen ausgeforscht, die den Engpaß vermauert haben … Einer der Leute will gesehen haben, daß Patterson Ihnen und dem Baron Gußlar heimlich nachschlich und dann nicht mehr zurückkehrte …“
„Verdammt!!“ Randercild zog den Schotten abseits …
„Was nehmen Sie an, Mac Lean? Sie kennen Patterson besser als ich … Ich halte von ihm nicht viel … Er ist einer der wenigen Leute, in denen ich mich getäuscht habe …“
Der ernste Schotte erwiderte ehrlich:
„Mr. Randercild, man muß wohl annehmen, daß Patterson es vorgezogen hat, sich dem Baron anzuschließen …“
Der kleine Milliardär blickte starr geradeaus und murmelte:
„Wenn der uns belauscht hätte …! Wenn er etwa des … Schatzes wegen sich entfernt hätte …!“
Dann – lauter:
„Mac Lean, – Sie schweigen! Wir können jetzt nichts unternehmen … Sollte aber die kommende Nacht nicht unsere letzte sein, so will ich persönlich Gußlar und …“
Er besann sich … – verbesserte sich …
„… dem Baron folgen …! – Jedenfalls, keinerlei Aufhebens davon, daß Patterson nicht mehr da! Sagen Sie es auch unseren Matrosen … – Ich danke Ihnen, Mac Lean …“
Und er schritt dem Zelte zu, wo die Familie Mudicke und Pastor Redlich, der Rechtsanwalt nebst Gattin und Frau von Saalehn an einer als Tisch hergerichteten Steinplatte das Hochzeitsmahl einnahmen.
Setzte sich zu ihnen …
Auch vor den anderen Zelten wurde gespeist, während die Kapelle konzertierte …
Die allgemeine Stimmung war heiter und zuversichtlich …
Es war jetzt fünf Uhr nachmittags …
Fünf Minuten später …
Die Sonne längst untergegangen …
Wolkenlos das nächtliche Firmament … Aber kein Stern zu erblicken …
Nur die beiden Wanderer aus dem Weltall …
Und beide jetzt der Erde so nahe, daß ihre Körper den dreifachen Durchmesser der Sonne hatten und ihre feurigen Schweife eine Länge, die das zwanzigfache übertraf …
Die Lichtwirkung der Kometen war bereits so intensiv, daß trotz der beginnenden Nacht eine Helle wie an einem düsteren Regentage herrschte …
Und noch immer kein einziger Luftzug …
Das fliegende Getier von Christophoro schien in wildester Aufregung …
Umkreiste in dichten Schwärme die Felsen …
Und ruhelos wanderte Dr. Baake vor seinem Zelt auf und ab …
Seine Pulse jagten … Die Luft war kaum mehr zu atmen …
Die drückende Schwüle nahm zu, ebenso der Ozongehalt der Luft …
Die elektrischen Erscheinungen zauberten ein förmliches Feuerwerk hervor …
Dr. van der Baake hielt es am Fernrohr nur noch sekundenlang aus … Es war ihm unmöglich, still zu stehen … Die zitternden Nerven trieben den Körper zu rascher teils unkontrollierter Bewegung …
Baake prüfte das Thermometer …
Er konnte die Skala ohne Laterne erkennen … Das Kometenlicht genügte.
Fünfunddreißig Grad Reaumur …!!
Fünfunddreißig Grad …!!
Vor einer Stunde waren’s dreiunddreißig gewesen …
Baake wunderte sich ein wenig …
Die Thermometerzunahme war nicht so bedeutend, wie er es erwartet hatte …
Überhaupt, Delta III müßte nach Baakes Ansicht weiteres östlich stehen …! Weiter östlicher, als der Doktor es damals in jener Nacht in seiner Villa in Zehlendorf berechnet hatte …!
Freilich – inzwischen hatte dieser eine Komet sich auch eine ganz erhebliche Abweichung von seiner vorausberechneten Bahn geleistet – wider alles Erwarten!
Baake wanderte wieder umher …
Beobachtete den Himmel …
Die Mövenschwärme …
Das fahle Licht und den unheimlich düsteren Atlantik …
Die lautlose Stille bedrückte ihn … Zuweilen packte ihn die Angst der Alleinseines. Es gab Momente, in denen er nahe daran war, sein Vorhaben aufzugeben … Hinabzueilen zu denen, die da am unterirdischen Ozean wenigstens in zahlreicher Gesellschaft sich befanden.
Nach solchen Anfällen von Seelenschwäche steigerte sich die Unruhe in ihm bis zur Unerträglichkeit. Dann lief er bis zum Strand hinab und watete in den Kleidern bis zur Brust ins Wasser. Das erfrischt ihn und stärkte seine Widerstandskraft … Denn er wollte um keinen Preis schlaff werden!
Als er jetzt abermals ein solches Beruhigungsbad nahm, sah er zu seinem Erstaunen, daß zahlreiche Schildkröten, die sonst draußen in den Riffen hausten, hier am Strande aufs Trockene gekrochen waren …
Bewegungslos saßen die gepanzerten Tiere nun im hellen Sande oder im Steingeröll. Sogar ein paar Riesenschildkröten waren darunter von über einem Meter Länge.
Es unterlag keinem Zweifel, daß die Tiere gleichfalls durch eine Veränderung in der Luftzusammensetzung ihr eigentliches Element verlassen hatten …
Genau so wie zahllose Fische zwischen Klippen und Strand aus dem Wasser hochschnellten und klatschend in die Flut zurückfielen …
Ein paar mächtige Hammerhaie zogen mit ihren sichelförmigen Rückenflossen schäumende Bahnen durch die regungslose, schillernde Wasserfläche … –
Wieder war eine Stunde verstricken …
Elf Uhr …
Es wurde Zeit …
Baake warf einen prüfenden Blick auf das Thermometer …
Sechsunddreißig Grad …!!
Also nur um einen Grad gestiegen …
Sehr merkwürdig war das – – sehr merkwürdig!
Baake nahm Thermometer und Fernrohr und erkletterte das Wrack …
Das Thermometer hängte er so vor eins der beiden Ausguckfenster, daß er die Skala vom Turminnern beobachten konnte. Das Fernrohr trug er in den gepanzerten Turm …
Und ging an die Arbeit … Vermauerte nun auch das Loch, das durch den Steinpanzer zur Turmluke führte. Die letzten Steine fügte er, wieder lehmigen Ton als Bindemittel benutzen, von innen ein …
Sah nach der Uhr …
Halb zwölf …
Noch eine halbe Stunde also …
Er stellte beide brennenden Laternen so auf, daß ihr Licht nicht auf die Glasscheiben der Beobachtungsöffnungen fiel …
Dann baute er das Stativ des Fernrohrs auf …
Spähte durch das Objektiv nach Delta III …
Schüttelt den Kopf …
Der Komet hatte offenbar inzwischen wiederum seine Bahn geändert …
Baake überlegte …
Wahrscheinlich würde die Katastrophe unter diesen Umständen weit früher erfolgten … Mindestens um fünf Minuten. –
Dem Doktor lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht …
Sein ganzer Körper war in Schweiß gebadet. Die Luft hier im Innern des U-Bootes war noch drückender als vorhin draußen.
Zuweilen wurde Baake so schwindelig, daß er sich an der Turmwand festhalten mußte …
Er erholte sich nur schwer nach solchen Anfällen … Und bezweifelte, ob er noch die Kraft finden würde, in die Schiefertafeln seine Beobachtungen einzuritzen.
Ein Gedanke da …
Wenn er den Lanzierrohrdeckel unten öffnete, also eine Verbindung mit der Höhle herstellte, mußte er etwas kühlere ozonfreiere Luft gewinnen …
Taumelnd kletterte er in die unteren Räume hinab, die eine Laterne in der Linken …
Und – erblickte neben dem geschlossenen Metalldeckel den leeren Korb, in dem Gußlar ihm den Proviant gebracht hatte …
Stutzte …
Sein abgehetztes Hirn war doch noch fähig, das Auftauchen des Proviantkorbes hier an dieser Stelle als etwas Unbegreifliches zu erfassen …
Wer hatte den Korb hierher gebracht?!
Er selbst auf keinen Fall! Und Gußlar ebensowenig! Der Korb hatte noch neben dem Zelte draußen gestanden, nachdem die beiden längst ihre Wanderung angetreten hatten …
Und – – der Korb war nun leer!!
Wer also hatte sich seines Inhalts bemächtigt, wer hatte ihn hier neben dem Metalldeckel zurückgelassen?!
Unklar stieg da in des Doktors müdem und doch so ruhelosem Hirn der Verdacht auf, daß jemand den beiden gefolgt sein könnte …
Und er öffnete den Deckel, klappte ihn zurück …
Ein scheinbar kühlerer Luftstrom traf sein überhitztes Gesicht …
Gierig sog er ihn tief in die Lungen ein …
Ganz tief …
Und – ein neuer Schwindelanfall warf ihn neben den Korb in den hier eingedrungenen staubfeinen Seesand …
Minutenlang lag er wie leblos …
Raffte sich wieder empor …
Um ihn her drehte sich alles … Eisiges Kältegefühl empfand er jetzt auf der Haut …
Und nur mit Aufbietung aller Energie gelangte er wieder nach oben in den Turm …
Der Anblick des Fernrohrs gab ihm Kraft … Er wurde wieder an seine Pflicht erinnert …
Prüfte zunächst das Thermometer …
Sechsunddreißig Grad …
Also nicht mehr gestiegen – – unbegreiflich!!
Und – – zog die Taschenuhr …
Drei Viertel zwölf …
Genau drei Viertel …
Dann an das Objektiv …
Bald hatte er auch Delta III gefunden …
Der Komet war bedeutend näher gerückt … Seine Abmessungen schienen gewaltig … Das Ende des Schweifes lag unter der Horizontlinie …
Und – abermals ein Schwindelanfall …
Baake umklammerte das Stativ …
Schwankte hin und her …
Biß die Zähne in die Unterlippe … Gewann die Herrschaft über den Körper zurück.
