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Band 6, Kapitel 31–36 und Schluß

31. Kapitel.

Der Krater.

Die Sphinx landete neben dem Platz, den Ben Safra inzwischen schon notdürftig als Lager hergerichtet hatte …

Es war dies eine kleine Schlucht an der Nordseite des weiten Bergtales. Im Hintergrund der Schlucht waren die Tiere untergebracht. Weiter nach vorn wurden die Zelte für die Frauen aufgeschlagen.

Gaupenberg hatte beschlossen, hier einen Tag den Seinen Ruhe zu gönnen, bevor man mit der Sphinx wieder aufstieg.

Die nötigen Vorbereitungen für den kurzen Aufenthalt hier innerhalb einer unbekannten Gebirgswelt wurden den Umständen entsprechend getroffen …

Man schickte eine Gruppe Marokkaner und Matrosen auf die umliegenden Berge, um feststellen zu lassen, ob man hier auch vor Überraschungen irgendwelcher Art sicher sei. Niemand wußte ja, wo man sich befand … Nielsen meinte, es sei dies hier ein Teil des westlichen Atlas-Gebirges … Dr. Falz wieder glaubte eher, man hätte es mit einem der östlichen Ausläufer des Atlas zu tun …

Die Späher kletterten zu zweien nach verschiedenen Seiten der Anhöhen hinan …

Die Zurückbleibenden arbeiteten ohne rechte Freude an der weiteren Errichtung des Lagers … Alle waren schweigsam und bedrückt … Der Verlust des Azorenschatzes war niemandem gleichgültig … Die meisten erblickten in diesem jähen Eingreifen der Naturkräfte ein Vorzeichen weiterer Enttäuschungen und Gefahren …

Gaupenberg saß jetzt neben dem Krankenlager seines treuesten Freundes und besprach mit ihm leise die jüngsten Ereignisse …

„Georg,“ meinte er sinnend zu Steuermann Hartwich, „wie denkst du nun über unsere Zukunft, nachdem wir den Schatz endgültig verloren haben … Und mit dem Schatz unsere heilige Mission, das Gold dem deutschen Vaterlande zuzuführen! – Wir müssen uns über die nächsten Schritte schlüssig werden …“

Georg Hartwich hatte sich aufrecht gesetzt …

Neben den beiden Männern hockten auch Agnes und Ellen, – Agnes mit der kleinen Noris auf dem Schoße, die vergnügt an einer Milchflasche nuckelte … Immer wieder strich ihre Hand gedankenvoll liebkosend über das Blondhaar des verwaisten Kindes hin …

Hartwich erwiderte da auf Gaupenbergs Frage:

„Unsere Zukunft?! Ich bin der Ansicht, Viktor, daß es in diesem Punkte nicht viel zu überleben gibt. Zunächst haben wir wohl die Pflicht, den dort drüben durch den Einsturz der Höhlen entstandenen Krater daraufhin zu untersuchen, ob nicht doch jemand an den Schatz herangelangen kann …“

Gaupenberg schüttelte müde den Kopf …

„Mein guter Georg, das ist ausgeschlossen … Immerhin – wir haben ja die Taucherausrüstung an Bord der Sphinx … Wir können also den mit Wasser gefüllten Teil des Kraters unschwer genau besichtigen. Ich zweifle aber daran, daß aus dem Krater noch ein Loch tiefer ins Erdinnere läuft … Die Höhlen sind meines Erachtens nichts mehr als ein Haufen von Steinblöcken, zwischen denen der Ozean seine feuchten Arme hindurchschiebt, also ein Hindernis, das niemand mehr weder beseitigen noch durchdringen kann, um etwa den Schatz nochmals zu heben …“

Hartwich zuckte die Achseln …

„Viktor, als Gußlar das Gold versenkte, damals, als Lomatz mit dem Golde in die Tiefe fuhr, da hat auch niemand vermutet, daß es zweitausend Meter unter der Oberfläche des Ozeans das Riesenfenster geben könnte …! – Viktor, laß uns sicher gehen … Mag einer von uns in den Krater hinab … Wir haben ja Pasqual Oretto bei uns, einen Taucher von Beruf … Er tut’s fraglos sehr gern …“

„Nun gut … – Und wenn Pasqual meldet, daß der Schatz endgültig verloren sei?“

„Dann, Viktor, werden wir wohl zuerst unseren kleinen Josua mit seinen Leuten nach Christophoro bringen müssen, wo seine Jacht noch immer ankert …“

„Das natürlich … – Ich denke hier mehr an unsere eigenen Zukunftspläne, Georg … – – Willst du nach Deutschland zurück?“

Hartwich blickte den Freund fest an …

„Nein!“ sagte er sehr bestimmt. „Ich habe von dem Hasten und Treiben der Welt genug! Ich will nur noch friedlich meiner Arbeit nachgehen – Kurz, ich will die Pläne verwirklichen, die wir entwarfen, als wir die Erde durch die Kometen entvölkert glaubten …“

„Du sprichst meine eigenen Gedanken aus,“ nickte Gaupenberg. „Auch Agnes und ich bleiben auf der Lichtung am Nil … Und ich hoffe, daß all unsere Freunde ebenso so denken … So würde dann dort in der Wildnis insgeheim eine deutsche Kolonie entstehen, die vielleicht nach Jahren berufen sein könnte, der deutschen Heimat mehr zu nützen als der Goldschatz der Azoren …“

Bisher hatten sich weder Agnes noch Ellen in das Gespräch der Männer eingemischt, sondern nur still zugehört. Jetzt sagte Agnes, jedoch, indem sie die kleinen Noris sanft auf den Armen zu wiegen begannen:

„Verzeih, Viktor … Deine letzte Sätze sind mir unklar geblieben … Inwiefern könnte unsere Kolonie dem Vaterlande mehr nützen als der Azorenschatz?!“

„Ja, Liebes, – ich möchte mich hier nicht mit fremden Federn schmücken … Was ich jetzt sage, hat Dagobert Falz mir vorhin gleichsam als eine Art Trost erklärt: … Er sagte etwa: ‚der Wert des Goldes ist etwas Vergängliches, es wechselt den Besitzer, gerät in unrechte Hände … Gold ist niemals das Wesentliche zur Wiederaufrichtung eines verarmten und leider auch in gewisser Weise geistig kranken Volkes … Das wesentliche bleibt die Arbeit, – der Arbeitswille, der Fleiß, die Tüchtigkeit … Milliarden an Gold zerrinnen, fließen von Hand zu Hand, – ins Ausland …!! Arbeitswille jedoch, das ist das Bleibende, Unvergängliche – das ist der wahre Goldgehalt eines Volkes! Und derjenige, der unserem Volke diesen Willen zur Arbeit wieder einzuflößen weiß, der beschenkt es reicher, als dies unsere versunkenen Schätze tun können …’ – So etwa sprach unser verehrter Doktor … Ich aber habe mir aus diesen Worten ein Zukunftsbild herausgeschält, das Bild einer kleinen, arbeitsfreudigen Kolonie, in der Eintracht und gegenseitige Achtung, Fleiß und gemeinsamer Wille zum Aufwärtsstreben die Grundpfeiler sein sollen! Einer Kolonie, die unseren Landsleuten daheim ein gutes Beispiel geben soll …!“

Hartwich nickte eifrig …

„Ja, ja – unser Doktor trifft wieder den Nagel auf den Kopf! Wie recht hat er damit. Das Wesentliche ist der Arbeitswille! Und – Goldeswert ist vergänglich!“

Auch Agnes und Ellen stimmten verstehend zu.

Und die Gattin des Fürsten sprach es aus: „Von diesem Standpunkt betrachtet erscheint der Verlust der Milliarden durchaus kein Unglück, – nur eine Enttäuschung nach der monatelangen Hetzjagd! Doch eine Enttäuschung vergißt man bald … Ein Unglück jedoch niemals …“

Die vertrauliche Aussprache durch das Erscheinen eines der als Späher ausgeschickten Marokkaner unterbrochen …

Der Mann näherte sich in Begleitung Ben Safras sehr eilig dem Zelt und berichtete dort, daß drüben nach Norden zu hinter dem Bergrücken ein Zeltlager sich befände, offenbar von regulären Truppen, wohl Spaniern …

Diese Meldung kam Gaupenberg sehr ungelegen.

Und auch Ben Safra meinte, man könnte nie voraussehen, wie der Führer dieser militärischen Abteilung sich zu den Sphinxleuten stellen würde …

Fügte hinzu:

„Es wäre mir lieb, Herr Gaupenberg, wenn Sie mich und meine Leute unter diesen Umständen sofort entlassen wollten … Wir sind Deserteure, wie Sie wissen, und wir möchten jedes Zusammentreffen mit Europäern vermeiden … Ihnen und Ihren Freunden droht keine Gefahr, da Sie jederzeit mit der Sphinx aufsteigen können … Wir aber möchten sofort von hier aus nach unserer heimatlichen Oase aufbrechen … Die Dromedare wollten Sie uns ja überlassen, zumal sie Ihnen kaum mehr von Nutzen sind …“

Gaupenberg wußte, daß Ben Safra nicht etwa aus Feigheit möglichst schnell aufbrechen wollte. Der junge intelligentere Marokkaner hatte sich außerdem zuletzt als so treuer Verbündeter gezeigt, daß man ihm seine Bitte wohl erfüllen sollte.

So erklärte Gaupenberg denn, Ben Safra solle alles Nötige zum Abmarsch seiner Leute vorbereiten, was denn auch geschah. –

Es war jetzt drei Uhr nachmittags, und zwei Stunden später waren die Marokkaner vor Gaupenbergs Zelt versammelt.

Es galt Abschied zu nehmen. Daß dies nicht so schnell ging, war eigentlich selbstverständlich. Ben Safra dankte den Sphinxleuten für die Nachsicht, die man mit ihm und den Seinen gehabt, dankte auch Randercild für die Rücksichtnahme während der Kämpfe um Pattersons Festung …

Sowohl Gaupenberg als auch der kleine Milliardär gedachten den Scheidenden mit freundlichen Worte und Wünsche …

Jetzt erst merkten alle, daß sie die braunen Söhne der Wüste als ehrliche Kameraden betrachteten …

Und die Abschiedsszene, das vielfache Händeschütteln und Hin und Her von Worten hätte sich vielleicht noch länger ausgedehnt, wenn nicht plötzlich einer der Wachposten, die das Militärlager laufend beobachteten, durch einen schrillen Pfiff und Winken mit der Mütze ein Warnungszeichen gegeben haben würde …

So setzte sich denn Ben Safras Schar eiligst in Marsch und verschwand bald nach Süden zu in einem der Seitentäler …

Inzwischen hatte der Matrose seine Mütze wieder als Winkerflagge benutzt und Folgendes signalisiert:

‚Fünf Soldaten nähern sich von ihrem Lager her dem Bergrücken. Es sind Europäern. Der eine wohl ein Offizier.’

Steuermann Mac Lean, der diese Meldung mit dem Fernglas aufgefangenen und an Gaupenberg weitergegeben hatte, erhielt nun den Befehl, für alle Fälle mit vier Mann den Posten oben auf dem Berge zu verstärken, sich aber nicht blicken zu lassen. –

Er brach sofort auf und benahm sich im weiteren Verlauf der Ereignisse so geschickt, daß es nicht zum geringen Teil ihm zuzuschreiben war, daß sie sehr bald recht bedrohlich werdende Lage eine für die Sphinxleute eine günstige Wendung erfuhr. –

Gaupenberg war der Ansicht, daß man die Patrouille kaum zu fürchten habe … Fünf Mann gegen die Sphinxleute und die Matrosen Randercilds. Das wäre für die Soldaten dann doch eine zu ungleiche Partie geworden!

Immerhin erteilte er den Seinen genaue Verhaltungsmaßregeln. Er wollte nichts versäumen, insbesondere die Sphinx zu schützen, deren Besitz für jedes Land einen unschätzbaren Machtzuwachs bedeutet hätte, da eine Flotte gepanzerter Luftschiffe, nach dem Muster der Sphinx erbaut, diesem Lande das militärische Übergewicht über die ganze Welt verliehen hätte.

So ließ er denn, um die Sphinx unkenntlich zu machen, einzelne Teile mit Segelleinen und Zeltbahnen bedecken, ließ aber auch, um keine Zeit zu verlieren, die Taucherausrüstung und die Luftpumpe an den Rand des Kraters schaffen nun bat Pasqual Oretto, sich zum Abstieg bereit zu machen.

Der Portugiese legte mit Nielsens und Gußlars Hilfe den schweren Anzug an.

Zuletzt schraubte man den Kupferhelm fest und stellte eine Probe an, ob die Luftpumpe, die Schläuche und alles Übrige in Ordnung seien.

Währenddessen hatte Tom Booder beständig mit Mac Lean und den Matrosen droben auf dem Berge Signale ausgetauscht.

Mac Leans letzte Meldung lautete, daß die fünf Soldaten ohne Eile den Bergrücken emporkämen und daß ihr Benehmen nur darauf schließen lasse, daß sie ohne bestimmte Absicht diese Richtung eingeschlagen hätten.

Gaupenberg beriet mit Dr. Falz. Auch der meinte, daß man Oretto getrost in den Krater hinab schicken können, zumal ja zu erwarten stand, daß der Portugiese kaum in größere Tiefen gelangen würde, weil er die Höhlen völlig verschüttet glaubte.

So begann Pasqual dann langsam an der Innenwand des Kraters hinabzuklettern.

Bald tauchte er auch in dem trüben, schlammigen Wasser unter und verschwand so den Blicken der um den Krater Versammelten.

Zwei Matrosen bedienten die Pumpe. Nielsen hielt die Signalleine in der Hand und Gußlar sorgte dafür, daß der Luftschlauch sich glatt abrollte …

Minuten vergingen …

Dann ruckte es an der Signalleine …

Die Zeichen waren genau vereinbart worden.

Nielsen rief:

„Drei Rucke! Mithin hat Pasqual einen gangbaren Weg nach unten gefunden! – Wir müssen die Pumpe in den Krater tragen, damit der Schlauch Oretto weiteren Spielraum läßt!“

Es geschah … Vier von Randercilds Leuten packten zu, und ohne daß die Luftzufuhr auch nur Sekunden unterbrochen wurde, trug man die Pumpe bis zum Rande des trüben Wassers, aus dem fortwährend große Luftblasen aufstiegen.

Luftschlauch, Signalleine und Halteseil zogen sich immer weiter in die Tiefe hinab …

Gaupenberg meinte kopfschüttelnd zu Dr. Falz:

„Das hätte ich nie vermutet! Pasqual muß bereits etwa zwanzig Meter unter der tiefsten Stelle des Kraters sein …!“

Dagobert Falz schwieg …

Er hatte Sorgen – ernsteste Sorge … Seine Vorahnungen trogen selten … Und ihm war so merkwürdig beklommen zumute …

Pasqual Oretto hatte sich unter Wasser zunächst vollständig auf seinen Tastsinn verlassen müssen, da hier in diesem mit Schlamm vermischtem Wasser die elektrische Laterne ihm wenig nützte …

Er fand an der einen Seite eine mannshohe Öffnung zwischen den Steintrümmern und wagte sich vorsichtig hinein …

Der Abstieg war bequem. Das Felsgeröll hatte hier förmliche Stufen gebildet, und obwohl dieser Schacht teilweise sehr eng und recht gewunden war, kam der Portugiese rasch vorwärts. Mit jedem Meter, den er zurücklegte, klärte sich das Wasser, so daß er sehr bald durch das Helmfenster alles ringsum beim Lichte der Laterne deutlich erkennen konnte.

Dieser Schacht, ein Gebilde des Zufalls, lief schräg nach Norden zu in die Tiefe …

An manchen Stellen dehnte er sich zu kleinen Höhlen aus, an anderen wieder mußte Pasqual auf allen Vieren sich vorwärtswinden …

Dann aber versperrte ihm einen Granitwand den Weg. Er untersuchte sie genau, erkannte, daß einem weiteren Vordringlich hier ein Ende gesetzt war und daß es niemals eine Möglichkeit geben würde, etwa die Milliarden nochmals zu finden oder gar zu bergen. Denn – würde man diese Felswand hier sprengen, so mußten notwendig weitere Einstürze folgen. Der Schacht hier würde verschüttet werden und alle weiteren Arbeiten unmöglich machen.

So gab er denn mit der Signalleine das Zeichen – fünf Rucke – daß er umkehren würde…

Und kletterte gemächlich wieder empor …

War nun bereits wieder in der Region des Schlammwassers gelangt, als er merkte, daß die bisher völlig regelmäßige Luftzufuhr aussetzte …

Er zog an der Signalleine …

Spürte keinen Widerstand, konnte das Seil ohne Mühe aufrollen …!

Was bedeutete das?!

Weshalb hatte Nielsen die Leine losgelassen … Weshalb wurde die Luftpumpe nicht mehr bedient?!

Doch – langes Überlegen war hier sicherer Erstickungstod …

Also schleunigst weiter!

Pasqual zog sich an der Felswand nach oben … Blieb ruhig … Er wußte, daß er sehr bald an der Oberfläche sein müßte … Bis dahin würde er’s auch ohne weitere Luftzufuhr aushalten …

Eine Minute später schob er den Kopf aus dem Schlammwasser heraus …

Sonnenlicht bestrahlte den Kupferhelm … Wassertropfen rieselten nach außen am Helmfenster entlang … Und dann … sah Pasqual Oretto – oben am Kraterrand ein Bild, das ihm den Herzschlag stocken ließ …

Doch er mußte zunächst an sich denken.

Rasch zog er das lange Messer aus dem Gürtel … Ein Schnitt durch den Luftschlauch dicht über dem Ansatzstück am Helm …

Luft … Luft …! Er konnte wieder atmen …!

Stieg vollends aus dem Wasser …

Streifte die beschwerenden Bleiplatten von den Schuhen und begann an der Innenwand des Kraters emporzusteigen …

Bis ihn von hinten kräftige Arme packten …

Bis auch er das Schicksal seiner Freunde teilte … ein Gefangener war! –

Was hatte sich inzwischen hier im Bergtal ereignet?

Geschehen war, womit niemand gerechnet hatte …

Und das war so gekommen …

Die Patrouille der fünf Soldaten hatte die Höhe des Bergrückens erreicht und war dann eiligst in das einsame weite Tal hinabgestiegen …

Die Sphinxleute blieben am Kraterrand versammelt.

