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Band 6, Kapitel 11–20

11. Kapitel.

Verirrt und allein!

Mafalda war nun bereits acht Stunden unterwegs. Bisher hatte sie die Fährten des Hin- und Rückweges der beiden Werters mühelos im Auge behalten können, da es zumeist durch sandige Höhlen ging.

Jetzt aber begannen die Schwierigkeiten …

Eisenharter blanker Felsboden hatte auch nicht den geringsten Kratzer der Dromedarhufe angenommen – wenigstens nichts von Spuren, die für Mafaldas ungeübtes Auge erkennbar waren.

Und leider teilte sich gerade hier die Haupthöhle in fünf Nebengrotten, die sämtlich gleich breit waren – vielleicht vierzig Meter …

Mafalda war abgestiegen und hatte ihr etwas störrisches Dromedar am Zügel genommen. Kniend suchte sie so nach einer Fährte, rutschte am Boden weiter, glaubte dann ein paar zermalmte Steinchen gefunden zu haben, die der Richtung nach auf den mittleren der fünf Nebengrotteneingänge zuführten …

Sie hielt es für gewiß, daß sie nun wieder auf dem rechten Wege sei, bestieg das ungebärdige Dromedar, dem dieser Ritt in der Unterwelt offenbar wenig behagte, und trabte weiter …

Diese mittlere der fünf Grotten blieb meilenweit steinig und eben, senkte sich dann plötzlich in einen gewaltigen Felsendom, dessen Boden wieder mit grobkörnigem Sand bedeckt war.

Mafalda ließ ihr Reittier abermals niederknien und glitt aus dem Sattel …

Hier mußte sie ja unbedingt Fährten entdecken, wenn sie nicht etwa doch vom richtigen Wege abgekommen war.

Den Zügel in der Linken, eine der Laternen in der Rechten, – so durchkreuzte sie mehrfach tief gebückt den Felsendom, der überall in den steilen Wänden mächtige Öffnungen zeigte, die in benachbarte Hohlräume mündeten.

Sie fand keine Spuren … Nur ihre eigenen – nichts weiter …

Ein Gefühl der Hilflosigkeit bemächtigte sich ihrer und zugleich überkam sie eine bleierne Müdigkeit …

Sie war unfähig, sich aufzuraffen … Sie hatte nur einen Wunsch, ein paar Stunden zu schlafen!

Zwang sich zur Ruhe und überlegte …

Ja – sie mußte umkehren – zurück bis dortigen, wo sie vor Stunden schon vor den fünf Nebengrotten eine Weile umhergeirrt war …

Mußte eben von neuem dort suchen …

Aber – vorher wollte sie sich eine Weile Rast gönnen … Was kam es schließlich auch auf drei, vier Stunden an?! Sie hätte ja doch einmal lagern müssen.

Und so führte sie ihr Dromedar in einen Winkel des Domes, band es hier fest, tränkte und fütterte es. Dann erst aß sie selbst ein wenig von den mitgenommenen Vorräten, breitete die Satteldecke über den Sand und löschte die eine der Karbidlaternen aus.

Im Nu war sie fest eingeschlafen …

Sie träumte …

Alles, was sie seit jener Nacht in der Villa Dr. Baakes in Zehlendorf erlebt hatte, jagte ihr Hirn in verzerrten Bildern durch ihren abgehetzten Geist …

So wurde es denn ein Halbschlaf, der sie mehr erschlaffte als erquickte …

Mit einem leisen Schrei fuhr sie schließlich empor …

Was sie zuletzt geträumt, wußte sie nicht …

Aber sie zitterte am ganzen Körper, und ihre Hände und ihre Stirn waren mit feinen eiskalten Schweißperlen bedeckt.

Aufrecht saß sie da und blickte wild umher …

Tröstlich war ihr das friedliche Bild ihres ruhenden wiederkäuenden Reittieres … Sie war wenigstens nicht allein in dieser finsteren Unterwelt …

Allmählich wich die unerklärliche Angst … Nachdem sie wieder ein wenig gegessen hatte, sattelte sie das Dromedar und trat den Rückweg an …

Jetzt aber rächte es sich, daß sie hier in diesem Felsendom so häufig auf der Suche nach den Fährten der Werters kreuz und quer die mächtige Halle durchschritten hatte …

Der grobkörnige Sand hatte sich inzwischen auch wiederum verlagert … Was vor Stunden noch Fußspuren gewesen, waren kaum mehr Mulden – flache Vertiefungen …

Und nach einiger Zeit mußte die Einsame einsehen, daß sie außerstande war, die vor Tagen hinterlassene Fährte wiederzufinden … Allzuviele felsige Nebenhöhlen gab es hier, die vollkommen derjenigen glichen, durch die sie hierher gelangt …

Mafalda sank erschöpft auf einen Stein …

Und so gedankenlos war sie in ihrer tiefen Niedergeschlagenheit, daß sie den Zügel des Dromedars nicht kräftig genug festhielt …

Plötzlich ruckte das Tier nach rückwärts, riß sich los und jagte davon …

Die eine noch am Sattel hängende Laterne leuchtete dem störrischen Dromedar, daß in wenigen Minuten mitsamt dem hinten aufgeschnallten Gepäck in einer Nebenhöhle verschwunden war.

Mafalda saß mit stieren Augen da …

Neben ihr stand die einzige Laterne, die sie noch besaß, und zeigte ihr nichts als einen Teil des weiten Domes und den trügerischen Sandboden …

Mafalda war momentan so benommen durch dies neue Mißgeschick, daß sie dessen ganzen Umfang zunächst kaum richtig bewertete …

Dann wurde ihr klar, daß sie nichts – nichts an Lebensmitteln besaß, daß ihre Laterne kaum noch anderthalb Stunden brennen würde und daß sie dann der … Finsternis preisgegeben – – dem Hungertode …

Dieser Gedanke trieb sie empor …

Dem entflohenen Tiere wollte sie folgten …

Vielleicht holte sie es ein …

Vielleicht war das Dromedar in eine Grotte geraten, die eine tote Gasse darstellte …

So eilte sie dann auf der frischen Tierfährte dahin.

Verließ den Dom, gelangte in eine enge Nebenhöhle – sandig, niedrig …

Die Spur leitete sie weiter – immer weiter …

Mafalda wußte, wenn sie das Dromedar nicht wieder einfing, war sie verloren!

Mit jener zähen Energie, die sie früher in jenem schlechteren Abschnitt ihres Daseins so oft bewiesen hatte, lief sie endlose Strecken, nur ab und zu verhaltend, um ihre Brust tief Atem schöpfen zu lassen.

Doch schon bald wurde diese sandige Grotten von solchen mit hartem Steinboden abgelöst, und Mafalda mußte so auch auf die letzte Hoffnung verzichten ihr Reittier einzuholen …

Sie fand keine Fährte mehr …

Sie war allein …

Allein und … verloren …

Ein Opfer liebender Ungeduld, übergroßer Sehnsucht …!

Mit einem hilflosen Aufschluchzen glitt sie zu Boden.

Die Laterne fiel zum Glück in feines Geröll und blieb brennen … –

Minutenlang überließ die Ärmste sich diesem sinnlosen Schmerz … Nur an eins dachte sie, daß sie den Geliebten nun niemals wiedersehen würde – niemals mehr …!!

Elend und einsam würde sie hier schwächer und schwächer werden … Um vielleicht schließlich in halbem Wahnsinn des Hungers den Revolver gegen die eigene Stirn richten …

Und doch, der Wille zum Leben trieb sie nochmals empor …

Umkehren – – umkehren!!

Vielleicht fand sie sich zurück zu den glücklichen Menschen auf der Urwaldlichtung …

Zurück zu den Freunden, die sie niemals hätte verlassen sollen …!

So begann sie dann diese zwecklose Wanderung …

Merkte bald, daß die Leuchtkraft der Laternen nachließ …

Mafalda wurde das Sinnlose dieses letzten, allerletzten Rettungsversuchs …

Sie machte am Ufer eines der unterirdischen stillen Gewässer halt und wollte ihre trockenen brennenden Lippen durch einen Trunk aus dem kleinen Höhlensee erfrischen …

Und – – prallte zurück … vor einem Höhlenmolch, der dicht vor ihr durch das Gestein sich schlängelte – vor einem Riesenmolch mit höckerigem Kopf und mit Augen, die von einem hellen Häutchen überzogen waren …

Ein Tier von fast Armeslänge …

Der Riesenmolch verschwand im Wasser …

Blitzschnell …

Und Mafalda trank …

Köstlich kühl war das Wasser, hatte einen eigentümlichen Beigeschmack …

Die Verirrte fühlte sich neu gekräftigt …

Die Laterne war nur mehr ein gelbweißes, zeitweise puffendes die Lichtpünktchen … –

Mafalda füllte Wasser auf das Karbid. Vielleicht half es noch für einige Zeit …

Und das Flämmchen erholte sich …

Die Einsame saß nun am Seeufer und starrte auf den flimmernden Lichtstreifen, den die Laterne auf das Wasser warf …

Regungslos saß sie …

Ohne Hoffnung. Und doch nicht willens, bereits völlig zu verzagen.

Ihr Geist arbeitete …

Licht – – Licht, – – einen Ersatz für die Laterne …!!

War’s denn nicht möglich, irgend eine Lichtquelle zu beschaffen?! – Und – wieder erhob sie sich … Umschritt den See, leuchtete die Felswände ab …

Besann sich plötzlich, daß sie vorhin in einer engen Schlucht, nicht weit von hier, über kleinen Hügel, irgend einer vermoderten Substanz geklettert war … Wie Torfgrus waren diese Hügel gewesen …

Sie eilte davon, belebt von dieser spärlichen Hoffnung, vielleicht ein Feuer anzünden zu können …

Und … fand die weichen Hügel braunschwarzen Stoffes …

Durchwühlte sie …

Fand Reste von Baumstämmen, fand Holzstücke, die kaum mehr Holz waren …

Und – – der Versuch gelang …

Die braunschwarze Masse kam ins Glühen … Größere zusammenhängende Stücke brannten sogar mit kleiner Flamme … –

Mafalda durchsuchte die Hügel weiter …

Sie hatte nun besseres Licht. Das Feuer lohte immer höher …

Und sie zerwühlte den Boden …

Schichtete zermürbte Baumreste auf – als Vorrat …

Immer mehr …

Diese Arbeit lenkte ihre Gedanken wohltuend ab …

Hoffnung erwachte von neuem …

Ihre Gedanken wurden reger … Spielten mit der Möglichkeit ekler Mahlzeit … – Höhlenmolche – – besser als verhungern …!!

Dann gönnte sie sich Ruhe.

Die Laterne war längst erloschen …

Aber ihr Feuer brannte …

Sinnend schaute Mafalda den Rauchmassen nach, die sich unter der niederen Decke dieses Höhlenganges ansammelten und langsam davonzogen …

Aus dem sinnenden Blick wurde bewußtes Schauen.

Der Qualm … der Qualm wälzte sich stets nach einer Richtung hin – dem nahen See zu …

Also … gab es hier einen Luftzug, mochte er auch noch so schwach sein …!

Mafalda schnellte empor …

Ein Luftzug …!!

Wo ein Luftzug, da auch zwei Öffnungen …

Eingang – Ausgang zur Oberwelt …

Und der Qualm der sicherste Wegweiser in die Freiheit!! –

Mafaldas Gesicht glühte …

Sie suchte eine flache große Steinplatte … Schichtete zermürbtes Holz darauf, brachte von der Glut einen Teil hinzu … Und das Holz auf der Steinplatte brannte …

Gab Licht, wurde die neue Laterne …

Mafalda trug die schwere primitive Leuchte zum See – immer dem ziehenden Qualm folgend …

Der Rauch bog hier in eine größeren Nebenhöhle ein …

Und – dies war der Anfang des Weges in die Freiheit …! –

Die Einsame kehrte zu ihrem Feuer zurück …

Aus der Sportjacke wurde ein Rucksack … Aus dem zarten Frauenhemd ein zweiter …

Beide füllte sie mit Holzstücken …

Größere Stücke band sie zu Bündel zusammen mit Schnüren, die sie aus dem herausgerissenen Jackenfutter hergestellt hatte.

Dann wählte sie eine dünnere und leichtere Steinplatte aus, die sich bequemer tragen ließ.

Schwer bepackt trat sie nun ihre Wanderung an, nachdem sie das Feuer am Boden noch verbreitert hatte, so daß es bald die nächsten Torfhügel ergreifen mußte.

Es sollte weiter brennen …

Würde tagelang brennen … würden die pechschwarzen Rauchschwaden durch die Unendlichkeit dieser Höhlen ihr den Weg weisen …

Tagelang – bis sie die Freiheit wiedererlangt haben würde – – die Oberwelt erreicht – irgendwo! Wenn’s nur die Oberwelt war, dann ließ sich schon ein neuer Weg in zu dem Einziggeliebten finden!

Mafalda war voller Hoffnung und so auch voller Kraftgefühl …

Stundenlang schritt sie dahin, machte nur kurze Ruhepausen …

War sparsam mit dem Brennstoff ihrer Steinplattenlaterne …

Mühselig dieser Marsch …

Aber – Liebe ist Macht, Liebe und Sehnsucht überwinden alles! –

Einmal schlief die Einsame fünf Stunden …

Hatte vorher das Feuer sorgsam angefacht, genügend von dem brüchigen Holz in die Glut geschoben.

Und fand es beim Erwachen noch glimmen, ließ es frisch auflohen …

Und – – spürte da den ersten Schwächeanfall des wütenden Hungers …

Liebe ist Macht …

Liebe kennt keine Rücksichten …

Mafalda erschlug an einem Seeufer vier der Riesenmolche, waidete sie aus, häutete sie ab …

Das erste ekle Mahl … Über Torfglut gebratenes Höhlengetier …

Nicht die letzte Mahlzeit dieser Art …

Und – die zweite mundete schon besser …

So vergingen anderthalb Tage … Und der schwarze ziehende Qualm blieb Mafaldas treuer Wegweiser …

Am Abend des 3. Oktober war’s … Gegen elf …

Mafalda hat ihre Armbanduhr stets gewissenhaft aufgezogen …

Hatte sich soeben wieder nach kurzer Ruhe erhoben.

Wollte gerade die Steinplatte wieder mit Brennstoff versorgen …

Und – schrak empor …

Schüsse irgendwo …

Schüsse, die hier in den Grotten ein donnerndes Echo weckten …

Dann … Stille …

Mafalda stand mit vorgebeugtem Oberkörper da.

Lauschte …

Nun auch Stimmen … Rufe …

Dort vor ihr mußte es sein, wo diese Höhle eine scharfe Krümmung machte …

Sie glitt weiter …

Ins Dunkel hinein …

Die Waffe in der Hand …

Wieder Stimmen …

Näher schon …

Jetzt ein Blick um die Biegung …

Laternenlicht …

Männergestalten …

Zwei am Boden liegend …

Fünf um die beiden herum – braune Gesichter.

Und der einer der Gefangenen – der eine – –

Mafaldas Herzschlag stockte …

War’s möglich …?!

War’s eine Sinnestäuschung?!

Werner – Werner Gußlar?! Konnte das sein?!

Werner …?!

Und – näher schlich sie …

Zusammengeduckt …

Einmal wieder Tigerin Mafalda …

Finger um den Revolver gekrampft …

Jetzt rissen die Marokkaner die hinterrücks Überfallenen empor … Hatten ihnen die Hände auf dem Rücken gefesselt … Trieben sie vorwärts …

Ahnten nicht, daß ein Weib dicht hinter ihnen … Ein Weib, die ihres Schusses sicher …

Wie ein Schatten glitt Mafalda bis auf fünf Schritt heran …

Feuerte …

Drei Schüsse …

Schnellte vor …

Zwei der Marokkaner flüchteten …

Laternen lagen am Boden … Beleuchteten Tote und Lebende …

Ein Liebespaar, das sich umschlungen hielt …

Still trat Don José Armaro beiseite, hob die Laternen auf und schob zwei Pistolen in den Strick, der die löchrige Decke um seine Lenden zusammenhielt …

Gußlar küßte Mafalda, preßte sie an sich …

Und Mafalda schluchzte an seiner Brust …

Unendliche Seligkeit – unnennbares Glück erfüllte ihr Herz …

Sie hatte den Geliebten gerettet, befreit …!

Sie hatte ihm vergelten können, was er an ihr getan! –

Armaro war’s, der die Liebenden nun doch warnte.

Und Gußlar fand sich zurück in die ernste Wirklichkeit …

Man beeilte sich, den Platz zu verlassen …

Die drei Toten ließ man liegen …

Mafalda führte die beiden Befreiten dortigen, wo sie ihre Steinplatte und ihre Holzvorräte zurückgelassen hatte …

Erzählte hastig … Berichtete, was nötig …

Gußlar meinte dann, daß der Rauch offenbar nach der Richtung auf Christophoro ziehe …

Man müsse also, um die Urwaldlichtung zu erreichen, in entgegengesetzter Richtung weiter wandern … –

Mafalda und Armaro hatten sich nur durch einen stummen Händedruck begrüßt …

Mafalda war erschüttert über des Expräsidenten verwahrlostes Äußeres …

Unfaßbar erschien es ihr, daß dieser selbe Mann einst in Glanz und Luxus gelebt hatte, – daß ein Mensch so unendlich sinken konnte … Bis hinab zu einem verkommenen Strolch, von Lumpen bedeckt, verwildert und offenbar völlig gleichgültig gegenüber diesem trostlosen Verfall … –

Die drei eilten weiter … Hatten Laternen, Waffen und die Proviantsäcke der drei toten Marokkaner.

Waren kaum eine halbe Stunde unterwegs, als vor ihnen aus der Finsternis eines neuen Höhlendomes Lichtpünktchen aufglühten …

Rasch wichen sie da nach rechts in eine Nebengrotte.

Beobachteten von da …

Reiter nahten …

Dromedare trugen Lasten und – junge Frauen …

Bekannte Gesichter …

Männer daneben …

Gußlar trat vor …

Die Sphinxleute waren’s – dazu drei Werters …

„Graf Gaupenberg – – hallo – – Graf Gaupenberg …!!“

Freudige Rufe …

Händedrücke … Hastiger Wechsel von Fragen und Antworten …

Patterson … Die Marokkaner – – – der Goldschatz …!!

Nun wußte Gußlar, woher die braunen Gesellen so plötzlich aufgetaucht waren …

Nun – – begann eine neue Szene des Schlußaktes des Großen Ringens um den Goldschatz der Azoren …

 

12. Kapitel.

John Pattersons Festung.

Traurige Rückkehr war’s für Josua Randercild und Kapitän Höxter zu den Gefährten am Strande des unterirdischen Ozeans …

Traurige Rückkehr mit der Leiche des von heimtückischer Kugel niedergestreckten Dr. Baake …

Traurige Ankunft bei den Hunderten, die hier in den Tiefen der Aztekenhöhlen vor Stunden ihre Rettung bejubelt hatten …

Nun weilte der Tod doch unter ihnen …

Man scharte sich um den Toten …

Randercild berichtete …

Frauengesichter erbleichten … Männerfäuste ballten sich …

Marokkaner!!

Oh – man würde mit ihnen schon fertig werden …!!

Und Josua Randercild gab Befehle aus …

Steuermann Mac Lean mit zehn Matrosen vom ‚Star of Manhattan’ bildete den Vortrupp …

Diesem folgte die Hauptmacht. Sechzig Leute unter Randercilds Führung – Mannschaften der Jacht und des ‚Meteor’ …

Die Frauen blieben unter dem Schutze einer dritten Abteilung zurück … Kapitän Höxter kommandierte diese, die den Engpaß besetzen und zur Verteidigung herrichten.

Inzwischen waren die beiden anderen Trupps unangefochten bis an den Schacht am Königssee gelangt.

Kundschafter schlichen die Steintreppe empor …

Konnten nur melden, daß das wracke Luftschiff in Flammen stand …

Die Marokkaner waren verschwunden.

Aber man fand ihre Spur …

Randercild stellte sehr bald fest, wo sie geblieben waren …

Und Randercild schickte wieder Leute hinab, die die anderen herbeirufen sollten …

Man schaffte Boote nach oben … fuhr zum ‚Star of Manhattan’ … zum ‚Meteor’ …

Stunden vergingen …

Der Tag war da … Der Sturm der Nacht hatte abgeflaut …

Und der Sender der Jacht arbeitete …

Auf Welle 1600 flog Randercilds Meldung für die Sphinxleute immer wieder aus Neue hinaus in die Weite …

Man rüstete sich zur Verfolgung Pattersons und der Marokkaner …

Freiwillige meldeten sich …

Randercild wählte nur zwanzig von seinen Leuten aus … Er wußte, die gingen dem Teufel zu Leibe …

Mit Bedacht bereitete er alles vor … Die beiden kleinen Schnellfeuergeschütze der Jacht wurden auf Räder montiert …

Nicht wurde vergessen … –

Mittlerweile hatten die deutschen Touristen den ‚Meteor’ wieder bezogen …

Aber als Kapitän Höxter die Heimfahrt nach Deutschland vorschlug, stieß er auf allgemeinen erregten Widerspruch …

Höxter gab nach … Der ‚Meteor’ blieb. Man wollte den Ausgang der Expeditionen Randercilds abwarten …

Es wurde Abend …

Randercild verabschiedete sich mit seinem Trupp …

Viele gaben ihm das Geleit – eine Stunde lang – durch diese Nebenhöhle der Aztekengrotte … –

Den Vortrupp der kleinen Heeresmacht führte einer, der von Natur aus hierzu bestens befähigt. Der Seminole Ozzeola …

Mit nur drei Mann war er den Marokkanern und Patterson auf der Spur …

Und er verstand Spuren zu finden, der Sohn der einst so mächtigen Seminolennation …

Er verstand es, jeden Hinterhalt des Feindes auszukundschaften …

Aber – alles deutete darauf hin, daß Patterson und seine Verbündeten ohne Aufenthalt weiter marschiert waren, jedenfalls nicht daran gedacht hatten, ihren Verfolgern, mit deren Erscheinen sie doch bestimmt rechnen mußten, irgendwie den Vormarsch zu erschweren.

Anderthalb Tage war Randercilds tatendurstige kleine Armee nun bereits unterwegs …

Und zum zweiten Male hatte man jetzt ein Lager zu mehrstündiger Ruhe bezogen – eine Höhleneinbuchtung, die sowohl Schutz vor einem Überfall als auch den Vorteil frischen Trinkwassers bot, da im tiefsten Winkel dieser kleinen Grotte ein unterirdischer Bach aus einem tunnelartigen Felsloch hervortrat und nach wenigen Metern im Boden wieder verschwand.

Vor dem Lager patrouillierten Posten und sicherten die drei Eingänge zu dieser Höhle, an deren östlicher Seitenwand die Einbuchtung sich befand.

Randercild hatte jeden überflüssigen Lärm streng verboten, da in den unendlichen Gewölben des Erdinnern jeder Schall sich meilenweit fortpflanzte …

Man unterhielt sich nur flüsternd … War trotzdem guter Dinge …

All diese jungen strammen Matrosen des ‚Star of Manhattan’ brannten förmlich darauf, ebenfalls das große Naturwunder zu schauen, von dem Armaro gesprochen hatte …

Alle waren von Randercild genau eingeweiht worden … Jeder dieser zwanzig wußte, daß es letzten Endes wieder um den Goldschatz der Azoren ging …

So saßen und lagen sie denn nun auf ihren Decken, beleuchtet von halb abgeblendeten Laternen …

Rauchten und plauderten …

Man hatte sich bereits zum Schlafe ausgestreckt.

Auch Randercild schlief – etwas abseits … Er wußte, daß er sich auf den Seminolen verlassen konnte … Der war unermüdlich, war hier in seinem Elemente … Diese Expedition hatte das kriegerische Blut seiner Vorfahren in seinen Adern wieder in Wallung gebracht. Der bescheidene Matrose Ozzeola war indianischer Krieger geworden …

Soeben hatte er die drei Posten draußen kontrolliert und so einen Rundgang gemacht …

Die Posten standen im Dunkeln … Sie sollten sich lediglich auf ihr Gehör verlassen.

Die Leute konnten den Seminolen nichts melden …

In den Grotten rundum Totenstille …

Nur das leise Rauschen unterirdischer Wasserläufe und das klatschenden, klingende Geräusch fallender Tropfen des Sickerwassers …

Ozzeola kehrte beruhigt zum Lagerplatz zurück …

Auch er hatte in die Finsternis hineingehorcht, war sogar über die Standplätze der drei Wachen weit hinausgegangen …

Hatte immer wieder gelauscht …

Jetzt nahm er seinen Becher und beugte sich zu dem kleinen Bache hinab …

Wollte das klare, angenehm kühle Wasser schöpfen.

Dicht an dem Tunnelloch stand er, aus dem das Wasser hervordrang …

Und – machte plötzlich eine ruckartige Kopfbewegung …

Kniete dann nieder …

Die feinen Nasenflügeln schienen zu fibrieren …

Ozzeola spürte deutlich übelriechenden Qualm …

Und dieser Qualm kam auf dem Tunnel hervor.

Zu dünn, um für das Auge sichtbar zu sein …

Und doch dicht genug, um des Seminolen Geruchsinn zu reizen …

Ozzeola prüfte die Rauchschleier …

Sie hatten einen ganz merkwürdigen Geruch … Konnte nicht von einem Holzfeuer herrühren … –

Dann stieg der Seminole plötzlich ins Wasser …

Leise … Ohne Geräusch …

Niemand achtete auf ihn … Das Licht der abgeblendeten Laternen traf ihn nicht …

Das Wasser reichte ihm kaum bis an die Oberschenkel …

So watete er vorwärts, bückte sich noch tiefer und drang so in den Tunnel …

Vorsichtig schritt er vorwärts, setzte die Füße erst dann auf den steinigen Grund des Baches, wenn er den Boden sorgfältig abgefühlt hatte …

Dann eine Biegung – von von hier ab wurde die Dekenwölbung des Tunnels höher, so daß Ozzeola sich fast völlig aufrichten konnte …

Er stand minutenlang still …

Der Bach floß langsam … Ein feines leises Murmeln und Plätschern erfüllte den Kanal mit angenehmen Lauten …

Aber – der scharfe beizende Geruch war hier weit spürbarer …

Und hinzu kam noch ein schrilles, merkwürdiges Klingen, das von weither herüberdrang – – irgendwoher …

Wie … Hammerschläge fast …

Hammerschläge, die gegen ein sprödes Metall oder dergleichen geführt wurden …

Unermüdlich pflanzte sich dieses grelle, wenn auch leise Klingen durch den Tunnel fort …

Ein hartes Pochen …

Auch so, als ob viele Hammerschläge gleichzeitig niedersausten …

Fast so, als ob dieser Hämmer etwas lossprengten, das dann mit tönendem Klirren herabpolterte …

Irgendwo … Vielleicht in meilenweiter Ferne …

Und Ozzeola, Sproß einer berühmten Häuptlingsfamilie, bog den Oberkörper noch weiter lauschend vor …

Sein kupferfarbenes Gesicht glich jetzt in jeder Linie jenen Idealgestalten, wie die Phantasie eines Knaben sie sich erträumte …

Sein Geist sann der Ursache dieser merkwürdigen Töne nach, die hier in den Tiefen der Erde sich im Kanal des Baches geheimnisvoll fortpflanzten …

Und seine Nase prüfte immer wieder den ebenso seltsamen, unsichtbaren Rauch, der in gleichmäßiger Stärke ihn umwehte …

So stand er – Bronzegesicht – die Laterne umgekehrt an den Leib gedrückt, die er vorhin angezündet hatte … Kein Lichtstrahl fiel in die schwarze Finsternis …

Wartete …

Ob nicht vielleicht die Töne verstummten …

Und – zuweilen schien’s, als ob sie wirklich ersterben wollten …

Doch lebten gleich darauf mit doppelter Kraft wieder auf … –

Ozzeola watete weiter vorwärts … Tastete den steinigen, unregelmäßigen Grund des Loches ab … Versank bis zu den Schultern, arbeitete sich wieder empor …

Und mit jedem Schritt wurde das Hämmern deutlicher, dieses kleingende Klirren, dieses klingende Prasseln wie von stürzenden Stücken dünner Metallscheiben …

Mit jedem Schritt …

Und der Tunnel wurde enger, niedriger … Ein Schalltrichter, der die Töne zusammengedrängte …

Biegungen – sanfte Windungen beschrieb das raunende, rauschende Gewässer …

Der Seminole stutzte plötzlich …

Ward wieder Statue …

Soeben hatte er Stimmen gehört …

Kein Zweifel – menschliche Stimmen, rauhe Kehllaute …

Er löschte die Laterne aus …

Tappte wieder im Dunkeln … Hatte die Laterne an der Jacke befestigt, schritt mit vorgestreckten Armen … Seine Hände glitten über rissiges Gestein …

Dann – eine neue Biegung …

Der Kanal wurde hier zum weiten Schlund, der in eine Grotte mündete …

Vor ihm Laternen blinkten …

Weiße Lichtstrahlen zerschnitten die Finsternis …

Männer eilten hin und her … hockten um qualmende Feuer.

Die Marokkaner!! – John Pattersons, des Verräters, kraftvolle Verbündete …! –

Der Seminole im finsteren Hintergrund des Schlundes überflog die bunte Szene …

Sah die beiden Wachtposten dicht vor dem Ausgang des Kanals – dicht vor sich – dort, wo der Bach einen Winkel der Höhle durchfloß und drüben wieder donnernd als Wasserfall in einem Felsloch verschwand …

Erblickte an zwei anderen Stellen noch weitere Posten.

Sah, daß die Eingänge zu dieser Grotte durch Felsstücke verrammelt waren, daß die Marokkaner diese Höhle zur Festung umgewandelt hatten … Daß Scheinwerfer mit bleichem Karbidlicht diese Zugänge beleuchteten, um jeden Angriff rechtzeitig zu enthüllen …

Mehr noch sah er …

Und – seine Augen wurden starr, zogen sich zusammen …

Da mitten in der Grotte ein Hügel von Steinen …

Künstlich aufgetürmt in kleinen Terrassen bis zur Höhlendecke …

Von dieser Höhlendecke schillerte ein merkwürdig grünliches Licht herab …

Und in diesem grünlichen Schimmer arbeiteten braune Gestalten oben auf dem Hügel mit Hämmern und Meißeln.

Klirrend fielen Stücke der mattglänzenden Decke herab …

Klirrend wie Glas …

Und – – aus Glas mußte die Höhlendecke dort bestehen …

Glas – durch dessen Schicht der Ozean die Fülle der Sonnenstrahlen bis in diese unendliche Tiefe leitete.

Klirrend polterten die losgesprengten Stücke aus der Öffnung, die man dort bereits ausgemeißelt – meterweit – metertief, so daß die Oberkörper der Arbeitenden vollends darin verschwanden … –

Und seitwärts von diesem Steingerüst saßen an einem flackernden Feuer Patterson und ein Marokkaner mit stolzem, kühnen Gesicht …

Saßen und rauchten …

Wechselten zuweilen ein paar Worte …

Und um sie herum die übrigen Gestalten – andere Feuer, deren Qualm in Wolken zu den höchsten Teilen der Höhle emporwirbelte …

Und von dort durch einen Lufthauch in dünnen Schwaden langsam hinabzog zu dem Schlunde des Kanals …

Rauch, der wie schwelender Torf stank … –

Ein buntes, fesselndes Bild …

Aber den Seminolen fesselte nur das, was ihn das wichtigste dünkte: die Wachtposten der Höhlenfestung …

Sein kriegerischer Geist prüfte die Aussichten eines Angriffs, eines plötzlichen Überfalls …

Ein geringschätziges Lächeln umspielte Ozzeolas Lippen …

Der Kanal war schlecht geschützt … Von hier konnte man die Marokkaner überraschen, wenn sie sich zur Ruhe niederlegen würden …

Kaum gedacht, Patterson und der stolze, kühne Marokkaner erhoben sich …

Nahmen jeder eine Laterne …

Näherten sich dem Kanal …

Ozzeola wich zurück …

Hier im Bett des Baches ein paar Felsblöcke …

Er duckte sich … Beobachtete …

Pattersons Stimme schlug an sein Ohr:

„Am einfachsten, wir verstopfen den Kanal soweit, daß das Wasser bis zur Decke steigt … Dann kann niemand diesen Weg benutzen, Ben Safra … Und – eine einzige Dynamitpatrone, in den Spalten der Kanaldeckel zur Entzündung gebracht, und genug Gesteine stürzt herab …“

Ben Safra nickte nur …

Patterson brüllte etwas nach den Feuern hinüber.

