Die Halle des Isis-Tempels in der Grottenoase …
Zwei Frauen vor der Statue der Göttin: Agnes und Mela …
Agnes mit dem Säugling, dem liebreizenden Mädchen, im Arm …
Das Kind krähte vergnügt …
Agnes drückte es zärtlich an sich …
Aber ihre Augen glitten angstvoll umher …
Ihre blassen Lippen flüsterten:
„Mela, – der Schuß eben … Was mag geschehen sein?! Ob’s etwa die Marokkaner sind?“
Mela Dalaargen war nicht minder verstört …
„Agnes, – wir wollen Murat und Mafalda folgen! Es ist so … so unheimlich hier!“
Und hastig eilten sie davon – durch den Säulenvorbau – die Freitreppe hinab – den Hauptweg des großen grünen verwilderten Gartens entlang – zur Einmündung des Baches, wo Murat vor dem Gitter den Steinwall aufgebaut hatte, aus dessen Ritzen und Spalten überall plätschernd das Wasser hervorsprudelte.
Nun erblickten sie Murat und Mafalda dicht vor sich … Mitten auf dem Wiesenstreifen am rechten Bachufer …
Agnes, das Kindlein im Arm, rief ihnen zu:
„Sind’s die Marokkaner?!“
Murat winkte beruhigend …
Rief zurück:
„Kein Marokkaner … Nichts! Der Fremde muß geschossen haben …“
Die vier Flüchtlinge standen dicht beieinander …
Mafalda meinte:
„Es kann nur der Fremde gewesen sein … Vielleicht hat er den Schuß nur abgefeuert, um uns von hier fortzulocken,“ verbesserte sie sich schnell …
Sie war leicht erregt, aber ihr schönes, leidenschaftliches Gesicht zeigte jenen Ausdruck von Entschlossenheit, den es selten verlor …
„Der Fremde wird sich vor uns auch weiter verbergen,“ fügte sie hinzu. „Es hätte keinen Zweck, nochmals nach ihm zu suchen … Mag Murat uns nun zu dem anderen Bauwerk führen … Wir sind bewaffnet … Gefahr droht uns kaum … Der Mann ist ein Europäer, dabei bleibe ich, und er wird uns Frauen nicht aus dem Hinterhalt niederknallen! Niemals! – Gehen wir!“
Murat, die gespannte Pistole in der Rechten, schritt zögernd voran …
In seinem Hirn sträubte sich etwas dagegen, den Frauen das zu zeigen, was selbst er mit einem Gemisch von Grauen und mit fast abergläubischer Scheu geschaut hatte …
Als er nun in das Dickicht unter der größten der Palmengruppen eingedrungen war, machte er plötzlich halt …
Es gab hier einen ganz schmalen, kaum sichtbaren Pfad … Aber man erkannte unschwer, daß dieser versteckte Weg durch das häufige Hin und Her menschlicher Füße gleichsam geglättet worden war …
Murat machte halt …
Wandte sich um … In den kleinen blitzenden Augen lag ein Ausdruck von Verlegenheit …
Agnes mit dem Säugling im Arm war die nächste hinter ihm …
„Weshalb bleibst du stehen, Murat?“ fragte sie ängstlich …
Der Homgori fletschte die Zähne … Das tat er immer, wenn er nicht recht mit der Sprache herausrücken wollte …
Dann gurgelte er überstürzt hervor:
„Besser sein, wenn erst nur Miß Mafalda mit in kleine Haus kommen … Miß Mafalda nicht so leicht erschrecken … Für Miß Agnes das da nichts sein …“
Aber Agnes erwiderte sofort:
„Soll ich mit Mela hier in dieser grünen Wildnis bleiben?! Niemals – auch nicht für Minuten! – Ich denke, Murat, ich habe schon andere Dinge miterlebt als das, was es dort vor uns in dem kleinen Bauwerk geben mag! Vorwärts also …! Ich bin auf alles vorbereitet … Und so schlimm wird der Anblick dessen, was du noch immer nicht mehr bezeichnen willst, wohl nicht sein!“
Murat schritt weiter …
Aber seine Bewegungen waren noch zögernder als vorher …
Der enge Pfad wand sich um die Stämme mächtiger Kokospalmen herum … Dann eine kleine Lichtung … Und hier ein genaues Abbild des großen Isistempels, nur von ganz geringen Abmessungen freilich, wie ein antiker Pavillon …
Schlinggewächse hatten das sicherlich uralte Gebäude, ebenso wie die Säulenreihe vollkommen in Grün eingesponnen. Man erblickte die Steinquadern und die Vergoldungen des Giebels nur an wenigen Stellen durchschimmern …
Aber der breite hohe Eingang lag frei … Menschenhände hatten hier die Ranken weggehauen …
Wieder machte der Homgori am Fuße der Treppe halt …
Sein sorgender treuer Blick ruhte auf Agnes’ zartem Antlitz …
Nochmals machte er den schüchternen Versuch, sie vor dem Betreten dieses Miniaturtempels zurückzuerhalten.
„Miß Agnes … Tote Frau dort oben sein …“ sagte er mit einer scheuen Handbewegung nach dem Eingang hin …
„Eine … tote Frau?“ – Agnes glaubte Murat mißverstanden zu haben …
„Also … eine Leiche?“ setzte sie hinzu …
„Nein … nicht Leiche …! Göttin wie in große Tempel …“
„Und deshalb soll ich …“
„Göttin doch Leiche …!“ fiel der Homgori ihr ins Wort …
Da hatte ihn Mafalda schon ungeduldig beiseite gedrängt, eilte die Stufen empor …
Und Agnes und Mela blieben dicht hinter ihr, hielten sich aber auch dicht nebeneinander …
Ihnen auf den Fersen tappte Murat die Treppe hinan, indem er etwas Undeutliches vor sich hinmurmelte …
Mafalda betrat die kleine Halle …
Durch den breiten hohen Eingang fiel das geheimnisvolle Licht in fast unverminderter Stärke infolge einer Baumlücke gerade auf das Steinpostament und die Figur der Göttin Isis, die hier genau in derselben sitzenden Stellung thronte, wie drüben in der Riesenhalle …
Mafalda stutzte …
Und trat einen halben Schritt zurück …
Hob unwillkürlich wie abwehrend die Hände …
Hinter ihr ein leiser doppelter Aufschrei aus Frauenkehlen …
Murat war schon neben Agnes, stützte sie …
Agnes hatte die Augen geschlossen … Fahle Plätze lag auf ihren Wangen …
Auch Mela war erbleicht …
Die drei Frauen hatten mit einem einzigen Blick die Wahrheit erfaßt.
Dort oben auf dem Postament saß die tadellos präparierte Mumie einer aschblonden jungen Europäerin, auf dem Haupte den Isisschmuck: die Kuhhörner und die strahlende Sonnenscheibe! Eine Mumie, die wie eine Lebende wirkte. Eingehüllt in weiße Leinenstoffe, die jedoch die Brust, die Arme und die Füße freiließen … Und im linken gekrümmten Arm der Mumie war ein Körbchen aus dünnen Zweigen, gepolstert mit Leinenstreifen, angebracht … Die Augen der Mumie waren geschlossen … Die Haut zart und rosig, das Gesicht wie das einer Schlafenden, die einen schmerzlichen Traum träumt …
Der erste Eindruck dieser Statue, die keine Statue war, mußte auf jeden Beschauer erschreckend und grauenerregend sein …
Das lag wohl in der Hauptsache daran, daß jeder sich unwillkürlich sofort die Frage vorlegte …: Wie konnte man ein Weib, die Leiche einer jungen Frau in dieser Weise hier zur Schau stellen und das Erhabene des Todes dergestalt geradezu verspotten?!
Doch dieser erste Eindruck schwand, wenn man das Bild als Ganzes einige Zeit auf sich wirken ließ …
Dieses ‚Figur’ war noch weit überwältigender in dem stark betont Mütterlichen als das der steinernen Riesengöttin …
Gerade das unsäglich schmerzliche Lächeln der Mumie, dazu die geschlossenen Augen und das Körbchen im Arm, in dem nur das Kindlein fehlte, verscheuchten jeden Gedanken, daß hier eine frevelnde Hand eine Tote zu einem profanen Götzenbild herabgewürdigt haben könnte …
Wenn schon von der steinernen Isis drüben im großen Tempel ein seltsamer Zauber ausgegangen war, hier traf dies in verstärktem Maße zu!
Und dies spürten auch die drei Frauen, die jetzt vor der Mumie mit weiten Augen in tiefer Andacht dastanden …
Nichts Grauenvolles, nichts Abstoßendes mehr hatte diese Mumie für sie …
Nein – allmählich begriffen sie aus dem aufwallenden Unterbewußtsein empfindend, daß hier ein Mann sein über alles geliebtes Weib, die Mutter seines Kindes, sich über irdische Sterblichkeit hinaus erhalten hatte …
Jetzt wußten sie, wo Murat das Kindlein gefunden hatte, dort in dem Körbchen – im Arm der toten Mutter – in dem Körbchen, über das noch ein zierliches Gitter aus Zweigen gespannt war, damit der Säugling nicht hinausfallen könnte …
Welche Tragödie mußte sich hier in der Grottenoase abgespielt haben …
Dunkel ahnten sie es …
Wie sollten sie sich auch die Tatsachen des hier Geschehenen zusammenreimen können?! –
Und – hinter ihnen nun Murats tiefe Kehllaute – als Bestätigung:
„Kind lag im Korb … Kind schrie … Und so Murat hierher kam … Kind mitnehmen …“
Mafalda trat nun näher an die Mumie heran …
Sagte leise:
„Agnes, Mela, – sehen Sie nur, an der Hand – – ein Trauring … Hier an der anderen Brillantringe …! – Dies bestärkt mich in meiner Überzeugung, daß diese Frau die Gattin des Fremden sein muß!“
Aber Agnes und Mela wagten sich nicht weiter vor … Es erschien ihnen wie eine Entweihung, sich dieser Toten in weltlicher Neugier zu nähern …
Mafalda bückte sich …
Unten in das Steinpostament war etwas eingemeißelt – ganz unauffällig:
Ellinor Morton
gest. 3.Nov. 192.
Nichts weiter …
Kein Wort der Trauer, der Liebe darunter …
Und doch gerade deshalb so ergreifend.
Mafalda richtete sich wieder auf …
„Am 3. November starb sie … Das ist einen Monat her …“ sagte sie sinnend …
Da begann das Kindlein plötzlich zu wimmern …
Streckte die Ärmchen wie verlangend nach der mütterlichen Göttin aus – nach … der Mutter …
Diese schlichte Szene, rührend und erschütternd zugleich, trieb nicht nur Agnes Tränen in die Augen.
Mela schluchzte leise …
Mafalda drehte den Kopf zur Seite, um das perlende Naß, das über ihre Wangen rann, den Blicken der beiden jungen Frauen zu verbergen …
Der Homgori stand mit hängenden Armen da, andauernd die Mumie anstierend – wie verzaubert …
Für die engen Grenzen seines Hirns war die blonde Tote da oben auf dem Postament etwas Unbegreifliches … Unfaßbares …
Er hatte sehr wohl gehört, wie Mafalda den Todestag dieser Frau nannte …
Seit einem Monat tot … – und doch wie lebend – das ging über seinen Verstand hinaus … –
Der Säugling kreischte weiter …
Und auf sein rosiges Gesichtchen tropften Agnes warme Tränen …
Mafalda sagte leise:
„Agnes, bitte legen Sie das Kind in sein Körbchen … Das Kind … kennt … die … Mutter …“ – Ihre Stimme schwankte vor Ergriffenheit …
Eine andere Stimme da – von der Treppe her …
Eine müde, traurige Stimme … Englische Worte:
„Meine Damen, ich bin Sir Harry Morton …“
Murat und die drei Frauen hatten sich hastig umgewand …
Im Eingang des kleinen Tempels stand ein schlanker, sehr großer Europäer im gelben Tropenanzug …
Der Homgori, der den Fremden sofort als Feind betrachtete, duckte sich sprungbereit zusammen … Einen Moment schien’s, als ob er Sir Morton an die Kehle fliegen wollte …
Aber die grauen trostlosen Augen hinter den blinkenden Gläsern der Hornbrille ruhten jetzt mit einem so seltsamen Ausdruck auf Murats gedrungener Gestalt, daß es nicht Agnes’ Zuruf bedurft hätte, um den Tiermenschen von den durchaus friedlichen Absichten des Engländers zu überzeugen.
Sir Morton verbeugte sich …
„Meine Damen, ich bin Ihnen und Ihren Freunden einige Aufklärungen schuldig … Mein Verhalten Ihnen gegenüber, die Sie hier in mein stilles Reich so überraschend eindrangen, war durch meinen Wunsch, auch Ihre Gefährten kennen zu lernen, beeinflußt worden. Ich habe den Schuß draußen in der Oase nur deshalb abgefeuert, um Sie aus dem großen Tempel herauszulocken, weil von dort ein unterirdischer Weg nach den benachbarten Höhlen führt. Die große steinerne Isisstatue läßt sich samt dem Sockel drehen. Darunter befindet sich im Boden der Halle eine Öffnung. Man gelangt über eine Treppe und durch einen Gang in die nach Osten zu gelegene Grotte, in deren Felswand Isispriester vor rund zweitausend Jahren eine Geheimtür anbrachten. So konnte ich Ihr Lager heimlich besuchen, konnte dort einige Ihrer Gefährten belauschen und erfuhr genug, um einzusehen, daß mir von Ihrer Seite keinerlei Belästigung droht. Ich wurde dann von einem Manne bemerkt und verfolgt. Es war ein Greis, ein Einäugiger … Ich entkam ihm und folgte Ihnen hier nach dieser mir heiligen Stätte … – Ich bitte Sie jetzt, den Führer Ihrer Expedition herbeirufen zu lassen, der ja ein Graf Gaupenberg zu sein scheint …“
Mortons vornehmes, kluges Gesicht behielt unverändert den müden traurigen Ausdruck bei … Unverändert blieb auch seine monotone Sprache, unverändert der wehe, trostlose Blick seiner Augen …
Und dieser Blick glitt nun von den drei Frauen zu der Mumie hin …
Während er in schmerzlicher Versenkung die ihm so teuren Züge des geliebten Weibes mit sanften Blicken zu streicheln schien, fügte er völlig geistesabwesend hinzu:
„Ellinor, Frauen haben soeben Deinetwegen hier Tränen vergossen … Ellinor, ich selbst habe noch keine Tränen gefunden … Ich wünschte, ich könnte weinen … Dann würde sich vielleicht der unerträgliche Druck mildern, der mein Hirn seit deinem Tode belastet.“
Minutenlang noch stand er dann, ohne sich zu regen da, unverwandt das Antlitz der Toten betrachtend, deren Lächeln das ganze Weh einer unfassbaren Liebestragödie verriet …
Und die drei Frauen und der Homgori verhielten sich genauso still …
Nur das Kindlein, das beim Anblick des Vaters verstummt war und lediglich nach ihm jetzt die Ärmchen reckte, begann mit einem Male zu greinen …
Da schien Sir Harry Morton zu erwachen …
Trat auf Agnes zu …
Fragte leise:
„Wollen Sie die kleine Ellinor in ihre Obhut nehmen …? Sie … Sie haben einige Ähnlichkeit mit meiner verstorbenen Gattin …“
Agnes erwiderte, während sie vor innigem Mitleid wieder mit Tränen kämpfte:
„Ihr Kind soll sorgsam gehütet werden, Sir Morton … – Ich bin die Gräfin Gaupenberg … Haben Sie diesen Namen noch nie gehört, nie den der Sphinx, des Azorenschatzes?“
Morton schüttelte langsam den Kopf …
„Nein, Frau Gräfin … Ich lebe ja nun bereits drei Jahre hier in diesem altägyptischen Heiligtum …“
„Wie – – drei Jahre?!“ rief Agnes ungläubig.
„Ja … – Doch all das will ich Ihnen nachher erklären, wenn auch Ihr Gemahl hier ist … – Vielleicht schicken Sie diesen … Mann …“ – er schaute auf Murat und wußte nicht recht, wie er das zottige Geschöpf bezeichnen sollte – „… diesen Mann zu Ihrem Gatten … Gehen wir in den großen Tempel … Ich werde dem Boten den Weg nach dem Lager der Expeditionen zeigen … Vielleicht setzten die Damen sich derweilen auf die Freitreppe des Tempels …“
Er machte ein höflich auffordernde Handbewegung, und Agnes schritt, gefolgt von den anderen, den Pfad durch das Dickicht entlang. – Sir Morton blieb noch eine kurze Weile vor der Mumie stehen …
Schaute wieder in das über alles geliebte Gesicht … Seine Lippen flüsterten:
„Ellinor, ich bleibe bei dir – auch wenn diese Fremden in mich dringen sollten, sie wieder auf die Oberwelt zu begleiten … Ellinor, nur … nur unser Kind darf ich nicht hier unten behalten … Unser Kind hat ein Recht darauf, daß wir es unter Menschen im Sonnenglanz aufwachsen lassen …“
Dann nickte er der Mumie zu, als spräche er mit einer Lebenden …
„Ich bin bald wieder bei dir, Ellinor … Ich muß nur mit dem Grafen Gaupenberg sprechen … Leb wohl, Ellinor … ich bin in Gedanken bei dir“
Er wandte sich um und folgte den Frauen und Murat.
Wortlos betraten sie kurz daraut den großen Isistempel.
Morton stemmte hier die Schulter leicht gegen eine Kante des Sockels der Göttin, und geräuschlos drehte sich die mächtige Statue, gab eine quadatische Öffnung frei.
„Kommen Sie,“ sagte Morton zu Murat … „Nehmen Sie Ihre Laterne mit … – Sie, meine Damen, entschuldigen mich für wenige Minuten …“
Er stieg die schmale Steintreppe hinab …
Hinab in die ausgedehnten Kellerräume des Tempels, in denen Murat an den Wänden überall Tier- und Menschenmumien erblickte …
Ein neuer Felsengang …
Dann einen Schacht mit einer breiten Treppe …
Und die oberen Teile dieses Schachtes besaßen nach der Grottenoase zu überall lange, schmale Öffnungen, durch die der in dieser Unterwelt zauberische Duft der Blüten und Gräser ungehindert hereinströmte.
Als Murat und Sir Morton am Fuße der Treppe angelangt waren, erblickten sie droben am anderen Ende der Treppe Lichtschein …
Morton sagte ruhig:
„Ihre Gefährten haben die Geheimtür entdeckt … – Gehen Sie allein weiter und bitten Sie den Grafen, daß er – nur er! – die Oase betritt … Meine tote Gattin und mein kleines unterirdisches grünes Reich sind kein Schaustück für andere …!“
Murat nickte nur und eilte die Stufen hinan, während der Engländer umkehrte. –
Oben traf der Homgori mit Don José und den beiden Werters zusammen …
Der alte Farmer fragte als erstes, wo die drei Frauen seien …
„Alles gut,“ erwiderte Murat … „Haben dort unten einen Master Morton mit Kind gefunden … Miß Agnes Kind jetzt hüten … Alles sehr gut … Keine Marokkaner …“
„Ah – also doch!“ rief Heinrich Werter … „Also doch Sir Morton! – Vorwärts – holen wir die Damen …! Ich muß Morton fragen, wie er …“
Aber Murat hatte ihm schon fast drohend den Weg versperrt …
„Halt! Nicht hinab!! Miß Agnes schickt mich … Keiner außer Master Gaupenberg soll mit Master Morton sprechen … Das sein eine edle, gute Mann … Frau tot … Jetzt Göttin auf Postament … Kind lebt …“
Werter lachte ärgerlich …
„Was redest du da zusammen, Murat?! Das versteht ja kein Mensch …! Das wäre ja noch schöner, wenn wir nicht ebenfalls mit diesem Morton reden dürften, gerade wir Werters!“
Der Homgori machte ein grimmiges Gesicht …
„Wollen Sie handeln gegen die Befehle von Miß Agnes, Master Werter?! Miß Agnes sein Frau von Master Gaupenberg, und nur Master Graf hier haben zu befehlen …“
Heinrich Werter gab nach …
„Meinetwegen …! Dann hole nur den Grafen … Wir werden hier oben an der Treppe bleiben … Geh’ nur, Murat …! Du bist ein treuer Bursche … Wir werden nichts tun, was die Gräfin nicht wünscht.“
Der Homgori eilte weiter, nachdem der alte Farmer ihm noch kurz mitgeteilt hatte, daß die Marokkaner sich ergeben hätten …
Murat traf Viktor Gaupenberg in der Festung an, wo der Graf sich soeben neben dem Krankenlager Georg Hartwichs niedergesetzt hatte. Auch Falz, Gußlar und Nielsen waren hier zusammengekommen. Man beratschlagte, wer jetzt in den Wasserfall die Felsenkluft hinabsteigen solle, nachdem der Bach nun fast völlig abgedämmt war …
Murats Erscheinen rief hier in der Festung allgemeinen Jubel hervor …
Alles strömte zusammen … Und im Nu wußte jeder, daß die drei Frauen in Sicherheit waren …
Atemlose Stille herrschte, als der Homgori dann Bericht erstattete …
Kein Wunder weiter, daß vieles von dem, was der Affenmensch erzählte, mit starken Zweifeln hingenommen wurde, zumal seine Schilderung zunächst reichlich verworren war. Erst Gaupenbergs Zwischenfragen klärten die Einzelheiten …
Und ebenfalls kein Wunder, daß die Sphinxleute, Randercild und die Matrosen alle am liebsten Gaupenberg begleitet hätten …
Gußlar, der trotz seiner Stirnwunde schon wieder auf den Füßen war, meinte gereizt, er wolle Mafalda unbedingt sofort sehen …
Und Fredy Dalaargen rief:
„Ich habe das gleiche Recht! Meine Mela ist gerettet, ist frei, und ich soll …“
Dagobert Falz unterbrach ihn
Sehr ernst sagte er zu seinem Schwiegersohn:
„Mela ist mein Kind, und meine Sorge um sie war nicht geringer als die deine! Ich aber füge mich … Ich bin froh, daß die Frauen uns wiedergegeben sind. Mag Gaupenberg, wie Sir Morton es wünscht, allein die Oase besuchen …“
Diese Worte des Einsiedlers von Sellenheim genügten …
Die Erregung legte sich … Gaupenberg und Murat schritten davon, kamen dabei in der Nebenhöhle an den Marokkanern vorüber, die hier von Randercilds Leuten bewacht wurden.
Ben Safra, der etwas abseits saß, erhob sich und trat auf Gaupenberg zu …
„Sind die Frauen gefunden?“ fragte er.
„Ja, Ben Safra … Es ist nun auch diese Angst von mir genommen. Die Frauen sind wohlauf.“
„Ich freue mich,“ meinte der Marokkaner schlicht.
Gaupenberg gab ihm die Hand …
„Ich danke Ihnen, Ben Safra … Sie sind ein Ehrenmann … – Können Sie für Ihre Leute bürgen? Dann würde ich die Wachtposten wegschicken …“
„Ich bürge für sie …“
Gaupenberg rief den Matrosen zu, sich zu entfernen … „Die Bewachung erübrigt sich … Die Marokkaner dürfen sich frei bewegen …“
Und er eilte mit Murat weiter …
Sie näherten sich der Schafhürde, der offenen Steintür …
Werter beglückwünschte den Grafen …
„Gott sei Dank, nun ist auch diese Angst um die Damen von uns genommen, Herr Graf …“
„Ja – und nun, lieber Werter, können wir in aller Ruhe versuchen, den Goldschatz zu bergen … Wir haben vorhin schon mit Dr. Falz alles Nötige besprochen. Das Lager soll noch weiter nach Süden zu verlegt werden, damit bei einem vielleicht allzu starken Wassereinbruch des Ozeans uns Zeit zur Flucht bleibt. Es sollen dort am Ozeanfenster auch nur ganz wenige der Unsrigen tätig sein … – Doch – davon nachher … – Murat, führe mich in die Oase …“
Gaupenberg und der Homgori verschwanden die Treppe hinab …
Sir Harry Morton saß zwischen Mafalda und Agnes, rechts von Agnes Mela Dalaargen …
Auf der Steinbrüstung der Treppe saßen sie, die in die grob ausgehauene Figur einer Sphinx auslief …
Vor ihnen die Oase, der klare Bach mit den Brücken, dessen Wasser jetzt ganz spärlich floß …, – ein Teil dieser grandiosen Unterwelt, dessen Schönheit Auge und Seele berauschten …
Agnes hielt das Kind auf dem Schoße …
Es war eingeschlafen …
Stille ringsum …
Keiner der vier sprach. Um sie her lag es wie die schwarzen Schleier trauriger Geheimnisse …
Dann schien Sir Morton sich darauf zu besinnen, daß er die Pflicht hatte, diesen fremden Frauen nicht durch eigene Schweigsamkeit die Lippen zu verschließen …
Er wandte sich an Agnes …
„Sie würden mich zu Dank verpflichten, wenn Sie mir inzwischen vielleicht Aufschluss über die Expedition Ihres Gemahls geben wollten, Frau Gräfin … Ich brauchte dann nachher Ihren Gatten nicht erst über diese Dinge um Aufklärung bitten …“
Agnes willfahrte seinem Wunsch …
Morton blickte sie überrascht an, als sie den Milliardenschatz erwähnte …
So hörte er denn in großen Zügen die Abenteuer der Sphinxleute, schließlich auch die Vorgänge kurz vor der drohenden Weltkatastrophe …
Der Name Werter kam über Agnes’ Lippen …
Morton nickte …
„Ich kenne die Familie des Farmers, Frau Gräfin.“ Und dann – zögernd: „All das klingt wie ein Märchen … Ein Märchen, das nun gleichsam mit einem zweiten zusammenschmilzt, dem meines Schicksals! Nie hätte ich geglaubt, daß ich noch einmal Menschen zu Gesicht bekommen würde. Ich hatte bei Ellinors Tod mir geschworen, diese Grotte nie mehr zu verlassen … Ich … werde diesen Schwur halten …“
Er sagte das so bestimmt und so ohne jede besondere Betonung, als handelte es sich um etwas Selbstverständliches …
„Und – – Ihr Kind?!“ rief Mafalda jetzt, indem sie Sir Morton scharf anblickte. „Soll Ihr Kind etwa droben auf der Oberwelt sich als Waise betrachten müssen, soll es erst nach Jahren, wenn sein Verstand gereift ist, erfahren, daß sein Vater nur Gedanken für die tote Gattin hatte?!“
Harry Morton hielt Mafaldas Blick mit einem unendlich trüben Lächeln stand …
„Mein Kind wird, sobald es ein eigenes Urteil besitzt und dann meine Aufzeichnungen liest, die von der Gräfin Gaupenberg bis dahin freundlichst aufgehoben werden sollen, mir Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich habe das, was ich mit Ellinor vereint hier erlebte, in Tagebuchform niedergeschrieben, zumeist sofort nach den einzelnen Abschnitten unseres dreijährigen einsamen Daseins … Unsere Erlebnisse aber, die eng verknüpft mit einer längst entschwundenen Kulturepoche sind, stellen vielleicht das Rätselvollste und Sonderbarste dar, daß je Menschen durchmachen durften. Die Abenteuer der Sphinxleute sind im Vergleich zu den unsrigen nur wie Gemälde ohne starke Farbenkontraste … – Sie, meine Damen, werden meine Behauptung in diesem Augenblick noch etwas anmaßend finden, da Sie selbst sicherlich überzeugt sind, es könnte nichts geben, das Ihr Ringen um den Azorenschatz überträfe. Doch, glauben Sie mir, diese Grottenoase birgt die Geheimnisse einer Zeit, deren Menschen die Pyramiden im Niltale schufen, – deren Menschen zu Isis und Osiris beteten und deren Priester über magische Kräfte verfügten, die man in den alten Schriften nur vorsichtig angedeutet hat … – Sehr bald dürfte Graf Gaupenberg erscheinen … Dann – werden Sie alles wissen – alles! Und wappnen Sie sich rechtzeitig mit guten Nerven … Daß meine Gattin dort im kleinen Tempel als Isis thront, ist … das geringste Wunder meines kleinen Reiches hier …“
Gerade Mortons monotone, müde Sprechweise machte diese Erklärungen noch eindrucksvoller …
Den drei Frauen war’s plötzlich, als ob sich ein Alb auf ihre Seelen legte …
Scheu blickten sie über den üppigen grünen Oasengarten hinweg …
Unfaßbar schien’s, daß dieses friedliche Höhlenparadies wirklich noch Geheimnisse aufzuweisen hätte, die ähnlich der Mumie Ellinor Mortons ein stilles Grauen erwecken könnten …
Da legte Agnes plötzlich das Kindlein behutsam Mela in den Schoß und erhob sich …
„Ich möchte meinen Gatten an der Isisstatue in der Tempelhalle erwarten,“ sagte sie und nickte Mafalda und Mela zu, während sie den Engländer nur durch ein Neigen des Kopfes grüßte. Dann verschwand sie den Säulen der Vorhalle …
Was es eigentlich war, das sie so unvermittelt hier in die friedliche Einsamkeit der leeren weiten Halle getrieben hatte, – sie wußte es selbst nicht.
Sie folgte nur einer in ihrem Unterbewußtsein rege gewordenen Sehnsucht – nicht nach dem Geliebten … Nein, das war nur ein Vorwand gewesen …
Die Isisstatue, dieses mächtige Steinbild, zog sie wie ein Magnet an …
Weshalb – sie konnte sich auch hierüber keine Rechenschaft geben …
Und wieder stand sie nun, jetzt vor der zur Seite gerückten Statue, genau wie vor einer Stunde mit gefalteten Händen da …
Schaute empor zu dem steinernen Gesicht mit dem rätselvollen Zug um den Mund …
Und fühlte abermals, daß von dieser Göttin ein merkwürdiger Zauber ausging, – daß der Blick, der erst einmal auf diesem Antlitz ruhte, nicht mehr loskam, als wären die Augen gebannt …
Tiefe Stille ringsum …
Nicht einmal das Murmeln des Baches draußen war hier vernehmbar …
Daß ihre Gedanken sich verwirrten …
Sekundenlang dachte sie an Sir Mortons Andeutungen … an die andere Isisstatue, – an die Mumie der schönen Ellinor … an das Kind, daß sie unter dem Herzen trug … an Gaupenberg, den sie nun wieder in die Arme schließen würde …
Aber all das waren nur flüchtige Bilder wie rasch dahinschießende Vogelschwärme …
Sie spürte immer deutlicher, daß sie von einer seltsamen Starrheit ergriffen wurde … Daß ein Kältegefühl ihr die Glieder lähmte und ihr Herz immer langsamer schlug … Das Atmen wurde ihr schwer … Sie rang nach Luft …
Ein unnennbares Entsetzen packte sie …
Sie glaubte sterben zu müssen …
Ein klarer Gedanke schoß wie eine lodernde Flamme durch das Dunkel ihres benommenen Hirns …: ‚Wenn du noch eine Minute länger in das Gesicht der Isis starrst, sinkst du tot um!’