Griff nach der einen Schieferplatte …
Seines Taschenmessers spitze Klinge kratzte über den Stein …
Schrieb:
‚1. Oktober drei Viertel zwölf. – Aufzeichnungen Dr. van der Baakes. – Temperatur 36 Grad Reaumur. Delta III im Osten ziemlich tief stehend. Körper des Kometen Durchmesser etwa fünf Meter, mit bloßem Auge. Im Fernrohr …’
Da … entfiel das Messer seiner Hand …
Auch die Schieferplatte polterte zu Boden …
Eine blendende Helle war durch die beiden Ausgucköffnungen in den Turm gedrungen …
Eine rötlich gelbe Lichtfülle von solcher Stärke, daß Dr. Baake zurückgeprallt war …
Wie betäubt hatte er die Augen geschlossen …
Er fühlte dieses Licht auf seinem Antlitz wie die Strahlen eines Apparates für künstliche Höhensonne …
Zitternd duckte er sich ganz tief …
Das Ende war da …
Er zweifelte nicht, daß die Katastrophe begonnen hatte …
Ganz wenig nur blinzelte er in die blendende Lichtfülle hinein …
Seine bebende Hand zog die Uhr hervor …
Ein Blick auf das Zifferblatt …
Zehn Minuten vor Mitternacht …!
Erst zehn Minuten vor zwölf …
Unmöglich konnte also die große Vernichtung alles Lebens schon eingetreten sein …
Weiter öffnete er die Augen …
Draußen vor den Glasscheiben schien die Insel in Flammen zu stehen …
Feuerkugeln durchrasten die Luft …
Ungeheure Mengen von Meteoren jagten durch den Äther …
Erst zehn Minuten vor zwölf …
Also – – war’s nur das Vorspiel der Katastrophe.
Ein grandioses Vorspiel …
Wie gebannt stierte Baake in das Flammenmeer …
Todesangst kroch ihm zum Herzen …
Sterben – allein sterben …!! Allein!! Merken, wie die Hitze hier im ummauerten Turme allmählich zunahm … Bis – bis auch ihn das furchtbare Verrecken packen würde …!!
Er war eben Mensch, der Dr. Baake … Nur Mensch! Und deshalb ein Geschöpf, dessen Willensstärke begrenzt war …
Und die Todesangst wurde zu halbem Wahnsinn.
Noch einem Blick warf er nach draußen …
Dann … floh er …
Hinab in die unteren Räume … zu dem Felsloch und dem hochgeklappten Metalldeckel …
Einer, der nicht sterben wollte … Einer, den ein Ohnmachtsanfall nun jäh neben den Deckel niederriß … In den weichen, körnigen Sand …
Der wieder erwachte und mühsam sich vorwärtsschob – auf allen Vieren – wie ein verwundetes Tier – – zum Schlupfloch, das in die Unterwelt lief …
Einer, der nun doch sich die Zeit nahm und die Uhr befragte …
Der auf das Zifferblatt glotzte mit vorquellenden Augen …
Was – was … bedeutete das?!
Zehn Minuten vor Mitternacht?! Noch immer zehn Minuten vor Mitternacht?! Noch immer …?!
Unmöglich – – unmöglich!!
Und er hielt die Uhr an die Ohrmuschel …
Kein Ticken … Nichts …
Er probierte … drehte …
Bei Gott, er hatte die Uhr aufzuziehen vergessen!! Die Uhr … stand …!! War auf zehn Minuten vor zwölf stehen geblieben …!!
Ja – wie spät war es nun?! War Mitternacht etwa schon vorüber?!
Baake wurde ruhiger …
Hoffnung belebte ihn …
Er richtete sich auf …
Sog prüfend die Luft ein …
Prüfte die Wärme ringsum …
Hob dann die Laterne empor …
Von irgendwelcher abnormen Hitze konnte keine Rede sein …
Baake schämte sich seiner Angst … Und – – kletterte wieder nach oben – – in dem gepanzerten Turm …
Ein Blick genügte …
Die unheimliche Lichtfülle war verschwunden …
Draußen … Finsternis … Auch nicht ein Lichtstrahl mehr …
Baake preßte das Gesicht an die Scheibe der einen Öffnung, hielt die Laterne so, daß der Schein nach außen fiel …
Und sah, daß die vorderen Glasscheiben beschlagen waren – mit feuchtem Hauch bedeckt …
Griff sich unwillkürlich an die Stirn …
Was – was … war geschehen?! War denn der kritische Zeitpunkt wirklich schon vorüber?! War etwa das Millionenheer der Erdenbewohner nur durch die beiden Kometen genarrt worden?! Hatte auch dieser Weltuntergang lediglich mit einem Meteoritenfall geendet?!
Regungslos stand er da …
Seine schweißfeuchte Stirn lehnte an der Glasscheibe.
Und – da kam ihm zum Bewußtsein, daß dieses Glas kühl war – fast kalt im Vergleich zu der Hitze im Turm …
Das, was die Scheibe abkühlte, konnte nur von außen sie beeinflussen … Von außen mußte die Kühle hereindringen … Draußen – – mußte das Thermometer wieder seine für diese Tropengegend normale Gradzahl erreicht haben!! –
Dr. van der Baake war wieder er selbst …
Und ohne Rücksicht darauf, daß vielleicht doch trotz allem das Unheil noch hereinbrechen könnte, nahm er das Stativ des Fernrohrs und stieß damit die Scheibe der einen Öffnung ein …
Das Glas splitterte … Auch die äußere Scheibe ging in Stücke …
Gierig saugte Baake die eindringende Luft in die überhitzten Lungen …
Lauschte gleichzeitig …
Und … stieß wieder zu … Entfernte die Glasreste an den Rändern, schaffte der Luft von außen freien Zutritt …
Kühl war diese Luft …
Keine Spur mehr von Übersättigung durch Ozon.
Salzhauch des Meeres war’s, das da an den Riffen mit Brandungslärm sich wieder meldete …
Windstöße umfauchten das Wrack des U-Bootes …
Wurden zu Sturmheulen …
Fuhren in das Loch des ummauerten Turmes hinein – – heulten, pfiffen, gurgelten …
Und – – das Firmament von Gewölk bedeckt …
Von dickem schwarzen Gewölk …
Eine finstere Riesenglocke spannte sich über die Erde, die offenbar wieder wie vordem in uralter Bahn die Sonne umkreiste … –
Baake begann die Steine über der Luke zu entfernen … Der Tonmörtel war noch weich … Die Arbeit nicht beschwerlich …
Stein auf Stein polterte in den Turm …
Die letzten Schichten drückte der Doktor mit Brust und Armen nach außen … Schaffte so durch kraftvollen Stoß ganz plötzlich ein breites Loch …
Und … feiner Regen schlug ihm ins Gesicht …
Ein wundervoll erquickender Regen … Jedes Tröpfchen ein Genuß …
Und die Luft – – köstlich …!!
Die Lungen arbeiteten freier … Wohliges Gefühl durchrieselte den Körper …
Mit zwei Sprüngen stand Baake an Deck …
Sein Blick flog in die Runde …
Die weißen Streifen der Brandung leuchteten …
Christophoro war wieder das alte Christophoro … Das Meer lebte, ran gegen die Klippen an in unermüdlichem Kampf – wie vorgestern noch …
Und rings um das Wrack rauschten die Dornenbüsche …
Sie … rauschten noch!!
Waren nicht in Staub zerfallen – in Asche …
Lebten noch …!
Also lebte auch noch das Menschengeschlecht auf Erden …
Die Katastrophe war vorüber … war nichts als ein riesiges Brillantfeuerwerk des Weltalls gewesen …! –
Dr. Baake kletterte hastig in den Turm zurück.
Holte hastig die beiden Laternen … Lief über die Lichtung – durch das Gestrüpp – hin zum Schacht … Die Treppe abwärts …
Wie früher leuchteten die Wände und die Deckenwölbung der Aztekengrotte in geheimnisvollem Lichte … In der Ferne jenseits des Königssees schimmerten die Marmorpaläste …
Am Ufer lag das altertümliche Boot mit den hohen Schnäbeln an Bug und Heck …
Baake sprang hinein …
Ergriff die Ruder …
Legte sich in die Riemen … Seine Brust schwoll in unendlichem Glücksgefühl …
Er lebte … lebte …!! Er hatte nicht sterben sollen! Seine Sühne war trotzdem vollbracht …
Und er landete vor den Palästen … stieg aus, wanderte dahin durch die stillen Straßen der toten Stadt … Beeilte sich … Seine Schritte waren die eines Jünglings …
Sein Ziel war der unterirdische Ozean …
Immer weiter drang er ein in die unermeßlichen Tiefen der Unterwelt …
Und – stand vor dem vermauerten Engpaß …
Vor dem letzten Zugang zum Aztekenmeer …
Vor einem Hindernis, das ihm den Weg zu den Gefährten versperrte …
Ihm fehlten die Werkzeuge, diese Mauer zu durchbrechen. Sie war zu fest gefügt. Randercilds Matrosen hatten sie errichtet – unter John Pattersons Aufsicht.
Zu fest gefügt – zu groß die einzelnen Blöcke …
Enttäuschung dämpfte Baakes inneren Jubel …
Und plötzlich überkam ihn eine Müdigkeit, gegen die keine Energie etwas ausrichtete …
Langsam sank er auf eine natürliche Steinbank … Ein Gähnkrampf verzerrte ihm den Unterkiefer … Die Augenlider wurden zu Bleigewichten …
Der Rückschlag nach den ungeheuren Aufregungen der letzten Stunden stellte sich ein. Die gepeinigten Nerven forderten völlige Entspannung …
Und – – Dr. Baakes Kopf sank tiefer … Sein Körper glitt zur Seite …
Auf hartem Lager schlief er ein … – –
Jenseits der Steinmauer des Engpasses am Strande des unterirdischen Ozeans ein anderes Bild …
Schiffslaternen und Scheinwerfer beleuchteten die Felsmassen, die Zeltstadt, den stillen Ozean …
Leer war die Strandlichtung, leer die Zeltstadt …
Vor Randercilds Zelt auf einem Stein stand der Chronometer des ‚Star of Manhattan’ …
Sein regelmäßiges Ticken das einzige Geräusch …
Halb zwei zeigte die kunstvolle Uhr …
Halb zwei morgens …
Am … 2. Oktober …
Und da – – der stille Ozean warf kleine Wellen … In der Bucht regte es sich …
Ein Etwas tauchte empor, ein abgedichtetes Boot – – eins der Boote vom ‚Meteor’ …
Die Luke oben wurde vorsichtig geöffnet …
Über dem Rand erschien Meister Mudickes Kopf …
Das feiste, ehrliche Gesicht des Deutschen strahlte auf …
Dann rief er nach unten:
„Hallo – alles in bester Ordnung …!“
Und aus der Luke stiegen zwei andere Gestalten: Rechtsanwalt Hans Mickel und der Erste Offizier des ‚Meteor’ …
Mickel lachte glücklich …
„Schwiegervater – wir sind gerettet …!!“
Westra jubelte:
„Und – als erste sind wir aufgetaucht …! Von übermäßiger Hitze ist nichts zu spüren … – Also, an Land …!“
Ruder peitschten das dunkle Wasser …
Während das Boot zum Strande schoß, erschien auch die Barkasse des ‚Star of Manhattan’ an der Oberfläche …
Die abgedichtete Kajütentür flog auf …
Josua Randercild wagte den ersten Schritt ins Freie … Sah das Boot des ‚Meteor’ …
Freundenrufe herüber – hinüber …
Mickel trug sein Frauchen über den Steinsteg an Land … Schloß sie in die Arme …
„Klärchen, Klärchen, – – wir leben!!“
Er küßte sie … Sie küßte ihn … Wieder und wieder…
Und Meister Mudicke umarmte seine treue Emilie. Küßte sie schallend …
Brüllte: „Wir leben!!“ –
Boot auf Boot stieg vom flachen Grunde der Bucht empor … entlud selige Menschen …
Wie im Taumel all diese seelisch Zermürbten, die da unter Wasser bange Stunden in stickiger verbrauchter Luft zugebracht hatten …
Wie im Taumel …
Man drückte sich die Hände … Man redete aufeinander ein … Man wußte kaum, was man vor Glücksgefühl zuerst tun sollte …
Alle Standesunterschiede waren verwischt … Matrosen preßten die Hände von Leuten, die ihnen bisher kaum für einen Gruß gedankt hätten …
Bis der kleine Josua Randercild mit seiner krähenden Stimme alles übertönte …
Die Kapelle der Jacht gruppierte sich …
Tiefes Schweigen …
Dann die Klänge des ‚Nun danket alle Gott …’
Man sang mit – Amerikaner, Deutsche …
Tränen schimmerten in den Augen …
Eheleute, die bisher nur nebeneinander gelebt hatten, standen an den Hand in Hand … Leisteten still einen Schwur, daß sie fortan das neue Leben besser gestalten wollten.
Liebende schmiegten sich eng aneinander …
Matrosen, die bisher Feinde gewesen, nickten sich zu …
Die Seelen all dieser Hunderte hier in den Tiefen der Erde waren verwandelt …
Die Todesschrecken hatten die Seelen geläutert. –
Und der Choral verklang …
Aus den Weinvorräte der Jacht und des ‚Meteor’ wurde ein Feiertrank gespendet …
Randercild hielt eine kurze Ansprache … Gedachte dabei aber auch derer, die vielleicht auf der Oberwelt in Asche zerfallen waren …
Die Gesichter wurden ernster …
„… Vielleicht ist die Erde nur noch ein riesiges Krematorium – eine riesige Urnenhalle ohne Urnen,“ schloß der kleine Milliardär … „Wir wissen es nicht … Noch nicht! Aber wir werden es erfahren! – Das Leben den Lebenden …!!“ Und er leerte sein Weinglas …
Dann winkte er dem Steuermann Mac Lean und dem Kapitän Höxter vom ‚Meteor’ …
„Gehen wir zum Engpaß, zu der Mauer …,“ sagte er ernst … „Nehmen wir ein paar Leute, Werkzeug und ein Thermometer mit …“
Der Trupp entfernte sich …
Kam zur Mauer … Laternenschein traf den Felsboden und den feuchten Lehmmörtel …
Randercild befühlte die Steine …
„Kalt …!“
Und winkte den seinen …
Man hatte da in die Mauer ein Eisenrohr mit eingefügt, dessen anderes Ende drüben herausragte und das mit Lehm verschmiert war.
Eine dünne Stange stieß die Lehmstöpsel heraus.
An derselben Stange wurde nun das Thermometer befestigt und durch das Rohr geschoben …
Man wartete fünf Minuten. Zog das Thermometer wieder zurück …
Hier diesseits der Mauer zeigte es zweiundzwanzig Grad … Und – genausoviel zeigte es jetzt dort draußen an …
Ein Irrtum war ausgeschlossen …
Von der angekündigten Siedeglut war nichts mehr zu spüren …
Nichts …
Oder – noch nicht!
Und das betont Randercild …
Meinte:
„Warten wir noch! Der Zeitpunkt der Katastrophe kann sich verschoben haben … Verschmieren wir das Rohr wieder!“
Aber – dazu kam es nicht …
Jenseits der Schutzmauer war der herausgestoßene Lehmklumpen dem Dr. Baake gerade ins Gesicht gefallen, hatte ihn ermuntert …
Sein schwerer Blick glitt umher …
Wurde lebhafter … Sah an der Stange befestigte Thermometer, das gerade zurückglitt durch das Eisenrohr …
Er sprang auf …
Brachte den Mund an die Rohröffnung …
Und drüben, wo die Stimme Baakes dumpf zu vernehmen, lauschte Randercilds Trupp …
„Hallo – – hallo, – – hier Dr. van der Baake …!“
Und Randercild brüllte durch das Sprachrohr:
„Sie leben also, Doktor?! Wie schaut’s denn oben auf Christophoro aus?!“
„Alle Gefahr vorüber …! Es regnet … Keine Spur von Hitze mehr …!“
Und Randercild:
„Feine Gelehrte seid Ihr …!! Könnt euch mit eurer ganzen Astronomie begraben lassen! Macht nur die Pferde scheu …!!“
Die Matrosen lachten …
Und schwangen ihre Werkzeuge …
Rissen die Mauer ein …
Es regnete auf Christophoro!!
Es regnete!! Welch beglückender Gedanke! Es regnete …!! –
Mac Lean war zur Zeltstadt zurückgelaufen … Meldete das vernommene Zwiegespräch …
Und all die Hunderte waren nicht mehr zu halten.
Wollten mit eigenen Augen schauen, daß der alten Mutter Erde nichts geschehen …
Aber Mac Lean und Hans Mickel machten den Ungeduldigen klar, daß man besser bis Tagesanbruch warten solle …
Man beruhigte sich wieder … Zog sich in die Zelte zurück … Allen erging es so wie vorhin Dr. Baake, der Rückschlag kam! Müdigkeit, Abspannung!
Und nur Baake, Randercild und Kapitän Höxter wanderten durch die Unterwelt der Aztekenstadt zu dem Königssee …
Bestiegen das Boot und ruderten zum Schacht … Klommem die Steintreppe hinan … Verließen den Schacht …
Das finstere Gewölk hatte sich zerteilt … Mondlicht schimmerte über Christophoro …
Und – – auf der wildbewegten See tanzten drüben vor ihren Ankerketten der ‚Star of Manhattan’ und der ‚Meteor’ …
Am Ostrande der Insel aber eine langgestreckte helle Masse …
Ein … Luftschiff …
Schräg auf den Felsen liegend … In der Mitte geknickt …
Das Gestänge hatte die gasgefüllte Leinwandhülle durchbohrt …
Ein Wrack …
Und dunkelhäutige Gestalten in Uniform umschlichen bereits das andere Wrack …
Die drei Europäer duckten sich zusammen …
Randercild flüsterte:
„Es muß ein französisches Luftschiff sein… Die Leute sind Marokkaner … – Was tun wir?“
Baake – ebenso leise:
„Ich rate zur Vorsicht … Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Marokkaner das Luftschiff gewaltsam entführt haben … Denken Sie an die Radiodepeschen über die Zustände in Paris … Die farbigen Truppen waren Herren der Stadt …“
Und Kapitän Höxter:
„Beachten wir, ob weiße Offiziere mit dabei sind … Sind’s nur Marokkaner, so müssen wir schleunigst umkehren …“
Der Sturm pfiff über Christophoro hinweg …
Hob zuweilen das Luftschiffwrack empor, stieß es wieder zu Boden …
Die schleichenden Gestalten mehrten sich … Es waren nur Farbige … Nicht ein Franzose dabei …
Höxter mahnte zur Vorsicht …
Die drei eilten in den Schacht hinab …
Und als ihr Boot über den Königssee glitt – als es gerade unter der zackigen Öffnung am Weststrande dahin fuhr, knallten Schüsse …
Von oben … Vom Rande des Loches …
Baake, der am Steuer saß fiel plötzlich vornüber.
Lag still …
Seine Lebensuhr war nun doch abgelaufen …
Ein Kopfschuß hatte ihn jählings ausgelöscht …
Und als er so mit schwindenden Sinnen nach vorne sank, glitt ein letztes Bild durch seine zerfetztes Hirn: der unselige Zufall dort am Kap Retorta – – als Gottlieb Knorz, den Treuesten der Treuen, dort eine irrende Kugel niedergestreckte …!
Und wie hier auf Christophoro die kritische Stunde vorüberging, so war’s auch fast überall auf Erden gewesen … fast überall …
Zu derselben Zeit, als Randercild die Schutzmauer im Engpaß einreißen ließ, kamen Millionen andere Menschen aus ihren vielfachen Verstecken zum Vorschein …
Bleich, übernächtigt …
In den Augen noch das Grauen unermeßlicher Todesangst …
Millionen … Abermillionen …
Aus Kellern und Höhlen, aus Sandlöchern, aus ländlichen Backöfen ebenso wie aus Stahlkammern großer Banken, aus U-Booten, die nun wieder aufzutauchen gewagt hatten …
Millionen, Abermillionen – dem Leben wiedergegeben – – erlöst von der Qual der Ungewißheit.
Menschen, die wieder zu Gott beten gelernt hatten.
Menschen, die noch vor Tagen Gott und Religion verspotteten …
Und dieselben Szenen, die sich im kleinen am Strande des unterirdischen Ozeans abgespielt hatten, wiederholten sich in in Städten der Kulturländer im großen.
Der Jubel, das Leben wiedergewonnen zu haben, erfüllte die Gemüter mit unaussprechlicher Freude …
Nicht überall …
Denn nicht überall waren die kritischen Minuten für den Planeten Erde so glimpflich abgelaufen …
So ganz hatten die Astronomen sich in ihren Voraussagen doch nicht getäuscht …
Freilich – was an Feuersbrünsten entstanden, was durch Hitzeeinwirkung vernichtet wurde, war nur auf Meteore von gewaltigen Abmessungen zurückzuführen, die in halb flüssigem Zustand allerstärkster Glut auf die Erde herabgestürzt waren …
Auch des Schotten Mac Leans zweites Gesicht hatte nicht gelogen. Des Steuermanns Heimatort gehörte mit zu den Opfern einer solchen Brandbombe, und selbst das benachbarte Hochmoor war in Flammen aufgegangen …
Ähnliches hatte sich an vielen Orten ereignet …
Und doch – was bedeuteten diese Einzelfälle von Zerstörung und Verlusten an Menschenleben gegenüber dem, was die ganze Welt zu fürchten gehabt?!
Weit eindrucksvoller und wichtiger waren die anderen Folgen der so glimpflich verlaufenen Begegnung der Erde mit den beiden Kometen, von denen Delta III durch das jähe Abweichen von seiner vorher berechneten Bahn gleichsam als Retter der Erdbevölkerung zu betrachten war.
Diese Folgen waren so vielfacher Art, daß die Tage und Stunden der Todesangst geradezu als eine seelische Erneuerung des Menschengeschlechts bewertet werden konnte.
In all den Staaten, wo die Obrigkeit mehr oder weniger die Gewalt über die zweifelhaften Elemente verloren gehabt hatte, schloß sich das Bürgertum ohne Rücksicht auf bisherige politische Parteigruppierungen enger zusammen und sorgte dafür, daß wieder Ordnung und Achtung vor dem Gesetz den Zustand der Anarchie ablöste …
Ein Gefühl wahrer Volkerverbrüderung erwachte und übte sehr bald seine wohltätigen Wirkungen aus. Jedenfalls waren binnen weniger Tage die Schrecknisse der allgemeinen Todesangst fast völlig überwunden, am schnellsten in Deutschland, daß ja überhaupt durch das energische Zugreifen der Regierung am wenigsten gelitten hatte. Bereits am 2. Oktober abends wurden in Berlin Extrablätter ausgegeben, in denen der Verlauf der Kometenbegegnung und die dadurch hervorgerufenen Brände und Todesfälle in kurzen Berichten geschildert wurden, und am nächsten Tage erschienen sämtliche Zeitungen wieder in alter Weise, genau wie das ganze Leben und Streben wieder in gewohnten Gang kam …
So wandte sich denn das Interesse des deutschen Volkes auch von neuem jenen Ereignissen, die durch die drohende Weltkatastrophe mehr in den Hintergrund getreten waren, – jene Ereignisse, die mit dem Goldschatz der Azoren im innigsten Zusammenhang standen.
Die Presse berichtete über die Vorgänge am Kap Retorta, und Kriminalkommissar Wendler, der zum Teil Zeuge dieser Vorgänge gewesen, hatte das, was er wußte, in einem amtlichen Bericht zusammengefaßt.
Gold und Goldeswert besaßen wieder eine Bedeutung für die Nationen und insbesondere für das deutsche Volk in seiner drückenden Verarmung.
Die Sphinx und die Goldmilliarden traten wieder in den Vordergrund des öffentlichen Interesses. Daß der Azorenschatz durch den kurländischen Baron versenkt war und nun in einer Meerestiefe ruhte, aus der man ihn selbst mit den genialste Hilfsmitteln moderner Technik nicht bergen konnte, rief überall Unwillen und Empörung hervor.
Nicht minder war die Teilnahme an den Schicksalen der Sphinx und ihrer Besatzung, über deren Verbleib man vollkommen im unklaren war. Und ebenso eifrig wurde in den Zeitungen erörtert, was wohl aus der Milliardärsjacht ‚Star of Manhattan’ und aus dem deutschen Touristenschiff ‚Meteor’ geworden sein mochte. Auch der Name Christophoro wurde notwendig hierbei erwähnt, und voller Ungeduld erhoffte man das Eintreffen von Radiodepeschen eines dieser Schiffe, die wohl kaum auf offener See vernichtet sein konnten.
Niemand ahnte und konnte auch nur ahnen, was sich inzwischen auf der Wunderinsel zugetragen hatte. Niemand vermutete, daß die Meldung aus der französischen Hafenstadt Rouen über die Meuterei des dortigen Marokkanerregiments am 30. September und über die Entführung des Militärluftschiffes ‚Marschall Foch’ durch technisch geschulte Marokkaner einen neuen und zwar den letzten Abschnitt des Kampfes um den Azorenschatz eingeleitet hatte – vielleicht den bedeutsamsten!
Zurück also nach dem riffumgürteten und wogenumbrandeten weltfremden Eiland … Zu jenen Stunden, die Dr. Baake in dem ummauerten Turm des U-Bootwracks zurückgebracht hatte.
Während gerade der ungeheure Hagel von glühenden leuchtenden Meteoren auf die Erde niedersauste und das Firmament in Flammen zu stehen schien, hatte der farbige Unteroffizier Mohammed Ben Safra, der die Meuterei in Rouen geleitet und sich dann mit achtundvierzig seiner intelligentesten Landsleute des Luftbootes bemächtigte, das infolge Versagens der Motoren steuerlos dahintreibende Fahrzeug am Oststrande von Christophoro niedergehen lassen, wo das bei der Landung gegen einen Felsen stieß und in der Mitte einknickte …
Und als dann nach wenigen Minuten der Meteoritenfall vorüber war, als diese Dunkelheit die blendende Lichtfülle ablöste und der Himmel sich in kurzem mit schwarzem Regengewölk bedeckte, – als Dr. Baake nun das U-Boot verlassen und sich hinab in die Unterwelt begeben hatte, da näherten sich auch die ersten Leute Ben Safras dem Mittelpunkt der Insel – schlanke, hohe, glutäugige Gestalten, denen die Schrecken der letzten Stunden nicht viel angehabt hatten … Mohammedaner waren es sämtlich, Anhänger des Propheten, Fatalisten, die an eine Vorherbestimmung glaubten, die vertrauensvoll ihr Schicksal in Allahs Hände legten …
Bis an die Zähne bewaffnet, diese Meuterer, in denen von jeher ein geheimer Haß gegen alle Europäer lebte …
Ein Haß, schon eingesogen mit der Muttermilch … Der sie dann dort in Rouen genau wie in Paris aus bezahlten Söldnern zu wütenden Bestien gemacht hatte …
Und diese achtundvierzig unter Führung eines Mannes, der wie selten ein Farbiger in seiner Person all die Eigenschaften vereinigte, die zu einem Abenteurer größten Stils gehörten …
Diese achtundvierzig ihm blind ergeben – nicht nur seine Tollkühnheit, sondern ebenso sehr seine Klugheit und vielseitige Bildung anstaunend, die er mit eisernem Fleiß sich angeeignet hatte, und in der sicheren Erkenntnis, daß nur der heute ein hochgesteckte Ziel erreichen kann, der auch geistig sich für eine von ehrgeizigen Träumen erfüllte Zukunft vorbereitet hat …
Und drei von diesen braunen Burschen umschlichen nun vorsichtig das U-Bootwrack, durchstöberten die ganze Insel – kehrten zu den anderen zurück und meldeten das Beobachtete …
Ben Safra wurde stutzig, als die Späher ihm von den beiden an der Westküste verankerten Schiffen berichteten …
Er wußte nicht, wo er sich befand … Er hatte das innere Algeriens, die Oase Kribi, mit dem Luftschiff erreichen wollen … Kribi, seine Heimat …!
Allah hat es anders gewollt … Die Motoren setzten aus …
Er wußte auch, was ihm und seinen Leuten bevorstand, wenn man sie zu Gefangenen machte. Er war sich der Verantwortung für die Seinen voll bewußt … Und daher vorsichtig …
Ließ die Insel nochmals durchsuchen … gleichzeitig die Schiffe beobachten … Schlich selbst zum Weststrande und spähte mit dem Fernglas nach den verankerten Schiffen hinüber, deren Leiber durch die Finsternis schimmerten und auf den immer höher gehenden Wogen auf und ab tanzten …
Stunden verstrichen …
Bis die Wolkenvorhänge am Firmament zerrissen und der Mond bleiches Licht spendete …
Da erst wurde Ben Safra gewahr, daß die beiden Dampfer dort draußen vor den Riffen von der Besatzung verlassen waren …
Da erst erschien einer seiner Leute, der nun auch neben dem Felshügel am Weststrande die weite Öffnung und darunter die Aztekengrotte entdeckt hatte … –
Ben Safra war über alles unterrichtet, was den Azorenschatz betraf … Er kannte auch aus den Zeitungsberichten diese Insel …
Christophoro also …! Auf Christophoro war er mit den Seinen gelandet!
Und – ihm war’s gewiß, daß die Besatzung der beiden Dampfer dort drunten in der Riesenhöhle weilte.
Noch vorsichtiger wurde er … Ließ Wachen zurück … Eilte zum Wrack des Luftschiffes … Wollte für alle Fälle einen nahe Felsgruppe zur Verteidigung herrichten …
Der scharfe Westwind trug ihm da den Knall mehrerer Schlüsse zu … Minuten später tauchte der Posten auf …
Ben Safras stolzes kühnes Gesicht verfinsterte sich bei der hastigen Meldung der Wache …
„Weshalb habt ihr geschossen?!“ fuhr er den Mann ärgerlich an … „Nun werden wir die Weißen sehr bald hier oben haben …! Hunderte müssen es sein …!“
Im Zwielicht der Mondnacht tauchten da zwei andere Marokkaner auf, schleppten einen stämmigen rotbärtigen Europäer herbei …
Der eine berichtete …
Im U-Bootwrack seien sie gewesen … Hätten dort plötzlich in den unteren Räumen ein Geräusch gehört … Ein eiserner runder Deckel der Bordwand habe sich langsam gehoben … Und dieser Mann sei aus dem Loche hervorgekommen … –
Ben Safra trat dicht vor den Rotbärtigen hin …
„Wer sind Sie?!“ fragte er gespannt … „Und wohin führt das Loch, aus dem sie emporstiegen? Gehören Sie zu der Besatzung eines der beiden Dampfer?“
Der Stämmige hatte die braunen Gesellen scharf gemustert …
Der erste Schreck war verflogen …
Er überschaute die Lage … Französische Uniformen … Und alles nur Farbige … Hier stimmte etwas nicht!
Und erwiderte keck:
„Ich gehörte zu der Besatzung der Jacht ‚Star of Manhattan’ …“
Er deutete nach Westen, wo die beiden Schiffe auf den Wogenkämmen taumelten …
„Ich war der Erste Steuermann der Jacht … Mein Name ist Patterson, John Patterson … – Und – wer seid Ihr?“
Ben Safra überhörte die Frage …
„Weshalb haben Sie sich von Ihren Gefährten getrennt?“ forschte er energisch weiter. „Ich will alles wissen … Lügen sie nicht! Wir sind nicht Leute, die sich so leicht täuschen lassen …“
Patterson nickte grinsend …
„Glaub’ ich gern …! Möchte aber trotzdem vorher erfahren, wo ihr eure Offiziere gelassen habt … Es müssen doch Weiße an Bord des Luftschiffes gewesen sein … – Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit …!“
Ben Safra überlegte …
Und dachte, daß es ihm und den Seinen kaum weiter schaden könne, wenn er offen zugab, was in Rouen geschehen …
Erzählte, was nötig …
Und Pattersons breites Gesicht strahlte auf …
Teufel – das hieß Glück haben! Diese braunen Burschen konnte er gerade brauchen …!!
Und sagte zufrieden lächelnd:
„Nun, Ben Safra, dann passen wir gut zueinander – sehr gut! Also – hören Sie mich an …“
Und schilderte, was in den letzten acht Stunden hier auf Christophoro geschehen …
Wie er den Baron Gußlar und Randercild belauscht hatte … Wie er so erfuhr, daß der Expräsident Armaro den Azorenschatz auf dem Grunde des Meeres gesehen hatte – – gesehen …!!
„… Und – Armaro hat sicherlich nicht gelogen, Ben Safra …! Sicherlich nicht, obwohl ich’s vorläufig auch noch nicht recht begreife, wie man von einer Höhle unter dem Ozean etwa sehen kann, das auf dem Grunde des Ozeans ruht … – Jedenfalls, ich wollte Armaro und diesem Baron heimlich folgen … Tat’s auch anderthalb Stunden lang … Und dann … packte mich doch die Angst, daß mein geringer Proviant nicht ausreichen könnte … So machte ich denn an einem unterirdischen See halt und wartete die Zeit ab, wo die Katastrophe eintreten sollte … – Nichts geschah … – Es wurde halb ein Uhr morgens … – Das Bad hatte mich gründlich abgekühlt … Meine Sehnsucht nach dem Naturwunder und den Milliarden war verflogen … – Ich machte kehrt … Wollte wieder zurück zu Randercild und den anderen … Hätte ihnen schon irgendetwas vorgelogen und mein Verschwinden bemänteln … –
Wie wär’s nun, Ben Safra, wenn Sie mich mit Ihren Leuten begleiteten … Randercild und der Baron sind überzeugt, daß die Höhlen sich bis nach Afrika erstrecken …“
Der Marokkaner war bereits mit sich einig …
Das Luftschiff führte genügend Proviant mit sich … Man konnte also einen Marsch durch die Höhlen schon wagen … Außerdem, zweierlei lockte noch: Das Gold – – und Afrika, die Heimat! Beides lockte! Hier auf Christophoro waren er und seine Leute so gut wie verloren … Dort in den Tiefen der Erde entging man der Gefahr, wieder ergriffen zu werden!
Ben Safra blickte sein Gegenüber nochmals durchdringend an …
Pattersons Persönlichkeit behagte ihm wenig …
Aber – hier stand zu viel auf dem Spiele!
So reichte er dem Steuermann denn die Hand …
„Treue gegen Treue!“ meinte er … „Fortan sind wir Kameraden.!“
„Wir sind’s, – und so wahr ich John Patterson heiße und euch alles der Wahrheit gemäß berichtet habe, das Gold soll unser werden! Mit dem Teufel müßte es doch zugehen, wenn man etwas, das man nach Armaros Behauptung sehen kann, nicht auch dem Meere entreißen könnte …!“
In einer Viertelstunde war Ben Safras Trupp marschbereit. Der Proviant war gleichmäßig in Säcke verteilt worden. Außer dem Proviant nahm man noch manches andere mit …
Bevor die fünfzig dann – mit Patterson waren’s genau fünfzig! – in die Höhle hinabstiegen, zündete Ben Safra noch das Wrack des Luftschiffes an, indem er einen mit Benzin getränkten Ball von brennender Leinwand von weitem in einen Riß der Außenhülle schleuderte …
Der Sturm fachte die Glut im Nu zu langen Flammenzungen an …
Dann explodierten die gasgefüllten Ballonetts im Innern. Von dem stolzen ‚Marschall Foch’ blieb nichts übrig als ein Haufen rauchgeschwärzter Aluminiumstangen und die halb verbrannten Gondeln …
Die Fünfzig aber begannen den Marsch durch die Unterwelt … Eine Kolonne stiller Gestalten … Vorn Ben Safra und Patterson … Nach anderthalb Stunden, um fünf Uhr morgens, erreichten sie den See, in dem John Patterson das abkühlende Bad genommen hatte …
Von hier aus mußten sie nun den Spuren Gußlars und Armaros folgen, denn ohne diese Fährten würden sie den Weg durch das unendliche Gewirr dieser Haupthöhlen und Nebengrotten niemals gefunden haben, den richtigen Weg, der zu dem größten Naturwunder der Welt führte.
Diese Fährten nicht zu verlieren, war Aufgabe einiger Marokkaner, die Ben Safra hierfür besonders geeignet hielt und die er mit einer der hellsten Laternen vorausgeschickt hatte.
Der Trupp kam schnell vorwärts.
Man gönnte sich nur alle acht Stunden Ruhe. Die Marokkaner waren diesen Anstrengungen mühelos gewachsen, und John Patterson, wenn nüchtern und ohne Gelegenheit, Alkohol zu vertilgen, desgleichen.
Ben Safra war für den Steuermann ein sehr schweigsamer Gefährte. Es lag in der Natur des stolzen Sohnes der Wüste, seine Gedanken tief im der Seele zu verschließen.
Für Patterson war es ein Glück, daß er diese Gedanken nicht erraten konnte …
Ben Safra verachtete diesen Amerikaner, der an seinen weißen Gefährten schmählich Verrat geübt hatte, bis zu einem Gefühl des Ekels. Ben Safra hätte niemals seine eigenen Landsleute hintergangen. Daß er sich zum Führer einer Rebellion gegen die verhaßten Ungläubigen aufgeworfen, war nach seiner Moral nur etwas Lobenswertes. Er, der gerade durch den militärischen Dienst in Europa seine Kenntnisse erweitert und seine verächtliche Abneigung gegen alle Europäer nur verstärkt hatte, weil er eben ihre Unzulänglichkeit durchschaute, – er vermochte eine Kreatur von Pattersons jämmerlicher Niedertracht nur als ein Wesen anzusehen, das tief unter ihm stand.
John Patterson war töricht genug gewesen, dem hochgewachsenen Marokkaner, dessen von schwarzem Spitzbart umrahmtes Gesicht den hochmütig verschlossenen Ausdruck nie verlor, offen einzugestehen, weshalb er einen Teil der Goldmilliarden unbedingt an sich bringen müsse … Unbedingt – einen Teil, – denn den Rest sollten seine braunen Gefährten erhalten …
Töricht genug, davon zu sprechen, daß Randercild ihn im Salon der Jagd so tief gedemütigt und ihn vollends trunken gemacht hatte …
„… Und, Ben Safra, – Randercild kann man nur durch Gold an den innersten Lebensnerv treffen! Randercild selbst ist wie ein Klumpen Gold, der jeder Säure widersteht – – nur einem noch größeren Klumpen Gold nicht!“
Und der dumme Patterson hatte dabei mit den Zähnen vor ersticktem Haß geknirscht …
„Arm soll er werden – so arm, daß er nicht mehr zu den Erwählten Neuyorks gehört … Den sogenannten Erwählten, den Geldsäcken …!!“
Er spie mehrmals aus …
„… Ich weiß schon einen Mann, der mir dabei hilft – einen, den Josua Randercild durch Börsenmanöver erdrosselt hat … Ein Mann ist’s, gerissener als alle Börsenjobber der Welt … Nur ein einziges Mal hatte der sich verspekuliert … Und damals drückte Randercild ihm die Kehle zu … Nun sitzt dieser Benjamin Wannamaker, so heißt der Verarmte, in einem kleinen Laden am Hafen als Makler und brütet Rache.“
Ben Safra schwieg weiter …
„Ist’s nicht ein feines Plänchen, he?!“ rief Patterson triumphierend … „Ist’s nicht das sicherste, diesen Randercild zu stürzen?“
Ben Safra nickte nur …
Sein ruhiger klarer Blick schweifte über die Felsmassen ringsum …
Und Patterson rauchte sich eine neue Zigarette an. –
So wanderten sie der Spur Armaros und Gußlars nach… Drei Tage und Nächte …
Durch Höhlen, in denen das Laternenlicht kläglich an den endlosen Weiten verpuffte – durch Grotten mit sandigem Boden, die wie dunkle Wüsten waren …
Durch Felsschlünde und Steindome, in denen jeder Laut hallende Echos hervorrief …
Vorbei an Seen und Teichen, um deren Ufer das Getier der Unterwelt augenlos umherkroch: Salamander, Molche, Frösche, Schlangen von Armesdicke …
Geschöpfe, die bisher kaum ein Mensch geschaut hatte …
Und dann – am vierten Tage, und das war am 5. Oktober abends gegen neun Uhr, erreichten sie abermals solch eine Sandwüste der Unterwelt …
Einer der vorangeschickten Späher war zurückgekehrt und hatte gemeldet, daß man in der Ferne Lichtschein wahrgenommen …
Das konnten nur Gußlar und Armaro sein …
Der Trupp machte in dem Engpaß halt, der zu dieser sandigen neuen Grotte hinablief, und Ben Safra und Patterson schlichen allein mit abgeblendeter Laterne weiter …
Vor ihnen zwei Lichtpünktchen …
Ganz – ganz fern …
Die Pünktchen bewegten sich …
Und – – verschwanden nach etwa fünf Minuten.
„Die beiden sind weitergegangen,“ flüsterte der Marokkaner … „Wir müßten sie sonst längst eingeholt haben …“
Trotzdem tappten sie in der Finsternis ohne Licht vorwärts … Gefahr war nicht dabei, denn diese Sandhöhlen waren wie Tennen – ohne Spalten und Schlünde …
Die Richtung kannten Ben Safra und Patterson … Das genügte dem Marokkaner … Er wich nicht vom eingeschlagenem Weg ab – schritt genau dorthin, wo die glühenden Pünktchen zuletzt sichtbar gewesen …
Fünf Minuten wieder …
Da – – packte John Patterson den Marokkaner am Ärmel …
Raunte heiser, – erregt:
„Dort – – links von uns Ben Safra … Ein matter grünlicher Schimmer … Ein ganz merkwürdiges Licht …!“
Ben Safra hatte es längst gesehen …
Verhielt gleichfalls am selben Fleck …
Beide starrten hinüber …
Dorthin, wo von der gerade hier recht tief hängenden Höhlendecke in einer Breite von mindestens fünfzig Meter der fahle grünliche Lichtschein auf den Sandboden fiel …
Patterson umkrallte plötzlich noch kräftiger des Marokkaners Arm …
Stieß keuchend hervor:
„Ben Safra – – das … das dort – das muß das große Naturwunder sein …! Ben Safra – – das ist ein Schimmer von Tageslicht … Ein ganz schwacher Schimmer …!“
Und er ließ des Marokkaners Arm fahren …
Begann zu laufen …
Rannte nach links …
Auf das grünliche Licht zu …
Und – stand nun mitten in dieser grünlichen Dämmerung, bog den Kopf zurück …
Nur zwei Meter über ihm war’s, als ob Giganten hier in die trennende Felsschicht zwischen Ozean und Höhle ein Riesenfenster eingefügt hätten …
Ein Fenster, das … die Naturgewalten geschaffen hatten, das zu irgendeiner Erdepoche durch vulkanische Kräfte, durch ungeheure Hitzemengen entstanden war.
Eine viele Meter dicke Schicht von Vulkanglas – – völlig klar und durchsichtig …
Eine Glasmenge von unregelmäßiger Form …
Ein Deckenfenster dieser Höhle, über dem der Atlantik ruhte … und … der Goldschatz der Azoren …
Patterson zitterte …
Seine Augen quollen vor …
Sein Mund stand weit offen … Röchelndes Gestammel kam daraus hervor …
„Die … Milliarden … die … Milliarden …!!“
Und neben ihm Ben Safra nun in eisiger Ruhe …
Gleichfalls emporblickend …
Gleichfalls staunend – aber sich beherrschend …
Dort über der Glasschicht ruhten die zerschmetterten Goldkisten …
Dort – über der ungeheuren Glasplatte, die den Grund des Ozeans hier bildete …
Dort lagen die Goldbarren verstreut – – die Juwelen König Matagumas …
Milliarden an Werten …
Viele Milliarden …
Und dort auch – an einer der Kisten ein schwebender Körper – ein Mensch …
Einer, der hier sein nasses Grab gefunden: Lomatz – Edgar Lomatz!
So klar war die Glasmasse, daß man sogar die Gesichtszüge der Leiche erkennen konnte – – gedunsen, entstellt … –
Patterson konnte sich nicht mehr halten …
Ein kreischender Schrei …
„Das Gold … das Gold!!“
Aber Ben Safras harte Hand verschloß ihm den Mund …
„Wollen Sie uns verraten, Sie Narr?! Gußlar und Armaro können noch in der Nähe sein!!“
Da kam John Patterson wieder zu sich …
„Sie haben recht, Ben Safra …!“ Er holte tief Atem … Und wurde Herr seiner Nerven …
„Sie haben recht … Die beiden können noch in der Nähe sein, obwohl ich’s nicht glaube … Ich nehme eher an, daß sie ihren Weg fortgesetzt haben …“
„Das werde ich durch meine Leute feststellen lassen.“
Und er blickte rundum …
Aber nirgends Laternenschein …
Nur Finsternis …
Und sie beide hier in grünlicher Dämmerung des Gigantenfensters …
Über ihnen aber … die Milliarden, der wiedergefundene Goldschatz der Azoren! –
Ben Safra fragte dann bedächtig, und ein ganz feiner Sport war in seiner Stimme:
„Patterson, wie denken Sie, dieses Gold sich anzueignen?! – Es ist unmöglich!! Denn wenn dieses Glasfenster, das ich auf fünf Meter Dicke schätze, etwa zerstört wird, stürzt der Ozean mit seinen Wassermassen in dieser Unterwelt …!“
John Patterson lachte …
Auch spöttisch …
„Das stimmt schon, Ben Safra … Natürlich stürzt der Ozean dann in diese Höhlen, und wir würden kläglich ersaufen – – alle – – alle! Aber wenn man in diese Glasmasse nur ein Loch von vielleicht vierzig Zentimeter Durchmesser bohrt oder ausmeißelt oder sonstwie herstellt, wird das Meer nur einen ebenso dicken Wasserstrahl hier hinabschicken … Und über der oberen Öffnung dieser Röhre wird sich ein Strudel bilden, der alle Gegenstände rings um in die Röhre hineinzieht und mit dem Wasser zugleich uns vor die Füße wirft … – Sie sehen, der Sandboden ist hier schräg, fällt nach dorthin ab … Und dorthin wird das Wasser abfließen, während die Goldbarren und die anderen Kostbarkeiten unschwer eingesammelt werden können… Daß sich die Röhre etwa verstopft, ist kaum anzunehmen, wenn die Wassersäule wird mit enormer Kraft herabspritzen und alles mit sich reißen – ganz allmählich … Ganz allmählich wird der oben sich bildende Strudel die Barren der Rohrmündung zutreiben … – Haben Sie’s begriffen, Ben Safra?“
Der Marokkaner schwieg – schwieg sehr lange …
Fragte schließlich:
„Und wie wollen Sie das Loch durch diese Glasmasse treiben?!“
„Oh – auch das wird gelingen!“ nickte Patterson selbstbewußt … „Wir haben Äxte und Beile mitgenommen, wir haben auch andere Werkzeuge … Wir haben außerdem Zeit … Selbst wenn Gußlar und Armaro wirklich die Sphinxleute finden und veranlassen sollten, hierher zu kommen, werden darüber viele, viele Tage vergehen … Und wenn etwa Randercild sich hierher wagen sollte – nun, wir sind ja bewaffnet! Im übrigen wäre es vielleicht nützlich, Gußlar und Armaro zu verfolgen und gefangen zu nehmen …“
Ben Safra wandte sich dem Ort wieder zu, wo seine Leute warteten …
„Kommen Sie, Patterson … Ich werde die beiden verfolgen lassen … Es ist besser, wir haben es hier nur mit Randercild allein zu tun … Einen Angriff von einer Seite können wir wohl abwehren … Nach zwei Seiten hin kämpft es sich schlecht … Die Sphinxleute dürfen sich nicht einmischen … – Zu Ihrem Plan habe ich einiges Vertrauen … Ich hoffe, wir werden die Milliarden erringen, indem wir sie uns durch den Ozean vor die Füße spülen lassen …“
Dann schob er die Blende von seiner Laterne und schritt schneller durch die unterirdische Sandwüste dahin.
Eine Stunde vor Mitternacht am 1. Oktober …
In der Höhle neben der verlassenen Werter-Farm, vor der die ebenfalls verlassene Sphinx im Sande ruhte …
Am vermauerten Höhleneingang der Homgori und der Daki-Zwerg …
Beide in einem großen Holzbottich eine lehmige Masse knetend …
Den Mörtel, um auch das letzte Schlupfloch in der Mauer zu verschließen …
Zwei Laternen beschienen die beiden merkwürdigen Gestalten – den zottigen, massigen Homgori und den winzigen schwarzbraunen Zwerg mit dem faltigen häßlichen Gesicht und dem flatternden Lendenschurz aus Rindenbast …
Dann tauchten Doktor Falz und Viktor Gaupenberg auf …
Der Einsiedler von Sellenheim befahl, nun auch das Schlupfloch zuzumauern …
Ein Fernrohr hat er mitgebracht … Ließ es mit einmauern, so daß man durch die Linse vom Innern der Höhle aus gerade den oberen Rand des Urwaldgürtels und ein Stück des Himmels beobachten konnte.
Murat und der Daki hatten die Arbeit in kurzem zu des Doktors Zufriedenheit vollendet …
Der Einsiedler von Sellenheim brachten zur Probe das Auge an die Linse des Fernrohrs …
Ja – die Einrichtung bewährte sich …
Die fahle Helle dort draußen, hervorgerufen durch das Licht der Kometen, bestrahlte den Urwald …
Auch Gaupenberg warf einen Blick nach draußen …
Dann kehrten Falz und der Graf zu den etwa zehn Minuten Wegs entfernten Zelten zurück, wo die Sphinxleute wieder um die lange Tafel versammelt hatten, an der man vor vielen Stunden das Hochzeitsmahl für die vier jungen Paare eingenommen hatte …
Überall ernste Gesichter …
Hand in Hand saßen die Neuvermählten …
Hand in Hand Georg und Ellen …
Und als Falz und Gaupenberg nun nahten, eilte ihnen Agnes entgegen, hängte sich in des Gatten Arm ein, flüsterte:
„Mir … mir ist so bang, Viktor … Ich lasse dich nicht wieder fort … Du mußt bei mir bleiben …“
Falz trat an den Tisch …
Begann zu sprechen …
Tröstende, aufmunternde Worte … Schlicht, – ganz wie er jede Phrase stets vermieden hatte …
Unendliche Liebe klang trotzdem durch seine Worte – die Liebe eines Menschen, der jedem etwas Gutes erweisen möchte …
Und schloß:
„Liebe Freunde, Pasqual und ich werden diese Minuten der Ungewißheit vorn am Grotteneingang zubringen – nur Pasqual und ich … Wir sind die Ältesten.“
Und wie er’s bestimmt hatte, so geschah es auch …
Aber das, was Dagobert Falz durch das Fernrohr draußen beobachtete, machte ihn verwirrt …
Bedeutend früher, als die Voraussage der Astronomen es festgelegt hatte, schien dort der Himmel in Flammen zu stehen …
Falz erblickte das Bombardement durch die glühenden Himmelskörper …
Falz sah Teile der Lichtung brennen … Sah jenseits des sumpfigen Urwaldgürtels die Steppen, die sich bis zum Nil hinabzogen, auflohen …
Und doch, seltsam genug – von einer übermäßigen Hitze war nicht das geringste zu spüren …!
Freilich, Dagobert Falz hatte in seinen vorausschauenden Visionen stets deutlich erkannt, daß die Lichtung erhalten blieb!