Einer der Marokkaner kramte in einem Holzkasten, kam mit einem zylindrischen Röhrchen herbei …

Ozzeola duckte sich noch tiefer …

Verschwand um die Biegung …

Ahnte die drohende Gefahr …

Fürchtete, daß die steigenden Wasser des Baches ihn kläglich ersäufen würden, wenn er nicht rechtzeitig den Ausgang des Kanals erreichte …

Seiner Laterne blitzte wieder auf …

Und er hastete vorerst …

Dachte an Mantaxa, sein Weib … Dachte an den Abschied, bevor er mit Randercilds Schar den Marsch durch die unendlichen Hohlräume begonnen hatte …

Und dieser Gedanke an sein Weib gab ihm ungeahnte Kräfte …

Der Tod lauerte hinter ihm – vor ihm …

Hinter ihm die Dynamitpatrone, das stürzende Gestein, der Wall, der den Bach zum Anschwellen bringen würde …

Und vor ihm dieser selbe Bach, jetzt noch harmlos – noch! Und doch wie ein kriechendes, düsteres Ungeheuer, dessen im Laternenlicht gleißender Leib jeden Augenblick sich ausdehnen konnte – immer höher – höher …, bis er die niederen Stellen des Kanals völlig abschloß …

Der Seminole stürmte jetzt vorwärts …

Keuchend drückte seine breite Brust die rauschenden Wasser …

Taumelnd sank er in Löcher des Bachbettes, schnellte wieder empor, schwamm kurze Strecken, den Laternengriff in den Zähnen …

Vor ihm, hinter ihm der Tod …

So eilte er den Weg zurück, den er vorhin in so sicherer Ruhe durchmessen hatte …

Vorhin …!! Und jetzt ein Gehetzter, den Tod im Nacken …

Ozzeolas Muskeln spielten … Sein Herz hämmerte gegen die Rippen …

Seine Gedanken waren bei Mantaxa, die er liebte … Für Mantaxa wollte er sein Leben erhalten … Für Mantaxa – und für seinen Herrn Josua Randercild, den er verehrte …

Wichtiges hatte er zu melden …

Mit seinem Tode ging auch das verloren, was er erlauscht und beobachtet hatte …

Jede Schätzung für Zeit und Wegstrecke hatte der Gehetzte verloren …

Jede Minute dieses Kampfes mit den ihm entgegenflutenden Wassern des Baches raubte ihm einen Teil seiner Kräfte …

Eis war ein Kampf ums Leben …

Ein unheimlicher Kampf – eine grauenvolle Ungewißheit …

Wann – wann würde sich durch die Bindungen des Kanals der Knall der Explosion mit donnerndem Getöse fortpflanzen und ihm ankündigt, daß … die Wasser steigen würden …?!

Und selbst des Seminolen starke Nerven erzitterten schließlich bei diesem steten Lauern auf den Knall der verhängnisvollen Explosion …

Dann – traf’s ihn von rückwärts wie der Stoß einer Gigantenfaust …

Gerade als er eine flache Stelle durchwartete …

Ungeheures Getöse umdröhnte seine Ohren …

Er stürzte nach vorn …

Klirrend zerschellte die Laterne an einen niedrigen Felsblock …

Halb betäubt erhob er sich … Finsternis … Und in dieser qualvollen Finsternis nun ein langsames, mühsames Vorwärtstasten …

Der Tod hinter ihm …

Jetzt war’s Wahrheit geworden … Jetzt … begann das Rennen um Sein oder Nichtsein …

Wettrennen mit den gurgelnden Wassern, die ihm zuzurufen schienen:

‚Wir haben dich fest …! Du bist unser …!!’

Und der Gehetzte stieß sich Kopf und Schultern, Hände, Knie und Ellbogen wund an den kantigen Steinwänden …

Bückte sich …

Kroch …

Richtete sich auf …

Schwamm …

Sprang …

Watete …

Jede Schätzung für Zeit und Wegstrecke hatte er eingebüßt … Endlos schien ihm der Kanal vor …

Als ob die Geister der Unterwelt das Bachbett in seiner Länge verzehnfacht hätten …

Und – – das Wasser stieg … Er merkte es sehr bald … Niedere Stellen des Kanals, die er auf dem Hinwege nur tiefgebückt zu durchschreiten brauchte, schienen ihre Felsendecke gesenkt zu haben.

Tief mußte er den Kopf bis zum unsichtbar dahingleitenden Wasser herabbeugen, und stieß trotzdem gegen das zackige Gestein … Tauchte das Gesicht für Sekunden in die eilende Flut … Durfte es wieder erheben …

Um ihn her die dräuende Finsternis als ebenso erbarmungsloser Feind …

Endlos der nasse, grauenvolle Weg für den um sein Leben Ringenden …

Immer endloser – denn die Kräfte schwanden, das Herz hämmerte wilder, die Muskeln verzerrte zuweilen im Krampf …

Wie ein Trunkener schwankte der Seminole weiter.

Die tastenden Hände hatte der Fels längst blutig gerissen …

Blut lief ihm warm über Stirn und Wangen aus zahllosen kleinen Rissen und Wunden …

Weiter … Weiter …!!

Noch nie hatte Ozzeola eine Stunde wie diese erlebt …

Sein Hirn gaukelte ihm auf dem dunklen Hintergrund dieser vollkommenen Lichtlosigkeit des Kanals seltsame Wandbilder vor …

Gestalten mit feurigen Umrissen erblickte er …

Gespenster nahmen aus grellen Nebeln unheimliche Form an …

Grinsende Menschenköpfe tauchten auf und zerrannen.

Dann – vor ihm … vor ihm nur noch Gestein und Wasser …

Kein Zwischenraum mehr zwischen beiden …

Denn, niedrig der Tunnel – bis oben gefüllt …

Wie aus einem Kanalrohr bei Wolkenbruch schossen die Wassermassen brausend hervor – mit einer Wucht, die in zurückschleuderte …

Nochmals arbeitete er sich vorwärts …

Nochmals tastete er die Kanaldeckel ab …

Kein Zweifel, das Verhängnis war da! Es gab kein Vorwärts mehr!

Und doch versuchte er’s…

Vielleicht war diese Strecke des Tunnels nur kurz …

Er tauchte …

Hoffte …

Arbeitete gegen die gierige Strömung … Klammerte sich an Felszacken – unter Wasser …

Schwankte mit dem Kopf an der Decke entlang …

Im Wasser – unter Wasser …

Atemnot stellte sich ein … Das jagende Blut drohte ihm das Trommelfell zu sprengen …

Zurück also …

Zurück – dorthin, wo er wieder Atem schöpfen konnte …

Die Strömung riß ihn mit fort …

Sein Kopf prallte gegen die Kanalwand …

Seine Sinne schwanden …

Ein letzter Gedanke: Mantaxa!

Und er versank in das Nichts tiefer Bewußtlosigkeit.

Ein letztes Gefühl, als ob eine Eisenstange seinen linken Arm umspannte …

Und – weiter schoß der Bach durch den Tunnel, unbändig, grollend über die Fessel, die man ihm angelegt hatte, die seinen freien Lauf hinderten …

Immer höher stieg die gehemmte Flut …

Stürzte drüben in der Grotte über die hohe Steinschleuse, die ihre Entstehung der Dynamitpatrone verdankte …

Neben der Schleuse standen John Patterson und der stolze Ben Safra, der Sohn der freien Wüste …

Eine Matrosenmütze führte die Strömung mit sich.

Patterson fischte sie heraus …

In das Futter der Mütze war ein Leinwandschildchen mit einem Namen eingenäht:

Ozzeola!

Steuermann Patterson grinste den Marokkaner an.

„Da, Ben Safra, – da haben wir wirklich ein Mäuslein erwischt, ersäuft …! Einer von der Jacht Randercilds war’s …! Einer, der sich als Späher gut eignet!“ Und ernster: „Ben Safra, verdoppeln wir die Wachen an den beiden Höhlenzugängen … Unsere Festung ist bedroht … Randercild muß in der Nähe sein …!“

Die Wachen wurden verdoppelt … Die Barrikade verstärkt …

Indessen ging die Arbeit auf dem Steingerüst emsig weiter …

Das Loch im Ozeanfenster vertiefte sich … Meißel und Hammer fraßen das Naturglas, nagten Stücke heraus …

Über dem Ozeanfenster ruhte der Azorenschatz …

Gold … Gold …

Und an der einen halb zertrümmerten Kiste schwebte als furchtbare Mahnung die Leiche des ärgsten Feindes der Sphinxleute … Die Leiche Edgar Lomatz’ …

 

13. Kapitel.

Das Lager der Sphinxleute.

… Karawanenlager unter der Erde – in den geheimnisvollen Tiefen der ungeheuren Felsendome …

Karawanenlager mit Zelten, Dromedaren, blöckenden Schafen, meckernden Ziegen und mit der phantastisch magischen Beleuchtung zahlloser Fackeln …

Das Lager von Gaupenbergs Expedition gegen John Patterson und dessen braune, kriegerische Verbündete …

Vor dem Zelte des Herrn der Sphinx, die nun drunten im Süden unweit des Nils auf der Waldlichtung vor der Werter-Farm ankerte, – vor Viktor Gaupenbergs Zelt auf Decken um ein flatterndes Feuer herum ein großer Kreis von Männern und Frauen …

All die Getreuen der Sphinx … Dazu die drei stattlichen Werters, Mafalda, Gußlar und der einäugige Expräsident Armaro …

In dieser angeregten Versammlung fehlten nur drei, die vorhin als Späher den geflüchteten Marokkanern gefolgt waren: Pasqual Oretto, Gerhard Nielsen und Murat, der Homgori …

Freiwillig hatten diese drei sich erboten, den durch Mafaldas Kugeln jäh verscheuchten Überwältigern Gußlars und Armaros auf den Fersen zu bleiben, und um die Freunde gleichzeitig vor jedem Überfall zu schützen …

Im Kreise saßen die anderen …

Lauschten Gußlars Bericht über die Ereignisse auf Christophoro …

Zuweilen streute Mafalda eine Bemerkung ein …

Vom Touristendampfer ‚Meteor’ und den deutschen Landsleuten sprach man, von Randercilds Jacht und dem unterirdischen Ozean, an dessen Gestade die drohenden Minuten des Weltuntergangs von diesen hunderten von Menschen erwartet worden waren …

Und weiter von den neuen Wendungen der Dinge … Von John Pattersons Verrat, von der zweiten Expedition, die sich unter Randercilds Führung der Stätte näherte, wo der Schatz auf dem Meeresgrunde sichtbar sein sollte.

Gußlar schilderte mit lebhaften, fast poetischen Worten das große Naturwunder, das Riesenfenster in jener Höhlendecke, über dem das Gold und die Aztekenkleinodien wie ein verwunschener Milliardenreichtum sichtbar und doch unerreichbar ruhten …

Tiefe Stille im Kreise der andächtigen Hörer. Unfaßbar erschien allen das Wunder! Der Azorenschatz war wieder aufgetaucht, wie von Geisterhänden hinabgezaubert auf die dicke Schicht vulkanischer Glasmasse!

Der Kurländer schloß seine Mitteilungen:

„Wir müssen damit rechnen, daß Patterson den Versuch machen wird, diese Glasmauer zu öffnen …“

Und das, was er hierüber noch weiter ausführte, war genau dasselbe, was tatsächlich in John Pattersons Absicht lag …

„Ein Wahnwitz wär’s!“ rief Georg Hartwich da … „Ein Spiel mit dem Tode …! Ein Loch in das Ozeanfenster schlagen heißt nichts anderes als den Ozean in diese Unterwelt leiten!“

Gaupenberg aber meinte:

„Ein Wahnwitz, der Methode hat, meine Freunde! – Gestattet mir als in technischen Dingen Erfahrenem hierzu ein paar Worte … Wenn das Loch in der Glasschicht nicht allzu groß ausgemeißelt wird, dürfte der durch diese Röhre hereinstürzende Wasserstrahl irgendwo einen Abfluß finden … Es gibt hier ja übergenug Abgründe, von denen niemand weiß, wie weit sie sich in die Tiefe fortpflanzen und wieviel Wasser sie aufzunehmen vermögen … Das mit dem Wasserstrahl mit hinabgerissene Gold aber wird unschwer neben der Rinne, die diese Flut sich sucht, aufzulesen sein …“

Er schwieg …

Und Dr. Falz nur, indem er den Gedanken aller Ausdruck gab:

„Also ist der Azorenschatz in Wahrheit wieder in Gefahr, Fremden in die Hände zu geraten!“

„So ist’s,“ nickte Gußlar ernst. „Und wenn mein Gehör mich nicht täuscht, sind Pattersons braune Verbündete bereits eifrig bei der Arbeit … – Wenn man scharf horcht, Gefährten, vernimmt man ein kleingendes Pochen, das sich aus weiter Ferne durch tiefe Hohlräume bis hierher mit seinen Schallwellen fortpflanzt.“

Noch tieferes Schweigen …

Und jetzt hörten auch die anderen diese vielsagenden Töne – trotz der Unruhe der neben den Zelten in einer Umzäunung von Tauen eingesperrten Tiere der Expedition, – der Dromedare, Ziegen und Schafe.

Ja – man hörte das Pochen und Hämmern mitunter so deutlich, als ob die Entfernung bis zu der Grotte, in der das grünschillernde Ozeanfenster den Azorenschatz sehen ließ, nur ganz gering sein könnte.

Aber jeder wußte, wie sehr die hier in den Höhlen leicht und rasch dahin gleitenden Schallwellen über die wahre Größe der von ihnen zurückgelegten Strecken täuschen konnten …

Immerhin, dieses andauernde Pochen, das die unermüdliche Tätigkeit goldgieriger neuer Gegner verriet, veranlaßte jetzt weitere Vorsichtsmaßregeln.

Nach kurzer Beratung brachen Gußlar, Gaupenberg und Fritz Werter, der älteste Farmersohn, zu einer eingehenden Durchforschung der Felsdome auf. Man wollte feststellen, ob dieser Lagerplatz hier auch günstig gewählt sei, oder ob man ihn näher an den Feind heran verlegen sollte, der wohl sehr bald merken würde, daß er von beiden Seiten in seiner Grotte belagert sei, – von Nordwest durch Randercilds Trupp, von Südwest durch die Sphinxleute … Und ferner galt’s auch auskundschaften, ob nicht irgendwie vielleicht mit Freund Randercild sich eine Verbindung herstellen ließ.

So folgten denn Gaupenberg, Gußlar und Fritz Werter den ersten drei Spähern, die bereits eine volle Stunde unterwegs waren und mit denen man wohl bald zusammentreffen würde.

Nach dem Aufbruch dieser drei stellte Hartwich wie verabredet an den beiden Zugängen dieses Domes Wachen auf, traf auch sonst mancherlei Anordnungen, die erforderlich schienen angesichts der ganzen noch recht ungeklärten Lage, die Sicherheit der Expedition zu erhöhen. –

Es war jetzt elf Uhr abends …

Später Abend in dieser Unterwelt, wo es keinen Unterschied gab zwischen Tag und Nacht.

Man hatte die Abendmahlzeit hinter sich, und die Frauen zogen sich mit wenigen Ausnahmen in die Zelte zurück, um der Ruhe zu pflegen.

Wilhelm Werter fütterte das Vieh. Man hatte die Schafe als Schlachtiere mitgenommen, während die kräftigen Ziegen mit als Lasttiere Verwendung gefunden hatten, gleichzeitig aber auch den Mitgliedern der Expedition Milch als willkommene Kost spenden sollten.

Jeder der hier im Lager zurückgebliebenen Männer hatte seine bestimmte Beschäftigung. Auch Armaro machte sich nützlich, indem er zusammen mit Tom Booder die Wache am Nordwestausgang des Felsendomes übernahm.

Niemand der Sphinxleute war dem unglücklichen Expräsidenten unfreundlich begegnet. Nein – was gewesen, war vergessen … Auch Armaro war wie Mafalda mit in die Reihen der Sphinxleute aufgenommen worden.

Wie sehr sich die Verhältnisse von einst verschoben hatten, wie anders alles geworden, bewies am besten der Umstand, daß Agnes Gaupenberg in ihrer herzlichen lieben Art die einstige erbitterte Nebenbuhlerin gebeten hatte, mit ihr vorläufig das Zelt zu teilen.

Mafalda Merten, einst Mafalda Sarratow, war infolge der nervenaufreibenden Erlebnisse der letzten Tage jetzt in einem Zustand völliger seelischer und körperlicher Abspannung verfallen. Kaum daß sie noch die Kraft fand, Agnes zu danken und sie nochmals zu bitten, ihr die einstigen hartnäckigen Ränke nicht mehr nachzutragen.

Dann war sie eingeschlafen …

Der Zeltvorhang, noch offen, ließ den zuckenden Schein des draußen brennenden Lagerfeuers über ihr erschöpftes Gesicht gleiten.

Still und rücksichtsvoll bereitete nun auch Agnes ihre einfache Lagerstatt. Ein wenig Heu, zwei Decken, – und auch sie streckte sich zum Schlafe nieder, während ihre Gedanken wie stets bei dem geliebten Gatten weilten, der nun mit seinen beiden Gefährten durch die Höhlen wanderte, um den fernen Feind zu belauern.

Das Zelt stand dicht an der steilen Felswand des Domes, – an einer Wand, die nach oben zu scharf sich einwärts krümmte und dann erst wieder als Dekenwölbung emporstrebte …

Agnes lag mit offenen Augen da und lauschte den tiefen ruhigen Atemzügen Mafaldas …

Lauschte den Geräuschen, die von draußen verworren hereindrangen, den Tierstimmen, den Schritten der Männer und dem leisen feinen klingenden Pochen, das unaufhörlich durch diese Unterwelt schallte …

Agnes lauschte, und ihr Denken glitt rückwärts – tief zurück in die Vergangenheit…

Wo waren jene Tage und Wochen geblieben, in denen sie mit Mafalda so heiß und erbittert um den geliebten Mann gekämpft hatte?! Lag das alles wirklich nur Monate zurück? Erschien diese Zeitspanne nicht vielmehr wie endlose Jahre … Hatte all das nicht längst geradezu etwas Traumhaftes, Unwirkliches angenommen?!

Und doch, die Gegenwart erfüllte ihr Herz mit einer unnennbaren Freude …!

Sie lauschte … lauschte den geheimnisvollen zarten Bewegungen in ihrem gesegneten Schoße …

Sie war Mutter …

Mutter …!! – Sie würden Mutter eines Kindes werden, das einst den Namen Gaupenberg weiter fortpflanzen sollte …!

Und Mafalda dort neben ihr. Vorhin hatte sie ihr dasselbe teure Geheimnis anvertraut …

Agnes lächelte – ein Madonnenlächeln …

Malte sich die Zukunft aus …

Wenn dort auf der weiten Urwaldlichtung noch andere Farmgebäude außer der Werter-Farm sich erheben würden, – wenn junge Mütter mit pausbäckigen Säuglingen auf dem Arm die von der Arbeit heimkehrenden Gatten erwarten würden – ein friedlich seliges Leben fern dem Getriebe der großen Welt!

Aber wie ein Schatten fiel da über diese traulichen Zukunftsbilder der Gedanke an das Azorengold …

Unheilvolles Gold! Wenn du nie wieder aufgetaucht wärest …!

Und – mit diesen Gedanken schliefen auch Agnes ein … – –

Pasqual, Nielsen und Murat, die erste kleine Späherabteilung der Sphinxleute, hatten die Spuren der den Schüssen Mafaldas entgangenen Marokkaner unschwer folgen können, da einer der braunen Wüstensöhne offenbar eine stark blutende Wunde empfangen hatte, die das dunkle Gestein stellenweise mit dicken Bluttropfen benetzt hatte, die einem so scharfen Auge wie dem des Homgori nicht entgehen konnten …

Außerdem war aber noch ein anderer Wegweiser den dreien in diesem Labyrinth von Höhlen und Grotten, von Tunneln und hallenden Gängen gegeben.

Ein tönender Wegweiser. Das Klingen der fernen Hammerschläge, die das Vulkanglas zersplitterten und ein Rohr fraßen hinauf zum blinkenden Golde …

Dieses klingende Hämmern wurde sofort schwächer, wenn die einsamen Wanderer einmal in eine Seitenhöhle abbogen, die ihnen der richtige Pfad zu sein schien …

Dann erstarben die Töne, und die drei machten kehrt und fanden sich wieder zurück zu der vieldeutigen Blutfährte, die jedoch zuweilen selbst für Murat unsichtbar blieb …

Zu der vieldeutigen Blutfährte …

Wieder blutig der Weg zu den Milliarden … Blutig wie schon der bisherige Kampf um den Azorenschatz …

Und dieses Blut machte Nielsen und Pasquals stumm … Unheilvoll kam ihnen diese rote Spur vor.

Wie düstere Vorzeichen noch düsterer zukünftiger Ereignisse …

Nur Murat flüsterte viel und oft in den tiefen Kehllauten seiner halbmenschlichen Rasse …

Murat machte sich keine Gedanken über das, was geschehen könnte … Er lebte nur der Gegenwart. Und diese Gegenwart war ihm und seiner strotzenden Kraftfülle ein willkommener Genuß … Seiner Natur entsprach es, hier dem Gegner nachzuspüren, – immer damit rechnen zu müssen, daß hinter jeder Biegung der Grotte Schüsse aufblitzen könnten …

Gefahr, Kampf, – das war sein Element …

Und stets war er den beiden Gefährten mit der halb abgeblendeten Laterne eine weite Strecke voraus, schlich geduckt dahin, lautlos – den Steinboden musternd, mit seiner massigen Figur und dem wilden behaarten Gesicht dem Fabelwesen einer märchenhaften Unterwelt gleichend …

Immer klarer und lauter ward das klingende Pochen …

Nielsen rief den Homgori leise an …

„He, Murat, – Vorsicht …!! Wir können nicht mehr weit entfernt sein …! Blende deine Laterne noch mehr ab!“

Der Homgori, soeben in der Ausmündung eines engen Tunnels angelangt, sprang plötzlich rückwärts …

Sein vorgereckter Kopf hatte ihm einen nach rechts hin sich öffnende große Halle gezeigt, die mit einem gelbweißen Licht und Teil erfüllt war …

Murat stand vor Pasqual und Nielsen …

„Scheinwerfer!“ keuchte er … „Viel Licht … Wir sie gefunden haben …!“

Seine Wulstlippen zogen sich hoch und entblößten die blinkenden Hauer …

„Sie sein dort, wo Scheinwerfer leuchtet … Sie seien schlau, Mister Nielsen … Zu viel Licht zum Anschleichen – zu viel …!“

Nielsen und Pasqual nickten nur, krochen vorwärts und verbargen die Köpfe unten im Steingeröll …

Schauten nach rechts …

Der Leuchtkegel blendete sie …

Sie sahen nur die Quelle, aus der die Lichtfülle floß – in einem grellen, runden Punkt der strahlenden Linse …

Nichts weiter …

Erst allmählich gewöhnten sich die Augen an diese stechenden Strahlen …

Lernten neben der gleißenden Quelle die Barrikade erkennen und die regungslosen Posten oben auf dem Steinwall, der John Pattersons Festung hier nach Südost schützte …

Regungslose Wachposten, die Büchse im Arm …

Gestalten wie Statuen, in deren Köpfen nur die Augen lebten … –

Nielsen blickte rechts und links … Spähte nach Seitenhöhlen aus … Fand keine … Diese Vorhalle der Wundergrotte hatte nur einen Aus- und Eingang.

Der Ausgang war hier …

Der Eingang drüben, wo der Scheinwerfer jeden Nahenden aus dem Dunkel herauslockte …

Nielsen wußte genau …

Raunte Pasqual zu:

„Hier müssen wir lagern … Hier sperren wir Patterson jeden Fluchtweg …! Mag Murat umkehren und den Freunden melden, was zu melden ist … Ich will …“

Er schwieg …

Er und Pasqual hatten nicht mit den Adleraugen der Marokkaner gerechnet …

Hatten nicht zwischen den Schießscharten der Steinmauer John Pattersons Fernglas wahrgenommen …

Eine Stimme kam von drüben – dröhnend im Widerhall:

„Hallo – – verkriecht euch nicht!! Ihr seid längst entdeckt …! Und – laßt euch warnen! Ich werde diesen Platz zu verteidigen wissen! Ich werde euch den Goldschatz entführen, und wenn ihr mit teuflischen Künsten diese Grotte zu stürmen sucht! Ich weiß, wer ihr seid! Die von der Sphinx!! Ich verlache euch! Und – verlache euch, obwohl Randercild, der kleine Narr, drüben den anderen Zugang blockiert! Ich verlache euch!“

Pattersons wilder Haß gegen Randercild, der ihn so tief gedemütigt hatte, übertrug sich jetzt auch auf die Sphinxleute …

Und sein frecher Hohn hatte guten Grund. Er wußte, daß es einen dritten Weg aus der Grotte gab, den er jederzeit wieder öffnen konnte, den durch die Wasserfluten des jetzt gesperrten Kanals!

Und nochmals brüllte er:

„Ich verlache euch!! Rennt doch an gegen diese Barrikade! Eine Kugelsaat wird euch empfangen … Unser fünfzig sind wir – fünfzig, die Tod und Teufel nicht fürchten! – Grüßt den Grafen Gaupenberg von mir …! Sein Gold wird uns eine Zukunft schaffen, wie wir sie uns nie erträumt haben!“

Nielsen und Pasqual schoben sich rückwärts, richteten sich wieder auf …

„Patterson ist ein Narr,“ meinte der Portugiese verächtlich … „Wir werden uns hüten, anzugreifen … Aushungern werden wir die Bande – aushungern! – Und jetzt mag Murat den Freunden Nachricht bringen … Hinter diesem Tunnel werden wir lagern, werden die Vorhöhle dauernd beobachten … Keine Maus wird entweichen …! Hallo, Murat, wo steckst du?“

Und Nielsen und Pasqual schauten sich immer wieder suchend um …

Der Homgori war verschwunden …

Nielsen wurde unruhig …

„Wo steckt er nur?! Er war doch soeben noch nicht hinter uns …! – Was tun wir, wenn er vielleicht wieder plötzlich Lust verspürt hat, auf eigene Faust etwas zu unternehmen?! Er ist so unberechenbar … Er hat schon häufiger Extratouren sich geleistet, die …“

Pasqual winkte hastig …

„Still, Freund Nielsen … still!!“

„Was gibt’s denn?!“

„So hören Sie doch, Nielsen … Hören Sie denn nichts …?“

Da veränderte sich des anderen Gesicht …

Seine Züge nahmen den Ausdruck äußerster Spannung an …

Er drehte sich langsam um…

Starrte in die Finsternis – dorthin, woher sie soeben gekommen waren …

Pasqual Oretto war gewiß ein Mann von guten Nerven …

Jetzt aber packte er Nielsens Arm …

Flüsterte wieder:

„Hören Sie … Hören Sie?!“

„Ja …“

„Und – was … Was halten Sie davon, Freund Nielsen?!“

„Still …!!“

So standen sie nun – die Oberkörper vorgereckt.

Ihrer Laternen blasse, verhüllte Strahlen fielen matt auf den rissigen, uralten Felsboden, über den Jahrtausende spurlos dahingegangen … vielleicht Millionen von Jahren …

Und keins dieser zahllosen Jahre hatte je erlebt, daß eines irdischen Menschen schreitender Fuß diese Einsamkeit durchmessen hätte …

Bis jetzt – bis vor wenigen Tagen … vor wenigen Wochen …

Da waren aus den heißen Urwäldern entlegener Nilgegenden die ersten Menschen in diese friedlich Unterwelt eingedrungen, die beiden Werters!

Und ihnen folgten andere – folgte all das, was das Auftauchen des Menschen an geweihter Stätte der Abgeschiedenheit noch stets im Gefolge gehabt. Der Fluch der Menschheit: – Habgier, Neid, Feindseligkeit, Haß, Vernichtungswille …!

Und so auch hier …

Jahrtausende hatten diese Höhlen und Dome, diese düsteren Felsmassen des Erdinneren keinen Hauch von all dem Häßlichen und Brutalen geahnt, was droben auf Erden Völker und Rassen, Familien und Einzelwesen aufeinander hetzt!

Nun aber war der Frieden diese Einsamkeit ausgelöscht …

Der … Mensch war gekommen – und mit ihm alle Niedertracht, alles Schlechte …

Blut färbte diese Steine …

Menschenblut …

Und – das … war nur der Anfang …!

Was alles würde weiter geschehen? Auch dort eine Rotte goldgieriger Gesellen, – hier und drüben andere, die diesen Gesellen die Beute streitig machen würden … – –

… Das waren die Gedanken, die wie aufgescheuchte Vöglein durch Gerd Nielsens Hirn flatterten, als er so den unheimlichen Tönen lauschte, die dort irgendwoher aus der Finsternis verworren an sein Ohr drangen …

Töne – wie von Geistern, die hier unsichtbar hausten und diesen stillen Frieden der Unterwelt bewachten …

Unheimliche Töne – unheimlich nur deshalb, weil ihre Eigenart sich nicht enträtseln ließ …

„Was … ist … das?!“ fragte Pasqual stockend und preßte des Gefährten Arm …

„Still …!!“

Nielsen lief es eisig über den Rücken …

Und das hier in dieser heißen trockenen Luft …

Er fühlte, wie das Blut seine Wangen verließ, wie die sich verfärbten…

Der Portugiese gab Nielsens Arm frei und bekreuzigte sich …

Lallte fast: „Das … das … ist … nicht … von dieser Welt …!“

Da riß Gerd Nielsen sich zusammen …

„Verdammt – sind wir alte Weiber, Freund Pasqual!!“

Und er schritt auf Fußspitzen vorwärts …

Hinter ihm Oretto, sich abermals bekreuzigend …

Und wie Begleitmusik der rätselhaften Stimmen, die da irgendwoher aus dem Nichts der Dunkelheit hervordrangen, – Stimmen, die zu heiserem Kichern anschwollen und zu sinnlos überhastetem Raunen und Wispern herabsanken, als ob ein Chor von Wahnsinnigen in der Ferne in irrem Eifer durcheinandersprach, durcheinanderlachte … – – wie Begleitmusik zu diesem gräßlichen Lebenszeichen unsichtbare Wesen erklang das klingende Klirren der Hammerschläge … von dorther, wo das Gold auf dem gläsernen Meeresboden ruhte …

Nielsen stand wieder reglos …

Jäh hatte er haltgemacht …

Urplötzlich war das Stimmengewirr verstummt … Mit einem Schlage, – nur die Begleitmusik der pochenden Hämmer blieb …

Nielsen holte tief und hörbar Atem …

Und – fragte nun dasselbe – merkwürdig tonlos:

„Was … ist … das?!“

Pasqual war dicht neben ihm …

„Ja – was war das?! Was! – Denn nun ist alles still …“

Und wieder verharrten sie ohne Bewegung …

Lauschten … Warteten, daß der Chor der Unsichtbaren von neuem sich melde …

Nichts … nichts mehr …

Um sie die Stille der Unterwelt … Und als Zeichen dessen, was hier Menschengier zu vollenden trachtete, von Pattersons Festung her die Töne der Meißel und Hämmer …

Das – und nichts anderes mehr … Der Chor war verstummt …

Da schlug Nielsen die Blende an seiner Laterne vollends zur Seite …

„Verdammt – sind wir Memmen!“ Und er trat nach links, hob den Arm …

Von dorther, wo hier in der Höhle vor dem Tunnel die Stimmen erklungen waren, hoffte er irgend einen Aufschluß über die Ursache dieser Fülle von menschlichen Lauten zu erhalten …

Beleuchtete die Steinwände, die zackige Decke …

Und sagte mit gewissem Trotz zu Pasqual:

„Von dort kam’s …!!“

„Ja …!“ flüsterte Oretto … „Und dort ist nur Felsgestein – wie überall …“

Und fügte hinzu:

„Nielsen, wo ist Murat?!“

„Sie meinen …?!“

„Ich meine, daß der Homgori schon früher als wir auf diese … diese … Stimmen aufmerksam geworden ist und daß er …“

Da – ein ferner Zuruf …

Drei grelle, rasch sich nährende Lichtpünktchen …

Es waren Gaupenberg, Gußlar und Fritz Werter.

Wieder rief Gaupenberg:

„Hallo – wir sind’s …!!“

Da winkte Pasqual mit der Hand – ein so drohendes, warnendes winken, daß die drei Ankömmlinge nur noch eiliger herbeikamen …

Die fünf standen beieinander …

Fragen, Antworten – ein überstürzter Gedankenaustausch …

Murats Name wurde erwähnt …

„Wir haben ihn nicht getroffen,“ erklärte Gaupenberg besorgt … „Sein Verschwinden muß unbedingt einen besonderen Grund haben. Wenn der Homgori auch gern auf eigene Faust etwas unternimmt, so besitzt er andererseits doch so viel Verantwortungsgefühl, daß er sie beide nicht so ohne weiteres verlassen hätte, lieber Nielsen … Vielleicht hörte er die merkwürdigen Stimmen eher als Sie und wurde dadurch irgendwohin gelockt … Suchen wir einmal nach Spuren … Wenn Sie meinen, daß die Laute von dort links herkamen, werden wir auch irgend etwas von Fährten finden …“

Dann schickte er zunächst den Farmersohn nach dem Ausgang des Tunnels …

„Beobachten Sie den Feind, lieber Werter … Wir dürfen uns nicht der Gefahr aussetzen, daß womöglich eine Patrouille der Marokkaner uns hier niederknallt.“

Fritz Werter schlich davon, kroch die letzte Strecke und hatte nun auch die vom Scheinwerferlicht durchflutete Höhle vor sich …

Für einen solchen Posten eignet er sich besonders.