Sie … wollte um Hilfe rufen …
Denn sie sah ein, daß sie aus eigener Kraft nicht mehr fähig war, auch nur ein Glied zu rühren, auch nur die Augen zu schließen, um diesem lächelnden steinernen Antlitz zu entgehen …
Nebelgebilde wallten vor ihren Augen auf …
Schleier, die die Statue der Isis scheinbar belebten, zurücktreten ließen …
Und aus diesen wehenden grauen Flocken und Wölkchen, aus diesem eingebildeten Gespinst glühte jetzt nur noch die grell strahlende, zwischen dem Kuhhörnern hängende Scheibe wie die Sonne hinter leichtem Gewölk hervor …
Das eisige Gefühl des langsamen Absterbens hatte jetzt fast Agnes’ Herz erreicht …
Dieses Herz hämmerte in wilden Schlägen … als ob es den nahenden Tod abwehren wollte …
Da – fühlte Agnes etwas anderes …
Zwei Arme umschlangen sie …
Rissen sie empor …
Einen gellenden Schrei stieß sie aus …
Die Sinne schwanden ihr vollends …
Und dann wieder eine Stimme – eine liebe, besorgte Stimme:
„Agnes …!! Agnes …!!“
Träger öffnete sie die Lider …
Sie lag an Gaupenbergs Brust … Um sie her standen die Getreuen: Murat, Mafalda, Mela … und Sir Morton …
Drüben die grünen Palmen … Kokospalmen, mit dicken Nüssen … Dattelpalmen mit überreifen Früchten … Blühende Sträucher, Blumen, der murmelnde Bach …
Fassungslos schaute sie ihren Gatten an … irrte ihr Blick wieder umher …
Sie befand sich vor dem Tempel, vor der Säulenhalle …
War in Sicherheit vor der Isisstatue …
Ein Tränenstrom brach aus ihren Augen hervor … und damit löste sich die unerträgliche Spannung …
Und so hörte sie Sir Mortons klare, traurige Woche:
„Ich kam gerade noch zur rechten Zeit, Gräfin … Ich trug Sie hier ins Freie … Ich war Ihnen gefolgt, weil ich Sie allein in der Halle wußte und weil ich … alles weiß! Denn so, wie Sie soeben zu sterben drohten, so … starb mir meine Ellinor …“
Und noch leiser als dies:
„Nun haben Sie selbst erfahren, Gräfin, das mein kleines Reich Gefahren enthält, die weit schlimmeren als das, was man mit menschlichen Sinnen rechtzeitig spüren kann – und abwehren … Bitte, setzen wir uns wieder auf die Treppenbrüstung … Ich werde Ihnen das Wichtigste aus meinem Tagebuch vorlesen, nachdem ich Ihnen noch einiges über meine Person angegeben habe …“
Die Sphinxleute verteilten sich auf die Brüstung …
Agnes hatte sich überraschend schnell erholt … Sie fühlte sich an Gaupenbergs Brust so geborgen … Er hielt sie noch immer auf den Knien, hielt sie umschlungen … Und doch, wenn sie jetzt zurückdachte an diese entsetzlichen Minuten vor der Isisstatue, empfand sie nichts mehr von dem Grauen, das vorhin in seinem Übermaß ihr Leben zu vernichten gedroht hatte …
Nein – sogar eine leise Sehnsucht war bereits wieder in ihr erwacht, – dasselbe unerklärlich Sehnen, das sie bereits einmal gespürt – – nach dem Anblick des steinernen lächelnden Gesichts …
Aber desto fester schmiegte sie sich in des Geliebten Arme …
Blickte ihn an …
Und sein Blick war unendliche Liebe und der Zärtlichkeit. –
Sir Henry Morton begann …
„Ich bin der jüngste Sohn Lord Albert Morton Sinclaires. Ich habe Philosophie und Altertumskunde studiert. Von jeher, schon als Knabe, lockten mich die Ruinenstädte des alten ägyptischen Reiches. Da ich reich und unabhängig war, lebte ich nach Vollendung meiner Studien nur noch in Kairo unternahm von dort aus Forschungsreisen.
Im Januar 192. geschah dann zweierlei. Ich fand in den Ruinen von Memphis unweit der Stelle, wo einst der weltberühmte Isistempel sich erhob, einen Papyrushandschrift, die ich, obwohl sie halb zerstört war, doch noch zum größten Teil entziffern konnte. Und – zweitens, ich lernte Ellinor Grey kennen, eine Waise, die mit ihrer Gesellschafterin das Niltal bereiste. Einen Monat später heirateten wir in Kairo in aller Stille, denn unsere Liebe war zu rein und zu groß für die spöttische Öffentlichkeit.
Ellinor hatte genau dieselben Interessen wie ich. Und sie hatte sich vornehmlich mit der Geschichte Altägyptens beschäftigt … Auch sie hegte nur den einen Wunsch, Aufschluß über eine Frage zu erhalten, die schon seit Jahrzehnten die Ägyptologen in Atem gehalten hatte. Damals war aus alten Inschriften entnommen worden, daß die von einem Sagenkranz umwobene, berühmteste Isisstatue aus dem Tempel von Memphis durch Priester an einen anderen Ort geschafft worden war, als das vordringende Christentum die alten Heiligtümer mit Feuer und Schwert vernichtete.
Diese letzten Isispriester, so las man aus den Inschriften heraus, hatten die Statue, der man allerlei Wundergaben beimaß, auf ein Schiff gebracht und waren nilaufwärts davongefahren … Wohin, das wußte bisher niemand.
Da fand ich die Papyrusblätter. Sie waren in eine Bleikapsel eingeschlossen gewesen. Der, der sie geschrieben, nannte sich Annysteros, Priester der Isis. Er hatte geholfen, die Statue wegzuschaffen, und war dann nochmals nach Memphis zurückgekehrt, um noch andere Gegenstände aus dem Tempel zu holen.
Krankheit überraschte ihn. Sterbend schrieb er nieder, was für die meisten ein Geheimnis, daß die Isisstatue in einer tiefen Höhle ein sicheres Versteck gefunden hatte!
Ich will mich mit dieser Vorrede doch kürzer fassen, Graf Gaupenberg. Ich rüstete also eine Expedition aus, um Annysteros’ Angaben nachzuprüfen.
Und so kamen Ellinor und ich eines Tages zu der Lichtung, wo die Familie Werter einsam hauste …
Die Werters schickten uns jedoch, besorgt um den stillen Frieden ihrer Farm, wieder weg. Trotzdem hatten Ellinor und ich bereits festgestellt, daß der Eingang zu der von Annysteros erwähnten Unterwelt, wie wir vermuteten, in dem Felsenhügel neben der Farm zu suchen war.
Die Leute unserer Expedition lagerten am Nilufer. Als wir zu ihnen zurückgekehrt waren, weihten wir unseren Diener Tamsa, eine nubischen Neger, in unsere Absichten ein.
Tamsa half uns, alles Nötige für einen längeren Aufenthalt in den Grotten nach der Lichtung zu bringen. Dann traten Ellinor und ich, nachdem wir die wachsamen Hunde des Farmers betäubt hatten, mit drei Mauleseln den Marsch in die Höhlen an. Tamsa weinte beim Abschied, doch ich blieb fest und schickte ihn zurück.
Ich richtete mich dann genau nach Annysteros’ Angaben über den unterirdischen Weg …
Nach einer Woche etwa waren wir am Ziel. Ich fand die steinerne Geheimtür, die die Isispriester angelegt hatten … Und Ellinor und ich betraten die Grottenoase …“
Sir Morton faßte jetzt in die Innentasche seiner Tropenjacke und holte ein schmales längliches Büchlein hervor … Es war eines jener Notizbücher, wie sie eigens für die feuchte Tropenluft hergestellt werden, mit einem luftdicht schließenden Deckel aus Aluminium und mit besonders prägniertem Papier.
Er öffnete das Bändchen …
„Ich hielt es für richtig, meine Aufzeichnungen diesen Blättern anzuvertrauen, die selbst Jahrhunderte überdauert hätten … – Lassen Sie mich jetzt also das Wichtigste vorlesen …
5. April 192. – Die Angaben des Priesters Annysteros haben sich in jeder Weise bestätigt. Die mit der Isisstatue hierher entflohenen zweiundzwanzig Priester schufen in jahrelanger Arbeit nicht nur die beiden Tempel, sondern auch den großen Garten, dazu den geheimen Weg nach der östlichen Nebengrotte … – In dem kleinen Tempel befindet sich ein durch Gestrüpp jetzt völlig versteckter Anbau, in dessen zwei Räumen Ellinor und ich uns häuslich eingerichtet haben. Wir benutzen die uralten primitiven Holzmöbel der längst dahin gegangenen Priester, die dort ebenfalls gewohnt haben.
17. Juni 192. – Unser Leben hier in der Unterwelt fließt ruhig und ohne Aufregungen dahin. Ellinor und ich arbeiten sehr fleißig an der Entzifferung der hier vorgefundenen Papyrusschriften. Leider haben die Priester aber zum größten Teil die tiefsten Geheimnisse des Isiskultes in einer besonderen Schriftart verfaßt, und bisher ist es mir nicht geglückt, diese Chiffres aufzulösen. Ich hoffe aber, daß mir auch dies noch gelingen wird.
19. Juni 192. – Einen Tag später … Nur einen Tag. Aber dieser Tag hat uns bewiesen, daß wir von Geheimnissen umgeben sind.
Unsere mitgebrachten Proviantvorräte gingen bereits stark auf die Neige, so daß wir in den letzten Tagen uns von Früchten nährten. Heute früh aber entdeckte Ellinor auf der Wiese neben dem Bach, wo unsere drei Maulesel weideten, zu ihrem großen Erstaunen ein Lämmchen, das vergnügt umhersprang.
Ich war der festen Überzeugung, daß irgendjemand das Tier hierher geschafft haben müsse, fand aber nirgends Spuren eines Fremden.
Dann – mittags – geschah etwas anderes … Ich hatte in den Kellern des großen Tempels die Mumien der hier verstorbenen Isispriester, die von ihren Gefährten auf die den alten Ägyptern so wohlvertraute Art zu Mumien präpariert worden waren, mir genau angesehen und wollte gerade in die Tempelhalle zurückkehren, als ich in von dort Schritte vernahm. Ich glaubte, es sei Ellinor, und rief daher ihren Namen. Die Isisstatue war zur Seite gerückt und das quadratische Loch unter dem Sockel der Göttin lag frei. Ellinor hätte mich unbedingt hören müssen.
Doch niemand antwortete. So eilte ich die Stufen hinab.
Die Halle war leer …
Vor der Statue der Göttin Isis aber lag in einer steinernen Opfermulde das frisch geschlachtete Lämmchen.
Ich war so überrascht, daß ich geradezu gelähmt dastand.
Unmöglich, daß etwa Ellinor das Lämmchen geschlachtet hätte! Meine zarte Ellinor wäre dazu niemals imstande gewesen!
Doch ich mußte Gewißheit haben …
Ich lief zum kleinen Tempel hinüber. Ellinor saß ahnungslos auf der Treppe und zerschnitt Kokosnußfleisch in kleine Stücke, bereitete das Mittagsmahl vor.
Als ich ihr erzählte, was ich soeben vor der Isisstatue gesehen, sagte sie ernst: ‚Harry, ich weiß es längst, daß hier unsichtbar für uns noch andere Wesen schalten und walten. Ich wollte dich nicht mit meinen Beobachtungen belästigten. Deshalb schwieg ich. Ich habe schon häufiger vor der Statue Früchte gefunden, die dort als Opfergabe niedergelegt waren. Außerdem, Harry, die essbaren Yamswurzeln, die uns so wertvoll sind, habe nicht ich drüben im Palmenhain entdeckt, wie ich bisher behauptete. Nein, die Yamswurzeln waren eines Morgens – und das sind vier Tage her – auf der Treppe des großen Tempels ausgebreitet – zwölf Stück, und weitere zwölf waren gleichsam als Wegweiser dort bis zum Palmenhain verstreut, wo ich genau erkannte, an welcher Stelle sie ausgegraben waren.’
So sprach Ellinor.
Ich möchte hier noch nachholen, daß sie eine merkwürdige Scheu vor der Isisstatue hat und daß sie die große Tempelhalle ungern betritt.
7. Oktober 192. – Wir haben uns jetzt schon ganz daran gewöhnt, daß wir hier unsichtbare Mitbewohner haben, die uns freilich in keiner Weise belästigten, sondern eher nützlich sind.
Das Opferlämmchen damals haben wir verspeist. Seitdem fanden wir noch drei weitere Lämmer, acht geschlachtete Hühner und zehn Wildtauben in der Opferschale. Für uns hochwillkommene Fleischnahrung. –
Meine wissenschaftlichen Arbeiten schreiten rüstig vorwärts. Ich habe jetzt die Geschichte dieses unterirdischen Isistempels begonnen, und es wird ein Werk werden, wie noch kein Ägyptologe es zustande brachte.
Wir fühlen uns hier glücklich und zufrieden: Adam und Eva im Paradies – vor dem Sündenfall!
25. Dezember 192. – Unsere drei Maulesel sind uns gestern gestorben. Sie haben leider, als wir schliefen, ihre Steinhürde an einer Stelle eingedrückt und sich über die Blüten des Zirkissa-Strauches hergemacht. – Armen Tiere! Diese Blüten sind ebenso wohlriechend wie giftig. – Ich habe die Kadaver vergraben. Nun sind wir hier ganz allein, – das heißt, die Unsichtbaren sind ständig um uns und geben uns immer wieder Beweise ihres Vorhandenseins. Gestern lag wieder ein frisch geschlachtetes Lamm in der Opferschale – für uns der Weihnachtsbraten.
14. März 192. – Jetzt sind wir bald ein volles Jahr hier in der Grottenoase. Die Zeit ist uns wie im Fluge vergangen und weder Ellinor noch ich haben Sehnsucht nach der Oberwelt. Es würde uns ja auch sehr schwer werden, ohne Lasttiere den Rückweg nach Werters Farm anzutreten. – Nun, das soll eine spätere Sorge sein. Zunächst habe ich noch immer nicht den Schlüssel zu der altägyptischen Chiffreschrift gefunden und außerdem hier noch so viele Wandreliefs genau zu untersuchen und zu beschreiben, daß wir wohl noch ein Jahr in unserem Paradiese bleiben werden.
3. September 192. – In unserer Daseinsführung hat sich nichts geändert. – Wir sind glücklich! – Und das besagt genug.
Inzwischen habe ich allerlei versucht, die unsichtbaren Gefährten unserer Einsamkeit vielleicht zu zwingen, sich uns auch einmal auf andere Art zu offenbaren. Ich habe Ihnen geradezu Fallen gestellt, und Ellinor hat dies weidlich belächelt und hat recht behalten. Ich bin jetzt fest überzeugt, daß hier tatsächlich überirdische Gewalten ihrer Hand im Spiele haben! – Bisher kamen mir noch zuweilen Zweifel. Ein Vorfall gestern zeigte mir, daß, so unheimlich das auch klingen mag, die Mumien der Isispriester zweifellos sich aus ihren Wandeinbuchtungen sich erheben und … umherwandeln.
Ich war morgens sehr früh aufgestanden. Morgens – denn obwohl es in unserem Paradies keine Nacht gibt, halten wir uns doch streng an eine bestimmte Tageseinteilung, das heißt, wir tun so, als ob wir wie auf der Oberwelt eine Nacht hätten und begeben uns daher regelmäßig ‚abends’ zehn Uhr zu Ruhe.
Ich hatte mich ganz leise erhoben. Ellinor schlief noch. Zu so früher Stunde war ich noch nie im Garten gewesen. Als ich die eine Brücke des Baches gerade gegenüber der Treppe des großen Tempels überschritt, erblickte ich in der Tempelhalle vor der Isisstatue mit dem Rücken nach mir hin einen der Isispriester …
Ich blieb wie gebannt stehen …
Die Gestalt trug die üblichen Gewänder mit der hohen Priestermütze und bückte sich gerade, um ein … Lamm in die Opferschale zu legen …
Ich schüttelte die Lähmung gewaltsam ab und eilte leise vorwärts, verlor natürlich, je mehr ich mich der Treppe nährte, den Priester aus den Augen …
Als ich die Stufen mit langen Sprüngen emporgeklommen war, fand ich die Halle leer … Nur das frisch geschlachtet Lamm lag in der Opferschale. Die Statue stand so, daß die Bodenöffnung verschlossen war.
Es wäre ein müßiges Beginnen gewesen, nach dem Priester noch zu suchen. Er konnte sich nicht entfernt haben, ohne daß ich ihn bemerkt hätte, – wenn’s eben ein Wesen von Fleisch und Blut gewesen wäre!
Ich gebe zu, daß mich jetzt doch wieder ein leises Grauen beschlich …
Der Gedanke, hier in der Grottenoase mit … Gespenstern zusammen zu hausen, hatte doch etwas Schreckensvolles an sich …
Doch diese Empfindungen verloren sich schnell. Noch nie hatten wir von diesen stillen Mitbewohnern Übles erfahren. Nein – selbst das verargten sie uns nicht, daß wir die Opfergaben in unserer Küche verwendeten.
Immerhin verschwieg ich Ellinor das Erlebte. Sie ist in letzter Zeit etwas nervös geworden. Die große Tempelhalle betritt sie überhaupt nicht mehr. Sie sagt, die Isisstatue gewinne Leben, wenn sie eine Weile davor stände und der Göttin Antlitz schaue. –
5. Oktober 192. – Wieder über ein Jahr verflossen … Und wir beide noch immer hier – noch immer!! Und denken noch immer nicht an die Rückkehr zur Oberwelt …
Es ist hier im übrigen alles geblieben wie es war. Die Opfergaben finden wir jetzt regelmäßig alle vierzehn Tage. Dreimal erblickte ich auch wieder in der Halle flüchtig die Priestergestalt …
Inzwischen habe ich endlich den Schlüssel der Chiffreschrift entdeckt und konnte so die Papyrus-Schriften, deren Inhalt mir bis dahin noch verborgen, entziffern und bei der Abfassung meines Buches verwerten.
Ich bin nun ein Eingeweihter. Ich kenne die geheimsten Geheimnisse der Isisstatue. Ich weiß, daß der Brauch der alten Ägypter, ihre vornehmen Toten einzubalsamieren, einen ganz anderen Sinn hat als man bisher annahm. Leichen, die von den Priestern der Isis unter vorgeschriebenen Zeremonien präpariert werden, erlangen die Unsterblichkeit zugleich mit für die Seele. Solche Toten sind keine Toten. Bei ihnen hat nur eine Trennung von Leib und Seele stattgefunden … – Doch, weshalb erwähne ich dies hier?! In meinem eingehenden Werk habe ich ja die betreffenden Stellen aus den Papyrusschriften wörtlich angeführt.
Nein, in unserem Leben hat sich nichts geändert …
Wir sind glücklich in unserem Paradiese …“
Sir Morton legte das Büchlein, aus dem er bisher vorgelesen hatte, in den Schoß und blickte eine Weile sinnend auf sein Kind, das auch jetzt in Melas Armen friedlich schlummerte …
Keiner der Zuhörer sprach ein Wort … Halb verlegen, halb wie umweht von einem unnennbaren Reiz des Geheimnisvollen, saßen sie stumm da …
Gespannt auf die Fortsetzung dieser seltsamen Robinsonade zweier Menschen, die freiwillig hier in den Tiefen der Erde sich vergraben hatten …
Auch Murat war nichts von dem Inhalt des Tagebuchs entgangen, obwohl er manches nicht verstanden hatte … Ägypter, Isiskult, Opfergaben, – das waren ihm unbekannte Dinge … Nur eines hatte er genau begriffen, daß Sir Morton diese Spenden an frisch geschlachteten Tieren als übernatürliche Vorgänge auffaßte und daß er den Mumien zutraute, dort unten im Keller des Tempels aus den offenen Holzsärgen zu steigen.
Der Homgori erhob sich jetzt geräuschlos und schlich davon – in die Halle hinein …
Niemand hielt ihn zurück …
In Murats Hirn war ein ganz bestimmter Verdacht aufgetaucht, der so recht seinem primitiven und doch stets sachlichen Gedanken entsprach … Seine Gedankenwelt war unbeeinflußt durch tiefgründige Studien. Er beachtete nur das Greifbare, das wirklich Vorhandene und Geschehene. Lächerlich kam es ihm vor, daß die toten vertrockneten Mumien Lämmer, Hühner, Wildtauben und anderes aus dem Nichts herbeizaubern sollten – – hier unter der Erde, wo es auf viele Tagereisen im Umkreis nur Höhlenmolche, Salamander und zuweilen garstige Würmer gab!
Noch lächerlicher, daß die Mumien diese Tiere geschlachtet haben sollten! Und so betrat er denn die Tempelhalle und blieb vor der Isisstatue stehen …
Glotzte der Göttin wütend und rachsüchtig in das lächelnde Antlitz …
Drohte ihr sogar mit der Faust …
Er wußte ja, diese Frau aus Stein hätte seine geliebte Miß Agnes beinahe getötet – –!!
Dann streifte er die plumpen Schuhe von den behaarten Füßen. Er trug die Schuhe ohnedies nur mit Pein, nur aus Rücksicht darauf, um nicht zu sehr von den Sphinxfreunden abzustechen …
Nahm die Schuhe in die Linke und schlich lautlos an den Wänden der Halle entlang …
Dann in die Kellerräume hinab … Die Statue war ja noch beiseite geschoben, und die Öffnung im Boden lag frei …
Murat hatte keine Laterne mit. Er brauchte sie nicht … Er konnte sich auf seine Augen verlassen … Die waren wie die einer Katze …
Nun stand er vor den Mumienkästen … Im Dunkeln… Er sah sie nicht. Er roch sie nur … Doch er war ja hier bereits zweimal vorübergekommen. Der scharfe Kampfergeruch hatte schon zweimal seine feine Nase beleidigt …
Schräg gegen die Felswand gelehnt standen diese Kästen, buntbemalt, die Mumien darin bis zur Brust in farbige Binden gewickelt …
Das hatte Murat vorhin bei Laternenlicht genau gesehen …
Und einer dieser vertrockneten runzligen Toten sollte als Priester in losen Gewändern die Opferlämmer vor der Göttin niedergelegt haben?!
Der Homgori grinste geringschätzig in der ihn umgebenden Finsternis … Dieser Master Morton war ein … Narr! Wie sollte wohl eine dieser kampferduftenden, eng umwickelten Leichen oben in der Halle sichtbar geworden und hin und her gegangen sein?!
Murat hatte halt gemacht …
Minutenlang stand er ohne jede Bewegung …
Seine kleinen Äuglein glitten ringsum … Seine Ohren fingen jeden Laut auf …
Und für seine Ohren gab es hier unten doch allerlei Geräusche …
Da waren zunächst die Wassertropfen, die drüben von den Wänden rieselten, wo der Bach über diesen unterirdischen Gang hinwegströmte und das Wasser durch das Gestein sickerte …
Die Tropfen fielen mit klingendem Klatschen herab – stets in gleichen Zwischenräumen …
Und dann – noch ein anderes Geräusch … Ein dumpfes tiefes Rasseln – kaum vernehmbar, häufig verstummend, dann wieder auflebend …
Murat konnte nicht ergründen, welcher Art diese Töne waren …
Auch nicht, woher sie kamen … Diese Kellergewölbe warfen den Schall zu häufig zurück, verwirrten so das Ohr …
Aber der Homgori war hartnäckig …
Er schlich an den Wänden entlang, genau wie vorhin oben in der Halle … auf lautlosen, nackten, harten Sohlen seiner Affenahnen …
Horchte hier …
Horchte dort …
Bis er mit einem Ruck stehen blieb …
Sein Kopf schnellte nach rechts …
Sein Oberleib schob sich vor …
Die langen Arme betasteten die Wand …
Er stand hier gerade an der Rückwand der Kellergewölbe … Vor mächtigen Steinquadern … Roh behauen …
Und … horchte …
Da war das dumpfe Rasseln in nächster Nähe …
Und doch so leise, daß das klingende Klatschen der Wassertropfen da vorn es beinahe übertönte …
Vielleicht wären einem menschlichen Ohr diese unbestimmten Laute überhaupt entgangen …
Vielleicht hatte Sir Morton in diesen Jahren seines Einsiedlerlebens hier in der Grottenoase diese Geräusche zuweilen ebenfalls vernommen und doch nie beachtet …
Murat beachtete sie …
Er wußte genau, die Ursache dieser Laute steckte hier an dieser Stelle hinter den Steinquadern …
Seine großen Finger, deren Tastvermögen doch so überaus fein ausgebildet war, glitten die Mörtelfugen hinauf und hinab, nach rechts und nach links …
Dieser Mörtel war steinhart, doch einzelne Stückchen bröckelten heraus …
So durchquerte des Homgoris Geist die Kellerwand …
Einen Weg mußte es hier hindurch geben … Und auch eine Öffnung, durch die das rasselnde dumpfe Stöhnen hindurchdrang …
Schließlich bückte er sich …
Und dort, wo die unterste Schicht der Steinwürfel lag, und diese den Boden berührte, da konnte er den Finger hineinschieben …
Er warf sich der Länge nach nieder und drückte das Ohr an die Spalte …
Im Dunkeln … glitt ein Grinsen über sein wildes Gesicht …
Wieder arbeiteten seine Finger …
Und dann … zog er langsam zwei der Steinquadern dicht über dem Boden langsam heraus – wie eine schmale Tür … Wie das Schlupfloch für einen Fuchsbau …
Tastete vorwärts …
Fühlte eine wollene Decke …
Schob sie zur Seite …
Und rötliches Laternenlicht traf seine zusammengeduckte Gestalt … Die Flamme einer Öllaterne …
Ein Blick in das Gewölbe …
Allerlei Gegenstände …
Und rechts ein Lager aus Blättern und Decken …
Von dort kam das Rasseln …
Dort … lag ein Mensch in tiefem Schlaf und schnarchte … – –
Inzwischen hatte Sir Morton wieder das Büchlein vom Schoße genommen und weiter gelesen …
„5. März 192. – Heute bin ich endlich hinter den Grund von Ellinors in den letzten Wochen so völlig verändertem Benehmen gekommenen. – Ihr Verhalten war mir seit einiger Zeit eine Quelle steter ernsthaftester Besorgnisse …
Sie, die bis dahin die große Tempelhalle der Göttin Isis so ängstlich gemieden hatte, brachte nunmehr häufig ganze Stunden vor der Statue zu …
Ob traf ich sie dort wie in halber Betäubung und Erstarrung an …
Da verbot ich es ihr, die Halle zu betreten …
Es half nichts … Wenn ich über meine wissenschaftliche Arbeit gebeugt in meinem Studierzimmer saß, dann schlich sie zu der unseligen Göttin …
Und heute früh fand ich sie abermals in der Halle vor. Sie sah so blaß und matt aus, daß ich ihr die ernstlichsten Vorhaltungen machte …
Da geschah denn etwas Unerwartetes … Sie warf sich an meine Brust und flüsterte mir unter Tränen zu, daß sie sich seit Monaten Mutter fühle, und daß von dem Tage an, wo sie hierüber Gewißheit erlangt hatte, die Statue der Isis eine geheimnisvolle Anziehungskraft auf sie ausgeübt habe …
‚Harry,’ flüsterte sie, ‚dieses ist ja die Göttin der belebenden Sonne, der Fruchtbarkeit und der Mütterlichkeit … Ich spürte den inneren Drang, zu ihr zu beten, sie anzuflehen, daß unser Kind gesund zur Welt käme …’
Und ich erwiderte ihr, was ich bisher verschwiegen: ‚Sie ist aber auch die Göttin der Magie, der Zauberei, der geheimnisvollen Künste, die sie ausübt, wie es ihr gerade gefällt …! – Ich warne dich, Ellinor … Ich habe in den uralten geheimen Schriften gerade über diese Isisstatue allerlei gefunden, was nur halb angedeutet ist … Du hast es ja selbst an dir erlebt, welch’ hypnotischen Einfluß das Gesicht der Isis auf dich hat … Meide sie, Ellinor …!’
Nach dieser Aussprache, die meine Befürchtungen über Ellinors Gesundheitszustand durchaus zerstreute und die mich auch anderseits sehr beglückte, weil unser Wunsch nach einem Kinde nun endlich in Erfüllung gehen sollte, war meine Frau abermals wie verwandelt. Sie mied den Tempel, wie ich es verlangt hatte, begann aus den Wäschevorräten unseres Gepäcks für den zu erwartenden Erdenbürger das nötige Weißzeug zu nähen und benahm sich in allem genau so, wie auch andere werdende Mütter, die mit inniger Freude dem großen Ereignis entgegen sehen. Angst vor der schweren Stunde kannte sie nicht. Sie war ja jung, kräftig, an Strapazen gewöhnt und überhaupt ein sonniges, energisches Wesen. –
Am 14. August 192. – Der Geburtstag unseres Kindes! – Heute früh acht Uhr hat Ellinor einem Mädchen das Leben gegeben.
Es geht ihr gut, und das Kind, so haben wir beschlossen, soll Ellinor-Isis heißen, zusammengezogen zu Noris. – Freilich, erst war ich hiermit doch nicht ganz einverstanden. Der Doppelname Ellinor-Isis, den meine Frau vorschlug, erschien mir wie ein Rückfall in ihre geheime Sehnsucht nach der Göttin.
Doch – welcher Ehemann könnte wohl dem geliebten Weibe etwas abschlagen, das ihn soeben mit einem so herzigen Geschöpf beschenkt hat?!
17. August 192. – Noris gedeiht prächtig. Und mit Noris’ Eintritt in unser stilles Einsiedlerleben ist noch etwas wichtiges geschehen, denn mir sind jetzt allerlei Bedenken gekommen, ob diese Opfergaben, die ich so regelmäßig vor der Statue fand, wirklich gleichsam überirdischen Ursprungs sein können, denn – – gestern habe ich in der Opferschale außer zwei frisch geschlachteten Hühnern auch eine sauber ausgehöhlte, mit Ziegenmilch gefüllte Kokosnuß entdeckt.
Es unterliegt für mich keinem Zweifel, daß die Milch für Noris bestimmt ist. Sollten nun die Isispriester, die hier nach meiner bisherigen Annahme als geläuterte Seelen umgehen, wirklich für unser Kind so viel Interesse besitzen, daß sie uns fernerhin nun auch mit Milch versorgen?!
Ich habe jedenfalls nochmals die ganze Grottenoase eingehend nach Spuren der Anwesenheit von Fremden durchforscht – ohne Ergebnis!
Die Opfergaben bleiben ein Rätsel.
