Sie sind hier

Die Geisterburg

 

 

Olaf K. Abelsen

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

Die Geisterburg

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a. d.

Schwedischen von

M. Schraut

 

– Band 6 –

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1929 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.

 

1. Kapitel.

Maleachi schwindelt.

Wo der kleine Lump all den Unsinn her hatte, war nicht festzustellen. Es gehört mit zu Maleachis Eigentümlichkeiten, nur gerade so viel zu erzählen, wie er für angemessen hält. Stiehlt er mir zehn Zigaretten, bekennt er eine, nascht er die Zuckerdose leer, sind’s nur drei Stückchen gewesen, selbst wenn besagte Dose voll war.

Maleachi ist im übrigen seinem berühmten Namensvetter, dem kleinen Propheten, geistig verwandt. Auch er, mein Pferdeboy auf der Ruxa-Farm, weissagt so allerlei. In den vierzehn Tagen, die ich nun hier in Nordaustralien zusammen mit einer Dienerschaft reinblütiger Australneger den hochverehrten „Mussu“ spiele, hat Maleachi fünferlei prophezeit, und alles ist eingetroffen … Zum Beispiel – fünftens, und das war gestern früh, als er mir meine Beinkleider beim Bügeln angesengt hatte und ich ihm dieserhalb einen „Vortrag“ hielt … „Mussu“, sagte er und bewegte die Nüstern seiner Knollennase wie ein schnupperndes Kaninchen, „du nicht mehr lange tragen weiße Tropenanzüge. Ich träumen von langen Ritt und von helle schöne Missu. Du uns verlassen bald.“

„Besitzt du ein Traumbuch, Achi?“ fragte ich mißtrauisch.

Sein Blick verriet mir, daß Traumbücher nicht zum eisernen Bestand seiner Missionsbildung gehörten. –

„Also, mein lieber Achi,“ meinte ich am Abend darauf, nachdem er mir seine phantastische Geschichte erzählt hatte, „du gestattest wohl, daß ich berechtigte Zweifel hege. Du solltest nicht all die alten Nummern des Austral-Magazin lesen, dein Geist wird dadurch allzu stark angefeuert.“

Achi stand vor meiner Bank am Weiher in all seiner verblüffenden Magerkeit und Länge und nachlässiger Ungrazie seiner unsymmetrischen Glieder. Er hob den Affenarm gen Himmel, und der Ärmel seiner Jacke rutschte herab und zeigte seinen tätowierten Unterarm.

„Mussu, das alles wahr sein …“ erklärte er feierlich. „Das alles nur dir erzählen, Mussu, du vielleicht glauben, aber nicht sprechen zu anderen.“

„Das ist der ständige Vorbehalt aller Klatschbasen, mein Sohn: Aber erzählen Sie es nicht weiter, Frau Müller!“

Seine sanften Gazellenaugen blickten mich an, und er schüttelte den Kopf. Er verstand Frau Müllers Vorbehalt nicht. Sein Arm blieb jedoch hochgereckt.

„Mussu, du mich mitnehmen,“ meinte er toternst. „Ich nicht lügen … Ich Christ sein von Mission Walhallow.“

„Du lügst wie ein Heide, und du stiehlst wie ein Rabe, und deine Untugenden sind wie die Eukalyptusbüsche, die alles überwuchern. Deine famose Burg ist Hirngespinst. Geh schlafen.“

Sein Arm sank herab, und seine Mundwinkel zogen sich empor, daß sie den Ohrläppchen bedenklich nahe kamen. Achis Lächeln hat viele Variationen.

„Ich kommen sofort wieder, Mussu …“

Weg war er. Er rennt mit einem Emu um die Wette, und der Emu als australischer Strauß hält für den fünften Kontinent den Schnelligkeitsrekord. –

Der Weiher schimmert silbern im Mondlicht. In seiner Tiefe ziehen in den von Palmen beschatteten Stellen die Leuchtfische dahin. Bell Dingo, Herr der Farm, hat sie für Ethel besorgt. Was würde Bell nicht für Ethel tun?! Bald wird sie seine Frau sein, obwohl er ebenfalls ein Australneger ist. Die Hautfarbe ist ja so gleichgültig. Mein bester Freund war ein brauner Indianer.

Dort drüben steht die große Buche vor dem Mausoleum der Grafen Ruxa. Dort oben jener Ast trug mich, als Bell die Schlinge um den schwarzen Hals hatte und sein Leben nur von der Festigkeit der Maschen eines Fischnetzes abhing. Ab … hing, abhing, – Bell sollte hängen, so wollte es der tolle Bluß. Aber all das ist versunken im Meer der Vergangenheit, Ethel und Bell sind in Sydney, und ich reite und jage hier in der Wildnis und lebe doch inmitten der Kultur. Das Ruxa-Schloß hat elektrisches Licht, und Achi, der kleine lange Prophet, erhitzt das Bügeleisen stets zu stark. Ich habe zahllose Zimmer für mich, und … ich hasse diese Zeichen der Zivilisation, die mich nur an das Einst erinnern, als ich noch die breite Kunststraße wandelte. Von dem, was war, blieb mir nicht einmal der Name. Olaf Karl Abelsens Steckbrief hatte noch Gültigkeit, aber Mr. Elsen, zur Zeit Murray-Farm, Nord-Territorium, kümmert sich den Teufel was um gedruckte Fetzen.

Gestern schoß ich einen Beutelwolf, ein Prachtexemplar. Sie sind selten in den Randgebieten. Achi wird mir das Fell präparieren und mir eine Weste daraus schneidern, eine graubraune mit schwarzen Streifen für die kalten Nächte. Achi kann alles. Nur bügeln nicht. Für seine sechzehn Jahre ist er Allerweltsgenie.

Er kehrt zurück mit Laterne und einem Buch, das ich schon kenne. Es enthält die Mißerfolge seiner photographischen Künste mit Ethels Kamera.

„Mussu, hier sein Bilder …“

„Die habe ich schon angestaunt …“

„Nicht alle, Mussu …“

Er dreht den Deckel des Album nach unten und schlägt das letzte Blatt auf. „Das nicht sehen, Mussu …!“ Seine Karbidlaterne enthüllt sechs Bilder 6:9, alle gleich unscharf. „Das sein Burg, Mussu …!“

Ich beuge mich vor.

„Achi,“ sage ich nach Minuten stillen Staunens, „wie kommst du denn in das Turnbull-Feld?!“

Mein Blick entlockt ihm ein verlegenes Grinsen. „Wolltest du die volle Wahrheit nicht bekennen, weil du Ethels Kamera mitgenommen hattest?“

Er nickt zögernd. „Das so waren, Mussu … Sein ein Jahr her, da mich schicken Missu nach Walhallow, sollen holen allerlei aus Store. Nehmen Pferd und Packpferd, nehmen heimlich Apparat mit und Filmpack und reiten. Mussu wissen: Zwei Tage bis Walhallow, aber ich Zeit haben, Missu Ethel wollen nach Hafen Karumba, und keine Eile. Ich reiten, lassen Packpferd in Store und kommen an Moods-See an Grenze von Turnbull-Feld. Name sein Unsinn, Mussu, Turnbull-Feld sein große Wüste, nur Sand, Sand, kahle Felsen, Salzkräuter, nicht Kaninchen dort, nichts, nichts, nur Sand …“

„Ich weiß, Achi …“

„Du nicht wissen, Mussu … Lehrerin in Missionsschule sagen: Turnbull-Feld große Einöde ohne Wasser, große Hitze, nur Sand, keine Menschen, nur berühmter Engländer einmal da reisen mit Karawane und fast sterben …“

„Ja, der Forscher Sir Ewered.“

„Ja, Sir Ewered … – Ich besserer Forscher, ich mir als Junge schon immer sagen: Dort sein können Gold …“

„Du meinst, weil Dingo durch einen Fund Millionär wurde – verstehe! Weiter …“ Seine Geschichte war ja nicht erfunden. Die Bilder bewiesen es.

„… Ich reiten und dürsten, reiten vier Tage, Mussu, immer nach Südwest …“

„Also mitten durch das Turnbull-Feld, das doppelt so groß wie die deutsche Schweiz ist … – ein Leichtsinn, mein Sohn!“

„Ich dürsten, Mussu, ich sein schon halb verrückt, Pferd stolpern, Pferd Zunge so lang … Dann Pferd abends wieder traben, Wüste tiefes Tal, und in Tal Berge und das, was auf Bilder du sehen … Pferd trinken, ich trinken … Wir sehen Burg, aber große Angst … Wir bleiben in Schlucht, und als Mitternacht kam, da sie kommen wie ich erzählen, zwölf, Mussu, zwölf kommen.“ Er begleitet jedes Wort mit lebhaftesten Gesten, er zittert vor Eifer, mir die Überzeugung beizubringen, daß er nicht lügt. „Mussu, – als Tag nahen, sie gehen wieder weg, und als Sonne scheinen, ich photographieren und reiten zurück … – Wie ich sein zurück hier auf Farm, Mussu, Kanarra mich schlagen mit Riemen, weil umtreiben mich ganze zwei Wochen, Kanarra hatten recht, ich still sein, Bilder fertig machen und schweigen. Du sein erster, der Wahrheit wissen. Burg stehen in Bergen in Turnbull-Feld, und ich dort gewesen, ich schwören. Das sein vor Jahr am dritten September, Mussu … Heute achtzehnter August, Mussu. Vielleicht die zwölf wieder kommen am dritten September … – Wann wir reiten, Mussu?“

Der schwarze Jüngling hatte seine eigene Diplomatie.

Ich schaute nochmals die sechs Bilder an, und ich erwiderte: „Wir werden der Sache auf den Grund gehen … Morgen früh.“

Maleachis Luftsprung war Spitzenleistung …

„Mussu, ich wissen, du Mut haben …!“

„Wer nichts als das bißchen Leben zu verlieren hat, hat immer Mut, mein lieber Achi.“

Die Vorbereitungen übernahm Achi. In der Beziehung war auf ihn unbedingt Verlaß.

Ich saß noch lange auf meinem Lieblingsplatz, und meine Gedanken eilten den Ereignissen weit voraus. Was Maleachi mir heute mit seinem Geständnis beschert hatte, war mehr als er ahnte: Es war der Weg in die neue unbekannte Ferne, es war ein neuer Weg abseits vom Alltag, ein Weg fern der Kunststraße der Zivilisation, es war die Erfüllung einer Sehnsucht nach der Freiheit, wie ich sie lieben gelernt habe: Freiheit, Romantik, Abenteurertum und – – ein dunkles Rätsel als Ziel!

Was taten die zwölf nachts am dritten September inmitten des unerforschten, öden Turnbull-Feldes?!

… Eine schwere Hand legte sich von hinten auf meine Schulter. Ich schrak leicht zusammen.

Kolonel Mallingrott von der Polizeistation Borraloola am Mac-Arthur-Fluß sagte sehr dienstlich:

„Mr. Abelsen, Sie werden keine Geschichten machen, hoffe ich … Gestern erkannte ich Sie im neuesten Fahndungsblatt nach der Steckbriefphotographie wieder. Sie haben wegen Totschlags noch zwei Jahre Zuchthaus in Ihrer schwedischen Heimat abzusitzen, und ich tue nur meine Pflicht, es geht nicht anders …“

Mallingrott war ein guter Kerl. Und ein vorsichtiger Beamter. Er hatte gleich sechs seiner Buschreiter mitgebracht.

„Machen Sie also keine Geschichten,“ wiederholte er zur Sicherheit nochmals. „Sie sind hiermit verhaftet, Olaf Karl Abelsen, und ich weise pflichtgemäß darauf hin, daß alles, was Sie jetzt erklären, gegebenenfalls gegen Sie …“

Mallingrott stoppte.

Er war wie alle guten Kerle ein Schwätzer. Er hätte mir zu allererst Handschellen anlegen sollen. Er hätte auch die Dienstpistole nicht in der Linken halten sollen, und seine Leute wären am Ufer des Weihers besser postiert gewesen, als in den Büschen. Aber alle guten Kerle sind Dummköpfe, und nur die Halunken sind gerissen genug, Worte zu sparen.

Armer Mallingrott! Er hatte es bisher nur mit dem Gesindel der Goldfelder von Mac Arthur zu tun gehabt, und bei denen kam es meist nur darauf an, wer die Pistole zuerst hoch hatte.

Ich war mit einem Satz kopfüber im Weiher verschwunden, und der andere Satz des armen Mallingrott blieb unvollendet.

 

2. Kapitel.

Die rotbraune Wildkatze.

„Du bist eine Perle,“ sagte ich zu dem kleinen Propheten.

Maleachi strahlte. Seine Gazellenaugen verrieten mehr als Worte. Mein Boy war kein Schwätzer.

„Ich nur ihre Pferde sehen, Mussu. Das genügen.“

Unsere Pferde jagten gen Südwest zwischen den Stacheldrahthürden dahin. Und unsere Gäule kamen frisch aus dem Stall, und Mallingrott und die Seinen hatten einen Tagesritt hinter sich.

Wenn der Kolonel gewußt hätte, daß der von Bell Dingo angelegte Weiher einen gemauerten unterirdischen Zu- und Abfluß hatte und daß dieser Zuflußtunnel einen Menschen bequem durchließ und im Parke am Westzaun mit dem Bache in Verbindung stand, würde er Patronen, Zeit und Flüche gespart haben. – Meine Flucht war so einfach wie nur irgendmöglich gewesen. Meine Flucht vor einem Jahre aus dem staatlichen Freiquartier hatte ihre Schwierigkeiten gehabt. Da waren nur zwei Drähte einer Starkstromleitung gewesen, und Seiltänzer spielen ist nicht jedermanns Sache.

„Es wird eine Weile dauern, bevor sie merken, daß du mich mit den Pferden erwartet hast, mein lieber Achi,“ – und ich drückte ihm nochmals die Hand, die recht klebrig war. „Was hast du denn da in die Satteltaschen in aller Eile hineingestopft?“ fügte ich mit einigem Mißtrauen hinzu.

Der Mond schien ihm in das stets schweißglänzende Gesicht … „Oh Mussu, was ich gerade zu packen bekommen …“

„Ein Honigglas scheint auch dabei gewesen zu sein …“

„Vielleicht,“ erklärte er diplomatisch.

„Und Waffen?“

„Dazu keine Zeit, Mussu, leider …“

„Allerdings – leider!! Du bist eine Japanperle, Freund Achi, die sind nämlich billiger …“

Er schwieg. Er schwieg immer, wenn er Ausflüchte für überflüssig hielt. Nur das Schuldgefühl machte ihn beredt, – wie das den meisten Menschen eigentümlich ist.

Ich schaute rückwärts. Das fruchtbare Tal der Farm lag längst hinter uns. Die leeren Hürden wurden seltener. Vor vielen Jahren hatten hier tausende von Schafherden geweidet. Dann hatte ein gewissenloser Schurke die Drehseuche hier mit kalter Berechnung verbreitet und die Tiere waren elend krepiert und der Boden mit Bazillen durchseucht: Die Farm war wertlos geworden, Graf Ruxa erschoß sich, und seine Gattin siechte vor Kummer dahin. Zwei Töchter blieben arm und ohne Freunde zurück. Ein Neger nahm sich ihrer an, und das war Bell Dingo, mein schwarzer Kamerad für aufregende Tage. Damals hatte ich noch ein schwimmendes Heim, damals ruhte meine künstliche Insel noch nicht mit Paloma Ruxa und ihrem Geliebten auf dem Meeresgrunde … Damals, als ich Kolonel Mallingrott kennen lernte, war mein Herz noch belastet mit der unklaren Sehnsucht, die Ethel Ruxa galt, aber Ethel mit den ernsten, wissenden Augen eines jungen Weibes von seelischem Gehalt liebte nur den einen Mann, der ihr allzeit Treue bewahrt hatte …

Ich schaute rückwärts, und für Sekunden kehrte auch mein Denken in die jüngste Vergangenheit zurück … Für Sekunden! Wer erst die Kunst erlernt hat, schnell vergessen zu können, ist Herr seiner selbst. Nur die Schwachen hängen an Erinnerungen: Der Starke ist am mächtigsten allein, – ohne jeden Ballast von Sentimentalität. Wem das Blut gesund durch die Adern kreist, wer das liebt, was der eng begrenzte Raum eigenem Wohlbehagens gebietet, wer mit einem Wort fertig ist mit den Kindermärchen der Selbstlosigkeit, Opferwilligkeit und Hilfsbereitschaft, wird – – vielleicht des Daseins lockende Gipfel erklimmen, jeder nach seinem Geschmack. Mir ist der beißende Schweißgeruch eines heißen Pferdes lieber als das zarte Parfüm einer Seelenfreundin, und ein farbiges Gesicht gilt mir mehr als die verdächtige Phrasenfertigkeit eines „teuren guten Bekannten“. Mann sein ist alles. Mann werden ein Dornenpfad.

– – Maleachi preschte vor mir her. Er kannte den Durchschlupf durch die Zäune besser. Er war hier aufgewachsen, nachdem er drei Jahre „Mission“ hinter sich hatte. Er hing auf seinem Rotfuchs wie ein Sonntagsreiter, aber das Hindernis, vor dem Freund Achi zurückschreckte, mußte erst gesucht werden. Er ritt wie der Teufel, er klebte am Gaul wie eine Zecke am Hunde. Je rasender das Tempo, desto nachlässiger sein Sitz und seine Haltung.

Ein singender Ton neben mir deutete den ersten Schuß an, den die Verfolger sich leisteten. Also hatten sie uns doch aufgespürt. Der Kolonel würde uns kaum schonen. Daß ich ihm vor dem Sprung ins Wasser die Pistole aus der Hand geschlagen hatte, mußte ihn arg verschnupft haben, und daß ich ihn dann noch seinen Leuten vor die Füße warf, – als Kugelfang, hatte ihn mir zum Todfeind gemacht. Mallingrott gehörte zu denen, die nicht großherzig genug sind, eine Notlage anzuerkennen und deren zwangsläufige Folgen zu entschuldigen.

Achi hatte den Kopf gedreht. „Mussu, sehr schlecht das sein, unsere weißen Anzüge …“ rief er zähnefletschend. Dann warf er sein Pferd herum und bog in eine Hürde ein, übersprang den Zaun und lenkte hinter eine Reihe junger Kasuarinenstengel. Das Gelände senkte sich hier, und bald nahm uns ein weites Buschfeld auf. – Achi schonte seinen Gaul. „Trab, Mussu, Trab …!!“ – Auf dem Grunde der Mulde gab es Steingeröll und Strecken sandfreien Felsbodens. Ein Trupp Känguruhs ging flüchtig davon. Die grotesken Sprünge der Riesenbeuteltiere reizten mich immer wieder zum Lachen. Abermals schwenkte Achi nach links ein, und jetzt wurde mir das Gelände bekannter. Hier in der Nähe mußte das Holzkreuz gestanden haben, das Dingo und ich verbrannt hatten. Lord Battinghams Skelett ruhte nun in einem neuen Sarge im Ruxa-Mausoleum, obwohl dieser Mann es gewesen, der den Drehwurm auf die Murray-Farm verpflanzt hatte.

Wir hatten die Farm nach Westen zu umritten und erreichten den Nordzaun des Parkes. Achi glitt aus dem Sattel und warf mir die Zügel zu.

„Mussu, wenn ich nicht sein in zehn Minuten zurück, du allein weiter nach Walhallow. Du nachts gehen zu Storebesitzer Ben, – das sein Mischling und Freund von Bell Dingo und treu. Er dich werden bewaffnen, – er nur haben alte Flinten … Ich holen jetzt neue Waffen …“

Weg war er …

Dieser schwarze Jüngling hätte so manchem weißen Machthaber als Beispiel dienen können. Handeln war bei Achi das Wichtigste, Reden und langatmige Erklärungen haßte er. Zuweilen war es schwer, sich in seine sprunghaften Gedankengänge hineinzufinden.

Ich band die Pferde fest und schritt auf unserer Spur eine Strecke rückwärts, bis ich freies Blickfeld hatte. An eine Buche gelehnt, deren Blätter im Mondlicht unwahrscheinlich violett schimmerten, überschaute ich die große Lichtung. Neben mir flitzten Wildkaninchen durch die Sträucher, und ein Jungtier machte vor mir Männchen und äugte mich neugierig an. – Es hat eine Zeit gegeben, in der die Existenz der großen Farmen in Australien durch die Kaninchen schwer bedroht war. Man ging ihnen mit Feuer, Fallen, Gift zu Leibe, aber erst Doktor Godfroys Kaninchengiftserum mähte diese hunderttausende von allzu fruchtbaren Wildlingen in einem halben Jahre nieder: Die Kaninchenplage war vorüber.

Achi kam nicht. Meine Uhr zeigte zwei Minuten über die vereinbarte Frist. Sollte ich allein gen Walhallow?!

Von Kolonel Mallingrott war nichts zu spüren. Der harte Boden hatte unsere Fährten verwischt.

Es erging mir wie vorhin am Weiher. Eine Hand legte sich leicht auf meine Schulter, – ich fuhr herum und packte zu, und mein Lehrmeister Coy Cala wäre mit mir zufrieden gewesen.

Mit beiden Händen hatte ich zugepackt, und die junge Dame im Cordreiteranzug ließ unter meinem brutalen Griff die Pistole fallen.

Es war Daisy Mallingrott. – Ich hatte sie noch nie gesehen, aber genug von ihr gehört. Der Kolonel hatte rotes Haar, sein Kind einen braunroten Bubikopf und den zarten Teint aller Rothaarigen und des Vaters dunkle große Augen, zum Glück nicht seine Nase.

Daisy war bildhübsch. Alle Farmersöhne vom Roper-Fluß bis zum Hafen Carumbo machten ihr den Hof. Sie lachte sie aus und lebte ihr tolles Leben im Sattel und hinter dem sagenhaften weißen Känguruh drein. Wenn Achi darüber sprach, und er mochte Daisy nicht, grinste er stets niederträchtig, und ich lächelte zweifelnd, denn dieses weiße Känguruh erinnerte mich an Jugendjahre und Indianerschmöker und den weißen Mustang.

„Sie sind roh,“ sagte Daisy empört. „Lassen Sie mich los!!“

„Gern …“ – Ich bückte mich schnell, und ich hatte eine Waffe.

„Geben Sie mir Ihren Karabiner!“ befahl ich liebenswürdig-energisch.

Der hing ihr über die Schulter. Aber sie blitzte mich wütend an. „Niemals!!“

„Wo ist Maleachi?“ fragte ich mit einigem Recht. „Sie scheinen ihn abgefaßt zu haben, und zu meinem Bedauern muß ich gegen diesen Eingriff in meines Freundes persönliche Freiheit protestieren. Bitte – gehen Sie vor mir her!“

Sie zauderte. „Mr. Abelsen, Sie sind verhaftet, und …“

Ein neuer Griff, – ihr Karabiner gehörte mir. – Sie war starr.

„Sie sind ja weit gefährlicher, als mein Vater Sie schilderte!“

„Und Sie weit hübscher, als es für die Grünschnäbel dieser Gegend zuträglich ist. – Gehen Sie!“

„Nein!“ Sie stampfte mit dem Fuße auf, ihre Lippen zitterten …

Ich hatte wirklich keine Zeit, hier Salonkonversation zu führen. Das Gefängnis in Borraloola war zweifellos genau so flohreich wie das Freiquartier in Schweden, und nach einer Untersuchung australischer Wanzenspielarten gelüstete es mich auch nicht.

„Ich werde Sie fesseln,“ sagte ich ganz sachlich.

„Sie sind ein … Ungeheuer!“ sprühte sie mich an.

Das Mädel hatte verteufeltes Temperament. Sie gefiel mir. Als Hausfrau konnte ich sie mir schwer vorstellen.

„Bitte!!“

Und jetzt gehorchte sie. Meine Augen gefielen ihr nicht.

Am Staketenzaun war Achi sehr kunstvoll wie ein Gekreuzigter neben den Pferden festgebunden und hatte im Munde ein duftendes Taschentuch. Am Boden lagen zwei Karabiner, zwei Pistolen, Patronenschachteln und anderes.

„Binden Sie ihn los!!“

Meine Stimme behagte ihr nicht.

Der kleine Prophet war kaum frei, als er auf eine dicke Beule am Hinterkopf zeigte. „Ich springen über Zaun, ich kriegen Hieb und liegen wie totes Kaninchen …“

Dann hatte er mit seinen Affenarmen bereits Daisy Mallingrott nach hinten gerissen. Sie bekam dasselbe Taschentuch in das holde Mündchen, und im Nu war sie am Zaune sicher versorgt. Ihr Vater würde sie nachher schon finden.

„Entschuldigen Sie, Miß,“ sagte ich zum Abschied. „Wie du mir, so ich dir … – es ist das Gesetz der Wüste.“

Sie war unheimlich bleich. Wir ließen ihr ihre Waffen und ritten davon. – Wenn ich damals die Folgen dieses Zwischenspiels geahnt hätte, würde ich mit Daisy anders umgesprungen sein.

Achi schlug nördliche Richtung ein. Wir trabten gemütlich dahin, denn zur Eile lag keinerlei Veranlassung vor.

„Mussu,“ meinte der schwarze Jüngling bissig und belastete seinen Wollschädel, „weißes Känguruh doch vorhanden sein, – du nicht immer lachen müssen, da nichts zu lachen …“

„Zeige es mir …“ warf ich ungläubig ein. „Hier hat jeder Bezirk sein Hausgespenst. Drüben in Burketown fabeln sie von dem riesigen Beutelwolf, in Gregory Nation von dem weißen Emu … Die Menschen müssen etwas zum Schwatzen haben.“

Achi drückte seinen Basthut vorsichtig auf den ramponierten Dickschädel und rauchte sich eine Zigarette an. Natürlich eine meiner Zigaretten. Mein mißtrauischer Blick wurde durch die schlichten Worte abgetan: „Mussu, ich alle Zigaretten mitnehmen, genug da sein.“

Wir kamen durch ein ausgetrocknetes Flußbett. Bis zur Meeresküste waren es von hier nur vier Stunden. Man spürte den Odem des Meeres, und Sehnsucht nach der grünen wogenden Unendlichkeit erinnerte mich auch an mein Eiland, das nun der feuchte Sarg zweier Liebenden war.

„Mussu,“ sagte der kleine Prophet, als ein Waldstück aus der Salzsteppe emporwuchs, „Miß Daisy Mallingrott haben viel Geheimnis …“ Er äugte scharf geradeaus. Seine Sehschärfe war erstaunlich.

„Geheimnis?!“ Ich war nur mäßig interessiert. Dieses rotbraune Mädel, das da wochenlang in der Wildnis sich umhertreiben sollte, hatte mir nicht sonderlich imponiert. Unbeherrschte Naturen wie sie scheitern zumeist. Es war bedauerlich, daß ihr Äußeres und ihr Temperament so wenig Resonanz hatten.

Achi sog an seiner Zigarette und zügelte seinen Gaul.

„Das da vor uns Weg nach Borraloola,“ meinte er leise.

Ich sah die Telegraphenmasten. Die Isolatoren schimmerten blendend weiß.

„Nun – und?!“

„Miß haben Feinde,“ flüsterte der kleine Prophet. „Miß das auch wissen … Aber Feinde sehr schlau …“

„Du meinst, daß da vor uns im Walde Leute sind?“

„Reiter.“

„So?!“

„Ja … drei.“

Ich mühte mich ab, etwas zu sehen. Aber es war umsonst.

Achi schien zu überlegen. Wir hielten hier in einem dünnen Streichholzgebüsch von Riesenschachtelhalmen.

„Du warten, Mussu …“ sagte Maleachi in seiner unübertrefflichen Selbstverständlichkeit.

Diesmal machte ich es umgekehrt.

Du wartest!“ Ich hatte gemerkt, daß er mich auszuschalten suchte. Er hatte bisher noch nie Daisys Feinde erwähnt, und ich witterte irgendeine dunkle Sache, die mir verborgen bleiben sollte.

Ein seltsamer Blick streifte mich. Seine Mundwinkel zogen sich hoch.

„Mussu, die drei sehr schlau …“

„Ich auch …“

Ich schlich zu Fuß nach rechts und kroch dann in den Salzkräutern auf allen Vieren weiter. Auch die breitblätterigen gelben Sackistauden schützten mich gegen Sicht.

Als ich den Wald erreicht hatte, erkannte ich nun auch, woraus Achi auf drei Reiter geschlossen hatte. Unter den ersten Bäumen abseits des Weges waren drei Pferde angebunden, denen man helle Wolldecken übergelegt hatte. Diese Decken mußte Achi bemerkt haben. Europäeraugen sind im Vergleich zu denen der Halbwilden stets minderwertig.

Der sogenannte „Weg“, nichts als ein von Radspuren zerschnittener Sandstrich mit Telegraphenstangen als einseitiger Einfassung, lief hier schräg durch den Buschwald.

Ich schob mich noch weiter vor. Coy Calas Schüler bewährte sich. – Hinter dichtem Gestrüpp lagen drei Männer in englischledernen Anzügen. Sie hatten Snidersbüchsen auf den linken Unterarm gelegt, und ihre ganze verdächtige Stellung ließ nur den Schluß zu, daß sie Daisy und ihrem Vater auflauerten.

Sie sprachen halblaut miteinander, und als ich mich noch näher wagte, vernahm ich von dem Mittleren die denkwürdigen Sätze:

„Haben wir sie, haben wir auch alles andere …!“

Vielleicht hätte Mr. Austin Gorrand noch mehr hinzugefügt, aber es geschah etwas, das selbst mir den Atem benahm.

 

3. Kapitel.

Ein Mann von einst.

Ein dumpfes Sausen in der Luft hätte mich vorbereiten müssen. Ich schrieb es, zumal meine Aufmerksamkeit ausschließlich den drei Männern gegolten hatte, einem jener plötzlichen Luftwirbel zu, die hier in Nordaustralien vielleicht auf den starken Unterschied zwischen Bodentemperatur und heißen Strömungen in oberen Schichten zurückzuführen sind. Diese Luftwirbel, an sich harmlos, da ihre Saugkraft gering bleibt, verursachen Geräusche, die entfernt dem matten Schnurren eines mit abgestelltem Motor niedergehenden Flugzeuges gleichen.

Das Sausen wurde stärker, und Austin Gorrand und seine Gefährten hoben die Köpfe.

Ich auch.

Austin Gorrand kannte ich von Ansehen. Er war der Sohn des nächsten Nachbars der Murray-Farm, und als ich ihm einmal bei der Jagd begegnete, war er mir in auffälliger Weise ausgewichen.

Mit Splittern und Krachen bahnte sich ein Doppeldecker den Weg durch die Baumkronen. Einen Augenblick war ich wie gelähmt, sprang dann gebückt zurück und sah die große Maschine hart über die drei Männer hinweg in dünneres Gestrüpp gleiten und ohne weiteren Unfall landen.

Im Nu waren aus der Innentür des spindelförmigen Rumpfes mehrere Leute auf den Boden geklettert, die sofort den neugierig näherkommenden drei Wegelagerern in unzweideutigster Weise Pistolen vor die Brust hielten, – das Allerweltsbanditenkommando „Hände hoch“ vervollständigte diese mit modernsten technischen Fortbewegungsmitteln erquickte Wildwestszene, und im Handumdrehen waren die drei gebunden, an Bäume gefesselt und mit Gesichtskappen versehen, die verzweifelte Ähnlichkeit mit Servietten hatten, denen man durch flüchtige Nähte diese zweckentsprechende Form gegeben.