So durften denn die übrigen vier in aller Ruhe den Felsboden nach den Spuren des Homgori absuchen. Leider aber bestand dieser Boden hier aus glattem Fels ohne jede Geröllschicht. Man fand nichts, obwohl man eine volle Stunde jeden Fußbreit Gestein genau ableuchtete …

„Geben wir es auf,“ meinte Gaupenberg schließlich. „Wir dürfen nicht länger zögern, das Lager hierher zu verlegen. Murat wird hoffentlich wieder auftauchen, obwohl es mir geradezu unbegreiflich ist, wo er geblieben sein kann.“

Dann traten er und Gußlar den Rückweg zum Lager an. Nielsen und Pasqual jedoch gesellten sich Fritz Werter zu, der inzwischen bereits aus Felsstücken mit aller Vorsicht am Tunneleingang einen Wall aufgerichtet hatte, ohne daß die feindlichen Wachtposten drüben den Versuch gemacht hätten, diese Arbeit durch Schüsse zu stören …

Nun lagen die drei Gefährten nebeneinander hinter der kleinen Steinbarrikade und erörterten flüsternd die rätselhafte Entstehung jener Töne, die so sehr dem Stimmengewirr und dem irren Gelächter einer Schar von Wahnsinnigen geglichen hatte …

Drüben auf der anderen Höhlenseite aber gleißte das blitzende Auge des Scheinwerfers, und regungslos standen dort die schlanken Gestalten der Wachtposten, während das klingende Pochen unermüdlich die Höhle mit seinen taktmäßigen Lauten erfüllte …

 

14. Kapitel.

Der Riß im Ozeanfenster.

… Und Murat, der Homgori?!

Es stimmte schon, Murat hatte die unheimlichen Stimmen zuerst vernommen …

Sein Gehör war besser als das seiner Gefährten, in deren Adern ein menschliches Blut rollte …

Sein Gehör verriet ihm sehr bald, daß die unerklärlichen Töne tatsächlich von der linken Felswand, aber hoch über dem Boden aus einer der Spalten des Gesteins hervordrangen …

Er hob seinen Leuchtkörper …

Beleuchtete die Höhlenwand, nahm plötzlich den Handgriff der Laterne zwischen die Zähne und begann an einer Stelle, wo die Wand zahlreiche Risse zeigte, den ihm mühelosen Aufstieg, arbeitete sich dann nach links hin und drängte sich in eine der Spalten hinein, die gerade weit genug war, ihn durchzulassen …

Lauschte wieder …

Schob sich vorwärts …

Die Spalte wurde breiter und höher, wurde zum unregelmäßigen Felsengang, der in vielfachen Windungen sich nach Norden zu erstreckte …

Immer lauter die unheimlichen Stimmen …

Immer schriller …

Und dann – dicht vor Murats linker Hand ein Lichtschein …

Noch wenige Schritte …

Seiner Laterne hatte er abgeblendet …

Ein Riß im Gestein – eine meterbreite Öffnung in der Wand der Grotte, die nun von den Marokkanern besetzt war …

Dich unter der Höhlendecke dieser Riß …

Und – – ein Bild zeigte sich den halb zusammengekniffenen kleinen Äuglein des Homgori, das vor kurzem auch Ozzeola, der Seminole, staunend beobachtet hatte …

Das Bild des Marokkanerlagers, des Steingerüst, der hämmernden braunen Gesellen, die dem Ozeanfenster zu Leibe gingen …

Und doch enthielt dieses Bild etwas Neues …

Mitten in der Grotte führten die braunen Wüstensöhne, die zumeist einer religiösen Sekte angehörten, einen ihrer wild phantastischen Gebetstänze auf, ähnlich denen der heulenden Derwische, wie jeder Tourist diese schon in Konstantinopel sich gegen den üblichen Bakschisch ansehen konnte …

Nur daß dieser Tanz der Marokkaner nicht von schriller, eintöniger Musik, sondern von einer Art Gesang begleitet wurde, der zuweilen in einem gellenden Gelächter hoch anschwoll und dann wieder zu heiser und hastig gemurmelten Worten wurde …

Zwanzig Marokkaner drehten sich dort mit bloßen Oberkörpern im Kreise…

Ihre braunen muskulösen Leiber wurden vom Lichte der Laternen und der stinkenden Torffeuer überstrahlt …

In der Mitte des Kreises kniete Ben Safra auf einem winzigen Gebetsteppich und schlug mit der Stirn taktmäßig gegen einen Kupferkessel …

Einer Schar von Wahnsinnigen glichen diese mohammedanischen Sektierer …

Die dunklen Augen glühten in wildem Feuer.

In den tollsten Verrenkungen wirbelten sie umher …

Ihre Stimmen hatten nichts menschliches …

Dann sprang Ben Safra plötzlich empor …

Ein heulender Schrei …

Und die zwanzig sanken stumm zu Boden, verharrten minutenlang regungslos und erhoben sich dann – gleichgültig und ruhig, gingen auseinander, in den Gesichtern wieder den hochmütig verschlossenen Ausdruck, der ihrem Stamme eigen. –

Murat oben in seinem Versteck grinste wohlgefällig.

Die Entdeckung dieses Ganges hier war überaus wichtig. Das begriff er nur zu gut …

Und schnell schritt er weiter, um festzustellen, wo dieser Felsentunnel endete …

Zehn Minuten glitt er mit den ihm eigentümlichen scheinbar unbeholfenen Bewegungen dahin …

Und … stutzte …

Das Laternenlicht fiel auf ein Loch im Boden des Ganges. Und hier hörte auch der Gang auf …

Er bückte sich …

Leuchtete vorsichtig hinab …

Legte sich lang hin …

Steckte die Laterne tiefer …

Wasser dort unten …

Ein rauschender, murmelnder unterirdischer Bach, der in einem engen Kanal dahinfloß …

Klares Wasser … Bis zum Boden konnte Murat hinabblicken – bis auf den Grund fiel der Laternenschein …

Dann – – Murats Kopf beugte sich noch tiefer. – – In der Strömung ein treibender menschlicher Körper, halb unter Wasser …

Und der Mensch dort unten machte noch ein paar matte Armbewegungen …

Blitzschnell war der Homgori durch das Felsloch – sprang in den Bach, bekam den Unbekannten noch gerade am linken Arm zu packen …

Hob ihn empor …

Seine Riesenkräfte genügten, den Bewußtlosen durch die Felsöffnung nach oben in den Gang zu schieben …

Er kletterte hinterdrein …

Die Laterne wieder zwischen den Zähnen …

Sah sich dann den Geretteten an …

Im ersten Augenblick hielt er ihn für einen Marokkaner …

Dann aber merkte er doch, daß der Mann sowohl eine andere Hautfarbe hatte als auch eine andere Kleidung trug – einen Matrosenanzug …

Murat überlegte …

Ja – es konnte sich hier fraglos nur um einen von Randercilds Matrosen handeln, um ein Mitglied der Truppe des Milliardärs …!

Und sofort begann er nun, die Stirnwunde des halb Ertrunkenen zu untersuchen und ihm die Brust zu reiben.

Seine Bemühungen waren von Erfolg …

Der Mann kam allmählich zu sich, schlug die Augen auf und stierte erschrocken in des Homgoris behaartes Gesicht …

„He, Master, – wer sein?! Zu Master Randercild gehören?“

Ozzeola nickte matt …

Im selben Moment erinnerte er sich auch, daß mit den Sphinxleuten ein Tiermensch verbündet war, über den Josua Randercild gelegentlich mancherlei berichtet hatte … Ein Mischling von Gorilla und Neger, der auch damals vor Monaten mit in Schloß Missamill gewesen, nachdem des Milliardärs erste Jacht gescheitert war … –

Murats fragte wieder:

„Wo Mr. Randercild sein? Wie hier in Bach geraten?“

Der Seminole richtete sich langsam auf und erzählte …

Murat fletschte vor freudiger Genugtuung die Zähne.

„So – Ozzeola heißen … Schwerer Name das sein… Ozzeola! – Also Mr. Randercild von anderer Seite belagern Marokkanerhöhle … Sehr gut das! Sphinxleute auch zur Stelle …! – Wenn Ozzeola wieder Kraft haben, dann wir zurückkehren zu Sphinxleute … Dann Ozzeola wird alles berichten meinen weißen Freunden …“

Der Seminole meinte schlicht:

„Ich bin bereits wieder imstande mich zu bewegen … Hilf mir auf die Beine, Murat …“

„Nein – erst ausruhen!“ erklärte der Homgori energisch. „Murat müssen vorsichtig sein … Erst auskundschaften, ob Patterson und Marokkaner diesen Gang nicht kennen, sonst wir ihnen laufen in die Arme … Warten hier, Ozzeola … Murat bald wieder zurück sein …“

Er eilte davon …

Der Seminole lehnte sich gegen die Steinwand. Er saß im Dunkeln …

Der Homgori aber schlich zur Öffnung zurück, die ihm Einblick in die Grotte mit dem Ozeanfenster gewährt hatte …

Hatte kaum die letzte Biegung des Ganges hinter sich – kaum den durch das Felsloch fallenden Lichtschein vor sich, als er blitzartig zurückfuhr …

Denn – in der Öffnung war ein menschlicher Arm sichtbar geworden – die Hand eines Europäers, ein blauer Jackenärmel …

Die Hand hatte sich um eine Felszacke gekrallt.

Murat kehrte um, lief den Weg zurück …

Langte wieder bei Ozzeola an …

Keuchte:

„Wir in Gefahr sein …! – Schnell – wir uns müssen verbergen …! Schnell!“

Er hob Ozzeola spielend leicht empor …

Er wußte schon, wo er ein Versteck finden würde. Auch die Deckenwölbung dieses Ganges war voller Risse … Und sie war stellenweise ganz niedrig …

Wenige Meter weiter fand er bereits eine Spalte, die ihm geeignet schien, da sie sich weiter oben nach links zu einer engen Grotte ausbuchtete … Er schob den Seminolen hinein…

Hier fanden sie Raum und einen Schlupfwinkel, der vorläufig genügte …

Murat löschte die Laterne …

Spähte hinab …

Nicht lange, und Patterson und fünf Marokkaner kamen unter ihnen vorüber …

Zum Glück war das Wasser, das aus des Seminolen triefenden Kleidern das Gestein benetzt hatte, bereits verdunstet …

So entdeckte John Patterson, der vorhin in kluger Vorsicht die Wände seiner Festung gründlich besichtigt und dabei das Felsloch unter der Wölbung bemerkt hatte, hier lediglich die zum unterirdischen Bache hinabführende Öffnung, und kehrte mit seinen Begleitern wieder um …

Murat grinste hinter ihnen drein … Flüsterte dem Seminolen zu: „Jetzt keine Gefahr mehr … Wir hier warten … Nachher zu Sphinxfreunden schleichen … Müssen gewarnt werden …“ – Sein trotz der dichten Behaarung sehr ausdrucksvolles Gesicht wurde plötzlich wie in jähem Schreck sehr ernst und grimmig …

„Oh – doch große Gefahr sein, weil Patterson diesen Gang entdeckt hat,“ stieß er hervor … „Ozzeola hier bleiben … Murat sofort hinter Patterson drein … Sphinxfreunde unten in Tunnel vor Höhle, wo Scheinwerfer leuchtet … Freunde können überrumpelt werden … Murat dies verhüten müssen … Falls Murat etwas zustoßen, Ozzeola handeln … – Verstanden?!“

Der Seminole nickte …

„Gewiß, Murat, gewiß …! Und auf mich ist Verlaß … Wäre es aber nicht besser, wir schlichen zu zweien Patterson und den Marokkanern nach?“

Aber der Homgori schüttelte den Kopf …

„Wenn ich gefangen oder getötet werden, noch Ozzeola da sein … So richtiger …“

Und ohne eine Antwort abzuwarten, schwang er sich aus der Felsspalte hinaus, sprang elastisch zu Boden und tastete sich im Dunkeln vorwärts …

Bald erblickte er auch rechte Hand den Lichtschein, der durch das Loch aus der Festung der Marokkaner hier in den Gang fiel …

Er huschte vorüber …

Er, der in seinen Adern genug von dem Blut seiner Affenahnen hatte, besaß auch deren feinen natürlichen Instinkt, deren geschärfte Sinne …

Er brauchte kein Licht …

Und rasch kam er in dem engen Tunnel vorwärts, hörte nun vor sich leise Stimmen, duckte sich noch tiefer zusammen … Machte halt …

Begann zu kriechen …

Und – was er vermutet hatte, traf zu. Patterson und die fünf Marokkaner standen dicht vor dem Ausgang, vor der Felsspalte, durch die der unheimliche Lärm der tanzenden, betenden Wüstensöhne vorhin in diese Grotte hinabgedrungen und auch bis zu Nielsens und Pasquals Ohren gelangt war …

Plötzlich verstummten die Stimmen …

Eine Weile nichts …

Dann wieder Pattersons Flüstern:

„Das waren Graf Gaupenberg und der Baron Gußlar … Sie kehren zum Lager der Sphinxleute zurück … Die drei anderen stecken im Tunnel und beobachten unsere Barrikade … Wenn wir diese drei jetzt überfallen, haben wir Geiseln zur Verfügung und können im Notfall allerlei erzwingen … – Rasch, hole einer von euch ein Tau, damit wir hinabklettern können … Und noch weitere fünf von euch sollen mitkommen … So fangen wir die drei am sichersten.“

Murats feines Gehör erlauschte jedes einzelne Wort dieses verhängnisvollen Planes …

Der Homgori war im Augenblick entschlossen, sich zu opfern, um diesen Streich zu vereiteln …

Bisher hatte Patterson seine Laterne unter der Jacke verbogen gehabt. Jetzt glaubte er sie ohne Gefahr wieder hervornehmen zu dürfen …

Und im selben Moment, wo der Lichtschein nun aufzuckte und den verräterischen Steuermann und seine Begleiter beleuchtete, schnellte sich aus dem Dunkel des Felsenganges eine breitschultrige gedrungene Gestalt vorwärts… Murat!

Als Waffe hatte er einen keulenförmigen Stein aufgelesen …

Mit ungeheurer Kraft schlug er zweimal zu …

Patterson entging dem Tode nur deshalb, weil der Marokkaner, der das Tau hatte holen wollen, ahnungslos vorgetreten war …

Lautlos sank der schlanke Bursche um …

Ein zweiter …

Und schon hatte Murat den Oberkörper in der Felsspalte, schon wollte er in die finstere Tiefe hinabspringen, als Patterson, der so leicht nicht die Geistesgegenwart verlor, mit dem Pistolenkolben den Homgori ins Genick traf …

Und John Pattersons Muskeln waren wie von Stahl …

Dieser Hieb lähmte Murat …

Und gleichzeitig packten auch zwei der Marokkaner zu, rissen den Betäubten zurück …

Ein dritter holte bereits zum tödlichen Dolchstoß aus, als Patterson ihm in den Arm fiel …

„Halt!! Laßt ihn leben! Er ist genau so wertvoll wie einer der drei dort unten …! – Bindet ihn … Nehmt die beiden Toten mit … Wir haben genug von dem Gespräch der fünf Sphinxleute soeben erlauschte … Sie wissen nichts von diesem Felsengang … Sie wollen ihr Lager drunten in der Höhle aufschlagen … Ich habe mir’s anders überlegt … Die drei lassen wir in Ruhe … Dieser Gang hier wird uns noch bessere Dienste leisten …“

Murat war infolge des furchtbaren Hiebes, der gerade das Genick getroffen hatte, vollständig gelähmt wenn auch bei Bewußtsein. Und so hörte er alles … sah alles. Und konnte doch kein Glied rühren … Es war wie ein Starrkrampf …

Man schleppte ihn davon …

Man behandelte ihn mit bestialischer Roheit …

Unten in Pattersons Festung band man ihn an einen Felsblock … Die Marokkaner, durch den Tod ihrer zwei Gefährten aufs äußerste gereizt, zeigten nicht übel Lust, dieses Geschöpf, das sie nicht höher als ein Tier achteten, jetzt noch niederzustoßen …

Aber Mohammed Ben Safra, der bei den Seinen in hohem Ansehen stand, hatte längst begriffen, daß der Affenmensch ihnen nur lebend von Nutzen sein konnte …

Sein energischer Befehl scheuchte die Ergrimmten davon …

Dann ließ er sich neben Patterson am Lagerfeuer nieder, und beide besprachen die wichtige Entdeckung des Felsenganges mit aller Ausführlichkeit, wobei der Steuermann mit triumphierendem Lächeln betonte, daß man jetzt ruhig abwarten müsse, bis die Sphinxleute das neue Lager bezogen hätten …

„… Dann, Ben Safra, holen wir uns in aller Stille noch weitere Geiseln …! Sollten die Freunde Gaupenbergs etwa ihre Damen mitgenommen haben, sollte sich womöglich sogar die Gräfin Gaupenberg bei der Expedition befinden, so können wir den Herrschaften eine böse Überraschung bereiten …“

Der stolze Marokkaner verstand. Ein eigentümlicher Blick aus seinen schwarzen Augen traf den Verbündeten, den er sowohl als Mensch als auch als strenggläubiger Moslem aufs tiefste verachtete …

„Es ist gut …“ sagte er nur in seiner wortkargen Art und drehte sich langsam und geschickt eine Zigarette, nahm ein glühendes Torfstück und setzte sie in Brand.

Bedächtig rauchte er einige Züge …

Meinte dann:

„Haben Sie sich überzeugt, wie weit die Arbeit an dem Loch in der Glasschicht fortgeschritten ist? – Bisher haben wir es etwa zwei Meter nach oben getrieben. Doch jetzt wird die Arbeit immer schwieriger, weil nur zwei Mann gleichzeitig Hammer und Meißel gebrauchen können …“

Patterson erhob sich …

„Ich will feststellen, ob wir die Öffnung unten nicht doch mehr erweitern können, Ben Safra …“

Und er schritt dem Felsgerüst zu, erklommen die schmalen treppenartigen Terrassen und stand sehr bald dicht unter dem Ozeanfenster, in dem nun bereits ein Loch von etwa zwei Meter Durchmesser gähnte, das sich nach oben zu verjüngte.

Er hob den Kopf …

Blickte droben über der dicken Glasmasse auf die Schätze – die Goldmilliarden …

Und wieder schoß ihm das Blut ins Hirn …

Milliarden – – Milliarden!!

Ihm würden sie gehören!!

Nur ihm!

Die Marokkaner?! – Oh – die würde er schon um diese Beute zu betrügen wissen! –

Er zwang sich wieder zur Ruhe …

Prüfte die Öffnung, berechnete in Gedanken, mit welch ungeheurem Druck die Fluten des Ozeans nachher in die Höhle hinabschießen würden …

Nein – die Mündung der Öffnung durfte auf keinen Fall erweitert werden. Sonst würde hier alles überschwemmt werden …

Er sprach mit den beiden Marokkanern, die jetzt in dem Loch arbeiteten …

Sie erklärten ihm, daß sie nur langsam vorwärtskämen … Die Glasmasse widerstand den Stahlmeißeln … Immer wieder mußte man diese schärfen … –

Patterson, als Steuermann ein gebildeter Mensch, sann angestrengt nach, wie man die schwere Arbeit auf andere Art beschleunigen könnte. Flüchtig dachte er an die Dynamitpatronen, von denen eine vorhin schon so gute Dienste geleistet und den unterirdischen Bach angestaut hatte …

Nein – die Verwendung der Sprengkörper war zu gefährlich … Die Glasmasse zeigte stellenweise große Blasen, und wenn das Unheil es wollte, konnte ein Sprengschuß allzu kräftig wirken und das Ozeanfenster in zu großem Umfang zerstören …

Und doch, es mußte ein Mittel gefunden werden, recht rasch das Loch bis oben zu treiben …! Vielleicht, wenn man die Sprengladung der Dynamitpatronen verkleinerte …! – Doch auch das verwarf er wieder …

Die beiden Marokkaner hatten sich bereits wieder auf die Steine gestellt, die ihnen hier oben auf dem Felswall jetzt als Fußschemel dienten … Rücken an Rücken standen sie und führten wuchtige Schläge gegen das spröde Vulkanglas, das in größeren und kleineren Stücken polternd herabfiel …

John Pattersons Stirn hatte sich ärgerlich gefurcht.

Verdammt – gab es denn wirklich keine Möglichkeit, dieses Abflußrohr rascher zu vollenden?! So, wie die Arbeit jetzt fortschritt, mußte es ja noch Tage dauern, bevor der entscheidende Augenblick gekommen war, der Moment, wenn die letzte Schicht des Glases durch den Wasserdruck des darüber lagernden Ozeans von selbst zerstört wurde und die grünliche Flut zischend herabstürzen würde, das Gold und die Kleinodien mit sich reißend …

Gab es wirklich kein Mittel?!

Und Pattersons rotes brutales Bulldoggengesicht verzerrte sich infolge der Anspannung aller Geisteskräfte zu drohender Fratze …

Er stierte vor sich hin …

Und abermals da die Gedanken an die Dynamitpatronen …

Ob man’s doch nicht wagte?!

Wenn man vorsichtig war, wenn man zunächst nur ein kurzes Sprengloch ausmeißelte und mit einer ganz geringen Menge Dynamit den ersten Versuch unternahm, würde man ja feststellen können, wie der Sprengschuß wirkte …

Sein finsteres Gesicht hellte sich auf … Er war jetzt mit sich einig … Und hastig kehrte er zu Ben Safra zurück, der mit stoischer Ruhe am Feuer saß und eine neue Zigarette drehte …

Patterson entwickelte ihm seinen Plan …

Der Marokkaner erwiderte:

„Wir werden nichts übereilen. Wir sind unseren Feinden gegenüber im Vorteil. Wenn wir genug Geiseln haben, können wir sowohl die Sphinxleute als auch Randercild zwingen, uns mit der Beute unbehelligt davonziehen zu lassen … – Versuchen Sie die Wirkung des Dynamits, Patterson … Aber mit aller Vorsicht. Inzwischen habe ich zwei Leute an die Felsspalte geschickt, damit sie das Nahen der Sphinxleute beobachten und sofort melden können. Am besten wäre es, wenn wir Frauen als Geiseln bekämen.“

Er sprach mit eisiger Gelassenheit. Er war ein Mann, der im Umgang mit Europäern seinen Verstand geschärft hatte. Er übersschaute die Situation weit besser als der von Goldgier halb verblendete Steuermann … Und die Hauptsache, für ihn spielte der Azorenschatz keine Rolle als persönlicher Wunsch! Nein – wenn er die Milliarden erringen würde, dann sollten sie einem ihm heiligen Zwecke dienen. Er hatte als französischer Söldner die Christen, die Europäer, gründlich verachten gelernt! Er liebte seine ferne Heimat, die Oase Kribi, über alles … Und mit ihr die Freiheit! In seiner Seele wälzte er weitschauende Pläne … Der Weltkrieg hatte den Farbigen mit dem Weißen auf eine Stufe gestellt … Der Weltkrieg hatte die Völker Afrikas diese Weißen verachten gelehrt. Afrika seinen angestammten Ureinwohnern!! Hinaus mit den ungläubigen Hunden, die sich die Herrschaft über Algier, Tunis, Marokko anmaßten …! Und – zu solchem Freiheitskampfe gehört Geld, nochmals Geld und abermals Geld! Auch das wußte Ben Safra.

Aber diese seine wahren Absichten hielt er fest in seiner Brust verschlossen … Genau so fest, wie seine Verachtung für John Patterson. –

Der Steuermann ging und holte den Kasten, in dem die gefährlichen Dynamitpatronen, jede in einer weichen Hülle, lagen …

Ben Safra erklärte kurz:

„Gib her! Damit weiß ich besser Bescheid! Ich bin Soldat!“

Zum ersten Male redete er hier den Amerikaner mit dem vertraulichen ‚du’ an …

Aber dies in einer Art, als ob er einen Untergebenen vor sich hatte …

Patterson spürte sehr wohl, wie der Marokkaner in den Ausdruck der Worte eine offenbare Geringschätzung hineinlegte …

Aber – er beherrschte den jäh aufsteigenden Ärger.

Meinte nur achselzuckend:

„Hast recht, Ben Safra …! Als Verbündete wollen wir nicht den Kulturunfug der förmlichen Anrede mitmachen.“

Der Marokkaner hielt bereits eine der Dynamitpatrone in der Hand …

Mit äußerster Behutsamkeit öffnete er sie … Schüttete den größeren Teil der Sprengmasse in die flache Linke und schritt zum Bach, dessen schäumende Wasser das gefährliche gelbweiße Pulver entführten.

Inzwischen war Murats starrkrampfähnliche Lähmung gewichen. Die robuste Natur des Homgori überwand die Folgen, des für jeden Menschen wohl tödlichen Schlages weit eher, als einer seiner Wächter es ahnte …

Murat war klug …

Regte sich nicht … Saß noch immer zusammengesunken da, als ob nur die zahllosen Stricke in aufrecht hielten, mit denen er an den Felsblock gebunden war.

Sein Kopf war nach vorn gesunken …

Die kleinen Augen glotzten ins Leere …

Und doch, er war Herr seiner Sinne! Nichts entging ihm …

Die Schmerzen der brutalen Fußtritte und Stöße, die man ihm versetzt hatte, trugen nur dazu bei, seinen Geist anzuregen …

Wildeste Rachsucht ließ sein Blut kochen. Seine Erfindungen waren in vielem die eines Tieres. Man hatte ihn hier wie ein elendes Vieh behandelt … Angespien, geschlagen hatte man ihn … Das vergaß er nie …

Und neben dieser Gier, seine Peiniger, denen er doch nur in ehrlichem Kampf gegenübergetreten war, zu vernichten, lebte in seinem jetzt ruhelosen Hirn die große ernste Sorge um das Wohl seiner weißen Gefährten …

Er saß so, daß er mit beobachtet hatte, wie Ben Safra zwei seiner Leute nach oben in den Felsengang geschickt hatte und wie andere Marokkaner dort in der Gesteinspalte zwei Taue befestigt hatten, um eine bequeme Verbindung zum Boden der Höhle herzustellen.

Er zitterte jetzt vor Sorge, daß auch der Seminole den Feinden in die Hände fallen könnte …

Er konnte sich die verderblichen Folgen der Entdeckung jenes Felsenganges durch die Marokkaner sehr wohl ausmalen … Wenn es Ozzeola nicht gelang, die Sphinxleute zu warnen, so mußte unübersehbares Unheil entstehen …! –

Einer der braunen Wüstensöhne kam jetzt an ihm vorüber und versetzte ihm einen Stoß mit dem Karabinerkolben …

Murat tat, als spürte er nichts … Nur sein Kopf pendelte wie kraftlos hin und her …

Ben Safra rief dem Stammesgenossen zu:

„Laß das Vieh in Ruhe, Mamuth …!“

Der Marokkaner spie aus und schritt zum nächsten Lagerfeuer …

Murat merkte sich den Namen …

Mamuth!

Aus seiner Brust stieg ein heiseres leises Röcheln empor …

Mamuth!

Und dann begann er wieder die unsichtbare Arbeit mit den auf dem Rücken gefesselten Händen …

Der Felsblock hat überall scharfe Kanten …

Der Homgori scheuerte langsam die Stricke durch.

Der Schein der Lagerfeuer und Laternen ließ ihn im Halbdunkel … Und die meisten der Feinde hatten sich jetzt zum Schlafe niedergelegt …

Stunden verrannen …

Patterson stand wieder oben auf dem Steingerüst unter dem Ozeanfenster, besichtigte das kleine Sprengloch, in das die Patrone eingeführt werden sollte …

Neben ihm Ben Safra …

Sie keilten die Patrone vorsichtig fest, brachten den Zünder an …

Kletterten wieder von dem Steinwall herab …

Dann – ein schwacher, dumpfer Knall …

Große Stücke des vulkanischen Glases prasselten zu Boden …

John Patterson war im Nu wieder oben, prüfte die Wirkung des Sprengschusses …

„Gelungen, Ben Safra!“ jubelte er … „Noch einige von diesen halb entleerten Patronen, und …“

Da schwieg er jäh …

Aus der Öffnung in der Glasmasse war ein kalter Tropfen auf seine Hand gefallen …

Ein zweiter folgte …

Ein dritter …

In genau gleichen Zwischenräumen …

Patterson starrte nach oben in die zackige Öffnung.

Und – aus einer haarfeinen Spalte rieselte es hervor – Tropfen um Tropfen …

Das Ozeanfenster hatte einen Riß bekommen …

Der reichte bis dorthin, wo auf der Glasschicht die Milliarden ruhten …

Meerwasser tropfte herab …

Und der schreckhafte Gedanke, daß vielleicht im nächsten Moment das Fenster unter dem Druck der ungeheuren Wassermenge zerspringen könnte, trieb den Steuermann in langen Sprüngen wieder zurück auf den Boden der Höhle …

Stumm zeigte er Ben Safra seine nasse Hand …

„Ein Riß, der bis oben reicht!“ rief er heiser … „Dieses Wasser hat die Glasschicht durchdrungen!“

Da erschien neben den beiden einer der Wachtposten, die oben im Felsengang gestanden hatten …

Meldete:

„Sie kommen …!! Sie haben Dromedare, Ziegen und Schafe mit … Etwa ein Dutzend Männer und auch Weiber …! Sie kommen!“

Ben Safra winkte …

„Es ist gut! Kehre auf deinem Posten zurück …!“

Dann stieg er die Felsenleiter empor und besichtigte den Riß, aus dem das salzige Naß des Ozeans unaufhörlich herabsickerte …

 

15. Kapitel.

Die Laterna Magica …

Genau so wie im Lager der Sphinxleute Murats Verschwinden allgemeine Bestürzung hervorgerufen hatte, ebenso wurde auch Ozzeolas rätselhaftes Abhandenkommen bei Josua Randercilds Trupp eine Quelle ungewisser Besorgnis.

Randercilds Unterbefehlshaber, der Zweite Steuermann Mac Lean, hatte des Seminolen Verschwinden als erster festgestellt.

Vier Stunden, nachdem Ozzeola die drei Posten revidiert hatte, war der Schotte Mac Lean erwacht, hatte nach der Uhr gesehen und sich dann leise erhoben, um die Wachen ablösen zu lassen.

Er weckte drei der Matrosen und nahm sie mit sich.

Die bisherigen Posten meldeten ihm, daß der Seminole drüben aus dem Bache Wasser geschöpft habe und dann in den Kanal hinein gewatet sei …

Mehr wußten sie nicht …

Mac Lean tat jetzt ein gleiches und verfolgte den unterirdischen Flußlauf auf kurze Strecke, bis er an eine Stelle kam, wo ihm der bis oben mit Wasser gefüllte Tunnel halt gebot …

Er mußte umkehren … Hier gab’s keine Möglichkeit, noch weiter vorzudringen. Hier mußte auch Ozzeola den Rückweg angetreten haben …

Mußte …!!

Und der biedere, stille Schotte watete mit seiner Laterne zurück, ahnte nicht, daß inzwischen die Wassermenge des Baches weit über ein Meter gestiegen war …

Wieder befragte er die drei Posten …

Sie konnten nur erklären, was sie schon einmal gesagt hatten: Ozzeola war in den Kanal hineingestiegen und danach nicht wieder aufgetaucht!

Mac Lean eilte zum Lagerplatz und weckte den kleinen Milliardär …

Nochmals wurde der in das Felsloch führende Kanal abgesucht – – erfolglos …!

Man stand vor einem Rätsel … und suchte nach einer Lösung. Bald schon glaubte man, sie gefunden zu haben. Der Seminole mußte, ohne daß die Wachen ihn bemerkten, das Bachbett wieder verlassen und angelockt durch die aus der Ferne irgendwoher ertönenden seltsamen Töne sich tiefer in die Höhlenwelt hineingewagt haben!

So sandte Randercild denn unter Mac Leans Führung eine Patrouille von fünf Mann aus …

Diese blieben auf der Spur Pattersons und der Marokkaner, und nach halbstündigem vorsichtigem Marsch gelangten sie in einen hohen, steil ansteigenden Dom, auf dessen anderer Seite ihnen ein greller Lichtkegel entgegenblitzte …

Der Schotte benutzte sein Fernglas, erkannte drüben die Steinverschanzung und zwei Wachen der Marokkaner, schickte einen Mann mit der Meldung zu Randercild zurück, daß der Feind, nicht aber Ozzeola gefunden sei.