19. September 192. – Unser Kind könnte für uns die Quelle reinster Freuden sein, wenn Ellinor nicht, nachdem sie kaum wieder ihr Krankenlager verlassen hatte, insgeheim die Besuche im großen Tempel wieder aufgenommen hätte. Dreimal habe ich sie nun bereits überrascht, wie sie mit dem Kinde im Arm vor der mir jetzt verhaßten Statue in tiefer Versunkenheit dastand.
Und dann noch etwas – Ellinor ist krank! Sie hustet stark, und sie schwindet geradezu in demselben Maße dahin, wie die kleinen Noris sich prächtig entwickelt. Ich fürchte, daß es sich um irgendein Lungenleiden handelt. Ellinor hat mir ja bereits früher erzählt, daß ihre Mutter kurz nach ihrer Geburt einer Lungenerkrankung erlegen sei.
Wenn nun vorläufig auch noch kein Anlaß zu ernsteren Besorgnissen besteht, so habe ich jetzt trotzdem keine Ruhe mehr zu meiner Arbeit. Ich nehme Ellinor alle häusliche Tätigkeit ab, damit sie sich schonen kann. Ich habe ihr aus Zweigen einen Liegestuhl geflochten, und sie muß den größten Teil des Tages über draußen am Bache ruhen, und sie tut es auch mit wunderbarer Geduld. Ich hoffe zuversichtlich, daß diese Lungenkur ihr nützen wird.
15. Oktober192. – Ich habe seit Wochen nicht mehr Zeit gefunden, diesem Büchlein meine Sorgen anzuvertrauen. Denn – jetzt habe ich Sorgen! Mehr als das, ich bin verzweifelt! Ich bin machtlos gegenüber diesem grausamen Würger Tod, der sich hier in unser kleines Reich eingeschlichen hat und der nicht mehr von Ellinors Lager weicht.
Ich darf mich nicht selbst betrügen, Ellinor siecht dahin …! Und das Unheimliche dabei ist, daß sie äußerlich fast gar nicht verändert scheint. Sie sieht frisch und blühend aus. Nur die Augen haben einen verdächtigen Fieberglanz, und in der kranken Brust arbeitet die halb zerstörte Lunge mit entsetzlichen Geräuschen.
Längst ist Ellinor außerstande, das Kind zu nähren. Hätten wir nicht die regelmäßigen Spenden an Ziegenmilch, so würde die kleinen Noris kaum mehr leben.
Ich merke, wie sehr meine Nerven bereits angegriffen sind. Das logische Denken fällt mir schwer. Denn ich hätte hier zuerst das vermerken sollen, was Ellinors Krankheit mit geheimnisvollem traurigem Beiwerk umgibt.
Um es kurz zu sagen, ich bin zu spät darauf aufmerksam geworden, daß Ellinor von ihrem Ruheplatz an der Bachbrücke in die Tempelhalle hineinschauen und auf das Antlitz der Isis blicken konnte!
Zu spät!!
Ich wunderte mich über die große Geduld, mit der sie fast den ganzen Tag dort im Liegestuhl zubrachte. Bis ich dann vorgestern endlich zufällig dahinterkam, daß ihre Blicke unverwandt schräg aufwärts gerichtet waren – – empor zu den fernen steinernen lächelnden Zügen der Göttin, über deren Haupt die leuchtende Scheibe flimmert und ihr Antlitz mit seltsamem Licht übergießt …
Vorgestern war’s …
Ich schlich von hinten leise an den Liegestuhl heran. Ich glaubte, Ellinor schliefe…
Aber sie war wach. An ihrer Brust lag die schlafende Noris … Sie selbst flüsterte … betete … zur Isis!!
Ich verstand nicht alles, was sie murmelte … Ich war so entsetzt, daß ich minutenlang regungslos verharrte und lauschte …
Trotzdem hörte ich genug. Sie flehte die Göttin an, die kleine Noris vor demselben Verhängnis zu bewahren, vor einer … Vererbung der Lungenkrankheit!
Ich schlich wieder davon, um sie nicht zu erschrecken.
Und habe in meiner Verzweiflung geweint, mich selbst angeklagt, weil ich Ellinor mit mir in diese Unterwelt genommen hatte, aus der wir jetzt nicht wieder flüchten können, da es uns an Tragtieren fehlt! –
Mit übermenschlicher Kraft suche ich nun meinen Schmerz und meine Verzweiflung vor Ellinor zu verbergen … –
3. November 193. –
Ellinor ist tot …!
Tot …!!
Unfaßbarer Gedanke, daß ich hier nun mit meinem Kinde allein bin!! –
Heute früh acht Uhr ist Ellinor ganz sanft hinübergeschlummert – in der Tempelhalle vor der Isisstatue.
In der Nacht weckte sie mich …
In der Nacht, die hier stets Tag bleibt …
Sie weckte mich und bat mich, sie in den Tempel zu tragen …
Ahnte, daß es mit ihr zu Ende ging …
So trug ich sie denn in dem Liegestuhl in die Halle, und dort hat sie mir angesichts der Göttin einen Eid abgenommen, wie ihn wohl noch kein Ehemann dem geliebten sterbenden Weibe geleistet hat.
Sie verlangte von mir, daß ich sie nach ihrem Tode … einbalsamieren sollte, daß ich ihr in dem kleinen Tempel als einer zweiten Isis ein Postament errichten sollte …
Ich glaubte zuerst, sie rede irre …
Aber ich täuschte mich …
Mir sträubten sich die Haare vor Grauen, als sie mit erlöschender Stimme genau erklärte, weshalb sie dieses Ansinnen an mich stelle …
‚ … Die Göttin hat mir versprochen, daß unsere kleinen Noris gesund bleiben wird, wenn du mich der Vergänglichkeit entziehst und mich als Mumie, als zweite Göttin Isis dort in unserem Heim über mein Kind wachen läßt …’
So flüsterte sie …
Und ich … habe geschworen!
Da wurde sie ganz ruhig, und nachdem sie mich und unser Kind noch mit stillem Lächeln auf die Stirn geküßt hatte, richtete sich ihr Blick auf die Statue. Mit gefalteten Händen lag sie da und schlummerte ein, ohne … je wieder zu erwachen.
So sanft war der Tod, daß ich kaum merkte, als das Leben entwichen war. –
Sie ist tot, und ich bin mit meinem Kinde allein …
Ich sitze hier in diesem kleinen Raume, den ich mein Studierzimmer nenne, und neben mir kräht mein Kind lustig strampelnd die Steinwände an …
Drüben in der kleinen Halle dieses Miniaturtempels habe ich mein Weib aufgebahrt …
Und ich sitze hier und kämpfe mit mir …
Ich habe geschworen …!!
Ich fürchte jedoch, ich werde nie die Kraft finden, all das mit der geliebten Toten vorzunehmen, was nötig wäre, um sie den Vorschriften der Isispriester gemäß einzubalsamieren …
6. November 192. – Es ist geschehen. Ich habe die Kraft gefunden! Ich hatte aus den Kellerräumen des großen Tempels all das herbeigeschafft, was nötig war, um eine Tote in eine Mumie zu verwandeln …
Seltsam genug, diese grauenvolle Arbeit ist mir sogar leicht geworden, vielleicht deshalb, weil sich mir langsam die Überzeugung aufdrängte, im Interesse unseres Kindes zu handeln!
Ich habe Ellinors Wünsche wörtlich erfüllt.
Nun sitzt sie dort in der kleinen Halle auf dem Steinpostament, äußerlich kaum verändert …
Und wenn ich vor ihr stehe und mein unsäglicher Schmerz sich in Tränen Luft macht, dann … freue ich mich, daß ich mein Weib mir … erhalten habe, daß ich sie nicht der Erde übergeben habe und mir nicht vorzustellen brauche, wie der geliebte Leib in ekle Verwesung übergeht!
Dann … versiegen meine Tränen sehr bald wieder, und mir ist, als ob ich Ellinor nicht verloren hätte …
Jetzt begreife ich den tiefen Sinnen der unheimlichen Künste der Isispriester, den Toten die Vergänglichkeit zu nehmen. Der, der je wahrhaftig geliebt hat, wird dies gleichfalls begreifen …
15. November 192. – Ich habe ein Körbchen in Ellinors linken Arm befestigt, und wenn ich nun draußen im Garten beschäftigt bin, lege ich unser Kind in das Körbchen und überlasse es dem Schutze der Mutter.
Die kleinen Noris kennt die Mutter. Wenn ich das Kind in das Körbchen bette, lacht es die Mutter an und schläft dann friedlich ein.
Mein Schmerz lindert sich. Ich … habe Ellinor nicht verloren. Ich spreche mit ihr, als ob sie lebt. –
Die Opfergaben finde ich nach wie vor am Fuße der großen Isisstatue. Ich habe es aufgegeben, darüber nachzugrübeln, wer diese Spenden dort niederlegt. Ich arbeite an der Vollendung meines wissenschaftlichen Werkes, und in wenigen Tagen werde ich damit fertig sein.
Gestern fand ich in der Opferschale ein uraltes goldenes Kettchen mit einem Skarabäus als Anhänger. Noris trägt jetzt dieses Kettchen, denn es war fraglos für sie bestimmt.
Und dann – gestern fand ich noch etwas, das mir zu denken gab. Auf der Wiese eine Stelle, wo Gras gerauft war!
Habe ich hier also doch Mitbewohner, die sich vor mir verborgen halten?! Sollten die Opfergaben und die Ziegenmilch schließlich doch noch eine sehr prosaischen Erklärungen finden?!
Aber – etwas Unbegreifliches bleibt doch bei alledem, es fehlen jegliche Fußspuren! – Ich habe doch Augen im Kopfe! Ich fand keine Spuren … Früher nicht, jetzt nicht!
Soll ich mir wirklich noch Mühe geben, hinter dieses Rätsel zu kommen?! Hätte es einen Zweck?! Weshalb mit nüchternen Überlegungen sich abquälen, wo doch so viel Geheimnisvolles mich umweht! Ellinor ist tot – und Ellinor lebt trotzdem für mich und ihr Kind weiter! Ist das nicht genug?! –
So will ich denn hier in meinem kleinen Reiche weiter mit meinem Kinde und der Geliebte hausen, bis eines Tages, vielleicht nach Jahren, wenn Noris den Strapazen eines Marsches zur Werter-Farm gewachsen ist, die Pflicht des Vaters mir gebietet, mein Kind den deutschen Ansiedlern heimlich zu übergeben, damit sie es weiter erziehen, während ich wieder zurückkehren werde zu Ellinor, um sie nie mehr zu verlassen. Dann werde ich ganz einsam sein, werde nur noch meinen Erinnerungen leben … Und so wahr ich es aus unendlicher Liebe zu meinem Kinde, das ich der Welt und den Menschen zurückgeben werde, mich …“
Hier wurde Sir Morton unterbrochen … auf einer Art, wie sie kaum gewaltsamer und erregender sein konnte …
Ein infernalisches Geheul drang plötzlich an die Ohren der hier auf der Treppe Versammelten …
Ein Geheul, das aus den Kellern des großen Tempels kommen mußte …
Ein Geheul, das ganz nach Murat klang …
Drei – – vier Schüsse folgten …
Gaupenberg, Morton, die drei Frauen waren entsetzt hochgeschnellt …
Mortons Zuhörer, die bisher unter dem Bann dieser Aufzeichnungen sich kaum zu rühren gewagt hatten, die voller Spannung jedes seiner Worte ihm förmlich von den Lippen gelesen hatten, – alle starrten nach dem Tempeleingang hinüber …
Jetzt erst wurden sie gewahr, daß der Homgori verschwunden …
Gaupenberg raffte sich auf und war mit ein paar Sprüngen im Inneren der Halle …
Während dieser Zeit, als Viktor Gaupenberg in der Grottenoase die Erlebnisse und Schicksale Sir Mortons kennenlernte, hatten sich in des toten Pattersons Höhlenfestung andere Dinge abgespielt, die nicht minder merkwürdig waren als des englischen Forschers Tagebuchaufzeichnungen …
Zunächst hatte natürlich hier in der Festung die Nachricht, daß die Frauen und Murat wohlauf und daß das Ehepaar Morton nun wirklich hier unten gefunden sei, allgemeine Freude und Aufregung hervorgerufen.
Man umdrängte den alten Farmer und seine Söhne.
Jeder wollte Auskunft über die Engländer haben … Jeder hatte die Werters etwas zu fragen …
Anderseits waren die meisten sehr ungehalten darüber, daß man ihnen das Betreten der Grottenoase untersagt hatte.
Wenn nicht Dr. Dagobert Falz in seiner gütigen und doch so bestimmenden Art die Gemüter beruhigt haben würde, wenn nicht auch Nielsen dadurch, daß er schließlich die Räumung der Festung und die weitere Rückverlegung des Lagers angeordnet hatte, die Gedanken der Freunde von den Mortons abgelenkt hätte, wäre dieses Thema wahrscheinlich bis zum Überdruß erörtert worden.
So aber gab es nun wieder sowohl für die Sphinxleute als auch für die amerikanischen Matrosen und ebenso für die Marokkaner, die keinerlei feindliche Absichten mehr hegten, übergenug zu tun.
Dr. Falz und Nielsen ordneten an, daß in der Festung lediglich Nielsen mit seiner Gattin Gipsy, ferner zwei Besatzungsmitglieder der Jacht mit ihrem Herrn Josua Randercild zurückbleiben sollten. Der kleine Milliardär hatte ausdrücklich gebeten, ihn an den Bergungsarbeiten des Schatzes teilnehmen zu lassen.
So leerte sich denn die Höhle mit dem Ozeanfenster allmählich, und Nielsen besichtigte dann nochmals die Öffnung in der Glasmasse, um, sobald die neu hergestellte Bodenrinne, die das Spritzwasser nicht mehr in den Kanal, sondern in die nördliche Nebengrotte und hier in eine tiefe Schlucht leitete, völlig fertig war, mit der Beseitigung des Steines in dem Abflußrohr des Fensters beginnen zu können.
Die Rinne im Boden wurde jetzt durch die Marokkaner noch mehr vertieft, und ein neues Bachbett war so entstanden, das nun ganz nach Wunsch die Wassermenge des noch immer herabspritzenden dünnen Strahles weiterleitete.
Nielsen, der oben auf dem Steingerüst stand, rief Randercild zu, daß er den Stein zu lockern versuchen würde.
Der Milliardär brüllte zurück:
„Nur zu!! Wir sind bereit!! Die Marokkaner habe ich nach dem Lager geschickt!“
Dann kletterte der Steuermann Mac Lean noch zu Nielsen empor. Er war einer der beiden Amerikaner, die hier bei der Arbeit helfen sollten. Der andere war Ozzeola.
Nielsen und der Schotte entfernten die drei Stangen, die man unter den Steinen gestützt hatte …
Und mit einer dieser Stangen stießen sie nun, während der dünne Wasserstrahl sie in kurzem völlig durchnäßte, mit aller Kraft von unten gegen den Stein ….
Der rührte und regte sich nicht … Saß wie eingemauert fest …
Nochmals wandten sie all ihre Kräfte an …
Unten standen Gipsy, Randercild und der Seminole und beobachteten mit gespannter Aufmerksamkeit diese gefährlichen Versuche …
Denn – sobald der Stein plötzlich frei wurde, mußte er infolge des Druckes der auf ihm lastenden Wassersäule mit ungeheurer Kraft herabschießen …
Gipsy mahnte Nielsen wiederholt zur Vorsicht …
„Keine Sorge!“ meinte der, als er nun mit Mac Lean wieder einmal eine Atempause machte … „Ich fürchte, auf diese Weise werden wir das Hindernis nie beseitigen!“
Und er wischte sich die Wassertropfen aus dem Gesicht … Lachte Gipsy munter an …
„Gerd, du nimmst die Sache zu leicht!“ rief seine junge Gattin da abermals. „Wartet doch lieber ab, bis Gaupenberg sich wieder einfindet …“
„Unnötiger Zeitverlust!“ erklärte Nielsen kurz. Und zu Mac Lean:
„Bitte – an die Arbeit!!“
Sie packten die Stange wieder …
Sie hatten indessen frische Kräfte gesammelt …
Ein wütender Stoß nach oben …
Und – ein Splittern, Bersten, ein dumpfer Knall.
Gipsy schrie vor Schreck gellend auf …
Randercild riß sie zurück …
Ozzeola war gleichfalls mit langem Satz zur Seite ausgewichen …
Nielsen und Mac Lean aber waren mit genauer Not dem Verhängnis nur dadurch entgangen, daß sie sich zurückgeworfen hatten und an dem Steingerüst hinabgerutscht waren …
Denn – nicht nur der Stein hatte sich jetzt gelöst und war mit einer mächtigen Wassersäule hinab in die Höhle geflogen …
Nein – auch ein Stück der Glasmasse war abgesplitterte und hätte Nielsen und den Schotten unfehlbar erschlagen, wenn sie sich nicht im allerletzten Moment noch in Sicherheit gebracht haben würden …
Ein Glasstücke von ein Meter Dicke und gut zwei Meter Länge wars gewesen …
Ein riesiger, zackiger Splitter …
Wie eine Bombe war er auf die Steine geprallt und in mehrere Teile auseinandergebrochen. –
Die hier anwesenden fünf Personen kamen kaum recht zur Besinnung, den jetzt erfolgte das, womit man gerechnet hatte. Der Ozean warf mit der Wassersäule beständig Goldbarren hinab …!
Gleich Vollgeschossen sausten die gelben Metallziegel auf den Höhlenboden … Begleitet von Wasser- und Sandmassen, die jedoch in der Rinne sich sammelten und brausend davonglitten …
Es war, als ob der Ozean das schnöde Gold mit aller Kraft wieder ausspeien wollte … Es war, als ob das weite, tiefe Meer sich ekelte, diese goldenen Schätze in seinem Schoße aufzubewahren …
Barren auf Barren folgte …
Ein förmliches Bombardement, daß der Höhlenboden dröhnte, daß wiederum Steinsplitter umherflogen … daß die fünf Menschen, die hier Zeugen dieser einzigartigen Rückgabe des Azorenschatzes wurden, bis in den äußersten Winkel flüchteten, wo sie eng zusammengedrängt minutenlang geradezu fassungslos dastanden und nur beobachteten, wie sich in der Strahlrichtung der herabschießenden Wassermassen die Barren zu kleinen Hügeln häuften …
Und dem Gold wieder folgten die Kleinodien König Matagumas …
Diese aber, leichter als die Goldziegel, wurden von den abfließenden Fluten eine Strecke mitgerissen und säumten den Rand der Rinne mit gleißenden, schillernden Streifen ein …
„Fabelhaft!!“ brüllte der kleine Randercild jetzt …
Aber – so sehr er auch seine meckernde Stimme anstrengte, der Wasserstrahl übertrumpfte alles mit seinem Getöse!!
Dann brachte Nielsen den Mund dicht an Randercilds Ohr …
„Wir müssen uns Unterstützung holen …!“ brüllte er mit voller Lungenkraft. „Wir müssen mit Stangen die Barren aus dem Bereich des Wasserstrahles ziehen!“
Und Randercild verschwand …
Er schickte den Seminolen ins Lager, und gleich darauf erschienen noch acht Matrosen … –
Wie vorhin, als Patterson und Ben Safra die ersten Goldziegel bergen konnten, war auch jetzt die Hälfte der Grotte mit einem feinen Sprühregen ausgefüllt…
Die Matrosen arbeiteten triefend vor Nässe …
Hatten oben an die Stangen noch Querhölzer gebunden, um die Barren leichter regieren zu können …
Am südöstlichen Ausgang erschienen Dalaargen und die Werters mit vier Dromedaren …
Die Körbe, die bisher Proviant enthalten, nahmen den Schatz auf …
Die Dromedare trugen die wertvollen Lasten zum Lager, wo sie unter Aufsicht von Dr. Falz in einer Ecke aufgeschichtet wurden …
Und immer von neuem spie der Ozean Millionen aus … donnerten die Goldziegel auf den Felsboden …
Gipsy hatte sich in des Geliebten Arm eingehängt.
„Gerd, Gerd, – der Wasserstrahl wird immer dicker!“ schrie sie ihm ins Ohr …
Er nickte nur …
Ja – die Sandmassen, die mit hinabschossen, hatten ihre Schleifarbeit wieder begonnen …
Unmerklich wuchs der Strahl an Umfang … Er wuchs!!
Gerhard Nielsen hatte die Lippen aufeinander gepreßt …
Unwillkürlich suchte er zu berechnen, wann wohl das Ozeanfenster soweit zerfressen sein würde, daß es unter dem gewaltigen Druck völlig bersten mußte …
Und – diese Rechnung beruhigte ihn …
Das würde noch einen Tag dauern – mindestens! Und in einem Tage würde man längst nach der Werter-Farm unterwegs sein, würde man einen derartigen Vorsprung haben, daß man sie nicht mehr zu sorgen brauchte …
Sein energisches Gesicht entspannte sich … Nein, eine unmittelbare Gefahr drohte nicht …
Er preßte Gipsys Arm an sich …
Lächelte ihr zu …
Zog sie mit sich fort …
Es gab hier für ihn nichts mehr zu tun … Der Ozean besorgte die restliche Arbeit …
Am Ausgang, wo gerade wieder zwei Dromedare beladen wurden, blieben Gipsy und Nielsen einen Augenblick stehen …
Farmer Werter ergriff die Zügel der Tiere und führte sie davon, dem Lager zu …
Neben ihm schritten Gipsy und Gerd … Randercild blieb bei seinen Leuten zurück …
So kamen die drei jetzt an der weit offenstehenden steinernen Geheimtür vorüber …
Gerade da, als Murat … dem Flüchtling nachsetzte … den er dort im Keller des großen Tempels in seinem Versteck aufgestöbert hatte …
Ein Neger war’s …
Ein Nubier von gigantischem Körperbau …
Als der Homgori den schnarchenden Schläfer wachgerüttelt hatte, war der Schwarze wie ein Blitz auf den Beinen gewesen …
Hier fand Murat seinen Meister …
Der Neger schlug ihm die geballte Faust vor die Stirn und entwischte …
Murat war sekundenlang nicht er selbst …
Einen Augenblick lang …
Dann raste er hinter dem Fliehenden drein …
Brüllte vor Wut …
Noch nie war’s ihm geschehen, daß eines Menschen Faust ihn derart gelähmt hatte …
In blindem Grimm griff er zur Pistole …
Feuerte … ganz zwecklos in dieser Finsternis …
Der Neger rannte durch die Gewölbe – in den unterirdischen Gang, suchte die Höhlen, die Steintür zu erreichen …
Aber im Schacht, halb auf der Treppe, sprang Murat ihm in den Rücken …
Des Homgoris Pranken rissen den Nubier nieder … Der Schädel des Negers prallte gegen eine Stufe …
All das geschah im Finstern …
Oben im Schacht nun Nielsen und Gipsy … Laternenschein …
Nielsen rief:
„Murat, wen hast du dort am Wickel …?“
Der Homgori brüllte etwas Unverständliches als Antwort, lud den bewußtlosen auf die Schultern und entschwand …
Tauchte bald unterhalb der Öffnung im Boden der großen Halle wieder auf …
So sahen ihn Gaupenberg und auch Sir Morton …
Stolz und selbstbewußt stieg Murat mit seinem Gefangenen die schmale Treppe empor …
Da – – ein Schrei von Sir Mortons Lippen …
„Tamsa – – mein Diener Tamsa!!“
Mortons Gesicht war hilflos vor ungläubigem Staunen …
Mit einem Schlage dämmerte ihm jetzt die Wahrheit auf …
Murat legte den Neger behutsam auf den Fliesenboden zu Füßen der Göttin Isis nieder …
Mortons Gesicht war aschfahl als er sich bückte …
„Er … er lebt hoffentlich!“ brachte er nur mühsam hervor …
Tamsa, der Treue, schlug die Augen auf …
Ein Zucken lief über sein schwarzes Gesicht …
Er starrte seinen Herrn an – – verlegen, schuldbewußt …
Und richtete sich langsam auf …
Erhob sich taumelnd …
„Tamsa …?!“ rief Sir Morton wieder … Und in diesem Ausruf waren unzählige Fragen …
Der schwarze Goliath befühlte grinsend seinen Schädel …
Und meinte mit einem geradezu kindlich ängstlichen Ausdruck in den offenen Zügen:
„Oh, – – Sir Morton, der … der Affe ist an allem schuld …! Sie hätten mich nie gefunden, Sir Morton …“
Inzwischen waren nun auch die drei Frauen herbeigekommen … Agnes hielt wieder die kleine Noris im Arm …
Tamsas Augen ruhten voller Zärtlichkeit auf dem Säugling …
Er … lächelte jetzt, der Nubier …
Und in diesem Lächeln offenbarte sich sein gutes Herz … seine treue Seele …
Morton blickte Gaupenberg unsicher an, sagte kopfschüttelnd:
„Also mein Tamsa spendete die Opfergaben!“
Und …: „Tamsa, wo hattest du die Lämmer, das Geflügel her?“
Der Nubier erklärte schlicht:
„Von Farm gestohlen, Sir Morton …!“
„Also bist du Ellinor und mir schon damals heimlich hierher gefolgt?“
„Ja, Sir Morton …“
Gaupenberg fragte da den Schwarzen:
„Du hast also den Weg zur Farm wiederholt zurückgelegt?“
„Jeden Monat einmal, Master …“
„Zu Fuß?“
„Ich bin guter Läufer, Master …“
Der Engländer war gerührt ob dieser kurzen Antworten …
„Tamsa, ich weiß nicht, wie ich dir diese Treue danken soll …“
Er gab ihm die Hand, drückte sie fest …
„Gewiß, du hattest Ellinor schon immer wie eine Heilige verehrt, Tamsa … Daß du aber für uns so unendlich viel tun würdest, daß du …“
Der Nubier wehrte ab …
„Ich tat nur, was ich mußte, Sir Morton …“
„Du bist zu bescheiden, Freund Tamsa. – Eins nur noch, wie kam’s, daß ich niemals Spuren von dir fand?!“
„Sie hatten mir diese Ihre alten Stiefel geschehen, Sir Morton … Ich trage sie noch. Meine Spuren glichen daher den Ihrigen so vollständig, daß ich mich getrost frei bewegen konnte. Sie glaubten stets, es wären Ihre Fährten.“
Die Lösung eines bisher so dunklen Rätsels war derart verblüffend einfach, daß selbst Gaupenberg rief:
„Das Ei des Kolumbus!!“
Murat hatte sich bisher schweigsam verhalten.
Als Tamsa ihn vorhin als ‚Affe’ bezeichnet hatte, da wäre er dem Nubier am liebsten an die Gurgel geflogen, denn nichts konnte ihn derart erbittern, als wenn man ihn an sein Ahnen mütterlicherseits erinnerte …
Jetzt glaubte er die Gelegenheit gekommen, Tamsa eins auswischen zu können …
„Neger zwei Ziegen gestohlen hat … Ziegen in seinem Versteck!“ meinte er bissig …
Gaupenberg beruhigte ihn halb scherzend:
„Natürlich muß Tamsa auch Ziegen ‚geborgt’ haben, Murat … Woher sollte er sonst wohl die Milch beschafft haben?!“
Da merkte der Homgori, daß er doch wohl klüger täte, sich mit dem riesigen Schwarzen zu versöhnen. Er war ja im Grunde seines Herzens genauso opferwillig und gutmütig wie dieser Tamsa … Nun erst war ihm das volle Verständnis für das Verhalten des Nubiers aufgegangen.
So trat er denn auf Tamsa zu, streckte ihm die Hand hin und erklärte in seinen tiefsten Kehllauten:
„Tamsa nie mehr Affe nennen dürfen … Murat sein Mensch … Genau wie Tamsa … Dann alles gut …“
So wurde denn hier der Friede zwischen den beiden ehemaligen Gegnern durch einen Händedruck besiegelt …
Gaupenberg wandte sich wieder an den Engländer:
„Wollen Sie uns nicht in unser Lager begleiten, Sir Morton? – Vielleicht würde es Sie wohltuend ablenken, wenn Sie einmal wieder im Kreise von Europäern einige Tage zubrächten. Es kann doch auch Ihr Ernst nicht sein, daß Sie tatsächlich hier in der Grottenoase …“
Morton, der bereits wieder in seine müde Gleichgültigkeit verfallen war, machte ein höflich abwehrende Handbewegung …
„Verzeihen Sie, Graf Gaupenberg, ich bleibe hier! Ich trenne mich auf keinen Fall mehr von meiner Ellinor … – Sie werden es wohl auch begreifen, daß ich Sie nochmals bitte, Ihre Freunde von einem Besuch dieses meines kleinen Reiches zurückzuhalten. Verbieten kann ich es freilich niemanden, hier einzudringen. Aber diese Stätte ist mir heilig … Mögen Ihre Freunde hierauf Rücksicht nehmen …“
„Das werden sie, Sir Morton … Immerhin gestatten Sie, daß ich Ihnen noch Lebewohl lagen, bevor wir diese Unterwelt endgültig verlassen, hoffentlich mit dem Azorenschatz … Auf Wiedersehen also …“
Harry Morton nickte versonnen …
Um seinen Mund zuckte es wie in verhaltenem Schmerz …
Er schaute sein Kind an …
Und sagte zögernd: „Vielleicht – vielleicht wäre es am besten, wenn … wenn Sie … Noris … dann … sofort …“
Nein – es ging doch über seine Kraft, diesen Satz zu vollenden …
Jeder der hier Anwesenden wußte, was Morton hatte erklären wollen. Sein Kind wollte er den Sphinxleuten mitgeben, wollte im Interesse seines Kindes dieses schwere Opfer bringen – – aus Liebe!
Und jeder verstand auch, weshalb er die kleine Noris nun aus Agnes’ Armen nahm … weshalb er nach einer kurzen Verbeugung vor den Frauen fluchtartig die Tempeltreppe hinab in den tropischen Garten eilte.
Gefolgt von dem schwarzen Riesen Tamsa, der wie ein treuer Hund seinem Herrn auf den Fersen blieb …
Die Beiden tauchten im Gebüsch des kleinen Tempels unter … –
Gaupenberg winkte den Seinen … umschlang Agnes und führte sie die schmale Treppe hinab … Hinter ihnen her kamen Mela und Mafalda und als letzter Murat mit einer Laterne …
Niemand von ihnen ahnte, daß sie hiermit der Grottenoase für immer Lebewohl sagten … –
Draußen an der offenen Steintür, dort, wo vorhin die Schafhürde ihren Platz gehabt, standen Dr. Falz, Nielsen und Gipsy …
„Endlich – endlich!“ rief Gerhard Nielsen den Freunden entgegen … „Wir hätten nicht mehr lange gezögert, Sie aufzusuchen, lieber Graf …!“
Agnes war sofort auf ihren väterlichen Freund Dagobert Falz zugeeilt …
Der nahm ihre beiden Hände …
„Kind, ich freue mich, daß wir uns wohlbehalten wieder zurückgegeben seid …!“
Dann war auch schon Mela neben ihm, umarmte, küßte ihn …
„Das Gold ist geborgen,“ erklärte Nielsen dem Grafen. „Es fehlt nur noch wenig… Und auch das wird der Ozean noch hinabspülen … – Da – sehen Sie, Freund Werter mit einer neuen Ladung! Wir transportieren das Gold mit Hilfe der Dromedare in das neue Lager …“
Aus der fernen Finsternis war schwankender Laternenschein näher und näher gekommen. Heinrich Werter, der zwei Dromedare am Zügel führte!