Jetzt erst sah ich, – bisher hatte mir das Halblicht dies verborgen –, daß die schweigsamen, geschäftigen Insassen des großen zweimotorigen Vogels sämtlich tadellose Smokinganzüge und mächtige schwarze Vollbärte trugen, ferner dunkle Hornbrillen und leichte Windjacken, die freilich die Seidenaufschläge der Smokings deutlich erkennen ließen. Es waren acht lackbeschuhte Herren, und daß im Flugzeug noch einige vorhanden, bewiesen die Zurufe, die sie von draußen nach drinnen tauschten, und dröhnend tönende Hammerschläge: Man beseitigte in aller Eile eine Motorpanne. –

Ich bin kein Romantiker der Abseitswege, und diese ganze Szene in ihrer spukhaften Unwahrscheinlichkeit hätte mir, wenn nur geträumt, nach dem Erwachen ein Lächeln entlockt. Nichts war Traum. Alles greifbare Wirklichkeit. Keine zwanzig Schritt vor mir lag das graublaue Ungetüm in den Büschen, – die Smokings eilten hin und her, Austin Gorrand und seine beiden Freunde standen an den Bäumen, – die Motoren knatterten, setzten wieder aus, – Fäuste, die wohl selten Buschmesser geschwungen, schlugen dem Riesenaar freie Bahn, und – – ich, Olaf Karl Abelsen, dachte an die Goldtransporte durch Flugzeuge, die von den Claims von Kellys Creck neuerdings der Ersparnis halber zum Nordhafen Palmerston gingen.

Ein Goldtransport im Smoking?!

Ich lauerte hinter meinem Gestrüpp mit entsichertem Karabiner. Mich würden die Herrschaften nicht so leichten Kaufes zur Baumzier degradieren. Ich schätzte, blaue Bohnen würden verdammt bitter schmecken, und ich war gerade in der nötigen Stimmung, mich lediglich durch Pulver und Blei mit denen da zu verständigen. Es bleibt das stets die wirksamste Politik, wenn man hinter sich einen Steckbrief und Kolonel Mallingrott nebst Tochter weiß.

Lautlos schob sich der kleine Prophet neben mich.

„Mussu, große Sache!!“ sagte der kleine Prophet gedämpft. „Das sein ein Donger-Doppeldecker aus Croktown von York-Halbinsel …“

Jetzt schienen die Motoren nicht mehr zu streiken, denn einer der Herren zerschnitt Austin die Handfesseln, der Vogel rollte an und erhob sich in glänzender Fahrt wieder zum Nachthimmel.

Freund Achi zupfte mich am Ärmel. „Mussu, besser sein, wir verschwinden. Was hier wollen?! Austin Gorrand sein schlimmer Mensch, Mussu … Er Daisy Mallingrott sehr lieben, er von ihr immer sein schlecht behandelt, sie ihn lachen aus, sie lieben anderen Mann, ich das wissen …“

Ich blieb. Austin befreite die beiden anderen, und ich wollte unbedingt feststellen, was sie hier beabsichtigten. Von unserer Anwesenheit hatten sie noch immer keine Ahnung.

Austin, ein hagerer Hüne mit verwegenem Gesicht, blickte dem Flugzeug nach, das nach Nordwest steuerte, also anscheinend den Hafen Palmerston erreichen wollte.

Er schüttelte drohend die Faust. „Das sind sie wieder,“ sagte er in verbissener Wut. „Das ist nun das dritte Mal, daß ich diesen Doppeldecker beobachte, das dritte Jahr … All die anderen Flieger sind Goldtransporte, nur diese große Kiste trägt menschliche Fracht. Ich frage euch, Boys, – wer sind die Leute?! Diesmal mußten sie notlanden, sonst verfolgte ich sie nur mit dem Glase, aber es ist immer derselbe Apparat, immer fahren sie ohne Lichter, immer – all die drei Male einschließlich heute – beobachtete ich diese Luftfuhre am selben Tage: heute ist der neunzehnte August, wenn auch erst seit anderthalb Stunden.“

Seine Begleiter kannte ich nicht. Es mußten jedoch gleich gleichfalls Farmerssöhne sein.

Wieder mahnte da der kleine Prophet zum Rückzug, und jetzt gab ich nach, denn Austin Gorrand war sichtlich verärgert, und seine Unternehmungslust, mochte sie anfänglich auch noch so zügellos und unsinnig gewesen sein, war verpufft. „Lassen wir es für eine bessere Gelegenheit,“ erklärte er, – und damit war es für uns beide höchste Zeit zum Verschwinden.

Als wir nach eiligem Rückweg unsere Pferde erreichten und uns in den Sattel schwangen, fragte ich meinen Freund Achi, wer Austins Gefährten gewesen. Er zögerte merklich … „Mussu, Miß Daisy spielen schlechtes Spiel mit Männern … Ich schon sagen: Miß haben Feinde, die beiden sein auch reiche Söhne von Farmern von Borraloola-Distrikt, sein gewesen wie Hund und Katz die drei, Mussu, – immer so, wenn drei lieben eine Missu. Aber als Missu sie führen am Narrenseil wie gezähmte Emu, da sich versöhnen, und nun wollen sehen, was Missu treiben, wenn viele Tage in Wüste ganz allein reiten. Ich das nicht wissen, keiner wissen, aber ich ahnen.“

„Was?!“ Ich schaute Achi scharf an. Der kleine Spitzbube verheimlichte mir etwas.

Er zog die dicken Nüstern kraus, als ob er niesen müßte. Meine Frage mißfiel ihm.

„Ich ahnen, Mussu,“ erklärte er nachdenklich, „daß Daisy Mallingrott sich treffen in Turnbull-Feld mit Mann, den sie lieben, sehr lieben, Mussu,“ betonte er wichtig. „Müssen Mann sein, der sich nicht dürfen zeigen, der gehören zu den Dippers (Goldgräbern), die nicht wollen verraten ihren Claim (Fundstelle) und erst abbauen ganzen Claim, Mussu. Das so machen viele, gehen als Prospektors in Wüste, finden Goldader oder Goldsand, bleiben dort, graben und sieben, verstecken Körner irgendwo und sein manchmal erst zurück nach Jahren, dann lassen holen Gold mit Polizeibegleitung, sein reich und fahren über große Wasser nach weiße Länder …“

Achi hatte direkt östliche Richtung gewählt. Wir ritten Galopp, und da der Mond immer tiefer sank und der Übergang zur Morgendämmerung mindestens anderthalb Stunden Dunkelheit bringen mußte, schwenkten wir sehr bald nach Süden und dann nach Südwest ein. – Es war recht kalt geworden, und unsere Leinenanzüge eigneten sich für diese Temperatur sehr wenig. An den Gräsern und Büschen glänzten Tautropfen, zuweilen erhob sich urplötzlich ein Luftwirbel, fuhr fauchend und brausend vorüber und sank wieder in sich zusammen.

Ich mußte all das, was ich heute von Achi an seltsamen Dingen vernommen und zum Teil miterlebt hatte, erst im Geiste etwas ordnen. War schon Achis merkwürdige Geschichte von der angeblichen Burg – den Bildern nach konnte es sich vielleicht auch um ein Naturgebilde aus sehr hellem Sandstein handeln, obwohl gerade Sandstein in Nordaustralien meines Wissens kaum anzutreffen war – schon diese „Burg“ und Achis andere Beobachtungen, die mit ihr zusammenhingen, waren so ausgesprochen phantasieanregend, daß man daraus zu den mannigfachsten Vermutungen gelangen konnte. Und jetzt noch all das Übrige! Da waren drei abgeblitzte Freier eines rassigen, wilden Mädels, das, halb junge Dame, halb Naturkind, ganz allein die Einöden besuchte und dort viele Tage sich aufhielt – wo?! Da waren diese drei Bewerber, nunmehr zusammengeschweißt zu dunklem Bunde gegen die rotbraune Daisy. Was beabsichtigten sie?! Da war das Flugzeug mit den maskierten Gentlemen, und gerade diese Leute erschienen mir am rätselhaftesten. Was war ihr Ziel?! Austin Gorrand hatte sie heute zum dritten Mal beobachtet. Heute – immer am selben Tage, besser in derselben Nacht. Woher kamen sie?! Ihrer Kleidung nach waren sie reich, und für ihre Wohlhabenheit sprach auch ihr Doppeldecker. – Ging man den Dingen weiter nach, so mußte man unbedingt zu der Überzeugung gelangen: Diese Gentlemen wollten um keinen Preis erkannt werden, deshalb hatten sie Austin und seine Freunde rasch überwältigt und ihnen die Kapuzen über die Köpfe gezogen! Waren es die zwölf Gestalten, die Achi in die Burg und nach Stunden aus der Burg hatte wandeln sehen?! Vermummte Gestalten, hervorgezaubert wie aus einem der unheimlich phantastischen Romane E. T. A. Hoffmanns?! Ich kannte Hoffmanns Schriften, meine deutsche Mutter hatte mich deutsche Literatur lieben gelernt. Ich dachte an seine „Elixiere des Teufels“, und diese nachgelassenen Papiere des Bruders Medardus, eines Kapuziners, hatten mich als Jüngling in obstatische Erregung versetzt.

„Gern möchte ich dich, günstiger Leser, unter jene dunklen Platanen führen, wo ich die seltsame Geschichte des Bruders Medardus zum ersten Male las …“

So schrieb E. T. A. Hoffmann vor vielen Jahrzehnten …

Ich schreibe dies für keinen Leser, ich sitze nicht unter Platanen, sondern ich saß in dem seltsamsten Gebäude, das je der hochbeschwingte Geist eines seltsamen Mannes schuf …

Feurig geht die Sonne auf, und die Wände meines Zimmers lassen diese Röte matt hindurch und schimmern rot wie die Liebe … Ich kehre den Blick nach innen und betrachte mich selbst, ein Sandkorn im Meer der Ewigkeit, emporgewirbelt und nun gelandet in der Burg des Turnbull-Feldes … Ich schreibe, weil mir diese Erinnerungen, frisch geweckt durch den grübelnden Sinn, wertvoll und lieb erscheinen wie Verblichene Bilder trauter Freunde. –

„Mussu!!“

„Hallo, was gibt’s?!“

Freund Achi hält da vor mir an einer Wellblechbude. Regen, Sand, Sturm haben sie zerfressen und halb umgelegt. – Ich bin im Nu neben ihm … Mein Geist ist nicht mehr auf fremden Pfaden … Ich bin einer, den ein Steckbrief ziert, und hinter mir her sind ein halbes Dutzend, die mir die Handschellen anlegen möchten …

„Mussu, hier umziehen …“ sagt der kleine Prophet zum großen Olaf Karl, und Olaf schnauzt erbost: „Ich glaubte schon, Mallingrott lauerte hier!“ – Ich sichere den Karabiner wieder und füge sanfter hinzu: „Du müßtest dich bemühen, Nebensächliches durch den Tonfall anzudeuten, mein Sohn!“

Mein Sohn bindet seinen Gaul an, wirft ihm die Wolldecke über und meint: „Cordanzüge sein wichtig, Mussu. Gegen morgen noch kälter, Mussu …“

Wir ziehen uns um. Achi hat alles Nötige geholt, bevor Daisy ihn abfaßte, und Daisy steht vielleicht noch immer gefesselt am Zaun und wälzt im koketten Hirn finstere Gedanken.

Achi tritt ins Freie. Ich betrachte ihn lange. Sein Anzug hat zweifellos Ethel Ruxa gehört, aber er paßt ihm und gefällt ihm. Alle Schwarzen sind eitel. Der kleine Prophet hat meinen Rasierspiegel in der Linken und zupft sich den weichen Kragen seines Seidenhemdes zurecht. Ich vermute, es ist eins meiner Hemden.

Achi sagt so recht selbstgefällig: „Das sein feiner Anzug, das fein riechen wie Miß Ethel …“

Ich sage gar nichts, denn mein Blick ist rückwärts geschweift, wo die letzte Hürde der Farm mit rotrostigen Drähten den Abschluß der Kultur zeigt. Diese Wellblechbude hier, einst Schäferhütte, ist nur Ruine, malerisch und weltverloren, voller Erinnerungen wie alle Ruinen. Mein Blick erspäht in der Ferne – noch leuchtet der Mond – vor dem hellen Hintergrund der dürren Eukalyptusbüsche eilende Punkte.

„Achi!!“

„Schon alles sehen …“ sagt er ungeheuer wurstig. „Das sein Buschreiter, und erste sein Missu …“

Ich möchte seine Augen haben.

Also beginnt die Hetze von neuem. Der Kolonel wird das Rennen verlieren, denn unsere Gäule sind noch immer frisch, und vorhin haben wir sie in einer Pfütze getränkt. – Ade, Daisy … Nach einer halben Stunde fällt Achi in Trab.

„Werden umkehren, Mussu Olaf …“ Und er reibt sein Feuerzeug an und raucht und erzählt vom weißen Känguruh.

Das hatte ich ganz vergessen.

„Achi, du Schwindler, – vorhin sagtest du, Daisy sei hinter dem weißen Känguruh her …“

Er ließ sich nicht stören …

„Weiße Känguruh hier irgendwo sein seit einige Jahre … Sein Tier so groß wie Kuh … Wenn springen, noch größer.“

„Die Nacht ist zu schön für deine Märchen,“ winkte ich ab.

„… Weiße Känguruh sehr schlau … Noch niemand in Nähe ihm kommen, immer gleich weg … Kolonel Mallingrott haben mal mit Buschreiter Treibjagd gemacht … Waren zwei nachher halb tot.“

„Buschreiter?“

„Ja, Mussu, Buschreiter, die wollen werfen Riemen über Känguruh, Känguruh schlagen mit Vorderfuß gleich Rippen kaputt, Mussu …“

Das war mir neu.

„Schwindelst du auch nicht?!“

„Mussu, wozu?! Lügen nur, wenn nötig sein. Kolonel nicht wollen, daß bekannt werden große Treibjagd. Känguruh hier Schonzeit in Nord-Territorium …“

„Allerdings. Und mit Recht Schonzeit,“ pflichtete ich den hohen weisen Entschlüssen des australischen Parlaments bei. „Hast du dieses Tier mal zu Gesicht bekommen?“

„Vor ein Jahr, Mussu, vor ein Jahr … Als Hausmeister Kanarra mich verdrosch nachher mit Riemen, Mussu …“

„Also bei deinem Ritt in das Turnbull-Feld. – Du bringst deine Neuigkeiten tropfenweise vor, mein schwarzer Sohn.“

Er schwieg und rauchte. Wir passierten eine endlose wellige Sandebene, die nicht einmal Salzkräutern die nötige Nahrung lieferte. Die Pferde gingen im Schritt. Um uns her war die trostlose Stille der Wüste. Der Sand malte unter den Hufen mit klingendem Rauschen, die Sättel knarrten, und das Schnauben der Pferde ließ mich zusammenschrecken. Ich hing im Sattel, wie Coy es mich gelehrt, der sogar auf nächtlichen Pampasritten schlafen konnte. Ich döste vor mich hin, und mein Gaul ließ den Schädel pendeln und freute sich der lockeren Zügel. Vor uns tauchten Berge auf, und Achi hielt auf eine bewaldete Kuppe zu. Die Sandebene war überwunden.

Aber die jämmerlichen Kasuarinenstangen, die uns den Wald vorgetäuscht hatten, wurden durch ein mattes, flatterndes Blinken halblinks schattenhaft durchkreuzt.

Achi stoppte. „Dippers,“ sagte er. „Das da sein Dowas-Goldfeld … Besser vorbeireiten … Wilde Kerle, viel Chinesen, Mussu …“

Wie aus dem Erdboden wuchs dicht vor den Köpfen der Gäule eine Gestalt empor, und eine harte, aber leise Stimme befahl:

„Hände hoch!!“

Das war mein zweites Zusammentreffen mit Percy Dobber.

 

4. Kapitel.

Das weiße Känguruh.

… Als ich in der Staatspension einmal drei Monate einen Zellengenossen hatte, nannte sich dieser Mann Parker Robbe. Unter diesem Namen war er auch wegen Diebstahls im D-Zug Stockholm–Malmö zu zwei Jahren verknackt worden.

Parker Robbe war stumm wie eine Robbe im Eismeer gewesen, und da echte Robben nur bellen, bellte auch er nur die Wärter an. Er war ein sehr schwieriger Pensionär. Der Pensionsarzt meinte, Parker leide am grauen Koller. Der graue Koller war der Zuchthausklaps. Den wissenschaftlichen Namen kenne ich nicht. Vielleicht lautet er Dementia zellosa, Zellenverrücktheit, oder so ähnlich. Jedenfalls: Parker Robbe hatte diesen Klaps in ausgewachsenem Format. Deshalb war er auch ein Liebling des Pensionsarztes, eines ehrgeizigen Charlatans, der an einem Buche über die Psyche der Zuchthäusler schrieb.

Parker Robbe war mir, abgesehen von allem anderen, ein Rätsel. Er zeigte das typische Benehmen eines Hochstaplers, war eitel, liebte große Posen und Gesten und trieb nebenbei harmlose Verrücktheiten. Ob er schauspielerte, war schwer zu ergründen. Mit mir sprach er kein Wort. Ich war absolut Luft für ihn. Was er mit den Wärtern, dem Arzt, den Inspektoren und dem Direktor redete, hatte für diese wenig Erfreuliches. Seine Verrücktheiten bezogen sich auf plastische Bilder an den grau gestrichenen Wänden. Er zerquetschte die reichlich vorhandenen Wanzen und benutzte sie als Mosaiksteinchen. Diese Gemälde waren stets Tierszenen, und in jedem Bilde kamen mindestens ein Känguruh und ein Strauß vor. Außerdem jonglierte er stundenlang in der Zelle mit Waschschüssel, Kamm und Seifennapf. Seine Geschicklichkeit war verblüffend.

Nachdem er dies alles so volle drei Monate getrieben hatte, sollte er einer Irrenanstalt zur Beobachtung überwiesen werden. Als der Arzt ihm das mitteilte, bekam Robbe einen Tobsuchtsanfall, der Doktor flüchtete entsetzt, und ich glaubte mein letztes Stündlein wäre gekommen, denn Parker Robbe war bei all seiner Schlankheit ein Athlet. Ich blieb am Leben. Robbe pappte vor das Guckloch zwei Schnitten Brot und flüsterte mir hastig zu: „Abelsen, falls du vor mir hier herauskommst, schreibe an …“ – Leider stürmten fünf Wärter herein, und Robbes vielverheißender Satz blieb unvollendet. – Er hatte jedenfalls simuliert, das wußte ich nun. Nach einiger Zeit hörte ich, er sei aus der Irrenanstalt entwichen. Dann entwich ich selbst, und nun nach Jahren stand hier in Nordaustralien Parker Robbe mit einer Pistole vor mir und Achi und befahl uns abzusteigen.

Ich hatte ihn sofort wiedererkannt. Robbe war ein Mensch, den man nicht vergißt. Er hatte sandblondes Haar, eine breite, vorgewölbte Stirn, eine ganz leicht gekrümmte messerscharfe Nase, einen wohlgeformten Mund und ein sehr energisches Kinn. Seine blaugrauen Augen besaßen einen besonderen Glanz. Alles in allem ein hübscher Kerl.

Ich kletterte mit erhobenen Armen aus dem Sattel. Ich hätte diesem Intermezzo eine andere Wendung geben können, aber mir lag nichts daran.

„N’Abend, Robbe,“ sagte ich, vor ihm stehend, und mein Lachen machte ihn stutzig.

Der Mond schien mir ins tiefbraune Gesicht.

Robbes Gesicht ward maßlos erstaunt.

„Abelsen?! Du?!“

„Allerdings, Kamerad von Seitenflügel B, Zelle 112: Abelsen! – Wunderbares Zusammentreffen …“

Er steckte die Pistole weg und schüttelte mir die Hand. „Ich hielt euch beide für Dippers …“

„Bist du Buschklepper geworden?“

„Ja und nein … Ich brauche Proviant und Patronen … nichts mehr. Mein Tabak ist verbraucht, und ein Schluck Schnaps wäre auch nicht übel. Kommt mit, aber leise …“

Ich war noch etwas benommen von diesem Wiedersehen. Parker Robbe führte uns nach Norden in eine felsige Schlucht, wo zwei Pferde angepflockt waren. Der Marsch hatte eine halbe Stunde gedauert, und Achi hatte unsere Fährten sorgsam auswischen müssen und erschien erst später. So war ich denn mit Robbe zehn Minuten allein.

„Wer ist der Schwarze?“ fragte er und rauchte mit innigstem Wohlbehagen eine meiner Zigaretten.

Ich berichtete in gedrängter Kürze, wie ich zur Ruxa-Farm gelangt sei und weshalb ich nun in die Wildnis ginge. Von der Burg schwieg ich.

Robbe hörte still zu. „Vielleicht hat das Schicksal unsere Wege gelenkt,“ meinte er wortkarg. „Ich freue mich dieses Wiedersehens, Abelsen …“

Wir saßen an einem kleinen Lagerfeuer, und Robbe kochte Tee. Es war sehr kalt geworden.

„Wie war das eigentlich damals mit dem Brief?“ fragte ich geradezu. „Ich sollte doch …“

Er wehrte energisch ab. „Laß das ruhen … Du bist unschuldig, Abelsen, ich weiß es. Ich war es nicht, ich wollte im Nachtzuge jemand bestehlen, aber – ich war nie internationaler Bahndieb und Hochstapler. Was ich stehlen wollte, gehörte mir, du magst mir glauben oder nicht.“

„Ich glaube dir …“

Seine glänzenden Augen tasteten mein Gesicht ab. „Also Mallingrott ist hinter dir drein … Du scheinst viel erlebt zu haben, Abelsen …“

„Es geht, Freund Robbe. Von Schweden über südlichstes Südamerika ist’s ein weiter Weg hierher. Ich bin Abenteurer geworden, und die Kulturwelt kann mir …“

„Mir auch!“ nickte er ernst.

„Und – was treibst du hier?!“

Er überhörte die Frage. Er starrte in die knisternden Zweige und meinte leichthin: „Die Daisy Mallingrott soll ja ein Teufelsmädel sein!“

„Soll?! Ist’s!! Eine Hexe, mit ihrem Gaul wie verwachsen, – eine glänzende Schützin, aber dunkle Punkte, Robbe.“

Er blickte auf. „Inwiefern?“

„Geheimnisvolle Ritte, – Maleachi meint, sie hat einen Liebhaber …“

„Der Bengel ist ein Narr!“ rief er hastig, hüstelte dann, fügte gelangweilt hinzu: „Nirgends wird so viel geklatscht wie hier, Abelsen … Die Farmer und die Schwarzen greifen gierig nach jedem Gesprächsstoff … Die Einsamkeit beflügelt die Phantasie. – Kannst du mir Patronen überlassen?“

Seine Snidersbüchse hatte dasselbe Kaliber wie unsere Waffen, ebenso seine Pistole. Er bekam je fünfzig Stück und bedankte sich schlicht. Als Achi dann erschien, brach er sofort auf, sattelte sein Reitpferd, drückte mir stumm die Hand, nickte Achi zu, nahm sein hochbeladenes Packtier am Leitseil und trabte gen Norden davon.

Der kleine Prophet ließ sich am Feuer nieder. Ich war ein wenig verstimmt. Robbes Benehmen ärgerte mich. Er war über dies Zusammentreffen sichtlich erfreut gewesen, hatte aber anderseits deutlich gezeigt, daß er sich nicht in die Karten schauen lassen wollte.

Ich ging in der Schlucht hin und her. Ich war erregt, die Vergangenheit war durch Parker Robbe in mir lebendig geworden, und der dumpfe Groll, daß das Geschick mich heimatlos gemacht hatte, stieg wieder einmal in mir empor.

„Mussu!“

Ich blieb stehen.

„Nun?!“

Achis treue Augen hingen an meinem Gesicht, dann stocherte er im Feuer, der Kessel dampfte, und der Tee duftete. Robbe hatte sich nicht einmal die Zeit gelassen, auch nur einen Schluck zu trinken.

„Mussu, das waren große Überraschung für mich … Ich den Mann kennen … Ich gutes Gedächtnis für Gesichter …“

„Du?!“ Ich trat rasch näher. „Woher kennst du ihn?“

„Hinsetzen, Mussu … Tee trinken …“ Er klapperte mit den Bechern und brachte die Zuckerbüchse zum Vorschein. „Mussu, das sein viele Jahre her … Ich noch in Mission, und ich fahren mit Missionsschwester auf Küstendampfer nach Hafen Palmerston. Dort sehen den Mann … Er heißen nicht Parker Robbe, er heißen Percy Dobber und sein Neffe von sehr reichen Grubenbesitzer Old Dobber … Das sein bestimmt so. Mehr ich nicht wissen, Mussu. Nie mehr in Palmerston gewesen. Aber Leute erzählen, Old Dobber tot und anderer Neffe sein Erbe …“

Ich trank sehr nachdenklich. Also Percy Dobber hieß er … Das alles war sehr seltsam. Was hatte Percy in Schweden zu tun gehabt?! Was tat er nun hier in der Wildnis?! Sein Jagdkostüm aus Leder hatte kein Schneider gefertigt, und sein Filz war löcherig gewesen, und die Stiefel sehr mitgenommen.

Der kleine Prophet lutschte Zuckerstücke und blinzelte mich an. „Mussu, Percy Dobber sahen aus wie echter Buschklepper … Was auf Packpferd waren?!“

Allerdings: Der Riesenballen erschien auch mir verdächtig.

„Achi, wir werden ihm folgen,“ sagte ich kurz entschlossen. „Ich muß ihn sprechen.“

„Erst essen, Mussu … Erst ausruhen. Morgenwind nicht so stark, daß Fährten verwehen … Wir Stunde Zeit haben.“

Für meine Ungeduld war das viel zu lange. Die stille Sympathie, die ich schon in Nr. 112 für Robbe empfunden hatte, obwohl er mich gänzlich übersehen, war wieder geweckt. Ich ahnte, daß sein Leben Schatten barg. Der Name Dobber wurde hier überall nur mit Ehrfurcht genannt. Dobber war der Pierpont Morgan von Nordaustralien.

Ich drängte zum Aufbruch. Aber Achi hatte als Nachtisch den Honigtopf vor, und ich mußte warten. Ich erkletterte die Ostwand der steinigen Schlucht. Unruhe lag mir im Blut, und ein Blick über die Wildnis zeigte mir nichts als verschwommene Bilder. Der Mond war verschwunden, der östliche Horizont zeigte einen schmalen hellen Strich, und der neue Tag nahte.

Ich lehnte mich an einen einzelnen Stein, eine sonderbare Schwermut befiel mich. Ich hätte so gern Percy Dobber zum Gefährten auf dem Ritt in die Turnbull-Wüste bei mir gehabt. Mich dürstete nach Gesellschaft eines Europäers.

Was trieb Percy hier?!

Achis Stimme meldete fertig zum Aufbruch.

Die Fährte dessen, der da vor uns in die Einöde hinausgetrabt war, sollte uns sehr bald enttäuschen. Zuerst ein klarer Strich, mühelos zu erkennen, dann jedoch in einem breiten ehemaligen Flußtal ein zeitraubendes Suchen und Spüren. Steinharter Lehmboden, mit kahlem Gestein abwechselnd, ließ die Sonne emporsteigen, sie fand uns noch bei der Suche. Die Fährte war und blieb unauffindbar. Alle Erfahrung des Schülers Coy Calas nützte hier nichts. Percy hatte wohl damit gerechnet, daß ich ihm nachreiten würde. Er hatte Vorsorge getroffen, mich los zu werden, aber gerade dieser Mißerfolg spornte mich an.

„Bleib’,“ befahl ich Achi. „Ich reite einen Kreis, ich muß die Spur finden.“

Ich galoppierte durch Busch und Steppe, durch Wald und Tal, ich kam durch ein Dünengelände mit pulverfeinem Sand, – und dann genau westlich des Lehmtales stieß ich endlich auf Percys Fährte. Inzwischen mochten zwei Stunden vergangen sein. Ich konnte Achi jetzt nicht holen. Er würde schon von selbst nachkommen. Irgend etwas trieb mich vorwärts, vielleicht jene dunkle Ahnung, die feinnervigen Naturen aus dem zumeist schlummernden Unterbewußtsein emporsteigt wie ein trüber Nebel. Ich jagte weiter … Ich hatte den Karabiner über dem Sattel, ich war hier im dichtesten Brigalow, wie man den nordaustralischen Busch nennt. Aber ich hatte auch das Feuer der Tatenlust in den Adern, ich witterte Pulverdunst und Pfeifen von Kugeln und heisere Schreie …

Und ich hörte sie …

Ich riß den Gaul zurück. Er ging vorn hoch. Ich war aus dem Sattel, band den Fuchs fest und schlich weiter.

Eine große Lichtung tat sich auf, wohl eine Meile im Durchmesser, flach wie eine Tenne …

Das erste, was ich sah: Percys erschossene Pferde!

Dann in der Ferne einen Reitertrupp im grellen Sonnenlicht: Kolonel Mallingrott, Daisy und die sechs Beamten, Buschreiter.

Armer Percy!! Man hatte dich also geschnappt, denn die Reiter drüben hielten und …

Hinter mir Achis Kratzstimme:

„Mussu, weiße Känguruh!! Ha, – ich lügen?!“

Nun wußte ich, wonach der Kolonel und die Seinen ausspähten …

Links am Rande der Blöße unter ein paar Büschen weidete das Känguruh.

Das weiße Känguruh. Schneeweiß war es … ohne Übertreibung, und es nahm von den Reitern keinerlei Notiz. Gemächlich graste es, hüpfte weiter, verschwand halb hinter einem Busch und kam wieder zum Vorschein.

Der Kolonel konnte uns beide nicht bemerken. Aber wir sahen alles … Die Entfernung betrug vielleicht zweitausend Meter. Nur die flimmernde Luft störte.

Mallingrott schickte drei seiner Leute nach Norden, er selbst und Daisy ritten nach Süden … Sie wollten das Tier einkreisen.

Ich war gespannt, wie dieses Treiben auslaufen würde, eine Treibjagd war dem Kolonel schon mißlungen …

Und wo war Percy Dobber?!

Jetzt preschten die drei Trupps los …

Das Känguruh richtete sich auf und windete … dann ein Satz, und der Busch verschluckte es. Mallingrotts Jagdruf schrillte über der Steppe … In Karriere flogen die Reiter vorwärts, – sie mußten das Tier überholen, sie benahmen sich sehr geschickt … Der mittlere Trupp, der gen Westen strebte, war am weitesten zurück, aber die beiden Flügeltrupps waren dem Känguruh zweifellos schon voraus.

Die Ebene war leer, nur die beiden toten Pferde lagen noch da …

Achis Hand, die meinen Unterarm umspannt hielt, zitterte.

„Mussu, Mussu, – – was wir tun?! Sehr gefährlich, wenn hier bleiben … Aber … ich auch fangen wollen Känguruh …“

Seine Augen waren weit aufgerissen.

Mir erging es nicht viel anders.

„Mussu, wir haben langen Strick … Ich können werfen … Ich machen Schlinge … Wir …“

Da – ein gellender Pfiff …

Ein ganz merkwürdiger Pfiff, sicherlich einer Trillerpfeife entlockt.

„Mussu!!“

Achi glotzte geradeaus. Die beiden toten Pferde waren aufgesprungen … galoppierten genau der Richtung zu, woher der Pfiff gekommen. Links von uns aber stand Percy, – ein Satz, – im Sattel, hinein in die Büsche … verschwunden …

Alles wie ein Spuk.

Ich wischte mir über die Augen …

„Unglaublich, Achi!!“

„Feine Dressur,“ sagte er heiser, und sein Mund spitzte sich … „Feine Dressur, und …“

Dumpfe Hufschläge … Brechen von Zweigen …

Vor uns Percy …

„Mitkommen, Abelsen, – – mitkommen!!“

Er jagte nach Süden …

– – Hinter uns drein flog Daisy als vorderste …

Ich konnte nicht anders … Ich war Coys Schüler, und der grelle Jagdruf der Araukaner war mir so vertraut. Mein Schrei schwoll an, und in meinen Adern flutete das Blut mit doppelter Kraft.