So kam es denn, daß die Schar des Milliardärs nun auch auf dieser Seite die Belagerung begann – etwa zu derselben Zeit, als die Sphinxleute auf der Südostseite vor der Festung Pattersons das neue Lager bezogen … –

Der kleine Randercild ließ sofort die beiden Schnellfeuergeschütze der Jacht in Stellung bringen … Ließ den Zugang zum Felsendom verschanzen und näherte sich darauf, sein weißes Taschentuch schwenkend, im Lichte des feindlichen Scheinwerfers der Barrikade …

Ein Wagnis war’s …

Aber Randercild wollte den Seinen ein gutes Beispiel geben … Und Feigheit war nie seine Sache …

Dreißig Schritt vor der gegnerischen Steinmauer machte er halt und brüllte hinüber:

„Hallo – ich möchte Patterson sprechen!“

John Patterson, der soeben mit Ben Safra die Besichtigung des Risses im Ozeanfenster beendet hatte, wurde von einem der Marokkaner herbeigerufen …

Lugte über die Barrikade …

Wahrhaftig – Randercild!!

Niederträchtiger Haß flammte da in des stiernackigen Steuermannes niederer Seele empor …

Rote Nebel schwammen vor seinen Augen … Und aus diesen Nebeln tauchte ein Bild auf. Der Salon der Milliardärjacht …! Und er, John Patterson, mußte den Pokal mit Sekt leere, während Randercild ihm den Browning vor die Brust hielt, – mußte sich bis zur Bewußtlosigkeit betrinken, – er, der Meuterer, er, den die Mannschaft dann spöttisch ‚Sektleiche’ getauft hatte …

Das Bild und die Nebel zerflatterten …

Patterson kreischte mit überschnappender Stimme:

„Wenn Sie nicht augenblicklich verschwinden, Sie Halsabschneider, Sie Börsenjobber, dann gibt’s eine blaue Bohne, so wahr ich John Patterson heiße!!“

Da legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter.

Ben Safra!

Der Marokkaner sagte kalt und mit deutlicher Verachtung im Ton:

„Du bist ein Narr!! Noch haben wir die Frauen nicht! Wir müssen Randercild hinhalten …!“

Sein scharfer Blick hatte drüben die beiden Geschütze erkannt …

Dann richtete er sich auf und rief Randercild zu:

„Hier ist Mohammed Ben Safra, der Führer der Marokkaner …“

Randercild kam getrost noch näher … Blieb zwanzig Schritt vor der Barrikade stehen …

„Ich verlange die Auslieferung John Pattersons,“ erklärte er kurz. „Ihr Marokkaner mögt tun, was ihr wollt. Aber die Grotte, die ihr besetzt hab, werdet ihr räumen …!“

Ben Safra erwiderte nur:

„Ich bin kein Verräter …“

„Dann werde ich meinen beiden Geschütze sprechen lassen!“ drohte der kleine Randercild mit seiner kräftigen Stimme … „Zwei Schuß – und eure Steinmauer fliegt auseinander … Was dann weiter geschieht, habt ihr euch selbst zuzuschreiben … Ich lasse nicht mit mir spaßen!! Ihr sollt freien Abzug gewährt bekommen … Ich gebe euch eine Stunde Bedenkzeit …“

Er wollte umkehren …

Ben Safra rief hastig:

„Noch einen Augenblick, Mr. Randercild … – Wir wollen uns in anderer Weise einigen … Wir hoffen den Azorenschatz bergen zu können …“

Randercild lachte auf …

„Vom Grunde des Ozeans?! Wollt ihr etwa die Schicht Vulkanglas zertrümmern?! Habt ihr auch bedacht, welch’ ungeheure Wassermenge und damit welch’ ungeheurer Druck …“

Der Marokkaner unterbrach ihn …

„Wir haben alles bedacht, Mr. Randercild … Es gibt eine einzige Möglichkeit, trotz aller Schwierigkeiten das Gold zu bergen. Und – diese Möglichkeit bereiten wir vor …“

„Ah – daher die Hammerschläge!! Ihr wollt ein Loch in das Ozeanfenster schlagen …“

„Wir haben es zur Hälfte fertig, Mr. Randercild … In vierundzwanzig Stunden ist das Gold unser … Dann wollen wir teilen, Mr. Randercild … Die eine Hälfte Ihnen, die andere uns! Und Freiheit uns alle, auch für Patterson …“

Der Milliardär lachte grimmig …

„Frechheit!! – Es bleibt dabei, eine Stunde Bedenkzeit! Und dann – fressen euch meine Granaten! Ausräuchern will ich euch, bevor ihr noch eine einzige Kugel anbringen könnt!“

Er machte kehrt …

Patterson riß einem der Posten den Karabiner aus der Hand …

Ben Safra war schneller, entwand ihm die Waffe.

„Narr!! Willst du alles verderben! In einer Stunde können wir die Weiber der Sphinxleute rauben! Dann mag Randercild doch versuchen, seine Geschütze zu benutzen!!“

Unbehelligt erreichte der Milliardär die Verschanzung seines Trupps …

„Ausgeschlossen, daß die Bande etwa unseren Ozzeola abgefangen hat …! Sie hätten sonst gedroht, ihn zu töten …! – Und jetzt haltet die Augen offen, Boys, damit das Gesindel uns nicht etwa in überraschendem Angriff überrennt! Unsere Granatenspucker sind ihnen höllisch unangenehm … Das merkt man … Die Schufte werden klein beigegeben …!“

Und er selbst hob einen der Karabiner auf und legte sich hinter die Schießscharte neben Mac Lean …

Meinte brummig:

„Wenn man nur wüßte, ob die Sphinxleute unseren Funkspruch abgefangen haben …! Wär’s so, dann würde Gaupenberg das Gesindel von der anderen Seite bedrängen, dann hätten wir die Brut zwischen uns!“

Der Schotte fragte, was Ben Safra sonst noch erklärt hätte …

Randercild lachte … – „Irrsinnig sind die Kerle! Schlagen ein Loch in das Vulkanglas … Kann mir denken, worauf sie hoffen …! Glauben, daß der durch das Loch herabschießende Wasserstrahl die Goldbarren mit nach unten reißen wird! Ein Wahnsinn!! Ersaufen würden die Schufte! Und – wir mit ihnen, denn der Ozean würde das Loch erweitern – im Nu! – Aber dazu haben die Burschen nicht genug Hirn im Schädel, um das alles vorherzusehen!!“

Und er brannte sich eine seiner schwarzgrünen Brasil an …

Für ihn war die Geschichte abgetan … Nach einer Stunde würde die Entscheidung fallen … Dann mußte das Gesindel daran glauben, falls es nicht nachgab …

Er rauchte und befahl einem seiner Leute, hinter dem Wall eine Mahlzeit herzurichten …

Er ahnte nicht, daß Ben Safras Pläne einen dicken Strich durch seine Rechnung machen würden … –

Und fünfhundert Meter weiter nach Südost zu hatte nun Gaupenbergs Expedition das neue Lager bezogen. Ebenso ahnungslos …

Alle Hände rührten sich … Übergenug gab’s zu tun …

Zelte wurden errichtet, die Hürden für das Vieh aus Steinen hergestellt …

Andere verstärkten die Verschanzung vorn im Tunnel.

Und doch, man arbeitete ohne rechte Lust!

Murats Verschwinden lag auf allen wie ein böser Alb …

Viele Stunden war’s nun her, seit der Homgori so rätselhafte abhanden gekommen war. Längst hätte er sich wieder eingefunden haben müssen. Es mußte ihm etwas zugestoßen sein. Das war die allgemeine traurige Überzeugung.

Auch die Frauen griffen mit zu …

Mafalda, Agnes und Mela hatten soeben das Zelt für das Ehepaar Gaupenberg fertiggestellt – gerade unter jenem Felsloch oben in der Deckenwölbung, wo Ben Safras Krieger hinter aufgeschichtetem Geröll alles beobachteten …

Und jetzt erschien Ben Safra kriechend neben den beiden Posten …

Spähte gleichfalls hinab …

Eine Kleinigkeit wär’s gewesen, von hier oben die Sphinxleute durch einen Feuerüberfall abzuschießen …

Aber – drüben lauerten Randercilds Geschütze …!

Ben Safra sann auf besseres …

Schickte den einen seiner Männer hinab in die Festung und ließ Leinen holen, dazu drei der Marokkaner, die sich trefflich verstanden, eine Schlinge zu schleudern. –

Mafalda, Agnes und Mela richteten jetzt das Zelt ein, schütteten Heu auf dem Boden, breiteten Wolldecken darüber …

Und Ellen Hartwich, Toni Booder und Inge Sarratow – alles junge, blühende Frauen, die vor Tagen der Liebe höchste Erfüllung dort in der Grotte neben der Werter-Farm kurz vor der großen und doch nachher so harmlosen Weltkatastrophe kennengelernt hatten, – diese drei bemühten sich an der anderen Seite der Höhle um die Vorbereitung der Mahlzeit … Das Tonerl saß daneben und schälte eifrig Kartoffeln …

Ihr Tom trat hinzu, gab ihr verstohlen einen langen heißen Kuß und ging wieder an seine Arbeit …

In den Ritzen der Felswände qualmten Fackeln … Und in der Mitte der Höhle hingen an einem Stangengerüst vier der großen Karbidlaternen der Sphinx.

Dagobert Falz und Gußlar hatten soeben eine der Munitionskisten geöffnet, wollten die Patronenpakete nach vorn zum Wall bringen, wo Dalaargen, Oretto und Nielsen jetzt Wächter spielten …

Dann – ein schriller Angstschrei …

Ein zweiter …

Ein dritter …

Drüben vor Gaupenbergs Zelten schwebten drei Frauengestalten in die Luft …

Schrammten an der Felswand höher …

Aller Augen starrten nach oben, wo jetzt in dem Felsloch die Schlingenwerfer sichtbar …

Blitzschnell zogen kräftige Arme die drei empor …

Falz und Gußlar griffen zu spät zu den Pistolen …

Die Marokkaner zerrten die Frauen schon in die Spalte.

Keine Kugel war mehr anzubringen …

Oben war im Nu das Felsloch mit Steinen halb ausgefüllt …

Eine helle, volle Stimme klang herab – –: Ben Safra …!!

Rief:

„Hier ist Ben Safra, Führer der Marokkaner! Wenn Ihr Eure Weiber lebend wiedersehen wollt, so brecht Euer Lager wieder ab und kehrt dahin zurück, woher Ihr gekommen!“

Gaupenberg stand neben dem Laternengerüst – totenbleich …

Agnes – – seine Agnes in der Gewalt des Feindes!!

Gußlar kam auf ihn zugestürmt …

„Gaupenberg, was sollen wir tun?!“

Da – schon wieder Ben Safras Stimme:

„Graf Gaupenberg, ich verspreche Ihnen, daß die Frauen gut behandelt werden sollen, wenn Sie nachher auf meine Bedingungen eingehen. Ich habe zunächst noch mit Mr. Randercild mich zu einigen, der uns von der anderen Seite belagert …“

Dann nichts mehr …

Die Sphinxleute scharten sich aufgeregt um Gaupenberg, Gußlar und Dr. Falz … Man blickte hilfesuchend in das ernste Gesicht des Einsiedlers von Sellenheim …

Aber – das, was Dagobert Falz einst den Sphinxleuten gewesen, ein Mann, zu dem man vertrauensvoll aufschaute, – – das hatte sich in den letzten Tagen unmerklich geändert …

Dr. Falz hatte den geheimnisvollen Nimbus eines Menschen, der über seltsame Geistesgaben verfügt, verloren …

Niemand hatte je ein Wort darüber geäußert. Aber alle dachten dasselbe, daß des Doktors Prophezeiungen sich als unrichtig erwiesen hatten! Das Menschengeschlecht war nicht ausgelöscht worden!

Und – er selbst war ebenfalls an sich und den geheimnisvollen Kräften, die ihm verliehen zu sein schienen, irre geworden.

Seit jener Nacht des 1. Oktober, wo die Weltkatastrophe ausgeblieben, war er sichtlich gealtert, still und verschlossen geworden. Keiner ahnte, was hinter seiner hohen, klugen Stirn vorging …

Nicht einmal sein Kind, seine Mela, die nun mit zu den drei Geiseln gehörte, die Ben Safra in seiner Gewalt hatte …

In dieser Stunde höchster Not und Ratlosigkeit war er doch wieder für all diese Menschen, mit denen er monatelang Freud und Leid geteilt hatte, der einzige, von dem sie Hilfe erwartete …

Selbst Männer wie Nielsen, Gußlar, Hartwich und insbesondere Gaupenberg schienen durch das Geschehene aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht zu sein, daß sie, obwohl in Gefahr und schweren Momenten genugsam erprobt, diesmal völlig versagten …

So geschah es dann, daß schließlich nur Dagobert Falz’ hohe hagere Figur der Mittelpunkt dieses Kreises von schreckverzerrten Gesichtern war – der wahre Mittelpunkt …

Der Einsiedler von Sellenheim schaute mit ruhigem prüfenden Blick empor zu dem verhängnisvollen Felsenloch dort unter der Höhlendecke, wo jetzt im halben Dämmerlicht der künstlichen Beleuchtung dieses Teils der Unterwelt zwei Marokkaner sichtbar waren, den Karabiner im Arm, an das Gestein gelehnt, die Oberkörper über dem Felsverhau, – aus dunklen Gesichtern mit blitzenden Augen die Schar der Wehrlosen musternd …

Denn – wehrlos waren jetzt die Sphinxleute … Keine Hand durfte es wagen, die Waffe auf den Feind zu richten, mit dem man nicht mehr kämpfen, sondern … nur noch verhandeln durfte …

Die beiden dort oben wußten das … Trotz des schwachen Lichtes, das zu ihnen empordrang, erkannte man um ihre schmalen, brutalen Lippen einen Zug lächelnder Geringschätzung, das Siegerlächeln, das aus Haß geboren war …

Dagobert Falz senkte den Blick …

Und seine Lippen formten nur einen einzigen Namen – flüsternd und doch voll ruhiger Zuversicht:

„Murat!“

Einen Moment noch waren die Augen der um ihn Stehenden ratlos und verstört …

Dann drang dieser eine Name in die verängstigten Seelen ein … Der Keim der Hoffnung begann wie durch Zauberspruch zu sprießen …

Gaupenberg flüsterte zurück:

„Herr Doktor, Sie meinen, daß Murat ebenfalls in der Gewalt der Marokkaner ist?“

„Ja … Sein Verschwinden ist jetzt aufgeklärt, denke ich … Auch er hörte die unheimlichen Stimmen, von denen Nielsen und Pasqual berichteten. Diese Stimmen kamen von dort oben … Der Felsengang leitete sie wie ein Schalltrichter weiter … Und diese Stimmen und das irre Gelächter waren die absonderlichen Gebetübungen mohammedanischer Sektierer, eben der Marokkaner … Murat vernahm die Stimmen … Erkletterte die Felswand, drang in das Loch ein, wurde überrascht und geriet den Feinden in die Hände … Sie werden ihn nicht getötet haben, denn er war ihnen als Geisel wertvoll … Und der Homgori ist nun unsere Hoffnung … – Wir wollen abwarten, Freunde. Noch kennen wir Ben Safras Bedingungen nicht … Wir werden sie kennen lernen, wenn nicht inzwischen anderes geschieht … Bis dahin wollen wir uns hier getrost weiter aufhalten, denn die Marokkaner sind, wie wir jetzt wissen, von der anderen Seite bereits durch Randercilds Schar gleichfalls eingeschlossen … Sie werden kaum an ein Blutvergießen denken. Immerhin, löschen wir die Fackeln und die Laternen! Mag nur unser elektrischer Scheinwerfer die Felsspalte dort oben beleuchten. Das sichert uns den Vorteil, daß wir selbst im Lichtschatten unsichtbar bleiben und dort die Felsspalte im Auge behalten können, denn der grelle elektrische Strahl wird die Feinde auf so kurze Entfernung völlig blenden!“ –

Wie immer in solch verzweifelter, ungewisser Lage schon allein ein energisch vorgebrachten Vorschlag die Gemüter umzustimmen vermag, so wurde auch hier die starre Mutlosigkeit vorläufig gebannt und damit das Schlimmste verhütet, die lähmende Hoffnungslosigkeit!

Man trat wieder auseinander … und legte sich Dagobert Falz’ Worte über Murat in dem Sinne aus, daß der gefangene Homgori irgendwie eine Änderung der Lage herbeiführen würde! – Alle hatten sie zu der Tatkraft, Schlauheit und körperlichen Stärke des Affenmenschen das größte Vertrauen! So und so oft schon war gerade Murat in kritischen Momenten in die Bresche gesprungen!

Die Laternen erloschen eine nach der anderen …

Auch die Fackeln …

Bis auf eine einzige …

Und bei deren geringem Licht wurde rasch der Scheinwerfer an die mitgebrachten Akkumulatoren angeschlossen …

Ein gleißender Lichtkegel schoß aus der Linse hervor, richtete sich auf die beiden feindlichen Wachtposten, die starr und mit zusammengekniffenen Augen hinabblinzelten, ohne noch etwas von den Sphinxleuten zu erkennen …

So wurde ein undurchdringlicher Vorhang von weißen Strahlen zwischen Belagerer und Belagerte gezogen – ein Vorhang, der in keiner Weise mit der Wirkung der Karbidscheinwerfer der Marokkaner zu vergleichen war …

Und hinter diesem Vorhang bewegten sich ungestört die Gestalten der Sphinxleute …

Das Lagerleben ging weiter … Man durfte über den Verlust der drei weiblichen Gefährten nicht das Notwendigste vergessen …

Fritz Werter und Pasqual Oretto hatten das wenig angenehme Geschäft übernommen, eins der Schafe zu schlachten …

Gaupenberg, Hartwich und Falz berieten, wie man sich zu den Bedingungen Ben Safras, die ja vorauszusehen waren, stellen solle. Der Marokkaner und Patterson würden den Schatz für sich beanspruchen und freien Abzug fordern!

Bei dieser Besprechung der beiden Männer betonte Dagobert Falz mit Recht, daß er niemals glauben könne, den Marokkanern würde es gelingen, mit Hilfe eines in das Ozeanfenster gemeißelten Loches die Milliarden in ihre Grotte hinabzubefördern …

Und als er dies betonte, hatte seine Stimme wiederum jenen besonderen Klang, als ob er sein Wissen und Denken aus fernen Regionen des unendlichen Weltalls schöpfte, wo für ihn die machtvolle Gottheit thronte, der er bisher, geleitet von seinen wunderbaren Visionen, blindlings gefolgt war …

Die drei standen abseits in einer Einbuchtung der Höhlenwand …

Und jetzt öffnete der Einsiedler von Sellenheim hier die geheimsten Kammern seiner Seele, verlieh dem Ausdruck, was er bisher in seiner Brust so fest verschlossen hatte …

„… Meine Freunde, ich habe in diesen letzten Tagen, während unsere Expedition sich durch die heilige Finsternis des Erdinnern vorwärtsbewegte, viel über alles das nachgedacht, was meinen Sinn infolge des Ausbleibens der von mir bestimmt erwarteten Ereignisse – ich denke an die Weltkatastrophe – verwirrt und unsicher gemacht hatte … Meine Visionen waren stets nur Teilbilder, und meine Schuld war’s, daß ich aus diesen Teilbildern zu weitreichende Schlüsse zog! – Jetzt erkenne ich diesen meinen Fehler. Jetzt – – habe ich mich deshalb auch seelisch wiedergefunden!! Vorhin, meine Freunde … vorhin … als Sie alle da um mich herumstanden, als ich die beiden Wachen der Marokkaner beobachtete, da änderte sich mir jäh das Bild der Felskluft …“

Er senkte die Stimme noch mehr …

„Da … erblickte ich zuerst nur ein schwaches Rinnsal, das oben aus der Spalte als dünner Wasserfall herabtropfte … Das Rinnsal schwoll an … Und sehr bald war das Felsloch nur noch die Mündung eines Rohres, aus der ein Wasserstrahl hervorschoß, der im Nu diese Höhlen überflutete … Und mit dem Wasserstrahl zugleich erblickte ich Menschenleiber, die mit durch die Öffnung gedrängt wurden … Menschenleiber … Leichen …!“

Er schwieg für Sekunden …

Noch leiser dann:

„Und – so wahr meine Visionen als Teilbilder zukünftigen Geschehens sich erfüllt haben, diese unterirdische Welt wird das Grab des Azorenschatzes werden! Ein Grab, das sicherer ist als die tiefsten Tiefen des Ozeans! Ein Grab aus Wasser, überwölbt von der Erdrinde …!“

Und Gaupenberg und Hartwich leicht zunickend schritt er davon …

Die beiden Freunde schauten ihm nach – dann sich an …

„Wenn … er rechts hätte …!“ meinte Viktor Gaupenberg beklommen …

Und Steuermann Hartwich:

„Ich behaupte, er hat noch mehr gesehen, Viktor … Doch das verschweigt er uns … Wie könnte er sonst aus dem, was er geschaut haben will, so bestimmt auf einen endgültigen Verlust des Goldes schließen?! Überlege dir das … Er muß mehr gesehen haben – vielleicht noch andere Schreckensszenen, die mit dem von ihm prophezeiten Einbruch des Ozeans in diese Höhle verknüpft sind … Vielleicht Szenen, die uns selbst betreffen!“

Gaupenberg nickte sinnend …

Ein schwerer Seufzer rang sich aus seiner Brust …

Eine Hand, die vor Erregung eiskalt war, suchte die des Freundes …

„Georg, wenn Agnes, Mela, Mafalda und Murat nicht in der Gewalt der Marokkaner wären, ich würde umkehren! Ich würde den Kampf um den Azorenschatz aufgeben … Denn – das, was du soeben ausgesprochen hast, befürchte auch ich … – Dagobert Falz weiß mehr!“

Hartwich preßte des Freundes Hand …

„Wir … müssen bleiben … nicht nur unserer entführten Frauen wegen …! – Sollen wir etwa den treuen Randercild ungewarnt lassen?! – Selbst wenn es Murat gelingen sollte, irgendwie die Frauen zu befreien, so wäre es zum mindesten von uns beiden feige und unmännlich, wollten wir Josua dem Verderben preisgeben! Wir beide, Viktor, sind von Anbeginn die Hüter des Schatzes gewesen … Wir – müssen ausharren! Es sei denn, daß wir Randercild irgendwie eine Botschaft senden könnten, damit auch er mit den Seinen umkehrt!“

Hartwich wollte etwas erwidern …

Ein schrilles, infernalisches Geheul ließ sie beide jedoch herumfahren …

Ihre Blicke flogen zur Felsspalte empor, um die herum das grelle Licht der Scheinwerfers lag, so daß dieser runde erleuchtete Teil der Höhlenwand wie das Bild einer Laterna Magika wirkte – scharf umgrenzt – außerhalb des runden Umrisses tiefstes Dunkel …

Ein infernalisches Geheul …

Töne aus menschlicher Kehle, wie weder Gaupenberg noch Hartwich sie je gehört hatten …

Ein schrilles Vibrieren höchster Fistellaute, die einst die sumpfigen Wälder der Halbinsel Florida durchzitterte hatten, als dort noch das Volk der Seminolen jeden Fußbreit Boden gegen die weißen Eroberer verteidigte.

Und – – in dem grellen Bild der Laterna Magika eine blitzartige Veränderung …

Die beiden Marokkaner flogen über den Steinwall hinweg … aus dem Lichtkreis ins Dunkel …

Prallten unten auf das Zelt auf, rissen es nieder und blieben halb betäubt liegen …

In der Felsspalte aber stand jetzt die kräftige Gestalt Ozzeolas …

Seine Stimme kam herab wie eine Kampffanfare:

„Hier einer von Randercilds Leuten! Schnell – herauf in den Gang! Ich verteidige die Öffnung, die in John Pattersons Festung führt!“

Er verschwand …

Gußlar, Nielsen, Dalaargen waren im Nu am Stangengerüst der Laternen …

Hatten sie schon an die Felswand gelehnt …

Nielsen kletterte empor …

Half dann den anderen …

Vorwärts tasteten sie sich durch den Gang …

Bis zur zweiten Öffnung …

Bis dorthin, wo im schwachen Schein des aus der Grotte einfallenden Lichtes des Seminolen zusammengeduckte Gestalt sichtbar war …

Und hinter ihnen nun auch Gaupenberg und Hartwich …

Gaupenberg drängte die anderen beiseite …

Schaute als erster in John Pattersons Festung hinab.

Doch – was er da erblickte, ließ ihn erzittern …

Hartwichs Arme umklammerten ihn … denn schon hatte Gaupenberg zum Sprung angesetzt …

Ein röchelnder Schrei …

„Agnes … Agnes …!!“

 

16. Kapitel.

Die Schleifmühlen des Ozeans.

Murat, der Homgori, saß noch immer in derselben schlaffen Haltung an dem Felsblock, den Kopf auf die Brust gesenkt, – scheinbar seiner Sinne nicht mächtig.

Noch immer aber waren seine auf den Rücken zusammengeschnürten Hände in dauernder, unmerklicher Bewegung …

Selbst die besten Hanfstricke widerstanden auf die Dauer kaum den scharfen Kanten harten Urgesteins und der eisernen Kraft eines Halbtieres, wie Murat es war. –

Was machte es dem Homgori aus, daß die behaarte Haut seiner Handgelenke in Fetzen ging … daß das Blut ihm warm über die zuckenden Finger floß …!

Seine halb geschlossenen kleinen Augen irrten in scheuer Vorsicht noch immer umher …

Nichts entging ihm, was hier geschah …

Auch nicht die Unterredung Ben Safras mit Josua Randercild …

Undeutlich vernahm er die ihm wohlbekannte, stets so heisere und quäkende Stimme des kleinen allmächtigen Mannes …

Und als dann gerade das Entsetzliche geschah, als die Marokkaner mit einem Freudengeheul die drei gefangenen Frauen in die Festung hinabließen, hatte er die eine Hand frei …

Selbst Murats Herzschlag stockte vor Schreck, als er nun Agnes, Mela und Mafalda erkannte …

Einen Moment schnellte sein Kopf empor …

Zum Glück beachtete ihn jetzt keiner der Feinde …

Der Homgori senkte den Kopf ebenso rasch …

Schloß sogar die Augen wieder …

Unter seiner flachen Affenstirn jagten die Gedanken.

Agnes – – Agnes mitgefangen!! Agnes, die für ihn der Inbegriff alles Guten und Schönen war, die er wie eine Göttin verehrte – und die seine Freundin war …!

Seine mächtigen Zähne rieben sich knirschend aneinander …

Ein Blick flog zu dem Haufen der Marokkaner hinüber …

Ein Blick voller ungebändigter Wut …

Mitten in der Schar der erregten Wüstensöhne die bleichen Gesichter der drei Gefährtinnen …

Doch gefaßt diese drei, in ihr Schicksal ergeben, dabei voll stolzer Würde …

Mafalda war dem Unheil am meisten gewachsen, als John Patterson jetzt mit höhnischem Grinsen vor sie hintrat und ihr frech zurief:

„Ah – gerade dies leckere Vöglein haben wir erwischt …!“ – und noch etwas hinzufügte, was ebenso gemein wie brutal war, da erhob Mafalda Merten die Hand und schlug dem Elenden mitten in das widerliche Antlitz …

Pattersons Züge bekamen etwas Tierisches …

„Dirne – – Allerweltsliebchen …!!“ … – und er packte sie, grölte …:

„Einen Kuß, du Weib …!! Einen Kuß als Sühne …!“

Ben Safra riß ihn zurück …

Aber Patterson war wie von Sinnen …

„Mein ist das Frauenzimmer!“ brüllte er den Marokkaner an … „Glaubst du, ich lasse mich von einem Weibe schlagen …!“

Ben Safra versetzte ihm abermals einen Stoß …

Und dann ein Wink den Seinen …

„Haltet ihn fest! Bindet ihn …! Der Narr ist völlig ohne Verstand!!“

Vier, fünf stürzten sich auf Patterson …

Freie Wüstensöhne einst … Söldner dann im Kriege… Jetzt wieder das, was sie vordem gewesen: Ritter der unendlichen Sandebenen ihrer Heimat, Pioniere einer neuen Kultur, einer neuen Zeit für die Männer des unterjochten Nordafrikas …

Und dazu phanatische Moslim …

Voller Haß und Verachtung für jeden Ungläubigen.

Was half’s John Patterson, daß er wie ein Unsinniger sich wehrte …?!

Seine Rolle als Verbündeter Ben Safras war ausgespielt …

Mit dem Erscheinen der drei Frauen hier in der Festung ging Pattersons Zukunftstraum in Scherben.

Mohammed Ben Safra hatte nur auf eine Gelegenheit, einen Scheingrund gewartet, den verachteten Europäer auszuschalten …

Jetzt lag Patterson wie ein armseliges Bündel gefesselt am Boden …

Die Augen blutunterlaufen …

Geifernd vor nutzlosem Grimm …

„Schnürt ihn neben dem Affen fest!“ befahl Ben Safra …

Und wandte sich an die drei Gefangenen …

Höflich, aber kalt …

„Sie haben nichts zu fürchten – vorläufig nicht … – Gehen Sie dort in das Zelt … Jeder Fluchtversuch von hier wäre zwecklos …“

Mafalda umfing Agnes …

„Kommen Sie …“

Und Mela Dalaargen schmiegte sich ein Agnes’ andere Seite …

So schritten sie dem Zelte zu …

Hatten es noch nicht erreicht, als Ben Safra abermals vor sie hintrat und genau so eisig – höflich sagte:

„Es wäre besser, wenn Sie mir sofort zu jener Verschanzung dort drüben folgen wollten … Ich möchte Sie Josua Randercild zeigen … Der amerikanische Milliardär beabsichtigt, mit seinen beiden Geschützen uns anzugreifen. Ich glaube jedoch, ihm wird die Lust hierzu vergehen …!“

Mafaldas dunkle leidenschaftliche Augen versengten sich tief in die des jungen Marokkaners …

Es lag keine Koketterie in diesem Blick …

Da war etwas ganz anderes … Vor Mafaldas Blicken war soeben eine ferne, ferne Vergangenheit aufgetaucht … Ben Safras stolzes, hochmütig verschlossenes Gesicht erinnerte sie unwillkürlich an jenen Rifkabylen, der einst auf der einsamen Insel Formigas in blinder Leidenschaft für sie zum Verräter geworden war.

Ganz flüchtig zogen diese Gedanken durch ihr Hirn.

Was alles lag zwischen jener Nacht und der Gegenwart! Jene Mafalda von einst war tot …

Und die Mafalda, der jetzt hier der Marokkaner mit wachsender Begehrlichkeit in das schöne Gesicht starrte, ahnte nicht, daß ihr halb verträumter Blick bereits bedenkliches Unheil angerichtet hatte …

Dann erwachte sie aus dieser kurzen Geistesabwesenheit …

Besann sich, daß sie Ben Safra etwas hatte erwidern wollen und meinte mit ruhiger Bestimmtheit:

„Sie machen den Eindruck eines Menschen, Ben Safra, der in Europa manches gelernt hat … Wollen Sie uns Frauen etwa wirklich als Zwangsmittel gegen die Belagerer ausspielen?! Sehen Sie nicht ein, daß das Recht auf Seiten Ihrer Gegner ist und daß Sie selbst im Unrecht sind?! Sie strecken die Hand nach fremdem Eigentum aus … Der Goldschatz ist fremdes Eigentum …!“

Der Marokkaner verbeugte sich – ganz wie ein Europäer … Und erklärte ebenso ruhig, während nur in seinen Augen das begehrliche Flimmern blieb:

„Der Schatz ist niemandes Eigentum mehr … Er wurde versenkt mit der ausgesprochenen Absicht, daß er nie wieder auftauchen sollte. Mithin ist er jetzt herrenloses Gut, dasjeder sich aneignen kann …“

„Ein Rechtsirrtum, Ben Safra! Der Schatz wurde nicht von den wahren Eigentümern, sondern von einem Unberechtigten, dem Baron Gußlar, der Tiefe übergeben … Mithin hat Graf Gaupenberg nach wie vor wohlbegründeten Anspruch auf die Milliarden, während Sie doch nur als … Räuber handeln, was mich wundert, denn Ihre Gesichtszüge haben nichts von einem Verbrecher an sich – gar nichts! Ich will Ihnen nicht schmeicheln … Aber – warnen will ich Sie! Bisher sind noch alle die, die ihre Hand nach diesem Golde ausstreckten, entweder elend ums Leben gekommen oder aber auf andere Weise davon belehrt worden, daß das Azorengold nur eine Quelle unsagbaren Leides darstellt. Glauben Sie mir das alles, Ben Safra! Glauben Sie dies gerade mir, die einst selbst zu den hartnäckigsten Feinden der Sphinxleute gehörte! – Sie wissen, wer ich bin … Mein Name ist leider mit der wechselvollen Geschichte des Kampfes um dieses Gold so innig verknüpft, daß ich aus eigener Sachkenntnis spreche. Ich rate Ihnen dringend, sich mit Ihren Gegnern im guten zu einigen. Graf Gaupenberg wird den Umständen Rechnung tragen und gerne bereit sein, Ihnen und Ihren Leuten einen Teil des Goldes abzutreten, falls es tatsächlich gelingen sollte, es zu bergen, woran ich zweifle …“

Ihre Worte machten offenbar Eindruck auf Ben Safra. Er spürte deutlich, daß diese reizvolle Frau all das nicht lediglich aus Angst, als Gefangene in so klarer, gefaßter Art vorbrachte …

Mafalda hatte jetzt den Kopf nach rechts gewandt.