Gleich darauf konnte Fredy Dalaargen seine Mela in die Arme schließen …
Und etwas abseits, wo Gußlar soeben hier im neuen Lager an einer unterirdischen Quelle seinen Stirnverband angefeuchtet hatte, erschien Mafalda plötzlich neben dem Geliebten und schmiegte sich freudig an ihn … –
Gaupenberg, Falz und Nielsen besichtigten die in eine Ecke aufgehäuften Goldbarren und Kleinodien …
Viktor Gaupenberg blickte sinnend auf die hier zusammengetragenen Reichtümer …
Ebenso nachdenklich meinte er:
„Also ist der Schatz doch wieder unser! Wer hätte das je geglaubt!!“
Und seine Augen ruhten nun leicht forschend auf dem ernsten, klugen Antlitz des Einsiedlers von Sellenheim …
Hatte doch Dr. Falz heute vor kaum zehn Stunden über den Schatz sich ganz anders geäußert …! Hatte er doch Gaupenberg gegenüber angedeutet, daß die Milliarden endgültig verloren gehen würden!
Und jetzt?!
Hier lagen diese Milliarden! Brauchten nur den Dromedaren wieder aufgeladen und an die Oberwelt geschafft zu werden!
Falz spürte den fragenden Blick des Grafen …
Und – schaute zur Seite …
Wie ein verstohlener Seufzer kam es über seine Lippen … Das leise Aufstöhnen eines Menschen, der Hoffnungen vernichten kann …
Gaupenberg verstand diese Antwort … Doch in Gegenwart Nielsens legte er sich noch Zwang auf … Meinte nur:
„Ich möchte mir das Ozeanfenster jetzt einmal ansehen … Sie begleiten mich wohl, Herr Doktor …“
„Gewiß, gern … Und Nielsen mag derweil hier die Traglasten für die einzelnen Tiere einteilen … Einer der Werters wird ihm gern dabei helfen … Vielleicht ist es ratsam, alles für den Aufbruch bereitzuhalten …“
So schritten denn Dr. Falz und Gaupenberg davon, mieden die Stelle, wo die Freunde sich um die drei befreiten Frauen und um Murat geschart hatten, um sich die Wunder der Grottenoase schildern zu lassen, die ihnen verschlossen bleiben sollten.
Gaupenberg zauderte mit dem, was ihm auf dem Herzen lag …
Dr. Falz schraubte an der Laterne, die ihren grellen Schein vor ihnen über die Granitwände der Höhlen warf, – sagte ganz von selbst:
„Ich bin in vielem ein unzuverlässiger Prophet gewesen … Unzuverlässig, weil ich meine Visionen stets insofern unrichtig bewertete, als ich diese Teilbilder für Auschnitte eines großen Geschehens hielt. Doch im engeren Gesichtsraum hat keine dieser Visionen getrogen …“
„Wir sprachen schon darüber,“ meinte Gaupenberg herzlich. „Sie … glauben also, das Gold wird wirklich nochmals verloren gehen?“
„Ja …!!“
Der Einsiedler von Sellenheim war stehengeblieben.
„Ja, lieber Graf … Das Meer gab uns die Milliarden zurück. – Aber das Meer wird sie uns wieder nehmen …“
Seine Stimme sank zum Flüstern, obwohl er und Gaupenberg hier ganz allein waren …
Sie befanden sich gerade unterhalb des Felsloches, das unter der Deckenwölbung klaffte, das Murat zuerst bemerkt hatte und das dann die Rettung Ozzeolas ermöglicht hatte …
Schon hier hörten sie das Brausen der Wassersäule, das dröhnende Rauschen – all diese Töne, die den Eindruck vortäuschten, als ob sich in der Nähe ein Wasserfall über eine Steilwand hinabstürzte …
Und Dagobert Falz flüsterte:
„Der Ozean arbeitet heimtückisch, Graf Gaupenberg … Es sind da Luftblasen in der Glasmasse gewesen … Und die Scheidewände dieser Luftblasen hat der Druck des Wassers weggerissen … So entstand das Loch im Ozeanfenster … Wasser und Sand mahlen jetzt als Wirbel in diesen weitesten Stellen der bisherigen Luftblasen, schleifen dort Ausbuchtungen hinein… Und diese, dem spähenden Auge fast verborgen, werden vielleicht schneller die Katastrophe herbeiführen, als Nielsen es abgeschätzt hat …“
Dann zog er Gaupenberg wieder mit sich fort …
Sie passierten den Tunnel, dessen Nordausgang man zuerst verbarrikadiert hatte, um Patterson zu belagern.
Flüchtig dachte Viktor Gaupenberg an diese Eröffnung des Kampfes gegen die Marokkaner … Ganz flüchtig nur … Ihm war’s, als ob dies nicht nur Stunden, sondern Monate hinter ihm läge, als ob der tote Verräter Patterson einer fernen Vergangenheit angehörte …
Und dann betraten sie die Fenstergrotte …
Sahen im ersten Augenblick nichts als den Sprühregen des auf dem Felsboden zerstiebenden Wasserstrahles …
Erkannten dann undeutliche Gestalten, die in diesem Nebel mit Stangen hantierten …
Sahen Jusoa Randercild, der seine Matrosen durch Winke kommandierte …
Klingend und Dröhnend prallten wieder ein paar Goldbarren auf das Gestein …
Eiligst wurden die gelben Ziegel durch die primitiven Harken in Sicherheit gebracht …
Falz schob Gaupenberg nach links an der Höhlenwand entlang …
So kamen sie hinter das Steingerüst, über das der mächtige Strahl des Ozeans schräg hinwegfuhr …
Hier gab es keinen Sprühregen … Hier war die Luft frei … Hier hob der Doktor seine Laterne empor und beleuchtete das Ozeanfenster …
Von hier konnte man in der Glasmasse den Weg der Meeresfluten genau erkennen … Auch die Ausbuchtungen, in denen das mit Sand vermischte Wasser in rasender Eile kreiste …
Und Gaupenberg genügte ein Blick, die Gefahr richtig einzuschätzen …
Dr. Falz hatte recht. Diese Löcher der Luftblasen waren zu kleinen Höhlungen ausgeschliffen, waren weit umfangreicher als der eigentliche Strahl, der unten hervorschoß …
Gaupenberg war’s jetzt, der den Doktor eilends mit sich fortzog … Er fürchtete das Schlimmste. Gerade er, der in technischen Dingen so geschult war, – gerade er, der als Erfinder und Erbauer der Sphinx fast alle Wissensgebiete studiert hatte, erkannte mit Sicherheit, daß hier jeden Moment ein neuer Durchbruch der Ozeanwasser stattfinden konnte … Und – wenn nur dies geschah, mußten die herabströmenden Fluten schon genügend, die Grotten in kurzem unpassierbar zu machen, zum Teil zu füllen …
Hastig schritten die beiden Männer auf Randercild zu …
Hatten ihn kaum erreicht, als mit einem Schlage der Wasserstrahl abermals versiegte und nur dünne feuchte Fäden auf den Boden spritzten …
Mit einem Schlage war so auch der Sprühregen verschwunden … Das Licht der großen Karbidlaternen fiel ungehindert auf die Öffnung im Glasfenster …
Aller Blicke schauten hin … wurden starr …
Unerhörtes, Grausiges war geschehen …
Ein Hindernis hatte sich in der Mündung des Loches festgekeilt …
Ein … Menschenkopf …
Eingerahmt gleichsam von Goldbarren – von den gelben Ziegeln – von Stücken der Kistenbretter …
Ein Menschenkopf …
Edgar Lomatz’ Kopf …
Das gedunsene, entstellte Gesicht nach unten …
Deutlich zu sehen …
Unheimlich deutlich … –
Gaupenberg hatte Randercilds Arm umklammert.
Die Matrosen standen wie Statuen …
Eine halbe Minute …
Und dann – – ein Knistern und Knirschen …
Töne, als wenn man Glasblöcke mit voller Kraft aneinander reibt …
Dr. Falz’ Stimme:
„Fliehen – – fliehen …!!“
Und diese Stimme so schrill und gellend wie nie bisher …
Es hätte dieser Warnung nicht bedurft …
Alle sahen’s ja …
Ein großes Stück der Glasmasse hatte sich gesenkt, war bereits halb losgerissen …
Aus neuen Ritzen quollen wieder Strahlen hervor …
Lomatz’ Kopf sauste mitsamt dem goldenen Rahmen, mitsamt einer Wassersäule von gut ein Meter Dicke herab …
Ungeheures Getöse …
Erneuter fast undurchsichtiger Sprühregen …
Und – – die Männer flohen … Rannten um ihr Leben – und um das der Gefährten …
Hinter ihnen der grollende Lärm des angreifenden Ozeans … Das Meer, das nun weiter und weiter an der völligen Vernichtung des Fensters arbeitete, hatte sich unüberhörbar gemeldet.
Gaupenberg hemmte plötzlich seine Schritte …
Links sah er das offene Tor, das in die Grottenoase führte …
„Doktor – bitte Ihre Laterne!“ rief er atemlos … „Ich muß Morton und Tamsa warnen … Ich muß …!“
Falz aber schob ihn vorwärts …
„Ich werde das tun! Erhalten Sie sich für Agnes! Sorgen Sie dafür, daß sofort der Rückmarsch angetreten wird! An meinem Leben ist nichts mehr gelegen … – Eilen Sie, Gaupenberg!“
Und rasch tauchte er in dem Schacht unter …
Seiner Laterne greller Schein wurde schwächer und schwächer…
Viktor Gaupenberg stand noch unschlüssig da …
Doch dann sah er ein, daß Falz recht hatte. Agnes – für Agnes mußte er sich in Sicherheit bringen!
Und er rannte weiter …
Vernahm hinter sich bereits ein Plätschern von kleinen Wogen, die in den Höhlen beutegierig weiterkrochen …
Lief – – um Agnes!!
Fand im Lager bereits alles in heller Aufregung …
Nielsens Stimme brachte Ordnung in die aufgescheuchte Schar …
Gaupenberg half …
Im Nu waren die Dromedare beladen … Die mit Gold gefüllten Körbe hatten schon bereit gestanden …
Und von fern ohne Unterlaß das Getöse des stürmenden Ozeans … diese eindringliche Mahnung zu höchster Eile …
In kaum fünf Minuten war man marschfertig …
Der alte Werter schritt dem Zuge als Füher voran …
Ihm folgten Ben Safra mit den Marokkanern und den Verwundeten … Dann kamen die Matrosen, die das Vieh vor sich her trieben und die Dromedare am Zügel führten …
Eine aus Stangen hergestellt Tragbahre trug Georg Hartwich … Neben ihm ging sein Weib, seine Ellen …
Als letzter aber Pasqual und Murat – der Nachtrab sozusagen …
Nur zwei waren in den verlassenen Lager vorläufig zurückgeblieben: Gaupenberg und seine Agnes!
Der Graf hielt es für seine Pflicht, auf Dr. Falz zu warten …
Die Fackeln und Laternen des Zuges waren auch kaum in die nächste Biegung der Grotten verschwunden, als der Einsiedler von Sellenheim, bereits durch das vordringende Wasser watend, sich wieder einfand …
Nicht allein …
Hinter ihm her kam Tamsa, mit der kleinen Noris auf dem Arm …
Gaupenberg rief:
„Und Morton, Herr Doktor?!“
Dr. Falz zuckte schmerzlich lächelnd die Achseln …
„Er trennt sich nicht von seiner Gattin, von der zweiten Göttin Isis … Ich konnte nichts ausrichten … Er küßte sein Kind, übergab es Tamsa und … blieb!“
Sir Harry Morton saß auf dem Vorsprung des Steinsockels im kleinen Tempel …
Das Gesicht in die Hände vergraben …
Und – über ihm thronte die Mumie der Geliebten, das leere Rutenkörbchen im Arm …
Stille ringsum … Die feierliche Stille dieser geheimnisvollen grünen Grotte …
Harry Morton wußte, daß er vielleicht nur noch Stunden zu leben hatte. Dr. Falz hatte ihm mitgeteilt, daß der völlige Einsturz des Ozeanfensters nur noch eine Frage der Zeit sei, daß dann das ungeheure Höhlengebiet vollständig unter Wasser gesetzt werden würde … und daß er … ertrinken müßte …
Ertrinken …?! Sterben?! – Was galt ihm der Tod?! – Nichts – – nichts!
Schwerer als der Gedanke an dieses unentrinnbare Schicksal war ihm der Abschied von seinem Kinde gewesen …
Das schwerste, das er je in seinem Leben durchgemacht … Schwerer noch als das Hinscheiden seiner geliebten Ellinor …
Denn – Ellinor war ja noch immer bei ihm …
Ellinor hatte er nie ganz verloren …
Sein Kind – war für immer von ihm gegangen! Fremden hatte er es anvertrauen müssen … Und wenn er auch überzeugt war, daß die kleine Ellinor-Isis von Agnes Gaupenberg wie ihr eigen Fleisch und Blut betreut werden würde, er hatte sein Kind hingegeben – damit es lebe, damit es den Sonnenschein der Oberwelt kennenlerne, damit es einst unter den Menschen droben glücklich würde!
Sir Harry Morton tropften die Tränen zwischen den das Gesicht verbergenden Fingern hindurch …
Er schämte sich dieser Tränen nicht.
Er weinte – um sein Kind …
Jeder Schmerz wird durch die Trösterin Zeit gelindert … Und Morton war ein Mann, der Energie und Selbstbeherrschung besaß …
Er ließ die Hände sinken …
Sein umflorter Blick wanderte durch die kleine Halle …
Draußen vor der Treppe die grüne, duftende Wildnis … aber auch das immer kräftigere Rauschen und Gurgeln des Baches …
Das weckte den Einsamen auf …
‚Die Wasser melden sich …’ dachte er und erhob sich langsam …
Wandte sich der Statue seines Weibes zu …
Seine Lippen bewegten sich …
„… Du weißt, wie lieb ich dich gehabt habe … Und nicht minder liebte ich unser Kind … Nun – sind wir allein, Ellinor, ganz allein … Nun werde ich sterben – hier zu deinen Füßen … Vielleicht sehr bald … Vielleicht erst nach Tagen … – Jetzt muß ich dich eine Weile verlassen … Tamsa hat die beiden Ziegen vergessen, die er heimlich hier fütterte und die unserem Kinde die Milch spendeten … Die Tiere sollen nicht elend umkommen … Ihr Instinkt wird ihnen den Weg weisen … Sie werden dem Zuge Gaupenbergs von selbst folgen …“
Er schritt hinaus – die Treppe hinab … wanderte über die eine Steinbrücke dem großen Tempel zu …
Neben ihm schäumte der angeschwollene Bach.
Drüben schoß er aus dem Kanal hervor, zwischen den Gitterstäben hindurch … Hatte Murats Steinwall längst beiseite geworfen …
Kein Bächlein mehr, das den Frieden dieses grünen Reiches mit sanftem Plätschern belebte …
Nein – ein reißendes Gewässer, das durch Meeresfluten genährt wurde … –
Und Sir Morton stand nun mit seiner brennenden Laterne in dem Versteck des treuen Tamsa …
Ein viereckiger Raum wars, daneben ein zweiter, kleinerer … Und dort die beiden Ziegen – angeseilt … Mit freundlichem Meckern den Menschen empfangend …
Morton führte die Tiere davon – durch die Kellergewölbe, in den Schacht … Die Treppe hinan …
Von den Steinstufen floß bereits in kleinen Kaskaden die Flut des Ozeans herab …
Die Ziegen sträubten sich …
Er mußte Gewalt anwenden, sie mit aller Kraft emporzwingen … hinein in die Höhle, die jetzt einem See mit kleinen Inseln glich …
Seltsam, hier änderte sich das Benehmen der Tiere!
Sie hoben die Köpfe … schnupperten …
Ob ihre feinen Nasen ihnen noch den Geruch der Dromedare, der Schafe und der anderen Ziegen vermittelten, die da mit Gaupenbergs Zug gegen Südost entflohen?!
Instinkt?! – Instinkt?! … Die beiden Tiere setzten sich in langsamen Trab, liefen durch das flache Wasser – weiter – in die Finsternis hinein …
Morton lächelte zufrieden …
Dachte: ‚Sie haben unser Kind genährt … Sie sollen die Oberwelt wiedersehen!’
Und erhob den Arm mit der Laterne …
Die Ziegen waren verschwunden …
Er wollte umkehren …
Noch einen letzten Blick warf er über das Wasser …
Kleine Wellen kräuselte seine Oberfläche – wie Stoßtrupps, die den Angriff des mächtigen Ozeans mit seiner Armee unerschöpflicher Fluten vorwärtstrugen …
Und zusehends wurden die noch trockenen Stellen gleichfalls unter Wasser gesetzt … Die Wellen leckten höher und höher …
Von der Festung kamen sie heran – von dort, wo der Ozean mit wildem Getöse seine grünschillernden Säulen in die Grotte hinabspie … –
Sir Morton packte den Rand der Steintür, um sie zu schließen …
Ein ungeheurer Knall ließ seine Hände wieder herabsinken …
Das ferne Brausen der herabstürzenden Wasser war jählings verstummt …
Morton ahnte, was geschehen. Das Ozeanfenster war in seiner ganzen Ausdehnung eingedrückt worden. Das Meer floß ungehindert in die Grotte …!!
Und – da war es schon …
Er hatte die Laterne wieder emporgehoben …
Da kam’s heran in doppelt mannshohen Wogen, ein schäumender flüssiger Wall …
Da stürmte die rollende Wassermauer durch den Verbindungstunnel …
Das Ende war da!!
Und Sir Harry ließ die Steintür offen, eilte die nassen Stufen hinab und fand unten sowohl den Gang als auch die Kellergewölbe schon zum Teil überschwemmt …
Kletterte die schmale Treppe empor … War dann oben in der Halle zu Füßen der Isisstatue …
Ein finsterer Blick traf das steinerne, lächelnde Antlitz der Göttin …
Ein Blick, aus dem vieles zu lesen war …
Dann hinab in den grünen Wundergarten … in den Duft dieser Oase, die hier Jahrtausende geschlummert hatte, bevor wieder Menschen erschienen, die nach den Geheimnissen einer uralten Kultur die Hände ausreckten …
Morton blieb auf der Brücke stehen …
Hinter ihm der Bach … nun eher ein reißender Gebirgsstrom …
Gegen den Brückenbogen rannten die Wasser an … Waren in den letzten Minuten um das Doppelte gestiegen …
Morton schaute nach der Uhr … Dachte an sein Kind, an des Grafen Expedition, die jetzt durch die Höhlenwelt flüchtete …
Er erinnerte sich, fünf Uhr nachmittags war’s gewesen, als der Zug der Sphinxleute aufgebrochen war. Jetzt – – sieben Uhr … Also zwei Stunden Vorsprung …
Nur zwei Stunden … Und hinter ihnen als grimmer Verfolger der Ozean …!
Sein Herz erzitterte in Bangnis um sein Kind … Um das Leben all der Flüchtlinge …
Und seine Augen schweiften zum letzten Male rundum … Erfaßten zum letzten Male die vielfachen Schönheiten seines kleinen Reiches, in dem er so unendlich glücklich und auch so trostlos verzweifelt gewesen war.
Abschied nahm er von den schlanken, früchtebeladenen Kokospalmen, von den blühenden Sträuchern und farbenfrohen Blumen …
Wandte sich nach links …
Dort der große Tempel … die Halle … die Isisstatue …
Hier an dieser Stelle etwa hatte Ellinor in ihrem Liegestuhl geruht … hier hatte sie, ohne daß er es ahnte, mit der Göttin Zwiesprache gehalten, hatte für ihr Kind gefleht …
Starr ging sein Blick zu dem hohen Steinbild …
Lächelte Isis nicht stärker als bisher …?! War es nicht ein Lächeln reinster Güte?!
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen …
Verscheuchte all das, was sich ihm jetzt als spukhafte Erscheinungen aufdrängen wollte …
Und – – sah jetzt auch, wie aus der Bodenöffnung vor dem Sockel der Göttin eine Wasserwoge emporquoll …
Wie die Woge höher strebte, zur dicken Fontäne wurde … Ein Beweis, daß die Kellerräume bereits gefüllt waren!
Und – erblickte mit stillem Grauen inmitten des schäumenden Strudels einen der Mumiensärge der Isispriester …
Der schmale offene Kasten tauchte empor, wurde von unsichtbaren Gewalten hervorgetrieben, glitt dem Eingang zu, fand halt auf den Stufen der großen Treppe.
Triefend stierte die Mumie mit den künstlichen Augen den Einsamen an …
Morton lachte plötzlich schrill auf …
„Sie kommen …!! Sie wollen heraus aus dem Dunkel der Gewölbe, wollen wie ich Abschied nehmen von dieser grünen Herrlichkeit!“
In seinen müden trostlosen Augen glomm ein flatterndes Licht auf …
Er winkte der Mumie …
Lachend beobachtete er, wie nun ein zweiter Mumiensarg emporgespült wurde …
Ein dritter folgte …
„Sie kommen!!“
Höher wuchs die Fontäne … Wasserfluten plätscherten die Tempeltreppe hinab … trugen die Kästen mit sich abwärts … Warfen sie übereinander.
Morton lachte …
Was längst in seiner kranken Seele geschlummert hatte, war nun erwacht …
Und wieder nickte er den braunen, faltigen Mumiengesichtern zu … Sah er aus der Öffnung neue Särge emporschnellen … die Fontäne höher klettern … Bis zur halben Höhe der Statue reichte sie schon …
Er überlegte nicht mehr …
Sagte sich nicht, daß der heranstürmende Ozean bereits mit ungeheurem Druck die Gewölbe füllte … Daß dieses Auftauchen der Mumiensärge etwas ganz natürliches war …
Heulte schrill auf, als jetzt die Göttin mit einem Male sich leicht nach vorn neigte …
„Sie lebt!!“ kreischte er … „Sie lebt!! Vielleicht ist auch Ellinor erwacht … Vielleicht …!!“
Und er stürmte davon …
Das Balkenwerk der Decke krümmte sich mit drohendem Ächzen … Um ihn her prasselten erste Stücke der steinernen Decke in zerspringenden Blöcken herab … Der Boden der Halle hob sich in wellenförmigen Auftreibungen … Der Ozean begann seine Vernichtungswerk!
Die Steinfliesen polterten übereinander …
Barsten … gaben den Weg frei für neue Fontänen … Wurden zum wüsten Chaos, über das die Meeresfluten hinweghüpften und in den Garten strömten …
Die Tempelwände wankten … Das Dach bewegte sich … Die Stützsäulen standen plötzlich schief und torkelten wie trunken …
Immer wilder ward der Ansturm der Wassermassen …
Und – mit einem Schlage sank der ganze Bau in sich zusammen …
Aus den klaffenden Mauerrissen rauschten Wasser hervor …
Tausend Quellen speisten den reißenden Bach …
Schnell wurde der Bach zum See …
Der See zu einer wie vom Orkan gepeitschten Flut.
Und doch wehte hier in den Tiefen der Erde kein Lufthauch …
Der schäumende, gurgelnde, quirlende See stieg höher und höher …
Bedeckte die Gräser, die Blumen, die Sträucher …
Traurig ertranken duftende Blüten …
Und höher kroch die Flut …
Zusehends …
Unaufhaltsam …
Die Trümmer des großen Isistempels sanken in sich zusammen … Nur die Figur der Göttin schaute aus den brodelnden Fluten hervor…
Immer ärger wurde das Bild der Verwüstung …
Und die Wasser stiegen – unaufhaltsam …
Kletterten die Stufen des kleinen Tempels empor …
Lugten lüstern in die Halle hinein …
Wo ein Bedauernswerter soeben die Mumie der Geliebte vom Steinsockel herabgehoben hatte …
Wo ein armer Wahnsinniger – gräßlicher Anblick! – auf dem Sockel saß und die tote Gattin auf den Knien hielt …
Ihr Haar streichelte …
Mit ihr sprach – wie mit einer Lebenden …
Murmelte in überschnellen sich überschlagenden Sätzen – plapperte … sinnlos, wirr … Hin und wieder nur ein klarer Gedanke …
Und doch, dieses Plappern war Liebe, – Liebe, die den Tod überdauerte. War mehr als Liebe – war Anbetung.
Und – – die Wasser stiegen …
Drangen jetzt in die Halle ein …
Plätscherten, hüpften, murmelten …
Und Morton lachte …
Ein Lachen der Glückseligkeit …
„… Ellinor, unser Brautbett – – das Meer … Ellinor, unsere zweite Brautnacht …! – Ellinor, ich liebe dich …!“
Die Wasser stiegen …
Doch Sir Morton hatte nur Augen für das Antlitz der Mutter seines Kindes …
Küßte die harten Lippen …
Fühlte nicht die Härte des ausgedorrten Fleisches …
Küßte und flüsterte, stammelte von dem Glück vergangener Tage …
„… Ellinor, weißt du noch?! – Ellinor, weißt du noch, als unser Kind hier geboren ward und seinen ersten Schrei tat …?! – Ellinor, als ich dir unsere kleine Noris in den Arm legte …? – Du warst so blaß, Ellinor … Aber du lächeltest selig …“
Dann verwirrten sich seine Gedanken wieder …
„Ellinor … Die beiden Ziegen, die unser Kind nährten … – Die beiden Ziegen laufen hinter Gaupenberg drein … Auf der einen reitet Tamsa, auf der anderen unsere kleine blonde Noris … – Ellinor – sie reiten durch die Finsternis … Ich sehe sie … Und hinter ihnen drein läuft die steinerne Göttin, die vorhin von ihrem Postament herabstieg … Die Göttin will nicht, daß Noris und Tamsa entkommen … Aber die Ziegen sind schneller … Ich sehe sie …“
Er nickte und stierte in das Mumiengesicht …
„Ja – sie entfliehen … Die Göttin stolpert …“
Er lachte schallend …
„… Sie fällt nieder … Oh – wie mühsam sie sich wieder aufgerichtet …“
… Und das Wasser stieg …
Berührte bereits Mortons Füße …
Er empfand es nicht … streichelte Ellinors Haar …
„… Liebst du mich, Ellinor? Denkst du noch daran, wie wir uns in Kairo kennenlernten …? Denkst du noch an die Nacht, als wir beide heimlich hier in die Unterwelt eindrangen mit unserem Mauleseln? Nur wir beide … Aber – Tamsa war heimlich hinter uns … Jetzt reitet er auf einer Ziege von dannen … – Ellinor … Man bereitet schon unser Hochzeitsbett … Hörst du, wie die seidenen Decken rauschen, wie die Kissen knistern? Hörst du, wie der große Nilstrom rauscht … Weißt du noch, unser Zimmer im Hotel dicht am Strom … Und – – Tamsa und Noris reiten … reiten …“
Wieder lachte er – grell, mißtönend …
Die Wasser stiegen …
Netzten schon seine Schenkel … die Füße seiner Geliebten …
Wieder küßte er sie …
Preßte sie fest an sich …
Und schaute ihr glückstrahlend in das starre Antlitz …
„Ellinor, Ellinor – – unser Brautbett … Ich trage dich … Ich will dich sanft niederlegen in die seidenen Kissen …“
Er richtete sich auf …
Streckte die Arme …
Und die Mumie glitt in die gierige Flut …
Morton stieß einen wilden Schrei aus …
Sprang hinterdrein …
Die Wasser schlossen sich über ihm …
Und unter Wasser fand er das Weib seiner Liebe.
Umklammerte sie …
Die Sinne schwanden ihm …
Ein letzter klarer Gedanke galt seinem Kinde …
Ein letzter Kuß auf die toten Lippen …
Und die Wasser stiegen …
Stiegen …
Die letzten Spitzen des kleinen Tempels verschwanden in der wilden Flut …
In der Grottenoase ragten nur noch die Gipfel der Palmen aus dem See hervor …
Und die Wasser stiegen weiter …
Noch zehn Minuten …
Dann war Sir Mortons kleines Reich nur noch ein wassergefülltes Bassin …
Ein Bassin, dessen Wände in geheimnisvollem Lichte erstrahlten …
Dessen Inhalt wie durchtränkt war mit der Leuchtkraft des Gesteins …
Durchsichtig wie Glas daher …
Und im rätselhaften Licht der Wasserfülle schwebten zwei menschliche Körper, eng umschlungen …
Ein Liebespaar, selbst im Tode noch vereint …
Und die ertrunkenen Palmenwedel schienen die beiden Liebenden sanft zu streicheln …
Ganz sanft …
Zwischen den Trümmern des großen Tempels aber schaute das steinerne lächelnde Gesicht der Göttin Isis hervor – – lächelnd, halb grausam, halb mütterlich …
Rätselvolle Isis … Jahrtausende überdauernd … Begraben im Schoße der Erde …
Das Liebespaar schwebte in der leuchtenden Flut …
Isis … lächelte …
Zwei Stunden Vorsprung vor dem grimmen Ozean.
Ein Nichts gegenüber den eilenden Wogen …
Ein Nichts …
Das Ozeanfenster ließ in jeder Sekunde unermeßliche Wasserfluten in die Unterwelt hinabströmen …
Fluten, die mit ebenso unermeßlichem Druck sich ausbreiteten – nach allen Seiten hin …
Armselige Menschlein versuchten diesem Verderben zu entrinnen … hatten den sich in den Grotten fortpflanzenden Knall genauso deutlich gehört wie Sir Morton – den Donner des Einbruchs des Meeres …
Der Zug stockte … Alles wandte die Köpfe zurück … hob die Laternen, die Fackeln höher …
Man befand sich hier gerade in einem Felsendom mit sandigem Boden …
Man drängte sich zusammen … horchte, tauschte flüsternd Bemerkungen aus.
Man … hörte nichts mehr …
Und die Unkundigen beruhigten sich wieder …
Bis Dagobert Falz nach kurzer Beratung mit Gaupenberg und Nielsen den beschleunigten Weitermarsch befahl …
Er ließ niemand im Zweifel darüber, daß der Knall einzig und allein auf den Einsturz des Ozeanfensters zurückzuführen war …
Da begriffen auch die Vertrauensseligen, daß es nun um eine Flucht vor dem Tode sich handelte …
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung … Die Marokkaner trabten voran … Trieben das Vieh mit gellenden Rufen … Ihnen folgten die Matrosen, die Dromedare führend.