Man begnügte sich damit, die Pistolen bereitzuhalten … Man dachte an keine Gefahr …

So näherten sich denn die fünf Europäer den Krater. Sie trugen ungleiche Uniformen. Drei von ihnen – das erkannte Gaupenberg sehr bald – waren französische Fremdenlegionäre …

Und einer von ihnen, der einen Offiziersäbel umgeschnallt hatte, ohne jedoch die sonstigen Abzeichen dieses Dienstgrades zu tragen, – ein langer, hagerer Mensch mit einem tadellos rasierten schmalen, von Leidenschaften schlimmster Art verwüstetem Gesicht, trat jetzt auf Gaupenberg zu, der ein paar Schritt vor den Gefährten stand …

Der Legionär musterte den Grafen von oben bis unten, schaute dann die Übrigen genau so prüfend an, grüßte nachlässig und meinte in französischer Sprache:

„Was treiben Sie hier, Monsieur?“

Gaupenberg behagte das ganze Benehmen dieses Menschen sehr wenig. Der Mann tat so, als ob er hier zu befehlen hätte und als ob die Zahl der Sphinxleute ihm keineswegs imponierte. In seinen Zügen drückte sich eine Überlegenheit aus, die er jetzt noch dadurch unterstrich, daß er eine Zigarette hervorholte und sie langsam anzündete, während Gaupenberg ihm kühl erwiderte:

„Wir sind hier nur für kurze Zeit gelandet … Wir gehören zu einer Forschungsexpedition …“

Der Legionär warf einen Blick in den Krater hinab …

„Sie haben einen Taucher dort unten … Zu welchem Zweck?“

„Zu wissenschaftlichen Untersuchungen …“

Der Legionär lächelte schwach …

„Ihr Name, Monsieur?“

„Gaupa …“ erwiderte der Graf, – und log nicht, denn er hatte Anspruch auf den Namen Gaupenberg-Gaupa …

Der Fremdenlegionär lächelte stärker …

„Sie gestatten, daß ich Ihnen nicht glaube, Monsieur …“

„Was mir gleichgültig ist,“ sagte der Graf achselzuckend. „Im übrigen muß ich Ihnen jedes Recht absprechen, hier gleichsam ein Verhör anzustellen …“

„Recht?! Recht?! – Das stimmt – ein Recht dazu habe ich nicht … Aber – die Macht habe ich, Monsieur! Und darauf kommt es an …! – Vielleicht wenden Sie einmal den Kopf, Monsieur …“

Und nicht nur Gaupenberg, sondern auch alle übrigen drehten sich um …

Hier in Tale lagen zahlreiche große Felsbrocken umher …

Und – hinter dieser Deckung erkannten die Sphinxleute jetzt an die zwanzig weitere Legionäre, die sich, Gewehr im Anschlag, von rückwärts herangepirscht hatten …

Gaupenberg erstarrte …

Die Lage war mehr als kritisch …

Der Mann mit dem Offizierssäbel und der Zigarette im Mundwinkel erklärte ironisch:

„Sie werden nun wohl Ihr Gedächtnis etwas anstrengen, Monsieur Gaupa, und mir keine Märchen mehr auftischen … Sie alle sind meine Gefangenen … Jeder Widerstand wäre Wahnwitz … Legen Sie also all Ihre Waffen dort neben jenen Stein …!“

Bisher hatte sich keiner der Sphinxleute eingemischt …

Jetzt trat Josua Randercild vor – blaurot vor Wut …

Sein französisch war nicht erstklassig … Und so kollerte er denn wie ein gereizter Truthahn:

„He, Monsieur, – wie kamen Sie dazu, hier den Räuberhauptmann zu spielen?! Wissen Sie, wen Sie vor sich haben?! Ich bin Bürger der Vereinigten Staaten von Nordamerika … Und wenn ich’s wünsche, schickt meine Regierung einen Kreuzer hier an die afrikanische Küste und …“

„… und – wenn schon?!“ lächelte der Legionär … „Ich pfeife auf alle Kriegsflotten der Welt, Monsieur! Ich pfeife auf alles! Ich und meine Kameraden sind heimatlos, sind Männer, die dem Teufel einen Zahn ziehen würden …! Mit einem Wort, vom Schicksal zusammengewehtes Gelichter, Auswurf der Menschheit, Entgleiste, die vielleicht nicht nur gestohlen und betrogen, sondern sogar gemordet haben – was weiß ich! Ich frage Sie nicht danach, Monsieur! –

Ich bin ihr Anführer, mich haben sie dazu erwählt, haben mir Gehorsam gelobt und Treue zugeschworen bei dem einzigen, woran sie noch zuweilen denken – bei der Liebe zu ihrer Mutter! –

Sie sehen, Monsieur, daß wir sowohl französische als auch spanische Legionäre sind, denn auch Spanien hat jetzt gegen Abd el Krim die Werbetrommel gerührt und aus aller Herren Länder die von der Gesellschaft Ausgestoßenen mit Geld erkauft … Wie wir uns zusammengefunden haben, Monsieur, ist gleichgültig. Jedenfalls sind wir mit Sack und Pack ausgerückt … Sind unserer vierzig, die hier in diesem gottverlassenen Gebirge sich vorläufig verkrochen haben …“

„Sehr interessant!“ nickte der kleine Milliardär … „Dann hat wohl auch der Spanier Sebastiano Ravallo zu Ihnen gehört, nicht wahr?“

Der hagerer Mensch mit dem merkwürdig widerspruchsvollen Gesicht – verkommenen und doch von nicht wegzuleugnender Vornehmheit – zog die Oberlippe verächtlich hoch …

„Monsieur, Ravallo ist uns entflohen … Ravallo war das, was wir nicht sind, ein gemeiner Verräter an seinem Vaterlande, ein Agent im Dienste Abd el Krims! Wir wollten ihn heute früh aufknüpfen. Er war von uns regelrecht zum Tode verurteilt worden. Nachts ist der entflohen. Wir suchten ihn vergebens. – Wo ist er?“

„Tot!“ sagte Randercild…

„Und – wie starb er?“

„Wurde erschossen – dort unten.“ – Und Randercild deutete in den Krater hinab, wo die Matrosen die Luftpumpe bedienten und Nielsen die Signalleine hielt …

„Die Leiche?“ forschte der Legionäre weiter …

„Ist verschüttet worden …“

„Verschüttet?!“

Ehe Randercild weiter reden konnte hüstelte Gaupenberg warnend …

Doch der Legionär merkte es …

„Ah!!“ fuhr er auf, „Sie belügen mich weiter, Messieurs …!! Sie glauben mit mir spielen zu können! Sie irren sich!“

Sein braun gebranntes, fast abschreckend mageres Gesicht verzog sich zu drohender Grimasse …

„Sie irren sich …!! – Weg mit Ihren Waffen! Auch jedes Taschenmesser werfen Sie dort neben jenen Stein! Wer nicht gehorcht, hat die Folgen sich selbst zuzuschreiben, – also bitte!“

Und seine Hand deutete rückwärts, wo seine Leute, Gewehr im Anschlag, warteten …

In dem Auftreten dieses Legionärs war ein Etwas, das mit Worten kaum zu kennzeichnen ist …

Dieser Mann mochte ein Verbrecher sein, jedenfalls aber war er eine Persönlichkeit …!

Er nahm die Zigarette und schleuderte sie zu Boden.

Schaute Gaupenberg an …

Wiederholte: „Monsieur, Sie scheinen hier der Führer zu sein! Beginnen Sie …! Glauben Sie mir, es ist besser, meine Leute nicht zu reizen …“

Viktor Gaupenberg zögerte noch …

Da hörte er hinter sich den Herzog Fredy Dalaargen flüstern:

„Ich … kenn hin …! Weg mit den Waffen!“

Und besonn sich nicht länger … legte seine Pistole aus der Hand …

Die Seinen folgten dem Beispiel …

Nur die Matrosen fluchten leise … und doch sahen auch sie ein, daß die Partie vorläufig verloren war …

Angstvoll zusammengedrängt standen die Frauen da.

Angstvoll? Bei einigen von ihnen nur berechnende Täuschung. Bei Mafalda, Gipsy, Maria …

Als die Entwaffnung vollendet, winkte der Legionäre auch Nielsen und die Matrosen aus dem Krater empor …

Nielsen rief zurück, daß der Taucher ersticken müsse, wenn die Luftzufuhr unterbrochen würde …

Doch der Legionäre drohte:

„Kommen Sie! So schnell erstickt niemand! Meine Leute werden den Mann schon noch lebend herausziehen!“

Dann waren die Sphinxleute und die Matrosen eingekreist …

Mußten sich am Rande des Kraters niedersetzen …

Gewehr im Arm standen die Söldner um sie herum.

Und – das war das Bild, das der auftauchende Portugiese mit einem Blick übersah …

Das war das Verhängnis, von Dr. Falz vorausgeahnt …!

Jetzt schleppten drei der Legionäre Pasqual nach oben … nahmen ihm den Helm ab …

Orettos Augen begegneten denen Gaupenbergs … lasen in des Grafen Blick die eine Frage – ‚Wie steht’s dort unten in der Tiefe der Höhlen?’

Und Pasqual schüttelte den Kopf …

Gaupenberg deutete es richtig:

Der Azorenschatz war verloren – verloren für alle Ewigkeit!

Doch da lenkte anderes seine Aufmerksamkeit … Eine Stimme …

Jeder kannte diese Stimme – Es war Mac Leans, des Schotten, volles, klares Organ, – jetzt anschwellen zu grimmem Kampfruf …

„Wegwerfende die Gewehre, Halunkenpack! Weg damit!!“

Und – dort hinter den Steinen des Geröllstreifens, wo eben noch die Legionäre im Anschlag gelegen hatten, drohten Karabinerläufe, lugten braune Gesichter kampferprobter Marokkaner über das Gestein … Mac Lean mit den Matrosen – und Ben Safra mit den Seinen!

Mehr noch geschah …

Aus dem Kreise der Sphinxleute hatte sich mit Panthersprung eine gedrungene Gestalt auf den Banditenführer geschnellt, hatte ihn umklammert …

Trug ihn schon in den Kreis der Gefangenen …

Murat … Murat …!

Gegen seine Muskeln gab’s kein Sichsträuben …

Und auch nicht gegen Mafaldas Revolver – denn sie hatte die Waffe nicht von sich getan…

Keiner der Legionäre wagte die eigene Waffe zu heben …

Denn Mafaldas Revolver lag an der Schläfe ihres Anführers …

Die schlanke dunkelhaarige Frau rief den Feinden zu:

„Eine einzige verdächtige Bewegung, und ich drückte ab!“

Die Lage war ein andere geworden …

Und – – noch mehr geschah …

 

32. Kapitel.

Der Schrei von unten.

Noch mehr …

Dalaargen hatte sich bis zu der kleinen Gruppe durchgedrängt, stand nun vor dem Anführer der Legionäre, der sich von Murats Eisenarmen umschlungen nicht mehr wehrte, der nur Mafalda wie staunend betrachtet, hingerissen von der Energie dieses schönen Weibes …

Der Herzog beugte sich zum Ohr des hageren Legionärs hinab …

Flüsterte etwas …

Niemand verstand’s …

Aber jeder sah die Wirkung der wenigen Worte …

Der Kopf des Mannes fuhr zurück, dieses Mannes mit dem seltsam widerspruchsvollen Antlitz …

Die Augen weiteten sich … Schreck, Staunen, Verblüffung verriet der Blick dieser Augen …

Dann sagte Dalaargen ganz laut:

„Freund Murat, gib den Master frei! Und Sie, Mafalda, können Ihre Waffe getrost wieder einstecken … Der … Herr ist ein Landsmann von mir, ist Österreicher …“

Der Homgori gehorchte …

Der Fremde zog seinen Uniformrock glatt und meinte zu dem Herzog, sprach jetzt deutsch:

„Ich bitte Sie, zunächst mit mir allein zu verhandeln …“

Dalaargen verbeugte sich …

In dieser Verbeugung lag ein gewisser Respekt …

Und nebeneinander herschreitend entfernten sie sich von dem Krater, blieben erst neben der Sphinx stehen …

Der Legionäre schaute den Herzog eine Weile forschend an … Dann erst fragte er:

„Wer sind Sie? Sie kommen mir bekannt vor … Und doch versagt mein Gedächtnis …“

„Dalaargen – Fredy Dalaargen,“ meinte der Herzog und ergriff die Hand des Legionärs … „Felix, – zehn Jahre sahen wir uns nicht – zehn Jahre …!“

„Ah – – du – du …!!“

Und plötzlich verschleierten die Augen des Hageren sich … Wurden feucht …

Wie in einem Anfall von Schwäche lehnte er sich an die Bordwand der Sphinx …

„Also … Du, Fredy!“ flüsterte er, und seine Stimme wankte … „Du hier – hier im ödesten Teil des Atlas-Gebirges – – nach zehn Jahren …!!“

Seine schmale Hand, die lange schmale Hand eines reinblütigen Aristokraten, fuhr über die Augen hin …

„Vergangenheit …!!“ – Seine Stimme war voll unendlichen Schmerzes – „… Vergangenheit …!! Wann und wo sahen wir uns zum letzten Male …?“

„Im Schloß Schönbrunn, Felix, – es mag im Mai 1915 gewesen sein … Damals lebte Kaiser Franz Joseph noch … Es war ein Diner im engsten Kreise …“

Der andere nickte versonnen …

„Ja – jetzt besinne ich mich … Jetzt – wacht das Einst wieder auf …! – Fredy, – – dieses Wiedersehen …!! Mir will das Herz brechen, wenn ich …“

Dalaargen drückte seine Hand …

„Das Einst, – laß es ruhen, Felix …! Wir ändern nichts mehr … Die Zeiten sind über all das Leid erbarmungslos hinweg geschritten … Und – wir wollen Männer sein … Mann sein – das heißt überwinden können, vergessen, und Neues auf den Trümmern des Einst aufbauen …! – Felix, schon vor zwei Jahren ging ein Gerücht um, daß eins der Mitglieder des Hauses …“

„Still!“ unterbrach der Legionäre ihn fast schroff … „Keine Namen, Fredy …! Keine Namen! Das Haus, das du nennen wolltest, existiert nicht mehr … Sechs Jahrhunderte war es in Europa der Mittelpunkt … – Doch nein, – – Nichts mehr davon! – – Du siehst, dieses Gerücht stimmt … Armut, Verzweiflung, Gleichgültigkeit und ein Rest von Abenteuerlust trieben mich in die Legion … Und Ekel, Haß, Sehnsucht nach freiem Mannestum ließen mich vor drei Wochen meine Leute dort auswählen – alles Deutsche, Fredy, alles! Wir kämpften gerade Seite an Seite mit den Spaniern … So gewann ich auch ein Dutzend aus der spanischen Fremdenlegion für meinen Plan … Wir flüchteten, schlugen uns bis hierher durch – in die nordwestlichen Ausläufer des Atlas … Hier sind wir erst einmal sicher … Wir ruhen wir uns aus, wollen dann südwärts … Es gibt übergenug fruchtbare einsame Küstenstriche, wo Leute unseres Schlages sich niederlassen können, – und das wollen wir …“

Dalaargen horchte auf …

„Niederlassen?!“

„Ja, Fredy …! Wenn wir auch unter uns Leute haben, deren Schuldbuch manche böse Tat aufweisen mag, im Grunde sind alle meine Gefährten brave Kerle, die nur eben wieder auf den rechten Weg geführt werden müssen, die bei Gott einen wahren Hunger nach einem neuen Leben haben … – Und – um auch das gleich zu erklären, wir hatten droben auf dem Bergrücken einen Wachtposten aufgestellt. Der Mann wurde Zeuge, wie Ihr den Talbodens sprengtet, wie das Luftboot aus dem Loch emporstieg … – Ich kenne die Geschichte der Sphinx, des Azorenschatzes, wenn auch nur in großen Zügen … Ich las manches darüber in den Zeitungen. Und als der Posten mir das Beobachtete meldete, dachte ich sofort an den Grafen Gaupenberg und seine Sphinx …“

„Und – – wolltest?!“

„Ich wollte nichts anderes, als die Sphinx … Mit Gewalt sagen wir – leihen, Fredy … Nur leihen, weil wir mit Hilfe des Luftbootes leichter einen uns genehmen Ort zur Niederlassung gefunden und erreicht hätten … Der Graf Gaupenberg hätte auf meine Wünsche eingehen müssen. Und um ihn gefügig zu machen, trat ich von vornherein in einer Weise auf, die jede Widersetzlichkeit beseitigen sollte. Gaupenberg hätte uns ein paar seiner Freunde zur Bedienung der Sphinx mitgeben müssen … Jetzt freilich hoffe ich, daß wir uns im Guten einigen werden …“

„Allerdings … – Wir wollen uns nicht länger absondern … Komm, Felix … – Noch eine Frage, unter welchem Namen soll ich dich mit den Sphinxleuten bekannt machen?“

„Meine Kameraden kennen mich als Graf Felix Schönbrunn … Dabei mag es bleiben … Du wirst im übrigen schweigen, Fredy …“

„Gewiß …! – Gehen wir … Und ich kann dir jetzt schon erklären, daß dein Plan in einer Weise verwirklicht werden wird, wie du dies nie gehofft hast. Denn auch wir sind im Begriff, der großen Welt dort draußen für immer Lebewohl zu sagen … Auch wir wollen als friedliche fleißige Farmer in der Einsamkeit tropischer Urwälder eine deutsche Kolonie gründen, nachdem wir nun den Azorenschatz endgültig verloren haben … Die Milliarden ruhen dort unter dem Krater in den Tiefen der Erde, umspült von Meerwasser, – in Tiefen, die niemals zugänglich sein werden … Doch – das alles erzähle ich dir später genauer. Jetzt wollen wir hier erst einmal mit den Freunden Frieden schließen, werden nachher in Ruhe weiteres beraten …!“

Sie wandten sich dem Krater wieder zu …

Nebeneinander schritten sie dahin …

Und als sie so nahten, senkten sich die Waffen …

Drei Stunden später …

Die Sonne verschwand hinter den Randbergen des weiten Tales, in dem nun auch die Legionäre ihr Lager aufgeschlagen hatten … Selbst Ben Safra mit den Marokkanern, die Mac Lean zur Hilfe zurückgerufen gehabt, hatten sich entschlossen, vorläufig noch mit den Europäern zusammenzubleiben, zumal jetzt jede Gefahr vorüber war.

Ein umfangreiches Zeltlager war’s, daß nunmehr diese Bergwildnis belebte …

Im Kreise waren die Zelte errichtet worden – rund um die Sphinx, die gleichsam den Mittelpunkt der Zeltstadt bildete.

Lebhaft wars in und um die spitzen Leinenbauten … Feuer brannten … Qualmwolken stiegen empor, und in den Kesseln brozelte das Abendessen …

Oben auf den Randbergen standen acht Wachen … Scharf hoben sich deren Gestalten gegen den hellen Himmel ab …

Wie eine große Familie, in der jede Zwietracht ausgeschaltet, war diese so bunt zusammengewürfelte Schar: Deutsche, Amerikaner, Spanier, braune Söhne der Sahara!

Die Legionäre, die Graf Felix Schönbrunn absichtlich als eine Horde wildester, rüdester Gesellen hingestellt hatte, entpuppten sich nun als angenehme, hilfsbereite, bescheidene Kameraden …

Überall hörte man angeregte Gespräche … bemühte man sich, diesen ersten Tag, den Gaupenbergs Expedition wieder an der Oberwelt verlebte, nach Kräften zu feiern …

Randercild hatte den Rest seines Whiskyvorrats verteilen lassen … Von Gaupenberg waren aus den Vorräten der Sphinx Zigarren und Zigaretten gespendet worden … Vier von den Schafen hatte man geschlachtet, und die Marokkaner hatten es übernommen, sie kunstgerecht am Spieß zu braten, während in den Kesseln als Vorgericht eine Suppe aus Nudeln und Dörrobst dampfte … –

Vor Gaupenbergs Zelt saßen auf Decken sechs Männer im ernsten Gespräch: der Graf, Dalaargen, Dagobert Falz, Nielsen, Felix Schönbrunn und Josua Randercild …

Man erörterte auch jetzt Zukunftspläne …

Graf Schönbrunn antwortete soeben auf eine Bemerkung Nielsens:

„Sie haben ganz recht, Herr Nielsen … Unter meinen Leuten ist jeder Stand und jedes Handwerk vertreten: Tischler, Zimmerleute, Schneider, Elektrotechniker, Kaufleute, Gelehrte, – – doch, wohin soll das alles führen?! Wenn uns ehemaligen Legionären also wirklich gestattet würde, uns gleichfalls auf dieser Lichtung am Nil niederzulassen, so kann ich mit gutem Gewissen behaupten, daß dieser Zuwachs der zu begründenden Kolonien nur von Nutzen sein würde!“

Worauf Gaupenberg eifrig meinte:

„Von ‚gestatten’ kann hier keine Rede sein, lieber Graf. Im Gegenteil, ich bitte Sie im Namen meiner Gefährten, sich uns anzuschließen … Dort in der fruchtbaren Einsamkeit auf der meilenweiten Lichtung ist Raum für uns alle …“

Er streckte Schönbrunn die Hand hin …

„Da – schlagen Sie ein! Damit ist die Sache abgemacht!“

„Mit Freuden!“ rief der Österreicher halb gerührt … „Abgemacht also! Wir gehören fernerhin zu Ihnen! Und mein Wort darauf, Sie werden’s nie bereuen, Graf Gaupenberg, denn ich kenne meine Leute! Die haben alle das Herz auf dem rechten Fleck!“

Das Gesicht des rätselhaften Grafen von Schönbrunn war jetzt wie verwandelt. All das, was diesem hageren Antlitz bisher etwas Unsympathisches, was Abstoßendes für den flüchtigen Beobachter gegeben hatte, war wie weggewischt, denn – all das war ja zum größten Teil nur verzweifelte, stumpfe Gleichgültigkeit gegenüber einem harten, grausamen Geschick gewesen, wie es wenige Menschen schuldlos je durchgemacht haben …

Felix von Schönbrunn – nur Dalaargen kannte den richtigen Namen dieses Mannes – war von Jugend an auf den lichten Höhen der Gesellschaft gewandelt, hatte von Jugend an nur eine Leidenschaft gehabt: die Musik!

Das ländergieriger Gezänk der Völker, selbst das wahnwitzige Massenmorden des Weltkrieges, – nichts hat dann seine stille Klause dort in den Tiroler Bergen gerührt … Dieses kleine romantische Schlößchen war nach Friedensschluß mit an Italien gefallen, und der Graf war so nicht nur heimatlos, sondern auch bettelarm geworden. Zu stolz, um Almosen von seiner zahlreichen Verwandtschaft anzunehmen, mit der ihn stets nur eine äußerliche Bande verknüpft hatten, – andererseits aber auch zu weltunerfahren, um sich eine neue Existenz gründen zu können, führte ihn ein übereilter Entschluß in die Fremdenlegion. Auch dort ahnte niemand, wer der wortkarge, finstere Mann war, der gleich einem Automat sein Licht tat und der als einzige Vergünstigung darum gebeten hatte, ihm seine Geige zu belassen …

Und diese Geige, der niemandes ansah, das sie von einem der berühmtesten italienischen Geigenbauer stammte, hatte den Grafen Felix überallhin begleitet – hinein in die Sandwüsten Algeriens, in die düsteren Gebirge Marokkos, – mit in wilde Kämpfe, Verzicht, Strapazen …! – Die Vorgesetzten hatten sich mit der Eigentümlichkeit des stillen Menschen abgefunden, und wenn er abends im Lager dann seinem kostbaren Instrument in schwermütigen Phantasien seine geheimsten Gedanken anvertraute, dann sammelten sich um ihn all diese Heimatlosen, die elenden Kreaturen, diese Bedauernswerten und Gescheiterten, und hörten ihm voller Andacht und Ergriffenheit zu …

So war Felix Schönbrunn gewesen … Jahrelang – als Legionär …

Jetzt ein anderer, hoffnungsfroh, der sich von der Zukunft wieder etwas versprach – von dieser gemeinsamen Zukunft mit den erprobten Kämpfern um den Azorenschatz, mit den Sphinxleuten …

Seine beiden Hände umschlossen Gaupenbergs Rechte – noch immer …

„Ich danke Ihnen!“ sagte er jetzt und seine Brust weitete sich wie in einem frohen Aufatmen. „Ich danke Ihnen – gleichzeitig auch im Namen meiner Kameraden! Sie schenken uns mehr als Sie ahnen, denn Sie geben uns dadurch, daß Sie uns als Gefährten in Ihre Reihen aufnehmen, die Selbstachtung zurück, und gerade die hatten die meisten von uns verloren!“

Gaupenberg wies diesen Dank in herzlichster Form zurück …

„Übertreiben Sie nicht!“ meinte er … „Im Grunde ist es doch selbstverständlich, daß wir uns Ihrer und Ihrer Kameraden annehmen, denn Sie sind doch Landsleute von uns! Unser Bündnis, Graf Schönbrunn, ist die Vereinigung der einfachen Nächstenliebe und … der Zweckmäßigkeit. Wir brauchen für die Zukunft Helfer, Vertreter aller Berufsstände! Die haben wir nun gefunden …! – So, und jetzt teilen sich bitte Ihren Kameraden diesen – unseren – Entschluß mit … Ich hoffe, es wird jetzt überall frohe Gesichter geben …!“

Und diese Hoffnung trog nicht …

Es war rührend mitanzusehen, wie die Legionäre, nachdem sie kaum diese günstige Wendung erfahren hatten, sämtlich nach Gaupenbergs Zelt eilten, wie sie ihm gegenüber ihrer Freude Ausdruck verliehen und wie sie immer wieder versicherten, daß sie den Sphinxleuten freue und fleißige Verbündete sein würden …

Fast alle der Insassen des Lagers hatten sich jetzt um das Zelt Gaupenbergs geschart … Und die so entstandene Unruhe legte sich erst, als einer der Marokkaner meldete, daß die Abendmahlzeit fertig sei …

Inzwischen war die Sonne verschwunden. Der kurzen Abenddämmerung folgte eine sternenklare Nacht …

Das Lagerbild wurde durch die brennenden Laternen und Fackeln noch bunter und phantastischer …

Kaum war die Mahlzeit beendet, als die Marokkaner auf dem freien Platze vor der Sphinx einige Nationaltänze vorführten, denen dann wieder Tänze der amerikanischen Matrosen folgten …

Und zum Schluß schwang Felix Schönbrunn sich auf die Reling des Luftbootes, zog die Lederhülle von seiner Geige und stimmte ein Lied an, das im Nu von begeisterten Männerkehlen mitgesungen wurde – das Deutschlandlied …

In brausenden Klängen drang das Lied von deutscher Treue, von deutschen Frauen wie ein heiliger Schwur zum ausgestirnten Nachthimmel empor …

Stehend sangen’s diese Männer, die sich hier in der Bergwildnis des Atlas zusammengefunden hatten zu gemeinsamer Gründung einer neuen Heimat.

Ein Gelübde war dieses Lied, gleichzeitig eine Huldigung für Gaupenberg, denn kaum war der letzte Vers verklungenen, als Felix Schönbrunn begeistert ausrief:

„Das Oberhaupt der neuen Kolonie, Graf Viktor Gaupenberg, – – hoch – – hoch – – und nochmals hoch …!!“

Bis zu den einsamen Wachposten hinauf zu den Berggipfeln erscholl dieses dreifache Hoch …

Und Murat und Tamsa, die vorhin mit einem Korb von Lebensmitteln die Anhöhen erklettert hatten, um auch an die Wachen all diese guten Dinge zu verteilen, blieben unwillkürlich stehen und blickten in den erleuchteten Talkessel hinab …

Schritten dann weiter, um auch den letzten der Doppelposten zu bedenken.

Es war ein schwieriger, auch gefährlicher Weg dicht an der Felswand entlang, der besonders dem Nubier manchen Tropfen Schweiß kostete. Wenn der Homgori seinem neuen Freunde nicht über die schlimmsten Stellen hinweggeholfen hätte, würde Tamsa diese Kletterpartie wohl mit dem Leben bezahlt haben. Es gab da Abgründe, die man überspringen mußte … Steilwände, in deren Ritzen nur ein Murat sich festklammern konnte …

Der Nubier Tamsa, wahrlich ein Mensch mit eisernen Muskeln, keuchte in schweren Atemzügen …

Murat lachte, obwohl er noch den Korb auf dem Rücken trug. Der Homgori war hier so recht in seinem Elemente …

Und jetzt trennte die Beiden vor dem letzten Doppelposten nur noch eine einzige Felsplatte, eine senkrechte, zwei Meter breite Kluft …

Der Homgori war als erster mit einem Satz hinüber …

Während er aber noch in der Luft schwebte, drang aus der Tiefe der Felsspalte etwas wie ein heiserer Schrei an sein scharfes Ohr …

Drüben angelangt, wandte er sich daher sofort wieder um, kniete am Rande des dunklen Abgrundes nieder und beugte sich ganz weit vor, um hinabzulauschen.

Tamsa war bereits neben ihm, fragte erstaunt:

„Was gibt’s, Murat?!“

Und da gerade ertönte der Schrei von neuem …

„Ah – – ein Mensch!“ rief Tamsa … „Es muß ein Mensch sein …!“

„Still!“ meinte der Homgori ärgerlich. „Auch Tier sein können … Ein Vogel … – Still!“

Der auf der nahen Anhöhe stehende Doppelposten, ein Matrose und ein Marokkaner, hatte die beiden längst bemerkt.

Der Mond war jetzt aufgegangen, und der milde Glanz des Nachtgestirns gab dieser Bergwildnis in dem nächtlichen Schweigen seinen besonderen Reiz.

Der Matrose sagte zu dem Marokkaner:

„Ich muß doch einmal sehen, was Murat und Tamsa dort haben …“

Und vorsichtig näherte er sich der Felsplatte und begrüßte den Homgori mit den Worten:

„Hallo, Murat, – etwas Verdächtiges?!“

Der drehte sich um …

„Sehr verdächtig …! Erst Schreie, jetzt Stöhnen … Dort unten … Muß ein Mensch sein … Muß … Kein Tier … Da – nur horchen! So nur Mensch stöhnen …! – Hier den Korb nehmen … Oben liegen Laterne – anzünden!“

Der Amerikaner beugte sich nun gleichfalls über die Kluft …

Auch er vernahm dieses tiefe röchelnde Stöhnen und fuhr unwillkürlich zurück …

„Verdammt – das klingt unheimlich!“ stieß er hervor …

Tamsa bestätigte dies …

„Du solltest lieber jetzt nicht hinabsteigen, Murat! Man kann nie wissen, was dort in dem Abgrund steckt! Wenn wir wenigstens eine Leine hätten, dann könnten wir die brennende Laterne erst mal zur Probe hinablassen und …“

Murat unterbrach ihn:

„Das überflüssig sein! Wer so stöhnen, der nicht gefährlich … Und wenn Feinde mit Waffen, dann hätte schon auf uns schießen können … Längst! – Also her mit Laterne … Steinwand überall Vorsprünge und Risse … Nicht schwer für Murat …“

Auch der Matrose warnte jetzt noch …

„Murat, laß die Finger davon! Du bist ja ein tapferer Bursche, aber – alles zur rechten, auch die Tapferkeit …!“

„He – – Tapferkeit?!“ Der Homgori schnitt eine geringschätzige Grimasse … „Keine Tapferkeit nötig sein … Dort drunten nur kranke Mensch … – Ah – eben wieder rufen …!!“

„Bei Gott!“ flüsterte der Amerikaner da … „Ich möchte wetten, daß es sich um ein Weib handelt … Das war keine Männerstimme … Das muß eine Französin sein … Da – – nochmals – – Au secours! Au Secours, – – französische Worte!“

Er warf sich lang zu Boden und rief hinab, indem er seine geringen Sprachkenntnisse mühsam zusammenraffte:

„Hallo – wer dort?! Antworten Sie …!“

Aber nur ein Stöhnen folgte … Ein tiefes, jämmerliches Stöhnen …

Nochmals rief der junge Matrose …

Nun keine Antwort …

Da meinte Murat ungeduldig:

„Weshalb wir hier warten?! Ich jetzt klettern …!“

Schon hatte er den Handgriff der Laterne zwischen den Zähnen … schob die Beine über den Rand der engen Schlucht hinweg … Die Schuhe hatte er abgestreift … Und seine Füße – Erbteil seiner Affenahnen – fanden mit den langen Zehen sehr bald einen Halt …

Mit verblüffender Geschwindigkeit glitt er abwärts…

Droben lagen der Matrose und Tamsa nebeneinander und beobachteten ihn …

Die Laterne spendete genügend Licht … Die Kluft war in weitem Umkreis durch die Karbidflamme hell erleuchtet …

Murat merkte jetzt, daß die Felskluft eine scharfe Krümmung machte. Die Steinwand war hier weit weniger steil, und nachdem er noch etwa zehn Meter auf glattem Fels halb rutschend zurückgelegt hatte, wodurch er den Gefährten oben aus den Augen kam, erblickte er nun dicht unter sich den felsigen Grund der Spalte und in diesem Steingeröll eine dunkle Gestalt … – einen Fremdenlegionär …!

Der Matrose oben hatte sich getäuscht, als er eine Frauenstimme zu hören meinte….

Der Mann lag lang ausgestreckt auf dem Rücken …

Mit unnatürlich weiten Augen starrte er zu Murat empor …

Der Homgori sprang hinab …

Und als der Fremde nun des Homgori massigen Oberkörper, das behaarte Gesicht und die breitschultrige, plumpe Figur deutlicher unterschied, stieß er wie in hellem Entsetzen einen schrillen Schrei aus, suchte sich aufzurichten und sank ohnmächtig wieder zurück …

Murat brummte etwas Unverständliches vor sich hin …

Es ärgerte ihn, daß der Mann vor ihm ein solches Entsetzen verraten hatte …

Und brummend leuchtete er dem Fremden jetzt in das bartlose leichenfahle Gesicht …

Befühlte die Glieder des Bewußtlosen, betastete die Hände und öffnete ihm schließlich den Uniformrock und das derbe Hemd darunter, um die Brust kräftig zu reiben und so das Leben wieder in den erschöpften Leib zurückzurufen …

Doch da verhielten seine Hände … Zentimeter entfernt von dem schneeweißen, vollen Busen eines jungen Weibes …

Wie betäubt starrte der Homgori auf die entblößten Rundungen…

Ein Weib – ein Weib in der Uniform der französischen Legion!!

Wer war diese Frau?!Und wie kam sie hier in die Schlucht?!

Und Murat, der sich niemals mit zwecklosem Grübeln abgab, schloß vorsichtig das Hemd der noch immer Bewußtlosen, erhob sich, nahm die Laterne und prüfte den Geröllboden ringsum, hatte auch bald an geringfügigen Spuren festgestellt, woher die Frau gekommen war. In dieser Richtung eilte er nun die Spalte entlang, die sich schon nach dreißig Metern verbreiterte und schließlich in eine nach Osten zu verlaufende steile und mit Gestrüpp bewachsene Schlucht überging …

Da machte er kehrt …

Rief den Gefährten oben zu, was er hier gefunden und daß er die Frau nun ins Lager tragen wolle …

Die Unbekannte war noch immer nicht wieder zu sich gekommen.

Der Homgori nahmen sie in die Arme und eilte der Schlucht zu, die bereits jenseits der den Talkessel umgebenden Berge lag…

 

33. Kapitel.

Abschied vom Azorenschatz.

Tamsa verabschiedete sich jetzt ebenfalls von dem Matrosen, nachdem sie noch eine Weile über Murats seltsamen Fund gesprochen hatten …

„Alles Raten nützt hier nichts,“ meinte Tamsa achselzuckend. „Ich werde ins Lager hinabklettern. Den Korb lasse ich hier. Zeigen Sie mir den sichersten Weg, denn jetzt ohne Murats Hilfe muß ich schwierigere Stellen vermeiden … – Es wird sicher bald herausstellen, wer diese verkleidete Frau sein mag … Dr. Falz wird sie schon wieder zu sich bringen …“

Der Amerikaner nickte … „Das wohl … Es fragt sich nur, ob die Frau die Wahrheit sagen wird … Irgend etwas Geheimnisvolles hängt doch sicherlich mit ihrer Person zusammen, und ob sie bereit sein wird, darüber Aufschluß zu geben, erscheint mir zweifelhaft. – Was den Weg ins Tal betrifft, steige nur dort drüben hinab, Tamsa, dort in der Mulde … Da bietet es keine Schwierigkeiten, und in zehn Minuten kannst du unten sein … – Guten Weg …“

Der Nubier schritt davon …

Während er sich so dem Lager wieder nährte, wo jetzt bereits völlige Ruhe herrschte, da alles sich zum Schlafe niedergelegt hatte, bis auf drei Wachen, die die Zelte dauernd umkreisten, und bis auf Dalaargen und den Grafen Schönbrunn, die sich im Mondschein ein Stück vom Lager entfernt auf einer Felsbank niedergelassen hatten. Dort tauschten die beiden Österreicher bei einer Zigarre Heimaterinnerungen aus …

Der Herzog meinte jetzt, indem er des Freundes Hand ergriff:

„Felix, ich will mich nicht in dein Vertrauen eindrängen … Und doch begreife ich deinen damaligen Entschluß, in die Legion einzutreten, umso weniger, als ich deinen Herzensroman genau kenne … Ist es dir nicht unendlich schwer geworden, dich von Isolde zu trennen? – Gewiß, sie konnte seinerzeit deine Gattin nicht werden, weil sie aus einfachsten Kreisen stammte und weil du in deiner Stellung …“

Felix Schönbrunn hatte eine müde Handbewegung gemacht …

„Rühre nicht an diese Wunde, Fredy!“ sagte er leise. „Gerade dies ist ja das traurigste aus meiner einst so glanzvollen Vergangenheit… Es gab eine Nacht, Fredy, wo ich … über dem Abschiedsbriefe für Isolde wie ein Kind geweint habe … Jener Brief ist dann mit meinen Tränenspuren zwischen der Schrift abgegangen … Seitdem bin ich für Isolde tot und sie für mich … – Ich mußte so handeln … Ich war bettelarm … Nichts war mir geblieben, nachdem ich, was doch meine Pflicht war, die Zukunft meine alten treuen Dienerschaft sichergestellt hatte … Isolde als Künstlerin wird auch ohne mich keine Not gelitten haben.“

„Und du hast nie wieder etwas von ihr gehört, Felix?“

„Nein … Oder besser – ich wollte nichts mehr von ihr hören … Sie hatte vor einem halben Jahr einen Mann nach meiner damaligen Garnison Sidi bel Abbes geschickt, der mir zur Flucht verhelfen sollte … Es war ein Berliner Detektiv …“

„Ah – also hatte sie doch ebenfalls von den Gerüchten vernommen, daß der Erzherzog Franz-Felix in der …“

„Still …!! Ich bitte dich!! Du solltest doch niemals diesen Namen wieder erwähnen …! – – Ja, Isolde hatte davon gehört, hatte den Detektiv reichlich mit Geldmitteln versehen, und der überaus gewandte Mann wußte mich auch zu finden … Aber – ich leugnete, der Gesuchte zu sein … Ich lachte ihm ins Gesicht, wurde grob und ließ mich am anderen Tage ins Landesinnere versetzen …“

„Arme Isolde!“ meinte Dalaargen wehmütig … „Oh – wie gut erinnere ich mich ihrer … Wie deutlich sehe ich sie noch auf deinem Schlößchen in Tirol als ‚Hausfrau’ schalten und walten …! Waren das damals trauliche Abende, wenn wir zu dreien vor dem Kamin saßen und …“

Er verstummte …

Felix Schönbrunn hatte qualvoll geseufzt, hatte die Hände vor das Gesicht gepreßt …

Und Dalaargen legte ihm da den Arm um die Schultern und bat traurig:

„Verzeih, Felix … Verzeih …! Ich dachte zu wenig daran, wie sehr dich diese Erinnerungen verwunden müssen! – Anderseits – und das darfst du jetzt als Hoffnungsschimmer hinnehmen! – anderseits wirst du vielleicht in kurzem als Siedler, als Mitglied unserer Kolonien sehr wohl in der Lage sein, es mir gleichzutun, das heißt, glücklicher Ehemann zu werden! Wenn wir erst die dringendsten Arbeiten dort im Urwald erledigt haben, wenn auch du ein Blockhaus, Äcker und Vieh dein eigen nennst, – was hindert dich dann noch, Isolde eine Nachricht zu schicken, wo du dich befindest – und wie es um dein Herz bestellt ist – nach wie vor! – Hast du daran noch gar nicht gedacht?!“

„Oh – ob ich daran gedacht habe, Fredy, – – ob …!! Nur …“

„Nun – – nur was?!“

Felix Schönbrunn seufzte wieder …

Um sie her war die feierliche Stille der mondhellen Nacht … all der geheimnisvolle Zauber romantischen Erlebens: das Lager – die ruhende Sphinx – die weidenden Dromedare und die anderen Tiere, die geduldig die wenigen Gräser zwischen dem Steingeröll suchten …

Und da erwiderte der Heimatlose ganz leise:

„Darf ich denn einer Frau von der verfeinerten Lebensführung, wie Isolde Burger sie gewöhnt ist, einer gefeierten Künstlerin, ein solch bescheidenes Dasein als … Farmerfrau zumuten?!“

Da lachte der Herzog fast heiter …

„Sind das deine einzigen Bedenken, Felix?! – Nun, so wie ich Isolde kennen gelernt habe, wird sie auch nicht eine Sekunde zögern, diesem Rufe Folge zu leisten …! Denn – schau’ dir mal die Frauen von uns Sphinxleuten an! Da ist Georg Hartwichs Gattin, eine geborene Barrouph, der Vater vielfacher Millionär …! Da ist die zarte, liebliche Agnes Gaupenberg, da ist Gipsys Nielsen, die doch wahrlich als Detektivin mitten im Weltgetriebe gestanden hat …! Da sind Mafalda, Tonerl, mein Schwesterchen, jetzt verehelichte Booder …! Und – – diese Frauen haben jetzt nur den einen Wunsch wie wir alle, unserem Glück, unserer Liebe und befriedigender Arbeit zu leben! – Felix, glaube mir, wenn du Isolde davon benachrichtigst, daß du ihr ein – und sei es noch so bescheidenes – Heim inmitten gleichgesinnter Freunde bieten kannst, dann … – – Doch – wer kommt denn dort …?! Ist das nicht Murat?! Und – mit einem Menschen in den Armen?!“

Er sprang auf …

„Warte hier, Felix … Ich will doch einmal feststellen, ob etwa einer der Wachtposten droben auf den Bergen verunglückt ist …“

Und er lief Murat hinterher, der sie nicht bemerkt hatte und bereits in einiger Entfernung an ihnen vorübergeeilt war …

Holte auf und rief ihn an …

„Hallo, Freund Murat, – wen bringst du denn da angeschleppt? Einen der Legionäre?!“

Der Homgori schaute den Herzog mit seltsamen Grinsen an, das bei ihm ein Lächeln vorstellen sollte und stieß dann hervor:

„Sein kein Mann, Mr. Dalaargen … – Sein verkleidete Weib …“

„Wie – – ein Weib, in Uniform, doch keine Europäerin, oder? – – Unmöglich!“

„Nicht unmöglich … Tatsache … Murat entdecken das ganz genau – – Aber jetzt zu Dr. Falz mit arme Frau … Sein ohne Bewußtsein … Doktor ihr helfen …“

Und er eilte weiter …

Dalaargen kehrte langsam zu Felix Schönbrunn zurück …

„Nun?!“ fragte dieser … „Der Mann, den der Tiermensch trug, war doch ein Legionär … Etwa einer von meinen Leuten?“

Dalaargen schüttelte den Kopf …

„Nein – wohl kaum – der Mann ist ein Weib in Legionärsuniform …“

„Wie?! Ein … Weib?!“

„Murat behauptete es … Doch ich konnte ihn nicht weiter ausforschen, da die Person bewußtlos war. Murat wollte sie in Dr. Falz’ Zelt bringen …“

Felix Schönbrunn erhob sich von dem Steinblock …

Er stotterte fast: „Ich … muß die Frau sehen …! Fredy, – – Isolde ist alles zuzutrauen … Ihr als Schauspielerin – – Oh, erinnere dich, wenn wir zu dreien Bergtouren unternahmen …! Isolde bewegte sich in Kniehosen wie ein Mann … – Komm, Fredy, – – Komm … Ich ahne, daß …“

Dalaargen legte ihm die Hand auf die Schulter …

„Felix, – beruhige dich. Es ist ja doch ausgeschlossen – – vollständig ausgeschlossen! Wenn wir beide nicht zufällig soeben von Isolde gesprochen hätten, würdest du niemals auf diesen unmöglichen Gedanken gekommen sein! – Bitte, Ruhe also …!! Wir können doch nicht einfach in Dr. Falz Zelt eindringen und ihm …“

„Das ist mir ganz gleichgültig,“ rief der Graf Schönbrunn jedoch lautstark mit einer Hartnäckigkeit, die durch nichts umzustoßen war. „Ich muß Gewißheit haben – unbedingt – und sofort! Du kennst Isolde doch noch nicht genau, Fredy …! Nur ich kenne sie!! Sie als Künstlerin hat überall Beziehungen – selbst in Paris und Algier … Einer Schauspielerin von ihrem Weltruf öffnen sich Wege, die allen anderen verschlossen bleiben … – Bitte, begleite mich …!“

Dalaargen gab achselzuckend nach.

Inzwischen hatte Murat die Bewußtlose in dem Zelt des Doktors abgeliefert, das dieser mit Pasqual Oretto, Randercild und Mac Lean sich teilte.

Falz war sofort munter geworden, hatte dann in seiner Ecke die Fremde auf das Lager von Wolldecken gelegt und der Schiffsapotheke der Sphinx ein Fläschchen mit Hoffmannstropfen entnommen.

Pasqual, Randercild und Mac Lean schickte er dann hinaus. Murat sollte ihm helfen …

Die Frau war offenbar vollkommen erschöpft vor Hunger und Durst, und der Schreck beim unerwarteten Anblick des Affenmenschen hatte dann diese tiefer Ohnmacht veranlaßt …

Nach längerem Bemühen begann die Ärmste endlich kräftiger zu atmen und schlug endlich die Augen auf …

Murat hielt sich jetzt Schatten des Hintergrundes …

Mit seiner gütigen Stimme sagte der Doktor:

„Mein Kind, Sie brauchen sich vor nichts mehr zu ängstigen … Sie finden sich hier in bester Hut … Unter Europäern, die nur ein Zufall hier in diese Bergwildnis geführt hat …“

Er hoch ihren Kopf ein wenig an …

„So – nun trinken Sie … Seien Sie ganz gehorsam … Ich bin Arzt …“

Er hatte sich der französischen Sprache bedient, weil Murat ihm vorhin schon mitgeteilt hatte, daß die verkleidete Frau offenbar eine Französin sei …

Der angstvoll gespannte Ausdruck in den Augen der Fremden milderte sich …

Ein schwacher Seufzer kam über die blassen Lippen.

Und gehorsam trank sie den Aluminiumbecher leer … Frische Ziegenmilch mit etwas Kognak!

Und schon schloß sie die Augen wieder …

Abermals seufzte sie tief und wie befreit auf, flüsterte kaum vernehmbar:

„Es … waren … entsetzliche Tage …!“

Falz hielt ihre Hand und überwachte den Pulsschlag …

„Versuchen Sie jetzt zu schlafen, mein Kind … Und schlafen Sie getrost in dem Bewußtsein ein, daß wir weiter für Sie sorgen werden und daß nun alle Not ein Ende hat …“

Sie verstand jedes seiner Worte, obwohl sie bereits halb traumumfangen dalag … Ein schmerzliches Lächeln grub sich um ihren Mund …

„Meine Not ist … anderer Art,“ hauchte sie … „Aber – vielleicht können Sie mir doch helfen … Ich will Ihnen nachher alles anvertrauen … Vorläufig danke ich Ihnen von ganzem Herzen … Sie sind sehr gütig, und ich …“

Mitten im Satz brach sie ab …

Helle Röte flutete ihr da in die Wangen … Mit einem Ruck richtete sie sich auf … Starrte auf den geschlossenen Zelteingang …

Der Homgori war soeben hinaus geschlüpft …

Und nun Stimmen dort draußen…

Und drinnen rief die Fremde schrill und überlaut – wie aus wilden Fieberdelirien:

„Felix – – Felix …!!“

Unendlich viel lag in diesem jähen Ausruf … Sehnsucht, Hoffen, Freude … –

Dr. Falz wollte die Frau, deren Benehmen er auf ganz andere Ursachen zurückführte, sanft wieder in die Kissen zurückdrücken …

Da wurde der Zeltvorhang emporgehoben …

Felix Schönbrunn drängte Dalaargen, der ihn zurückhalten wollte, auf die Seite …

Warf sich neben dem Lager der Fremden in die Knie …

„Isolde …!! Isolde …!!“ – Er war nicht mehr Herr seiner Sinne …

Er umarmte die Geliebte … stützte sie …

Und ihr Kopf ruhte an seiner Brust …

„Isolde, – – und das alles meinetwegen?! – Isolde, ich … ich habe es geahnt, gewußt, daß du es bist …“

Er nahm kaum wahr, was er sprach … War wie von Sinnen … Seine Augen standen voller Tränen …

Und Isolde Burger lächelte glückselig – das Lächeln einer Madonna …

„So … war’s … doch nicht umsonst …!“ flüsterte sie und schaute ihn voller Hingebung an … „Doch nicht umsonst … All das Schwere, all die Demütigungen, die Gefahren …“ –

Dr. Falz zog sich leise zurück. Er merkte, daß er hier jetzt überflüssig war, daß ein besser Arzt seine Stelle eingenommen hatte: die Liebe!!

Außerdem winkte ihm auch Dalaargen vom Zelteingang her verstohlen zu …

So standen denn nun der Doktor, Dalaargen, Murat und die anderen drei bisherigen Zeltinsassen draußen im Mondlicht …

Der Herzog wollte mit dem, was er über Isolde Burger wußte, den Freunden gegenüber nicht zurückhalten …

Er erzählte … Nur des Grafen Schönbrunn wahren Namen verschwieg er …

„… es unterliegt jetzt wohl keinem Zweifel, daß Isolde Burger den geflüchteten Legionären bis hierher gefolgt ist, dann aber kurz vor dem Ziel erschöpft zusammenbrach oder aber von Verfolgern gehetzt wurde,“ schloß er seine kurzen Angaben. „Und gerade weil diese Möglichkeit vorliegt, daß die Verkleidete verfolgt worden ist, werden wir hier unsere Wachsamkeit verdoppeln müssen …“

Worauf Randercild sofort erklärte:

„Ich werde ein paar von meinen Leuten als Patrouillen nach jener Schlucht schicken … Murat mag sie führen …“

Und der anderen Seite näherte sich jetzt Tamsa – von Osten her …

Der Homgori erblickte den Neger zuerst …

Die letzten Schritte lief Tamsa … völlig außer Atem …

„Was gibt’s, Tamsa?“ fragte Dalaargen gespannt.

Alle vermuteten dasselbe. Der Feind war in der Nähe! Und als Feind mußte hier jeder gelten – jeder, der es auf Felix Schönbrunns Schar abgesehen hatte – oder auf Isolde Burger!

„Soldaten!“ stieß Tamsa hervor … „Eine Patrouille von acht Mann habe ich beobachtet, als ich soeben den Berg herabstieg … Ich sah sie dort drüben in dem kleinen Seitental … Jetzt haben sie sich zurückgezogen – marschieren nach Osten zu über die Hochebene … Dort scheinen in der Ferne Lagerfeuer zu brennen … Ich habe unsere Leute schon verständigt … Der Doppelposten dort auf dem östlichen Bergrücken läßt um ein Fernglas bitten …“

Randercild meinte entschlossen: „Ich werde das Verlangte persönlich nach oben bringen … Und Sie, Doktor, alarmieren das Lager … Unter diesen Umständen muß Ben Safra mit seinen Marokkanern sofort aufbrechen … Wenn er sich nach Westen wendet, gewinnt er einen so großen Vorsprung, daß er nichts zu fürchten braucht, noch eingeholt zu werden. Uns anderen bleibt die Sphinx.“

Und wenige Minuten später bot das stille, nächtliche Zeltlager ein ganz anderes Bild dar …

Die Marokkaner hatten die Dromedare gesattelt … Waren Abmarschbereit …

Zum zweiten Male sagten sie jetzt ihren weißen Freunden lebewohl – diesmal für immer …

Der Abschied war kurz … Man durfte keine Zeit verlieren …

Ben Safra, sein Dromedaren am Zügel, schritt den Seinen voran … zu den östlichen Höhen … In Schlangenlinie folgten ihm seine Leute … Und bald entschwanden sie den Blicken der hier im Tale Zurückbleibenden …

Die Zelte wurden abgebrochen … alles Gepäck in der Sphinx verstaut …

Während so die Zurüstungen zu schleunigster Abfahrt getroffen wurde, hatten Gaupenberg, Hartwich, Agnes, Ellen und Dr. Falz sich zum Rande des Kraters begeben …

Georg Hartwich war bereits wieder soweit bei Kräften, daß er, auf des Freundes Arm gestützt, die kurze Strecke hatte zurücklegen können.

Hier nun standen diese fünf Menschen, die in dem großen Drama des Azorenschatzes die Hauptrollen gespielt hatten …

… und schauten hinab in den mächtigen Steintrichter, in dessen Tiefe das Ozeanfenster schillerte, – Wasser des Atlantik, das unterirdisch bis hierher seinen Weg gefunden …

Viktor Gaupenberg sagte schlicht:

„Meine Freunde, ich habe euch gebeten, mich hierher zu begleiten … Wir wollen an dieser Stelle Abschied nehmen von den Milliarden, um die wir reinen Herzens, nicht aus Selbstsucht, gerungen haben … – Der Azorenschatz ist für alle Zeiten verloren … Das Gold wird niemandem mehr nützen oder schaden … Und – vielleicht ist es wirklich, wie schon meine Agnes heute Mittag betont hat, nicht als ein Unglück zu bewerten, daß alles so gekommen ist, daß eben die Milliarden nach aller Voraussicht jedem menschlichen Arm unerreichbar bleiben werden. In den Beziehungen der Völker zueinander sind durch die gemeinsame Angst vor der Weltkatastrophe Verbesserungen eingetreten, die nachhaltiger und vorteilhafter für Deutschland sein werden als alle papierenen Verträge, phrasenreichen Konferenzen und erlogenen Abrüstungsbeteuerungen. Wir haben durch Randercild erfahren, daß nach den von seiner Jacht aufgefangenen Funksprüchen über diese neue Epoche der Nachkriegszeit jetzt schon unserem Vaterlande die volle Bewegungsfreiheit zurückgegeben wurde. Mithin würde das Deutsche Reich das Gold, den Azorenschatz, kaum mehr nötig haben, da ihm jetzt freie Bahn gewährt ist, Handel und Industrie und damit den Wohlstand des gesamten Volkes durch eigene Kraft, durch Fleiß und Arbeit, wieder zu heben. –

Ich traure daher den versunkenen Milliarden auch in keiner Weise nach. Ich bin zu derselben Überzeugung gelangt, die unser verehrter Freund schon von jeher vertreten hat, daß dieser Kampf um das eitle Gold nichts anderes sein sollte als ein Läuterungsprozeß für eine Anzahl von Menschen, die das Schicksal dazu ausersehen hatte, später der großen deutschen Volksgemeinschaft ein Beispiel zu geben – ein Beispiel, das selbstloses Streben, volle Hingabe an eine große Sache stets zum ersehnten Ziele führt. Und dieses Ziel heißt ist für uns Sphinxleute die neue Kolonie! – So wollen wir fünf denn hier nun für immer den Azorenschatz aus unserer Gedankenwelt streichen! Für uns alle beginnt mit dem Abschied von dieser Krateröffnung, unter der das Gold durch Wasser und Fels für immer geschützt ist, ein neues Dasein. Der Kampf ist vorüber. Nun folgt – – die Friedensarbeit! –

So – dies waren meine Abschiedsworte für die Milliardenschätze …! Geläutert, gestählt an Geist und Körper, beglückt durch Liebe, treten wir den neuen Weg an … – Gehen wir, meine Freunde …!“

Ein leises Geräusch hinter ihm ließ ihn langsam den Kopf wenden …

Da stand Heinrich Werter, der alte Farmer, der wahre Spender der Milliarden, hinter ihnen – mit entblößtem Kopf, den Schlapphut unter den linken Arm geklemmt, die Hände gefaltet …

Der Mond beschien das verwitterte, graubärtige Gesicht …

Heinrich Werter nickte Gaupenberg ernst zu …

„Ich habe Ihre letzten Sätze mitangehört, Herr Graf …“ meinte er halblaut. „Was Sie da sagten, war … mir aus der Seele gesprochen … Vollständig! Gold ist ein nichts gegenüber dem eisernen Willen zu eigenem Schaffen …! Gold wird niemals ein zusammengebrochenes Volk wieder aufrichten! Nur die Arbeit kann’s – und Arbeit, das heißt ehrlich sich bemühen, sein Bestes zu geben! Wenn dieser Gedanke die Herzen der Millionen von Deutschen erfüllt, dann – ist das der Sieg, der wahre Sieg!“

Seine Stimme war lauter und markiger geworden.

„Auch ich scheide hier nun für immer von dem, was ich einst dem Vaterlande spenden wollte …! Und ich scheide freudig und zukunftsfroh, denn – – unsere Kolonie wird blühen, das weiß ich! Von dort werden sich Fäden der Kraft zur alten Heimat hinüberziehen. Unsere Kolonie wird Deutschlands erster kolonialer Besitz der Nachkriegszeit werden!“

Da – vom Lager her Nielsens Stimme:

„Hallo – – Gaupenberg, – – der Feind rückt an – spanische Legionäre, etwa dreißig Mann! Soeben hat Randercild persönlich diese Alarmnachricht überbracht …!“

Die sechs hier am Krater Versammelten blickten auf das in der Tiefe schillernde Wasser …

Der Mond ließ es wie helles Gold aufleuchten …

Und so schieden die Sechs von dem Goldschatz der Azoren – – für immer …! –

 

34. Kapitel.

Die Natur hat gesprochen …

Inzwischen hatte Gerd Nielsen, der auf der Sphinx nunmehr als Stellvertreter für den noch immer schonungbedürftigen Hartwich zum Ersten Steuermann bestimmt war, bereits die nicht ganz leichte Platzfrage für all diese auf dem kleinen Luftboot unterzubringenden Menschen dadurch gelöst, daß er die Reling am Bug und Heck mit Segelleinwand überspannen ließ, wodurch zwei geräumige Zelte entstanden, die bequem je zwanzig Mann beherbergen konnten.

Als Gaupenberg und seine Begleiter jetzt vom Krater her sich der Sphinx näherten, waren alle übrigen bereits an Bord gegangen. Sogar noch die vorhandenen Schafe und Ziegen waren neben dem Mittelturm in einen aus Holzlatten rasch errichteten Verschlag eingesperrt worden, und kaum hatte Gaupenberg nun als letzter die Eisenleiter erklommen, da erhob sich das Luftboot auch schon mühelos vom steinigen Boden des Tales und schwebte langsam den Sternen zu …

Der Wind kam von Osten, und so trieb die Sphinx denn, ohne daß man zunächst die Propeller arbeiten ließ, vor dem frischen Nachtwind allmählich gen Westen.

An der Reling standen dicht gedrängt Gaupenbergs Getreue, Randercilds Matrosen und des Grafen Schönbrunn sonngebräunte, verwegenen Schar …

Was man an Ferngläsern besaß, wanderte von Hand zu Hand …

Die meisten spähten dorthin, von wo der Feind anrückte … In der hellen Mondnacht war auf der Hochebene der Trupp der spanischen Legionäre genau zu erkennen …

Vielleicht bemerkten diese das davonschwebende Luftfahrzeug … Doch mit Bestimmtheit ließ sich das nicht behaupten …

Dann schoben sich auch schon die Randberge des Tales zwischen die Sphinx und die Abteilung der Verfolger … Ruhten der Sphinxleute ernste Blicke zum allerletzten Mal auf der Krateröffnung und dem wie flüssiges Metall schimmernden Wasser in den Tiefen darin.

Auch dieses Bild tauchte unter … Bergspitzen verdeckten es …

Das war der endgültige Abschied von dem Goldschatz der Azoren gewesen …

Gaupenberg hatte den Arm um Agnes’ Schultern gelegt, drückte sie fester an sich und flüsterte ihr zärtlich zu:

„Das neue Leben, Agnes …! Seite an Seite mit dir und unseren Freunden …! Mit dir, kleines Farmerfrauchen, kleine, liebe … Mama …!“

Sie standen etwas abseits und er legte ihr zart eine Hand auf den Bauch, um die erste leichte Wölbung zu fühlen …

Und Agnes reckte sich auf den Fußspitzen hoch, küßte den Geliebten, drohte ihm schelmisch mit dem Finger und meinte ebenso leise:

„Du, – – kleine Mama!!, – davon spricht man nicht!!“

„Erlaube, – bist doch eine kleine Adoptivmama! Wo ist denn unsere Noris, Mortons letztes Vermächtnis?“

„In Isolde Burgers Kabine, also in guter Hut … Graf Schönbrunn hält bei beiden Wache …“

Gaupenberg lächelte …

„Hm – Graf Schönbrunn …?! – Es soll ja offenbar geheim bleiben, und deshalb nur ganz unter uns, Agnes, es gibt keinen Grafen Schönbrunn …! Es gibt jedoch einen Angehörigen des Hauses …“

Er flüsterte immer leiser …

Agnes rief ungläubig:

„Und – du weißt es ganz bestimmt?!“

„Ja – denn jetzt habe ich mich auf sein Gesicht besonnen … Bekannt kam er mir gleich vor … Früher trug er einen blonden Vollbart, sah ganz wie ein Künstler aus, was er ja auch letzten Endes war … Ich fand ihn damals als Mann zu weichlich. Jetzt hat sich dieses schwermütig Versonnene ganz und gar verloren … – Jedenfalls – es ist der … – Doch, wir wollen den Namen begraben sein lassen. Er gehört der Vergangenheit an …“ –

Die Propeller der Sphinx begannen zu arbeiten …

Das Deck leerte sich …

Es war jetzt ein Uhr morgens. Und alle, die nicht im Führerraum des Bootes zu tun hatten, legten sich auf Gaupenbergs Geheiß wieder zur Ruhe nieder …

Im Mittelturm saßen Nielsen, Gußlar und Josua Randercild …

Der kleine Milliardär war sehr einsilbig und sog nachdenklich an seiner schweren grünbraunen Brasil …

Nielsen beobachtete die Instrumente und die Schalthebel … Gußlar den Spiegel des Sehrohres …

„Wir sind bereits über dem Atlantik …“ meinte der Kurländer plötzlich … „Da – sehen Sie, Randercild, – – hier auf dem Spiegel das Meer …“

„Will nichts sehen!“ knurrte der bissig …

„Nanu – so unfreundlich?! Was ist Ihnen denn in die Krone gefahren?!“ Und Gußlar blickte den gereizten Meck-Meck fragend an …

„Krone gefahren?! Vielleicht – – mag stimmen! – Wann werden wir auf Christophoro landen, Nielsen?“

„Vormittags gegen elf …“

„Elf … – Also noch rund zehn Stunden …! Und dann – – ist es aus!“

„Was ist aus?!“

„Zum Teufel, – – was sonst wohl als unser Beisammensein!“

Gußlar und Nielsen tauschten einen Blick. Nun verstanden sie Randercilds üble Laune. Es war Trennungschmerz!

Und sie schwiegen, denn sie konnten sich in ihres amerikanischen Freundes Stimmung unschwer hineindenken …

Randercild paffte dicke Wolken und starrte vor sich hin …

Platzte mit einem Male heraus:

„Wem gehört diese Lichtung dort am Nil eigentlich?“

Gußlar schüttelte den Kopf …

„Komische Frage! Doch natürlich den Werters!“

„Wie – komische Frage?! Gar nicht komisch! Haben die Werters die Lichtung gekauft – wenn ja, von wem?!“

„Ach so …!“ nickte der Kurländer. „Nun verstehe ich … Das Land dort ist englischer Kolonialbesitz …“

„Dachte mir’s …! Und wenn’s den Herren Engländern gefällt, schmeißen sie eines schönen Tages euch alle raus!“

„Nun – der Gedamke ist allerdings nicht von der Hand zu weisen!“ Und Nielsen und Gußlar wurden gleichfalls sehr nachdenklich …

Randercild dann:

„Werde die Geschichte kaufen – ist am sichersten! Die Lichtung, den Sumpf und noch ein tüchtiges Stück Savanne ringsum … Mir gegenüber werden die Herren Briten keine Flausen machen … Sonst werfe ich ihnen einen Knüppel zwischen die Beine … – Börsenmanöver und so!! Stecken in Schulden … Ich kaufe und schenke es euch allen – abgemacht! Dann habt ihr dort Ruhe …“

„Bravo!“ riefen Nielsen und Gußlar …

„Stopp, – ich werde euch eine Bedingung stellen.“

„Und die wäre?“

Randercild zauderte …

Und platzte wieder heraus:

„Habe das Milliardärspielen für den Moment satt …! Langweilt mich! Außerdem, ich mag mich nicht von euch trennen! Verdammt – wenn man wie wir so unglaubliches miteinander erlebt hat, dann ist das ein fester Kitt …“

Nielsen klopfte dem kleinen Meck-Meck fast zärtlich auf die Schulter …

„Randercild, Sie sind ein vernünftiger Mensch, das muß man Ihnen lassen! Ich glaube Ihre Bedingung zu kennen. Sie wollen auch mal Farmer spielen – mit uns zusammen!“

„Ja!!“ Und Josua Randercilds Augen leuchteten jetzt … „Ja – das will ich …! Ich gehöre zu euch, ich hab euch alle achten gelernt, und ich denke es mir wunderbar, wenn ich dort in der Kolonie so den alten, guten Onkel spielen kann, der eure Kinder heranwachsen sieht, der …“

„… vielleicht selbst noch heiratet!“ lachte Nielsen vergnügt …

„Verrückt …!! Ich – – heiraten?! Mit dem Bocksgesicht!! Haben mich über meine Visage nie Täuschungen hingeben …“

„Bravo!“ meinte Gußlar da wieder … „Bravo, Randercild …! Ihre Hand her, Onkel Randercild … Hiermit lade ich Sie jetzt schon als Paten ein …!“

„Oho – ich auch …!!“ meinte Nielsen strahlend. „Glauben Sie nur nicht, Gußlar, daß Sie vor mir etwas vorausshaben! Auch Gipsy hat mir gestern ein süßes Geheimnis anvertraut …!“

„Wird ja ein netter Kindersegen in der Kolonie werden!“ brummte Randercild scherzend. „Unser Doktor Falz sollte noch einen Kursus müssen als behördlich geprüfter Storch!!“ Er schmunzelte vergnügt … Ihm war nun leichter ums Herz, nachdem er seinen Entschluß hier den beiden Männern mitgeteilt hatte. –

Nielsen begann nun die Frage des Ankaufs der Ländereien rund um die Werter-Farm eingehend zu erörtern …

So saßen die drei denn und spannen tiefernste Zukunftsgedanken aus … –

In einer der Heckkabinen der Sphinx hatte Felix Schönbrunn einen der leichten Rohrsessel ganz dicht an das Bett Isolde Burgers geschoben und hielt die Hand der Geliebten in inniger Zärtlichkeit in den seinen …

Vorhin hatte Agnes die kleinen Noris wieder abgeholt und in ihre Kabine mit hinübergenommen.

Nun war das Liebespaar allein …

Isolde Burger, der gefeierte Liebling der kultivierten Theaterwelt, hatte den Kopf mit den jetzt ganz kurz geschnittenen Haar in die Linke gestützt … Ihre wundervollen Augen, deren Ausdruck jetzt nichts als seligen Frieden verriet, blickten den Mann, um dessentwillen sie Demütigungen, Gefahren und fast den Tod erduldet, unverwandt an, als müßte sie sich in diesem so völlig veränderten Antlitz erst wieder zurechtfinden.

Und leise, wie traumverloren, erzählte sie von dem, was sie in der Legion als angeblicher Bursche des Generals Durieux erlebt hatte …

„Ich kannte Durieux von Paris her … Ein feingebildeter, ritterlicher Mann … Als ich ihm in Algier mein Anliegen vortrug, als ich ihm erklärte, daß du dich stets vor mir verleugnen lassen würdest, es sei denn, daß ich die Auge in Auge gegenübertreten könnte, da lehnte er zunächst sehr kurz und energisch ab … Er könne mich als Dame unmöglich mit an die Front nehmen … Nicht einmal Zeitungsberichterstattern dürfte der Zutritt zur Kampfzone gestattet werden … Aber meine Tränen stimmten ihn irgendwann um … Und so – – wurde ich sein Bursche. Er selbst blieb mir gegenüber unverändert ritterlich. Aber es konnte jedoch nicht ausbleiben, daß man meine Verkleidung sehr bald durchschaute … Man … hielt mich für Durieux’ Geliebte … – Laß mich über diese Tage schweigen, Felix, die hingingen, bis wir endlich im Kampfgebiet waren … Sie waren schlimm genug… Und dann – – kam die furchtbare Enttäuschung. Du warst mit einer größeren Anzahl deiner Kameraden flüchtig geworden, warst mir abermals verloren gegangenen, und alles, was ich auf mich genommen hatte, war umsonst gewesen … – Alles! – Doch meine Niedergeschlagenheit hielt nur wenige Stunden vor … Schon in der kommenden Nacht entfloh ich … Ich hatte einen Marokkaner bestochen, der für die Franzosen Spionagedienste leistete … Und dieser Mann hat es denn auch wirklich fertig gebracht, eure Spuren aufzufinden … Unweit des Tales, in dem ihr euer Lager aufgeschlagen hattet, wurden wir jedoch von einer spanischen Patrouille eingekreist … Ich entkam … Was aus dem Marokkaner geworden, weiß ich nicht … Und gehetzt und verfolgt irrte ich so anderthalb Tage durch die Bergwildnis, hungernd, durstend, völlig verzweifelt … Mit letzter Kraft schleppte ich mich in jene Schlucht, aus der Murat nicht dann herausholte… Ich hatte dort Wasser zu finden gehofft … Immer wenn ich auf meiner Bewußtlosigkeit erwachte, rief ich um Hilfe … und das sollte meine Rettung sein … – So, nun weißt du alles, Felix … Und nun wirst du mich nie, nie wieder los, du lieber, törichter Mensch …!“

Sie schmiegte sich enger an ihn …

Und er verbarg mühsam vor ihr die heißen Tränen, die über seine hageren Wangen rannen …

Er streichelte ihr Haar, das einst in so wunderbarer Fülle ihr bis weit über die Hüften hinab gereicht hatte.

Er war unfähig zu sprechen … Stammelte nur:

„Verzeih mir, daß ich von dir ging – – Verzeih mir …!“

Dann küßte sie ihn …

Und flüsterte: „Felix, es ist wie ein Traum … Ein sonniger Traum… Du bist wieder mein, und wir beide fliegen nun hoch über Länder und Meere hinweg … der neuen Heimat zu! – Oh – wie ich mich freue, Felix …! Alle hier sind ja so lieb und gut zu mir, alle …! Es sind … besondere Menschen, Charaktere – ein anderer Schlag, als die geschniegelten Herren und Dämchen da draußen in der großen Welt …! Wie unendlich zart und gütig ist dieser Doktor Falz, wie herzlich und liebevoll Agnes Gaupenberg, wie kraftvoll und bestimmt dieser Nielsen! – Felix, das sind Menschen, mit denen man in der Tat in einem echt geschwisterlichen Einvernehmen leben kann! Und wir beide gehören nun mit zu dazu, Felix, – für immer!! Ich – – freue mich!!“

Isolde Burger ruhte an des Geliebten Brust und lauschte dem fernen leisen Surren der Propeller …

Und so flog die Sphinx durch die Nacht dahin, unter sich den gierigen, schäumenden, ruhelosen Atlantik, über sich das Sternenzelt, über dem wieder jener allwissende, allmächtige Gott thronte, an den Dr. Falz glauben gelernt hatte …

Ein anderes Bild …

Neun Stunden später …

Auf Christophoro – auf dem Eiland der Riffkränze, der wilden Brandung, der Möwenschwäre … –

Unweit des Südoststrandes lag Randercilds schneeweiße Luxusjacht …

Bis gestern Abend hatte hier noch der Touristendampfer ‚Meteor’ geankert, war dann aber davongefahren, nachdem er die große Neuigkeit in alle Welt hinausgefunkt hatte.

Aztekenhöhle auf Christophoro steht unter Wasser. Milliardär Randercild mit einem Trupp Matrosen wahrscheinlich bei diesem Wassereinbruch des Ozeans umgekommen. –

Ertrunken …!! Und unter diesen Männern war der Gatte der letzten Aztekin gewesen, der Seminole Ozzeola …

Sonnenglanz über Christophoro … Und einsam saß auf dem Felsenhügel am Westufer Mantaxa, die schlanke, glutäugige letzte Vertreterin eines eins berühmten Volkes …

Sie saß da wie eine Statue, – in Schmerz erstarrt …

Vor ihr, kaum fünf Meter entfernt, befand sich das weite Loch in der Höhlendecke …

Und ihre Augen ruhten unverwandt auf dem dunklen Wasserspiegel unterhalb dieser Öffnung …

Es gab keine Aztekenhöhle mehr … Der Ozean hatte sie gefüllt … Und – dort schillerte matt der grausame Ozean, der einem liebenden Weibe den Gatten raubte …

So … glaubte Mantaxa …

Ein Boot stieß da von der Jacht ab … Der Heckmotor ratterte … Pfeilschnell stieß es durch die Wogen …

Landete …

Ein schlanker Mann, der Ingenieur der Jacht, lief auf die Atztekin zu …

„Hallo, Mantaxa …!! Hallo!“

Sie hob müde den Kopf …

„Mantaxa, soeben Funkspruch von der Sphinx …!! Alle gerettet …! Die Sphinx trifft mittags hier ein!“

Das junge Weib erhob sich …

Schwankte … Faßte sich wieder …

Und Robertson, der Ingenieur, stand schon vor ihr, drückte ihr herzlich die Hand …

„Freue mich, Mantaxa …! Habe auch bisher die Hoffnung nicht aufgegeben gehabt, daß die Unsrigen mit dem Leben davongekommen sind!“

Mantaxas Blick durcheilte unwillkürlich den Äther.

Suchte … die Sphinx …

Ihre Augen glänzten … Und diese Augen waren wie die eines Falken …

Dann – ein heller Schrei …

„Mister Robertson, – – dort – – dort …!!“

„Wo – – was denn?! Ich sehe nichts …!“

„Die … Sphinx, Mr. Robertson … Ich sehe sie … Sie ist’s …!“

Der Ingenieur folgte mit den Augen der Richtung des ausgestreckten Armes der Aztekin … Sah, daß dieser Arm zitterte …

Und er nahm das am Riemen ihm vor der Brust hängende Fernglas, stellte es ein …

„Mantaxa, müssen Sie tadellose Augen haben!!“ rief er nach einer Weile … „Ja, es ist die Sphinx …! Mr. Randercild kehrt zurück …!“

Und er wandte sich um, lief dem felsigen Ufer zu, hin zum Boot …

„Boys!!“ brüllte er, „die Sphinx … An Bord mit euch! Die Jacht soll flaggen …! Ich bleibe hier auf der Insel …! Vorwärts!!“

Das Boot schoß schon davon …

Robertson, sonst ein Mann ohne Nerven, war jetzt aufgeregt wie ein hysterisches Frauenzimmer …

Wieder stand er neben Mantaxa …

„All Ihre Angst und Trauer war umsonst, Mantaxa …!“ sagte er lachend … „Freuen Sie sich doch, Mädchen!! In zehn Minuten haben Sie Ihren Ozzeola wieder! Ich wußte es ja, Amerikaner lassen sich nicht so leicht unterbekommen!“

Die Aztekin hatte einen fast überirdischen Glanz in ihren dunklen Augen …

Und leise sagte sie: „Ich wäre wohl vor Kummer gestorben, wenn Ozzeola mir genommen worden wäre!“

Auf der Jacht ‚Star of Manhattan’ gingen jetzt Flaggen und Wimpel hoch …

Flatterten in der frischen Seebrise …

Über das Deck der Jacht liefen Matrosen … Unzählige Gläser richteten sich auf das nahende Flugboot, das sehr bald schon deutlich auch mit bloßem Auge zu erkennen war.

Noch fünf Minuten …

Und im raschen Gleitflug landete die Sphinx im Sande von Christophoro unweit des Wracks von U 45.

Vom ‚Star of Manhattan’ dröhnten Salutschüsse … An der Reling war die Besatzung in Paradeuniformen abgetreten – alle winkten …

Aus Matrosenkehlen schallten drei brausende Hochs auf Randercild über die See bis zur Insel hinüber – übertönten das tosende Lied der Brandung und das aufgeregte Lärmen der Seevögel …

Und auf dem Deck der Sphinx zahllose geträumte Menschen …

Viele Gesichter darunter, die Robertson noch nie gesehen hatte …

Kaum aber hatte die Sphinx sich nun fest in den hellen Sand eingebettet, als Ozzeola als erster die Außenleiter sich hinabschwang und auf Mantaxa zueilte, die ihren Platz am Felsenhügel nicht verlassen hatte …

Ozzeola, Abkömmling eines berühmten Häuptlingsgeschlechts, vergaß in diesem Moment völlig die indianische eherne Selbstbeherrschung …

Was kümmerte es ihn, daß unzählige Augen Zeugen dieser Wiedersehensszene wurden?!

Er riß Mantaxa an seine Brust … war in diesem Moment nur Gatte mit liebendem Herzen …

„Mantaxa …!!“

Und eng umschlungen standen sie …

Minutenlang …

Die Indianerin weinte nicht …

Nur ihre Augen schimmerten feucht, als ihre Hand in scheuer Zärtlichkeit, das edle, kühne Gesicht des Seminolen streichelte …

Dann erst fanden sich ihre Lippen in einem keuschen, innigen Kuß seligster Wiedersehensfreude …

Als zweiter war der kleine Milliardär auf festen Boden gelangt, hatte seinem Ingenieur derb die Hand geschüttelt und dabei nur gemeint:

„Da sind wir wieder, Robertson! Waren verdammt böse Tage, sage ich Ihnen!“

„Wir wissen, Mr. Randercild, wir wissen!“ nickte der Ingenieur. „Die Aztekenhöhle lief mit einem Male voll Wasser … Vor vier Tagen meldete sich die Flut … Erst waren’s nur geringe Wassermengen … Dann folgten wahre Wogenberge … – Das Touristenschiff ‚Meteor’ mit den Deutschen ist denn auch gestern abgedampft, weil man Sie und unsere Leute für verloren hielt, Mr. Randercild … Ich blieb mit der Jacht … Ich dachte mir schon, daß Sie sich noch durchschlagen würden …“

Gaupenberg, Falz und andere der Sphinxleute begrüßten jetzt den Ingenieur …

Die Insel füllte sich mit frohen Menschen …

Von der Jacht nahten Boote …

Die Legionäre besichtigten jetzt das Wrack des U-Bootes, und Graf Schönbrunn, neben sich Isolde, erzählte den Seinen, welche Bedeutung dieses Unterwasserfahrzeug im Kriege für den Goldschatz der Azoren gehabt habe …

Dann führte Gaupenberg die Legionäre persönlich zu dem weiten Felsloch und erklärte ihnen, daß dort unten, wo jetzt der Ozean einen ungeheuren unterirdischen See bildete, einst Mantaxas Stammesgenossen in Marmorpalästen einer steinernen Stadt gehaust hätten …

Aber von den prachtvollen Palästen, den breiten Freitreppen, all den wunderbaren Schönheiten des Höhlenreiches der Azteken war nichts mehr zu erkennen! All das war für immer verschwunden – genau wie die Kleinodien König Matagumas! Das unerbittliche Meer hatte zusammen mit den Goldmilliarden wieder mit seinen unermüdlich rollenden Fluten bedeckt …!

Um die große zackige Öffnung im Boden der Insel hatten sich jetzt auch alle übrigen versammelt …

Jeder wollte sich davon überzeugen, daß auch hier der angreifende Ozean Sieger geworden war!

Gaupenberg schwieg … Ein Anderer erhob seine Stimme, einer, der schon so oft als rechtzeitiger Warner seinen Freunden von Nutzen gewesen …

Einer, der nun einen Felsblock am Fuße des Hügels erklettert hatte und in dessen Augen wieder jener visionärer Ausdruck lag, der den Sphinxleuten nur zu gut bekannt war …

Dr. Falz, – – und verständlich für alle ertönte seine volle Stimme über die plötzlich so ernste Versammlung hinweg …

„Freunde! Gefährten vieler Monate ergreifendsten Erlebens! Mitkämpfer um ein Phantom, das der Welt nur Unsegen brachte von jeher! – In dieser vergangenen Nacht, als unsere Sphinx von den Gestaden Nordafrikas hierher eilte, wo sich in dem in seiner Art einzigartigen Ringen um den Azorenschatz mit die bedeutungsvollsten Szenen abgespielt haben, – in dieser Nacht floh meinen Augen der auch mir so notwendige Schlaf! Eine seltsame Unruhe rüttelte meine Nerven auf und ließ wie im Halbschlaf Bilder an meinem Geiste vorüberziehen, die Erlebtes wiedergaben … Bis sich mir dann, wie schon so oft, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander vermischten und die getäfelte Decke meiner Kabine sich öffnete und mir den ausgestirnten Nachthimmel zeigte … Und an diesem Firmament Wolkengebilde, die wild durcheinander wogten, die langsam bestimmte Formen annahmen …

Und – – mit einem Male da hatte ich dieses Eiland vor mir – Christophoro, die einsame Insel vieler Geheimnisse …

Ich sah sie im Sonnenlicht daliegen wie jetzt …

Ich sah die Sphinx, die Jacht dort draußen …

Ich sah uns wie jetzt hier am Eingang zur unterirdischen Welt stehen …

Und eben wiederholte sich dieses Bild…

Ich sah unsere Schar in toller Flucht auseinanderstieben …

Fliehen – fliehen vor dem plötzlich lebendig gewordenen Boden, auf dem wir jetzt noch stehen …

Meine Freunde, – Christophoro, das ja nur wie eine Felsglocke sich über Teile des einstigen Aztekenreiches ausspannt, sah ich … zusammenstürzen – hinabsinken im …“

Da – brach er mitten im Satz ab …

Schwankte etwas … weil der Felsblock unter ihm sich bewegte …

Schwieg …

Und andere Stimmen erhoben sich – die der Naturgewalten …

So, als ob im Winter zu Frost erstarrte Seen mit Dröhnen und Donnern bersten und in ihrer Eisrinde sich Spalten bilden, – genau so kam aus den Tiefen jetzt ein Knistern, Splittern und dumpfes Krachen empor …

Bleiche Gesichter …

Dann gellende Schreie …

Und wieder Falz’ Stimme:

„Weg von hier! Zur Sphinx – – zur Sphinx!!“

Die tolle Flucht begann …

Gaupenberg nahm Agnes in die Arme …

Trug sie, die die kleine Noris fest an die Brust gedrückt hatte … Das unschuldige, verwaiste Kindlein schlief.

Matrosen stürmten zu den Booten …

Motorengeräusche mischten sich in die ersten donnernden Anzeichen der Schicksalsstunde von Christophoro …

Die Boote jagten zum ‚Star of Manhattan’ …

Die Sphinxleute und die Legionäre kletterten auf das Metallfahrzeug, das neben dem Wrack lag.

Einer half dem andern an Deck …

Inzwischen hatten sich bereits weite Teile der Insel gesenkt … Wo noch soeben Land gewesen, rollten brandende Wogen …

Die Sphinx hob sich schon von ihrem unsicheren Lagerplatz.

War noch keine fünf Meter emporgeschwebt, als aus dem Erdinnern das Getöse wie von einem harten Blitzschlag heraufschallte …

Im selben Augenblick brach Christophoro, diese Felsglocke über dem Reiche der Azteken, mit einem Male vollends in sich zusammen, stürzte in das unterirdische Meer hinab, das sich nun wieder mit seinem größeren Bruder, dem Atlantik, vereinte …

Wie weggewischt waren die Riffkränze, die Felsen, die Sanddünen, die stachligen Dornenfelder …

Wogen rollten darüber hin … Wogen des unendlichen Ozeans …

Da versank die Insel vollständig …

Wasserstrudel schäumten dort, wo soeben noch die Sphinx gelegen hatte …

Und mit hinab in die Tiefe sauste das Wrack des glorreichen U 45, des Goldschiffes, das einst die Milliarden von der Küste Kameruns in das belagerte Deutschland hatte bringen wollen, das dann mit Granatwunden im stählernen Leibe am Kap Retorta von San Miguel versank und nur einen einzigen seiner Insassen nicht mit in die Tiefe riß: Georg Hartwich!

Totenstille herrschte an Bord der Sphinx …

Langsam schwebte sie höher, entfernte sich von der Stätte der Vernichtung …

Starre Augen aus blassen Gesichtern schauten hinab auf die Stelle, wo noch vor Minuten Dr. Falz, der Einsiedler von Sellenheim, seinen Freunden auch diese Katastrophe vorherverkündet hatte …

Der Felsenhügel, der Felsblock, – – alles war versunken – versunken wie der Azorenschatz …

Es gab keinen Azorenschatz mehr, es gab kein Christophoro mehr …

Und in diese angstvolle Stille hinein tönte über das Deck und die verstörten Menschen die klare Stimme des Doktors:

„Freunde, die Natur hat gesprochen, und die Natur ist Gott! Eindrucksvoller als durch diesen Untergang eines Eilandes, das mit der Geschichte des Azorenschatzes so aufs innigste verknüpft ist, konnte uns wahrlich nicht vor Augen geführt werden, daß … die Geschichte dieses Ringens um die Milliarden nunmehr beendet ist – für immer, und daß unser ferneres Leben und Streben auf ein anderes Ziel gerichtet sein soll! – Freunde, dieses Ziel heißt: die neue Heimat, die neue Kolonie! Kehren wir heim – – zur neuen Heimat!“

 

35. Kapitel.

Gestörte Pläne.

Möven, Seeschwalben, Albatrosse, – – all diese Tausende von Seevögeln, die bisher auf Christophoro ihre Nistplätze gehabt hatten, tummelten sich jetzt hoch in den Lüften mit wildem Geschrei, als ob sie den Verlust der einsamen Insel beklagten und nicht begreifen konnten, wohin die Riffe, die Klippen, die Felsen mit ihren sicheren Nistplätzen so jählings verschwunden waren …

Fast rührend war es mit anzusehen, wie dieses geflügelte Volk stets auf neue dorthin suchend hinabschoß, wo jetzt der Ozean sich ausbreitete und nichts mehr darauf hindeutete, daß hier noch vor kurzem der Seewind über Sanddünen, mächtige Steinablagerungen und ab und zu einen grünen Strauch hinweggefegt war … –

Die Milliardärsjacht hatte sich schon bei Beginn der Katastrophe weiter ins offene Meer hinausgeflüchtet, nachdem sie noch die Insassen der Boote und diese selbst an Bord genommen.

Neben der Jacht schwebte jetzt Reling an Reling fest vertäut die Sphinx, so daß die Decks beider Schiffe in einer Höhle lagen …

Und im Speisesaal des ‚Star of Manhattan’ finden wir eine Stunde nach dem Versinken Christophoros die Sphinxleute an langer Tafel zum Abschiedsmahl versammelt, während für die Matrosen und die Legionäre die Tische des Mannschaftsspeisraums im Vorschiff gedeckt waren.

Hier wie dort herrschte die gleiche, ernste wie wehmütige Stimmung …

Wehmütig? – Würde doch auch den Matrosen, die mit Randercild an dem Kampf um Pattersons Festung teilgenommen hatten, der Abschied von den deutschen Gefährten schwer …

In beiden Speisenräumen gab es genau dieselbe schlichte Mahlzeit. Das hatte Randercild so angeordnet. Er wollte nicht, daß jetzt irgendein Unterschied gemacht würde zwischen Hoch und Niedrig, zwischen Herren und Dienern. Heute in dieser Stunde sollten alle sich eins fühlen – wie eine große Familie. Dieselben Weine standen auch auf beiden Tafeln, und der Verwildertste der Legionäre trank aus demselben feingeschliffenen Glase wie der Herzog von Dalaargen etwa …

Eine große Familie … Und das Band, das alle umschlang, dieses unsichtbare der Vergangenheit, wurde wiedergegeben in den längs mit Goldstreifen durchzogenen Tischdecken… Sie lagen sinnbildlich für nicht mehr vorhandene Goldschatz der Azoren!

Im Speisesaal erhob sich Randercild von seinem Stuhl, nachdem die schweigsame Mahlzeit vorüber …

„Mac Lean,“ wandte er sich an seinen Steuermann, „jetzt holen Sie die Leute aus dem Vorschiff her … Stehend werden Sie ja wohl alle Platz finden.“

Der Schotte ging … Und die Matrosen und die Legionäre kamen …

Standen längs der Wände – mit etwas verlegenen Gesichtern …

Ahnten vielleicht, daß der Milliardär ihnen Wichtiges zu eröffnen habe …

Und Randercild begann:

„Zunächst bitte ich euch alle um Verschwiegenheit … Diese Bitte richte ich besonders an meine Leute, die in kurzem Gelegenheit haben werden, die Neugier der Zeitungsberichterstatter kennen zu lernen … Meinen Wunsch an euch möchte ich dahin genauer fassen, daß ihr eure Erlebnisse nicht zu verheimlichen braucht, daß ihr auch getrost angeben können, wie die Schätze verloren gingen … Nur den Ort, wo dies geschah, haltet geheim … Sprecht von einem Gebirgstal, aber sprecht zu niemandem, daß dieses Tal in den Nordwestausläufern des Atlas zu suchen ist. –

Und dann, was ich euch jetzt anvertrauet, soll vorläufig überhaupt unter uns bleiben. Ich weiß, daß ich mich auf euch verlassen kann … Was uns zusammengeschmiedet hat, ist wohl selten Menschen begegnet, unsere gemeinsamen Abenteuer sind etwas, das weit über das Alltägliche hinausragt … –

Ich vertraue euch, und deshalb sollt ihr alle in dieser Stunde erfahren, daß ich mich entschlossen habe, mich aus der Welt, die mir bisher Arbeitsfeld und Schauplatz meiner geschäftlichen Unternehmungen war, zurückzuziehen – für immer … Ich werde alles zu Geld machen, was ich besitze, und meine Milliarden sollen, soweit sie nicht euch die Zukunft sicherstellen werden, der Gründung eines neuen Gemeinwesens dienen, für das ich das nötige Land käuflich erwerben werde. –

Dieser mein Entschluß hat verschiedene Gründe. Ind der Hauptsache wohl, daß ich mich nicht von meinen deutschen Freunden trennen mag … Ich habe mich darauf besonnen, daß mein Urgroßvater noch Deutscher war und schlicht Ränderschild hieß, ein Name, den mein Großvater dann amerikanisierte … – Nicht nur mein Herz, auch mein Besitz gehört den Sphinxleuten … Ich werde mich nicht von ihnen trennen. Alles ist bereits mit dem Grafen Gaupenberg vereinbart. Gleich nachher wird die Sphinx südostwärts steuern und meine Jacht nordwärts – nach Neuyork zurück, wo ich die Beziehungen zu meinem bisherigen Leben lösen will … –

Nun kennt Ihr meine Pläne … Und jetzt, meine Getreuen, verabschiedet euch von dem Grafen Gaupenberg und den Seinen, zu denen fortan auch Graf Schönbrunns Legionäre zählen …!“

Er nahm sein Weinglas …

Hob es hoch empor …

„Noch eins, meine braven Burschen …! Stimmt mit mir ein in den Ruf: ‚Die neue Heimat der Kämpfer um den Azorenschatz, die neue deutsche Kolonie, – – sie soll wachsen, blühen und gedeihen – – hoch, hoch – – und zum dritten Male hoch …!!“

Kaum hatte Josua Randercild jedoch dieses dritte Hoch ausgebracht, kaum war der berauschende Akkord all dieser kräftigen Männerstimmen verklungen, als die Tür zum Schiffsflur aufgestoßen wurde und eine der an Deck zurückgebliebenen Wachen hereinstürmte …

Der Matrose war leichenfahl, zitterte…

Aller Augen hingen an diesem verstörten Gesicht.

Und Randercild war’s, der als erster rasch vor den Mann hintrat und ihn beklommen fragte:

„Was ist geschehen, Tom Speac?! – Zum Teufel, Sie sind doch sonst keiner von denen, die sogenannte Nerven haben!! Also raus mit der Sprache! Was ist los dort oben an Deck?!“

Der Matrose Tom Speac fuhr sich mit dem Zeigefinger über die braune Stirn, auf der Schweißperlen standen … und leckte die trockenen Lippen …

Sagte dann mit einem hilflosen Blick ringsum:

„Mr. Randercild, Sie … Sie werden mich …“

Stockte jäh …

Auf Deck Schüsse … Geschrei …

Und dann das Dröhnen der Schiffsglocke. Alarm!!

Josua Randercild brüllte:

„Nach oben, Freunde! Nach oben!! Dort ist Gefahr im Verzug!! Nach oben!!“

Und er rannte davon. Hinter ihm drein fluteten erregte Männer die Stufen der Schiffstreppe empor …

Da war nicht ein einziger unter dieser Schar, der nicht bereit gewesen wäre, sein Leben ohne weiteres für den Gedanken an ihre Zukunft hinzugeben …

Und als Randercild nun – und dicht hinter ihm Gaupenberg, Hartwich, Nielsen und Dalaargen – oben an Deck angelangte, da erblickten sie im rötlichen Strahlenschimmer der bereits sinkenden Sonne keine fünfzig Meter vor der Jacht und der neben dieser vertäuten Sphinx ein aufgetauchtes großes U-Boot, einen jener Unterseekreuzer, wie die Großmächte sie jetzt in stets drohenderen Abmessungen als ironische Folge des Abrüstungsrummels bauten …

Freilich, welcher Nationalität das U-Boot dort war, ließ sich nicht feststellen, weil es keine Flagge zeigte und weil Name und Nummer am Mittelturm und am Bug dick überpinselt waren …

Selbst die Anzüge der Besatzung, von der etwa fünfzehn Mann an den drei Oberdeckgeschützen standen, verrieten nichts über die Nationalität dieses Kriegsfahrzeuges …

Die Matrosen waren ohne Kopfbedeckungen. Und nur aus der Form und Farbe der Mützen hätte man im Glas gewisse Schlüsse ziehen können …

Offiziere waren nicht zu bemerken. Aber daß einer der Matrosen offenbar ein Vorgesetzter war, der nur aus Berechnung die schlichte unauffällige Manschaftsuiform gewählt hatte, zeigte sich nun sofort, als Randercild hinüberrief:

„Hallo – hier die amerikanische Privatjacht ‚Star of Manhattan’ – Besitzer Josua Randercild, Neuyork … – Weshalb halten Sie Ihre Geschütze auf mein Schiff gerichtet?! Was in drei Teufels Namen wollen Sie von uns?!“

Sofort brüllte einer der fremden U-Boot Männer, – in deutscher Sprache, die freilich einen fremden Akzent hatte:

„Ich befehle Ihnen, mir die Sphinx unbeschädigt auszuliefern … Weigern Sie sich, so wenden wir Gewalt an, und das hieße nichts anderes, als Versenkung Ihrer Jacht mit Mann und Maus! Ich habe schon vorhin Ihren Wachen diese Befehle übermittelt. Ich weiß, daß auf der Sphinx sich jetzt niemand befindet. Der erste Versuch Ihrerseits, etwa mit dem Luftboot aufzusteigen, hätte zur Folge, daß ich meine Maschinengewehre feuern ließe …“

Randercild erkannte recht gut, daß dieser Gegner nicht der Flotte irgeneiner Nationalität angehörte, sondern daß es sich schlicht um Piraten handelte, die es fraglos nur auf die Sphinx als das technisch vollkommenste Luftschiff abgesehen hatte…

Und hinter Randercild flüsterte Gaupenberg jetzt, der das Bedrohliche der Gesamtlage ebenso überschaute:

„Halten Sie den Kerl, der natürlich niemals ein Deutscher ist, einige Zeit hin …!!“

Der Milliardär verstand …

Und formte die Hände vor dem Mund zum Schalltrichter und brüllte von neuem:

„Hallo – ich möchte den Kapitän des U-Bootes persönlich sprechen …!“

Der Matrose von eben erwiderte durch ein mächtiges Megaphon:

„Hier gibt es keinen Kapitän … Wir sind ein freies Schiff, wir tun und lassen, was wir wollen …!“

„Oh – – gut gekräht!!“ lachte der kleine Meck-Meck. „Alles gelogen!! Freies Schiff!! Name und Nummer frisch überpinselt!! Haltet Ihr uns für dumm?!“

Und der scheinbarer Matrose:

„Herr Randercild, das Gleiche frage ich Sie!! Halten Sie uns für dumm?! Sie wollen nur Zeit gewinnen! Ich kenne die Herren, die dort dicht hinter Ihnen stehen … Da sind Graf Viktor Gaupenberg und sein Freund Hartwich, dann der ehemalige Steuermann Gerhard Nielsen, ferner …“

Er schwieg …

Denn einer seiner Leute hatte ihm etwas zugeflüstert …

Und jetzt kam die Stimme des Unterhändlers schrill und drohend durch den Trichter:

„Halt – – halt!! Man will dort die Stahltrossen lösen, mit denen die Sphinx und die Jacht verbunden sind!! Ich gebe augenblicklich den Befehl zum Feuern, wenn nicht umgehend gehorcht wird! Ein einziger von Ihnen, der die Sphinx zu bedienen weiß, geht an Bord des Luftschiffes, – nur einer! Und nur der löst die Trossen! Alle anderen bleiben stehen, wo sie sich jetzt befinden – alle, auch die Frauen! Wird auch nur im geringsten eine Einzelheit dieses Befehls mißachtet, so haben Sie sich die Folgen selbst zuzuschreiben. Der ausgesuchte einzelne Mann wird die Sphinx dann hier neben unsere U-Boot bringen!“ –

Gaupenberg raunte Hartwich sehr hastig zu:

„Georg, sollen wir etwa wirklich die Sphinx diesen Schuften ausliefern?!“

„Wir müssen, Viktor! Bedenke – drüben lauern fünf Maschinengewehre nur auf den Befehl zum Feuern! Wir alle werden niedergemäht, bevor noch …“

Da – eine andere Stimme, – die eines einäugigen Greises, der einst die Sphinxleute mit allen Machtmitteln bekämpft hatte:

„Entschuldigen Sie, daß ich mich einmische, Herr Hartwich …“

Es war Don José Armaro, einstmals Präsident der Republik Patalonia …

Eine gestürzte Größe …

Ein Saulus, aus dem ein Paulus geworden, – einer von den vielen, der durch die Macht des Goldes schließlich doch geläutert worden war …

Und fügte in einem Atem hinzu:

„Graf Gaupenberg, Herr Hartwich, – – an meinem Leben ist nichts gelegen … Ich werde mich opfern – mit Freuden! Ich weiß, daß Sie beide lieber die Sphinx vernichtet als in der Gewalt fremder Machthaber sehen …! Wir müssen entweder gehorchen oder … die Sphinx zur Vernichtung des Feindes verwenden … Lassen Sie mich nur machen … Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß mein Plan glücken muß … Gewiß, Ihr Luftboot wird geopfert! Aber – die Gefahr für die hier auf der Jacht befindlichen Personen wird so vollkommen abgewendet werden!“

Er flüsterte noch drei, vier Sätze …

Sein hageres, faltenreiches Greisenantlitz strahlte vor innerer Genugtuung darüber, daß es ihn nun doch noch vergönnt war, den Sphinxleuten seine Kameradschaft durch Hingabe des eigenen Lebens zu beweisen.

Gaupenberg drückte ihm die Hand …

Desgleichen Hartwich …

Stumm und unauffällig …

Und dann, getreu seiner übernommenen Rolle, stieß José Armaro die beiden Freunde zur Seite, als ob sie soeben in ernstere Meinungsverschiedenheiten geraten seien …

Brüllte laut:

„Machen Sie mir Platz …!! Endlich – endlich ist der Augenblick da, wo ich mit Ihnen abrechnen kann!!“

Und auch Josua Randercild drängte er nun von der Reling hinweg, brüllte dem gegnerischen Matrosen zu:

„Hallo – hier der Expräsident von Patalonia …! Hier Don José Armaro! – Sie wissen wohl, wie übel mir die Sphinxleute mitgespielt haben! Nur ihnen verdanke ich’s, daß ich heimatlos geworden bin! Nur ihnen! Und es gibt keinen Menschen auf Erden, den ich so sehr hasse wie den Grafen Gaupenberg!! – Ich werde Ihnen die Sphinx bringen, ich, José Armaro! Ich kenne das Luftboot, weiß damit Bescheid! Sorgen Sie nur dafür, daß mich keiner hier irgendwie hindert!“

Und der Mann von drüben brüllte durch das Megaphon:

„Stimmt, – Sie sind José Armaro und damit glaubwürdig! – Fürchten Sie nichts … Ich werde die Kerle schon von Ihnen abzuwehren wissen!!“

Alle die, die nichts von der raschen geheimen Zwiesprache Armaros mit Gaupenberg und Hartwich ahnten, – all diese Männer hier auf dem Vorderdeck der Jacht hätten sich am liebst auf Armaro gestürzt und ihn in Stücke zerrissen …

Ein einziger Wutschrei aus zahlreichen Kehlen erscholl …

„Verräter – – Lump …!!“

Armaro stand schon allein an der Reling …

Um ihn her ein Halbkreis grimmer Gestalten …

Auch Gaupenberg und Hartwich spielten Komödie …

Hartwich rief, – laut genug, daß es bis zum U-Boot hinüber zu hören war:

„Ich habe Ihnen nie getraut, Armaro! Nie!“

Und dann abermals der Chor zorniger Stimmen:

„Verräterschwein!!“

Von drüben nun der Unterhändler durch das Megaphon:

„Zurück!! Freie Bahn für José Armaro zur Sphinx!!“

Fast gleichzeitig knatterte das eine Maschinengewehr des U-Bootes, – und eine Kugelsaat pfiff über die Köpfe der Sphinxleute hinweg, als eindringliche Mahnung …!

Armaro schritt an der Reling weiter, bis dorthin, wo Bord an Bord mit dem ‚Star of Manhattan’ die glorreiche Sphinx schwebte …

Trat unbehelligt aus das Deck des Luftschiffes hinüber …

Knotete die Trossenschleifen von den Deckshaken der Sphinx …

Verschwand im Turm …

Die Sphinx trieb mit dem Winde davon …

Und im Turm hielt José Armaro den Hebel des Auftriebs umklammert, schaute starr auf den Spiegel des Sehrohrs …

Merkte, daß das U-Boot, das wohl bisher aus Vorsicht vor Torpedoschüssen der Jacht nicht näher gekommen war als bis auf etwa fünfzig Meter, diesen Abstand nun vergrößerte und langsam weiter zurückfuhr.

Nichts war Don José erwünschter als dies …

Über sein hageres Greisengesicht flog ein fast diabolisches Lächeln …

Die Piraten dort unten, die nicht einmal ihre Flagge zu zeigen wagten, sollten sich wundern …!!

Wer es auch sein mochte, ob Franzosen, Engländer, Japaner, – – dieses U-Boot würde den Heimathafen nie wieder erreichen, niemals auch nur bekannt werden, wie und wo es gesunken …

Und wenn, den Sphinxleuten konnte niemand einen Vorwurf daraus machen. Der Attentäter würde tot sein – mit vernichtet, er selbst, Don José Armaro, jetzt wahrer Freund derer, die er einst als seine Gefangenen mit raffinierter Grausamkeit gequält hatte. Die ihm später nicht nur verziehen – mehr noch, ihn unter sich aufgenommen hatten, ohne ein Wort des Vorwurfs, nur aus einem Gefühl verständnisvollen Erbarmens mit diesen so tief Gesunkenen und später so aufrichtig Reuigen …

Das war’s, was José Armaro in seinem Innern niemals vergessen konnte, die tiefe Beschämung, die er damals empfunden, als Gaupenberg und die anderen ihn in ihrer Mitte aufgenommen hatten! Damals hatte er erkannt, was es heißt, ein Mann von Charakter und Ehre zu sein! Damals hatte er Gaupenbergs Hand gedrückt, ohne ein Wort des Dankes sagen zu können …!

Jetzt konnte er diesen Dank abstatten!

Seine Hand drückte den einen Nebel herum.

Und die Sphinx stieg … stieg kerzengerade empor …

Ihre Propeller arbeiteten, bis sie … genau über dem U-Boot in der Luft hing …

Und dann geschah’s …

Plötzlich senkte sie die Spitze und stürzte herab – aus sechzig Meter Höhe …

So schnell, daß dem U-Boot keine Zeit blieb, diesem unheimlichen Geschoß auszuweichen …

Der Boden der Sphinx zerschmetterte direkt an dem Mittelturm des Unterwasserkreuzers …

Dieser gepanzerte Turm bohrte sich in den Leib des Aluminiumfahrzeuges hinein …

Und – dieses einst so leicht durch die Lüfte zu steuernde Fahrzeug drückte das U-Boot in die Tiefe … Brachte es zum kentern … Und nach wenigen Sekunden schon schlossen sich die Meereswogen über den beiden feindlichen Metallgehäusen …

Luftblasen stiegen an jener Stelle noch empor …

Ölflecke erschienen …

Zerrannen …

Und auf dem Grunde des Atlantik ruhten Sphinx und U-Boot wie in innigster Umarmung – oder wie zwei feindliche Kämpfer, die sich selbst im Tode nicht mehr freigegeben haben … –

Von Heck der Milliardärsjacht aus hatten zahllose Augen dieses Drama mit angeschaut, hatten zahllose Herzen mit bangem Pochen den tapferen Opfertod José Armaros mit verfolgt …

Schon als die Sphinx vom Winde entführt wurde und sich vom ‚Star of Manhattan’ entfernte, hatte Gaupenberg mit ein paar leisen schnellen Worten die Seinen über den wahren Sachverhalt aufgeklärt …

Da war denn die Stimmung im Moment umgeschlagen …

Und jetzt, als die beiden Fahrzeuge versunken, als nichts übrig war als die opalartig schillernden Ölflecken oben auf den Wogen, da war’s der Matrose Tom Speac, derselbe, der vorhin das Auftauchen des U-Bootes hatte melden wollen, – – und dieser Tom Speac brachte jetzt drei donnernde Hochs auf den Expräsidenten aus, der mit der Sphinx in die Tiefe gegangen war …

Drei Hochs, die begeistert aufgenommen worden …

Drei Hochs, die über die Stelle hinwegtönten, wo jetzt die glorreiche Sphinx ihr Grab gefunden hatte … Für immer – – wie der Azorenschatz, den sie einst auf ihren Planken getragen hatte …

Still, Hand in Hand standen da an der Reling der Jacht zwei glückliche Ehepaare …

Gaupenberg und Frau Agnes – Hartwich und Frau Ellen …

Zwei Ehepaare, für die zugleich mit der Sphinx ein bunter Teil ihrer Vergangenheit entschwunden war.

Dicht nebeneinander standen diese vier …

Und das, was sie empfanden, faßte Gaupenberg in die schlichten Worte:

„Der Azorenschatz ist dahin … Auch die Sphinx ging uns verloren … Wir haben sie geliebt, fast wie ein lebendes Wesen … Ohne die Sphinx hätte es keinen Kampf um die Milliarden gegeben, ohne diesen Kampf kein Liebesglück für uns, die wir nun nur noch vorwärts zu blicken haben!“

Kaum hatte Gaupenberg das letzte Wort ausgesprochen, als Randercild lebhaft herbeikam und schon von weitem rief:

„Hallo, Gaupenberg, – soll ich Ihnen nun eigentlich mein Beileid ausdrücken, weil die Sphinx für immer versunken ist, oder soll ich Ihnen deshalb Glück wünschen für die Zukunft?! Ich weiß es wahrhaftig nicht …“

„Das eine ist so unnötig wie das andere, lieber Ränderschild,“ meinte Graf Viktor bei seinem letzten Wort leicht schmunzelnd. „Wichtig ist jetzt nur die Frage, wie wir am schnellsten Nil aufwärts nach der Werter-Farm gelangen …!“

Randercild zuckte die Achseln …

„Das nennen Sie eine wichtige Frage?! Das ist etwas ganz Selbstverständliches! Natürlich bringt meine Jacht uns dorthin! Was sollen wir hier noch auf dem einsamen Atlantik?! Christophoro ist versunken, die Sphinx desgleichen …! Also – – auf nach dem Nil – nach den weiten Steppen an seinen Ufern, auf denen auch ich mein Korn zu ernten gedenke …!“

Und er rief dem Kapitän zu, Kurs auf die Mündung des Mittelmeeres, auf die Straße von Gibraltar zu nehmen …

Die Doppelschrauben des ‚Star of Manhattan’ begannen zu arbeiten …

Das Wasser schäumte unter den kreisenden Metallflügeln auf …

Das Meer war in flammende Röte getaucht … und als die Jacht dann über die Stelle hinwegglitt, wo die Sphinx ihr Grab gefunden, warf Agnes Gaupenberg eine mit einem Stück Eisen beschwerte deutsche Flagge über Bord … Die sank hinab zur glorreichen Sphinx Graf Gaupenbergs …

Und an Deck der Jacht spielte die Matrosenkapelle gleichzeitig das Deutschlandlied …

 

36. Kapitel.

Die neue Heimat.

Fünf Tage später …

Da glitt Josua Randercilds weiße Luxusjacht den heiligen Srom der alten Ägypter hinauf …

Vorüber an all den Wundern einer uralten Kultur … an dem Riesenmoment der steinernen Sphinx … an Säulenresten von Tempeln und Palästen …

Als die Ruinen von Memphis in Sicht kamen, da hatte Agnes die kleinen Noris Morton im Arm, stand auf dem Promenadendeck und zeigte demKinde die Städte, wo der Waise dahingegangene Eltern sich einst kennengelernt hatten …

Diese kleines Szene hier auf dem Promenadendeck, die ebenso schlicht wie rührend war, hatte einige Zuschauer gehabt, die nun näher herantragen und gleichfalls dem verwaisten Mädelchen durch herzliche Worte ihre Anteilnahme und zärtliche Fürsorge bekundeten …

Da waren zum Beispiel Graf Felix Schönbrunns und Isolde Burger, zwei Menschen, die eine wunderbare Schicksalsfügung wieder vereinigt hatte … Da waren Gerhard Nielsen und seine frische, kecke Gipsy … Und da waren auch Mafalda und Baron Gußlar … Alles glückliche Liebespaare, die nur zu gut begreifen konnten, daß der Forscher Morton sein Weib niemals hatte vergessen wollen, und daß der Tod in der Isis-Grotte für ihn nur eine Erlösung bedeutet hatte …

Mafalda nahm Agnes das Kind aus den Armen und drückte es samt an die eigene Brust …

Sagte dabei: „Du, kleiner Noris, bis das jüngste Mitglied der neuen Kolonie …! Du sollst es gut haben …! Wir alle lieben dich – wir alle!“

Und das Mädelchen krähte vergnügt in den strahlenden Sonnenschein hinein, ahnungslos, daß seine Eltern hunderte von Metern unter dem Meeresboden in den jetzt wassergefüllten geheimnisvollen Tiefen einer für immer unzugänglichen gewordenen Grottenwelt ruhten.

Zu der Gruppe trat jetzt Josua Randercild …

Rieb sich schmunzelnd die Hände …

Meinte: „Wie?! So ernste Gesichter ringsum?! Weshalb denn das?! Ich bitte Sie, liebe Freunde, es liegt doch nicht der geringste Grund dafür vor. Dort – – schauen Sie, wie poetisch sind diese Nilschiffe mit den spitzen Segeln, diese fernen Gebirge, und dort auf der anderen Nilseite drüben die Wüste …! – Oh – der Nil hat schon seine Reize! Man kann’s begreifen, daß hierhin so zahlreiche Touristen ihre Schiffe lenken …“

Nielsen, der die Fäuste in die Außentaschen seiner weißen Leinenjacke geschoben hatte, fügte halb ironisch hinzu:

„Man kann’s nur nicht recht begreifen, weshalb dort vor uns das englische Flußkanonenboot uns Signale zusendet …! Da – die Flaggen fliegen empor … Und ich als Seemann von Beruf kann Ihnen nur eins sagen, diese Signale gefallen mir nicht! Denn – – wir sollen stoppen und Bord an Bord mit dem Engländer gehen! Das muß etwas unangenehmes zu bedeuten haben!“

Im selben Moment von der anderen Seite des Promenadendeck die Stimme Viktor Gaupenbergs:

„Hallo, Randercild, – hierher …!! Auch Nielsen bitte!“

Die beiden eilten zu Gaupenberg, der mit Dr. Falz und dem Kapitän der Jacht nach dem graublau gestrichenen Kriegsfahrzeuges hinüberspähten …

„Es gibt fraglos einen peinlichen Aufenthalt,“ meinte Gaupenberg zu dem kleinen Milliardär. „Ich verstehe nur nicht, was ausgerechnet ein englisches Kanonenboot uns am Zeuge flicken könnte …! – Nun, wir werden ja hören!“

Gleich darauf lag der ‚Star of Manhattan’ hart neben dem Kanonenboot ‚Belfast’.

Zwei Offiziere kamen auf die Jacht herüber, schlanke, sonnengebräuntem Herren von kühler Höflichkeit …

Stellten sich vor … Der eine war der Erste Offizier der ‚Belfast’, Sir Gordonner …

Und der erklärte nun Randercild und den übrigen Herren:

„Eine drahtlose Depesche aus Kairo hat uns angewiesen, Ihre Jacht nach Chartum zu begleiten, wo wir weitere Befehle abwarten sollen … Zu meinem Bedauern kann ich Ihnen keinen Aufschluß darüber geben, weshalb diese Maßregeln gegen Sie angeordnet worden sind, denn – ich weiß es nicht, oder doch nur so viel, daß Sie Leute an Bord haben, deren Auslieferung verlangt werden wird. – Ich habe die Ehre, mich wieder zu empfehlen …“

Und die beiden Engländer kehrten an Bord des ‚Belfast’ zurück …

Kein Wunder, daß der nervöse, leicht reizbare Randercild vor Wut fast platzte …

„Unerhört!“ meinte er zu Gaupenberg und Nielsen … „Männer sollen wir ausliefern?! Wen denn in drei Teufels Namen?! Und weshalb?!“

Graf Felix Schönbrunn sagte da mit aller Offenheit:

„Uns!! Lieber Herr Randercild, ich fürchte, daß es sich hier lediglich um einen Vorwand handelt, das also wir desertierten Legionäre es in, die den Engländern den Vorwand liefern, sich in Wahrheit näher mit … den Sphinxleuten zu beschäftigen! Ich bin überzeugt, daß man an Bord des ‚Star of Manhattan’ den Azorenschatz in einem Versteck vermutet! Besinnen Sie sich nur, wie die Beamten bei der Zollrevision in Alexandria über jeden von uns genaueste Auskunft verlangten! Schon das war sehr merkwürdig …“

Gaupenberg nickte … „Ja, es gab auch mir sehr zu denken! Nur kann ich nicht recht glauben, daß …“

Er schwieg plötzlich …

Und aus gutem Grund …

Denn neue Dinge ereigneten sich, die alle bisherigen Vermutungen hinfällig machten …

Inzwischen war nämlich das Kanonenboot vorausgedampft und hatte, als es einem großen Segler ausbog, das Pech gehabt, in eine jener treibenden Schilfinseln hineinzugeraten, die unfehlbar jede Schiffsschraube lahm legen.

Die ‚Belfast’ hatte daher auch sofort ihre Maschinen gestoppt und trieb nun rückwärts mit dem Strom auf die bisher gehorsam folgende Jacht zu …

Der Kapitän des ‚Star of Manhattan’ hatte schleunigst Befehl gegeben, dem Schilffelde auszuweichen … Und gerade als Gaupenberg so mitten im Satze abgebrochen hatte, war an Bord des Kanonenbootes ein Signalschuß ertönt, der im Verein mit den wehenden Signalwimpeln die Jacht zu sofortigem Stoppen aufforderte …

Randercild lachte jetzt schadenfroh, als er sah, wie man auf der ‚Belfast’ sich abmühte, das gefährliche Schilfanhängsel loszuwerden …

„He – Gaupenberg!“ rief er dem Grafen zu … „Was meinen Sie, – ob wir einfach auskneifen?! Meine Jacht läuft mindestens acht Knoten schneller, und ehe die Herrschaften ihre Geschütze scharf geladen haben, sind wir dort hinter jener Insel in Sicherheit …“

Gaupenberg blickte Dr. Falz und Nielsen zweifelnd an.

Doch Nielsen schüttelte energisch den Kopf …

„Nur das nicht!!“ erklärte er. „Im Gegenteil, ich würde dringend raten, mit der ‚Belfast’ vorläufig zusammenzubleiben, denn dort unter der Flagge am Heck hängt noch eine zweite, und das ist das Banner des Generalgouverneures des englischen Sudangebietes. Mithin muß sich der Mann an Bord der ‚Belfast’ befinden, und so hätten Sie, lieber Randercild, hier gleich die beste Gelegenheit, mit diesem Herrn über den Ankauf des Siedlungsgebiets zu verhandeln, denn der Generalgouverneur ist dafür zuständig …“

„Bravo!“ meinte Randercild fast begeistert. „Bravo, – also dann wollen wir hier Kavaliere spielen und die ‚Belfast’ aus ihrer unangenehmen Lage befreien. Mit zwei Schleppankern reißen wir das Schilffeld leicht auseinander …“

Es geschah …

Die Offiziere des Kanonenbootes rechneten es den Amerikanern offenbar hoch an, daß diese sich so ohne jede Aufforderung als Helfer gezeigt hatte

Randercilds Anfrage, ob er den Generalgouverneuren sprechen könne, wurde daher auch sofort diesem hohen Regierungsbeamten übermittelt, der dann Randercild, Gaupenberg und Hartwich an Bord der ‚Belfast’ einlud.

So fand Gaupenberg dann Gelegenheit, Lord Cecil Faragon in Kürze alles nötige über den endgültigen Verlust der Milliarden und – etwas abgeändert auch über den Untergang der Sphinx mitzuteilen …

Lord Faragon hörte still zu …

Nun zuweilen warf er einen prüfenden Blick in Gaupenbergs energisches Gesicht …

Dann begann Randercild zu sprechen …

Er bot der Verwaltung des Sudangebietes hundert Millionen Dollar für die Lichtung, auf der die Werter-Farm lag und für die Savannen ringsum von fünfzig Quadratmeilen an …

Lord Faragon überlegte nicht lange. England machte hier ein glänzendes Geschäft. Was lag an einem Stück Wildnis, das eine Schar deutscher Abenteurer urbar machen wollte?! –

Der Kaufvertrag kam zustande. Inzwischen war auch Farmer Heinrich Werter mit seinen Söhnen herbeigerufen worden, um die genaue Lage der Lichtung anzugeben.

Der Vertrag wurde unterzeichnet, und Randercild überreichte Lord Faragon einen Scheck über hundert Millionen Dollar – sicher die höchstdotierte Anweisung, die dieser Beamte je in der Hand halten würde.

Dann erklärte der vornehme Engländer noch, daß er dafür sorgen würde, daß der ‚Star of Manhattan’ ungehindert seinen Weg fortsetzen könnte, – wodurch er indirekt zugab, daß John Bull es also doch letzten Endes auf den Azorenschatz abgesehen gehabt hatte.

Und drei Stunden drauf konnte die Jacht, nachdem das Kanonenboot mit der englischen Gesandtschaft mit Kairo verschiedene Funksprüche gewechselt hatte, sich von der ‚Belfast’ verabschieden …

Flaggensignale wurden noch einmal ausgetauscht … Man winkte sich zu … und schied als beste Freunde …

Jetzt herrschte auf der Jacht allseits eine fast ausgelassene Stimmung … Sehr rasch hatte sich die Kunde verbreitet, daß das neue Siedlungsgebiet nun unbestreitbares Eigentum der Sphinxleute geworden …

Und wieder zwei Tage später lag die Jacht an einem größeren Dorfe am Ufer des Nil vor Anker …

Morgens war’s …

Ein endloser Troß von Last- und Reitkamelen, die die Siedler westwärts durch die Savanne zur Werter-Farm bringen sollten, war zusammengestellt worden …

Gaupenberg verabschiedete sich an Bord der Jacht als letzter von Randercild …

Hielt dessen Hand fest umklammert …

„Also auf Wiedersehen, lieber Ränderschild …!“ er schmunzelte wieder. „Wenn Sie in drei Monaten sich wieder mit uns vereinen, hoffe ich Ihnen bereits eine Mustersiedlung zeigen zu können …! Und – vergessen Sie die Hauptsache nicht! Bringen Sie deutsche Mädchen mit! Wenden Sie sich am besten in Berlin an einen Frauenverein, der Ihnen die nötigen auswanderungslustigen gesunden Mädchen ausweist …! Des Grafen Schönbrunns Leute müssen doch beweibt werden!“

Randercild nickte sinnend …

Neben ihm stand der tüchtige Steuermann Mac Lean …

Und der Milliardär nagte nachdenkliche an der Unterlippe …

Wandte sich dann an Mac Lean …

„Hören Sie mal, – ich werde Ihnen Vollmacht geben … Generalvollmacht sozusagen … Ich habe hier alles kurz für Sie aufgezeichnet, was geschehen soll. Sehen in drei Teufels Namen nicht ein, weshalb ich jetzt selbst mit nach Neuyork soll?! Ich habe zu Ihnen volles Vertrauen, lieber Mac Lean … Sie werden die Sache schon befingern …! Lassen Sie also meine Sachen aus der Kabine nach oben schaffen … Ich bleibe mit den Sphinxleuten zusammen!“

Gaupenberg sagte sinnend …

„Weiß Gott, lieber Josua, Sie müssen uns wirklich sehr, sehr lieb gewonnen haben …!! Das … freut mich!“

So kam es denn, daß der ‚Star of Manhattan’ ohne Josua Ränderschild davondampfte …

Um sieben Uhr morgens setzte sich dann die große Karawane in Marsch. Voran ritten die drei Werters, Vater und zwei Söhne …

Sehr bald bog die Karawane aus der baumreichen Uferregion in die Steppe ein … In diese wundervolle afrikanische Steppe mit dem mannshohen Gras, mit den Rudeln von allerlei Wild.

Das war die Savanne, die sich bis zum Sumpfgürtel der Werter-Farm erstreckte …

Nichts mehr von dem Brand war dieser ungeheuren welligen Graslandschaft anzumerken, der als unmittelbarere Folge des großen kosmischen Ereignisses, der Kometenbegegnung, hier gewütet hatte …

Nichts …

Denn diese Steppe ist wie ein Zauberland … Ein einziger Regen genügt, dem versengten Boden neuen Pflanzenreichtum zu entlocken … In zwei Tagen erreichen die Gräser Kniehöhe … In fünf umspielen die Spitzen die Schultern eines wandernden Mannes, und wenn anderthalb Wochen vergangen sind bietet die Savanne genau dasselbe Bild wie vordem …

So schlängelte sich denn der Zug unter der ortskundigen Führung der drei Werters dem fernen Ziele zu …

Es folgte die mühsame Durchquerung des Sumpfgürtels …

Und dann kam – – die meilenweite fruchtbare grüne Lichtung mit ihren eingestreuten Hainen tropischer Bäume, ihren Felspartien, Flüßchen, Bächen und blanken Seen.

Das war nun ihre Heimat!!

Und als man kaum den Sumpfgürtel hinter sich hatte, als in der Ferne im Mittagssonnenschein die Gebäude der Farm zu erkennen waren, da zügelte Gaupenberg sein Reittier …

Er winkte er den Seinen …

Im Halbkreis um ihn herum versammelt hielten nun die Frauen und Männer …

Gaupenberg drehte sich um …

Und von hinten kam Murat, der Homgori, sprang zu ihm mit der bereitgehaltenen Stange und der deutschen Flagge …

Im Nu war hier, wo die Ansiedler soeben den neuen Heimatboden betreten hatten, auf spitzem Bügel der Flaggenmast befestigt …

Gaupenberg nahm den Korkhelm ab …

Rief über die Köpfe der Gefährten hinweg:

„Wir grüßen dich, neue deutsche Heimat! Wir wollen dir treu sein wie wir es der alten Heimat dort im Norden waren! Und treu sein heißt hier für uns … Arbeit – Arbeit – – Arbeit!!“

Man merkte ihm an, wie sehr diese einfachen Worte ihn selbst erregten … Er war blaß geworden … Und langsam neigte er nun den Kopf auf die Brust und schien … zu beten …

Viele taten’s ihm nach …

Alle die taten’s, die in dem gewaltigen Ringen um den Azorenschatz an einen Gott glauben gelernt hatten. Nicht an den Gott, den der Religionshader fanatischer Bekenner gleichsam zerstückelt hat, auf daß jede Religion ihren eigenen Gott habe …

Und selbst Murat, der zottige brave Tiermensch, hatte die kurzen, behaarten Finger ineinander gelegt und schaute starr zur Seite auf seinen Freund Tamsa, der gerade die kleinen Noris in den Armen hielt …

Das Kind sah die wehende deutsche Flagge, lachte laut und reckte die Ärmchen nach dem dreifarbigen Leinen aus … –

So begrüßte Gaupenberg das neue Land … das neue deutsche Land …

Und dann … trieb der alte Heinrich Werter sein Dromedar zu windschneller Gangart an. Hinter ihm drein sprengten seine Söhne, die Tochter …

Denn – – dort im Farmhaus erwartete ja die Mutter den Gatten und die Kinder …

Drei Stunden später war das große Zeltlager rings um die Farm bereits fertig …

Da war die stille Urwaldlichtung nicht mehr einsam …

Er begann bereits das, was fortan der Lebensinhalt dieser Menschen hier in der afrikanischen Wildnis sein sollte, die Arbeit – Ersatz für die verloren gegangenen Milliarden!

 

Schluß.

Monate sind vergangen …

Über der Urwaldlichtung, über der neuen Kolonie Deutschendorf dämmert der Morgen herauf …

Lange Züge von Kranichen streichen von ihren Horsten mit heiseren Schreien dem Nil zu – zum Frühfang …

Im Osten lichtet sich der Himmel immer mehr …

Das blaugraue Halbdunkel, das alle Einzelheiten der weiten Siedlung bisher verwischt hat, muß immer schneller dem Tagesgestirn weichen …

Ein Blockhaus steht da am Westrande des Urwaldes, umgeben von einem kleinen Garten, umfriedet von einem hellen, freundlichen Plankenzaun … Hinter dem Wohngebäude ein langgestreckter Stall … Daneben Viehkraale mit weidendem Schafen, Ziegen, afrikanischen Rindern …

Der Morgenwind läßt die prächtigen Maisfelder rauschen und raunen, verwandelt die breiten Schläge reifen Getreides in ein wogendes Meer …

Die Tür des Stalles öffnet sich …

Murat, der Homgori, verläßt sein Stübchen oben im Stallboden, mustert mit verschlafen blinzelnden Augen den Himmel und nickt dann zufrieden …

Es wird einen klaren, sonnigen Tag geben … Heute will er mit dem Mähen des Weizens anfangen … Heute beginnt die erste Ernte für den Farmer Viktor Gaupenberg …

Der zottige Tiermensch, nur mit ein paar Drillichhosen bekleidet, geht zur Pumpe und füllt einen großen Bottich mit klarem, kühlem Wasser, – taucht Kopf und Oberleib hinein, schüttelt die Tropfen aus dem Pelz und schreitet weiter zu dem Holzturm, der oben das Windrad trägt, die Berieselungsanlage für den trockeneren Teil der Äcker. –

Mit ein paar Handgriffen dreht er das Windrad, bis es zu Surren beginnt, bis dann aus den Tiefen der Erde das belebende Naß in die Holzrinnen fließt und sich überallhin verteilt …

Murat wendet sich dem Wohnhaus zu …

Und als er um die Ecke biegt, steht da im Gärtchen eine schlanke, blonde Frau, ihren Säugling im Arm, und blickt mit blanken, glücklichen Augen in die Ferne, wo nun im gleißenden Lichte der erster Sonnenstrahlen überall ähnliche kleine Farmbauten zu erkennen sind – überall …

Und aus den Schornsteinen dieser Wohnungen zufriedener Menschen quirlt der dunkler Rauch zum Äther empor, kündet die erste Arbeit des neuen Tages, die Tätigkeit emsige Hausfrauen in bescheidenen Küchen …

Murat nähert sich Agnes Gaupenberg, wünscht ihr einen guten Morgen, spielt ein wenig mit dem kleinen Stammhalter des Geschlechts derer von Gaupenberg-Gaupa …

Der kleine Viktor zeigt nicht die geringste Scheu vor dem wilden, bärtigen Gesicht des Homgori, der hier als Gehilfe und Freund der Familie ein Heim gefunden …

„Murat, du könntest einmal in der Küche nach dem Rechten sehen,“ sagt die junge Mutter mit einem lieben Lächeln. „Ich möchte dort hinüber bis zum Hügel gehen … Heute soll ja Mac Lean eintreffen …“

Murat bejaht … „Ich schon wissen,“ meint er froh und nickt eifrig. „Mr. Gaupenberg deshalb vorgestern mit Mr. Hartwich zum Nil hinüberreiten … Wenn Mr. Mac Lean heute kommen, große Fest werden … Oh – – große Fest …!! Aber er kaum vor Abend kommen … Kaum!“

Und er verschwindet im Wohnhaus.

Agnes wandert mit ihrem Kind durch die Felder.

Umspielt von Sonnenlicht …

Träumerisch – in Gedanken versunken …

Denkt zurück an das, was scheinbar bereits Jahrzehnte hinter ihr liegt, an die Abenteuer des Kampfes um den Azorenschatz!

Jahrzehnte …! So kommt es ihr vor … Wie ein Traum voller bunter Bilder …

Doch es ist kein Traum … Es war hartes, blutiges, nervenzerreibendes Erleben … Es waren die Tage und Monate der Prüfung … Es war nur das große Drama des eitlen Goldes, – ein Drama, dessen friedlicher Schlußakt nun hier in der Kolonie Deutschendorf spielt …

Agnes’ reine, gute Augen schauen heute rückwärts in diese ereignisvolle Vergangenheit … Und sehen ein Bild, das sie einst nur als Vision erblickte und das nun doch Wirklichkeit geworden ist, sie selbst als glückliche Mutter, dahinschreitend durch reife Felder … – – wie jetzt!

Sie steht auf dem Hügel …

Und links von ihr naht von der benachbarten Farm eine hohe hagere Gestalt: Dagobert Falz!

Winkt schon von weitem …

Drückt dann Agnes die Hand …

„Guten Morgen, mein Kind … Nun, du hältst wohl Ausschau nach dem Gatten … Wirst dich noch gedulden müssen … – Und der kleine Viktor, – oh, das wird ein prächtiges Bürschlein werden …!“

Der Einsiedler von Sellenheim schmunzelt … Er fühlt sich ja so jung, so heiter …

Und fügt hinzu:

„Ja – meine Mela hat sich wohl im Stillen auch mehr ein Söhnchen gewünscht … Sie soll nur zufrieden sein … Es ist ja noch nicht aller Tage Abend …“

Agnes hat seine Hand in der ihren behalten …

„Onkel Falz,“ meint sie leise, „soeben dachte ich an jene Vision, die du mich einmal schauen ließest, als ich so ganz verzweifelt war … Und heute, wie ich unser Haus verließ und hierher mich wandte, da überkam’s mich wie eine Erleuchtung … Da fühlte ich geradezu, daß diese Vision von damals mit allen Einzelheiten richtig gewesen … Ich habe mein Kind, ich habe einen Gatten, der mich auf Händen trägt, ich habe ein Heim, meine Arbeit, – – ich – – habe das Glück!!“

Dagobert Falz wird ernst … Aber in seinen grauen Augen bleibt der Ausdruck unendlicher Güte …

„Wir alle haben das Glück gefunden …!“ nickt er und deutet mit der Rechten rundum. „Sieh, all diese in freundliches Grün eingebetteten Häuschen … Sieh, die Äcker und Felder, sieh, was wir hier in wenigen Monaten geschaffen haben! Der Segen eines gerechten allgütigen Gottes ruht auf uns und unserer Arbeit! Wenn Mac Lean heute nun mit den neuen Kolonisten und den deutschen Mädchen anlangt, wenn erst all das, was die Jacht uns weiter noch an Notwendigem zuträgt, hier an Ort und Stelle ist und unser Mühen fördern wird, dann mag nach Jahrzehnten in Erfüllung gehen, was wir Sphinxleute erhoffen …“

Er legt sanft den Arm um ihre Schultern …

Zieht sie sanft an sich …

Seine Stimme wird zum geheimnisvollen Flüstern.

Agnes erschauert … blickt empor zum Himmel, wo ein einzelnes helles Wölkchen dahinsegelt …

Und wie gebannt hängen ihre Augen an diesem lichten Gebilde …

Es zerrinnt …

Nimmt neue Formen an …

Ein breiter Strom wälzt sich durch buschreiche Steppe … Und diese Steppe ist besiedelt, – – Farm am Farm … Und am Ufer des Stromes, des alten heiligen Nils, ragen die Umrisse einer ausgedehnten Stadt empor … Von hohen Gebäuden wehen Flaggen … Deutsche Flaggen … Durch breite Straßen wogt geschäftiges Leben …

Vision – – Vision der Zukunft …

Und neben Agnes flüstert der Einsiedler von Sellenheim:

„Jetzt weißt du, was einst sein wird, mein Kind. Deutschendorf haben wir bescheiden unsere Kolonie getauft! Aus diesem deutschen Dorf wird eine mächtige deutsche Stadt entstehen, ein neues Staatswesen, reagiert nach den Grundsätzen, die einzig und allein die richtigen sind: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! – Nicht jene Freiheit, die zur Ungebundenheit, zur Verwahrlosung führt! Nicht jene Gleichheit, die den Faulenzer in den Reihen der Fleißigen duldet! Nicht jene Brüderlichkeit, die den Unwürdigen schützt!“

… Und droben am Himmel segelte jetzt nur wieder das harmlose Wölkchen dahin …

Agnes drückt ihren Sohn fester an die mütterliche Brust …

Sagt feierlich: „Onkel Falz, ich glaube an dieses neue Deutschland hier in der afrikanischen Wildnis! Ich weiß, daß mein Sohn es erleben wird, wie die deutsche Flagge über diesem Teil des Nilstromes flattern wird …! – Onkel Falz, – – das Azorengold wird umgeprägt werden zu dem, was wir dann erschaffen haben, zu dem Ergebnis deutschen Fleißes, deutscher Arbeit, deutscher Tüchtigkeit!“

Und in muntererem Tone:

„So, Onkel Falz, und nun komm bitte mit mir und leiste mir beim Frühstück Gesellschaft … Denn Murat wird sich heute kaum Zeit lassen, in Ruhe den Morgenimbiß einzunehmen. Er will mit der Ernte beginnen, will mit dem Mähen des Weizens beginnen … Gestern abend hat er schon die Sense probiert, und Freund Werter erteilte ihm abermals Unterricht … Oh – Murat ist eine Perle, Onkel Falz … Alles versteht er – alles …“

Sie wendet sich dem Hause zu …

„Meine Mela wird zwar schelten,“ lächelt der Doktor … „Denn sie vermißt mich ungern am Frühstückstisch … – Doch halt – – da sprengt Tom Booder hoch zu Dromedar daher … Der hat’s ja mächtig eilig …! Sollte etwa …“

Der Nahende ruft schon aus der Ferne:

„Hallo, Herr Doktor, – – wir brauchen Sie …! Beim Tonerl, scheint mir, ist es soweit …“

Falz winkt …

„Schon gut, schon gut …!! Und nur kein so ängstliches Gesicht, lieber Booder! Bisher haben die jungen Frauen der Sphinxleute alle auch diese Stunde gut überstanden! Ich hole nur meine Instrumententasche.“

So kommt’s denn, daß Agnes doch allein, nur ihr Kind im Arm, frühstücken muß – draußen vor dem Hause in der grünen Laube.

Murat handhabt bereits die Sense …

Während Dr. Falz einem kleinen Tom Booder den Eintritt in die irdische Welt erleichert …

Und – höher und höher steigt die Sonne … Die Lichtung scheint in Gold getaucht … Und in dieser Überfülle von Licht und Wärme sorgen emsige, kräftige Männer rundum für Gedeihen des neuen Gemeinwesens …

Überall in den Feldern schaffende Gestalten …

Überall heitere Zurufe, das Knarren von schwer beladenen Gespannen, das Klingen von Sensen, Schaufeln, Äxten … Urwaldbäume stürzen … Wurzeln und Zweige vernichtet das lohende Feuer … Neuer Ackerboden wird gewonnen …

Schwitzend und leise fluchend schreitet Josua Ränderschild hinter einem mit Dünger gefüllten Wagen her. Der kleine Meck-Meck ist kaum wiederzuerkennen … Braun wie ein Mulatte … Aber vergnügt, – genau wie sein Fluchen mehr einer übermütigen Stimmung entspringt … – Mit seinem ehemaligen Matrosen Ozzeola und dessen Gattin Mantaxa haust er zusammen … Trifft jetzt auf dem Weg zum Kartoffelacker auf Gerhard Nielsen. Sie begrüßen sich … Nielsen fragt ihn etwas …

Doch Ränderschild, wie er hier nun allgemein genannt wirs meint:

„Mitreiten zum Nil?! Ich danke!! Ich habe keine Lust, mir auf einem Dromedar die Knochen durcheinanderschütteln zu lassen … Was dort am Nil zu erledigen ist, das besorgt Gaupenberg schon … – Wo wollen Sie denn hin, lieber Nielsen?“

„Zu den Werters … Muß mir vom alten Werter nochmals zeigen lassen, wie man eine Sense schärft … Es will alles erst gelernt sein …!“

Und mit heiterem Zuruf trennen sie sich wieder …

Gerd Nielsen wandert der Werter-Farm zu … Sein Weg führt in der Nähe des Blockhauses vorüber, wo Graf Schönbrunn und Isolde Burger jetzt ihrer Liebe leben … Sieht vor der blitzsauberen schlichten Blockhütte Isolde stehen, neben der in einem Weidenkorbe lustig die kleine verwaiste Noris Morton strampelt… Und nicht weit davon hat der treue Tamsa soeben einen neuen Bewässerungsgraben aufgeworfen, stützt sich nun auf seinen Spaten und winkt Nielsen zu …

Der grüßt Isolde, meldet das Allerneueste, daß bei Booders ein kleiner Tom seinen Einzug hält!

Isolde errötet tief …

Blickt zu der kleinen Noris herab, denkt an die Zukunft, – ist sich schon gewiß, daß diese bescheidene Wiege in Monaten ein anderes zierliches Püppchen bergen wird.

Und Gerd Nielsen langt bei den Werters an, deren Farm jetzt den Mittelpunkt der Kolonie bildet, neben deren Wohnhaus ein neues Gebäude aufgeführt worden ist, das man stolz ‚Gemeindehaus’ getauft hat.

Die Söhne des alten Werter sind gerade dabei, vor diesem Haus Tische und Bänke aus rohen Brettern zu errichten, denn hier soll abends das große Begrüßungsfest gefeiert werden – zu Ehren der Ankunft Mac Leans und der neuen Ansiedler, die mit der Jacht die weite Reise bis zum Nildorf zurückgelegt haben … –

Maria Werter reicht Nielsen einen Trunk kühler Limonade …

Maria Werter wird nicht mehr lange hier bei den Eltern und Brüdern weilen. Sie hat sich inzwischen mit einem der ehemaligen Legionäre verlobt … Sie ist heiter und frisch wie immer … lacht, als Nielsen sein Anliegen vorträgt …

„Kommen Sie, – das kann auch ich Ihnen zeigen, wie man eine Sense schärft …! Ja, auch das will gelernt sein!“ –

Noch höher steigt die Sonne …

Klettert bis zum Zenith, verhält und senkt sich langsam wieder …

Und als die Kronen des Urwaldgürtels ihre letzten Strahlen abfangen, da erscheint von Osten, vom Nil her, auf der Pfahlbrücke, die man durch den Sumpfgürtel geschlagen hat, eine endlose Karawane von Dromedarreitern und Lastkamelen …

Da wendet sich Gaupenberg gerade an die grauhaarige Dame, die recht bequem in dem Tragkorb eines Lastkameles sitzt …

„Liebe Mutter,“ meint er mit einem hellen Leuchten in den Augen, „– dort drüben, – dort wohnen Agnes und ich …!“

Und Frau Sanden, Agnes’ Mutter, richtet sich auf, beschattet die Augen mit der Hand und blickt in die Ferne … Sieht nichts, denn freudigen Tränen gleiten ihr über die Wangen … Halb schluchzend fragt sie abermals:

„Also Agnes ahnt nichts, lieber Viktor?“

„Nein – – Nichts!“

Eine andere Stimme da, – die der dicken Schloßköchin Helene, die jetzt gleichfalls wieder bei ihrem geliebten Herrn ist:

„Frau Sanden, das wird eine Überraschung werden …!! Und – welche Freude für Sie, Ihr Enkelchen nun so nach Herzenslust bemuttern zu können …! Und – wie leicht wird’s die junge Gräfin jetzt haben, wenn ich in der Küche wirtschafte …!“

Da ist noch ein Getreuer, der nicht daheim blieben wollte, der Kutscher Johann!

Und der meint: „Was ich von hier so von der Kolonie sehe, ist mehr, als ich erwartet hatte … Nur eins fehlt, Herr Graf, Pferde – – Pferde!! Mit diesem Viehzeug von Dromedaren und Kamelen werde ich mich niemals anfreunden! Pferde müssen wir haben, Herr Graf!!“

„Wird auch noch werden, lieber Johann!“ nickt Viktor Gaupenberg. „Im übrigen, Johann, es gibt keinen Grafen Gaupenberg mehr! Hier bin ich Gaupenberg, Herr Gaupenberg, – – für jeden und für immer!“

Weiter schlängelt sich die Karawane … Die neuen Siedler aus der Umgegend der Gaupenburg, alles junges Volk, das den Schloßherrn einstmals sehr verehrt hat, recken die Hälse, können sich gar nicht genug wundern über diese üppigen Felder, über diese wogenden Massen schnittreifen Getreides …

Mit ernsteren Gedanken begrüßen hier jene deutschen Mädchen die neue Heimat, jene vierzig Erwählten, die Mac Lean mit Hilfe deutscher Behörden zu dieser Fahrt in dem tiefen Sudan hinein geworben hat … Vierzig deutsche Mädchen, auf die die Freier bereits warten …

Die Sonne sinkt tiefer …

Abendrot glüht am Himmel …

Die Kolonie Deutschendorf empfängt die Ankömmlinge mit den tiefroten Farben der Liebe …

Vor dem Gemeindehaus sind die Mitglieder der Kolonie versammelt … Nur wenige fehlen: Tonerl, das liebliche Tonerl, die heute Mutter geworden … Und ihr Mann, der sein Frauchen jetzt zu pflegen hat … Und Isolde und Murat, die über das Wohl zweier Kindlein wachen.

Die Karawane naht …

Agnes Gaupenberg eilt dem Gatten entgegen … Stutzt … Erkennt ihre Mütterlein …

Fliegt vorwärts – in die Arme der zitternden Matrone … –

Stunden später …

Rund um den Festplatz flammen die Fackeln an hohen Stangen, leuchten Laternen …

An langen Tischen sitzen die deutschen Siedler …

Und über ihnen erstrahlt die Sternenpracht des südlichen Firmaments …

Über ihnen leuchtet feierlich am Himmel das Kreuz des Südens …

Dr. Falz hat sich erhoben …

Die lebhaften, frohen Gespräche verstummen …

„Meine Freunde …!“ ertönt des Doktors volle, klare Stimme, „meine Freunde, wir der jetzt uns hier zusammengetan haben, wollen an diesem Abend einen Blick zurück werfen auf die jüngste Vergangenheit, wollen uns nochmals darüber klar werden, daß wir uns als Pioniere zu betrachten haben, als Kämpfer für die Anerkennung deutschen Schaffens! Der Azorenschatz versank … Die Sphinx versank … Christophoro tauchte in den Ozean hinab! Von alledem, um das ihr einst gerungen, ist scheinbar nichts geblieben – nur scheinbar! Denn in unseren Seelen sind jene Schätze gespeichert, die mehr gelten als das klingende Gold. Es sind die Schätze reicher Erfahrungen, es ist die Läuterung durch heiße Kämpfe, es ist der Glaube an die Zukunft unserer Kolonie Deutschendorf! Und dieser Glaube ist gleichzeitig der Glaube an … den Segen unserer Arbeit!!“

Er schweigt …

Alle die Umsitzenden haben sich jetzt gleichfalls erhoben … Und stimmen, getrieben von demselben Gedanken an das ferne Vaterland, das eine Lied an, das zu dieser Stunde, in dieser Stimmung einzig und allein paßt …

Und so klingt es denn über die weite Lichtung hinweg, – das stolze Deutschlandlied, das Lied, das die Zuversicht an neuen Aufstieg, neue Größe der fernen Heimat verkündet …

Und als die letzte Strophe verklungen, hat Viktor Gaupenberg sich heimlich mit seinem geliebten Weibe vom Festplatz entfernt, hat mit ihr den Felshügel neben der Werter-Farm erklommen …

Dort stehen sie nun eng umschlungen …

Schauen hinab auf das bunte Bild der grell beleuchteten, dicht besetzten Tische …

Schauen dann empor zum ausgestirnten Nachthimmel …

Ein einsames Wölkchen segelt wieder über das Firmament hin …

Und Agnes flüstert, sich noch enger an den Gatten schmiegend:

„Viktor, nun sind wir am Ziel …!! Viktor, seit heute Vormittag weiß ich, daß unsere Kolonie einst sich ausdehnen wird bis hinab zum alten Nil … Dieser Fluß war einst der heilige Strom, an dessen Ufern das erste Kulturvolk der Erde wohnte … Er wird jetzt dem fleißigsten Volk der Erde mit seinen murmelnden Wellen ein Loblied singen …!“

Hand in Hand, Leib an Leib stehen sie …

Über ihnen leuchtet das Kreuz des Südens … Das Kreuz der Verheißung …

Und in ihren Herzen ist das stille, große Glück zweier Kämpfer, die nun Frieden gefunden haben …

Es gibt keinen Goldschatz der Azoren mehr …

Es gibt nur noch die Gewißheit, daß diese Stätte gesegnet sein würde durch deutsche Arbeit …

 

* * *