Dorthin, wo das Steingerüst sich erhob – gerade unter dem Ozeanfenster … Unter dem bereits ausgemeißelten Loche …

Und dort war in der letzten halben Stunde, eben nach dem Sprengschuß, der den feinen Riß durch die Glasmasse verursacht hatte, eine bedeutsame Veränderung eingetreten …

Dort hatte das zunächst nur in spärlichen Tropfen herabrieselnde Meerwasser feinste Sandkörnchen mit durch den Riß gepreßt, und da diese Körnchen mit gewaltiger Kraft die enge Spalte passierten, hatten sie ähnlich eine Rille ausgeschliffen, durch die jetzt bereits ein fingerdicker Wasserstrahl herabspritzte, der auf den Steinen des Walles in Atome zerstäubte …

Kein Wasserstrahl eigentlich …

Nein – ein Gemenge von Wasser und Seesand, also ein Schleifmittel, das in dauernder Arbeit die Rille verbreiterte …

Und die Sandteilchen dieses Strahles hatten sich auch schon rund um das Steingerüst als heller Kranz auf dem Felsboden abgelagert …

Jeder, der nur ein wenig Verständnis für natürliche mechanische Vorgänge besaß, mußte notwendig erkennen, was dort vorging und was die unabwendbaren Folgen dieser Schleifarbeit des Ozeans sein würden …

Mafalda hob den Arm …

„Ben Safra, Sie sehen, was dort geschieht … Ihre Berechnungen trügen … Sie glaubten das eindringende Meerwasser, wenn die Öffnung vollendet, nach Ihrem Willen meistern zu können … Und jetzt, schon in dieser kurzen Zeit, wo wir hier unten weilen, hat der Wasserstrahl sichtbar an Dicke zugenommen … Und nimmt weiter zu! – Sehen Sie den Kreis von abgelagerten Sandteilchen …?! Sehen Sie die Kraft, mit der das Meer diese Schleifarbeit vollendet! – Ben Safra – eine Katastrophe droht! Ich warne Sie nochmals! Lassen Sie sich von Leuten raten, die klarer die Dinge überschauen als Sie – von Gaupenberg und seinen Freunden! Schließen Sie Frieden mit ihm! Vereinigen Sie sich mit ihm! Er wird Ihnen einen Teil des Goldes abtreten, falls der Schatz wirklich hier in die Höhle herabgespült werden sollte! Denken Sie daran, daß Ihr Leben und das Ihrer Leute bedroht ist …!“

Der Marokkaner nickt ernst …

Sagte hart:

„Ich … brauche das ganze Gold! Ein Teil nützt mir nichts. – Ihre Worte kommen aus ehrlichem Herzen … Trotzdem, ich tue nichts halb! – Bitte – gehen Sie dort zur Barrikade … Zeigen Sie sich Randercild … – Wir werden dann später noch über diese Angelegenheit reden …!“

Und dabei schaute er Mafalda mit einem Blick an, der alles verriet …

Eine heiße Blutwelle stieg Mafalda in die Wangen.

Was hatte ihr doch vorhin Patterson ins Gesicht geschrien?! – –: Dirne – Dirne!!

Sie erschauerte … Senkte den Kopf …

Und willenlos folgte sie dann dem Marokkaner, ging wie im Traum neben Agnes und Mela her …

Agnes flüsterte scheu:

„Oh – Sie werden bei diesem Manne nichts erreichen, Mafalda! Hüten Sie sich vor ihm!“

Mafalda verstand den tieferen Sinn dieser Worte.

Ihr Atem flog … Ihre Brust hob und senkte sich stürmisch …

„Wenn … wenn es zum ärgsten kommen sollte, Agnes, werde ich … doch etwas erreichen!“

Dann schwieg sie … –

Die Barrikade hatte nach dieser Seite hin eine Reihe von Stufen …

Die drei Frauen klommen empor …

Schauten hinein in die Nachbargrotte …

Erkannten drüben Randercilds Verschanzung – die beiden Geschützrohre …

Und plötzlich erhob sich drüben eine Gestalt …

Ein kleiner hagerer Mann mit grauem Backenbart.

Sprang über die Verschanzung und kam herbeigelaufen …

Es war der Milliardär Josua Randercild …

Seine Stirn war mit eiskalten Schweißperlen bedeckt …

Er begriff, was vorgefallen …

Und rannte blindlings dorthin, wo er die drei wohlbekannten Frauengestalten neben Ben Safra und den Wachen stehen sah …

Bis ein donnerndes ‚Halt!’ des Marokkanerführers ihn warnte…

Er stand still …

Kaum zehn Meter vor der Barrikade …

So leicht war Randercild nicht außer Fassung zu bringen.

Doch jetzt schlotterte ihm der Unterkiefer …

Die Stimme versagte ihm …

Er wollte Agnes etwas zurufen …

Doch Ben Safra kam ihm zuvor …

„Mr. Randercild, Sie sehen, daß ich mich dieser drei Frauen bemächtigt habe! Und – beim Barte des Propheten schwöre ich Ihnen, daß diese Frauen sterben werden, soweit der erste Schuß von ihrer Seite fällt! – Mehr habe ich Ihnen nicht mitzuteilen … Vorläufig nicht! Kehren Sie um! Sofort!“

Jetzt hatte Randercild sich wieder in der Gewalt …

Die ungeheure Erregung verebbte … Er war wieder er selbst …

Die drei Frauen verschwanden … Ben Safra blieb.

Und Randercild rief ihm zu:

„Sie werden bitter bereuen, daß Sie sich mit Patterson eingelassen haben! – Ben Safra – einen Vorschlag auf mein Ehrenwort! Ich zahle Ihnen aus meinem Vermögen eine halbe Milliarde, wenn Sie die Frauen herausgeben und mit uns Frieden schließen! Bedenken Sie, eine halbe Milliarde!! Und was hier geschehen, soll nie an die Öffentlichkeit dringen, soll nie einem Richter finden! Meine Jacht wird Sie und Ihre Leute an die heimische Küste bringen … – Ben Safra, nehmen Sie Vernunft an!“

Der Marokkaner erwiderte kalt:

„Kehren Sie um! Ich befehle es! – Und – was Patterson betrifft, der ist nicht mehr mein Verbündeter, sondern mein Gefangener – genau wie das behaarte Menschenvieh! Kehren Sie um … – Ich werde Ihnen später weitere Befehle zukommen lassen! Die Frauen sind so lange sicher, bis nichts Feindseliges gegen mich unternommen wird! Das habe ich auch dem Grafen Gaupenberg erklärt …!“

Dann tauchte er hinter der Barrikade unter …

Randercild schritt langsam davon …

Sein fahles Gesicht zuckte …

Der ganze Stolz des Amerikaners empörte sich in ihm gegen diese seine Machtlosigkeit, jener Stolz, der in den farbigen Rassen nur Menschen niederer Stufe sieht …

Und doch – etwas tröstete ihn. Murat war gleichfalls gefangen! Murat!! – Flüchtig dachte er an jene aufregenden Tage auf seinem Schlosse Missamill. Auch dort hatte Murat im entscheidenden Moment helfend eingegriffen!

Ein geringer Trost war’s …

Und als Randercild dann seinen strammen Matrosen die neue Lage schilderte, waren auch diese jungen, ihrem Herrn blind ergebenen Burschen so bestürzt, daß sie kein Wort äußern konnten.

Nur der stille Schotte Mac Lean meinte in seiner eigentümlich versonnenen Art:

„Es ist noch nicht aller Tage Abend, Mr. Randercild! Noch nicht! Ich habe so eine Ahnung, als ob unser Ozzeola bei diesem Drama auch als Mitspieler wieder erscheinen wird!“

Randercild trank zur Beruhigung einen Becher Whisky und ließ auch an seine Leute einen Drink verteilen …

Dann setzte er sich oben auf den Wall neben das eine Geschütz und rauchte seine schwarzgrüne Brasil …

Grübelte … grübelte …

Er, der im Kampf an der Börse in Neuyork stets seinen Mann gestanden hatte, er, der auch in anderen Kämpfen, wenn die Menschenleben billig wie Fliegen waren, nie die kalte, klare Überlegungen verloren, er zermarterte sich jetzt sein Hirn nach irgend einem Ausweg …

Tatenlos abwarten, – das lag ihm nicht!!

Handeln – – Handeln …!!

Aber – – wie – – wie nur?! Was tun – – was tun?!

Dann fuhr er empor …

Aus der Ferne ein schrilles Geheul …

Auch Mac Lean hatte es gehört …

Stand sofort neben dem kleinen Milliardär …

„Mr. Randercild, das Kriegsgeschrei der Seminolen …!! Es ist Ozzeola!!“

Die Matrosen drängten herbei …

Alle stierten hinüber zum Feinde …

Keiner regte sich …

Alle horchten …

Das schrille Geheul verstummte …

Dann – eine Stimme von drüben … Weit entfernt …

Gaupenbergs Stimme:

„Agnes – – Agnes!!“

Randercild überlief ein Zittern …

Er wollte vorwärtsstürmen …

Mac Lean hielt ihn zurück …

„Vorsicht! Wir können alles verderben!!“

Randercild keuchte:

„Ja – – der Frauen wegen! Sie haben recht.“

Er war wie geistesabwesend …

Im Arm hielt er den Karabiner … Seine Rechte umkrallte den Kolbenhals der Waffe … Seine Finger berührten das kühle Metall des Schlosses …

So standen sie alle – Randercild und zwanzig Mann, – braungebrannte sehnige Gestalten mit Stoppelbärten um die scharf markierten Gesichter, – Stoppelbärte, die ihnen hier in der Unterwelt gewachsen waren …

Standen und horchten …

Alle hatten dies schreckvolle ‚Agnes – Agnes …!!’ gehört …

Und keiner wußte, was dort drüben geschehen …

Keiner …!

Und – dieses Nichtwissen, dieses Arbeiten der Phantasie, die unwillkürlich die gräßlichsten Bilder schuf, war das Furchtbarste, Marterndste …

Was war nur geschehen?

Was hatte Gaupenberg erblickt, als er von oben durch die Felsspalte in Pattersons Festung hinabschaute, umdrängt von den Freunden, festgehalten von ihren Armen? –

… Kehren wir zurück zu … Murat, dem Homgori, dem an den Felsblock Gefesselten, der nun einen Nachbarn erhalten hatte: John Patterson …!

Während die Marokkaner Patterson an den großen Stein banden, ging es nicht ohne Püffe, Stöße und verächtliche Schimpfworte für den Homgori ab …

Die braunen Wüstensöhne richteten es absichtlich so ein, daß Patterson dicht neben Murat zu sitzen kam.

Einer meinte höhnisch:

„Elender Giaur, begrüße mir deinen Bruder, dieses Vieh! Begrüße ihn!“

Und ein zweiter:

„Das Affenvieh ist die richtige Gesellschaft für dich, verräterischer Hund, der wehrlose Frauen anfällt!“

Dann war das Werk getan und sie gingen davon …

Pattersons blutunterlaufene Augen, sein vor Wut blaurotes Gesicht und seine zitternden Kinnladen verrieten, wie es in seinem Inneren aussah …

Aber John Pattersons muskelstrotzender Leib ward auch wieder Herr über diese sinnlose Wut …

Sein jagendes Herz, seine klopfenden Schläfenadern kamen zur Ruhe …

Die Marokkaner schauten jetzt kaum mehr hinüber nach dem Felsblock … Aller Augen waren auf die drei Frauen gerichtet …

Patterson flüsterte, ohne den Kopf zu bewegen:

„He, Murat …!! Du kennst mich …!!“

Der Homgori blieb still …

„He, Murat, – nimm Vernunft an …! Jetzt gehöre ich wieder zu euch, jetzt bereue ich meinen dummen Streich, mich mit diesen Banditen da eingelassen zu haben … – Murat, wir können uns befreien … Diese hohlköpfigen Kerle haben uns so dicht nebeneinander gesetzt, daß wir uns gegenseitig hinter unserem Rücken die Fesseln aufknoten können …! – Hörst du mich, Murat …?!“

Der Homgori hatte inzwischen alles genau überdacht.

Patterson konnte ihm bei der Befreiung der Frauen nützlich sein … Vier Arme waren besser als zwei …

Mochte der Steuermann ein auch noch so großer Lump sein, hier war er vom Nutzen!

So flüsterte Murat denn zurück:

„Ich höre … – Ich die eine Hand bereits frei, bald auch zweite … Dann euch losknoten Master … Aber ehrlich sein, alles tun, was Murat wollen …!“

„Selbstverständlich!“

„Frauen müssen hier weg aus Höhle … Murat alles hier kennen … Dort steht Kasten mit Sprengpatronen … Drüben Lagerfeuer, und …“

„Stopp!!“ raunte Patterson lautlos auflachend … „Der Plan wäre zu gefährlich … Kann’s mir denken, du willst eine Patrone ins Feuer werfen und hoffst, daß die Explosion – –, doch, wozu viele unnütze Worte?! – Ich weiß etwas Besseres … Dort der Bach – dort rechts stürzt er als Wasserfall in eine Felskluft hinab … Vorhin hatte ich eine Laterne an einem Strick dort hinabgelassen … Der Wasserfall ist kaum drei Meter tief … Dann fließt der Bach wieder durch einen Kanal weiter … Wenn wir also mit den Frauen in das Felsloch hineinspringen, sind wir im Nu verschwunden … Wohin der Kanal unsführt, ist zunächst gleichgültig … Die Hauptsache, dort sind wir sicher, wenn wir beide nur jeder eine einzige Pistole haben …“

„Murat eine haben,“ flüsterte der Homgori … „In Tasche … Geladen … Zweite … Marokkaner wegnehmen …“

„Ja – und eine Laterne …! – Wir sind also einig – vorwärts, – knote uns los … Dann passen wir einen günstigen Augenblick ab …“

Der Homgori bewegte die Hände … Zerrte an den Knoten …

Gerade jetzt standen Ben Safra und die drei Frauen drüben auf der Barrikade …

Man hörte Randercilds Stimme …

Da – war Murat frei …

Faßte nach Pattersons Stricken …

Seiner kurzen Finger ungeheure Muskelkraft bewältigte auch diese Knoten …

Patterson fuhr mit der linken Hand vorsichtig unter die Jacke … Bekam das Dolchmesser zu packen … Blickte ringsum …

Zwei, drei Schnitte dann …

Und – er saß wieder still …

Jetzt kehrten die Frauen von der Barrikade zurück. Ben Safra sprach noch mit Randercild …

Agnes, Mafalda und Mela setzten sich vor das Zelt – dicht neben den Eingang …

Und da war’s, daß Agnes einen Blick des treuen Murat auffing …

Der Homgori nickte ihr verstohlen zu …

Auch Mafalda hatte dies bemerkt …

Raunte Agnes hastig ins Ohr:

„Wir wollen uns bereithalten … Dieses Zeichen Murats hatte etwas zu bedeuten … Ich bin zum Glück bewaffnet … Man hat uns nicht durchsucht … Meine Pistole hat noch fünf Schuss im Laderahmen …“

Mela Falz – nein, Mela Dalaargen, glückliche Gattinnen des ebenso glücklichen Herzogs Fredy Dalaargen, beugte den Kopf vor …

„Auch in meiner Tasche befindet sich noch der kleine Damenrevolver, den Fredy mir beim Aufbruch von der Werter-Farm aushändigte …“

„Still!“ warnte Mafalda … „Ben Safra kehrt zurück … Auch die anderen Marokkaner beobachten uns … – Ich will versuchen, ob ich die Leute vielleicht drüben in die entfernte Ecke locken kann …“

Sie erhob sich …

Und weder Agnes noch Mela ahnten, daß Mafalda etwas im Sinne hatte, wodurch sie sich selbst zu opfern gedachte …

Niemand kannte ihre Gedanken … Bei einer Frau von ihrer Charakterstärke war es begreiflich, daß, nachdem sie sich erst einmal auf sich selbst besonnen und den Pfad des Verbrechens endgültig verlassen hatte, der heiße Wunsch sich in mir regte, den Sphinxleuten, denen sie vordem nur geschadet, nunmehr unter Einsatz ihres eigenen Lebens und ihrer Liebe zu nützen …

Unter Einsatz ihrer Liebe zu Gußlar, ihrem Retter! – Und diese Liebe wog hier schwerer als das Leben.

Trotzdem zögerte Mafalda keinen Augenblick, ihr Vorhaben kalt, berechnend und im festen Gedanken an ihre neuen Freunde durchzuführen …

Gewiß – sie wollte sich nicht etwa in der Weise opfern, daß ihr keine Möglichkeit blieb, auch selbst den Marokkanern entrinnen zu können. Es war ein Spiel um Tod und Leben. Wie früher – darüber war sie sich im klaren. Aber ein Spiel, das ihr doch die Aussicht bot, die Partie unbeschädigt zu überstehen.

Langsam und in der ihr eigenen stolzen und doch so lässig vornehmen Haltung, jetzt äußerlich wieder in allem die Abenteurerin Fürstin Sarratow von einst, schritt sie Ben Safra entgegen …

„Ich möchte Sie in Gegenwart Ihrer Leute sprechen, Mohamed Ben Safra,“ redete sie ihn mit einer gewissen Vertraulichkeit an … „Sie haben schon früher von mir gehört … Sie wissen, daß ich einst selbst die Hand nach dem Goldschatz der Azoren ausgestreckt hatte … Weshalb ich jetzt scheinbar zu den Freunden Gaupenbergs gehöre, wissen Sie nicht …“

Der heißblütig Marokkaner, dem eine Europäerinnen von solch’ blendendem Liebreiz noch nicht begegnet war, heftete seine glühenden Augen mit kaum mißzuverstehendem Ausdruck auf das schmale, rassige Gesicht Mafaldas und … blieb stumm …

Die Fürstin Sarratow, die sie nun wieder war, kannte die Art dieser braunen Helden aus dem Randgebirge der Sahara … In ihrem wildbewegten Dasein hatte sie es heute nicht zum ersten Male mit einem dieser dunkelhäutigen geborenen Diplomaten zu tun, die durch Schweigen, Abwarten und durch eine undurchdringliche Miene selbst den gewiegtesten Staatsmann von Beruf verwirren können …

Und so fügte sie in demselben Tone hinzu:

„Ich lege Wert darauf, daß auch Ihre Leute mich mit anhören, Ben Safra … Mögen Sie auch hier zu befehlen haben, eine so wichtige Entscheidung wie die, zu der mein Vorschlag Sie zwingen wird, dürfen Sie allein nicht fällen. Ich wünsche die Gewißheit zu haben, daß Ihre Leute geschlossen hinter Ihnen stehen …“

Da machte der Marokkaner lediglich eine wegwerfende Handbewegung …

„Ich entscheide allein … – Sprechen Sie!“

Mafalda hätte nicht Weib sein müssen, wenn sie nicht längst gemerkt haben würde, daß dieser schlanke, stolze Beduinen, den die europäischen Kultur zum mindesten die Beherrschung primitiver Leidenschaften gelehrt hatte, nicht ausschließlich durch Sinnenreiz zu blenden war … Ein Weib wie sie hatte hierfür ein sehr feines, instinktmäßiges Verstehen …

Und deshalb erklärte sie mit scheinbarem Bedauern:

„Dann müssen die Dinge eben ihren Gang gehen, Ben Safra …“

Die klug berechneten Andeutungen, daß sie mit den Sphinxleuten nur durch sehr lockere Bande verknüpft sei, hatte bereits ihre Schuldigkeit getan …

Schon hatte sie sich halb umgewandt, als wollte sie wieder zu Agnes und Mela zurückkehren, als Ben Safra leise rief:

„Bleiben Sie …!“

In seinen Augen flackerten Unwille und Ärger, daß diese Frau ihm in dieser Weise Vorschriften zu machen wagte. Anderseits, sie imponierte ihm! Und noch etwas, ihr Auftreten zerstreute nun auch den ganz schwachen Verdacht, den er angesichts ihres so energischen Verlangens, daß seine Leute zu der Unterredung mit hinzugezogen werden sollten, empfunden hatte.

„Bleiben Sie …!“ wiederholte er, und Unwille und Ärger legten sich wieder. „Ich werde die Männer, die nicht gerade als Wachen nötig sind, dort an der Felswand versammeln …“

Mafalda nickte …

„Gut, ich bin einverstanden … Doch tun Sie es sofort, Ben Safra, denn –“ – – und sie deutete nach dem Loch im Ozeanfenster hinüber, aus dem der fingerdicke mit Sand vermischte Wasserstrahl mit sausendem Rauschen hervordrang und oben auf dem Steingerüst zerstäubte –, „… denn die Sachlage duldet keinen Aufschub … Das Meer, Ben Safra, läßt sich nicht mehr eindämmen, wenn es einmal wie dort seine stahlharten Zähne angesetzt hat … Niemand kann voraussehen, was dort sich entwickelt, wie lange die Schicht Vulkanglas noch widersteht … – Also – beeilen Sie sich, Ben Safra …“

Der Marokkaner warf einen prüfenden Blick auf den Wasserstrahl …

Und zu seinem leisen Schreck erkannte er, daß dieser Strahl nicht nur mehr fingerdick, sondern bereits daumendick – vielleicht noch stärker geworen war …

„Ich gehe,“ sagte er entschlossen und schaute Mafalda durchdringend an … „Obwohl ich mir nicht recht auszumalen vermag, was Sie mir vorzuschlagen hätten …“

Mafalda lächelte … Nicht das Dirnenlächeln von einst … Nein – mehr geheimnisvoll, vieldeutig …

„Sie werden hören, Ben Safra …“

Dann ging sie weiter …

Nicht dorthin, wo der Marokkaner den Versammlungsplatz gewünscht hatte, sondern mehr nach links – in jenen Höhlenwinkel, der sowohl von dem Zelte als auch von dem Steingerüst, dem Felsblock und der Öffnung oben unter der Grottendecke am weitesten entfernt war …

Hier setzte sie sich auf einen Stein, der dicht am Fuße der Felswand lag …

Schlaue Berechnung auch dies …

Denn so mußten die Marokkaner im Halbkreis sich um sie scharen und der Höhle den Rücken zukehren.

Sie saß da, den Kopf leicht in die Linke gestützt …

Noch trennten Minuten sie von der Entscheidung. Diese kurze Zeitspanne weihte sie dem Manne ihrer Liebe …

Werner von Gußlar …!

Und ihre hastenden Gedanken durcheilten nochmals die Stunden und Tage, seit sie ihn kannte …

Bilder mannigfachster Art stiegen vor ihrem inneren Auge auf und entschwanden wieder …

Ein träumerischer Glanz machte ihren Blick verschwommen und wie erfüllt von reinster Seligkeit …

Die große Moorinsel unweit der nun niedergebrannten Gaupenburg … Und der Felsenhügel über der Mumiengrotte mit seinen grünen, verschwiegenen Büschen zeigten sich …

Dort – dort hatte sie in Gußlars Armen gelegen.

Und dort … war sie … Mutter geworden …

Unter ihrem eigenen Herzen gedieh nun ein zweites Leben …

Ihr Kind … ihr … Kind – – Gußlars Kind! –

Und als sie an dieses heranreifende Menschenwesen dachte, das vielleicht mit ihr zugleich hier ausgelöscht werden würde, traten warme Tränen in ihre verdunkelten Augen …

Da … zum ersten Mal in ihrem Leben – reute sie ein einmal gefaßter Entschluß …

Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte sich dem Zelte wieder zugewandt …

Doch – sie blieb …

Sie wußte, daß auch Agnes Gaupenberg guter Hoffnung war … Daß die zarte Agnes vielleicht durch Angst und Anstrengung dieses Ungeborenen verlustig gehen könnte …

Sie blieb …

Und schon nahten auch Ben Safra und etwa dreißig seiner Leute …

Mafaldas prüfender Blick glitt durch die Höhle …

Und sie atmete erleichtert auf. Bei dem Steinblock, an den man Murat und Patterson gefesselt hatte, stand kein Wächter …

Nur die Posten hinter den beiden Barrikaden waren an ihren Plätzen belassen worden, ebenso die beiden Marokkaner, die den Ausgang des Felsentunnels nach dem Lager der Sphinxleute hin besetzt hielten …

Mafalda war zufrieden … blickte Ben Safra ruhig entgegen …

„Mögen sich Ihre Leute im Halbkreis niedersetzen,“ begann sie … „Ich möchte nicht zu laut sprechen … Die Gräfin Gaupenberg und Mela Dalaargen könnten mißtrauisch werden …“

Ben Safra winkte …

Ließ sich dicht vor ihr nieder …

Und die anderen setzten sich gleichfalls auf den Felsenboden …

Bevor Mafalda dann jedoch zu reden beginnen konnte, geschah etwas, womit sie niemals gerechnet hatte.

Ozzeola hatte sein Versteck verlassen, hatte sich mit dem gellenden Kriegsschrei seiner tapferen Ahnen auf die beiden Wachtposten gestürzt und sie in die Tiefe – hinab in das Lager der Sphinxleute geschleudert …

 

17. Kapitel.

Die ersten Goldbarren …

Und in diese schrillen Fisteltöne, die zwar gedämpft, aber noch immer laut genug in ihrer aufregenden Eigenart bis hierher drangen, mischte sich ein anderes, weit schrecklicheres Geheul. Murat war zugleich mit Patterson hochgeschnellt, hatte in der Erregung des Augenblicks, vielleicht hierzu herausgefordert durch den Kampfruf des Seminolen, seiner Kehle diese dröhnenden wilden Schrei entlockt und stand nun mit ein paar Sätzen neben Agnes …

Was dann folgte, spielte sich alles so blitzartig ab, daß die Einzelheiten zu einem wirren unübersichtlichen Ganzen verschmolzen …

Auch Ben Safra und seine Leute flogen empor …

Einen Moment standen sie wie erstarrt …

Bevor sie noch zu ihren Waffen greifen konnten, hatte der Homgori schon, seiner einfachen altbewährten Taktik folgend, ein paar zentnerschwere Steine aufgerafft …

Seines Wurfes war er sicher …

Er durfte die Marokkaner auf keinen Fall zu ihren Waffen greifen lassen …

Und Mafalda hatte die Geistesgegenwart gehabt, sich schleunigst nach rechts hin an der Felswand entlang fortzuschleichen …

Murats erster Stein riß dicht neben Ben Safra drei Mann nieder …

Der zweite streifte seine Schulter, warf ihn zu Boden …

Und die Seinen, in der verfehlten Annahme, daß ihr Führer sich auf diese Weise zu decken suchte, folgten seinem Beispiel …

Dann hatte Murat nach dem dritten, ebenso gut gezielten Geschoß Agnes in die mächtigen Arme gerissen.

Rannte hinüber zu der Felskluft, in der das unterirdische Gewässer als Wasserfall verschwand …

Patterson hob Mela empor …

Plötzlich aber ließ er die Arme sinken. Mela fiel nach vorn auf die Knie, raffte sich sofort wieder auf …

Ein entsetzter Blick traf Patterson … Der drehte sich um sich selbst, schlug lang hin …

Von der einen Barrikade war ein Schuß gefallen …

Einer der Wachtposten hatte ihn abgefeuert …

Mela lief hinter Murat und Agnes drein …

Blindlings …

Noch ein paar Schüsse …

Da war Ben Safra schon wie ein Blitz wieder hochgeschnellt.

Und jetzt erschienen droben im Felsenloche Gaupenberg und die anderen, die soeben in den Gang eingedrungen waren …

Und – jetzt gerade flüsterte Murat seiner über alles verehrten Herrin mit rauhen Lauten zu:

„Hinabspringen – dort in den Wasserfall – – schnell!“

Agnes zauderte …

Murat hatte sie losgelassen …

Drängte sie vorwärts …

Dicht neben ihnen aufklatschende Geschosse …

Gesteinsplitter …

Da zog der Homgori Agnes abermals in die Arme …

Und – – glitt mit ihr in die stürzenden Wasser hinab …

Verschwand …

Gaupenberg wollte in die Höhle hinab …

Die Freunde hielten ihn fest …

Da – jetzt folgte Mela halb sinnlos vor Aufregung den beiden in die schäumenden Strudel …

Jetzt ließ Ben Safra auch schon auf die Felsspalte feuern …

Gaupenberg wurde von Nielsen mit Gewalt zurückgerissen …

Mit langen Sprüngen war derweil einer der Marokkaner hinter Mafalda drein, die soeben die Richtung nach dem Wasserfall eingeschlagen hatte … Packte sie, warf sie zu Boden …

Noch immer hielten Ben Safras Leute die Felsöffnung oben unter Feuer …

Aber Nielsen und Gußlar hatten bereits zwei Steinplatten dicht hinter dem Loche aufgerichtet …

Nielsen brüllte mit voller Lungenkraft:

„Ben Safra, – – stellen Sie das Feuer ein!!“

Der Marokkanerführer, dem der linke Arm infolge der Schulterwunde wie gelähmt herabhing, stieß nur eine grelle Lache aus …

Er hatte soeben die am Boden liegende Mafalda bemerkt – über ihr jenen Mamuth, der den Homgori so brutal mißhandelt hatte …

Und Mamuth hielt das lange Dolchmesser stoßbereit.

„Töte die Verräterin!“ kreischte er da in blinder Wut … „Töte sie …!“

Im selben Moment ein Schuß aus der Felsspalte her.

Aus Gußlars Pistole …

Und Werner von Gußlar war bewußt, daß es hier um der Geliebten Leben ging … Seine Nerven hatten ihn nicht im Stich gelassen, seine Hand nicht gezittert …

Mamuth holte mit dem rechten Arm zum Stoße aus … Doch dieser Arm schien plötzlich wie durch einen Blitzstrahl gelähmt worden zu sein …

Mamuth sank schwer über Mafalda auf das Gesicht.

Noch ein paar krampfhafte Zuckungen … Und er lag still …

Und – Stille folgte jetzt ringsum …

Eine Pause, wie bei einem schweren Gewitter … Zwischen zwei elektrischen Entladungen …

Doch Ben Safra wollte dann vollenden, was Mamuth nicht hatte ausführen können …

Gleich einem Panther schnellte er vorwärts …

Hatte die gespannte Pistole halb vorgestreckt …

Da warf Mafalda die leblose Last zur Seite, sprang auf die Füße …

Drei Schritt noch …

Ben Safra machte halt …

Mafalda stierte in die Pistolenmündung …

Feine Blässe überzog ihre Wangen …

Sie gab sich verloren …

Gußlar feuerte wieder …

Jetzt flatterte seine Hand … Sein Schuß ging fehl…

Ben Safra schaute das schöne Weib mit teuflischer Grausamkeit an …

Das, was an europäischer Kultur an ihm haften geblieben, war wie weggewischt …

Sein stolzes, kaltes Gesicht glich dem eines leibhaftigen Satans …

Mafalda lächelte irr …

Ihr Kopf drehte sich nach links …

Dort oben in der Felsöffnung stand Gußlar …

Gab sich mit vollem Leibe den Kugeln preis …

Mafalda begegnete dem Blicke des Geliebten …

Da … wollte Ben Safra abdrücken …

Doch eine höhere Macht griff ein …

Mit einem dumpfen Knall hatte sich jäh der Wasserstrahl, der aus dem Ozeanfenster hervorschoß, um das zehnfache verbreitert …

Hatte seine Richtung verändert …

Wie der feuchte kalte Prankenhieb eines Meeresungeheuers traf’s Ben Safra mitten ins Gesicht …

Wie von einer unheimlichen Gewalt wurde er rückwärts geschleudert …

Die Kugeln seiner Pistole schlugen in die Höhlendecke ein …

Ein ungeheurer Lärm, ein unbeschreibliches Gemisch von Tönen erfüllte plötzlich die Grotte. Der Ozean meldete sich!

Der Ozean hatte seinen Vorboten herabgesandt …

Das Zischen, Brausen, Gurgeln, Fauchen und Pfeifen dieses mit so unglaublicher Kraft herabschießenden Wasserstrahls übertönte alles andere …

Und diese Wassersäule riß vom Höhlenboden Steine, Geröll, Felsstücke empor …

Schleuderte sie ringsum …

Und verwandelte sich selbst in einen Staubregen, der die Hälfte der Grotte in nasse Schleier hüllte …

Dieses urplötzliche Anwachsen der herabschießenden Wassermenge, dieses Eingreifen der Naturgewalten, das in seinen bedrohlichen weiteren Folgen noch gar nicht zu überschauen war, hatte die beiden gegnerischen Parteien für Minuten auf jegliche Kampfhandlungen verzichten lassen …

Sowohl die Sphinxleute oben in der Gangöffnung als auch die Marokkaner unten verhielten sich vollkommen regungslos und erwarteten mit zitternden Nerven einen vielleicht noch stärkeren Einbruch des Ozeans …

Als erster raffte sich Mohammed Ben Sarfa wieder auf …

Kaum stand er auf den Füßen, als er auch schon die Schleier des Staubregens mit den Blicken zu durchdringen suchte. Wo war Mafalda und konnte er ihre Flucht verhindern …

Ein energischer Zuruf brachte wieder Leben in seine untätigen Leute …

Die Lage hatte sich jetzt gerade durch diesen Sprühregen, der die halbe Grotte verdunkelte, für die Marokkaner insofern gebessert, als sie aus dem halbdunkel heraus die Felsspalte dort oben ohne eigene Gefahr unter Feuer nehmen konnten.

Abermals knallten Schüsse …

Ein Teil der braunen Gesellen zerstreute sich …

Ben Safra ließ Mafalda suchen …

Unmöglich war’s, daß sie etwa von den Sphinxleuten in die Gangöffnung emporgezogen worden war.

Und doch – sie blieb verschwunden!

Ben Safras Grimm kannte keine Grenzen …

Als er dann noch merkte, daß die Sphinxleute die Schüsse nicht mehr erwiderten, als oben in der Felsspalte kein Gewehrlauf sich mehr zeigte, als er nun drei seiner Leute dort an den Tauen emporschickte, und diese unbelästigt in den Gang eindringen konnten und feststellten, daß Gaupenberg und die Seinen sich jetzt in die Höhle zurückgezogen hatten, wo sie vorhin das neue Lager bezogen hatten, fühlte er sich wieder Herr der Situation …

Nochmals wurde die Festung nach Mafalda durchforscht – wieder ohne Ergebnis!

Offenbar hatte Mafalda sich in den Wasserfall und in den Kanal des Baches geflüchtet, wie dies vor ihr Murat, Agnes und Mela getan hatten … –

Die durch das Ozeanfenster herabsausende Wassersäule war gleich stark geblieben, und die fallenden Tröpfchen des zerstäubenden Strahles hatten jetzt einen neuen Bach gebildet, der quer durch die Grotte dahinströmte und seine Wassermenge mit der des anderen dicht vor der Felskluft vereinte, in der die Flüchtlinge verschwunden waren.

So hatte denn auch der Wasserfall selbst an Umfang und Kraft zugenommen, und der Gedanke, daß die Entflohenen vielleicht dort unten im Kanal nunmehr elend ertrinken würden, bereitete Ben Safra eine brutale Genugtuung …

Anderes noch geschah jetzt …

Gerade, als der Marokkaner das Steingerüst erkletterte hatte, um vorsichtig nachzuprüfen, worauf diese jähe Verstärkung des herabschießenden Strahles zurückzuführen sein könnte, gerade als ihm nun ein Blick durch die Glasmasse zeigte, daß die Luftblasen es gewesen, durch die das Meer sich einen Weg gebahnt hatte und daß im übrigen das Riesenfenster keine bedrohlichen Risse oder Sprünge aufwies, – gerade da kam zugleich mit dem mit Sand so reichlich vermischten Wasser ein blinkender Gegenstand herab und schlug mit klingendem Knall auf den Felsboden auf. Der erste der Goldbarren!

Ein zweiter, ein dritter folgte …

Mit einem Blick durch die Vulkanglasschicht erkannte Ben Safra ebenfalls, daß der Strudel über dem Loch im Ozeanfenster so kräftig kreiste, daß dort Goldbarren, Brettstücke, Steine, Muscheln, Pflanzenteile in wildem Wirbel durcheinandergerissen wurden.

Wieder stürzten ein paar Goldbarren mit herab …

Ben Safra verließ eiligst das Steingerüst und ordnete an, daß die Barren in den trockenen Teil der Höhle geschafft würden.

Es war nicht ungefährlich, sie aufzuheben, da dort, wo der Wasserstrahl den Felsboden traf, in weitem Umkreis dauernd die Geschosse des eindringenden Meeres umhergeschleudert wurden – Steine jeder Größe …

Die Marokkaner waren längst sämtlich bis auf die Haut durchnäßt …

Aber die Goldgier, die jetzt durch diese ersten Goldbarren jäh aufgestachelt worden war, bewirkte, daß sie bereitwilligst jeder Gefahr spotteten …

So konnten denn zunächst vierzehn Goldbarren geborgen werden, außerdem ein paar goldene Geräte aus dem Königsschatze Matagumas …

Ben Safra selbst begab sich jetzt in den Felsengang nach oben, um sich zu überzeugen, was die Sphinxleute inzwischen unternommen hatten.

Die Höhle, in der diese gelagert hatten, war dunkel, und die vorhin hier nach oben geschickten Posten meldeten ihm, daß die Feinde sich in die nächste Grotte zurückgezogen haben müßten …

Eine geraume Weile stand Ben Safra horchend und spähend hier in der Felsspalte …

Hörte auch undeutlich aus der Ferne allerlei Tierlaute, schloß daraus, daß die Sphinxleute tatsächlich die Höhle geräumt hatten, – vielleicht deshalb, weil sie befürchtet haben mochten, der Ozean drohe das ganze Fenster einzudrücken …

Plötzlich tauchte dann neben ihm einer seiner Leute auf …

„Ben Safra,“ rief der Mann leise, „die Öffnung hat sich verstopft … Der Wasserstrahl ist wieder ganz schwach geworden … Ein Stein steckt in der Öffnung … Man sieht ihn oben vom Gerüst aus ganz deutlich!“

Ben Safra kehrte in die Festung zurück …

Das Bild hier hatte sich wieder vollständig verwandelt …

Nichts mehr von den Sprühschleiern …

Und dort aus der Öffnung nur ein fingerdicker Strahl, der recht unregelmäßig herabspritzte, zuweilen fast völlig verschwand, dann wieder zischend hervorschoß … –

Der Marokkanerführer beruhigte die Seinen …

„Der Sand wird seine Schuldigkeit tun …“ meinte er … „Der Sand wird das Glas schleifen, bis auch dieser Stein das Loch passieren kann … Benutzen wir die Ruhepause dazu, die Flüchtlinge zu verfolgen. Drei von euch mögen mich begleiten … Der Wasserfall hat wieder an Umfang verloren … Wir können getrost dort eindringen … – Zwei Laternen her!“

Und als erster glitt er dann in die mit schäumenden Wassern gefüllte Kluft hinab, langte wohlbehalten unten an, hob die Laterne und sah nun vor sich den gewölbten Kanal, in dem der Bach seinen Weg fortsetzte …

Watete hinein …

Das Wasser reichte ihm kaum bis zum Gürtel …

Nur sehr zögernd blieben seine drei Leute hinter ihn …

Der Kanal war hier bedeutend höher als auf der anderen Seite, wo man durch die Explosion das Wasser aufgestaut hatte …

Nach wenigen Biegungen erweiterte sich der Kanal noch mehr und wurde zu einer niederen Halle, die der Bach als breites Rinnsal durchfloß …

Ben Safra machte hier halt …

Er wagte es nicht recht, seinen Weg fortzusetzen, denn er rechnete damit, daß das Loch im Ozeanfenster plötzlich wieder freiwerden konnte und ihm und seinen Begleitern dann der Rückweg abgeschnitten werden würde …

Während er noch unschlüssig mit hoch emporgehobener Karbidlaterne die langgestreckte Felsenhalle abzuleuchten suchte, knallte ein Schuß, und eine wohlgezielte Kugel zerschmetterte die Laterne …

Kaum hatte sich der in mehrfachen Echos hier in der gewölbten Halle zurückgeworfene Donner des Schusses gelegt, als eine Stimme vom anderen Ende herübertönte – eine klare, helle Frauenstimme:

„Kehren Sie um, Ben Safra! Dieser Weg bleibt Ihnen versperrt!!“

Der Marokkaner wich zurück …

Wenn er auch Mafaldas Stimme sofort erkannt hatte, so durfte er sich und die Seinen hier doch nicht der Gefahr aussetzen, von den Flüchtlingen niedergeschossen zu werden …

Jetzt nicht!

Und langsam drang er wieder in den Kanal ein …

Gelangte bis zum Wasserfall, wo oben zwei Leute bereitstanden, die ihn und seine Begleiter mit einem Tau emporzogen … –

Seine kurze Abwesenheit hatte jedoch bereits genügt, die ohnedies schon recht gedrückte Stimmung seiner Stammesgenossen noch nachteiliger zu beeinflussen …

Da war einer unter den Marokkanern, ein älterer Mann, den die Aussicht auf die Goldmilliarden nicht im gleichen Maße so geblendet hatte wie die übrigen …

Und dieser vielerfahrene Ibrahim, im Gegensatz zu den hochgewachsenen braunen Wüstensöhnen, ein nur kleiner, unglaublich hagerer Mensch mit einem spitzen Geiergesicht und winzigen, verschlagenen Äuglein, hatte seinen Gefährten durch klug hingeworfene Bemerkungen über die bereits erlittenen Verluste an Menschenleben und über die Gefährlichkeit und Fragwürdigkeit dieses ganzen Unternehmens nur zu schnell den kurzen Goldrausch gründlich wieder ausgeredet …

„… Neunundvierzig waren wir, als der elende Giaur, der Patterson, uns zu diesem Zuge in die Unterwelt verleitete …“ sagte er unter anderem … „Jetzt leben von uns noch zweiunddreißig, und drei liegen dort, durch die Steinwürfe des Affenviehs schwer verletzt, und ringen mit dem Tode … Eingeschlossen sind wir hier … Von beiden Seiten lauern die Feinde auf uns … Und dort drüben über unseren Köpfen droht das Meer … Unsere Lebensmittel reichen vielleicht noch für fünf Tage … Und selbst wenn wir das Gold wirklich erlangen sollten, werden wir es auch wegschaffen können?! Wird es möglich sein, die schwere Last durch den Kanal des Baches zu tragen?! – Die Geiseln sind geflüchtet … – – Unsere Sache steht schlecht. Ben Safra sollte mit den Leuten der Sphinx Frieden schließen und sich mit einem Teil der Schätze begnügen … Wir können nicht beides tun, kämpfen und gleichzeitig das Gold in Sicherheit bringen!! Das ist unmöglich … Wir alle werden ausgelöscht werden … Drüben der Amerikaner mit seinen beiden Geschützen braucht nur zu erfahren, daß die Frauen nicht mehr in unserer Gewalt sind, und er wird die Barrikade in Trümmer legen und unser Blut wird umsonst fließen … – Ich will euch nicht aufhetzen gegen unseren Führer … Nur warnen will ich …“

Um ihn herum standen etliche zwanzig der braunen Gesellen …

Und aus diesem Kreise wurden nun halblaute, beifällige Stimmen vernehmbar, die dem alten Ibrahim durchaus beipflichteten …

Die so arg zusammengeschmolzene Schar war zur Besinnung gekommen …

Jeder einzelne konnte recht wohl abschätzen, daß Ibrahims Worte in jeder Beziehung wohlbegründet waren …

„Wir müssen mit Ben Safra reden,“ meinte nun einer aus dem Kreise … „Ben Safra wird einsehen, daß wir gegen die Giaurs, die Allah verdammen möge, nichts ausrichten können …“

Und ein anderer rief:

„Da – der Wasserstrahl des Meeres bleibt schwach! Niemals wird sobald das Hindernis, den große Stein, herausgestoßen werden!“

Ein dritter dann:

„Und wenn’s geschieht, kann das Loch in der Glasmasse sich sofort von neuem verstopfen!“

Dann standen sie in finsteren Schweigen da …

Was hier soeben geschehen, was hier den jähen Stimmungsumschwung hervorgerufen hatte, war nur wieder ein Beispiel für die Wankelmütigkeit des menschlichen Charakters …

Soeben hatten dieselben verwegenen Kerle noch jeder Gefahr getrotzt, hatten die Goldbarren unter einem Hagel von Steinen geborgen und sich in goldenen Zukunftsträumen berauscht …

Ebenso jäh war der Wechsel von frischem Draufgängertum zu erbärmlichstem Kleinmut erfolgt. Nur des geringen Anstoßes durch einige die Lage richtig beleuchtende Worte hatte es bedurfte, den Gedanken an Gold und Reichtum völlig in den Hintergrund zu drängen.

Diese Marokkaner, jung und stark, mochten ihr Leben nicht einer unsicheren Aussicht opfern. Sie erkannten, daß der alte Ibrahim nur im allgemeinen Interesse seine Bedenken vorgebracht hatte …

Schweigend standen sie da …

Alle bis auf die Haut durchnäßt …

Und von drüben, wo die Verwundeten im Zelt ruhten, klang warnend das tiefe Stöhnen der mit dem Tode ringenden herüber …

Und dort lagen Tote – lagen Mamuth, Patterson – noch mehrere …!

Außerdem aber – und das gab vielleicht den Ausschlag – kein einziger dieser stämmigen Marokkaner hatte seit vollen vierundzwanzig Stunden Gelegenheit auszuruhen gehabt – von Schlafen war schon gar nicht zu reden! Seit vierundzwanzig Stunden hatte Ben Safra sie andauernd auf den Beinen gehalten, hatte für jeden Aufgaben gehabt!

Und den Strapazen hier in der Festung war der mehrtägige Marsch durch das unendliche Höhlengebiet vorausgegangen … Auch da war von Ruhe nicht viel die Rede gewesen. Patterson hatte seine Verbündeten ständig vorwärtsgetrieben, weil er nur zu gut wußte, daß Josua Randercild ihn verfolgen würde!

Und – dieser Gewaltmarsch wieder war die Fortsetzung der Flucht aus Rouen gewesen! Mithin hatten diese Burschen seit fast einer Woche nicht mehr richtig ausschlafen können.

Hier in der Festung hatte der doppelte Nervenkitzel des Neuen, Ungewohnten und des Goldrausches sie bisher alle Müdigkeit vergessen lassen …

Nun setzte der Rückschlag ein …

Etwas Stumpfes, Mattes trat in diese hageren Gesichter …

Die dunklen, lebhaften Augen verloren den Glanz.

Ihr Körperhaltung wurde schlaff … –

Und – in diesem Zustand fand Ben Safra jetzt die Seinen vor …

Lebhaft schritt er auf die Gruppe der in finsterer Gleichgültigkeit um den alten Ibrahim Gescharten zu.

Für ihn gab’s keine Ermüdung … Für ihn war das Zauberelixier gegen körperliche und geistige Abspannung der fanatische Gedanke an die Befreiung Nordafrikas von allen fremden Eindringlingen … Zu diesem Zwecke wollte er den Azorenschatz sich aneignen – allein dazu …

Der Kreis seiner Leute öffnete sich …

Ibrahim begann zu sprechen …

Bevor der Alte aber noch den ersten Satz vollendete, hatte ein Blick in die Gesichter der Seinen dem Marokkanerführer bereits verraten, was hier geschehen war …

Trotzdem unterbrach er den Alten nicht …

In der langatmigen, blumenreichen Redeweise der Orientalen erklärte Ibrahim, aus welchem Grund er Ben Safra im Namen aller bitte, mit den Giaurs Frieden zu schließen … –

Dann hatte Ibrahim seine Rede beendet …

Und nun … begann Ben Safra …

Mit allen Mitteln versuchte er den Kleinmut der Seinen zu verscheuchen …

Den religiösen Fanatismus suchte er zu wecken … Von seinen Absichten und Hoffnungen sprach er in glühender Begeisterung … Davon, daß jeder, der ihm hier helfen würde, das Gold zu erringen, daheim als Held gefeiert werden würde …

Und – diese leicht empfänglichen Kinder der Randgebiete der Sahara richteten sich allmählich wieder straffer auf …

Die Augen bekamen wieder Leben …

Ben Safra spielte seinen letzten Trumpf aus …

„Glaubt ihr denn,“ rief er, „daß die Giaurs da draußen jetzt noch bereits sein werden, uns auch nur einen winzigen Teil des Goldes zu überlassen, wenn wir die Unterhandlungen eröffnen?! – Glaubt mir, Sie werden verlangen, daß wir uns auf Gnade und Ungnade ergeben!“

Eine große Pause …

Und dann das letzte:

„Solange des Amerikaners Schar nichts davon ahnt, daß wir die Frauen nicht mehr als Gefangene hier in unserer Grotte bewachen, solange er also annimmt, er dürfte der Frauen wegen seine Geschütze nicht gebrauchen, wird der andere Feind drüben uns nie gefährlich werden! Und bisher ahnt der Milliardär nichts, sonst hätte er schon angegriffen! Mithin ist unsere Lage durchaus nicht so verzweifelt, wie Ibrahim sie euch geschildert hat …! Rafft euch noch wenige Stunden auf …! Ich habe einen Plan gefaßt, wie wir die beiden gegnerischen Abteilungen nacheinander einzeln vernichten können! Auch die Frauen werden wir wieder in unsere Gewalt bekommen! – Hört mich an …!!“ –

Wankelmut und Menschenseele …!!

Ben Safras Leute waren wie ausgewechselt …!

Selbst der alte Ibrahim erklärte, daß er bereit sei, sofort mit fünf Mann in die Kluft des Wasserfalles hinabzusteigen, um Ben Safras schlauen Plan zur Ausführung zu bringen …

Ein anderes Bild bot die Höhlenfestung jetzt dar.

Ben Safra bereitete den vernichtenden Schlag gegen Josua Randercild vor … Zuerst sollte dieser Gegner daran glauben … Und gleichzeitig würden dann auch die Flüchtlinge unten im Kanal des Baches überlistet werden …

 

18. Kapitel.

Der Isis-Tempel.

Wie den beiden Frauen zumute war, die auf Murats Geheiß in den dunklen Schlund des kleinen Wasserfalles hinabgesprungen waren, – wie Murat ihnen dann, die schnell noch erbeutete Laterne in der Linken, in dem wassergefüllten Kanal den Weg wies und mit welchen Empfindungen sie ihm folgten, das konnte nur jemand verstehen, der sich in Agnes’ und Melas Lage hineinzuversetzen vermochte …

Weder Angst noch Grauen vor diesem düsteren, unheimlichen Pfad, erfüllten ihre Seelen …

Nein – nur ein Gedanke trieb sie jetzt vorwärts, den Marokkanern wirklich zu entrinnen, damit nicht Mafaldas hochherziges Opfer zwecklos bliebe …

Agnes und Mela wußten genau, daß Mafalda sich mit voller Absicht der unausbleiblichen Rache Ben Safras preisgegeben hatte …

Und so wateten sie denn hinter Murat drein, aus tiefstem Herzen den Allmächtigen anflehend, daß er die opferwillige Gefährtin schützen möge …

Mela Dalaargen, weit kräftiger als Gaupenbergs Gattin, stützte diese nach Möglichkeit … Half ihr über unebene Stellen hinweg und zeigte sich auch hier wieder so recht als Dagobert Falz’ tapfere, willensstarke Tochter …

Murat wandte häufig den Kopf zurück, um sich zu überzeugen, ob die Frauen auch gleichen Schritt mit ihm zu halten vermochten …

Mit seiner breiten, muskelstrotzenden Brust, bahnte er sich dicht vor ihnen einen Weg durch die dahin schießende Strömung, machte seine Schützlinge stets durch rechtzeitige Zurufe auf Hindernisse und Aushöhlungen des Bachbettes aufmerksam, und tat alles, was in seinen Kräften stand, diese abenteuerliche Flucht nach Möglichkeit zu beschleunigen …

Rechnete er doch bestimmt damit, daß Ben Safra sie ungesäumt verfolgen würde …

In seinem klugen Hirn hatte er längst überlegt, daß jetzt, wo er allein beide Frauen im Notfall verteidigen müßte, alles darauf ankäme, ein recht großen Vorsprung zu gewinnen und vielleicht eine Stelle zu finden, wo er, ohne Spuren zu hinterlassen, sich mit seinen Begleiterinnen nicht nur verbergen, sondern die Marokkaner auch mit seiner Pistole verscheuchen könnte …

Er atmete daher auch erleichtert auf, als der Kanal sich mit einem Male bedeutend verbreiterte und in eine niedere Felsenhalle überging …

Hier, wo der Bach, sich nach beiden Seiten mehr ausdehnend, bedeutend flacher war und außerdem neben den steinigen Ufern noch ein breiter trockener Felsstreifen sich hinzog, konnten die drei Flüchtlinge denn auch die Halle laufend durchmessen, gelangten dann an die jenseitige Kanalöffnung, die hier sehr schmal und niedrig war, so daß die Wassermenge des Baches mit Gurgeln und Brausen sich durch diese Enge hindurchpreßte …

Hier machte Murat halt …

Er wollte den Frauen etwas Zeit zum Ausruhen gönnen …

Sagte hastig zu seiner vergötterten Herrin:

„Murat allein jetzt in Bach weiter waten … Murat erst sehen wollen, was aus Bach werden, ob auch gangbar für zarte Frauen … Murat sofort zurück … Marokkaner noch nicht zu sehen … – Hier – nehmen Miß Mela meine Pistole … Miß Mela schießen können … Aber Murat gleich wieder zurück …“

Und hastig stieg er in den Bach …

Die Strömung war hier so stark, daß er Mühe hatte, ihr zu widerstehen …

Ein paar Meter riß sie ihn mit fort …

Im Nu war er in dem dunklen Tunnel mit seiner Laterne verschwunden …

Mela und Agnes hatten sich eng nebeneinander auf einen Stein gesetzt. Sie hockten zitternd da, Hand in Hand, umgeben von allertiefster Finsternis …

„Mut … Mut!!“ flüsterte Mela … „Agnes – du bebst …! Agnes, beruhige dich … Es würde deiner Gesundheit schaden, wenn du …“

„Oh – sei ohne Sorge …!“ fiel die blonde liebliche Agnes ihr ins Wort … „Ich bebe nicht vor Angst … Mein Herz pocht nur aus Sorge um Mafalda so rasch … – Mela, Mela, – wenn Mafalda unseretwegen den Tod fände …!!“

Mela preßte ihre Hand …

„Agnes, ich begreife, weshalb Mafalda sich in dieser Weise geopfert hat … Sie wollte uns beweisen, daß sie sich wirklich von Grund auf geändert hat … Sie wollte besonders an dir gutmachen, was sie einst in trauriger Verblendung gefehlt hat …!“

Agnes erwiderte leise und schmerzlich:

„Wenn wir gerettet werden, so haben wir es nur ihr zu danken, nur ihr … Denn ohne ihre List, die Marokkaner nach der anderen Seite der Höhle zu locken, hätte Murat nichts ausrichten können – gar nichts …! Wir wären ergriffen oder niedergeschossen worden, bevor wir noch den Wasserfall erreicht haben würden …“

„Still!“ rief Mela da … „Da ist Murat wieder … Ich sehe schon den Lichtschein seiner Laterne im Kanal …“

Triefend und keuchend kletterte der Homgori dann aus dem Kanal aufs Trockene …

Sein wildes behaartes Gesicht strahlte jedoch vor Freude … Und mit seltsamem Lachen stieß er hervor:

„Alles sehr gut sein … Sehr gut …! Viel Neues dort gefunden … Große Höhle … Große Haus … Und Bäume, Gras, Sträucher …“

Er lachte wieder …

„Marokkaner uns nicht dorthin folgen können … Kanal hat Tür dort drüben … Tür aus engem Gitter … – Alles dies wahr sein, Miß Agnes … Murat nicht lügen …“

Agnes sagte kopfschüttelnd:

„Murat, – – Bäume, Sträucher – – hier in der Finsternis?!“

„Oh – nicht Finsternis!“ erklärte der Homgori eifrig … „Nein, nein, – Miß Agnes müssen denken an große Aztekengrotte … Dort auch Wände leuchten … Aber drüben anders leuchten … Ganz anders … Murat das nicht beschreiben können … Aber Bäume sein – Palmen, Kokospalmen, Miß Agnes … Ganz bestimmt – auch andere Bäume …“

Der brave Murat hatte sich in Eifer geredet …

Nun aber fügte er eindringlich hinzu:

„Jetzt wir durch Kanal waten. – Kanal tief – – sehr tief … Strömung sehr stark … Murat erst Miß Agnes auf den Rücken nehmen … So am besten gehen … Murat nicht zum ersten Male Miß Agnes tragen … – Also …!“

Und er bückte sich, damit Agnes ihm leichter die Arme um den Hals schlingen konnte …

Sie tat’s …

Rief Mela noch zu:

„Du wirst dich doch hier allein nicht ängstigen, Mela?“

„Nein … nein! Im Notfall komme ich hinter euch drein, – falls die Marokkaner erscheinen sollten …!“

Der Homgori begann bereits zu schwimmen, nachdem er Agnes noch schnell die Laterne in die Hand gedrückt hatte …

Die Strömung trug Murat und seine leichte Last rasch davon …

In wenigen Minuten war der hier nur schwach gekrümmte Kanal passiert …

Mit einem Male gewahrte Agnes denn auch vor sich in der bogenförmigen Mündung des Kanals einen von dem Laternenschein völlig verschiedenen Lichtschimmer …

Gleichzeitig fast konnte sie auch die gewaltige Grotte überschauen, in die der Bach hier einbog …

Diese Grotte war mit einem ausgesprochen weißem Licht erfüllt, oder besser mit einem farblosen Lichte, das genau wie in der Aztekenhöhle den Felswänden und der Decke entströmte …

Es war ein Licht, das ungefähr dem der Sonne bei ganz leicht bewölktem Himmel gleichkam …

Ohne Zweifel enthielt also auch hier das Gestein gewisse chemische Bestandteile, die ähnlich dem Radium leuchteten und diese Leuchtkraft niemals verloren. –

Nach dem tagelangen Aufenthalt in der dunklen Unterwelt, wo die Sphinxleute sich mit künstlichen Beleuchtungsmitteln hatten begnügen müssen, war Agnes geradezu geblendet durch diesen ‚Sonnenglanz’, der vollkommen einen Sommertag auf der Oberwelt vortäuschte. Und dies umso mehr, als hier in diesem mächtigen Dome tatsächlich Palmen und andere tropische Bäume, dazu ein frischgrüner Grasteppich und Gruppen von blühenden Sträuchern den Eindruck eines ausgedehnten Gartens hervorriefen.

Agnes Gaupenberg wurde nun von Murat vorsichtig auf den Boden gesetzt …

Der Homgori deutete dann mit der Hand nach links, wo eine langgestrecktes Steingebäude mit einer Säulenvorhalle sich erhob …

„Miß Agnes sehen, das alles stimmen,“ meinte er schlicht. „Murat jetzt Miß Mela holen wollen …“

Für ihn waren auch die verheirateten Frauen der Sphinxleute ‚Miß’ geblieben. So sehr er sich auch bemüht hatte, etwas Deutsch zu lernen, in der Hauptsache bediente er sich nach wie vor des Englischen, freilich untermischt mit deutschen Brocken, so daß dabei ein ebenso komisches wie fürchterliches Kauderwelsch herauskam.

Dann verschwand er mit der Laterne wieder im Kanal …

Agnes blickte ihm nach …

Sah nun auch die Gittertür, von der Murat gesprochen hatte.

Es war eine Tür aus irgend einem hellen Metall. In drei mächtigen Angeln hing sie an der linken Seite der Kanalmündung. Die Gitterstäbe reichten bis auf den Grund des Baches. An der rechten Seite aber war ein kunstvoller Hebelverschluß aus demselben Metall angebracht, so daß die Tür verschlossen werden konnte. Doch jetzt stand sie weit offen.

Eine laue Wärme herrschte hier in dieser köstlichen grünen Höhlenoase. Agnes empfand die Nässe ihrer Kleider daher auch keineswegs unangenehm.

Langsam, erfüllt von einer gewissen andächtigen Scheu, schritt sie am grünen Bachufer weiter.

Ihr Fuß versank in weichen, üppigen Gräsern … Und ein zarter Duft von mannigfachen blühenden Sträuchern wehte ihr entgegen, je mehr sie sich den ersten Bäumen näherte …

Bald entdeckte sie auch einen breiten Weg, der, mit Steinenfliesen sauber ausgelegt, durch diesen tropischen Park auf die Treppe des Tempels zulief …

Ein Tempel war’s …

Schon ein einziger Blick genügte, dies festzustellen.

Ein Tempel aus rötlichem Gestein – mit massigen, reich vergoldeten Säulen, über denen der spitze Giebel in Marmor ausgehauene Relieffiguren zeigte. Alles Symbole aus der altägyptischen Göttersage …

Da waren heilige Kühe, auf denen Gottheiten ritten … Krokodile, Katzen, Falken, – alles den Ägyptern heilige Tiere …

Das Mitteloval dieses bunten Giebelfeldes bildete das Bild einer Göttin mit einem langen Stabe in der rechten Hand.

Agnes entsann sich, daß diese Göttin nur die berühmte Isis sein könnte, die in dem religiösen Kult des alten Nilreiches den obersten Rang eingenommen hatte.

Ebenso langsam und getrieben von einer Neugier, die ihr sonst fremd, schritt die blonde Agnes nun die Steintreppe hinan …

Hinter der Säulenreihe in der Mitte ein breiter Durchgang ohne Türen … Dahinter eine einzige Halle … Mitten darin eine Statue, die fast bis zum Dach emporreichte …

Die Statuen einer auf einem quadratischen Marmorblock sitzenden Göttin – nackt, im Schosse ein Kindlein, auf dem Kopfe einen Putz von geschweiften Hörnern, zwischen denen eine grell strahlende Scheibe hing.

Ein seltsamer, geheimnisvoller Reiz ging von dieser Statue aus, deren Antlitz verschlossene Züge mit einem rätselhaften, halb grausamen Lächeln aufwies …

Agnes stand still und schaute zu der Figur empor.

Das Haar der Göttin hing über die Schultern herab und schien lauteres Gold …

Vergoldet auch die Brüste, die Hände … Selbst das Kindlein im Schoße der Statue schien reines Gold – matt glänzend …

Agnes regte sich nicht …

Das stark ausgeprägte Mütterliche diese Standbildes ließ in ihrer Seele weiche Empfindungen erwachen …

Sie kannte genug vom ägyptischen Götterkult. Auch dies war die Göttin Isis, die Gemahlin des Osiris, mit dem Knaben Boros … –

Agnes dachte an das keimende Leben in ihrem eigenen Schoße …

Unwillkürlich faltete sie die Hände …

Gedanken, die mehr einem Gebet glichen, durchzogen ihr Hirn … Ein Gebet für das Wohl des Kindes, das sie dem Gatten schenken würde …

Die feierliche Stille ringsum, der auch hier spürbare zarte Blumenduft, der an köstlichen Weihrauch erinnerte, senkten Frieden und Zuversicht in ihr Herz.

Wie lange sie so in selbstvergesser Andacht dagestanden haben mochte, wußte sie nicht …

Erst ein schwacher Ruf aus der Ferne rief sie in die Wirklichkeit zurück.

Sie horchte auf …

Murats mächtige Stimme war’s …

Nur die Lungen des Homgori vermochten so tiefe Kehllaute auszustoßen …

Sie wandte sich um und verließ den Isis-Tempel.

Da – von neuem derselbe Ruf … Jetzt klarer, deutlicher …

Von der Kanalmündung her …

„Miß Agnes, – – schnell herkommen!!“

Irgend etwas Unerwartetes, Bedrohliches mußte geschehen sein …

Agnes eilte weiter …

Durch den Tempelgarten …

Wieder am Bachufer dahin, – und erkannte schon von weitem, daß … die Gittertür mit den armdicken hellen Metallstäben jetzt geschlossen war …

Hinter der Gittertür im Bachbett standen Murat, Mela und … Mafalda …

Wirklich … Mafalda!!