Das hier war Leben, Erleben … Das war Sekt nach meinem Wunsch … Das waren Pfade ganz abseits des Alltags …

Sie schossen … Obwohl Daisy warnend, abwehrend kreischte … Was sie schrie, blieb unverständlich …

Weißes Känguruh, – alles vergessen …

Steckbrief – nicht vergessen …

Mein Fuchs ein Prachttier … Der Reiter Coys Schüler …

Ich fieberte vor Lust …

Leben war das, Erleben …! Mannestum ohne hohle Phrasen …

Ich schaute rückwärts. Der Kolonel hatte verzichtet … Die Gäule versagten. Nur Daisy, kleine rotbraune Teufelin, – – sie gab es nicht auf. –

Mittags lagerten wir drei im dichtesten Busch zehn Meilen vor Walhallow-Station. Daisy hatte schon vor zwei Stunden abgestoppt. Ihr Pferd war zusammengebrochen.

 

5. Kapitel.

Buschfeuer.

„Frage doch nicht so viel,“ meinte Percy und benagte einen Kaninchenschinken, dem Achis Kräutersaft eine besondere Würze gegeben hatte. Aber das Braten hatte Percy übernommen, und seine Künste am Drahtspieß spotteten eines Kochs aus dem Astoria-Hotel. „Die Sache war so einfach … Sie hatten mich kommen sehen und eingekreist, sie glaubten wohl, irgendeinen Desperado erwischt zu haben, ich wartete die ersten Schüsse ab, meine Tiere warfen sich nieder, ich selbst lief in den Busch …“

Diese höchst ungenügende Erklärung verstärkte noch mein Mißtrauen.

„Nur das weiße Känguruh?!“ sagte ich und blinzelte ihn lange an.

„Das war meine Rettung, Abelsen. Es war ihnen wichtiger als ich, der ihnen zu Fuß doch sicher war, so dachte der Kolonel wohl. Denken ist schädlich.“

Der kleine Prophet hockte still dabei und tauchte einen Ast in den Honigtopf.

„Mussu Dobber, das sehr komisch sein …“ meldete er sich jetzt.

Mit dem Ausdruck „komisch“ ging Achi nicht sehr verschwenderisch um. Wenn er ihn gebrauchte, tat er es unweigerlich an falscher Stelle.

Percy warf ihm einen forschenden Blick zu. „Wie meinst du das?“

„Ich meinen,“ erklärte Achi und schaute zur Seite, wo die Pferde grasten, „– ich meinen, Mussu Dobber, daß Missu Daisy vielleicht auch helfen …“

„Du bist nicht ganz bei Trost!“ – und Percy schnupperte mit erhobenem Kopfe in der Luft. „Riecht ihr was?“

Wir hatten unser Feuer schon gelöscht. Der Busch ringsum, der wohl seit Jahren keinen Regen gesehen hatte, war so trocken wie Zunder. Nur die frischen Triebe unten mühten sich, ein wenig grün auszusehen. Die Lichtung, an deren Rand wir ruhten, war klein und bildete eine Mulde, in deren Tiefe gelbbraune Lehmstreifen den dürren Sand durchzogen. In dieser Mulde weideten die Pferde. Nur dort wuchsen einige Grasbüschel.

Achi sagte gleichgültig: „Ich schon lange riechen. Busch brennen da …“ Er wies nach Norden. „Wind treiben Rauch, aber Wind sehr klein, Mussu Dobber. Keine Gefahr …“

Ich hatte von Buschbränden schon übergenug gehört, und Achis Wurstigkeit begriff ich nicht.

Percy warf seinen Kaninchenschenkel in die Sträucher. „Der Boy hat recht, Abelsen. Bei dem geringen Lufthauch breitet sich das Feuer nur langsam aus. Es ist auch die Frage, ob dieser meilenweite Busch ein geschlossenes Ganzes bildet. Wahrscheinlich sind Sandstrecken dazwischen, und die Geschichte erlischt von selbst. – Schlafen wir …“ – Er streckte sich lang, schob sich den Sattel unter den Kopf und knöpfte seine Lederjacke auf. Ich sah darunter ein verwaschenes Wollhemd und an einem Kettchen ein goldenes Glücksschweinchen mit Augen aus grünen Steinen.

Achi trug seine Wolldecke abseits. Er hatte, schien’s, mit einem Male Anwandlungen von Respekt vor den weißen Mussus. Percy schnarchte schon, ich sollte eine halbe Stunde wachen und ihn dann wecken. Mir war das nur lieb. Ich traute der Gefahrlosigkeit dieses Buschbrandes nicht, dessen beißende Dünste mir die Nase reizten. Ich nahm den Karabiner und wanderte gen Norden. Wandern?! Nein, – schleichen, denn die Mittagsglut war erschlaffend. Sie lastete zwischen diesen fahlen dürren Stengeln der Eukalyptusschößlinge noch drückender, sie erstickte alles, sie tötete jeden Laut …

Es war das grausige Schweigen des australischen Buschwaldes um mich her, jener eintönigen, farblosen, freudlosen Wildnis, die heimtückischer ist, als alles, was je den Menschen in die Irre lockte und dort verschmachten ließ. Hunderte haben diese unermeßlichen Scrubs und Brigalows schon langsam gemordet, – nie mehr fand man auch nur ihre Knochen wieder. Vögel und anderes Getier verschleppten sie, oder der Sandsturm bedeckte sie. In der Ruxa-Farm hatte ich Bücher gelesen über die ersten Forscher, die Australien zu durchqueren suchten. All diese Wagemutigen klagten über die niederdrückende Natur des Landschaftsbildes und über … den Mangel an Trinkwasser.

Uns fehlte Wasser. Der Inhalt unsere Flaschen und Schläuche war laue fade Jauche. Sie stammte aus dem Tümpel, und ich hätte nicht unter dem Mikroskop prüfen mögen, wieviel Bazillen darin umherwimmelten. Aber Walhallow-Station war nicht mehr fern … Die vier Reitstunden überstanden wir schon noch.

Eine Waldblöße tat sich auf, schmal und gewunden. Ich erkannte einige Riesenfarnkräuter, deren ungeheure palmenähnliche Blätter schwer, stark gekrümmt herabhingen und mit den Spitzen in den Salzgräsern ruhten. Dort mußte Wasser sein. Diese Riesenspielarten unserer europäischen Waldfarne, diese Farnbäume verlangen Fruchtbarkeit.

Ein Tümpel – vier Meter Durchmesser, braungrün der Inhalt, wimmelnd von scheußlichen Blutegeln, gelben Würmern, – und Wohnung jener aalähnlichen Barramunda-Fische, die noch durch Lungen atmen und nachts über Land wandern und mit ihren vier Flossen erstaunlich schnell vorwärtskommen. „Wasserfinder“ nennen die Eingeborenen sie, denn wo ein Barramunda dahinkriecht, muß Wasser in der Nähe sein, sie haben einen untrüglichen Instinkt für feuchten Boden.

Ich stand und beobachtete dieses Gewimmel von armseligen Geschöpfen, die der Schöpfer hierher verpflanzt hatte. Die Farnblätter bewegten sich, und ein Schnabeltier erschien, schob sich bis zu einer sonnigen Sandmulde, wühlte eilfertig den Sand weg und bewies, daß sein Organismus den Übergang vom Säugetier zum Vogel darstellt: Es legte die Eier frei, die die Sonne ausbrütete. Eier mit lederartiger Schale, und zwei Junge waren bereits ausgekrochen, fast handlange Tierchen …

Seltsame Welt … –

Ich stand ganz still, um all diese Sonderlinge nicht zu stören. Da waren schwarzgrüne Brückeneidechsen mit Rückenstacheln wie kleine Krokodile, – ein Ameisenigel schob seinen hornigen Vogelschnabel in die unappetitliche und stinkende Flut und sorgte für die Verminderung der Blutegel.

Aber anderes stach mir noch in die Nase als nur der Dunst dieser glutheißen Pfütze: Brandgeruch!

Die Hitze war unheimlich. Ich blickte empor, ich sah keinen Rauch … Das beruhigte mich. Der Wind schien eingeschlafen zu sein. Percy und Achi wußten hier besser Bescheid als ich. Ich kehrte um.

Ich fand die Pferde im dürftigen Schatten der Büsche liegend. Ihre Flanken waren naß, und ihre Augen spielten … Ich kenne Pferde. Mein Fuchs schnob, als er mich erblickte, sprang empor, schüttelte sich und sog laut die Luft ein.

Percy Dobber wurde munter.

„Hallo, Abelsen, – das stinkt bedenklich!“

Er beäugte seine Gäule.

„Gefällt mir nicht, Abelsen …!“

„Mir auch nicht … Da – die Tiere drängen nach Süden …“

„Stimmt … Brechen wir auf.“

Er lehnte wieder jede Hilfe ab, genau wie beim Absatteln. Er hatte uns noch immer nicht verraten, was der riesige Ballen enthielt, den sein Packtier schleppen mußte, aber schwer konnte das Ding nicht sein.

Wir trabten davon. Achi ganz vorn … – Achi hatte ein Gesicht wie Gewitterwolken.

Zehn Minuten, und dünne Rauchschwaden quollen uns entgegen und ein blanker feuriger Strich trieb uns zurück.

Noch zehn Minuten, und der Brigalow war die Hölle.

Der Busch brannte nicht nur im Norden und Westen, sondern rundum …

Feuermauern rückten näher – unaufhaltsam, unbarmherzig, – glühende Hitze versengte uns die rauchgeschwärzten Gesichter, drei Durchbruchsversuche hatten wir gewagt …

Nun standen wir wieder neben der Lehmmulde.

Der Schweiß zog Rillen durch Schwärze und Aschenteilchen, – ein Orkan brauste jetzt über den Busch hin …

Die aufsteigende Glut hatte ihn entfesselt.

Percy Dobber sagte zu uns, und er sprach hart und drohend: „Versprecht mir zu schweigen!“ Er deutete auf die Lehmschichten der Mulde … „Ich habe hier in der Wildnis meine Verstecke. Helft mir.“

Er nahm sein Messer …

Verzweifelte Arbeit war es, den Lehm zu lockern … Bretter kamen zum Vorschein, ein riesiges Loch wurde freigelegt, dessen eine Wand sanft abfiel. Wir führten die Tiere in die Höhle: Es war eine jener Grotten, in fast steinharten Lehmschichten, die ihre Entstehung unterirdischen Wasserläufen vorsintflutlicher Zeiten verdanken.

Die Bretter wurden wieder abgestützt und nur ein kleines Loch gelassen. Achi bewarf sie mit Lehmstücken, Zweigen und Sand und kroch dann wieder zu uns herein. Ein letztes Brett verschloß auch diesen Durchschlupf.

Dobber hatte eine Laterne angezündet. Ich sah mich um, und was ich sah, war enttäuschend. Es war eine Lehmhöhle, sehr lang, nach hinten empor werdend, aber leer. Nur die Laterne und eine große Blechkanne Petroleum bewiesen, daß Percy zuweilen hier Zuflucht suchte.

Er wurde mir immer geheimnisvoller.

Wortlos breitete er seine Decke aus und setzte sich.

„Abelsen, man hat uns drei schmoren wollen,“ sagte er, nachdem ich ihm eine Zigarette angeboten hatte. „Es gibt da Leute, Abelsen, die mich seit langem vernichten möchten.“

„Mallingrott?“

Er tat diese Vermutung mit einer heftigen Geste ab. „Der Kolonel ist kein Mörder, aber andere Leute sind’s …“

„Wer?“

Sein Gesicht verzerrte sich. Die Laterne warf nur trüben Schein über uns und die keuchenden Pferde.

„Wer?!“ Es klang wie das Pfeifen eines überhitzten Kessels. „Wer, Abelsen?! – Da fragst du zuviel, Freund von Nummer 112! Mag jeder allein mit dem fertig werden, was ihn bedrückt. Du hast’s in deinem Leben vielleicht mit Schurken zu tun gehabt, ich habe gegen Teufel gekämpft – Teufel, die erbarmungsloser waren als ein ausgehungerter Tiger! Was man mir angetan hat, Abelsen, ist dem Hirn eines Satans als diabolischer Plan entsprungen!“ Er lachte, und dieses entsetzliche Gelächter, schrill wie der Klang einer überspannten Saite, die dicht vor dem Zerreißen ist, – dieses unheimliche Gellen, das die Höhle mit hundert Echos zu füllen schien, trieb mir eisige Kälte das Rückgrat entlang.

Percys glänzende Augen strahlten einen Haß aus, der schwer übermenschlich war.

Aber Nr. 112 von damals war nicht der Mann, den der Haß zum Kinde macht. Im Augenblick hatte er sich wieder in der Gewalt. Eine schroffe Handbewegung schob all das beiseite, und er sagte kalt und gemessen: „Es genügt: Wir sollten verbrannt werden! Sie haben meine Fährte gefunden, und ich werde vor ihnen nirgends mehr sicher sein, sie sind mir überlegen, sie sind eine kleine Armee von Schurken, ausgerüstet mit Reichtümern, Waffen und einem Gewissen, das vor nichts zurückschreckt. Da kann unsereiner nicht mit, Abelsen. Aber – – vielleicht kommt dennoch der Tag der Abrechnung. Auch ich habe Trümpfe in der Hand, und ich habe einen Verbündeten, auf den mehr Verlaß ist als auf einen treuen Hund, und das will etwas besagen, weiß Gott!“ Versteckte Zärtlichkeit färbte die letzten Sätze weich und sehnsüchtig.

Percy Dobber hatten erstaunlich verschiedene Akkorde zur Verfügung.

Er warf den Rest seiner Zigarette in eine Ecke und erhob sich. „Abelsen, ich habe Ähnliches vorausgesehen … wenn auch nicht diesen Scheiterhaufen. Ich war gewarnt. Ich handelte als Egoist, als ich dich und deinen Boy mit mir nahm …“

Mein fragender Blick entlockte ihm nur ein energisches Kopfschütteln. „Sei zufrieden mit dem wenigen, Abelsen: Ich war gewarnt! – Willst du mir helfen? Ich sage dir gleich, du riskierst dein Leben dabei, ich bin ehrlich, du riskierst dabei, von diesen Schuften bei lebendigem Leibe eingebuddelt zu werden …“ Er sprach auch das mit eisiger Gelassenheit. „Du wirst dich sofort entscheiden müssen, Abelsen, ebenso dein Achi. Ich kann euch nur dann mehr anvertrauen, wenn ihr mir in die Hand gelobt, mit mir durch dick und dünn zu gehen … Diplomaten kann ich nicht brauchen. Ich brauche Kerle aus festem Holz, die die Pistole locker in der Tasche haben, die den Finger ohne Zaudern krumm machen und die mir blindlings glauben, daß auch nicht einer dieser Banditen, die den Busch ringsum angezündet haben, Schonung verdient.“

Er lehnte sich an die Grottenwand. Seine Hand spielte mit dem goldenen Glücksschweinchen, seine Augen stachen hart in die meinen.

„Es gibt da wohl nur eine Antwort,“ meinte ich und streckte den Arm empor. Seine Finger umschlossen die meinen. Er schwieg, aber er lächelte, und es war das Lächeln eines Mannes, der eine große Freude erlebt.

Achi trat zu ihm. „Mussu,“ sagte er und warf den schwarzen Wollkopf zurück, als sollte diese Bewegung seine Worte unterstreichen, „ich dir versprechen treuer zu sein als Hund mit Niggerkopf …Du haben solchen Hund, als dich vor Jahren sehen in Palmerston …“

„Mein Pudel,“ nickte Percy schmerzlich. „Er ist tot … Er starb vielleicht vor Sehnsucht, als ich … – Gut, Achi, ich traue auch dir … Du bist schwarz, aber deine Seele mag weißer sein als die manches arroganten Kulturförderers … – Her mit deiner Hand, Achi …! Nun sind wir vier gegen eine Armee, nur vier … Aber wir werden es schaffen … Mögen die Schufte nur glauben, daß wir tot sind … Und sie werden’s glauben, denn aus einem brennenden Brigalow ist noch kein Mensch entkommen … Nur die Tiere bringen es fertig. Nur die … die haben Sinne, feiner als die unseren, die finden noch einen Durchschlupf … Kein Tier aus der Wildnis ist so dumm, wieder in das Feuer hineinzurennen, das tun nur die armen Geschöpfe, die wir zu Sklaven gemacht haben: Pferde, Schafe, Rinder … Ihre Sinne sind stumpf geworden im Umgang mit uns. – Ich danke euch beiden … Nun kommt … Ihr sollt sehen, was diese Höhle wertvoll macht …“

 

6. Kapitel.

Vor Walhallow-Station.

… Moses schlug mit dem Stecken auf das Gestein, und eine lebende Quelle sprang hervor …

Das Licht der Petroleumlaterne, die der kleine Prophet trug, glänzte im Wiederschein aus dem Wasser eines fast kreisrunden Beckens im äußersten Winkel der Grotte.

„Für mich,“ sagte Percy Dobber, „bedeutete dieser Fund mehr als ein Goldlager … Schöpfen und trinken, rate ich euch … Es ist kühl wie aus einer tiefen Zisterne im Schatten der Felsen.“

Wir tranken, die Pferde bekamen gar nicht genug …

Und über uns wütete der Buschbrand. Zwanzig Minuten waren wir, eingekreist von den zischenden, roten Zungen, wie die Ratten in der Falle hin und her gerast, umsonst einen Ausgang suchend. Enger und enger war der Kreis geworden, und Minuten wurden Bruchteile von Sekunden: Der Tod saß uns im Nacken und die Zeit galoppierte schneller als wir, noch schneller die fauchenden Feuergeister.

Wie ein Traum, durchweht von Qualmschwaden, Aschenfontänen und Hitzewellen war das gewesen.

Percy hatte bis zum letzten Augenblick gezögert, sein Geheimnis preiszugeben und die Höhle zu öffnen. Und Percy war, so hatte er erklärt, gewarnt worden.

Von wem?!

Während ich splitternackt neben dem berauschenden, blinkenden Wasserbecken stand und mir die erfrischenden Rinnsale aus dem Kochtopf – improvisierte Dusche – über den Leib flossen und mein Hirn klarer und kritischer wurde und der Lebensodem meine Kräfte neu anfeuerte, gedachte ich dieser sonderbaren Bemerkung des Kameraden von Nr. 112.

Wer warnte ihn?

Diese Warnung konnte ihm erst zugegangen sein, nachdem er sich von uns getrennt hatte und als ich ihm dann folgte und endlich seine Fährte fand. Erst nach dieser Warnung entschloß er sich, mich um Hilfe anzugehen. Und – wem begegnete er während dieser Zeitspanne?

Niemandem!

Nur Kolonel Mallingrott hatte ihn zu fangen versucht, nur der und Daisy und die sechs Buschreiter waren ihm nahe gekommen, sonst niemand. Ich hätte es ja an den Fährten merken müssen, wenn irgend jemand mit ihm gesprochen hätte.

Niemand also?!

Eine neue Dusche rieselte herab, und das leise Plätschern schien einen Namen zu raunen:

Daisy!

Ich glaubte jetzt, den vierten von uns zu kennen. Vier, hatte Percy gesagt, – vier gegen eine Armee von Schurken!

Der vierte war ein Mädchen. Daisy. Sie hatte die Wüste lieb und durchstreifte sie in geheimnisvollen Ritten, weil sie den Einsiedler der Wüste liebte. Das war so einfach und eindeutig. Daisy hatte gellend das Schießen der Ihrigen zu verbieten gesucht, – denn die Schüsse galten auch Percy Dobber. –

Neben mir kauerte Freund Achi und hielt ebenfalls große Wäsche ab. Es war nötig. Percy war drüben bei den Pferden und spielte Pferdeboy und rieb sie mit einer Wolldecke trocken. Sie hatten mehr Schweiß verloren als ihnen gut tat.

„Mussu,“ flüsterte das schwarze Etwas zu meinen Füßen, und sein grotesker Schatten reckte einen Riesenarm hoch, „Freundin von Percy sein Daisy Mallingrott, und Feinde von Percy sein Austin Gorrand und andere Farmersöhne, – du das auch glauben?“

„Vielleicht …“

Die Laterne stand drüben bei Percy, und ihr Schein ließ nur das Weiße von Achis Augen aufglänzen.

„Mussu, du zweifeln?!“ Es klang geringschätzig. Er war enttäuscht, weil ich die Dinge so schlecht überschaute.

„Nein, was Daisy betrifft, das stimmt schon, aber Austin Gorrand?!“

Er stieß ein tiefes Kehllachen aus, das dem Gurren einer Taube glich. „Austin Feind von Daisy. Weshalb? Weil Daisy ihn wegschicken und nicht wollen heiraten … Aber Daisy wollen heiraten Percy … Alle Männer hinter ihr her wie Beutelwolf hinter Ameisenfresser … Wo Weib, da Haß … Das schon immer sagen Bell Dingo, und der sehr klug.“

Im Grunde waren seine Beweise trotz ihrer Dürftigkeit nicht von der Hand zu weisen. Austin Gorrands und seiner Freunde Wegelagererstückchen, das nur durch den Doppeldecker so jäh gestört worden, stellte dem Manne kein gutes Zeugnis aus.

„Möglich, daß du recht hast,“ entgegnete ich vorsichtig, denn einen Verdacht äußern und ihn nur schwach stützen können, ist nicht meine Sache.

Achi erhob sich da. Sein Gesicht war dicht vor dem meinen. Seine Zähne blinkten.

„Mussu, Austin Gorrand und viele andere immer reiten heimlich hinüber nach Mac-Arthur-Station … Soll da sein Scheibe mit schwarz und rot, soll sich drehen, soll Geld gewinnen mit Scheibe …“

„Roulette?“

„Ja – so heißen … Roulette, ich vergessen das, ich nur kennen Lederbecher und Würfel und Karten mit Bilder, Roulette nie gesehen, Mussu. Auf Mac-Arthur-Station auch spielen Bruder von Percy Dobber, heißen Armand, der erben Millionen von Old Dobber, und der auch waren hinter Missu Daisy her wie Hund hinter Ratte … noch schlimmer … Aber Kolonel ihn schmeißen raus, weil Armand falscher Mensch und böser Schleicher … Das sein alles Feinde von Percy, bestimmt!“

Dieser Percy hatte soeben drüben das Brett unter der kleinen Öffnung gelüftet und rief, – nur die Beine sah ich von ihm –: „Willst du einen Skelettwald sehen, Abelsen? Das Feuer ist vorüber … Der Busch ist nur noch ein Feld schwarzer Stangen …“

Er kam zu uns. „In einer Stunde ist der Boden genügend ausgekühlt … Natürlich gibt es als Folge des Feuers ein Gewitter und ordentlichen Regen. Wir müssen also in einer Stunde auf und davon, denn ich muß meine Höhle hier wieder sauber zudecken … Die Schurken suchen vielleicht nach unseren knusprigen Braten … vielleicht auch nicht.“

„Also Austin Gorrand,“ sagte ich geradezu.

Er stutzte merklich. „Wie kommst du auf den, Abelsen? Falls er mit dabei ist, spielt er nur eine Nebenrolle.“

Ich wollte Klarheit haben. „Und die Hauptrolle spielt dein Bruder Armand …!“

Er sog zischend die Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen in den mächtigen Brustkasten ein.

Er flüsterte nur: „Ja, Armand!“ aber dieses Flüstern hörte sich an wie das Knirschen von Stein auf Stahl …

Dann drehte er sich jäh um und setzte sich drüben auf seine Wolldecke.

Auch nachher war er wenig mitteilsam. Über den Grund seines Einsiedlerlebens verlor er kein Wort, und mit einem Mißtrauen, das beinahe verletzend wirkte, hielt er mich und Achi von dem Riesenpaket, das mit einem Lederüberzug versehen war, nach Möglichkeit fern. Seine Verschlossenheit war anderseits entschuldbar. Ich kannte ihn erst wenige Stunden, denn unser gemeinsamer Aufenthalt in 112 hatte wie gesagt nichts Gemeinsames gehabt.

Die Stunde, bis wir uns wieder nach oben wagen konnten, verstrich sehr schnell, da wir abwechselnd durch das kleine Schlupfloch Ausschau hielten.

Der Busch bot einen trostlosen Anblick. Die halb verkohlten Bäume glichen den schwarzen Sparren und Balken eines niedergebrannten Dachstuhls. Einzelne Stämme hatte der Orkan umgelegt. An manchen Stellen flackerten noch Flämmchen. Die traurigen Reste rauchten noch. Der Boden war mit Asche und toten Blättern bedeckt, und noch immer jagte der Sturm über diese Stätte der Verwüstung hinweg und fegte Aschentromben in den Lichtungen empor.

Ich hatte derartiges noch nie gesehen. Es war der erste große Waldbrand, den ich erlebt hatte, und er ließ sich nur mit der Feuersbrunst in einer ausgedörrten Kieferschonung vergleichen.

Der Himmel war in Dunstschleier gehüllt. Sicherlich bekamen wir Gewitter und Regen. Die Sonne war nur als heller verwaschener Fleck zu erkennen.

Freund Achi schob seinen Kopf gleichfalls durch das Loch.

„Mussu,“ sagte er leise, „wir nicht reden über Burg vorläufig … Percy Dobber sehr still, wir auch. Besser sein, wenn wir behalten Burg für uns …“

Ich betrachtete ihn mir mit einigem Mißbehagen. Er hatte zweifellos einen sehr feinen Instinkt für menschliche Schwächen, obwohl er kaum sechzehn war. Aber er war ein halber Wilder, und seine überraschenden vielfachen Fähigkeiten verdankte er in der Hauptsache seinen geschärften Sinnen.

„Meinst du,“ fragte ich ebenso leise, „daß Percy uns gegenüber nicht offen sein kann?“

„Leute viel reden, Mussu …“ erwiderte er mit einer Miene, als ob er jeden Klatsch als wertlos ablehnte. „Leute sagen, er sein Verbrecher und sein im Ausland … Viel Geheimnis bei alledem, Mussu. Ich denken, Geheimnis sei am meisten in Burg in Turnbull-Feld.“

Über die „Burg“ hatte ich bereits so meine besonderen Gedanken, aber diese mit Achi zu erörtern, war zwecklos. Wenn Achis Beobachtungen stimmten und er tatsächlich dort zwölf Leute in geisterhaftem Aufzuge beobachtet hatte – man stelle sich vor: inmitten einer grenzenlosen Einöde ein solcher Fastnachtspuk! –, dann steckte hinter alledem, davon war ich überzeugt, irgendeine Verbrecherbande mit ganz seltenen und seltsamen Gebräuchen.

Unser Gespräch endete hiermit, und wir begannen die Stützen der Bretter zu entfernen, nachdem Achi oben die Lehm- und Sandschicht weggeräumt hatte.

Das große Loch lag frei. Die Pferde wurden hinausgeführt. Sie sträubten sich. Der Brandgeruch war ihnen lästig, und aus ihren Augen sprach die Angst vor dieser grauenvollen Umgebung. Sie schnaubten und drängten sich eng zusammen, und erst als Percy ihnen die Augen verbunden hatte, wurden sie ruhiger. Gerade ihr Schnauben hätte uns verraten können.

Die künstliche Decke des Eingangs war sehr bald wieder aufgerichtet. Wir ließen nur das kleine Loch frei, denn Percy wollte den Lehm reichlich mit Wasser begießen, damit wieder eine zusammenhängende Lehmschicht entstände. Wir beeilten uns mit der Arbeit, wir streuten nachher Asche, Sand und verkohlte Zweige in die Mulde und kein Mensch hätte nun ahnen können, daß dort in der Tiefe kühles Naß in Überfülle vorhanden war.

Dobber ritt voran. Er hatte Achi das Packpferd überlassen. Als ich den Ballen einmal befühlte, merkte ich, daß es sich um ein Gebilde aus Stäben handelte, die mit Leder bespannt waren.

Der Weg durch den toten Busch war ein Weg des Grauens. Der düstere Himmel tat das Seinige dazu, den niederdrückenden Eindruck dieses schwarzen Stangenwaldes noch zu erhöhen. Wir stießen auf ganze Haufen gestürzter Stämme, die noch lichterloh brannten, wir ritten in dünnen Qualmschwaden dahin, und über uns rollte der Donner des aufziehenden Gewitters.

Dobber hielt genau südwestliche Richtung. Wir gaben uns keine Mühe, unsere Spuren zu verbergen, der Regen würde sie in kurzem wegwaschen. Nach einer halben Stunde erreichten wir die Grenze des vernichteten Busches. Es war inzwischen fast finster geworden, und jeden Augenblick konnte der Himmel seine Schleusen öffnen … Vor uns lag eine wellige sandige Ebene, endlos, kahl und eintönig. Percy nahm sein Fernglas und suchte den Horizont sorgfältig ab.

Er reichte es mir.

„Der Doppeldecker,“ sagte er nur und deutete geradeaus.

Das Flugzeug war selbst mit dem Glase kaum noch zu erkennen und tauchte dann in die Wolken ein.

Dobber trabte schweigend an. Als die ersten Tropfen fielen, stießen wir in einem steinigen Tale auf die Eindrücke der Räder des großen Vogels und auf eine Menge Fußspuren, auch auf Hufeindrücke.

Percy schwieg auch jetzt. Nur ein grimmes Lächeln verzerrte sein offenes kühnes Gesicht. Er ritt weiter, und ich blieb neben ihm.

„Dobber, deine Feinde sind modern,“ meinte ich anzüglich. „Aber die Anwesenheit des Doppeldeckers hier, mag sie eindeutig genug sein und die Brandstifter verraten, widerlegt entschieden die Annahme, daß Austin Gorrand beteiligt ist, denn er und seine beiden Freunde wurden von den Fliegern gefesselt.“

Er schnallte seinen Gummistoffumhang los … „Abelsen, ich habe nie behauptet, daß Gorrand zu ihnen gehört. Ich behaupte nur, daß man vom Flugzeug aus Brandbomben abwerfen und einen meilenweiten Busch im Nu ringsum anzünden kann, und so wird es wohl gewesen sein …“

Der erste Blitz fuhr herab.

„Galopp!“ rief Dobber … „Wir sind in kurzem aus dem Bereich des Regens.“

Damit schnitt er jede weitere Unterhaltung ab. –

Die Sonne schien wieder. Es war sechs Uhr nachmittags, und im Tale vor uns lagen die weit verstreuten Gehöfte von Walhallow-Station. Wir hielten hinter einer Schäferhütte zwischen Stacheldrahthürden. Links von uns gab es einen Buchenwald, daneben einen kleinen See, an dessen Ufern eine erquickend frische Fauna sproßte.

„Achi mag zur Store reiten,“ meinte Percy kurz angebunden. „Hier hast du Geld, schwarzer Freund … Nenne dem Storebesitzer nur den Namen Percy, und er wird genügend Patronen für uns haben …“ Er zählte noch vieles andere auf, was Achi mitbringen sollte.

Der kleine Prophet trabte davon.

Dobber blickte ihm lange nach. Er saß noch im Sattel.

„Steige nur ab, Abelsen,“ sagte er merklich zaudernd. „Ich will noch hinüber zum See reiten.“

Also abermals Geheimnisse!

„Soll das so weiter gehen?!“ fuhr ich auf. „Ich habe unter Kameradschaft …“

Sein Blick brachte mich zum Schweigen. Er konnte ganz merkwürdig die Augen zukneifen und den Mund zusammenpressen. Sein Gesicht war dann wie versteinert.

„Bist du ganz offen, Abelsen?! Ich habe gute Ohren … Du und Achi redeten da in der Grotte über ein Bergtal und eine Burg … Es gibt hier keine Burgen, das ist Unsinn. Was meint ihr damit?“

Sein Blick heischte Antwort. „Sprich, oder wir trennen uns!!“

Der Ton war nicht nach meinem Geschmack.

„Und Daisy Mallingrott?!“ sagte ich ebenso scharf.

Seine Züge umwölkten sich. „Laß sie aus dem Spiel!“

„Dann laß auch die Burg aus dem Spiel!“

Er lächelte plötzlich. „Hand her, Abelsen … Wir sind Narren … Zwei Geächtete wie wir sollten einander viel nachsehen.“ Er drückte meine Hand. „Abelsen, es wird der Tag kommen, wo wir alle Hüllen fallen lassen …!“ Es klang entschuldigend, und ich war versöhnt. „Daisy ist die Tochter des Kolonel Mallingrott, vergiß das nicht,“ fügte er etwas unklar hinzu.

„Ja – und sie war es, die dich warnte, Dobber. – Ich verlange keine Antwort – noch nicht, Dobber … Doch die Umstände können vielleicht früher als du glaubst so zwingend sich gestalten, daß Offenheit zur Pflicht wird.“

„Dann – werde ich reden,“ – und er nickte mir zu und ritt im Galopp den ersten Buchen entgegen. Sogar das Packpferd nahm er mit.

Ich stellte meinen Fuchs in den Schatten der Hütte und saß rauchend am Abhang und überblickte die einsame Siedlung. Menschen gingen hin und her, Wagen wühlten sich über sandige Wege, Reiter trabten, in den gewaltigen Hürden wogten wie ein Meer die wolligen Rücken unzähliger Schafe. Von dem Kirchlein erklang das Gebimmel einer Glocke, und die Töne schlichen sich in meine Seele ein und weckten Erinnerungen, die tot sein mußten.

Mitten im langgestreckten Orte standen die Lehmhäuser und Wellblechbaracken dichter. Ich beobachtete Achi, der soeben vor einem größeren Gebäude absprang. Es mußte das Warenhaus sein, die Store.

Wie sollte ich es Dobber beibringen, daß unser Ziel die Burg sein mußte, an die er nicht glaubte?! Was tat er dort im Buchenwald am See?!

Ich schaute hin …

Ein ungesatteltes Pferd lief in das Tal hinab … Es war ein Rappe mit weißem Brustfleck. Ich kannte ihn.

Es war Daisy Mallingrotts Rappe, der vor Stunden weit nach Nordost in der Steppe zusammengebrochen war.

 

7. Kapitel.

Achi redet allerlei.

Menschen gehen durchs Leben wie Blinde und erleben nichts. Ihr Dasein kennt keine Abgründe, in denen die Sensationen wuchern. Sie leben nur nach innen, wie Jean Paul das ausdrückt. Jean Paul hat manches wahre Wort geprägt.

Coy Cala drückte das anders aus. „Olaf,“ sagte er, und er war ein Königssproß, „wer dem Leben ausweicht, stirbt als Armer …“

Er hatte so recht. Wir sind nicht in die Welt gepflanzt, um uns die Augen zuzuhalten und hinter dem Ofen zu hocken. Schreibtischphilosophen schmieren dicke Bände mit fein geschliffenen Redensarten voll. Stellt man sie in eine Einöde, werden sie jämmerlich zu Grunde gehen. Der Geist ohne die Tat ist nichts. Mein Landsmann Sven Hedin ist das beste Beispiel für Geist und Tat. Man kann ein Dichter sein, und doch ein ganzer Kerl.

Austin Gorrand war’s … Er kam so überraschend, daß ich ihn eine Weile wortlos anstarrte. Dieser Hüne mit dem lustigen Augenblinzeln und dem fatalen ironischen Lächeln stand urplötzlich neben mir.

„Mr. Abelsen, nicht wahr?“ lautete seine Begrüßung. „Sie sollten hier nicht so gemütlich das Landschaftsbild genießen … Die Wölfe laufen herum, und ich möchte Sie warnen. Kolonel Mallingrott gibt so leicht eine Spur nicht verloren.“

Ich blickte zu ihm auf und erhob mich langsam.

„Wir sind verwandte Seelen,“ fügte er in recht geschliffener Ausdrucksweise hinzu. „Sie sind Spieler um den Einsatz Ihrer Freiheit, ich verehre die rollende weiße Kugel. Man muß eine Ablenkung haben. Sie lieben, scheint’s, die Gefahr, ich liebe die Erregung des Hazards. Jeder nach seinem Geschmack …“

Seine Hand ruhte auf dem Schloß seiner Büchse, die er im Arm hatte.

„Kennen Sie mich, Mr. Abelsen?“

„Ja … Austin Gorrand.“

„Stimmt. Student in Oxford, Doktor der Rechtswissenschaften, jetzt Schafzüchter und Verfasser des Serienstücks „Das blaue Kaninchen“. Nebenbei schrieb ich ein Dutzend Romane. – Verrückt, nicht wahr? Man stiehlt den armen, professionellen Schluckern das Brot. Ich bin Sohn eines anerkannten Millionärs. – Machen Sie sich dünne, Mr. Abelsen. Der Kolonel ist nur durch den Buschbrand aufgehalten worden, und sein Töchterlein … – na, ich habe Sie gewarnt …!“

Sein prüfender Blick gefiel mir nicht. Er selbst, Austin Gorrand, war entschieden eine rare Pflanze.

„Ich danke Ihnen,“ sagte ich nur. „Ich reite sofort weiter. – Sahen Sie den Buschbrand?“

„Ich sah so manches …“ Sein Lächeln war vieldeutig. „Reiten Sie bald … Die rotbraune Katze ist am gefährlichsten. Sie zeigt stets die Krallen, wenn man es am wenigsten glaubt. Man sollte an gar nichts glauben, Mr. Abelsen. Auch nicht an Leute, die die verfolgte Unschuld markieren. Das ganze Leben ist Schwindel.“

Meinte er Percy Dobber?!

„Ich pfeife auf alles …“ und er fächelte sich mit seinem Basthut, der einen Nackenschleier hatte, Kühlung zu. „Aber ich verpfeife niemand. Sie werden ja selbst einige Menschenkenntnis besitzen. Ihr Lebenslauf ist mir nicht fremd, das Eiland der Enterbten oder besser das Paradies der Enterbten regte die Zeitungsschreiber mächtig auf … Man hätte Ihre Insel gern beschlagnahmt … Was ist eigentlich daraus geworden?“

„Versunken,“ sagte ich ernst.

Er nickte sinnend. „Das habe ich mir gedacht. Ich will nicht indiskret sein, aber mir scheint, Paloma Ruxa und Lord Battingham … – nun, das ist schon indiskret. – Was gedenken Sie zu unternehmen, Mr. Abelsen?“ fragte er in ehrlich-freundlichem Tone. „Kann ich Ihnen irgendwie beispringen?“

„Sehr nett von Ihnen,“ lehnte ich höflich ab. „Ich fühle mich am sichersten allein – und am wohlsten, Mr. Gorrand.“

„Wenn Sie nur allein wären!“ murmelte er. „Halten Sie sich hier jedenfalls nicht allzu lange auf … – Wiedersehen …“

Er faßte in die Tasche und reichte mir ein goldenes Kettchen, an dem ein Glücksschweinchen mit grünen Steinaugen hing.

„Da – mag es Ihnen Glück bringen …“ und er schritt zwischen den Zäunen davon und verschwand in einer Senkung.

Es war genau dasselbe Amulett, das auch Percy am Halse trug. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Massenartikel, obwohl die ganze Ausführung des Glücksschweinchens nicht nach Dutzendware aussah.

Ich band es mit einem skeptischen Lächeln um und barg es unter das Hemd. Austin Gorrand war sicher kein übler Wicht, nur ein echter Sohn dieser weiten Wüsten, in denen die Langeweile die Charaktere zermürbt. – Seine Andeutungen ließen einen bitteren Stachel in meinem Herzen zurück. Seine Warnung beunruhigte mich. Es konnte noch eine Stunde dauern, ehe Achi wieder zurück war. Tat ich nicht richtiger, diesen ungünstigen Platz zu verlassen? Kolonel Mallingrott konnte uns hier sehr leicht einkreisen.

Forschend schaute ich nach dem See hin. Papageienschwärme flogen auf, und zwischen dem Unterholz erschien in gestrecktem Galopp Percy Dobber …

„Abelsen, Aufbruch …!!“ rief er schon von weitem. „Hier – ein Bleistift … Male an die gekalkte Tür das Wort Woods in lateinischen Buchstaben, – Achi wird uns dann schon finden … schnell!! Der Kolonel ist im Anmarsch …“

„Und Austin Gorrand war hier …“

Er stutzte.

„Gorrand?!“

„Ja …“– Ich malte „Woods“, und dann trabte ich hinter Percy drein, der rechts um den See bog und die Südecke des Tales von Walhallow zu erreichen suchte, wo es ebenfalls Buchenwald mit dichtem Unterholz gab. Sein Packpferd lief ohne Leitseil und die Zügel waren an dem ballonartigen Lederpaket festgebunden.

„Bleibe neben mir,“ meinte er, als ich das Packpferd kritisch musterte. Es trabte sehr schwerfällig. „Also Gorrand sprach mit dir? Was denn?“

„Er warnte mich.“

„Vor wem?“

„Vor Mallingrott und Daisy und …“

„Ah – und vor mir – natürlich! Er weiß es nicht besser …Ich trage ihm nichts nach. – Abelsen, ich bin ein Meuchelmörder!“ – und er lachte mich grimmig an … „Die Schufte haben den Mord natürlich sehr fein konstruiert, es war ein tadelloses Rechenexempel, und was dabei herauskam, war meine angebliche Täterschaft … Extra einen Detektiv aus Brisbane verschrieb Kolonel Mallingrott sich, und der reiste mir um die halbe Erde nach, Abelsen, bis in dein Vaterland, bis ich ihn dort im Zuge im Dunkeln niederboxte und ihm einen Teil seiner Papiere stahl … Mein Junge, das war Notwehr, verdammt noch mal, nur Notwehr, und das andere auch: Der zweite Diebstahl in jener Nacht, du weißt, – dafür bekam ich meine Strafe aufgebrummt, dadurch rettete ich mich vor dem Strick, Abelsen, denn im Zuchthaus war ich sicher wie in Abrahams Schoß … – Einzelheiten erzählen?! Wozu?! Begnüge dich mit dem Wenigen und schau mir in die Augen und sieh, daß ich nicht lüge! Du hast viel erlebt, ich mehr! Zwei Jahre hause ich nun hier in der Wildnis als Jäger und Goldsucher, aber mein Gold, Abelsen, trage ich nur Korn für Korn in Monaten zusammen, mein Gold ist edler als jedes Metall, mein Gold ist der Nachweis meines guten Rechts auf das Erbe meines Onkels Old Dobber und der Nachweis meiner Schuldlosigkeit. – So liegen die Dinge … Das ist mein Kampf gegen meinen Stiefbruder Armand und sein Gelichter. Alles andere ist Lüge, was man dir erzählt haben sollte. Old Dobber war der einzige Bruder meines Vaters, und meine Eltern lebten bei Palmerston auf der gebirgigen wundervollen Melwille-Insel … Vater war Beamter, Mutter starb früh, und Vaters zweite Frau gebar ihm dieses Scheusal von Mensch, unter dessen Schritten das grünste Gras verdorrt, so giftig ist diese Natter! Drei Lebensjahre trennten uns nur, aber eine Kluft trennt uns, die kein Ende hat: Er war schon als Kind ein Heuchler, Lump und Schleicher. Onkel Dobber erkannte seine Schlechtigkeit, … ich zu spät. Ich wurde verfolgt, ich floh durch die Länder, ich versäumte so mein gutes Recht: Old Dobber starb, und sein gefälschtes Testament machte Armand zum Millionär! – Nicht wahr, Abelsen, das ist eine wilde Geschichte, an der man zweifeln könnte. Frage Mallingrott, frage Austin Gorrand, der mir einst befreundet war: Sie werden dir sagen, Armand sei ein äußerst sympathischer Charakter, und ich sei ein Schurke und Mörder und weiß Gott noch was!“

Wir hatten den Wald erreicht …

Unter den ersten Bäumen hielt der kleine Prophet mit seinem hochbepackten Gaule und grinste vergnügt.

„Telephon feine Sache,“ meinte er so nebenher … „Telephon in Store läuten, als dort sein. Kolonel Mallingrott rufen an, weil in Polizeistation kein Anschluß … Storebesitzer mir zublinzeln und sagen, keine Fremden im Ort … Ich euch sehen traben, ich näheren Weg, alles in Ordnung. Kolonel telephonieren von Sturt-Farm. Noch anderthalb Stunden bis hier … Uns nachpfeifen können …“

Trotzdem beeilten wir uns. Eine Stunde drauf lag wieder die Wildnis vor uns, die letzten Hürden hinter uns. Das Landschaftsbild änderte sich. Ich hatte bisher die eigentliche inneraustralische Sandsteppe in solchem Ausmaß nicht gekannt. Hier gab es keinen Brigalow, keine Riesenschachtelhalme, nur kümmerliche Dornen, Pesersträucher und Salzgräser. Die Luft war dünn und so ohne jede Feuchtigkeit, daß wir grausam schwitzten. Sanddünen verlegten uns den Weg, Sand, so fein wie Staub … Und dennoch überall die Spuren der einzigen Bewohner dieser Einöden: Emu, Känguruh und Kaninchen. – Wovon sie leben – ein Rätsel. Aber sie leben und sind zahlreich und erfreuen das Auge und erheitern die Monotonie eines Landstriches, der bis zum Woods-See nicht eine einzige Siedlung kennt.

Menschen hier?!

Vielleicht mal ein Emu-Jäger … Vielleicht ein scheuer Trupp Neger, der bisher dem Segen der Zivilisation entronnen ist, – das heißt der Fronarbeit auf den Farmen. Vielleicht ein paar halb verrückte Dippers, die längst für geordnetes Dasein verloren sind und frei sind und Landstreicher sind und gelegentliche Buschklepper.

Wir trafen bis zur Nacht keine Seele.

Wir redeten und schwatzten und trabten, und der Einsamkeit holder Zauber machte uns die Augen blank.

„Was willst du am Woods-See?“ fragte ich Dobber, als Achi gerade drei Kaninchen schoß und zurückblieb.

Percy, schweißtriefend und froh, meinte ehrlich: „Die Schurken müssen da in der Nähe sich gelegentlich treffen, Abelsen … Und jetzt scheint der Zeitpunkt abermals nahe zu sein … Sie sind unterwegs, die zwölf …“

Ich riß den Fuchs hoch … „Zwölf?!“

Meine Stimme überschlug sich … Das war die Bestätigung meines Verdachts!

„Zwölf, Percy?!“

„Ja doch …“ – Sein Blick verriet sein Staunen. „He, was ficht dich an, Abelsen, – bist doch sonst so abgeglichen …“

„Die Burg, Percy!“ Und nun kam es über die eifrigen Lippen. „Die Burg existiert schon … Da, schau dir Achis schlechte Aufnahmen an … Und zwölf beobachtete er – einen Zug Gespenster.“

Dobber blieb kalt. „Also doch! – Mehr davon, mehr …! Was sah der Boy?“

„Genug, übergenug sah er … Und Angst hatte er … Kein Wunder. Nachts zwölf stille weiße Wanderer mit brennenden Kerzen, – ich habe es ihm auch nicht geglaubt, Percy … Aber die Bilder bestätigen Bergtal und Burg …“

„Sonderbar …! – Meine Nachforschungen, Abelsen, ergaben einwandfrei, daß all die Schufte, die an Armand wie Blutsauger hängen, mit ihm so eine Art Klub gegründet haben … In Palmerston hat der Klub ein vornehmes Heim, und sein Name …“ – er blickte mir in die Augen – „sein Name lautet: The Castle-Klub, der Schloßklub also, oder der Burgklub …“

Ein Wetterleuchten ging über seine Züge … „Abelsen, – das Flugzeug!! Der Doppeldecker!! Das sind sie, Abelsen!! Und – nun habe ich sie.“

Seine Faust klopfte auf den Kolben der Büchse. „Die Aussprache wird wohl etwas lebhaft werden. Aber erst später … Erst werden wir die Herrschaften in aller Ruhe beobachten, was sie da eigentlich treiben … Vieles ist noch dunkel. Es wird Licht werden. Vor einer Kugel wird der Kopf klar! – Reite mit Achi voraus, sucht einen passenden Lagerplatz … Ich muß allein sein. Mein Inneres ist Vulkan …! Endlich habe ich sie, und alle zwölf!! Endlich habe ich sie dort, wo keine Polizei mir in den Arm fallen kann! Da ist der schuftige Anwalt Smirson aus Brisbane, da ist der andere Rechtsverdreher aus Karumbo, da ist der gleißnerische Regierungskommissar Sellong aus Port Kennedy, – das sind die Hauptmacher … – Laß mich allein, Abelsen …Ich habe dir unendlich viel zu danken …“

Achi und ich trabten allein weiter. Dobber mit seinem Packpferd hielt noch an derselben Stelle.

„Mussu,“ grinste der kleine Prophet und betrachtete unsere drei Abendbraten, „Mussu, ich das alles wußten von Mord und anderem … Ich nicht reden gern viel. Ich nur sagen: Wir sein werden vier gegen zwölf, Mussu, vier …!“

„Du denkst, daß Daisy uns folgt und helfen wird?“ Mir erschien dies etwas unwahrscheinlich. Das Turnbull-Feld verlangte einen Ritt von mindestens noch einer Woche …

„Ich wissen, Mussu.“

Sein Ton überraschte mich.

„Woher nimmst du das mit solcher Bestimmtheit an?“

Er sog an seiner Zigarette und schielte zur Seite.

„Mussu, du schon sehen …“ wich er aus.

Ich kannte ihn, alle Fragen würden von ihm abprallen. Er hatte seine eigene Note.

Sein langer Affenarm deutete seitwärts. „Dort Tal sein …Gut zum Lagern …“

Als ich zurückschaute, stand Percy Dobber neben dem Packpferd und hatte den linken Arm auf den Hals des Tieres gestützt und den Kopf auf diesen Arm gelegt …

Ich konnte mir Percy weinend nicht vorstellen.

 

8. Kapitel.

Austin ist wieder da.

In dieser Nacht und in allen folgenden, auch bei kürzerer Rast am Tage hielt sich Dobber stets mit seinen Pferden abseits von uns. Nur die Mahlzeiten nahmen wir gemeinsam ein. Dann kehrte er zu seinen Tieren zurück. Er war stiller als bisher, aber nicht bedrückt. Seine Schweigsamkeit und sein Wunsch nach Alleinsein waren verständlich. Er sah sich dem Ziele nahe, er durfte auf die große Abrechnung hoffen, und gerade er, an Einsamkeit gewöhnt, wurde so leichter mit der Erregung des Harrens auf die wichtige Stunde fertig.

Achi und ich, aufeinander angewiesen, traten uns immer näher, und dieser junge kluge Bursche schlich sich in mein Herz ein und ward mir teuer und wert. Seine Wißbegier, sein Lerneifer verhalfen uns zu anregenden Stunden.

Wir hatten den Woods-See mit seinen Farmen und dem großen Goldfeld von Ashburton im Süden umgangen. Von Verfolgern spürten wir nichts. Wir waren nun im Turnbull-Feld, und an dessen noch fruchtbarem Rande stießen wir auf eine unzweideutige Fährte des Doppeldeckers: In einem Lehmtale fanden wir ein geheimes Benzindepot und daneben eine jener unterirdischen Wasserstellen, die man erst aufgraben muß. Hier hatte das Flugzeug längere Zeit gehalten, die Insassen hatten Kaninchen gejagt und getankt und waren dann weitergeflogen.

Achis untrüglicher Ortssinn versagte nicht. Am Abend des 1. September sichtete Dobber mit seinem Glase in dieser trostlosesten aller Sandwüsten einen hohen Gebirgszug.

Stumm gab er mir das Glas. Sein Gesicht war wie versteinert.

Ich schaute – – schaute …

Ich begriff ihn.

Dort leuchtete Schnee auf spitzen Kuppen, dort zogen weiße Striche die dunklen Hänge entlang: Es konnten nur Gießbäche sein …!

Schnee hier in diesem Backofen?!

Unmöglich!

„Salzablagerungen!“ sagte Dobber mit schwankender Stimme.

Achis Photographien hatten nur die Burg wiedergegeben, nicht die Kuppen der Randberge des Tales, nicht diese weißen Streifen …

„Und die … Gießbäche?“ fragte ich kopfschüttelnd.

„Vielleicht auch Salz … Natronsalz, Abelsen …“

Achi zog die Wulstlippen hoch. „Ja, das große Wunder sein …“ meinte er nur. Aber er war stolz auf sein Anrecht als Entdecker dieser Wunder. „Kanarra mich prügeln damals mit Riemen, als heimkehren, – Burg sein wert Prügel, ich denken.“

Percy drückte ihm die Hand …

„Mein Boy, wenn das Schicksal mich reich macht, ich werde dich nicht vergessen …!“

Wir hielten hier zwischen einer Kette jener lehmigen Kegel, die, vom wehenden Sand an den Unterteilen abgenagt, wie Pilzfelsen aussehen.

„Warten wir die Dunkelheit ab,“ meinte Dobber leise. „Und dann … dann werden wir nach Mitternacht an Ort und Stelle sein und uns verbergen und … beobachten. In der Nacht vom dritten zum vierten sahst du den Zug der Zwölf über den Felsendamm zur Burg wandern, Achi … Auch ich will das sehen, denn es muß irgendeine Bedeutung haben. Armand ist kein Phantast, der hier in die Sandwüste vielleicht seltsame Logengebräuche oder Ähnliches verpflanzt. Armand ist ein eisig kühler Kopf und ein Kerl ohne Herz und Seele. Gespensterszenen liegen ihm nicht, es sei denn, daß er Vorteil davon hat. Und wo wäre hier etwas dadurch zu ergaunern?!“

Die Nacht nahte. Die Finsternis schlich über die Ebene, und die Mondsichel warf wunderliche Schatten der Lehmpilze auf den gelben Streusand. Wir lagerten unter einem der größeren Pilze, und wir merkten die Nähe von fruchtbarem Boden und Wasser an der Menge der Tiere, die nun aus ihrem Schlupfwinkel dorthin zogen, wohin uns das Geheimnis eines phantastischen Bauwerks lockte. Erdschwalben hatten in den Lehmwänden der Pilze ihre Löcher und Nester, und ihre Gleichgültigkeit gegenüber unserer Anwesenheit bewies, daß das Raubtier Mensch ihnen fremd war. Sie flogen ab und zu, ihr helles Pfeifen wurde nur übertönt von dem häßlichen Schrei der Strauße und dem dumpfen Dröhnen der Sprungfüße der Känguruhs, die bis zu zwanzig Stück vorüberhüpften …

Dobber lagerte fünfzig Meter abseits wie immer. Soeben hatten wir gegessen, das Feuer brannte noch, und Dobber erhob sich und wollte zu seinen Pferden hinüber.

Wie immer ein Handschlag als Gute Nachtgruß, – wie immer bat er sich fünf Zigaretten aus … –

„Mussu,“ sagte der Prophet zu mir und scheuerte den Kessel mit Sand, „Percy sein großer Blinder …“

„Blinder?“ Ich lag auf dem Bauche, und ich war satt und faul und glücklich und zufrieden wie selten.

„Du auch Blinder, Mussu,“ meinte der freche Achi eindeutig, unterbrach das Scheuerfest und blinzelte mir zu. „Percy denken, ich blind … Er irren sich. Ich das schon wissen seit Walhallow.“

Ich gähnte. „Du würdest mich zu Dank verpflichten, wenn du mit dem Unsinn aufhören würdest …“

Wir hatten Percys Verlangen nach Einsamkeit stets respektiert und ihn nie besucht.

Glaubte ich …

„Mussu,“ griente Achi noch unverschämter, „wenn du mal wollen nachher kriechen zu Dobber und kriechen im Bogen von andere Seite, du Mund aufreißen.“

„Du bist verrückt, mein Sohn …“ – und ich sog liebevoll an meiner Zigarre.

Achi zog die Nase erheblich kraus. „Ich nur klug sein und Augen haben … Du nicht Augen haben.“

Ich blickte einem Trupp Känguruhs nach. Es waren vier Jungtiere dabei, und diese kleinen Kerle wirkten so belustigend in ihren unbeholfenen Sprüngen, daß ich laut lachte.

Prophetchen nahm das krumm.

„Gut … ich bitten also, du mitkommen nachher, Mussu,“ sagte er schwer gereizt. „Ich schon immer nachts kriechen zu Percy, wenn du schlafen.“

„Was ich ziemlich gemein finde, mein Sohn!“

Er blitzte mich wütend an. „He, und Packpferd?! He, nicht blind sein du?!“

„Was soll das alles?“ fragte ich einlenkend, denn jetzt tauchte ein Gedanke in mir auf, der schon längst bei geringen Anlässen wach geworden war.

Aber Achi packte den Kessel weg und gab den Pferden zu saufen und hielt mich keiner Antwort für wert. Nachher setzte er sich oben auf einen der Nachbarpilze und starrte den Mond an. So konnte er stundenlang sitzen. –

Was war es mit Dobbers getrenntem Lagerplatz? Sollte er …

Ich legte die Zigarre weg. Coys Schüler tat sein bestes, ungesehen den Freund zu beschleichen.

Hier wuchsen wieder Büsche, Kasuarinen, – hier hatte die Einöde schon ein freundlicheres Aussehen.

Nicht einmal Achi bemerkte mein Verschwinden. Ich kroch nach Westen, ich schwenkte nach Norden ein, – – und dann erblickte ich Percys Lagerfeuer und die ruhenden Pferde und den riesigen Lederballen neben dem Feuer.

Noch näher …

Die Lehmpilze standen hier dichter. Ich kam bis auf zehn Schritt heran …

Und fuhr zurück …

Da sprachen leise zwei Menschen, ganz leise …

Täuschte ich mich?!

Ich schob den Kopf vor …

Die Lederkugel war nach mir hin geöffnet, und in dieser winzigen Hütte saß Daisy Mallingrott. – Mein erstes Gefühl war das der Beschämung. Der kleine Halunke Achi hatte Percy und mich übertrumpft. Percy hatte geglaubt, Achi würde nichts merken, war also ein Blinder gewesen, – und ich desgleichen, weil ich überhaupt nichts geahnt hatte, wenigstens nicht dies!

Und das andere Gefühl, schmerzhafter als die Beschämung, aber rasch wieder verebbend, weil unsinnig und mehr Augenblicksstimmung, war bittere Enttäuschung, vermischt mit harmloser Eifersucht. – Daisy Mallingrott, diese Wildkatze mit dem überschäumenden Temperament und mit dem ebenso wundervollen Maß an Selbstzucht, hatte in das leere Herz eines Weltflüchtigen wieder einmal törichtes Sehnen gezaubert. Mann sein – und Mann sein ohne Weib, ohne den Rausch und die Entspannung bei ahnender Liebe – ein Unding!! Zum Manne gehört das Weib. Die Natur hat es so gewollt, und wider die Natur ist jeder Kampf zwecklos. Die Monate der völligen Einsamkeit auf meiner künstlichen Insel hatte manches in mir geklärt. Ich hatte eingesehen, daß der Trieb stärker ist als der aus einer einzigen Liebesenttäuschung geborene Widerwille.

Und das dritte, was ich empfand, als Daisy sich nun hinausbeugte, Dobber die Arme um den Hals legte und ihn lange und heiß küßte, war das reinste: Ich hatte Achi vorgeworfen, Beschleichen und Belauschen sei gemein! – Ich schob mich sofort wieder diskret rückwärts hinein in das Gestrüpp. Mein Fuß stieß dabei gegen etwas Weiches, Elastisches …

Ein dumpfes Grunzen ertönte, genau so wie ein Ameisenigel seiner Empörung über eine unzarte Berührung Ausdruck zu geben pflegt.

Der Igel war Freund Achi, und seine Nase war noch tagelang böse geschwollen.

„Ein Ameisenigel …“ hörte ich noch die ahnungslose Daisy rufen.

Zum Glück war Daisy anderweit beschäftigt, und ihre Ohren lauschten wohl mehr dem zarten, zärtlichen „My Darling“ des glücklichen Percy als den Naturlauten der Wüste.

Der kleine Prophet erhielt zehn Meter zurück einen gründlichen Anpfiff. Mitten in meine gedämpften Vorwürfe hinein zerriß der Knall eines Schusses die bisher so feierliche Stille. Ein gellender Schrei folgte, – dann der blecherne Klang einer Pistole, – dann Austin Gorrands brutales Lachen …

„Sieh da, – ein feines Gespann!! Miß Mallingrott, Ihr Vater wird über diesen Schwiegersohn entzückt sein …!“

Also der vor Eifersucht tolle Austin mit seinen Freunden!!

Zuweilen ist man unbegreiflich harthörig. Ich hätte doch schon in Walhallow Austins Andeutungen verstehen müssen …! Ich hatte im Dunkeln getappt, – er hatte längst Bescheid gewußt.

Ich sprang auf. Ich mußte hier weiteren Gewalttätigkeiten zuvorkommen … Ich sah im Lichte des Lagerfeuers mindestens acht Menschen, zu einer wild bewegten Gruppe zusammengeballt.

Eine schwarze Faust riß mich nieder …

„Mussu, du Verstand verloren?! Austin auch uns gefangen nehmen! Wir keine Waffen mithaben, – wir schnell zurück zu Pferden, vielleicht schon zu spät sein …“

Es war eine segensreiche kalte Dusche. Achi glitt mir voran durch Gestrüpp und Grasbüschel. Wir nahmen den kürzesten Weg, und als Ansporn ertönte hinter uns das Schreien und Gellen erhitzter Stimmen: Daisys abgewiesene Liebhaber feierten Sieg!!

– – Als ich Knabe war und Karl Mays Indianererzählungen mich beglückten – heimlich mußte ich sie lesen, denn mein Vater hatte weder Sinn für Romantik noch das geringste Verständnis für die geistigen Bedürfnisse der Unreifen –, als ich in der Bodenkammer am verstaubten Fenster hockte und Spinnen und Fliegen mir Gesellschaft leisteten, habe ich nicht ahnen können, daß das bunte Leben einst dem gereiften Olaf Ähnliches bescheren würde. An Coys Seite hatte ich die Pampas mit ihrer wunderbar klaren Luft durchstreifen dürfen, wir hatten den Puma gehetzt, wir hatten mit flüchtigen Hirschen Wettrennen veranstaltet, – wir hatten die ewigen Schneehöhen der Anden erklettert, – von blutigen Kämpfen war nicht viel zu berichten, aber es waren doch die nervenkitzelnde Romantik der Steppe und der grandiosen Gebirgswelt, die melancholischen Reize [der][1] Kanäle und starren Inseln der Küstenstriche gewesen. Wen das Dasein beschenken will, dem gibt es einen Freund, die Freiheit der Einsamkeit und ein starkes Erleben. Alle anderen Geschenke bleiben schwächlicher Trug. Nur die Natur hebt den Menschen über sich selbst hinaus, nur aus dem innigsten Verbundensein mit der alles spendenden Urmutter schöpfen wir wahre Werte.

Daisys genarrte Verehrer feierten Sieg. Achi und ich hatten nur die Pflicht, diesen Taumel der brüllenden Rotte zu dämpfen.

Wir sahen unseren Lagerplatz vor uns …

Bitterste Enttäuschung ließ uns reglos in die schützenden Gräser sinken: Vier Leute standen bei unseren Pferden, packten gerade unsere Sachen zusammen. Das Lagerfeuer beleuchtete wildfremde Gesichter.

Achi – niemals fluchte er –, diesmal klang sein heiseres Flüstern wie eine wilde Verwünschung.

Die Kerle zogen mit unseren Tieren und Waffen ab.

„Mussu, sie uns suchen werden … Mussu, schnell fort von hier …!“

Und – ich mußte nachgeben! Ich war ein Gezeichneter, die Hand des Gesetzes drohte mir mit unbequemen Fesseln und einer trostlosen Zelle! Wußte ich, ob Austin Gorrand mich nicht doch Mallingrott ausliefern würde? Schon deshalb, weil ich Percy Dobbers Freund geworden!

Vieles schoß mir durch den Kopf … War’s Feigheit, Daisy und Percy im Stich zu lassen?! Hatte ich mir nicht so und so oft zugeschworen, nie wieder für andere mich zu opfern?! Stand Percy Dobber mir wirklich so nahe, daß ich meine Freiheit für ihn aufs Spiel setzen müßte?! Wer war Daisy, – was war sie mir?! Doch nur ein Weib wie viele andere, an denen sich mein Mannestum flüchtig erhitzt hatte!

Achi hatte schon recht: Fliehen!! Vielleicht ergab sich später eine Gelegenheit mit Austin Gorrand irgendwie ins Reine zu kommen. Es war ja selbstverständlich, daß auch er die fernen Berge mit den so unwirklichen weißen Häupter aufsuchen würde. Niemals würde er jenen bisher so unbekannten Gebirgszug übersehen, – er mußte die Burg finden, und dort …

Das alles blieb der Zukunft vorbehalten. Mochte dieser Tag, diese Nacht ihre eigene Enttäuschung gehabt haben: Das „Morgen“ war mir im Grunde gleichgültig. Wer nicht der Gegenwart lebt, wird nie Herr der Zukunft werden.

Achi zupfte mich schon wieder am Ärmel …

„Mussu, du kommen … Ich schon finden Ausweg!“

Er war nur ein schwarzer hagerer Bursche …

Er war ein Kind dieses seltsamen Landes, das so seltene, seltsame Tiere birgt. Er fand einen Ausweg.

 

9. Kapitel.

Operettenwalzer.

Nicht daß er den Weg wählte, den ich vermutete. Achi, kleiner Prophet, war groß in Unternehmungslust und Tapferkeit. Es war bei ihm nicht der Wagemut der kraftstrotzenden, selbstbewußten Naturen, es war die selbstverständliche Kühnheit eines schlichten halbzivilisierten Jungen, dem das Leben nicht so überaus wertvoll erscheint wie vielleicht den klugen, kühlen Köpfen, die alles wagen und überall an Rückendeckung denken.

Wir schlichen dorthin zurück, wo Daisys heißer Küsse nächtlichen Rausches so grausam durch eine brutale Stimme zerstört worden.

Die Dunkelheit war noch drückender als vorhin, – der Mond war verschwunden, – eine fahle Wolkenwand, verschleiert beleuchtet durch das Nachtgestirn, lauerte im Westen über den unsichtbaren geheimnisvollen Höhen.

So näherten wir uns, zwei gleitende Schatten, dem großen Pilzfelsen. Stimmen erklangen aus drohender Finsternis, das Lagerfeuer des Liebespaares war gelöscht, phantastisch hoben sich die Konturen der grasenden Gäule gegen die Wolkenschicht ab. Die Stimmen erklangen aus allen Richtungen, die Leute riefen sich zu, – – suchten nach uns, die man gerade hier nicht vermutete.

Achi raunt mir ein paar Worte zu …

Sein Plan ist kühn …

Sein Plan ist trotzdem der einzige, der uns ein Übergewicht über Austin Gorrands Bande verschaffen kann. Haben wir alle Pferde, ist Austin lahm gelegt. Ohne Pferde ist diese Wildnis die Hölle, die keinen Verdammten mehr herausgibt.

Achi übernimmt die schwierige Aufgabe ganz allein. Sein dunkles Gesicht ist weniger verräterisch als mein nur gebräuntes. Ich schmiege mich tiefer in die dürren Gräser, und meine Ohren lauschen gierig den Geräuschen der Nacht, dem Stampfen der Pferde, dem erbosten Schnauben irgendeines unverträglichen Tieres, das als Eigenbrödler fremde Gesellschaft nicht liebt und auskeilt und Verwirrung hervorruft. Ein tiefer Baß fluchte mit erheblichem Stimmaufwand, – von links kommt Austins Stimme messerscharf und erregt: „Zündet die Laternen an! Der Kerl ist mit dem Satan im Bunde!“

Ein klingendes Lachen folgte, – unbegreiflich den ganzen Umständen nach. Daisy Mallingrott lachte den jungen Gorrand zweifellos aus. „Sie hätten etwas vorsichtiger sein sollen, Freund Austin! Percy Dobber fangen ist nicht so ganz leicht … Wenn Sie ihn schon fesselten, hätten Sie nicht gerade die Stricke brauchen sollen, die so bequem zur Hand lagen. Vielleicht hat jemand noch schnell diese Stricke etwas eingekerbt, Austin Gorrand, und vielleicht war ich dies, die nicht ganz unerfahren ist, gewisse Leute zu foppen!“

Ich hob den Kopf ein wenig. Laternenlicht blitzte trübe an drei Stellen, ward heller, kämpfte gegen nächtliches Dunkel zwecklos an. Gestalten glitten wie Spukgebilde vorüber, und abermals Gorrands metallische Stimme: „Immerhin, wir haben Sie, Miß Mallingrott, und wir …“

Wie ein seltsamer Spuk jagt eine Schar von Pferden unter dumpfen Geräuschen gen Osten. Die dicht zusammengedrängten Tiere erscheinen wie eine einzige feste Masse, wie ein Ungeheuer der Vorzeit, das mit zahllosen Beinen und Köpfen in der Finsternis davonrast, – Pferde ohne Reiter, Pferde, behängt mit klapperndem Lagergerät, mit Kesseln Pfannen, Flaschen und Zinntellern …

Hinterdrein erklingen die ohnmächtigen Verwünschungen der Gorrand-Leute und das silberne, freudige Hohngelächter Daisy Mallingrotts.

Langsam schiebt sich der Mond wieder hinter der Wolkenwand hervor. Gleich einem fein ausgeklügelten Beleuchtungseffekt auf einer modernen Bühne oder im Filmatelier wuchs das milde Licht ganz allmählich und zeigt mir ein paar Männer, die wie besessen hinter den Tieren herrennen, so nutzlos dieser Versuch, sie einzuholen, auch sein mag. Sie rennen trotzdem, sie sind in diesem Augenblick nichts als gedankenlose Puppen, nichts als tote und doch bewegliche Metallstückchen, die ein Magnet über eine glatte Fläche hinter sich her zieht. Gorrand brüllt den Narren, die da als Opfer einer reinen Reflexbewegung sich abmühen, unhöfliche Grobheiten nach …

Daisy lacht.

Hurtig schiebe ich mich rückwärts …

Ich bin nicht schadenfroh genug, Daisys Lachen zu billigen. So, wie die Dinge jetzt liegen, wird das rotbraune Mädel kaum zart behandelt werden. Vielleicht ist es besser, ich harre hier noch aus. Ich werde nachher meinen Achi schon finden … Er hat mir genau angegeben, wo wir uns treffen sollen, er wird einen großen Bogen nach Süden reiten und dann wieder nach Westen einbiegen.

Diese Lehmpilze – in der Sahara, in Südarabien trifft man ähnliche Gebilde aus festem Gestein an – mit ihrer rauhen, unebenen Oberfläche sind vielleicht gute Verstecke. Sie wachsen stellenweise so dicht nebeneinander aus dem Boden, daß die kleineren eine Brücke zu den Riesenexemplaren bilden. – Ich beeile mich. Ich liege oben in einer Mulde solch eines Lehmgewächses, und vor mir scharen sich die Gorrand-Leute um Daisys Zeltbau zusammen. Austin und das Mädchen werden zum Mittelpunkt einer erregten Auseinandersetzung … Beide stehen sich gegenüber, Austin ist der irrigen Meinung, daß Percy Dobber die Gäule entführte, und seine Stimme dringt zwar hart bis zu mir empor, verrät jedoch nicht mehr die überlegene Schärfe des Siegers.

Hin und her fliegt Rede und Gegenrede, – Daisys Haltung ist die eines Weibes, das diplomatische Höflichkeit mit dem Selbstbewußtsein einer Frau verbindet, die für eine gerechte Sache kämpft. Ihre ranke, schlanke Gestalt, umflossen vom weichen Lichte des Nachtgestirns, zeigt die ebenmäßigen Linien der Kinder dieses von der Natur zumeist so stiefmütterlich behandelten Kontinents, der dennoch gerade in der großartigen Eintönigkeit seiner unermeßlichen Einöden den Zauber der Weltenferne mit der urwüchsigen Kraft, starke Charaktere hervorzubringen, aufs glücklichste vereint. Die gesegneten Fluren anderer Länder, die mühelos Ernte und Nahrung und Erwerb den Bewohnern bescheren, schafft weichliche, phantasievolle, besinnlich-melancholische Menschen, – Indien, Ostindien, überhaupt die Tropen sind eindrucksvolles Beispiel hierfür. –

Austin Gorrand und seine Begleiter, abgeblitzte Verehrer eines rassigen Mädels, das sich im Sattel behaglicher fühlt als im häuslichen Sessel, läßt Daisys Worte gesenkten Hauptes über sich hingehen. Was sie spricht, ist eine berechtigte Anklagerede gegen diese Männer, denen die Liebe oder der Trieb die Sinne umnebelt hat. Was sie spricht, ist gleichzeitig scharfe Abrechnung mit Armand Dobbers niederträchtigen Ränken.

„… Trauen Sie es mir zu, Freund Austin – denn es gab eine Zeit, in der Sie sich mein Freund nannten –, einen Mörder zu schützen?!“

Ihre schmale braune Hand, die sonst den Wildleder-Stulpenhandschuh trägt, liegt auf seiner Schulter.

„Austin, ihr alle hier, das weiß ich, seid Armand Dobbers Feinde … Ihr verachtet ihn … Ihr seid viel zu impulsiv-ehrliche Naturen, als daß ihr etwas mit diesem Schleicher und Wüstling und weibischen Burschen zu schaffen haben möchtet. Armand verdient eure Abneigung, niemals Percy! Percy gehört mit zu euch, Percy ist gesund an Seele und Leib – wie ihr im Grunde auch! Percy würde euch jederzeit die Hand zu aufrichtigem Bunde reichen. Ich werde versuchen, euch die Pferde zurückzubringen. Dann reitet heim, Austin, und laßt mich ungestört den Kampf für Wahrheit und Recht zu Ende führen. Ich kenne euch alle … Eure Abenteuerlust ist die Haupttriebfeder eurer Versuche, mir zu schaden. Ihr seid nicht schlecht. Dieses Land, das die seltsamsten Geschöpfe der Erde birgt, versenkt das Hirn und trübt den Blick. – Werden Sie wieder mein Freund, Austin, wie in besseren Tagen, als wir und viele andere mit uns Strauße und Känguruhs jagten und ich wahrhaftig nicht aus spielerischer Gefallsucht zu euch nett und lieb war. Ihr habt mein Benehmen falsch gedeutet. Wir waren gute Kameraden, und ihr alle hättet merken müssen, daß ich euch mehr übermütige Schwester als sonst irgend etwas sein wollte.“

Ihre Hand glitt an Austins Ärmel entlang und umschmiegte seine Finger.

Er hob den Kopf und lachte frei. „Wir waren Narren, Daisy, und – nebenbei waren wir Halunken …! Pfui Teufel, – wir alle haben drüben in Old England gelernt, was ein Gentleman ist! Wir haben die Jahre in Oxford und Cambridge schnell vergessen! Daisy, Mädel, – die Kopfwäsche tat uns not! Einen Spiegel haben Sie uns vorgehalten und eine helle Kerze dazu, damit wir unsere wilden Fratzen einmal im rechten Lichte schauten! Dank Ihnen, Daisy! Und – verzeihen Sie uns!“

„Wie gern!!“ Jedem gab sie die Hand, für jeden fand sie noch ein herzliches Wort.

Das Gewölk im Westen hatte sich verzogen. Das Heer der Sterne blinkte und funkelte, und klar und scharf umrissen stand der Mond am nächtlichen Firmament.

„Dort!!“

Daisy streckte den Arm aus. „Seht, – dort das weiße Känguruh …!! Nicht schießen …!! Mag es euch Symbol sein des Beginns besserer Zeiten zwischen uns allen!“

Auch ich sah das riesige Tier. Langsam kam es von Norden her mit trägen Sprüngen über die Ebene, machte halt, windete vorsichtig, hoppelte weiter.

Austin und die Seinen bezwangen die fiebernde Jagdlust.

Näher und näher kam das gespenstische Geschöpf. Die hochgestellten Ohren spielten, – wenn es sich auf den muskelstrotzenden Hinterbeinen aufrichtete, war es weit über mannshoch.

„Nehmt es als Symbol!“ wiederholte Daisy nochmals. „Viele haben es zu erlegen versucht, noch keinem gelang es … Unsere Schwarzen droben in unserem Bezirk verbinden mit dem Tiere allerlei abergläubische Vorstellungen. Wir, Austin, wollen diese Stunde nicht vergessen, uns erschien das weiße Känguruh als Zeichen des Friedens! Nie würde ich die Büchse auf dieses Geschöpf richten, nie würde ich dulden, daß ein Mensch es hetzte! – Da, nun hat es uns erspäht … es äugt herüber …“

Sie winkte, und ihre helle Stimme rief dem Tiere übermütigen Gruß zu.

Das Känguruh wandte sich und tauchte in eine Buschkulisse ein.

Gleich darauf schritt Daisy Mallingrott, die Büchse über der Schulter, in derselben Richtung davon, während Austin und die Seinen sich lagerten und ein mächtiges Feuer anzündeten.

Ich verließ den Lehmpilz, bevor noch die Flammen ein allzu grelles Licht über die Umgebung streuten. Ich traf zehn Minuten darauf an der vereinbarten Stelle mit Achi zusammen. Der Boy saß in aller Seelenruhe in dem kleinen Sandkessel hinter der einzelnen, dürftigen Buche. Die Pferde weideten ein Stück nach Norden in einem lehmigen Bachbett, das nur nach starken Regengüssen Wasser führte.

„Mussu,“ begrüßte der kleine Prophet mich mit einem vergnügten Grinsen, „– Pferde sein da, – bald noch anderes kommen, Mussu … Daisy und Percy finden jede Fährte, und Austin Gorrand sein nun gut Freund … Das am besten so …“

Er hatte vor sich eine Konservenbüchse stehen, die nicht aus unseren Vorräten stammte. Sie war geöffnet und enthielt Huhn in gedünstetem Reis. Den Hühnerschenkel hatte der diebische Achi noch in der Linken.

„Mein Sohn, diese Anleihe da hättest du dir sparen können,“ meinte ich vorwurfsvoll.

„Kriegsbeute,“ nickte er erstaunlich gleichgültig. „Ich auch soeben erst fangen an zu essen … Ich hören mit zu, was Missu Daisy reden zu Austin. War schönere Predigt als in Missionsschule in Borraloola … Daisy sehr klug und sehr schön.“

Der Hühnerschenkel nahm ihn aufs neue in Anspruch. Den Gebrauch eines Löffels, den Reis zu vertilgen, verschmähte er. Er besaß die Fertigkeit der Chinesen, den Reis zu Kugeln zu rollen, und obwohl seine Hand kaum in die Büchse hineinging, brachte er es doch zuwege, in kurzem den Inhalt restlos zu vertilgen.

Ich hatte mich ihm gegenüber gesetzt. Er war ein erstaunlicher Bursche, alles in allem, dieser Maleachi. Die oft so kriecherische Art halb zivilisierter Farbiger fehlte ihm gänzlich. In seinem Charakter zeigten sich weitaus sympathischere Züge als sein Äußeres vermuten ließ.

Er wischte sich die Hände im Sande sauber, warf die leere Büchse in das Gestrüpp und schabte mit seinem Jagdmesser den Hühnerknochen flink und gewandt so vollkommen rein, daß meine Frage, was er damit beginnen wolle, eigentlich überflüssig war.

„Pfeife,“ sagte er nur und sägte die Enden ab, glättete die Schnittflächen, bohrte Löcher in die Knochenröhre und hatte so in wenigen Minuten eine kleine Flöte hergestellt, die er dann vergnügt ausprobierte. Sie hatte einen weichen Klang, und noch verblüffender war die Fingergeläufigkeit, mit der mein Achi mir jetzt in zartestem Moll ein uraltes Matrosenlied vorspielte.

Als er damit fertig, blinzelte er mich pfiffig an und meinte: „Ich nicht stehlen Hühnerbüchse wegen Huhn und Reis … Ich nur Knochen haben wollen, und aus Knochen Flöte …“

„Du könntest einen Advokaten durch deine Spitzfindigkeiten beschämen …“ – und ich lauschte einem zweiten Konzert, diesmal war es der Walzer aus der Operette „Die Geisha“. – Auf der Ruxa-Farm hatte es auch ein Grammophon gegeben, und unter den Schallplatten war die Geisha am stärksten abgespielt.

Ich blickte zum Monde empor. – Wie wundervoll war doch diese Nacht … Wie gern verzichtete ich auf die Segnungen der Kultur … Konnte es Schöneres geben als diese köstliche, reine, kühle Wüstenluft, als diesen Sternenhimmel und diese berauschende Einsamkeit?!

Achis fehlerfreie Wiedergabe des populären Walzers erinnerte mich an Zeiten, die mir bereits in fernste Vergangenheit versunken zu sein schienen. Wann – wo mochte ich Sydney Jones’ Meisterwerk zuletzt gehört haben?! War’s daheim in Schweden gewesen, – war’s damals, als ich den Traum eines baldigen Eheglücks träumte … und vor den Schranken des Gerichts erwachte?! War’s damals, – – oder …

Achi brach mitten in „O tanz’ du kleine Geisha, du …“ plötzlich ab.

„Kommen andere Geisha, Mussu …“ sagte er und erhob sich eilfertig. „Sein Daisy und Percy.“

Aus der Lehmrinne tauchten zwei Gestalten Arm in Arm auf. Daisy hatte ihren Kopf an Nr. 112’s Schulter gelehnt, und sie gingen sehr langsam und wie ein Liebespaar, das gemeinsam soeben den Mond angedichtet hat und keinen passenden Reim auf Kuß fand und es mit dem Kuß daher immer wieder versucht hatte.

Dobber nickte mir zu, als sie beide vor mir standen. „Freund Abelsen,“ meinte er herzlich, „ich bin eine höchst praktische Natur und stets rücksichtsvoll. Wenn du gewußt hättest, daß Daisy in dem Lederhäuschen steckte, würdest du zweifellos …“

Daisys Hand verdeckte ihm den Mund. „Mr. Olaf, es war stets sein Fehler, allzu viel Rücksicht zu nehmen …“ Sie lächelte ein wenig verschämt. Aber ihr freier Blick begegnete dem meinen ohne Scheu. „Percy und ich sind seit zwei Jahren etwa Mann und Weib. Es gibt da eine deutsche Operette …“

„Es ist eine englische, die Geisha,“ verbesserte Percy sanft und entfernte ihr Händchen von seinem Munde.

„Es ist eine deutsche, – Percy ist kein angenehmer Gatte … – eine deutsche, Mr. Olaf, – ich finde Ihren Vornamen wunderhübsch.“

„Du hast nur Percy hübsch zu finden,“ drohte die Robbe aus 112 gekränkt.

Es war das alles sehr spaßig, und selbst Achi grinste bis zu den Löffelohren.

Und Nr. 112 fügte noch hinzu: „Frage doch Achi, ob er nicht den Geisha-Walzer flötete …“

Daisy faltete verzweifelt die Hände.

„Ist er nicht schrecklich, Olaf?! Er läßt mich nie ausreden. Ich wollte sagen, daß es eine deutsche Operette „Der Zigeunerbaron“ gibt und …“

„Herr im Himmel,“ seufzte Dobber kläglich. „Sie ist entsetzlich unmusikalisch, Abelsen. Wenn sie die Lustige Witwe singen will, wird es stets der Trauermarsch aus …“

Prophet Maleachi wagte Partei zu ergreifen. „Auf mein Programm standen der Matrosensang und die Geisha, wie dies waren …“ – er mußte die Einmischung schwer büßen, denn Daisys Temperament schäumte über.

„Du bist auch ein Narr, Achi …!! – Im Zigeunerbaron kommt ein Duett vor, das …“

„Sie meint Duell,“ flüsterte Percy noch ärger seufzend.

„… Duett vor: Wer uns getraut … – und so weiter … – Aber wir werden sehr bald, hoffe ich, die amtliche Erlaubnis erhalten, vor aller Welt als Ehepaar Dobber auftreten zu dürfen …!“ Eine gewisse Drohung war in diesem letzten Satz deutlich spürbar, und ihre Rechte pochte leicht gegen den Kolben ihrer an der Hüfte hängenden Pistole. „Vielleicht wird vorher noch irgend jemand Bekanntschaft mit einem Strick, einer Schlinge und einem Baumast machen …“ Ihr Zeigefingerknöchel klopfte den Takt dazu … „Vielleicht werden es auch mehrere sein … Vielleicht schieße ich nicht nur nach armseligen Kaninchen … Vielleicht …“ Die Falten auf ihrer Stirn standen wie Wülste, und über dieser Stirn lag die Fülle des seidigen rotbraunen Haares und noch weiter zurück erhob sich die Krempe ihres flotten Hutes und bildete den Rahmen um diesen prächtigen Mädchenkopf.

Percy Dobber streifte sie mit schnellem Blick. „Darling, ich will nicht drängen, aber wenn Austin mit den Seinen recht bald abzöge, – ich denke, es wäre ganz wünschenswert …“

Maleachi schlenderte zu den Pferden.

„Ich machen die Gäule fertig, Mussu Percy …“ meinte er. Er hatte seine Hühnerflöte noch im Mundwinkel, und seine Stimme entbehrte der Klarheit, – oder er verbiß sich das Lachen, denn Freund Nr. 112 als nur vom Dompfaff getrauter Ehemann war zweifellos eine komische Erfindung.

Daisy Mallingrott drückte mir jetzt fest und kameradschaftlich die Hand. „Die Zeiten ändern sich, Mr. Abelsen … Oder darf ich Olaf sagen? Mir kommt es immer so unglaublich töricht vor, wenn Leute hier in der Wildnis sich mit Salonphrasen beehren … Mich dürfen Sie getrost Daisy nennen, wenn auch Percy dazu ein schiefes Gesicht zieht.“

„Ich ziehe gar nicht,“ lachte Dobber mit der frohen Gewißheit des Mannes, der sich geliebt weiß. „Ich ziehe höchstens immer an demselben Strange mit dir, my Darling … – Ihr Frauen vergeßt regelmäßig nach den ersten zwei Sätzen das, was ihr eigentlich habt sagen wollen. Du wolltest dich natürlich bei Olaf dafür bedanken, daß er uns ein so treuer Freund gewesen … Er nimmt es für genossen, Darling. Männern seines Schlages ist jedes Dankeswort nur peinlich. Im übrigen wäre es vielleicht angebracht, wenn ich Austin Gorrand die Gäule wieder zuführte und mit ihm und den anderen die Versöhnung durch einen Handschlag bekräftigte. Er ist ein vernünftiger Bursche, Darling, und gerade weil er sein Unrecht eingesehen hat, sollte man ihm einen Beweis unseres Vertrauens geben. Verrat ist von ihm auf keinen Fall zu fürchten …“

Er legte ihr den Arm um die Schultern. „Hast du Bedenken?“

„Nein …“ Aber es klang zögernd, und auch ich hätte ihm am liebsten abgeraten.

Percys graublaue Augen forschten halb belustigt in Daisys mondbeschienenen Zügen. „He, Darling, – doch ein wenig Sorge?!“

„Nicht Austins wegen,“ meinte sie merklich unsicher.

„Ah – dein Vater … und vielleicht die Kerle, die den Busch angesteckt haben und die uns schmoren wollten, das Gesindel!“ Er warf mir dabei einen eigentümlichen Blick zu, und ich irrte mich wohl kaum, wenn ich annahm, daß er manches von dem, was Achi und ich ihm verschwiegen hatten, recht genau wußte. „Einen Percy Dobber fängt man nicht so leicht,“ fügte er achselzuckend hinzu: „Habe ich vier gute Pferdebeine unter dem Leibe und einen vollen Patronenrahmen in der Büchse, möchte ich den sehen, der mir eine Falle stellt. – In zwanzig Minuten kann ich drüben bei den Pilzen sein, Darling. Ich werde einen Bogen reiten, und nachher wähle ich wieder einen anderen Weg …“ Er drückte sie an sich, ihre Augen ruhten in stiller Zärtlichkeit ineinander, und dann trabte er davon.

Der kleine Prophet hatte ihn begleiten wollen. Er und Achi flüsterten noch miteinander, als er schon die Mulde verlassen hatte, Achi rannte neben den Pferden her, – was sie flüsterten, schien selbst Daisy gleichgültig zu sein. Das wunderte mich.

 

10. Kapitel.

Einer von der Wells-Expedition.

Vieles wunderte mich. Nachdem Percy verschwunden und Mallingrotts Töchterlein ihm noch nachgewinkt hatte, wollte Freund Achi auf Kaninchenjagd gehen, obwohl unser Proviant eine solche nächtliche Jagd überflüssig erscheinen ließ. Ich war auch dagegen. „Wir sollten jeden Schuß vermeiden,“ begründete ich meine strikte Ablehnung. „Wir haben alle Ursache, unsere Anwesenheit zu verheimlichen. Diese Gegend liegt mir allzu nahe an dem Felsentale.“

Achi erklärte, er würde sich lediglich des Messers bedienen, und Daisy bestätigte, Achi sei als Messerwerfer eine erste Kraft.

Das war mir neu.

Und das war das erste, was mir aufstieß.

Achi zog also auf Kaninchenjagd – zu Fuß.

Daisy und ich saßen nun in der Sandmulde und redeten über dieses und jenes. Zum ersten Mal hatten wir Gelegenheit zu längerer Unterhaltung. Ich war erstaunt, daß die wilde Steppenblume so viel von der Welt kannte. Sie war in Townsville an der Ostküste erzogen worden. Früher hatte der Hafen Townsville regelmäßige Dampferverbindung nach den deutschen Südseekolonien gehabt. Ich kannte ihn. Die vorgelagerte Magnetic-Insel war uns Ingenieuren recht interessant gewesen. Wir hatten von Sydney aus die dortigen Magneteisensteingruben besucht. So klein die Insel ist: Die Magneterze üben auf weite Entfernung auf den Kompaß der Schiffe ihre Wirkung aus. – Daisy erzählte auch von ihren Reisen nach England, wo sie Verwandte hatte, und von allerlei Fahrten nach Neu-Kaledonien, Tasmanien, Neu-Guinea und Niederländisch-Indien.

Sie erzählte zuviel. Man ist ja schließlich im Laufe der Jahre recht hellhörig geworden, und Daisys Bestreben, mich nicht zu Worte kommen zu lassen und jeden Gesprächsstoff auszuschalten, der ihr unbequem war, trat allzu offensichtlich zutage. – Weshalb diese nervöse Redseligkeit?! Weshalb rauchte sie meine Zigaretten wie Stroh, – ohne Genuß offenbar, – weshalb zerpflückte sie sie zwischen ihren zarten Fingern – zart und feingliederig, und doch kräftig und flink genug, Büchse und Pistole unangenehm sicher zu handhaben?!

Ich liebe keine Unklarheit. Kameradschaft erheischt Offenheit.

„Daisy,“ sagte ich und blickte ihr in die dunklen Augen, „– Sie sind so unruhig. Was ficht Sie an?“

Dann, als sie nur den Kopf neigte und ihre Hutkrempe ihre Züge beschatten sollte, berichtete ich ihr kurz all das, was sie noch nicht wissen konnte. Ich wollte sie zur Offenheit zwingen.

„Das – ist unmöglich, das hat Achi sich aus den Fingern gesogen,“ meinte sie sehr bestimmt. „Niemals hat er nachts in dem Tale diese zwölf Gestalten beobachtet …“

Sie hob den Kopf. „Olaf, er hat Sie beschwindelt … Er hat es uns schon eingestanden …“

Und dieser letzte Satz war das dritte, das mich in Erstaunen setzte.

„Schon eingestanden?!“

Sie errötete. „Ja … Es ist so …“

„Wann denn? Dieses Geständnis kann doch nur …“

Sie merkte, daß sie sich festgefahren hatte.

„Vorhin …“ erklärte sie hastig. „Vorhin, Olaf … Wir haben Achi gesprochen, nachdem er mit den Pferden davongejagt war und auch ich mich von Austins Lagerplatz entfernte …“

Diese Geheimniskrämerei paßte mir gar nicht.

„Das ist ja recht eigenartig,“ – und ich scheute mich durchaus nicht, meine Enttäuschung und Gereiztheit zu verbergen. „Ich bin jetzt also isoliert worden, Sie haben auch Achi für sich gewonnen, und ich kann Außenseiter spielen, eine Rolle, die mir absolut nicht liegt. – Also Achi hat mich belogen?“

Sie wollte nach meiner Hand greifen und mich versöhnen. Aber ich hatte guten Grund verletzt zu sein, und meine Hand glitt zur Seite.

„Olaf!!“

Ich reagierte auf nichts.

„Inwiefern hat er gelogen?“ verlangte ich Auskunft.

Daisy war Naturgeschöpf. Borraloola war ein Nest, und Daisys Reisen hatten ihr die seelische Edelpatina der Wüste nicht rauben können.

„Machen Sie mich doch nicht traurig, Olaf,“ bat sie innig. „Achi erfand die zwölf Geister mit den Kerzen, damit Sie neugieriger werden sollten, – er sah nur zwölf Männer die Burg betreten …“

„Albern!! – Und wie kam er dazu, Ihnen die Wahrheit zu gestehen?“

Sie war sehr hilflos in ihrer Verwirrung. „Tragen Sie es ihm nicht nach … Wir … wir kennen Sie doch im Grunde so wenig …“

Jetzt hatte sie meine Hand doch erwischt, und ihre beiden Händchen schmiegten sich darum wie schmeichelnde Kätzchen.

Frauen bleiben sich stets gleich. Ihr letztes Mittel ist – vielleicht unbewußt – versteckte Zärtlichkeit.

„So – Sie kennen mich so wenig!!“ – meine Hand entwand sich den schmeichelnden weichen Fingern. – Dies hatte den Ausschlag gegeben. Das war ja eine Art Kameradschaft, die mir in der Tat unverständlich. „Sie scheinen nicht recht zu begreifen, wie verletzend Ihre Begründung für Ihre Heimlichkeiten ist,“ – meine Stimme wurde noch schärfer. – Was mich am meisten empörte, war Achis Treulosigkeit, – anders konnte ich das nicht bezeichnen. „Ich habe genug von alledem …!“ Ich erhob mich. „Tun Sie drei also, was Ihnen beliebt. Ich bin anderes gewöhnt …“

Sie fuhr hoch und vertrat mir den Weg.

„Olaf – Sie sollen alles wissen … Olaf, Achi hatte seine Knochenflöte als Signal für uns beide benutzt –, die beiden Stücke, die er blies, waren vereinbart, damit wir …“

Da riß mir der Geduldsfaden.

„So – auch das noch!! Ein Signal für Sie und Percy, – wirklich sehr erhebend für mich! – Leben Sie wohl, Miß … Abelsen findet auch allein seinen Weg … Lassen Sie mich gefälligst gehen … Kein Wort mehr … Es wäre zwecklos. Meine Pfade sind stets die Pfade der Einsamkeit gewesen, und meine Gefährten waren Leute, die …“

Ich ließ sie stehen. Sie machte auch keinen Versuch, mich zurückzuhalten. So weit kannte sie mich doch schon.

„Wo wollen Sie hin, Olaf?“ fragte sie nur ganz demütig.

„Zu der … famosen Geisterburg, Miß Mallingrott, – wohin sonst?! Ich gebe ein Vorhaben so leicht nicht auf …“

„Seien Sie … vorsichtig,“ flüsterte sie hinter mir drein.

Ich stieg in die Lehmschlucht hinab. Ich sattelte mein Pferd, ich teilte den Proviant, behielt nur das Nötigste in den Satteltaschen und trabte die Schlucht nach Norden entlang. Sie verlor sich bald, immer flacher werdend, in einem weiten Buschfeld.

Bitterkeit zerfraß mir die Seele. Daß Freund Achi gelogen, – das mochte hingehen, – daß er Daisy und Dobber mir vorgezogen und ihnen diesen verzeihlichen Schwindel eingestanden, das konnte ich nicht verwinden. Seine Handlungsweise war mir unbegreiflich.

Ich gab dem Braunen die Sporen, fegte durch den lichten Buschwald hin und war entschlossen, von Norden her den Bergzug zu erreichen, mein Tier zu verbergen und die Burg möglichst noch in dieser Nacht zu besuchen.

Nach einer halben Stunde schwenkte ich nach Westen ein, und wieder eine halbe Stunde darauf ritt ich ein Bergtal empor, in dem stellenweise der trügerische Schnee lagerte: Natron – am Rande kleiner Pfützen! Kein Schnee, nur ein Salz.

Ich fand ein Seitental, aus dem mein Fuchs so leicht nicht entweichen würde. Es gab hier Gras und eine nur ganz schwach salzige natürliche Zisterne.

So begann ich den Anstieg. Über mir leuchteten die wundervollen Schneekuppen – kein Schnee, und doch erinnerten sie mich schmerzlich an köstliche Tage der Vergangenheit, an denen wir, Coy, die anderen Araukaner und ich, die Höhle im Gletscher für immer versperrt hatten …

Hier wehte nicht die eisige Luft der Andenhöhen, hier war’s nur kühl, und die höchste Kuppe schätzte ich auf vielleicht vierhundert Meter. Dennoch wirkte dieses Felsmassiv, weil es unvermittelt aus der Wüste emporwuchs, bedeutend höher. –

… Ich stand auf einer der Randkuppen des Tales …

Unter mir lag die Burg.

Ich hatte mich mit ihr in Gedanken oft genug beschäftigt, seit Achi mir seine unscharfen Aufnahmen gezeigt hatte. Ich hatte mir ein bestimmtes Bild von ihr und ihrer Umgebung geschaffen, und diesem Bilde hatten die zwölf Weißvermummten eine besondere Note verliehen: Geisterburg!

Damit war’s nichts mehr.

Die Geister hatten sich als Erfindung meines frechen Achi herausgestellt.

Aber das, was als tatsächlich vorhanden nun vor meinen Blicken sich phantastisch dem Monde und den Gestirnen entgegenreckte, war noch seltsam genug und wunderbar schön bei diesem magischen Lichte.

Es war kein Naturgebilde. Es war ein Bauwerk von Menschenhand, großartig in seiner ganzen Anlage, erstaunlich durch das verwendete Material.

Es konnten nur Salzwürfel sein.

Seltsames Land – fünfter, kleinster Kontinent! Du birgst in deinen Einöden die einzigen Beuteltiere, du birgst Geschöpfe, die kein anderer Erdteil kennt, du bist ein losgerissenes Stück der großen Inselbrücke nach Indien hin, – du bist vergessenes Überbleibsel der Urzeit! Deine Känguruhs sind Nachkommen irgendwelcher Riesentiere ferner Epochen, deine Beutelwölfe, deine Lungenfische, deine sogenannten Kloakentiere: alles Zeichen des Stillstandes der Fortentwicklung.

Und hier: Ich stehe auf knirschenden Salzschichten, deren Dicke ich noch nicht kenne … Ich sehe die „Gießbäche“: Es sind Salzablagerungen, die sich talwärts in die Felswände eingeschmiegt haben. – Wie uralt mögen diese Salzmassen sein?!

Wie dick?!

Dick genug, daraus Blöcke zu gewinnen …

Denn dort leuchtet bläulich im Mondenglanz das merkwürdigste Werk von Menschenhand, errichtet in der trockenen Luft dieser Steppen, dieses einsamen Höhenzuges, der vielleicht niemals den Regen kennen lernte … –

Mein Fernglas läßt mich alle Einzelheiten unterscheiden. Ich habe mich niedergelegt, um nicht aufzufallen. Ich spähe rundum, ich suche den großen Doppeldecker …

Die Fensteröffnungen der Burg, nur schmale Schießscharten, glitzern blank: Fenster!

Aber kein Lichtstrahl dahinter.

Alles tot und einsam.

Ich sehe den Steindamm, der sich, schmal und hoch und wie eine Mole zur Burgpforte emporreckt.

Ein seltsames Gefühl befällt mich. Ein Geheimnis umweht mich, ich spüre es. Niemals können der Erbschleicher Armand Dobber und sein Gelichter diese Burg erbaut haben. Wer tat es?

Das Geheimnis lockt.

Vergessen sind Percy, Daisy und Maleachi …

Ich freue mich über mein Alleinsein. Ein Wunder schaue ich hier – wie damals, als ich zum ersten Male das Paradies der Enterbten aus dem Meere auftauchen sah …

Und Wunder soll man allein genießen, ergründen. Wunder sind zarte Geheimnisse, die durch Geschwätz nur entweiht werden.

Ich klimme abwärts.

Es ist jetzt halb drei morgens. Noch anderthalb Stunden bleiben mir, dann naht der Tag, dann kommt die Sonne. Im Sonnenglanz muß die Burg noch zauberhafter wirken.

Ich klimme abwärts, und ich meide alle Stellen, wo ein Wächterauge mich bemerken könnte. Auf den beiden Türmen habe ich niemanden gesehen, hinter den schmalen Fenstern sehe ich auch jetzt nichts.

So erreiche ich den Steinwall. Es ist ein natürlicher Felsrücken, nichts weiter.

Ich ziehe es vor, es den großen Eidechsen gleichzutun, die hier zwischen den Steinen dahinschlüpfen. Ich krieche.

Coy hat es mich gelehrt, Coy der Unvergessene, Königssproß, – armer Jäger und Fischer, ein Unbekannter bisher, nun vielleicht, da mein Manuskript längst an den Freund nach meiner Vaterstadt Malmö unterwegs, sehr bald von diesem Freunde, der den Aufstieg zum eigenen Verlag erkämpfte, bereits der Druckpresse übergeben – vielleicht. Ich weiß es nicht … Vielleicht werde ich später einmal irgendwo auf meinen gedruckten Namen stoßen und ein Buch in Händen halten und die Erinnerungen auffrischen …

Ich krieche zum Burgtor. Ich habe die Büchse entsichert … Ich bin vorbereitet, ich würde den Finger sehr schnell krümmen, denn die, die hier sich zusammenfinden, sind Schurken und würden mich nicht schonen.

Das Tor ist aus dunklem Holz gearbeitet und mit Eisen benagelt, das man schwarz lackiert hat. Der Lack blättert ab.

Ich sehe weder Schloß noch Drücker noch Schlüsselloch. Beide Torflügel sind glatte Flächen. Ich liege hier im Mondschatten, ich befühle die Salzblöcke: Es ist Salz, Natron. Sie sind roh behauen … Sie sind bestaubt, sie erscheinen stellenweise dunkelgrau, – wie Marmor von Staubadern durchzogen.

Und da erst, als ich nach dem Schloß der Tür suche, bedenke ich das Unsinnige meines Vorhabens: Wie soll ich hineingelangen in diese steilen hohen Mauern?!

Ich richte mich auf. Immer wieder gleiten meine tastenden Finger über die Eisenplatten, über die Mittelleiste der Flügel, über die Balken, in denen die mächtigen Eisengelenke befestigt sind.

Dann gewahre ich über dem oberen Querbalken einen kürzeren, mit Schnitzereien verzierten, – und ich entziffere die eingekerbten lateinischen Buchstaben, die man mit weißer Ölfarbe ausgefüllt hat: Der bekannte italienische Spruch, den der französische Bildhauer dann an seinem Meisterwerke mit verwandte:

Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle
Hoffnung hinter euch.

Sehr einladend war das in der Tat nicht.

… Lasset alle Hoffnung hinter euch!

Nun, – Coys gelehriger Schüler hat längst das Hoffen aufgegeben. Worauf wohl hoffen?! Ich?! Steckbrieflich Verfolgter! Hoffen – nein, erleben – leben, wie der neue Tag das Leben darbietet.

Meine Fingerspitzen suchen weiter. Keine Tür, kein Tor ohne Schloß, – es muß eine Möglichkeit geben, es von außen zu öffnen.

Ich irre mich.

Ich finde nichts. Die Torflügel sind eiserne glatte Wand wie die wunderbaren Salzmauern. Glatt, kalt, freudlos. Über ihnen droht der Spruch.

Droht?! – Es sind nur Worte, – alles wird Phrase für den, der nichts mehr zu verlieren hat. –

Mithin, sage ich mir, – es wird einen zweiten Zugang geben. Ich wende meine Aufmerksamkeit den Blöcken zu beiden Seiten des Tores zu. Als Mörtel hat man Lehm benutzt, aber der gelbe Lehm ist längst mit Salzkristallen überzogen, und es sind nur Rillen geblieben in derselben Farbe wie die leicht verstaubten Blöcke.

Mein Messer kratzt in den Rillen entlang, – und trifft rechts des Tores auf Holz.

Drei Blöcke sind keine Blöcke, sind nur Holz, das mit dünneren Platten bedeckt ist. – Mein Messer stößt auf Metall … Ein Druck, ein helles Knacken, und das große breite Brett gleitet als Tür nach innen.

Sehr schlau angelegt, dieses Schlupfloch. Sollten hier etwa Buschklepper gehaust haben, oder noch hausen. Australiens im allgemeinen so nüchterne Geschichte, die ja erst für die Europäer mit dem Jahre 1601 beginnt, als der Portugiese Godinho de Eredia Kap Vandiemen betrat, hat nur drei große Ereignisse zu verzeichnen: Erst 1787 wurden 757 Sträflinge als erste Kolonisten von England importiert und gründeten Sydney. 1853 fand ein Farmer in Queensland die ersten Goldklumpen, – hiermit begann eine neue Epoche für das Land: Tausende von Abenteurern strömten in die Einöden, verhungerten, verdursteten zum Teil, – andere gewannen Riesenvermögen. Und drittens: Australien hat nie kriegerische Entwicklungen gekannt, lediglich der Kampf gegen die Buschklepper führte zu Blutvergießen. Aber diese Kämpfe waren erbittert genug, – Gesindel aller Art fischte im Trüben, und besonders drei Bandenhäuptlinge brachten es zu fragwürdiger Berühmtheit. O’Konnel Morris war der großzügigste. Anscheinend biederer Schafzüchter, bildete er ein volles Jahrzehnt den Schrecken der ehrlichen Goldgräber. – Daß diese Räuberromantik noch immer nicht ausgestorben, hatte ich ja am eigenen Leibe erfahren. Das Kreuz der Wüste ruhte nun in den Tiefen des Meeres. Vergeben, vergessen, – geliebt, gehaßt … –

Buschklepper hier?!

Vielleicht, aber doch unwahrscheinlich, dazu war das Turnbull-Feld denn doch zu abgelegen.

Meine Gedanken hatten jetzt auch Ablenkung genug. Die Frage, wer die Erbauer der Burg gewesen, mochte später gelöst werden. Ich steckte die kleine Laterne an und leuchtete in die finstere Halle hinein. Es war eine geräumige Halle und was ich hier schon vorfand, gab mir neue Rätsel auf.

Eine Halle … Der Fußboden bestand aus Kasuarinenstämmen, die Ritzen waren mit Lehm sauber verschmiert und mit einer Art Glasur überzogen. Aus demselben Material waren die Wände angefertigt. Die Decke wieder bildete sechs Spitzbögen aus Salzwürfeln, getragen von vier Salzsäulen.

Dies umfaßte mein Blick als erstes.

Der schweifende Blick fand noch andere Ruhepunkte. Da waren Pflanzenfaserteppiche, nach Art der orientalischen grellbunt gefärbt. Da waren Lehnstühle, Sofas aus Holz mit geflochtenen Bastsitzen, Schränke aus roh gebeiztem Holze mit primitiven Schlössern, zwei Holztische, – zwischen den Säulen hing an Ketten eine Petroleumlaterne, die man durch bunte Stoffe gefällig verziert hatte. Die Neigung für Behaglichkeit offenbarte sich schon hier.

Ich zog die Holztür wieder zu. Der Mechanismus, so versteckt er als Riegel auch eingefügt war, verriet dieselbe Einfachheit wie die Schlösser der Schränke. Als Eisen war gewöhnliches starkes Bandeisen benutzt worden, wie man es zum Verschließen von Holzkisten seit langem gebraucht.

Ich horchte eine Weile mißtrauisch und beobachtete die beiden Türen in den Wänden rechts und links des Flügeltores. Dieses hatte nur drei starke Holzriegel innen und keinerlei Schloß. Als ich es noch besichtigte, bemerkte ich wiederum etwas, das für die Erbauer dieser Burg kennzeichnend war: Durch den linken Torpfosten lief eine Hanfschnur, die frisch gefettet war, über eine Rolle nach außen und ebenso in die Höhe an der Innenwand empor zur Decke, wo eine zweite Rolle das leichtere Gleiten der Schnur begünstigte. Sie zog sich unter der Spitzbogendecke entlang zu einer dritten Rolle und einem weiteren Wandloch und verschwand hier im Inneren: Ein Klingelzug ohne Zweifel, dessen draußen verborgenen Griff ich nicht entdeckt hatte.

War es ratsam, die Schnur zu zerschneiden und die Geheimtür zu verrammeln?! Es fehlten bis zu dem kritischen 3. September noch volle sechs Tage, und es war doch sehr fraglich, ob die zwölf Leute früher hier erscheinen würden oder gar bereits hier seien. – Schaden konnte diese Vorsichtsmaßregel nicht. Ich hatte es dann wenigstens nur mit denen zu tun, die hier dauernd wohnten, und das konnte keine Armee sein, mit denen würde sich durch die leicht verständliche Sprache von Büchse und Pistole schon reden lassen.

Alles will erwogen werden.

Ich zerfaserte die geölte Schnur behutsam mit dem Messer, indem ich das obere Ende, das an dem Torpfosten innen hochlief, festhielt. Die Glocke konnte also nicht anschlagen, und als die Schnur dann herabhing, konnte sie auch gerissen sein.

Das war das eine.

Die längere Bank benutzte ich als Stütze für die Tür. Ich klemmte sie so fest, daß kein Druck von außen sie beseitigen konnte.

Meine Erforschung der Innenräume begann. Wie gesagt: Zwei Türen gab es, sie hatten Gelenke aus Leder und Holzriegel. Sie bestanden wieder aus Kasuarinenrohr, das getrocknet entfernt dem Bambus gleicht.

Die rechte Tür führte in ein Zimmer, das durchaus einem Museum glich. Alles, was die Australneger an primitiven Werkzeugen, Schmuck und Waffen anfertigten, war hier aufgestapelt und sorgfältig geordnet: Speere mit Spitzen aus Knochen, Eisen und Steinsplittern, Steinbeile, Bumerangs, geschnitzte Schwirrbretter und Botenstäbe mit Bilderschrift, Schmuck aus Zähnen, Straußenfedern und bunten Steinen, Mulden aus Holz und gebranntem Lehm, Nasenpflöcke, Schädel, geräucherte Totenhände (die Australneger waren Menschenfresser), Götzen aus Holz, Stein und Lehm, Netze aus feinstem Bast, Messer mit Steinklingen und geschnitzten Holzgriffen, – vieles andere noch.

Das Museum als solches mochte noch hingehen. Daß aber an jedem einzelnen Stück ein Papptäfelchen mit Aufschrift in englischer Sprache hing, – daß diese Aufschriften Ort und Zeit angaben, wo das Stück erworben war, und daß schließlich diese Daten sämtlich die Jahreszahl 1896 und die Namen E. Wells und A. Benson zeigten, stellten mich vor ein vollkommenes Rätsel.

Meine Mußestunden auf der Ruxa-Farm hatte ich zum Teil durch das Studium eines Spezialwerkes über die Entdeckungsgeschichte Australiens ausgefüllt. Ich wußte, daß die Expedition des Edgar Wells im Jahre 1896 ins Innere kläglich gescheitert war, obwohl Wells zwanzig Dromedare mitgenommen hatte. Durst zwang ihn zwei sterbende Expeditionsmitglieder sowie sämtliche Sammlungen und Aufzeichnungen zurückzulassen. Halbtot erreichte er den Fitzroyfluß, um sofort eine neue Expedition vorzubereiten. Er fand auch die Stelle, wo er im Vorjahre die beiden Gefährten sich selbst überlassen hatte und auch ihre Leichen, besser ihre Gebeine. Er hatte vermutet, es seien ihre Gebeine.

Er glaubte, – ich wußte es besser, nachdem ich ein auf einem Tische inmitten der Sammlungen liegendes Heft flüchtig durchgeblättert hatte. Es waren Aufzeichnungen von der Hand Arthur Bensons, eines der unglücklichen Gefährten des Edgar Wells.

Arthur Benson war mit dem Leben davongekommen. Ein Trupp Australneger hatte ihn gerettet. Unter ihnen befanden sich einige Mischlinge, Nachkommen von Ehen zwischen afrikanischen Schwarzen und Australiern. Diese Mischlinge (auch mein Freund Bell Dingo, ebenso Achi, hatten afrikanische Voreltern gehabt, wie ihr wolliges Haar verriet, denn der reinblütige Australier besitzt nur gelocktes Haar) schützten Benson vor dem Tode.

Seine Niederschrift enthüllte die grauenvolle Tragik eines Menschenlebens, das hier in dieser Burg geendet hatte. Von ihm stammte auch die Inschrift über dem Tore:

Ihr, die ihr hier eintretet,
lasset alle Hoffnung hinter euch.

 

11. Kapitel.

Old Dobber.

Arthur Benson, von den Schwarzen gesund gepflegt, machte die entsetzliche Entdeckung, daß er sich irgendwo die Lepra, den Aussatz, geholt hatte, vielleicht in einem Hafenort der Küste, vielleicht erst während der Expedition. Seine Nase war verfärbt, zeigte Borkenbildung, – und Benson war ein Todgeweihter. Er wußte dies, – er hoffte auch nicht auf Rückkehr in bewohnte Gegenden, er befand sich mit den Schwarzen in unerforschten Einöden der von Marbuton aufgefundenen Emily-Springs am Westrande der Turnbull-Wüste. Er hoffte auf nichts mehr, und doch suchte er die Sammlungen zu retten. Leider hatten die Neger inzwischen schon Edgar Wells’ Tagebücher verbrannt. So zog er denn mit den vierzig Schwarzen, Männern, Weibern, Kindern nach dem Sommerquartier der Schar: Den Bergen im Turnbull-Feld. – Er erblickte als erster Weißer die Salzschneehäupter der Bergkette, er ein für die Welt Verlorener, ein Leprakranker, ließ von den Negern die Burg erbauen. Seine technischen Kenntnisse, seine Herzensgüte machten ihn für die Naturkinder zum Gott. Drei Jahre dauerte es, bis der Bau vollendet, drei Jahre ließ Arthur Benson keinen seiner Retter allzu dicht an sich heran, um sie nicht anzustecken. Alle Vorsicht half nichts: Auch seine Getreuen erkrankten. Er selbst schrieb seine letzte Seite in seinem Tagebuch im Jahre 1920, – Monat und Tag wußte er nicht genau:

„Wir sind sämtlich krank. Sechs bereits tot. Auch ich fühle den Tod nahen. Unsere Leiber sind verseucht, verstümmelt, verfault, wir leben uns selbst zum Grauen. Ich habe nicht mehr die Kraft, diese letzten Monate zu schildern. Sollte je ein Europäer hierher gelangen, so mache ich es ihm zur heiligen Pflicht, die Sammlungen nach London zu bringen. Die Kosten möge er durch das Gold decken, das wir in all diesen Jahren gesammelt haben. Es sind drei Holzkisten voll Nuggets (Goldklumpen), das Körnergold haben wir an der Fundstelle gelassen. Ich schätze den Wert der drei Kisten auf eine halbe Million. Sie liegen in dem westlichen K…“

Hier brachen die immer undeutlicheren Schriftzüge plötzlich ab.

Arthur Benson war gestorben, – und wo hatten die Holzkisten gelagert?! Lebte noch einer der Unglücklichen?! Und – lebte auch nur noch ein einziger, so war ich selbst in Gefahr, mich hier anzustecken …

Gefahr – – für mich?! Was war mir schließlich das Leben – für mich?!

Ich legte Bensons Heft auf den Tisch zurück.

Ich durchschritt die Zimmer des Erdgeschosses, acht Räume, ausgestattet mit ähnlichen Möbeln.

Keine Menschenseele.

Zuletzt kam ich in die im Westturm gelegene große Küche. Hier fand ich die ersten Anzeichen für die Anwesenheit eines Menschen: Auf dem Tisch stand ein Blechnapf, noch halb gefüllt mit einem Tee aus australischer Pfefferminze, daneben Messer und Gabel, ein Paar, abgenutzt, – daneben ein Teller aus gebranntem Lehm mit Resten einer Kaninchenlende.

Es lebte noch einer der Unglücklichen. – Einer nur?! Ein Neger?!

Eine Treppe lief vom Hauptflur in den Oberstock. Als ich hier das dritte Zimmer betrat, fand ich … einen schlafenden Greis auf einem Fellbett, einen weißhaarigen, sonngebräunten Europäer.

Und – er schlief. Selbst der Lichtschein meiner Laterne weckte ihn nicht. Ich betrachtete ihn, seinen zerschlissenen Leinenanzug, seine gramvollen, hageren Züge.

Der Mann war jedoch gesund. Nirgends an Händen, Hals, Gesicht bemerkte ich Aussatzgeschwüre. Seine Hände waren sauber, der Vollbart und das Haupthaar mit einer Schere unsachgemäß gestutzt.

Dieses Zimmer war seine Wohnung, – Kleinigkeiten verrieten es: Da waren Kämme, Bürsten, – da war allerlei, das einem Einsamen genügt.

Er schlief.

Leise entfernte ich mich, durchsuchte noch die anderen Räume und fand niemand mehr vor. Ich erstieg den Ostturm, – die Dämmerung zog gerade herauf. Der Horizont lichtete sich, die seltsam klare Beleuchtung, die dem Aufgang der Sonne vorauszugehen pflegt, zeigte mir das Tal in all seiner eigenartigen Schönheit. Die Salzkrusten der Berge schimmerten weiß wie Gletscher, die Streifen der Salzablagerungen machten die Täuschung von Sturzbächen vollkommen. Das dunkle Gestein, zerrissen, zerklüftet, – die schroffen Wände, die schmalen Terrassen mit dürftiger Vegetation, – und dann hinten im Talwinkel freundliches helles Grün frischer Gräser und Sträucher und Bäume: Ein Paradies für diese Einöden! Aber:

Lasset alle Hoffnung hinter euch!

Unglückliche hatten hier Jahrzehnte auf den Tod gewartet, hatten ihre Glieder verfaulen sehen, hatten trotzdem fast Unwirkliches geschaffen: Neger, geleitet durch die Intelligenz eines Mannes, der aus der Wildnis ein Schloß hervorzauberte …!! Eine Burg mit bescheidener Inneneinrichtung, – ein Bauwerk aus Salzblöcken, die der Witterung trotzten …: Ein Wunder!!

Arthur Benson mußte ein gewaltiger Geist gewesen sein, einer jener Pioniere, wie sie selten sind, ein Genie, das aus dem Nichts Großes schuf, das die natürlichen Hilfsmittel des Landes weise ausnutzte. Ein Architekt, ein Dekorateur mit „Stilempfinden“, wie man wohl zu sagen pflegt, hätten freilich Bensons Werk arrogant belächelt. Für die Leute „vom Fach“ ist Kunst ja nur das, was sie dafür halten, sie oder eine Rotte sogenannter Kritiker mit „Fachbildung“. Daß Kunst etwas ganz anderes ist, daß es nur auf die Wirkung eines Werkes auf die breitesten Schichten ankommt, werden diese Herrschaften nie begreifen und auch nicht begreifen wollen, denn sie müssen ja dem „Volke“ die wahren Richtlinien künstlerischen Verständnisses – natürlich gegen entsprechende Bezahlung – klarlegen … was sie so Richtlinien nennen. Arthur Benson hätte vor diesen Göttern nie bestanden, – Götter lieben das Urwüchsige-Natürliche nicht, in ihrem Tempel bauen sie sich selbst Götzen, behängen sie mit dem billigen Flitter saftloser Phrasen und wüten gegen die, die eben abseits vom Wege für das simple Verständnis der Massen arbeiten und sich den Teufel was um die Herren vom „Fach“ scheren … –

Dieses berauschende Morgenbild, diese wundervolle Köstlichkeit der Morgenstunde allein zu genießen – allein, das erst öffnete Herz und Seele, das erst versöhnte mit vielem, mit allem, was so tot und zerbrochen hinter mir lag.

Hinter mir …

Hinter mir da eine matte brüchige Stimme, in der lediglich ein tiefes Staunen vibrierte:

„Wer sind Sie?“

Englisch …

Und nochmals, dringender: „Sind Sie’s, Carrell?!“

Der Greis stand hinter mir, in der halb erhobenen Hand eine Pistole. Seine Augen waren zu engen Schlitzen zusammengekniffen, – diese Augen hatten eine seltsame Beweglichkeit, irrten umher …

„Ich bin nicht Carrell,“ sagte ich höflich. „Ein Zufall hat mich hierher geführt. Mein Name ist … Elsen …“

Der Greis erschrak sichtlich …

„Ein Fremder – hier?! War denn das Tor offen …?“

Sein Blick starrte mich an … Die Lider öffneten sich …

Weißbläuliche Augäpfel!!

Der Mann war blind.

Nun fragte ich: „Und Sie, – wer sind Sie?! Sind Sie Arthur Benson?“

Ein bitteres, ein unsäglich bitteres Lächeln umspielte den bärtigen Mund.

„Ich wünschte, ich wär’s, Mr. Elsen … Aber der Tod ist nicht so barmherzig, uns von dieser Erde abzurufen, wenn wir es wünschen. Benson ist tot. Und ich – bin blind. Weil ich blind bin, fühle ich – fühle ich, Mr. Elsen, ob jemand … gut oder schlecht ist. Jeder Mensch hat seine eigene Aura, seine eigene persönliche Ausstrahlung, und die verrät mir genug – auch von Ihnen. Fliehen Sie, ich bitte Sie in Ihrem eigenen Interesse darum. Vergessen Sie dieses Haus, diese Berge, verwischen Sie Ihre Spuren hinter sich und tilgen Sie jede Erinnerung auch an mich … Sie sind in Gefahr … Sie würden dieses Haus lebend nie mehr verlassen, wenn …“ – er brach ab, – tiefe Verzweiflung prägte sich in seinen Zügen aus … „Oh, Sie werden natürlich alles Mögliche fragen, Sie werden mich bestürmen, Ihnen Aufschluß zu geben über mich und … und diese Burg, die Ihnen als ein Märchenschloß erscheinen mag …! Nichts könnte ich Ihnen beantworten, – nichts, Mr. Elsen …! Mein Mund ist tot wie meine Sehnerven … muß tot sein, – ich wollte, ich wäre auch taub und stumm, obwohl Ihnen das wie eine Versündigung erscheinen mag …“

Er hatte sich an eine der Zinnen gelehnt. Er schob die Waffe in die Jackentasche und schüttelte sanft den ehrwürdigen Kopf. „Wie sind Sie nur hierher gelangt?! Das Turnbull-Feld ist ohne Wasser, und ich möchte die Abenteurer nicht zählen, die hier schon verschmachtet sind.“

„Auch ich bin ein Abenteurer,“ erklärte ich sanft. „Trotzdem lebe ich immer noch. Mir ist das Abenteuer Ersatz für Verlorenes … Der Tod hat keine Schrecken für mich. Die, die ihn fliehen, verfallen ihm, die anderen belächeln ihn als Sieger und warten auf ihre letzte Stunde mit dem Fatalismus jener mohammedanischen Eroberer, die einst sogar das christliche Spanien bedrohten … Es ist lange her, die Helden sind tot, aber der Fatalismus wird nie aussterben, er ist der Kraftquell der Gleichgültigen.“

Der Alte nickte unmerklich. „Sie werden also … bleiben?“ fragte er zögernd. „Vielleicht haben Sie Durst und Hunger gelitten, – ich will Sie tränken und speisen, und Sie sollen ein paar Tage hier eine Stätte der Zuflucht haben … ein paar Tage … Aber versprechen Sie mir: Am vierten Tage von heute werden Sie fliehen, – versprechen Sie es mir!“

Seine Hand reckte sich vor, und er trat auf mich zu mit der Sicherheit eines Sehenden – und doch blind, nur daß er hier jeden Schritt kannte, jeden Meter Boden, jede Entfernung, jede Tür, jede Stufe …

Wie lange mochte er hier Burgwart spielen, – und wer war Carrell, wer?!

Ich legte meine Hand in die seine. Er senkte etwas den Kopf, als ob er lauschte.

Dann sagte er traurig, und seine Finger schmiegten sich fester: „Ich höre Ihre Gedanken, Mr. Elsen … Sie wollen nicht fort von hier.“ Und nach einer kurzen Pause mit gänzlich veränderter Stimme: „Ich fühle aber auch, daß Sie ein Mann sind, der jenseits der scharfen Grenze von Halbheit steht. Sie wissen wohl, was ich damit sagen will … Ich schmeichele niemandem, Mr. Elsen … Dazu habe ich zuviel Trauriges erlebt. Lug und Trug hat mich in … – aber lassen wir das. – Sie werden bleiben … Und wenn Sie Ihr Leben wagen wollen, dann … dann könnte … vielleicht … die Stunde der Vergeltung nahen …“

Sein Gesicht neigte sich dem meinen zu. Er flüsterte nur noch, aber seine Worte zischten[2] über die Lippen wie überhitzter Dampf: „Es kann eine Stunde der Vergeltung geben – es kann!! Mr. Elsen, aber – – es sind ihrer zwölf, und hinter ihnen stehen noch weitere Dutzende, und all diese würden Sie niemals schonen, wenn …“

Ich lachte frei heraus. „Wenn die ersten zwölf hier jedoch endgültig abgetan würden, dann … dann?!“

Seine Miene wurde unsicher.

„Wissen Sie etwas über diese zwölf?“ fragte er in ungläubiger Hast.

Ihn belügen?! – Er hoffte ja …! Er wollte Vergeltung durch mich, – ich war seine Hoffnung. Die zwölf waren seine Feinde … Mehr brauchte ich nicht zu wissen.

„Ich weiß von Ihnen noch zu wenig,“ erklärte ich. „Aber am 3. September werden sie hier sein, und ihr Oberhaupt ist ein infamer Schurke namens …“

Seine Linke hatte meinen Oberarm umspannt. Er hatte Kraft, der Greis, er konnte selbst ein Muskelbündel wie das meine zusammenpressen. Sein Gesicht hatte die Farbe verloren, es wirkte gespenstisch …

„… Armand Dobber!“ schrie er … „Ja, Armand Dobber, das wollten Sie sagen.“

„Das wollte ich sagen,“ – ich mußte ihn auffangen, die Erregung hatte ihn schwindlig gemacht, aber er riß sich wieder hoch.

„Ah, – ich habe jeden Tag zu Gott gebetet: Schicke mir einen Mann, der mich rächt – – rächt!! Und eine Rache muß es sein, die den Untaten entspricht, die dieser Unmensch beging! – Mr. Elsen, – – Armand Dobber … hat mir das Augenlicht geraubt!!“

Ich wich unwillkürlich zurück … Aber seine Finger hielten mich fest …

„… Seit zwei Jahren hause ich hier, – zwei Jahre taste ich mich durch ewige Nacht und sehe nie mehr die Sonne, fühle sie nur, wenn ich hier oben meinen Gedanken nachhänge, – und es sind keine zahmen Gedanken … Ich war nie zahm, Mr. Elsen, ich stand überall meinen Mann, ich brauchte meine Ellbogen, Fäuste und Füße, um emporzukommen … Ich – – kam empor, ich wurde reich, angesehen, – meine Stimme hatte Geltung in ganz Nordaustralien …“

Ein furchtbarer Verdacht kam mir da. Was wollte es besagen, daß ein gewisser Mann, um dessen Millionen der Stiefbruder ehrlos geworden, bei einer Segelfahrt tödlich verunglückt sein sollte, daß man nur das gekenterte Boot geborgen hatte?! Die Leiche war ja nie gefunden worden, hatte Achi betont, und Nr. 112 hatte es bestätigt.

„Gott im Himmel, – sind Sie etwa Old Dobber?!“ – und jetzt lagen meine Hände auf seinen Schultern.

Seine bläulichen toten Augen starrten dorthin, wo soeben die ersten Sonnenstrahlen sich zeigten …

Er fühlte sie nur, der Ärmste, aber er … lächelte …

„Die Sonne!“ sagte er glückselig. „Sie kennen auch meinen Namen …! Ja, ich bin Old Dobber aus Palmerston …! Ich bin es noch immer … Ich habe noch immer die Zähigkeit des wilden Ehrgeizes, mit der ich mich durchsetzte … – Kommen Sie, kommen Sie … – Sie sollen das Beste haben, was meine Küche bietet … Sie sollen, – – nein, kommen Sie …! Nicht hier wollen wir stehen, wo die Sonne und das grelle Licht uns verraten könnten …“

Er schritt mir voran, er ging wie ein Sehender, er führte mich den Sehenden in die Küche hinab, wo ich die ersten Anzeichen der Anwesenheit eines Menschen gespürt hatte.

Durch die kleinen Fenster drang die Tageshelle. Dort, wo die Wände der Küche nicht mit Kasuarinenstauden verkleidet waren, wo die Salzblöcke frei lagen, schimmerten diese wie Eismauern, die von einer Seite beleuchtet werden. Sie schimmerten in mattem Glanz wie blasse Opale, und ihre Farbe erinnert an die Augen Old Dobbers, der mit der Kaffeemühle zwischen den Schenkeln auf einem Schemel hockt und die Mühle dreht und erzählt … Es wird Bohnenkaffee geben. Ich wollte die Bohnen mahlen, aber der Millionär lehnte energisch ab. „Die Mühle hat ihre Tücken, wie die Menschen, Mr. Elsen,“ sagte er bissig und doch energisch-lebensbejahend. „Wenn Sie mahlen würden, rutschen ganze Bohnen mit durch. Es ist ein Trick dabei.“

Ich gab auf das Wasser und den Spirituskocher acht. – Ich sage Wasser, und es war sogar Wasser ohne jeden Natrongeschmack. Unten in den Naturkellern der Burg ist eine Zisterne, hat mich Old Dobber stolz belehrt.

Er erzählt. Zwei Jahre, – mehr noch – liegen die Dinge zurück. Ihm bleiben sie Gegenwart, denn er fand damals seine Schicksalsstunde.

 

12. Kapitel.

Bensons Sarg.

„Ich war es gewohnt, mit meiner kleinen halbgedeckten Segeljacht stets allein von Palmerston nach der Darwin-Insel hinüberzusegeln. Die Insel gehört mir, ich habe dort eine Versuchszuchtanstalt für Widder eingerichtet. Am dritten August wollte ich wieder hinüber. Auf der Jacht befanden sich ausnahmsweise zwei meiner Angestellten, zwei Australneger, jüngere, intelligente Leute. Das Wetter war ruhig, der Wind günstig. Die Insel erreicht man bequem in vier Stunden. Als wir außer Sicht des Landes waren, kam uns ein Motorkutter entgegen. Plötzlich krachten Schüsse, beide Neger fielen über Bord, der Kutter war im Moment linksseit, einer der vier Kerle hieb mir einen Bootshaken über den Kopf, – und als ich wieder zu mir kam, lag ich auf einem Pferde wie ein Bündel zusammengeschnürt … und war blind und mehr tot als lebendig. Wieder waren es dieselben vier Weißen vom Motorkutter, fremde Gesichter, – sie brachten mich hierher. Ich sah natürlich nichts von der Burg, nichts … Ich war krank und elend. Der Ritt hatte volle zwei Wochen gedauert. Ich erholte mich. Am 3. September erschien hier mein Neffe Armand Dobber. Er gab sich keine Mühe, seinen Schurkenstreich zu bemänteln. Ich solle ein Testament zu seinen Gunsten niederschreiben. Ich weigerte mich. – Armand hatte elf Mitverschworene mitgebracht, von denen ich keinen einzigen hörte, obwohl sie mit im Zimmer waren. Sie verhielten sich stumm. Als Armand bei mir nichts ausrichtete, drohte er mich zu töten. Eine lächerlichere Drohung konnte er kaum wählen. Ich sagte ihm, der Tod hätte für mich, den Blinden, keine Schrecken mehr, es wäre klüger von ihm gewesen, mich erst hier zu blenden, falls ich die Urkunde verweigerte. Er fluchte und tobte, – und schließlich zog die ganze Bande ab. Ich hatte noch immer keine Ahnung, wo ich mich eigentlich befand. Ich war allein und tappte durch die Räume und lernte mich zurechtfinden, entdeckte hier die Küche und nebenan die Vorratskammer und rettete mich vor dem Verhungern: Ich lernte noch mehr: Ich habe mit eiserner Energie meinen Tastsinn und Orientierungssinn ausgebildet, und als die Bande nach drei Jahren abermals erschien, wollte es der Zufall, daß ich noch spät abends oben auf dem Ostturm stand und das Propellergeräusch eines Flugzeuges vernahm. – Sie kommen durch die Luft wie die Teufel, Mr. Elsen, und sie kommen jedes Vierteljahr stets am dritten nachts hier an. – Armand hat mir höhnend mitgeteilt, daß er das Testament gefälscht hätte und nun mein Erbe sei und niemand Verdacht geschöpft habe. Er haßt meinen anderen Neffen Percy, und er hat auch diesen, einen braven Jungen, vernichtet. Percy soll irgendwo in der Wildnis als Flüchtling leben. Mein armer Percy, – wenn er ahnte, daß ich noch lebe!! – Sie fragten vorhin, wer Carrell sei. Das ist Armands Intimus, – ein ganz gefährlicher Lump, noch schlimmer als Armand. John Carrell erscheint hier stets als erster und sperrt mich dann hier in der Küche ein. Was die zwölf treiben, weiß ich nicht. – – Vielleicht wundern Sie sich, daß ich Ihnen das alles mit solcher Ruhe erzählen kann, Mr. Elsen: Ihr Auftauchen hier hat mich völlig verwandelt, das fühle ich am besten. Mein Wunsch, Vergeltung zu üben, nähert sich der Erfüllung, und dies gibt mir neue Kraft und Frische. – Ich höre, das Wasser kocht … Brühen wir den Kaffee auf … Es gibt noch manches zu berichten.“

Ich habe so allerlei Eisenköpfe im Leben kennen gelernt – ich habe Männer gekannt, die aus ähnlich zähem Holze wie Old Dobber geschnitzt waren. Old Dobber war aus Stahl und nicht nur härtestem Holz.

Er war nicht mehr der bedauernswerte Blinde, der mich auf der Turmplattform bat, ich möge fliehen.

Old Dobbers Kopf war der eines zielbewußten, unerbittlichen, kaltrechnenden Kämpfers. Seine breite Stirn erinnerte an die Percys, seine Sprache war kurz, hart und abgehackt: Ein Mensch, der jedes überflüssige Gerede meidet.

Er stellte Tassen zurecht, öffnete eine Büchse Hartbrot und eine zweite mit kondensierter Milch.

„Setzen Sie sich … – So … schenken Sie ein … – Sie sehen, Armand verpflegt mich gut … Ich bin ihm ein billiger Burgvogt, der nicht einmal auskneifen kann …“ Und dann ganz unvermittelt tastet er nach meiner Hand, drückt sie und sagt mit einer Herzlichkeit, die mich rührt: „Sie glauben gar nicht, wie sehr ich mich über Ihren Besuch[3] freue! Es ist das nicht Selbstsucht von mir, wirklich nicht, letzten Endes wäre ich auch allein mit den Schurken fertig geworden.“

Es ist das seine zweite Anspielung auf Vorbereitungen zum Kampf gegen die zwölf.

„Allein, Mr. Dobber?!“ – und mein zweifelnder Ton entlockt ihm erneut ein schwaches Lächeln. Seine Hand führt jetzt die Tasse zum Munde. Er kaut bedächtig an dem Hartbrot. „Sie werden sehen …“ sagt er dann. „Nun aber reden Sie, Elsen! Und nennen Sie mich nicht Mr. Dobber. Old Dobber ist ein Ehrentitel.“

„Wie es El Gento war,“ nickte ich in Erinnerung an meine Araukaner.

Er stutzt. Seine milchigen Augen begegneten den meinen, und ich könnte diesen seinen Blick als erstaunt bezeichnen, wenn ich nicht wüßte, daß seine Augen tot sind. Er wendet den Kopf zur Seite. „El Gento also …! Armand sprach da von einem Manne, der auf der Ruxa-Farm erschienen war und …“ – Pause – „– aber erzählen Sie besser selbst …“

„Armand?! War er denn vor kurzem hier? Es sind keine vier Wochen her, als ich mit meiner Insel im Golf von Carpentaria landete.“

Er wiederholt nur: „Erzählen Sie!“

Ich wundere mich. Hier stimmt etwas nicht. Ein gelindes Mißtrauen gewinnt an Bedeutung. Trotzdem erzähle ich. Das Leben hat mich vorsichtig gemacht. Allzu große Offenheit ist Torheit. Hier wünsche ich gegenseitige restlose Offenheit, und ich mache den Anfang damit.

Es ist eine seltsame Kaffeestunde, die wir abhalten. Die Umgebung – ein Märchen fast, – dieser kräftige Greis … die Tragik, die Romantik. Und drüben im Museum lagern die Beweise schwarz auf weiß, daß ein Verschollener, Arthur Benson, in diesen Räumen lebte, wirkte, starb. Diese Burg birgt mehr oder weniger merkwürdige Dinge, als die Phantasie eines Vielschreibers sie ersinnen könnte.

Old Dobber lauscht aufmerksam.

Einmal wirft er ernst ein: „Ich kenne Bell Dingo … Er ist Mischling, er weiß es vielleicht selbst nicht. Afrikanisches Blut hat der anerkannten Intelligenz unserer Eingeborenen nicht geschadet. Die feinsten Köpfe unserer Farbigen sind Mischlinge.“

Ich nähere mich den letzten Ereignissen, und als ich den Namen Daisys erwähne, trifft mich wiederum der überraschte Blick, und Old Dobber fragt begierig:

„Dann – kennen Sie wohl auch Percy, meinen lieben Jungen, der mir stets wie ein leiblicher Sohn war.“

„Ich kenne ihn, und er ist in der Nähe und wird in kurzem hier sein.“

Die Wirkung dieser Mitteilung: Er wird blaß, aber dann leuchten seine Züge auf. Wieder preßt er meine Hand. „El Gento, – ich war als Geschäftsmann ein Christ dem Namen nach … Ich gab Spenden für die Kirche, für die Missionsschulen. Das war alles. Erst als mich das Schicksal schlug und mir zeigte, wie machtlos selbst ein vielfacher Millionär ist, – als ich dann hier in diesem Hause das Fühlen und Tasten lernte und mein toter Blick nur noch nach innen schauen konnte, erkannte ich die Leere meiner Seele. Ich hatte nur dreierlei geliebt: Meine Frau, die mir allzu früh entrissen wurde, meinen Neffen Percy und … das Geld! – Geld bedeutete mir im Grunde alles. Kläglich ist diese Auffassung vom Sinn des Lebens. Wahr ist nur das Bibelwort, das mir nicht ganz geläufig, aber doch gegenwärtig: Sorge, daß deine Seele keinen Schaden nehme! – Die innere Wandlung bei mir vollzog sich ziemlich schnell. Wir müssen erst harte Nackenschläge scheinbarer Willkür des Schicksals spüren, um zu erwachen. – Gott hat meine Gebete erhört – in allem, El Gento! Nicht nur die Rache des Himmels erflehte ich, sondern auch die Gunst, meinen Percy wiederzusehen. – Weiter, weiter …! Und was geschah nach der Begegnung mit dem Flugzeug der zwölf?“

Er hatte Essen und Trinken vergessen, – ich auch. Er hatte meine Hand in der seinen und horchte.

Ich ließ ihn in Worten die Begegnung mit Percy sehen – das Wiedererkennen des einstigen Zellengenossen.

Den Buschbrand schilderte ich, und meine Phantasie erhitzte sich in Gedanken an die Glutwogen des Flammenkreises, in dem Armand uns hatte schmoren wollen …

Old Dobber lächelte glücklich, wie ich von Daisys kleinem Lederzelt sprach, von dem Streit zwischen den Liebenden um den Titel der Operetten …

„Ein Teufelsmädel!“ murmelte er innig. „Die rechte Frau für meinen Erben …“

Nun wußte er alles.

„Dank’ Ihnen, El Gento!“ sagte er … „Jetzt ist wieder die Reihe an mir …“ Er erhob sich. „Ich will Ihnen Arthur Bensons Sarg zeigen …“

Wie ein Referendar, so sicher und schnell, stieg er vor mir in die Keller hinab.

„Benson,“ erklärte er sachlich, „erbaute die Burg über einer schmalen Kluft des Felsbodens, die sich nach unten zu verbreiterte und Grotten bildete. In einer der Grotten fand er die Zisterne.“

Wir hatten zwei Laternen mitgenommen. Die Kellertreppe endete in einer kahlen Höhle mit Zwischenwänden von Kasuarinenstämmen.

Es war kalt hier unten. Ich fröstelte, und als Old Dobber nun eine Tür aufstieß und mir die Totengruft der Aussätzigen öffnete, stand ich vor einer doppelten Reihe von Särgen – auch aus Kasuarinen gefertigt, die Ritzen mit Lehm verschmiert und das Ganze mit Glasur überzogen.

Vor den Reihen ein einzelner Sarg … Old Dobber pochte auf den Oberteil. „Arthur Benson, nun werden deine Goldkisten den Armen zugute kommen …!“

Ich schwieg erst. – Goldkisten, – auch das wußte er?!

„Wo sind sie?“ fragte ich offen. „Bensons Tagebuch bricht mit einem verstümmelten Satz ab. Hat denn Armand nicht danach gesucht?“

Er lachte hart. „Sie suchen alle drei Monate von neuem nach den Kisten und der Goldader … Deshalb kommen sie jedes Vierteljahr hierher, wahrscheinlich! Keiner traut dem andern – wahrscheinlich! – Sie wollen nur gemeinsam die Nachforschungen fortsetzen. Mögen sie nur, El Gento! – Kommen Sie näher, Freund … Heben Sie mit mir den Sargdeckel ab … Alles mögliche haben die zwölf versucht, nur an eines dachten sie nicht: Diesen Sarg genau zu durchsuchen!“

Der Lichtschein der Laternen zeigte mir die spärlichen Überreste Arthur Bensons: Knochen … Stoffreste … grauen Staub.

Old Dobber bückte sich in den Sarg.

„Verzeih’, Benson!“

Er packte mit den Händen die Ränder eines Brettes, auf dem der Tote ruhte. Ein Brett, das als solches nicht zu erkennen war. Er hob es empor mit zarter Behutsamkeit und legte es auf den Sargdeckel. In der Tiefe des Unterteiles lagen drei Zinkkisten, wie man sie für tropische Expeditionen mitnimmt. Sie waren mit zerschlissenen Stoffen bedeckt gewesen.

„Das Gold, El Gento …!“

Mich ließ es kalt. „Wie fanden Sie es, Old Dobber?“

„Ich suchte … Aber ich suchte nicht mit der Gier dieser habsüchtigen Schurken, sondern mit der Ruhe eines abgeklärten Blinden.“

„Sprach Armand zu Ihnen von Bensons Tagebuch?“

Er fügte das Brett bereits wieder ein und schien meine Frage überhört zu haben.

„El Gento, ich … fand auch die Goldader,“ meinte er, als wir den Deckel auflegten. „Nehmen Sie die Laterne. Sie sollen unseren Brunnen sehen.“

Ich sah ihn in einer der Seitengrotten: Ein zackiges Felsloch, in dem es leise gurgelte und plätscherte.

„El Gento, die Natur, die diese Einöden dürsten läßt, erlaubt sich den Scherz, zehn Meter unter dem Niveau der Wüste einen Bach dahinrinnen zu lassen.“

Er ergriff eine lange Kasuarinenstange, die am unteren Ende einen Blechnapf als Schöpfkelle trug. Der Napf war rostig und zerbeult.

„El Gento, die Natur erlaubte sich den zweiten Scherz: Durch dieses Loch fließt der Bach, er ist tief und er bildet eine Mulde, in der die losgerissenen Goldteile sich niedersenkten und liegen blieben. Wenn Armand jemals diese Schöpfkelle tief bis auf den Grund gedrückt hätte, auf dem Grunde damit entlanggefahren wäre, hätte er Gold gefischt. Benson wird zufällig dieses Goldlager entdeckt haben, ich entdeckte es, nachdem ich mir die Nuggets in den Zinkkisten angesehen hatte. Sie sind sämtlich mindestens von Bohnengröße und völlig glatt geschliffen, mußten also aus einem fließenden Gewässer stammen. Als alter Australier weiß ich mit Gold Bescheid. – Schöpfen Sie …!“

Ich beugte mich über das Loch, um das man eine niedere Mauer von Steinen aufgehäuft hatte.

Ich tauchte die Stange ein und stieß den Blechnapf schräg auf den Grund …

Die Strömung des Baches war so stark, daß ich alle Kraft anwenden mußte, über die Mulde den Schöpfer hinwegzustreichen. Ich fühlte den Widerstand körnigen Gemenges. –

Überraschungen sind zumeist rückwärtige Angelegenheiten.

Auch die fremde Stimme klang hinter uns. Dazu ein teuflisches Hohngelächter … Old Dobber kannte die Stimme. Es war die John Carrells, des Freundes und Vertrauten Armands.

Ich ließ die Stange sofort fallen.

„Die Kamele dürsten,“ sagte der baumlange Bursche, neben dem noch zwei andere standen. „Ich denke, ihr habt soeben gefrühstückt … Ich persönlich ziehe Whisky vor, aber das ist Geschmacksache. – Ja, wir sind diesmal etwas früher eingerückt ins alte Quartier, Old Dobber … Wir bringen auch Gäste mit. Einige, die wir noch mit eingeladen hatten, schickten uns Absagen in Gestalt von Flintenkugeln, – von Austin Gorrands Trupp leben noch drei, Austin eingerechnet. Auch Percy und das Mädel sind sehr munter und sehnen sich nach dem lieben Oheim … – Mr. Abelsen, bitte Ihre Hände … Wir müssen Sie leider fesseln, denn Sie sind zu unternehmungslustig.“

Carrell schob seine Pistole in den Gürtel. Seine Linke hielt eine große Karbidlampe, deren Blende er nun öffnete. Seine beiden Begleiter zielten weiter auf mich. Die Situation war ganz eindeutig. Mir war zunächst das eine wichtig: Carrell hatte nichts von dem gehört, was Old Dobber über die Goldmulde gesprochen, Carrell war um Minuten zu spät erschienen.

Und er war ein Narr, dieser John mit dem blatternarbigen Fuchsgesicht.

Die Situation war wie gesagt eindeutig. Carrell kannte meine Unternehmungslust nicht genügend. Er stand einen Schritt vor seinen Freunden, und als ich achselzuckend die Hände hob, war es für ihn zu spät, den Fehler zu korrigieren, denn meine Hände fuhren an seinem Kopf vorüber, ich überrannte ihn, meine Fäuste trafen die beiden Banditen an sehr empfindlichen Stellen, und ihre Nasenbeine waren für alle Zeit demoliert.

Als ich gerade John Carrell den Pistolenkolben zu schmecken gab, hatte Old Dobber auch den dritten erledigt. Es war sehr rasch gegangen, und wir schleppten die drei ebenso rasch in die Totengruft, fesselten und knebelten sie und legten sie fürsorglich in drei Särge. Carrell kam schon wieder zu sich. Es war kein freundlicher Blick, den er mir schenkte, – trotzdem legte ich den Sargdeckel über ihn, und ein Skelett hatte vorläufig wenig angenehme Gesellschaft.

Das kurze Kampfspiel hatte mich aufgepulvert.

„Los denn, Old Dobber, – nun die anderen!!“

Wir hatten jetzt fünf Pistolen, und droben waren nur noch neun Gegner, da kamen auf jeden rund vier Kugeln, und das reichte.

 

13. Kapitel.

Die zwölf.

Aber der alte Mann schüttelte den Kopf.

„Verderben Sie mir nicht den Spaß, El Gento. Die da oben ahnen nicht, daß Sie hier sind … Hätten sie es geahnt, wären sie nicht nur zu dreien mich suchen gegangen. Ich kenne ihre Gewohnheiten.“

„Aber – die verrammelte Geheimtür und der von mir zerfaserte Glockenzug …!“ wandte ich ebenso ablehnend ein.

Dobber lächelte. „Vorhin auf dem Turm habe ich in einigen Punkten die Wahrheit verdreht … Ich hatte die Bank, die Sie gegen die Tür gestützt hatten, schon weggeräumt und die Schnur geflickt. Und falls sie weiter an unsere verdachterregende Kaffeetafel in der Küche erinnern wollen: Ich stellte Teller und Tassen beiseite, El Gento. Ich bin sehr gewissenhaft, das sind alle Blinden. – Nein, glauben Sie mir nur, die da oben ahnen nichts von Ihrer Anwesenheit, ich werde allein nach oben gehen, und Sie können mir vorsichtig folgen … Wie gesagt, verderben Sie mir nicht den Spaß … Es soll kein Blut fließen, die neun sollen in Borraloola vor dem Bezirksgericht zum Strange verurteilt werden. Es ist ein sehr peinlicher Tod, der Strang. Als ich noch jung war und hier im Norden von Kultur noch wenig zu merken, ließen wir so manchen baumeln, der sich seitwärts in die Büsche geschlagen hatte und erntete, wo er nicht gesät hatte. – Die Schufte benutzen stets die vier Zimmer nach Norden zu, und das zweite, das größte, ist ihr Salon. Dort will ich Abrechnung halten. Wenn Sie, El Gento, in den Oberstock schleichen und das entsprechende Zimmer aufsuchen, werden Sie dort in dem Fußboden unter den Bastmatten ein paar Löcher finden, die Ihnen bequemen Einblick in den Salon gewähren …“

Old Dobbers Vorhaben war unsinnig. Man soll im allgemeinen das weiße Haar des Alters, das genügend Lebenserfahrung zu verbürgen scheint, ehren und achten.

„Sie vergessen, daß die drei, die wir eingesargt haben, denen da oben fehlen werden,“ meinte ich warnend. „Wird ihr Fehlen bemerkt, haben wir beide die Trümpfe schon aus der Hand gegeben, bedenken Sie das, Old Dobber.“

„Ich kenne ihre Gewohnheiten,“ beruhigte er mit einer verächtlichen Handbewegung. „Carrell und die beiden anderen spielen hier stets die Köche, und die übrigen beginnen regelmäßig sofort ein großes Gelage. Armand insbesondere ist hemmungsloser Säufer, und wenn erst das Glücksspiel noch im Gange, vergessen sie den Teufel und seine Großmutter, und die stehen ihnen doch am nächsten.“ Sein beißender Witz erschien mir in diesem Falle wenig angebracht.

„Ich darf besonders Daisy diesen Kerlen nicht länger als nötig überlassen,“ warf ich noch nachdrücklicher ein. Die letzten Worte schon wieder gedämpften Tones.

Ich horchte …

„Ah, – da haben wir’s schon!“ flüsterte ich überstürzt. „Licht aus!! Man kommt …!“

Wir hatten keine andere Deckung als die Särge, wir kauerten uns hinter ihnen zusammen, und Old Dobber, heute hier Optimist und kein kalter Rechner, raunt mir zu: „Kein Anlaß zu Umständen, El Gento … Möglich, daß sie nicht genug Sprit oben haben. Der Lagerkeller ist dort nebenan.“

Das Geräusch, das ich auf der Treppe durch die offenen Türen der Kellerabteilungen gehört habe, war nur schwach und kurz gewesen. Die Finsternis um uns her und die nunmehr herrschende Totenstille sind ärger als das klare Trampeln von Männerstiefeln. Diese Dunkelheit schießt auf mich die bösen Pfeile sorgender Gedanken ab. Bisher hat der Verlauf der letzten, allerletzten Geschehnisse mir die leicht auszumalenden Bilder der blutigen Szenen draußen in der Wüste ferngehalten: Der Goldbrunnen, dann Carrells Auftauchen, der kurze Kampf nach seinen brutalen Andeutungen über den Sieg der zwölf über Percy und Austin, – – jetzt erst erkenne ich, wie es zwischen den beiden Parteien bei den Lehmpilzen hart auf hart gegangen sein muß und wie heimtückisch Armands Bande den Angriff vorbereitet gehabt haben müßte, um einen Erfolg zu erzielen!

Torheit ist es von Old Dobber, unter diesen Umständen mich beiseite schieben zu wollen, – doppelte Torheit, mir zuzumuten, wie ein kläglicher Horcher durch ein Loch der Decke Zuschauer zu spielen und die Entscheidung zu verzögern.

Er kennt mich nicht. Wie soll er?! Was ist er: Großkaufmann, Millionär, vielleicht ein Mensch mit bewegter Jugend in diesem Lande der schärfsten Gegensätze: Vor vierzig Jahren noch ein Kontinent, von dem nur die Küstenstriche notdürftig vermessen waren, das Innere auf Karten ein weißer Fleck! In vierzig Jahren eine Kultur aus dem Boden gestampft, die nur die äußerlichsten Merkmale der Zivilisation tragen konnte, dennoch ein Glied des Riesenreiches des weltenverschlingenden England mit eigener Flotte, eigenem Heer, Musterhäfen, ungezählten Dampferlinien, Eisenbahnen … – und wieder ein zweites dennoch: Geblieben ein Land des Durstes und Hungers und der leeren Riesengebiete mit fahlen Buschwäldern, in denen die berittenen Gesetzesächter lauern und ihr Spiel mit ebenso gut berittener Polizei treiben … –

Ringsum die Totenstille der undurchdringlichen Finsternis. Nichts belebt sie. Kein Ton dringt irgendwoher an das lauschende Ohr, in dem das Blut singt und klingt in ewigem Kreislauf, bis der kleine Motor, armseliger Klumpen Fleisch, Nerven, Muskeln, Adern, die Arbeit einstellt.

Ein feines Kratzen da …

Ein Zündholz flackert, brennt ruhiger, und die kleine Flamme zittert mit dürftigem Schein über das schwarzbraune Gesicht des Bengels Achi hin.

Maleachi steht vor den Särgen, und seine Haltung ist die des scheuen wilden Känguruhs, das sich zum Sprunge anschickt, der Gefahr zu entrinnen.

Das Zündholz erlischt.

Eine Freude quillt in mir hoch, die dem Geretteten gilt. Ich hatte Achi bereits zu den Toten gezählt. Niemals hätte Armands Bande mit dem Jungen, dem Niggerboy, viel Federlesens gemacht.

Dann seine Stimme, – ich kenne die feinen Abstufungen ihrer Klangfärbung, und jetzt wird Achi ironisch:

„Mussu, du nur kommen hervor,“ meint er halblaut. „Australier dicke Nasen und feine Geruchsnerven … Bekannt dafür … Du riechen zu sehr nach Zigaretten mit süßlichem Tabak, Mussu. Kleider sein angezogen davon …“

Ich zog die Blende von der Karbidleuchte und richtete mich auf.

„Achi, Bengel, – wie steht es um die Freunde?“

Seine Hand wird gequetscht … Alles, was ich ihm nachtrug, ist vergessen.

„Wie stehen? – Hm, sein eingesperrt und gefesselt und Knebel im Munde, Mussu Olaf … Sein da Austin und zwei Freunde von ihm, die anderen erschossen.“ Er zuckt die Achseln und rollt die Augen … „Erschossen, Mussu … Und Percy wurden abgefangen ohne Schuß, und Daisy auch, nur mich sie nicht finden, die zwölf … Ich hüpfen als weißes Känguruh.“

Sein Blick ruht auf Old Dobber, der sich gleichfalls erhoben hat.

„Oh – Old Dobber!!“ – und damit ist für ihn der alte Mann abgetan. Nur als Nachsatz noch, – eine höfliche Redensart: „Sehr froh sein werden Percy, daß Onkel leben … Ich mir das schon denken.“

Im Moment interessiert mich anderes.

„Wie rettetest du dich, Achi? Du liefst davon?“

„Nein, ich sagen schon: Hüpfen, Mussu, wie Känguruh. Sehr einfach das: Ich doch gehen weg von Lagerplatz letztem … Percy hatten versteckt weißes Ziegenfell, womit er stets in Gefahr spielen rechtzeitig weißes Gespensterkänguruh. Ich holen sollen Fell, so mit ihm verabredet. Da knallen Schüsse, Reiter jagen durch Ebene, ich Fell nehmen, hineinschlüpfen, zubinden und springen wie Känguruh, und Schurken mich gar nicht beachten und Missu Daisy fortführen.“

Old Dobber meint belustigt: „Also mein Junge war das geheimnisvolle Känguruh …! – Kein schlechter Witz! Die zwölf hier faselten übergenug von dem Tiere, und – –, aber erzähle weiter, Boy!“

„Nicht viel zu erzählen, Mussu Old Dobber. Ich immer bleiben hinter Reitertrupp … Als sie mit gefesselte Freunde und Pferde in Burg hier verschwunden, ich kriechen über Steinwall und denken immer, Kugel kommen werden … Kamen nicht Kugel, ich finden kleine Tür mit Salz benagelt und Riegel, und waren in Vorhalle zuerst in Schrank versteckt. Nachher mich wagen hinaus und schleichen hinter langen Carrell Treppe hinab … Da kommen Schurke Armand, ich wieder nach oben in Küche, er nur rufen nach Old Dobber, gehen wieder zu andere, ich wieder Treppe hinab in Keller und hier sein …“

Sein Kauderwelsch war klarer als manche Parlamentsrede.

„Prachtbursche!“ – Old Dobber drückte ihm die Hand. „Was treiben die Halunken da oben?“

„Saufen und spielen … Spielen um Missu Daisy …“ erklärt er mit plötzlich hochgezogener Oberlippe, die seine weißen Hauer entblößt. Dämonische Wildheit flammt über seine Züge. „Spielen um Daisy … Werden nicht mehr lange bunte Karten verteilen und einander betrügen … Haben Tür offen, Mussu … Armand spielen für die drei, die hier unten. Wo sein die drei? Tot? Dann gut.“

Er nickt mir zu.

„Noch leben sie, Achi …“ – und das enttäuscht ihn. Ich zeige auf die Särge. „Aber sie sind sicher verwahrt.“

„Sind die schlimmsten, Mussu, die drei … Carrell führen großes Wort, Carrell Spieler und Mörder, Carrell morden Mann, den Percy sollen gemordet haben, Carrell Percy das ins Gesicht schreien und Fußtritte geben … – Nun gehen und schießen, Mussu …“

Für ihn und sein primitives Gerechtigkeitsgefühl gab es hier nur eine Lösung: Abrechnung mit Kugeln!

Old Dobber sagte sehr bestimmt: „Es bleibt bei dem, was ich vorhabe, El Gento …! – Tragt die Zinkkisten nach oben … Beeilt euch … In die Küche bringt sie und werft sie durch das linke Fenster hinaus, – fragt nicht viel. Beeilt euch. Und dann hinauf in das obere Zimmer, El Gento. Ich habe hier noch eine Kleinigkeit zu erledigen.“

Ich widersprach nicht mehr. Mit Achi neben mir und mit nunmehr sechs Pistolen waren die neun uns sicher, mochten die Dinge auch eine unvorhergesehene Wendung nehmen.

Der Alte schritt davon, – scheinbar zu der Zisterne.

Achi blickte ihm nach.

„Ohne Laterne er gehen, Mussu?“

„Er ist blind, Achi.“

„Blind?!“

„Hilf mir … Herunter mit dem Sargdeckel hier …“

Die Zinkkisten wogen jede vielleicht anderthalb Zentner. Wir beförderten sie ins Freie, ganz nach Dobbers Befehl, und sie rutschten an der Außenmauer entlang auf einen sandigen Abhang, kollerten unbeschädigt weiter und wurden vom nachrieselnden Sande bedeckt.

Die Spieler im großen Zimmer hörten wir lediglich brüllen und toben. Sehr friedlich schien es bei dieser Spielpartie um ein Weib nicht herzugehen.

Ich führte Achi nach oben; wir schoben in dem Zimmer die Bastmatten weg, die Löcher im Fußboden waren trichterförmig, und die Aussicht nach unten zeigte ein wüstes Bild.

Achi sagte halblaut: „Old Dobber von hier wohl sehr oft die Schurken beobachten …“

„Belauschen,“ verbesserte ich.

„Beobachten,“ beharrte Achi. „Er nicht sein blind, Mussu Olaf …“

„So?!“ Aber mein zweifelnder Einwurf klang nicht sehr überzeugt. Ich hatte mir selbst bereits so meine eigenen Gedanken über Old Dobbers angeblich gestörte Sehnerven gemacht. Dobber hatte über Arthur Bensons Aufzeichnungen erstaunlich gut Bescheid gewußt, – dabei war es ausgeschlossen, daß etwa Armand oder ein anderer der zwölf ihm das Tagebuch vorgelesen hatten. Sie würden sich gehütet haben, ihn in die romantische und tragische Vergangenheit dieses Hauses und seiner ersten Bewohner einzuweihen.

Old Dobber hatte das Heft selbst gelesen. Vieles war nun erklärt, was anfänglich so widerspruchsvoll erschienen war. Schon sein Verhalten auf dem Turm bei der ersten Begegnung hätte mich stutzig machen müssen, nachher erst recht seine Blicke im Laufe der Unterhaltung in der Küche. Gewiß, mir waren Zweifel aufgestiegen. Manch einer, dem man irgendwie das Augenlicht völlig geraubt zu haben glaubte, gewann es wenigstens insoweit zurück, daß er seine Umgebung wie durch Schleier schaute. Mir waren solche Fälle, bei denen die Natur sich selbst geholfen hatte, besonders von Verbrennungen durch Stichflammen her bekannt. Mir war ebenso bekannt, daß man in gewissen Ländern früher Weidetieren das Entweichen und Umherirren durch chemische Mittel, eben durch ein halbes Blenden, zu verleiden suchte. Bösartige Bullen, die man als hervorragende Zuchttiere nicht töten mochte, erhielten nicht das sprichwörtlich vielgenannte Brett vor den Kopf, sondern wurden von herzlosen Tierschindern derselben verabscheuenswürdigen Behandlung unterzogen. Der Mensch ist noch immer die schlimmste Bestie gewesen. Nur der Mensch folterte seinesgleichen auf raffinierteste Art und legte diese Torturen sogar gesetzlich fest, – nur der Mensch verbrannte Menschen bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterhaufen.

Jedenfalls: Old Dobber konnte zumindest so viel sehen, daß er Schriftstücke zu entziffern vermochte. Mit dieser unzweideutigen Feststellung gewannen auch seine Bemerkungen über seine Vorbereitungen zu einer endgültigen Abrechnung erhöhte Bedeutung, mit dieser Feststellung war auch meine Sorge, die Dinge hier könnten einen für die Gefangenen und uns selbst ungünstigen Verlauf nehmen, überflüssig geworden.

Achi, drei Schritt rechts von mir wie ich auf dem Bauche liegend und hinabspähend auf den Tisch der Spieler, wiederholte nachdrücklich: „Er sein nicht blind, alte Mann … Er mich ansehen in Keller, und in Augen von ihm sein nichts Totes, – ihr das nennen „Ausdruck“, Mussu.“

„Erledigt, mein Junge,“ nickte ich nur. „Er kann sehen, ich weiß es jetzt …“

Die Stimmen zu dämpfen war unnötig, denn die neun edlen Gesellen dort unten machten einen Höllenlärm. Auf zwei neben den Spieltisch gerückten Bänken waren Batterien von Flaschen aufgebaut. – Sie spielten um hohe Summen und auch um Daisy, die Karten klatschten auf den Tisch, stiere Augen verfolgten das Abziehen der Karten, Flüche begleiteten die Fehlschläge.

Eine widerliche Runde, – noch abstoßender, weil sie alle äußerlich die Gentlemen markierten durch tadellose Sportanzüge und gepflegte Hände und Brillantringe, deren Steine wahrscheinlich von Old Dobbers Gold bezahlt waren.

Das waren also die Nutznießer der Millionen des reichsten Mannes der Nordküste! Und das da war Armand Dobber, – sie schrien ihn oft genug an und lachten gröhlend, da er offenbar dauernd verlor. Sein dünnes, fahles Haar, sein schwammiges Gesicht, die dicken Tränensäcke unter den wässerigen Augen und die roten Flecken um die verfärbte Nase: Ein Säufer, ein hemmungsloser Wüstling!

Achi nannte mir die Namen der anderen, die ihm bekannt. Da waren zwei darunter mit vornehmen, müden, hochmütigen, kalten Gesichtern: Söhne Old Englands, von ihren Familien hierher ins Exil geschickt, Farmaufseher jetzt …

Da war der Advokat, ein vertrockneter alter Bursche mit Hornbrille, eine Eulenvisage mit hochgezogenen Mundwinkeln, in denen der Hohn eines brutalen, gemeinen Geistes kicherte.

Da war ein rothaariger Irländer mit einem Eimerschädel und einer blutigblauen Schnittnarbe über der fliehenden Stirn: Ein Arzt, erklärte Achi.

Jeder der Runde ein Typ! – Abschaum eines Landes, das nur wenig wahrhaft kultivierte Gebiete kennt: Queensland, Neu-Süd-Wales und Viktoria, den Küstenstrich im Osten, wo die Gebirgszüge die öden Sandstrecken durchbrechen.

… Sie spielten Baccarat. Sie waren sämtlich vom Spielteufel besessen. Der Alkohol wusch die dünne Politur immer mehr weg. Unflätige Scherze prasselten auf Armand herab, der immer neue Banknoten hervorholte …

In all diesen frechen, gierigen, gemeinen Augen blinkte das Mißtrauen. Keiner traute dem anderen: Verbrecher, schlechter als Verbrecher!

Der Ekel quoll mir hoch.

Zitternde Hände vergossen die Weine, den Whisky … Taschentücher fegten die Schweißperlen von beperlten, starren Gesichtern …

Arthur Bensons Lepraheim barg eine Rotte Tollhäusler.

Und – es ging um Daisy!

Immer wieder flackerte ihr Name in häßlichen Redensarten auf, immer wieder ergoß sich der Hohn über den verliebten Säufer Armand, der bereits glasige Augen und die krebsrote Farbe überhitzten Blutes bekam.

In der offenen Tür nach dem Flur hin erschien die aufrechte würdige Gestalt Old Dobbers.

Es wurde totenstill.

 

14. Kapitel.

Armand schöpft Gold.

Old Dobber hatte seinen schäbigen Anzug abgelegt. Er trug einen gelblichen Reitanzug, weichen Kragen, Schuhe mit Schnallgamaschen und Sporen, – er trug in jeder Hand eine Pistole. Er stand in der Tür, und ein Blick zeigte mir, daß die milchige Schicht über seinen Augen verschwunden war.

Diese braunen, nadelscharfen Augen lähmten die Banditen. Sie stierten ihr Opfer entgeistert an, sie verfärbten sich langsam …

Dobbers Pistolen wurden wagerecht gehalten. Aus den Mündungen konnten jeden Moment die Feuerstrahlen aufzucken.

„Nun habe ich euch,“ sagte er unheimlich ruhig. „Seit einem Jahr warte ich auf diese Stunde, seit einem Jahr hat Gott mir das Augenlicht wiedergegeben. Ihr wißt, Old Dobber schießt das As aus der Karte auch mit der Linken, und eure Köpfe sind größer und nicht As, sondern Aas. Aasgeier seid ihr alle. Hände hoch!“

Und drohender:

„Hände hoch!!“

Dann knallte es. Der Doktor mit dem Eimerschädel hatte zu lange gezaudert, sein Eimer hatte ein Loch, und er rutschte vom Stuhl unter den Tisch.

Die Seitentür öffnete sich, und Percy Dobbers braunes Gesicht lugte herein.

„Du gestattest, Onkel … Du hast uns zwar unter der Bedingung die Fesseln abgenommen, uns nicht einzumischen. Aber zuschauen möchten wir …“ Sein rechter Arm lag um Daisys Schulter, und sein Lächeln war genügend Grund für die acht am Tische, die Farbe noch gründlicher zu wechseln.

Hinter Percy und seinem Mädel drängten sich Austin und zwei seiner Freunde.

„Feine Bande!“ sagte Austin trocken und fingerte am Schloß seiner Büchse herum. „Kolonel Mallingrott wird gute Stricke besorgen müssen für diese schweren Jungens.“

Old Dobber kümmerte sich um die Zuschauer nicht.

„Legt eure Pistolen auf den Tisch,“ befahl er. „Jeder einzeln, Armand fängt an – mitten auf den Tisch.“

Es geschah. Die Pistolen lagen auf den bunten Karten und zerknitterten Banknoten.

„Ihr dürft euch wieder setzen,“ meinte er. „Ihr könnt auch stehen bleiben …“

„Oder hängen,“ meldete sich Austin grimmig.

„Schwatzen Sie nicht, Gorrand!“ verwies der alte Mann. „Die werden nicht hängen, sage ich Ihnen, Gorrand. Die sollen sich selbst richten, – ein Strick ist zu schade, Gorrand.“

Keiner setzte sich … Sie blieben mit hochgereckten Armen und käsigen Gesichtern stehen. Armand stierte auf den Tisch. Nur die beiden feinen Oldengländer grinsten matt, und der eine sagte nun als erster der acht Schweigsamen: „Ich verlange vor ein ordentliches Gericht gestellt zu werden, Mr. Dobber …!“

Old Dobber nickte. „Das Gericht bin ich, Sir Francis Donergan … – Ihr habt mir ein Gift in die Augen geträufelt, als ich bewußtlos war. Ich war blind, als ich hier zurückgelassen wurde. Acht Monate tastete ich mich durch Finsternis, und die Finger waren meine Augen. Dann belauschte ich euch einmal, und Doktor O’Brien, der den Fußboden aufgesucht hat, sprach von der Möglichkeit der Heilung und nannte die Mittel. Sie fehlten mir, aber ich begann meine Augen zu baden … Es wurde langsam Licht um mich her … Die Schleier waren noch da, – auch sie schwanden. Wenn ihr alle drei Monate hier erschient, träufelte ich mir den Saft der Rhesa-Eukalyptusstauden in die Augen. O’Brien sprach auch davon, und meine Augen wurden milchig, so lange ihr hier weiltet, meist nur eine Nacht. Ihr suchtet unverdrossen nach Bensons Gold. Ihr trankt und verspieltet mein Geld, und ihr wurdet modern und kamt sogar im Flugzeug. – Ihr habt meine beiden Begleiter in der Jacht erschossen, ihr habt mich geblendet, ihr habt Percy als Mörder hingestellt, ihr habt den Mord selbst begangen, ihr habt ihn um die Erde gehetzt, ihr habt nun noch Austins Freunde zusammengeschossen wie armselige Kaninchen. In euch ist nichts Gutes mehr, nichts … – John Carrell und Armand – sie sagten es mir – fanden diese Burg vor Jahren, und es war ein Zufall, daß sie sie entdeckten, genau wie der Junge Maleachi sie zufällig fand und euch beobachtete und dann in dem Schweden, der ein Kerl ist aus gesundem Holz, einen Gefährten warb. Eure Schandtaten stinken gen Himmel wie der Qualm des Busches, in dem ihr den Olaf und die anderen braten wolltet. – – Was verdient ihr?“

Er bekam keine Antwort.

„Ich werde euch sagen, was ihr verdient. Ihr habt jahrelang nach Bensons Goldlager gesucht. Ich will es euch zeigen.“

Seine eisige Ruhe war fürchterlicher als rachsüchtiges Aufbegehren.

„Ich will sie euch zeigen …“ und er schaute nach oben und rief:

„El Gento, kommt herab!“

Achi und ich stellten uns hinter ihn.

Old Dobber drehte sich um. „Dieser Schwede hier wird El Gento genannt, damit ihr es wißt. Er hatte indianische Freunde, die ihn richtig einschätzten. Sie modelten das Wort Gentleman nach ihrer Art um und machten El Gento draus. Dieser Mann saß mit Percy in seiner Heimat in einer Zelle … im Zuchthaus – – schuldlos wie Percy. Er kam hierher, und ich war froh, daß er kam. Es kamen mit euch die anderen. Dort stehen sie. Es kam der Neger Achi, ein Junge mit dunkler Haut und weißer Seele. – Gehen wir hinab in die Keller … Ihr sollt Bensons Goldquelle ergraben. So ist es mein Wille. – Austin, Percy, – bindet ihnen die Hände … Wir wollen alles in Ruhe abmachen. Nur Armand erspare ich die Fesseln. Er soll das Gold schöpfen.“

Es war ein stiller Zug, der sich bei Laternenlicht nach unten begab. John Carrell und die beiden anderen wurden aus den Särgen geholt und mußten sich dem Zuge anschließen, obwohl sie etwas unsicher auf den Beinen waren.

Die Zisterne, beleuchtet durch ein halbes Dutzend Laternen, sah einen Kreis Menschen um sich. Die Schöpfstange lag im Brunnen, und ihr oberes Ende ragte nur wenig über den Steinrand hinaus.

„Drei Zinkkisten mit Nuggets lagen in Bensons Sarg unter einem Brett,“ erklärte Old Dobber und schaute Armand an. „Dieser Brunnen birgt das Gold … Der Bach, der dort in der Tiefe rauscht, spülte das Gold weither in die Mulde. – Armand, nimm die Stange und hole dir, wonach du begehrtest …“

Armand taumelte vor und packte zu … „Der Satan hat dich gerettet!!“ – – sein Keifen erstarb, denn als er die Stange mit Gewalt emporzog, ertönte in den Tiefen der Zisterne das Poltern herabstürzenden Gesteins.

„Mir scheint,“ sagte der Alte, „Du hast ein Felsstück losgebrochen … Zieh’ weiter …!!“

Die Schöpfkelle der Stange kam zum Vorschein. Es blitzte goldgelb in dem verrosteten Napf: Goldkörner!

„Nun kennt ihr Bensons Geheimnis,“ meinte Old Dobber hastig. „Kehren wir nach oben zurück. Ich werde richten …!“

Um den Spieltisch saßen elf farblose Gesellen, vor ihnen saßen als Richter Percy, Austin, Achi und ich. – Old Dobber klagte an, zählte ihre Verbrechen her, und wir sollten den Spruch fällen.

Der Spruch lautete: „Auslieferung nach Borraloola an das Bezirksgericht!!“

Der alte Mann nahm diese Entscheidung schweigend hin.

Nachdenklich betrachtete er seinen Neffen Armand. „Ich habe dir nie Anlaß gegeben, daß du so schurkisch an mir handeltest,“ sagte er dann. „Du kamst elternlos in mein Haus, mir verdanktest du alles … Ein Dobber am Galgen ist mir ein unerträglicher Gedanke. Doch – –,“ er schwieg und schloß für einen Moment die Augen, „doch das Schicksal steigt empor aus den Tiefen und läßt sich nicht mehr hemmen …“

Er winkte uns anderen.

„Austin, fesseln Sie sie an die Stühle – auch Armand … Wir wollen Bensons Sammlungen ins Freie bringen und den Rückweg vorbereiten. Wenn Sie hier fertig sind, Austin, helfen Sie uns …“

Als ich das Zimmer verließ, war Austin schon bei der Arbeit.

Ich sah die elf Schurken niemals wieder. –

Wir trugen Bensons Museumsstücke an eine Stelle, die Old Dobber oben im Tale dafür bestimmt hatte. Er trieb uns zur Eile an. Er und Percy holten noch anderes aus der Burg, was leicht fortzuschaffen war.

Der alte Mann war nervös und bleich.

Als der Sandhügel an der Talwand nun alles barg, was die Pferde irgend tragen konnten, befahl Old Dobber uns hier zu warten. Er wollte selbst die Feldflaschen und Wasserschläuche und Bottiche füllen. Die Pferde sollten noch reichlich getränkt werden.

Percy schaute ihm nach, wie er eilends über den Steinwall schritt.

„Olaf, was hat er eigentlich vor?!“

Und Austin murmelte: „Sollte mich nicht wundern, wenn er … – doch nein, er ist kein Mörder.“

Daisy lehnte an Percys Schulter.

Die Sonne enthüllte alle Schönheiten des zauberhaften Tales.

„Es ist wie ein Märchen,“ sagte Daisy leise.

Achi kam mit dem Pferdetrupp herbei. Auch meinen Fuchs hatte er derweil geholt.

Old Dobber machte fünfmal schwer beladen den Weg.

„Lagern wir hier,“ meinte er dann. „Gebt den Tieren zu saufen … Ich möchte noch warten …“

In seinen Zügen war irgend etwas, das mir nicht gefiel.

Ich musterte das seltsame Bauwerk, und es war mir eine Beruhigung, als ich hinter einem der schmalen Fenster nun das geisterbleiche Gesicht Armands erspähte …

„Ja – ich habe ihn dort festgebunden,“ nickte der Alte. „Damit ihr nicht denkt, ich hätte sie erschossen …“

Armand schien zu brüllen, zu rufen … Er riß den Mund weit auf, seine verzerrten Mienen waren die eines Menschen, dem die Todesfurcht im Nacken sitzt.

„Es dürfte Zeit für das Mittag sein …“ sagte der Alte und brachte den Kocher in Ordnung. „Daisy, du kannst mir helfen … Ihr anderen öffnet ein paar Büchsen …“

Aber es war etwas unheimlich Gezwungenes in seinem Tun. Mich täuschte er nicht.

Ich ging zu den Pferden. Achi stand dort und tränkte sie. Er blickte mich lange an. „Mussu, ich denken, daß …“ – aber er brach ab und vollendete: „Besser nicht denken! Einer wissen: Armand!!“

„Was denn?!“

Eine hohe Gruppe Felsen warf Schatten über unser Lager.

Achi deutete auf das Fenster und das bleiche Gesicht.

„Ja, der da wissen, Mussu …!“

„Was?!“ Ich wurde ungeduldig.

Er streichelte die Nase seines Gaules.

„Schicksal steigen empor, Mussu, – so sagen Old Dobber …“

Da rief Percy mich zurück. „Hallo, El Gento, sondere dich nicht ab … Wir decken bereits den Tisch …“

Lebensfreude strahlte ihm aus den Augen. – Glücklicher Mensch: Er hatte das Schlimme hinter sich, vor ihm lag sonnige Zukunft.

Wir saßen im Sande um die ausgebreitete Decke, auf der die Teller standen. Austin würzte das Mahl mit derbem Witz, Old Dobber nippte nur an dem Teebecher und rauchte und lächelte dem Liebespaare zu.

Der Himmel, klar und lichtblau, – die dunklen Berge mit den weißen Häuptern und Streifen, – der grüne Talwinkel drüben, – die Burg aus Salzquadern: Ich hätte Maler sein mögen!

Daisy, rotbraunes Mädel eines Landes, das die Haut tief bräunt, hielt Percys Hand und mit der anderen strich sie über Old Dobbers weißen Kopf. „Onkel, ich wünsche jetzt nur eins: Daß mein Vater nicht allzu hart mit mir ist …“

„Wenn er wirklich Vater ist, Kind, wird er milde sein,“ – und der alte Mann lächelte ein wenig. „Ich werde schon mit ihm fertig werden, Kind, wir sind ja alte Bekannte … Falls er euch weiter verfolgt hat, dürfen wir vielleicht auch mit seinem baldigen Erscheinen rechnen, es müßte nur … nicht zu bald sein … Das Schicksal steigt bedächtig, Kind, und die Zähne des Schicksals nagen langsam …“

„Du wirst poetisch, Onkel …!“

Nein, er wurde sehr ernst.

„Mit Poesie hat dies hier nichts zu schaffen. Es ist Tragik. Ihr empfindet sie Gott sei Dank nicht. Unsere australische Heimat ist hart … Wir sind hart geworden, und die Wüste macht höchstens ein wenig trübsinnig …“

Er gefiel mir nicht. Er plante etwas. Er hatte mir gegenüber von seinen Vorbereitungen gesprochen, Abrechnung zu halten.

Austin Gorrand erzählte von dem nächtlichen Überfall durch die zwölf. „… Wir kamen überhaupt nicht zum Schuß … Ihre erste Salve warf fünf von uns nieder, die zweite ließ nur noch uns drei am Leben … Carrell schlug mir den Kolben gegen die Brust, und mein Messerstich hatte keine Kraft mehr … Ich fürchte, Old Dobber, Kolonel Mallingrott wird die neuen Stricke doch kaufen müssen …“

Der Alte rauchte still und schaute zu dem Fenster hinüber. Armands Fratze verzog sich noch jämmerlicher.

Percy schnellte plötzlich empor.

„Da – der Kolonel und sechs Beamte!“

Um die Felsgruppe trabten die sieben Reiter auf uns zu.

 

15. Kapitel.

Die Stunde des Gerichts.

Daisy flog dem Vater entgegen. Mallingrott sprang mit finsterem Gesicht aus dem Sattel. Die kleine ranke Katze umarmte ihn, flüsterte an seiner Brust, zog ihn dann abseits und winkte Percy herbei.

Der Kolonel schob den Hut aus der Stirn. Percy hielt seine Hand und redete auf ihn ein … bis des Kolonels Züge sich klärten … Und Arm in Arm kamen die drei näher. Old Dobber stand und erwartete sie.

„Mallingrott, alter Freund, – ich schätze, das ist eine kleine Überraschung für dich!“

„Eine große und freudige, Dobber, weiß Gott …“ und die Männer schüttelten sich die Hände. „Ist das denn alles wahr, Dobber?! Und wenn’s wahr ist, – die elf werden baumeln und sich die Welt vom Galgen anschauen, – in dem Punkt lasse ich nicht mit mir reden, und wenn’s auch Ihr Neffe ist, Dobber!“

Der alte Mann hob den Arm.

„Mallingrott, Sie werden mit sich reden lassen. Sehen Sie, dort in der Burg habe ich Jahre gehaust, Jahre … Und doch soll kein Dobber am Strick sterben. Niemals!“

„Tut mir leid, – ich …“

Aber Old Dobbers Augen, die jäh sich weiteten, zerschnitten ihm den Satz …

„Mallingrott, ich denke, das Schicksal will es anders … Kein Mensch wird je die Burg mehr betreten. Sie können die Gefangenen nicht mehr herausholen … Da – – sehen Sie … Es scheint eine Katastrophe zu drohen, und das Zimmer der Gefangenen liegt gerade über der Felsspalte der Keller …“

Daisy schrie auf …

Der Ostturm neigte sich urplötzlich und krachte nach innen auf das Dach aus Kasuarinenstämmen herab … Dem Turme folgten die Ostmauern, – – der ganze Bau wankte, brach in sich zusammen.

Das Krachen und Poltern trieb uns das Blut aus den Gesichtern. Die Westmauer rutschte nach außen, und eine Woge von Wasser schoß zwischen ihren Trümmern in das Tal hinab.

In weniger als einer Minute war von der Burg nur noch ein runder Wall von Salzblöcken und ein Gewirr von Balken und Stangen übrig.

„Dobber, Sie haben die Burg gesprengt!“ schrie Mallingrott mehr entsetzt als ergrimmt. „Dobber, – das ist Mord, das ist …“

„… ist nicht der Fall, Kolonel! Sehen Sie denn nicht, daß ungeheure Wassermengen die Grundmauern zerfressen haben müssen …! Sehen Sie das Wasser nicht?! Ich fürchte, Armand hat das Unheil herbeigeführt, als er die Schöpfstange in der Zisterne allzu gierig emporriß und das Gestein losbröckelte und den Abfluß des Baches verstopfte …! Das Wasser stieg sehr schnell, die Grundmauern lösten sich auf, trugen die ungeheure Last der anderen Blöcke nicht mehr, und – – das Ganze brach zusammen. So war’s, Mallingrott …! – Da – die Mauerreste sacken nach, gleiten in die Kellerspalte … nur der Außenring der Trümmer bleibt … – Die Spalte liegt frei, aus ihr quillt die Flut, und in ihr verschwanden elf Lebende und ein Toter – zwölf, – es gibt keine zwölf mehr, keine Benson-Burg, alles ist ausgetilgt, nur die Höhlen unten sind das nasse Grab von elenden Verbrechern, die nichts besseres verdienten!“

Der Kolonel warf einen kurzen, beredten Blick in das harte Gesicht Old Dobbers.

„Ja, Sie haben recht: Ein Unfall,“ sagte er nur und schritt rasch der Ruine zu.

Ruine …

Nicht einmal mehr das, nur ein Ring von geborstenen Salzquadern und zerknicktem Sparrenwerk.

Ich folgte dem Kolonel, wir kletterten über die Trümmer, wateten durch den Tümpel und standen im rieselnden Wasser am Rande der Felsspalte, in der es gurgelte und schäumte, in der von den Opfern der Katastrophe nichts mehr zu sehen war.

Mallingrott wandte sich mir zu.

„Mr. Elsen …“ – seine Augen sagten mehr als sein Mund – „es war also eine Katastrophe.“

„Natürlich, Kolonel …“ – Ich wußte es besser.

„Mr. Elsen, – was Sie selbst betrifft …: Ich bin Beamter, und Daisy nahm sich vorhin nicht genug in acht … Ich weiß jetzt zu viel von Ihnen, und ein gewisser Steckbrief läuft noch … Ich werde noch eine halbe Stunde hier verweilen, inzwischen … – Sie verstehen mich …! Es mag nicht angenehm sein, allein in die Wüste hinauszutraben und … Kaninchen zu jagen …“

Er gab mir die Hand.

„Abelsen, alles Gute …!!“

Zu unseren Füßen ein seltsames Brausen …

Das Wasser fiel …

Der Bach hatte das Hindernis überwunden und nahm wieder seinen alten Lauf.

Der Bach würde auch die Toten mit hinabziehen in die finsteren Schlünde der Erde … –

Ich schritt dem Lagerplatz zu. Percy kam mir entgegen.

„Olaf, ich würde dir raten …“ – er war ein wenig verlegen.

„Laß’ nur, – ich gehe auf die Kaninchenjagd, Freund von 112, – ich werde dich vielleicht niemals wiedersehen … – Kein Aufsehen, Percy, – es sind sechs Beamte hier, die …“ – –

Ich habe den Freunden nur zugenickt, als ich im Sattel saß …

„In zwei Stunden bin ich zurück … Wir brauchen Fleisch …“

Daisys trauriger Blick tauchte in den meinen.

„El Gento, – einen Moment nur …“

Sie folgte mir hinter die Felsen.

„Olaf …“ – und sie wurde blutrot – „Olaf, Sie sollen mich in gutem Andenken behalten …“

Und sie reckte sich hoch, ich beugte mich hinab, und sie küßte mich.

„Olaf, ich habe Sie sehr gern – als Freund!“ – ihr Köpfchen sank, – „Olaf, – – und unser erster Junge,“ flüsterte sie, „– es wird ein Junge werden, Gott geb’s, soll Olaf heißen …!“

Zwei Tränen rannen über ihre Wangen …

Ich trabte an …

Ich blickte nicht ein einziges Mal zurück, bis – schon draußen in der Steppe – hinter mir Hufschlag erklang …

Achi, mein Boy, – Achi auf ungesatteltem Pferde, nur mit Trense reitend, ohne Hut – aber … die Augen feucht …

„Mussu, nimm mich mit!“ keuchte er … „Mussu, ich … lieben dich … ich dich nicht lassen allein …!“

Ein Australneger, der das Weinen zurückdrängt, würde selbst auf eine alte Blindschleiche komisch wirken. Mir war allerdings komisch zumute, nur daß ich die Rührung mit aller Gewalt niederkämpfen mußte.

„Achi, das ist unmöglich,“ sagte ich rauh, – in meiner Kehle war ein abgenutztes Reibeisen … „Unmöglich, Achi, denn ich verlasse Australien für immer. Wie, wo, – das weiß ich noch nicht …“ Meine Worte überstürzten sich, denn Achis Miene machte mir den Abschied schwerer als nötig … „Ich will hinauf zur Queensbucht, vielleicht finde ich irgendeine Fahrgelegenheit – irgendwohin … Grüße noch Bell Dingo und Ethel … Ich habe es eilig, mein Junge, und ich danke dir für deine Treue …“

Er hielt meine Hand umklammert, er schluckte und druckste, er war verständig genug einzusehen, daß dieses Land für mich fernerhin verbotenes Gebiet war.

„Leb’ wohl, Mussu … Ich … ich …“

Mehr hörte ich nicht und wollte ich nicht hören … Ich jagte westwärts, mein ausgeruhter Fuchs wieherte hell, warf den Kopf hoch und schüttelte sich vor Lust am wilden Galopp im weitgreifenden Sprunge … –

… Auch das alles lag hinter mir. Am Abend erreichte ich die Hooker-Berge und den gleichnamigen kleinen Fluß und eine einsame Farm am Rande der Wüste. Meine Fährte war getilgt, ich hatte fünf endlos lange steinharte Lehmtäler durchritten und eine Wolldecke geopfert, um meines Pferdes Hufe umwickeln zu können.

Der Farmer empfing mich mißtrauisch. Er war ein wortkarger schwarzbärtiger Mann. Sein Weib, seine Kinder, seine acht Schwarzen glaubten es mir nicht, daß ich von Südost käme aus dem Sandfeld. Die Leute behagten mir nicht, und das erste, wonach ich Ausschau hielt, waren die Stangen einer Telephonleitung. Es war keine Fernsprechverbindung vorhanden, das beruhigte mich, und als ich erst zwei Stunden mit den Einsamen zusammen gewesen war, tauten sie auf, – es waren Kurländer, Heimatlose, und erst fünf Jahre hier am Hooker-Fluß.

Zwei Stunden, vielleicht drei, – dann mit kurzem Abschied wieder weiter. Wieder allein … hinaus in die sternklare Nacht, die immer noch der beste Freund der Einsamen ist …

Die Quelle des Viktoria-Flusses, der in die Queensbucht mündet, war nahe. Die Natur des Landes hatte hier ein freundlicheres Aussehen, viel Buschwerk, Buchen und Zwergeichen. Erst am Viktoria wollte ich lagern. In den bergigen Tälern verritt ich mich, und als unter mir der schmale Silberstreifen lang entbehrter strömender Wassermengen, die bei Dürre nicht versiegten, auftauchte, als ich näher trabte und im Buschwerk des Ufers Stimmen vernahm und den würzigen Duft eines Feuers und das helle Flackern der Flammen mich grüßten, riß ich den Fuchs zurück – gerade unter einer uralten Blaubuche …

Von einem schenkeldicken Ast hing eine Schlinge herab, in der Schlinge steckte der langgereckte Hals eines Chinesen …

Das war Chi Api, der Tote

Mit diesem Toten verließ ich Australien. – –

… In den stillen Nächten im Urwald, wenn ganz fern die Riesenaffen ihr Konzert beginnen, träume ich zuweilen von der Burg aus Salzquadern und von Daisy Dobbers weichen Lippen … Und von dem kleinen Propheten, der so tapfer das Weinen verbiß, und von Old Dobber, der an jenem Morgen Gericht hielt und das Wasser steigen und die Grundmauern schmelzen ließ …

Andenken an jene Tage sind Achis schlechte Photographien der Geisterburg, in der nur höllische Geister ihr Wesen getrieben hatten.

Aber all das liegt bereits so unendlich weit zurück. –

Chi Api betritt unsere Hütte auf der Bergterrasse und mahnt zur Nachtruhe.

Morgen werden wir die Orang-Fallen nachsehen. Das sind zwei Stunden Marsch durch den Dschungel, und das ist kein Vergnügen …

Ich werde mit Schwung den Schlußstrich ziehen. Was ich über Arthur Bensons Burg zu sagen hatte, ist gesagt …

 

– Ende. –

 

 

Anmerkungen:

  1. Fehlendes Wort „der“ ergänzt.
  2. In der Vorlage steht: „zischen“ (Gegenwarts- statt Vergangenheitsform).
  3. In der Vorlage steht: „Beruf“, was aber so keinen richtigen Sinn ergibt. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist „Besuch“ gemeint, daher geändert.