Gewiß, – – und trotzdem, ihm wollte es scheinen, als ob die große Katastrophe, die sich so auffallend verfrüht hatte, zum Glück nicht die furchtbaren Wirkungen ausübte, die man allgemein befürchtet hatte …
Dann jedoch kam der erwartete, und doch so schreckliche Moment, daß auch Dr. van der Backe aus seinem Panzerturm halb besinnungslos flüchtete – hinab in das U-Boot …
Der Moment, wo Erde und Himmel eine ungeheure Lichtmenge auszustrahlen schienen …
Eine so große Helle, daß selbst Dagobert Falz vom Fernrohr zurückprallte …
Er blickte Pasqual Oretto an …
Gab ihm die Hand …
„Freund Pasqual … Jetzt – – jetzt – – steht die Erde in Flammen!“ sagte er leise …
Hand in Hand warteten die beiden Alten, was weiter geschehen würde …
Und – – wieder beugte Falz sich zu Linse hinab …
Eine Weile starrte er hinaus …
Richtete sich auf …
„Freund Pasqual – – alles vorüber! Ich … sehe nichts mehr … Die kritischen Minuten sind verstrichen … Überzeugen Sie sich …“
Und der Portugiese bückte sich …
Schaute … schaute …
Jenseits des Urwaldes ein Flammenmeer …
Die brennende Steppe …
Aber der Himmel dunkel … Gewölk zog auf … Es schien zu regnen … Ganz sacht …
Und auch Pasqual sagte dumpf:
„Vorüber – – vorüber! Ob wir wirklich die einzigen Menschen auf Erden sind, die am Leben blieben?“
Falz hob die Schultern …
Schwieg erst …
Meinte dann:
„Die blendende Helle, Pasqual, – das war die Vernichtung!! Das war der entscheidende Augenblick …! – Pasqual, ich fürchte, wir werden die Erde leer finden! Gehen wir zu den Gefährten … Gehen wir! Wir – – leben! Wir hatten eine Mission – wir haben sie noch!“
Und sie gingen … Zwei Kameraden, denen der Schnee des Alters das Haar entfärbt hatte … Zwei, die der Goldschatz der Azoren zusammengeschmiedet hatte …
Still und unter der Last schwerer Gedanken gingen sie … Malten sich beide aus, wie es wohl da draußen jenseits der Lichtung in der Welt, auf den Kontinenten aussehen möchte …
Pasqual Oretto war ja überhaupt seit Gottlieb Knorz’ Tode sehr verändert. Vielleicht war ihm Gottliebs Ende von allen Sphinxleuten doch am nächsten gegangen …
Vor ihnen her tanzte der unruhige Laternenschein … glitt über die stummen, starren Felswände …
Und – traf plötzlich eine einzelne Frauengestalt, die hier auf einem Steinblock saß, das Gesicht in den Händen vergraben …
Mafalda – – Mafalda Merten – einst zu unrecht Fürstin Sarratow … Es gab keine Fürstin Sarratow mehr … Keine Abenteurerin, keine Tigerin Mafalda! Nur noch Mafalda Merten, ein liebendes Weib, das sich in Angst und Sehnsucht um den Mann verzehrte, der ihr Gewissen wachgerüttelt und ihre Seele umgeformt hatte.
Sie hörte die nahenden Schritte und hob den Kopf … Stand auf …
Mit bittender Gebärde wandte sie sich an Dagobert Falz …
„Herr Doktor, ist … ist wirklich geschehen, was wir …“
Falz nickte …
„Es ist geschehen, Mafalda …“ Und er nahm ihre Hand … „Kommen Sie mit uns zu den anderen … Ich weiß, Sie sorgen sich um Gußlar … Wahrscheinlich ganz unnötig … Ich hoffe zuversichtlich, daß die Aztekenhöhle ihn, Randercild und alle übrigen geschützt hat … Kommen Sie …!“
Mafalda schluchzte leise …
„Wenn nur diese grausame Ungewißheit nicht wäre …!!“
„Auch die wird vorübergehen, Mafalda … Wenn wir hier nur erst Werters geholfen haben, das Vieh und den Hausrat wieder an die Oberwelt zu schaffen, werden wir uns nach Christophoro begeben …“
Sie bogen um eine vorspringende Ecke und hatten jetzt das Gesamtbild dieses nun bewohnten Grottenteiles vor sich …
Die weiter hinten eingezäunten Tiere meldeten sich mit den vielfachen Lauten ihrer besonderen Arten … Die drei Schäferhunde kamen den Nahenden entgegen gesprungen … Die sechs zahmen Mantelpaviane tollten um einen Berg Hausgerät umher …
Links die Baumhütten, deren grüne Blättervorhänge nun bereits welk und matt waren …
Und dort die lange Tafel mit den vertrauten Freunden und der Familie Werter – alles in Wahrheit wie eine große Familie …
Alle erhoben sich …
Gaupenberg rief Dagobert Falz zu:
„Ist … ist das Entsetzliche vorüber, Herr Doktor?“
„Meine Freunde, es ist vorüber,“ erwiderte Falz mit einer müden Handbewegung …
Setzte sich zu ihnen, berichtete …
„… Die Steppen außerhalb des Urwaldgürtels brennen, und selbst der jetzt niedergehende Regen scheint das Feuer nicht löschen zu können … Da ich eine besondere Erwärmung unserer Schutzmauer oder des Fernrohrs nicht feststellen konnte, dürfen wir es wohl wagen, das Schlupfloch der Mauer vorsichtig wieder freizulegen … Und wenn draußen normale Temperatur herrscht, was ich annehme, können wir … das neue Leben beginnen und zurückkehren auf die Lichtung, deren meilenweite Ausdehnung uns ein Ackerland übergenug bietet …“ –
So eilte denn nun alles zum Höhleneingang … Keiner blieb zurück. Vor der Mauer drängte man sich zusammen. Jeder wollte einen Blick durch das Fernrohr auf die Wipfel des Urwaldgürtels werfen, die vom Feuerschein der lohenden Steppen rötlich bestrahlt waren …
Dann wuchtete Murat mit einer Brechstange die in das Schlupfloch eingefügten Steine heraus …
Bis er den langen Arm durch das Loch ins Freie strecken konnte …
„Nicht heiß!“ rief er … „Nicht heiß …!“
Auch Falz und Gaupenberg überzeugten sich davon.
Dann packten alle Hände mit zu … Die Mauer wurde entfernt …
Und genau um halb zwei Uhr morgens war der Höhleneingang wieder freigelegt …
Genau zu dieser Zeit hörte auch der dünne Regen auf und die finsteren Wolkenmassen zerstreuten sich vor einem frischen Nordwest …
Die große, vielköpfige Familie der durch das Schicksal hier Vereinten strömte ins Freie …
Köstlich dünkte ihnen allen die feuchte, warme Luft der weiten Lichtung …
Köstlich das Rauschen der Bäume und der milde freundliche Glanz des Mondes …
Vater Werter und sein treues Weib konnte nicht schnell genug zu den Baulichkeiten der Farm kommen, fanden alles unversehrt … Standen nun vor dem Wohnhause zusammen mit ihren drei Kindern und hatten eine Weile die Hände gefaltet zum stummen Gebet.
Falz und Gaupenberg und noch ein paar andere aber erklommen den Felshügel … Sogar Samuel Tillertucky, der Mormone, schleppte seinen feisten Leib die Felsmassen empor …
Von hier oben in der Ferne das gleiche Bild. Ringsum lohende Flammen – überall außerhalb des feuchten Urwaldringes …
Nur daß dieses Flammenmeer bereits stark zusammengesunken …
Es machte den Eindruck, als ob der Brand dem Erlöschen nahe. –
Niemand dachte an Schlaf …
Jeder half mit, zunächst das Vieh nach oben zu schaffen …
Und oben jagten dann Schafe, Rinder, Ziegen und Dromedare wie in toller Ausgelassenheit in ihren Kraalen umher. Der Aufenthalt in der Höhle hatte die Tiere bedrückt. Jetzt lebten sie wieder auf – genau wie die Menschen …
Rege Geschäftigkeit herrschte überall … Als der Morgen graute, war die Werter-Farm wieder wie vorher … Die Stuben eingerichtet, die Ställe mit Geräten gefüllt …
Dann ging die Sonne auf …
Längst war der Steppenbrand erloschen …
Zu gern hätte Fritz Werter nun seinen Radioempfänger eingeschaltet, um einmal zu versuchen, ob er vielleicht doch irgendwoher eine Nachricht aufnehmen könnte. Aber das Niggergesindel aus dem Nildorfe Laomee hatte die Antenne herabgerissen, und die Drähte waren verschwunden. Außerdem meinte auch Dr. Falz, daß diese Versuche, eine Station zu empfangen, ganz zwecklos sein dürften …
Allgemein glaubte man, daß die Erde menschenleer, daß vielleicht nur die in die Aztekengrotte Geflüchteten gerettet seien …
Und dann stellte sich auch hier bei der ‚großen Familie’ vertrauter Gefährten die Müdigkeit ein … Die Nervenanspannung, die ein Gefühl trügerischer körperlicher Frische hervorgerufen, ließ plötzlich nach … Die Gesichter und Augen wurden matt …
Man ging zur Ruhe … Die Kabinen der Sphinx nahmen die Jungvermählten und die Ehepaare Gaupenberg und Hartwich auf. Die übrigen wurden im Farmhause untergebracht. Murat und der Daki bezogen in einem der Ställe Quartier …
Um sieben Uhr morgens war die Farm wieder still und einsam. Nur in den Kraalen bewegte sich das Vieh mit freudiger Lebendigkeit … Und – nur eine einzige Frauengestalt schlich jetzt leise nach der Umzäunung der Reitdromedare, sattelte mit kundiger Hand eines der Tiere und schnallte ihm den Proviantsack auf.
Es war Mafalda …
Sie trieb das Tier in die Tiefen des Erdinnern …
Liebe trieb sie zu abenteuerlichem Ritt durch die gewaltigen Höhlenräume …
Leise führte sie das leicht sich sträubende Dromedar zum Höhleneingang …
Freundliche Sonnenstrahlen umspielten Mafaldas blasses Gesicht …
Sie konnte nicht warten, bis Dr. Falz sein Versprechen einlöste und sie begleitete … Ungeduld rann wie Feuer durch ihre Adern … Ungewißheit wurde zu körperlicher Qual …
Am Höhleneingang zündete sie die beiden Laternen an, befestigte sie am Sattel, so daß ihr Licht nach vorn fiel und den Weg beleuchtete, den sie bereits einmal als Gefangene der beiden Werters zurückgelegt hatte.
So begann sie den Ritt …
Ganz allein …
Hatte den Freunden nur einen an die Haustür gehefteten Zettel zurückgelassen …
Und das Dromedar trug sie nun in flottem Trab dem endlos fernen Ziele entgegen …
Christophoro!! –
Mafalda ahnte nicht, daß der Mann ihrer Liebe zur selben Zeit mit Armaro durch die Höhlen wanderte, um das große Naturwunder zu schauen und sich mit der Geliebten wieder zu vereinen … – –
Auf der Urwaldlichtung zeigte sich bis gegen Mittag kein menschliches Wesen …
Dann tauchte der Homgori als erster draußen auf, und neben ihm war der winzige, häßliche Daki …
Wenige Minuten später erschien auch Mutter Werters freundliches Matronengesicht am Küchenfenster …
Sie öffnete das Fenster, winkte Murat zu …
„Du kannst mir helfen, Murat … Die anderen schlafen zwar noch, werden aber wohl ebenfalls sehr bald aufstehen … Wir wollen für das Frühstück sorgen … Hier, Murat, mahle Kaffee … Aber langsam …! Zerbrich mir die Mühle nicht mit deinen Riesenfäusten.“
Auch der alte Heinrich Werter fand sich in der Küche ein, ging dann hinaus, um nach dem Vieh zu sehen … Schickte die sechs zahmen Mantelpaviane nach dem Schöpfrad, damit er das Vieh tränken konnte.
Allmählich kam Leben und Regsamkeit in die Farm.
Um ein Uhr mittags frühstückte man vor dem Hause … Alle waren um den langen Tisch versammelt … Man sprach über Mafaldas Entschluß, allein nach Christophoro zu reiten. Niemand tadelte sie … Insbesonders die vier jungen Ehepaare hatten volles Verständnis für Mafaldas ungeduldige Sehnsucht. Und das Prinzeßchen Tonerl, jetzt Frau Toni Booder, meinte unter lieblichem, schämigem Erröten:
„Wenn Tom von mir getrennt würde, dann würde ich ihm sogar zu Fuß um die ganze Erde folgen …“
Man lächelte verständnisvoll …
Und all diese Menschen, die hier im Sonnenschein unter dem Zeltleinen vor dem Hause beisammen saßen, hatten sich bereits innerlich mehr oder weniger mit dem Entsetzlichen, was anscheinend die verflossenen Nacht gebracht, abgefunden …
Das Menschengeschlecht und alles Übrige an Lebewesen war für sie nicht mehr vorhanden …
Und es galt nun, das neue Dasein praktisch und zielbewußt einzuleiten.
Gaupenberg ergriff hierzu das Wort, schlug vor, daß man sogleich mit dem Bau von Blockhäusern beginnen solle, die über die Lichtung derart verteilt werden müßten, daß jede der neuen Farmen ringsum genügend Acker- und Weideland besäße …
„Mein Freund Hartwich, Pasqual und ich wollen uns zusammentun, eine der neuen Ansiedlungen bilden,“ fuhr er in seinen Ausführungen fort … „Die anderen mögen sich einigen … Drei neue Farmen genügen wohl. Der Bau der Blockhäuser wird kaum lange Zeit in Anspruch nehmen, da wir so viele fleißige Hände zur Verfügung haben …“
Dr. Falz meinte, er wolle natürlich bei seinen Kindern wohnen, bei Fredy und Mela Dalaargen … Und Tonerl wieder wollte sich nicht gern von ihrem Bruder trennen, so daß nun auch die Bewohner der zweiten neuen Ansiedlung bestimmt waren. Die dritte sollte für Nielsen, Gipsy und den Fürsten Sarratow nebst Gattin sowie für Samuel Tillertucky und seine beiden Frauen errichtet werden.
Rührend und für den Homgori recht schmeichelhaft war es, wie man sich um seine Person stritt, denn jeder wollte ihn bei sich haben – jeder …
Bis Murat dann die Sache dadurch entschied, daß er sehr bestimmt erklärte:
„Murat bei Agnes bleiben … Murat Agnes lieb haben …“
Da drückte die blonde Agnes ihn …
„Brav, Murat …! Ja, du gehörst zu mir und Viktor!“
So schmiedete man Pläne, besprach Einzelheiten.
Und – niemand vermutete, daß man vom friedlichem Ansiedlerleben noch weit, weit entfernt war …
Nach beendetem Frühstück ritten der alte Werter, Gaupenberg, Nielsen und Dalaargen von dannen, um Plätze für die neuen Farmen auszuwählen …
Inzwischen wollten Hartwich und Dr. Falz versuchen, die zerstörte Sphinxröhre, für die kein Ersatz vorhanden, zu reparieren …
Während sie nun die zersplitterte Glasröhre aus dem Gehäuse am Heck des Bootes herausschraubten, trat Fritz Werter hinzu und machte sie auf einen Schwarm von einigen hundert schwarzen Kranichen aufmerksam, der vom Nil her über den Urwaldgürtel und einen Teil der Lichtung nach Westen flog …
„Ist es nicht auffallend, Herr Doktor,“ meinte der älteste Werter, „daß diese Vögel die Katastrophe überstanden haben?! Ich weiß bestimmt, daß in unserem Urwaldring keine Kraniche horsten. Sie haben ihren Standort in den sumpfigen Nebenarmen des Nilstromes.“
Falz blickte den Vögeln lange nach …
Schüttelte den Kopf …
„Unbegreiflich!!“ murmelte er … „Unbegreiflich!“
Und dann …
„Herr Werter, Ihre Antenne ist zerstört, der Draht gestohlen … Aber wir haben hier auf der Sphinx dünne Stahltrossen … Spannen wir eine solche Trosse als Antenne … Bauen Sie Ihren Empfänger auf … Vielleicht sind doch einzelne Teile der Erdoberfläche verschont geblieben … Vielleicht bekommen Sie wirklich Verbindung mit irgendeiner Station …“
Fritz Werter war sofort bereit. In zehn Minuten hatte man die Stahltrosse gespannt und die Ableitung zum Apparat sachgemäß ausgeführt …
Und wie damals vor drei Tagen sich Frau Werter, Maria und Wilhelm um den Apparat gedrängt und den Bruder erwartungsvoll angeschaut hatten, ebenso war’s nun mit allen denen, die die einsame Farm jetzt beherbergte …
Fritz Werter stellte die Kondensatoren und Spulen ein …
Drehte suchend …
Ungeduldig die Menschen ringsum … Mit roten Gesichtern, in denen die nervöse Erregung brannte …
Lange dauerte es, bis Fritz leise rief:
„Ich höre etwas …! Es wird gesprochen … Die Lautstärke ist jedoch zu gering … Die Ersatzantenne fängt offenbar nicht genug auf …“
Und wieder änderte er die Einstellung …
Schüttelte den Kopf …
„Zu leise …!! Es kann Berlin sein … Mir ist, als hätte ich soeben das Wort ‚Berlin’ gehört …“
Selbst Dr. Falz war wie im Fieber …
„Spannen wir noch eine Trosse,“ meinte er … „Ergänzen wir die erste zur Doppelantenne …“
Der älteste Werter wechselte soeben die Steckspulen aus …
„Ich will’s nochmals auf den höheren Wellen versuchen, Herr Doktor …“
Und wieder tiefste Stille im Giebelzimmer der Familie.
Wieder erwartungsvolle Gesichter …
Dann – – Fritz Werter:
„Ein Pfeifton … Sehr kräftig! – Ah – – ich höre … Jemand spricht englisch … Ich verstehe jedes Wort …“
Und er wiederholte, was der Kopfhörer ihm vermittelte:
„… Jacht ‚Star of Manhattan’ … Depesche für Sphinx und den Grafen Gaupenberg … Ich, Josua Randercild, lasse denselben Wortlaut seit einer halben Stunde funken … – Die angekündigte Katastrophe ist harmlos verlaufen … Wir von der Jacht und alle Deutschen vom Touristendampfer ‚Meteor’ bei bestem Wohlbefinden … Baron Gußlar mit Don José Armaro unterwegs durch das Höhlengebiet nach einer Stelle, wo nach Armaros Angabe der versenkte Azorenschatz auf dem Grunde des Meeres sichtbar sein soll. Gußlar und Armaro werden von meinem verräterischen Steuermann Patterson verfolgt, der sich anscheinend mit hier gestrandeten Marokkanern zusammengetan hat. Ich werde abends mit zwanzig Leuten Patterson nacheilen, weil Verdacht begründet, daß Patterson es mit Hilfe der Marokkaner auf den Schatz abgesehen hat. – Sollte diese Depesche von der Sphinx aufgefangen werden, so mag Graf Gaupenberg von dort aus mir entgegenkommen, damit wir Patterson zwischen uns haben …“
Fritz Werter schwieg …
Und begann wieder, da der Sender der Jacht sich abermals meldete …
„Hier Jacht ‚Star of Manhattan’, Welle 1600 … Jacht ‚Star of Manhattan’ … Depesche für Sphinx und dem Grafen Gaupenberg …“
Es folgte genau derselbe Wortlaut wie vorhin …
Der älteste Werter schaltete daher den Empfänger aus …
Blickte ringsum …
Die geröteten Gesichter hatten sich verändert …
Waren nun blaß …
Dr. Falz schaute starr durch das Fenster ins Weite …
Starr – vollständig irre geworden an allem, was bisher ihm stets als unumstößliche Gewißheit erschienen.
Die Welt war noch bevölkert!! Die Erde nicht leer und tot …!!
Was bedeutete das, – wie war dieser Widerspruch zu seinen Visionen, die noch nie getrogen hatten, zu verstehen?!
Und – war es wirklich ein Widerspruch! Hatte er nicht stets nur einzelne Szenen geschaut – ungeheure Brände freilich?! Konnten diese Feuersbrünste nicht wirklich stattgefunden haben, genau wie hier die Nilsteppen durch die glühenden Geschosse der Kometen in Flammen aufgegangen waren?! Hatte nicht lediglich er die Schuld an dieser Überschätzung der Katastrophe, indem er aus Einzelbildern auf die allgemeine Vernichtung geschlossen hatte?!
Wie dem auch sei, all das trat ja völlig in den Hintergrund vor der in Wahrheit beglückenden Gewißheit, daß den Erdenbewohnern das Schlimmste erspart geblieben war!
Die Erde war nicht öde und leer …
Und – der Azorenschatz gleichsam wieder aufgetaucht – der Azorenschatz von neuem Kampfobjekt!! … So fand Dr. Falz wieder in die Gegenwart zurück …
Fühlte aller Blicke auf sich gerichtet …
Von ihm verlangte man einen Entschluß – Befehle.
Und mit erhobener Stimme sagte er:
„Meine Freunde, die Vorsehung hat es gnädig gemeint …! Die Erdenbewohner sind nicht ausgetilgt …! Und Randercilds Depesche ruft zu Taten! – Herr Werter, eilen Sie …! Nehmen Sie eins Ihrer schnellsten Dromedare, holen Sie Gaupenberg und die anderen herbei …!“ –
Fritz Werter jagte vier Minuten drauf über die Lichtung …
Falz aber ließ alles Nötige, was zu längerem Aufenthalt in den Tiefen der Erde nötig war, in Bündel packen und Lastdromedare bereitstellen.
Anmerkung: