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Das Haupt der Isis

 

 

Olaf K. Abelsen

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

Das Haupt der Isis

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a. d.

Schwedischen von

M. Schraut

 

– Band 18 –

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1930 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.

 

1. Kapitel.

Der Mann von drüben.

Es war Mitas Stimme, die mich mitten in der Nacht weckte … Schwach und zart kam diese Stimme aus der Nebenkabine, mischte sich zunächst noch in meine wirren Träume, die wahrscheinlich der allzu fetten abendlichen Seehundslende zuzuschreiben waren.

„Olaf … Olaf …“

Dann war ich völlig wach, richtete mich auf und sah durch den dünnen Türvorhang drüben bei der Kranken den ruhigen Lichtschein der kleinen Karbidlampe.

„Wieder Schmerzen, Mita?“ meldete ich mich sorgenvoll und schlüpfte eiligst in die dicken Pelzhosen und die Seehundsstiefel.

Dann sah ich Taito, den Hund, der mit gesträubtem Haar an der Gangtür stand …

„Hörst du denn nichts, Olaf?“ rief meine arme Kameradin, deren zerschundenen Leib ich erst gestern aus der Eiskluft mühsam geborgen hatte, mit leichtem Vorwurf. „Hörst du denn wirklich nichts … Es kläffen doch Hunde draußen auf dem Eise …!“

Taitos Knurren ließ mich aufhorchen.

Jetzt vernahm auch ich das Blaffen einer ganzen Meute, war im Nu an der Gangtür, streifte noch Pelzrock und Mütze über und ergriff die Büchse, obwohl hier in dieser schillernden Einsamkeit der antarktischen Küste diese Vorsicht gänzlich überflüssig war.

„Ich werde Ausschau halten, Mita …“ und dann schloß ich die dicke, gepolsterte Tür und folgte dem bereits vorausstürmenden Taito, diesem Unding von Köter, der dennoch treuer und zuverlässiger an mir hing als so mancher Mensch, der sich prahlerisch „Freund“ genannt hatte.

Auf dem vereisten, verschneiten Deck des Dreimasters „Eisvogel“, der einst die kanadische Südpolexpedition des Doktor Vandermar an diese Gestade trug, hier im Packeis einfror und schließlich nur noch zwei Menschen beherbergte, die nun ebenfalls dort drüben in einem Eisgrabe ruhen, – auf diesem weiten, weißen Schiffsdeck liegt Tag und Nacht, Nacht und Tag der rötliche Widerschein der Riesenfackel, die dort drüben auf der Kuppe des Berges lodert.

Deshalb gibt es hier keine Polarnacht der sogenannten Sommermonate, keine Dämmerung, keine Dunkelheit: Eine künstliche Sonne wirft ihre leuchtenden Strahlen lodernder Flammen allzeit mit gleicher Stärke über Gletscher, Schneefelder, Packeis, hochgetürmte Schollen! – Die Sonne ist die Fackel des Südpols, ist wiederum nichts als ein im Berginnern brennendes, glühendes Kohlenflöz, sind Gase, die brennend emporschießen zum Firmament und Licht und Wärme spenden.

Phantastisch, theaterhaft wirkt in dieser Beleuchtung das große, stille Schiff mit seinen schlanken Masten, seinen gefrorenen, zerfetzten Segeln – wie bestrahlt von Bühnenscheinwerfern mit roten Linsen, wie das unheimliche Fahrzeug des fliegenden Holländers.

Aber es ist ein moderner Motordreimaster, erbaut für diese verunglückte Expedition, jetzt bewohnt von Mita Mac Barny, mir und Taito.

Ich trat an die Reling, wo die hochgetriebenen Schollen einen Hügel bilden, erklimme die zerklüftete Eismasse und halte Umschau.

Es ist ja so lächerlich zu vermuten, daß hier irgendwo eine Meute Hunde blaffen könnte … Daran denke ich nun und ärgere mich über meine Torheit, die warme Kabine verlassen zu haben.

Hunde – hier?! – Ja, ein Hund, mein Hund, – Taito, das ja! Aber andere Vierfüßler – hier in der Antarktis, im Reiche des Südpols?!

Die schneidende Kälte benimmt mir den Atem, die Augen tränen …

Ich sehe nichts.

Nach Nordwesten zu eine Strecke Packeis, dann Gletscher, Eiswände und der brennende Berg, dessen Kuppe eisfrei geworden durch die Hitze. Das ist alles.

Nach Südosten zu nur Packeis und in der Ferne die hohe Kristallbarriere, ein weißer berüchtigter Wall, den noch kein Südpolarforscher durchbrach.

Und dann stutze ich doch …

Dort links vom Sonnenberge läuft ein Tier über eine schmale, sanft ansteigende Hügelkette …

Wenn das nicht Taito ist, will ich nicht mehr Olaf heißen!

Was fällt Taito ein, – noch nie erlaubte er sich Extrafahrten, noch nie entfernte er sich so weit von mir, noch nie …!

„Taito!!“

Ich brülle hinter ihm drein …

„Taito, hierher …!!“

Taito will nicht, Taito verschwindet, und gereizt und halb besorgt kehre ich in die Kajüte zurück, wo der eiserne Ofen glüht und wo dort nebenan meine Kameradin tapfer gegen die Schmerzen kämpft.

Ich schlage den Vorhang beiseite, und Mita blickt mir aus dunklen übergroßen Augen fragend entgegen.

„Nun, Olaf?!“

Ich berichte kurz. Viel habe ich nicht zu berichten.

Ich setze mich neben Mitas Bett und sage noch: „Taito wird einen Seehund aufgespürt haben, der mal eine Strecke ins Innere wanderte … Seehund, Mita!! Die bellen auch, du weißt es.“ Und ich lächle ihr zu und nehme ihre fieberheiße Hand. „Vergiß das alles, Mita, und schlafe … Soll ich dir noch eine von den Tabletten geben?“

„Danke, Olaf …“ – Ihr schmales, dunkel getöntes Gesicht verzieht sich schmerzlich. „Ich werde doch nicht schlafen können, – ich kenne das, als Kind fiel ich einmal von einer Kiefer, und die Quetschungen folterten mich förmlich.“

Als Kind … – Mitas Heimat sind die Wälder Kanadas, die sieben Monate unter Schnee begraben liegen. Mita war einer Chippeway-Indianerin und eines Weißen einziges Kind …

„Du nimmst eine Tablette,“ bestimmte ich energisch.

Sie ist gehorsam.

Bald darauf atmet sie tief und ruhig, und ich schleiche hinüber in den großen Raum, der einst Doktor Vandermar beherbergte. Diese Kajüte, ausgestattet mit allem, was der Leiter einer Expedition nur braucht, erscheint mir, dem Wanderer der Abseitswege, wie ein Prunkgemach. An der Decke hängt die große Lampe, ihr Licht füllt jeden Winkel, und – – wieder stutze ich …

Auf dem sehr dicken Wollteppich liegt gerade unter der kleinen Stablüftungsklappe, die stets ganz wenig geöffnet ist, um etwas frische Luft einzulassen, ein langer schmaler Fidibus von gelber Farbe. Diese Klappe geht durch die doppelte Bordwand hindurch und ist außen durch ein starkes, durchlöchertes Blech mit Scharnieren und Riegel verschlossen, – an sich eine etwas ungewöhnliche Anlage für ein Schiff, nicht für ein Polarschiff.

Als ich das Papier – es ist das innere Papierschutzblatt einer Zigarrenkiste – auseinanderfalte, finde ich darauf mit Tintenstift in einer grob hingehauenen Handschrift, die so manches über den Charakter des Schreibers verrät, folgendes vermerkt:

Ich habe euch beide nun genügend gewarnt. Daß ihr sogar gemein genug sein konntet, den Hund vor euren armen Gefährten zu verbergen (es wird nicht der einzige noch lebende sein, nehme ich an), setzt euren infamen Niederträchtigkeiten die Krone auf. Hütet euch, – wenn ich zum dritten Mal erscheine, werde ich eure Schüsse so erwidern, daß ihr nicht mehr schießt, verlaßt euch drauf. Gerechtigkeit muß sein, und da es hier leider keine Polizei, kein Schwurgericht und keinen Galgen gibt, werde ich es euch heimzahlen, was ihr an euren Gefährten verbrochen habt.

Der Mann von drüben.

Befände ich mich hier in einer anderen Lage, würde ich über dieses Stück Kolportageromantik lächeln. So, wie die Dinge hier jedoch liegen, vermag ich diesen Zettel unschwer zu deuten. – Ich weiß, daß der Vandermar-Expedition hauptsächlich dadurch der sichere Tod drohte, daß die Schlittenhunde scheinbar durch eine Seuche sämtlich hinweggerafft wurden und daß die mitgeführten Gemüsekonserven, die zur Verhütung des Skorbuts, der berüchtigten Polarkrankheit, notwendig waren, auf unerklärliche Weise verschwanden oder ebenso unerklärlich schnell verbraucht wurden. Als letzte Überlebende des „Eisvogel“ hauste hier ein verbrecherisches Liebespaar, an das ich schon aus dem Grunde ungern denke, weil Mita Mac Barny, die mir lieb und wert ist, die unglückliche Gattin jenes Thomas Malcolm war, der sie im Einverständnis mit Thora Vandermar, einem Mädchen ohne Gewissen, im Sturm bei der Hinfahrt über Bord warf. Wie Mita damals gerettet wurde, wie und wo ich sie traf, wie wir mit dem nun in Flammen aufgegangenen Schwingenflieger hier landeten, wie der Fackelberg beide vernichtete, – all das ist eine frühere Geschichte. Eins bleibt gewiß: Dieses Pärchen hat die Expedition gemordet, dieses Pärchen vergiftete die Hunde, verbarg die Konserven, ließ die Gefährten hinsiechen, hoffte dann irgendwie bewohnte, wärmere Gegenden wieder zu erreichen und mit Vandermars Millionen ein recht vergnügtes Dasein zu führen. – Das Schicksal griff ein: Der brennende Berg öffnete ein neues Ventil seines ungeheuren, überhitzten Kessels, und was ich dann im Schnee verscharrte, waren zwei grausig verkohlte und verstümmelte Klumpen versengten Fleisches.

Das alles sind Tatsachen, sind kurze Kapitel einer gräßlichen Tragödie, wie die schreckensvollen Annalen der Polarforschung sie bisher nicht aufwiesen. Die Welt da draußen, wo die Bäume grünen und die Blumen blühen und Früchte gedeihen und die Menschen einander trotzdem wie Bestien im Dunkeln bekämpfen und jeder zusammenzuraffen sucht, was er nur irgend zusammenraffen kann, – diese Welt, die ich meide und die mich ausgestoßen hat, ahnte nichts von den gemeinen Ränken Thomas Malcolms und Thora Vandermars. Die Vandermar-Expedition gilt für verschollen. Aber Doktor Vandermar lebte noch vor vier Monaten, und sein letzter Hilferuf war es, der Mita, mich und Taito diese bisher nie betretene Küstenstelle der Südwestseite des Antarktischen Kontinents finden ließ. Wir glaubten hier allein zu sein, ganz allein, – die Antarktis ist ja nirgends bewohnt, nicht einmal Vierfüßler gibt es hier, nur Vögel und Robben, Wale, Walrosse und ähnliche Gesellen, die ein eiskaltes Bad nicht scheuen.

Jetzt sehe ich, wir täuschten uns, ein Mann haust hier irgendwo, der Mann von drüben!

Und dieser Unbekannte hält Mita und mich für das verbrecherische Paar, dieser Mensch kennt die ungeheuren Verbrechen Malcolms und seiner Dirne, seines reichen, schändlichen Liebchens, – der Mann hat mit den beiden vom Schicksal gestern ausgelöschten bereits einmal bleierne feindliche Grüße ausgetauscht und wollte Vorsehung spielen.

Heute besuchte er den „Eisvogel“ zum zweiten Mal. Beim dritten Mal will er Ernst machen, und ich zweifele nicht daran, daß er nicht umsonst droht. Die Handschrift besagt genug. Das muß ein Kerl aus Stahl und Eisen sein, einer, dem die ungeheure Kälte dieser ewig vereisten antarktischen Hochlandgebiete nichts anhaben kann.

Wer ist der Fremde? Was verrät er mir durch den Zettel?

… Ich habe mich an Doktor Vandermars bücherbedeckten Schreibtisch gesetzt und nach einer Zigarre gegriffen. Daß es kurz nach Mitternacht ist, stört mich nicht. Ich bin nicht müde, – dies seltsame Ereignis, um nicht Geheimnis zu sagen, hat mich wachgerüttelt.

Mann von drüben?!

Und da denke ich an das Bellen der Meute und an Taitos eilige Flucht nach Nordwest, die ich vorhin draußen beobachtete.

Also: Der Mann besitzt einen Hundeschlitten, der Mann entfernte sich nach Nordwest ins Innere des Eislandes hinein, und der dumme Taito rannte hinterdrein, vielleicht getrieben von dem stärksten Instinkt und Trieb: In der Meute wird eine Hündin der Magnet für Taito gewesen sein, denn mein Prachtexemplar von Rassenmischung ist jung und stark und voller Lebensgier.

Armer Taito, ich fürchte, dieser Ausflug wird dir schlecht bekommen. Schlittenhunde sind halbe Wölfe, und …

Mir fällt da etwas ein, das auch Doktor Vandermar in dem Schiffstagebuch erwähnt und mir schon früher bekannt war. Man hat den Versuch unternommen, im Südteil der Antarktis und zwar im sogenannten Viktoria-Land, das der Forscher Scott 1902, vor ihm schon Roß 1841, mehrfach durchquerte und dabei Genaueres über den einzigen Vulkan der Antarktis, den Erebus, feststellte, sowohl Polarfüchse als auch Polarhunde und Schneehasen hier heimisch zu machen. Man setzte die Tiere aus und überließ sie ihrem Schicksal, hoffte, daß sie sich vermehren würden. Es war ein Fehlschlag, denn spätere Expeditionen fanden keine Spur mehr von diesen Tieren, und man nahm an, die weit ungünstigeren, strengeren klimatischen Verhältnisse des Südpols hätten sie hinweggerafft.

Dies schien nun doch nicht der Fall zu sein. Angenommen, „der Mann von drüben“ sei ein Mitglied der Vandermar-Expedition (und diese Vermutung lag doch sehr nahe), ein Mann, der vielleicht rechtzeitig das Schiff verließ und irgendwo einen bewohnbaren Unterschlupf fand, – woher hatte er dann die Hundemeute?! Doch nur, so reimte ich es mir zusammen, durch blinden Zufall, der ihn auf Nachkommen jener einst im Viktoria-Land weiter nordwestlich ausgesetzten Polarhunde stoßen ließ, die er einfing, zähmte und nun vor seinen Schlitten spannte!

Zunächst werde ich, da meiner Kameradin hier nichts zustoßen kann, einmal draußen in weiterem Umkreis gründlich Umschau halten.

Über dem Treppenaufbau des Hecks haben die Vandermar-Leute noch ein zweites Schutzdach aus Brettern errichtet, um die Schneewolken bei den hier so häufigen Stürmen fernzuhalten. Die obersten Stufen schimmern rötlich! Das Licht der Riesenfackel drüben beleuchtet sie, und an Deck empfängt mich wieder die milde Helle des nicht allzu fernen Sonnenberges, der großartigsten Licht- und Wärmeanlage, die je eine Unachtsamkeit der Menschen hergestellt hat. Ich weiß auch das: Vandermar fand oben auf diesem Berge, genau vor anderthalb Jahren, als die Kuppe noch mit Gletschereis bedeckt war, eine breite Gletscherspalte, in deren Tiefe er kahles Gestein und eine schräge Vertiefung bemerkte. Es stellte sich dann heraus, daß das Innere des Berges aus einem von breiten Rissen durchzogenen Steinkohlenflöz bestand, Vandermar ließ vorsichtig die Kohle abbauen, einem der Leute glitt jedoch einmal eine brennende Petroleumlaterne in einen der Risse, es erfolgte eine schwache Explosion angesammelter Gase, die Arbeiter kletterten eiligst ins Freie, und schon zwei Stunden darauf brannte der Berg und war nicht mehr zu löschen. Erst nach Monaten entwickelte sich dann die Flammensäule über der Kuppe, die heute als Riesenfackel von etwa fünfzig Meter Höhe das großartigste Naturphänomen ist, das ich je schauen durfte. Ich habe brennende Petroleumquellen gesehen, ich sah Erdgas emporflammen, – nirgends schuf die Natur etwas Ähnliches wie dieses ungeheure Fanal, das hier nun als Licht- und Wärmequelle geradezu unschätzbare Dienste leistet.

In stiller Bewunderung blieb ich auch jetzt eine geraume Weile stehen und betrachtete das seltsame Landschaftsbild – eine Farbensinfonie in Rot, beginnend mit der tiefroten Glut der Fackel, sich abschwächend auf den Berghängen, die an der Kuppe längst eisfrei waren, zu freundlichem Violett, dann übergehend auf den glänzenden Gletschern, Zacken und Schneefeldern zu lichtem Rosa und schließlich in der Ferne sich verlierend in graue Dämmerung der sommerlichen Polarnacht.

Ich spähte mißtrauisch umher.

Nichts sah ich – nur die Riesenfackel, das rosige Leuchten der Firnen und das dunkle ruhevolle Violett der kahl gewordenen Bergkuppe.

Ich kletterte auf die Schollen, kletterte das zusammengefrorene Packeis hinab – keine Mühe weiter, da diese Schollen stellenweise die Reling überragten. Stets auf Deckung bedacht, hatte ich absichtlich die bequemere Schiffstreppe vermieden, deren vereiste Stufen ohnedies längst auf ein Beil und Ofenasche für sicheren Abstieg warteten. Immer wieder mich möglichst auf freier Fläche haltend, die einen Nahschuß aus einem Versteck dem Fremden erschwerte, näherte ich mich in flottem Trab jenem Orte, wo ich meinen gelbhaarigen Riesenboxerteckel zuletzt gesehen hatte. Die Winchesterbüchse im Arm, fortwährend nach allen Seiten sichernd, erreichte ich ein sanft ansteigendes Schneefeld, das ich bisher nicht betreten hatte, da meine anderen Pflichten, die ausschließlich der verletzten Kameradin galten, mir jeden weiteren Ausflug vom Schiffe mit Ausnahme der gestrigen abendlichen Seehundsjagd verboten hatten.

Seit langem fand ich hier wieder einmal Gelegenheit, meine alten Erfahrungen als Fährtensucher unter Bedingungen, die stete höchste Wachsamkeit heischten, zu erproben. Halb vergessene Erinnerungen an ähnliche Begebnisse in anderen, wärmeren Erdteilen und Weltwinkeln lebten zu klaren Bildern wieder auf, und es bedurfte gerade hier im feinen Pulverschnee, den der Wind gleichmäßig über die Eiskruste verteilt hatte, keiner übermäßigen Sehschärfe, um sofort zu erkennen, daß ein Schlittengespann an dieser Stelle gehalten und die Hunde sich niedergetan und der Schlittenlenker sich nach dem Schiffe zu entfernt hatte und ebenso wieder zurückgekehrt war, wobei er immerhin die Vorsicht angewandt hatte, genau in dieselben Fußtapfen zu treten, – daß er dann weiter sein Gespann ebenfalls nach Möglichkeit auf der Hinfährte hatte davoneilen lassen.

Die Zahl der Hunde schätzte ich auf neun oder zehn, sie waren in besonderer Art vor den breitkufigen Schlitten gespannt, erst fünf, dann vor diesen vier, – jetzt nach einer kurzen Strecke konnte ich dies ganz klar erkennen. Ja, es waren insgesamt neun Hunde, und die Spuren jenseits des Schneehügels bewiesen, daß sie mit außerordentlicher Schnelligkeit dahingestürmt sein mußten.

Die Fährte lief um den vergletscherten Fuß des Berges scharf nach Nordwest herum, und zu meinem Erstaunen gewahrte ich jetzt erst in vielleicht fünfhundert Meter Entfernung eine glatte, lange Eiswand, deren Vorderseite im Lichte der Riesenfackel wie ein trüber endloser Spiegel schillerte. Es war ohne Zweifel eine jener berüchtigten Eisbarrieren, die gerade den Südpolarforschern das Eindringen in das Innere der Antarktis so sehr erschwert haben. Zumeist sind dies Gletschermassen, die ungeheuren Mauern gleichen, selten unter achtzig Meter hoch, fast immer mit ihren Ausläufern hart an finstere Eisschlünde grenzend, die genau wie diese Gletscherwälle keinerlei Möglichkeiten bieten, sie irgendwie zu überwinden. So fanden Roß und Scott, die bekanntesten und erfolgreichsten Antarktisreisenden, in dem sogenannten Roß-Meer, das die Westgestade von Viktorialand bespült, vom Vulkan Erebus aus genau nach Westen zu einen solchen endlosen Eiswall, in dem dann Scott erst nach langem Suchen eine passierbare Lücke entdeckte, die ihn hoffen ließ, nunmehr den Marsch zum Pol beginnen zu können. Doch gänzlich zerklüftetes Eisgelände zwang ihn im Februar 1902 wieder zur Umkehr, und im Dezember desselben Jahres konnte er als erster, den Weg am Erebus vorüber nach Norden wählend, bis zum 82. Grad vorstoßen und einwandfrei feststellen, daß sich hier in der Richtung auf den Pol ein vereistes Hochgebirge, höher als die Alpen, entlangzog. Ebenso war er es, der nachweisen konnte, daß der Vulkan Erebus sich auf einer Insel erhob, die, umgeben von Packeis und Gletscherresten, für ewig mit der Antarktis verbunden ist.

Mir erging es nun nicht anders wie Scott: Der Eiswall dort vor mir setzte meinem Vordringen ein Ziel!

Verärgert und unzufrieden tappte ich über glasharte, blanke Eisflächen, – die Schlittenfährte hatte ich längst verloren, da der Fremde sehr bald schlau genug gewesen war, jede Schneeanhäufung zu meiden.

Trotzdem bahnte ich mir mit verbissener Beharrlichkeit weiter einen Weg nach Westen, immer an der Eismauer entlang, denn hin und wieder glaubte ich doch auf dem Gletschereise Abschürfungen wahrzunehmen, die nur von Schlittenkufen herrühren konnten.

Zum Glück war die Nacht fast windstill, und auch die etwa fünfundzwanzig Grad Kälte spürte ich kaum, – dieser sogenannte Weg sorgte schon dafür, daß mein Blut heiß durch die Adern rollte.

Ich mußte eben den „Mann von drüben“ finden, mußte mich mit ihm verständigen, ich zweifelte nicht, daß ich ihm genügend Beweise liefern könnte, ich wäre nicht jener Malcolm, mit dem er so ernsthaft abzurechnen hatte.

Eine Stunde war vergangen, – weit hinter mir schimmerte die Riesenfackel, da stand ich tatsächlich am Westende der Mauer vor einem Abgrund, der sich gleich einem Kanon meilenweit von Nord nach Süd fortzusetzen schien.

Umkehren also!!

Noch gereizter über diesen Fehlschlag und mich selbst mit Vorwürfen überhäufend, daß ich ein paar Schrammen im Eise für Schlittenspuren gehalten hatte, begann ich eiliger, noch verbissener, noch versessener auf eine Begegnung mit dem Fremden denselben Weg zurückzuhasten.

Als ich dann an die Stelle gelangte, wo ich vorhin nach links, nach Westen abgebogen war, zwang ich mich zu ruhigem Absuchen der Umgebung, um vielleicht doch die verlorene Fährte wieder zu entdecken. So kam ich denn auch etwa zwanzig Meter vor der Eisbarriere in völlig unübersichtliches, von Eiszacken und -blöcken besätes Gelände – eine flache Talmulde, aber gespickt mit Eisnadeln. Leider gab es auch hier nur kleine Schneewehen, und wenn der brennende Berg mit seinen rötlichen Lichtgarben mir nicht geholfen hätte, würde ich niemals die vier Büschel gelblicher Haare und die wenigen Blutstropfen gefunden haben.

Ich atmete erleichtert auf, – hier hatte Taito sich zweifellos mit den Schlittenhunden herumgebalgt, und noch genaueres Umherspähen ließ mich nun auch eine zweifelsfreie Rille im Eise erkennen, die nur von dem eisenbeschlagenen Bremssporn herrühren konnte. Die Richtung dieser Rille verlief in das Labyrinth von Eisblöcken hinein, und es erschien mir jetzt schon als gewiß, daß „der Mann von drüben“ hier in nächster Nähe einen Tunnel durch den Eiswall gefunden hätte und daß er mit seinen Hunden jenseits der Eisbarriere hauste.

Noch auf den Knien die Fortsetzung der Spur abtastend, fiel mir ausgerechnet erst jetzt eine Stelle aus dem Schiffstagebuch Doktor Vandermars ein, die von dieser selben Eismauer handelte und von deren Unüberwindbarkeit, da im Westen und Osten des Walles tiefe endlose Eisklüfte ein Umgehen des Hindernisses vereitelt hätten, so daß die Leute der Expedition hier mit ihrem eingefrorenen Schiffe auf einen verhältnismäßig engen Raum beschränkt gewesen wären.

… Noch auf den Knien liegend – und vor mir diese Eiswildnis, die ein so treffliches Versteck bot! – Blinder Eifer schadet nur, – und das Wort schoß mir durch den Sinn, als jetzt vor mir eine Stimme freundlich sagte:

„Bitte, richten Sie sich auf … Ich habe es so bequemer, Mr. Malcolm …“

Dann fiel mir irgend etwas über den Kopf, eine Lederschlinge wurde mit brutalem Ruck zugezogen, und halb erwürgt flog ich vorwärts und prallte mit dem Kopf gegen ein Eisenstück und verlor die Besinnung, ohne von dem Fremden auch nur eine Fußspitze gesehen zu haben.

 

2. Kapitel.

Bert Bengs Wolfsmeute.

Ich will den guten Bert hier in meinen Aufzeichnungen, obwohl er sie lesen wird, nicht schonen.

Er benahm sich hundsgemein – bei einem Besitzer von zwölf bissigen Polarhunden von Großformat weiter kein Wunder.

Die Gemeinheit bestand zunächst darin, daß er mich nicht nur wie einen Schlachthammel gefesselt, sondern mir auch die Augen dicht verbunden hatte.

Ich war damals etwa eine Stunde ohne Bewußtsein gewesen, und bevor ich mich genügend erholt hatte, um meines Gegners fromme Sprüche beantworten zu können, verging noch eine halbe Stunde.

Immerhin fühlte ich die Fesseln, spürte die Augenbinde, merkte, daß ich an einen großen Stein gebunden war und auf Steinboden saß und vor mir ein Feuer oder ein Ofen brannte, – es roch nach Steinkohlen.

Ich fühlte aber noch mehr: Halb auf meinem Schoße lag ein Etwas, das sich zuweilen bewegte, winselte, mir das Kinn leckte und ähnliche Liebesbeweise lieferte – – Taito, Freund Taito, der Schürzenjäger, der Ausreißer. – Gott sei Dank, er lebte.

„… Jeder schmutzige Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht,“ sprach der unsichtbare Sieger aus nächster Nähe. „Und Sie sind ein ganz dreckiger Krug, Malcolm …! Sie sind ein Gefäß voller Unrat …! Sie haben die Leute vom „Eisvogel“ an Skorbut krepieren lassen, Sie haben mit dem Weibsbild zusammen den Hunden der Expedition vergiftetes Fleisch vorgeworfen, Sie haben nicht einmal Doktor Vandermar geschont und haben mehrmals hinterrücks auf mich gefeuert. Ihr Schuldkonto ist übervoll … Sie werden sterben. Suchen Sie sich eine Todesart aus. Ich bin im allgemeinen eine liebenswürdige Natur, und es widerstrebt mir, mich persönlich an Ihnen zu vergreifen. Dreierlei schlage ich vor: Erstens, – ich bringe Sie in die Nähe einiger Eisspalten, gebe Ihnen die Füße frei und lasse Sie dort mit verbundenen Augen und gefesselten Händen stehen, dann erfrieren Sie entweder oder fallen in ein Eisloch – letzteres wäre mehr zu empfehlen, da es schneller geht – – mit dem Sterben, meine ich. Dann zweitens: Ich könnte Sie nackt ausziehen, gefesselt lassen und in meinen Hundezwinger werfen. Sie wissen ja, daß meine zwölf Lieblinge Nachkommen von Polarhunden sind, die Professor Bestarell 1905 hier an der Küste des Viktorialandes aussetzte und daß es ein törichtes Märchen ist, diese Tiere hätten als erste vierfüßige Bewohner der Antarktis das Klima nicht vertragen. Das ist Unsinn, denn ich habe mir ja ein Dutzend dieser Schoßhündchen eingefangen und tadellos erzogen, wobei ein Knüttel die Hauptrolle spielte, der bei Ihrer Erziehung gefehlt hat, sonst wären Sie nicht ein solcher Erzhalunke geworden. Wie gesagt: Auch meine Lieblinge würden sehr bald mit Ihnen reinen Tisch machen. – Dann, drittens: Ich könnte auch sofort Ihre Dirne Thora hierher holen und sie zwingen, selbst Richter zu spielen und Ihnen ein Loch durch die Stirn zu pusten, was sie bestimmt tun würde, wenn sie dadurch einige Aussicht hätte, vielleicht selbst mit dem Leben davonzukommen. Miß Thora steht nämlich in meinen Augen noch ein paar Stufen niedriger als Sie selbst, obwohl dies kaum mehr möglich ist. – Verzeihung, langweile ich Sie durch meine Vorschläge? Wünschen Sie schleunigst in die Hölle abzurutschen?“

Der Mann von drüben, von dem ich nur die Stimme hörte, und die klang recht angenehm, besaß ohne Zweifel ein gut Teil blutigen Humors.

Ich erwiderte etwa in demselben Tone, – meine Stimme war infolge der Lassoschlinge nicht ganz auf der Höhe:

„Ich bedauere außerordentlich, daß Sie sich mit der Auswahl der drei Todesarten gänzlich zwecklos geistig überanstrengt haben. Ich bin nämlich nicht Thomas Malcolm.“

Eine Weile sagte er gar nichts, blies mir nur ein Wölkchen Zigarettenrauch ins Gesicht und meinte dann ironisch:

„Eine dümmere Ausrede habe ich noch nicht gehört! Sie haben sich wohl einen Stellvertreter per Eilpost von Australien verschrieben?!“

„Keinen Stellvertreter, auch nicht von Australien, Sir,“ sagte ich hierauf gut gelaunt. „Ich komme direkt von Formosa per Flugzeug oder genauer per …“

Ein herzhaftes Lachen zerschnitt mir den schönen Satz.

„Malcolm, Malcolm, ich fürchte, Ihr Verstand hat gelitten! War der Anprall gegen den Eisblock denn wirklich so arg?! Oder wollen Sie hier Unzurechnungsfähigkeit simulieren?! Das ist zwecklos, Malcolm, – wer so raffiniert wie Sie gemordet hat, wer so gut wie Sie die Gemüsekonserven und den Hund versteckte und …“

Dieses Zwiegespräch behagte mir nicht mehr.

„Eine Frage,“ unterbrach ich ihn, „sahen Sie Thomas Malcolm je aus nächster Nähe?“ Meine Stimme hatte bereits wieder Farbe, und dieser Mann da vor mir schien stutzig zu werden.

„Was soll der Unsinn?! Sie wissen doch am besten, daß wir uns nie zärtlich die Hand gedrückt haben …“

„Malcolm ist tot,“ erklärte ich kurz. „Ich heiße Abelsen, Olaf Karl Abelsen, Schwede von Geburt, entsprungener Zuchthäusler, Globetrotter, Ingenieur einst, jetzt Beschützer der Witwe Thomas Malcolms. Auch Thora Vandermar ist tot. Sie starben gestern nacht durch die Explosion an der Ostseite des brennenden Berges, – sie wurden von der Terrasse dort hinweggefegt und landeten als brennende Bündel unten zwischen den Eiszacken. Leider ging durch diese Explosion unser Schwingenflieger zu Bruch, das Benzin entzündete sich, und der Falke ist jetzt nur noch ein Haufen Altmetall. Gehen Sie hin und sehen Sie sich die Trümmer an, dann wird Ihnen klar werden, daß tatsächlich zwei Fremde mit einem Hund, meinem Hund, hier landeten, mit Malcolm Schüsse wechselten und …“

„Stopp!“ sagte mein Gegenüber rasch. „Die Schüsse habe ich gehört, natürlich auch die Explosion und dann eine schwächere.“

„Das war das Benzin …“ erläuterte ich.

Wenn ich aber gehofft hatte, diesen Mann so leicht überzeugen zu können, irrte ich mich sehr. Zunächst ließ er nur ein sehr gedehntes Räuspern hören, dann kicherte er leise in sich hinein …

„Aha – – nicht dumm erfunden, Malcolm, – – alle Achtung! Sie besitzen Phantasie, woran ich auch nie gezweifelt habe. Alle Verbrecher leiden im Durchschnitt an Einseitigkeit, nur die Hochstapler bilden da eine Ausnahme – Sie auch, wie ich sehe. – Leider hatten wir gestern Ostwind.“

Dieser aus dem Zusammenhang gerissene Nachsatz verblüffte mich zunächst. „Ostwind? Was soll das?! – Ach so, richtig, – der Wind trug Ihnen also sämtliche Geräusche vom Liegeplatz des „Eisvogels“ und ebenso vom brennenden Berge zu, – verstehe schon. In dieser Folge von Geräuschen, die wir soeben besprachen, fehlte Ihnen wohl das Propeller- und Motorengeräusch unserer Luftmaschine?“

„Allerdings, ein sehr bedauerlicher Mangel, sehr …! Denn ich kann mir nicht recht denken, daß ein Segelflieger – man macht jetzt ja allerlei Versuche mit motorlosen Leinwandvögeln, und die Genickbrüche sollen nicht selten sein – von Australien her geräuschlos bis hierher gelangen könnte, – nein, das kann ich mir absolut nicht vorstellen, und deshalb müßte das von Ihnen so fix in Ihren Roman eingefügte Flugzeug still wie eine Möwe diesen kühlen Gestaden sich genähert haben, was natürlich Blech ist, sogar ganz verrostetes Blech. – Malcolm, es bleibt bei den drei Todesarten … Entscheiden Sie sich … Und sollten Sie meine Engelsgeduld nochmals mit einem Roman von Jules Verne, frei bearbeitet von Ihnen, auf eine so harte Probe stellen, treffe ich die Entscheidung.“

Seine Stimme behielt den liebenswürdig-ironischen Ton unverändert bei. Hätte der Mann in schroffster Form gedroht, hätte er den bei solchen Gelegenheiten üblichen Desperadoton angeschlagen, – mir wäre dies angenehmer gewesen. Mit impulsiven Menschen läßt es sich stets leichter verhandeln als mit so abgeklärten Naturen, die in einem erst einmal gefaßten Entschluß kaum zu erschüttern sind.

Meine Sache stand schlecht. Der Mann hatte ja von seinem Standpunkt aus vollkommen recht. Die Geschichte unseres Auftauchens hier mußte er in jedem Falle anzweifeln. Er würde sich kaum bereit finden, meine Angaben – und ich konnte ja noch andere Wahrheitsbeweise anführen – nachzuprüfen. Trotzdem mußte ich es versuchen.[1]

Sie werden mir glauben müssen! Frau Mita Malcolm, meine Kameradin, ist nicht blond, hat ein schmales Gesicht mit ein wenig vorstehenden Backenknochen, hat jene dunkel getönte Hautfarbe der Mischlinge zwischen Weißen und Indianern – ihre Mutter war eine reinblütige Chippeway-Indianerin –, hat dunkle Augen und kupferfarbenes sehr langes Haar, – bei Thora Vandermar vermute ich einen Bubikopf, leider konnte ich das an der halb verkohlten Leiche nicht mehr feststellen, als ich sie in den Schnee einscharrte … – Bitte, Sie werden in meiner Tasche den Schlüssel zur Kajüte finden, begeben Sie sich zum Schiff, betreten Sie Mitas Kabine, seien Sie aber leise, sie schläft, schauen Sie sich die Schläferin an, besuchen Sie dann noch die Stelle an der Ostseite des Berges, wo die Trümmer des Schwingenfliegers liegen – ich betone: Schwingenflieger, – er hatte einen kleinen Propeller, nur so zur Nachhilfe, und dessen Geräusch war minimal, besuchen Sie das Grab der beiden, ich habe dort ein einfaches Holzkreuz in den Schnee gesteckt, schaufeln Sie die Leichen heraus, betrachten Sie sie, – und Ihre Zweifel werden schwinden. Bedenken Sie schließlich auch noch das eine, daß mein Hund Taito wohl kaum zum Schlittenhund sich eignet, er ist ein echter Formosaköter, hat chinesische Voreltern, was er sonst noch für Blut in sich hat, dürfte kein Gelehrter einwandfrei herausklügeln. Ich wiederhole: Mita Mac Barny, verwitwete Malcolm, ist krank, nehmen Sie also Rücksicht, und wenn Sie mir immer noch nicht glauben, dann öffnen Sie den Blechkasten, der auf dem Schreibtisch der Kajüte steht und der mein Tagebuch enthält, außerdem einige Zeitungsausschnitte, zumeist Steckbriefe, die mir selbst gelten, ferner einige Bilder von Leuten, die mir befreundet, darunter auch die einiger Nordaustralier, denn auch dort erlebte ich so einiges. Vielleicht haben Sie mal was von einer schwimmenden Insel gehört und …“

„Wie war doch Ihr Name?“ fragte er plötzlich erregt. „Ja – die schwimmende Insel, und dann die berüchtigte Brigantin droben in den Minenfeldern, – jetzt dämmert es bei mir …“

„Abelsen … Abelsen!“ sagte ich recht deutlich.

Mein Gegenüber schien jetzt sehr eifrig zu rauchen … Schwieg, – überlegte sich wohl meine Beweisanträge.

Ich wußte, ich hatte gewonnen. Wenn nichts ihn überzeugte: Mein Tagebuch würde es tun!

Ich wartete …

Taito hatte es sich auf meinem Schoße noch bequemer gemacht. Er schlief.

Wenn nur die Augenbinde nicht gewesen wäre! Ich hätte so gern gesehen, wo ich mich eigentlich befand. Vermutlich in einer Grotte, Höhle, dergleichen. Die kahlen Steine, die keinerlei Kälte ausströmten, ließen mich dies vermuten. Es war auch sehr angenehm warm hier, für meine Pelzkleidung fast zu warm.

Unvermittelt meldete der Mann von drüben sich:

„Mein Name ist Bert Beng, Sir.“

Dann qualmte er wieder.

Immerhin – es war der Anfang besserer Beziehungen. Ich war zufrieden.

„Mr. Beng, ich wiederhole meine Bitte: Fahren Sie mit Ihrem Schlitten zum Schiff. Mita Mac Barny fiebert. Ich kann sie nicht so lange allein lassen. Prüfen Sie meine Angaben nach, meinetwegen nehmen Sie mich mit, Sie können mich ja auf Ihren Schlitten fesseln.“

„Hm – und wenn auch das alles nur Schwindel wäre?!“ sagte er bedächtig. „Wenn zum Beispiel diese Mita doch Thora hieße und mich an Deck niederknallte?! Wenn ich da in eine Falle tappte?! – Ehrlich, Sir: Den Namen Abelsen kenne ich. Seiner Zeit waren die australischen Zeitungen voll von den kühnen Streichen dieses Schweden. Er soll da auch eine Bande vornehmer Gauner ausgehoben haben, die ihr Hauptquartier in einem Schloß aus Natronblöcken hatten, – die Schufte sollen ertrunken sein, und …“

„… ich mußte flüchten – stimmt ganz genau. Ich hatte der berittenen Polizei zu stark ins Handwerk gepfuscht. – Mr. Beng, nochmals, seien Sie Gentleman, denken Sie an meine kranke Gefährtin!“

Er blieb stumm, aber ich hörte, daß er sich bewegte, – er schnürte mich vom Felsen los, trug mich wie ein Püppchen in den Armen von dannen, – eisige Luft fegte über uns hin, dann ertönte plötzlich ein wildes, bedrohliches Kläffen und Heulen einer Hundemeute, und Beng schien mit den Stiefeln einige seiner Lieblinge zurückzustoßen. Ich roch „Hundezwinger“, – ich spürte einmal auch ein scharfes Gebiß am linken Bein, Beng teilte Püffe aus, schwang mich empor, schob mich in eine Vertiefung einer Felswand und sagte nur: „Liegen Sie still, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist! Ich nehme nur sechs Hunde mit, sechs bleiben hier, und die würden von Ihnen kaum die Knochen übriglassen!“

Dann vernahm ich allerlei andere Geräusche, eine Tür schlug zu, – und unter mir trampelten und tappten meine sechs Wächter umher, knurrten, jaulten, sprangen wohl auch empor, – ich spürte ihren stinkenden Atem, aber sie fielen wieder zurück, ihre Pfoten fanden nirgends Halt.

Bert Beng hatte mir die Augenbinde noch fester geknotet. Doch das Gestein hinter mir hatte Zacken, und als eine Weile verstrichen war, preßte ich den Kopf gegen eine Zacke, so sehr es auch schmerzte, und suchte die Binde zu lockern.

Es gelang. Ich schob sie zur Vorsicht nach unten, um sie nachher wieder auf dieselbe Weise in die alte Lage zurückdrücken zu können.

Ich wollte sehen, und … ich sah …

Was ich sah, verwirrte mich derart, daß ich an eine Sinnestäuschung glaubte.

Antarktis, – Kontinent, unter Eis und Schnee begraben, kälter als die nördliche Arktis, an deren Randgebieten immerhin ein spärlicher Baumwuchs und freundliche Blumen in der Sommerzeit gedeihen, in deren Schneeinöden Eisbär, Eisfuchs, Schneehasen und andere Vierfüßler sich tummeln …

Aber die Antarktis?! Besonders hier der Südteil?! Nur Eis, Schnee, Gletscher, Eiswälle, Schollenfelder, Vögel und Wasserbewohner …!

Trotzdem: Das war kein Blendwerk, – das war ein Landschaftsbild, der Ausschnitt eines Bildes, denn ich selbst lag in[2] einer kurzen Grotte im tiefsten Winkel dicht unter der Decke, und vor der Grotte, dem Zwinger, erhob sich ein Zaun aus seltsamen Pfählen, und unter mir tummelten sich die hochbeinigen, zottigen Köter mit geifernden Mäulern …

Aber vor mir, außerhalb der Grotte, erblickte ich einen schmalen Sandstreifen, bedeckt mit einzelnen Grasbüscheln, weiterhin kahle, rotbraune Felsen, und ganz links einen einzelnen hohen Felsblock etwa in Pyramidenform …

Wie gebannt ruhten meine Augen bei dem ungewissen Licht des bereits über den Horizont emporgestiegenen Sonnenballes, dessen Strahlen noch matt und kraftlos waren, auf einer glatten Fläche dieses Felsens mit breiten, roh gehauenen Stufen …

Unverkennbar war da ein Isiskopf eingemeißelt in jener sehr seltenen Wiedergabe mit Kuhhörnern, zwischen denen als Symbol des Lichts die Sonnenscheibe eingeklemmt ist. Hat doch der Isiskult in Altägypten, wie ich wußte, im Laufe der Jahrtausende die mannigfachsten Wandlungen erfahren. Ursprünglich war Isis als Gattin des Osiris (man denke an Mozarts „Zauberflöte“) eine dem Heldenmythus angehörige Figur, umrankt von Sagen und Legenden. Ihr Gatte Osiris wird ermordet, sie flieht in die Sümpfe, gebiert dort ihren Sohn Horos, kehrt zurück, sammelt die Teile des von dem Mörder Set zerstückelten Leichnam ihres Gemahls und begräbt ihn feierlich, wird samt ihrem Kinde in die Reihe der Gottheiten aufgenommen und gewinnt als Göttin immer mehr Ansehen. Sie ist gleichzeitig die Gottheit der Magie, der Zauberei, der mütterlichen Fruchtbarkeit und des Lichtes. Der Isiskult dehnte sich schließlich sogar über die griechisch-orientalische Welt aus, man verehrte sie auch als Erfinderin des Segels, sie ward Schutzpatronin der Seeleute, und die großartigsten Tempel, die je entstanden, wurden ihr geweiht.

Der Kopf der Isis, den ich nun hier am Rande des Südpols mit staunenden Augen in Stein gemeißelt schauen durfte, war nur ein Teil jener Darstellungsart, die die Göttin als Mutter, auf einem schlichten Steinthron sitzend, mit dem Knäblein Horos im Schoße zeigt. (So das bekannte Standbild der Isis im Berliner Museum.)

Wie aber, und die Frage rührte meinen verwirrten Geist am meisten auf, – wie kam dieser Reliefkopf hier als Schmuck an einen schneefreien, eisfreien, pyramidenförmigen Felsblock?! Hier – hier in der Antarktis, – hier, wo niemals eines Ägypters Fuß diese Eiswildnis betreten haben konnte!

Das war das eine Staunen.

Und dann das andere: Wie war es möglich, daß vor mir eisfreies Land sich dehnte, daß ich erst in der Ferne wieder die hellen Streifen und blanken Flächen der ewigen starren Einöde des Poles sah?! Woher diese unfaßbare Tatsache, daß ich inmitten schauerlichster weißer Totenstarre ewiger Kälte … Grasbüschel, Sand, feinen Sand sah?! Mithin eine Landfläche, erfüllt mit warmer Luft!! Wärme, Wärme – – hier?!

Gewiß, drüben irgendwo, wo die Riesenfackel zum Himmel flammend aufschoß, über sich einen gigantischen schwarzen Rauchschirm, – dort war wohl Wärme, dort war die Bergkuppe schwarz, rotviolett, auch frei von Schnee – nur die Kuppe!! Obwohl diese Fackel nun bereits anderthalb Jahre loderte! So stand es in Doktor Vandermars Schiffstagebuch!

Gab es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem brennenden Berg und diesem felsigen, eisfreien, sandigen Landstrich?!

Wieder Neues geschah …

Der Sonnenball tauchte dort in der Ferne auf, – eine mattrote Scheibe, – langsam schob er sich in mein Sehfeld, seine Strahlen erhellten den Zwinger, die Pyramide, und weitere Einzelheiten nahm ich mit gierigen Sinnen auf.

Vieles hatte ich angestaunt in entlegensten Erdwinkeln, vieles war mir auf den ersten Blick auch als Wunder erschienen, hatte mich verwirrt, fast geängstigt, – ich denke da nur an die von Sanddünen geschützte Oase in der Nubischen Wüste, an die Affenkönigin mit ihrem unterirdischen Reiche, an Malmotta, das Unbekannte …

All das fand seine natürliche, den Naturgesetzen entsprechende Erklärung.

Dies hier?!

Eine Pyramide, ein Isiskopf, ein eisfreies Gebiet inmitten eisiger ewiger Kälte?!

Mein Hirn streikte vorläufig, und ich blickte hinab zu den sechs Bestien, die da mit spitzen Wolfsschnauzen, glühenden Augen, zottigem dicken Wolfsgenick und wolligem rötlichem Pelz der echten Polarhunde mich bewachten.

Achtung vor Bert Beng!! Er hatte mich wirklich sehr sicher hier untergebracht! Selbst wenn ich die Riemen hätte abstreifen können, – Flucht war unmöglich. Ich hätte in den Zwinger hinabspringen müssen … und wäre zerrissen worden. Meine Waffe hatte er mir abgenommen, und hätte ich sie gehabt: Die prächtigen Tiere da, mochten sie auch noch so toll und bissig sein, würde ich niemals niedergeknallt haben.

Weshalb auch?!

Bert Beng und ich würden Freunde werden.

Bert Beng würde zurückkehren und sich entschuldigen und wir würden zu dreien im „Eisvogel“ hausen oder hierher ziehen und im Sande ruhen und mit Grashalmen spielen – – in der Antarktis.

Dachte ich …

Bert Beng dachte anders.

 

3. Kapitel.

Das Geheimnis eines Gehenkten.

… Dies ist nun die dritte Nacht nach unserer Ankunft auf dem „Eisvogel“. Alles ist anders geworden, und doch hat sich im Grunde nichts verändert. Daß es heute da draußen stürmt und schneit und daß dieser Orkan des Dreimasters letzte hart gefrorene Segelfetzen wegreißt und die unmöglichsten Geräusche hervorruft, daß die Masten und Rahen knarren und winseln und kreischen und ein Höllenlärm den Schlaf verscheucht, – das mag hingehen, das ist der Stimmenchor der Natur …

Daß aber Mita so gänzlich verwandelt ist und über ihrem Wesen eine gewisse Scheu liegt, die zwischen uns eine Schranke aufgerichtet hat und immer noch wachsen läßt, – daß ich mir über die Ursache dieser Entfremdung den Kopf zermartere und mich damit nicht abfinden kann, – das ist ein Stachel in meiner Seele, den Mita nicht sieht oder nicht sehen will.

Und daß schließlich mein gestriges nächtliches Abenteuer mit Bert Beng gleichsam in Nichts zerfloß, daß dieser „Mann von drüben“ für uns nicht mehr vorhanden ist und vorhanden sein darf, – es ist nur ein Rückwärtsdrehen der Kurbel des Erlebens, – Bert Beng ist für uns nicht mehr da, und ich müßte ihn auch aus meinem Gedächtnis und aus diesen Blättern streichen.

Mithin: Was hat sich geändert?!

Nichts!

Wirklich nichts?!

Die Kunst des Vergessens, des Hinübergleitens über einschneidende Dinge mag nur denen gegeben sein, die nur eine Oberfläche und keine Tiefe, keinen Kern besitzen. Diese Oberflächlichen, stets Unberührten, Ungerührten mögen die Glücklicheren sein. An ihnen prallt alles ab, was nicht zum engen Kreise ihrer schrankenlosen Selbstsucht und verkehrten Selbstzucht gehört. Mensch, Schicksale, Völkergeschicke sind ihnen lediglich kahle nüchterne Zahl in ihren kalten Berechnungen. Das „Ich“ ist ihr Gott, ihr Götze, und dieser steinerne Götze mit kühlen Augen ist unverletzbar, alles nur Stein, kein Kern, kein warmes Innenleben: Erhabene Gleichgültigkeit!

Von der Kunst des Vergessens ging ich aus, lande wieder am selben Punkte: Daß mir diese Kunst nicht gegeben, daß ich unfähig bin, mich gegen das zu verschließen, was einmal in mein Leben hineingriff als fremde, kalte, vom Schicksal verdorrte Hand.

Und die Hand gehörte Bert Beng.

Kalt, hart, verdorrt, – nur Muskeln und Sehnen, lang und schmal mit gepflegten Nägeln und am Ringfinger einen Siegelring mit Wappen von uralter Form …

Mehr als dies habe ich von ihm nicht gesehen – eine linke Hand, mehr nicht. –

Ich hatte mir ungefähr berechnen können, wann er wieder heimkehren würde, aber es verstrich eine halbe Stunde über diese Zeit, und meine Augenbinde saß längst an alter Stelle.

Die Hunde unter mir kündigten ihn an durch frohes Blaffen und Umhertollen, dann stieß er sie wohl den Geräuschen nach von der Pforte des Zwingers zurück, trat ein, packte mich – für seine Muskeln ein Püppchen, und trug mich davon.

Einmal machten wir Halt. Da hörte ich Taitos jauchzendes Winseln, und weiter ging es – stumm, ich zu stolz zum Fragen, er nicht aufgelegt zum Sprechen, er ohne Ermüdung frisch dahinschreitend durch Finsternis, zunehmende Kälte – – irgendwo, irgendwohin …

Ein zweites Halt, – – Jaulen von Rüden, eine kurze Beißerei mit Taito, – er legt mich auf den Schlitten, ich versinke in weiche Felle, – ein Pfiff, das Gespann rast davon, und ich frohlocke: Bert Beng bringt mich zum „Eisvogel“, – er war dort, er weiß, daß ich die Wahrheit sprach, er wird später schon zugänglicher sein, vielleicht ist dies beharrliche Schweigen nur eine Laune …

Ein drittes Halt, – Bert Beng stellt mich in den Schnee, löst mir die Fußfesseln, und als er dies tut, sehe ich trotz der Binde die Hand, diese magere Hand, rot und blau gefroren, ohne Fleisch, so schmal, daß die Magerkeit nicht unschön wirkt.

Er richtet sich wieder auf.

Und spricht. – Ruhig, gemessen, aber mit jenem Ton, der keinen Widerspruch duldet …

„Mr. Abelsen, ich habe mich geirrt gehabt, und ich bitte um Entschuldigung. – Ich werde Ihnen jetzt auch die Handfesseln so weit lockern, daß Sie sich nachher selbst befreien können. Ihre Waffen liegen neben Ihnen, und Ihr Hund ist bei Ihnen, und vor Ihnen ist das Schiff. Sie werden, sobald ich meine Hunde durch einen Pfiff antreibe, genau bis dreihundert zählen, und dann können Sie tun, was Sie wollen – erst dann, bis dahin bleiben Sie regungslos stehen. Gehorchen Sie nicht, so schieße ich … – Und weiter: Versuchen Sie nie, mein Heim hier zu finden. Der Eiswall drüben ist die Grenze unserer Reiche. Wir werden uns nicht wiedersehen, ich wünsche Ihnen und Frau Mita alles Gute. Sie sind Ingenieur und werden Mittel und Wege finden, die Antarktis zu verlassen. – Leben Sie wohl.“

Ein Pfiff, ein Aufheulen der Meute, das Knirschen von Schlittenkufen, – auch die Geräusche verstummen, und ich … ich zähle ganz mechanisch, ganz benommen, … werde mir dann erst bewußt, wie albern-feige ich handele, fahre herum, reiße die Hände frei, reiße die Binde herab …

Bert Beng mit seinen gelbroten Wolfsbastarden ist längst verschwunden. Aber dort ist die Hügelspitze, von dort kann ich vielleicht … – doch nein, ich dränge mich niemandem auf, Beng mag seine Gründe dafür haben, daß er uns meiden will, außerdem bin ich auch zu gespannt, von Mita zu hören, ob Beng mit ihr gesprochen hat.

Taito sitzt neben mir im Schnee und beleckt sich einige blutige Schrammen an den Hinterkeulen. Seine Liebesfahrt hat ihn einige Fetzen Fell und eine Menge Haare gekostet, er wird nun wohl vorläufig abgekühlt sein, genau wie ich.

Ich wende mich langsam um, sehe den Berg mit der Riesenfackel, sehe den Sonnenball am mattblauen Himmel, und dann schreite ich dem Schiffe zu, seltsam zögernd, ganz so wie ein Heimkehrender, der dunkel ahnt, daß der Empfang daheim ihn enttäuschen wird, und der doch keine rechten Gründe für diese Beklommenheit findet.

In der Tür der Kajüte steckt außen der Schlüssel, die Tür ist unverschlossen und ich trete leise ein. Taito drängt sich vor, läuft hinüber zu Mita, und … ich horche. Ich weiß, er wird sie nicht wecken, wenn sie schläft …

Es bleibt alles still.

Hier in der Kajüte brennt die Lampe, – alles unverändert, – nein, dort in der Ecke stehen Konservenbüchsen, wohl an die fünfzig Stück, Gemüsekonserven, gerade das, was uns fehlte. Denn die wenigen, die ich aus den Trümmern das Falken rettete, hätten vielleicht für einen Monat ausgereicht als spärliche Zukost, nur um den Skorbut abzuwehren.

Also ein großmütiges Geschenk Bert Bengs – sehr großmütig, – diese Konservenbüchsen vergesse ich ihm nie.

Bei Mita drüben alles still.

Ich lege den Pelzrock ab, die Stiefel, – und als ich die Sachen wegpacke, erblicke ich auf dem Schreibtisch einen Zettel Bengs neben meinem flachen treuen Blechkasten.

Mr. Abelsen, eine Bitte: Sollte ein Zufall Sie mit Leuten zusammenführen, die zu der Firma Smauser u. Sons, Melbourne, irgendwie Beziehungen unterhalten, so verschweigen Sie meine Anwesenheit hier. Ich bin bei Smauser u. Sons, überaus ehrenwerten Reederei und Gefrierfleischexport, sehr unbeliebt und stahl den braven Leuten einen gut ausgerüsteten Hochseekutter, wobei ich leider als Kunstschütze besser schoß als Mr. Smausers hochnoble Gäste und gemietetes Gelichter. Ich möchte nicht nochmals in die Zwangslage versetzt werden, anständige Bleikugeln mit ehrlichem Nickelbelag in unanständige Schädel zu knallen. Ans demselben Grunde entfernen Sie bitte recht bald die Papierschildchen von den Konservenbüchsen, – Mr. Jonathan Smauser hat sehr gute Augen, denken Sie auch daran. – Verbrennen Sie den Zettel und erfüllen Sie mir die Bitten. –

B. B.

Eigentümliches Geständnis das! Mr. Beng war mir keineswegs als ein fader großsprecheriger Raufbold vorgekommen, noch weniger als ein Dieb, der sich mit einem Kutter und vielleicht einem Teil der Kasse von Smauser u. Sons davonmacht.

Merkwürdig, – – ein schlechter Scherz?!

Ich überflog die Zeilen nochmals … Diesmal war es nicht wie der gelbe Fidibus Zigarrenkistenpapier, sondern ein zerknitterter Briefbogen, an den Ecken verfärbt wie von Schweiß, mit scharfen Kniffen von Falten, die lange Zeit in derselben Lage gepreßt gewesen waren.

Der Inhalt konnte kein übler Witz sein, und es war von mir schon sehr abwegig, dies überhaupt nur zu vermuten. Ein Bert Beng ist kaum für derartiges zu haben. Mithin – die Angaben stimmten wohl, waren aber ebenso gewiß sehr ergänzungsbedürftig. Dieser Kutterdiebstahl nebst Begleitmusik von Pistolenschüssen mußte unbedingt sehr triftige Gründe gehabt haben, und ließ man die Phantasie hierbei ein wenig spielen, konnte man wohl unschwer zu der sehr naheliegenden Schlußfolgerung gelangen, daß Bert Beng mit dem Kutter – es konnte ja ein durchaus seetüchtiges großes Fahrzeug sein – hierher geflüchtet war. Und weiter noch, – was auch sehr nahe lag: Dieser Kutter war höchstwahrscheinlich schon für eine weite Reise ausgerüstet gewesen, als Beng sich seiner bemächtigte, vielleicht gar für eine Polarfahrt, – auch das war möglich, und hierfür sprach klar und deutlich die Menge Proviant, über die Bert Beng zweifellos verfügte und die offenbar von Smauser u. Sons besorgt worden war, sonst hätte Beng nicht zu befürchten brauchen, die Büchsen dort in der Ecke könnten wiedererkannt werden.

Ich wollte den Zettel in den Ofen werfen, – aber seit langem habe ich die Angewohnheit, jedes Schriftstück von beiden Seiten mir anzusehen.

Jetzt – ich hätte einen Spiegel zur Hand haben mögen! – versteinerten sich meine Züge, und vollkommen im Banne dessen, was ich da in sehr kritzlicher, nervöser Tintenschrift las, verharrte ich minutenlang ohne jede Bewegung, die Buchstaben tanzten schließlich durcheinander, und erst eine gewaltige Energieanspannung klärte wiederum Blick und Hirn.

Lieber alter Bert,

morgen also werde ich den letzten Gang antreten. Es ist mir nicht mehr vergönnt, dich zu sehen, ich darf Dir auch nur ein paar kurze Abschiedszeilen schicken. Ich danke dir nochmals herzlich für Deine treuen Bemühungen, in dem Prozeß meine Sache günstiger zu gestalten. Du warst so ziemlich der einzige, der mich nicht fallen ließ, und unsere Freundschaft stand hoch über alledem, was sonst so leichtfertig unter diesem Namen sich spreizt und dann bei der ersten harten Probe zerbröckelt. Ich will weder poetisch noch rührselig werden, aber wir beide hielten in treuer Liebe zusammen wie Isis und Osiris, vergiß das nie! – Lebe wohl, mein alter lieber Bert – – für immer.

Dein Percy Coldawoor.

Isis und Osiris, – und dort jenseits des Eiswalles, wo Beng hauste, hatte ich den Isiskopf gesehen!

Ich verstand, denn ich bin nie begriffsstutzig gewesen: Dieser Percy Coldawoor, der wahrscheinlich in Melbourne durch den Strang hingerichtet worden war, hatte seinem Freunde durch diesen in den Abschiedsbrief eingeschmuggelten Vergleich ihrer Freundschaft mit der aufopfernden Liebe zwischen Isis und Osiris einen ganz bestimmten Wink geben wollen.

Welchen aber?!

Da stand zu lesen: „… wie Isis und Osiris, vergiß das nie!“

Hatte dieser arme Teufel von Percy etwa den Isiskopf gekannt, den da drüben, wo das eisfreie wärmere Land sich wie ein Feenreich in dieser weißen eisigen, endlosen Wüste dehnte …?! Hatte er es gekannt, dann waren die eingeschmuggelte „Isis und Osiris“ für Bert Beng nur eine nochmalige Aufforderung gewesen, eine allerletzte, dieses Feenreich nicht zu vernachlässigen, von dem Coldawoor seinem liebsten Kameraden sicherlich all das berichtet hatte, was er selbst wußte!

Ungeahnte fernere Möglichkeiten blitzten in meinem jetzt überhitzten Hirn wie Raketen eiliger neuer Schlußfolgerungen auf. – Den Brief verbrennen?! Niemals! Es genügte ja, wenn ich Bert Bengs Bleistiftschrift sorgfältig austilgte, so sorgfältig, daß niemand mehr im Stande wäre, auch nur ein Wort zu entziffern. Radiergummi (Doktor Vandermars Schreibtisch enthielt auch den) und ein feuchter Lappen erledigten das schnell und gründlich.

Wie ich so noch beim Trocknen des Papiers war und vor dem Ofen stand und das Blatt in die Nähe der geöffneten Tür hielt – mit der Tintenschrift mir zugekehrt, vollzog sich abermals etwas sehr Seltsames: Die Hitze war es, die auf den freien Stellen der Seite mehrere schwache neue Zeilen von Worten hervortreten ließ, – Geheimschrift, unsichtbare Schrift, von dem zum Tode Verurteilten, dem doch nur Tinte zur Verfügung stand und vielleicht Milch und ein flüssiges Produkt des eigenen Körpers, sicherlich in der Hoffnung heimlich hinzugefügt, daß der Freund den Abschiedsbrief auch auf solche zunächst noch verborgenen Mitteilungen prüfen würde.

Ob Beng das getan hatte?!

Ich jedenfalls entzifferte recht mühselig noch Folgendes:

Du kennst den Weg, Bert, richte Dich genau nach dem Isiskopf, – du weißt, was ich meine! Kämpfe um das, was ich fand, entreiße es rechtzeitig dem schützenden Boden, laß es niemals in die Hände derer geraten, die mich durch ihre ungeheuerliche Gemeinheit an den Galgen bringen. Auch in der Stunde meines Todes werde ich schweigen. Wir beide sind nicht aus weichem Holze geschnitzt, mich kann man wohl fällen, aber ich falle nie von selbst! – In Treue Dein Percy, der morgen um diese Stunde nicht mehr lebt.

Als ich das Blatt vom Ofen wieder entfernte, glaubte ich, daß diese Geheimschrift außerhalb des Bereichs der Hitzewellen sich wieder verlieren, unsichtbar werden würde. Ich täuschte mich. Die Erhitzung war wohl zu stark gewesen, die bräunlichen Schriftzeilen starrten mich weiterhin an wie das Gesicht einer Sphinx, eines großen Rätsels.

Ich überlegte lange. Durfte ich das Blatt verbrennen?! Ich war beinahe überzeugt, daß Bert Beng die Geheimschrift entgangen war. Hätte er je die Probe gemacht, ob das Blatt noch andere Zeilen in Geheimtinte enthielte, wäre ihm genau dasselbe zugestoßen wie mir jetzt: Diese primitive Ersatzgeheimtinte, hergestellt aus zwei Stoffen, die einzig und allein einem Eingekerkerten zur Verfügung stehen, wäre sichtbar geblieben!!

Nein, ich wollte das Blatt behalten, wollte es so verbergen, daß niemand es fände.

Ich blickte umher, – und das Versteck war da!

Im Augenblick verschwand das Blatt, und nun sollte jemand danach suchen, – tagelang, wochenlang, – niemand konnte es dort entdecken … dort …

So vorsichtig ich auch zu Werke gegangen war, so leise ich mich auch bewegt hatte, um Mita nicht zu wecken, jetzt rief sie nach mir … zaghaft, fast widerwillig:

„Olaf, was tust du da …? – Der Sturm draußen ist schrecklich … Das ganze Schiff bebt und …“

Ich hatte mich umgewandt, und da war es mir gewesen, als ob zwischen den hochgestellten Stäben der Lüftungsklappe etwas aufblitzte. Ich schaute schärfer hin, – doch wohl nur eine Täuschung, es mußte der Messingknopf sein, der das Lampenlicht widerspiegelte.

Trotzdem hätte ich dieser Lichterscheinung sorgsamer nachgeforscht, wenn Mita nicht nochmals gerufen haben würde.

Ich ging zu ihr, sie lag wie vorhin bei abgeblendeter Lampe in den Kissen, und ihre langen seidenen Haare umrahmten ihr pikantes, rassiges Gesicht wie ein kostbares feines Gefüge von hellem Kupfer.

„Verzeih, daß ich nicht sofort nach dir sah,“ – ich nahm ihre Hand und spürte sofort, daß das Fieber gewichen sein mußte.

Sie blickte zur Seite.

„Ja, ich wunderte mich, Olaf, denn …“ – sie suchte umsonst nach einer Fortsetzung, und ich ergänzte deshalb halb scherzend, nur um ihre bedrückte Stimmung zu heben: „… denn Bert Beng war doch hier …! – Wolltest du das sagen?“

„Ja …“ Und auch dies wieder so eigentümlich unsicher und zaudernd.

„War er denn unliebenswürdig, Mita? – Was fehlt dir nur? Du bist so sonderbar …“

„Nein, nein, – er war … sehr nett, Olaf, sehr zartfühlend und durchaus Gentleman …“ Sie ereiferte sich förmlich, Beng zu verteidigen. „Erst glaubte ich ja, du gingest dort in der Kajüte umher und blätterst in deinen Papieren … Ich war noch ganz schlaftrunken … Und dann trat er ein und erklärte mir ganz kurz die Sachlage …“

„Also sahst du sein Gesicht?“ fragte ich gespannt und beugte mich etwas zu ihr herab.

Sie strich nervös das Zudeck glatt.

„Ich … sah es doch nur undeutlich, Olaf. Das Lampenlicht reicht kaum bis zur Verbindungstür.“

„Immerhin, – der Gesamteindruck, Mita? – Ich muß dir nämlich sagen, daß ich von ihm nur die linke Hand erblickte, nichts mehr, und daß er mich auch bis zuletzt behandelte, als ob ihm sehr viel daran läge, seine Gesichtszüge vor mir zu verbergen. – Also dein Eindruck von seinem Äußeren, – wie war der?“

„Ich … ich möchte mich hierüber nicht irgendwie …“ – schon wieder dieses unsichere, verlegene Stammeln, dieses Nichtbeenden eines Satzes, der doch im Grunde ziemlich unwesentlich war.

Ihr Benehmen ward mir immer rätselhafter.

„Gesehen habe ich ihn also nicht,“ meinte ich in plötzlichem Begreifen und gab ihre Hand frei und rückte ein wenig von ihr[3] ab. „Aber begegnet bin ich Leuten seines Schlages schon oft – nicht allzu oft … Ich habe ja so viele Männer kennen gelernt, Männer, echte Männer, die ihr Leben ehrlich lachend in die Schanze schlugen und den Tod nicht mehr fürchteten als andere einen Mückenstich … Es ist ein beneidenswerter Schlag von Menschen, liebe Mita. Mir verwandt, aber leichtblütiger, sonniger sozusagen …“

„Ja – – sonnig,“ nickte sie leise. „Sonnig – so war sein Lachen. – Hast du eigentlich schon die Papierschildchen von den Konserven entfernt? Daran sollte ich dich erinnern, und auch daran, daß der Walfischfänger von der Firma Smauser u. Sons sehr bald Hundeschlitten hierher schicken wird und daß wir dann nichts von Bert Beng erwähnen dürfen.“

„Was – – Walfischfänger?! Davon weiß ich nichts, – dann weißt du ja mehr als ich. Und – – Hundeschlitten?! Davon habe ich ja keine Ahnung, Mita!“ – Ich sprang auf … Mir würgte irgend etwas in der Kehle … Ich kam mir vor wie eine beiseite geschobene Marionette.

„Olaf …!“ Es klang sehr kleinlaut … „Du mußt es mir doch nicht nachtragen, daß …“

„Ich werde zunächst die Papierschilder der Büchsen entfernen und verbrennen, – du versuche wieder zu schlafen, Kind … Gute Nacht …“

„Kind“ hatte ich sie genannt, und halb unbewußt war es mir über die Lippen geschlüpft.

Dennoch von Bedeutung: Mita Mac Barny, meine Kameradin, dazu die Frau, die mir teuer war, hatte ich selbst mit dieser väterlichen Anrede in eine andere Stellung mir gegenüber gedrängt. –

Seitdem sind wieder viele Stunden verstrichen, wieder ist eine Nacht da, aber – – Mita ist mir verloren gegangen, das fühle ich. Ein anderer kam mit sieghaftem Lachen der Jugend, und an meinen Schläfen sind graue Fäden, viele graue Fäden …

Wieder eine Nacht, – Sturm da draußen, ich schreibe … schreibe mir die Seele frei …

Graue Fäden – – und „Kind“ – „Kind“ – keine Zärtlichkeiten mehr … Für Mita gibt es nur noch einen Pol, um den sich alles dreht: Bert Beng!! Und dazu das Geheimnis des armen Gehenkten!

 

4. Kapitel.

Verbrecher im Frack.

Man sollte es nicht für möglich halten, auf welch’ ausgefallene Ideen diese australischen Kriegsschieber mit ihrem gesellschaftlichen Anhang kommen!

Was der noch immer unsichtbar gebliebene Bert Beng sich wohl gedacht hat, als er da von einem Walfischfängerschiff faselte! Jonathan Smauser und Konsorten sind großzügiger, selbst die Antarktis ist vor diesen übersättigten Protzen, denen nichts an Naturschönheiten, sondern lediglich an der später zum Renommieren brauchbaren Sensation liegt, nicht mehr sicher. Luxusdampfer mit allen Schikanen der Neuzeit, Motorschlitten, feudalste Pelzkluft, natürlich todschick, – so rückte die Bande uns gestern auf den Hals. Zehn Personen nebst Köchen, Dienern, Zofen, Damen, Dämchen, – – – armer Südpol, arme Riesenfackel, daß ihr eure stillen Reize und Wunder dieser Invasion preisgeben müßt!

Gestern … Und dieses „gestern“ war der sechste Tag unserer Anwesenheit hier in unserem „Eisvogel“.

Es fällt mir wirklich schwer, nach diesen vielen Stunden der steten Unruhe und des steten Beobachtens der famosen Smauser-Sippe, die mir gern eine harmlose Vergnügungstour vortäuschen möchte, meine Gedanken zu ordnen. Ich bin ein wenig nervös geworden durch diese lackierten Banditen, diese mondänen Frauenzimmer, diesen ganzen lauten, unfeinen Trara der meist sektgefüllten Herrschaften, und ich segne diese Nacht, die mir nun endlich Gelegenheit gibt, das Geschehene nochmals in aller Gründlichkeit kritisch zu überprüfen, und das tut man am besten mit der Feder in der Hand, denn das gedachte Wort sucht stets das nächste zu überrennen, das geschriebene will erst bis zum letzten Strich vollendet sein, bevor das folgende aus der Feder fließt, und dadurch bremst man das Übertempo der Gedanken in sehr wohltuender Weise.

Ich habe mich eingeschlossen. Es ist sicherer. Es gibt hier jetzt ein paar Gentlemen, die allzu neugierig sind. – Innen vor der Gangtür liegt Taito, der bisher noch jeden der Blase angeknurrt hat. Taito würde mir jeden Besuch rechtzeitig melden, und ich könnte diese Blätter und den Blechkasten sehr rasch unter dem Fußboden verschwinden lassen. Das könnte Jonathan so passen, mein Tagebuch und Doktor Vandermars Aufzeichnungen zu erwischen und daraus die Gewißheit zu erlangen, daß Bert Beng, sein Erzfeind tatsächlich hier in der Nähe weilt. Ich habe auch die Lüftungsklappe verhängt – sicher ist sicher. Den Brüdern traue ich alles zu.

Auch Mita wohnt nun sehr moralisch abgesondert von mir in ihrer Kabine nebenan. Der Vorhang ist entfernt, und die Tür meist geschlossen. Mita ist gesund, – nicht gesund sind unsere Beziehungen und die zu unseren lieben Gästen. Ein Prachtweib ist sie doch, weiß Gott, – ich habe höllisch gegrinst, wie Mita diese arroganten Damen, besonders Jonathans Töchterlein Ruth, abfertigte. –

Ein Genuß, mal so in Andacht eine Zigarre rauchen zu können, doppelter Genuß, da sie nicht von Jonathan stammt. Der aufgeschwemmte Kahlkopf mit Schielaugen und mit den angelernten Allüren eines englischen Herzogs mag nur seine Bauchbindennudeln allein vertilgen. Wenn ich dankend auf einen Griff in seine Zigarrentasche verzichte, glotzt er mich stets wie ein böser Haifisch an: Sein Vergnügen.

Also gestern … Vor diesem Gestern lagen noch Tage, in denen Mita mir immer mehr entglitt. Es blieb eben bei der Anrede „Kind“ und dem Händedruck als Morgen- und Nachtgruß, es blieb auch bei ihren tastenden Gesprächen über Bert Beng und den toten gehenkten armen Percy und das Blatt Papier mit der Geheimschrift und Percys Abschiedszeilen. Der Isiskopf trat dabei ebenfalls in den Vordergrund, ich immer mehr in den Hintergrund, zuweilen war Mita recht unzufrieden, wenn ich es rundweg ablehnte, Bert Beng aufzusuchen und ihm die Geheimschrift zu zeigen. Daß dieses „Aufsuchen“ nicht so ganz einfach zu bewerkstelligen, wollte Mita nicht einsehen. Ich weiß nichts von der Lage des Eistunnels, der sich irgendwo durch die gefrorene Riesenmauer zieht, und daß Beng den Zugang zu diesem Tunnel sorgsam maskiert hat, ist genau so selbstverständlich wie die durch die letzte schneereiche Sturmnacht hervorgerufene gründliche Austilgung der Fährten.

Aber Frauen, die sich auf den ersten Blick verlieben – und diese Art Liebe soll ja die ärgste sein – sind für Vernunftgründe nicht zu haben. Mita wünschte eben Bert Beng wiederzusehen, wollte mich begleiten, und meine Weigerung nahm sie sehr übel auf. Unsere Beziehungen trübten sich, und wer weiß, ob sie nicht schließlich unter dem stets aufs neue angeführten Vorwand, Beng müsse das Blatt Papier sehen, auf eigene Faust eine Expedition ins Ungewisse unternommen hätte. Dann geschah jedoch das Unglaubliche, Jonathan rückte an, und nunmehr hält Mita doch wieder in treuer Kameradschaft fest zu mir – Kameradschaft, betone ich! – Ich habe mich damit nach gründlicher Besichtigung meiner grauen Schläfen abgefunden.

Gestern also …

Erst Frühstück mit Mita, Gespräch über die oben erwähnten Dinge, dann brach ich mit Taito zu einer Fußtour nach der Küste auf. Mir fehlte körperliche Bewegung, außerdem wollte ich auch einmal von der Küste aus mit dem Glase das Meer nach dem „Walfischfänger“ absuchen …

Drei Stunden Marsch über Packeis, dann noch die Umgehung des äußersten Südwestendes der Großen Eisbarriere, die der Antarktis im Osten vorgelagert ist und die am Reynold-Berg (nicht der Fackelberg) eine scharfe Krümmung macht, und wir trafen auf die ersten treibenden Schollen, Eisberge und offenes Wasser und … vielfache Spuren von Menschen, Schlitten, Hunden.

Da waren nicht nur Spuren, da waren auch Zeichen der Kultur: Zigarettenreste, Zigarettenschachteln, zerknüllt, weggeworfen, Zigarrenstummel, Leibbinden von Zigarren, die wie Goldringe auf dem weißen Untergrund schimmerten, – da waren zwei leere Likörflaschen, schon in der Form und Aufmachung als „erste“ Marken prunkend, schließlich einige Patronenhülsen, ein armer toter Pinguin, den „man“ hier niedergeknallt hatte (eine Roheit, da die Tiere so zahm sind, so menschenunkundig, daß sie nicht einmal davonlaufen), schließlich als Prachtstück des ganzen ein leerer Konfektkarton von Handkoffergröße, der mit seinem Niggerbild auf dem Deckel als Schießscheibe gedient hatte, jedoch nur wenige Löcher aufwies.

Dieses Schlachtfeld zeigte mir eindrucksvoll die Nähe sehr zivilisierter Gäste und rief in mir sofort die Erinnerung an Mr. Smausers erwarteten Walfangdampfer wach.

Taito starrte jedoch weder die Fährten noch die untrüglichen Zeichen der feinsten Zivilisation (Likör, Konfekt) an, sondern hatte seinen Bullenschädel und seine Boxeraugen nach oben auf die Spitze der Eiszacke gerichtet, die wir soeben umrundet hatten, und von dort oben kam nun, wohl als zweite Beifallsäußerung, ein leises melodisches Lachen, das mich allerdings, mißtrauisch nach alter Gewohnheit gegen alles, blitzschnell herumfahren ließ.

Gleichsam als Ausgleich für diese verunreinigte Schneemulde saß dort fünf Meter über mir im matten Glanz der matten Polarsonne ein in Pelze gehülltes Etwas, von dem nur ein rosiges, keckes Gesichtchen mit flunkernden Braunaugen sowie zwei in die Stirn gezogene gebrannte Löckchen von Braunhaar zu sehen waren.

Nicht diese Frau dort auf dem blanken Eishorn mit dem Baldachin von schillerndem Gletschereis war es, die mich so seltsam berührte …

Es war ihr Lachen, ein ganz eigentümliches kurzes Lachen, jäh abbrechend mit einem fremden, schwer zu bezeichnenden Laut – – das war es, was mir ans Herz griff. In diesem Lachen lag unendlich viel Unausgesprochenes: Spott, Geringschätzung, hohnvoller Haß, ganz wenig ehrliche Heiterkeit.

Dennoch war es melodisch gewesen und klang mir noch lange im Ohr nach.

Die Frau auf ihrem kühlen Sessel schaute mich voll an und fragte mit schlecht verhehlter Spannung:

„Wer sind Sie, Sir?“

Das hatte einige Berechtigung.

Die Antarktis ist nicht Tanzbar oder Nepplokal mitten in einer Weltstadt.

Trotzdem war ich so unhöflich, mit einer Gegenfrage zu antworten.

„Und wer sind Sie, Miß?“

„Nur die Zofe von Fräulein Ruth Smauser.“

Smauser!! Also doch! – Die Sachlage war schon geklärt …

„Ihr Name, Miß? – Entschuldigen Sie schon, der Südpol hat seine besonderen Umgangsformen.“

Sie betrachtete mich fortgesetzt mit eigentümlichem Interesse.

„Grita Bresty[4], Sir … – Und Sie?“ Das war schon eine Oktave schärfer.

Nun, ich war ja mit Mita längst darüber schlüssig geworden, daß wir, falls der Walfänger käme, als die letzten Überlebenden des Dreimasters gelten wollten, so unsympathisch uns auch der Gedanke war, gerade die Namen vorzuschützen, die wir so gründlich verachteten.

„Thomas Malcolm,“ erklärte ich kurz. „Eine der zwei letzten Personen der Vandermar-Expedition.“

Zu meiner abermaligen Überraschung trat jetzt in Miß Gritas Züge ein klarer Ausdruck von Abneigung, – mild gesagt, – verschwand ebenso schnell, und der kleine frische Mund sagte sehr oberflächlich:

„Das ist sehr schade, Mr. Malcolm …“

Dann erhob sie sich, kletterte sehr geschickt in ihren weiten Pelzhosen, Russenform, und mit ihren Pelzstiefeln zu mir herab und deutete nach Nordost: „Dort liegt Sir Smausers Dampfer, Mr. Malcolm, – hinter der Eiszunge … Wollen Sie an Bord kommen?“

„Ich werde wohl meine Antrittsvisite machen müssen,“ erklärte ich leichthin. „Meine Gefährtin Thora Vandermar und ich haben seit Monaten kein fremdes Gesicht geschaut und …“

Ihr Kopf drehte sich sehr flink. Nun sah ich die Augen, die so unergründlich und rätselvoll schienen.

„Wirklich – kein fremdes Gesicht?“ – In dieser hastigen Frage lag ein leiser Zweifel, vielleicht auch ein tastendes, erwartungsvolles Spüren.

„Nein.“ – Ich beließ es bei dieser knappen Antwort. Dieses Mädchen gedachte mich auszuhorchen, aber ich war auf der Hut, ich war mir vollkommen klar darüber, daß ich Jonathan Smausers gesamte Sippe als grimme Feinde betrachten müßte.

Grita Bresty, süßes Schlänglein mit sehnsüchtigen Lippen, wiederholte sehr überflüssigerweise nochmals:

„Wirklich niemand?!“

Und das verriet sie. Mit ihren diplomatischen Kniffen war es nicht weit her.

Ich sagte lächelnd: „Es sei denn, Sie müßten gerade meinen Hund als Person zählen, dann sind wir zu dreien im „Eisvogel“, Thora Vandermar, ich und Taito, so heißt dieses Prachtexemplar nämlich,“ – und ich streichelte Taitos Kopf und richtete mich wieder auf – auch ein Kniff, denn dieses Mädchens bohrende Blicke hatten etwas unangenehm Entblößendes – so, als ob sie mir das Hirn freilegten und meine geheimen Gedanken preisgaben.

Ein unmerklicher Seufzer entschlüpfte ihr, und ihr Gesicht verriet deutlich bittere Enttäuschung.

Dies alles war nur so zu erklären: Grita Bresty wußte, daß Bert Beng mit dem Kutter hierher geflüchtet war, – sie wußte auch, daß Percy Coldawoor einst hier in der Nähe eine überaus wichtige, wertvolle Entdeckung gemacht hatte, sie war ebenfalls mit im Komplott dieser Smauser-Sippe und hatte gehofft, von mir bestätigt zu erhalten, daß Bert Beng tatsächlich hier zu finden sei. –

Die Australia fand ich sehr geschickt an einem Eiskai vertäut, an Deck bewegten sich einige Matrosen, die in ihren flotten Pelzanzügen recht gute Figur machten, nur mußte man die dazu gehörigen Gesichter nicht näher prüfen, – es waren ausgesprochen Gaunervisagen, so etwa von dem Schlage, wie man sie auf elendesten Robbenfangkähnen antrifft.

Und dann wurde ich hinab in den großen Salon geführt, wo ich die ganze Smauser-Sippe gerade beim Nachtisch eines üppigen Diners an einer wahrhaft schlemmerhaft gedeckten Tafel antraf.

Lange, sehr lange war es her, daß ich so viel Tafelsilber, überhaupt eine so luxuriöse Aufmachung gesehen hatte. Aber all das war im Grunde unwesentlich, weit spaßiger als dieser protzige Tisch mit flackernden Kerzen, Tafelaufsätzen, Kristallvasen, Sektkühlern und sonstigem Beiwerk nahmen sich die zehn Leutchen aus, die hier am Rande des vereisten Kontinents sich für verpflichtet hielten, an den Gepflogenheiten der Weltstädte festzuhalten. Tadellos sitzende Fräcke, weiße Hemdbrüste mit schimmernden Brillantknöpfen, genial gebundene weiße Frackschleifen, Eckenkragen, Lackschuhe, – die vier Damen dazu in tief ausgeschnittenen hellen Roben, mit Schmuck bepflastert, gepudert, die Lippen getuscht, die Augenbrauen scharf nachgemalt, – – und diese zehn Augenpaare starrten mich mit unverhohlener Neugier an, bis Grita Bresty mich vorstellte:

„Hier ist Mr. Thomas Malcolm, einer der beiden Überlebenden der Vandermar-Expedition.“

Sofort erhob sich ein fetter, massiger Mann mit verquollenem Gesicht, grauer Hornbrille, blanker Glatze und offenbar gefärbtem blonden Spitzbart, verneigte sich sehr gemessen, winkte mir sehr herablassend zu und nannte seinen höchst anstößigen Namen:

„Ich bin Sir Jonathan Smauser-Barranal, Eigentümer dieses Schiffes, Mr. Malcolm, – Verzeihung, so heißen Sie doch …?“

Wenn ich je beim ersten Anblick eines Menschen das untrügliche Gefühl hatte, einem widerwärtigen Vampyr gegenüberzustehen, so war es hier.

Dieser frisch geadelte Baronett mit dem vorgebauten, breiten Unterkiefer und dem Birnenschädel flößte mir sogleich derartiges Unbehagen ein, daß ich am liebsten seine breite, mir zum Gruß dargebotene Flosse übersehen hätte.

Ich bezwang mich. Man tut so manches, was einem wider den Strich geht, hier lagen die Dinge nun einmal so, daß ich der Klügere sein mußte, wenn ich das erreichen wollte, was ich mir vorgenommen: Die Angelegenheit Percy Coldawoor, eines Gehenkten, restlos aufzuklären.

Ich schüttelte also diese feuchtkalte Flosse mit allem Respekt, suchte die Reste meiner gesellschaftlichen Sicherheit von einst zusammen und redete wie ein siebenmal gesiebter feudaler Gauner, – wurde den übrigen Herrschaften vorgestellt, empfing weitere Händedrücke, schaute in Gesichtszüge der verschiedensten Art mit Augen von schlecht verhehlter Verlogenheit, verneigte mich vor vier äußerst tiefen Busenausschnitten und wurde im Nu Mittelpunkt einer Aufmerksamkeit und Liebenswürdigkeit, die mir ein Würgen hochquellen ließ, – mußte neben Sir Smauser Platz nehmen, hörte von Miß Ruth Smausers knallroten Lippen allerlei verzuckerte Sprüchlein, die mein und meiner Gefährtin „trauriges“ Los betrafen, und verlebte unter diesen zehn Kreaturen von vorbildlicher Mentalität eine halbe Stunde unerhörter Pein … – hätte dieser ganzen Bande am liebsten zugebrüllt, daß ich ihre gleißnerischen Verstellungskünste von vornherein durchschaut hatte, beantwortete tausend Fragen mit fast ebenso viel Lügen und Verdrehungen und empfand immer deutlicher das eine: Ihnen allen kam es nur darauf an, mich auszuhorchen, ob in der Nähe des brennenden Berges außer Mita und mir noch jemand hause, – ob ich Spuren eines Fremden entdeckt hätte – – und so fort, immer derselbe Dreh, immer dasselbe Thema, aber sehr vorsichtig angeschnitten, sehr behutsam ausgeschöpft, bis der aufgeschwemmte Baronett Smauser-Barranal durch ein starkes Hüsteln und ein energisches Abblasen dieses allgemeinen Angriffs sichtlich enttäuscht und verärgert, aber vor Herablassung überfließend, mir erklärte, ich hätte wohl nichts dagegen einzuwenden, daß er und seine Freunde für einige Zeit nach dem „Eisvogel“ übersiedelten, der ja Platz genug für eine Menge Menschen biete – – und so weiter … und so weiter …

Mir war dieses Vorhaben der neuen lieben Bekannten keineswegs angenehm, ich sah jedoch keine Möglichkeit, hiergegen etwas einzuwenden, – der fette Baronett allein wäre mir durchaus willkommen gewesen, – nun, an den Dingen ließ sich nichts ändern, die so modernen Polarbummler „mit Nebenabsichten“ wollten angeblich das Wunder der Riesenfackel anstaunen … – – ich war froh, als ich die „Australia“ hinter mir hatte und mit meinem Taito im Geschwindmarsch zum „Eisvogel“ zurückkehren konnte, wo Mita bei der Mitteilung von dem bevorstehenden Massenbesuch sich zum Glück sehr vernünftig benahm und mir half, die bewußten Konserven schleunigst zu verstecken und alles zu beseitigen, was den billigen Schwindel, wir seien Malcolm und Thora Vandermar, hätte aufdecken können.

Schon eine Stunde drauf nahten die Motorschlitten mit ihren Ladungen nützlicher und fragwürdiger Gestalten und Pakete, – außer den zehn „Herrschaften“ war noch genau so viel Personal erschienen, – der stille Dreimaster schlackerte erstaunt die Ohren über diese überlauten Gäste, – Kabinen wurden geheizt, Betten frisch bezogen, – in meiner Kajüte herrschte zeitweise drangvollste Enge, – Mita und Ruth Smauser sagten sich einige lackierte Bosheiten, wobei die blasse Ruth sehr schlecht abschnitt, – dann pilgerte die Bande zum Sonnenberg, entweihte auch seine köstliche Urwüchsigkeit, seine lodernden Flammen mit Geschnatter und Gelächter und törichten Fragen, die ich beantworten mußte, – – und jetzt, jetzt elf Uhr nachts darf ich mich wieder Mensch fühlen und bin allein!

Dem Himmel sei Dank – – allein!!

Mita schläft nebenan, Taito schläft, der ganze „Eisvogel“ ist zur Ruhe gekommen. Und nun will mich diese Smauser-Sippschaft, die demnächst, das ahne ich, mit mir in sehr ernsten Konflikt geraten dürfte und ein böses Drama heraufbeschwören wird, so im einzelnen unter die Lupe nehmen … Ich will prüfen, wer von ihnen gefährlich, weniger gefährlich und harmlos ist, – ich muß die Gegner kennen lernen, alle … alle …

Zwanzig sind es … Zehn „Herrschaften“, zehn „niederes Volk“, – letztere Sorte ist weniger zu fürchten, nur diese Grita Bresty bereitet mir einige Sorgen. Sie ist nächst dem Fettwanst-Baronett und dessen Intimus Gabriel Nohc, Rechtsanwalt, sicherlich die geriebenste der ganzen Jagdgesellschaft …

Jagd auf Bert Beng nämlich …

Vielleicht eine recht blutige Jagd, – das wird die Zukunft lehren. Ich habe so meine Ahnungen. Die trügen selten.

 

5. Kapitel.

Smauser ohne Maske.

Sir Jonathan Smauser-Barranal (seit anderthalb Monaten geadelt, wie er mir anvertraute) imponiert durch seine Massigkeit und durch die graue Hornbrille und die Glotzaugen. – Ein Mann, dem ich alles zutraue, die größte Gemeinheit. Fabelhaft reich, wie mir Mr. Nohc zuflüsterte.

Und dann dieser Gabriel Nohc selbst: Klein, immer lächelnd, immer die schwarzen Rattenaugen spielen lassend, immer mit jedem Wort auf der Hut, immer um mich herum wie ein ehrlich-biederer Geselle, triefend von Mitgefühl, Phrasen, – – aber dann wieder schweigsam und nachdenklich, mich stets belauernd … –

Nummer drei der ganz Gefährlichen wäre Grita, Zöfchen, innigste Vertraute ihrer überschlanken Herrin Ruth Smauser.

– Dann die zweite Garnitur:

Herr Edward Smauser, Sohn und Erbe des edlen Baronetts, – blasser Bengel mit schwarzer Tolle und so überkultiviert, daß er angesichts der Riesenfackel sehr vornehm gähnte und heimlich eine Prise Kokain nahm. Es war zweifellos Kokain, obwohl es auch einen weißen Schnupftabak, Schneeberger genannt, gibt, – Tabakschnupfen halte ich angesichts Edwards unaussprechlicher Vornehmheit für ausgeschlossen. Im übrigen: Schwaches Ebenbild des väterlichen Charakters, genau wie seine Schwester Ruth, die sich von dem Schiffsarzt Doktor Gargell den Hof machen läßt und noch vornehmer als Edwardchen tut …

Mit diesem auf gleich erhabener Stufe steht Mr. Allan Cortys, ein höherer Beamter aus Melbourne, der eine ziemlich getreue Kopie des Prinzen von Wales ist – äußerlich. Über diesen Cortys bin ich mir noch nicht recht im klaren. Vielleicht gehört er der Polizei an. Vielleicht ist gerade er am gefährlichsten, – er redet nämlich gar nichts, und wenn seine unscheinbare Gattin ihn verliebt anhimmelt, wirft er ihr stets einen Blick zu, der mehr als beleidigend ist.

Der Rest der „Herrschaften“, so Mr. Gabriel Nohc’s Frau und ein Professor der Naturwissenschaften nebst Gattin, – das sind Nullen, hoffe ich.

Hoffe ich … –

… Das sind sie also, die zehn „fürnehmen“ Gäste des Eisvogel. Und dann sind da noch die zehn Bedienten und Matrosen, die hübsche Zofe Grita Bresty (ich kann mir nicht helfen, bei dem Namen denke ich immer an Bestie), eine zweite Zofe, eine Negermaid, die für Frau Ellen Cortys sorgt, ein Koch, ein Steward und die Matrosen, die die drei großen Motorschlitten, allerneueste Konstruktion mit hinten angebrachten Propellern und scheinbar tadellos funktionierender Steuerung, zu lenken und zu bewachen haben.

Bewachen, – denn die Kerle sind ebenso tadellos mit allerlei Schießeisen versehen, und auch die fürnehmen Gentlemen, scheint mir, tragen in den Hüfttaschen unangenehme Selbstlader.

Alles in allem: Die Gegnerschaft ist etwas reichlich, und wenn auch Mita im Notfall sehr mitrechnet, denn sie gab zu, vorzüglich zu schießen, – es bleibt ein wenig aussichtsvolles Stärkeverhältnis.

Lassen wir jetzt die edle Bande ruhen, – ich möchte eine andere Frage so im stillen nachprüfen:

Was kann Percy Coldawoor hier gefunden haben, wann war er hier, wie, ohne Begleitung, und wie erhielt der Baronett mit dem Birnenschädel Kenntnis von Coldawoors wertvoller Entdeckung?

Eine Gesamtfrage, viele Unterfragen, – – und keine Antwort! – Nein, diese Dinge bleiben mir vorläufig verschlossenes Land, genau wie Bert Bengs eisfreie Oase, genau wie die schrecklichste der Endfragen: Wie konnte Smauser den Mann an den Galgen bringen?!

Wenn ich diese ganze seltsame, ungeheuerliche Angelegenheit, in die ich nun mit hinein verwickelt worden bin, rückblickend überschaue, ragt aus dem trüben Wirrwarr von Abenteuerromantik, Niedertracht und Habgier wie ein stiller, edler Altar jener rötlich-braunschwarze Felsen mit dem Reliefkopf der Isis heraus, den ich verwirrt und ergriffen schauen durfte, als unter mir Bert Bengs prachtvolle Wolfsbestien heulten und knurrten und der Sonnenball so langsam über dem Horizont aufstieg, ein Bild, unvergeßlich, weil so eindrucksvoll wie eine wundervolle Traumphantasie im Haschischrausch. Ich beneide Bert Beng. Er lebt da inmitten einer Landschaft, die man in dieser ewigen Eiswildnis ein Paradies nennen kann, er erfreut sich an Gräsern, vielleicht sogar an Blumen, – – und – – was treibt er dort?! Sucht er das Wertvolle, das sein Freund einst fand? Sucht er noch immer und findet nicht?!

Taito, – – dort an der Tür, – – er erhebt sich, sträubt das Rückenhaar zur Bürste, knurrt ganz leise, – – ganz leise schiebt sich da durch das Schlüsselloch der Gangtür an dem Taschentuch, das ich über den Drücker gehängt habe, ein schmaler, langer Fidibus vorüber.

Und bleibt schief nach unten stecken, – – Taito blafft ein einziges Mal, schon bin ich dort und hole das eng gefaltete Papier, breite es aus …

Eine Papierserviette …

Bleistiftzeilen, verstellte kritzliche Schrift …

Fliehen Sie!! Smauser hat ein Bild der Teilnehmer der Vandermar-Expedition … Er plant Böses …

Das ist alles …

Übergenug …

Denn – ein Bild der Teilnehmer der Expedition?! Das heißt nichts anderes als: Ich bin entlarvt! Smauser weiß, daß ich mich nur Thomas Malcolm nenne …!

Und: Fliehen Sie!!

Die Warnung, mag sie herrühren von wem sie will (vielleicht von dem armseligen dürren Professor!), ist ernst zu nehmen. Das kann kein hinterlistiger Streich sein, das ist ehrlich gemeint, – – Die leichte Müdigkeit schwindet, ich spüre das Feuer der Tat in den Adern, und das alte rührige Abenteurerblut fließt brandend zum Hirn und färbt mir wohl die Wangen dunkel!

Mita wecken, – dann rasch einpacken, was mitzunehmen ist, dann die Fensterladen hier am Heck losschrauben und … – was zaudere ich?!

Hin zu Mita … –

„Du, Kind, – – aufwachen!!“

Mita müßte nicht indianisches Blut in den Adern haben, wenn sie schlaftrunken lange Erklärungen verlangte. Im Nu ist sie munter … Begreift, – ich eile in die Kajüte zurück, raffe Wolldecken auf, hole aus meinem Bett die dort versteckten Konserven …

Zwei Bündel schnüren wir zu Rucksäcken. Vielerlei muß hinein … Wissen wir denn, ob wir den Weg zu Bert Beng finden werden?! Nur dort sind wir in Sicherheit. Versperrt das Paradies des Südpols uns den Zutritt, dann … ja, was dann werden soll, liegt in des Schicksals wechselvollen Händen. Aber mit solchen Befürchtungen sich abquälen, – nein, es ist genug, daß ein jeder Tag seine eigene Plage habe. Und: Wo ein Wille, da auch ein Weg, – das war so stets meine Losung!

… Wie eifrig diese ranke, schlanke Mita bei der Sache ist! Wie sie flink, gewandt, praktisch alles verstaut. Sehnsucht mischt sich wohl in das andere Gefühl der Sorge um uns selbst, Sehnsucht nach dem Manne, der ihrem Herzen beim ersten Anblick nahetrat. Ich – ich habe überwunden, und es ist im Grunde besser so, ich stehe jetzt über den Dingen, reite nur mein eigenes Schlachtroß ohne sonstige Bürde, und bin frei, so frei in meinen Entschlüssen wie der Adler im freien Äther …

„Fertig!“ flüstert Mita und greift nach einer der Büchsen, die hier in der Kajüte in einem Ständer sauber aufgereiht stehen.

„Nimm die da, Kind,“ mahne ich in kühlem Abwägen. „Es ist eine Winchester vom selben Kaliber wie die meine … Dann genügt uns eine Sorte Büchsenpatronen …Und mit den Pistolen wollen wir es ebenso halten …“

Sie nickt nur, – aber die Hand, die nach der anderen Waffe greift, hält jäh in der eiligen Bewegung inne.

Taito knurrt …

Und dieses Knurren warnt uns … Ich kenne die Tonleiter von Taitos Stimme, ich weiß, es kann sich nicht lediglich um eine einzelne Person handeln, die da draußen im Kabinengang vor der Tür lauert.

Es klopft schon, – nicht allzu energisch, ein mehr höfliches Pochen …

„Rasch, die Rucksäcke in deine Kabine, Mita, – – leise, – – verhalte dich still …!“

Ich tue noch einiges, bevor ich den Riegel zurückschiebe … Ich halte im Mundwinkel die Zigarre, habe den derben Rock abgelegt, bin in Hemdärmeln, der eiserne Ofen faucht, und als Jonathan Smauser, Baronett, und der kleine, ewig lächelnde Gabriel Nohc sowie der Übergentleman Allan Cortys eintreten, mache ich ein sehr erstauntes Gesicht.

„Was Teufel, Sie schlafen noch nicht?!“

Smauser schielt mich an und schiebt den Unterkiefer vor. Seine schleimig-rauhe Stimme krächzt alkoholgetränkt:

„Sie doch auch nicht, lieber Malcolm – wir wollten mit Ihnen noch einiges besprechen.“

Aha – verstehe, – – die Schufte möchten die Frage klären, woher Mita und ich, die wir nicht Malcolm und Thora sind, hierher geschneit kämen.

„Etwas spät für eine Aussprache,“ gähne ich maulfaul. „Nun, meinetwegen, wenn es nicht zu lange dauert, nehmen Sie Platz!“

Und unhöflich, aber mit Absicht setze ich mich als erster sofort in die Sofaecke vor den mit Büchern, Zeitungen und Karten bedeckten Rundtisch, zwinge so den Baronett rechts von mir in einem derben Sessel Platz zu nehmen und desgleichen Mr. Cortys, seinen Sessel neben den Smausers zu schieben, linker Hand der Ofen allzu nahe ist. Der grinsende Nohc mit der Rattenvisage bleibt an der Tür stehen – – sein Vergnügen! Aber immerhin klärt das die Situation, – ich soll nicht etwa ausrücken!!

Idioten, – – pardon.

Der Baronett mit dem kurzen Schweinehals sitzt kerzengerade da und bewahrt Haltung, Herr Allan Cortys, dem sein Monokel am Seidenband gegen die Westenknöpfe klappert, lehnt sich gemacht nachlässig zurück und schlägt ein Bein über das andere, zieht die scharf gebügelten Beinkleider hoch und zeigt sehr farbenfrohe Seidensocken und knipst sein Etui auf und nimmt eine Zigarette …

„Bitte …“

Er hält es mir hin.

„Danke – ich rauche ja …“

Ein mißbilligender Blick trifft mich.

Während der patente hohe, höhere Beamte aus Melbourne (vielleicht hat er mitgeholfen, daß Percy Coldawoor am Galgen endete!) sein Feuerzeug auffunken läßt, sagt Gabriel Nohc von der Tür her mit öligem Pathos:

„Keine Umschweife, meine lieben Freunde … Die Dinge liegen ja vollkommen klar, die Beweiskette ist geschlossen, und das Recht ist auf unserer Seite. – Cortys, bitte …!!“

Cortys starrt mich an.

Platzt heraus: „Sie sind nicht Thomas Malcolm, Sie Gauner!!“

Er bläht sich förmlich auf vor niederträchtigem Triumph. „Und ich – ich bin der Kriminalchef von Melbourne, damit Sie es wissen! Ich – – verhafte Sie!“

Plötzlich hat er in der Hand so einen schwarzen netten kleinen Kugelspucker und auch Smauser holt ein gleiches Instrument hervor und legt es ängstlich vor sich auf den Tisch. Ein Selbstlader scheint ihm weniger lieb zu sein als eine Füllfeder zum Scheck-Ausfüllen.

Ganz hübscher Anfang, in der Tat! Sie gehen ohne Winkelzüge vor, die Gentlemen.

„Also …“ fährt der Mr. Chef fort, „keine Schwindeleien, Sie …! – Wie heißen Sie nun eigentlich?“

Allan Cortys muß bei seinen kaum dreißig Jahren eine fabelhafte Karriere gemacht haben. Wahrscheinlich hat Smauser dabei mit einem Goldsack schieben helfen. Und Smauser will nun doch auch etwas reden und brummelt: „Wir haben nämlich zwei Bilder der Expeditionsteilnehmer in illustrierten …“

„Bemühen Sie sich doch nicht,“ sage ich sanft. „Ich leugne ja gar nicht. Mein Name ist Abelsen, Olaf Karl Abelsen …“

Cortys beugt sich vor. „Wie?!“ Seine Züge verraten eine gewisse Bestürzung. „Etwa derselbe Abelsen, der da in Nordaustralien vor …“

„Derselbe, – Sie denken an die Lady-Buschklepperin und die zwölf feinen Schurken mit ihrem Natronsalz-Schloß, – – derselbe, Mr. Cortys!“

„Oh …“ – und er lehnt sich wieder zurück und runzelt die Stirn, schaut seinen Freund Baronett an. „Smauser, der Kerl hat Haare auf den Zähnen!“

„Danke.“

Die drei Gegner sind leicht betreten, – die Geschichte damals in Nordaustralien war allzu üppige Zeitungsreklame für meine gelegentliche Rücksichtslosigkeit im Waffengebrauch.

„Legen Sie die Hände auf den Tisch!!“ befiehlt Cortys eiligst und zielt auf mein Wollhemd, – Sporthemd besser.

„Gern. – Und was wünschen Sie nun eigentlich?“

Von der Tür kräht der kleine Gockel Gabriel Nohc: „Cortys, das ist Zivilprozeß, Austausch von Nichtigkeiten … – Also, Sie, – Sie, Abelsen, – – Sie kennen einen Verbrecher, der sich hier verborgen hält!“

„Bedauere, hier gibt es allerdings Verbrecher, die halten sich jedoch nicht verborgen, Mr. Nohc.“

Begriffsstutzig sind die Leute nicht. Smausers Schweinskopf läuft blau an. „Frechheit!!“ brüllt er …

„Fühlen Sie sich getroffen?“ frage ich unschuldig.

Rechtsanwalt Nohc kreischt geifernd: „Warten Sie nur, wir kriegen Sie schon klein!“

„Hm – – Sie etwa, Sie Jammerwisch?! Da müssen Sie erst noch vierzig Zentimeter wachsen und sich ein anderes Hirn einsetzen lassen, – entschuldigen Sie diese derbe Abfuhr, aber mit einer gewissen Sorte Menschen rede ich immer … schwedisch, und meine Landsleute sind eben schlichte, derbe Germanen, Mr. Nohc …“

„Unverschämt!!“ sagt Cortys sehr würdevoll.

„Also – Sie kennen einen Verbrecher, und der heißt …“

„Meinen Sie Ihren Freund Smauser, jetzt Baronett Barranal? – Ich leugne nicht, dort sitzt er … Den kenne ich.“ Und dann als Nachsatz, um diese Herren zu einer übereilten Äußerung zu verleiten, denn ich mußte endlich wissen, woran ich mit ihnen war … „Nehmen Sie an, ich weilte letztens einige Zeit in Melbourne … Nehmen Sie an, man redet dort sehr viel über einen Prozeß gegen Coldawoor, den ein paar Halunken an den Galgen brachten … – Wollen Sie noch mehr hören?!“

Nie sah ich eine so tückisch verzerrte Visage wie die Jonathan Smausers, nie ein so haßerfülltes, blöde entsetztes Gesicht wie das Allan Cortys, nie vernahm ich ein so krankhaft-irres Gekicher wie das des Rechtsverdrehers von der Tür her …

Ich merkte: Der Hieb hatte gesessen, – sie waren nun gänzlich aus dem so schön vorbereiteten Konzept geraten …

„Sie … waren … dort?“ japste der Herr Kriminalchef, und seine käsigen Wangen fielen ein vor den rastlosen Gedanken eines schlechten Gewissens.

Smausers Weinnase schwitzte, und seine Beisteuer zu dieser erquickenden Szene beschränkte sich auf ein höhnisches Glucksen … „Das Maul werden wir Ihnen stopfen, Sie … Sie …“

„… Schuft,“ sagte ich ergänzend.

Es war eine überflüssige Äußerung, denn die Bombe platzte bereits, Herr Gabriel Nohc hatte die Nerven verloren, war wie eine alte Krähe zum Bücherbrett gehüpft und riß aus der obersten Reihe die Schiffsbibel heraus …

„Da – – da, – da haben Sie es versteckt, Sie … Sie …“

„… Mr. Abelsen,“ warf ich doch etwas verdutzt ein …

„Da – hier steckt der Zettel, Sie, – – hier, hinter dem durchgescheuerten Ledereinband, Sie!!“

Er stand nun mit am Tisch …

Teuflischer Hohn sprühte in den Rattenaugen.

„Sie … Sie … Dummkopf, – daß wir schon seit gestern den Dreimaster beobachten, daß Cortys durch den Lüftungsschacht zwei Spiegel, an einem Stocke befestigt, geschoben hat und Sie beobachtete, – das ahnten Sie nicht! Ganz genau hat er dies Papier erkannt, nach dem wir gerade suchten, suchen … suchen, Sie … Idiot!! – Na, kennen Sie Bert Beng, – woher dieser Abschiedsbrief, he?! – Doch nur von ihm, Sie … Wegelagerer, Sie … Bandit, Sie …“

Ihm blieb plötzlich die Sprache weg, er starrte auf das fleckige Blatt, das er rasch entfaltet hatte, – – er überflog die von mir sichtbar gemachte Geheimschrift …

Und mit einem Male tat er einen Luftsprung wie ein angeschossenes Karnickel, quäkte frohlockend:

„Hier … hier … der Isiskopf, – – ich wußte es ja … hier steht …“

Was da zu lesen stand, half weder ihm noch seinen Freunden sehr viel, – ich hatte außerdem übergenug von diesem widerwärtigen Gegeifer, und obwohl Herr Allan Cortys immer noch mit blutrünstiger Beharrlichkeit mein Sporthemd bedrohte und jede Sekunde abdrücken konnte, fragte ich schärfsten Tones dazwischen:

„Haben Sie Zinksärge auf Ihrer „Australia“? Vielleicht drei?“

Das brachte selbst die Rattenschnauze in einige Verwirrung.

„Wie … meinen Sie das?“ meckerte Gabriel verständnislos.

Aber sein Busenfreund Smauser war phantasievoller … Smausers Schweinskopf strahlte plötzlich in innigstem Behagen.

„Oh – Sie denken an Zinkkisten, Mr. Abelsen … Zum Verpacken des Goldes, das Bert Beng gefunden hat …! Sie wollen also Vernunft annehmen, – das freut mich herzlich …“ Sein Sektbariton war wie feinstes Olivenöl …

Ich nickte ihm zu. „Gewiß, jetzt haben Sie mich klug gemacht, – aber ich fragte nach Zinksärgen, nicht nach Zinkkisten, und von Gold oder dergleichen ist mir nichts bekannt. Die Särge sollten für Sie drei sein, da Ihr Leben ernstlich bedroht ist … – Bitte, legen Sie sofort Ihre Pistole weg, Mr. Cortys, – lassen Sie sie fallen – – sofort, verstehen Sie mich, oder …“ – und ich hob die beiden Hände, die ich unter eine der Zeitungen auf dem Tische geschoben hatte, empor, und in diesen Händen hielt ich zwei Coldrevolver mit langen Läufen, besser Coldselbstlader, mit denen man auf fünfzig Schritt noch ein Hühnerauge wegschießt, wenn man eine sichere Hand hat.

Des Herrn Polizeichefs Unterkiefer fiel herab, und die gesamten Goldkünste seines Zahnarztes wurden sichtbar.

„Weg mit dem Ding!“ kommandierte ich … „Wenn Sie mich vom Hörensagen kennen, wissen Sie, daß ich abdrücke, bevor Sie noch Ihren Zeigefinger krumm gemacht haben! Weg mit dem Ding – – oder …“

Seine Pistole polterte dumpf auf den dicken Teppich …

„Hände hoch, ihr drei – – so, – – hallo, Mita, bringe doch mal ein paar Stricke, Kind, die Herren wünschen jenen Vorgeschmack des Gehenktwerdens zu spüren, der im Fesseln der Hände besteht, – beeile dich, Mita, Gabriel Nohc ist einer Ohnmacht nahe, er hat vorhin so viel Kraftausdrücke von sich gegeben, daß er nun so ziemlich am Ende seiner Leistungsfähigkeit ist …“

Mita war schon da, – der Rest der Szene war Schweigen, und als das edle Dreiklee nun mit sehr unbequemen Knebeln im Munde auf Stühlen hockte, ohne sich vorläufig erheben zu können, sagte ich zu Baronett Smauser-Barranal:

„Es würde keinen Zweck haben, Ihnen sehr dringend nahezulegen, schleunigst diese anständige Gegend zu verlassen, denn Sie würden es doch nicht tun … Aber das eine versichere ich Ihnen: Begegne ich noch irgendeinem von Ihrer Sippe hier in der Nähe, dann mag der Mann sich schleunigst in eine Lebensversicherung einkaufen, – Sie verstehen mich wohl! – Mita und ich entfernen uns nun … Mit dem Isiskopf werden Sie kein Glück haben. In Melbourne dürfte diese Tragödie enden, – – vergessen Sie das nicht!“

Eine Antwort verlangte ich nicht … Die drei konnten auch nichts erwidern.

Wir holten unsere Rucksäcke, Mita und Taito blieben noch in der Kajüte, und ich schlich an Deck, um einmal nachzusehen, ob wir etwa sonst noch mit jemandem Schwierigkeiten haben könnten. Als ich leise die letzten Treppenstufen emporklomm, traf mich bereits der stille Glanz der Riesenfackel, und dieses wundervolle rötliche Licht der Flammensäule fiel auch auf zwei Karabinerläufe, die da unter dem Treppendach drohend in behandschuhten Fäusten ruhten …

Zwei Matrosen, – zwei Wachen also, und der eine Bursche, ein baumlanger alter Robbenfänger, rief mir sofort entgegen:

„Zurück, Mr. Malcolm! Strenger Befehl, – niemand verläßt die Heckräume!“

Peinlich …

Denn noch ein dritter Bursche schlenderte heran.

„Hallo, – mit einem Packen auf dem Rücken, Mr. Malcolm?! – Ne, machen Sie nur kehrt … Sir Smauser hat noch abends sechs Matrosen von der „Australia“ holen lassen, und wir sind so ein bißchen im Bilde, Sie …!! Auskneifen is nicht, Sie!!“

Ich Tor!!

Da waren nun drei Karabiner vor mir, und ich hatte die Winchester umgehängt! Hatte leere Hände.

Aber sollte wirklich unsere Flucht an dieser Leichtfertigkeit scheitern?!

„… Ich weiß, daß ihr hier Wache haltet, – Sir Smauser kommt sofort nach, wir wollen den Kerl abfangen, der hier …“ – sogar das half nicht trotz des harmlosen Tones …

Die Kerle lachten …

Und der lange Bursche meinte höhnisch:

„Na, wenn Sir Smauser mit von der Partie ist, dann warten Sie nur noch … Bis dahin reichen Sie mir aber mal Ihr Schießeisen, Sie …! Schleunigst! Und keine Faxen, Mann! Wir sind gewarnt, und diese Karabiner sind keine Kinderluftgewehre, Sie …! Also – – her mit Ihrer Riffle, Sie Schwindler!! Malcolm heißen Sie auch nicht, und daß der verfl… Bert Beng vor drei Monaten auf dem Kutter meinen Freund Jim niederpustete, das habe ich noch nicht vergessen, Sie … Sie Schwindler!“

Ich kannte die drei flüchtig von Ansehen, es waren rüde Patrone, verwildert, halb vertiert durch Fuselgenuß, – ganz der Schlag Leute, wie sie auf den jämmerlichsten Robbenfangschiffen als allerletzte Zuflucht Heuer nehmen, – meist schwer vorbestraft, meist mit bösen Geschichten noch im Rückstand, Gäste jener Hafenspelunken, in denen niemand nach Papieren fragt und deren versteckte Schlafräume den Abschaum der australischen Küste verbergen – Freiwild für die Polizei, Raufbolde, Diebe, Mörder für eine Fünfpfundnote … so schätzte ich sie richtig ein …

Und dies Gelichter sollte nun hier Mita und mir den leichten Sieg verderben?! Was uns bevorstand, wenn wir Jonathan Smauser als Gefangene gegenüberständen, wußte ich. Diese Sippe von der „Australia“ war eine einzige große Verbrecherbande, auf Gedeih und Verderb aneinander geschmiedet durch gemeinsame Schandtaten und durch die dreimal verdammte Macht des Geldes. Welch leichtes Spiel hatten diese feinen, fürnehmen Schurken mit uns gerade hier in der Antarktis! Ungezählte Möglichkeiten boten sich ihnen hier, uns verschwinden zu lassen, oder uns vorher noch durch ungeheuerliche Folterungen das eine Geständnis zu erpressen, auf das es ihnen einzig und allein ankam: Bert Bengs Versteck zu finden!

Gold vermuteten sie hinter Percy Coldawoors Geheimnis – – natürlich Gold!! Gold war ihr Götze, und diesem Götzen hatten sie bereits den einen Mann geopfert und wollten nun auch seinem Freunde und Erben das gleiche Schicksal bereiten, um für sich allein das zu erringen, was ihnen der Kopf der Isis zu verheißen schien. Dieser Kopf der Isis hatte ihnen das eigene Hirn verdreht. Narren waren sie, denn wie wollten sie wissen, ob des[5] Gehenkten Entdeckung sich wirklich auf materielle Werte bezog?! Beweise hierfür konnten sie nicht haben, all ihre Gier mußte auf lockere Vermutungen aufgebaut sein, da selbst ihr scheußlichster Plan, Coldawoor durch die Todesangst vor der Hinrichtung zum Sprechen zu bringen, gänzlich fehlgeschlagen war. Hätten sie Bestimmtes gewußt, würde wohl kaum dieser lächerlich-widerwärtige Anwalt beim Anblick der Geheimschrift diesen grotesken Freudensprung gemacht haben! – Nun, das wertvolle Blatt lag nun wohlverwahrt in meinem Stiefel unter der Filzsohle, und was hier diese drei Kreaturen Smausers betraf, denen ich so blindlings in die Falle gegangen, – ich mußte mir den Weg ins Freie erkämpfen, so oder so, – Rücksichtnahme wäre hier törichte Schwäche gewesen!

 

6. Kapitel.

Menschenjagd.

… Seitdem sind fünf Tage verstrichen, und dieses unbarmherzige, eisige, weiße Land hält uns mordgierig fest in seinen ungeheuren, unsichtbaren, nicht zu lockernden Pranken.

Wir beide und Taito haben Stunden hinter uns, in denen der Tod neben uns schritt, wir haben Unmenschliches geduldet, gelitten, wir sind von einer trügerischen Hoffnung in die andere getaumelt, und wenn nicht ein Wunder geschieht wie damals, werden wir diese Eishöhle nie mehr lebend verlassen, die uns jetzt spärlichen Schutz bietet gegen das Heulen des Schneesturms und gegen das drohende Lebendig-Begrabenwerden.

Vielleicht würde ich morgen nicht mehr die Kraft finden, diesen zitternden Bleistift mit zitternder Hand zu führen, – morgen wird auch das Karbid für die Kochlampe verbraucht sein, und in diesem winzigen Zelt in dem gewaltigen Eisdom wird Dunkelheit herrschen, und die Kälte wird uns das Blut gerinnen lassen, und dann – – ist alles vorüber. –

Ich kann mich nicht lange aufhalten mit Einzelheiten … Aber ich will schildern, was inzwischen geschehen, und es ist möglich, daß dann aus diesen halb unleserlichen frischen Zeilen nochmals der starke, verbissene Wille zum Kämpfen um dieses bißchen Leben in meine Adern überfließt wie eine Art Suggestion. –

Drei Kerle, die vor nichts zurückscheuten, die außerdem noch einen Schein von Recht auf ihrer Seite hatten, denn sie gehorchten ja nur dem, der sie gedungen, – und drei Karabiner und das rötliche Licht des Sonnenberges mit seiner wundervollen Fackel …

Verloren – – verspielt!! Kampf gegen die drei?! Das war sicherer Tod, das war …

Und dann das Wunder, – an meinem linken Ohr vorbei ein böses, kurzes Surren, – der Kerl taumelt zurück, knickt in die Knie, rutscht zu Boden.

Die beiden anderen – nichts als zweimaliges verdächtiges Knacken höre ich – bekommen schlaffe Arme, – der Lange stiert mich an, und über seiner Nase tropft es rötlich, rot, – – beide sacken wie vom Blitz gefällt gegen die Schutzwand …

Schüsse?!

Ja – Schüsse …!

Woher?! – Ich weiß es nicht … Ich hörte doch nichts! Aber hinter mir im Dunkel der Treppe muß jemand gefeuert haben, – – und es kann nur Mita gewesen sein.

Aber ein Selbstlader knallt, – hier knallte nichts, hier surrte und knackte es nur und schlug Löcher mitten in die Stirn …

Ich fahre herum, – keine Seele, – leer der Kabinengang, geschlossen die Türen, – im Nu hinein in die Kajüte, – Mita steht da, fragte hastig:

„Es dauerte so lange, – ein Hindernis, Olaf?“

Ich begreife nichts …

„Vorwärts, – schnell … nimm Taito an die Leine – und leise!“

Wir tappen an Deck. Mita starrt die Toten an …

„Olaf, was …“

„Vorwärts!!“

Wir klettern auf das Packeis hinab … Da stehen die drei Motorschlitten … Nichts für uns, – sie würden Lärm machen, wir müssen uns davonstehlen, Vorsprung gewinnen …

Im Geschwindschritt eilen wir dahin, die Nacht ist nur zu klar, keine Wolke, die uns gnädigen Schnee spendete, der unsere Fährten verdeckte.

Und – sie haben Hunde, starke Tiere, mindestens zwanzig …

Hunde, vierbeinige, – Hunde, zweibeinige, werden uns hetzen!

Sparen mit den Kräften, mahnt eine innere Stimme, denn die Last, die wir auf dem Rücken schleppen, ist schwer und doch notwendig.

„Langsamer, Mita …!“

Links am Fackelberg geht es vorüber, – schlimmste Stelle, da wir hier grell beleuchtet sind.

Die kurzen Bootshaken, die wir als Bergstöcke benutzen, bewähren sich. Wir meiden die Schneeflächen, wir wagen uns auf blankes Eis, wir blicken nicht zurück, horchen nur …

Dann ist der Hügel überwunden, und er deckt uns gegen Sicht, – vor uns liegt nun die weiße, rosige Wildnis, die sich in all ihrer Mannigfaltigkeit der Konturen hinzieht bis zu Bert Bengs langem Eiswall.

Bert Beng ist unsere einzige Hoffnung, seine Oase wird uns schützen gegen diese grimme Kälte, die mit jedem Schritt bedrohlicher wird, da die flammende Wärmequelle hinter uns nicht mehr wirkt.

Kälte prickelt in der Nase, sticht in die Augen, zieht die Stirnhaut zusammen, beklemmt die ohnedies durch die Tragriemen eingeschnürte Brust noch mehr.

Weiter …!

Und wir horchen, lauschen …

Werden wir nicht das Schnarren der Motorschlitten sehr bald vernehmen, wird dann nicht die blutdürstige, rachsüchtige Horde uns einkreisen wie armselige Hasen und uns niederknallen …?!

Weiter nur, – – wie fern ist noch das Labyrinth von Blöcken, wo ich den Zugang zum Eistunnel, zu Bert Bengs Oase vermute!

Plötzlich fragt Mita mich, und ihre Stimme klingt klar und ruhig, ihr Atem pfeift nicht, noch nicht:

„Wer erschoß die drei, Olaf?“

Unsere Blicke kreuzen sich.

„Du nicht?!“

„Ich?! Nein, ich habe die Kajüte nicht verlassen …“

Sie schüttelt den Kopf.

„… Ich vernahm auch keine Schüsse, Olaf. In allen Kabinen wäre es ja sofort lebendig geworden, wenn …“

„Ganz recht, – etwas Unbegreifliches, Mita!“

Urplötzlich da eine Erinnerung …

„Mita, die Warnung durch den Zettel, der durch das Schlüsselloch geschoben wurde!!“

Wir beide blieben stehen, – alle beide wie versteinert.

Aber in unseren Augen flackerte doch eine ungewisse Hoffnung auf …

„Olaf,“ flüsterte die Kameradin und deutete rückwärts, wo über den rosigen Wällen und Zacken die Masten des Schiffes wie dünne Fäden in den Himmel ragten … „Olaf, einer von denen dort ist doch auf unserer Seite, und der erschoß die drei!“

„Wie nur, Kind, – wie?! Kein Knall, nur ein Knacken … – es war fast unheimlich, ich war sekundenlang wie gelähmt, als ich sie umsinken sah, – so sah ich noch niemand so dicht vor mir sterben – es war entsetzlich …“

Wir standen noch immer am selben Fleck …

Taito war hier der Mahner, – er zerrte an der Leine, und sein Vordrängen weckte uns.

„Weiter …!“

Und so verging eine Stunde, noch eine …

Vor uns tauchte die Mauer auf, die weiße, blanke Eismauer – endlos sich dehnend, endlos ins Firmament hineinprunkend mit matt schillernden Spitzen und Schroffen, mit phantastischen Zinnen und Türmen, mit weit überhängenden Gletschertrauben …

„Kind – fast am Ziel!“ – aber Mita war still geworden, ihr Schritt schleppend …

„Mut, Kind, – dort sind die Eisblöcke, dort überfiel mich Bert Beng … Mut!!“

Ich knöpfte den Pelzrock auf, holte die flache Flasche Whisky hervor …

„Da, trinke …!“

Sie stand, wankte, ich stützte sie, – und sie schluckte tapfer, hustete, lächelte verzerrt … Das, was von ihrem Gesicht die Pelzmütze nicht verdeckte, glänzte von Schweißperlen.

„Es wird schon wieder gehen, Olaf …“ – und auch ich trank, verbarg die Flasche wieder und betrachtete das weiße, zerklüftete, dichte Labyrinth der Eisfelsen …

Schneewehen überall vom letzten Sturm, ein gänzlich verändertes Bild …

Schneeschanzen dort, wo breite Lücken einst klafften …

„Taito, such’, – Taito, such’, mein Hund!“

Taito sollte finden, was wir nie finden konnten: Den Zugang zum Tunnel …!

Er lief hin und her, er begriff wohl, was er sollte, er besann sich wohl auf diesen Ort, wo er mit den Wolfsrüden sich herumgebalgt hatte.

Ich ließ Mita zurück, sie mußte sich setzen, das Bündel abnehmen, und Taito und ich umschritten die Grenze dieser unpassierbaren Eisblockwildnis, – machten kehrt, suchten in anderer Richtung, bis Mitas schriller Ruf uns eilends zurücktrieb.

„Olaf – – da, – – die Hunde!!“

Ihre Hand deutete ostwärts, wo der Dreimaster im Packeis ruhte.

Über die hellen Flächen flogen dunkle Punkte, und dann schoß über einen Hügel mit dröhnendem Brummen ein Motorschlitten hinweg – noch einer.

Also doch, – sie waren hinter uns her, in wenigen Minuten mußten sie uns erreicht haben …

„Hinein in die Blöcke, Mita …!“

Eine freie Stelle war dort links, und da liefen wir blindlings auf glattem Eise, stolpernd, rutschend, in die engen Gassen dieser verwunschenen Gletscherstadt …

Blindlings – – atemlos, keuchend, immer nach Nordost jetzt, immer zwischen Eiswänden, immer wieder diese Richtung wählend, da nur hierhin die Zauberstadt vereister Gigantenbauten sich am weitesten dehnte …

Ein letzter weißer Abhang vor uns, blankes Eis, droben ein Phantasieturm, – nur hinauf dort, hinein in die kleine Bergfeste, – – ich schob Mita, Taito zog, – – und wir schafften es, sanken droben zusammen, nach Luft ringend, aber vorläufig in Sicherheit.

„Da, trinke…! Trinke!!“

Wir waren in Schweiß gebadet, der Nachtwind pfiff hier oben in hellen Tönen, die Kälte kroch uns ins Mark …

„Trinke, Kind … Und dann – ich packe dir den Schlafsack aus … Krieche hinein, nimm Taito mit, er wärmt.“

Als ich Mita so versorgt hatte, schob ich mich auf allen Vieren zum Rande der Kuppe, heraus aus dem Türmchen von Eis, und sah … sah dort rechts, keine hundert Meter entfernt die Ostgrenze der Stadt aus Kälte und Starre.

Wir waren also doch im Bogen umhergeirrt …

Dort drüben tummelten sich Hunde, Menschen, Verfolger … Die Schlitten standen, ich erkannte Jonathan Smausers plumpe Riesenfigur, neben ihm Cortys, zwei der Dämchen, die eine war bestimmt Ruth, die andere mit einer Büchse im Arm zweifellos Grita Bresty … Dann Matrosen, abseits der kokainverseuchte Edward, an einer Zigarette lutschend, er als einziger gänzlich gleichgültig und unbeteiligt, nur nach der Zofe Grita hinübergierend, – alle übrigen in aufgeregtestem Durcheinander.

Mein Fernglas zeigte mir sehr bald auch den Grund dieses sinnlosen Hin und Hers, dieser fluchenden Stimmen, dieses zwecklosen Lärmens: Die Hunde machten nicht mehr mit, – faul lagen sie im Schnee, einzelne taumelten noch gänzlich erschöpft, durch Fußtritte und Peitschen angetrieben, in die Gassen der verwunschenen Stadt hinein, die meisten aber waren erledigt.

Wirklich nur erschöpft?! – Undenkbar das, denn wie sollte diesen starken Tieren, die noch abends auf dem Eise wie toll um die Fleischhappen sich gestritten hatten, ein Geschwindmarsch von anderthalb Stunden etwas geschadet haben?!

Der Wind trug mir Smausers grelle, wuterfüllte Stimme zu:

„Faul sind die Bestien, – – schlafen wollen sie, – haut sie in Fetzen, die Kanaillen …!!“ – und wie ein Tobsüchtiger prügelte der Herr Baronett auf die armen Geschöpfe ein, die jämmerlich heulend mit letzten Kräften in eine Schneewehe krochen und nicht mehr zu finden waren.

Smausers unsinniges Fluchen richtete sich dann gegen die beiden Hundewärter … Den einen packte er bei der Brust, schüttelte ihn …

Cortys mischte sich rasch ein, denn die Matrosen wurden offenbar rebellisch …

Von einem der Schlitten blitzte eine breite Lichtbahn auf – wahrhaftig ein Scheinwerfer, – eiligst kroch ich zurück, fand Mita und Taito im Schlafsack, zwängte mich mit hinein, breitete noch die Wolldecken über uns, und so Taito zwischen uns als lebende Wärmeflasche, lagen wir in dem Pelzsack inmitten der Eiswälle der Feste und erörterten flüsternd meine Beobachtungen.

Ich konnte Mita die beruhigende Gewißheit bringen, daß die Hunde der Gegner vorläufig uns nicht aufspüren würden, – Mitas Fragen jedoch, was den Tieren zugestoßen sei, konnte ich nicht beantworten, ich hegte da nur eine sehr unwahrscheinliche Vermutung, und die hing mit der Person unseres unbekannten Beschützers zusammen: Vielleicht hatte der Mann die Verfolgung vorausgesehen und die Tiere durch ein starkes Schlafmittel betäubt, – Gift konnte es nicht sein, die Hunde hatten keinerlei Anzeichen von Vergiftung verraten, nur unnatürliche Müdigkeit gezeigt.

Wir lagen, drei lebende Wesen, eng aneinander, wir beide, Mita und ich, die Köpfe noch außerhalb des wundervoll warmen Pelzsackes, – wir sahen den Scheinwerfer spielen, hörten zuweilen abgerissene Laute menschlicher Stimmen und … wurden allmählich so schlaftrunken, so gleichgültig, daß wir noch tiefer in unser warmes Bett krochen und … einschliefen.

Als ich erwachte, – und ich erwachte durch Taitos Schnauze, die mein Gesicht rieb, war es Tag geworden.

Im Moment munter, schob ich mich ins Freie, hielt Taito fest, der offenbar wieder Gelüste nach Extratouren hatte, band ihn an eine Eiszacke und schlängelte mich behutsam an den Rand unseres Eishügels, um Ausschau zu halten.

Ja – es war Tag geworden, ein dunstiger, wolkiger Polarmorgen mit einer bleichen, verschwommenen Sonnenscheibe, mit eisigem Wind, der den Pulverschnee emporfegte, der mir Eisnadeln in die Wangen trieb und mir auch den Ausblick auf die Ebene verwehrte. Immer wieder riß die Windsbraut ihre weißen tanzenden Schleier hoch, immer wieder strengte ich mich an, dort drunten etwas von den Verfolgern zu erspähen …

Und dann eine Atempause der fauchenden, winselnden Luftstöße: Ich erblickte drei Zelte, Menschen, Hunde …

Schreck krallte mir das Herz zusammen …

Die Tiere lebten, – die Tiere da, denen ich wahrlich das Leben gönnte, waren zu dreien zusammengekoppelt, wurden gefüttert, und der sehnige patente Cortys stand dabei und sprach mit den Matrosen und trampelte sich die Füße warm.

Schreck, – aber aus erstem Schreck erwuchs auch die alte frohe Energie …

Noch hatten wir Zeit, wir Gehetzten, – und dieser düstere Himmel schüttelte bereits mitleidig seine ersten Flocken herab, für uns der beste Schutz und die sicherste Hoffnung des Entkommens.

In weiser Voraussicht eiligen Aufbruches hatte ich schon nachts mit in den Schlafsack zwei Konservenbüchsen geschoben, Fleisch mit Gemüse, und der Inhalt der Blechdosen hatte denn auch in all den Stunden Körpertemperatur angenommen und ließ sich unangewärmt verzehren. Ein Schluck Whisky dazu mußte genügen, dann brachen wir auf.

Wir kamen auch rasch vorwärts, ich war stets mit Taito ein wenig voraus, um die günstigsten Wege zu erkunden, und wenn auch der schnell stärker werdende Schneesturm einige Nachteile hatte, so brachte er uns doch die Gewißheit, daß unsere Fährten rasch verweht und von den Hunden nicht mehr gewittert werden würden.

Wir mochten so etwa eine Viertelmeile zurückgelegt haben, als sich etwas sehr Eigentümliches ereignete, das uns wiederum an den unbekannten Freund erinnerte.

Taito zeigte plötzlich in einer besonders schmalen Gasse, über die der Sturm mit bösem Pfeifen hinwegstrich, deutlich durch ein leises Knurren und durch sein gesträubtes Rückenhaar an, daß hier in der Nähe nicht alles in Ordnung sei.

Ich hatte allerdings von vornherein damit gerechnet, daß Smauser und hauptsächlich der Polizeichef Cortys schlau genug sein würden, einzelne Leute als Wachen in dieser Eiswildnis zu verteilen, in der wir ja irgendwo bestimmt stecken mußten. Anderseits hatte ich mir gesagt, daß diese vorgeschobenen Posten bei der Unübersichtlichkeit des Geländes wenig ausrichten würden, wenn wir nur etwas behutsam zu Werke gingen.

Ich gab Mita einen Wink, zurückzubleiben, legte den Rucksack ab und schlich mit Taito an der Leine weiter, kam schon nach zehn Schritt an eine Biegung und gewahrte dann vor mir eine flache, kahle Stelle, gleichsam einen freien Platz inmitten der Eisstadt, und auf diesem Platz eine Eissäule, die man recht gut als Denkmal ansprechen konnte. Trotz des Schneegestöbers sah ich noch mehr: Am Fuße der Säule lag einer der in Pelze gehüllten Matrosen, neben ihm sein Karabiner, und in einer Spalte ein dunkles viereckiges Kästchen sowie ein Paket in Öltuch gehüllt.

Taito winselte jetzt, schnüffelte, winselte abermals, – ich kannte diese Töne: Der Mann da vor uns war tot!

Erfroren?!

Nein, als ich mich über ihn beugte, als ich den Körper halb umdrehte, sah ich in der Stirn über der Nase ein winziges blutiges Fleckchen.

Ich wußte genug: Erschossen von derselben Hand, die auch schon in der vergangenen Nacht mit so tödlicher Sicherheit die Kugeln aus einer lautlosen Waffe abgefeuert hatte.

Mehr noch: Der Mann war noch völlig warm, das bärtige Gesicht hatte noch Farbe, und meiner Schätzung nach, konnte der Posten erst vor kurzem ausgelöscht worden sein.

Dann das Erstaunlichste: Der Kasten aus Eisen war ein kleiner tragbarer Ofen für eine besondere Art von Preßkohlen, die außerordentlich lange, ohne Qualmentwicklung und unter starker Hitzeausstrahlung brannten, – eben die modernste Art von Zeltöfen für Polarexpeditionen.

So unheimlich es mich nun auch berührte, daß der unbekannte Freund, der uns vielleicht dauernd im Auge behalten hatte, zweifellos für uns hier den Ofen bereitgestellt und den Wachtposten erbarmungslos erschossen hatte, ebenso stark war auch mein Gefühl des Dankes, denn dieser Ofen und dieses Paket Preßkohlen bedeuteten für uns ein Geschenk Gottes. Die Vandermar-Expedition hatte solche Trageöfen nicht mit sich geführt, – Smauser und Konsorten waren auch in dieser Hinsicht besser ausgerüstet.

Ich schickte Taito zu Mita zurück, – ich selbst konnte der Versuchung nicht widerstehen, wenigstens oberflächlich mich nach den Fährten des geheimnisvollen Gönners umzutun, fand auch Spuren, ersah daraus jedoch nur, daß es sich um einen Mann von mittlerer Größe handeln könne – der Schrittlänge nach.

Dann setzten wir die Wanderung fort. Mita hatte den Toten nur mit einem Blick gestreift. Sie fragte nicht viel, auch sie sah ein, daß der Zeltofen uns sehr nützlich werden mußte.

Allerdings – mein Gepäck war nun um gut dreißig Pfund schwerer, und als wir abermals eine Viertelmeile zurückgelegt haben mochten, machte ich in einer kleinen Eisgrotte halt und massierte mir die überanstrengten Wadenmuskeln, in denen ich bereits das leise Ziehen und Zerren verhängnisvoller Krämpfe spürte.

Bei einer solchen Flucht wie damals, bei so engster Gemeinschaft mit einer Frau, bei so verschiedenartigen, nicht zu umgehenden rein menschlichen Dingen fällt jede Prüderie von selbst fort.

Mita half massieren. Wir nahmen dazu etwas Whisky und Fett, und als wir wieder aufbrachen, durfte ich hoffen, daß meine Beinmuskeln sich an die übermäßige Körperbelastung gewöhnen würden.

Das Schneetreiben wuchs. Als wir die letzten verstreuten Blöcke im Nordosten verließen, glichen wir bereits wandelnden Schneemännern, und das Landschaftsbild ringsum war eine düstere, totenstille, verschleierte Unendlichkeit.

Trotzdem: Links von uns mußte Bert Bengs Eismauer liegen, weit vor uns die lange Eisspalte, die uns dann wohl zu einem unerwünschten scharfen Bogen nach Süden zwingen würde. Vorläufig war es noch nicht so weit, – viele Stunden würden noch vergehen, bis wir die Stelle erreichten.

Jetzt ließ ich Taito den Pfadfinder spielen, denn sein untrüglicher Instinkt würde die gefährlichen, leicht überbrückten Eisklüfte, die uns im Moment verschlingen konnten, mit Sicherheit wittern. Ich behielt ihn an der Leine, ich regulierte nach dem Kompaß die Richtung, und so tappten wir denn weiterhin durch diese fahle Dämmerung des emsigen Flockenregens und durch die kalte, trostlose Wüste der Antarktis … weiter, immer weiter, über Hügel und Eisbarrieren, durch Täler und Schluchten – – weiter, immer gen Nordost, – – von der Riesenfackel des brennenden Kohlenlagers war nichts zu bemerken.

Mittags dann – der Ort war günstig – bauten wir das kleine Zelt unter Wind auf, kochten ab, probierten den Ofen, sparten mit den Kohlen und aßen und schliefen – drei im Schlafsack, drei, die nun die Verfolger abgeschüttelt hatten.

Die Verfolger – das wohl!

Doch nicht die ungeahnten Schrecken des Südpols …

 

7. Kapitel.

Die Brücke der Erkenntnis.

Nansens „Durch Nacht und Eis“, die zweibändige Schilderung seiner Nordpolarfahrt mit der berühmten „Fram“ und der daran anschließenden Schlittenreise, wird für alle Zeiten das eine Dokument des Wagemuts kühner Männer sein, das eine ganze Welt begeistert aufnahm. Jugend und Alter, Gelehrte, Künstler, Arbeiter, – niemand konnte sich dem Reiz dieser schlichten Tagebuchführung, dieser bewußt vornehmen Zurückstellung hohler Selbstbeweihräucherung entziehen. Kein Werk über Polarforschung, über Forschungsreisen überhaupt hat je wieder derartige Auflagen erlebt.

Künstlerisch wertvoller, weil mehr ans Gemüt packend, ist mein Landsmann Sven Hedin, der Bezwinger von Tibet, der Sieger des Himalaya. Seine Bücher atmen Seele, Liebe zur Natur, gehen bei Schilderungen von Völkern und Menschen mehr in die Tiefe.

Neben diesen beiden Namen Nansen und Hedin verblaßt alles andere.

Nansen zeigte uns in erschreckender Nüchternheit das Grauen der Polarländer, – – und als ich damals nach einem endlosen Schlaf, der infolge Überanstrengung fast Betäubung war, erwachte und erst allmählich mir bewußt wurde, was in diesen Stunden geschehen, da habe ich im ersten Erschauern vor dem Wahnsinn dessen, was wir gewagt hatten, an Nansens Berichte über eingeschneite Zelte denken müssen.

Eingeschneit?! – Begraben waren wir unter einer Schneelast, die das windige Zelt völlig eingedrückt hatte, – ich versuchte mich zu erheben, stieß mit dem Kopf gegen eine elastische Wand, tastete umher, sah nichts – auch nicht die geringste Spur eines Lichtschimmers, merkte, daß die Luft vollkommen verbraucht war, rüttelte Mita wach, was sehr viel Mühe machte, und begriff endlich, daß diese Benommenheit des Kopfes und diese Bleischwere in den Gliedern bereits halbe Erstickungserscheinungen waren.

Taito mußte helfen. Taito würde schon eine Stelle finden, wo die Schneelast nicht allzu dick war, wo er sich hinaus ins Freie arbeiten könnte. Aber Taito erging es nicht anders als uns, er war genau so träge, unlustig und gleichgültig, – sogar Mita klagte weinerlich, es sei doch so wundervoll warm hier und sie sei so müde, – dann gähnte sie herzhaft, lehnte ihren Kopf an meine Brust und atmete röchelnd …

Ich gedankenloser Tor, der ich wunder wie klug zu handeln geglaubt hatte, als ich das Zelt im Schutz einer Eiswand aufbaute! Daß über diese Wand der Schnee in ganzen Wolken stäubte und daß bei der geringsten Winddrehung gerade hier eine mächtige Schanze zusammenwehen mußte, – das übersah ich, und jetzt hatten wir diese Unachtsamkeit gründlich zu bereuen. Es blieb mir nichts anderes übrig, – ich packte Taito beim Genick, lockerte den Zeltvorhang und stieß den strampelnden Hund mit aller Kraft in die Finsternis des Pulverschnees wie in schwarze Watte hinein, gab ihm hinterwärts noch einen gehörigen Puff und zog Hand und Arm zurück, – natürlich rieselte der Schnee herein, schmolz sofort und verschaffte uns eine so kühle erfrischende Dusche, daß Mita leise kreischte, dann jedoch wirklich munter wurde und übermütig lachte und beteuerte, ihr sei ein solches eingeschneites Zelt gar nichts Neues, sie habe Ähnliches als Kind oft erlebt, und Taito würde schon einen Tunnel graben, wir sollten uns nur getrost auf seine Intelligenz verlassen.

Taito war vorläufig verschwunden. Wir hörten ihn schnauben, keuchen, – dann nach einer geraumen Weile ein schwacher Schimmer von Tageslicht, – Taito bellte, der Tunnel wurde weiter, breiter, und das brave Tier tauchte plötzlich wieder auf, mit ihm drang eisige Luft herein, und ich unternahm es nun, ebenfalls da draußen einmal Umschau zu halten, gelangte auch glücklich ins Freie und sah, daß ein neuer Tag inzwischen heraufgezogen, daß der Himmel blaßblau, die Sonne matt und farblos und die weiße Wildnis nun stellenweise von haushohen, spitzen Schneeschanzen bedeckt war, zwischen denen Eisflächen, verkrustete Schneefelder und Spitzen und Zacken fast freudig schimmerten und glänzten.

Eine Stunde drauf hatten wir unser Zelt glücklich samt Gepäck aus dem Schneeberg geborgen und auf blankem Eise aufgestellt. Es war unbarmherzig kalt, es war vielleicht der kälteste Tag, den ich dort in der Antarktis erlebte. Der Zeltofen und der Lampenkocher halfen sehr wenig, wir froren, daß uns die Zähne klapperten, unsere Körper waren in der Nacht allzu durchhitzt unter der wärmenden Schneedecke, und erst der heiße Tee mit einem Schuß Rum und eine reichliche warme Mahlzeit brachten uns wieder leidlich ins Gleichgewicht, so daß wir daran denken durften, den Marsch fortzusetzen. Unsere durchschwitzten Unterkleider hatten wir gewechselt, – darauf war es mir angekommen, denn nur so konnten wir der Gefahr einer Erkältung entgehen. Inzwischen hatte ich mir auch überlegt, daß es vorteilhafter sei, wenn wir aus den beiden Bootshaken, unseren bisherigen Bergstöcken, und den Teilen der Zeltstangen einen Schlitten herstellen würden, der sich weit bequemer würde ziehen lassen, als die schweren Rucksäcke zu schleppen. – Mita half bei dieser Arbeit. Wir hatten nur Stricke zur Verfügung, die Schlittenteile konnten wir nur zusammenbinden, und da diese mühselige Arbeit ohne Handschuhe ausgeführt werden mußte, erfroren uns fast die Finger. Immer wieder mußten wir die Handschuhe überziehen, immer wieder aufs neue diese Pein erdulden, – aber wo ein Wille, da ein Vollenden!

Von Mita lernte ich damals die sogenannten Eskimoknoten schürzen, das heißt Holzteile durch Stricke so fest vereinigen, daß ein Nagel oder eine Schraube kaum Besseres leistete als diese kunstvollen Strickwindungen, die, nachher mit Wasser übergossen, zu förmlichen Eisenbändern erstarren.

Eine Wolldecke lieferte schließlich die Zuggurte und noch ein Geschirr für Taito, der freilich zunächst, solcher Tätigkeit ungewohnt, sich heftig sträubte, bis es ein paar Jagdhiebe setzte.

Dann Aufbruch, – und wie spielend leicht war nun das Marschieren, wie rasch kamen wir vorwärts und wie schnell kreiste unser Blut wieder frisch und kräftig durch die Adern. –

Dieser Morgen war genau so trügerisch wie all das bisher Erlebte, – wir gaben uns Hoffnungen hin, die die Zukunft mit einem Schlage zerschmetterte, – wir schwatzten und lachten und waren wie die Kinder, die frohlockend, ahnungslos auf dünnem Eise sich tummeln.

Drei Stunden, dann hatten wir den Eisschlund vor uns. Wir erreichten ihn genau dort, wo Bert Bengs Riesenmauer an diesem Abgrund ihr Ende fand.

Wir machten halt, es gab hier viele Schneewehen, die über Vorsprünge des Randes der Eiskluft herabhingen und festen Boden vortäuschten, wir bauten das Zelt hier nicht auf, denn der Gedanke, daß die Überwindung des Abgrundes uns den Weg zu Bengs Oase öffnen würde, stachelte unsere Unternehmungslust und Tatkraft bis zu nervöser Überreizung an. Mita meinte, irgendwo würde wohl eine Eisbrücke den zumeist zehn Meter breiten Gletscherkanon überwölben, wir sollten nur suchen und immer südwärts am Rande uns halten.

Wir taten es …

Und schon eine Viertelstunde drauf sahen wir die Eisbrücke, – die Brücke des Unheils, – – Mita jubelte, sie hatte also recht gehabt, und am liebsten wäre sie sofort hinaufgestürmt, – verärgert schaute sie mich an, als ich sie warnend zurückhielt, ich wußte wohl, welcher Impuls sie vorwärtstrieb: Liebe, und Liebe ist blind!

„Mita, wir werden erst einmal versuchen, ob der Eisbogen auch wirklich hält …“

„Aber – bei der Dicke, Olaf, – weshalb lange zögern, – so laß mich doch, ich bin doch kein Kind mehr …!“

„Du bleibst!“ Und den Ton kannte sie noch nicht. „Du wartest, bis ich zunächst einmal Schritt für Schritt die Brücke geprüft habe, es liegt viel Schnee dort oben, und …“

Sie wandte sich schroff zur Seite.

Es tat mir weh. – Zwei Menschen, ein Hund in dieser grauenvollen, trostlosen weißen Einsamkeit, an der sich das halb geblendete Auge so rasch satt sieht, – zwei Menschen, aufeinander angewiesen wie nirgend anderswo in der Welt, und zwischen ihnen als entfremdendes, trennendes ungewisses Etwas – – die Liebe!

Es tat mir weh, genau so weh wie damals, als Mita unter dem ersten Eindruck ihrer Bekanntschaft mit Bert Beng die Beziehungen zu mir so jäh gewandelt hatte. – Ich trug ihr nichts nach, ich hatte in diesen letzten Jahren gelernt, für vieles Verständnis aufzubringen, was mir bis dahin gänzlich entlegenes Gebiet des Seelenlebens gewesen war. Ich hatte so oft herbe Enttäuschungen überwunden, hatte die freundschaftlichen Gefühle von Frauen, die von der grausamen Not mir zur Kameradin erkoren waren, überwertet, hatte Augenblicksstimmungen für tiefes Empfinden hingenommen, – ich hatte mich bescheiden gelernt, und nicht einmal Dankbarkeit verlangte ich mehr.

Schweigend betrat ich den Brückenbogen, benutzte den Büchsenkolben als tastende Stütze, schickte den angeseilten Taito voraus und benahm mich so vorsichtig, wie ich es auch hier unbedingt als meine Pflicht erachtete.

Die Brücke hielt, und als ich drüben war und zurückblickte, winkte Mita mir etwas spöttisch zu.

„Ich wußte es ja, Olaf …! Weshalb nur diese Verzögerung?!“

Und trotzig und übereilt packte sie die Gurte des Schlittens und lief … lief mir entgegen, achtete nicht auf meinen warnenden Zuruf, – ich sprang vorwärts, ich hörte das verdächtige Knirschen sich reibenden Eises, – ich bekam gerade noch Mita mit der einen Hand, den Schlittengurt mit der anderen zu packen, schleuderte Mita nach hinten, stemmte mich gegen eine Eiskante, – – prasselnd und krachend sauste das Mittelstück der Eiswölbung in die Tiefe, ebenso der schwere Schlitten, – das Herz blieb mir stehen, – würde ich den Ruck des niedersausenden Schlittens aushalten, würden die Gurte etwa reißen, würde unter mir das Eis gleichfalls wegbrechen …?!

Ich warf mich halb zurück, … dann kam der gefürchtete Ruck, – die Last riß mich nach vorn, aber diese Last wurde leichter, … ich widerstand der jähen Wucht dieses Anpralls, – – nur deshalb, weil die Hälfte des Gepäcks mit in den unergründlichen Schlund kollerte auf Nimmerwiedersehen, – – um den Preis rettete mir die Vorsehung das Leben: Was ich dann samt dem Schlitten wieder emporzog, war kaum noch die Hälfte unseres wertvollen Gepäcks, der Zeltofen, die meisten Konserven, ein Bündel Wäsche, – vieles andere verschlang der Rachen der Antarktis.

Was half es nun, daß Mita leichenblaß in die Knie gesunken war, daß sie bitterlich weinte, daß sie heiße, gute, ehrliche Worte der Reue fand?!

Unser Schicksal war besiegelt, wenn wir nicht in wenigen Tagen Bert Bengs Oase erreichten! Wir hatten gerade noch Lebensmittel für etwa sechs warme Mahlzeiten, hatten nur noch die Kochlampe, das Zelt, den Schlafsack …!

Damals – ja damals hatte Mita mich wieder umklammert und sich an mich geschmiegt und mich geküßt – wie ein ungezogenes Kind, das den Vater versöhnen möchte.

Damals …

Und dann sind wir drei nordwestwärts gewandert mit dem Schlitten, der fast nichts mehr trug, der federleicht geworden, den Taito allein ziehen konnte, – wir drei, ins Ungewisse hinein, – – und jetzt nach einer neuen Schneesturmnacht lagern wir hier in diesem Eisdom eines Eisgebirges, wir haben gerade noch zwei Konservenbüchsen, wir haben nur noch eine Büchse Karbid für die Lampe.

Nichts weiter, – keinen Schluck Alkohol, keine Teeblätter, kein Hartbrot …

Nur uns haben wir, zwei Menschen, ein Hund, dem sicheren Tode des Verhungerns überantwortet, – zusammen sterben dürfen wir, denn Bert Bengs Oase muß dort im Nordwesten jenseits dieses weißen, himmelhohen Gebirges liegen, das wir nie übersteigen können …

Wochen brauchten wir dazu. Und umkehren?! Genau so aussichtslos! Selbst wenn wir uns Sir Smauser auf Gedeih und Verderb ausliefern wollten: Wir würden den Fackelberg nie mehr erreichen – nie! – –

Und das ist die Stimmung, in der ich hier, auf den Knien den Blechkasten als Unterlage, mein Tagebuch vollende. Vielleicht werde ich es nie mehr zur Hand nehmen, vielleicht wird Mita, die dort im Schlafsack mit Taito ruht und zweifellos nicht schläft vor neu erwachten Gewissensbissen, auch morgen behaupten, sie habe keinen Hunger, und dann wird es wieder zu heftigen Worten meinerseits kommen, da ich weiß, daß Mita hungern will, um mir und Taito das Leben zu verlängern, – – welche Torheit, – als ob schon etwas daran läge, wann wir in den bleiernen Schlaf der Erschöpfung versinken, aus dem es dann kein Erwachen mehr gibt, weil der leere Leib keinerlei Wärme mehr aufbringt, weil auch Taitos Fell erkalten wird …!

All das – – Bert Bengs wegen!!

Welche traurige Komödie im Grunde, – denn weiß Mita etwa, ob dieser Beng ihre Gefühle je erwidern wird?! Nichts weiß sie, – aber das Weib in ihr, dieses ewig Unvollkommene, dieses ewige Rätsel, dieses vielleicht berauschende, entzückende, beglückende Fehlen jenes allerletzten Merkmales des Mannestums, das kühl-kritische Abwägen, das Ausscheiden gefühlsmäßiger Impulsivität, das Handeln nach den Grundsätzen einer unbeeinflußten Sachlichkeit, – das Weib in ihr sehnte sich nach dem, dem ihr Herz beim ersten Anblick entgegenflog, und so brach das Unheil über uns herein, zerbrach die Himmelsbrücke zum Lande der Liebe und warf uns in die Gefilde des ewigen Schweigens. – –

„Olaf, wohin willst du?“ – Mitas Kopf taucht aus dem Schlafsack auf, und das kalte, leise zischende Karbidlicht läßt ihre Züge noch verfallener, noch bleicher erscheinen.

Ich stehe schon am Eingang, habe den Zeltvorhang gehoben, halte die Lampe in der Hand.

„Ich mag mich getäuscht haben, Kind, aber mir war es, als hörte ich draußen auf den Schneefeldern Hunde kläffen … Es können nur Wildhunde sein, Mita, Nachkommen jener hier ausgesetzten Tiere, von denen auch Bert Beng seine Meute schuf … Wenn ich ein Tier erlegen könnte, hätten wir wieder Nahrung auf drei, vier Tage … Vielleicht schieße ich auch zwei … vielleicht. – Nein, du bleibst hier, Kind, auch Taito!“ Und den Ton kennt sie schon, dann duckt sie sich scheu zusammen …

„Wiedersehen, Kind … Die Lampe stelle ich an den Ausgang der Höhle, – hier hast du mein Feuerzeug …“

Der Vorhang fällt herab, und über mir und um mich her sind nichts als die köstlichen gefrorenen Spiegelwände dieses Prunksaales der Antarktis, – ein Dom von unendlicher Höhe, so hoch, so weit, daß die Ausdrücke Grotte, Höhle gar nichts besagen.

Das Licht der Lampe, nur ein elendes Kerzlein in dieser Glashalle, spiegelt sich trotzdem in abertausend feinen Reflexen auf den abertausend feinen Spiegelflächen und blanken Kanten und Zacken und Altanen, die aus den Wänden hervorspringen wie Gebilde eines Entwurfs eines wahnwitzigen Künstlers, der hier seine bizarren architektonischen Launen und Einfälle sich austoben ließ …

In diesem Dom möchte ich ein einziges Mal ein grünes, bengalisches Feuer abbrennen … Es müßte ein Anblick sein, dem nichts auf Erden gleichkäme.

In diesem Dom brennt nur das kalte weiße zischende Flämmchen der Karbidlampe, mit der ich nun die weiten, breiten Stufen zum schmalen Eingang emporsteige – schmal wie eine neidische enge Kluft, die den Zutritt verwehren möchte …

Taito fand sie. Taito führte uns so ins Innere des Eisgebirges, und fünfzig Meter von dieser Eispforte entfernt steht das Zelt.

– Ich habe Mita soeben belogen, ich habe kein Hundegebell vernommen, ich habe lediglich die Sehnsucht nach völligem Alleinsein verspürt und nach einem Blick über die nächtlichen Schneefelder da draußen, die so frei und endlos und unberührt sich in Wellen und Hügeln und Kuppen bis dorthin erstrecken, wo die Magnetnadel versagt, wo die Erdachse unserer Kindermärchen aus dem Eise hervorragt und von kleinen gelbbraunen Eskimos mit Tran beständig geschmiert wird – wie eine Wagenachse mit Fett … – und der Punkt, das wäre dann doch noch nicht einmal der Südpol, das wäre nur der magnetische Pol, – – die Gelehrten machen da einen feinen Unterschied, und es wird wohl stimmen, was sie behaupten …

Da vor mir drängten sich die Wände des Domes zusammen, dort ist schon die schmale Spalte, die ich mit Eisstücken verbaut habe, weil ich der Kälte den Weg in diesen Tempel der Ewigkeit versperren wollte. Hier drinnen ist es immerhin etwas, etwas wärmer, und wenn man das Gehör sehr anstrengt, kann man irgendwo hier das leise, leise Geräusch fallender Tropfen vernehmen – – irgendwo …

Ich stellte die Lampe auf einen Vorsprung der Wand, bückte mich, will den Eingang freimachen. Die Arme sinken herab, und meine Augen fressen sich fest an einem grauen Häuflein, das noch eine gewisse Form bewahrt hat:

Zigarrenasche!!

Hier – – Zigarrenasche!! Und mein geringer Vorrat von Zigarren liegt dort, wo auch der Zeltofen liegt, den der fremde Gönner uns spendete – im Abgrund.

Zigarrenasche, – nichts anderes, und die sollte ich übersehen haben bisher?! Die hätte ich längst zertreten zu grauem Nichts, wenn sie schon gestern abend hier gelegen hätte!

Mithin – –

Und – mein Blick irrt umher, die Hand tastet nach der Waffe …

Die Smauser-Bande?!

Sollten die Kerle mit ihren Motorschlitten und Hunden und reichen Vorräten etwa doch unsere Spur gefunden haben?

Ich stehe halb geduckt … alle Muskeln angespannt …

Dort mein Eisverhau in der Spalte ist unberührt, von dort kann niemand eingedrungen sein …

Wie sonst?!

Mein Herz pocht eiliger …

Nochmals prüfe ich die Eisbarrikade …

Dann mit der Lampe, tief gebückt, die Augen auf dem Eisboden, – – ich suche … suche …

Spuren müßten hier vorhanden sein, vielleicht die scharfen Kratzer eines Bergstockes, vielleicht die anderen Kratzer von derben Stiefeln, mit schwarzen Nägeln beschlagen … Solche Stiefel trägt Bert Beng …

Ich suche … Ich will finden, – und ich finde – – keine Spuren, – – anderes, – ich bin schon über unser Zelt hinaus vorgedrungen, und da sehe ich auf einer der kleinen Eissäulen Dinge liegen, die mir einen Schrei aus der Brust pressen.

„Mita … Mita …!!“

Der Schrei hallt wieder, Echos leben auf, aus Winkeln und Ecken schreit es hervor mit meiner Stimme im wilden Chor:

„Mita … Mita …!“

In diesen Minuten, bis sie atemlos bei mir anlangt, umtanzt von dem dummen, braven Taito, der nur einen übermütigen Scherz vermutet, fühle ich so recht, wie dieses junge Weib mir ans Herz gewachsen ist trotz der kleinen Enttäuschungen, – nicht als Weib, nur wirklich als das, was sie mir noch immer sein kann: Als Kind, als Schützling, als Kameradin, die ohne mich hilflos wäre!

Ich halte die Lampe ganz hoch, damit die Oberfläche der kurzen dicken Säule hell beschienen wird. Dort oben liegen ja, unter den Wolldecken deutlich in den Umrissen zu erkennen, Stapel von Konservenbüchsen, da steht ein neuer Zeltofen, da ist vielerlei anderes, was uns bitter nottut, was wir seit Tagen entbehren.

Ich habe Mita den Arm um die Schulter gelegt, lüfte die Decken, und wir staunen die Gaben an, die uns vielleicht abermals der geheimnisvolle Freund gespendet hat.

Diesmal irren wir uns, denn dort ist ein Zettel zwischen zwei Büchsen geklemmt, es ist Bert Bengs derb hingehauene Schrift, und der Inhalt dieser Nachricht dämpft unsere Freude und beweist uns, daß Bengs Oase uns verschlossen bleiben soll.

Kehren Sie an der Nordseite des Abgrundes zur Küste zurück, halten Sie stets genau die Richtung nach Osten ein, und Sie werden hart vor dem offenen Meer drei hohe Gletscherberge bemerken, die weithin zu erkennen sind. In einer Wassergrotte des mittleren finden Sie den Kutter, mit dem ich hierher kam. Benutzen Sie ihn zur Rückkehr in bewohnte Gegenden. In der Heckkajüte unter der einen Teppichecke finden Sie genügend Geld. – Versuchen Sie auf keinen Fall, mich hier irgendwie zu erreichen. Meine Aufgabe beende ich allein. – B. B.

Mita lacht leise – ein kühnes, frohes Lachen.

„Dann wirst du allein zur Küste wandern müssen, Olaf. Ich gehorche nicht, ich will Beng wiedersehen, ich will wissen, was es mit dem Isiskopf auf sich hat.“

Wir sehen uns an und lächeln uns an. Es bedarf keiner Worte mehr zwischen uns. Wir hegen dieselben Gedanken, und in diesem freimütigen Geständnis, Bert Bengs Großmut mit Ungehorsam gegen seine Wünsche zu belohnen, liegt zugleich der endgültige Friedensschluß zwischen uns und das Vergessenwollen all dessen, was fremd und trennend zwischen uns getreten war.

„Mita, hast du jetzt vielleicht Hunger?!“ frage ich scherzend.

„Bärenhunger!“ nickt sie strahlend.

Es wurde ein Festmahl in dem Zelt, es wurde für Taito eine Schlemmerstunde, es war so warm und behaglich und geradezu sonnig in unserer engen Leinwandhütte, daß der gewaltige Eisdom über uns neugierig seine kalten Riesenohren gespitzt haben mag ob dieser fröhlichen Stimmen und prüfend mit seiner Riesennase geschnüffelt haben mag, so feine Düfte stiegen ihm ins eisige, blanke Antlitz.

Es bedurfte auch keiner langen Erörterungen, wie wir Bert Beng finden würden. Diese Gletschergrotte mußte zu ihm führen, wir brauchten nur eins: Sorgfältig nach Spuren zu suchen, – hatten wir erst die Spur, dann tat Taito schon das übrige. Lediglich über eins gab es Meinungsverschiedenheit: Ob sofort aufgebrochen werden sollte. – Mita wollte unverzüglich den Marsch antreten, ich war mehr für ein gründliches Ausschlafen erst, – aber diesmal gab ich nach …

Ich hatte auch dafür einen Grund, den ich Mita jedoch nicht mitteilte: Der neue Zeltofen stammte zweifellos wieder aus den reichen Vorräten der „Australia“ des höchst ehrenwerten Sir Jonathan Smauser, und diese Frage zu lösen, wie Beng in den Besitz des Ofens gelangt war, bot so viele nicht ganz harmlose Möglichkeiten der Antwort, daß die Neugier auch bei mir die gewohnte behutsame Überlegung zurückdrängte. –

Taito nahm die Spur an, und mit dem hochbepackten Schlitten wagten wir uns hinein in die unbekannten Tiefen des Eisdomes, der in vielfachen Windungen immer wieder nach Süden sich durch das Gebirge zog. Bereits nach zwei Stunden wuchs das klingende Geräusch fallender Tropfen zu einem feinen Wispern und Brausen an, wir stießen auf kleine Wasserpfützen, wir spürten die wärmere Luft, und eine weitere halbe Stunde zeigte uns die Riesenwölbung des Ausgangstores, Sonnenlicht dort draußen und ein Land mit kahlen Felsen, Sandstrecken und nur vereinzelten Schneehalden und Gletscherresten.

Bert Bengs Oase also …!

Andächtig, stumm standen wir an der Grenze dieses unwahrscheinlichen, von Eisgebirgen umsäumten Gebietes. Die Sonne beleuchtete träge dieses Wunder, – und ein Wunder war es, obwohl anderswo diese Felsen, dieser Sand, diese Wassertümpel und diese Scharen von Seevögeln, die hier überall in den Winkeln der Granitblöcke nisteten und die Luft mit ihrem frohen Kreischen erfüllten, keinerlei Beachtung gefunden hätten.

Was hier in der Antarktis ein Wunder, galt in wärmeren Regionen nur als kahle Felssteppe. Uns war es mehr als Wunder, uns war es Paradies, Land der Verheißung, Rettung vor dem weißen Grauen der weißen froststarren Einsamkeit.

 

8. Kapitel.

Ein Mädchen von Stein.

Es ist schon dafür gesorgt, daß auf jede große Freude der Rückschlag folgt. Es gibt eben nichts Vollkommenes in der Welt, und wer allzu böse Enttäuschungen vermeiden will, tut gut, all und jedem mit einer gewissen abwartenden Freude entgegenzutreten.

Ein Glück war es, daß ich durch eine weiße Wolke von Möwen, die sich urplötzlich von einem zackigen Hügel mit wütendem Kreischen erhob, rechtzeitig mißtrauisch wurde. Den Schlitten hatten wir noch in der Eishöhle gelassen, Taito war angeseilt, und so konnten wir sehr rasch hinter einer Sandwelle, die von einzelnen Steinen gekrönt war, Deckung nehmen.

„Was gibt es, Olaf?“ fragte Mita etwas atemlos.

„Entweder ein Mensch oder Wildhunde haben dort drüben die Vögel aufgescheucht,“ – – und kaum gesagt, tauchte auch schon in der Ferne ein Mann zwischen den Hügeln auf, der offenbar Möweneier suchte. Er bückte sich immer wieder, hatte eine Büchse umgehängt und trug in der Linken einen Korb aus Weidenruten.

Die Entfernung war noch zu groß, ich mußte das Glas zu Hilfe nehmen, und dann entschlüpfte mir ein Laut peinlichster Überraschung: Der Mann dort im blauen Bordanzug und blauer Seglermütze war kein anderer als der blasse, entnervte Edward Smauser!

Er war nicht allein …

Ein zweiter Kopf erschien, bedeckt mit einer flotten Lederkappe, und Miß Ruths überschlanke Gestalt, in ein Sportkostüm gezwängt, näherte sich ihrem Bruder und deutete mit der Hand auf das in der Eiswand klar erkennbare gewaltige Loch – auf den Torbogen des Domes.

Das Auftauchen dieser beiden Mitglieder der zweifelhaften Australia-Sippe konnte nur die eine folgenschwere Erklärung finden: Bert Beng mußte in der verflossenen Nacht seinen Feinden in die Hände geraten sein, nachdem er uns so großmütig die Lebensmittel und all das andere gespendet hatte, – Smausers Leuten war mithin das geglückt, was wir beide, wir drei nicht erreicht hatten, nämlich den südlichen Zugang zu diesem Paradies der Antarktis zu entdecken!

Mit einem Schlage war so die Sachlage völlig verändert, damit auch unsere Aufgabe, unser Ziel, – aus Neugierde, Sehnsucht, Wißbegier erwuchs die eherne Pflicht, hier helfend einzugreifen.

Ich hatte Mita flüsternd von dem Beobachteten verständigt, – sie hielt Taito schleunigst die Schnauze zu, der bereits drohend zu knurren begann, – wir schoben uns noch weiter zwischen die Steine und warteten ab, ob vielleicht noch mehr Gegner diesen Teil der Oase mit ihrer Gegenwart so unerwünscht beglückten.

Die Geschwister kamen näher.

„Da ist noch jemand,“ raunte Mita mir zu. „Die Zofe, Olaf, diese anmaßende Person, du weißt schon …“

Jetzt sehe ich Grita Bresty. – Ob ich weiß!! Ein Mädel dieses Schlages übersieht man nicht! Kann man nicht übersehen! Meine erste Begegnung mit ihr war zu eindrucksvoll – dort oben auf dem Eissessel, und wie sie dann geschwind, gewandt hinabkletterte und mich aushorchen wollte, – Kammerkätzchen mit Krallen!!

Grita trägt den Korb, den eigentlich die vornehme Ruth tragen sollte, sie schlenderte gemächlich hinterdrein, auch im Sportkostüm, auch mit Lederkappe, aber alles eine Note derber und praktischer als Ruths koketter Aufputz.

Dann stutzt sie, bemerkt den Torbogen des Domes, ihre Gestalt strafft sich, und plötzlich beginnt sie zu laufen, holt die Geschwister ein und spricht zu ihnen.

Wir haben die drei nun in hundertfünfzig Meter Entfernung vor uns. Wir beobachten weiter. Auch jetzt bedarf es keiner langatmigen Beratungen zwischen Mita und mir: Die drei da werden ihren werten Vater nebst Anhang so bald nicht wiedersehen, – falls sie etwa in den Dom eindringen, den Schlitten entdecken und irgendwie verraten, daß sie uns hier vermuten. Unsere eigene Sicherheit verlangt derbes Zupacken, – Rücksichten gibt es hier nicht, das Gebot der Stunde heißt vielleicht am praktischsten: Die drei als Geiseln festhalten, und dann prüfen, wie es um Bert Beng steht!

Zwischen der blassen Ruth mit der vornehmen Müdigkeit der Bewegungen und Grita Bresty scheint es da Meinungsverschiedenheiten zu geben. Miß Ruth will offenbar den Eisdom besichtigen, Grita warnt sie, wird energisch, – der Kokainschnupfer steht als vollendeter Trottel, erhaben über jegliche eigene Meinung, an einer Zigarette kauend dabei.

Die Stimmen drüben werden noch lebhafter. Ruth Smauser schiebt Grita beiseite – oder versucht es doch jedenfalls.

Plötzlich läßt Mr. Edward seinen Eierkorb entsetzt fallen …

Hat Grund dazu …

Die schneidige Zofe hat ihren Korb rasch niedergesetzt, und das, was sie nun den Geschwistern zeigt, ist keine Konfitürenattrappe in Pistolenform.

„Prachtvoll!“ flüstert meine Kameradin bemeistert …

Es wird noch prachtvoller …

Grita Brestys frisches Gesicht hat einen Ausdruck angenommen, der keinerlei Zweifel darüber offen läßt, daß dies Spiel da um Leben und Tod geht.

Sie ruft etwas, – ein Befehl, der von Mr. Edward augenblicklich, von seiner Schwester zögernder befolgt wird.

Es ist ja auch schließlich nicht gerade angenehm für die Kinder eines frisch gebackenen Baronetts, sich bäuchlings in den Sand zu werfen und die Hände auf den Rücken zu legen.

Die Zofe Grita hat keinerlei Verständnis für das tief Demütigende dieser unfreiwilligen Freiübungen der beiden, faßt in die Tasche, holt eine Rolle schwarzen, geteerten Bindfaden hervor und fesselt erst Ruth, dann den Jammerlappen von Edward, der so hübsch mitten zwischen Möweneiern ruht, die nicht alle unzerbrochen blieben.

„Olaf, was bedeutet das?!“ fragt Mita wirklich sprachlos … mit Recht sprachlos.

Ich denke an Verschiedenes, auch an den Zeltofen von heute …

Zu einer Antwort komme ich nicht mehr, da das Mädel nun, mit ihrer Bindearbeit fertig, nach kurzem Blick über das Vorgelände direkt auf unser Versteck zueilt. Sie geht sehr rasch, die Pistole hat sie noch in der Hand, und dann erhebe ich mich … Mita springt auf, Taito schnüffelt, wedelt, und ich sage herzlich und strecke Grita die Rechte hin:

„Vielen Dank für alles, Miß Bresty …“

Die braunen, strengen Augen öffnen sich etwas weiter. „Wie soll ich das verstehen, Mr. Abelsen? für alles danken Sie?!“ – Meine Hand übersieht sie, wohl nicht absichtlich, in ihren Zügen lese ich Unruhe und Zerfahrenheit. Ihr Blick streift flüchtig meine Kameradin, wendet sich mir wieder zu …

„Ich weiß jetzt, Sie halfen uns in den kritischsten Momenten, Miß Bresty. Nur Sie können es getan haben … – es, und das war sehr viel, sehr viel!“

Der harte Zug um den kleinen Mund tritt noch schärfer hervor.

„Ja – die vier … Morde,“ sagt sie unendlich bitter … „Schlafmittel für die Hunde, – nun, es geschah für ihn, und für ihn werde ich auch noch Schwereres auf mich nehmen.“

„Bert Beng?“ wirft Mita zaghaft ein.

Ein trauriges Lächeln des Mädchens, – rasch wieder verschwindend: „Ja, auch für Bert Beng, das wohl, – aber er war Percy Coldawoor, den man hinrichtete, gegen den bestochene Zeugen auftraten, gegen den sich die Elite der reichen Verbrecher Melbournes zusammentat, um von ihm das zu erpressen, was er nicht preisgeben wollte. – Doch die Dinge, Mr. Abelsen, werden anderswo erörtert werden … Jetzt gilt meine Sorge Bert Beng. Ich weiß, Sie werden mir beistehen, und ich brauche Hilfe … Bisher konnte ich meine Rolle als Zofe ohne Zwischenfälle, die mein wahres Gesicht entblößen mußten, glücklich durchführen. Nun, wo ich vorhin Ihre Spuren im Sande bemerkte und sofort ahnte, daß Ihnen Entdeckung drohte, mußte ich eingreifen. Es durften hier keine Schüsse fallen, kein Lärm entstehen, mir war es bequemer, die beiden da unschädlich zu machen, Mita Mac Barny mag sie bewachen, wir werden ein Versteck finden, – es eilt, Mr. Abelsen, denn dieser elende Smauser hat uns drei ja nur deshalb auf die Möweneiersuche geschickt, um keine allzu weichherzigen Zeugen dabei zu haben, wenn er und Cortys und dieser jämmerliche Anwalt Gabriel Nohc Bert Beng vielleicht foltern … vielleicht …“ Ihre klare Stirn legte sich in Falten. „Gewiß, Beng wird die Schurken noch eine Weile hinhalten, Beng rechnet auf mich, aber ich fand keine Gelegenheit, die Geschwister abzuschütteln, Ruth ist nicht ganz ungefährlich, sie mag bereits Verdacht geschöpft haben … – Zaudern wir nicht, dort in den Felsen wird es schon ein Versteck geben, und wir beide genügen, Mr. Abelsen, Smauser hat nur seine Intimsten mit durch den Eistunnel genommen, noch den Doktor Gargell, der Ruths Millionen heiraten möchte, und den fetten Koch, der in Melbourne sein Hausmeister und nebenbei auch ein Erzlump ist …“

Wenn sie diese Namen und Personen erwähnt, stockt ihr das Wort in der Kehle vor Haß und Ekel. In ihren braunen Augen glüht es dann auf vor kalt berechnendem Vernichtungswillen, und vor uns hier macht sie kein Hehl aus dieser für ein so junges Weib fast unnatürlichen, weil im Widerspruch zu jeder fraulichen Weichheit stehenden Seelenverfassung. Und doch ist nichts an ihr, was etwa an jene Weibshyänen der großen französischen Revolution oder ähnlicher politischer Gärungszeiten erinnert, nichts von jenem blinden, satanischen Fanatismus, der diese Bestien in Paris schamloseste Tänze um die noch lebenswarmen Leiber der Geköpften aufführen ließ. Ein untrüglicher Zug von Schwermut vereint sich in diesem Gesicht mit dem rücksichtsloser, zielbewußter Härte, und lediglich tiefes Mitleid überkommt mich beim Anblick dieser frischen, sympathischen Erscheinung, die hier ihr düsteres Werk wiederum einen Schritt vorwärtsgetrieben hat.

Wortlos schreitet sie uns voran zu Jonathan Smausers Kindern, die noch immer in dieser lächerlichen Lage wehrlos im Sande liegen – um so lächerlicher, als des Jünglings Edward schwarze Tolle nach vorn geglitten ist und friedlich neben der schicken Bordmütze in dem gelben Brei zerstampfter Möweneier ruht.

„Steht auf – etwas fix!“ befiehlt diese Grita und hilft verächtlich bei dem traurigen Kokainwrack durch leichten Fußtritt nach.

Ruth ist schneller, – ihre schwarzen Augen, schräg gestellt wie die einer Chinesin, aber übergroß und jetzt von tückischer Verschlagenheit, mustern Mita und mich, tödliche Blässe entstellt da ihr Antlitz, um die dünne, gebogene Nase tauchen kreidige Flecken auf, die nachgetuschten, vollen Lippen öffnen sich, und nur mit Mühe würgt sie den entsetzten Aufschrei wieder hinab, der trotzdem als pfeifendes Gurgeln die rasch atmende Brust sprengen möchte.

Der Bruder Edward, äußerlich alles andere als imponierend, läßt vor Schreck den Unterkiefer fallen und stiert uns blöde an.

Das Schwesterchen faßt sich schneller, und in frechem Hochmut – hier eine leere, alberne Geste – wirft sie den Kopf in den Nacken und sagt mit sehr unsicherer Stimme: „Sie haben ja würdige Gesellschaft gefunden, Grita Bresty! Hoffentlich auch später am Galgen!!“ – und das anmaßende höhnische Lachen, das wohl mit der Überlegenheit der dreißig bis vierzig Australia-Banditen uns gegenüber rechnet, klingt schon freier, hoffnungsfroher.

Das Mädchen von Stein, das Mädchen ohne Erbarmen sagt nur scharfen Tones:

„Ich bin Grita Coldawoor, damit Sie es wissen, und wenn Sie mich noch ein einziges Mal nicht als Dame behandeln, werde ich Ihnen später bei der großen Abrechnung eine Pistole in die Hand drücken, und dann werden wir ja sehen, wer von uns auf zwanzig Schritt die Kugel genau über nachgezogene Augenbrauen setzt!“

Ruth Smauser-Barranal verfärbt sich abermals, und jetzt ist die Wirkung von Gritas Worten sehr nachhaltig …

Tonlos, wie ein ersterbender Hauch quält sich’s über Ruths leuchtende, prunkende Lippen:

„Seine Schwester …! Sie – – seine Schwester?!“

Grita Coldawoor hebt den Arm. „Genug, – dorthin in die Felsen, ihr beide! – Frau Barny, Sie nehmen dann dem Burschen den Karabiner ab, auch die Pistolen … Untersuchen Sie auch des Weibes Taschen. Der Hund leistet Ihnen Gesellschaft, und Ihre Repetierbüchse leihen Sie mir wohl, ich bin mehr auf System Winchester eingeschossen …“

Vor uns her schleichen die Geschwister, Edward mit krummem Rücken, schleppenden Füßen, – auch Ruth stolpernd und durch nichts mehr der dumpfen Gleichgültigkeit zu entreißen, die sie von dem Augenblick an umfing, als Grita Coldawoor ihren wahren Namen verriet.

Eine Art Laube aus Felsmassen, im Notfall leicht zu verteidigen, ist sehr bald gefunden. Ich schärfe meiner Kameradin ein, sich durch nichts bewegen zu lassen, etwa die Fesseln der Geschwister zu lockern und ebenso scharf auf Taito acht zu geben, der zweifellos wieder versuchen wird, die Riemen durchzubeißen, denn nichts bringt ihn so in stille Wut, als wenn er sich von mir trennen soll und sieht, daß ich bewaffnet davongehe.

Noch ein Händedruck zwischen uns, derselbe freundlich-ernste Abschied zwischen den beiden Frauen, – und doch, im letzten Moment drückt Mita das Mädchen mit dem Braunhaar noch an ihre Brust und küßt sie auf die Stirn, eine deutlich mütterliche Zärtlichkeit, für die Grita als weit jüngere nicht nur das rechte Verständnis hat, sondern auch ein leises Wort verschämten Dankes. Sie ist rot geworden, und als wir nun allein davonschreiten, sagt sie ganz schlicht und rührend ehrlich:

„Frau Mac Barny hat mich sehr in Verlegenheit gebracht … Bedenken Sie, was ich getan habe, Mr. Abelsen …! Niemals werde ich es vergessen, daß durch meine Hand fünf Männer starben. Ich bin dadurch wie … unrein geworden, aber ich konnte nicht anders handeln.“

Wir steigen gerade von den Hügeln in ein kleines Tal hinab. Ich spüre hier noch stärker einen warmen Luftstrom, der von Südwest herüberzuwehen scheint, und ich bin sehr froh, daß ich meine Pelzhüllen bei Mita zurückließ, obwohl ich in dem stark mitgenommenen Anzug aus Cordstoff und in dem schmierigen, durchschwitzten Hemd kaum eine gute Figur mache.

Das Mädchen neben mir erklärt mit etwas verträumter Stimme, die wohl vermuten läßt, daß jetzt angenehmere Erinnerungsbilder in ihr aufgetaucht sind:

„Mein Vater war Professor Harwey Coldawoor, der 1920 die Südpolexpedition des Herzogs von Fife als wissenschaftlicher Beirat mitmachte. Percy und ich – die Mutter hatten wir früh verloren – sollten den Vater niemals wiedersehen. Vielleicht ist Ihnen bekannt, daß auch jene Expedition unglücklich endete, nur der Herzog und zwei Matrosen wurden von einer treibenden Scholle geborgen. Kurz nachher verließ Percy London und ging nach Melbourne, um von dort weitere Nachforschungen nach dem noch ungewissen Schicksal einer Schlittenfahrt anzustellen, die unser Vater geleitet hatte. Ich blieb bei Verwandten in London, war in einem großen Handelshause beschäftigt und folgte Percy erst, als er mir eine Depesche und das Reisegeld geschickt hatte, er telegraphierte damals ganz kurz: „Reise sofort ab, erwarte Dich in Melbourne, Anschrift Peter Cold, bei Beng, Sherman-Street 22.“ – Meine Abreise verzögerte sich etwas, obwohl mir die Depesche, besonders meines Bruders neuer angenommener Name deutlich bewiesen, daß er Besonderes entdeckt haben müsse. Ich benutzte ein modernes englisches Schiff, fuhr bescheiden zweiter Kajüte, hatte auch die Vorsicht gebraucht, mich als Grita Bresty auszugeben, ein Name einer Freundin von mir, die mir ihren Paß lieh. Unterwegs, es war gerade im Indischen Ozean unweit von Aden, fing der Dampfer wieder einmal Radiodepeschen auf, die für die Passagiere zum Aushang kamen. Es war ein sehr heißer Morgen, ahnungslos lese auch ich die Neuigkeiten, plötzlich finde ich da an dritter Stelle die Meldung, daß der Raubmörder Percy Coldawoor vorgestern durch den Strang in Melbourne hingerichtet worden sei und daß sein Freund Bert Beng, Inspektor bei der dortigen Hafenpolizei, in der folgenden Nacht mit einem geraubten Kutter entflohen sei …“

Wir waren die Talwand emporgeklommen, ein ziemlich mühsamer Weg, aber Gritas Lungen schienen auch der steilsten Steigung zu spotten.

„… Vorsicht!“ mahnte sie jetzt und schob mich rasch hinter einen großen, hohen Stein, der hier offenbar auf dem Gipfel der Sanddüne nach dem Wegschmelzen von Gletschereis liegen geblieben war. Seine glatte, wie polierte Oberfläche verriet dem Kundigen sofort, daß der ungeheure Stein aus einer Gletschermoräne stammte, nur dort verrichtet kleines Geröll eine so saubere Schleifarbeit.

„… Vorsicht, von hier aus kann man die ganze Coldawoor-Lichtung überblicken, hier können aber auch wir gesehen werden!“ Schon wieder erscheint ihre Stimme verwandelt, sie klingt hart und spröde, und das Mädchen neben mir hat sich wieder in die bittere Rolle der Rächerin zurückgefunden. „Legen wir uns am besten nieder, Mr. Abelsen, Sie werden trotzdem dieses Fleckchen Erde bequem überschauen können, das in seiner größten Ausdehnung nach Nordwest knapp eine Meile lang ist … Auch ich kannte es bisher nicht, ich sah es gestern abend kurz vor Dunkelwerden zum ersten Male und dann heute in aller Frühe, als Bert Beng so ahnungslos diesen Elenden in die Hände lief. Er hatte zu fest auf die Unauffindbarkeit des Eistunnels drüben im Südwesten vertraut, und ich – ich mochte doch all die armen Hunde nicht vergiften, nein, das konnte ich nicht, und gerade die Hunde der „Australia“ fanden schließlich den Zugang zum Tunnel, während die Suche doch eigentlich Mita und Ihnen galt …“

Coldawoor-Lichtung! – Es besagte genug, – Professor Coldawoor mußte sie damals vor Jahren entdeckt haben. Wie aber erfuhr sein Sohn davon?

Ich hob den Kopf und überblickte das Land inmitten der ewigen Eismassen der Antarktis: Oase am Südpol, kahle Felsen, Sanddünen, wieder Felsen, – – und ringsum wie weiße Vorhänge die weißen urewigen gewaltigen Gebirgsketten und himmelhohen Eiswälle!

Ich kannte dieses Panorama, es blieb ja immer dasselbe, aber ich hatte es vor Tagen im Frührot der blassen Polarsonne gesehen, als unter mir Bert Bengs Wolfsrüden heulten und links vor mir der fast rostbraune Felsen mit dem Relief der Isis meine Augen und Gedanken fesselte! – An diesem kleinen, weiß umgrenzten Paradies war nicht das eintönige, immerhin freundliche Landschaftsbild das Märchenhafte, Wunderbare, – etwas ganz anderes war es: Die Wärme!

Wo war der Naturglutofen von unwahrscheinlichen Dimensionen, der hier die Eiskrusten und Schneemassen und Gletscher zum Schmelzen und zum Versickern gebracht hatte?!

Allmählich war es geschehen, konnte es nur geschehen sein, ganz allmählich. Vielleicht wütete hier unter dieser Coldawoor-Lichtung (auch die Bezeichnung war nicht schlecht gewählt) ebenfalls unterirdisches Feuer wie drüben die Fackel des Südpols, der Sonnenberg, der Fackelberg.

Wieder ein Blick ringsum …

Ganz still lag das Mädchen neben mir, erriet wohl meine Gedanken.

„Dort bitte, genau Südwest, Mr. Abelsen.“

Ich bog den Kopf, – dorthin hatte ich noch nicht geschaut, dort war der Riesenzaun der ewigen Schneeberge unterbrochen durch eine dunkle Granitwand, die sich nach Süden zu wieder in den Eismassen verlor, und diese kahle schroffe Mauer da sprang an einer Stelle weit vor – wie eine turmhohe Röhre fast mit einem schwarzen Loch in der Mitte …

„Dorther weht fortgesetzt der heiße Luftstrom herüber, Mr. Abelsen,“ sagte Grita ohne besonderen Eifer. „Dort das Loch ist das Ventil vulkanischer, tief gelagerter Naturöfen, die vielleicht irgendwie auch mit dem Fackelberg und seinen brennenden Steinkohlenflözen in Verbindung stehen, – ich weiß es nicht. Jedenfalls hat mein Vater schon damals 1920 und 1921 diese Lichtung im genau gleichen Zustand vorgefunden, er entdeckte sie, er, ein halbtoter Mann bereits, dem die Antarktis mit ihren Schrecken den gesunden Leib zerstört hatte, – er schrieb auf, was er hier sah und fand, und der allerletzte jener Schlittenreise überbrachte das Paket getreulich meinem Bruder, der schon in Melbourne weilte, – ein braver Irländer war es, Mr. Abelsen, der ebenfalls todkrank von einem Seehundsfänger an der Küste aufgelesen wurde und dann in Melbourne verstarb … Sehen Sie, – aus jenem Schlund der Granitwand dringt Siedehitze hervor, – sehen Sie, wie der Luftstrom dort den Sand aufwühlt, wie dort die Sandfontänen springen, wie alles dort in graue Schleier gehüllt zu sein scheint.“

Ich sah.

Alles … Ich sah, daß sich gerade in der Richtung dieses ungeheuren Blasebalges weit ab von der zerstörenden Wirkung der Hitze an den Rändern von Tümpeln und Teichen eine spärliche Vegetation entwickelt hatte, – ich erkannte verkümmerte Birken, Erlen, Schachtelhalme, Gräser und … Vögel … Vögel zu Hunderten, wie Pünktchen, Sand und Felsen und Teiche weiß betupfend, zumeist Möwen, diese zähen, kältetrotzigen Vögel …

Also doch eine Oase!

Denn da drüben – das waren die Anfänge von Wald, Wiesen, Büschen, all das mußte einst in üppiger Pracht gedeihen, da der Vogeldünger den Boden mit Fruchtbarkeit durchsetzte.

Grita Coldawoor sprach weiter:

„Damals, als ich die drahtlosen Depeschen gelesen, trug man mich bewußtlos in die Kabine … Als ich erwachte, als das Entsetzliche mir wieder vor die Seele trat, griffen die Krallenhände des Wahnsinns nach mir, – damals habe ich gerungen wie eine Verzweifelte gegen die Schrecken des Irrsinns, und – ich siegte, ich … starb innerlich, Mr. Abelsen, – um den Preis siegte ich. Mein Herz war tot, mein Hirn desto lebendiger. Damals, ich wußte ja so wenig von Percys angeblichem Verbrechen und Tod, ward mir doch das eine klar: Nur ein unausdenkbarer Schurkenstreich konnte Percy an den Galgen gebracht haben, – er mußte wohl diese Gefahr geahnt haben, daher sein Name Peter Cold, daher seine spärlichen, nichtssagenden Briefe. Ich wußte ja nicht einmal etwas von dem geretteten Irländer – – nichts, nichts! Nur das wußte ich: Ich würde die ganze Wahrheit an den Tag bringen, koste es, was es wolle. Ich fühlte mich stark genug dazu, denn ich war innerlich Stein geworden, ohne Erbarmen, ohne Rücksicht, ohne weiche Empfindungen mehr, – nur noch kühl berechnende Maschine, Werkzeug der Vergeltung. – Wenn Sie mich so betrachten, so mein Tun beurteilen, werden Sie mir am ehesten gerecht werden …“

Ich hatte mein Glas an den Augen, ich hatte es eingestellt, ich konnte dort, wo die Granitmauern sich wieder mit den Eismassen vermischten, undeutlich einige Personen auf flacher Sandfläche neben einem hohen einzelnen, bräunlichen Felsen erkennen.

„Der Isiskopf!“ entfuhr es mir ungewollt … „Sie betrachten den Isiskopf, Miß Coldawoor.“

„Mögen sie …“ Die Stimme war hart wie Stein. „Hören Sie weiter, – noch haben wir Zeit. Smauser hat den Wicht von Nohc, diesen Schandanwalt, zum „Eisvogel“ geschickt nach … Stahltrossen, dünnen Stahltrossen … Wissen Sie, wozu?“ Sie lachte kurz auf, und dieses Lachen kannte ich schon … Es war wie ein Eiseshauch aus einer Gruft. Die Gruft war hier die gemordete Seele eines Mädchens, das gegen den Wahnsinn kämpfte und siegte und innerlich starb, – so hatte sie sich ausgedrückt, und so war es auch.

Arme Grita, – armes Mädel mit den Braunaugen, dem kleinen süßen Mund, wie zum Küssen geschaffen, und der ranken, schlanken, fülligen Gestalt – nur äußerlich noch zu Liebe und Glück bereit, im Herzen nur das eine Ziel: Vergeltung!

„… Wissen Sie was der Baronett da ersonnen hat, um Bert Beng zu foltern?! Reicht Ihre Phantasie nicht heran an die dieses schielenden fettnackigen Scheusals?! Da ist doch der glühendheiße Blasebalg, Mr. Abelsen, und wenn man Bert Beng an Stahltrossen anseilt und ihn wie einen wilden Stier, der von zwei Mann geführt wird, mit zwei Stahltrossen, die nicht verbrennen können, dem Glutofen dort langsam näherschleift, wenn die Gentlemen also in respektvoller Entfernung sich halten können, dann … dann wird der halb gebratene Bert Beng schließlich doch wohl reden und verraten, was er – und das ist das Entsetzlichste bei alledem – gar nicht verraten kann … – Wie gesagt, Gabriel Nohc ist mit dem Motorschlitten unterwegs zum „Eisvogel“, – die Matrosen hat Smauser sämtlich dorthin zurückgeschickt, auch seine anderen … Freunde, die vielleicht doch noch nicht so vertiert sind wie er. Deshalb haben wir noch Zeit, deshalb beobachten Sie lediglich die … die da drüben, und lassen Sie mich weiter erzählen … – Auf dem großen Überseedampfer reiste auch ein Amerikaner mit, ein älterer ehemaliger Offizier, der sich mir gegenüber sehr liebenswürdig zeigte. Er war ein glänzender Schütze, er hatte eine jener Luftpistolen mit, die während des Krieges eigens für den nächtlichen Patrouillendienst konstruiert wurden, um einen Gegner lautlos zu erledigen. Von ihm lernte ich Zielen und Treffen, und ihm stahl ich nachher als Dank jene Waffe, deren komprimierte Luft gerade für drei Schüsse genügte. – In Melbourne ging ich dann genau so gewissenlos zu Werke. Ich war Grita Bresty, niemand ahnte, daß ich Percys Schwester war. Ich horchte herum, hörte so manches in Hafenkneipen, hörte von halb trunkenen Polizisten, die mich als leichte Beute erhofften, noch mehr, und schließlich fielen die letzten Schleier: Ich vernahm den Namen Smauser, des intimsten Freundes des Kriminalchefs Allan Cortys, und gerade Cortys hatte Percy verhaftet und die „Beweise“ seiner „Schuld“ erbracht. Es gelang mir, diesen eklen Wicht zu umgarnen, er war als Schürzenjäger berüchtigt, er vernachlässigte seine Frau, er verschaffte mir die Zofenstelle bei Ruth Smauser. Nun war ich mitten im Hauptquartier der Bande, horchte an den Türen, verbarg mich in Smausers Bibliothek, belauschte die Beratungen der Verschworenen, – – und wenn noch in meiner Seele ein Fünkchen weicherer Gefühle geglüht haben mochte, – dort erlosch es, denn nun wußte ich die Wahrheit aus den höhnenden Mäulern derer, die meinen Bruder vor Gericht schleppten, nur damit er angesichts des Todes das Geheimnis der Isis preisgäbe – nur deshalb, – dann sollte er begnadigt werden, Smausers Einfluß hätte auch das wohl erreicht, aber … Percy schwieg und starb, und sein Freund Beng, dem nun das gleiche Schicksal drohte, bemächtigte sich nachts des großen Kutters der „Australia“, schoß ein paar Kerle nieder, die bei den Meineiden im Prozeß redlich mitgeholfen hatten, und entfloh – floh hierher …“

Ich ließ das Glas für einen Augenblick sinken, fragte Grita nach dem Letzten:

„Und worin besteht dieses Geheimnis, Miß Coldawoor?“

Unsere Augen begegneten sich …

Ein unendlich trauriges Lächeln umspielte den herben, schönen Mund.

„Worin?! – Da fragen Sie zu viel … Ich weiß nur, daß das Paket, daß jener Irländer so treu meinem Bruder aushändigte, die Aufzeichnungen meines Vaters, ferner zwei goldene uralte Tempelgeräte und einen … Mumienkopf enthielt, – die Aufzeichnungen hatte Percy dann verbrannt, aber den Mumienkopf und die Tempelgeräte „beschlagnahmte“ Allan Cortys, und aus den belauschten Gesprächen entnahm ich, daß Smauser und seine Sippe vermuteten, daß in prähistorischer Zeit der Südpol eisfrei gewesen und von einem Volke bewohnt war, das damals schon den Isiskult kannte und über ungeheure Goldschätze und die Kunst der Mumifizierung verfügte. – Jedenfalls: Sie suchen hier Gold – – natürlich Gold, und Smauser ahnt, daß der Isiskopf dort am Felsen diese goldenen Reichtümer irgendwie enthüllen kann … – Mehr weiß ich nicht, ich habe ja auch Bert Beng bisher nicht ohne Zeugen sprechen können, habe ihm, der nun doppelt und dreifach gefesselt der Tortur entgegensieht, lediglich zuraunen können, wer ich bin. – – Das ist meine Geschichte, Mr. Abelsen, – die Geschichte eines Mädchens von kaum zwanzig Jahren, das, zu Stein geworden, kaltblütig vier Männer erschoß und noch andere töten wird, denn so wahr meine Seele starb: Ich werde Percy rächen, und nicht einer von denen, die mitgeholfen haben, ihn schuldlos an den Galgen zu bringen, soll demselben Ende entgehen – nicht einer!“

Wieder schaute sie mich an, und in ihrem Blick las ich nun voller Entsetzen das kalte Flimmern wirklichen Irrsinns!

Dieses Mädchen war krank, – nicht ihre Seele war versteinert, sondern ihr Hirn hatte den furchtbaren Schreck jener unheilvollen Todesbotschaft nicht überwunden! Sie schien gesund zu sein, sie war doch eine Wahnsinnige, eines jener bedauernswerten Geschöpfe, die nur einen einzigen geringen geistigen Defekt besitzen, – und bei Grita Coldawoor war es eben diese dämonische Rachgier.

„… Nicht einer, Olaf Abelsen!! Alle werden sterben, die Hölle wird sie verschlingen, an denselben Stahlseilen werde ich sie einzeln vor die Mündung des Fegefeuers dort drüben hängen und …“

Sie schwieg, lachte leise, – und mir kroch es wie ein eisiges Ungetüm über den Rücken …

„… Aufhängen – – und in die Hölle dann, Olaf Abelsen – – alle – – alle …! Smauser als erster, – – und Sie und Beng werden mir helfen … Sie werden doch?!“

Der flimmernde Blick flatterte auf in Mißtrauen.

„Ich werde Ihnen helfen,“ sagte ich ruhig.

Und ich hatte dabei die trostlose Vision der Zelle einer Irrenanstalt, in der auch dieses blühende, kranke Leben dahinsiechen würde.

Nein – es war kein Mädchen aus Stein, diese Ärmste, – es war nur eine tief, tief bemitleidenswerte Menschenblüte, die ein Gifthauch getroffen hatte.

Die Sippe sollte büßen – gewiß! Aber nicht so … –

Grita hatte mir das Glas aus den Händen genommen …

„Da – – Gabriel Nohc ist zurückgekehrt! Nun ist es Zeit, Olaf Abelsen …! Wir zwei gegen vier, – – ich denke, es könnten auch acht sein, Abelsen, – wer nicht schleunigst die Hände hochwirft, wird schneller sterben! – Kommen Sie … Schleichen wir näher … Deckung genug haben wir in den Sanddünen und in den Felsgruppen, und die Narren dort halten Sie für tot, im Schneesturm damals erfroren, – den Glauben habe ich ihnen beigebracht.“

 

9. Kapitel.

Bert Beng, … Gladiator.

Mein Herz war wund und weh, als ich damals mit diesem armen Geschöpf, dessen vernichteter Geist ebenfalls auf das Schuldkonto der goldhungerigen menschlichen Meute kam, in weitem Bogen mich an den Isisfelsen und an Bert Bengs Behausung, die ich noch nicht kannte, behutsam heranpirschte.

Was galt mir noch die seltsame, wenig glaubhafte Entdeckung Professor Coldawoors, was galt hier das kaum noch zweifelhafte Ende des Abenteuers, das mit einer raschen Niederlage der Gegner ausklingen mußte, gegenüber dem trostlosen Schicksal Gritas, die, mir selbst anfänglich unbewußt, auf mich einen weit nachhaltigeren Eindruck gemacht hatte von der ersten Begegnung an als etwa Mita Mac Barny.

Vielleicht, vielleicht wenn Grita Coldawoor, die mir gewiß so eng seelenverwandt war, nicht vom Schicksal für das Hinsiechen in irgendeinem Hause geistigen Grauens bestimmt gewesen, vielleicht hätte ich in ihr die wahre Ergänzung meines Ichs gefunden, – Geliebte, Kameradin, stark, zielbewußt, kraftvoll in Haß, Liebe und Taten, – – vielleicht …

Sie war krank.

Möglich, daß diese ihre federnde, von Kraft strotzende Behendigkeit, dieser übermäßige Intellekt des schlauesten, kühlsten Ausnutzens aller günstigen Umstände mit auf die traurige Rechnung ihres kranken Hirnes kam. Es war wohl so.

Denn eine Freude war es, mit ihr gemeinsam durch die Sandfurchen zu schleichen, umherzuspähen, in weiten Sprüngen neue Deckung zu suchen, – eine Freude, wenn man eben vergessen konnte, was hinter dieser reinen klugen Stirn sich bedrohlich weiterfraß als schauerlicher Wurm: Der Wahnsinn!

Zeitweise vergaß ich es …

Und als wir dann so nahe herangekommen, daß nur noch der Isisfelsen uns deckte, auf dessen anderer Seite die verächtlichen Stimmen der blöden, siegestrunkenen Gegner erklangen, die offenbar ein letztes Mal versuchten, Bert Beng zum Sprechen zu bringen, – als wir diese kläglichen Narren einen Moment beobachteten – vier elende Burschen, vor denen der gefesselte Beng stand mit hagerem braunen übermütigen Gesicht, das ich nun zum ersten Male sah, – als der dicke, plumpe Baronett Smauser, ein brutales Grinsen um die Hängebacken des Schweinekopfes, mit seiner Pistole diesem sehnigen, belustigten Beng vor dem Gesicht herumfuchtelte und sein altes Sprüchlein hervorplärrte, – als seine drei Intimen finster, mordhungrig dabei standen und dort hinten in der mir vertrauten Grotte, dem Hundezwinger, die Wolfsrüden heulten und tobten und Sir Jonathan seine Stimme übermäßig anstrengen mußte, um, selbst ein räudiger Köter, die Stimmen der anständigen Hunde zu übertönen, – ja, da war alles vergessen, alles, da ruhte mein Blick nur voller Bewunderung auf diesem in Leder gehüllten Leibe und blonden Kopf des prächtigsten Menschen, den ich je geschaut – auf Bert Beng.

Das Gesicht war Zug um Zug die eherne Kraftfülle jener römischen Gladiatoren, die den Tod als Spiel betrachteten, die eine bereits im Verfall begriffene altrömische Kultur dazu benutzte, die überreizten Nerven eines einst schlichten, wahrhaft kriegerischen Volkes aufzupeitschen.

Gladiator ohne ein Lot überflüssigen Fleisches, – beherrscht, stolz ohne Überheblichkeit, mit Augen, in denen ein grimmer Humor schillerte, mit einem schön geschwungenen Munde, der auf dieses fetten Harlekins unsinnige Drohungen nur einen Anflug eines vieldeutigen Lächelns kannte.

Vier goldhungrige Clowns, einen Athleten umringend – vier Hyänen, die noch nach dem feigen heimtückischen Morde stanken …

Und das sagte er ihnen, nur das:

„Stinkende Hyänen!“

Ganz laut, nicht einmal verächtlich, nur so eine hingeworfene Bemerkung, die gerade deshalb ein Wutgebrüll auslöste.

Klägliches Schauspiel das …

Am kläglichsten dieser alberne herumhopsende Gabriel Nohc, der neben sich die Drahtseile liegen hatte und mit dem zerfaserten Ende des einen nun in blinder Wut nach Bengs Gesicht stach …

Die Quittung folgte.

Beng, die Arme über der Brust festgeschnürt, die Füße an Lederriemen, an denen schwere Steine Galeerensträflingsketten spielen sollten, bog nur den Kopf zurück, hob den rechten Fuß mitsamt dem Zentnergewicht, schwang sich herum, und Seiner Ehrwürden Rechtsanwalt Nohc klatschte der Stein gegen das Gesäß und schleuderte ihn in die nächste Schlammpfütze, aus der dieser quecksilbrige Wicht wie in braunen Teig gerollt sich mühsam erhob.

Es war Zeit.

Ich schob Grita rasch um den Felsen, – ihr gebührte hier der entscheidende Befehl …

„Hände hoch!!“

Vier Augenpaare quollen aus den Höhlen, vier Fratzen wurden käsig …

Sir Smauser ließ die Pistole fallen, – der einzige, der leidlich Haltung bewahrte, blieb der bestochene Allan Cortys, Perle aller Polizeichefs, Meineidshelfer, Mordbube, Nutznießer ergaunerter Smauserscher Millionen.

Cortys griff zur Waffe, – wollte greifen.

Ein Knacken neben mir, kein Schuß, – Gritas geborgte Kriegspistole zog über Cortys Wange eine blutige Furche, ein Stück Backenknochen und Ohr ward mit beschädigt, und der zurücktaumelnde einstige Vorgesetzte des Inspektors der Hafenkriminalpolizei Bert Beng hob gleichfalls die Ärmchen flehend gen Himmel.

Beng lachte da, ein frohes, ehrliches Lachen – so wie Männer lachen, die die Gefahr als Whistpartie ansehen.

„Bemühen Sie sich nicht, Abelsen,“ sagte er, als ich ihm die Stricke zerschneiden wollte. „Meine Hände sind so mager und schmal, daß die Schlingen lediglich Ausputz sind.“

Er machte sich selbst frei, reckte sich …

„Die Geschichte hätte auch so ein unerwartetes Ende gefunden, lieber Smauser,“ meinte er zu dem schwitzenden Birnenschädel. „Ich hätte schon eine Gelegenheit erwischt, wenigstens bis zum Zwinger zu gelangen, und was glauben Sie wohl, wäre dann geschehen? – Haben Sie meine Schoßhündchen gezählt? Sechzehn, Smauser, sechzehn, – und von Ihnen wäre nicht einer zu Schuß gekommen, und dieser ehrenwerte Platz hätte nachher ziemlich wüst ausgesehen …“

Er nahm ihnen die Waffen ab, warf sie in den Zwinger, sagte höflich – – unangenehm höflich:

„Nun wollen wir uns unterhalten, wenn es Ihnen recht ist. Nehmen Sie dort Platz, der Stein wird sich zwar tief gedemütigt[6] fühlen, aber Stein bleibt Stein, Smauser und Konsorten, – der in meinem Herzen schert sich auch den Teufel was um anrüchige Gesellschaft anderer häßlicher Steine, – setzt euch also.“

Uns beiden hatte er nur zugenickt. Er war hier Hausherr, und er machte die Honneurs.

Die vier gehorchten.

Nur Cortys kollerte wieder hervor:

„Das Blättchen wird sich wenden, Beng, – und dann …“

„… Es hat sich für immer gewendet, Cortys. Sie haben zwei ungeheure Fehler begangen, die euch nun das Genick brechen – verzeihen Sie, ich will nicht in Ihren Jargon verfallen, es sollte auch keine Anspielung auf meinen armen Freund Coldawoor sein, der gestorben ist, der sich nach seiner Ankunft in Melbourne sofort an mich wandte, weil ich ihm empfohlen war, obwohl mein Ruf als unbestechlicher Beamter nun dahin ist, denn bei dem Kampf um den Kutter damals mußte auch ich stechen, ich glaube, es gab fünf Tote. Sie belästigen mein Gewissen nicht weiter. – Und da wir von Percy reden, – gestattet, daß ich euch hier Miß Grita Coldawoor vorstelle, – eine für euch keineswegs erfreuliche Bekanntschaft, fürchte ich, denn Miß Coldawoor tritt hier als Richter Lynch auf, fürchte ich …“

„Coldawoor!!“ ächzte Smauser und rutschte beinahe von seinem harten Platz in den Sand.

„Coldawoor!!“ winselte Gabriel Nohc und stöhnte wie ein Sterbender.

Cortys und dem gemästeten Koch und Hausmeister fielen fast die Augen aus dem Schädel.

Beng wandte sich Grita zu. „Sie haben doch nichts dagegen, daß wir erst das Geschäftliche in aller Ruhe erledigen …? – Ich sprach von zwei bösen Fehlern dieser Herren, – der eine war der, die Matrosen und die sonstige Sippe zum „Eisvogel“ zurückzuschicken und sich anzumaßen, daß sechs gegen einen genügen. Von den sechs dürften Ruth und der Kokainjunge unter Frau Mitas Obhut glänzend aufgehoben sein, denke ich, und ihr vier hier – ihr seht ja, daß wir endgültig gewonnen haben. – Der zweite Fehler: Ihr ließt meine Hunde am Leben, freilich nicht aus Liebe zu Tieren, sondern weil ich von vornherein erklärte, nur dann vielleicht über die kostbaren Schätze, die hier verborgen, verhandeln zu wollen, wenn ihr die Hunde nicht niederknalltet. Ich glaube, meine hübschen sechzehn Schoßhündchen werden nachher noch mitwirken, das Lynchgericht zu erleichtern. Aber das hat noch Zeit. – Also das Geschäftliche … Es geht um Professor Coldawoors Entdeckung. Ihr kennt die Vorgeschichte, ihr habt ja Percy an den Galgen geknüpft, mich wolltet ihr braten.“

Beng lächelte …

„Und all das, damit ihr es wißt, um nichts! – Der Isiskopf dort, das wußte ich, sollte wohl den Weg zu den Schätzen weisen. Ich habe sehr lange gesucht, erst gestern spät abends kam mir die Erleuchtung, bevor ich Abelsen, Mita und Taito die Lebensmittel brachte, nachdem meine Hunde mir ihre Anwesenheit im Eisdom verraten hatten. Spät abends gestern fiel mir ein, daß das verschollene Volk, das einst hier gelebt haben muß zu einer Zeit, als noch die Menschen halb wie Tiere hausten und gegen Riesengeschöpfe kämpfen mußten – ich fand Tierknochen drüben von drei Meter Länge –, … daß dieses Volk, das unerfindlicherweise bereits dem Isiskult huldigte und in vielem den Altägyptern, die weit später am Nil ihr Reich aufbauten, ebenbürtig waren, die jedenfalls schon ein höheres Wesen verehrten, eine Gottheit, während Ihr nur das Gold und euch selbst anbetet, – daß diese Steinmenschen einer prähistorischen Erdepoche vielleicht auch technisch einige primitive Kenntnisse besessen haben mochten. Ja, das fiel mir ein … – Sie brauchen nicht so zu zittern, Gabriel Nohc, es ist noch nicht so weit, wir sind ja erst beim Geschäftlichen … – Wollen Sie übrigens eine Zigarre rauchen, lieber Abelsen? – Bitte …“

Seine Zigarrentasche war etwas beschabt, aber der Inhalt war gut.

„… Und Ihnen, Miß Coldawoor, darf ich wohl einen Klappstuhl holen … Meine Felsenwohnung liegt dort links vom Hundezwinger. Ich bringe auch einen Erfrischungstrunk mit, – verzeihen Sie, ich war ein sehr unaufmerksamer Gastgeber …“

„Machen Sie ein Ende,“ stöhnte Smauser. „Ich werde verrückt, meine Nerven halten das nicht aus, Ihr Benehmen ist bewußt roh und …“

Beng schüttelte wie verwundert den Kopf. „Ihre Nerven?! Wo sind die? Wahrscheinlich in Ihrem Scheckbuch … – Gedulden Sie sich nur, wir machen nachher sehr rasch ein Ende, meine Hunde sind auf Kehlen- und Genickbisse dressiert, und selbst Ihre Fettpolster werden die Abschlußprozedur nicht wesentlich verzögern. Mit Percy ging es ja wohl noch schneller zu Ende, aber – damals versagten Ihre Nerven nicht …“

Leise pfeifend schritt er davon.

Smauser glotzte mich schielend an. Die Intelligenzbrille war ihm verrutscht, – – ein Ekel, dieser Anblick …

„Abelsen,“ keuchte er zischend, „Abelsen – eine Million Pfund, wenn Sie …“

„Pfund Hammelfleisch, Smauser?!“ Und da schwieg er.

Grita lehnte am Felsen, gerade unter dem Isiskopf … Ihre Blicke ließen die vier nicht los, und die dicke Pistole bewachte die Jämmerlinge mit finsterem Einauge. –

Die ganze Szene stieß mich ab … Ich sah drüben die matte Sonnenscheibe, die reinen weißen Grenzgebirge der Coldawoor-Lichtung, ich sah die weißen frohen Möwenschwärme, sah dort die Grashalme, weiter rechts die grün umrandeten Tümpel, – – Paradies?!

Nein, – menschliche Gier hatte diesen Ort zur Hölle gemacht …

Hier hätte ich allein weilen mögen, unbelastet von dem seelischen Druck dessen, was noch kommen mochte.

Allein – mit Taito, – und dieses Wunder der Antarktis genießen, hier umherwandern, hier alles betrachten, anstaunen, – auch den schwarzen Schlund da drüben, das Ventil der ewigen Feuer der Tiefe, – dort, wo der heiße Luftstrom die Sandwolken emporfegte … –

Und doch, urteilte ich gerecht: War Bengs Verhalten, durch das die vier da Höllenpein der Ungewißheit litten, nicht lediglich die Folge jener ungeheuerlichen Schändlichkeiten, die in Melbourne begangen worden waren? Gesetzt den Fall, ein Mann wie Percy Coldawoor wäre zu mir gekommen, wäre mir Freund geworden, und ich hätte dann ohnmächtig, machtlos, verzweifelt dulden müssen, daß er aufgeknüpft wurde, daß das verfluchte Geld wieder einmal ein ehrliches Menschenleben austilgte!! Wie hätte ich mich dazu gestellt?! Und – lagen da nicht die Drahtseile, an denen Beng geröstet werden sollte, – – kein Tier kann so bestialisch sein, derartiges zu ersinnen, – die vier da konnten es!

Beng kehrte leise pfeifend zurück, in der Linken einen selbstgefertigten Klappstuhl aus großen Knochen und Leder, in der Rechten ein Teebrett aus einem Schädelstück irgendeines Sauriers, darauf eine Flasche, drei Becher.

„Nehmen Sie Platz, Miß Coldawoor … So, trinken wir auf den armen Percy, den ich nicht retten konnte … Er war ein grundanständiger Mensch, er war auch Mann – Mann wie wir, Abelsen, – – weihen wir ihm diesen Schluck, er starb als Held, und … ich hoffe, Smauser, ihr werdet ihm nacheifern …“

Smauser heulte auf wie ein gestochenes Schwein, kreischte, winselte, bis Cortys ihn in die Rippen stieß … „Halt’s Maul, du Lump!!“

„Aha – Lump!“ sagte Beng vergnügt. „Die Freundschaft zerblättert schon … Sie wird gänzlich schwinden – – nachher, ich habe mir da auch etwas ausgedacht, so ein kleines Wettrennen mit meinen Hunden – höchst amüsant, hoffe ich. – Aber nun erst mal der Abschluß des Geschäfts, die Schlußbilanz. Betrübend, sage ich Ihnen, Smauser, sehr betrübend, keine Spur mehr von Gold … Die beiden goldenen Tempelbecken, die ihr in eurer Phantasie wohl vertausendfacht habt, waren die einzigen Wertgegenstände nach eurem Geschmack – Tatsache! Gewiß, es sind noch Dinge vorhanden, die Professor Coldawoor von seinem Standpunkt als Wissenschaftler aus wohl als „ungeheuer“ wertvoll bezeichnen konnte. Doch – ihr sollt selbst sehen. – Nunmehr die Frage: Wie fand ich das Versteck all dessen? – Ich bin nicht sehr bewandert in altägyptischen, religiösen Vorstellungen, wußte trotzdem, daß jeder Isistempel, jedes Isisstandbild genau nach Norden ausgerichtet ist. Hier – bitte sehen Sie, meine Herren – dieses Relief dort zeigt nach Südwest. Daraufhin untersuchte ich den Felsen unten einmal ganz gründlich, schaufelte den Sand weg, bemerkte so, daß der gewaltige Block auf Steinkugeln auf einem Fundament in Rollen läuft, versuchte ihn links herum nach Norden zu drehen – es gelang. – Bitte – – so!!“

Er stemmte die Schulter gegen eine Felszacke, und der Block bewegte sich, gab eine dreieckige Öffnung frei.

„Das ist Professor Coldawoors Geheimnis,“ sagte Beng in schärferem Tone. „Nun klettert ihr vier mal die Steinstufen hinab … Unten steht eine Laterne, zündet sie an und …“ – seine Stimme wird zum Gewittergrollen – „betrachtet euch das, was Percy den Tod eintrug! Vorwärts! Wir folgen euch. Miß Grita soll sich ebenfalls durch Augenschein davon überzeugen, wie schandbar gewissenlos ihr in eurer Goldgier eure verruchten Pläne ganz zwecklos in die Tat umsetztet.“

Smauser taumelte dem Loche zu wie ein Trunkener. Sein verzerrtes Gesicht lief rot an, und geifernd schrie er Beng entgegen:

„Natürlich, – – weggeschafft haben Sie das Gold, Sie … Sie … Betrüger, Sie …“

Wieder war es Cortys, der ihn wütend anfauchte: „Verdammter Narr, – ich glaube Beng, und ich verfluche die Stunde, die uns zusammenführte! Du und Nohc, ihr wart die treibenden Kräfte, und so wahr ich euch nun hasse wie giftiges Gewürm: Ich werde mich hier nicht abkehlen lassen, – vor Gericht mit uns allen, meinetwegen den Strang, – – ich habe es satt, mir …“

Bengs Lachen ließ ihn sofort verstummen.

„Schau an, Cortys, – mit dem Kniff willst du uns fangen, du, der Percys Leben in seiner Hand hatte!! Vor Gericht?! Ja – – vor Gericht, aber hier!! – Hinab mit euch, schaut euch eure Schätze an, aber hütet eure feinen Nerven: Die Mumien dort sehen nicht gerade schön aus … Menschen der Steinzeit glichen mehr unrasierten Gorillas …!“

Die vier stolperten hinab. Cortys verzichtete auf weitere Diplomatenkunststücke.

Dicht auf dem Fuße folgte ihnen Grita, noch eine zweite Pistole in der Linken. Ihr Gesicht hatte einen Ausdruck, als ob sie schlafwandelte, nur die Augen glühten in verzehrendem Feuer.

Ich hielt Beng zurück. Hastig teilte ich ihm mit, daß ich überzeugt sei, Grita müsse wahnsinnig sein. – Ich hatte geglaubt, er würde entsetzt zusammenfahren, – er nickte nur ernst und erwiderte traurig:

„Ich habe sie beobachtet … Es wird schon stimmen, Abelsen … – Lassen Sie mich nur machen, – ich bin kein kaltblütiger Mörder, ich habe nur ein ganz bestimmtes Ziel im Auge. Grita kommt an die vier nicht heran …“

Weit beruhigter kletterte ich in die mäßig große Höhle hinab. Mir war es nun klar geworden, daß Bert Beng ganz in meinem Sinne vorgehen würde und daß sein Benehmen gegenüber den Gefangenen nur wohlabgewogene Berechnung war.

 

10. Kapitel.

Wettlauf mit dem Tode.

Unten entzündete Beng noch zwei Schiffslaternen, so daß die Mumiengrotte mit ihren flachen, zahlreichen Nischen, in denen die eingetrockneten Leichname hockten, genügend Beleuchtung erhielt. Die Mumien, zumeist Männer mit unförmig großen Köpfen, wildem Haupt- und Barthaar und flachen breiten Nasen, waren lediglich mit Schurzfellen bekleidet und machten mit ihren zusammengeschrumpften Augäpfeln, die tief im Schädel wie gedörrte Pflaumen lagen, einen abstoßenden Eindruck. Nur wenige hatten an den Armen Schmuckringe, anscheinend aus Gold, einige auch Stirnreifen, jeder aber zu seinen Füßen ein Arsenal von Waffen, alle aus Stein gefertigt, alle roh verziert durch dünne Goldplättchen, so besonders Messergriffe, die Holzstiele der Streitäxte und die langen, so sehr seltenen Steinschwerter.

Professor Coldawoor hatte also als Gelehrter in seinen Aufzeichnungen nicht zu viel gesagt: Diese Mumien und Waffen besaßen für Fachgelehrte und Museen unschätzbaren Wert, es waren wohl überhaupt die einzigen Mumien aus der Steinzeit des Erdballs und die einzigen noch gut erhaltenen, wenn auch toten Vertreter einer Weltepoche, über die man bisher auf leere, künstlich aufgebaute Vermutungen angewiesen war.

Jonathan Smauser und Gefolge heuchelten nur Interesse für diese Art von Schätzen. Die Todesangst saß ihnen im Nacken, und von einem Delinquenten kann niemand verlangen, daß er etwa im letzten Augenblick noch für modernste Malerei Teilnahme zeigt.

Beng erläuterte trotzdem sehr weitschweifig allerlei Einzelheiten, erinnerte daran, daß bestimmte sehr trockene Höhlen oder Gewölbe auch in zivilisierten Ländern noch heute die Fäulnis menschlicher Leichen verhindern und natürliche Mumien schaffen – wie hier, schloß er diese anscheinend überflüssigen Hinweise auf bekannte Tatsachen.

Dann erst blickte er die vier bleichen Gefangenen aus seinen blanken, mattbraunen Augen eine Weile vernichtend an.

„Nun seht ihr, daß eure teuflischen Machenschaften und Hoffnungen letzten Endes in nichts zerronnen sind, – hier – deshalb habt ihr gemordet! Begreift ihr, welch ungeheure Tragik in Percy Coldawoors Schicksal liegt?! Gibt es eine Strafe, die hart genug wäre, euch gegenüber in gleicher Weise gerechte Vergeltung zu üben?!“

Es war diesmal nicht der Klang der Stimme, der wie das Schrillen eines Armesünderglöckleins die vier die Köpfe noch tiefer sinken ließ. Beng sprach fast leise, fast scheu, wie in Ehrfurcht vor diesen Toten hier, die sogar die Eiszeit überdauert hatten und die erst Coldawoor auffand[7] und von denen er nur den einen Mumienkopf seinem Boten mitgab. Es war vielmehr das sprühende Auge dieses kraftstrotzenden, aufrechten, kühnen Mannes, vor dem vier Schurken erzitterten.

Beng hob den Arm. „Geht in jene Ecke, stellt euch mit den Gesichtern nach der Wand auf, wer sich umdreht, wird erschossen!“

Hastig schlichen sie davon, vielleicht froh, daß Richter Lynch noch eine neue Spanne Aufschub ihnen gewährte.

Grita Coldawoor hatte die Mumien überhaupt nicht beachtet. Eingesponnen in ihre eigene Gedankenwelt stand sie da und folgte mit den starren, unheilvollen Blicken den vier Schächern, die nun mit den Rücken nach uns hin an der einen Schmalseite der Grotte standen.

Beng winkte mir. „Nehmen Sie die zweite Laterne, Abelsen …“

Er sprach noch leiser.

„Kommen Sie, Grita … Ich habe Ihnen noch etwas zu zeigen.“ Seine Stimme war sanft und tröstend. „Nicht wahr, Grita, – Sie haben doch gewiß seit jenem Morgen, als Sie die Unglücksdepesche lasen und ohnmächtig umsanken, nicht eine einzige Träne vergießen können …“

„Ich – – weinen?!“ sagte sie hart. „Oh – vielleicht wollte ich es, aber ich war ja innerlich erstorben, Bert Beng … Wie sollte ich da Tränen finden?“

Er legte zart den Arm um ihre Schultern.

„Grita, – Sie hatten doch Ihren Vater sehr lieb?“

Ihr Blick wurde fast froh.

„Ja, sehr lieb …“

„Dann werden Sie auch stark genug sein, das hier zu schauen, was die vier da hinter uns nicht durch ihre Nähe entweihen sollten … Kommen Sie.“

Er führte sie vor mir her in den äußersten südlichen Winkel der Grotte, wo eine einzelne Nische durch eine Wolldecke verhängt war.

„Grita, seien Sie stark,“ flüsterte er. „Was Sie jetzt sehen werden, verlangt Tränen, heiße Tränen der Kindesliebe.“

Langsam hob er die Decke – wir hielten die Lampen empor, und ihr Licht bestrahlte einen blondbärtigen Europäer in einem derben Sportanzug mit schmalem, verfärbten Gelehrtengesicht.

„Ihr Vater, Grita …!“

Sekundenlang stand sie mit hängenden Armen, den Kopf wie horchend vorgeschoben, ohne jede Bewegung da.

Coldawoor saß auf einem Steinsessel, leicht zurückgelehnt, zwanglos – als ob er schliefe. Die Augen waren geschlossen, die Verfärbung des Gesichts war nicht allzu abschreckend, – – das Ganze ein Bild des ewigen friedlichen Schlafes.

Dann entfielen Gritas Händen die Waffen, mit einem schluchzenden Laut sank sie in die Knie, bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte … weinte so erschütternd, so hemmungslos, daß ich mir auf die Lippen beißen mußte, – auch mir wurden die Augen feucht.

Wir störten sie nicht.

Beng raunte mir zu: „Glauben Sie mir – das wird sie gesund machen, und dort …“ – hinter uns ein Geräusch – „Dort kommt Frau Mita, die mag dem Mädchen Gesellschaft leisten, die wird das begonnene Werk der Gesundung besser vollenden als wir …“

Mita stieg die letzten Stufen hinab.

Wortlose Händedrücke, ein paar erklärende Sätze, und wir Männer brachten die vier rasch wieder nach oben, wo Ruth und Edward, bleich wie Gespenster, im Sande saßen und vor ihnen Taito mit gefletschten Hauern.

Smauser stierte seine Kinder an, – wandte sich dann schnell weg und wischte sich mit dem Handrücken über die schweißige Stirn.

Beng wurde lebhaft. „Also nun der Schlußakt … – Die Frage ist, ob ihr bereit seid, ein schriftliches Geständnis abzulegen … ein ganz ins einzelne gehendes Geständnis, jeder für sich, mit den vollen Namen aller Eingeweihten, aller erkauften Zeugen.“

„Niemals!“ schrie Cortys hohnlachend. „Niemals!! Mordet uns doch!! Wir leugnen, – ja wir leugnen, – nicht wahr, Freund Smauser, diese Banditen leiden an Hirngespinsten …!“

Smauser murmelte etwas Unverständliches, nur der kleine Erzsünder Gabriel kreischte empört:

„Wir haben nichts zu gestehen – gar nichts! Ganz recht, Cortys, – das fehlte gerade noch – – schriftliches Geständnis.“

Beng hatte schon wieder sein unangenehmes Lächeln aufgesetzt.

„Aha – – erholt habt ihr euch, frech seid ihr wieder geworden … Weiß Gott, ihr seid ziemlich hart gesottene Schufte. Trotzdem – drei Minuten Bedenkzeit …! Drei – – ich beginne zu zählen.“

Er zählte … ganz gemächlich.

Der dicke Hausmeister-Koch wurde sichtlich unruhig. Man merkte ihm an, daß er für seine Person sehr gern ein Geständnis abgelegt hätte, er hatte ja auch wahrscheinlich nur eine unbedeutende Nebenrolle gespielt, aber Cortys eisiger, drohender Blick hielt ihn in Schach.

Gerade als Beng laut und klar hundertachtzig ausrief – etwa in dem Tone eines Tombola-Managers, tauchten aus dem Grotteneingang die beiden Frauen auf. Grita stützte sich schwer auf Frau Mac Barny und ließ sich, ohne von uns Notiz zu nehmen, nach den Felsen geleiten, die vor Bengs Wohnhöhle eine Art Zaun bildeten. Dort setzten die Frauen sich nieder mit dem Rücken nach uns hin, und Grita schien sich weiterhin trösten und von der Älteren Mut zusprechen zu lassen, – ich hatte den Eindruck, daß Bengs Voraussage eingetroffen war: Dem armen Mädel war nun erst in vollem Umfange bewußt geworden, welch schwere Verantwortung und Gewissenslast sie durch ihren hemmungslosen Haß und durch das kaltblütige Auslöschen von vier Menschenleben auf sich geladen hatte. Mein tiefes Mitleid mit ihr steigerte sich noch, am liebsten wäre ich zu ihr geeilt, hätte ihr klar gemacht, daß ihre Taten außerhalb jeglichen bewußten Handelns geschehen seien und daß von einer „Schuld“ hier nicht die Rede sein könne.

Bengs scharfer Zuruf entriß mich diesen Gedanken. „Abelsen, binden Sie Ihren Taito fest und achten Sie auf die vier Gentlemen da. Ich hole meine Rüden …“

Smauser brüllte sofort wie ein Tollhäusler: „Die … die Hunde?! Wollen Sie uns zerfleischen lassen, Sie … Sie …“ – und dann folgte abermals eine Flut von gemeinsten Schimpfworten, die sogar Miß Ruth offenbar empörten …

„Pa, – mäßige dich …! Ich hätte dir ein solches Benehmen niemals zugetraut, bewahre bitte Haltung, du vergibst dir etwas gegenüber diesen Leuten, die …“

Bert Beng war vor ihr stehen geblieben. Oh – er konnte sehr bissig werden, dieser prächtige sehnige Mensch, der dennoch niemals sich vergaß und nie plump aus der Rolle fiel.

„Hühnchen, du gackerst zwecklos, – dein Pa soll übrigens lediglich an einem kleinen Wettlauf sich beteiligen … mit meinen Hündchen, – nichts weiter … Laß ihn nur sein Inneres nach außen kehren, mir bereitet er damit keine Überraschung … Es wird ein sehr lustiges Rennen werden, – – willst du dich beteiligen, Hühnchen Ruth?!“

Dann verschwand er im Zwinger. – Smauser war erschöpft und seiner Sinne kaum mehr mächtig in den Sand gesunken. „Ich … will … gestehen,“ krächzte er … „Mr. Abelsen, Sie … Sie dürfen das nicht zulassen, Sie … sind doch ein …“

Beng trat schon ins Freie, acht von seinen Schoßhündchen am Riemen, – Tiere von unheimlicher Wildheit, vielleicht die bissigsten der Meute. Er selbst konnte sie kaum bändigen, seine dicke lange Lederpeitsche pfiff fortwährend über ihre spitzen Schnauzen hin, vielleicht hatten die Tiere seit der Nacht gehungert, ihr Anblick war mehr als schreckeinflößend, ihre geifernden Rachen, die tückischen Wolfsaugen, die hochgestellten Ohren, – – kein Wunder, daß Smauser da den Kopf in den Sand wühlte, daß ich zurückwich, daß Cortys Gesicht bleigrau wurde und der kleine Erzsünder Gabriel wie ein Kind zu schluchzen begann.

„Los – – vorwärts – – dort nach jener Düne!“ kommandierte Beng erbarmungslos. „Ihr habt es nicht anders gewollt … Jetzt habt ihr nur die eine Chance eurer Beine, die andere habt ihr ja ausgeschlagen. – Vorwärts, – Abelsen, helfen Sie etwas nach …!“

In das entsetzte Brüllen, Jammern und Kreischen dieser vor wildestem Schreck hochgeschnellten vier Männer, die mit glasigen Augen die Rüden anstierten und jetzt erst merkten, daß nun der bitterste, tödliche letzte Akt nahte, – in dieses gräßliche Konzert von menschlichen und tierischen Lauten, in das auch mein Taito mit langgezogenem Heulen mit einfiel, – in diese unbeschreibliche Szene von aufgewühlten Leidenschaften, Instinkten und erbärmlicher Feigheit flog wie ein flüchtiger Schatten eine Mädchengestalt hinein, pflanzte sich vor Beng auf, ohne die Hunde zu beachten, rief mit schrillem, beschwörendem, vibrierendem Diskant:

„Das – dulde ich nicht, Bert Beng! Niemals darf das geschehen! Bei mir liegt die Entscheidung, mein Bruder war es, der hingemordet wurde, – ich …“

Beng hatte sich vorgebeugt und ihr rasch ein paar Worte zugeraunt.

Grita stutzte, musterte ihn lange, – auch ich sah das unmerkliche Lächeln um seinen harten Mund spielen, und das Mädchen nickte mehrmals, wandte sich um und kehrte zu Mac Barnys Tochter zurück.

… Genug von alledem … Es kam so, wie Beng es wollte … Vor ihm her stolperten die vier zu Tode geängstigten Männer, ich folgte, – alle übrigen hatten sich in Bengs Höhle zurückziehen müssen …

Die Rennbahn war leer, das Ziel war der Isisfelsen, der an der einen Stelle unschwer zu erklimmen war – gerade nur an der einen schmalen Stelle.

„Also dorthin – dort winkt euch die Rettung,“ erklärte Beng ohne Mitleid. „Fünfzig Meter Vorsprung sollt ihr haben, – wenn Abelsen „Start!“ brüllt, dürft ihr zu laufen beginnen, nicht eine Sekunde früher, sonst kommen nicht die Hunde, sondern Kugeln!“

Die armen Schächer mußten sich nebeneinanderstellen, – bis zum Felsen waren es hundert Meter, fünfzig Meter hinter ihnen standen wir … und die Wolfsmeute, halbtoll durch die klatschende, pfeifende Peitsche …

„Start!!“

Und – sie rannten, – rannten wie gehetzt, keiner wagte zurückzublicken, keiner sah, daß wir ihnen im Trab folgten, daß die Hunde noch angeseilt waren …

Aber Beng sorgte dafür, daß die erregten Bestien doppelt laut jaulten und bellten und heulten.

Die vier da vorn hatten schon kurz nacheinander den Felsen erreicht, Cortys als erster, – Cortys war bereits ein Stück emporgeklettert, als der affenflinke Nohc ihn am Bein packte, zurückriß …

Am Fuße des Isisfelsens ein Knäuel von vier Menschen, die mit Fäusten, Stiefeln, Fingernägeln, Zähnen einander anfielen, kämpften, brüllten, fluchten, – – keiner wollte dem anderen den rettenden Anstieg an der schmalen Stelle gönnen, – einmal schien es, als ob Cortys doch Erfolg haben würde, er hatte Smauser niedergeschlagen, er hing bereits wieder über den Köpfen der anderen am rostbraunen Gestein, – blitzschnell fuhr der dicke Koch in ungeahnter Kraft in die Höhe, erwischte Cortys linken Stiefel, und krachend schlug Cortys quer über den halb besinnungslosen Jonathan, Baronett, Mitglied des Parlaments …

Eine groteske Szene, um so grotesker, da wir als Zuschauer dabeistanden, da die Rüden gar nicht freigelassen waren, die diese Unsinnigen, Schreckgelähmten, diese blinden Narren nur gegeneinander wüteten und in ihren verzerrten Fratzen der unbändige Haß neben der Todesangst flammte …

Beng gebot Einhalt.

„Auseinander, ihr Hyänen …!! Nun habt ihr euch gegenseitig gründlich kennengelernt … Mit eurer dicken Freundschaft wird es nun wohl für alle Zeit vorbei sein. – Wer will ein schriftliches Geständnis ablegen, he?!“

Vier Stimmen kreischten …

Vier, die nun einander kaltblütig den Hals abgeschnitten hätten, wurden getrennt, einzeln bewacht und einzeln dann in Bengs wohnlicher Grotte ganz ordnungsmäßig zu Protokoll vernommen.

Beng besorgte das, und Mita Mac Barny half und unterschrieb als Zeugin.

Ich spielte draußen Wächter, ich hatte Grita neben mir und meinen Taito und vor mir im Sande kauernd die Smauser-Sippe – keine Sippe mehr, nur noch Menschen voller Haß und Wut und mit übel zugerichteten Gesichtern.

Grita und ich, auf dem flachen Stein sitzend, sprachen leise und mit langen Pausen. Zutraulich hatte sich das Mädchen an meine Schulter gelehnt, es wurde mir nicht schwer, ihr durch gütiges Zureden die irrtümliche Auffassung zu nehmen, sie sei durch ihre blinde Rachsucht für alle Zeit mit untilgbarem Makel behaftet. Sie sah sehr bald ein, daß meine vorsichtigen Andeutungen, ihr Verstand hätte von jener furchtbaren Minute an Bord des Dampfers angesichts der Depeschen gelitten gehabt, durchaus zuträfen, sie weinte wieder leise in sich hinein, und ganz von selbst schmiegte sich meine streichelnde Hand in die ihre und spürte das Pochen ihres Blutes in den jungen Adern …

Ablenkend deutete ich dann auf die bereits wieder tiefer gleitende Sonne, auf die fernen Eisgrenzen der Coldawoor-Lichtung und auf die heiteren Schwärme der Vögel …

Hand in Hand mit Grita genoß ich das stille Wunder dieser Oase, in der nun aller Lärm, all dies Widerwärtige, das doch nicht zu umgehen gewesen, verstummt war. Taito rekelte sich zu unseren Füßen, links von uns reckte sich der Isisfelsen hoch und zeigte uns das grob gehauene Reliefbild des Kopfes der Göttin – auch ein Wunder, etwas, das vielleicht nie völlig aufgeklärt wurde: Wie diese Menschen der Steinzeit, deren Mumien Ehrenwache des toten Gelehrten Coldawoor bildeten, die spätere altägyptische Gottheit bereits hier in diesem damals noch gletscherfreien Lande gigantischer Urtiere in derselben Eigenart darstellen konnten, die nach bisherigen Forschungsergebnissen erst allmählich aus dem Isiskult sich entwickelt haben sollte.

Still und innerlich beglückt lauschte Grita meinen Schilderungen der abenteuerlichen Fahrt bis hier zur Antarktis, staunend vernahm sie von dem pfeilschnellen Schwingenflieger, der einst über den Urwäldern Formosas gekreist hatte und dann hier am Fackelberg abstürzte.

So gelang es mir damals, des Mädchens Gedanken von dem eigenen, kaum genesenden Ich wohltätig abzulenken und ihre Anteilnahme für meine schmalen, dornigen Pfade abseits vom Alltag zu wecken. Ich fühlte, wie sie innerlich erstarkte, wie sie sich zurückfand in die beglückende Gewißheit, daß ihre Seele wieder weich und zart geworden, daß die Finsternis der letzten Monate endgültig gewichen war …

Und dann sprach sie unvermittelt, ohne Scheu von alledem, was sie vor dem erkalteten, unvergänglichen Bildnis des Vaters empfunden hatte, als die kindliche Liebe sie in die Knie zwang und endlich ihre Augen jene heißen Tränen fanden, die ihr erfrorenes Inneres wieder zu linder Wärme weckten.

„… Ich bin gesund …“ flüsterte sie nochmals. „Gesund …!! – Wie herrlich erscheint mir die Welt jetzt, wie so ganz anders betrachtete ich meine Umgebung, Menschen, Dinge. Ich hatte es ja verlernt, mich über irgend etwas zu freuen, ich war innerlich tot … und nun lebe ich wieder!“ –

Als die Sonne bereits den Kuppen der Eisgebirge sich näherte, waren unsere sechs Gefangenen sicher untergebracht, und Bert Beng zeigte mir die schriftlichen Geständnisse, durch die, wie nicht anders zu erwarten, immer einer dem andern die Hauptschuld zugeschoben hatte und gerade dadurch doch jede Einzelheit dieses unerhörten Verbrechens an den Tag gekommen war.

Die beiden Frauen sorgten für eine kräftige Mahlzeit, Beng und ich berieten, wie wir uns nun am gefahrlosesten zu seinem gut verborgenen Kutter durchschlagen könnten. Die Gefangenen gedachte er frei zu lassen, wollte dann Melbourne ansteuern und die Schriftstücke durch einen Vertrauten einem angesehenen Bürger zustellen, der dann das Weitere schon in die Wege leiten würde.

Noch heute abend wollten wir mit Hundeschlitten durch den Eisdom die Coldawoor-Lichtung verlassen, – gegen die gut bewaffnete Besatzung der „Australia“ hätten wir nichts ausrichten können, und ebensowenig konnten wir die Gefangenen mitnehmen. Mochten sie zusehen, wie sie sich bei dem gegenseitigen Haß bis zum „Eisvogel“ zurückfanden, – jedenfalls konnte die „Australia“ dann den flinken Kriegsschiffen, die man ausschicken würde, niemals entgehen.

All das war ja auch gleichgültig. Percy Coldawoor war gerächt, Smauser und seine Mitschuldigen waren verloren, wenn man sie aufgriff, Smausers Reichtum besaß keine Macht mehr, und die ganze Welt würde aufhorchen, wenn sie vernahm, daß eine goldgierige Gesellschaft von Schurken aller Schattierungen, aller Schichten sich zusammengetan hatte, um – – eine Mumiengrotte durch feigen Mord plündern zu können …

Richter Lynch hatte gesprochen – ohne Blutvergießen. Meines Freundes Bert Bengs Taktik war doch die richtige gewesen. –

Mita ruft uns zur gemeinsamen Mahlzeit. Draußen auf einem flachen Stein ist der Tisch gedeckt – ohne Decke freilich, aber frohe Menschen sitzen um diese Steintafel vor leichten Metalltellern und genießen Doppeltes: Die Freude des Erfolgs und die warme schlichte Mahlzeit.

Auch Taito und seine grimmen Brüder drüben im Zwinger erhalten ihr Teil …

Wir vier schauen uns an mit strahlenden Augen, und wir zwei und die anderen zwei spüren das Glück sehnsüchtiger Liebe und versenken die Blicke ineinander und Hand findet sich in Hand zu zärtlichem Druck.

Um uns her ist die Wunderwelt der Antarktis, – das Land des ewigen Eises dehnt sich dort drüben mit weißen Zacken und Mauern, – hier in dem Paradies am Südpol sind wir in einem Zauberreich.

Wo und wann ward Menschen jemals eine solche Stunde beschert?!

… Ich spreche dies aus, und die Gefährten nicken ernst und sehen die Polarsonne versinken …

Dämmerung naht …

Wir schweigen …

Und dann, wir alle fühlen es gleichzeitig, scheint der Boden unter uns zu wanken – nur Sekunden. Weither kommt das schwache Donnern und Krachen und Grollen, für das wir keine Erklärung finden.

Bis ebenso urplötzlich die gesamten geflügelten Bewohner der Coldawoor-Lichtung unter ohrbetäubendem Kreischen sich in die Lüfte erheben und in weißen flatternden Wolken gen Südwest verschwinden – dem Meere zu.

… Bis ebenso urplötzlich Bert Beng emporspringt und auf den dunklen Schlund des Riesenventils der unterirdischen Feuer deutet …

„Keine Sandfontänen mehr … – schaut hin! Nichts mehr, – – die Eisluft der Antarktis bricht herein auf uns!!“

Wir fühlen es …

In Sekunden hat der Südpol mit seiner Urgewalt grimmer Kälte das Paradies überflutet … Eiskalte Luftströme umhüllen uns, – eiligst greifen wir zu den Pelzen, eiligst flüchten wir in Bengs Wohngrotte, – wütender Sturm faucht mit dickem Schneegestöber über die Oase hinweg, und Minuten später hat die Antarktis diesen Fleck warmen Landes ausgetilgt … Schauerlich heulen die Rüden im Zwinger, klagend erhebt auch Taito seine Stimme: Der feine Instinkt der Tiere mahnt uns, daß die Feuergiganten des Erdinnern rebellieren und neue Schrecken heraufbeschwören.

 

11. Kapitel.

Der Angriff der Gasgespenster.

… Ich möchte hier nicht einschalten, wo und wie ich dies schreibe, – der rasende Schwung jener Erinnerungen soll nicht unterbrochen werden. Das Beiwerk, das Nebensächliche, hat für später Zeit.

Instinkt der Tiere …

Das Heer der Vögel ist rechtzeitig davongestoben dorthin, wo das offene Südpolarmeer mit seinen treibenden Schollen, seinem Fischreichtum, seinen auf das Eis gespülten Kadavern von Seehunden, Walrossen und Jungwalen, die vielleicht den Lanzenstichen der feindlichen Schwertwale zum Opfer fielen, reiche leichte Beute bietet.

Die Rüden erheben ihre Stimmen noch lauter, Taito läuft zwischen uns umher mit angeklemmtem Schweif, Angst in den vorquellenden Augen, in der Kehle eine scheußliche Fülle von Tönen, die uns noch mehr verwirren.

Wir stehen unschlüssig umher, wir blicken zuweilen durch die Türvorhänge hinaus in das Gewirbel von Flocken, das wie eine schwankende Wand vor unseren vor Kälte tränenden Augen hin und her wogt. Beng bemüht sich am Kamin um ein Kohlenfeuer, – es will nicht brennen, der Qualm schlägt zurück, er gibt es auf, und wir frieren … frieren.

Leichte Erderschütterungen lassen uns atemlos lauschen … Aber nirgends in der Nähe meldet sich das verdächtige Krachen und Poltern, wie wir es vorhin fernher vernahmen.

Grita ist’s, die da plötzlich an die Gefangenen denkt, die in Bengs Vorratsräumen, Nebengrotten, stecken.

„Nehmen wir ihnen die Fesseln ab,“ entscheidet Beng. „Sie werden sich hüten, aufsässig zu werden … Wo sind ihre Pelze?“

Halb erstarrt taumeln die sechs in den düster beleuchteten Wohnraum. Die Laternen brennen so seltsam trübe, ohne Glanz.

Smauser fragt, und das Entsetzen klebt ihm die Stimmbänder zusammen …

„Was … ist … geschehen?!“

Beng sagt schroff: „Schauen Sie hinaus, – die Oase der Wärme ist besiegt, der Südpol tilgte diesen dunklen Fleck in der Weite seiner unberührten Eismassen gründlich aus …“

Freund und Feind wartet … wartet … auf irgendeine Katastrophe, die allen den Rest geben wird. Freund und Feind schweigt, bleiche, irre Gesichter geistern durch das Halbdunkel, – Flaschen kreisen, Becher gehen von Mund zu Mund, Alkohol schafft trügerischen Mut, trügerisches Wärmegefühl.

Beng nimmt mich beiseite.

„Olaf, irgend etwas Grauenvolles bedroht uns. Da – beobachte die Lampen … Ich fürchte …“ – er beendete den Satz nicht …

„Sie fürchten wohl das Richtige,“ flüsterte ich zurück. „Das Ventil der ewigen Feuer bläst nicht mehr Hitze ins Freie, sondern Gase … Spüren Sie nicht auch diese Benommenheit, die wie ein Eisenring die Schläfen zusammenpreßt?!“

„Und – was tun“ Bengs sorgender Blick haftet an Mita, an der Frau, die ihn liebt …

„Fliehen – mit den Hundeschlitten durch Ihren Tunnel, – – falls wir noch hindurchkommen – – falls …!“ Und mein Blick umfängt das Mädchen, das der wimmernden, völlig gebrochenen Ruth tröstend zuspricht. Neben ihnen steht der blöde Jüngling Edward und führt eine Prise glitzernden weißen Giftes zur Nase.

Beng sagt nur: „Auch meine Absicht, Olaf. Hoffentlich haben wir nicht zu lange gezögert …“

Dann ist er wieder der eiserne Beng, klar im Entschluß, kalt überlegend, rücksichtslos befehlend.

„Smauser und ihr anderen fünf, – ihr habt draußen vor dem Tunnel euren Motorschlitten … Ihr werdet uns folgen, wir nehmen die Schlitten und Proviant und Zelte. Zwei Schlitten habe ich. – Packt alles Nötige zusammen. Mita, Sie sind erfahren genug, – keine zu großen Bündel! Felle genug sind vorhanden, auch Decken … Beeilt euch, Abelsen und ich werden die Hunde anspannen …“

Wir nehmen zwei Laternen.

Draußen wirft uns der Sturm fast um. Mühsam waten wir durch Schneeschanzen zum Zwinger. Sechzehn Hunde kauern mit gesträubtem Haar in den Ecken … Schwänze eingeklemmt, Furcht in den glühenden Augen.

Beng tritt ein, ich hinter ihm, – die Ledergeschirre sind steif gefroren wie Bretter, unsere Finger bluten bald, keiner der Hunde schnappt nach mir, dem Fremden …

Endlose furchtbare Arbeit, diese Geschirre den Tieren umzulegen, die Tiere vor die großen Schlitten zu spannen … Riemen zerreißen, müssen geflickt werden … Der Sturm jault und jubelt, der Südpol feiert Sieg, und wir Menschlein kämpfen um die letzte Rettung, um die Flucht vor den Giftdünsten, die das Ventil in Coldawoors Lichtung strömen läßt. Der Sturm ist dennoch unser Verbündeter, – er schlendert den Gifthauch ins Leere, er sorgt dafür, daß unser Hirn Klarheit behält, obwohl das Blut uns in den Ohren saust und pocht wie Schmiedelärm. Jede Anstrengung treibt uns kalten Schweiß aus den Poren, wir fühlen, daß unser Blut immer mehr verpestet wird, wir sehen es den Hunden an, daß auch sie das Gift in den Adern haben …

Beng nimmt den einen Leithund am Riemen, ich den anderen … Hinaus aus dem Zwinger in die schneidende Kälte, in den Flockenhagel – hinweg über das neue weiße Leichentuch der Oase der Isis, hin zur Tür der Wohngrotte, – Bündel fliegen uns zu, werden verstaut, – in wilder Hast festgeschnürt …

Dann Aufbruch zu Fuß …

Freund und Feind, eng beieinander, drängt sich vorwärts hinter den Schlitten zum Eistunnel – nur dreihundert Meter steten Kampfes gegen den Schnee, der uns oft bis zu den Schultern umklammert …

Erschöpft, wirr das Hirn, schwanken wir hinein in den schillernden Tunnel, – die Laternen flackern heller, und unter unseren zitternden Füßen spüren wir harten, blanken Eisboden …

Urplötzlich hier eine unheimliche, drohende Stille, aber bessere, reine Luft, – – vorwärts nur … vorwärts, – die Eiswände knistern, der Boden schüttelt sich wie ein gigantisches Untier nach endlosem Schlaf …

Kraftvoller legen die Tiere sich ins Zeug, eiliger wird die Flucht, – niemand spricht, niemand empfindet die enge Gemeinschaft mit den Feinden als Unnatur: Menschen stehen hier vor dem Todesdrohen der Urgewalten, Menschen flüchten, Menschen haben sich in dieser Stunde zueinander gefunden: Mörder und Rächer, – Haß, Gemeinheit sind erstickt, – – Todesnot fegt die Seelen sauber, – Cortys stützt den kraftlosen kleinen Nohc, dem er vorhin bei dem wilden Kampf am Felsen das Nasenbein eingeschlagen hat, – zwischen Mita und Grita schleppt sich die einst so hochmütige Ruth dahin, der Jüngling Edward torkelt selig trunken nebenher, die doppelte Dosis vorhin hat ihn aufgepulvert, nur sein blödes Lächeln bleibt, – Gott mag wissen, welche frohen Phantasiebilder ihm das Kokain vorgaukelt.

Dann der Ausgang des Tunnels: Schneewand, neu zusammengeweht, Schneemauer, in die erst ein Loch gestoßen werden muß …

Cortys hilft uns … Mita hilft … Wir schirren die Hunde ab, benutzen die Schlitten als Rammböcke, die Bündel liegen seitwärts …

Ein winziges erstes Loch, – es wird größer, – fünf Meter Schnee da vor uns, ein Tunnel muß gegraben werden, – hinter uns meldet sich der andere Tunnel mit den kreischenden Stimmen der in Bewegung geratenen Gletschermassen, hinter uns poltert es, splittert es, – – nur durch – durch ins Freie, hinaus aus diesem Grauen, das den Wahnsinn aufflackern läßt …

Wir schaufeln, stoßen, schieben, – Schnee fällt nach, – neue Arbeit, – – und in dieses Keuchen der Lungen und verbissene Kämpfen tropft wie eine Verhöhnung des Schicksals der abgerissene schrille Gesang des alten Smauser hinein – – ein frommes Lied, – – tropft wie widerwärtige Jauche von diesen einst so frechen, anmaßenden Wulstlippen …

Nohc fährt Smauser dazwischen wie ein ebenso irrsinniger räudiger Kater, der bei der Katzenmusik nicht mitmachen will.

„Bist du verrückt – du …!! Hör auf, du … Vieh!!“

… Freunde waren sie, dicke Freunde nannten sie sich, aber der Mörtel dieser verlogenen Gemeinschaft war Gold, und Gold bindet nicht, Gold treibt auseinander …

„Dummes Vieh, – – selbst dummes Vieh!“ schreit der Baronett, hebt die Faust, – schlägt zu, schlägt seiner Tochter gegen die Brust, die diesen Streit abwenden will.

Intermezzo …

Und wir wühlen den Gang ins Freie, wir gewinnen, wir schirren die Rüden wieder an, wir treten hinaus in die Stadt der Eisblöcke, suchen nach dem Motorschlitten …

Gabriel heult wie ein Kind.

„Hier ließ ich ihn stehen,“ zetert er … Tausend Eide schwört er: „Hier!“

Aber es ist nichts da, – nur Schneewehen, Eis, Eisgassen … Schneegestöber.

Wir suchen …

Wir sind durchnäßt – Unterzeug, Pelze, und die Kälte benimmt den Atem …

Der Sturm heult draußen über die freien Schneefelder mit doppelter Kraft.

Smauser hat seine frommen Anwandlungen vergessen, Smausers wahres Gesicht kommt wieder zum Vorschein, – ein alberner, aufgeblasener, von schrankenloser Selbstsucht regierter Geist, den die reine Schneeluft wieder unrein gemacht, fordert von uns in grenzenloser Unverschämtheit den einen Hundeschlitten …

Gabriel kreischt Beifall, selbst Cortys verwandelt sich abermals, – – Bert Beng lacht die Schufte aus …

„Ein Zelt, Proviant, einen Zeltofen, zwei Schlafsäcke, die sollt ihr haben! Lagert hier, – wir holen euch, wenn es möglich ist …!“

Dann aus einer Nebengasse der Eisstadt des Kochs fettiger Baß:

„Der Motorschlitten – – hier, hier!“

Die Sippe stürmt hinweg, hört nicht auf Warnungen, zieht den Schlitten auf die Ebene, das große Leichentuch …

Nein, sie hören nicht …

Besessen sind sie, – Trennung von uns dünkt ihnen Rettung, – der Motor springt an, und sechs Menschen, sechs Wahnwitzige, heulen uns drohend ein Wiedersehen zu …

Auf breiten Kufen gleitet der Schlitten dahin, – und „Hinwerfen!“ brüllt Beng, – da kommt schon die Kugelsaat, – im Schlitten haben sie Waffen, und ihr Dank ist pfeifendes Blei …

Der Schneesturm verschluckt sie …

Wir vier und die Hunde sind erstarrt, – Abscheu, Kälte frißt uns bis ins Mark, – Beng winkt, wir verzichten auf die Todesfahrt, im Nu sind zwei Zelte errichtet, eins für uns, eins für die Hunde, an schneefreier, windstiller Stelle inmitten der Eisstadt.

Die Zeltöfen brennen, Kochlampen brennen, Schlafsäcke werden ausgebreitet, Proviant hervorgesucht, Wasser brodelt in dem einen Kessel, die Frauen sorgen für heißen Tee, Beng und ich bringen den Hunden Decken, damit sie nicht auf dem blanken Eise liegen. Sechzehn zahm gewordene Rüden ballen sich eng zusammen, schlingen die Happen Robbenfleisch hinab, fressen sich Wärme in den Leib …

Vier Menschen und mein Hund Taito sitzen um die beiden Zeltöfen und kommen innerlich zur Ruhe. Die Wildheit der Züge, das Angespannte, Verzerrte glättet sich, unser Gespräch lebt auf, wir leben auf, denn wir sind vorläufig in Sicherheit.

Kein Wort fällt mehr über die armen Narren, die da mit ihrem surrenden Schlitten im Düster der Schneehüllen verschwanden.

Wir sagen nichts, aber wir bemitleiden sie … Jeder malt sich dasselbe aus: Eine Eisspalte, ein Krachen, heisere Schreie, der langsame Kältetod oder ein barmherziges schnelleres Sterben durch den Sturz in grundlose Eistiefen!

… Mita lehnt an Bengs Schulter, Grita und ich sitzen Hand in Hand, auf Mitas Schoß liegt der lebende Ofen Taito, vollgefressen bis oben, schläft schon … winselt im Traum mit dem Sturm um die Wette.

Beng erzählt, gelassen seine Zigarre rauchend, von seiner Flucht aus Melbourne mit dem eroberten großen Kutter. Er erzählt wie von kleinen alltäglichen Selbstverständlichkeiten, er betont, daß der edle Baronett gerade den Kutter stets für eiliges Entweichen bereit hielt … „Es konnte doch etwas mal schief gehen bei dem schiefen Spiel … Die Kerle auf dem Kutter waren erlesenes Gesindel, das vor Gericht die Meineide schwor … Ich kannte sie alle … Sie waren überreif am dürren, verfaulten Ast des Lebens, und ich schoß, stach, – – ich weiß nicht, ob einer noch lebt … vielleicht einer. Hinter mir her war ja das Gesetz, die Polizei, verseucht durch Gold, – hätten Sie anders gehandelt, Olaf?! Not kennt kein Gebot, und mein Leben war doch wohl ein wenig wertvoller als das dieser Halsabschneider … – Ich erreichte mit dem Kutter diese Küste, ich fand Professor Coldawoors Lichtung, ich fing mir die Hunde ein, drei Monate lebte ich hier einsam, glücklich in dieser Einsamkeit … Ich habe die Oase der Antarktis geliebt, ich habe das Erbe meines Freundes übernommen und meine Pflicht getan. Und dann kamt ihr, Olaf, ihr beide, – ich hielt euch für Malcolm und Thora, ihr wißt es ja … Ich stand dann vor deinem Schmerzenslager im „Eisvogel“, Mita, und wir sprachen miteinander und fühlten, daß diese Begegnung über unser gemeinsames Dasein entschied …“

Er lächelte still …

„Liebe in der Antarktis, – Wunderblume, die kein Eishauch töten kann wie meine schönen grünen Büsche an den Tümpelrändern meiner Oase drüben. Arme Sträucher, Bäumchen, Gräser: Der Südpol hat euch vernichtet, er duldete nichts Unzugehöriges in seinem Reich. – Und nun laßt uns ruhen, Freunde … Die Schlafsäcke warten, und morgen, falls der Sturm vorüber, brechen wir auf zu den drei hohen Eisgipfeln im Nordwesten, deren mittlerer meinen Kutter birgt …“

… Es ist warm im Zelt, und Grita und ich, zwischen uns Taito, liegen im Pelzsack und flüstern und horchen auf die Brautmusik des Sturmes und … küssen uns über Taitos Kopf hinweg und halten uns umschlungen …

Und Taito knurrt unwillig …

Der dumme, vollgefressene Taito …

Drüben aber, mir scheint, drüben im anderen molligen Bett der Antarktisfahrer ist es nicht viel anders, drüben raunen und wispern gleichfalls zwei Stimmen, – – ich irre mich kaum, auch dort geht die Liebe um, und Gott Amors sanfte Pfeile vernichten auch gleichzeitig all die häßlichen und doch so notwendigen Bilder jener Szenen, in denen Bert Bengs kluge Taktik uns das schriftliche Geständnis derer verschaffte, die als Hauptschuldige für Percy Coldawoors Tod verantwortlich sind …

 

12. Kapitel.

Der Kreuzer funkt …

„… Aus dem Wintertraum ist ein Frühlingstraum geworden, Olaf,“ – und Grita dehnt sich behaglich im Bordstuhl unter dem Sonnensegel und kraut Taito den weichen Pelz.

Der Kutter, den wir „Antarktis“ getauft haben und der nun vier Menschen und einen Hund über die grünblaue, sanft wogende See im grellen, heißen Sonnenschein gen Norden trägt, wiegt sich in den Wellentälern behaglich wie ein träumender Walfisch.

Ich weiß nicht, ob Wale träumen, jedenfalls schlafen sie auf der Oberfläche des Meeres, und da Wale Säugetiere sind und Warmblüter, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie auch träumen … wie Taito, der sicherlich noch immer gelegentlich von seinen vierbeinigen Wolfskameraden träumt, die wir, sechzehn an der Zahl, damals zurücklassen mußten am Eisufer der fernen Küste und die heulend und wehklagend umherliefen und uns nachtrauerten … Das ist weit über einen Monat her, und die brave Meute, die uns durch Kälte und Nacht und Schneewehen so treulich zum Versteck des Kutters gezogen hatte, wird jetzt wohl wieder wie einst die Ufergebiete der Antarktis durchstreifen, an den Eislöchern den Robben auflauern, wird sich vermehren und jener weißen, starren Welt des Südpols immer neue vierbeinige Bewohner schenken.

Grita blickt mich an, ich lächele ihr zu, und ich lege die Feder weg und streichele ihr Braunhaar und ihre frischen Wangen, und ganz leise wiederhole ich nur das eine Wort:

„… Frühlingstraum!“

Neben Gritas Bordstuhl steht mein Klapptisch mit den vielen Blättern, die ich heute mit krausen schwarzen Linien gefüllt habe.

Ich hatte ja in meinem Tagebuch über die Wege abseits vom Alltag, die hin zum Haupte der Isis führten und die nun ziellos in der Ferne verlaufen, so unendlich viel nachzuholen.

Grita ist nicht eifersüchtig auf dieses Tagebuch, das ihr doch so manche Stunde der Zärtlichkeit stiehlt.

„Schreibe nur weiter, Liebster,“ meint sie und greift nach dem Roman, den wir neben anderen und samt anderen Dingen heimlich in Melbourne kauften …

Heimlich wie unser Besuch dort im Hafen überhaupt verlief.

Ich nehme die Feder wieder auf und überfliege die letzten Seiten. Hinter uns am Steuer sitzen Bert und Mita, und Mita singt leise irgendein indianisches melancholisches Lied ihrer indianischen Mutter – von den Wäldern Kanadas und dem harten Winter und der bitteren Kälte und den leichten Schneeschuhen, mit denen die Fallensteller dahingleiten durch verschneite Riesenforsten zu ihren einsamen Hütten.

Das Lied paßt in die Stimmung hinein, die ich nun hier dem Haupte der Isis als Schlußgesang mitgeben möchte. –

Ein Zelt nur war es, keine Blockhütte, in dem wir damals nach jener Sturmnacht erwachten. Wir horchten, und wir vernahmen keinen Laut der fauchenden Windsbraut mehr … Wir sahen durch die schmalen Ritzen des festgeknoteten Zeltvorhangs dünne Sonnenstreifen hereintasten wie frohe, weiße Kinderhände, – oder wie Feenhände, die uns beglücken wollten.

Die zarten Finger kamen zu spät: Wir hatten das Glück schon erhascht und hielten es fest, und uns war um die Zukunft nicht bange …

„Aufstehen, Langschläfer, – an die Arbeit, ihr Faulpelze …!“ – und Bengs frohe Glockenstimme läutete so diesen Morgen ein.

Eiligst krabbelten wir hervor aus den warmen Liebesnestern, eiligst ward der Zeltofen entzündet, die Frauen mühten sich um das Frühstück, wir Männer versorgten die Hunde, hielten Umschau, erstiegen eine Eiskuppe und blickten suchend gen Westen.

Dort mußte die Fackel des Südpols emporlohen, dort mußte der strahlende Streifen am Horizont flimmern und wetteifern mit dem Sonnenball.

Wir sahen nichts, – nur Schneeschanzen, blanke Eishügel, Schneefelder, wieder blankes Eis.

Bert Beng sagte gleichgültig:

„Ich ahnte es Olaf … Ich hatte schon immer vermutet, daß der Fackelberg mit meinem warmen Ländchen, mit dem Riesenventil der schwarzen Steinwände irgendwie in Verbindung stehen müßte …! Professor Coldawoors Lichtung ist ausgelöscht, und erloschen ist auch die Riesenfackel. – Gib mir mal dein Glas, Olaf …“

Auch das Fernglas weckte die Fackel nicht wieder auf. Ich selbst benutzte die scharfen Linsen, ich entdeckte schließlich wohl die drei Mastspitzen des „Eisvogel“ wie dünnste Striche, nicht aber irgendeinen Feuerschein, geschweige denn die unvergleichliche, meilenweit sichtbare Feuersäule des brennenden Kohlenflözes.

Beng stand neben mir. Er hüstelte stark. „Hm – ein sehr schlechtes Zeichen das, Olaf …! Sehr schlecht! Ich denke da an die Sturmrichtung gestern, Nordwest etwa, und an die Möglichkeit, daß der Berg sich ähnliche Gasscherze erlaubt hat wie das Ventil. Der Sturm hat die Gase in diesem Falle genau auf den Dreimaster zugetrieben, und wenn nicht ein Wunder geschah, dürfte der „Eisvogel“ somit ein Massengrab geworden sein, gefüllt mit Kohlenoxydleichen – – vielleicht. – Es wäre grauenhaft, es wäre ein Schwertstreich der ewigen Gerechtigkeit, wie er folgenschwerer kaum zu ersinnen ist.“

„Wir wollen den Frauen hiervon nichts mitteilen,“ erklärte ich bedrückt. „Ich gebe dir recht, Bert, – die Möglichkeit liegt vor, und sollte sie sich bewahrheiten, werden wir allein den „Eisvogel“ betreten, ich möchte von denen, die wir lieb haben, alle neuen Bilder des Schreckens fernhalten. Mita wird es ohnedies schon sehr nahegehen, daß die Fackel des Südpols ausgelöscht wurde, – diese Fackel war ihr, dem halben Naturkinde, Symbol des Glücks geworden, das weiß ich …“

Bert nickte. „Ja – wie für Grita und dich das Haupt der Isis, das nun unter Schnee begraben liegt, das einige Jahre später unter Gletschern träumen wird von dem tapferen Gelehrten, der jene Oase einst fand und mit versagender Hand seine Entdeckung aufzeichnete, durch die dann sein Sohn elend sterben sollte, seine Tochter aber schwer erkranken, wieder genesen und den Mann finden, der ihr sein ehrliches Herz darbot. Vielleicht, Olaf, vielleicht werden wieder Erdepochen verstreichen müssen, bis abermals ein Zufall den Menschen, die nach uns kommen und die dann vielleicht zurückversunken sind in die Uranfänge von Zivilisation, dieses Grabmal Professor Coldawoors wieder öffnet … – Wir, das wollen wir nie vergessen, haben hier mehr miterlebt als nur eine Tragödie der Habgier. Wir taten einen Blick in die dunklen Urzeiten der Erdgeschichte, und jene Mumien der Steinzeitmenschen dort unter dem Haupte der Isis, jene Isis-Verehrer, sollten uns eindringlich daran gemahnen, daß wir Lebenden, wir wenigen Wanderer abseits vom Alltag, doch vielleicht eine Mission zu erfüllen haben: Die, der großen Zahl unserer Millionen von Gefährten diese Abenteuer zu vermitteln als eine Flammenschrift am Himmel des ewigen Firmaments: Liebet einander und helfet einander, und laßt nicht die Selbstsucht eure Herzen versteinern! – Sollte der „Eisvogel“ Massensarg sein, wäre diese Flammenschrift mit Ausrufungszeichen versehen: Memento mori, – Gedenket, daß ihr sterben müßt!“

Niemals hätte ich Bert Beng solche Worte zugetraut.

Stumm fanden sich unsere Hände ineinander.

Von da an waren wir Freunde im edelsten Sinne des Wortes. –

Wir kehrten zu denen zurück, die wir liebten.

Erst bei der Mahlzeit erwähnte ich vorsichtig das Verschwinden der Flammensäule.

Mitas Augen wurden feucht, aber sie beherrschte sich, – Grita lehnte sich enger an mich, schien zu erschauern und sagte leise:

„Mein Vater hat ein Grabmal, seiner würdig! Im Grunde bin ich stolz darauf, daß er, ein Gelehrter, nicht in den stillen Gartenwegen eines sauberen Weltstadtfriedhofs ruht …! – So denke ich, Mita, – und ich verlor mehr als du, glaube mir, trotzdem war die Vorsehung gnädig.“

Im hastigen Getriebe des Aufbruchs ward auch dieses zunächst hintenangestellt, – die Fackel des Südpols und das Isishaupt mußten den Erfordernissen der Stunde weichen.

Es gab viel Lärm und Hiebe mit den wieder allzu frischen Wolfsrüden, – mit Taito balgten sie sich herum, Lederpeitschen schlugen dicke Striemen, dann hatte auch ich Gewalt über die prächtigen Bestien, und das Anschirren und Einspannen ging leicht und schnell, – die Schlitten waren beladen, die Zelte abgebrochen, und mit Hallo und Heidi flogen wir davon gen Westen über funkelnde Eisbahnen und unberührte Schneeflächen …

„Schonen wir die Tiere,“ mahnte ich, als die Hälfte des Weges hinter uns lag.

Beng sprang aus dem vorderen Schlitten.

„Recht so – marschieren wir … Die Bewegung wird auch uns das letzte Gasgift aus dem Blute treiben.“

Wir schritten flott dahin, das Wetter war mild für die Antarktis, kaum zehn Grad schätzte ich die Kälte, kein Windhauch warf den Pulverschnee hoch, kein Wölkchen störte den matten Farbton der Himmelsglocke.

Der einstige Fackelberg tauchte auf … Seine Kuppe war noch schwarz, schneefrei, aber aus dem Schlunde droben, der bisher Flammen spie, kräuselte sich nur dünner Rauch in die stille Luft empor, kaum sichtbar, dennoch Rauch, letztes Anzeichen dessen, was gewesen, was geschehen.

Näher kamen wir, – wir sahen, daß breite Risse den Berg durchzogen, daß Eisschlünde seine Hänge bedeckten, daß die Form der Kuppe flacher war, breiter, uns daher fast fremd.

Ein Einsturz des Gesteins mußte das Strahlrohr der Feuerfontäne verschlossen haben, – die Feuer dort drinnen wüteten weiter, aber sie mochten ihre Glut mit der anderer, tieferer Riesenöfen vereinigt haben …

Noch trennte uns eine letzte weiße Bodenwelle von dem unberührt im Packeis ruhenden Dreimaster, der über und über mit Neuschnee bedeckt sein mußte.

Wir hielten an.

„Weshalb?“ fragten die Frauen.

Beng stand und zündete wortlos sein Feuerzeug an. Es brannte klar und ruhig.

„Kein Gas,“ nickte er zufrieden. „Ihr bleibt hier, hütet die Schlitten, Olaf und ich wollen dem Dreimaster einen kurzen Besuch abstatten …“

„Wir kommen mit!“

Grita setzte ihr energischstes Gesichtchen auf.

Und wir gaben nach, zogen über den Schneehügel, schauten das große tote Schiff, das unter Neuschnee fast begraben war.

Nicht eine verdächtige Fährte war irgendwo zu bemerken …

Keine Spur von Motorschlitten, Menschen …

Daß die sechs Narren, die da gestern mit heimtückischer Salve von uns Abschied genommen, noch lebten, – keiner von uns glaubte das.

Taito, beweglicher denn je, bellte den „Eisvogel“ freudig an, rannte voraus, stoppte ab, stand still, hob das eine ihm noch verbliebene Ohr (das andere ruht im Geröll einer Binnenseeinsel von Formosa) und …

„Auf die Schlitten!“ – meine Stimme überschlug sich … „Taito – – hierher!!“

Denn ich kannte ihn …

Und von da an liebte ich ihn noch mehr.

Beng begriff sofort, – die beiden Hundeschlitten fegten scharf nach Norden davon, in wildestem Tempo, – die Lederpeitschen pfiffen, – noch anderes pfiff und summte, – – der Hinterhalt war schlau erdacht, aber Smauser und Konsorten waren Sauschützen, – – der Bleihagel riß Furchen in blanke Eisbahnen, Eissplitter stäubten empor …

Grita hatte sich umgewandt …

Grita sah es zuerst …

„Die Motorschlitten – – drei!“ – und noch toller pfiffen die Peitschen, noch toller raste die wilde Jagd ins Weite.

„Nimm das Leitseil und die Peitsche,“ sagte ich voll stummen Grimmes. „Ich nehme die Büchse, Kind, und so wahr ich noch nie daneben schoß, seit mir ein Araukaner Lehrmeister war, – ich werde treffen!“

Ich drehte mich, hatte nun die Verfolger vor mir …

Bengs Büchse sprach dennoch als erste.

Auch er benutzte einen der Ballen als Auflage für die Waffe, – im vordersten Schlitten, kaum hundert Meter entfernt, grinste Smausers schadenfroher Schweinskopf.

Er hatte gut grinsen …

Motorschlitten auf ebener Bahn – – kein Hundegespann kommt dagegen auf!

Es war Selbstverteidigung, Notwehr … Es mußte sein …

Denn drei Motorschlitten, vielleicht vierzehn Karabiner drüben, die dauernd spuckten … ein zu ungleiches Spiel.

Es war ein sehr lebhafter Abschied von der Antarktis.

Es ging um Leben oder Tod. Erschossen sie uns auch nur einen Hund, dann waren wir verloren, – drei Minuten Aufenthalt, und sie waren über uns!

Beng feuerte, und drüben sank der Baronett mit gellendem Schrei zur Seite, fiel aus dem Schlitten, – – meine Kugel brachte Unordnung in den Motor, – unsere Kugeln saßen sämtlich, – brennendes Benzin lohte auf, Wutgebrüll, Angstschreie …

Die Verfolger hielten, der eine Schlitten brannte lichterloh.

Unsere Hunde bewährten sich …

Anderes Gelände kam, – Eisspalten durchzogen die Schneegefilde, der Instinkt der Tiere bewahrte uns vor dem Sturz in die Tiefe …

So und so oft stiegen wir aus, fühlten den trügerischen Boden ab …

Wir durften es, – denn hier war der Motorschlitten ein Unding, hier waren wir die Beweglicheren …

Eine halbe Stunde später sahen wir nichts mehr von den Verfolgern, und mittags schon machten wir den Kutter aus seinem Eisbett frei, schleppten ihn in offenes Wasser, verstauten die Fracht …

Die Wolfsrüden heulten, wollten mit an Bord.

Bert Beng ging, streichelte jedes Tier, drückte jeden Kopf an seine Brust, und als er wieder an Bord sprang, hatte er feuchte Augen.

Nicht ein einziges Mal schaute er nach der Küste zurück, wo seine treuen Hunde kläglich den Abschied für immer beweinten. Still saß er am Steuer, harte Linien um den Mund, starr geradeausblickend … Mita saß neben ihm, hielt ihn umschlungen … wortlos, tief ergriffen wie er.

Noch lange, lange vernahmen wir die traurigen Stimmen der Hunde, noch lange sah ich sie über die Eisufer rennen, – immer kleinere Pünktchen …

Taito schmiegte sich an meine Füße und winselte gleichfalls, als ob er begriffe, was in uns allen vorging …

„Du hast es besser, Taito,“ sagte meine Grita ganz leise …

Und dann, nach einigem Kampf gegen treibende Schollen, lag das freie Eismeer vor uns, das sich fernhin dehnt bis zu den Gestaden des australischen Kontinents.

Mit der sinkenden Sonne entschwand auch die Antarktis im Grau der Dämmerung, das Land des ewigen Eises blieb zurück, nur ein paar Gletscherzacken leuchteten noch wie Alpenglühen. –

Drei Tage drauf begegneten wir dem australischen Kreuzer Sydney. Nur kurz war das Märchen, das wir erfanden, nur kurz die Aussprache mit dem Kommandanten … Unsere Namen paßten sich dem Märchen an, wir übergaben die Geständnisse der Mörder, und der Kreuzer glitt gen Südwest, um den Dampfer Australia abzufangen.

Und als wir dann in jener Regennacht in den Hafen von Melbourne uns hineinschlichen, als Beng, der Ortskundige, zur Ergänzung unserer Vorräte stundenlang wegblieb und schließlich mit einem vollbepackten Nachen wieder erschien, brachte er auch Zeitungen mit.

… In den Zeitungen Funksprüche vom Kreuzer Sydney …

„Dampfer Australia gefunden. Kommen nach Melbourne. Sir Jonathan Smauser mit schwerem Bauchschuß sterbend sein Geständnis ergänzt. Es ist zu fahnden auf großen Motorkutter mit vier Personen, darunter Inspektor Bert Beng, des mehrfachen Totschlags verdächtigt, ferner …“

Da hat Mita die Zeitung in die See geschlendert …

Und dorthin gehörte der Wisch. – –

Nun fahren wir im Sonnenglanz ins Ungewisse – irgendwohin, – irgendeine Insel wird uns gastlich aufnehmen, und dort werden wir den Frühlingstraum weiterträumen …

Irgendwo …

Irgendwo – ganz abseits vom Alltag, ganz für uns allein …

Vier Menschen …

Ein Hund …

Und der Kutter „Antarktis“ …

Und – – das Glück dazu, das Glück der Liebe, gesegnet durch die große Gottheit Isis … –

Das Haupt der Isis schlummert unter Eis und Schnee … fern, ganz fern …

Ganz nah’ ist mir ein anderes Haupt, – Grita küßt mich …

„Mache Schluß, Liebster …!“

Natürlich gehorche ich …

Frühlingsträume soll man auskosten, zuweilen sind sie so kurz … so zerbrechlich …

Beng ruft glockenklar:

„Hallo, Olaf, – – vor uns eine Küste … Auf der Seekarte ist hier nur Wasser vermerkt.“

Hiermit ist der Schlußstrich gezogen unter das große, schöne, wilde Märchen dieses … Südpolpfades.

 

Band 19: Die Nacht der Gondaloors.

 

 

Anmerkungen:

  1. Fehlenden Absatz eingefügt.
  2. Doppeltes Wort „in“ entfernt.
  3. In der Vorlage steht: „mir“.
  4. „Bresty“ / „Brosty“ – Einheitlich auf „Bresty“ geändert, da im weiteren Text auch die Anspielung auf „Bestie“ vorkommt.
  5. In der Vorlage steht: „es“.
  6. In der Vorlage steht „gedehmütigt“ (mit „h“), im Text kommt aber auch die Schreibweise ohne „h“ vor („Demütigende“), daher auf „gedemütigt“ geändert.
  7. In der Vorlage steht: „aufstand“.