Die Gesichter der Kameraden waren dicht an die Stäbe gedrückt …

Sie winkten …

Und wieder rief jetzt der Homgori:

„Weshalb Miß Agnes Tür verriegelt haben?!“

Ärger und Staunen war in Murat Stimme …

Agnes begann zu laufen …

War nun neben der Kanalmündung …

„Ich habe die Tür nicht versperrt!“ rief sie … „Ich tat es nicht … Ich begreife nicht, wie …“

„Rasch öffnen!“ unterbrach der Homgori sie …

Und er rüttelte an den Gitterstäben, daß die Tür leise klirrte …

Agnes suchte den Hebelverschluß zu öffnen …

Es gelang ihr nicht …

Das Riegelsystem bestand aus einem Gewirr von Stangen, Platten und Zahnrädern …

So kraftvoll Agnes auch den leicht erkennbaren Handgriff packte und bewegen wollte – er rührte sich nicht …

Sie keuchte vor Anstrengung …

Mit leiser Angst rief sie:

„Mein Gott, wer kann ich Tür nur verschlossen haben?! Es müssen doch noch Menschen hier in dieser grünen Höhle weilen …! Ich war im Tempel drüben … Habe dort nichts von Menschen bemerkt …“

Und von neuen setzte sie ihre Versuche fort, die Gittertür zu öffnen …

Wieder umsonst … Der Geheimverschluß spottete ihrer Anstrengungen …

Verzweifelt blickte sie die ihr so nahen und doch von ihr getrennten Gefährten an …

Mafalda meinte atemlos:

„Agnes, – die Marokkaner sind hinter mir her … Ein Zufall, daß auch ich ihnen entfliehen konnte … Ich werde den anderen Ausgang des Kanals bewachen … Mag Murat durch die Gitterstäbe hindurchlangen unter das Schloß öffnen …“

Und sie verschwand, nahm die Laterne mit, erreichte den jenseitigen Eingang, verbarg die Laterne zwischen Steinen und wartete … mit der schußfertigen Pistole in der Rechten …

Nicht lange …

Ben Safra tauchte auf – mit seinen Begleitern.

Aber er mußte umkehren …

Mafaldas Kugel schlug ihm seine Laterne aus der Hand …

Und ihre Stimme unterstützte diesen Warnschuß … –

Und an der anderen Seite des Kanals Murat mit seinen Riesenfäusten – erst nur wild aber planlos an dem Hebelverschluß rüttelnd, dann mit Überlegung arbeitend.

Er befühlte das kunstvolle Hebelwerk …

Probierte immer wieder …

Inzwischen besprachen Mela und Agnes flüsternd das Unbegreifliche. Wer nur hatte die Gittertür versperrt?!

Da stieß der Homgori einen heiseren Jubelruf aus …

Er hatte mit den Fingerspitzen einen Knopf entdeckt, ein Kettchen daran … Hatte an dem Kettchen gezogen … Und mühelos war der Knopf herausgeglitten, mit ihm ein Stäbchen …

Nun ließ sich der Griff herabdrücken …

Und die Gittertür bewegte sich, … Murat schob sie langsam auf …

„Mafalda holen!“ stieß er hervor …

Und wartete rasch in den Kanal hinein …

Agnes half Mela auf das grüne Ufer …

Angstvoll spähten die beiden Frauen nach den Bäumen und Büschen hinüber …

„Es müssen sich ihre Leute befinden,“ wiederholte Agnes von neuem …

Mela musterte den grasbedeckten Uferstreifen …

Flüsterte plötzlich:

„Agnes – dort, – – das ist Murats Fährte … Dort deine Spuren … Und dort eine dritte, die eines Menschen mit sehr langem Fuß … Die Abdrücke eines schmalen langen Männerstiefels … Und diese Fährte geht bis hier an diese Stelle – bis zur Gittertür, – hier hat der Betreffende wieder kehrtgemacht … Also hat er die Tür versperrt …! – Ja, es ist jemand hier … Es muß ein Europäer sein … Du erkennens deutlich die Eindrücke der Absätze, und die Form der Stiefelsohle ist trotz der Länge zierlich …“

Agnes bückte sich …

Richtete sich wieder auf …

„Du hast recht, Mela … Ein Mann war’s … Hier gerade vor uns ist die Spur in dem feuchten Erdreich klar eingeprägt … – Was tun wir nun?! Die Marokkaner hinter uns – und vor uns in dieser geheimnisvollen Tempelhöhle ein ebenfalls ein Mensch, der ist nicht gut mit uns meint …!“

Mela beruhigte die Erregte …

„Noch haben wir keine Veranlassung, uns mit allzu ernsten Bedenken zu quälen … Wenn der Mann, während du im Tempel warst, die Tür verriegelte, hätte er sich nachher noch immer deiner bemächtigen können … Er tat das nicht … Mithin kann er kaum ernstlich Böses im Schilde führen … Und da sind auch Murat und Mafalda schon … Jetzt brauchen wir uns nicht mehr zu ängstigen … Alles wird sich aufklären …“

Mit dem Erscheinen Mafaldas hier in der Tempelgrotte trat sofort insofern ein Umschwung ein, als sie jetzt, schon von Natur überall zu einer führenden Rolle bestimmt, mit dem ihr eigenen Zielbewußtsein alle nötigen Anordnungen traf.

Die anderen waren hiermit sehr einverstanden. Murat sah sich so von einer Verantwortung befreit, der er geistig nicht voll gewachsen war, und Agnes und Mela hatten im Kreise der Sphinxleute nur selten und im äußersten Notfall selbstständig gehandelt.

Mafalda ließ durch den Homgori die Gittertür wieder verschließen. Dann mußte Murat aus dem neben der Kanalmündung lose herumliegenden Blöcken vor dem Gitter im Bachbett eine Barrikade errichten …

Während Murat damit beschäftigt war, einen Steinwall aufzuhäufen, prüfte auch Mafalda die Spuren des Fremden. Sie hatte in ihrem abenteuerlichen Leben manches gelernt, was anderen Frauen verschlossen bleibt. So besichtigte sie denn die in das Erdreich eingedruckte Fährte mit aller Sorgfalt und erklärte, daß es sich um derbe, genagelte Gebirgsstiefel handele …

„Der lange, schmale Fuß deutet auf einen Engländer hin,“ fügte sie sehr bestimmt hinzu. „Der Mann geht zudem stark auswärts, und auch das ist ein Kennzeichen für einen Europäer, da zum Beispiel die meisten Orientalen die Füße einwärts setzten … – Im übrigen gebe ich Ihnen völlig recht, Mela, dieser Mann, sei es wer es sei, wird uns kaum gewalttätig gegenübertreten … Er hätte sonst Agnes ja unschwer gefangennehmen können …“

„Und – wie mag dieser Fremde hier in die der Öffentlichkeit doch ganz unbekannten Höhengebiete gelangt sein?“ fragte Mela Dalaargen gespannt …

„Da könnte man nur Mutmaßungen aufstellen,“ erwiderte Mafalda und erhob sich, nachdem sie sich nochmals tief über die Spur gebückt hatte. „Vielleicht ist es einer der Touristen, die vor Wochen in so großer Zahl aus allen Weltgegenden nach Christophoro strömten … Vielleicht ist der Mann aus Forscherdrang allein in diese Unterwelt eingedrungen und hat dabei den unterirdischen Weg entdeckt, der die beiden Werters bis zur Aztekenhöhle führte. Man könnte hier vielerlei kombinieren. Aber all das ist zwecklos. Wir werden den Fremden schon zu Gesicht bekommen und sprechen können …“

Inzwischen hatte Murat den Steinwall fast vollendet. Das Wasser des Baches wurde durch dieses Hindernis so hoch gestaut, daß es den Kanal fast bis zur Deckenwölbung ausfüllte. Man brauchte die Marokkaner momentan nicht zu fürchten, das sie es kaum wagen würden, den Kanal zu betreten.

So konnte Mafalda denn getrost den Homgori als Späher nach dem Isis-Tempel vorausschicken. Sie selbst, Agnes und Mela folgten ihm in einiger Entfernung.

Auch Mafalda, die nun erst Zeit fand, diese Höhlenoase in Ruhe zu betrachten, war überrascht von der zauberhaften, fast unwirtlichen Schönheit dieses Anblicks.

Noch überraschter war sie über die Ausdehnung des grünen, üppigen Gartens, dessen Palmengruppen Stämme von mächtigem Umfang aufwiesen.

Bei der näheren, durch nichts gestörten Besichtigung der Grotte stellte sich heraus, daß der Garten einst mit äußerster Sorgfalt angelegt gewesen war, jetzt jedoch zumeist eine fast undurchdringliche Wildnis bildete …

Alle Wege waren ursprünglich mit Steinplatten belegt gewesen, nunmehr freilich vom Wildwuchs fast völlig überwuchert …

Die Grotte selbst war etwa kreisförmig und mochte einen Durchmesser von tausend Meter haben. Der Bach durchschnitt sie in langen Windungen. Mehrere Steinbrücken führten über das kleine Gewässer, das dann am anderen Ende der Höhle sich zu einem kleinen Teich ansammelte und unsichtbar in den Tiefen der Erde wieder verschwand.

Diese erste Besichtigung, die vielleicht eine halbe Stunde in Anspruch genommen hatte, und nur sehr oberflächlich erledigt werden konnte, weil man den Steinwall und die Gittertür doch nicht allzu lange unbewacht lassen wollte, ergab jedenfalls eins mit ziemlicher Sicherheit, diese grüne Grotte besaß nur den einen jetzt doppelt versperrten Zugang.

Dann aber hatte man auch – und dies war wichtig, – an vielen Stellen genau dieselben Spuren der genagelten Stiefel gefunden, – – nur den Besitzer dieser Stiefel nicht! Der blieb, und er mußte wohl seine Gründe dazu haben, genau so unsichtbar, wie der Abfluß des Baches aus dem kleinen Teich, an dessen Ufern sich eine besonders üppige Vegetation entwickelt hatte …

„Also doch nur ein einzelner Mann!“ hatte Mafalda erklärt, als man immer nur auf dieselben Fährten stieß. „Einen sichereren Beweis gibt es wohl kaum! – Und jetzt wollen wir uns zum Schluß den Tempel ansehen … Murat mag derweil draußen Wache halten … Vielleicht findet er auch heraus, wohin die meisten dieser Stiefelspuren sich wenden … So könnten wir den Schlupfwinkel des Fremden womöglich entdecken …“

Dann standen sie zu dreien vor dem mächtigen Steingebilde der Isis. Und auch auf Mafalda und Mela wirkte dieses genau so wie auf Agnes vorhin. Es war etwas Widerspruchsvolles, Zwiespältiges in den Zügen der Göttin, und aus diesem Zwiespältigen wuchs für den Beschauer ein leises, ganz leises Grauen, verbunden mit einer nicht wegzuleugnenden feierlichen Andacht hervor …

„Man kann sehr wohl begreifen,“ meinte Mafalda leise, „daß einst vor Jahrtausenden, als noch der Isis-Kult nicht nur von den Ägyptern, sondern auch von Griechen und Römern gepflegt wurde, eine solche Statue auf die breite Masse des Volkes einen besonderen Einfluß ausübte … Wir sind hier drei Europäerinnen, Kinder einer modernen Zeit, und unterliegen trotzdem demselben Einfluß … Diese weite leere Halle, mitten darin die Gottheit mit dem seltsamen Lächeln… Eine Vergangenheit umweht uns, von der wir viel zu wissen glauben und im Grunde – gar nichts wissen… Jedenfalls nichts von all dem mystischen Beiwerk, der bei den Isis-Kult eine so große Rolle spielte.“ Und zu Mela gewandt: „Es ist schade, daß wir Ihren Vater nicht hier haben. Der würde uns gewiß so manches Interessante über die Göttin Isis angeben können … Er wird sich fraglos auch hiermit beschäftigt haben, denn die Alchimisten des Mittelalters, deren Tun und Treiben ihm so vertraut ist, sind letzten Endes nur die Nachfolger jener ägyptischen Magier, deren Geheimkünste nach den auf uns überkommenen Papyrusschriften der Welt stets ein Rätsel bleiben werden …“

Mafalda hätte vielleicht noch mehr hinzugefügt …

Hinter ihnen jedoch flüchtige tappende Schritte …

Sie fuhren herum …

Es war Murat …

Murat mit einem länglichen Leinenbündel im Arm.

Dieses Bündel bewegte sich … Aus den Falten schaute das rosige Gesicht eines blonden Säuglings von vielleicht vier Monaten hervor …

Aus graublauen großen Augen blickte das Kindlein die drei Frauen an …

„Mein Gott – – ein Kind!!“ rief Agnes … „Murat, wo hast du es her …?! Wie ist denn dieses zarte Wesen hier in die Unterwelt gelangt?!“

Murat hielt das liebliche kleine Geschöpf sehr ungeschickt … Er wußte nicht recht, wie er damit umgehen sollte …

Und brummte nun:

„Draußen unter Palmen noch ein Steinhaus, Miß Agnes … Ganz versteckt … Dort Kind gefunden haben … Sonst Murat niemals Weg in das Dickicht bis kleine Haus entdeckt hätte …“

„Was für ein Haus ist’s?“ wollte Mafalda wissen … „Beschreibe es näher … Oder nein, eilen wir hin! Dieses Kind muß ja zu dem Fremden in engster Beziehung stehen …“

Murat schüttelte jedoch energisch den Kopf …

„Besser nicht hingehen, Miß Mafalda … Das dort nichts sein für Miß Agnes und auch nicht für Miß Mela … Sein zu … aufregend …“

„Weshalb?! Inwiefern?!“

Murat warf einen eigentümlichen Blick auf die Statue der Göttin Isis …

„Oh, das sich nicht so sagen läßt, Miß Mafalda … Sein so etwas wie das da …“

Er zeigte auf die Göttin …

Mafalda wurde ungeduldig …

„Dann nehmen Sie das Kind, Agnes,“ meinte sie sehr bestimmt … „Murat soll mich dorthin führen … Er tut ja gerade so, als ob …“

Sie brach mitten im Satz ab …

Draußen war ein Schuß gefallen …

Das Echo Schusses rollte immer wiederkehrend durch die grüne Grotte, bis es endlich verstummte …

Schon hatte Agnes dem Homgori das Kind aus den Armen gerissen, da er es vor Schreck über dieses Getöse des Echos beinah fallen gelassen hätte …

Dann war er wie ein Blitz draußen … und Mafalda hinter ihm drein …

Mit entsetzten Augen starrten Agnes und Mela sich an …

Aber seltsam friedlich und beruhigend erhob nun der Säugling seine Stimme zu einem lustigen Krähen, strampelte mit Händchen und Füßchen und hatte sehr bald die Leinwandhülle soweit zur Seite geschoben, daß das zarte Körperchen völlig bloßlag …

Da sahein Agnes und Mela, daß es ein Mädchen war …

Ein reizendes winziges Geschöpf mit einem altertümlichen Goldkettchen um den Hals, an dem als Anhänger eines Scarabäus befestigt war, einer jener goldgrün gepanzerten großen Käfer, die von den Ägyptern für heilig gehalten wurden …

 

19. Kapitel.

Das silberne Armband.

Wenn ein Zauberer imstande gewesen wäre, die östlich der grünen Grotte gelegenen Felsmassen in einer Breite und Stärke von fünfzig Meter zu entfernen, so würde auf diese Weise die Verbindung mit einer anderen Höhle hergestellt worden sein – mit der, wo jetzt die Sphinxleute aufs neue lagerten, nachdem Gaupenberg nach den Vorgängen in dem Felsentunnel oberhalb der Festung die Marokkaner durch Dr. Falz’ energisches Eingreifen gezwungen worden war, vorläufig nichts weiter zur Befreiung der Frauen zu unternehmen und das Lager in die nächste Grotte zurückzuverlegen, weil das lebhafte Karabinerfeuer der Marokkaner bereits zwei der Getreuen des Grafen verwundet hatte und eine zu dringende Gefahr bestand, daß die Verluste sich noch vermehren könnten.

Gaupenberg hatte, als Agnes in den Wasserfall hinabglitt, genau so wie Dalaargen, der seine geliebte Mela in derselben Felskluft verschwinden sah, die ihn zurückhaltenden Freunde beiseite stoßen und sein Leben durch einen Sprung in die Festung hinab zwecklos aufs Spiel setzen wollen …

Dann hatten die Kugeln der Marokkaner, die um ihn herum wie Hagelschlossen gegen das Gestein des Ganges klatschten, ihn doch etwas zur Besinnung gebracht, mehr noch die beiden leisen Aufschrei Gußlars und Hartwichs …

Der Kurländer war mit einem Stirnstreifschuß weggekommen, während Georg Hartwich der linke Oberarm durch einen Geschoßsplitter übel zugerichtet wurde …

Alle hatten sich niedergeworfen, und dicht über sie hinweg fegte nun die Kugelsaat der braunen Gegner.

Steinstücke, Bleispritzer und Splitter der Geschoßmäntel ritzten auch anderen noch die ungeschützten Körperteile: Hals, Gesicht, Hände …

Dann war Dagobert Falz vom Lager her hier oben erschienen und hatte, nachdem Gaupenberg ihm die nötigen Erklärungen zugerufen, sehr bestimmt verlangt, den Gang zu räumen …

„Für Mafalda können wir vorläufig nichts tun,“ sagte er mit jener ruhigen Entscheidung, die er in besonderen Momenten noch stets gezeigt hatte. „und um Agnes und Mela brauchen wir uns ebensowenig zu sorgen, denn Murat ist bei ihnen …“

Gaupenberg gab nach …

Eine halbe Stunde später hatten die Sphinxleute das neue Lager bezogen.

Diese Grotte hier bot mancherlei Vorteile. Sie war nicht allzu groß, und die Verbindung zu der bisher besetzt gehaltenen bildete ein kurzer, schmaler Tunnel, der leicht zu verteidigen war.

Immerhin hatte man an dem früheren Lagerplatz dicht vor der Felsspalte, die oben an der Höhlendecke den Eingang zu dem Verbindungswege nach der Festung Ben Safras darstellte, im Dunkeln zurückgelassen: den Seminolen Ozzeola und Pasqual Oretto, den wackeren Portugiesen … –

Gußlar und Hartwich waren von Dr. Falz inzwischen verbunden worden. Ihre Verletzungen waren zwar nicht wirklich schwer, machten es ihnen jedoch für längere Zeit unmöglich, irgendwie mit tätig zu sein.

Man hatte jetzt auf das Errichten von Zelten verzichtet, da bei einer kurzen allgemeinen Beratung der Einsiedler von Sellenheim darauf hingewiesen hatte, daß man in jeder Minute zu Flucht vor den vielleicht eindringenden Ozeanwassern bereit sein müsse …

„Einige von uns,“ betonte Falz, „haben ja mit eigenen Augen beobachtet, wie der bisher sehr schwache Wasserstrahl, der durch das Ozeanfenster herabspritzte, urplötzlich an Stärke in bedrohlichster Weise zunahm. Wenn ich nun auch nicht gerade befürchte, daß die Vulkanglasschicht völlig bersten könnte, so ist doch Vorsicht am Platze …“

Kein Wunder, wenn all diese Ereignisse der letzten Stunden die kleine Schar Gaupenbergs auch weiterhin in fieberhafter Spannung hielt …

Gaupenberg, Dalaargen und Tom Booder suchten unermüdlich auch die benachbarten Grotten ab in der Hoffnung, vielleicht irgendwo den unterirdischen Bach, in dessen Kanal Murat, mit den beiden Frauen hinab sich geflüchtet hatte, wieder zutage treten zu sehen…

Kein Wunder auch, daß Werner von Gußlar, der sich um Mafalda den ernstesten Besorgnissen hingab, immer wieder verlangte, man solle ihn nicht länger auf seinem Lager von Decken zurücklassen … Er müsse unbedingt im Interesse Mafaldas irgendetwas tun …

Aber seine beiden Pflegerinnen, das Prinzesschen Tonerl und die so überaus energische Gipsy, hatten von Falz strenge Verhaltungsmaßregeln bekommen und drückten den ungeduldigen, durch den Blutverlust erschöpften Gußlar stets von neuem in die weichen Decken zurück.

Währenddessen hatten Don José Armaro und die beiden Söhne des Farmers Werter die Fertigstellung der gemeinsamen Mahlzeit übernommen …

Nebeneinander saßen die drei an dem unter dem großen Kessel lohenden Feuer …

Armaro, der vom Schicksal so hart gestrafte Greis, berichtete mit seiner müden, zerbrochenen Stimme den beiden jungen Leuten über seine abenteuerliche Ozeanfahrt, die ihn schließlich auch ans Ziel, auf die Insel Christophoro, geführt hatte …

„Dort … habe ich als Einsiedler büssen und sterben wollen,“ sagte er nun mit einem wehmütigen Lächeln … „Gott hat es anders gewollt … Gott hat mich wieder mit denen in Frieden vereinigt, denen ich einst zu schaden suchte … Ich … habe wieder an Gott glauben gelernt …“

Gerade da gesellte sich auch der alte Werter zu den dreien …

Er hatte soeben auf eigene Faust die Nebenhöhlen durchforscht, wandte sich nun an seinen Ältesten, indem er ihm auf der flachen Hand einen blitzenden Gegenstand hinhielt …

„Fritz, erkennst um dies silberne Armband wieder? – Schau es dir mal genau an, mein Junge … Es besteht aus kleinen antiken Münzen … Gerade deshalb fiel es mir einst auf …“

Fritz Werter rief sofort:

„Vater, gewiß erkenne ich’s … Ich sah’s zuletzt am Handgelenk der jungen Engländerin, die zusammen mit ihrem Gatten vor ein paar Jahren – ja, drei Jahre sind es her! – bei uns auf der Farm sich einstellte und die so überaus neugierig war … Wo hast du das Schmuckstück jetzt her, Vater?“

„Gefunden … Dort drüben, wo das Vieh untergebracht ist … Ich kam soeben dort vorüber … Die Schafe waren so merkwürdig unruhig … Ich glaubte schon, daß irgend ein Höhlengetier sie erschreckt hätte, vielleicht einer der leuchtenden Grottenmolche … Aber ich sah nichts derartiges … Nur als ich das Steingeröll mit dem Fuße beiseite schob, funkelte etwas dort im Laternenlicht … Und so hob ich denn dieses Armband auf … – Weißt du, mein Junge, daß dieser Fund mich nun auf einen ganz besonderen Gedanken gebracht hat …?! Du besinnst dich, wir behielten das englische Ehepaar getreu des Bestrebens, unsere Einsamkeit durch keine Fremden stören zu lassen, nur wenige Stunden bei uns … Dann ritten die beiden wieder davon …“

„Ja – und ich begleitete sie bis zum Sumpfgürtel der Lichtung, damit sie den schmalen Pfad nicht verfehlten …“

„Gewiß, – und wir nahmen an, die beiden würden auch wirklich nach dem Nil zurückkehren … Aber – das kann nicht stimmen, mein Junge … Dieser Sir Morton und seine junge Gattin hatten uns erklärt, sie befänden sich auf einer Forschungsreise … Morton war Gelehrter, studierte so die alten Ruinen an den Nilufern und grub nach allerlei vermoderten Dingen … Auch uns fragte er ja, ob wir ihm nicht irgendwo Überreste alter Siedlungen und Bauten zeigen könnten … Und seine Frau hat damals ein so verdächtiges Interesse für den Höhleneingang neben unserer Farm an den Tag gelegt … – Weißt du, mein Junge, die Mortons sind in die Höhle eingedrungen, sind eben heimlich nachts zurückgekehrt! Das muß so sein! Wie käme sonst wohl dieses Armband dort in das Geröll?!“

Fritz Werter war aufgesprungen …

„Vater, du hast recht … Ich erinnere mich jetzt … Damals kurz nach dem Besuch der Mortons fanden wir doch eines Morgens unsere Hunde draußen betäubt auf … Wir nahmen damals an, daß sie irgendetwas giftiges gefressen haben müßten … Aber – die Mortons werden ihnen etwas hingeworfen haben, das sie einschlafen ließ … Ja, ja, Vater, – so ist’s – und nicht anders …! Frau Morton hat’s ja so trefflich verstanden, unsere Schwester auszuhorchen … Sie ahnten wohl, daß es mit dem Höhleneingang seine besondere Bewandtnis habe … Und so sind sie denn in die Tiefen der Erde eingedrungen, sind auch bis hierher gelangt und werden längst wieder an der Oberwelt sein … Drei Jahre sind’s ja her, Vater … Drei Jahre!!“

„Natürlich sind sie längst wieder daheim in London,“ nickte der alte Werter … „merkwürdige ist’s aber doch, daß wir nun gerade hier wieder und nach so langer Zeit an das Ehepaar erinnert werden! – Gib mir das Armband wieder her, mein Junge … Ich will’s dem Grafen zeigen, auch Dr. Falz … Die Geschichte wird die Landsleute wohl interessieren, denke ich …“

Und er schritt davon …

Traf Dagobert Falz neben dem Stangengerüst, an dem auch hier die Laternen hingen …

„Herr Doktor,“ sagte er ernst, „ich habe da vorhin einen besonderen Fund gemacht …“

Und er erzählte … Zeigte das Armband …

Falz hörte aufmerksam zu …

Fragte dann: „Also drei Jahre sind das her, lieber Herr Werter?“

„Ja … ungefähr …“

„Hm – halten Sie es denn für möglich, daß dieser Morton unbemerkt das Höhlengebiet wieder durch den Ausgang neben Ihrer Farm verlassen hat? Unbemerkt von Ihnen und den Ihrigen? Die Hunde kenne ich ja … Die Tiere sind doch sehr scharf und wachsam … Fanden Sie sie denn nochmals betäubt auf?“

„Nein, das nicht …“ Der alte Werter wurde sehr nachdenklich … „Nein, wir haben nichts gemerkt, Herr Doktor … Und das erscheint auch mir sonderbar …“

„Ja,“ nickte Falz, „zumal es doch so gut wie aus geschlossen ist, daß die Mortons etwa bis Christophoro, also bis zur Aztekenhöhle vorgedrungen sind, denn vor drei Jahren bestand das unterirdische Reich der letzten Azteken noch, und König Mataguma hätte das Ehepaar im Interesse der Geheimhaltung seiner Höhlenkolonie niemals entschlüpfen lassen! Nach Christophoro können die Mortons sich also nicht gewandt haben. Und wenn Sie und die Ihrigen anderseit inzwischen nichts irgendwie Verdächtiges davon gespürt haben, daß Fremde in der Nähe Ihrer Farm aufgetaucht sein könnten, dann …“

Er machte eine Pause, zuckte die Achseln …

„… dann muß man eben annehmen, daß die Mortons hier in der Unterwelt umgekommen sind …“

„Allerdings, allerdings,“ bestätigte auch der alte Farmer diese Mutmaßung. „Vielleicht haben sie sich verirrt – gerade so wie Mafalda vor fünf Tagen, Herr Doktor … Vielleicht waren sie nicht so klug wie Mafalda, den die Höhlen durchstreifenden Luftzug als Wegweiser zu benutzen … – Ja, es wird schon so sein, Herr Doktor … Verirrt und verhungert – ein entsetzliches Schicksal …! Schade um die beiden … Es waren eigentlich liebenswürdige, nette Menschen … Daß sie aus Forscherdrang so überaus neugierig waren, darf man ihnen nicht weiter verargen … Morton war wohl sehr reich … Jedenfalls seiner Ausrüstung nach … Er hatte die Trägerkolonne seine Expedition außerhalb des Sumpfgürtels unserer Lichtung zurückgelassen … Er nannte sich Ägyptologe, also Spezialgelehrter auf dem Gebiet altägyptischer Kultur … – Nun, uns geht das traurige Los des Ehepaares nichts weiter an. Es läßt sich daran nichts mehr ändern – wir können sie nur von Herzen bedauern. Wenn Morton mir gegenüber mit offenen Karten gespielt hätte, würde ich ihn gewarnt haben … Ich selbst hatte ja damals noch nicht das Wagnis unternommen, tiefer in die unendlichen Grotten einzudringen, hatte einfach kein Interesse daran. Auf meiner Farm gab’s allezeit übergenug Arbeit …“

„Vielleicht finden wir zufällig die Leichen des Ehepaares,“ meinte Falz nun, indem er das Armband nochmals betrachtete …

Werter schien noch etwas anderes auf dem Herzen zu haben …

Schaute vor sich hin, hob den Kopf und sagte:

„Herr Doktor, Sie könnten mich eigentlich einmal mit zur Schafhürde begleiten … Ich habe ja noch immer nicht feststellen können, weshalb die Tiere so unruhig sind … Es muß dies einen besonderen Grund haben. Und in unserer Lage sollten wir auf alles achten …“

„Gewiß. Ich komme mit …“

Und die beiden Männer schritten tiefer in die Höhle hinein.

Dort, wo diese sich teilte, und mehrere kleine Felsenhallen abzweigten, war aus Steinen eine Hürde für die Schafe errichtet worden, die an die Westwand der Grotte stieß.

Auch hier brannten eine Laterne und zwei Fackeln.

„Da – sehen Sie nur, Herr Doktor!“ rief der Farmer. „Wieder stehen die Schafe dicht zusammengedrängt mit den Köpfen nach der Felswand hin, als ob sie am liebsten in das Gestein hineinkriechen möchten …“

„Sonderbar, sonderbar!“ erklärte auch der Doktor … „Wo lag das Armband denn, lieber Werter?“

„Ebenfalls ziemlich dicht an der Felswand im Geröll …“

Falz stieg über die Hürde …

„Reichen Sie mir doch bitte mal die Laterne …“

Der Farmer tat’s und folgte dem Doktor, scheuchte die Tiere davon und musterte nun gleichfalls das rissige dunkle Gestein der Wand …

„Ich bemerke nicht auffälliges,“ sagte der Doktor kopfschüttelnd.

„Ich auch nicht …“

„Und doch muß irgen detwas hier vorhanden sein, das die Schafe nicht gerade erschreckt, sondern gleichsam anlockt … – eben wir nach der Wand hin …“

„Anlockt – hm – das ist der richtige Ausdruck,“ nickte Werter … „Ja – anlockt!! Ich habe vorhin schlecht beobachtet … Die Tiere sind nicht durch irgend etwas in Angst versetzt worden, sondern vielmehr … neugier …! Sie wittern etwas … Vielleicht enthält das Gestein gar eingesprengte Salzstücke … Danach ist alles Vieh geradezu wild, Herr Doktor …“

Wiederum bückte sich Falz und leuchtete die Felswand langsam ab …

„Hier ist nichts von Gesteinsalz zu entdecken, lieber Werter …! Man würde es unschwer erkennen, da es immer heller als dieses Urgestein ist … Nein, auch um Salzhunger der Tiere kann es sich nicht handeln … – Die Sache bleibt mir rätselhaft … Wir dürfen jedoch nicht nachlassen, diesen Dingen auf den Grund zu kommen … Sie hatten vorhin ganz recht, Landsmann, unsere Lage erheischt Wachsamkeit in jeder Beziehung –! Wir dürfen diesen Ort nicht verlassen, bis wir alles aufgeklärt haben … Wir wollen einmal die Felswand mit einem Stein prüfen, auch mit den Händen, in jede Ritze hineingreifen … Es muß sich etwas finden lassen, das …“

Er schwieg …

Und er und Werter waren beide leicht zusammengezuckt …

Ein dumpfes Rollen war an ihr Ohr gedrungen.

Ein Rollen, wie der Nachhall des Donners bei einem Gewitter im Gebirge …

„Das – war ein Kanonenschuß!“ rief Falz … „Ah – noch einer …!! – Landsmann, diese Schüsse kann nur Randercild abgegeben haben … Er hat auf seiner Jacht zwei Schnellfeuergeschütze … Vielleicht hatt er sie mitgenommen … Es muß so sein …!“

„Mr. Falz, drüben in der Grotte ist Gewehrfeuer zu hören … Pasqual läßt Sie bitten, einmal nach vorn zu kommen …“

Dann auch schon hinter ihnen des Seminolen Stimme …

So eilten denn Falz, Werter und Ozzeola davon …

Auch die anderen im Lager Anwesenden wollten ihnen folgen. Falz winkte ab …

„Bleibt zurück, meine Freunde … Aber haltet euch bereit!“

Und die drei verschwanden in der Dunkelheit der langgestreckten Grotte, in der noch vor zwei Stunden die Sphinxleute sich aufgehalten hatten …

Ozzeola blieb stehen …

„Mr. Werter, die Laterne bitte löschen …“

Werter tat’s …

Dann nahm der Seminole des Doktors Hand, und dieser wieder die des alten Farmers … So führte Ozzeola sie leise zu der Stelle hin, wo Pasqual Oretto in dieser undurchdringlichen Finsternis vor der Felsöffnung Wache hielt …

Pasqual meldete sich flüsternd …

„Hierher …!! – Sind Sie’s, Herr Doktor …? – – Die Schüsse sind wieder verstummt … Die beiden Kanonenschüsse müssen Sie gehört haben … Das war Randercild …“

„Ohne Zweifel, Pasqual … Und er ist angegriffen worden …“

„Ohne Erfolg, Herr Doktor … Das Karabinerfeuer brach jäh wieder ab … Mithin haben die Marokkaner sich nur blutige Köpfe geholt…“

Falz schaute zur Felsspalte nach oben …

Dort schimmerte nur ein ganz schwacher Lichtschein.

„Zwei Posten liegen hinter den Steinen,“ flüsterte Pasqual wieder …

Dann lauschten die fünf …

Alles blieb still …

Falz fragte den Seminolen, von dem er auch nicht die Spur wahrnehmen konnte:

„Ozzeola, wie denken Sie über diese Schüsse?“

Aus der Finsternis die tiefe, gedämpfte Stimme des Indianers:

„Der Angriff ist nicht geglückt, Mr. Falz … Die Marokkaner sind abgeschlagen worden …“

„Dann müssen wir jetzt vielleicht mit einem Überfall rechnen?“

„Das glaube ich nicht, Mr. Falz … Ben Safra hat schon zu viel Leute verloren … Er wird nichts mehr unternehmen – jedenfalls vorläufig nicht! Und überfallen kann er uns nicht … Wir haben ja da vor uns den Haupttunnel durch die Barrikade gesperrt, und über dieses Hindernis kommt niemand geräuschlos hinüber. Meine Ohren sind scharf …“

„Gut, gut, Ozzeola … Trotzdem werde ich die Unsrigen bereithalten … Sollte etwas verdächtiges zu hören sein, so bleibt es bei dem verabredeten Alarmruf …“

Werter meldete sich …

„Herr Doktor, ich will den beiden hier Gesellschaft leisten … Ich als Jäger kann hier von Nutzen sein, und …“

Eine andere Stimme da – von oben aus der Felsspalte, unverkennbar Ben Safra selbst …

Er lag hinter der Brustwehr von Steinen, rief hinab:

„Hier ist Ben Safra … Ich möchte mit dem Grafen Gaupenberg unterhandeln … Wir sind bereit, unter bestimmten Bedingungen Frieden zu schließen.“ –

Was war geschehen, daß der energische Marokkanerführer nun plötzlich nachgeben wollte?! –

Kehren wir also zunächst einmal in die Grottenfestung zurück …

Hier hatte der alte Ibrahim mit fünf Mann den Kanal des Baches durch die Felskluft und dem Wasserfall betreten …

Waren mühelos in die kleine Halle gelangt, hatten diese durchschritten, fanden dann jedoch die Öffnung am anderen Ende der Halle, wo der Bach abermals durch die Gesteinmassen seinen Weg nahm, bis oben mit Wasser gefüllt. Murats Barrikade hinter dem Gitter in der grünen Grotte hatte den Zugang so wirksam verschlossen, daß Ibrahim unverrichteter Sache umkehren mußte. Die Frauen und das ‚Affenvieh’ waren entschlüpft, hatten sich in Sicherheit gebracht, und es gab kein Mittel, sie weiter zu verfolgen.

Enttäuscht und in grimmer Wut meldete Ibrahim nun Ben Safra, daß jeder fernere Versuch, der Frauen wieder habhaft zu werden, zwecklos sei …

Ben Safras Gesicht wurde noch finsterer …

Nichts als Fehlschläge, nichts als Vorfälle, die nur zu sehr geeignet waren, seine Leute wieder kleinmütig zu machen …!

„Dann räumt den Steindamm weg, der die andere Seite des Baches aufstaut!“ befahl er kurz. „Wir werden durch den Bachkanal die Amerikaner angreifen …! Beeilt euch!“

Er stand neben dem Felsgerüsts, unweit der in das Ozeanfenster eingemeißelten Öffnung, aus der noch immer nur ein dünner Wasserstrahl herabspritzte … Der Stein, der als Hindernis sich dort oben in dem Abflußloch festgekeilt hatte, rührte und regte sich nicht.

Ben Safras dunkle Augen blickten starr aufwärts zu der grünlichen Schicht des Vulkanglases …

Starr und in verbissener Energie!

Mochte sich auch alles gegen ihn verschworen haben, er konnte und wollte seine Pläne nicht aufgeben! Er mußte das Spiel gewinnen – mußte!!

Was lag schließlich auch an den entflohenen Gefangenen?! Wenn er jetzt die Amerikaner beseitigte, und es dann nur noch mit den Sphinxleuten zu tun hatte, war der Kampf so gut wie entschieden! –

Seine Leute hatten in kurzem den Steindamm geöffnet, und die nun wieder befreiten Wasser des Baches stürzten in mächtigen Wogen in die Kluft hinab, so daß der Wasserfall diese fast völlig ausfüllte …

Nun war der Kanal wieder passierbar … Und diese Seite des Baches führte jetzt Ben Safra und fünfzehn seiner Leute in den Rücken des Feindes, der dort nach Norden zu die Festung belagerte.

Aber auch diese Rechnung Ben Safras war falsch.

Randercild hatte hier auf Mac Leans dringenden Rat einen Posten dort aufgestellt, wo der Kanal endete und wo Ozzeola vor Stunden spurlos verschwunden war …

Dieser Posten, der neben sich eine große Schiffslaterne stehen hatte, deren Licht das Bachbett beschien, war von Randercild und Steuermann Mac Lean ganz genau instruiert worden, die Kanalmündung dauernd im Auge zu behalten.

So konnte es dem jungen Matrosen kaum entgegen, daß die Wassermenge im Kanal plötzlich beträchtlich abnahm …

Ja – das Wasser fiel …

Der Bach wurde flacher …

Und dies mußte unbedingt etwas zu bedeuten haben!

Der Matrose sagte sich sofort, daß bei diesem niedrigeren Wasserstand der bisher unpassierbare Kanal vielleicht bequem zu durchwaten sei …

So lief er denn schleunigst durch die beiden Höhlen, die Randercilds Schanze von dem Bache trennten, und meldete atemlos dem kleinen Milliardär das eben beobachtete …

Randercilds Bocksgesicht leuchtete auf …

„Mac Lean,“ sagte er zu dem Schotten, „merken Sie was?! Ben Safra will uns überrumpeln! Er hatte den Bach aufgestaut! – Lassen Sie jetzt sofort eins der Geschütze aus unserer Barrikade zurückziehen. Sie bleiben mit zehn Mann hier … Wir werde die Marokkaner empfangen!!“

Nein – Ben Safras Rechnung ging nicht auf …!

Gewiß – den Kanal konnte er mit seinen fünfzehn Leuten ohne Schwierigkeiten passieren … Als er dann den Ausgang des Kanals vor sich sah, schickte er zunächst einen der jüngsten Marokkaner als Späher voraus. Dieser Bursche fand alles ringsum in tiefe Dunkelheit gehüllt, suchte nun, auf allen Vieren kriechend, das Gelände vor dem Kanal ab – ohne Laterne …

Wollte dann im Bugen zu den Seinen zurück …

Plötzlich legten sich zwei nervige Matrosenhände um seinen Hals …

Ebenso plötzlich drückten ihn andere unsichtbare Gegner zu Boden …

Auch nicht einen einzigen Laut konnte er ausstoßen …

Man schleppte ihn halb erwürgt davon – in eine der Seitengrotten …

Licht blitzte dort auf …

Man gab seinen Hals frei …

Aber ein sonngebräunter amerikanischer Maat setzte ihm nun die Spitze seines Dolchmessers fest auf das Herz … Und Randercild beugte sich über ihn, flüsterte ihm zu:

„Wenn du nicht antwortest, bist du verloren, mein Sohn!! – Ihr wolltet uns überfallen. Ihr habt den aufgestauten Bach wieder abfließen lassen … Wenn ihr die Frauen noch als Geiseln gegen uns ausspielen könntet, würdet ihr kaum diesen Angriff geplant haben … Also deutet die Schießerei vor einer halben Stunde mit ziemlicher Sicherheit darauf hin, daß die Frauen entweder entflohen oder euch entführt worden sind … – Stimmt das?“

Der Marokkaner schwieg …

Randercild lächelte drohend …

„Mein Sohn, du hast nur ein Leben zu verlieren!! Hier geht es hart auf hart …! Wenn du nicht antwortest, lassen wir dich laufen, werden aber deine Stammesgenossen dann genau wie dich niederknallen – ohne Schonung! Sagst du dagegen die Wahrheit, so werde ich deine Sippe nur mit ein paar Beinschüssen verscheuchen! Du hast also dein eigenes Leben und das deiner Gefährten allein in der Hand. – Sind die Frauen noch in eurer Gewalt?“

Der Marokkaner schüttelte den Kopf …

„Wie sind sie entflohen?“

Der junge Bursche erzählte widerstrebend …

Von Pattersons Tod, von Murats kühner Flucht in den Wasserfall, von Mafaldas Entweichen …

Er machte nicht viel Worte. Was er sagte, trug den Stempel der Wahrheit.

Dann wurde er wieder zurück in die dunkle Haupthöhle geführt …

Inzwischen hatte jedoch Ben Safra, ungeduldig geworden durch das lange Ausbleiben des Spähers, den Kanal mit seinem Trupp bereits verlassen …

Die drei Laternen, die er mit sich führte, gaben den Amerikanern genügend Licht zum Zielen …

Schüsse knallten aus der Finsternis …

Zweimal dröhnte das Schnellfeuergeschütz – nur zur Warnung, spie seine Granaten in den Kanal …

Ben Safra flüchtete mit sieben Verwundeten in den Wassertunnel zurück …

Hinter ihm drein Randercilds krähende Stimme:

„Eine halbe Stunde Bedenkzeit, Ben Safra! Dann greifen wir an!!“ –

Der Marokkaner war eine Viertelstunde später wieder in der Festung zurück …

Sieben der Seinen waren durch Beinschüsse kampfunfähig geworden …

Und jetzt – sah er ein, daß er niemals etwas gegen die Giaurs ausrichten würde …

Er mußte verhandeln …

Mußte …!!

Auch der alte Ibrahim riet dazu …

Das gewagte Spiel war aus …

Nun galt es zu retten, was noch gerettet werden konnte.

Ben Safra hatte genug über den Grafen Gaupenberg gehört … Er rechnete auf dessen Edelmut … Er wollte diesem Deutschen gegenüber, der seinem Vaterland so über alles liebte, ehrlich sein. Gaupenberg würde dann milder über seine Gegner denken, die doch keineswegs aus persönlichem Eigennutz den Azorenschatz hatten erringen wollen … –

So kam’s denn, daß Ben Safra zunächst mit Dr. Falz sich verständigte …

Dagobert Falz erklärte, der Marokkanerführer sollte freies Geleit haben und getrost ins Lager der Sphinxleute kommen und es unbehelligt wieder verlassen können …

Ben Safra war einverstanden, bat jedoch, daß Falz an Randercild einen Boten sende, damit der angedrohte Angriff der Amerikaner unterbliebe.

Ozzeola wurde als Bote bestimmt …

Unangefochten durchschritt er die Festung der Beduinen und war gleich darauf vor der Barrikade des Milliardärs, wo man ihn mit freudigen Zurufen empfing …

 

20. Kapitel.

Die Schafhürde.

Im Lager der Sphinxleute ging es jetzt ebenso lebhaft zu …

In der Nähe des Stangengerüsts mit den Laternen waren Decken auf den Fußboden gebreitet worden, und hier saßen nun auf der einen Seite Gaupenberg und Dr. Falz, ihnen gegenüber mit untergeschlagenen Beinen Ben Safra.

Das düstere Gesicht des Marokkaners entsprach dem Ernst dieser Unterredung …

Im Kreis um diese drei herum standen die übrigen Sphinxleute.

Gaupenberg wartete geduldig, bis Ben Safra sich irgendwie äußern würde …

Der Marokkaner wieder beobachtete den Grafen still und suchte aus dessen Minen sein und seiner Leute Aussichten herauszulesen.

Dann begann er:

„Ich bin gekommen, um als Besiegter in aller Ehrlichkeit zu erklären, weshalb ich meine Leute dazu bewog, mit John Patterson gemeinsame Sache zu machen …“

Diese schlichten Worte, dazu Ben Safras Gesichtsausdruck, Gaupenberg merkte, daß dieser Wüstensohn hier nicht mit diplomatischen Künste umgehen wollte!

Und der Marokkaner sprach weiter … Von seiner Jugend, seinem Leben in der fernen Oase am Rande der Sahara, von seinem Söldnerdienst unter fremder Fahne …

„… So haben wir im steten Verkehr mit den Europäern deren Schwächen und Fehler kennengelernt, haben die Weißen so weit durchschauen gelernt, daß wir in ihnen nicht mehr Geschöpfe einer bevorzugten Rasse sehen können …“

Dann erzählte er von der Flucht aus Rouen mit dem Luftschiff, von der zufälligen Notlandung auf Christophoro und von dem Bündnis mit Patterson …

„… Ich verachtete ihn von Anfang an – ja, ich haßte ihn … Und wenn wir das Gold errungen hätten, würde er nur einen geringen Teil erhalten haben … – Wir Beduinen sind anspruchslos … Wir hätten mit dem Golde für uns selbst nichts anzufangen gewußt … Wir lieben nur eins – die freie Heimat, Freiheit und die Heimat! Wir wollten die Milliarden zum Freiheitskampfe benutzen!“

Jetzt flammte es in seinen Augen auf …

Der Fanatismus der Moslem, des Bekenners des Propheten, kam zum Durchbruch …

Seine Stimme schwoll an … Jedes seiner Worte triefte von Haß gegen die fremden Eroberer, die in Nordafrika sich als Herren aufspielten …

„… Ich lüge nicht, Graf Gaupenberg … Ich bin ehrlich … Genau wie Sie die Milliarden zum besten Ihres Vaterlandes verwenden wollen, genau so habe ich lediglich ähnliche Absichten gehabt … – Nun wissen Sie alles … Nun entscheiden Sie! Wünschen Sie, daß wir bis zum letzten Mann uns verteidigen oder wollen Sie uns freien Abzug gewähren, dazu die Goldbarren, die wir bereits geborgen haben?“

Viktor Gaupenberg blickte Dr. Falz fragend an.

Dann schaute er rundum in die Gesichter der Gefährten …

Falz erklärte leise:

„Ich wäre einverstanden, lieber Graf …“

„Bravo!“ ertönte es rundum …

Gaupenberg nickte …

Wandte sich an den Marokkaner:

„Und welche Sicherheit bieten Sie uns, Ben Safra, daß Sie keinerlei Verrat planen?“

„Wir werden unsere Waffen abliefern … Außerdem schwöre ich Ihnen beim Barte Mohammeds, daß ich den Friedensvertrag im allen Punkten einhalten will … Ich bin kein Verräter … Ich wünsche nur, daß Sie uns nachher mit sich an die Oberwelt nehmen und an unsere heimatliche Küste bringen …“

„Und – die drei Frauen, die Sie gefangengenommenen hatten?“ fragte Gaupenberg nun mit etwas belegter Stimme … Bisher hatte er sich’s nicht anmerken lassen, wie sehr sein Herz vor Sorge um Agnes bebte … Bisher hatte er diese Frage absichtlich zurückgestellt. Es sollte nicht scheinen, als ob hier, wo es in der Hauptsache doch wieder um den Azorenschatz ging, seine persönlichen Interessen von ihm stärker berücksichtigt würden als die der Allgemeinheit.

Ben Safra erwiderte sofort:

„Die drei Frauen und Murat sind zweifellos in Sicherheit …“ – Er berichtete von Ibrahims erfolglosem Eindringen in den Bachkanal … „Sie haben die Wasser des Baches aufgestaut, daß man ihnen nicht folgen kann … Aber der Bach muß irgendwo wieder zutage treten, und dort werden auch die Frauen und Murat auftauchen …“

Diese Mitteilungen ließ Gaupenberg erleichtert aufatmen …

Auch Gußlar und Dalaargen – ersterer hatte sich trotz seiner Stirnwunde unter den Zuhörern eingefunden – fiel eine schwere Last von der Seele … Sie drückten einander heimlich die Hand, und der Kurländer raunte Dalaargen zu: „Ich hätte diesem Friedensschluß mit den braunen Burschen energisch widersprochen, wenn das Schicksal der Frauen irgendwie ungeklärt geblieben wäre …!“

Nun – zu einem solchen Widerspruch kam es von keiner Seite. Im Gegenteil, man war waren froh, daß nun die Feindseligkeiten ein Ende hatten … Alle fühlten auch etwas wie Sympathie für Ben Safra, dessen schlichte Offenheit so sehr für ihn eingenommen hatte.

Nachdem noch schnell zwischen Gaupenberg und Falz einerseits und Ben Safra anderseits allerlei Nebenfragen, die die Entwaffnung der Marokkaner, deren Unterbringung und Ähnliches betrafen, erledigt waren, begab sich Ben Safra in Begleitung von Gaupenberg, Tom Booder und Gerhard Nielsen in die Festung zurück. Dr. Falz folgte ihnen mit Verbandszeug auf dem Fuße, um sich der Verwundeten anzunehmen.

Kaum hatten Gaupenberg und seine Freunde das Ozeanfenster in Augenschein genommen, kaum hatte Dagobert Falz sein Samariterwerk begonnen, als von der Nordschanze her Josua Randercilds Stimme ertönte …

Freudestrahlend eilte der kleine Milliardär auf seine alten lieben Bekannten zu …

„Hallo – wir haben’s geschafft!!“ rief er – jetzt noch stärker vor Aufregung krähend als sonst …

Nach kurzer Begrüßung wandte er dann aber seine ganze Aufmerksamkeit dem Ozeanfenster zu …

„Unglaublich, – wahrhaftig Glas!“ meinte er zu Gaupenberg … „Allerdings ein Naturwunder, freilich ein gefährliches, ein sehr gefährliches! Mir ist immer, als ob die ganze Bescherung uns plötzlich auf den Kopf fallen könnte, und das wäre verdammt unangenehm!“

Inzwischen hatte Nielsen das Steingerüst erklettert und die eingemeißelte Öffnung und die Stelle, wo der noch immer dünne Wasserstrahl herabspritzte, genauer besichtigt …

Von oben rief er nun den Gefährten zu:

„Pattersons Idee war und ist nicht schlecht. Ich hoffe, wir werden bei der nötigen Vorsicht die meisten Barren und auch die Kleinodien des Königschatzes bergen können … Der festgeklemmte Stein dürfte sich durch Stöße mit einer unserer langen Stangen lockern lassen … Wenn er erst einmal entfernt ist, wird der Ozean seine Arbeit fortsetzen und alles herabspülen, was im Bereich des Wasserwirbels liegt … Risse oder Spalten weist die Glasmasse nirgens auf … Die Gefahr, daß Riesenfenster könnte unter dem Wasserdruck bersten, ist also sehr gering …“

Gaupenberg winkte ihm zu …

„Lieber Nielsen, bevor wir nicht die drei Frauen und Murat gefunden haben, werden wir den festgeklemmten Stein sogar stützen müssen! Denn – löste er sich jetzt, so würde der dicke Wasserstrahl, der nach dem Bach zu abfließen würde, den Kanal in kurzem in allen Teilen füllen und vielleicht die Frauen und Murat gefährden … Sorgen Sie also bitte schleunigst dafür, daß Stützen herbeigeschafft und aufgestellt werden …“

Jetzt rückten auch Randercilds Matrosen an …

Die Marokkaner benahmen sich sehr verständig. Ihre Entwaffnung ging ohne Schwierigkeiten vor sich. Dann wurde den braunen Gesellen eine Ecke der südlichen Nebenhöhle als Lagerplatz angewiesen, und zehn Matrosen bewachten sie dort.

Die Barrikaden waren weggeräumt worden. Die übrigen Sphinxleute fanden sich ein, und nach kurzer Beratung wurde der Bach an derselben Stelle wieder abgedämmt, wo Patterson dies zuerst mit Hilfe der Dynamitpatrone bewerkstelligt hatte. Man hoffte durch einen noch höheren Damm vielleicht den Kanal unten jenseits des Wasserfalles wieder passierbar zu machen und so die Frauen und Murat finden zu können …

Jedenfalls gab es wieder übergenug Arbeit für alle. Jeder rührte jetzt doppelt freudig die Hände, weil man voller Zuversicht war, sowohl den Schatz zu bergen als auch die vier Geflüchteten sehr bald wieder zu begrüßen.

Während Nielsen mit Hilfe Fritz Werters die Stützen unter den Stein drückte, während sogar Randercild mit zugriff, damit der Damm recht schnell fertig würde, während man Georg Hartwich, den am schlimmsten Verwundeten, herbeischaffte, damit auch er das Wunder des Ozeanfensters schaue, hatte Gaupenberg den alten Landsmann Werter und dessen jüngeren Sohn gebeten, doch nochmals die südlichen Grotten zu durchforschen, ob sie nicht irgendwo den wieder zu Tage tretenden Bach entdecken würden …

Bereitwilligst hatten Vater und Sohn sich sofort auf den Weg gemacht.

Als sie das Lager der Sphinxleute durchschritten, wo jetzt nur noch ein paar Fackeln brannten, und als sie nun auch an den Viehhürden vorüber kamen, erhob sich plötzlich hinter der Steinmauer der Schafe eine hagere, armselige, abgerissene Gestalt …

Es war Don José Armaro, ehemals Präsident der Mulattenrepublik Patalonia …

Niemand hatte sich im Verlauf der letzten ereignisreichen halben Stunde um den bedauernswerten einäugigen Greis gekümmert … Niemand hatte auch Gedanken für die längst fertige Mahlzeit gehabt, bei deren Zubereitung Armaro sich nützlich gemacht hatte.

Jetzt winkte er den beiden Werters hastig und geheimnisvoll zu …

Sie hatten jeder eine Laterne mit, und als deren Lichtstrahlen sich nun auf Armaros Gesicht vereinigten, sahen die Werters zu ihrem Erstaunen, daß der Expräsident aus einer Stirnwunde stark blutete …

Nochmals winkte er – deutete an, daß sie leise sprechen sollten, erwiderte auch nur flüsternd auf des Farmers Frage, was denn besonderes vorgefallen sei:

„Etwas sehr merkwürdiges … sehr merkwürdiges! Ich habe hier einen Fremden überrascht …“

„Einen Fremden?“

„Ja, es ist so … Hören Sie nur zu … Ich hatte wenig Interesse daran, mit den anderen zugleich hinüber in die Festung zu geben … Ich kannte ja das Ozeanfenster … Hatte ich es zuerst entdeckt! Doch das wissen Sie ja … – Ich blieb also drüben am Feuer sitzen bis es erlosch … Niemand wollte seinen Hunger stillen, also ließ ich’s herunterbrennen… Ich war müde, und ich nickte denn auch ein, sank halb zusammen, wurde jedoch sehr bald wieder munter, weil die Schafe plötzlich so unruhig geworden waren, daß sie ein paar Steine von der Hürde herabwarfen. Ich richtete mich auf … Ich saß im Halbdunkel … Und da sah ich denn einen schlanken Mann in einem hellen Sportanzug, der über die Hürde sprang und vorsichtig hier nach unserem Lager hinüberschaute … – Daß es niemand von uns war, erkannte ich sofort … Ich dachte dann, es sei vielleicht einer von Randercilds Leuten … Aber auch die Vermutung ließ ich schnell fallen, weil die Matrosen doch keinen Korkhelm tragen und weil Randercild selbst drei Köpfe kleiner ist …“

„Ah – einen Korkhelm trug der Mann!“ rief der alte Werter jetzt sichtlich erregt …

Und schaute seinen Jüngsten vielsagend an …

„Junge, – denk’ mal an den Sir Morton! Der war lang wie eine Hopfenstange! Und er trug einen Tropenhelm!“

„Allerdings, Vater …! Aber es ist doch wohl ausgeschlossen, daß Morton über drei Jahre hier …“

„… Laß Don José erst mal zu Ende erzählen …“

Armaro berichtete weiter:

„Der Mann hatte einen blonden Spitzbart und trug eine Hornbrille …“

„Herr Gott, – dann wars Morton!“ platzte der Farmer heraus. „Wo blieb er – was tat er?!“

„Nun – er schaute sich nach allen Seiten vorsichtig um … Dann schlich er näher, in der Hand eine Pistole … Und das warnte mich … Ich duckte mich ganz tief zwischen die Steine … – Er blieb wieder stehen … traute der Stille ringsum offenbar nicht so recht … Und dann – hatte er mich erspäht … Machte kehrt und lief davon … – Drüben in die Nebenhöhle hinein … Ich ihm nach … Aber ich hatte Pech, stolperte, fiel, schlug mir die Stirn blutig und raffte mich nur mühsam wieder auf … Und da, Herr Werter, – da hörte ich die Schafe in der Hürde umherspringen … Blickte hin … Konnte aber nichts Verdächtiges wahrnehmen, schlich vorsichtig näher … Dann tauchten sie beide auf …“

„Und – deshalb hatten sie sich hinter der Mauer zusammengekauert, Don José?“

„Ja – das ist nun das Seltsamste bei alledem … Wie ich kaum in die Hürde hineingestiegen war, weil ich eben glaubte, der Fremde habe sich dort versteckt, da war’s mir, als ob ich von der Steinwand her ein Geräusch hörte …“

„Was für ein Geräusch?“

„Nun – so etwas wie ein schrilles, leises Kreischen.“

„Kreischen?“

„Ja – etwa so, als ob jemand mit einem Messer über einen Porzellanteller fährt … – Und da duckte ich mich schleunigst, denn die Sache war mir etwas unheimlich, zumal die Schafe noch immer wie toll umherjagten …“

Der alte Werter priff jetzt leise durch die Zähne …

Meinte: „Don José, wir haben das Stück Felswand, das die Rückseite der Hürde bildet, schon vorhin mit Dr. Falz zusammen untersucht … Trotzdem wollen wir’s jetzt nochmals tun … Ich glaube, wir werden nun endlich etwas finden … Wir müssen etwas finden! Denn der Mann war Sir Morton, das steht für mich fest. Und das ganze Benehmen der Schafe läßt mit Sicherheit darauf schließen, daß … hier eben etwas zu finden ist! Also vorwärts! Suchen wir!“

Und sie traten an die Felswand heran, nachdem der Farmer Armaros Stirnriß oberflächlich verbunden hatte.

Don José Armaro bewies hier, daß er sich in die Schliche Anderer besser hineinzudenken wußte als Dr. Falz und die Werters.

„Ich behaupte, die Tiere witterten irgend etwas,“ meinte er leise … „Das Gestein zeigt überall handbreite Spalten, Löcher und Vertiefungen … Vielleicht streicht ein Luftzug durch eine der Spalten und trägt den Tieren einen Geruch zu, der ihre primitivsten Instinkte, die Freßgier reizt …“

Werter lachte lautlos in sich hinein. „Don José, das sind Worte, die in einem Kriminalroman stehen könnten! Der Doktor und ich haben die ganze Wand abgetastet, in die Spalte gefaßt, jede Ritze befühlt … – Was sollte hier wohl die Tiere reizen?! Noch dazu ihre Freßlust?! – Ja, wenn sie frisches Grün wittern würden, – das wäre etwas anderes! Sie sind sehr ungern hier in den Höhlen, sie vermissen die freie Weite. Aber – frisches Grün?! Hier in dieser Unterwelt?! Ich bitte Sie!!“

Armaro hielt die Laterne noch tiefer und meinte ruhig:

„Wenn Sie sich mal bücken wollen, Herr Werter! Meiner Ansicht nach ist der grüne Strich dort auf dem flachen Stein ein Grashalm – ein frischer Grashalm!“

Heinrich Werter bückte sich …

„Bei Gott, – – Gras – ein frischer Halm!“

Und zu seinem Jüngsten:

„Da – was sagst du dazu?! Don José hat uns übertrumpft!“

Armaro erklärte schlicht:

„Geben Sie mir nun einmal das Gras …“ – Er beleuchtete den handlangen breiten Halm … Und fügte hinzu: „Hier in der Mitte ist er beschädigt, zerdrückt … Ich glaube, daß dieser Halm sich zwischen Sohle und Stiefelspitze – Mortons festgeklemmt hatte … Der verlor ihn hier, und die Schafe hätten ihn längst verspeist, wenn er hier schon ein paar Stunden gelegen hätte. So aber kann Morton ihn nur vor kurzer Zeit verloren haben, eben als er vor mir entfloh. Und weil der Halm dicht an der Felswand liegt, muß der rätselhafte Engländer sich an dieser Stelle etwas zu schaffen gemacht haben, das heißt, gerade hier muß es einen … Weg anderswohin geben!“

„Anderswohin?“

„Ja – dorthin, wo frisches Gras wächst, das die Tiere wittern …“

„Das hat Hand und Fuß, Don José!“ nickte der Farmer. „Sie denken also an so etwas wie eine Geheimtür?“

„Nein, das wäre, wie Sie sich soeben ausdrückten, zu sehr Kriminalroman. Nicht Geheimtür … Nur ein Teil der Felswand wird vielleicht aus einer genau eingepaßten Felsplatte bestehen …“

„Ausgeschlossen! Wir haben die Wand ja mit Steinen abgeklopft … Überall … Die Steinplatte könnte nur dünn sein und würde einen anderen Ton ergeben haben …“

„Nun gut … Und doch können Sie nicht leugnen, daß hier ein Zugang zu einer Nebengrotte, die wir noch nicht kennen, vorhanden sein muß! Zu einer Grotte, in der frisches Gras wächst – dabei bleibe ich!“

„Suchen wir!“ rief Werter nur … „Es wäre ja ein Wunder, wenn wir drei der Sache nicht auf den Grund kommen sollten!“

Und Sie suchten …

Armaro tat’s auf seine Art … Holte sich von dem auf den Lastdromedaren mitgebrachtem Brennholz einen langen dünnen Zweig und stocherte damit in jede Spalte hinein …

Kniete nieder …

Ließ sich Zeit …

Und sagte plötzlich:

„Ach – hier ist eine Stelle, wo meine Gerte völlig verschwindet!“

Und er brachte das Gesicht dicht vor diese Spalte, drückte die Wangen an die Kanten des Gesteins und schnupperte wie ein Schweißhund …

Dann zog er den Kopf zurück und winkte Heinrich Werter …

„Bittet – riechen Sie doch mal! Pressen Sie das Gesicht aber ganz fest an die Spalte …“

Der Farmer folgte dieser Aufforderung, richtete sich nach einer Weile wieder auf …

Seine Mienen verrieten ungläubiges Staunen …

„Es … es riecht nach Blumen,“ flüsterte er …

„Ja – der Luftzug führt Blumenduft durch die Spalte,“ meinte Don José ernst. „Ich dachte es mir ja, daß es darauf hinauslaufen würde …!“

Der Farmersohn wollte sich nun gleichfalls von der hier in den Tiefen der Erde doppelt unerklärlichen Erscheinung überzeugen …

Und auch er meinte kopfschüttelnd:

„Es stimmt – Blumenduft und eine Luft, wie von einer Wiese, von Bäumen und Gestrüpp kommend …“

Don José drängte ihn zur Seite und langte nun mit dem Arm in die Spalte hinein …

„Ah – man muß schräg nach oben greifen!“ rief er jetzt erregt. „Ich fühle kühles Metall – – einen dicken runden Knopf – – eine Metallstange … – Warten Sie … Die Stange läßt sich verschieben …“

Er keuchte vor Anstrengung …

„Nein – meine Kräfte reichen nicht aus … – Bitte Herr Werter, versuchen Sie es doch einmal …“

Der Farmer nahm Armaros Platz ein, kniete und …

„Sie dreht sich!!“ stieß Armaro hervor … „Sie dreht sich!!“

In der Tat – es schien, als ob die Felswand plötzlich nach innen zurückwich …

Doch es war nur ein quadratisches Stück von etwa fünf Meter Seitenlänge …

Ganz langsam wich es zurück, öffnete sich nach innen wie ein mächtiges Tor …

Heinrich Werter war aufgesprungen …

Die drei Männer standen nun vor der quadratischen Öffnung …

Der Laternenschein zeigte ihnen dahinter einen schräg in die Tiefe gehenden Schacht mit einer breiten, in das Gestein eingehauenen Treppe …

Armaro wandte sich an den Farmersohn …

„Laufen Sie, – holen Sie Gaupenberg und Dr. Falz …! Wir wollen auf eigene Faust nichts weiter unternehmen! Wir dürfen es nicht …!“

Der jüngste Werter eilte davon …

Und aus dem breiten Treppenschacht strömte den beiden Zurückbleibenden eine köstliche Luft entgegen. Der Odem grüner Pflanzen!

An den Wänden des Schachtes wurden sie nun ausgemeißelte Relieffiguren gewahr: Tiere, Götzen, Tempelbilder, – darunter Reihen von Hieroglyphen …

Armaro besichtigte diese Reliefs …

„Herr Werter,“ meinte er flüsternd … „Das hier ist altägyptische Bilderschrift! Und Sir Morton war Ägyptologe! Begreifen Sie?!“

„Nein …!“

„Nun – Morton hat hier ein altägyptisches Heiligtum oder dergleichen entdeckt, und sein Forscherdrang hat ihn die drei Jahre festgehalten … – Wer weiß, was wir noch alles zu sehen bekommen!!“

In demselben Moment tauchte ganz unten im Treppenschacht ein Lichtpünktchen auf …

Heinrich Werter bemerkte es zuerst …

„Verbergen wir uns!“ flüsterte er …

Dafür war es zu spät …

War auch überflüssig …

Eine tiefe überlaute Stimme aus der Tiefe:

„Hallo – hier Murat sein!! Hallo …!!“

Der Homgori kam mit einer Laterne in der Hand die Treppe eilends empor …