Auch die Frauen trugen leichtere Lasten, der bisher in den Körben der Dromedare verstaut gewesen …
Dort lagen jetzt die Milliarden …
Noch hatte Gaupenberg den Schatz nicht preisgeben wollen … Obwohl Dr. Falz darauf hingewiesen hatte, daß es richtiger sei, das Gold zurückzulassen. Aber auch Nielsen war dagegen gewesen …
So durchquerte man im Geschwindschritt den sandigen Dom …
Gaupenberg war nach vorn zu Farmer Werter geeilt …
„Landsmann, Sie kennen diese Unterwelt am besten,“ rief er atemlos … „Besinnen Sie sich, ob die Höhlen irgendwo ansteigen, ob es vielleicht einen Engpass gibt, den wir durch Steine so fest verschließen könnten, daß wir dem Vordringen des Meeres Einhalt gebieten?“
Heinrich Werter dachte nach, während sie nebeneinander dahintrabten …
Dann erwiderte er: „Nein – eine so enge Stelle, daß wir sie zumauern könnten, ist auf dem vor uns liegenden Wege nicht vorhanden … Nur eins weiß sich, daß die Grotten später allmählich ansteigen!“
Gaupenberg preßte die Lippen fest aufeinander …
Das war eine niederschmetternder Auskunft …!
Eine geringe Hoffnung zerrann in nichts … Sein Gedanke war eine Barrikade gewesen, die man der anstürmenden Flut entgegenstemmen wollte! –
Man hatte den Dom hinter sich …
Engere Höhen folgten mit zahlreichen Steingrotten.
Man marschierte wieder im Schritt, um Atem zu schöpfen …
Schweigend gingen der alte Werter und Gaupenberg an der Spitze …
Und wieder sagte Gaupenberg:
„Es hätte wenig Zweck, wenn wir das Gold den Dromedaren abnehmen würden und die zwölf Tiere zum Reiten benutzen wollten … Jedes Dromedar könnte zwei Menschen tragen! Denn auch der Proviant müßte berücksichtigt werden … So würde nur die Hälfte von uns mit Hilfe der Tiere rascher vorwärts kommen … Und – wen sollten wir auswählen? Zunächst die Frauen – gewiß! Würden die sich aber von uns trennen?! Sollten wir etwa die Marokkaner und einem Teil der Matrosen ihrem Schicksal überlassen?! – Nein, das dürfen wir nicht! Ich jedenfalls würde zurückbleiben, und Agnes …“
Da unterbrach der alte Farmer ihn …
„Herr Graf, mir kommt ein Gedanke … Wir sind hier von der Oberwelt, von meiner Besetzung also, etwa zwei Tageritte entfernt … Die Wassermassen werden uns kaum so sehr schnell einholen, besonders da das Höhlengebiet nachher merklich ansteigt … Wie wär’s, wenn zwei Ihrer Freunde vorausritten und … Ihr Luftboot herbeischafften? Die Grotten sind überall geräumig genug, die Sphinx durchzulassen … Rechnen Sie auf den Hinweg für die beiden Reiter anderthalb Tage … Wenn die Tiere nicht geschohn werden, kann die Strecke vielleicht auch in kürzerer Zeit bewältigt werden … Rechnen Sie ferner für den Rückweg mit der Sphinx einen Tag … Wir werden schon eine Stelle finden, wo man das Eintreffen der Sphinx abwarten kann. Besinnen Sie sich, es gibt dort vor uns so gewaltige Hohlräume mit förmlichen Bergen … Auf einer dieser Bergkuppen wären wir fraglos tagelang in Sicherheit. Ich kann mir nicht denken, daß die Ozeanwasser imstande sind, so rasch all diese Grotten zu füllen … Und dann, ist es nicht auch möglich, daß das zertrümmerte Ozeanfenster sich von selbst wieder verstopft?“
„Ausgeschlossen, lieber Werter! Dazu ist die Öffnung zu groß – viel zu groß! – Aber Ihr Plan ist vortrefflich! Wir wollen ihn sofort ausführen … Und ich weiß auch bereits zwei von uns, die für ein solches Unternehmen sich am besten eignen: Gerd Nielsen und seine Gattin Gipsy! – Nielsen kennt die Sphinx, Gipsy ist energisch und kräftig … Ich werde sofort alles anordnen …“
Er ließ den alten Werter allein, machte kehrt zum Haupttrupp …
In kurzen Worten verständigte er die Freunde …
Dr. Falz fand diesen Plan gleichfalls ausgezeichnet. Und das gab den Ausschlag …
Die Lasten der beiden besten Dromedare wurden auf die anderen verteilt …
Der Abschied der beiden von den Gefährten war herzlich und kurz, obwohl niemand ja wußte, ob man sich wiedersehen würde.
Dann jagten sie davon … Nielsen mit einer großen Laterne voran, um genau auf den Weg achten zu können …
Im nun waren die beiden Reiter verschwunden …
Abermals ließ Gaupenberg den Zug nun eine Strecke traben …
Eine kurze Strecke nur …
War doch kein einziger unter den Flüchtlingen, der nicht bereits zum Umsinken erschöpft war … Keiner hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden auch nur Minuten geschlafen …
Die Ereignisse hatten sich ja förmlich überstürzt … Bei dieser Hetzjagd von nervenaufpeitschendem Geschehen konnte niemand den Schlaf herbeizwingen …
Und jetzt kam der Rückschlag …
Sowohl Gaupenberg als auch die abgehärteten Leute Randercilds spürten den kalten Schweiß der Ermattung auf der Stirn …
Die Frauen taumelten …
Vielleicht nur zwei waren unter diesem dahinhastenden Troß, die auch jetzt noch keine Ermüdung spürten: Murat und Tamsa!
Der Nubier trug die kleine Ellinor-Isis … Er überließ das Kind keinem anderen.
Mit dem Homgori hatte er jetzt schnell Freundschaft geschlossen …
Die beiden hielten sich dicht bei den Frauen … Denn auch Agnes wollte das Kind unter ständiger Obhut haben … –
Randercild kam zu Gaupenberg …
„Graf, ich werde Whisky verteilen … Whisky mit Wasser gemischt … Wir müssen vorwärts! Müssen!!“
Gaupenberg nickte … „Sie haben recht … Es muß sein! Und wenn wir nachher wie die Toten umsinken und schlafen, für uns gibt es nur ein Rettungsmittel, noch ein paar Stunden durchhalten!!“
So schleppte sich denn der Zug von neuem weiter fort
Gaupenberg, Falz und Randercild verdoppelten und verdreifachten sich … Waren überall … Sprachen den Mutlosen tröstend zu, wurden auch energisch, wo es sein mußte …
Die Gesichter der Flüchtlinge belebten sich wieder.
Der Alkohol half …
Ben Safra und die Marokkaner waren nicht veressen worden … Sie hatten extra starken Kaffee bekommen.
Um ein gutes Beispiel zu geben, begann der kleine Milliardär einen Marsch zu pfeifen …
Es klang gräulich falsch … Aber seine Matrosen machten es besser … Sie hatten ihre Becher Whisky nur wenig durch Wasser getauft … Sie pfiffen wie die Amseln …
Die vor dem Ozean fliehende Schar schritt wieder rascher aus … Die Musik feuerte an … Und bald ließ denn auch Steuermann Mac Lean ein Lied ertönen … Die Amerikaner kannten es … und wer es nicht kannte, summte wenigstens die Melodien mit …
Ein Wunder schien’s … Die allgemeine Stimmung war umgeschlagen! Nicht nur durch diese einfachen Belebungsmittel! Nein, die Hauptsache war doch wohl bei allem der Gedanke, daß man auf die Sphinx hoffen konnte – und daß man bisher direkt noch nichts von dem heimtückischen, lautlosen Verfolger, dem heranstürmenden Meere, gespürt hatte …
Dennoch war’s eine unnatürliche Munterkeit. Als ob einer vor dem anderen hier im Interesse aller Komödie spielte!
Als letzte des Zuges sah man wieder Gaupenberg, Dr. Falz und Randercild nebeneinander … Sie waren ein wenig zurückgeblieben, als der Trupp in einen jener Dome eingebogen war, bis zu deren Deckenwölbung das künstliche Licht der Laternen und Fackeln nicht emporreichte …
Absichtlich zurückgeblieben, um einmal nach rückwärts zu lauschen …
Allmählich verklang der Lärm der eilends Dahinziehenden, das Tappen zahlreicher Stiefel auf dem Felsboden, das Schreien der Marokkaner, die das Vieh vorwärts drängten und zusammenhielten, und der laute Gesang der jungen Matrosen …
Allmählich wurde es still um diese drei Männer, die nun haltgemacht hatten und mit gespannter Aufmerksamkeit in die Finsternis hinein horchten …
Nur der kleine Randercild hatte eine Laterne bei sich … Er trug sie am Riemen vor der Brust, doch ihr Lichtscheinen verlor sich nur zu bald in dieser drohenden Dunkelheit …
Ganz still verhielten sich die drei …
Bis Randercild flüsterte:
„Ich … höre nicht …! Sollte der alte Werter doch recht haben … Vielleicht ist das Ozeanfenster wirklich durch Felstrümmer verstopft worden …“
Falz sagte ebenso leise:
„Ich … höre etwas …“
Und auch Gaupenberg nun:
„Ich auch …! Doch niemals ist das die nahende Flut …! Niemals! Es klingt mir weit mehr wie …“
Da – – Randercild …:
„Hallo – – zwei Tiere …!! Ziegen – bei Gott! – – Zwei Ziegen …!!“
Es waren die beiden Ziegen, die Sir Morton hatte retten wollen …
In langsamem Trab nahten die Tiere … Blieben zutraulich dicht vor den Männern stehen …
Gaupenberg wußte sofort Bescheid …
„Es sind fraglos die beiden Ziegen, die der Neger Tamsa heimlich in seinem Versteck gefüttert hat … Sie müssen es sein! Sir Morton wird sie aus der Grottenoase hinausgeführt haben …!“
„Sie triefen!“ nickte Randercild … „Sie sind bis zum Bauch naß, völlig naß … Sie sind durch Wasser gewatet …“
Dr. Falz fügte hinzu:
„Dann – – lebt Morton nicht mehr …! Seit mir den Knall des Einsturzes der Glasmasse vernahmen, sind fast vier Stunden verstrichen … Die beiden Tiere aber sind so naß, daß sie in noch soeben im Wasser gewesen sein müssen! Die Fluten kommen! Die Ziegen sind erschöpft … Nur die Todesangst hat sie vorwärts getrieben …“
Die Tiere setzten sich denn auch ganz von selbst wieder in Trab … Folgten dem Zuge, ihrem Instinkt, der sie verwandte Geschöpfe da vorn wittern ließ …
Die drei Männer warteten wieder …
Randercild nahm die Laterne von der Brust und reichte sie Falz …
„Sie sind der größte von uns, Doktor …. Sie müßten mit erhobenem Arm einen besseren Laternenständer abgeben …“
Es war ein Scherz, der nur seine innere Unruhe bemänteln sollte …
Dr. Falz reckte den Arm empor … und die Lichtstrahlen drangen etwas weiter in die Dunkelheit …
Und – Gaupenberg dann:
„Dort rechts … Rechts! Wie eine Schlange kriecht’s über den steinigen Boden hin … Es ist das Meer …!“
Die schillernde Schlange suchte sich weiter ihren Weg …
Füllte kleine Löcher …
Kroch schon wieder vorwärts …
Und ihr Schwanzende verbreiterte sich, wurde schnell zum blinkenden Tümpel, zum Teich, zu einem kleinen See …
Das Wasser kam …
Aber – doch so langsam, daß Viktor Gaupenberg nach dem ersten jähen Schreck wieder Mut faßte …
„Wenn wir nur erst die höher gelegenen Teile des Höhlengebietes erreicht hätten!“ meinte er … „Dann wird uns dieser Verfolger kaum erwischen … Ich hatte befürchtet, daß wir es mit einer hohen Flutwelle zu tun haben würden …“
Und Falz:
„Ich denke, wir verschweigen das hier Beobachtete den Gefährten. Werter sagte ja vorhin, daß wir seiner Schätzung nach die höheren Grotten dicht vor uns haben müßten … Weshalb sollen wir die Unsrigen also beunruhigen?!“
Und still schauten sie noch eine Weile irgenwie fasziniert zu, wie die Vorboten des Ozeans sich allmählich ausbreiteten, wie die dünnen Rinnsale zahlreicher wurden, sich dann zusammenschlossen und weiter rückwärts alles nur noch ein glatter See war …
Dann eilten sie dem Zuge wieder nach …
Hier hatte das Erscheinen der beiden triefenden Ziegen doch bereits erneut Angstgefühle hervorgerufen …
Jeder sagte sich mit Recht, daß die Tiere dem Ansturm der Fluten wohl nur mit genauer Not entgangen sein konnten …
Jeder ahnte die Wahrheit …
Der Gesang war verstummt …
Man sprach von nichts anderem als nur von den beiden Tieren …
Aber als nun die drei Männer die Letzten des Trupps erreicht hatten, als Agnes sich mit banger Frage an ihren Gatten wandte, da lief von der Spitze her wie ein Lauffeuer der Ruf durch die Reihen der Flüchtlinge:
„Die Höhle steigt an …!! Der alte Werter klettert bereits einen Abhang empor!“
Ein Aufatmen ging durch die bedrückte Schar …
Gaupenberg erwiderte auf seines Weibes Frage:
„Dann – – sind wir gerettet! Der Ozean naht … Aber wir werden ihm entgehen …!“
Und Dr. Falz – mahnend und mit Nachdruck:
„Vorwärts, Freunde …! Keinen unnötigen Aufenthalt! Jeder Schritt vorwärts entzieht uns dem Verderben! Haltet noch eine Stunde aus. Dann rasten wir …!“ –
Der Abhang, den der alte Werter als Führer emporstieg, war recht steil …
Und hinter diesem Anstieg kamen einige kleinere Grotten … Dann wieder ein gewaltiger Dom …
Ein Dom, in Marschrichtung … Vielleicht die größte alle dieser Höhlen der Unterwelt … durch ein breites Tor zu betreten. Und drinnen zog sich ein länglicher Berg mit flacher Kuppe dahin …
Diese Kuppe war keine drei Meter von der Deckenwölbung entfernt … und nahm nun die Flüchtlinge auf, bot Raum für alle …
Jeder griff wieder mit zu … half, damit das Lager in kürzester Zeit errichtet war …
Zelte entstanden im Umsehen …
Ebenso Hürden für die Tiere …
Die Verwundeten wurden von Dr. Falz frisch verbunden.
Das Gold mitten im Lager aufgehäuft …
Man aß und trank … dachte nur noch an die bevorstehende Ruhe…
Murat und Tamsa erboten sich freiwillig, die Wache zu übernehmen …
Und eine halbe Stunde nach der Ankunft auf der Hochfläche waren die Erschöpften in tiefen Schlaf gesunken. In in Zelten ruhten die Frauen. Die Männer hatten sich bunt durcheinander niedergelegt. Es gab keine Standes- und Rassenunterschiede mehr … Die Marokkaner lagen zwischen ihren weißen Gefährten …
Selbst die Tiere hatten sich niedergetan …
Nur vier Laternen brannten …
Man wollte mit dem Brennstoff waren …
Nur zwei Gestalten bewegten sich noch lautlos, fütterten das Vieh, taten, was es noch zu tun gab: Murat und Tamsa!
Der Homgori hatte soeben den Dromedaren dünnes Astwerk vorgeworfen. Jetzt ergriff eins der leeren Wasserfässer und flüsterte dem Nubier zu:
„Murat Wasser holen … Schon Quelle finden …“
Und er schulterte das Faß, griff nach einer Laterne und stieg an der flachsten Stelle den Berg hinan…
Langsam schritt er in die Finsternis hinein …
Dorthin, woher die Flüchtlinge gekommen … Er wollte sich überzeugen, ob jenseits dieses Domes bereits die Flut angelangt war …
Er klomm tiefer und tiefer.
Und da – vor ihm blinkte es auf im Laternenschein … Wasser – – Wasser!! Ein endloser See … nur winzige Wellen zeigend …
Aber jede dieser Wellen brandete höher und höher.
Zwar allmählich – ganz allmählich … Und doch höher!
Murat hatte das Faß neben sich gestellt, war bis zum Rande des Wassers gegangen, hatte eine Hand voll geschöpft, es gekostet …
Es schmeckte salzig …
Es war – – das Meer …
Das Meer, das dort durch das Ozeanfenster in Pattersons Festung das elende Gold ausgespien hatte und daß nun diesem Golde nachschlich, um es den Menschen wieder zu entreißen …
Murat schulterte das Faß wieder und kehrte um.
Sein treues Herz war schwer vor Sorge um die, die er liebte, um seine Freunde, die dort droben vorläufig noch in sicherer Hut ruhten …
Langsamer schritt er weiter …
Suchte jetzt die Nebengrotten des Domes ab, bis ein Rauschen ihn an einen Wasserfall führte …
Auch hier kostete er erst. Das Wasser war trinkbar. Hier füllte er das Faß, wollte es nun zum Lager zurückrollen.
Er glaubte den richtigen Weg eingeschlagen zu haben …
Aber – er irrte eine volle Stunde umher, ohne den großen Dom wiederzufinden …
Als ihm bewußt wurde, daß er sich in diesem Höhlenlabyrinth verlaufen hatte, als er nun versuchte, seine Spuren als Wegweiser zu benützen, wurde er zu seinem Schreck gewahr, daß das Karbid in seiner Laterne verbraucht sein mußte …
Er füllte Wasser nach …
Doch das half nichts …
Das Flämmchen brannte immer kleiner … und erlosch …
Nun stand er im Dunkeln …
Minutenlang wie betäubt.
War er verloren …
Ohne Licht würde er sich niemals zum Lager zurückfinden …
Aber – man würde ihn suchen!! – Und der Gedanke gab ihm wieder Mut …
Agnes würde schon darauf dringen, daß man ihn nicht seinem Schicksal überließ … Agnes war seine Freundin … Und auch die Anderen würden alles daransetzen, ihn zu retten … Er kannte sie … Da war nicht einer, der nicht für Murat eingetreten wäre …
Er tastete sich vorwärts zur nächsten Felswand und streckte sich lang hin, wollte etwas ausruhen …
Doch da war etwas, das ihn im Rücken drückte – ein Stein wahrscheinlich … Er fuhr mit der Hand nach der Stelle …
Es war kein Stein … Es war Holz, klebriges Holz …
Murat beroch das Stück …
Wahrscheinlich der Rest einer Harzfackel!!
Wie kam diese Fackel hierher?!
Und rasch faßte er in die Tasche seiner weiten blauen Leinenbeinkleider …
Das Flämmchen seines Benzinfeuerzeugs flackerte auf …
Ja – es war der Rest einer der Fackeln von der Werter-Farm, handlang das untere Ende … –
Der Homgori griff nach zwei kleinen Steinen, klemmte die Fackel dazwischen, zündete sie an …
Knisternd lohte sie auf …
Schwarze Qualmstreifen zogen empor …
Und schon besichtigte Murat den Boden …
Fand … frischen Dromedardünger …
Da wußte er, daß ein Zufall ihn hier auf den Weg zur Werter-Farm geführt hatte …
Entdeckte weitere Spuren, deutliche Anzeichen, daß hier vor kurzem Nielsen und Gipsy entlanggetrabt waren.
Nun war es ihm ein leichtes, diese Spuren zurückzuverfolgen. Die Fackel spendete genügend Licht. Und mit dem Wasserfaß trat der Homgori den Rückmarsch an …
Daß er tatsächlich auf dem rechten Wege, bewiesen ihm stellenweise getrocknete Düngermengen von Schafen und Ziegen. Hier war ja auch Gaupenbergs Expedition auf dem Marsch zu Pattersons Festung dahingezogen!
Murat schritt rasch dahin …
Kam bald in einen mächtigen Dom, der zum Teil sandigen Boden hatte …
Hier waren die Fährten noch deutlicher. Der Homgori sagte sich mit Recht, daß er im Halbkreis durch die Nebenhöhlen diesen Weg erreicht hatte und daß das Lager hinter ihm läge.
Rüstig schritt er aus, jeder weiteren Sorge überhoben, denn dieser Höhlendom hier konnte nur an den anderen grenzen, in dem der Berg den Flüchtlingen jetzt Schutz gewährte …
Und – – blieb plötzlich stehen …
Dicht vor ihm war ein Felsstück aufgeprallt, krachend zersplittert …
Er blickte empor …
Der Steinbrocken konnte sich nur von der Decke gelöst haben …
Aber das Fackellicht reichte nicht bis zur gewölbten Decke … Murat konnte nicht erkennen …
Schon wollte er weiter …
Da – ein kam ein zweiter Stein …
Unheimlich dicht an seiner linken Schulter vorüber …
Sollte auch dies ein Zufall sein?!
Murat wurde mißtrauisch …
Zwei Sätze zur Seite …
Gerade noch im letzten Augenblick …
Eine dritte Steinbomben war niedergesaust …
Der Homgori erkannte die Gefahr …
Eilte davon …
Unbegreiflich für ihn, dieses Erlebnis … Wer in aller Welt konnte der Werfer gewesen sein?! Und – wie war dieser heimtückische Feind dort nach oben gelangt?!
Murat mäßigte wieder seine Sprünge …
Hielt… Horchte … Blickte wieder nach oben … Nur die Fackel knisterte … Brennende Harztropfen fielen zu Boden …
Stille … –
Unbegreiflich!! Wie war der Steinwerfer nach dort oben gelangt?!
Geklettert?! Unmöglich!! Das konnte nicht sein! Die Höhlendecke lag hier mindestens fünfzig Meter über dem Boden …
Und der Homgori setzte grübelnd seinen Weg fort …
Jedenfalls, er mußte den Vorfall dem Grafen melden, würde aber zunächst mit Tamsa die Sache besprechen!
Vor ihm öffnete sich jetzt das weite Felsentor …
In der Ferne – in der Höhle blinkten drei Lichter.
Murat war am Ziel …
Erkletterte den Berg, – – und fand Tamsa schlafend …
Beugte sich über den nachlässigen Wächter, roch den Alkohol …
Lächelte verächtlich. Tamsa hatte sich über den Whisky hergemacht! –
Der Homgori schlich durch die Reihen der Schlafenden, wollte niemand stören, wollte nur feststellen, ob vielleicht einer der Marokkaner fehlte …
Vielleicht war es einer der Marokkaner gewesen, der Steinwerfer …
Obwohl das ganz ausgeschlossen schien, Murat hatte nun einmal Verdacht geschöpft …
Musterte die Schläfer … Einem besonders traute er nicht, einem der braunen Feinde, die nun mit zu den Gefährten rechneten – dem alten Ibrahim!
Gerade Ibrahim war vorhin der Eifrigsten gewesen, als es galt, die Goldbarren in der Mitte der Bergkuppe aufzuschichten …
Ibrahims Augen hatten dabei so gierig gefunkelt …
Und – dort lag der Alte, etwas abseits …
Schlief …
Murat schüttelte unzufrieden seinen Kopf …
Kehrte zu Tamsa zurück und setzte sich neben ihn …
Schaute hinab in den dunklen Felsendom und grübelte wieder …
Wer konnte der Steinewerfer gewesen sein? – Ein Fremder??!
Stunden vergingen …
Die Flüchtlinge ruhten im tiefen Schlaf völliger Erschöpfung …
Dann begann plötzlich im Zelte der Gräfin Gaupenberg das Kind, die kleine Noris, zu plärren.
Murat, der nun doch im Sitzen eingenickt war, fuhr empor …
Schlaftrunken starrtet er geradeaus … Die Laternen waren am Erlöschen …
Und – da war’s ihm, als ob ein dunkler Schatten drüben von der Höhlendecke, die man fast mit den Händen reichen konnte, herabglitt …
Drüben, wo das Gold lag …
Hatte er sich getäuscht? War dort wirklich jemand gewesen?!
Mit langen lautlosen Sätzen war er dort drüben …
Fand nichts …
Ibrahim schlief …
Aber in Agnes’ Zelt wurde es jetzt lebendig …
Murat zündete rasch ein paar der Laternen an …
Da erschien Agnes mit dem Kinde im Arm … gefolgt von Ellen …
Auch Gaupenberg wurde munter …
Sah den Homgori am Rande der Kuppel stehen …
Eine Laterne in der Linken ….
Weit vorgebeugt …
Blickte hinab … krallte die Hände zu Fäusten, der Graf Gaupenberg.
Alles Blut schoß ihm zum Herzen …
Seine Wangen wurden fahl …
Denn – – dort schillerte Wasser …!
Rund um den Berg … der zur Insel geworden war …
Der unerbittliche Verfolger hatte sie eingeholt und bereits umklammert. Der Ozean mit seinen unermüdlichen Fluten …!!
Nielsen und Gipsy gönnten sich keine Rast …
Der Gedanke, daß von ihnen beiden die Rettung der Freunde abhing, trieb sie vorwärts …
Sie schonten ihre Dromedare nicht …
Genau so wenig wie sie sich selbst schonten …
Und dabei saßen sie in den Sätteln halb im Traum – halb im Rausch …
Vor Erschöpfung …
Randercilds guter Whisky gab ihnen für Stunden Kraft …
Erst sechs Stunden waren sie unterwegs … Erst sechs Stunden …
Nielsen blickte besorgt sein junges Weib an …
Gipsy schwankte im Sattel …
Ihre Augen waren im Laternenlicht fast unheimlich starr …
Da wurde Gerd Nielsen klar, daß sie auf diese Weise das Ziel niemals erreichen würden …
Sie trabten in einer kleineren sandigen Höhle dahin …
„Gipsy!“
Sie wandte müde den Kopf …
„Gipsy, wir müssen ausruhen … Wenigstens eine Stunde …“
Und er zügelte sein Tier …
Ließ es niederknien …
Seine Weib ritt weiter …
„Gipsy!!“
Er riß das Dromedar wieder hoch … War neben ihr …
„Gipsy, wir …“
„Denk an die Freunde!!“ – Ihre Stimme schwankte … „Gib mir zu trinken, Gerd … Wir dürfen nicht ermüden … Wir … müssen weiter!“
Die junge Amerikanerin streckte die Hand nach der Aluminiumflasche aus …
Die Hand sank abwärts … und Nielsen konnte gerade noch zupacken, um die Ohnmächtige aufzufangen …
Er glitt mit der geliebten Last aus dem Sattel … Band die Zügel der Dromedare an einen Stein … Bettete Gipsy in den Sand, rieb ihr die Schläfen mit Alkohol …
Sie kam wieder zu sich …
Lächelte ihn an … Und – schlief schon wieder…
Die Dromedare hatten sich niedergetan, soffen Wasser aus dem kleinen Eimer und fraßen mit faulen Kaubewegungen Heu und Datteln. Ihre milden Augen waren voller Gleichmut … Nielsen streichelte ihnen die Hälse … Dann legte auch er sich zum Schlafe in den Sand … neben sein junges, tapferes Weib …
Sammelte seine Gedanken in dem einen energischen Vorhaben, nach einer Stunde wieder munter zu werden!!
Schlief ein …
Die Dromedare wendeten die schlanken Hälse … Nielsen atmete tief und ruhig … Doch die Tiere wurden durch irgendetwas aus ihrer trägen Beschaulichkeit auchgestört … Ihre Augen wurden lebhafter …
In der Ferne erschien ein Licht …
Kam näher …
Hufgeklapper – – vierbeinige Tiere schälten sich aus der Finsternis …
Auf dem einen eine Reiterin, Maria Werter, des Farmers blonde stattliche Tochter! – Die anderen drei Dromedare hochbeladen, mit Wassersäcken, Proviant und anderem noch!
Das Mädchen hielt ihr Reittier an …
Blickte auf das Ehepaar Nielsen …
Über die leicht geträumten frischen Züge flog’s wie tiefes Erschrecken …
Sie wollte Nielsen wecken … mußte ihn fest rütteln …
Endlich fuhr er hoch …
Stierte Maria Werter schlaftrunken an … Glaubte zu träumen.
„Sie, Fräulein Maria?!“
„… Mit Lebensmitteln und Futter für die Tiere, Herrn Nielsen … – Wo sind die übrigen? Wo mein Vater, meine Brüder?“
Nielsen war noch zu benommen, um sofort antworten zu können …
Er zog seine Uhr … und erschrak …
„Drei Stunden … Drei Stunden geschlafen!!“
Nun berichtete er in kurzen Sätzen, was geschehen war, was noch geschehen konnte …
„… Sie müssen mit zurück, Fräulein Maria …! Sie müssen!“ – So schloß er die hastigen Angaben …
Gipsy schlief noch fest … Nicht einmal die lebhaften Stimmen hatten sie munter gemacht …
Und das blonde Mädchen erwiderte:
„Nein, Herr Nielsen! Ich reite weiter … Mutter und ich waren so in Sorge um die Expedition … Und auch Frau Merten … Wir haben alles genau überlegt …“
Nielsen drang nicht mehr darauf, daß sie mit zurückkäme … Er wußte, daß Maria Werter sich nicht umstimmen lassen würde …
Er weckte sein Weib … und gleich darauf trabte das Ehepaar Nielsen gen Südost durch die Unterwelt, Maria entgegengesetzt gen Nordwest …
Sie winkten einander noch zu …
Der Laternenschein wurde schwächer …
Nielsen, Gipsy und Maria verloren sich aus den Augen … – –
Die blonde Tochter des Farmers starrte auf den Boden, auf den steinigen Weg, um die Richtung nicht zu verlieren … Ihre Gedanken eilten ihr voraus …
Vater und Brüder wußte sie in Gefahr … Und wenn sie selbst auch nicht im Stande war, diese Gefahr irgendwie abzuwenden, so wollte sie doch wenigstens das eine tun, den Ihrigen und den Sphinxleuten die Nachricht bringen, daß Nielsen und Gipsy jetzt mit ausgeruhten Tieren der Oberwelt zustrebten und daß das Luftboot noch zur rechten Zeit sich hier im Erdinnern einfinden könnte, um dem tückischen Ozean seine Beute zu entreißen …!
Diese Gedanken jagten sie vorwärts …
Nielsen hatte ihr erklärt, daß sie seiner Berechnung nach spätestens in drei Stunden die Expedition erreichen würde …
Maria Werter besaß eine ganz einfache vernickelte Armbanduhr … Aber diese Uhr, kein spielerischer Tand von Knopfgröße, hatte den Vorzug, daß sie genau ging …
Das blonde Mädchen befragte die Uhr …
Zwei Stunden waren seit der Begegnung mit dem Ehepaar Nielsen verstrichen …
Mithin hätte sie nur noch eine Stunde Wegs vor sich …
Noch eine Stunde …! Und dann würde die Entscheidung fallen … Dann würde es sich herausstellen, ob sie … etwa zu spät käme, ob das Meer den fliehenden Trupp bereits geholt hatte …!
Und Maria Werter trieb das Reitdromedar zu flüchtigerer Gangart an … Die drei Lasttiere, hintereinander an lange Leine gebunden, folgten nur widerwillig …
Doch sie mußten … Maria kannte keine Rücksicht …
Sie wollte vorwärts … Und sie war es gewöhnt, Dromedaren ihren Willen aufzuzwingen … Sie hatte oft genug die störrischen Tiere, die trotz der sanften melancholischen Augen so sehr widerspenstig sein können, dort auf der Waldlichtung über weite Strecken gelenkt …
Im flotten Trab gings weiter …
Neue Wunder der Unterwelt taten sich vor den Augen der Reiterin auf …
Im Laternenlicht glitten die dunklen Wände der Höhlen, Grotten und Felsdome eilends vorüber … es schillerte über stürzende unterirdische Bäche hin – über glänzende Streifen im Gestein … über seltsame Gebilde, deren Schatten wie Geisterspuk sich zu bewegen schienen …
Maria achtete auf nichts …
In ihrer Seele lauerte die Angst, daß der Ozean vielleicht längst die Flüchtlinge irgendwo eingeholt, abgeschnitten haben könnte …
Maria achtete nur auf den Weg … Um nicht vielleicht in eine Nebengrotte abzubiegen, nicht nutzlos Zeit einzubüßen, wenn sie den rechten Weg wieder suchen müßte …
Das Klappern der Hufe war die Begleitmusik ihres einsamen Rittes … Das Knarren des Sattels, das Klirren der Kinnketten der Tiere war die seltsame Sinfonien von immer wiederkehrenden Tönen …
So jagte sie dahin …
Durch die endlose Verlassenheit dieser grandiosen Höhlengebiete …
Ein deutsches Mädchen mit Gedanken an Treue und Pflichtgefühl …
Der Goldschatz – – der Goldschatz!!
Das war’s, was stets von neuem in ihrem Hirn aufflackerte …
Der Goldschatz, – sollte er etwa wieder verloren gehen?! Sollten all die Opfer umsonst gebracht worden sein?! Wollte etwa der Ozean die Sphinxleute um die mühsam geborgenen Milliarden wieder bringen?!
Und – vor ihrem inneren Auge tauchten da unwillkürlich Bilder der Vergangenheit auf …
Erinnerungen an jene Novembernacht des Jahres 1915.
Bilder, die noch so unheimlich klar vor ihrem Gedächtnis sich abrollten wie Teile eines phantastischen Films …
Dort an der Kamerunküste …
Da – war ebenfalls eine Höhle gewesen …
Auch Laternenschein … Und auf dem blinkenden Wasser des Meeresarmes, der bis in die Grotte hineinreichte, hatte das deutsche U-Boot gelegen …
Kiste auf Kiste war von Hand zu Hand in den Bauch des Bootes gewandert …
Kiste auf Kiste: Milliarden!
Gold, das der deutsche Mann Heinrich Werter dem umzingelten Vaterlande spendete – – und nicht ahnte, daß heute nach zehn Jahren derselben Milliardenschatz abermals eins seiner Kinder in Not und Gefahr trieb … –
Da – – diese Bilder zerrannein jäh …
Maria riß ihr Tier zurück …
Er stand nach zwei Sätzen …
Auch die drei Lastdromedar stoppten … drängten zur Seite …
Im sandigen Boden des mächtigen Domes … schillerte ein goldener Ziegel, ein Barren Gold …
Maria löste die Laterne vom Sattelknopf, bog sich tiefer …
Es war ein Goldziegel…
Ein winziger Teil der Milliarden …
Einsam hier in einem Sandloche in diesem unermeßlichen Felsendom …
Und Maria blickte um sich …
Wie kam der Goldbarren hierher? Wie war es möglich, daß er ihr allein mitten im Wege lag?
Maria spähte umher …
Ringsum Finsternis … Die Dunkelheit spottete des Laternenlichts … Dieser Dom war zu ausgedehnt, als daß man seine Abmessungen auch nur erraten konnte.
Dann blickte das Mädchen wieder auf den sandigen Boden …
Prüfte mit dem Verstande die Spuren, die noch ganz frisch waren …
Daß da war die Fährte des Ehepaares Nielsen …
Und da unverkennbar die Spur Murats, des Affenmenschen …
Und aus des Homgori breiter Fährte ließ sich herauslesen, daß Murar bis hierher in gleichmäßigem Schritt gegangen, stehengeblieben und dann mit langen Sprüngen davon geeilt war …
Und dort, wo er halbgemacht hatte, – dort lagen Felstrümmer, Stücke zerschmetterter Steine … Man sah, mit welcher Gewalt die Brocken aufgeprallt waren, Sand aufgewühlt und Fels abgesplittert hatten …
Neben diesen Steintrümmern ruhte der Goldbarren.
Merkwürdig war das!
Das sah beinahe so aus, als ob irgend jemanden hier zuerst nach Murats Steine und dann einen Goldziegel geschleudert hätte – von oben her, von der Höhlendecke …
So konnte man’s aus den Spuren herauslesen … Murat hatte sich ja offenbar durch rasche Sprünge in Sicherheit gebracht …!
Und Maria Werter richtete den Blick über sich …
Erkannte nur undeutlich die rissige, zackige Höhlendecke …
Waren die Felssteine und der Goldbarren wirklich von dort oben her geschleudert worden?!
Maria fragte sich’s mit mißtrauischem Grübeln …
Und – ließ ihr Reittier niederknien …
Hob den güldenen Ziegel auf …
Schob ihn in einen der Satteltaschen …
Wollte wieder auf den Rücken des Dromedars sich schwingen …
Zögerte …
Horchte …
Sie hielt den Atem an …
War das nicht soeben eine ferne menschliche Stimme gewesen?!
Sie horchte wieder …
Zuckte leicht zusammen …
Ja – – nun hatte sie Gewißheit … Dort vor ihr waren Menschen – waren ihr Vater, ihre Brüder, die Sphinxleute, die Matrosen Randercilds …
Nur Gaupenbergs Trupp konnte das sein – nur die Gesuchten …!
Im Nu war sie im Sattel …
Weiter – weiter …
Die Dromedare trabten …
Die Hufe klapperten wieder … Die Kinnketten klirrten …
Der Laterne milder Schein zeigte dem Mädchen das hohe Felsentor – die Verbindung zum nächsten Dom.
Doch in diesem mächtigen, natürlichen Torbogen glänzte es am Boden wie schillerndes Glas …
Kein Glas …!! Der Ozean war’s – – das Meer …!! Die Wasser hatten die Fliehenden überholt!! –
Maria kannte keine Rücksicht …
Ihr Dromedar scheute vor dem Wasser … Maria trat ihm die Stiefelhacken in die Rippen.
„Vorwärts – – vorwärts!!“
Das Tier bäumte sich auf – jagte dann jedoch weiter …
Wasser plätscherte …
Die Lastdromedare zerrten an der Leine …
Maria fühlte, daß ihr Reittier zurückgerissen wurde … Sie hielt, glitt aus dem Sattel …
Hatte geschwind die verängstigten Kreaturen an eine Felszacke gebunden …
Sie selbst – – Angst?! Sie, ein deutsches Mädchen, aufgewachsen in Afrika, mit der Wildnis vertraut, – – und Angst?!
So drang sie denn nun in den von den flachen Wellen des gierigen Ozeans umplätscherten Torbogen ein …
Wasser bespülte ihre derben Stiefel …
Sie glitt in eine Vertiefung – versank da bis zu den Hüften …
Wurde vorsichtiger …
Prüfte jetzt erst den Boden bei jedem Schritt …
Fand höher gelegenen Stellen …
Hatte das Verbindungtor der beiden Dome passiert.
Und sah nun, keine fünfzig Meter vor sich den Höhlenberg …
Oben auf der Kuppe Lichtschein … Menschen … Tiere …
Auch sie war bemerkt worden …
Des alten Werter markige Stimme schallte durch das Schweigen der Unterwelt:
„Maria, – – Kind, – – du …?!“
Sie winkte zurück …
Und Murats tiefe Kehllaute warnten da schon:
„Nicht weiter vor, Miß … – Nicht weiter vor …! Wasser zu hoch!“
Auch Heinrich Werter rief seiner Tochter zu:
„Bleibe dort …! Wir beraten gerade, ob wir den Berg verlassen und weiter flüchten sollen …! Murat hat die Wassertiefe soeben gemessen … Die Dromedare müßten schwimmen … Und du weißt, wie schwer sie ins Wasser zu bekommen sind! – Warte … Ich gebe dir Bescheid …“
Das Mädchen sah oben am Randel der Kuppe den Trupp Menschen dicht zusammengedrängt …
Erblickte Agnes Gaupenberg mit einem Kindlein im Arm …
Die Männer schienen erregt aufeinander einzuredend – in der Mitte des Halbkreises Dr. Falz und Gaupenberg …
Sie wartete …
Viktor Gaupenbergs Stimme erklang:
„Meiner Schätzung nach haben wir noch zwei volle Tage Frist, bevor der Ozean uns hier ernstlich bedroht. Ich habe festgestellt, daß das Wasser in zwei Stunden nur um drei Zentimeter steigt. Der Berg ist etwa fünfzig Meter hoch … Und dieses Steigen der Flut wird sich noch verlangsamen, sobald das Wasser freien Abfluß in den Nachbardom und dessen Nebengrotten hat. Jeder mußte mir Recht geben, die Frist von achtundvierzig Stunden ist nicht zu hoch gegriffen! – Wir bleiben! Die Sphinx wird bis dahin eintreffen … Fragen wir Maria Werter, ob sie Nielsen und Gipsy begegnet ist …“
Und er rief dem Mädchen zu …
Maria antwortete günstig …
Da stimmte denn auch Dagobert Falz zu, daß man hier ausharren solle …
Denn – wollte man wirklich sofort den Weitermarsch antreten, so müßte man das Gold zurücklassen … Und hiergegen erhoben sich viele Stimmen … Keiner wollte den Schatz aufgeben, um den man so bitter gerungen hatte und den man nun vielleicht doch noch seiner Bestimmung zuführen konnte.
Man war zu einem gemeinsamem Entschluß gelangt, nachde alles genau erwogen war …
Wieder rief Gaupenberg da Maria zu:
„Wir bleiben, Fräulen Werter! Ihre Brüder kommen hinüber und helfen Ihnen … – Wie viele Dromedare haben Sie mit?“
„Vier … Proviant und Futter, auch Decken und Fackeln …“
Die beiden Farmersöhne, Murat und Tamsa kletterten den Berg hinab und nahmen alle vorhandenen Stangen mit sich, dazu noch die Ölleinwand der Zelte … –
Sie schwammen zum Felsentor, wateten dort aufs Trockene. Maria drückte den Brüdern herzlich die Hand. Nun war sie wieder froh und voller Zuversicht … Sie war am Ziel, war nicht zu spät gekommen …
Die drei Lastdromedare wurden abgeladen … Man schaffte die Lasten durch die Flut zum Berg, wo schon andere hilfsbereite Hände harrten …
Inzwischen drang das Meer weiter in den Nebendom ein – immer weiter …
Der ältere Werter verband den vier Dromedaren die Augen … Durch Schläge und Schreie zwang man die Tiere ins Wasser … bis sie schwammen und dann an der flachsten Seite des Berges landeten …
In einem der Flöße kam auch zuletzt Maria trocken hinüber …
Der Vater schloß sie in die Arme …
„Mädel, ein guter Gedanke von dir! Das Viehfutter wird langsam knapp … Und die Harzfackeln gleichfalls …“
Die Sphinxleute umringten das tapfer blonde Kind … Jeder sagte ihr etwas Liebes … Josua Randercild war bei Laune …
„Miß Werter, wenn Sie mal heiraten, für die Aussteuer sorge ich!! Und sie soll erstklassig werden!!“
Alle lachten …
Die Stimmung war jetzt vortrefflich …
Maria erzählte, wie sie das erschöpfte Ehepaar schlafend angetroffen hatte …
Agnes zog das Mädchen dann nach ihrem eigenen Zelte hin …
„Jetzt müssen Sie erst mal einen Imbiß einnehmen und dann schlafen … – Kommen Sie, Maria …“ –
Die Aufregung der Flüchtlinge legte sich wieder. Aber die frohe Stimmung blieb.
Nur einer saß dort neben dem lohenden Feuer, über dem der Kessel mit dem Hammelfleisch und den Kartoffeln hing, starrte finster vor sich hin. Murat!
Maria hatte drüben im anderen Dom mit Murat gesprochen, hatte ihn gefragt, ob sie die Fährten im Sande richtig gelesen hätte und ob er wüßte, wie der Goldbarren dorthin gelangt sei …
Der Homgori grübelte noch immer, blickte zuweilen zur Felsendecke empor und musterte eben so heimlich den alten Ibrahim …
Murat hatte Ibrahim im Verdacht …
Und doch keine Beweise …
Er fühlte förmlich, daß Ibrahim die Felsen geworfen hatte, daß der Alte auch ein paar Goldbarren beiseite geschafft haben könnte …
Aber wie?!
Murat hatte Adleraugen …
Und doch konnte er an der Felsendecke, die hier so dicht über der Kuppe des Berges hing, keine Öffnung bemerken, durch die Ibrahim möglicherweise in eine Grotte über diesem und dem Nachbardom gelangt sein könnte.
Murat grübelte …
Sollte er Gaupenberg seinen Verdacht mitteilen?! Oder war es nicht klüger, Ibrahim zu beobachten und so den Dingen auf den Grund zu kommen?!
Er entschloß sich, vorläufig nichts zu sagen – niemandem … Oder doch nur Tamsa, seinem neuen Freund, der hier neben ihm vor dem Kessel hockte …
„He, Tamsa!“ flüsterte er …
Der Nubier fuhr aus seinem Halbschlaf empor …
„He, Tamsa, – zuhören … Aber schweigen …!“
Der schwarze Riese neigte sich mehr zu Murat …
Und der erzählte …
Der Neger nickte zustimmend … „Der Schatten, den du sahst, wird schon Ibrahim gewesen sein … Auch mir gefällt der Alte nicht … – Wir werden ihn nicht aus den Augen lassen …“ –
Indessen hatten Gußlar und Mafalda eins der Flöße bestiegen, wollten mit Gaupenbergs Zustimmung den Nebendom daraufhin besichtigen, ob dessen Seitengrotten sehr ausgedehnten wären, tiefer als die Haupthöhle lägen und so dann die Geschwindigkeir des Steigens der Flut noch mehr verringern würden …
Der Kurländer befestigte das Floß sehr sorgfältig, damit das ansteigende Wasser es nicht entführte …
Dann schritt das Liebespaar tiefer in den Turm hinein …
Sie waren so lange nicht allein gewesen, diese beiden Menschen, die in ihrer starken Liebe ein so vollkommenes Glück gefunden hatten …
Arm in Arm wanderten sie dahin … Gußlar hatte sich eine Laterne um den Nacken gehängt …
Dann blieb er stehen und küßte Mafalda …
War ein wenig enttäuscht, als er fühlte, daß seine heiße Zärtlichkeit keinen Widerhall bei Mafalda fand …
Die Geliebte drängte ihn sanft von sich …
„Werner … Ich weiß nicht,“ sagte sie zaghaft … „Mir ist so, als ob uns allen Unheil drohe …“
Gußlar schaute ihr verwundert in das schmale Gesicht, dessen feine Züge sich in der letzten Zeit so sehr veredel hatten …
„Aber Liebling, – – weshalb bang?!“
Er lachte und schüttelte den Kopf …
„Närrchen, laß mich doch diese köstlichen Minuten des Alleinseins genießen …!“
Und wieder riß er sie an sich, … Suchte ihre Lippen …
Mafaldas heißes Blut wallte auf …
„Vielleicht hast du recht …! Vielleicht mache ich mir ganz unnötig Gedanken!“
Eng umschlungen standen sie da …
Vergaßen alles …
Nur ihre Liebe nicht, – ihre Leidenschaft …
„Werner …!!“
… „Wer…ner!!“
… Und da hatte Gußlar sie bereits emporgehoben und trug sie davon … In eine enge Seitengrotte, die wie ein Tunnel sich in die Tiefe zog …
In einem verschwiegenen Winkel, wo der feine weiche Höhlensand eine kleine Düne bildete, zog er seine Geliebte zu Boden.
Ein Lager feuriger Liebe entstand …
Die Laterne brannte diskret zwischen Steingeröll, das vor diesem Winkel einen Wall vortäuschte … Die Laterne verriet nichts …
Minuten später…
Gußlar streichelte sanft Mafaldas Haar …
„Nun – noch immer so bang, mein Liebling?“
„… Nein …“
Aber das klang zaudernd …
„Also doch noch Angst, – wovor?“
„Nicht Angst, Werner … Nur solch’ ein dumpfer Druck … Ich will aber nicht mehr daran denken … Komm, küß mich wieder!!“
Die Laterne verriet nichts von diesem zweiten Liebestreff …
Blinkte durch das Geröll mit dünnen Strahlen … traf auf ein dünnes Bächlein, das aus dem Dom hier hinab in den engen Tunnel seinen Weg gefunden hatte …
Ein Bächlein nur …
Und doch, Vorbote des Ozeans, Vortrupp der großen Armee der Fluten, die jeglicher menschlicher Berechnung spotten und sich dehnen und recken, wie es in ihren heimtückischen Plan paßt …
Vom Bächlein schnell zum murmelnder Bach … zum Flüßchen – zum rauschender Strom … –
Das sich wild liebende Paar merkte nicht, daß die Laterne erlosch, weil in den Glaskörper Wasser eingedrungen war.
Schrak erst empor, als das Plätschern zum Gurgeln wurde …
„Werner …!!“
Mafalda hatte es zuerst gehört …
Und sie machte sich frei aus seinen Armen …
Auch Gußlar stand bereits auf den Füßen …
Seine Hände tasteten nach dem Feuerzeug …
Das kleine Flämmchen glühte auf …
Genügte, die Laterne in dieser dräuenden Finsternis zu finden …
Die war voll Wasser …
Er schüttete sie aus…
Sie brannte wieder …
Karbidlicht beleuchtete den Tunnel, der zwischenhin zum reißenden Fluß geworden …
Wasser plätscherte über das Sandlager … umspülte schon die Füße des Liebespaares.
Gußlar rief Mafalda zu:
„Vorwärts – – nach oben, zurück zu den Freunden! Schnell!!“
Sie sbegannen empor zu steigen …
Hand in Hand …
Bis zu den Leibern reichte ihnen schon die Flut … Anstämmen mußten sie sich dagegen mit voller Kraft…
Aufwärts ging’s ja noch dazu …
Und – der Strom schwoll … Schwoll so rasch, daß Gußlar nicht begriff, wie dieser plötzliche Ansturm des Wassers zu erklären sein könnte …
Dann – – von oben her eine einzelne Woge … als ob dort eine Schleusenkammer jäh geöffnet worden wäre …
Ein Schwall, dessen Anblick Mafalda aufschreien ließ…
Im letzten Moment riß Gußlar die Geliebte noch an sich …
Dann gingen die Wassermasse über beide hinweg … rissen sie mit in unbekannte Tiefen …
Auf der Kuppe des Höhlenberges aber standen die Sphinxleute, die Matrosen und die Marokkaner …
Bebende Arme leuchteten mit klirrenden Laternen in den Felsendom hinab …
Zitternde Menschenlippen wollten Worte des Entsetzens formen und … blieben stumm …
Denn dort unten nahte das Verderben …
Woge um Woge rollte aus der Ferne herbei …
Aus jener Ferne, wo das Meer sich Raum geschaffen hatte durch die Glasmasse hindurch für seinen Angriff … Woge auf Woge …
Das waren keine bescheidenen Wellen mehr … Nein – mit schäumenden Kämmen rollten sie herbei, wie vom Sturm getrieben …
Die Wasser stiegen …
Zusehends …
Gaupenberg hatte die Zähne in die Unterlippe eingegraben – so fest, daß Blutstropfen aus der Haut sprangen …
Denn – er hatte die Verantwortung, wenn hier nun das Schicksal der Flüchtlinge auf dieser Insel sich vollendete.
Er allein! Er hatte ja behauptet, man hätte noch achtundvierzig Stunden Frist! – – Auch er hatte den Azorenschatz nicht preisgeben wollen!
Und bleich und benommen blickte er den Wogen entgegen, die das Wasser immer höher klettern ließen … bereits den halben Berg verschluckt hatten …
‚Insel der Verurteilten!’ – fuhr es ihm durch den Kopf …
Der – zum Tode Verurteilten!
Und um ihn her blasse Gesichter wie sein eigenes.
Menschen, die nun ihr Geschick vorausahnten, die sich keiner Täuschung mehr hingaben über den Ernst der Lage … –
Agnes schmiegte sich an den verstörten Gatten …
„Viktor, wir hätten doch besser getan, wenn …“
Aber sein trostloser Blick brachte sie zum Schweigen.
Dann – hinter der Menge der von Todesnot Bedrohten ein gellender Schrei …
Alle fuhren herum …
Sahen dort neben dem Hügel von Goldbarren Murat, der den alten Ibrahim gepackt hielt … Sahen dem Nubier Tamsa, der wie von Sinnen umherhüpfte … brüllte … brüllte:
„Ibrahim, wir danken dir! Ibrahim, mag Allah deine Seele einst mit windschnellem Roß in seinen Himmel holen!!“
Alle hörten die Rufe …
Nur drei begriffen …
Und doch – – es war die Rettung!!
Ein friedlicheres, freundlicheres Bild …
Ein klarer, sonniger Morgen auf der großen Urwaldlichtung am fernen Nil …
Das Werter-Haus, die Laube vor der Tür …
Und in der Laube zwei grauhaarige Frauen beim Frühstück …
Eine dickbauchige Kaffeekanne stand auf dem frisch gedeckten Tisch … Daneben Teller und allerlei gute Dinge …
Frau Werter schenkte die Tassen voll und sagte mit leichtem Aufseufzen zu Mafaldas Mütterlein:
„Liebe Frau Merten, ich bin nie ängstlich gewesen … Ich bin bin’s von jeher gewöhnt, daß mein Mann und meine Jungen so und so oft sich in Gefahr befanden … Aber diesmal handelt es sich um Maria …! – Ach, wir hätten sie doch nicht fortlassen sollen … Nein, sie hätte …“
Was sie noch hinzufügen wollte, die stattliche Farmersgattin, wurde niemals ausgesprochen …
Denn vom grünen bewachsenen Felsenhügel links neben dem Hause her der schrille Schrei des Dakizwerges, der hier als Beschützer der Zurückgebliebenen es nie an Wachsamkeit fehlen ließ …
Frau Werter schwieg und trat rasch vor die Laube, sah den ebenso häßlichen wie treuen Daki vom Hügel in wilden Sprüngen herbeigerannt kommen und rief ihm entgegen:
„Was gibt’s – – was gibt? – Gefahr?“
Der Daki winkte beruhigend …
Neben ihm her liefen die zahmen Paviane, die jetzt faule Tage hatten, da niemand sich um die Felder kümmerte und daher auch die Wasserschöpfräder still lagen, deren Bedienung sonst die Arbeit der gelehrigen kräftigen Affen war …
Der Daki winkte und schrie dann mit seiner hohen Fistelstimme:
„Zwei Reiter … Zwei Reiter kommen … Sein Herr Nielsen und Weib seiniges, Frau Werter … – – Da sind sie … Da – –“
Der Daki klatschte sich vor Freuden auf die nackten Schenkel …
Frau Anna Werter aber konnte sich nicht vom Fleck rühren …
Sie brachte das Erscheinen Nielsens und Gipsys unwillkürlich mit irgendeiner Hiobsbotschaft in Verbindung, glaubte, es sei ein Unglück geschehen …
Erst als Nielsen nun ihrer ansichtig wurde und schon von weitem grüßend die Mütze schwenkte, lief sie den Reitern entgegen, indem sie Frauen Merten noch schnell zurief, sie möge doch noch zwei Tassen und alles Nötige für die Ankömmlinge aus der Küche holen …
Dann stand sie vor dem Ehepaar, das bereits aus den Sätteln gestiegen war und die Zügel dem Zwerge zugeworfen hatte …
Gipsy steckte der Farmerfrau beide Hände entgegen.
„Liebe Frau Werter, es ist nichts geschehen, was Ihnen Anlaß zu ernsteren Besorgnissen geben könnte … Wir beide sind nur abgeschickt, um die Sphinx zu holen … Nur deshalb … Den Ihrigen geht es gut … Auch Fräulein Maria haben wir getroffen …“
Dann überließ sie es Nielsen, Einzelheiten zu berichten …
Als man die Laube betrat, hatten sich hier inzwischen auch Frau Merten und die beiden Mormonenfrauen Rebekka und Hekuba eingefunden, die er ebenso wie Mafaldas Mutter die Expedition Gaupenbergs nicht mitgemacht hatten … –
Nielsen ließ sich kaum Zeit, ein wenig zu frühstücken … Es drängte ihn, die Sphinx abfahrbereit zu sehen und unverzüglich wieder aufzubrechen …
Er entschuldigte sich bei den Frauen und eilte nach rechts hinüber, wo das Luftboot noch so zwischen dem Wohnhause und den großen Viehhürden im Grase ruhte, wie es hier gelandet war, als man damals die große Weltkatastrophe auf dieser Lichtung abwarten wollte …
Zum Glück hatte Viktor Gaupenberg in den wenigen Ruhetagen nach der doch glimpflich verlaufenden Weltuntergang den Lebensnerv des Bootes, die Sphinxröhre wieder instand gesetzt, so daß die Röhre nur noch in das Metallgehäuse am Bug eingefügt zu werden brauchte, eine Arbeit, die kaum zehn Minuten beanspruchte.
Dann stieg Nielsen wieder in den Turm hinab und versuchte, ob das Boot noch den Steuerhebeln gehorchte, ließ es dreißig Meter steigen und umrundete in kurzem Probeflug die Farm, landete wieder und rief Gipsy zu:
„Alles in Ordnung, – wir wollen nicht länger zögern! – Frau Werter, Sie geben uns wohl ein wenig Proviant mit … Viel brauchen wir nicht … Ich hoffe die Strecke bis zu unseren Freunden in zwölf Stunden im unglücklich Falle zurückzulegen – ohne Zwischenlandung …“
Frau Werter und Frau Merten eilten ins Haus. Sie hatten jede noch besondere Wünsche nachher, als sie mit einem Korb voller Lebensmittel wieder draußen erschienen. Frau Merten ließ ihre Tochter und Gußlar besonders herzlich grüßen, und Frau Werter händigte Gipsy ein Paket Rauchtabak aus …
„Für meinen Mann …! Ohne Tabak ist er nur ein halber Mensch …“
Nielsen und Gipsy standen an der Reling der Sphinx.
Nochmals blickten sie über die blühende Dichtung hinweg …
Erfreuten sich vor dem erneuten Eindringen in die Finsternis an dem wunderbaren Landschaftspanorama zu ihren Füßen …
Dann verschwand Nielsen im Turm, nachdem er den zurückbleibenden Frauen einen letzten Gruß zugewinkt hatte …
Das Luftboot hob sich allmählich … Glitt dann mit langsam arbeitenden Propellern dicht über den Boden hin und drängte sich in die Büsche hinein, die den Grotteneingang umsäumten …
Schreiend rannten der Daki und die Paviane hinterdrein, während die Frauen lebhaft mit ihren Taschentüchern winkten …
Ohne weitere Schwierigkeiten passierte die Sphinx den Eingang …
Ihre Scheinwerfer strahlten auf … Und mit einem Male wurde es taghell …
Zunächst mußte Nielsen hier in den ersten Grotten noch mit mäßiger Geschwindigkeit entlanggleiten, weil die Höhlen zu oft Krümmungen besaßen und auch stellenweise zu schmal waren, als daß die Sphinx ihre volle Schnelligkeit hätte entfalten können …
Immerhin entsprach doch diese Geschwindigkeit bereits dem flüchtigen Trab eines guten Reitdromedars.
Doch bald gelangte man in einen der ersten meilenlangen Riesendome …
Gipsy stand neben dem Geliebten im Führerstand … Das Sehrohr war ein wenig herausgeschraubt worden, und auf dem Spiegel des tadellos konstruierten Apparates konnte Gerd Nielsen weithin alles überschauen.
„So – jetzt könnten wir volle Geschwindigkeit fahren!“ meinte er zu seinem jungen Weibe …
Und – schob den einen Hebel herum …
Wie ein Ruck ging’s da durch die Sphinx …
Die Turmluke stand offen …
Man hörte hier im Turme deutlich den donnerähnlichen Widerhall des Lärms der arbeitenden Propeller.
Die grauschwarzen Felswände flogen vorüber …
Im Nu war dieser erste Dom durchmessen …
Dann ein paar schwierigere Manöver, um durch den Verbindungstunnel in die nächste Höhlenhalle zu gelangen …
Und von neuem rasten die Luftschrauben ihr sausendes Lied … glitten im Scheinwerferlicht die Wunder der Unterwelt pfeilschnell dahin, blieben zurück, wurden von stets neuen Bildern dieser phantastischen ungeheuren Hohlräume abgelöst …
Bis dem Auge Nielsens jäh das klare Gemälde auf dem Spiegel entzogen wurde …
Blitzschnell bremste er den windschnellen Flug …
„Gipsy, – – an Deck!! Nachsehen, was mit dem Sehrohr geschehen! Es versagt!“
Seine Gattin eilte nach oben …
Die Scheinwerfer täuschten Sonnenhelle vor …
Und – inmitten dieser blendenden Helle saß auf dem Sehrohr … einer der zahmen Pavinane, hielt das Rohr mit beiden Armen angstvoll umklammert …
Gipsy mußte lachen …
Denn das Gesicht des kräftigen Mantelpavians drückte ein so ungeheures Entsetzen über diese rasende Fortbewegung aus, daß seine Augen völlig verdreht waren …
Gipsy nahm den Pavian beim Lederhalsband, streichelte ihn und brachte ihn dann nach unten in eine der Gerätekammern. Der kluge, verängstigte Affe hatte die Arme nun um Gipsy Hals gelegt und schmiegte sich geradezu hilfesuchend an ihre Brust …
Willig ließ er sich einsperren, sank in der Kammer ganz ermattet auf ein paar leere Säcke …
Die Sphinx setzte ihre Fahrt fort.
Als Gipsy nun wieder im Turm erschien, meinte Nielsen gutgelaunt:
„Hoffentlich sind nicht noch ein paar weitere Vierhänder als blinde Passagiere mitgekommen … Schau’ dich zur Sicherheit nochmals oben an Deck um, Gipsy-Lieb …“
Und er nickte ihr zu – freute sich über sein schlankes, rankes Frauchen, die in allem so vortrefflich zu ihm paßte …
Gipsy fand jedoch das Deck leer … blieb trotzdem noch eine geraume Weile hier oben, da sie im Windschutz des Turmes stehend die eigenartigen Schönheiten dieses unterirdischen Fluges weit besser genießen konnte als unten, wo der Sehspiegel doch niemals den vollen Eindruck wiedergab.
Abermals war ein riesiger Dom durchmessen …
Die Verbindung zum nächsten bestand in einem langen engen Tunnel, durch den Gerd Nielsen das Luftboot mit äußerster Vorsicht dirigieren mußte …
Doch er als Schiffssteuermann von Beruf wurde auch durch diese enge Passage nicht weiter gestört …
Die Sphinx wandte sich wie ein lebendes Wesen um Zacken und Vorsprünge …
Kam wiederum in eine Riesenhalle …
Freie Bahn vor sich …
Die Propeller peitschten die Luft … sangen wieder ihr hohes Lied von tausend Umdrehungen …
Und Gipsy Nielsen, vor kurzem noch Gipsy Maad, Detektivin aus Neuyork, kauerte hinter dem Mittelturm und freute sich des grandiosen Anblicks dieser neuen Grotte … Einer Höhle mit hellerem Wandgestein, mit breiten blitzenden Adern von Glimmer …
Wie Gold und Silber funkelten diese Streifen …
Schon waren sie vorüber …
Neues wieder …
Säulen, Balkone, Pyramiden, Felszapfen. Wunder der allgewaltigen Natur!!
Und immer neue Bilder … nicht eine Grotte, die der anderen glich …
In jeder für das sehende Auge eine andere Überraschung. –
So eilte die Sphinx denselben Weg dahin, den ein paar Stunden vorher ihr jetziger Führer und sein Weib hoch im Dromedarsattel zurückgelegt hatten …
Gipsy war so hoffnungsfroh …
Der Fahrt stellten sich so gar keine Hindernisse entgegen …
Alles verlief nach Wunsch …
Die Sphinx bewährte sich wiederum aufs beste …
Gipsy saß nun, Stunden später, im Korbsessel neben Nielsen – im Turm …
War … eingenickt … Schlief ganz fest …
Nielsen schaute nach der Uhr …
Acht Stunden war man unterwegs …
Bereits acht Stunden …! Jetzt sollte man in kurzem auf die Gefährten stoßen …
Gerd Nielsen steuerte das Boot gerade wieder durch einen engen Verbindungstunnel …
Er prüfte das Bild dieses Tunnels … Unten am Boden lagen riesige Blöcke … Auf die besann er sich … Ja – die Sphinx war der Stelle nicht mehr fern, wo man sich von den Freunden verabschiedet hatte…
Aber – außer den Riesenblöcken zeigte der Spiegel des Sehrohrs noch etwas anderes. Dort in der Tiefe schillerte es wie Wasser …!
Sollte der Ozean bereits hierher vorgedrungen sein?!
Nielsen ließ die Propeller schweigen … das Boot herabsinken …
Bis es mit leichtem Klatschen landete … im Wasser…
Das Meer war da – – der Ozean!!
Aber – wo waren die Gefährten?! –
Nielsen weckte sein Weib …
„Gipsy-Lieb, – – hallo!! Aufwachen!! Jetzt brauche ich Hilfe!!“
Die aschblonde Gipsy rieb sich die Äuglein, blinzelte ihren Gerd schlaftrunken an …
Gähnte … Mußte sich erst besinnen, wo sie sich befand …
„Gipsy, – – der Ozean!!“ sagte Nielsen mit schwerer Betonung …
Und das eine Wort genügte …
Sie begriff …
Die Schlaftrunkenheit war wie weggewischt.
„Gerd, – – und die Freunde?!“
Auch ihr erster Gedanke galt den Gefährten …
Nielsen deutete auf den Spiegel des Sehrohrs …
„Da – dieser Tunnel steht bereits unter Wasser. Meiner Ansicht nach sind wir jener Höhle nicht fern, wo wir uns von den anderen trennten …“
„Und wenn, – – wir müssen noch weiter, Gerd!“ Jetzt war sie die energischere … „Weshalb liegen wir hier still, Gerd?! Vorwärts – noch hat der Ozean diesen Tunnel kaum merklich gefüllt … Also werden wir auch noch anderswo mit der Sphinx durchschlüpfen können …!“
Nielsen nickte nur …
Zwei, drei Hebelgriffe …
Die Sphinx stieg … Die Propeller surrten …
Und langsam glitt das Luftboot aus dem Tunnel in einen gewaltigen Höhlendom – hinweg über den Spiegel eines ungeheuren Sees … Über den die Wogen mit kleinen Schaumkämmen dahinrollten …
Wogen, deren Ursache hier im Erdinnern nicht ersichtlich war … Rätselhaft ihre Entstehung …
Die Lichtkegel des Bugscheinwerfers enthüllten das gegenüberliegende Felsentor, entzogen es der dräuenden Finsternis …
Und dort quoll’s heraus wie die Wasserströme einer gewaltigen Kanalisation …
Das Meer war’s, das mit seinen unerschöpflichen Fluten hier seinen Weg nahm – unaufhaltsam, mit der Kraft seiner ganzen ursprünglichen Wildheit des ländertrennenden und länderverbindenden Elementes …
Gerd Nielsen schätzte die Höhe zwischen Wasserspiegel und Decke des Tores …
Noch konnte die Sphinx hindurch … Noch war Raum für sie …
Und er wagte es …
Das Luftboot glitt über die schäumenden Kaskaden hinweg …
Hinein in den Nebendom …
Gipsy war wieder an Deck …
Lichtstrahlen umspielten inmitten des unterirdischen Sees, den diese Riesengrotte jetzt bildete, eine Felseninsel …
Ein einzelner Schuß knallte und weckte lärmende Echos.
Ein vielfacher Aufschrei folgte …
Jubelrufe derer, die soeben nützlicher Kreaturen unausbleibliche Qual hatten abkürzen wollen …
Gipsy Nielsen winkte … winkte …
Wollte gleichfalls rufen …
Ihre Kehle versagte …
Und die Sphinx wendete … Die kreisenden Propeller verstummten … Das Luftboot landete am Ufer der Insel im Felsendom … – –
* * *
Landete hier acht Stunden nach des Nubiers Tamsa frommem Wunsch für Ibrahim, den alten Marokkaner …
Nach acht Stunden der Angst und Aufregung …
Die Flüchtlinge standen zu dieser Zeit oben am Rande der Felskuppe … Erblickten die Wogen daherstürmen, den Dom sich füllen …
Bis Tamsas dröhnende Stimme die Aufmerksamkeit dorthin lenkte, wo das Gold in der Mitte der Gruppe zu hohem blinkenden Hügel aufgeschichtet war …
Wo der Nubier und Murat, längst beseelt vom Mißtrauen gegen Ibrahim, sich hinter dem nächsten Zelt verborgen gehalten hatten, um den alten Marokkaner zu beobachten, der vielleicht die gute Gelegenheit – den Schrecken der nahenden Wogen, die allgemeine Angst, die die Augen nach anderer Richtung bannte – nützen würde, um erneut Goldbarren verschwinden zu lassen.
So belauerten der Neger und der Affenmensch den Marokkaner Ibrahim …
Denn der hatte sich soeben erhoben und nach rückwärts geschlichen – zum Goldhügel, dessen oberste Barrenschicht kaum meterweit unter der zackigen rissigen Domdecke lag …
Ibrahim hatte sie scheu umgeblickt …
Schon in Bewegung und Körperhaltung verkörpertes schlechtes Gewissen …
Dämmerlicht ferner Laternen umspielte den Goldhügel … Halbdunkel schützte des Alten gieriges Tun …
Nochmals ein spähender Blick hinüber zu den dichtgedrängten Gefährten … Keiner beachtete ihn … So glaubte er … Doch falsch dieser Glaue, der an keinen Lauscher in der Nähe dachte …
Ibrahim war im Nu oben auf den schillernden Barren … hatte mit den hochgestreckten Händen ein Stück der Decke des Domes emporgerückt und beiseite geschoben …
Hatte sich gebückt … Hatte blitzschnell fünf – sechs – sieben Barren nach oben in das Loch geworfen …
Schleuderte weitere Barren empor – hinauf in einen anderen Raum, der dort über dem Höhlendach sich ausdehnte.
Tamsa und Murat sprangen zu, als der Alte nun selbst sich emporschwingen wollte …
Packten den Marokkaner …
Des Homgori gellender Triumphschrei wurde abgelöst von dem frommen Wunsch des Nubiers, daß Allah den Ibrahim einst mit windschnellen Roß in seinen Himmel holen möge!
Ein Wunsch, der völlig ernst gemeint war … Denn Ibrahims Diebesgelüste öffneten den Flüchtlingen den Weg in neue Hohlräume des Erdinnern!
Der Marokkaner hatte nur schreckgelähmt lallen können:
„Oh – – Ibrahim nicht stehlen!! Dort oben andere Grotten – sehr weite Grotten!“
Dann waren Gaupenberg, Dr. Falz – – gefolgt von den Gefährten bereits zur Stelle …
Umdrängten die kleine Gruppe …
Laternenlicht glitt hoch zur Felsdecke … zeigte den Staunenden den Zugang zu der oberen Grottenwelt …
Mohammed Ben Safra, Führer der braunen Wüstensöhne, war tief empört über Ibrahims Diebesgelüste …
Als erster brüllte er den Alten an:
„Hund, mein Dolch müßte dich fressen …!“
Gaupenberg schob Ben Safra sanft zurück …
„Nicht in dieser Art, Ben Safra …! Ich werde mit Ibrahim reden …“
Der Alte, noch umklammert von den Fäusten Tamsas und Murats, wand sich in verlogener Biederkeit.
Stieß keuchend hervor:
„Ich wollte nachher alles mitteilen … Ich … bin kein Dieb … Ich fand zufällig heraus, daß hier über dem Hügel der Milliarden ein Stück der Decke wie ein Steinkeil in einem Loch saß … Ich bin vorhin dort oben gewesen … Es sind dort andere Höhlen … Ich hätte alles erzählt … Ich wollte nur rechtzeitig damit beginnen, das Gold nach oben zu schaffen …“
Murat lachte schrill …
„Lügner!! Lügner …!! Und nach mir schleudertest du Steine – – von oben herab, als wir Miß Maria holten, als ich im Nebendom war …!! Lügner!! Einer der Barren fiel dir herab …! Auch dort muß also ein Loch in der Decke sein! Lügner!!“
Ibrahim senkte den Kopf …
Heulte auf vor Angst …
Denn Ben Safras Augen drohten …
Mit blitzschneller Bewegung hatte er den langen Dolch aus dem Gürtel gerissen … hatte zustoßen wollen, damit dieser Verräter, der einzige Verräter unter seinen Leuten, bestraft würde …
Es kam nicht dazu …
Im letzten Moment hatte Agnes, die kleinen Noris im Arm, sich zwischen Ben Safra und den zitternden Alten geschoben …
Ihr milder Blick lähmte den bewaffneten Arm …
„Kein Blutvergießen, Ben Safra! Das, was Tamsa vorhin ausrief, zeigt das Geschehene in seiner wahren Bedeutung! Ibrahim hat uns, wenn auch ungewollt den Weg der Rettung gewiesen!“
Und ihr Gatte fügte hinzu:
„Ihm sei verziehen, wenn er auch ein Dieb und Lügner ist … – Murat, Tamsa, gebt ihn frei …!“
Die beiden ließen den Alten los …
Der warf sich zu Gaupenbergs Füßen …
Winselte – und diesmal enthüllte er sein wahres Gesicht:
„Das Gold hatte meinen Verstand verwirrt … Ich bekenne mich schuldig … Ich bin ein Unwürdiger, ein Undankbarer … Ihr habt nur Gutes an uns getan, Ihr, die wir Ungläubigen schelten … Ich bin ein Elender, der nicht mehr weiterleben will …“
Sein wahres Gesicht …!?
Nicht so wie seine Worte war sein verderbtes Denken.
Ein Schwindler, – des Goldes wegen …
Er sprang empor …
Wie in Ekstase tiefster Reue …
Alles Berechnung …
Kletterte ebenso schnell auf den Goldhügel …
War im Nu oben in dem Felsenloche verschwunden.
Und der Steinkeil glitt herab …
Zu spät hatte der Graf die Pistole bereit … Murat mit einem Panthersatz sich hochgeschnellt … eine behaarte Hand in das Felsenloch hinein gegriffen, eine Sekunde zu spät …
Der Steinkeil war gefallen …
Quetschte Murat kurze muskulösen Finger weg …
Hautfetzen blieben am rauen Granit hängen …
Die blutende Hand des Homgori ballte sich zur Faust … Seine kleinen Gorillaaugen quollen unter dem vorspringenden Stirndach hervor … In seiner rasenden Wut schlug er mit den Fäusten die breite Brust – wie er das schon oft getan… Ein Erbteil seiner Affenahnen …
Und in diese dumpfen Schläge, die sich wie das Dröhnen einer primitiven Trommel anhörten, – in diese hallenden Laute des mächtigen Kastens mischte sich anderes Dröhnen …
Von oben …
Aus dem nächsten Stockwerk der Unterwelt… Ibrahim häufte Felsbrocken über den Steinkeil, sorgte dafür, daß niemand ihn würde empordrücken können …
Alle hörten’s … und begriffen, was da oben geschah …
Ben Safra rief grimmig:
„Fangen wir den Schurken, so soll er unter Qualen sterben, wie noch keiner vor ihm! Er hat uns entehrt! Wir haben den Friedensvertrag gehalten, Master Gaupenberg …! Aber er ist …“
„… ein armer Wahnsinniger,“ ergänzte Dr. Falz in seiner gütigen Art … „Nur ein armer Wahnsinniger, Ben Safra! Goldgier hat sein Hirn verwirrt. Anderen vor ihm ging’s ebenso … Das Gold ist ein Fluch …!“
Und aus dem Hintergrunde fügte eine brüchige Stimme hinzu:
„Ja – ein Wahnsinniger, wie ich es einst war!! Ein Fluch das Gold! An mir hat sich’s bewahrheitet!“
Dort stand eine Ruine von Mensch, der einäugige Don José Armaro, einst Präsident und Despot einer Republik in Südamerika, jetzt nur noch ein armseliges bemitleidenswertes Wesen … Nur noch der unkenntliche Rest eines Mannes, ein Greis, dem Reue und Erkenntnis eigener Niedrigkeit jede körperliche und seelische Spannkraft genommen hatten …
Ben Safra, stattlicher Sohn der weiten Wüste, – Ben Safra machte nur eine verächtlich Handbewegung …
Meinte grimmig und rachelüstern:
„Wahnsinnig?! Wahnsinnig?! – Hier stehen meine Stammesgenossen … jung, ohne die Lebenserfahrungen Ibrahims! Ihnen hat das Gold den Blick und den Geist nicht mehr verwirrt, nachdem wir den Kampf um den Schatz aufgegeben hatten …! – Ibrahim ist ein Schurke, und er wird seiner Strafe nicht entgehen!“
Gaupenberg wollte diesem zwecklosen Hin und Her von Worten ein Ende machen …
„Freunde,“ meinte er energisch, „uns liegt jetzt anderes näher, als hier um einen Mann zu streiten, der uns nicht entgehen wird! – Prüfen wir lieber, ob die Fluten des Ozeans noch weiter steigen … Ich habe jetzt eine Erklärung dafür gefunden, daß die Wassermengen so plötzlich sich hier im Dome verzehnfachten … eine einleuchtende Erklärung. Der Ozean füllte zunächst die hinter uns liegenden Nebengrotten … Und als dann all diese Höhlen unter Wasser standen, da erst machte sich der ungeheure Druck der eindringenden Wasser nach dieser Richtung hin voll bemerkbar!“
Dagobert Falz nickte zustimmend …
„So ist’s, lieber Graf … Aber weil’s so ist, wird die Flut sich auch wieder nach vorn verteilen … – Gut, prüfen wir, ob die Wogen uns noch ärger als bisher bedrängen … Dann werden wir uns darüber schlüssig werden, was wir gegen Ibrahim unternehmen können …“
Der Kreis erregter Menschen zerstreute sich, wandte sich dem Rande der Insel wieder zu …
Das Bild dort war das gleiche geblieben …
Woge auf Woge rollte über den endlosen See …
Klatschte gegen die Gestade des Berges, der zur Insel geworden … gegen das Felsentor, gegen die Wände des Domes.
Und Dr. Falz rief in das bange Schweigen der Gefährten hinein:
„Dann also gegen Ibrahim!! – Wir haben die Dynamitpatronen Ben Safras! Wir werden den Steinkeilweg sprengen, denn – dort ist der einzige Fluchtweg für uns – der einzige!“
All diese Aufregungen der letzten halben Stunde hatten die Flüchtlinge den Baron Gußlar und Mafalda völlig vergessen lassen …
Verdrängt waren die Gedanken an die beiden Gefährten, die freiwillig vorhin in den Nebendom auf primitivem Floß hinübergerudert waren.
Maria Werters Ankunft, dann die jäh einsetzende Flutwelle des Ozeans und schließlich Ibrahims gemeine Verräterei hatten das Schicksal der beiden Liebenden vollständig in den Hintergrund gedrückt …
Und was war aus den beiden geworden?!
Hatte der wassergefüllte Tunnel, in dem der Anprall des Meeres sie überraschte, ihnen wirklich den Tod gebracht …?! –
Werner von Gußlar war nicht der Mann, der so leicht einen noch so aussichtslosen Kampf aufgab …
Als der schäumende Strom wie ein jäh entstandener Wasserfall den schrägen Felsengang hinabgeschossen kam, als der Baron die Geliebte noch im letzten Moment mit dem linken Arm an sich gerissen hatte und als beide nun von der gewaltigen Woge abwärts getragen wurden, da kannte Gußlar nur das eine Bestreben, eine gefährliche Berührung mit den Felswänden zu vermeiden!
Den rechten Arm weit vorgestreckt, im linken das Weib seiner Liebe, umgeben von dem in unbekannten Tiefen gleitenden Wasser, so sauste er mit seiner teuren Last abwärts!
Bist die rechte Hand gegen zackiges Gesteinen stieß, mit ungeheurer Kraft an einem Vorsprung halt suchte und Menschenstärke den Naturgewalten trotzte …
Nur Sekunden hatte diese pfeilschnelle Fahrt in unsichtbare Abgründe gedauert …
Jetzt, nachdem Gußlar erst einmal einen festen Halt gefunden, griff auch Mafalda voller Geistesgegenwart zur Seite, packte das Gestein und fühlte, als die Hände höher glitten, über sich in einen wasserfreien Raum …
Sie spürte, daß dort ein Teil des Tunnels noch nicht überschwemmt war …
Sie packte nach einer seitlichen Felsnase …
Nun mit beiden Händen …
Riß mit aller Kraft … zog auch Gußlar empor … bekam den Kopf über den stürzenden Strom hinaus … schöpfte Atem … Zog von neuem …
Da begriff Gußlar, daß Mafalda ihm halt, daß sie beide nun um eine Rettung sich mühten …
Sein Fuß fand eine Felsenzacke … stieß sich ab, schnellte gleichzeitig die Geliebte empor und griff mit den Händen nach einem neuen Halt … Konnte atmen, wollte rufen, hörte da schon Mafaldas helle Stimme:
„Gerade über uns – ein enger Schacht …!“
Und fühlte sich in dieser Finsternis nun selbst halb emporgezogen, hatte schräges Gestein unter sich – neben sich den unsichtbaren Leid seines Weibes …
„Warte!!“ rief er … „Warte, ich mache Licht.“
Sein Feuerzeug hatte die Nässe nicht unbrauchbar gemacht …
Der Docht brannte … Das kleine Flämmchen leuchtete spärlich, aber es leuchtete … Und Gußlar sah Mafalda dicht bei sich, wie er gleichsam eingeklemmt war in diese Felsenesse, unter der im Tunnel der Ozean wild dahinschäumte …
Mafalda und Gußlar trieften … Aus Haaren und Kleidern rann das Wasser über Gesicht und Körper …
„Wir haben Glück gehabt!“ meinte der Kurländer und nickte der Geliebten aufmunternd zu. „Glück und – dein Verdienst …! – Ja, so ist’s … Lehne die Anerkennung nicht ab, Mafalda … Und jetzt wollen wir sehen, ob wir nicht in diesem Loch uns weiter nach oben arbeiten können. Vielleicht, daß es höher hinauf sich verbreitert … Hier sitzen wir doch reichlich unbequem … Ich werde voran klettern … Sollte ich ausrutschen, so fang mich bitte auf …“
Seine gute frozzelnde Laune hatte schon wieder die Oberhand gewonnen …
Er beugte sich vor und gab Mafalda einen Kuß.
„Zur Belohnung, Mafa …!“ meinte er vergnügt.
„Leichtsinn!!“ schalt sie … „Kaum sind wir dem Unheil entgangen, da denkst du schon wieder nur noch an …“
„… daran, daß wir uns lieb haben …!“
„Ja – das schon! Aber die Flutwelle, die uns beinahe ertränkt hätte, Werner. Pflichtvergessenheit! Nicht um ein Schäferstündchen zu genießen waren wir in den Nebendom gerudert, sondern um …“
„Aber Mafa, Mafa!“ unterbrach er sie mit spitzbübischem Lächeln … „Aber Mafa, kleine Heuchlerin!! Als ob du dich nicht ebenso nach dem Alleinsein gesehnt hättest wie ich!! Du hast es doch ebenfalls überaus genossen! – Doch, es sei, ich bekenne mich schuldig!! Und zur Sühne will ich nun hier als nasser Pudel mit meinem Scheinwerfer von null, null null Kerzenstärke auf Entdeckungsreise ausgehen …! – Wie gesagt, fals mir zufällig einfallen sollte, abwärts zu fallen, und falls, da Dr. Falz nicht zur Stelle, der Zufall den Fall herbei …“
„Hör auf!“ rief Mafalda jetzt wirklich etwas ärgerlich. „Unsere Lage ist doch wahrhaftig nicht dazu angetan, derartige Scherze zu treiben, die …“
„… die immerhin die Stimmung aufpulvern …!! – Also – dann vorwärts! Sehen wir zu, wohin dieser Kamin führt … Vielleicht endet er, was ja so die Eigenart von Kaminen ist, auf dem Dach einer feudalen Villa, in der wir nicht nur ein tadellos eingerichtetes eheliches Schlafzimmer, sondern auch Proviant, etwas Trinkbares, Lektüre und Zigarren vorfinden – denn meine Zigarren hier in der Brusttasche dürften zu weichen Nudeln geworden sein …!“
Und eilends klomm er empor, um nicht abermals sich einem Hagel von Vorwürfen auszusetzen…
Im Nu war er verschwunden, und Mafalda saß im völligen Dunkel und lächelte … lächelte glücklich vor sich hin …
Durfte sie nicht lächeln? War ihr nicht eine Liebe beschert worden, die in ihrer Herzenstiefe vielleicht einzig dastand. Gußlar war ihr Retter, kannte ihre wildbewegte Vergangenheit und hatte trotzdem als wahrhaft großer Charakter sich über all das hinweggesetzt … –
Gußlars Gesicht zeigte jetzt freilig, als er allein und unbeobachtet war, einen ganz anderen Ausdruck. Der kurländische Baron hatte der Geliebte gegenüber absichtlich soeben die Maske eines über die unerwartete Rettung außerordentlich Beglückten übergestülpt. In Wahrheit waren seine Gedanken anderer Art …
Er gab sich nicht einen Augenblick der Täuschung hin, daß für ihn und sein geliebtes Weib hier auch nur die geringste Aussicht auf endgültige Rettung bestände …!
Denn was wollte es gegenüber diesem jähen und machtvollen Angriff des Ozeans besagen, daß sie beide hier vorläufig eine Zufluchtsstätte gefunden hatten, vollkommen abgeschlossen, wo sie doch aller Wahrscheinlichkeit nach verhungern und verdursten mußten?!
Er beeilte sich daher auch nach Möglichkeit, die Leuchtkraft des Feuerzeugs, das ohnedies in kurzem infolge Benzinmangels versagen würde, zur Erforschung dieses Felskamins auszunutzen …
Gelangte unschwer höher und fand hier den Kamin bedeutend erweitert und fast horizontal verlaufend … Sein Erstaunen war mit Recht grenzenlos, als er nun, um eine Biegung des Ganges kriechend, eine Höhle vor sich sah, über deren wahre Abmessungen ihm das winzige Lichtlein allerdings nichts verriet …
Wie er dann noch regungslos, nur die Augen umherschweifen ließ, gewahrte er in der Ferne einen weißen Lichtschimmer, der ganz offenbar nur von einer großen Karbidlaterne herrühren konnte …
Er überlegte … und kurzes Nachdenken führte zu dem Ergebnis, ein wahrer Glücksfall habe ihn hier wieder mit den Freunden vereinigt, die inzwischen die Insel verlassen und hier in dieser Höhle, die ohne Zweifel über den beiden Riesendomen lag, einen Unterschlupf gefunden haben mußten …
In dieser Annahme erhob er sich und begann schnellen Schrittes, da das Feuerzeug bereits zu erlöschen drohte und es ihm zweckmäßiger erschien, Mafalda erst später aus den Kamin emporzuholen, auf das Licht zuzulaufen …
Der Höhlenboden war zumeist sandig, und so näherte er sich denn ziemlich rasch jener Stelle, wo eine Laterne auf einen Hügel von Steingeröll brannte …
Aber – merkwürdig! – Weit und breit war kein Mensch zu sehen …
Gußlar nahm die Karbidleuchte an sich …
Hob sie ganz hoch …
Rief mehrfach ein lautes ‚Hallo’!!
Doch niemand meldete sich …
Er begriff das nicht …
Er sah sich die Laterne an …
Ja – es war eine der Jachtlaternen Randercilds!
Gußlar rief nochmals …
Brummte dann:
„Donner noch eins, – wie kommt dies brennende Patentding hierher?!“
Und beleuchtete den Boden …
Da waren eine Menge Spuren … Alle von breiten, plumpen Schuhen derselben Länge …
Diese Fährten liefen von dem Steinhügel in die Finsternis hinein – etwa nach Nordwest …
Gußlar folgte ihnen …
Und plötzlich, – – ein Stutzen …
Da lag ein Mensch neben einem zweiten Steinhaufen …
Einer der Marokkaner … mit dem Gesicht im Sande …
Der Baron bückte sich, drehte den Körper des Menschen um und erkannte den alten Ibrahim, sah jetzt, daß dort, wo Stirn und Schädeldach aneinanderstoßen, eine große, breite und blutige Wunde sich befand …
Ibrahim war tot.
Die Leiche aber noch warm … Neben dem Toten lag eine kleine erloschene Handlaterne und … eine ganze Menge Goldbarren …
Gußlar hielt sich hier jetzt nicht länger auf …
Er nahm die Handlaterne, zündete sie an und eilte auf seiner eigenen leicht erkennbaren Spur zurück.
In kurzem war er wieder in dem Felsenkamin … bei der Geliebten …
Half ihr aufwärts …
Und als sie dann beide die Höhle erreicht hatten, begann Werner von Gußlar zu erzählen …
„… Mir ist es vollkommen unverständlich, was Ibrahims Tod verursacht haben kann … Die furchtbare Schädelwunde rührt vielleicht von einem Beil her … – Ich möchte für alle Fälle vorsichtig sein, Mafa …“ Und er holte die Mauserpistole hervor, spannte sie …
„Die Nässe kann ihr nichts geschadet haben … Vielleicht nimmst du deinen Revolver auch zur Hand, Mafa … Der kluge Mann baut vor, und die Geschichte hier hat für meinen Geschmack einen reichlich geheimnisvollen Anstrich …“
Sie waren nun bereits bis in die Nähe des Toten gelangt …
Spähten mißtrauisch rundum …
Blieben stehen … Zehn Schritt vor Ibrahim …
Gußlar meinte:
„Es waren ausschließlich Ibrahim Spuren …“
Mafalda äugte rechts und links …
„Seltsam!“ … Sie schüttelte den Kopf … „Was tun die Goldbarren hier, Werner?!“
„Wenn ich’s wüßte …! – Ich weiß es nicht …“
„Man könnte fast auf den Gedanken kommen, daß Ibrahim mit den Barren fliehen wollte …“
„Nun – kaum möglich! – Holla – was ist das?!“
Und er trat nach rechts …
Dort lag zwischen zwei Steinen ein Bündel …
Mafalda schnürte es auf …
„Ah – Proviant!!“
„Stimmt! – Sollte der alte Gauner Ibrahim wirklich die Barren gestohlen haben?!“ –
Gußlar war sehr nachdenklich geworden …
Mafalda rief da:
„Werner, hier geht eine Doppelspur nach links … Hier ist der Marokkaner gelaufen … Man sieht es an der Schrittlänge … Prüfen wir das Ziel der Abdrücke …“
Und so kamen die beiden an eine Stelle, wo der Boden felsig war, wo ein flaches Felsstück platt auf dem Gestein lag …
Der Baron hob die Steinscheibe empor, kippte sie um …
Ein unregelmäßiges Loch zeigte sich darunter …
Gußlar kniete nieder … leuchtete hinab …
In der Tiefe unter glitzerndes Wasser …
Der Kurländer pfiff leise durch die Zähne …
„Hm, – was meinst du, Mafa, ob dies hier wohl die Stelle ist, von der aus die Steine herabfielen, die Murat beinahe den Schädel zerschmettert hätten?! Du besinnst dich doch auf des Homgori Erlebnis …“
„Gewiß … – Du glaubst also, daß hier unter uns der Nebendom sich befindet, – die Höhle, in der wir …“
„… uns küßten – und… Mafa, – das glaube ich allerdings!“
„Unverbesserlich!! Jetzt daran zu denken!!“
„Man soll niemals die Dinge allzu ernst nehmen, mein Liebling … Nur der erhält sich jung, der ein lachender Philosoph bleibt … Die grämlichen Weisen altern früh. Und wir beide wollen doch jung sein, Mafa …“
Er deckte die Platte wieder über das Loch und richtete sich auf … Meinte mit seiner überlegenen Ruhe:
„Mithin ist die Sache nun so weit geklärt, daß Ibrahim die Barren gestohlen, daß er heimlich ebenfalls Proviant hier heraufgeschafft hat. – Die Frage bleibt offen, wie ist der Marokkaner hierher gelangt und wer tötete ihn? Hierüber können uns nur die Fußspuren Aufschluß geben. Wer sie zu lesen weiß, reimt sich die Geschichte schon zusammen. Wir werden zu Fährtenlesern. Komm, Mafa …“
Und sie wandten sich jenem Steinhaufen wieder zu, neben dem Ibrahim lag …
Umwanderten ihn, fanden jedoch nur immer nur dieselben Eindrücke im Sande, auch nicht eine einzige Spur, die auf die Anwesenheit eines zweiten Menschen hingedeutet hätte, der als Mörder des Marokkaners in Betracht käme …
„Ein verzwickter Fall, Mafa!“ Sie standen wieder neben dem Toten …
Mafalda schaute plötzlich auf …
Nahm die große Laterne und leuchtete nach oben.
Im selben Moment auch sauste ein scharfkantiger Stein herab, streifte die Laterne … Die Seitenscheibe zersplitterte …
Aber – ebenso blitzschnell hatte Gußlar gezielt … gefeuert … und Mafalda zur Seite gerissen …
Steingeröll regnete es …
Dann schlug ein menschlicher Körper schwer auf den Sand auf …
Wälzte sich hin und her – zuckte – und lag still.
Mafalda war bleich geworden …
Das helle Licht der großen Laterne zeigte ihr das Gesicht eines Europäers … Eines Mannes im gelbem Leinenanzug … eines schwarzbärtige Südländers …
Gußlar zuckte nur die Achseln …
„War seine eigene Schuld, Mafa! Das ist sicherlich Ibrahims Mörder … Nun – der Tod war leicht, Kopfschuß, und von unserer Seite Notwehr … Untersuchen wir den Mann …“
Mafalda starrte wieder nach oben …
Und Gußlar folgte der Richtung ihrer Blicke …
Rief:
„Bei Gott – das ist Tageslicht, Mafa!“
„Ja – da ist ein Loch, das von der Oberwelt hier in die Unterwelt hinabführt …“
„Mithin – müssen wir uns hier bereits unter dem Festland befinden, unter der Nordküste Afrikas, schätzte ich …“
„Wahrscheinlich, Werner …“
„Sicherlich!! Wie erklärst du dir anders das Tageslicht?! Man sieht ja durch die oberen Teile des Loches dort scheint die Sonne herab …!“
„Ich werde achtgeben, Werner … Vielleicht sind noch mehr Menschen dort oben … Untersuch du den Mann … Vielleicht trägt er Papiere bei sich …“
Gußlar tat’s … zog aus dem gelben Leinenrock des Erschossenen eine schmierige Brieftasche hervor, blätterte in ebenso schmierigen Papieren …
Sagte dann: „Ganz interessant, Mafa … Der Mann ist ein Spanier, ein Händler namens Ravallo, Sebastiano Ravallo aus Madrid … Hier ist ein Geleitbrief für ihn, ausgestellt von dem Kabylenchef Abd el Krim, dem Freiheitskämpfer. Ravallo hat für die Rifkabylen Munition geliefert … Ein feiner Schurke, der den eigenen Landsleuten in den Rücken fällt! Um den ist’s nicht schade …“
„Also – – über uns doch Nordafrika!“ meinte Mafalda. „Wer hätte das gedacht?! Wir sind der Erdoberfläche näher, als wir es uns je träumen ließen!“
„Das ist richtig, das hat niemand von uns geahnt! – Jetzt aber müssen wir unbedingt sofort feststellen, wie Ibrahim hier in diese Höhle über den beiden Felsendomen gelangt ist … – Gehen wir … Wenn der Spanier noch mit anderen zusammengewesen wäre, würde einer dieser Leute dort oben im Tageslicht schon sichtbar geworden sein …“
Und sie wendeten sich dem toten Ibrahim wieder zu.
Suchten nach dem Verbindungswege zu Kuppe des Berges – zur Insel der Flüchtlinge im Felsendom …
Suchten vergebens …
Gußlar wurde ungeduldig …
Er hatte die Steine des Hügels, neben dem der alte Marokkaner erschlagen worden war, mühsam beiseite geworfen, hatte mit Recht vermutet, daß sich hier der Weg nach unten befinden müsse …
Aber – eins entging ihm … – Der keilförmige Stein, der das Loch verschloß …! So gut paßte dieser Keil in das Loch, daß es wie fester Fels aussah …
„Mafa, hier ist nichts zu holen!“ meinte der Kurländer unzufrieden. „Suchen wir also anderswo – dort drüben, wo die große Laterne stand …“
Die frühere Abenteurerin zögerte noch …
„Werner, gerade hier war der Boden am meisten zertreten,“ sagte sie sehr bestimmt … „Gerade hier! Drüben sind nur wenige Spuren von Ibrahims zu sehen … Und dann, Werner, diese Steine hier sind fraglos aufgehäuft worden. Von dort hat er sie geholt, links von der Grottenwand, und dabei einen breiten Pfad ausgetreten … Man erkennt seinen Weg …“
„Das wohl, Mafa … Aber sage selbst, hier gibt es kein Loch im Boden!“
„Nein … – Aber – es muß doch einen Sinn gehabt haben, daß Ibrahim gerade hier den Hügel errichtete …“ Sie blieb hartnäckig … Kam nicht davon ab, daß diese Stelle etwas zu bedeuten hätte …
Gußlar schaute auf den von Steinen nun freigeräumten, rissigen und buckligen Felsboden …
Und erwiderte mit zweifelnder Handbewegung:
„Nun gut, ich will die Steine hier nochmals genau befühlen – ganz genau … Leuchte mir …“
Er kniete nieder und betastete die Felskanten, durchfuhr die Risse mit den Fingern …
Rutschte weiter …
Ließ sich Zeit …
Und – erreichte den Keil, der die Öffnung verschloß … Doch der saß viel zu fest, um sich zu rühren … Und so glitten des Barons Händen über ihn hinweg …
„Nichts zu wollen!“ erklärte er dann. „Nichts zu wollen, mein Liebling … Dies hier ist festes Gestein … Von einem verborgenen Loch keine Rede …!“
Und in demselben Tone – halb scherzend, denn der Ärger über den bisherigen Mißerfolg war schon verraucht:
„Jetzt wollen wir zunächst mal an unser leibliches Wohl denken, Mafa …! Du verstehst – nur Essen und Trinken! Ibrahim hat da in seinem Proviantsack recht angenehme Dinge aus Randercilds Konservenvorrat zusammengestohlen … – Das Suchen hier hat mich etwas ermüdet … Und die nassen Kleider sind auch kein Genuß!“
„Leider!“ Mafalda schaute an sich herab … Die Sachen klebten ihr am Leibe … Wenn es hier nicht so warm gewesen wäre, würde die Nässe noch unbequemer gewesen sein.
Sie gingen also hinüber zu dem Proviantsack.
Und unwillkürlich blickte sie zu der matt erleuchteten Öffnung empor, in der der Spanier den Tod gefunden, aus der er herabstürzte und sein verräterisches Dasein beendet hatte, – genau wie auch den Verräter Ibrahim hier das Schicksal ereilte.
Das Liebespaar setzte sich auf die flachen Steine. Die beiden Laternen standen vor ihnen im Sande …
Gußlar hatte sein starkes Klappmesser geöffnet und schnitt eine Büchse Fleischkonserven auf …
Doch mit einem Male legte er die Büchse wieder weg …
Sagte sehr bestimmt:
„Nein, Mafa, – mir würde jeder Bissen in der Kehle stecken bleiben, jeder …! Wir müssen den Weg nach unten zu unseren Freunden finden! Es läßt mir keine Ruhe … Vielleicht … sind die Gefährten in Not … Bedenke, welche Wassermassen es waren, die uns in den Tunnel hinabrissen …!“
Er sprang auch …
„Du hast mir aus der Seele gesprochen,“ nickte Mafalda und erhob sich gleichfalls …
Einen Augenblick standen sie so nebeneinander …
Dann war’s, als ob eine unsichtbare Gewalt sie emporriß und rückwärts davonschleuderte …
Begleitet von einem ungeheuren Knall gleichzeitig …
Auch die beiden Laternen prallten gegen die Steine, wurden zerschmettert …
Und ohne Bewußtsein lagen Gußlar und Mafalda abseits im Sande …!
Opfer der Dynamitexplosion, die den Steinkeil und dessen Umgebung als Trümmerregen weggefegt hatte. – –
Drei Dynamitpatronen hatten genügt …
Die Sphinxleute und ihre Gefährten auf der Inselgruppe hatten sich am Rande ihres meerumrauschten Eilandes hinter Felsblöcken in Sicherheit gebracht, bevor Tom Booder die Zündschnüre in Brand setzte.
Drei Minuten später explodierten die in das Gestein festgekeilten Patronen.
Die Wirkung war stärker, als man zu hoffen gewagt … In der Felsdecke klafft ein Loch von zwei Meter Durchmesser …
Murat und Tamsa waren als erste dorthin geeilt.
Und flink kletterte der Homgori dem Nubier auf die Schultern, schwang sich, in der Linken eine Laterne, nach oben … Der Goldhügel, die Barren und die Juwelen König Matagumas waren vorhin an eine andere Stelle geschafft worden, damit der Luftdruck der Explosion sie nicht etwa über den Inselrand hinweg ins Wasser schleuderte …
Murat war in oben – in diesem höheren Stockwerk der Riesengrotte …
Leuchtete umher …
Seinen Revolver hielt er schußbereit …
Zuerst bemerkte er da die beiden Toten …
Ein Zufall, die Explosion hatte sie fortgetragen, hatte sie dann übereinanderfallen lassen …
Der Homgori duckte sich zusammen und schlich näher …
Erkannte Ibrahim … bückte sich … betrachtete die Stirnwunde … nickte grimmig lächelnd … Ibrahim hatte den Tod verdient, und Murat erinnerte sich an Ben Safras Drohung … Der Tod, ein weit schlimmerer, war dem Goldgiebe ohnedies gewiß gewesen!
Dann musterte er den Fremden mit dem Stirnschuß.
Und wie er noch über den Spanier gebeugt dastand, nahten auch schon Gaupenberg, Falz, Tom Booder, Dalaargen und Josua Randercild …
Ein paar der Marokkaner und Matrosen folgten – auch Tamsa, der in jeder Hand eine Harzfackel hochhielt …
Lichtschein erfüllte nun diese Höhle – und menschliche Stimmen …
Dann ein heller Ruf des Nubiers. Er war’s, der Gußlar und Mafalda entdeckt hatte …
Alles lief dorthin, wo die beiden Bewußtlosen lagen …
Man bemühte sich um sie …
Gaupenberg half Dr. Falz, die Wiederbelebung einzuleiten …
„Die Explosion!!“ stieß Dagobert Falz, in gleichmäßigem Schwung die Arme Mafaldas bewegend, hervor. „Hoffentlich sind die Beiden nicht ernstlicher verletzt!“
Murat holte eine Flasche Whisky …
Man rieb den Ohnmächtigen Stirn und Brust …
Der Baron kam zu sich, dann auch Mafalda. Aber sie waren zu matt, um viel reden zu können … Gußlar flüsterte nur wenige Sätze … Deutete nach oben, wo der Tagesschimmer die Oberwelt verriet …
Und als Gaupenberg und die anderen hier Versammelten dort schräg über sich das Felsloch und in dieser Kluft den Widerschein der Sonne bemerkten, da war’s ihnen, als ob eine höhere Macht sich ihrer Not erbarmt hätte …
„Allah ist groß – Allah sei gepriesen!“ riefen die Marokkaner …
Und – über Gaupenbergs Lippen kam ein ebenso inbrünstiges ‚Dem Himmel sei Dank!’ – –
Eine Stunde später …
Alles war zur Übersiedlung in die obere Höhle vorbereitet …
Die Schafe und Ziegen waren bereits emporgezogen.
Die Dromedare freilich mußten geopfert werden … Man wollte sie erschießen, um ihnen den Tod des Ertrinkens zu ersparen …
Und als der Farmer Werter nun mit eigener Hand diese Tiere, die er selbst großgezogen hatte und die ihm lieb waren, von aller Erdenqual erlösen wollte … als er den Revolver schon gehoben hatte … da – schlug sein Jüngster ihm die Waffe hoch …
Die Kugel zerspritzte am Gestein …
„Die Sphinx – – die Sphinx!!“
Wie ein Jubelschrei schwoll der freudige Ruf an.
„Die Sphinx …!!“
Und – so landete das Luftboot am Gestein der unterirdischen Insel …
Nielsen und Gipsy wurden von den Freunden wie Sieger gefeiert …
Jeder wollte ihnen die Hand drücken. Jeder hatte etwas zu fragen …
Der alte Werter erkundigte sich nach dem Ergehen seiner braven Frau …
Andere wollten wissen, wie es dort auf der Oberwelt aussah, ob die Sonne geschienen hätte, ob der Anblick der fruchtbaren Urwaldlichtung nicht geradezu überwältigend gewesen sei …
Und aus diesen Fragen sprach so recht eindrucksvoll der Licht- und Sonnenhunger der Expeditionsteilnehmer … Alle hatten sie das Gefühl, als ob sie bereits endlose Tage hier unten in der Finsternis bei künstlicher Beleuchtung zugebracht hätten … Allen war dieselbe Sehnsucht gemeinsam, nach Licht, Sonne, Grün!! – Denn hier in den Grotten stets nur die grauschwarzen Felsen um sich, das bedrückte, legte sich schließlich wie ein Alb auf die Seele!
Nielsen und Gipsy antworteten, so gut sie konnten … Und waren ehrlich, erklärten, daß sie gar nicht recht Zeit gehabt hatten, sich auf der Lichtung umzusehen und sich am Glanze des Tagesgestirns zu erfreuen …
Bald jedoch drängte sich wieder anderes in den Vordergrund … Ein Entschluß mußte gefaßt werden! Andere Fragen waren wichtiger … Sollte man mit der Sphinx den Rückweg antreten? Sollte man zur Oberwelt emporsteigen? Sollte man die Dromedare nach oben schaffen – eine Aufgabe, die jetzt mit den Hilfsmitteln des Luftbootes sich ermöglichen ließe?
Man versammelte sich um Gaupenberg, Falz und Nielsen … hörte des Einsiedlers von Sellenheim ruhige, klar durchdachte Vorschläge …
Aber – eins vergaß man in der Fülle dieser Aufregungen, daß die Wasser des Ozeans immer noch stiegen, daß die anrollenden Wogen nicht schwächer wurden, daß der Dom nebenan, zu dem nur das Felsentor den Zugang bildete, vielleicht in kurzem unerreichbar, und damit dem Luftboot der Rückweg abgeschnitten war!
Man vergaß’s, daß die Nerven all dieser Männer in den letzten Tagen andauernd bis zum reißen angespannt worden waren … Vergaß’s, da eine geistige Erschaffung als notwendige Folge der unerhörten Anstrengungen sich eingestellt hatte …
Falz betonte, daß es das beste sein, wenn man Ben Safra und seine Marokkaner hier schon verabschiedete und an die Oberwelt beförderte. Man hatte ja Nordafrika über sich, und der Trupp würde sich unschwer bis zur heimatlichen Oase durchschlagen können … Die Dromedare sollten den braunen Wüstensöhnen mitgegeben werden … Waffen besaßen sie … Also war’s am praktischsten, sich von ihnen zu trennen …
Gaupenberg erklärte sich hiermit einverstanden …
Auch Ben Safra …
Und so sollten denn, sobald die ledigen Vorbereitungen getroffen waren, alle übrigen sich auf der Sphinx einschiffen …
Eine halbe Stunde war so über Reden und Antworten, Erwägungen und Bedenken verstrichen …
Eine volle halbe Stunde …
Und in dieser Zeit hatte der gierige Ozean ein Machtwort gesprochen …
Die Sphinx lag an der Bergkuppe vertäut …
Ihre beiden Scheinwerfer griffen mit gleißenden Fingern in die Finsternis …
Der Lichtkegel des Heckscheinwerfers ruhte auf dem Felsentor, auf dem Ausgang ins Freie …
Die Wogen rollten an, schäumten …
Das Meer speiste die Höhlen mit salzigem Trank, verwandelte Grotten in Seen – – ohne Erbarmen, ohne Unterlaß …
Das Meer zog einen dicken Strich durch die klare Rechnung der Sphinxleute …
Und die Versammlung um Gaupenberg, Falz und Nielsen wollte sich gerade zerstreuen, als Georg Hartwich von seinem Krankenlager mit markiger Stimme sich einmischte:
„Viktor – – das Felsentor!!“
Er allein hatte es beobachtet, er, der dort neben dem einem Zelt ruhte und den beleuchteten Ausgang überschauen konnte …
Und er wiederholte:
„Viktor – – das Felsentor!!“
Aller Blicke flogen hinüber …
Was bisher allen entgangen, wurde Gewißheit. Die Wasser waren inzwischen derart gestiegen, daß der Ausgang für die Sphinx versperrt war!
Die unermüdlichen Wogen brandeten bereits bis zur höchsten Wölbung des Ausgangs …
Alle starrten hinüber …
Sahen es jetzt, dieser Weg war verschlossen! Es blieb nur der andere zur Oberwelt!
Gaupenberg verfärbte sich …
Falz sagte seltsam tonlos:
„Das Wasser steigt schneller als bisher – muß in der letzten halben Stunde um drei Meter höher gekommen sein!“
Aber gerade diese jähe Enttäuschung brachte Leben und Tatkraft in die Flüchtlinge …
Jetzt beriet man nicht lange …
Man handelte …
Nielsen und Gußlar – der Baron war inzwischen wieder zu Kräften gekommen – wollten das Felsloch über der Bergkuppe soweit vergrößern, daß die Sphinx in senkrechter Lage hindurchkonnte …
Wieder packten alle Hände zu …
In kurzem war in der oberen Grotte über dem Loch ein Gerüst mit einem Flaschenzug aufgestellt …
Man hisste die Dromedare dort nach oben, und auch die Menschen, der Proviant wurden hinauf gebracht …
Die Goldbarren und die Schätze der Azteken ließ man vorläufig am Nordwestende der Kuppe liegen …
Es würde zu viel Zeit in Anspruch genommen haben, auch sie jetzt schon zu bergen …
Während Gaupenberg und Tom Booder nun die Sphinx tieferer in den Dom hineinsteuerten, damit sie durch die Sprengung nicht irgendwie beschädigt würde, – während sämtliche Flüchtlinge bis auf Gußlar und Nielsen sich in den äußersten Winkel der oberen Grotte zurückzogen, brachten diese beiden die Dynamitpatronen an. Risse und Spalten waren reichlich vorhanden … Fünf Patronen würden genügen …
Indessen stieg die Flut immer weiter …
Die Wogen leckten bereits bis zum Rande der Kuppe empor, und – das Felsentor war endgültig verschwunden …
Die Sphinx schwamm auf dem unterirdischen See, – ihre Scheinwerfer leuchteten Nielsen und Gußlar bei der eiligen Arbeit …
Dann brannten die Zündschnüre …
Die beiden eilten in den Winkel zu den Gefährten, zu den hier gleichfalls untergebrachten Tieren …
Nielsen hatte seine Uhr in der Hand …
„Jetzt!!“ rief er …
Aber niemand hörte das mehr …
Denn im selben Moment dröhnte die ungeheure Explosion durch die Höhle …
Die Dromedare wollten sich losreißen …
Der Luftdruck hat ein paar Schafe zur Seite geschleudert …
Die Flüchtlinge, die sämtlich flach auf den Boden gelegent hatten, erhoben sich wieder …
Gußlar lief zum Felsenloch …
Die fünf Dynamitpatronen hatten ihre Schuldigkeit getan …
Das Loch klaffte breit und lang … Die Sphinx konnte hindurch …
Und – sie hob sich bereits vom Wasserspiegel …
Gaupenberg selbst steuerte sein Luftboot … Schon einmal hatte die Sphinx solch einen schmalen Durchgang passiert – dort auf Christophoro … Hinein in die Aztekenhöhle … Vor Monaten …
Jetzt das gleiche Bild …
Das Boot schrammte am Rande der Bergkuppe entlang …
Die Spitze steil nach oben gerichtet …
Langsam schob das Luftboot sich durch die Strengöffnung …
Alles gelang nach Wunsch …
Die Sphinx nahm wieder horizontale Lage an … Sie schwebte in der oberen Grotte gerade unter dem Ausgang ins Freie – dem Ausgang zur Oberwelt …
Tom Booder schwang sich vom Mittelturm in die Felskluft hinein …
„Stellen Sie fest, wie stark die Steindecke ist,“ rief Gaupenberg nochmals …
Der Amerikaner kletterte höher … Das Loch machte eine scharfe Krümmung, und Booder war im Freien …
Ein Blick ringsum …
Ein weites Gebirgstal … Kahle dunkle Berge – bis zu den ziehenden Wolken emporragend.
Und die Sonne schräg über dem Tale …
Sengende Hitze …
Aber – – es war die Luft der Oberwelt …
Tief und freudig atmete Booder sie ein …
Spähte nochmals umher …
Nirgends eine Hütte – nirgends ein Mensch …
Kahl und leer die schroffen düsteren Abhänge …
Da machte der Amerikaner kehrt – kletterte wieder hinab …
Prüfte die Stärke der Felsschicht, die der Sphinx hier den Austritt ins Freie verwehrte …
Schätzte auf zwei Meter …
Meldete Gaupenberg das Geschaute …
Und die Sphinx senkte sich wieder …
Landete … Wurde von allen Seiten umdrängt …
Gaupenberg fragte Ben Safra:
„Wieviel Dynamitpatronen haben wir noch?“
„Acht …!“
Nielsen meinte, das dürfte ausreichen, wenn man die Sprengladungen geschickt anbrächte …
Und das Spiel und vorhin wiederholte sich …
Die Flüchtlinge verharrten wieder im fernsten Winkel. Dorthin war auch die Sphinx gesteuert worden, nachdem die Sprengkörper festgekeilt waren …
Jetzt nahte die Entscheidung …
Nun würde sich’s herausstellen, ob man das Luftboot hier seinem Schicksal überlassen mußte oder ob es die Kämpfer um den Azorenschatz heimwärts tragen würde zum fernen Nil – zur neuen Heimat …
Nielsen und Gußlar setzten die Zündschnüre in Brand.
Eilten zu den Gefährten hinter die ruhende Sphinx, die den Luftdruck abfangen sollte …
Das Spiel von vorhin wiederholte sich …
Ein ungeheurer Knall …
Krachen und Poltern berstenden Gesteins …
Wütendes angstvolles Lärmen der Tiere …
Und – ein allgemeiner Jubelruf, denn dort in der Höhlendecke klaffte ein breites Loch … fielen gleißende Sonnenstrahlen herab in das Dunkel.
Tagesschimmer erfüllte die Grotte …
Alles eilte vorwärts …
Man stand vor dem Trümmerberg und starrte nach oben … Sah den blauen Himmel …
„Allah sei gelobt!“ riefen die Marokkaner … Sie witterten Heimatluft …
Nur ein einziger war still zu der anderen Öffnung gegangen, zu dem Felsloch, das auf die Bergkuppe des Domes hinabführte …
Ein einziger – Dagobert Falz!
In der Linken eine große Laterne …
Stand nun am Rande des Loches, leuchtete hinab …
In seiner Seele lauerten die Zweifel, ob es wirklich noch gelingen würde, den Schatz zu bergen …
Zweifel, die mehr als berechtigt waren … Denn er, Dagobert Falz, hatte wieder an seine Visionen glauben gelernt …
Er, der Geheimnisvolle, dem die Natur einen Teil ihrer Rätsel enthüllte, er hatte die jüngsten Geschehnisse zum Teil vorausgeahnt – vorrausgeschaut.
Sollte ihn gerade diese eine Vision jetzt trügen?! Hatte er nicht diese unterirdische Insel bereits gekannt, bevor noch die Expedition den Dom erreichte?!
Er hatte sie gekannt … Er hatte sie geschaut, wie er Ähnliches oft erblickte, als Vision in seinen wachen Träumen!
Und er hatte auch den Azorenschatz dort auf der entlegensten Stelle dieser Insel aufgeschichtet gesehen – wie jetzt …
Mehr noch, er hatte nicht ohne Grund vor zwei Tagen dem Grafen Gaupenberg vertraulich erklärt, daß der Schatz nie mehr ans Licht der Sonne gelangen würde …
Und jetzt – – war er doch ein falscher Prophet gewesen! Jetzt lag die Bahn für die Sphinx frei, jetzt konnte sie sich ungehindert zum Äther emporschwingen und die Milliarden mit sich nehmen!
Ein falscher Prophet …!!
Dagobert Falz starrte hinab …
Dort war die Insel … der Goldhügel …
Und die Wogen des Ozeans noch immer zwei Meter tiefer als die Kuppe …! Mithin stand nichts im Wege, das Gold emporzuholen, es auf die Sphinx zu bringen …! –
Der Einsiedler von Sellenheim wurde abermals an sich irre …
Ein Geräusch neben ihm …
Er blickte zur Seite … Gaupenberg war’s …
„Nun werden wir hier wieder das Gerüst aufstellen und die Winde anbringen,“ meinte er lebhaft und freudig. „Dann können wir in einer halben Stunde das Gold hier oben haben …!“
Falz nickte nur …
Und hinter ihnen eine andere Stimme – etwas lärmend vor Fröhlichkeit …:
„Bitte – – Platz da! Platz für das Gerüst, meine Herren …!“
Nielsen war’s … Und sechs Matrosen schleppten Stangen, Taue, Ketten und den Flaschenzug …
Falz und Gaupenberg traten zurück.
Um sie her jetzt reges Leben, Heiterkeit, Lachen, Schwatzen …
Die Sonne schien ja in diese obere Grotte hinab … – Die Sonne, nach der sich alle gesehen hatten.
Und die Sphinx war bereits beschäftigt, die Marokkaner und die Tiere in das Bergtal emporzuschaffen …
Mit Stricken zog man Schafe, Ziegen, Dromedare an Deck des Luftbootes …
Sicher stieg die Sphinx, eine fröhliche Arche Noah, mit dieser Ladung aufwärts … Die Öffnung war gerade groß genug, sie auch in horizontaler Lage hindurchzulassen …
Langsam verschwand sie aus der Unterwelt … senkte sich oben im weiten einsamen Bergtal wieder herab … Und die flinken Wüstensöhne hatten im Nu die Tiere auf festen Boden gebracht …
Gußlar steuerte das Luftboot. Und die Mittelturm war Mafalda bei ihm, während oben an Deck Dalaargen alles überwachte …
Der Herzog rief Ben Safra zu:
„Sie sorgen also dafür, daß die Tiere sich nicht zerstreuen …!“
Dann wandte die Sphinx mit einigen Propellerschlägen sich wieder der Felsöffnung zu, versank darin, um nun den Azorenschatz zu holen …
Inzwischen war das Gerüst fertig geworden …
An Ketten hing am Flaschenzug eine starke große Holzkiste … An derselben Kette kletterten Murat, Tamsa und sechs Matrosen zur Insel abwärts …
Eilten der Stelle zu, wo das Gold und die Kleinodien König Matagumas ruhten …
Murat allen voran – auf dem Rücken einen der Proviantkörbe …
Dort hinein würde er die Goldbarren füllen, würde den Korb dann in die Kiste entleeren …
Und wie er, so würden’s auch die anderen machen.
So würde man den Schatz dem habgierigen Ozean entreißen …
Aber – weshalb stutzte Murats plötzlich – standen auch der Neger Tamsa und die Matrosen wie Bildsäulen, als ob ein Blitz dicht vor ihnen eingeschlagen hatte?!
Oben am Rande des Loches hatte Dr. Falz den linken Arm Gaupenbergs mit beiden Händen umklammert?!
Die das Felsloch umdrängenden Sphinxleute erstarrten mit einem Male – so jäh, als hätte irgend etwas ihre redefreudigen Zungen gelähmt?!
Weshalb …?! Weshalb …?!
Weil – – alle dasselbe sahen …
Die Insel versank …! Die Wasser ringsum brausten empor, wilde Wellen entstanden, und aus den Tiefen der Erde dröhnte es empor wie das Donnern einstürzenden Gesteins!
Das war’s! Der Inselberg versank!!
Und Murat, Tamsa, die Matrosen spürten bereits die Wellenspritzer an den Füßen …
Machten kehrt …
Hingen an der Kette, klommen empor …
Und oben ein Dutzend Laternen der Sphinxleute …
Beleuchteten die Insel … das flimmernde Gold, die schäumenden Wasser …
Alles schwieg …
Andacht wie bei einem Begräbnis … Für den Azorenschatz, der in die Tiefen der Erde zurückglitt samt dem Berg des Felsendomes!
Schon war nichts mehr von der Insel zu sehen …
Jetzt nur noch … das Gold leuchtete …
Ein blinkender Punkt über dem kochenden Wassern.
Ein Pünktchen …
Nichts mehr …
Nur noch Wasser …
Der Ozean, dessen ungeheure Last hier den Boden des Felsendomes eingedrückt hatte, weil darunter noch andere Hohlräume lagen … Und dort hinab glitt der Berg, das Gold, das Meer … –
Bleiche Gesichter beobachteten, wie die Wasser sich langsam beruhigten …
Viktor Gaupenberg sagte zu Dr. Falz:
„Sie haben also doch recht gehabt – – also doch!!“
Wollte noch etwas hinzufügen …
Falz da – warnend, hastig:
„Auf die Sphinx – – auf die Sphinx! Auch unter uns wankt hier der Boden!“
Alle spürten’s …
Wie bei einem Erdbeben ging ein Zittern und Rollen durch das Gestein …
Harte Stöße folgten …
Von der Decke polterten Stücke herab …
Und eilends flüchteten all diese Menschen, die hier der Bergung der Milliarden beizuwohnen hofften, auf das Luftboot …
Starke Arme reckten die Frauen empor …
In wenigen Sekunden war alles an Deck …
Die Sphinx stieg zur Felsöffnung hinan – schwebte, – – und unter ihr brach auch diese Grotte in sich zusammen …
Kaum hatte das Luftboot das Freie erreicht, als auch schon die Steinränder dieses Rettungsweges zu bröckeln begannen – in die Tiefe stürzten – immer größere Teile folgten …
Eilends trieben die Marokkaner das Vieh weiter fort …
Und immer weiter griff hier oben der Einsturz des Talbodens um sich …
Bis nach einigen Minuten Ruhe eintrat …
Die Katastrophe war vorüber …
Dort, wo die Grotte sich befunden hatte, gähnte ein weiter Steinkrater, der unten mit Wasser gefüllt war …
Unter diesem Krater hatten Ibrahim und der Spanier ihr Grab gefunden …
Dort – noch tiefer – ruhte der Azorenschatz, die Milliarden – unerreichbar für alle Zeiten, bewacht von den Wassern des Ozeans und von Felsmassen, die kein Mittel der Technik wegräumen könnte …
Für alle Zeiten war das Gold verloren … Der Ozean spie es aus, um es noch sicherer im Schoße der Erde zu betten …
Es … gab keinen Goldschatz der Azoren mehr.
Es gab einen Schatz, an den sich eitle Hoffnungen knüpften, um dem Gut und Böse miteinander gekämpft hatten.
Niemand siegte …
Aber all denen, die an diesem Kampfe beteiligt gewesen, war es in demselben Augenblick, als sie die Milliarden versinken sahen, wie eine innere Erleuchtung die Erkenntnis aufgegangen, daß dieser Kampf niemals zwecklos gewesen sondern ein Weg der Läuterung gewesen war, auf dem die Schlacken der Menschenseele zurückblieben und an dessen Ziel nur die gelangten, die reines Herzens gewesen oder geworden …
Anmerkung: