Olaf K. Abelsen
Abenteuer
Abseits vom
Alltagswege
Einzig berechtigte
Bearbeitung a. d.
Schwedischen von
M. Schraut
– Band 20 –
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1930 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.
Die Redensart, mit der Aladin Knox sich bei mir eingeführt hatte, war ganz dazu angetan, völlig falsche Vorstellungen über diesen so außerordentlich höflichen Anwalt aus Edmonton, Brit. Kanada, zu erwecken.
Edmonton und die Royal-Insel liegen ein wenig weit voneinander entfernt, und meine Überraschung war somit durchaus berechtigt, hier auf „meiner“ Insel einen mit vielfach gestempelten, zweifelsfreien Vollmachten versehenen Advokaten als Vertreter der Erben der unglücklichen Familie Gondaloor begrüßen zu dürfen.
Knox saß mir gegenüber in der Kajüte meines Kutters, als dritter wohnte das Känguruh Moritz dem friedlichen Palaver bei, und die Sachlage wurde in kurzem zur allseitigen Zufriedenheit geklärt.
Die Gondaloors waren tot. Sie starben hier auf Royal-Insel durch die grausame Explosion, die ihre Felswohnung vollkommen zerstörte. Sechs Jahre hatten sie hier gehaust, arme Irre, tot für die Welt, verschollen, unauffindbar, und da war es nur natürlich gewesen, daß die Gerichte in Kalkutta, Ernest Gondaloors letztem Wohnsitz, die reichen Sachwerte des verschwundenen Großkaufmanns in Verwaltung nahmen und Erbenaufrufe erließen. Eine dieser englischen Zeitungen verirrte sich bis in die fernsten Einöden Nordwestkanadas, und auf diese Art, so bewies mir Aladin Knox schwarz auf weiß, bildete sich ein Konsortium von Siedlern, Fallenstellern und Kaufleuten, die den Erben das nötige Geld vorschossen, Mr. Knox zunächst nach Kalkutta und dann weiter nach der Grenze des Polargebiets zu senden, wo die Behörden längst auf irgendeiner der menschenleeren Inseln die Gondaloors wohl vermutet, aber nie gefunden hatten.
Ein Zufall ließ dann Aladin Knox mit der gemieteten Schonerjacht auf gut Glück hier landen, obwohl der Kapitän der „Minnehatta“ das Absuchen von Royal-Insel für bloße Zeitverschwendung erklärt hatte.
– Ich schreibe diese meine Erinnerungen an den Abschied von „Royal“ und von dem schönen stillen Friedhof, auf dem so viele liebe Herzen schlummerten, unter etwas eigentümlichen Umständen nieder.
Am liebsten schriebe ich mit einer Pistole, in deren Lauf man einen Bleistiftstummel gesteckt hat.
Dann hat man ja den nervenberuhigenden Apparat mit den neun Patronen am besten zur Hand.
Immerhin liegt diese Cold-Pistole rechts neben mir, entsichert und gespannt, – links liegt eine zweite, und am Tische lehnt noch eins der weiteren Andenken von Royal, eine etwas verrostete, aber trotzdem unheimlich zuverlässige Sniders-Büchse.
Überhaupt …
Ja – überhaupt: Unter Begleitumständen wie diesen habe ich alter Globetrotter noch nie – und das will etwas heißen – Tagebuch geführt.
Die meisten Menschen, die da mit dem Alltag leben und in ihm den behaglichsten Freund sehen, ahnen auch nicht im entferntesten, daß unsere brave Mutter Erde trotz Radiotelegraphie, Radiotelephonie, Autos, Flugzeugen, Flugschiffen, Luxushotels schwimmender Art und so weiter immer noch Winkel und Winkelchen besitzt, in denen die Wege abseits vom Alltag so wundervoll farbenfroh, dornig, sandig, steinig oder geheimnisvoll-dunkel sind.
Ich selbst ahnte es nicht.
Als Ingenieur wie ein freier Vogel von Kontinent zu Kontinent streifend, von Arbeitsstätte zu Arbeitsstätte, warf mich die unergründliche Laune des Schicksals an den fluchbeladenen Strand aller gescheiterten, ausgestoßenen Existenzen.
Flüchtling vor dem so oft irrenden Arm der Justiz, Flüchtling vor dieser Welt mit ihren Dutzendgeschöpfen, die sich Kulturwelt nennt, Flüchtling vor der in mir brodelnden Verachtung für dieses ganze verlogene Getriebe, trug mich das Schicksal an immer neue Gestade …
Abseits vom Alltag …!
Menschen kreuzten meine entlegenen Pfade, die mir den Glauben an das Gute zurückschenkten oder aber mich lehrten, das Böse auszutilgen …
Hochherzige Naturen waren mir Freund oder Geliebte, Schurken waren mir Zielscheibe für meine Hand, die nie zittert, wenn der Finger am Abzug der Waffe sich krümmt.
Auge um Auge, Zahn um Zahn!
Der Alltag kommt zur Not mit seinen papiernen Gesetzen wohl aus, – abseits vom Alltag gilt nur das eine Gesetz: Hilf dir selber!
Und ich habe mir geholfen, auch hier auf der „Minnehatta“, wo ein erlesenes Gesindel sich zusammengefunden hat.
Weiß Gott, der arme Aladin Knox mag ein guter Advokat sein, als er aber in Kalkutta diese Schonerjacht mit dieser Besatzung mietete, muß er – er mag es mir verzeihen – ein dickes Brett vor dem Schädel gehabt haben.
Überhaupt …
Ja – überhaupt: An sich mag der Gedanke, seine junge bildhübsche Frau mit auf die Erbschaftssuche zu nehmen, ja sehr verlockend gewesen sein, aber der schlichte Menschenverstand hätte es Aladin sagen müssen, daß fünf Millionen Pfund Sterling rund siebenundzwanzig Millionen Dollar sind und daß es Leute gibt, die anderen schon geringerer Summen wegen den Hals abschneiden.
Anni Knox schläft nun dort hinter dem Vorhang. Ob Aladin noch lebt, wissen wir nicht.
Wir sind hier zu dreien in diesen Räumen im Heck der Minnehatta, und Nr. 3 ist Annis Hündchen „Bully“.
Bully ist ein Kapitel für sich.
Als das junge Ehepaar vor elf Monaten Edmonton verließ, um für das Erben-Konsortium treu und brav und arglos und ehrlich alles Nötige zu erledigen, war Bully genau sechs Wochen alt und sollte nach seinem jugendlichen Aussehen und gemäß den Versicherungen des Züchters ein reinrassiger, vornehmer Boxer werden.
Hunde, junge Hunde, ganz junge Hunde sind die größten Betrüger – unwissentlich. Sie versprechen viel, und sie halten wenig, sie sollen vielleicht zum herrlichen Pudel sich auswachsen und werden zu einer wundervollen Promenadenmischung.
So auch Bully.
Bully mag als Baby hübsch gewesen sein.
Ich habe ihn nicht gekannt.
Aber Anni beschwört es.
Mag sein.
In elf Monaten ist Bully jedenfalls von der Schönheitslinie abgewichen und ein echter, strammer, drahthaariger, obeiniger Schandfleck für das gesamte Hundegeschlecht geworden.
Aber – ich liebe ihn.
Er hat Charakter. Er hat Ohren, wie jene Kaninchensorte, deren „Löffel“ am Boden schleppen. Er hat einen Schwanz wie eine Kuh, – die Motten sind scheinbar hineingekommen, – – nein, ich will meinen grimmen Witz nicht an Bully auslassen, denn Bullys Rute starb ehrenvoll im Feuer.
Überhaupt: Überlege ich mir, wie und wo ich diese meine ersten Anfänge einer Tragödie, deren weitere Akte noch gar nicht abzusehen sind, hier schriftlich fixieren soll, so müßte ich vielleicht richtiger so begonnen haben – wie ein Märchen:
Es gab einmal eine Schonerjacht, die eine alkoholfreudige Genossenschaft dazu ausrüstete, die alkoholfeindlichen Amerikaner mit dem vielbegehrten Stoff (welcher Widerspruch!!) zu versorgen.
Besagte Herren fanden es für gut, im Heck der Jacht zwei Räume heimlich mit Panzerplatten unter der Seidenbespannung der Wände zu versehen und auch sonst reichlich viel Stahlplatten zum Schutz des tiefer gelegenen Maschinenraumes (Benzinmotor, prima – prima, Leistung 29 Knoten) zu verwenden.
Besagte Herren hatten erst Glück, hatten dann Pech, eines nachts knallte es von einem anderen Fahrzeug sehr unhöflich gleich mit Schiffsgeschützen, die Genossenschaft flog auf und flog – ins Loch, und die Minnehatta (ein sehr lieblicher Name doch!) wurde versteigert und von dem braven Mr. Staffy Hampel aus Kalkutta für „Frachtfahrten“ in den indischen Gewässern erworben.
Welcher Art diese Frachtfahrten waren, ahnte niemand.
Ich ahnte es, als ich die Geschichte der Minnehatta (gleich „fließendes Wasser“, aus dem indianischen) von Knox vernommen und dann Herrn Gustav Hampel von Angesicht zu Angesicht geschaut und ihm bald darauf eine Kugel durch die linke Pfote geschossen hatte, wobei drei Finger für immer von ihrem bisherigen Besitzer sich trennten.
Hampel wird mir das nie verzeihen. –
Überhaupt …
Überhaupt Staffy Hampel …
Dieser Kerl mit dem erlesensten Schafsgesicht hat zweifellos mehr spurlos abhanden gekommene Schiffe im Chinesischen Meer auf dem Gewissen als sämtliche chinesische Piraten, deren Existenz früher in Romanen sehr nutzbringend für den Autor war, die einfach geleugnet wurde und heute, wo die Welt so überaus zivilisiert ist, leider nicht mehr geleugnet werden kann. Man vergleiche Zeitungsnotizen.
Staffy Hampel hat ohne Frage an jenem Tage, als ein durch vieles Limonadetrinken vollständig von Gott und aller Welt verlassener Hafenpolizeibeamter ihm die Minnehatta in der Versteigerung zuschlug, sechs bis sieben Pullen Sekt getrunken und sich so ins Fäustchen gelacht, daß sogar sein lieber Vetter Satanas dies Hohngelächter vernahm und mit zu dem Gelage erschien und auch gleich unsichtbar in Staffy Hampel hineinfuhr, wie man dies so im finsteren Mittelalter von den Hexen annahm, die auch in ein verschrumpeltes Weiblein hineinkrochen und dann erst auf dem Scheiterhaufen bei frommen Gesängen hochwürdiger Priester den schmorenden Leib wieder verließen.
Staffy Hampel hat nie diese Prozedur kennengelernt, und der Teufel blieb daher „in ihm“ und „auf ihm“, denn dieser Kapitän und Eigentümer der „Minnehatta“ gleicht dem Bruder Gottseibeiuns für ein erfahrenes Auge wie ein Hühnerei dem anderen.
Für ein unerfahrenes bleibt das harmlos-biedere Schafsgesicht bestehen.
Das also ist Staffy Hampel, der nun Anni Knox, mich und Bully belagern läßt und mit mir nur durch das Guckloch dort in der Tür verkehrt, die auch aus Stahl ist – zum Glück, – und deren Sehschlitz innen einen Stahlschieber hat – zum Glück. –
Habe ich nunmehr die Hauptpersonen des Vorspiels genügend gekennzeichnet, so darf ich mit gutem Gewissen auf die Handlung selbst näher eingehen.
Ich schreibe also …
Als Lichtquelle dient mir eine Stearinkerze, die in einem Pappkarton steht und zwar so, daß das Licht nur gerade auf das Papier fällt. Die übrige Umgebung liegt im Dunkeln, und dies ist nötig, da Hampels bierehrliche Matrosen verschiedentlich sich schon den Scherz erlaubten, von unten durch die Dielen zu schießen.
Jetzt werden sie diese Witze wohl aufgegeben haben, da ich gestern die Kugeln erwiderte und mir das Schmerzgeheul bewies, daß die Treffer mir aufs Konto kamen.
Trotzdem: Vorsicht schadet nichts!
Ich habe auch den Tisch aus diesem Grunde abermals anderswo aufgestellt, und ich habe ferner noch die nach dem Waschraum führende Stahltür ausgehoben und sie unter Annis Bett gelegt.
Ich glaube kaum, daß ein blondes junges Geschöpf von Annis holdseliger Lieblichkeit je derart gepanzert sich in den Schlaf geweint hat.
… Seit fünf Tagen.
Denn vor fünf Tagen trat das ein, was ich so allmählich vorausgesehen hatte: die Katastrophe, könnte man sagen.
Aber das Katastrophale dabei lag mehr auf Seiten von Staffys Banditen, – sie dürften damals abends den „Abgang“ von vier Mann zu verzeichnen gehabt haben, schätze ich.
Für 27 Millionen Dollar ist das noch wenig. Es wird noch mehr werden, befürchte ich.
– Voller Neid habe ich soeben eine Pause gemacht, an meiner kalten Zigarre gelutscht (Rücksicht auf Anni!) und dort links den Titel des Romans gelesen, den Anni zur Zeit als Ablenkung liest: Ein Roman aus Kanada, geschrieben von einem berühmten Amerikaner, der leider schon tot ist. Aber als Lebender wird er die Verhältnisse in Nordwest-Kanada wohl gekannt haben. Anni freilich, beheimatet in Edmonton am Rande der Wildnis, behauptet steif und fest, die Milieuschilderung sei barer Unsinn.
Ich kann das nicht beurteilen. Ich kenne Kanada nicht.
Voll Neid blicke ich trotzdem auf den Titel. Ich habe dreißig Seiten gelesen, und der Autor – alle Hochachtung – hat seinen Roman glänzend eingeleitet und sollte mir als Vorbild dienen. Doch jeder schreibt in seiner Art. Ein Tagebuch ist schließlich nicht so ganz ein Roman, es ist mehr vielleicht, es muß ursprünglicher, natürlicher wirken, und die Seele des Schreibenden muß zwischen den Zeilen aufglühen, nicht die Seelen der Statisten.
Sollte jemals jemand dies hier etwa gedruckt vor die Augen bekommen, wird er immerhin schon eins aus dem Vorstehenden entnehmen: Daß wir drei hier in dieser gepanzerten Heckkajüte und dem gleichfalls gepanzerten diskreten Nebenraum (den erst der liebe Staffy derart einrichten ließ, obwohl er nie baden dürfte), seit fünf Tagen eingesperrt sind und belagert werden, daß aber auch anderseits Staffy und Konsorten nicht in der Lage sind, wirkungsvoll an uns heranzukommen.
Im Gegenteil: Wir drei sind eigentlich die Gefährlicheren, denn wir sind im Besitz einiger Dinge, die diese Schufte gerne haben möchten oder aber sehr ungern in ihrer Wirkung auskosten möchten.
Davon später. Ich will mir ein Beispiel an den berühmten Autor nehmen.
– Anni flüstert soeben hinter dem keuschen Vorhang hervor:
„Olaf, gehen Sie doch schlafen!! Was tun Sie nur?!“
Und ich erwidere genau so leise:
„Ich durchlebe einen Roman, Frau Anni …“
„Ah – meinen Roman!“
„Ja …“
Sie denkt an das gedruckte Buch, und ich denke an das Tagebuch.
„Der Roman ist ja so … so … sentimental – zum Teil …“, erklingt ihr süßes Stimmchen.
„Das finde ich nicht … – Nun schlafen Sie aber, Frau Anni … Um fünf Uhr morgens beginnt Ihre Wache!“
„Gute … Nacht …, lieber … Olaf …“ –
Es ist nicht ganz einfach, mit einem so holden Weibe wie Anni von zwölf Piraten belagert zu werden.
„Es ist Tatsache, Mr. Abelsen“, sagte Aladin Knox in der Kutterkajüte zu mir, „– Tatsache, die Gondaloors besaßen alles in allem fünf Millionen Pfund Sterling.“
Mir fiel die Zigarre aus dem Munde.
„Donnerwetter, die Erbschaft lohnt!“
Knox lächelte stolz.
„Ja, und als Vertreter der Erben bin ich nun hier und …“
„Pardon, wer sind die Erben?“, warf ich ein.
Er deutete auf die notarielle Vollmacht.
„Die Erben sind:
1. Der Bruder Sir Ernest Gondaloors, der jetzige Farmer Horace Emil Edward Gondaloor in Goldy Lake City, Britisch-Canada.“
„Eine Stadt wohl, eine Großstadt neueren Datums?“, fragte ich gespannt.
„Eine Großstadt von fünf Häusern, sechs Scheunen, acht Indianerhütten und insgesamt vierzig Einwohnern etwa“, erklärte er humorvoll und fuhr fort:
„2. Edward Gondaloors Tochter Lizzie Gondaloor, ebenda beheimatet …
3. Anteile an der Erbschaft hat der Erbe zu 1. vergeben an das dort aus zwölf Männern bestehende Finanzierungskonsortium …“
„… Zerbrechen Sie sich die Zunge nicht, – – Finanzierungskonsortium[1], – – das kann ein halb Betrunkener niemals aussprechen! – Im Ernst: Was soll nun weiter geschehen?“
Knox tippte auf die noch unversehrte, uneröffnete Stahlkassette, die ich aus der Felsenbehausung der Gondaloors geborgen hatte.
„Sie wird die Familienpapiere enthalten“, sagte er. „Und Sie wieder werden zu Protokoll geben, daß die Gondaloors sämtlich tot sind.“
Ich lehnte mich zurück und meinte nur:
„Protokoll? Wo, vor wem?“
„Nun, vor dem Gericht in Melbourne, Australien, denn die Royal-Insel hier gehört zu Australien.“
„Stimmt!!“ Und dann lachte ich bitter … „Mr. Knox, ich habe Sie eingeweiht. Ich bin ein steckbrieflich Verfolgter, und überall, wo ich in sogenannten Kulturländern als Abelsen irgendwie auftrete, wird man mich verhaften, zumal …“
Mr. Knox wehrte ab.
„Unsinn!! Sie werden sich einfach einen anderen Namen zulegen, zum Beispiel den des …“
„Stopp!!“, sagte ich wieder. „Das sind ja noch spätere Sorgen. Öffnen wir mal erst die Kassette. Man kann nie wissen …“ – und ich zuckte die Achseln.
Knox erschrak. „Glauben Sie, daß …“
„Ich glaube gar nichts, ich sage mir: Es kann doch ein Testament vorhanden sein, durch das Ihr Mandant enterbt ist, – die Brüder Gondaloor waren Feinde, deuteten Sie an.“
Aladin Knox war zweifellos ein sehr eleganter, netter, liebenswürdiger junger Herr mit sehr ansprechenden Zügen.
Leider hatten jedoch seine Eltern bei der Wahl seines Vornamens das eine nicht berücksichtigt, was man bei Hundebabys unbekannter Herkunft stets in Rechnung ziehen muß: Man kann nie wissen, was daraus wird!
„Aladins Wunderlampe“ aus den Märchen aus Tausend und einer Nacht ist berühmt, – jeder mittelmäßig Belesene kennt das Märchen.
Aladin als Vorname für diesen semmelblonden Advokaten war ein Mißgriff.
Aladin war kein Wunderknabe.
Und würde es nie mehr werden.
Er war ja schon verheiratet, und ein gewisser Philosoph hat mal gesagt: Die Ehe verdummt!
Ich kann es nicht beurteilen. Es kann sein, es kann auch nicht sein, – diese Frage mögen die Ehemänner unter sich erörtern. –
Jedenfalls: An diese Möglichkeit, daß Sir Ernest ein rechtsgültiges Testament hinterlassen haben könnte, das die Millionenträume seines Bruders grausam zerstörte, hatte Aladin „ohne Wunderlampe“ noch gar nicht gedacht.
Komisch eigentlich – – ein Anwalt!!
Er starrte mich ganz verstört an.
So verstört, daß ich ihm die Beruhigungspille reichte: „Es kann sein, Mr. Knox! Wahrscheinlich ist es nicht so, denn Sir Ernest war sechs Jahre vor seinem Tode bereits geisteskrank, und ob …“
Ich brach den begonnenen Satz sehr kurz ab, da sich draußen die Laufplanke, die meinen Kutter hier in der Nordbucht der Insel mit dem Ostufer verband, knarrend meldete.
Es kam jemand.
Bisher hatten Aladins drei Begleiter drüben in den Dünen gewartet und uns noch nicht belästigt.
Ich decke schnell meine Seehundsfelljacke über die Kassette, und dann trat auch schon Mr. Staffy Hampel ein.
„Morgen, Gentleman“, lächelte er schleimig. „Sind Sie immer noch nicht fertig mit dem großen Palaver?“
So lernte ich Staffy kennen, und ich kann wohl sagen, noch nie ist mir ein Mensch auf den ersten Blick so unsympathisch gewesen wie dieser kleine, vertrocknete, rothaarige, rotnasige, schielende und katzbuckelnde Hampel.
„Das ist Käpten Hampel“, stellte Knox vor. „Und das hier ist Mr. …“
„Smith“, fiel ich ihm ins Wort. „Oskar Smith, vom Walfischfänger „Sturmvogel“, log ich weiter. „Der Sturmvogel samt Besatzung sieht sich jetzt den Meeresgrund an, und ich bin der einzige Überlebende, – so ist es, Mr. Hampel … Nehmen Sie Platz und stecken Sie sich diese Tabaknudel zwischen Ihre feinen Goldzähne … Ihren Zahnarzt können Sie mir wohl empfehlen, denn …“
Hampel grinste.
„Sie sind ein spaßiger Boy, Mr. Smith …“
„Immer gewesen, – war Koch auf dem Sturmvogel, und wenn es not tut, brate ich Ihnen aus einem Paar alten Transtiefeln ein Beafsteak zurecht, das selbst Sie mit Ihren Patentzähnen kauen können …“
Der Käpten griente noch mehr.
„Für einen Robinson haben Sie Laune, Mr. Smith … Wie lange hausen Sie hier schon allein?“
„Zwei Jahre“, erklärte ich, jeglicher Wahrheit zuwider. „Und diese zwei Jahre hielten mich die Gondaloors droben in ihrer Felshöhle gefangen, bis der alte Herr eben aus Unvorsichtigkeit die Dynamitkiste falsch behandelte und – – na, – der Kirchhof drüben sagt genug.“
Hampel rauchte zerstreut.
„Sie wissen also genau, daß alle Gondaloors tot sind, Mr. Smith?“
„Die, die hier im Verborgenen lebten, die sind tot, das kann ich beschwören und auch beweisen, da ich einige Papiere und Bilder der Familie in Sicherheit gebracht habe.“
Ich überlegte mir jedes Wort sehr reiflich, denn diesem Hampelmann traute ich nicht über den Weg.
Meine Wege abseits vom Alltag haben mich klug gemacht.
„So … so …“, brummte der kleine Käpten. Und zu Knox gewandt: „Na, dann können wir ja eigentlich an Bord der Minnehatta gehen und wieder Melbourne anlaufen. – Nur noch eine Frage, Mr. Smith, – mir fällt da eben ein …: Sie haben doch hier diesen großen Kutter gehabt, weshalb sind Sie nicht bereits unterwegs nach bewohnten Gegenden?“
Ich spürte geradezu den Argwohn dieser schieläugigen Kröte.
„Weil“, erwiderte ich, „weil der Motorkutter nur Brennstoff für drei Tage hat und weil ich mehr Koch als Seemann bin und ich allein mit einem so großen Boot und den Segeln nicht fertig werde. Zum Ersaufen hatte ich wenig Lust, Käpten, – viel mehr Lust hatte ich dazu, hier abzuwarten, bis ein Walfänger in die Nähe käme … So ist es!“
Hampel musterte mich halb verächtlich. Nur einen Moment …
„Ach so!“, meinte er nur.
Und darin lag alles: Er hielt mich für einen jämmerlichen Feigling!
Sollte er auch!
Aladin Knox, der meine Taktik durchschaute, erklärte leichthin: „Es ich durchaus verständlich, daß Mr. Smith lieber hier Robinson spielte, als die etwa zehntägige Reise bis Melbourne wagte. Übrigens, – wir können unsere Unterredung auch besser auf der Jacht fortsetzen, Mr. Smith. Käpten, sorgen Sie doch dafür, daß die Minnehatta hier in die Bucht einläuft.“
Zu meinem Erstaunen erhob sich der Käpten sofort.
„Wie Sie befehlen, Mr. Knox …“
Und er stampfte hinaus und an Land, während mein zahmes Känguruh Moritz ihm selten nachschaute. – Moritz wittert edle Seelen.
Ich aber blickte Knox an und schüttelte den Kopf.
„Mr. Knox, – und dem Kerl haben Sie sich anvertraut!!“
Aladin Knox fragte bedrückt: „Halten Sie ihn für … für …“
„… einen hartgesottenen Schurken? – Ja!! Und was Sie mir da über die Schonerjacht Minnehatta und Hampel vorhin berichteten, läßt mich das Schlimmste fürchten! Ich rate Ihnen: Kein Wort über die Kassette, – – und doppelte und dreifache Vorsicht! Bedenken Sie doch: Es geht hier um ein ungeheures Barvermögen, das jetzt in Kalkutta für Ernest Gondaloors Erben vom Gericht verwaltet wird. Wie leicht kann dieser Staffy Hampel da irgend einen Schwindel oder noch ärgeres versuchen!! Wenn des Käptens Besatzung genau so einwandfreie Gaunervisagen hat wie er selbst, dann …“
Aladin aus Edmonton erblaßte.
„Mr. Abelsen, die Matrosen sind allerdings zur Hälfte Chinesen und …“
„… und der Rest auch Gurgelabschneider“, vollendete ich hart. „Nun hören Sie mal zu, Verehrtester: Anwalt sind Sie, ein anständiger Bursche auch, aber als Bevollmächtigter der Erben sind Sie geradezu leichtfertig gewesen. – Sie werden jetzt gestatten, daß ich, der doch schließlich hier mit im Spiel ist, die Sache in die Hand nehme. Auf keinen Fall darf Hampel meinen Namen erfahren. Sie waren in Melbourne, und gerade dort …“
Knox seufzte: „Ja, ich weiß … Man sucht Sie auch dort, weil Sie …“
„… ganz recht, – die Geschichte vom Isiskopf, – – lassen wir das! – Ich bleibe also Oskar Smith, Koch vom gesunkenen Walfänger Sturmvogel, – das ist nämlich Tatsache, der Walfänger ging hier an den Klippen vor zehn Tagen im Orkan unter, und die See warf Smiths Leiche an Land … Er hatte noch Papiere bei sich, und wenn ich den Toten heimlich noch schnell wieder ausgraben und die Papiere an mich nehmen kann, so …“
Knox war sprachlos. „Das – das würden Sie tun? Ausgraben?!“
Er schüttelte sich vor Grauen.
– Nun, – ich nahm es ihm nicht weiter übel … Es ist nicht jedermanns Sache, Tote nur als Tote zu betrachten …
„Warten Sie hier“, meinte ich und ich blickte durch das Fenster über die Dünenlandschaft der Ostseite von Royal … „Die Kerle sind zum Südstrand zurückgekehrt, und ich kann es wohl wagen, Smiths Grab zu öffnen …“ –
Zuweilen begeht man Unvorsichtigkeiten, die einem später unbegreiflich sind.
Ich war damals, als Knox mich so unerwartet auf dem Kutter besuchte, weniger durch sein Erscheinen, als vielmehr durch diese ganze Erbschaftsangelegenheit in gewissem Grade verwirrt worden. Ich hatte hier auf Royal-Insel seit Wochen keinen Menschen mehr gesehen, hatte nur Moritz als Gesellschafter gehabt und meine eigenen Gedanken und meine große, tiefe Trauer um die, denen ich dort den Friedhof errichtet hatte.
Ich brauche die Menschen nicht.
Wer abseits vom Alltag in innigster Gemeinschaft mit der Natur lebt und wer diese freie, weite, schöne Natur, mag es das Meer oder die Wüste oder der Urwald oder ein Hochgebirge sein, so liebt wie ich, der fühlt sich nie allein, nie in dem Sinne, daß ihn die Sehnsucht packt nach einem Meinungsaustausch mit einem gleichartigen Geschöpf – einem Menschen!
Ich liebte diese geheimnisvolle Insel, deren Geheimnisse nun aufgedeckt zu sein schienen und die doch – das zeigt mir Knox’ Besuch – irgend eine abenteuerliche Fortsetzung erfahren würden.
Arme Wahnsinnige hatten hier gehaust und waren in ihrer Art noch glücklich gewesen, denn das Geschick hatte ihnen eines belassen, das vielen, vielen Göttergeschenk bedeutet: die Liebe zur Musik, und die Möglichkeit, sie auszuüben! In dunklen Nächten hatte ich gleich traumhaften Ätherklängen jene Musik vernommen … Und dann – – dann riß die ungeheure Gewalt der Sprengpatronen den mit Seide ausgekleideten Saal der Gondaloors auseinander, und was blieb, waren Tote … war Zerstörung … war jener Friedhof drüben in den grünen Dünen.
Dorthin eilte ich jetzt.
Ich, – – und wie töricht handelte ich!! Mit der Menschenkenntnis als einzigem Stecken wandert man keine Wege abseits der Heerstraße, – dazu gehört doch noch weit mehr, und dieses „Mehr“ besaß ich und … vergaß ich.
Nicht nur über dem Erscheinen der Jacht Minnehatta, nicht nur über die Aussichten in der Person dieses schieläugigen Staffy Hampel einen üblen Schurken entlarven und mit eiserner Faust eingreifen zu können in ein vielleicht schon fertiges Netz, das die Millionenerbschaft auffischen wollte für Unberechtigte!
Nein, in diesen Minuten, als ich über die mir vertrauten Dünen schritt und deutlich fühlte, wie sehr ich diese Insel liebte, wurde mir bewußt, daß abermals auf diesem Eiland ein Stück meiner selbst zurückbleiben würde.
Der Abschied stand bevor, – und die unbekannte Form jener weiten Wälder, Ebenen und Gebirge dieses märchenhaft großen Kanada war vielleicht das neue Ziel meiner nie durch fremden Willen gelenkten Schritte. Abschied nehmen hieß es von diesen Gräbern da, – es waren nicht die ersten, die ich voller Wehmut verließ.
Wie immer schielte mein zahmes Känguruh über den Stein- und Dornenzaun voller Neid und Mißmut. Diese Stätte war ihm verschlossenes Gebiet. Wundern mochte sich der prächtig entwickelte Moritz, daß ich auf diesem Friedhof mit dem selbstgezimmerten Spaten hastig, überhastig das frische Grab entweihte und einem armen Opfer des launenhaften Meeres das aus der zerfetzten Jacke zog, was ich aus Pietät mit in sein letztes ewiges Bett gegeben.
Später dann, zu spät erfuhr ich, daß außer diesem Riesenbeuteltier noch eine zweibeinige Bestie mich belauert hatte.
Ich brachte den Hügel wieder in Ordnung, ich war nun der Koch Oskar Smith vom untergegangenen Walfänger Sturmvogel, und als Smith lernte mich auch Anni Knox kennen.
Als die Schonerjacht in der Nordbucht festgemacht hatte, als wir an Bord gingen, als von der Heckreling aus einem Liegestuhl sich eine Frau erhob, uns entgegenkam, mich lange anstarrte, mir schließlich zögernd die Hand gab und dann einige zusammenhanglose Worte der Begrüßung murmelte und dabei so seltsam befangen war, – als sie dann sofort darauf drängte, wir sollten im sogenannten Salon das bereitstehende Mahl einnehmen, da war ich vielleicht der Verlegenere, denn angesichts dieses jungen, märchenhaften Geschöpfes im tadellosen weißen Leinenkleide empfand ich geradezu bedrückend, daß ich äußerlich einem Wilden glich in meiner Fellbekleidung und meinen Seehundsstiefeln.
Käpten Hampel erschien nicht zu diesem ersten gemeinsamen Essen. Der bedienende Chinese, ein Kerl von vorbildlicher Niedertracht in den ausgemergelten Zügen, lispelte heiser und mit einem widerlichen Feixen, der Käpten sei krank …
Knox flüsterte mir zu: „Er säuft!!“
Und Anni Knox meinte traurig: „Es ist ein Jammer mit dem Menschen!! So intelligent und so zügellos!“
Ich hätte gut getan, einmal einen Blick in Knox Kabine zu werfen. Ich hätte sie leer gefunden.
Gleich nach der Mahlzeit legte ich den „Wilden“ in dem Waschraum gründlich ab. Knox half mir mit Wäsche, einem blauen Anzug und Sonstigem aus. Nur das Rasierzeug (meine Klingen hätten nur noch zum Fellschaben genügt) lehnte ich ab und stutzte mir den Vollbart mit einer Schere. Als ich dann in den Spiegel schaute, war ich sehr unzufrieden mit mir, denn so sah ein Schiffskoch eines Walfängers niemals aus, und eiligst riß ich mir Kragen und Krawatte wieder ab und beließ es bei dem nackten Hals.
Auch das half nicht viel. –
Die Kassette lag gut verborgen unter der Badewanne unter einer der dünnen gelockerten Kacheln dieses feudalen intimen Raumes mit dem großen heizbaren Kessel für das Badewasser. – In dieser Beziehung war ich doch vorsichtig geblieben. –
Was half das alles?!
Schon abends, als Käpten Hampel uns Gesellschaft leistete, spürte ich ringsum den blutigen Verrat in allen Nerven.
Siebenundzwanzig Millionen Dollar haben schon ganz andere Leute als dieses Banditenpack der Minnehatta zu grausamen Bestien gemacht.
… Der Abschied von Royal-Insel, Abschied von meinem Känguruh, – – ich stand am Heck der Jacht neben dem hünenhaften Steuermann Swensen, einem pockennarbigen, heimatlosen Gesellen, der in den blauen Nordlandaugen das Flimmern der Rückerinnerung an tausend Verbrechen trug.
Er sah mein ernstes Gesicht und klatschte mir auf die Schulter. „Smith, bist ein Waschlappen, old Boy!!“
Er witterte meine Gefühle. Er zählte mich zu seinesgleichen. Absichtlich hatte ich mir eine stickige kleine Kammer im Vorschiff geben lassen – ich war nur Oskar Smith, der Koch, und jetzt hier eingereiht in Hampels Gilde.
Staffy Hampel hatte mir erklärt, und das war so etwa meine Vereidigungszeremonie:
„Du, mit den vornehmen Faxen, die da der Mr. Knox mit dir anstellt, – – das ist nun gewesen! Matrose bist du, – ich bin an Bord der Herr, ich allein, und wer hier nicht gehorcht, der riecht dies hier!“
Der kleine Schuft holte blitzschnell eine Pistole aus der Jacke hervor. –
Und die Szene spielte sich so gegen sieben Uhr abends ab, als wir aus der Nordbucht ins offene Meer steuerten.
Schweigend trollte ich mich zum Heck und sah Royal-Insel allgemach im Abenddunst verschwinden …
Swensen höhnte nochmals: „Weinst wohl um das Vieh da, das …“
Mit dem „Vieh“ meinte er Moritz, das Känguruh. Ich beherrschte mich und wandte diesem Scheusal, dem das blonde Haar und die blaugrauen Augen mit Eisenruten hätten weggetrennt werden müssen, damit er nicht das Nordland schändete durch diese Kennzeichen seiner Abstammung, einfach den Rücken.
Sein Gelächter hinter mir her war wie ein Chorgesang von kichernden Teufeln.
Swensen wird nie mehr einen Satan imitieren. Ich fürchte, er lebt nicht mehr, als er über die Reling flog – – damals, damals, als in mir das Blut des Abenteurers hochschäumte und aus meinen Fäusten Blitze zuckten. –
Ich war Oskar Smith, Matrose … Nichts mehr. Ich war Zielscheibe der Gemeinheiten dieser Banditen, die mit den feinen Nasen der Raubtiere Besseres in mir erschnüffeln und erfahren wollten, wie feige ich sei …
Eine neue Rolle im bunten Rollenfach der letzten Jahre …
Immerhin eine Rolle, die auch ihre Reize hatte.
An diesem ersten Abend gab es im Vorschiff für die edle Kumpanei Staffy Hampel eine Extraration Brandy und pro Mann drei Zigarren. Meinen Anteil nahm mir Swensen wieder weg, nachdem er Flasche und Zigarren zum Hohn vor meinen Platz am langen Holztisch hingestellt hatte …
Wieherndes Gelächter, als er dazu grunzte:
„Bist noch zu neu hier, du Lämmchen! Werde erst ein Tiger, lerne das Schnappen, dann …“
Und abermals zitterten die drei Pendellampen unter dem Orkan gröhlender Kehlen.
Oh – ein feiner Ton herrschte hier an Bord.
Aber – – eine eiserne Disziplin. Das erkannte ich schon nach Stunden.
„Sollst übrigens nach achtern kommen, Smith“, fügte der ungeschlachte Kerl hinzu. „Der Advokat und der Käpten beraten über die Erbschaft …“
Ein besonderer Unterton schwang in seiner Stimme, und die acht Schufte am Tisch bekamen gierige Gesichter.
Also so stand es: Alle wußten sie um die Millionen, alle!
Welch eine Narrheit von Aladin Knox!!
Ich schlich wie müde die Treppe empor, – mich ekelte es vor diesem Auswurf der Menschheit, der da hinter mir her von neuem seine Zoten riß.
Nicht einmal so viel Hirn hatten sie, sich zu sagen, daß ich als letzter Mann von Royal-Insel doch wohl auch für sie von Wert sein könnte! –
Im Salon ein anderes Bild …
Anni Knox hatte (für wen?!) ein Kleid angelegt, das ich nur aus Modeberichten der Zeitungen, die mir mal zufällig in die Finger gerieten, richtig bewerten konnte.
Anni Knox war schön und jung.
Aladin, ihr Gatte, saß dicht neben ihr und war verliebt und verlegen.
Staffy Hampel saß an der Schmalseite der kleinen pompösen Tafel in einer sehr schneidigen, mit Ankern und Goldtressen verzierten blauen Jacke, hatte einen sauberen hohen Kragen um, dazu blütenzartes Oberhemd und kleine schwarze Schleife und sauber gewaschene Finger.
Er glich einem Landstreicher letzter Sorte, der in eine Villa eingebrochen war und sich äußerlich aufgefrischt hatte.
„Zur Stelle, Käpten …“
Er schielte mich von unten wohlwollend-tückisch an und deutete auf einen Korbsessel.
„Da …!!“ – das war alles.
Das Ehepaar Knox wurde noch verlegener.
Was war hier vorgegangen?! – Offenbar hatte der Käpten den Bevollmächtigten der Erben irgendwie zu meinen Ungunsten beeinflußt.
Hampel trank einen Schluck Wein und streichelte seinen rotfuchsigen Bart. Er überlegte. Meine Augen begegneten denen Frau Annis, und sie zwinkerte mir heimlich zu.
Diese Frau, merkte ich, war auf meiner Seite. Ihr Mann war das, was ich sofort geahnt: Ein Waschlappen!
„Wo ist die Kassette“, brüllte Hampel mich dann blitzartig an, – wohl seine besondere Methode, andere zu verblüffen.
Armer kleiner Ziegenbock, dachte ich …
Meine Teilnahmlosigkeit irritierte ihn.
„Verstehst du nicht, Smith, – – wo die Kassette ist, frage ich“, spuckte er mir entgegen.
Knox hatte sich also doch von diesem Piratenkapitän das kleine oder große Geheimnis entreißen lassen, – ob klein, ob groß: Noch war die Kassette geschlossen, und der Schlüssel fehlte.
„Ich werde sie holen, Käpten“, erklärte ich maulfaul.
Wieder kroch mir ein tückisches Augenpaar vom Haar bis zu den Füßen.
„Mach fix! Wo ist das Ding?“
„Dort im Waschraum, Käpten …“
Ich ging zur Tür und schloß sie hinter mir. Ich hatte nur Sekunden Zeit …
Trotzdem …
Und ich trat wieder ein, stellte den flachen Eisenkasten mit den Verzierungen auf den Tisch und sagte: „Das ist er!“
„Schere dich ins Logis zurück!!“, war Staffy Hampels Antwort. „Raus mit dir!!“
Aladin Knox wagte nicht aufzublicken. Seine Frau hatte zwei scharfe Falten auf der leicht gebräunten Stirn. In ihren braunen Augen lag es wie Erwartung.
Ich blieb stehen.
„Käpten, es gibt keinen Schlüssel zu dem Ding, und …“
„Weiß ich!“, fauchte er. „Raus mit dir! Schicke mir Swensen mit dem Handwerkskasten.“
Diese lächerliche giftige Kröte begann mir Spaß zu machen.
„Käpten, Sie erlauben, daß ich auf Sir Ernest Gondaloors Dynamitpatronen hinweise …“, – ich sagte das so, als ob mich die Sache im Grunde nichts anginge.
Hampel nahm die Zigarre aus dem Munde. Er war sichtlich bestürzt.
„Wie – meinst du das, Smith?“
Das klang schon erheblich netter. Staffy bekam Manieren.
Ich zwinge mich zu einem vieldeutigen Flüstern. „Käpten, ich … würde die Kassette nicht anrühren. Die Gondaloors hatten hier ein paar Spanten zu wenig“, – ich tippte mir an die Stirn.
„Na – – und?!“
Er erhob sich und pflanzte sich vor mir auf. „Wie … wie … meinst du das, Smith …? Dynamit? Na ja – der Alte ließ die Felsenbude in die Luft fliegen …“
Ich nickte mehrmals – sehr nachdrücklich.
„Ihm war das zuzutrauen, Käpten … Da – sehen Sie sich die Kassette an … Es kann sein, daß Sir Gondaloor in seiner Verrücktheit …“
Staffy blinzelte schielend zu mir empor.
„Ach so!!“, und sein Mund zog sich breit und schief … „Ach so!! – Kann sein … Du denkst an eine Art Höllenmaschine, die den …“
Er brach ab, und seine Schweinsaugen sogen förmlich die Fortsetzung des Satzes aus mir heraus.
„… Ja, die von unkundiger Hand leicht zur Explosion gebracht werden könnte …“
Ein satanisches Feixen enthüllte jetzt seine gemeine Seele bis zu völliger, verpesteter Nacktheit.
Jetzt triumphierte er.
Und daß der Kerl abdrücken würde, wußte ich …
Er hielt mir seinen wunderbar geölten Selbstlader vor die Brust. Im Nu war aus der eklen Kröte der große Verbrecher geworden …
Erstaunlich, diese Verwandlung! In dem Moment imponierte er mir.
Seine Stimme war wie ein kaltes Messer.
„Hören Sie mal zu, Mr. Abelsen, – die Komödie ist aus!! – Hier in meiner Brusttasche stecken drei Melbourner Zeitungen, die Sie so genau beschreiben, als wären Sie ein Favorit für das große Derby. Aber Sie sind nur ein – – na sagen wir mal, ein sehr gefährlicher Bursche …! Sehr gefährlich!! – Sie hätten Oskar Smiths Grab nicht aufbuddeln sollen … Ich lag in den Dünen, Sie, und ich lag nicht voll Brandy in meiner Kammer, Sie!! Und wenn Sie sich einbilden, Staffy Hampel dumm machen zu können, sind Sie schief gewickelt wie ein schlechter Zopf von Mistreß Georgia Hampel, San Franzisko, was so meine liebe Frau ist und meine kleine Geschäftsniederlage dort in Kalifornien verwaltet. – Bitte, schaun Sie mal zum Oberlichtfenster empor …“
Die Stahlläden der schmalen Fenster dort waren herabgeklappt. Zwei Karabinerläufe erklärten mir nun auch Aladin Knox’ miserable Laune.
Staffy verbeugte sich höhnisch. „Wir haben uns vorhin mit Mr. Knox geeinigt … ja, geeinigt. Er war leider anderer Auffassung als ich, was Ihre Person betraf, und was ein einmütiges Zusammenarbeiten noch jetzt betrifft … – Haben Sie begriffen, Mr. Abelsen? – Sehen Sie, ich könnte Sie in Eisen legen lassen, ich könnte Sie in Melbourne abliefern, Sie würden dort auch als Polizeigefangener das Protokoll über den nicht anzuzweifelnden Tod der Familie Gondaloor unterzeichnen müssen, Sie würden dann vor Gericht kommen, Sie würden, – – ich möchte das nicht weiter ausmalen. Aber ich bin kein Unmensch … Zunächst war Ihre erste Dummheit die, das Grab zu öffnen, – die zweite war die, mir die Papiere Smith, die noch so wenig angenehm dufteten, vorzulegen, und die dritte war, daß ein Kerl wie Sie den Dummkopf und Feigling mimte!! Mann, – ein Blick in Ihr Gesicht sagt ja, wes Geisteskind Sie sind, und hole es der Teufel: Sie sind ein miserabler Komödiant! – So weit wären wir im klaren. Nun wollen wir vernünftig miteinander reden. Letzten Endes sind wir Ihnen als dem einzigen Zeugen des Todes der Gondaloors zu Dank verpflichtet. Sie sollen also Smith bleiben, Sie sollen in Melbourne nachts verduften können – nach der Protokollaufnahme … Bis dahin aber …“ – er schob den Unterkiefer drohend vor – „machen Sie hier an Bord gefälligst keinerlei Extratouren … Meine Leute sind bis auf die Zähne bewaffnet, und Ihre Waffen werden Sie jetzt abgeben – – bitte!!“
– Dieser Typ Bandit war mir nicht fremd.
„Hier …“, – und meine beiden Pistolen wechselten den Besitzer …
„Sehr nett und vernünftig“, lobte Staffy und gluckerte ein Lachen, das wie das Gackern einer sterbenden Henne klang. „Und jetzt, – eine Frage, verehrter Mr. Abelsen: Ist die Geschichte mit dem Dynamit ein Bluff?“
„Nein.“ Ich kannte, wie gesagt, diesen Typ Bandit. „Ich warne Sie wirklich vor unvorsichtigen Manipulationen mit der Stahlkassette, die sicherlich altindische Arbeit ist und ein Vexierschloß trotz des Schlüssellochs besitzen dürfte. Wenn ich nicht tatsächlich gefürchtet hätte, samt der Kassette in die Luft zu fliegen, würde ich sie wohl längst geöffnet haben.“
Das leuchtete ihm ein, und darauf hatte ich gerechnet.
Er setzte sich und stierte den Stahlkasten lange an, rauchte sehr intensiv und überlegte wohl, wie er aus diesem Dilemma herauskäme.
Dann glotzte er nach oben zu den Oberlichtfenstern … „Verduftet!“, befahl er.
Die Karabinerläufe verschwanden.
Ein geradezu infam-heimtückisches, überhöfliches Lächeln machte Staffys Fratze zur Teufelstänzermaske. „Mr. Knox redete da was von der Möglichkeit eines Testaments, das die Sachlage durchaus ändern könnte, Mr. Abelsen.“
Ich hatte mich gleichfalls gesetzt, der Tisch war zwischen uns, links von mir saß Frau Anni.
„Die Möglichkeit liegt vor – die Möglichkeit“, erklärte ich achselzuckend.
„Dann … müßte man den Kasten ins Meer werfen, und die Möglichkeit wäre ausgelöscht“, meinte Hampel ein wenig zaghaft.
„Ganz recht“, – und ich nahm die Zigarre entgegen, die Anni mir hinreichte.
Hampel fiel prompt in diese Grube hinein.
„Ich bin doch der Schlauere!“, blähte er sich auf. „Nehmen wir an, Mr. Abelsen, Sir Gondaloor hätte bei einem Notar in Kalkutta ein Testament mit der Bestimmung hinterlegt, daß der Notar erst nach Gondaloors Tod das Vorhandensein der letztwilligen Verfügung bekannt geben dürfe. Bisher ist Sir Ernest nicht für tot erklärt, und der Notar könnte also … – folgen Sie meinem Gedankengang?“
Das klang sehr gereizt, da ich Frau Knox höflich um Feuer gebeten hatte. Sie hatte mir die Zündhölzer gegeben und ich bedankte mich und flocht noch eine harmlose Bemerkung ein, die nichts zu bedeuten hatte.
„Entschuldigen Sie, Käpten, aber all das interessiert mich sehr wenig …“, erwiderte ich mit dem ehrlichsten Gesicht. „Ich schlage vor, Mr. Knox liefert die Kassette unberührt in Kalkutta ab, wo ein Sachverständiger sie öffnen mag … Vielleicht liegt in dem Stahlkasten ein Dokument, das auf ein Testament hinweist, vielleicht liegt auch gar ein Testament darin, – uns kann es gleichgültig sein. Die Auslagen, die die Erben Sir Gondaloors bisher gehabt haben, würden Ihnen doch, falls dieser Edward Gondaloor nebst Lizzie aus Goldy Lake City durch ein Testament wieder ausgeschaltet werden sollten, von diesen testamentarisch bestimmten Erben reichlich ersetzt werden, und dann würde …“
Staffy Hampel streifte mich mit einem seltsamen Blick und platzte heraus:
„Kommen Sie mit an Deck!“ – das war schon wieder der andere Staffy, der von vorhin …
Er nahm die Kassette unter den linken Arm, behielt in der rechten Hand seine Pistole …
„Gehen Sie voran …!!“
Frau Anni sprang da sehr flink empor und (ich habe ihr es nicht vergessen) drängte sich zwischen mich und Hampel.
Und diese wenigen Sekunden, bevor sie jetzt ihrem Herzen gründlich Luft machte, waren entscheidend … In diesen Sekunden, wo sie mich Staffys Augen verbarg, raunte ich ihr das zu, was nachher unser Schicksal bestimmen sollte.
Nur wenige Sätze, – und sie erfaßte sie sofort ganz richtig:
„Eßwaren und Trinkwasser und Waffen hier in den Salon einschmuggeln!!“
„Käpten“, rief sie sehr empört, „Sie haben keinerlei Anrecht auf die Kassette, und mein Mann und ich verbieten Ihnen, Ihre Befugnisse in dieser Art zu überschreiten, – Sie haben sich schon vorhin so grenzenlos taktlos benommen, daß …“
Schade, jammerschade, daß diese Frau an einen Aladin geraten war!! Prachtvoll war sie in ihrer Empörung, noch prachtvoller waren die braunen Augen, die leider, leider auf Staffy Hampels brandyverseuchte Schurkenseele absolut nicht wirkten.
„Verehrteste Frau Knox“, – er schob sie höflich bei Seite, „meine Befugnisse sind die, für die Sicherheit des Schiffes und der Besatzung zu sorgen. Die Kassette kann Sprengstoff enthalten, mithin …“, – und er deutete auf seine Ärmeltressen – „geht es hier nicht um Ihres Mannes Vollmacht, sondern um meine Vollmacht als Kapitän!“ – Er konnte sogar kleine Wortspiele einflechten, dieser hakennasige Freibeuter, und er wußte ganz genau: Das Recht, das Seerecht war auf seiner Seite!“
Wir gingen an Deck.
Und da oben im Zwielicht der Südpolarnacht erfolgte der nächste Akt:
Hampel ließ bei der ruhigen See das kleinste Boot ausschwingen, ich mußte hinein, er gab mir die Kassette und Handwerkszeug, und hundert Meter von der Jacht entfernt brach ich, ständig bedroht von acht Karabinern, die Kassette auf.
Es war das gelungenste Theater, das ich je mitgemacht habe.
Es war von Hampel sehr schlau, sich keiner Gefahr auszusetzen.
Aber …
Aber wie ich so allein in dem sanft schaukelnden Boot mit Brecheisen und Hammer arbeitete, – wie ich über mir die fernen Welten der anderen Gestirne als flimmernde Pünktchen leuchten sah, – wie ich mir bewußt wurde, daß das Geschick mich hier in dieses verbrecherische Spiel als Schachfigur mit hineingesetzt hatte, damit das Erbe der Gondaloors nicht diesen rührigen schlauen Schuften irgendwie durch einen großangelegten Schwindel in die Hände geriete, da fühlte ich wieder einmal jenes unsichtbare Wehen der Vorsehung, die mich bisher freundlich über Erde und Länder und Meere und Flüsse und durch Wildnis und eisige Schneestürme von neuem zu ihrem Werkzeug auserkoren haben mochte … –
Die Kassette enthielt nichts als lächerliche Aufzeichnungen Sir Ernest Gondaloors über eine fixe Idee, daß in den Felsschlünden von Royal-Insel ungeheure Schätze liegen müßten, und über seine Bemühungen, gewisse Teile der Höhlen zu sprengen, um so an die märchenhaften Reichtümer des Grafen von Monte Christo heranzukommen.
Staffy Hampel war sehr zufrieden mit mir. Sein Dank bestand darin, daß ich das Vorschiff nicht mehr verlassen durfte und daß ich Knox und Frau nur von weitem zu Gesicht bekam.
Die Minnehatta steuerte nordwärts, – vier Tage lang jagte sie mit der Kraft ihrer überstarken Motoren immer, immer weiter in wärmere Meeresteile hinein, vier Tage war ich ein halber Gefangener, Gespött für dieses Gesindel, vier Tage zergrübelte ich mir den Kopf, weshalb Staffy Hampel Melbourne nicht anlief und alle Schiffsrouten ängstlich vermied …
Und dann – – dann wußte ich, daß dieser kleine vertrocknete, sehnige Kerl doch schlauer war als ich …
Traurige Erkenntnis das!
– – Und … Anni schläft, und Bully schläft, und draußen lauern die Schurken …
Letzten Endes habe ich sie ja doch hineingelegt!!
Letzten Endes …
Und das war – – durch ein Ende Draht, Antennendraht, als wir längst Australien hinter uns hatten.
Siebenundzwanzig Millionen Dollar …
Mich regten sie nicht auf.
Daß die Gondaloors sehr reich gewesen, wußte ich.
Daß sie sehr reich gewesen, berührte mich persönlich nicht weiter.
Aber daß ich fühlte, deutlich fühlte, wie dieser Piratenkapitän mit seinem unheimlich schnellen und glänzend ausgerüsteten Fahrzeug mich zum Narren hielt, – das weckte meine Lebensgeister bis zu wahnsinnigen Anstrengungen, Hampels Absichten zu erraten.
Tage, Nächte des Grübelns …
Nächte voll unruhiger Träume …
Tage voll still geduldeter Demütigungen, raffiniert ersonnener Niedertracht …
Ich Zielscheibe des Spottes, des Hohnes, der Verachtung eines Dutzends erbärmlicher Halsabschneider, – und Knox und Frau von mir getrennt durch aufmerksame Wächter …
„Wenn Sie je den Versuch machen, sich mit Knox zu verständigen, fressen Sie die Haie“, sagte Staffy schmunzelnd und zeigte auf die Rückenflossen von vier Menschenhaien, die er durch gelegentliche Leckerbissen in der Nähe hielt.
Das war am sechsten Tage.
Das war eine mir bereits geläufige Drohung, die nur die Form wechselte. Das Thema blieb dasselbe, es waren nur Variationen: Tod – – Aufhängen – – Erschießen – – Ersäufen!
Staffys Programm wurde langweilig.
An diesem sechsten Tage mußte ich das Deck scheuern, nur der lange Swensen stand dabei und gab mir hin und wieder einen Fußtritt. Chinesen lümmelten in der Nähe und verzogen die dünnen Lippen zu jenem asiatischen Grinsen, in dem der Haß einer fremden, gelben Welt schlummert … Ein Mulatte spuckte auf die Deckplanken, und ich mußte den Kopf zurückziehen, – – und die Bande wieherte.
Nerven gehören dazu, das zu ertragen.
Ich ertrug es.
Meine Stunde würde kommen!
Sie kam.
In Gestalt desselben kleinen schielenden Ungeheuers, das auf Melbourne verzichtet hatte.
„Hören Sie mal, Abelsen, – jetzt legen Sie den Schrubber weg … Sie werden nun das Protokoll aufsetzen …“
In seiner Kajüte standen als Zeugen der Steuermann Swensen, der Mulatte Gonzales und … der bleiche, verhärmte Aladin Knox.
Staffy war die Liebenswürdigkeit selbst.
„Die Sache ist die, meine Herren“, sagte er mit dem großartigen Pathos eines Hochstaplers besseren Kalibers, „ich habe mir die Geschichte gründlich durch den Kopf gehen lassen …Wir sind nun in Rufnähe der Radiostationen auf Java, und“ – lange Kunstpause – „ich werde funken!!“
Er strahlte vor Eitelkeit.
„… Immer in dem Bewußtsein, meiner Pflicht als Kapitän habe ich, Mr. Knox, den Verbrecher Abelsen von Ihnen ferngehalten … Sie dürfen sich doch im übrigen über nichts beklagen, nicht wahr?“
„Nein“, erklärte Knox und wischte sich den Schweiß von der Stirne. „Über nichts, – nur …“
„Das „Nur“ sind absolute Nebensächlichkeiten, Mr. Knox. Sie bekommen eine glänzende Verpflegung, Sie dürfen zum Zeitvertreib auf Möwen schießen, Sie dürfen photographieren, was Sie wollen … Sie haben auch auf Royal-Insel die Höhlen photographiert, den Friedhof, – und die Bilder sind glänzend geraten und wichtige Beweisstücke, – da liegen sie. – Sie haben jetzt lediglich noch die Pflicht, Mr. Abelsen aufzufordern, hier vor mir als Schiffskapitän, der auf seinem Schiff höchster Beamter ist, das Protokoll über den Tod der Gondaloors vor diesen Zeugen aufzusetzen. Mr. Abelsens Tagebuch über das Ende der Familie Gondaloor bildet dann das dritte wichtige Beweisstück.“
Knox sah erbärmlich aus.
Er schaute mich aus hohlen Augen an und sagte kraftlos:
„Tun Sie es, Abelsen!“
In seinem Blick lag doch eine wahnwitzige Angst.
Wovor?
„Tun Sie es!“, drängte er nochmals. „Um meiner Frau willen, Abelsen!“
Da verstand ich ihn.
Verstand ihn, auch ohne das Raubtiergesicht des Mulatten und ohne die hündisch-gemeine Visage Swensens zu mustern.
Hampel hatte Knox weichgeknetet – – durch versteckte Drohungen.
Ich setzte mich hin und schrieb, wie Staffy es wünschte, unterschrieb mit vollem Namen und wußte genau, daß nun erst der Tanz beginnen würde.
Auch die Herren Zeugen unterzeichneten, als letzter dieser glorreiche Kapitän selbst. Und dann legte er die Feder hin, stand auf und sagte:
„So – nun wird sich vielleicht ein äußerst bedauerlicher dreifacher Unglücksfall ereignen.“
Das hatte ich vorausgesehen. Er glaubte jetzt, Knox, Anni und mich „entbehren“ zu können. Sein Gesicht war eine einzige Falte teuflischen Hohns.
„… Lieber Knox – ich werde funken … So blöde auch das Geschreibsel Sir Ernest Gondaloors sonst sein mag: Es enthält doch die Namen der drei Notare, mit denen er einzig und allein als Geschäftsmann zu tun hatte, – und diese Namen sind dieselben, die Sie in Kalkutta schon erfuhren. Sie haben die drei Herren sogar persönlich aufgesucht. Keiner dieser äußerst ehrwürdigen Paragraphenpäpste“ – Staffy Hampel schien diesen Ausdruck für einen erstklassigen Witz zu halten und feixte dementsprechend – „hat uns nur ein Sterbenswörtchen davon verlauten lassen, daß etwa Sir Ernest insgeheim ein Testament gemacht hat. Und auf diese Frage kommt es letzten Endes doch an, – nicht wahr, Mr. Knox?!“
Dieser verhungerte Knox bejahte matt, und Käpten Staffy blickte die Herren Zeugen triumphierend an. Er war sichtlich sehr stolz, so gelehrt und ohne Einmischung seemännischer Flüche mit uns reden zu können. Seine Geiernase reckte sich noch höher.
„Immerhin …“ – es folgte eine Kunstpause – „immerhin ist bereits die Möglichkeit erwogen worden, ob nicht doch so ganz insgeheim in unserem Kreise“ – er deutete auf Knox und mich – „die Frage angeschnitten worden, daß doch eine letztwillige gültige Verfügung bei einem der Notare lagert, durch deren Bestimmungen die siebenundzwanzig Millionen Dollar“ – er sprach die Zahl wie das Vaterunser aus – „nicht jenem Edward Gondaloor aus Goldy Lake City zufallen sollen. Und deshalb werde ich diesen Punkt erst noch durch Funkspruch klären, bevor … hm ja – bevor, wie gesagt, womöglich eventuell nicht ganz ausgeschlossen – hm ja – irgend etwas … passiert …“
Swensen und der Mulatte prusteten vor Lachen.
Staffy Hampel griente zufrieden. Sein Humor fand willige Zuhörer.
Aladin schwitzte vor innerlicher Wut. Ich merkte ihm an, seine Nerven waren dicht, ganz dicht vor dem Zusammenbruch. Ich blinzelte ihm verstohlen zu, und er deutete meinen Gesichtsausdruck wohl ganz richtig: Offener Hohn sprühte jetzt aus meinen Augen dieser stinkenden Unke von Hampel entgegen.
Der Käpten stutzte.
„Was – lachen Sie, he?!“
„Ich lache nicht, Käpten, – ich weiß nur nicht, wie Sie den Sender in Tätigkeit setzen wollen, der wohl noch aus Minnehattas Schmugglerzeiten stammt. Sie haben mich ja die Kabine verschiedentlich säubern lassen, und so viel verstehe ich doch von dem Kram, daß …“
Hampel wurde Hampelmann.
Er flog auf mich zu, er kreischte mir ins Gesicht: „Der Sender war noch vor einem halben Jahr in Ordnung!! Dann … dann haben Sie …“
„… Ich war nie ohne Wache in dem Funkerhäuschen, Käpten … Ich hatte ja auch gar kein Interesse daran, den Sender und Empfänger zu zerstören.“
Er schielte mich trotzdem mißtrauisch an. „Nun, ich verstehe von der Bedienung genügend, – – wir werden sehen!! – Kommen Sie mit!“
In dem engen kleinen Deckhäuschen, das mittschiffs wohl erst nachträglich errichtet war, (auf dem Dach war zweifellos einst ein Geschütz montiert gewesen, – die Alkoholschmuggler lassen sich ihre Ausrüstung etwas kosten) – hantierte der Käpten an den Apparaten herum, hatte den Kopfhörer aufgestülpt und … fluchte …
„Ich höre auch nicht ein einziges Morsesignal …“
Die Szene erhielt ihre besondere Note durch die ehrfurchtsvolle Andacht, mit der Swensen und der Mulatte das Tun ihres hohen Chefs verfolgten.
Schließlich gab Hampel die Versuche auf.
„Ich werde die Apparatur prüfen“, erklärte er großartig. „Mr. Knox, ich danke Ihnen also vorläufig verbindlichst für Ihre Mithilfe. Sie, Abelsen, scheren sich wieder an Ihre Arbeit!“
Knox warf mir noch einen verzweifelten Blick zu, bevor er davonschritt. Der lange Swensen bewies seine Autorität als Steuermann durch einen Fußtritt gegen meine Wade.
Es war nicht der erste.
Aber ich wußte, die Stunde der Abrechnung würde kommen. Hätten wir nicht Frau Anni an Bord gehabt, würde ich längst einen Gewaltstreich versucht haben. –
Vielleicht habe ich in diesen meinen Wanderjahren noch nie so mächtig mit mir selbst kämpfen müssen, wie damals. Vielleicht habe ich noch nie aus Rücksicht auf eine Frau so eisenhart die Zähne zusammengebissen und mich schlechter behandeln lassen als einen räudigen Hund von noch räudigeren Kreaturen, deren ganze Gemeinheit in dem Bewußtsein gipfelte, daß jeder im Ledergurt zwei Pistolen und ein sehr langes Messer trug … Und diese Waffen gegenüber dem Unbewaffneten verliehen ihnen den kläglichen Mut, mich mehr als zu tyrannisieren.
Der Tag verging wie alle anderen. Und doch anders, denn in mir war die Unruhe vor dem Sturm. Staffy Hampels Mißtrauen gegen mich hatte guten Grund, ich hätte ihm schon sagen können, weshalb weder Sender noch Empfänger funktionierten.
Und nachts lag ich dann in meiner verschlossenen Kammer in dieser unheimlichen, qualvollen Hitze und überlegte, wie ich endlich, endlich die Dinge gewaltsam umgestalten könnte, – morgen mußte etwas geschehen, mußte!
Längst vergessene Bilder stiegen in meiner Erinnerung hoch … Es gab einmal einen großen Kutter, ein prächtiges Schifflein, das mich[2] vor Jahren durch die Meere bis zum Südteil Amerikas geführt hatte.
Neuling war ich damals auf der schmalen, dornigen Bahn der Abenteuer.
Heute?! Kein Neuling mehr …
Und wie damals auf jenem Schiffe im geheimen Versteck Klänge eines Schifferklaviers mich belustigt hatten, weil das Repertoire des Spielenden nur klein gewesen und seine Kunst noch kleiner, so war mir, dem Eingesperrten, dem Opfer der Niedertracht von dreizehn buntgemischten Halunken, in diesen verflossenen sechs Nächten wie jetzt die Virtuosität des Mulatten auf der Ziehharmonika willkommene Ablenkung.
Virtuosität … – Es war ein erstklassiges Instrument, und dieser Farbige, das mußte man ihm lassen, besaß Temperament, Fingerfertigkeit und Gefühl … Was er aus dieser Riesenziehharmonika, die man zuweilen wohl bei einer Jazzband mit vorfindet, herausholte, war erstaunlich.
Drüben im Mannschaftslogis spielte er zumeist …
Vielleicht – vielleicht kamen ihm dann ungetrübte Erinnerungen an harmlose Kindheitstage, an rauschende Palmenwälder, an eine Hütte, an eine Mutter, an eine lärmende Schar von Spielgefährten.
Dieses musikalischen Genusses wegen verzieh ich ihm vieles. Er war ein Mongolaner, das wußte ich … Er hätte, wenn ein Gott ihm das tierische aus den Zügen weggewischt hätte, für einen Edeltyp von Mischblut gelten können. Er war gebaut wie ein Apoll, sein hellbrauner Körper besaß die Geschmeidigkeit und doch die ruhige, kraftstrotzende Gemessenheit einer großen Katze.
Und – er war virtuos auf der Ziehharmonika. Er spielte die Sehnsucht, den Kampf, den Liebesrausch, – – alles spielte er …
Es war schade um ihn.
Und bei diesen Klängen, die da durch die Holzwand mein Ohr erreichten, zermarterte ich mir den Kopf, wie ich … auch ihn töten könnte.
Das liest sich brutal, das will nicht in die Feder, die Hand sträubt sich: Töten! Das ist … wie Mord, das ist das Grauen für viele, etwas Unfaßbares: Töten!! – Aber die Millionen zerfetzter Leiber, die da auf den Kirchhöfen der Weltkriegkämpfer modern, – – die lebten einst und töteten einander, denn das oberste Gesetz der Welt bleibt: Recht der Selbstverteidigung!
… Die Leute der Minnehatta gehen dem Mulatten, den sie bald Antonio, bald Eduardo, bald Georgio und noch anders rufen, seltsam scheu aus dem Wege. Es ist in seinen Augen unbedingt etwas Rätselhaftes, etwas, das eine Schranke aufrichtet zwischen ihm und diesen übrigen Banditen, sogar Staffy Hampel nicht ausgenommen.
Ich kannte Somali-Neger, deren Hochmut erstaunlich war. Ich kannte einen Häuptling, der seinem Reitdromedar einen englischen Orden umhing und die Engländer schlimmer verhöhnte durch Blick und Miene, als es je ein Farbiger gewagt haben mag. –
Antonio spielte …
Und meine Gedanken waren bei Frau Anni Knox, und mein Sinnen und Trachten war Mord.
Die Wogen klatschten gegen die Bordwände, die Wellenspritzer prasselten auf die Planken, fernher summte der starke Motor seine rasende Melodie, und … Antonio spielte irgend einen Shimmy[3], und die Kerle da drinnen flogen hoch und tanzten, sangen mit, waren angesteckt von dem Feuer dieser aufstachelnden Melodie.
Das war die letzte Nacht, die ich in diesem Loche auf der Bastmatte zubrachte.
Die nächste Nacht war die erste zusammen mit Anni, meiner Leidensgefährtin in dem schwimmenden Panzerfort zweier Heckräume früherer Alkoholschmuggler.
Seltsam genug: Man glaubt, die Möglichkeiten neuen Erlebens wären endlich einmal endgültig erschöpft. Die Gegenwart lehrt das Gegenteil: Der Brunnen der Phantasie mag sich leer pumpen lassen, – – das Leben, das Erleben niemals! – –
– – Eine flüsternde Stimme hinter dem Vorhang – – schon wieder:
„Olaf, gehen Sie doch schlafen … Es kann ja nichts geschehen … Bully wird beim ersten verdächtigen Geräusch munter!“
„Sofort …“ – – Und ich blicke seitwärts …
Bully liegt vor der Stahltür, die in den Gang führt …
Jener Bully, der ein Hündchen werden sollte und ein Hund wurde mit Reißzähnen im Maul wie ein Tiger.
Ich möchte doch erst diese Stimmung ausnutzen und schildern, wie wir „Fort Anni“ für uns erkämpften. –
Die Nacht verstrich … Durch die Türritzen schimmerte das Sonnenlicht, das sich die Treppe hinabstahl, aber heute erschien niemand, mir diese Tür zu öffnen wie bisher.
Höllenqualen der Sorgen und Zweifel begannen. Schritte tappten an der Tür vorüber, es gab ein rühriges Laufen an Deck, es gab schrille Kommandos, die Minnehatta neigte sich, stampfte, die Sonne verschwand, und dann vernahm selbst ich das Heulen der Sturmsignale: Ein Orkan fegte über das Meer, und die Jacht kämpfte gegen die Elemente wie ein wütender Renner, dem das Gestrüpp die Weichen peitscht.
Gluthitze in der Kammer …
Wir waren ja längst in den heißen Meeresstrichen jenseits Australiens – – irgendwo, – – wo, das wußte wohl nur Käpten Hampel, und Käpten Staffy war ein Seemann, der ebensogut einen Ozeanriesen hätte führen können. Auch das sei ihm zugestanden.
Auch das: Die Disziplin war mustergültig.
Hampel war kein Hampelmann gegenüber seinem Dutzend Gurgelabschneider. Ob er es mir gegenüber werden würde, ob ich ihn je beim Genick packen könnte und emporheben und ihn … – aber das liegt ja bereits hinter mir.
Ich packte ihn.
Und als es geschah, war der Orkan eine milde Abendbrise geworden, und im Westen lagerte am Horizont eine lange, zackige Wolkenbank, über der die Abendröte in märchenhafter Klarheit erstrahlte. Da hatte mich der Käpten durch den langen widerlichen Riesen holen lassen, und Swensen hatte mir gesagt – nein, mich angegeifert: „Diesmal geht es um die Kehle, du … du Hund!! Der Alte ist in Laune!!“
Der Alte war im Funkerhäuschen und saß auf dem Drehstuhl. Über den Apparaten leuchtete drohend grell eine runde elektrische Lampe. Als Swensen mich hineinstieß, wandte Hampel den Geierschädel und blies mir den Fuselgeruch seiner polternden Sätze entgegen: „Wenn Sie den Sender nicht in Ordnung bekommen, Abelsen, fliegen Sie mit einem Stück alt Eisen an den Beinen über Bord!“
Ich atmete auf. Meine Sorge, Staffy Hampel könnte den Fehler entdeckt haben, war unnötig gewesen.
Hätte er die Stationen auf Java anrufen können (und das war sein feiner Plan), – hätte er an die drei Notare in Kalkutta morsen können, daß die Gondaloors tot seien, daß er die Beweise dafür besitze, und daß „leider“ auch Mr. Knox, der Bevollmächtigte der Erben, samt Gattin und dem Hauptzeugen Abelsen Opfer eines Unfalls geworden, dann hätte er mit gutem Recht auch anfragen können, ob vielleicht bei einem der Paragraphenpäpste ein Testament läge und ob er nicht den Namen des anderen Erben, falls Sir Ernest den Bruder übergangen hätte, erfahren könne, um diesen Erben ohne den Umweg über Kalkutta, kein Katzensprung vielleicht, direkt aufsuchen zu können.
So wollte Staffy operieren, und seine Taktik war nicht schlecht. Unbedingt würde einer der Notare (falls eine letztwillige Verfügung vorhanden) der Jacht in gutem Glauben antworten …
Und dann?!
Auf diese Antwort kam alles an.
Es genügte schon der kurze Morsespruch: „Kein Testament, Kalkutta anlaufen“, – und Staffy hätte Kalkutta niemals wiedergesehen, sondern sich schleunigst nach Goldy Lake City, auch kein Katzensprung, auf den Weg gemacht und dort die Sache so befingert, daß siebenundzwanzig Millionen in seine Tasche rutschten.
Zuzutrauen war ihm das.
Und es war noch nicht einmal so sehr schwer, dieses ungeheure Vermögen zu erbeuten. Für Staffy und Konsorten nicht. Es gab da verschiedene Methoden, hatte ich mir ausgemalt … Es waren schon ganz andere Lumpereien zustande gekommen.
„Ich will mein Heil versuchen“, sagte ich zu Staffy und nahm keinerlei Notiz von seinem gehässigen, drohenden Grunzen, das nur eine unnötige Wiederholung der lächerlichen Drohung war.
Mir war die Hauptsache: Ich blieb hier in dem engen Raum mit Hampel und Swensen allein.
Er machte mir Platz, ich setzte mich, – auf dem Schalttisch lag die gedruckte Gebrauchsanweisung der Marconi-Kompagnie, die einst den Sender geliefert hatte, – ein ganzes Büchlein.
Nach zehn Minuten sagte ich: „Ich will die Antenne nachsehen!“
Ich kletterte nach oben. Die Antenne hing zwischen den beiden Masten, aber sie war nicht ganz in Ordnung … Jemand, den Swensen zu seinem Privatvergnügen droben stundenlang hatte hocken lassen, hatte in einer Anwandlung von Hellseherei beide Antennenenden durch Lederstrippen dicht an den Isolatoren tot gemacht … Die Antenne hing scheinbar vorschriftsmäßig … Unvorschriftsmäßig waren die Lederschnürsenkel, die die Antenne gemordet hatten.
Ich ließ alles, wie es war.
Ich wollte nur meinen Eifer beweisen. Staffy hatte ja seine geplante Lumperei nur angedeutet und glaubte wohl, ich würde nicht ebenso schlau sein, derartige feine Schachzüge zu wittern.
Wir waren wieder zu dreien in dem engen Holzkasten, und ich wußte jetzt, daß an Deck zwei Chinesen sich befanden, der eine am Steuer, der zweite als Deckwache. Der Orkan hatte die übrigen wohl arg zerzaust und frühzeitig in die Koje gezwungen.
„Der Fehler liegt in der Apparatur“, sagte ich zu Staffy. „Ich werde die Einzelteile systematisch prüfen … Gönnen Sie mir noch eine halbe Stunde Zeit …“
„Reden Sie nicht viel, – vorwärts!“
Staffy und Swensen mißtrauten mir.
Sie standen hinter mir mit ihren entsicherten Pistolen …
Mochten Sie …
Jeder Fachmann weiß, daß eine Senderöhre eines mittelstarken Schiffssenders beim „zufälligen“ Zerspringen eine kleine Explosion hervorruft …
Fünf Minuten Arbeit … Und dann hielt ich die Senderöhre gegen das Licht, hatte mich umgedreht, war aufgestanden, machte eine scheinbar ungeschickte Bewegung, stieß gegen Staffys Schulter mit dem Ellbogen, und … mit ohrenbetäubendem Knall flog der komplizierte Glaszylinder aus einander, – – er war auf den Holzschemel mit einigem Schwung gefallen.
Ich hatte blitzschnell den Kopf weggewandt …
Die Ladung Glassplitter bekamen Staffy und Swensen zu kosten, und als Nachtisch reichte ich jedem einen Fausthieb, der den langen Swensen gleich durch die Tür bis zur Reling beförderte.
In solchen Augenblicken spielten Sekunden eine Rolle …
Ich entriß Hampel die Pistole, schob sie in die Tasche, – ich flog hinter Swensen drein, der bereits halb aufgerichtet an der Reling lehnte und nach Luft schnappte …
Ich hörte das Bellen der Schüsse der beiden Chinesen an Deck, – ich hörte das Brüllen der aufgepeitschten Rotte dort im Vorschiff, – – Swensen sackte abermals zusammen, die eine Pistole entfiel ihm, – die andere entriß ich ihm, – sein Boxhieb ging daneben, mein Kinnhaken landete gut. – –
Der Teufel war los, – – Teufel jagten herbei, Kugeln waren billig wie Knallerbsen, – – und gerade als der eine schlitzäugige Lumpenhund sein Messer schleuderte, tauchte Aladin Knox auf, warf auch etwas – – seine einzige Waffe, eine dicke grüne wassergefüllte Brandypulle, – – und der Chin kriegte sie mitten ins Gesicht …
Der Teufel war los …
Da war ein anderer guter Varietékünstler[4], der einen Schraubenschlüssel für ungemütliche Jongleurkunststücke benutzte … Knox brach zusammen, – – ich wollte hin zu ihm, – eine ganze Salve fegte über das Deck, und Anni Knox riß mich mit hysterischem Kreischen die Achtertreppe hinab in den gepanzerten Salon …
„Sie haben ihn erschossen … – meinen Mann erschossen – – tot – – tot – –!“
Und als ich die Eisentür zuschlug und den Riegel vorschob, lag Anni Knox ohnmächtig am Boden, und Bully, der Hund, kauerte neben ihr und leckte ihr die Hände. –
Dies ist nun die fünfte Nacht in unserem Fort.
Hampel kann nicht zu uns herein, wir können nicht hinaus …
Staffy Hampel drohte die Tür zu sprengen, – da erzählte ich ihm, was ich in dem feinen Baderaum der Kassette entnommen hatte …
Und das war nur halb gelogen, aber half ganz.
Es war dies: „Ich habe in der Kassette, deren Vexierschloß ich kannte, ein Duplikat des bei Notar Gollins deponierten Testamentes und eine Dynamitpatrone gefunden, und so wahr ich Abelsen heiße, fliegt diese Jacht in die Luft, wenn ihr uns nicht irgendwo an Land setzt!“ –
Staffy hat gedroht, verhandelt, gewütet, – aber er hat bisher nichts Ernstliches unternommen …
Die Schüsse durch den ungeschützten Fußboden sind, wie gesagt, nicht wiederholt worden. Die Herrschaften haben sich an den Antwortpillen den Magen verdorben.
Wie wird das enden?!
Ich weiß es nicht …
… Der Eskimo Umiwark ist ein sehr alter Mann. Da es bei den Eskimostämmen des Mackenzie-Deltas, das man auch das Land der zehntausend Inseln nennen könnte, auch heute noch keine Standesämter gibt und früher schon gar nicht, sind Umiwarks Jahre schwer nachzuprüfen. Er behauptet achtzig, sein Sohn Kipnu behauptet neunzig, und Mr. Tobias Ralpherson[5] behauptet siebzig. Auch Ralpherson ist schon sehr alt, jedoch der Schnaps läßt ihn nicht sterben, er ist wie eine Eskimolampe, die sich immer wieder von selbst füllt und eben so lange brennt, als Transpeck vorhanden ist.
Umiwark sitzt neben mir vor dem Sommerzelt und erzählt mir in der Sprache, die er für englisch hält, Geschichten seines Volkes.
Ich hatte bis dahin, eben bis ich diesen Riesenstrom von Mackenzie und seine Mündungsarme kennen lernte, in dem Glauben gelebt, die Eskimos kämen hauptsächlich nur in Grönland vor.
Irrtum.
Es gibt dort, wo Nordkanada und Nordalaska an das Eismeer grenzen, mehr Eskimos, als es gut ist … Noch 1870 zog der Stamm der Kupagniut in jedem Sommer 600 Kilometer weit landeinwärts bis zu den berühmten Steinbrüchen von Good Hope, wo sie sich ihre Pfeilspitzen, Harpunenspitzen und Messerklingen holten und die dort ansässigen Cree-Indianer[6] in blutigen Kämpfen verjagten.
So waren diese Kupagniut gewesen, und der Besitz von Büchsen und Pistolen hat sie nicht ungefährlicher gemacht. Was da droben, ganz droben am Mackenzie alles sich ereignet, weiß nur die kanadische Polizei, und auch die nur zur Hälfte.
Umiwark, mein Wirt, ist ein Kupagniut.
Das sagt genug.
Er besitzt vierzig Schlittenhunde, acht Zelte, zwölf moderne Zeltöfen und ist Häuptling trotz seiner weißen Haare und gelähmten Füße.
Für alle jene, die da wähnen, daß droben, ganz droben im Mackenzie-Delta, wo die Eisbären noch immer gute Diwandecken[7] in Massen liefern, der Sommer etwa unserem November gleicht, der irrt sich abermals.
Es war unangenehm warm, und meines Wirtes Laune war sehr, sehr schlecht, denn die Eskimos lieben diese zwei warmen Sommermonate, in denen die Sonne nie untergeht, durchaus nicht.
Das klingt für den uneingeweihten Europäer sehr widerspruchsvoll. Es ist Tatsache.
Umiwark erzählt und raucht …
Aber wenn ich auf die blonden Eskimos auf der unbekannten Insel im Nordwesten zu sprechen komme, und gerade die interessieren mich, dann wird Herr Häuptling Umiwark absolut taub.
Und doch ist nicht daran zu zweifeln: Diese blonden Eskimos existieren, und der Mann, den ich suche, befindet sich bei ihnen, der Erbe von 27 Millionen Dollar – nein, es werden bald 28 Millionen sein, denke ich, ich kenne die Verzinsung nicht.
Der Forscher Stefansson glaubte, die richtigen „blonden“ Eskimos gefunden zu haben. Sein Werk „Hunters of the Great North“ hat Tobias, der Walfänger und Händler, mir zu lesen gegeben. Ich habe Umiwark erzählt, was Stefansson über das unbekannte ferne Volk berichtet, und der greise Häuptling hat gelächelt und im Bogen ausgespuckt und … mir wieder berichtet, wie er als junger Mann einmal fünf Cree-Indianer getötet und dann den Namen „Umiwark“ erhalten habe: Fünftöter! – Der durch Brandy lebend weiter brennende oder brennend weiter lebende Tobias, übrigens ein ganz gerissener Kunde, übersetzt „Umiwark“ anders. Die Original-Eskimosprache am Mackenzie ist so ziemlich verloren gegangen. Tobias ist gemein genug zu behaupten, Umiwark bedeutet „Hundedieb“. Mit Umiwark ist er trotzdem aufs engste befreundet, denn edle Seelen finden sich auf dem Lande, Wasser oder Eise. Und hier gibt es acht Monate Eis und vier Monate „Landschaft“, nämlich Geröllinseln, Schlammpfützen, Moos, Blumen, Gräser und Weidengestrüpp, das die Bäume ersetzt.
Ich machte einen letzten Versuch, den Häuptling zum Reden zu bringen. Ich habe aus Edmonton unter anderem auch eine Armbanduhr mit Leuchtzifferblatt mitgebracht, und sie soll mir nun helfen, Umiwarks breites Froschmaul zu öffnen. „Wenn du mir erzählst, was du über die Schlittenreise im verflossenen Winter weißt, die der Mann aus Goldy Lake City unternahm, schenke ich dir diese Uhr, Umiwark.“
Der fußgelähmte Beherrscher von rund tausend Eskimos faßte in die Tasche seiner Wollweste und zeigte mir eine goldene Kapseluhr. „Sie genügt mir, Herr, und ich weiß nichts.“
Meine Geduld pendelte an einem Fädchen. „Du weißt etwas, fünf von den Deinen begleiteten den Mann …“ – Meine Stimme ist nicht mehr so liebenswürdig.
Der Alte erwidert nur: „Zu unserem Stamm gehören viele Hunderte, und sie wohnen nicht nur im Mackenzie-Delta, sondern weit nach Osten zu verstreut, wie dies nicht anders geht in einem Lande, das die Seinen nur spärlich ernährt. Große Dörfer sind hier nicht anzutreffen, Herr, die größten Siedlungen meines Volkes zählen nicht über hundert Köpfe.“
Das wußte ich.
Das dünne Fädchen riß, und ich schritt davon zu unserem Zelt, zu Lizzie Gondaloor, die an den Stromschnellen weiter südlich aus unserem Walboot gefallen war und mit Fieber auf ihren Decken ruhte.
Lizzie …: Das Mädchen von Goldy Lake City!
Sie war die größte Überraschung meines Lebens gewesen, sie hatte in der offenen Tür zwischen den blühenden Büschen eines für diesen nordkanadischen „Ort“ ganz unwahrscheinlichen Vorgärtchens eines Hauses gestanden, das weder Hütte noch Zelt noch Haus war, sondern eine Mischung von allen dreien.
In meine Augen war das große jungenhafte Leuchten jener Zeiten getreten, als wir Zwölfjährigen noch die Indianerschmöker verschlangen und in unserer Seele Helden indianischer Namen trugen.
Es hatte schon seinen Grund, dieses Leuchten, und es hatte schon seinen noch stärkeren Grund, daß ich, der gereifte Mann, stehen blieb und dieses Kind der Wildnis mit staunenden Blicken musterte wie ein fleischgewordenes Wunder.
So sah ich Lizzie zum ersten Mal.
Und zwischen diesem Sehen und dem letzten Akt von „Annis Fort“, wie ich es getauft hatte, lagen drei volle Monate, von denen im Grunde nicht mehr viel zu berichten ist.
Sie haben ein Recht darauf, diese drei Monate, wenigstens flüchtig gestreift zu werden. Ich will es tun, bevor ich von Lizzie erzähle und von dem Riesenstrom des Mackenzie und von Umiwark und all dem anderen, was ich hier so in aller Ruhe nachholen kann, – ich habe zu viel Zeit, vielzuviel Zeit, und ich habe keinerlei Mangel an irgend etwas, ich habe jetzt, wo ich wieder zur Feder greifen mußte, um die bösartigen Schwärme der eigenen Gedanken zu bannen, für mich allein ein ganzes Schiff und …, – aber auch das bleibt für später.
Die große Piratenkomödie mit dem Hauptakteur Staffy Hampel und dem Hauptstoff „27 Millionen“ endete so prosaisch wie möglich.
An dem Morgen, der jener Nacht meiner ersten Eintragungen über Aladin Knox folgte, der keine Wunderlampe war, mußte irgend etwas da draußen nicht in Ordnung sein.
Wir, Anni, ich und der Bully, kannten genau das Tagesprogramm der Belagerer, das der Mulatte Antonio (bleiben wir schon bei dem Namen) mit ein paar schneidigen Märschen einleitete, – hinterher gab es Deckschrubben, Pinseln, Gesänge, den üblichen Besuch Staffys an der Stahltür und die üblichen Verhandlungen.
Aber diesmal, – – alles war verkehrt, verändert.
Das Hin- und Herrennen auf Deck deutete einen Zwischenfall an, und urplötzlich pochte Käpten Staffy gegen die Stahltür und war verblüffend ehrlich: Rede und Gegenrede durch den Türschlitz mit bereitgehaltenen Pistolen.
Staffy war in Angst.
Begründet …
Denn die Minnehatta hatte einen Verehrer gefunden, der nicht errötend, sondern drohend ihrer Spur folgte und der – dies hörte ich dreimal – nicht mit Rosenbuketts, sondern mit Granaten warf, die unter eklem Heulen und Krachen explodierten.
„Mr. Abelsen, – ein englischer Kreuzer hinter uns“, keuchte Staffy … „Ich laufe mit der Jacht in eine Bucht ein … Die Insel vor uns ist sehr groß … Alle Papiere liegen in meiner Kajüte … Stellen Sie mich nicht allzu schlecht hin, ich …“
Swensens Stimme fluchte: „Laß den Quatsch, du Aasgeier! Denkst du, wir wollen baumeln! Vor uns ist Brandung, – steuere du den Kahn, du kannst es …“
Zwei Stunden später waren englische Matrosen an Bord, Anni und ich hatten schon vorher den infolge seiner Verletzungen halb toten Aladin gefunden und verständigt, ich war wieder Oskar Smith, das Protokoll von damals war Asche, und die Engländer behandelten uns mit ausgesuchter Höflichkeit.
Aber umsonst suchten sie nach den geflüchteten lieben Freunden Staffy und Genossen.
Nächste Etappe: Kalkutta!
Advokaten, Richter, das Ehepaar Knox, in Liebe wieder vereint, und der Schiffskoch Oskar Smith gaben wiederum zu Protokoll, was über die Gondaloors zu sagen war.
Große Beratungen höchster Instanzen, und die Folge: Der Koch Oskar Smith sollte auf Kosten der Erbmasse die Knox’ nach Edmonton begleiten.
Es war kein Testament da, Edward Gondaloor erbte die ganze Kleinigkeit, und Knox und ich sollten zusehen, wie wir in aller Stille nach Goldy Lake City kämen, um dem Erben die erfreuliche Tatsache mitzuteilen, daß er jetzt nicht mehr Farmer und Fallensteller zu spielen brauchte.
In aller Stille, – dies betonten die hohen Herren mit schlauen Gesichtern, und diese Schläue imponierte ihnen selbst am meisten, zumal sie es ja nicht waren, die etwa Staffy Hampel irgendwo begegnen könnten, denn daß Staffy nach seinen ersten Proben von Millionenhunger kaum der Appetit auf den fetten Happen für immer vergangen sein würde, sahen sie prompt ein.
Nächste Etappe: Fahrt bis San Francisco über den Ententeich „Stiller Ozean“ und Eisenbahnfahrt bis Edmonton.
Allwo dann Anni, die ihren Gatten fernerhin als Helden vergötterte, auf Frauenart Intrigen spann und mir klar machte, daß auch ich als Bote an Edward Gondaloor genüge …
Und so weiter …
Anni war eine Enttäuschung, und Aladin war verliebt, und der Hauptgrund war, daß man einem Familienzuwachs entgegensah …
Was ich durchaus als ausschlaggebend anerkannte. Ich bekam sowohl von Knox als auch von den zwölf Mitgliedern des Finanzierungskonsortiums, die sich aus Freude acht Tage eingehendst mit der Alkoholvertilgung beschäftigten, gestempelte, versteuerte, auf dickem Papier getippte Vollmachten, sowie einen Hut voll Segenswünsche mit auf den Weg, und als ich Edmonton mit der Bahn wieder verließ, saß neben mir in dem Polsterabteil der Wildnisbahn lediglich ein einziges Andenken an dieses Vorspiel der Geschichte einer Millionenerbschaft: Bully!!
Bully, der verunglückte zierliche Schoßhund, jetzt ein hochbeiniger Kerl mit ungeheurem Brustkasten und einem Gebiß und einem Gesicht, das jeden Fremden zu Umwegen zwang.
Bully war in Frau Annis schönen Augen überflüssig geworden, nachdem das Ehepaar ein zweibeiniges Kindlein erwartete, und der arme Bully, im Hause Knox nur noch lästiges Anhängsel, schloß sich immer enger an mich an, und Knox schenkte ihn mir mit einem hörbaren Aufatmen, zumal das brave Tier sehr unbrav in zwei Tagen vier nachbarliche Katzen gemordet hatte, ohne auch nur eine Schramme davonzutragen.
Nächste Etappe: Dampferfahrt bis Fort Good Hope am Mackenzie mit dem weißen schmucken „Mackenzie River“, einem beinahe feudalen Bauwerk der Schiffstechnik, sehr hochbordig, sehr gemütlich, sehr stark besetzt von Siedlern, Fallenstellern, Händlern und modern gekleideten faulen Indianern, aus denen die liebe Mutter Zivilisation jämmerliche Kreaturen gemacht hat.
Inzwischen war es auch hier Frühling geworden, und als ich von Good Hope zu Pferde aufbrach, nur begleitet von Bully und einem Cree-Indianer als Führer, um mich bis Goldy Lake City durchzuschlagen (zweihundert Kilometer nach Nordost durch völlig öde Wildnis), – als ich die Blockhäuser und die modernen hellen Gebäude des ansehnlichen Ortes im Morgennebel verschwinden sah, war ich, bisher Oskar Smith, Schiffskoch, dieser Monate in den sanften Armen der „Kultur“ so gründlich überdrüssig, daß ich dem kläglichen Pferde die Sporen gab, den breitkrempigen Filzhut abriß und einen schrillen, tollen Schrei ausstieß: Ich war wieder ich selbst geworden!
Mein Cree-Führer, der einen Maulesel ritt, hielt mich zweifellos für verrückt.
Die Nachrichten, die ich in Good Hope von dieser schweigsamen Gilde der Jäger, Polizisten und Beamten mühsam gesammelt hatte, lauteten nicht gerade sehr freundlich. Ein Fuchsjäger meinte, Edward Gondaloor sei überhaupt nicht mehr in Goldy Lake City. Genaues wisse er nicht … Aber ein paar Eskimos hätten erzählt, der Engländer sei zum „Volk des großen Flusses“ weitergezogen, zu den Kupagniuts …
Die Leute in Good Hope hatten längst von der Riesenerbschaft gehört, sie begegneten mir mit Mißtrauen und Neid, und der Wunsch der Erbschaftsverwalter in Kalkutta, alles solle recht heimlich in die Wege geleitet werden, war schon infolge des tagelangen Trinkgelages des Finanzierungskonsortiums frommer Wunsch geblieben.
Der alte Cree-Indianer gefiel mir nicht recht. Der Kerl war zu freundlich. Und er soff. Er renommierte. Er glaubte wohl wie die ganze Gesellschaft da in Good Hope, mein geschniegeltes Äußere stände im rechten Verhältnis zu meinen sonstigen Greenhorn-Eigenschaften. Ich beließ die Hinterwäldler bei dieser irrigen Annahme und war überzeugt, daß der Cree-Indianer irgend eine Lumperei plane, um mich verschwinden zu lassen und ausplündern zu können.
Fünf Tage ritten wir durch Wälder, Berge, Reste von Schneeschanzen, – über steinige Prärien mit beginnendem Graswuchs, durch Flüsse und Bäche, in denen noch Eisschollen trieben, und wenn der Lump von Cree nichts gegen mich unternahm, war dies lediglich seiner Angst vor meiner Schußfertigkeit und vor Bullys Zähnen zuzuschreiben. Er hatte geprahlt, daß er genügend für Fleisch sorgen würde, – dreimal schoß er auf ein Renntier[8] daneben, zweimal verfehlte er einen schwarzen Bären, da griff ich zur Büchse, und vom Sattel aus schoß ich ein Karibu, das im Feuer liegen blieb. Der Cree riß das Maul auf, und ich sagte warnend: „Ich treffe Menschen noch besser!“ – Das verstand er.
Und nach sechs Zeltlagernächten dann ein Felsental mit weißen Schneetupfen und viel Fichten und Weiden und ein paar Buchen und elenden Hütten und Scheunen und Äckern und einem Dutzend Menschen: Goldy Lake City – so genannt, weil ein See dem Tale ein blinkendes Auge verlieh.
Und da traf ich, wie schon erwähnt, Lizzie[9] Gondaloor.
In der Tür stand sie, vollkommen in fein gegerbtes Leder gekleidet, das an den Nähten mit Haaren und vor der jungen Brust mit Perlen verziert war, – die Beinkleider ganz weit, unten geschlitzt, dazu halbhohe Renntierstiefel, einen gestickten Ledergurt mit Pistole, Messer und einem schmalen runden Handtäschchen, das sich etwas stilwidrig ausnahm.
Sie war schlank und groß, trug das braune Haar kurz geschnitten, ihre Augen hatten die Farbe köstlicher altjapanischer Dunkelbronze, ihre Oberlippe war stark gewölbt und ließ die weißen Zähne sehen.
Sie lehnte am Türpfosten mit der nachlässigen Grazie einer Herrin der Wildnis. Sie musterte mich von unten bis oben, von oben bis unten, und die gesamte Einwohnerschaft von Goldy Lake City war Zeugin dieser Begrüßung.
„Sie wünschen, Mister?“, kam sie jeder Anrede meinerseits zuvor und lächelte unmerklich – kein harmloses Lächeln.
Hinter ihr in dem Hauptraum dieses Hauses, das weder Haus noch Hütte noch Zelt war, drängten sich starke gepflegte Schlittenhunde.
Und hinter mir standen drei Weiße und sechs Indianer, die wie Banditen aussahen.
„Ich möchte Sie allein sprechen, Miß“, sagte ich, an den Hut fassend. Höfliches Grüßen war schon in Good Hope unmodern gewesen.
„Sprechen Sie!“, sagte sie kurz.
Ich wußte bereits, daß ihr Vater wirklich nicht hier in der Siedlung weilte. Einer der Weißen hatte es mir berichtet und dazu sonderbar gegrinst.
„Es läge in Ihrem Interesse, daß wir unter vier Augen verhandelten, Miß …“
Ihre Oberlippe hob sich höher.
Ich ahnte nicht, daß Lizzie hier in der Wildnis, hier in diesem Tale unbeschränkte Herein war.
Sie sagte halblaut und ohne jede Erregung:
„Bindet ihn!“
Auf alles war ich vorbereitet, nicht hierauf.
Ich fühlte eine Lassoschlinge am Hutrand, ich fühlte fremde Fäuste, und mit einem Male schoß mir da der Gedanke durch den Kopf, daß der alte Cree-Indianer mich doch niederträchtig verraten hatte, aber anders, als ich gefürchtet hatte.
Mit einem Male war ich der, der diese letzten Monate als Qual empfunden hatte, der seine eisernen Muskeln kannte und der noch mehr gelernt hatte in den wilden Wanderjahren.
Neun Mann gegen einen – etwas viel.
Doch neun Mann, die im Übereifer rüden Zupackens sich selbst behindern, sind Narren, und Narren stierten mir nach, als ich mit drei Sätzen zur Türe flog, Lizzie in die Hütte stieß, die Tür zuwarf und verriegelte und dann das Mädchen auf den Holzstuhl drückte und ihr die Hände durch die Stuhllehne zog und mit dem Taschentuch umschlang. Sie war vollkommen überrumpelt worden, sie kam gar nicht zu Atem, sie starrte mich nur wortlos wie eine Geistererscheinung an, sie hätte auch kaum mit einem empörten Zuruf oder dergleichen in diesem Höllenlärm Glück gehabt, denn Bully war mir natürlich blitzschnell gefolgt, und Lizzies Schlittenhunde suchten Bully zu zerfleischen.
Bully saß, ein guter Stratege, zwischen einem Schrank und einem Bett, hatte also Rücken und Seiten gedeckt, und zuweilen schoß er aus diesem Winkel hervor, und dann gab es eine Hundeleiche.
Nicht seine.
Ich fand einen Besen, und im Nu hatte ich die Meute derart verwalkt, daß sie zur Hintertür hinausflüchtete, – drei Tote flogen hinterdrein, und die Stube mit den sauber gescheuerten Dielen und dem Teppich aus buntgefärbtem Bast glich einem Schlachtfeld.
Inzwischen hatten die neun Herren draußen im Vorgarten erst einmal ihre Zähne und sonstigen Wertgegenstände, die etwas zerstreut umherlagen, zusammengesucht und hielten nun Kriegsrat.
Die Fenster neben der Tür hatten echte Glasscheiben, und diese Schiebefenster waren halb geöffnet.
Einer der Weißen, der sich vielsagend das Kinn festhielt, als ob er fürchtete, der Unterkiefer könnte ihm verloren gehen, brüllte mit mäßiger Begeisterung für weitere Kampfesspiele:
„Ergeben Sie sich, – – kommen Sie raus, Sie Schuft!“
Ich schob die schöne Sniders-Büchse, Andenken an Royal, halb durch das Fenster in den Sonnenschein und drückte, um die Sachlage gründlich zu klären, dreimal ab, was zur Folge hatte, daß draußen drei Büchsenkolben zersplitterten und drei Büchsenläufe den Besitzern schmerzliche Hiebe versetzten.
Im Umsehen war der Vorgarten leer. Auf dem hellen Sandweg lagen ein einsamer Vorderzahn und drei unbrauchbare Flinten.
„Und Sie wollen Schiffskoch sein!!“, sagte da Lizzie Gondaloor mit erstaunlicher Ruhe.
Bully knurrte. Sein Knurren ist wie Gewittergrollen, und wenn Bully sich hinten zusammenduckt und sich ganz kurz macht, will er jemand anspringen, und dann ist es um diesen Jemand meist geschehen.
„Kusch, Bully! Diese junge Lady wird Vernunft annehmen. – Sagen Sie mal, Miß, was sollte dieser Scherz eigentlich?!“
Lizzies Gleichmut gegenüber diesen etwas wildbewegten Zwischenfällen war anerkennenswert.
„Sind Sie ein … Grobian!“, meinte sie sichtlich verwundert über meine zweckmäßige Handlungsweise. „Sie sind doch Oskar Smith, oder vielmehr, Sie sind nicht Oskar Smith, sondern jener Schwindler, der in Good Hope als Smith auftrat. Den echten Smith hätte ich anders empfangen.“
Mit Lizzie ließ es sich so, wie die Dinge nun lagen, sehr leicht verhandeln. In wenigen Minuten waren wir uns darüber einig, daß mein Brief, den der Cree-Führer sofort nach Ankunft hier heimlich zu Lizzie geschickt hatte, eine grobe Täuschung vorstellte.
Sie gab mir den Wisch. Er war adressiert an Mr. Edward oder Miß Lizzie Gondaloor, – die Handschrift kannte ich nicht, der Inhalt lautete:
Ich teile Ihnen mit, daß der echte Oskar Smith, mit richtigem Namen Olaf Karl Abelsen, unterwegs auf dem Dampfer „Mackenzie River“ von Leuten, die die Erbschaft an sich reißen möchten, nachts getötet, über Bord geworfen und durch einen anderen Mann ersetzt wurde. Ich war leider nicht imstande, dieses Verbrechen zu verhüten, da ich selbst von diesen Schurken beobachtet wurde. Lassen Sie den Verbrecher sofort festnehmen und warten Sie mein Eintreffen ab.
John Willcox,
Detektiv, Kalkutta.
Beauftragter des dortigen Notars
Mr. Gollins sowie der Gerichtsbehörden.
Das war der beste Witz, den ich seit langem versetzt bekommen hatte.
Ich zog aus meiner Innentasche der Lederweste zwei Zeitungen hervor und hielt sie Lizzie unter das Näschen. Es waren sehr schöne, klare Steckbriefbilder eines gewissen Abelsen.
„Vergleichen Sie, Miß!“
Sie verglich so gründlich, daß, als ich sie anlächelte, ihre Wangen sich röteten, und da sah sie noch hübscher aus.
Der Frieden in Goldy Lake City wurde wiederhergestellt, – der alte Cree-Indianer war entflohen und hatte mein Pferd und mein Gepäck mitgenommen, und auf Mr. John Willcox warten die Siedler von Goldy Lake City noch heute.
Ich hatte so eine dunkle Ahnung, wer John Willcox sein könnte: Staffy Hampel!!
Und deshalb nahm ich mich von Stund an doppelt in acht. Aber meine abenteuerliche Fahrt mit Lizzie gen Norden verlief dann wider Erwarten ohne Staffys Auftauchen oder ohne Staffys Schuftereien, und wenn nicht die Moskitos und das unfreiwillige Bad Lizzies in den Stromschnellen die Gemütlichkeit arg gedämpft hätten, wäre diese Reise zu Herrn Häuptling Umiwark ein köstliches Vergnügen gewesen.
Die ersten Eskimos erblickte ich in Fort Maupherson. Ich war erstaunt. Bücherweisheit fiel mir ein. Wie viel Unsinn steht noch heute in Romanen und Erzählungen, selbst in rein wissenschaftlichen Werken über dieses Volk des nördlichsten Nordens! Die Eskimos sollen klein sein, ihre Frauen halbe Zwerginnen, vor Schmutz sollen sie starren, stinken und weiß Gott noch was.
Ich wünschte mancher europäischen Schneiderin, manchem europäischem Kürschnermeister, daß sie solche zierlichen Nähte an Pelzgewändern, solche gut sitzende Pelzkleidung zu arbeiten verständen, wie die Eskimofrauen.
Und dann, als Lizzie und ich in dem Fort ein ganz neues Umiak eingehandelt hatten, als wir nun, lediglich auf eine sehr flüchtige Kartenskizze des Mackenzie-Deltas angewiesen, Umiwarks Insel suchten, da lernte ich abermals etwas dazu. Das Umiak wird stets „Frauenboot“ genannt, das Kajak soll das ausschließliche Männerboot sein, – so liest man es überall.
Unsinn!
Umiak ist Reiseboot der Familien bei Sommerzeit, Kajak ist Fangboot. Unser Umiak war neun Meter lang, das Gerüst besteht aus Treibholz, die Außenhaut aus den Fellen der großen bärtigen Seehunde, die bis zu fünf Zentner schwer werden – im Gegensatz zum gewöhnlichen Seehund. Diese Fellhaut des Umiak wird von den Frauen mit Renntiersehnen zusammengenäht, im Wasser quellen die Sehnen an, und so liefern die Eskimofrauen die einzige wasserdichte Naht, die ohne Maschinenhilfe und ohne Patentklebestoffe fester hält als die feinste Fabrikarbeit.
Mit diesem vorzüglichen Fellboot, das die ärgsten Stöße verträgt, da auch das Gerüst nicht genagelt, sondern federnd zusammengebunden ist, irrten wir eine Woche durch dieses ungeheure Inselgebiet, das erst vor zwei Wochen von Eis frei geworden war. Dann endlich Ankunft bei Umiwark, – Lizzie fieberte stark, und sie brauchte unbedingt Ruhe.
Bevor wir Umiwarks Sommerquartier erreichten, lernten wir noch den bereits treffend charakterisierten Tobias Ralpherson auf der Nachbarinsel kennen, wo er seit zwanzig Jahren mit seinem Eskimoweibe und einer Schar von Söhnen, Töchtern, Schwiegersöhnen und sonstigem Anhang ein „Warenhaus“ besaß und nebenbei Füchse, Eisbären und Karibus fing.
Über Tob Ralph wird noch viel zu sagen sein. Über Umiwark, seinen Busenfreund, habe ich schon einiges angedeutet. –
In dem dicken, geölten Leinenzelt lag Lizzie mit fieberheißen Wangen und fragte besorgt: „Nun, Olaf, – wie ist heute des Alten Laune?“
„Wie immer.“
Ich reichte ihr Chinin, gab ihr Lachsbrühe zu trinken (Fleisch war nicht erhältlich) und setzte mich zu ihr.
„Lizzie, der Kerl verbirgt uns irgend etwas.“
„Und doch wollte Vater zu ihm!“, erklärte sie matt, aber bestimmt. „Vater war von jeher ein ruheloser Geist … Sein Zerwürfnis mit seinem älteren Bruder Ernest trieb ihn in die Fremde …“
Es war mir das alles nichts Neues, aber man soll derartige Erinnerungen immer wieder auffrischen. Vielleicht ergibt sich aus ihnen doch irgend ein Fingerzeig.
Wir hatten die Moskitoschleier hier noch nicht nötig und sprachen mit unverhüllten Gesichtern. Sobald aber der Wind nach Süd drehen und drei Tage kräftig blasen würde, würden auch die Moskitoschwärme aus den südlichen Nordlandprärien massenhaft erscheinen. In Fort Maupherson waren diese niederträchtigen Stechmücken bereits Landplage gewesen.
„Und er sagte Ihnen nicht, was er bei Umiwark wollte, – das heißt, weshalb er den „blonden Eskimos“ so viel Interesse schenkte, liebe Lizzie?“ – Auch die Frage war schon soundso oft erörtert worden.
Lizzie, deren Hirn das Chinin geklärt hatte, dachte eine Weile nach.
Zu meiner Überraschung erklärte sie etwas zögernd:
„Vater war zweimal verheiratet, Olaf.“
Ich trocknete mir den Schweiß von der Stirn. Die Sonne, die Ende Juni hier nicht mehr untergeht, brannte fast mit tropischer Glut hernieder.
„… Vater heiratete zuerst in Athabasca Landing eine sehr hübsche Indianerin, die jedoch schon nach zwei Jahren starb. Dann erst heiratete er in Winnipeg meine Mutter, eine Weiße, eine geborene Steap, Tochter eines dortigen Kaufmanns, und nahm auch sie mit in die Wildnis, wo sie in Goldy Lake City ebenfalls starb …“ Lizzie setzte sich halb aufrecht … „Gehen Sie jetzt hinaus, Olaf … Ich werde die Kompresse erneuern …“
Mir schien es, daß es sie gereute, so viel gesagt zu haben. Bisher hatte ich die Kompressen gewechselt, und Lizzies wundervoller Oberkörper bot mir keine Geheimnisse mehr.
Etwas unzufrieden griff ich nach der Büchse. Der Südzipfel von Umiwarks Insel bildete eine weite Prärie, die vom Festlande nur durch einen seichten Wasserarm getrennt war. Im Sommer, und es war Sommer, sollten sich Renntiere bis dorthin verirren, und die ewige Fischkost wurde mir allmählich über.
Unser Zelt stand unter Tannen abseits von Umiwarks Zeltstadt. Als Hintergrund hatte es hohe, kahle Klippen, die etwas Schutz vor der Sonne gewährten. Ich umging des Herrn Häuptlings reich belebte Hauptstadt (er hatte ausnahmsweise etwa zwanzig Familien vom Kupagniut-Stamme bei sich) und schritt hinter einem Felsrücken südwärts.
So mancherlei beschäftigte meine Gedanken. Umiwarks Benehmen hatte meinen Verdacht erregt. Es gab eine Zeit, in der die Eskimos vom Mackenzie (und das heißt auch die von Alaska und Ostkanada) ehrliche, primitive Leute waren. Als die ersten Walfänger ihnen für Fleisch und Fische allerlei schenkten, auch Schnaps und Flinten, wurden diese Kinder des Nordens sehr bald geriebene Schacherer. Heute unterscheidet sich ihr Charakter in nichts von dem der Europäer: Verdienen wird groß geschrieben, und der Zweck heiligt die Mittel.
Ich war besorgt um Lizzies und meine Sicherheit, – das war der Kernpunkt meines Grübelns. Ich fühlte, irgendwo und irgendwie braute sich da ein Gewitter zusammen, das uns vernichten sollte. Daß Umiwark die Armbanduhr abgelehnt hatte, sprach Bände. Irgend jemand hatte ihn bestochen, mir nicht zu verraten, wohin sich Edward Gondaloor, Erbe von siebenundzwanzig Millionen, gewandt hatte.
Wer?!
Und da fiel mir altem, erfahrenem Fuchs Mister Tob Ralpherson ein, der reiche Warenhausbesitzer, der Erbvater Abraham mit seiner Garde von Söhnen und so weiter.
Es war jetzt zehn Uhr vormittags, – es hätte ebenso zehn Uhr abends sein können, denn die Sonne blieb ja über dem Horizont. Lizzie wußte ich unter Bullys Schutz gut aufgehoben, und bis zu Tob waren es etwa drei Stunden Marsch.
Ich gab die Karibujagd auf und schlug westliche Richtung ein. Die Insel hier hatte zum Teil reichen Tannenbestand und überreiche Weidendickichte. Ich vermied alle Örtlichkeiten, wo mich ein heimtückischer Schuß niederstrecken konnte, und weite Strecken legte ich im Trab zurück.
Plötzlich stutzte ich. Vor mir aus einer Schlucht kräuselte sich eine dünne Rauchwolke gen Himmel. Ich schlich näher, kroch das letzte Stück und erblickte in dem kleinen Tale ein braunes Zelt, davor einen Europäer in einem graugrünen Cordanzug und einen Indianer in Ledertracht, der kein Mackenzie-Cree sein konnte, da er sehr schmale, scharfe Züge hatte und überschlank war. Am Feuer vor dem Zelte briet eine Karibulende, und acht große Hunde fraßen abseits zwischen Weidenbüschen das Gescheide des erlegten Tieres. Die ganze umherliegende Ausrüstung ließ darauf schließen, daß es sich hier um das Lager eines Forschungsreisenden handelte.
Der Europäer selbst?!
Er saß auf einem leichten Klappstuhl und … polierte seine Fingernägel und rauchte eine Zigarette. Sein blonder Scheitel, sein frisches junges Gesicht entsprachen durchaus dem Liede, das er sehr gemütvoll vor sich hin pfiff: „So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage …“
Ein ulkiger Knabe, fand ich.
Aber sein Konzert wurde jäh gestört.
Die ziemlich tiefe Schlucht bildete nach Norden zu eine Anhäufung von Geröll und Felsblöcken, zwischen denen noch helle Flecken vereister Schneerückstände zu sehen waren. Von dort erschienen überraschend sechs Kerle in Eskimotracht, deren Gesichter freilich zu der fraglos echten Fellkleidung nicht recht paßten.
Ich hatte da liebe alte Bekannte vor mir, die einst sehr zartfühlend auf der Minnehatta für reichliche körperliche Bewegung durch Deckschrubben und anderes gesorgt hatten. – Daß sie mich nicht erspäht hatten, war ihr persönliches Pech. Ich pflege mich einer verdächtigen Rauchsäule nie in voller Figur zu nähern und stets Deckung zu nehmen.
Sie kamen wie die Diebe herangeschlichen, aber Diebe tragen keine Büchsen und keine Pistolen und Harpunen mit Eisenspitzen. Wenigstens dort oben am Mackenzie nicht, wo diese Ehrengilde noch sehr spärlich vertreten ist, was kaum der kanadischen Polizei, sondern mehr der flinken Selbsthilfe der spärlichen Bewohner zuzuschreiben ist. Bei Geschäften betrügen sich Händler, Fallensteller und Eskimos nach bestem Können, aber es gilt für todeswürdig, etwa ein Zelt oder eine Blockhütte, deren Bewohner nicht daheim, auszurauben. Kommt solch ein Fall einmal vor, so wird der Dieb zumeist sehr rasch eingefangen, und der Rest ist dann Schweigen infolge der zu eng gezogenen Schlinge eines gut eingefetteten Lassos, dessen anderes Ende an einem Tannenast festgeknotet ist. Die Leute reden nicht gern über derlei Ereignisse, Tatsache ist, daß mit seltener Einmütigkeit Weiße und Eskimos diese Justiz der Wildnis billigen und sie durchaus notwendig erachten.
Der nägelpolierende junge Gentleman saß mit dem Rücken nach den Anschleichern hin, der Indianer, sein Begleiter, war soeben ins Zelt gegangen. Ich entsicherte meine Sniders und wartete ab.
Der Vorderste der sechs war der Harmonikavirtuose Antonio, dann schlossen sich zwei Chinesen an, den Nachtrab machte mein lieber Freund Swensen, der Wadentreter, sowie zwei ähnliche schätzenswerte Halunken.
Also doch!! Herr Staffy Hampel, ehemals deutscher Schiffskapitän, dann Engländer, Amerikaner oder Franzose, je nach Bedürfnis, war in der Nähe!
Was wollten die sechs?! Den Blonden überfallen und Mein und Dein verwechseln?!
Immerhin eine Szene, die viele Möglichkeiten offen ließ.
Der Mulatte blieb zurück und ließ Swensen den Vortritt. Die acht Hunde des ahnungslosen Gentleman meldeten sich nicht, denn Eskimohunde, Schlittenhunde, melden keinen Ankömmling, wenn sie gerade fressen. Man muß dabei bedenken, daß die Tiere im Sommer ihre Fastentage haben, da es dann im hohen Norden weit weniger Fleisch oder Fische gibt wie im Winter. Man braucht sie nicht, und man läßt sie hungern. Fällt der erste Schnee, so müssen sie als Schlittenhunde reichlich verpflegt werden. Mithin geht Faulenzen[10] und Hungern bei diesen einzigen Zugtieren des Nordlandes Hand in Hand, – umgekehrt als sonst zumeist.
Ob nun der Europäer doch etwas Verdächtiges gehört hatte, – er ließ sein Polierpolster in den Schoß fallen, hatte erstaunlich schnell seine beiden schönen Coldpistolen in den gepflegten Händen, hatte sich mit einem Ruck herumgedreht und sagte in einem Englisch, das nicht ganz rein klang:
„Bitte – – Hände hoch – – alle!!“
Er sagte das mit einem vergnügten Schmunzeln, und der so gegebene Befehl hätte kaum eine Wirkung erzielt, wenn nicht die beiden Coldpistolen sehr kunstgerecht halb vorgereckt worden wären und die Bande unangenehm ruhig, ohne jedes Schwanken der langen Läufe, bedroht hätten.
Swensen grunzte finsteren Blickes: „Jungchen, stecke die Dinger wieder weg! Gehe heim und laß dir erst die Ohren trocknen, du Baby!!“ Er fügte noch einiges hinzu, das sich nicht zum Niederschreiben eignet.
Erwähnen muß ich noch, daß das Zelt mit der Rückseite an einer lehmigen Wand stand und daß hinter den Angreifern am Rande der Felsen jetzt der lange schlanke Indianer sich aufrichtete und die Büchse sehr lässig im Arm behielt. Er schien seinen Herrn zu kennen.
„Was wollt ihr eigentlich?“, fragte dieser nun Swensen fast höflich.
Sein Blick hatte den Indianer nur flüchtig gestreift, und die sechs blieben ohne Kenntnis, daß auch hinter ihnen ein rascher Tod lauerte.
Der Blonde ließ die bösen Cold nicht sinken, und sein Nachsatz klang noch heiterer: „Wer sich bewegt, kommt auf die Verlustliste. Laßt eure Schießprügel fallen. Ich zähle bei solchen Gelegenheiten immer bis drei … Eins – – zwei – – drei!“
Hampels Minnehatta-Garde brach in ein unziemliches Hohngelächter aus.
Selten wohl verstummte eine Lachsalve so schnell.
Aus den Läufen der Cold fuhr Mündungsfeuer hervor, Swensens Fellmütze wirbelte davon, auch die eines Chinesen, und etwas Kopfhaar ging dabei mit flöten.
Der Mann gefiel mir ausnehmend.
Den sechs gefiel er weniger, und sechs Schießprügel sanken klirrend ins Steingeröll.
„Na also!!“, sagte der Blonde vergnügt. „Und jetzt bitte – – Arme hoch! Ich zähle immer bis drei, eins – – zwei – –“
Diesmal blieb ihm das drei erspart, die Herren waren überzeugt, daß die Cold noch mehr Patronen enthielten.
Der Gentleman steckte seine Pistolen ein und rief dem Indianer zu:
„Samson, erledige du das Weitere.“
Die Zeiten, wo die Indianer Kanadas poetische Namen führten, sind vorüber. Die meisten Rothäute sind dem Namen nach Christen und heißen Jakob, Abraham, Isaak, Theodor oder sonstwie.
Samson trat näher und winkte den sechs, drüben auf den Steinen Platz zu nehmen. Er sprach kein Wort, seine Gesten genügten.
Die blutige Romantik ist im hohen Norden am Mackenzie und Umgegend längst noch nicht ausgestorben. In Fort Maupherson hatten wir zum Beispiel gehört, daß vor einem Monat fünf flüchtige Verbrecher aus Edmonton endlich von der kanadischen Polizei in einer verlassenen Blockhütte gestellt und nach stundenlangem Feuerkampf sämtlich erschossen worden waren. Diese fünf hatten zwei Winter über die braven Fallensteller gespielt, und man fand bei ihnen genügend Beweise für die endliche Aufklärung des Verschwindens verschiedener Handelsagenten, deren Verlust man den Schneestürmen und den Wölfen zugeschrieben hatte. Man muß bei alledem immer wieder berücksichtigen, daß jene Gebiete in ihrer grenzenlosen Weite so dünn bevölkert sind, daß auf zehn Quadratkilometer etwa ein Bewohner kommt, man darf nie vergessen, daß der Mackenzie fast so groß wie der „Vater der Ströme“, der Mississippi ist, und sein Inseldelta niemals ganz erforscht werden kann, – es hat niemand Interesse daran.
Hampels sechs Herren waren kaltgestellt, nein, gesetzt, denn die Felsen bleiben trotz der Sonne ziemliche kühle Plätzchen, da die Bodenkälte zu stark ist. Der Boden taut im Sommer vielleicht vierzig Zentimeter tief auf.
Der Blonde prüfte eingehend die Güte seiner Fingernägel und fragte Swensen so nebenbei:
„Wolltet ihr einen Scheck haben?“
Scheck?!
Ich begriff sofort. Der Mann hatte zweifellos Kredit bei der Bankfiliale in Fort Maupherson. Seine Unterschrift mußte etwas wert sein. Außerdem mußte er trotz seines fidelen Gesichts als vielerfahrener Globetrotter schon häufiger mit derartigen Leuten sehr intim, aber nicht gerade freundschaftlich verkehrt haben.
„… Ihr kehrtet vorgestern bei Ralpherson ein“, fügte der Blonde ohne Aufblicken hinzu. „Ihr gabt euch als Goldsucher aus … dann zogt ihr weiter. Ihr wolltet gen Osten in die Berge. Ihr seid nicht gerade weit gekommen. Einer von euch, der kleine Chinese, stand am Bankschalter von Fort Maupherson neben mir, als ich, – – aber das wißt ihr ja alles, schätze ich. – Wie hoch sollte der Scheck sein, und wie tief wolltet ihr Samson und mich nachher verscharren? Sogar Spaten und Spitzhacke habt ihr mit. Oh, ihr armen Lämmerchen, auf welche falsche Weide seid ihr da geraten?!“
Dieser blonde junge Mann war doch ein ganzer Kerl.
Swensens dickes Gesicht lief vor Wut blaurot an.
Aber er hielt es für vorteilhafter, gar nichts zu sagen. Seine Phantasie reichte vielleicht auch nicht aus, eine einleuchtende Erklärung für diesen Überfall zu finden.
„… Was tue ich nun mit euch?“, meinte der Blonde immer in demselben fidelen Tone. „Ich kann euch doch unmöglich als Scheibe zu Schießübungen verwenden, das wäre erstens Mord und zweitens Pulververschwendung, denn ich treffe leidlich – für den Hausgebrauch genügt es. Samson, nimm ihnen auch die kleineren Waffen ab, und dann lassen wir die Herren laufen. Ihr werdet euch genau nach Südost entfernen. Die Messer und eine Pistole sollen euch bleiben, aber wenn ihr in der befohlenen Richtung auch nur um Kilometer abweicht oder mir je wieder zu Gesicht kommt, dann – –, – ich will nicht weiter drohen, aber wir behalten euch im Auge, unbedingt.“
Der Indianer Samson war im Gegensatz zu seinem Herrn ein Mensch von absolutem Mangel an Humor. Er entwaffnete die sechs Leute und winkte abermals. Seine Hand deutete nach Südost.
Swensen konnte nicht länger den ohnmächtigen Grimm hinunterwürgen.
„Wir rechnen ab, Sie Greenhorn!“, fauchte er den Blonden mit geiferndem Maule an …
„Später – schon möglich!“, sagte der Fremde mit viel Laune. „Später, wenn Samson sich überzeugt hat, daß ihr die Black River-Prärie erreicht habt, und das sind fünf Tagereisen … Bitte, haltet möglichst kurze nächtliche Rast. Samson ist etwas ungeduldig. – Du kannst vier Hunde und das kleine Zelte mitnehmen, Samson. Vierzig Patronen werden ebenfalls genügen. Ihr Yellowknife-Indianer vom großen Bärensee seid noch die besten Spurenleser und Trapper und Schützen. Das wußte mein Onkel in Winnipeg[11] recht gut, als er gerade dich mir mitgab, lieber Samson.“
Die sechs waren für ihn Luft und sie verschwanden denn auch zögernd aus der Schlucht, flüsterten miteinander und drehten sich wiederholt um, als ob sie feststellen wollten, ob Samson tatsächlich Vorbereitungen träfe, ihnen auf den Fersen zu bleiben.
Der Yellowknife schirrte vier Hunde an, hängte ihnen das Traggestell aus Weiden in die Gurte, so daß immer zwei Tiere eine Seite des Gestells schleppten, das er nun mit allerlei Gegenständen belud. – Früher haben die Eskimos die Hunde im Sommer einzeln Tragtier spielen lassen. Bei der sommerlichen Hitze werfen sich dann die Hunde in die nächste Pfütze, und das ganze Gepäck wurde naß und voller Schlamm. Die neue Art des Sommertransportes durch Hunde soll von einem Fallensteller erdacht worden sein. Die Tiere sind durch das Traggestell gezwungen, gleichen Abstand zu halten, und sie können zu vieren bequem Lasten bis zu einem Zentner tragen und damit sogar traben.
Staffy Hampels Garde war unsichtbar geworden, auch für mich. Sie benutzten eine Geröllrinne, die sich nach Südost hinzog, und sie würden es kaum wagen, von dieser Richtung abzuweichen. Zehn Minuten später brach der Indianer auf. Sein Herr drückte ihm kräftig die Hand. „Du wirst mich schon finden, Samson …“
„Ich finde Sie, Mister, – bei Umiwark oder an der Küste.“
Das war der ganze Abschied.
Ich beobachtete noch Samsons Abzug, dann wollte ich mit dem Fremden nähere Bekanntschaft schließen. Als ich wieder in die Schlucht hinabblickte, war der Mann nicht mehr da. Aber hinter mir ertönte seine vergnügte Stimme so urplötzlich, daß ich rasch auf die Füße sprang. Zwei Coldpistolen sagten nichts, aber ihr Besitzer sagte: „Beinahe hätte ich Sie gebeten, sich den sechsen da anzuschließen. Aber ich erkenne jetzt meinen Irrtum. Sie sind Mr. Oskar Smith, der Begleiter Miß Gondaloors. Tobias Ralphersons Beschreibung von Ihnen war sehr eingehend.“
Er steckte die Pistole weg und reichte mir die Hand. „Ich bin Doktor Erich Maerker, Neffe von Maerker u. Co. in Winnipeg, Millionenfirma. Mein Onkel hat mich aus Germany herübergeholt, da ich mal sein Erbe werde. Mein bisheriger Beruf war Nichtstun, und mein jetziger ist, wenn man mir schmeicheln will, Forscher. Der Doktortitel – bitte Doktor der Rechte – hat mich mal viel Geld gekostet. Sie müssen nicht lachen, Mr. Smith … Ich nehme das Leben weit ernster als Sie glauben. Zum Beispiel weiß ich genau, daß Umiwark Sie an der Nase herumführt. Ich habe in Tob Ralphs Wigwam oder Warenhaus so allerlei beobachtet. Ich wollte Sie jedoch erst nachts aufsuchen, – was man jetzt so Nacht nennt, und Umiwark sollte mich nicht sehen, darauf kam es mir an.“
Ich konnte sein Gesicht nun aus nächster Nähe studieren, und ich sah darin trotz der jungenhaften Frische einige scharfe Linien, die vielleicht auch nach dem eben Erlebten hineingehörten. Mit „Nichtstuer“ konnte er sich selbst nur verspottet haben. Er fügte denn auch ohne jeden Zusammenhang, meine prüfenden Blicke richtig einschätzend, hinzu: „Ich bin Tennismeister von Deutschland, habe im vorigen Jahre die Distanzfahrt Berlin – Paris – Rom – Wien – Paris mit einem Opelwagen gewonnen und betreibe eigentlich jeden Sport, die Arbeit ausgenommen. Zur Zeit betätige ich mich als Abenteurer und will verhüten, daß eine Millionenerbschaft in unrechte Hände fällt.“ Er machte eine kleine Pause, da ein Riesenschwarm Wildgänse über uns hinweg nach Norden zog und das Rauschen der Flügel der großen Tiere uns wie der Lärm einer Brandung umtönte.
Jede Spur von Übermut war aus seinem Gesicht wie weggewischt, als er jetzt erklärte:
„Edward Gondaloor ist tot … Er wurde im Februar von vier Fallenstellern nach sehr vereinfachtem Prozeßverfahren aufgeknüpft. Seine Leiche liegt am Ufer des Petroleumflusses im Sande verscharrt.“
Ich begegnete seinem klaren, blitzenden Blick.
„Sie sind bestürzt, Mr. Smith … Ich war es noch mehr … Man hatte mir in Fort Maupherson alles haarklein über Ihre Mission erzählt, einiges wußte ich schon aus den Zeitungen. Meine ursprüngliche Absicht war, die Herschel-Insel nördlich des Mackenzie-Deltas aufzusuchen. In Fort Maupherson änderte ich meinen Plan und folgte Ihnen. Ich wollte Ihnen helfen, Edward Gondaloor zu finden. Das ist alles. Wenigstens über den Grund meines Besuches bei diesem alten Säufer Ralpherson, der da so komfortabel auf der Nachbarinsel an einem der breitesten und fischreichsten Mündungsarme wohnt. Mein Erscheinen erfreute die dortige Familienkorona nur wenig. Das empfand ich ganz deutlich, es ist aber nun einmal mein Vorteil, von keinem Menschen so recht ernst genommen zu werden, sie halten mich meist für ein dreimal abgestempeltes grünes Bürschchen – dreimal, weil ich immer bis drei zu zählen pflege oder doch sonstwie mit eins, zwei, drei operiere. Als ich mich angeblich schlafen gelegt hatte, pirschte ich mich aus meinem Zelt wieder an das Haus heran und tat etwas, was mir sonst widerstrebt …“
„… Sie horchten!“
„Ja … In der Bar unten war ein Dutzend Ehrenmänner um diesen Tob versammelt, darunter auch der blonde Auerochse von vorhin, der Swensen …“
Maerker bemerkte mein Erstaunen.
„Oh – es wurden da ganz offen Namen und Summen genannt, und die Hauptredner waren Tob und ein kleiner, o-beiniger schwarzer Kerl mit einer von einem Geier oder Papagei entliehenen Nase.“
„Hampel?“
„Nein, Hampel nicht, der Mann nannte sich Steffen …“
„Also doch der schwarz gefärbte Stephan Staffy Hampel. Weiter …!“
„Ich hörte, an der Flurtür stehend, nur Bruchstücke des Gesprächs. Die Sache ist die, daß ein Kumpan dieses Steffen den alten Edward Gondaloor, der an die Erbschaft nie recht glaubte, in Goldy Lake City aufgesucht und überredet hat, hoch droben bei Kap Lathurst mit Schlitten die in so vielen Büchern umherspukenden blonden Eskimos um einige Schlittenladungen Gold zu erleichtern … In Wahrheit hat man Gondaloor nur in die Einöde verschleppen wollen. Was weiter geschah, bleibt ziemlich dunkel. Tatsache ist, daß man ihn dann aufknüpfte … so nach Landessitte wegen Diebstahls … Wer das getan, ist ebenso dunkel, angeblich vier Fallensteller … – Ich konnte nicht weiter horchen, da einige Weiber im Hause noch nicht schlafen gegangen waren, obwohl es in ehrlichen Ländern, wo die Sonne nicht derartige Launen hat und beständig am Himmel bleibt, längst nach Mitternacht war – daher Mitternachtssonne. Sie sehen also, dieser Steffen hat, wenn er mit dem Kalkutta-Hampel identisch ist, seit langem genügend hier vorgearbeitet. Siebenundzwanzig Millionen sind ja auch kein Pappenstiel.“
„Nein“, sagte ich bitter, „sondern ein übles langes Messer von erheblicher Mordgier, Mr. Maerker. Was die Vorarbeiten angeht, so dürften sie von Hampels Frau – er erwähnte sie flüchtig – eingeleitet worden sein, sie wohnte in San Francisco, und wenn mein Gedächtnis nicht trügt, heißt sie Georgia mit Vornamen. Man kann von Kalkutta aus sehr bequem nach San Francisco per Kabel Chiffredepeschen aufgeben, und man kann die allerschönsten Schurkenstreiche vereinbaren, Mr. Maerker … auf lange Sicht, bei siebenundzwanzig Millionen kommt es auf ein paar Menschenleben nicht an, selbst wenn diese unnötig geopfert worden sein sollten.“
Doktor Erich Maerker machte ein eigentümliches Gesicht. „Ja – das sagen Sie, und trotzdem haben Sie Miß Lizzie bei diesem alten Halunken Umiwark allein gelassen! Und das junge Mädchen wäre doch die nächste, die verschwinden und … ersetzt werden müßte … darauf läuft doch der ganze Plan hinaus: Edward Gondaloor und sein Kind sollen, nachdem auch ihnen ein kleiner Unfall zugestoßen ist, durch zwei andere Personen „ersetzt“ werden.“
Ich habe damals diesen eigenartigen Herrn nur verdutzt angesehen und bin dann davongerannt, – und ich kann laufen, selbst bei zwanzig Grad Wärme und durch Schlammpfützen und über „Negerköpfe“, jene trügerischen kleinen, bewachsenen Bodenerhebungen, die in den oft endlosen Schlammpfützen tatsächlich wie die Krausköpfe von Negern aussehen. Sie gewähren einem sicheren Springer wohl einigen Halt, aber gleitet man aus, fährt man bis zum Bauch in den Morast und in den unten befindlichen Eisschlick hinein.
Ich näherte mich den Felsen, die mir noch nach Osten zu die Aussicht auf das Lager versperrten. Ich stürmte weiter, – ich sah Umiwarks großes Zelt, der Alte saß noch wie vor Stunden in seinem Kasten mit Rädern, seinem Krankenstuhl, und rauchte seine Pfeife und ging seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Er würfelte mit zwei anderen betagten Kerlen um Geld!
Da erst stoppte ich ab und schritt harmlos schlendernd auf unser Zelt zu.
Es war leer.
Es schien, als hätten Lizzie und Bully das Zelt in allem Frieden zu einem kurzen Spaziergang verlassen.
Mein Herz krampfte sich zusammen, das Blut siedete mir zur Stirn, aber ich bezwang mich mit ungeheurer Anstrengung, denn nur äußerste eisige Ruhe konnten Lizzie und mir helfen, – – falls Lizzie noch zu helfen war!
Ich ging hinüber zu den drei Kerlen mit dem Knobelbecher, die mir freundlich entgegenschauten.
„Wo ist Miß Lizzie, Umiwark?“ fragte ich ohne jedes äußere Anzeichen des Sturmes in meiner Seele.
„Trafen Sie sie nicht, Mr. Smith?“ erwiderte der Herr Häuptling gänzlich gleichgültig. „Sie wollte sich ein wenig Bewegung machen … Wir sahen sie mit Bully dorthin verschwinden …“ Er zeigte auf das lange Weidengestrüpp im Süden …
Seitdem sind fünf Monate verstrichen …
Was bedeuten fünf Monate in diesem Lande, wo jeder, jeder so unendlich viel Zeit hat und keiner etwas übereilt, wo das Leben so seltsam fremd dahinfließt, als sei es ein gänzlich anderes Leben … Und das ist es auch. –
Seit zwei Wochen hause ich hier in den Resten des gescheiterten Walfängers „Alaska“ in einer Bucht unweit Kap Lathurst.
Wenn man jene Küsten absucht, wird man viele halb zertrümmerte Schiffe finden. Der Walfang, der hier erst um das Jahr 1880 begann, weist eine sehr große Verlustliste auf. Das erste Walfangschiff kam erst 1889 zur Herschel-Insel und richtete die dortige Station ein, die heute eine kleine Stadt ist. Im folgenden Jahre waren es schon achtzehn Walfänger, und wieder ein Jahr darauf ein halbes Hundert. Aber Eis und Stürme forderten Opfer … Die „Alaska“ war ein Dampfer. Als ich sie fand, war sie ein ungeheurer Klumpen Schnee, aus dem ein Schornstein herausragte …
Ohne Bully hätte ich sie nie gefunden, und dann wären wir erfroren – wie die anderen.
Wenn es eine Möglichkeit geben würde, die im Bereich des Nordgebietes des Mackenzie vorkommenden Erdölmengen nutzbringend bis in bewohnte Gegenden zu schaffen, würde der Petroleumpreis um die Hälfte sinken.
Es gibt keine Möglichkeit. Die Entfernungen sind zu ungeheuer, die Transportkosten zu hoch, und der Bau von Rohrleitungen verbietet sich gleichfalls der Entfernungen wegen und dann auch infolge der Kälte.
So erlebt es denn der Reisende bereits in Gegenden, wo noch regelmäßiger Dampferverkehr eine gewisse Zivilisation vortäuscht, daß natürliche Erdölquellen unbeachtet in den Fluß strömen und dessen Wasser meilenweit verpesten, oder daß andere Erdölquellen, um diese Verseuchung des Flusses zu verhindern, seit Jahren ununterbrochen als Wahrzeichen der begrenzten Fähigkeiten der Menschen, alle Naturschätze auszubeuten, wie Riesenfackeln brennen und … lediglich Gestank, aber auch nachts Licht verbreiten. –
Hier ganz in meiner Nähe fließt ebenfalls Erdöl aus einer Felsenwand und jeden dritten Tag schleppe ich die beiden Blechkannen dorthin und hole mir einen Vorrat für den Petroleumofen und die Lampen. –
Von dem kleinen Dampfer „Alaska“ haben Eis und Schollen und Eispressungen nicht viel übrig gelassen. Das ganze Vorschiff und das Mittelschiff sind wie eine Pappschachtel flach zusammengedrückt, nur das Heck ist geblieben mit seinen drei Kabinen und dem darunter liegenden Vorratsraum. Nach dem Schiffstagebuch ist der Walfänger am 17. September 1913 gestrandet und durch Eispressungen zerdrückt worden. Eine Kesselexplosion tötete mehrere Leute, der Rest der Besatzung hat wohl auf dem Marsche gen Süden den Tod gefunden. Ich weiß es nicht, ich nehme dies nur an. – –
Zwei Wochen nun hier in diesen vor Kälte gut geschützten Räumen, in diesem Schneeberge, aus dem lediglich der Schornstein der toten Alaska schief hervorragt und ein zweiter dünner, das Ofenrohr der Heckräume. – Schnee wärmt, und zuweilen ist es allzu warm in unserem Asyl, und Bully schläft dann sehr unruhig und bewegt die Pfoten und winselt.
– Draußen sind es gegen dreißig Grad Kälte. Für Ende Oktober ist das selbst hier ein wenig reichlich.
Jetzt ist die Schiffsuhr und meine Armbanduhr genau zehn Uhr abends. Ich schreibe hier am Tische eines wahrscheinlich toten Kapitäns seit Stunden an der Fortsetzung der Geschichte des Erbes der Gondaloors.
Einsiedler am Kap Lathurst!
Eine neue Rolle …
Und eine im Grunde erstaunliche Rolle, denn daß ich hier in diesen vierzehn Tagen noch nicht einer einzigen Eskimofamilie begegnet bin, wundert mich. Jeden Tag spähe ich nach Hundeschlitten aus, die mich dann mitnehmen würden gen Süden, die ich reich beschenken könnte, wenn sie mir suchen helfen wollten nach meinen drei Gefährten, die ich im Schneesturm verlor.
Es gab einmal eine Zeit, als ich am anderen Ende des Erdballs die Fackel des Südpols lodern sah …
Hätte ich mir je träumen lassen, daß ich hier weit jenseits des nördlichen Polarkreises kaum vierzehn Monate später einsam und verlassen, trotzdem wohlgeborgen den Frühling oder Eskimos herbeiwünschen würde?! – –
– Ich hatte die Feder eine Weile ruhen lassen und in einem Buche der Schiffsbibliothek geblättert, das mir am wertvollsten ist und das ich bereits kannte: Hunters of the Great North! – Und ich habe vorgestern und gestern gleichsam als Gegenstück die romanhafte Unwirklichkeit eines amerikanischen Schriftstellers gelesen, dessen Kanadaromane die räuberischen Eskimos vom Stamme der Kupagniut als kleine schwarzhaarige Teufel hinstellen, als halbe Zwerge … Ich sah keinen zwergenhaften Eskimo, im Gegenteil, ich sah Männer unter ihnen, die über 1,80 maßen.
Aber was mich an „Hunters of the Great North“ immer wieder fesselt, ist das Thema: die geheimnisvollen blonden Eskimos!
Dorthin wollte Edward Gondaloor, sagte Lizzie.
Dorthin möchte auch ich – auf jene Insel im Norden, die dieses blonde Volk beherbergen soll, das nicht in das Märchenreich gehört … Es existiert. Aber es ist scheu und europäerfeindlich, und es wird wohl wissen, weshalb es jeden Fremden von sich fernhält.
Jedes Geheimnis reizt. Und mich reizt derartiges doppelt. Hätte ich Hunde, Schlittenhunde, etwa zwanzig für zwei Gespanne, so würde ich zunächst nach den drei Gefährten suchen und dann gen Norden über das zugefrorene Meer ziehen, – – ob ich dabei den Tod fände, wäre mir herzlich gleichgültig.
Ich schreibe weiter …
Häuptling Umiwark machte sein scheinheiligstes Gesicht, als ich abermals fragte:
„Wann ging Lizzie spazieren?“
Man sollte, sobald man von Eskimos spricht und schreibt, mit dem Titel Häuptling übrigens sehr vorsichtig sein, genau wie mit den Namen. Als die ersten Trapper und Walfänger die kanadischen Eskimos kennenlernten, fanden sie ein Volk vor, dem jeglicher Sinn für eine von allen anerkannte Autorität fehlte. Die Eskimos hatten keine Häuptlinge oder keinen „Rat der Alten“ oder sonstwie eine staatliche Behörde, – genau so wenig, wie sie Familiennamen kannten, obwohl ihre Sprache sonst mit die wortreichste und schwerste der Erde ist. Erst als die Weißen mit ihnen in Handelsverkehr traten, erst als die klügsten Eskimos die reichsten wurden, bildete sich der Begriff „Häuptling“ dadurch heraus, daß eben der Allerklügste auch die Vertretung der Geschäftsinteressen der anderen übernahm. Auch in dieser Beziehung unterscheiden sich noch heute die Eskimos scharf von den nördlichen kanadischen Indianerstämmen der ewigen Wildnis.
Häuptling Umiwark war ein kluger Kopf und ein viel größerer Schuft, als ich je geahnt hatte.
Mit ihm hier etwa durch die eindeutige Sprache der Kugeln abzurechnen, wäre gänzlich verfehlt gewesen. In den Zelten befanden sich mindestens zehn Eskimos, und jeder hatte seine Büchse oder seinen Karabiner, und sie schossen alle recht gut.
Weitere fünf seiner Sippe fischten unten am Fluß, wo die Gestelle zum Anräuchern der Weißfische standen und der Qualm Tag und Nacht emporstieg und die kaum angeräucherten Riesenfische in die tiefen Erdlöcher fliegen, wo sie sich bis zum Winter, bis zum Frühjahr in der Kälte des gefrorenen Bodens leidlich halten – leidlich. Sie bekommen alle etwas Hautgout, etwas Wildgeruch, und nur dieser lockt die Eisbären an, die dann die Fischkeller plündern möchten. Der freie Eisbär frißt keinen frischen Fisch, sondern nur Seehundsfleisch.
„Wann ging Lizzie spazieren?“
Umiwark, der auf der Oberlippe einen weißen Besen von Schnurrbart hängen hatte, und dessen Gesicht nur noch aus Falten und Fältchen bestand, sagte sehr unbestimmt und sehr gleichgültig: „Vorhin!“
Vorhin – ein sehr dehnbarer Begriff.
Daß ich von diesen Schuften hier nichts erfahren würde, war sonnenklar.
Am Zelteingang lehnte einer von Umiwarks Enkeln, ein ganz moderner Eskimojüngling mit feinem Wollsweater mit Fellkragen, Pumphosen und weichen Schnallgamaschen und weicher bunter Schlappmütze. Der Bengel hätte für sein Grinsen einen Fausthieb verdient, aber ich dankte ihm doch im stillen für dieses einwandfreie Zeichen überlegenen Hohnes. Ich wußte jetzt: Lizzie und Bully waren entführt oder getötet worden. Das Nähere würde ich schon herauskriegen.
Ich wollte kehrt machen und zunächst einmal nach Spuren suchen. Irgend ein Anzeichen für diesen Schurkenstreich würde sich finden lassen. Eine Fieberkranke läuft nicht im Freien umher. Der Schwindel war zu plump.
Ich wollte …
Ich sah, daß der Bengel und die drei Alten an mir vorüber gen Westen stierten und große Augen machten.
Ein Blick nach hinten: Doktor Maerker kam mit seinen vier Hunden und seinem ganzen Gepäck im Eilschritt näher, und sein Erscheinen, das merkte ich, war diesen ehrwürdigen bestochenen Gaunern äußerst unangenehm.
„Na?!“, rief Maerker mir zu, indem er sehr sorglos lächelte. „Natürlich verschwunden, Mr. Smith … Das sehe ich Ihrem Gesicht an.“
Er ging an mir vorüber, packte die Deichsel von Umiwarks Krankenwäglein, packte gleichfalls einen zweiten betagten Herrn beim Fellkragen und lief im Trab dem Weidengestrüpp und dem Felsen zu.
Das fand ich praktisch und klug.
Ich konnte mich nur ähnlich betätigen, – der Bengel, der bereits nach der Pistole griff, bekam einen Hieb, der ihn schlapp machte, und im Nu hatten wir hinter meinem Zelt an dem Felsen vier Geiseln sorgfältig gefesselt, und Umiwarks übrige Bande durch einige Schüsse wieder in ihre Behausungen gejagt.
Ich brüllte hinüber, daß sie einzeln unbewaffnet ins Freie kommen sollten, und da die Lederzelte keine kugelsicheren Steine waren, genügten ein paar bleierne Bohnen, den Herrschaften die Notwendigkeit des Gehorsams eindringlichst vor Augen zu führen: Die Kugellöcher im Leder redeten eben eine klare Sprache.
Auskneifen konnten sie nicht, wir hätten jeden abknallen können, also traten sie etwas schüchtern vor die Zelte, mußten noch näher zu uns heran, und zwei mußten die übrigen fesseln, auch die jüngeren Frauen.
Nach einer halben Stunde lagen auch die Lachsfischer gebunden in der Sonne, und der zweite Akt begann.
Umiwark wurde verhört.
Da Maerker den Mackenzie-Jargon nicht beherrschte (ein Gemisch aus allerlei Sprachen) übernahm ich Umiwarks höfliche Befragung.
Das Höfliche dabei war lediglich meine Sniderbüchse, die stumm blieb, aber immer die Richtung auf Umiwarks Stirn wählte, wenn die Antworten zu grob gelogen waren.
„Du stehst mit Tobias Ralpherson im Bunde, und ihr habt Lizzie weggeschafft. Wohin?“
Häuptling Umiwark, dem ein Eisbär einst die Kniesehnen zerrissen haben sollte (andere behaupteten, ein Fallensteller habe ihn für ewig durch eine Kugel lahm gemacht), sah es wohl meinem Gesichtsausdruck an, daß ich abdrücken würde, falls er nicht sein zahnloses Maul öffnete.
Jedenfalls gab er zu, daß er von Tobias bestochen worden sei, Lizzie und Bully bei der ersten günstigen Gelegenheit im Umiak nach der Abzweigung des östlichen Deltaarmes, zum Oil-River (Petroleumfluß) und einer dort stehenden verlassenen Blockhütte zu schaffen, – was vorhin drei seiner Schwiegersöhne besorgt hätten. – Ganz so glatt, wie ich dies Verhör hier in seinem Endergebnis anführe, verlief es nicht. Doktor Maerker hatte inzwischen alle Waffen drunten am Flußarm in ein Umiak verladen und auch sein Gepäck, seine Hunde, mein Zelt und unsere Sachen.
Zwei Enkel des Herrn Umiwark mußten mit ins Fellboot, mußten rudern und die Führer in dem Labyrinth von Kanälen spielen. Die ganze übrige Gesellschaft, selbst die alten Damen, blieben sauber gefesselt zurück, damit sie nicht etwa noch Tob Ralphersons werte Familie mobil machten.
Zum Glück hatte der findige Maerker sich in Fort Maupherson von einem Fallensteller eine Skizze des Ostteils des Mackenzie-Deltas gekauft, die der Trapper eigenhändig angefertigt hatte. Wenn man bedenkt, daß der Hauptmündungsarm dieses Riesenstromes allein 250 Kilometer lang, daß das Inselgewirr dort droben eine Fläche größer als die Schweiz bedeckt, daß ferner bei jeder Schneeschmelze neue Kanäle entstehen, so kann man sich ungefähr einen Begriff davon machen, wie schwer es selbst für die Eskimos ist, in dieser Wildnis von Wasser, Sumpf, Inseln und Gestrüpp und Felsen und Steinen sich zurechtzufinden. Wir waren also keineswegs einzig und allein auf die beiden wahrscheinlich sehr unzuverlässigen Jünglinge angewiesen, sondern konnten deren nautische Kunststücke beständig nachprüfen.
Meine Sorge, daß der Yellowknife-Indianer Samson uns nicht wiederfinden würde, zerstreute Erich Maerker durch ein paar schlichte Sätze, die Samsons hervorragende Fähigkeiten in das beste Licht rückten.
Gleich nach der eiligen Abfahrt hielt ich es doch für angebracht, Maerker nunmehr über meine Person in deutscher Sprache, die die Eskimoruderer sicherlich nicht beherrschten, restlos aufzuklären.
Er lächelte etwas nachsichtig. „Es müssen schon sehr törichte Leute gewesen sein“, meinte er mit sehr geringem Erstaunen, „die Ihnen den Schiffskoch eines Walfängers geglaubt haben, – für diese Rolle besitzen Sie denn doch zu viel gute Manieren und noch mehr persönliche Eigenart.“
Er drückte mir herzlich die Hand. „Auf treue Kameradschaft, lieber Abelsen! Was uns auch fernerhin beschieden sein möge, an mir werden Sie einen leidlich brauchbaren Freund gefunden haben.“
Das wußte ich, nur der Ausdruck „leidlich“ war zu streichen. –
Die beiden Eskimos waren sichtlich sehr beunruhigt, als wir nun in einer Sprache uns unterhielten, die ihnen fremd war. Ihre finsteren Augen verrieten deutlich, daß sie sich unbehaglich fühlten, und als Maerker nach einer halben Stunde nach Einsicht in seine Karte ihnen befahl, auf das Ufer zuzuhalten, waren sie äußerst aufsässig und redeten allerlei von Zeitversäumnis und der Unmöglichkeit, die gerade vor uns liegende Deltainsel zu Fuß zu durchqueren und das Umiak zu tragen.
„Maulhalten!“, – und zu mir gewandt: „Wir sparen mindestens eine Stunde Zeit!“
Ein Umiak wiegt durchschnittlich bei zehn Meter Länge nur vier Zentner. Unser Umiak hier wog keine drei, mit Gepäck vielleicht fünf, und so war es für vier Mann nicht gerade allzu große Anstrengung, damit drei Kilometer über Land zu marschieren.
Die Sorge um Lizzie trieb uns zu einem Geschwindschritt an, daß wir wie im Backofen schwitzten. Die Eskimojünglinge wollten streiken, – ich kannte keine Rücksicht, die drei Kilometer waren sehr bald geschafft, und das Umiak schwamm wieder.
Gegen ein Uhr mittags, nach drei Stunden Fahrt, rochen wir den Oil-River.
Es roch immer stärker nach Petroleum, und Maerker meinte kopfschüttelnd: „Wissen Sie, Abelsen, so recht habe ich an das Vorhandensein des Petroleumflusses nicht glauben wollen … Es erscheint unsereinem undenkbar, daß da vor uns Jahr aus Jahr ein unzählige Millionen in das Eismeer strömen, eben Erdöl!“
Auch ich hatte an der Wahrheit der Berichte der Fallensteller und Polizisten in Fort Maupherson gezweifelt. Auch mir kam es unfaßbar vor, daß es keine Mittel geben sollte, diese riesige Ölquelle, die nutzlos in den Mündungsarm sprudelte und mit dem Wasser zum Meere glitt, irgendwie zu verwerten.
Unter anderem hatte mir ein Trapper erzählt, und es war ein ganz verwitterter alter Gesell, daß im Sommer schon wiederholt Eskimos oder Weiße sich den Spaß gemacht hätten, den Fluß anzuzünden, und dann habe die Ölschicht und die Quelle selbst bis in den Dezember hinein lichterloh und unter starker Qualmentwicklung gebrannt, bis eben der eisige Frost und die Schneestürme sogar dieses Riesenfeuer, das sich wie ein lohendes Band zum Meere hinzog, erstickt hätten.
All das klang zu phantastisch, und doch mußte wohl etwas Wahres daran sein. An den Lagerfeuern der Pelzjäger wird vieles übertrieben und ausgeschmückt, aber der Kern dieser Geschichte bleibt unverrückbare Tatsache. – Ich werde noch mehr hiervon berichten können.
Je näher wir nun dem Flusse kamen, desto beunruhigender wurde für uns der Gedanke, daß wir durch die Hinterlist der beiden Eskimos, die uns doch offenbar auf Umwegen zu jener verlassenen Blockhütte hatten führen wollen, in eine Falle geraten könnten.
„Wie weit noch?“, fragte ich den Älteren der beiden, einen vielleicht zweiundzwanzigjährigen Burschen von recht anmaßendem Benehmen, das jetzt wiederum in verschiedenen Kleinigkeiten sich äußerte.
Der schlaue Bengel deutete nach Norden.
„Müssen noch über Land wieder, Mister …“, und durch diese Antwort hatte er sich festgelegt.
„Ans Ufer!“, rief ich Maerker zu, der vorn im Umiak neben dem anderen Eskimo stehend das Blattruder benutzte.
Eine kleine Landzunge mit sandigem Ufer erleichterte das Anlegen.
„Was gibt es?!“, fragte Maerker ein wenig erstaunt.
„Verrat!“, erwiderte ich kurz und sprang auf den hellen Sandstreifen.
Er zog seine kühne Wippnase etwas kraus. „Damit haben wir ja beinahe gerechnet, Abelsen …“ Und er betrachtete die beiden feinen Polarjünglinge mit fidelem Blinzeln, legte sein Ruder weg und nahm seine Repetierbüchse wie einen Spazierstock in den Arm.
„Gehen Sie dort nach oben in das Weidengestrüpp und schauen Sie sich dort mal gründlich um“, bat ich ebenso eindringlich und ließ mir seine Skizze geben.
„Wird gemacht, – bin im Bilde“, – er pfiff seinen Hunden und kletterte die lehmige Böschung hinan.
„Setzt euch!“,– die beiden Burschen zauderten. „Vorwärts, – dort auf die Mittelbank! Wer sich rührt, kann sich das Kugelloch im Schädel selbst mit Moos zustopfen …“
Ich hängte mir die eine Pistole mit dem Kolbenriemen um das rechte Handgelenk, damit ich jederzeit für jeden Zwischenfall gewappnet sei, und studierte die Skizze des Trappers.
Ich fand sehr bald heraus, daß sie nicht stimmen konnte. Einzelheiten darüber will ich weglassen.
Der Wind kam wie gesagt genau von Nordost, und der Ölgeruch war hier so stark, daß der Petroleumfluß keinen Kilometer nach Osten entfernt sein konnte. Wir waren in diesem Flußarm, in dem wir hier jetzt lagen, stromaufwärts gerudert, und der Skizze nach hätten wir den Oil-River oberhalb der Ölquelle, also in ölfreiem Wasser erreichen müssen. – Dort, wohin der junge Eskimo vorhin gedeutet hatte, konnte jedoch kein ölfreies Wasser vorhanden sein, und der Verdacht war sehr begründet, daß die Burschen uns in den Bereich der schwimmenden Petroleummengen locken wollten, die uns dann unweigerlich durch ihren Qualm erstickt hätten, wenn die anderen Schufte, die Lizzie verschleppt hatten, rechtzeitig den Fluß anzündeten, – der Wind würde uns den Qualm gerade entgegentreiben! – So stellte ich mir das feine Plänchen der Sippe des Herrn Häuptlings Umiwark vor, und dieser Plan war sicherlich schon in Umiwarks Lager genau vereinbart worden, da die Herrschaften eben mit einer Verfolgung bestimmt gerechnet hatten.
Man muß bedenken, daß ungereinigtes Erdöl sehr starke Qualmmengen, giftige Dämpfe und ungeheure Hitze entwickelt, aber eins hatten die Schurken wiederum nicht bedacht: Daß wir nicht blindlings einem Führer trauen würden! Und diese beiden smarten Bengels hier hatten zu alledem noch den argen Fehler begangen, uns erstens möglichst auf Umwegen an den Oil-River zu bringen, dann auch uns für sehr unbegabte Greenhorns[12] gehalten, die gar nicht so viel gesunden Menschenverstand besäßen, sich zu sagen, daß die Blockhütte doch unbedingt stromaufwärts jenseits der Ölgrenze stehen müsse! Wer baut ein Blockhaus wohl am Ufer eines Flusses, der mit einer dicken Petroleumlage bedeckt ist und jeden Moment in Flammen aufgehen kann?!
Ich war mit mir bereits einig geworden, was wir tun müßten.
„Maerker, sehen Sie etwas Verdächtiges?“, rief ich dem Kameraden zu, der oben am Lehmufer zwischen den Weiden mit seinem erstklassigen Fernglas diese Insel absuchte, die, wie ich selbst bemerkte, sehr viel Steine und Felsen enthielt.
„Nichts als einen dunklen Höhenzug im Osten“, antwortete er prompt. „Dafür rieche ich das Petroleum so intensiv, daß ich in kurzem bis auf die Haut parfümiert sein werde. – Was soll nun geschehen, Abelsen?“
„Kommen Sie herunter, – wir tragen das Umiak wieder, jedoch nicht nach Nordost, sondern nach Südost. – Sind viele Schlammpfützen in der Richtung?“
„Nur Steingeröll und Weiden …“, und dann kam er mit seinen Hunden wieder zum Faltboot und ließ sich von mir in aller Eile die Sachlage erklären.
Die beiden Eskimoburschen machten sehr lange Gesichter, als wir uns gen Südost wandten. Sie wurden sichtlich bestürzt durch den Geschwindschritt, den wir anschlugen, sie mußten das Vorderteil des Umiak tragen, und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich in diese ihnen höchst unwillkommene Wendung der Dinge zu fügen. Streckenweise mußten sie traben, denn das Tempo gaben wir an, und Maerkers vier Prachthunde, übrigens Indianer- und keine Eskimoköter, waren gemein genug, den beiden Polardandys zuweilen in die Waden zu schnappen.
Während der kurzen Ruhepausen erklärte ich dem sehr schnell begreifenden Maerker die Sachlage noch eingehender. Ich war überzeugt, daß die drei Kerle, die mit Lizzie und Bully auf und davon gegangen waren (Bully hatten sie nur am Leben gelassen, weil er ihnen als Zuchthund wertvoll erschien, – Umiwark hatte mir für Bully bereits zwanzig Walroßzähne geboten), … daß die drei mit dem Mädchen am Ostufer des Oil-River irgendwo versteckt lagen, von wo sie uns bequem hätten abschießen können, falls der andere Plan nicht so recht glückte. Ich war weiter überzeugt, daß die drei nicht allein sein würden, sondern daß der jetzt plötzlich schwarzbärtige Halunke Staffy Hampel nebst einigen seiner Galgenvögel uns dort ebenfalls freundlichst erwartete[13].
Maerker gab mir in allem recht. Er freute sich diebisch, den Kerlen die Suppe gründlich zu versalzen, und er bedauerte nur, daß der Yellowknife nicht mit von der Partie war. „Samson schießt so tadellos, Abelsen …!“
Was ich vermutet hatte, trat sehr bald ein: Der Ölgeruch wurde schwächer, immer schwächer, je schärfer wir uns nach Süden wandten.
Und dann erreichten wir die felsigen Uferhügel des seltsamsten aller Flußläufe, den die Welt aufzuweisen hat. Es gibt auf der ganzen Erde keinen zweiten Oil-River, der siebzig Kilometer lang in den Sommermonaten eine Schicht von etwa zehn Zentimeter Petroleum dem Polarmeer entgegenführt.
„Stopp!“, befahl ich.
Das Umiak wurde abgesetzt und lag nun in einer schmalen, von Weidengestrüpp bedeckten Mulde, die sich bis zum Flusse hinabzog. Wir befanden uns oberhalb der Ölquelle und der Ölgrenze, – der Fluß bot hier das gewohnte Bild all dieser zahllosen Delta-Arme des Mackenzie dar, mochte vielleicht dreißig Meter breit sein und hatte zum Teil recht hohe felsige Ufer. Die Strömung war schwach, die Tiefe war gering, Schlammbänke, mit Treibholzbarren bedeckt, wimmelten von Wildenten, am jenseitigen Ufer nisteten auf den bemoosten Felsterrassen Wildgänse und Möwen, – das Ganze bot ein durchaus friedliches Bild dar, und nur ein unmerklicher Petroleumgeruch erinnerte an das gänzlich anders geartete Flußgemälde, das weiter stromabwärts uns zweifellos viel Neues bringen würde …
… Mehr als uns lieb, stellte sich nachher heraus!
„Fesseln wir die Burschen, Maerker …“
„Ein Knebel kann ihnen auch nichts schaden“, nickte er schmunzelnd. „Wenn die Kerle hier zu brüllen beginnen, fliegen die Wildvögel auf und warnen die Banditen … Ich weiß nicht, mein rechter Zeigefinger juckt mir so eigentümlich … Es wird Regen geben, Abelsen, Kugelregen, meine Ahnungen trügen niemals …“
Wir beeilten uns. Meine Sorge um Lizzie wuchs beständig. Ich litt auch an Vorahnungen, aber sie waren ganz anderer Art … Wo Staffy Hampel seine Krallenpfoten mit im Spiele hatte, mußte man sich auf unliebsame Überraschungen gefaßt machen.
Die beiden tüchtigen „Führer“ wehrten sich nicht weiter gegen die guten Seehundsriemen, nur ihre Augen redeten eine deutliche Sprache, und die hieß Haß und Rachsucht. – Ich war vorsichtig: Wir banden jeden an einen Weidenstumpf fest, und ihre schönen Wollsweater lieferten die Knebel …
„Was nun?“, meinte der Doktor ohne Beruf etwas bedenklich und zeigte auf die Scharen von Vögeln.
„Abwarten!“
Ich war hier wieder einmal so recht in meinem Element. Es war nicht mehr das reizlose Alltagsbild zivilisierter und halbzivilisierter Gegenden, das uns ohne besondere Eigenart langweilte, es waren nicht Menschen aus dem Riesentopf der Dutzendware mehr, – hier schenkte uns die nordische Wildnis in all ihrer Unberührtheit mit ihren nur scheinbar zahmen Urbewohnern das Abenteuer in seiner romantischen Form … Dort vor uns floß der Oil-River, – keine drei, vier Kilometer nach Norden zu war er nur noch echter Petroleumstrom, und dort lauerten Umiwarks heimtückische Gesellen und vielleicht auch mein lieber, alter Busenfreund Staffy.
Ich wollte ihn wärmstens begrüßen …
Daß er uns noch wärmer begrüßte, zu warm, – – auch der erfahrenste Bummler abseits vom Alltag macht seine Fehler!
Um Lizzie ging es …
Und – – die Millionen der Gondaloors?!
Ach, – – Lizzie war so innerlich erhaben über Genußsucht, über Sehnsucht nach der ihr unbekannten, völlig unbekannten großen Welt mit ihren Riesenstädten, ihrem Luxus, ihrer Verlogenheit und ihrer doch so heiter pulsierenden Lebensfreude. Sie war in Fort Maupherson zur Schule gegangen, sie war ein einziges Mal in Dawson City drüben in Alaska gewesen, dem einstigen Paradies der Goldgräber, sie war trotzdem ein junges Weib von klarem, kühlem Verstande und einer ungeahnten Belesenheit. Was hätte sie auch an den unendlichen Winterabenden in der Hütte in Goldy Lake City tun sollen, als lesen, immer nur lesen! Der Vater, ein ruheloser Geist, war fast immer vom Oktober bis April, wo die Pelzjäger ihre weiten Reviere durchstreifen, unterwegs von einem Blockhaus zum anderen … Zwölf im ganzen hatte er erbaut, hatte Goldy Lake City „gegründet“, hatte es mit einem Kranz von Schlupfwinkeln gegen Kälte, Schneestürme und heulende Wolfsscharen umgeben, Blockhütten alles, versteckt im Dickicht, angefüllt nur mit Geräten der Jagd, mit Pelzen von Bibern, Mardern, Füchsen, Nerz … Seine zweite Frau war früh gestorben, wie die erste, das schöne Indianermädchen, und Lizzie Gondaloor war fast immer auf sich allein angewiesen. Mit zwölf Jahren hatte sie ihr eigenes Schlittengespann, mit vierzehn war sie perfekte Jägerin, mit sechzehn machte sie dem Vater im Fallenstellen Konkurrenz und hatte in der Bankfiliale im Fort ihr eigenes Konto. Mit neunzehn verließ der Vater sie, sagte nur in seiner wortkargen Art: „Ich reise nach Norden zu den blonden Eskimos …“ – und kam nicht wieder, – Gerüchte tauchten auf, daß er tot sei …
Und dann kam ich …
Ich als der Bote, daß die Millionenerbschaft Tatsache sei, daß es nur der Reise bis Edmonton und einiger Papiere bedürfe, um über siebenundzwanzig Millionen zu verfügen.
Phantastisch das alles …
Das Leben als bester Romanschreiber dichtet noch ganz andere tolle Wahrheiten als diese.
Das Leben hatte mir die Rolle des Bevollmächtigten zugewiesen, – als Oskar Smith hatte ich mich nie recht behaglich gefühlt, erst als Lizzie eingeweiht worden war, begann das große Abenteuer mich aufzustacheln.
Und hier am Oil-River fand ich mich selbst vollkommen wieder, streifte die falsche Haut, Smith geheißen, eilends ab und fühlte mich wie einst nur als Kind der Natur, die ich liebte als Gott und Mutter, und fühlte mich wieder ganz als Mann, dem die Orkane aller Erdteile und die Sonnenstrahlen vieler Erdenwinkel das Haar zerzaust und an den Schläfen gelichtet und die Muskeln zu Eisen und den Verstand zur Überfülle selbstgeschöpfter Erfahrungen gemacht hatten.
Diese innere Wandlung war mir nicht fremd. Nicht zum ersten Male hatte ich meine Freiheit und Ungebundenheit für andere preisgegeben, nicht zum ersten Male hatte ich die Fesseln der Kultur als Dornenketten verspürt. Kultur, Gesetz, Einschränkung der persönlichen Freiheit, – sie müssen wohl Hand in Hand miteinander arbeiten.
Hier am Oil-River?! – –
Im Fort wußten alle, daß ein Millionenerbe abhanden gekommen, ein finsterer, verschlossener Mann … Alle redeten, flüsterten, tuschelten …: Selbstjustiz!!
Und ich – ich kroch nun hier hinab durch die Mulde zum fast sagenhaften Oil-River, das Herz voller Angst um Lizzie, – und spähte, zwischen Weidenruten mich duckend gen Norden und über die jenseitigen Ufer hinweg und sah, daß der Fluß in vielfachen Krümmungen durch Felsen sich schlängelte.
Mein Lehrer von einst hatte mich das Verhalten der Tiere als untrügliches Zeichen der Nähe von Menschen bewerten gelehrt.
Von einst …
Und das liegt hinter mir wie Traumland.
Ich beobachtete die kreisenden Möwen, die Züge der Enten, die Schwärme der Gänse, – es war keine Unruhe in ihrem gewohnten Tagewerk …
Ich kroch zu Maerker zurück.
Und wir schleppten das große Fellboot ins Wasser, überquerten den Strom in schräger Fahrt, suchten eine Landungsstelle drüben, die keine Nistplätze aufwies, wo kein Geschrei empörter brütender Wildlinge uns verraten könnte. Zogen das Umiak in die Weiden, koppelten die Hunde an, warfen ihnen gedörrte Fische vor und wandten uns stromab.
Keine zweihundert Meter weiter sahen wir in breiter, sandiger Flußbucht unter starken Tannen, deren tiefste Äste noch vereisten Schnee bargen, eine halb verfallene Hütte aus dicken Balken stehen, – die Tür halb offen, halb zerbrochen, die Fensteröffnungen leer, und in der Tür sonnte sich behaglich ein schwarzer Meister Petz, ein harmloser Kanadabär, – nicht das gefährliche Untier der Romane, sondern ein scheues Wild, das nur angreift, wenn der rasende Schmerz eines Sauschusses etwa in den fetten Wanst es rasend macht.
Umiwark, der reiche Herr Häuptling Umiwark, hatte mir die bewußte Hütte genau beschrieben, und – Spiel des Zufalls – hier sollte auch Gondaloor, der Erbe, verscharrt worden sein.
Sollte …
Hier sollte auch Lizzie zu finden sein, – und was fanden wir? Einen dicken schwarzen Meister Petz, der behaglich in der Tür hockte und einen riesigen Lachs sauber mit den Krallen entgrätete, den er drüben in den Stromschnellen erwischt haben mochte. Der Eisbär, Sohn des Eismeeres, jagt nie auf Fische, – sein schwarzer Bruder tut es, und stundenlang sitzen diese schwarzen Kerle auf den Felsen im Strome und spähen ins Wasser und schlagen dann blitzschnell zu … und treffen … Aber man muß in den Sommermonaten durch diese Wildnis ziehen, um die Bärenfischer zu belauschen. Im Winter schlafen sie. In jedem Oktober verkriechen sie sich, wühlen sich ein in Moos und Flechten und träumen … träumen, und ihr Herz tut dann kaum dreißig Schläge in der Minute …
„Weiter!“, flüsterte ich, – im Bogen umgingen wir die Blockhütte, in der Lizzie nicht gefangen sein konnte …
Wir schlichen dahin; Ohren und Augen dauernd geschärft, – ich voran, Maerker, ein folgsamer, eifriger Schüler bei dieser Menschenjagd, zwanzig Meter zurück.
Der Ölgeruch nahm zu. Wir umschritten Felsen und Dickichte, ich suchte nach Spuren, ich suchte nach Fährten – – Tierfährten waren im halbgetrockneten Schlamm klar abgezeichnet wie in Gips. Von Menschen nichts …
Und nichts mehr von Tieren bald, kahle Felsen, kahles Geröll, Schlamm, kränkliche Weiden, kränkliche Erlen und Tannen, vergiftet von dem Odem der Quelle, die da irgendwo vor uns das Wasser des Flusses mit blinkendem Öl überzog und zum Meere strömte …
Millionenwerte, die das Eismeer als Giftbrodem von sich wies und spurlos verschwinden ließ.
Phantastisch, der Oil-River, – – und wir beide, hergeweht vom Geschick, standen starr und stumm, als die nächste Biegung uns die Quelle enthüllte, aus der das Petroleum sprudelte.
Quelle?! Sprudeln?!
Nicht lügen, nicht übertreiben!
Da war eine Bucht, von steilen Felsen eingezäunt, und am Fuße der Felsen ein Kranz grellgrünen, giftigen Morastes. Inmitten dieses eklen Gebräus ein paar Steine, wie poliert, große Steine, und zwischen diesen wallte es wie kochendes Wasser …
Nichts mehr.
Kein Wasser …
Wie ein Riesenopal von drei Meter Durchmesser funkelte dort das hervorquellende Öl – – Petroleum …
Stank gen Himmel im reinen Sonnenlicht …
Rann in den Fluß, rann oben auf dem Fluß als Opalschicht gen Norden.
So ist es.
Das ist der Oil-River.
Und daß er wiederholt gebrannt hat, das bezeugen die Ufer, die schwarz und finster wie die Hölle waren: Felsen, an denen unverwaschbare Rußschichten klebten, an denen nirgends auch nur ein Fleckchen Moos oder Flechte zu sehen war!! –
Ein Gedanke kam mir: Den Fluß möchte ich brennen sehen … Und möchte nachher bei Wintersbeginn den Kampf miterleben zwischen Feuer und Frost und Eis und Schneestürmen, – es muß ein gigantischer Kampf sein, er muß wochenlang dauern, er muß schrittweise sich vollziehen, der endliche Sieg des Nordens über sein flammendes Kind, den Oil-River!
Aber er siegt! Immer!! Und ich glaube das gern, ich glaube den Walfängern, die da behaupten, unter dem meterdicken Eise zöge das Petroleum mit einer Meeresströmung bis zu den Westbuchten der Viktoria-Insel, wo irgendwo – irgendwo die blonden Eskimos hausen sollen. –
Maerker hüstelte.
„Er stinkt entsetzlich!“, – und das war alles, was er sagte.
Aber er lachte nicht dabei … Nur der Opalfluß schien zu lächeln im Sonnenlicht.
Wir wanderten weiter.
Links neben uns stank der phantastische Strom gen Himmel, – rechts war die Prärie des Nordlandes …
Prärie?!
Ja – fernab gen Osten sahen wir die Gräser und Blumen und weiten Moospolster und die tapfere Weide, diesen einzigen Baum, der hier neben Tanne und seltenen Erlen der Kälte trotzt. – Auf diesen Prärien, die sich gen Süden immer fruchtbarer dehnen, äsen die Rudel der schönen, starken Karibus, der kanadischen Renntiere, jagen die Wölfe, trotten die Bären, rauben die Füchse und nisten die Vögel, und überall ist Krieg und Kampf und gegenseitiges Morden, und überall stehen da im Winter die Fangfallen mit schnappenden Kiefern, und die Fanggruben lauern, und die Baumfallen zerquetschen dummes Getier, damit die Menschen anderswo sich mit ihren Fellen behängen können und der Silberfuchs um den Schultern einer schönen Frau mit seinen gläsernen Augen melancholisch diese nackten Schultern anstaunen kann.
Wir wurden noch vorsichtiger, denn jetzt mußten wir in kurzem auf die zweite Rotte stoßen, die uns auslöschen wollte, und die auch Lizzie umbringen würde, damit das Erbe der Gondaloors in Staffy Hampels Krallen glitte. Es verging noch eine Viertelstunde, dann vernahmen wir hinter uns Hufschläge – wahrhaftig Hufschläge, wir hatten gerade eine Lehmtenne passiert, die durch die Sonne bereits völlig ausgedörrt war.
Die kanadische Polizei, die im Winter Hundeschlitten oder Schneeschuhe benutzt, ist in den wenigen Sommermonaten beritten. Sie verfügt über tadelloses Menschenmaterial, die Beamten werden gut besoldet, lieben ihren abenteuerlichen Dienst und sind von unglaublicher Zähigkeit und Ausdauer.
Der Reiter grüßte kaum. Er hielt die Büchse schußfertig, und sein braunes Gesicht verhieß wenig Freundlichkeiten. „Haben Sie Papiere?“, fragte er kurz.
Maerker ahnte wohl auch, daß hier irgend etwas nicht stimmte. „Gewiß, ich habe sogar Empfehlungen für den Kommandanten von Fort Maupherson …“
Der Beamte behielt die strenge Miene bei.
„Weshalb haben Sie die beiden jungen Eskimos gefesselt?“
Ich hatte gewußt, daß diese Frage kommen würde.
„Weil Umiwarks Bande meine Begleiterin entführt hat.“ Ich erklärte die näheren Umstände, zeigte dem Reiter meine Vollmachten, und er nickte zufrieden. „Das mag alles stimmen, Mr. Smith, aber bis zur Klärung der Angelegenheit muß ich Sie beide bitten, Ihre Waffen abzuliefern. Wir sind zu dreien hier, wir sollen nach Mr. Edward Gondaloors Leiche suchen.“ Er setzte eine Silberpfeife an die Lippen, und der schrille Ton weckte in dieser Stille in den Uferfelsen höhnische Echos.
Ich überlege. – Ungern trenne ich mich auch nur für kurze Zeit von meinen Waffen.
Maerker meinte arglos: „Ihre Hilfe kommt uns sehr gelegen …“ Und er bückt sich und breitet sein Waffenarsenal säuberlich auf der Lehmtenne aus.
Ich tat es ihm nach, obwohl bereits eine innere Stimme mich nachdrücklich warnte.
Der Beamte sagte höflich: „Treten Sie bitte ein paar Schritte zurück …“
Gegenüber einer Repetierbüchse würde selbst Grobheit uns bezwungen haben.
Der Sergeant (er trug die mir bekannten Abzeichen seines Dienstgrades) war ein älterer Mann mit steinernen Zügen, aus denen nichts zu entnehmen war.
Er hatte uns nun völlig in seiner Hand, sein Pferd stand über unseren Waffen und schnob und hustete in dieser Pestluft, die auch mir einen Eisenring um die Schläfen preßte: Kopfschmerz.
„Wußten Sie“, wandte er sich an mich, „daß Umiwarks ältester Enkel die Universität in Winnipeg besucht hat?“
Vielleicht meinte er nur eine höhere Schule, aber das war gleichgültig. Mir schwante Böses.
„Der junge Eskimo versteht leidlich Deutsch, und Sie sind nicht Oskar Smith, sondern der frühere Ingenieur Abelsen …“ Seine Stimme blieb höflich-kühl. „Gegen Sie läuft ein dreimal erneuerter Steckbrief, der mich zwingt, Ihnen Handschellen anzulegen. Ich tue es ungern, aber es ist Vorschrift. Der junge Eskimo behauptet, Sie selbst hätten Miß Gondaloor der Erbschaft wegen beseitigt, und Mr. Maerker sei gleichfalls nicht Mr. Maerker, sondern ein Verbrecher aus Edmonton.“
Einen Moment setzte mein Herzschlag aus. Dies hier war mehr als Gefahr, dies hier war die Gewißheit, wieder dorthin zurückzuwandern, wo ich vor Jahren ausgebrochen war.
In Sekunden mußte sich nun mein Schicksal entscheiden. Lebend bekam dieser Beamte mich nicht in die Finger, das war gewiß. Und wenn diese letzten Monate, wo ich mitten im üppigen Alltag gelebt, noch nach der inneren Wandlung von vorhin einen Rest des geschwächten, verweichlichten Abelsen zurückgelassen hatten: Diese kritische Minute fand den einstigen El Gento wieder, der über die Pampas auf flinkem Pferderücken gefegt war, den Lederhut in die Lüfte geschleudert und mit gellendem Jagdschrei wie einen Bumerang wieder aufgefangen hatte.
Fliehen!!
Natürlich fliehen!!
Ein breites Grinsen flog über des Beamten verwittertes Gesicht, und dieses Grinsen war die Enthüllung.
Es hätte nicht der geifernden Stimmen hinter uns bedurft, nicht des auch hier landesüblichen Befehls: Hände hoch!!
Das war kein berittener Vertreter des Gesetzes, das war ein Kumpan Staffy Hampels!
Aus dessen Schnapskehle erklang das Hohngelächter, als wir zwei, nun völlig umzingelt, dieselben eisenfesten, geschmeidigen Seehundsriemen zu fühlen bekamen, die wir anderen zugedacht hatten. Maerker lächelte den grinsenden Staffy liebenswürdig an. Ich sagte gar nichts. In meiner Seele wütete ein Orkan von Grimm, aber ich blickte den kleinen Schurken nur verächtlich an.
„Also Sie sind der große, kleine Halunke von der Minnehatta“, meinte Doktor Maerker kopfschüttelnd.
Staffy gab ihm einen Fußtritt. „Maul halten! – Weg von hier!“, befahl er seiner Garde, in der ich außer den Eskimojünglingen auch die drei anderen älteren Eskimos sowie den baumlangen Swensen nebst Anhang bemerkte. Armer Samson, ich hatte schon gedacht, daß sie dich überrumpeln würden. Es war dort in der Westschlucht von Umiwarks Insel doch nicht um einen Scheckbetrug gegangen, Maerker, der unbequeme Horcher, hatte ausgelöscht werden sollen.
Staffy, eitle kleine Warzenkröte wie stets, pustete sich auf vor Siegesrausch. Als wir mit gefesselten Händen inmitten dieser Bande von Erbschleichern wieder südwärts schritten, krähte er mich triumphierend an: „Das da ist nämlich mein lieber Schwager Ben Walky aus dem alten Frisco, Abelsen, – ein feiner Policeman, das müssen Sie zugeben. Er hat auch Gondaloor den Floh von den Goldreichtümern der blonden Eskimos ins Ohr gesetzt … ganz heimlich, und der Floh stach nachher … na ja, – wir beide hatten ja auch noch abzurechnen.“
„Sie krähen als Hahn auf dem Mist“, erwiderte ich nur. – Niemand war im Grunde froher als ich, daß keine reguläre Polizei mit dabei war. Mit diesen Banditen konnte man fertig werden.
Wir näherten uns der Blockhütte, und Staffy stieß mich kichernd in die Rippen. „Fein gemacht, wie?“! Der Bär ist noch da … er ist nämlich zahm und gehört zu Schwager Walkys Haushalt … Die Fenster sind auch wieder eingesetzt, und Miß Lizzie bläst drinnen Trübsal. Hat auch Grund dazu, Abelsen … Muß ein kleiner einfacher Unfall konstruiert werden, fehlen nur noch einige Formalitäten, dann seid ihr frei und könnt mit dem Umiak dorthin fahren, wo es am schönsten sein soll …“
Ich kannte seine Niedertracht, ich kannte seine Gewissenlosigkeit, und es ging um 27 Millionen!! Ich zitterte für Lizzie, aber ich behielt meine Nerven in der Gewalt. Wenn Staffy annahm, daß dreizehn gegen vier, Bully eingerechnet, eine absolut zuverlässige Kräfteverteilung sei, irrte er sich sehr.
Der unechte Sergeant fesselte uns feixend die Füße und drückte uns auf einen Felsblock.
Dann kam Lizzie …
Sie hatte die Hände frei, sie trat leicht und beschwingt in den warmen Sonnenschein hinaus, und hinter ihr her erscholl aus dem Blockhaus das keuchende Winseln Bullys, das mir so vertraut war. Bully bellte sehr selten, das lag wohl in seiner Abstammung, es war doch in der Hauptsache englisches Bulldoggenblut in seinen Adern.
Das Mädchen blinzelte, sah uns an, nickte uns zu, und in dieser knappen, stolzen Begrüßung lag auch gleichzeitig der Ausdruck der Verachtung für die Schurken, die neugierig und hohngesättigt hier wohl eine dramatische Szene erwartet hatten.
Merkwürdig, wie schnell der Zwang der Umstände Lizzie gesund gemacht hatte! Ihr liebes Antlitz hatte Farbe, ihre Augen waren klar, und das Gebieterische ihrer prächtigen Erscheinung, dieses Selbstverständlich-Überlegene, machte sich mehr denn je fühlbar.
Sie blieb neben dem zahmen Meister Petz, der uns so gründlich getäuscht hatte, stehen, und schaute Staffy Hampel ruhig an.
„Sie werden sterben, wie nie ein Mensch starb“, sagte sie ohne Erregung. „Sie haben meinen Vater morden lassen, Sie haben Ihr Leben verwirkt.“
Einen Moment stutzte Hampel.
Diese Worte, kalt wie scharfer Stahl, verwirrten ihn.
„Frechheit!!“, kicherte er dann. „Wirklich sehr frech, verehrte Miß …! Aber das wird vergehen, wie Butter am Feuer …“
Der finstere Ben Walky sagte schroff: „Machen wir es kurz … – Wollen Sie unterschreiben, Miß? Zeugen genug sind da …“
Er holte ein Papier hervor und las:
„Ich, Lizzie Gondaloor von Goldy Lake City, habe heute die Briefe meines Vaters identifiziert. Er ist tot, und ich bin seine alleinige Erbin. Der Bevollmächtigte Mr. Oskar Smith ist als ein steckbrieflich verfolgter Verbrecher namens O. K. Abelsen entlarvt worden. Die Vertretung meiner Ansprüche auf die Gondaloor-Erbschaft übertrage ich unbeschränkt dem Notar Mr. Benjamin Walky aus San Francisco. Er soll befugt sein, das Erbe nach Edmonton überweisen zu lassen oder sonstwie meine Anordnungen über die Auszahlung uneingeschränkt zu befolgen und durchzuführen.“
Mr. Walky warf mir einen langen Blick zu. „Nun Ihr Bekenntnis:
„Ich, Olaf Karl Abelsen, früher Ingenieur, Schwede von Geburt, bekenne hiermit, daß ich im Frühjahr 1923 aus dem Zuchthaus ausgebrochen bin, daß ich nach langen Irrfahrten auf Royal-Insel den Kapitän Staffy Hampel von der Schonerjacht Minnehatta kennen lernte und durch List und Lüge den Eindruck erweckt habe, als hätte Hampel auf der Minnehatta mich und Anni Knox bedroht. Alles, was ich über die damaligen Vorgänge an Bord zu Protokoll gegeben, ist nichts als eine Verschleierung der wahren Tatsachen. Ich selbst wollte das Erbe der Gondaloors an mich reißen. Ich hatte diese Absicht auch hier in Kanada, und es gelang mir, den Deutschen Doktor Erich Maerker sowie dessen Reiseführer, den Yellowknife-Indianer Samson, für meine Pläne zu gewinnen.“
Ben Walky schaute mich wieder an.
„Dies werden Sie, Miß Lizzie, und Maerker[14] einerseits und ich als Notar wie Mr. Swensen und zwei Eskimos als Zeugen unterzeichnen.“
Sein intelligentes Verbrechergesicht blieb unbewegt, als er hinzufügte: „Sie werden sich natürlich weigern … Aber Sie haben zu wählen: Swensen ist in Miß Lizzie sehr verliebt, und wir würden ihn und Miß Lizzie sofort … ehelich verbinden und ihnen die Hütte für die Flitterwochen einräumen. Ich glaube – ich glaube …“ – und gerade in dieser gedehnten Sprechweise kam die ganze Niedertracht dieses Schuftes zum eklen Ausdruck … „– ich glaube, Sie werden lieber unterschreiben und dann die geringe Chance der Rettung wählen, die wir Ihnen bieten: Eine Flußfahrt im Umiak auf dem Oil-River zur Mündung – – natürlich gefesselt, selbstverständlich gefesselt, – wir sind keine Mörder, durchaus nicht …“
Maerker war der erste, der etwas hierzu äußerte. Lizzie war sehr bleich geworden, ich blaurot, und wenn ich nicht gefesselt gewesen wäre, hätte ich …, – aber ich war machtlos, und in meinem Hirn wirbelte es mir wie in einem Wespennest, Schweiß brach mir aus allen Poren, – – Maerkers Stimme klang mir fern und fremd:
„Ich unterschreibe“, sagte er … „Und Abelsen und Lizzie werden dasselbe tun …“
In dem Augenblick kam mir ein Gedanke, der mich vor Erregung erbleichen ließ.
Ich riß mich zusammen.
Nur nicht verraten, daß ein leiser Hoffnungsschimmer mein Herz zu rascherer Arbeit antrieb, nur nicht diesen beobachtenden, nichts übergehenden Luchsaugen[15] gegenüber durch Mienenspiel anderes als nur verbissene, verächtliche Wut bezeigen! Nur das nicht! Mochte Maerker auch ein Mann besonderer Fähigkeiten sein, mochte Lizzie selbst als Kind der Wildnis die Gefahr in jeder Form und die Rettungsmöglichkeit in jeder Form kennen: Meine Lehrjahre zählten fünffach, zehnfach, und das Grau an meinen Schläfen war der beste Beweis einer frühen, allzu frühen Altersreife. – Ich suchte Lizzies Blick, unsere Augen trafen sich, und mein Blick richtete sich für ihre rasch geweckte Aufmerksamkeit so mahnend und vielsagend auf den breiten kahlen Uferstreifen vor der Hütte, als wollte ich dem durch das Frühjahrshochwasser sauber gesiebten Sande irgend ein Geheimnis mit suggestiver Kraft entreißen. Denn nicht über meine Lippen durfte die eine Bedingung kommen, die zumindest Zeitgewinn bedeutete, sondern nur sie als Tochter durfte sie stellen.
Zum Glück: Lizzie verstand mich. Es muß doch wohl eine Gedankenübertragung geben, wenn nur der aussendende Teil genügend Energie besitzt, seinen Willen auf den einzigen Punkt im entscheidenden Augenblick zu konzentrieren.
Sie senkte den Kopf, sie schauspielerte ein wenig, ihre Stimme paßte sich vollkommen dem einen Wunsche an, der so natürlich war:
„Ich möchte die Leiche meines Vaters sehen, dann – – unterschreibe ich!“
Ihre gedämpften Worte lösten mannigfache Wirkungen aus …
… Ich sehe diesen Notar Benjamin Walky aus San Francisco – er war wirklich Notar, stellte sich später heraus, aber sein Ruf war so schlecht wie seine Verstellungskunst – noch deutlich vor mir. Kaum hatte Lizzie dieses Verlangen geäußert, als er dem zahmen Bär, der zutraulich seinen Kopf an seinen Schenkeln rieb, mit dem Stiefel einen Stoß versetzte.
„Staffy, das ist Unsinn!“, schrie er allzu widerborstig. „Das heißt nur Zeit vertrödeln, und ich möchte dich an Swensens Zweifel über …“
„Schweige!“, fuhr der Käpten mindestens ebenso fuchswild auf. „Swensen unkt da Dummheiten, die ganz ausgeschlossen sind, – was ich gesehen habe, das habe ich gesehen … Natürlich werden wir Gondaloor nicht herausbuddeln – noch schöner!! Tot ist tot!“
Der mißhandelte Bär trabte brummend zum Wasser hinab, und die nach dorthin den Weg versperrenden fünf Eskimos, die sich im Sande niedergehockt hatten, rückten eiligst bei Seite.
Ich ahnte, was kommen würde. Lizzie mußte diese gute Gelegenheit benutzen, über den Fluß zu flüchten. Ich beobachtete sie, – ihr schlanker Leib zog sich etwas zusammen, wie ein Pfeil schnellte sie vorwärts, echtes Kind der Wildnis, – wie ein Pfeil flog sie in den Fluß, nachdem sie, ohne sich auch nur eine Sekunde aufzuhalten, mit blitzartigem Griff dem gelehrten Eskimojüngling die Büchse entrissen hatte. Das Wasser war nur zwei Meter weit flach, Lizzie tauchte, – alles spielte sich in rasendem Tempo ab, – – aber hinter ihr her flogen nicht minder schnell der Riese Swensen und zwei andere Kerle aus Staffys Gesellschaft.
Die Partie war verloren …
Ich hatte gehofft, das prächtige Mädchen würde entkommen, die Burschen waren zu schlau und flink, man schob das hier liegende Umiak, das unsrige ins Wasser, und eine gänzlich durchnäßte Lizzie wurde von Swensens Riesenfaust wie ein Bündel an Land geschleppt.
Lizzie schüttelte die Tropfen von sich und strich das nasse Haar aus der Stirn. „Mr. Hampel, Sie werden doch wenigstens so anständig sein, daß ich mich umziehe“, sagte sie geradezu beleidigend hochmütig zu dem hohngrinsenden Geiergesicht. „Dort im Boot liegt mein Kleiderbündel … Jedenfalls unterhandle ich in diesem Zustande nicht weiter mit Ihnen …“
Sie bückte sich, ergriff die in Öltuch gehüllte Rolle und schritt damit der Hüttentür zu.
Hampel befahl den Seinen lediglich, das Blockhaus zu umstellen.
Die allgemeine Aufregung legte sich, Lizzie hatte die Tür zugezogen, und ich … hätte lächeln mögen, wie glänzend dieses Mädchen die Banditen hineingelegt hatte. Erst jetzt war mir die wirkliche Bedeutung ihres Fluchtversuches klar geworden.
Maerker saß scheinbar ohne Teilnahme da und schaute den Wildenten zu, die drüben in den Uferfelsen zwischen Weidenschößlingen ihre liederlich gebauten Nester hatten. Sollte dieser famose Doktor nicht denselben Gedanken wenigstens zum Teil nachhängen, wie ich?! Die Bedeutung von Lizzies Kleiderbündel kannte er nicht, aber Swensen hatte vorhin zu uns beiden geäußert, daß der Yellowknife-Indianer mit ein paar Kugeln im Leibe in einem Flußarm versunken sei.
Ob diese Kugeln so absolut sicher im Leibe des hochgewachsenen, kühnen, stillen Samson steckten?! – Man konnte daran zweifeln, man konnte diese Zweifel auf Staffys Ärger über des als Policeman verkleideten Herrn Notars Walky unvorsichtige Äußerung kurz vor Lizzies Fluchtversuch stützen.
Dachte Maerker ebenfalls hieran?! – Lebte der Indianer, so konnte die Lage der Dinge eine sehr jähe Änderung erfahren. So wenig ich Samson auch kannte, der Mann hatte sofort auf mich einen[16] ganz besonderen Eindruck gemacht. Er sollte ein vorzüglicher Schütze, ein ausgezeichneter Fährtensucher sein. Seine Intelligenz war sicherlich bedeutend größer, als die seiner verfaulenzten Stammesbrüder, denen die segensreiche Kultur außer dem Schnaps auch alle Untugenden der Weißen überreich vermittelt hatte.
… Lizzie erschien wieder, sie trug jetzt ein mehr winterliches Kostüm, eine Pelzjacke, die fast bis zu den Knien reichte, wie die Eskimos sie bevorzugen, dazu wieder geschlitzte Lederhosen und halbhohe zierliche Stiefel aus dem Fell eines Karibubullen. Sie kam sehr langsam und hinkte leicht. Es war ein geradezu komischer Anblick, daß sich nicht weniger als dreizehn Gewehrläufe alle Mühe gaben, jeden neuen Fluchtversuch zu vereiteln. Sie blieb stehen und sagte zu Staffy mit leicht zurückgeworfenen Kopf: „Es bleibt dabei: Lassen Sie die Leiche meines Vaters ausgraben! Wenn nicht – –“ – und urplötzlich hielt sie eine kleine Repetierpistole in der Hand und setzte sie an die eigene Schläfe – „– wer mich anrührt, wenn jemand sich mir nähert, drücke ich ab, und eine tote Lizzie Gondaloor kann keine Unterschrift mehr leisten, und meinen Namenszug zu fälschen, dürfte nicht so ganz einfach sein, die Bankbeamten im Fort kennen ihn!! Nun wissen Sie, woran Sie sind, Staffy Hampel, – und so wahr ich ein Kind dieses unendlichen Landes bin: Ich sterbe, und Ihr schuftiger Plan hat keinerlei Aussicht mehr, je Wirklichkeit zu werden!“
Der Käpten lief grün an, aber er wagte nicht, auch nur den Finger zu rühren.
Wer Lizzie in dieser straffen, stolzen Haltung dort im Sonnenschein stehen sah, wer diese halb zugekniffenen Augen, diesen Zug eiserner Entschlossenheit um ihren Mund erblickte, der konnte keinen Moment darüber im Zweifel sein, daß sie auch tatsächlich abdrücken würde.
Und langsam trat sie nun zwei Schritte zurück, lehnte sich an die Balkenwand der Hütte, um Rückendeckung zu haben, und sagte geradezu befehlend: „Öffnet das Grab! Wenn mein Vater hier erst im Februar erhenkt worden sein soll, kann nicht sofort eine Grube für ihn ausgehoben sein, denn der Schnee und der gefrorene Boden hätten den Mördern dies unmöglich gemacht. Erst nach dem Auftauen der oberen Erdschicht, also vor kaum vier Wochen, kann es geschehen sein!“ Ihre Blicke ließen Ben Walkys finsteres Gesicht nicht los. Walky fühlte sich offenbar höchst unbehaglich bei alledem.
„Unsinn!“, schnaubte er bissig. „Ich habe keinen Teil an der Sache …! Die Kerle, die er bestahl, sind ostwärts gewandert, und …“
„Jedenfalls waren Sie doch dabei“, meinte Lizzie gleichmütig. „Sie kennen die Stelle … Ihr habt Spaten … Beeilt euch, – – oder Ihr könnt auch mich hier verscharren, und das wäre auch das Grab all eurer teuflischen Hoffnungen …!“
Staffy Hampel musterte seinen Herrn Schwager immer argwöhnischer. „Ben, vorwärts!! Du siehst doch, daß das Mädel nicht anders mit sich reden läßt und daß deine eigene Dummheit an alldem schuld ist. Weshalb läßt du deine Pistole in der Blockhütte herumliegen, so daß sie der Miß in die Finger fällt!“
Aber der Notar aus Frisco hatte schon mit einem ärgerlichen Auflachen seinen Spaten ergriffen, und garnicht auf die trotzigen Sätze Hampels geachtet.
Es war nicht Walkys Pistole, mit der Lizzie sich selbst bedrohte, das wußte ich sehr gut.
Walky schritt nach rechts zu den Weidenbüschen …
In kurzem hatte er die obere Sandschicht entfernt, eine Wolldecke kam zum Vorschein, dann die Umrisse einer in diese Decke gehüllten Gestalt.
Als Walky und drei Eskimos die Decke samt ihrem traurigen Inhalt emporhoben, sah ich, daß die Leiche infolge der Bodenkälte noch steif gefroren war.
Meine Blicke hingen jedoch mehr an Lizzies bleichen Zügen. Die vier legten die Last unweit von ihr nieder. Walky zögerte. Erst als Staffy Hampel ihn grob anfauchte, schlug er die Decke auseinander. Ein fahles, verfärbtes Totengesicht mit wüstem Stoppelbart wurde dem freundlichen Lichte der Sonne preisgegeben …
Ich starrte hin … Ich fürchtete für Lizzies Nerven. Aber sie sagte nur tonlos: „Es … ist … gut … Begrabt ihn wieder, und gebt ihm dies hier mit als Andenken!“
Mit leichtem Schwung warf sie die Pistole auf die Decke, Walky hatte es sehr eilig, den Toten wieder einzuscharren.
Lizzie nahm die Feder und setzte ihren Namen unter die lügnerische Urkunde. Ihr folgte Maerker und ich stellte noch eine Bedingung: Staffy sollte mir meinen Hund mitgeben!
Er zauderte, dann versprach er es. Jedoch nicht eher unterschrieb ich, bis Bully in dem Umiak festgebunden war. Ich sah, daß man ihn durch Schläge übel zugerichtet hatte, er lahmte stark, er hatte einen blutigen Riß quer über dem Schädel.
Und wenige Minuten später trieb das Umiak mit uns dreien, die man an die Bänke gefesselt hatte, mit der Strömung den Oil-River langsam hinab. Das Gepäck hatten die Schurken uns belassen, – aber keine Waffe schien sich im Fellboot zu befinden.
Am Ufer standen die dreizehn Anwärter auf die siebenundzwanzig Millionen der Gondaloors, und Hampel und seine Sippe schickte uns ein dröhnendes Hohngelächter nach.
Drei Gefesselte und ein Hund im Umiak auf dem Oil-River – noch außerhalb der Ölgrenze.
Drei, die so festgebunden waren, daß sie einander nicht ansehen konnten …
Und vielleicht war es gut so, denn ich ahnte, welches Schicksal uns bedrohte, welcher „Unglücksfall“ sich ereignen würde.
Nur ich saß so, daß ich Ben Walky davongaloppieren sah, und er ritt nach Norden, zur Ölquelle …
Eine Biegung des Flusses entzog mir das Bild dieser feigen Kreaturen, die da am Ufer mitleidslos uns nachglotzten. In der Minute schwor ich mir zu: Auge um Auge, Zahn um Zahn! – – falls wir mit dem Leben davonkämen, und … darauf hoffte ich trotz der Seehundsriemen, die mir die Haut der Handgelenke zerschnitten.
Lizzie meldete sich.
„Olaf, Sie wissen doch Bescheid …“
Maerker hinter mir meinte kaltschnäuzig:
„Das ist eine eigentümliche Redewendung für vier zukünftige Bratheringe, – entschuldigen Sie, Miß Gondaloor, aber es ist mir nun einmal nicht gegeben, irgend eine Situation ernst zu nehmen.“
Lizzie erklärte daraufhin nur:
„Der Tote war nicht mein Vater. – Ich glaube auch nicht, daß mein Vater tot ist … Und in meinem Ärmel steckt oben ein Messer, und in meinen Hosenbeinen stecken die beiden Teile meiner leichten Winchesterbüchse, die in meinem Kleiderbündel eingewickelt war … Deshalb mein Fluchtversuch.“
Doktor Erich Maerker rief begeistert:
„Hochachtung, – Hut ab vor Ihnen, Miß Lizzie …! Wenn ich mich nach hinten beuge, kann ich Ihren Pelzärmel mit den Zähnen aufreißen, und das Messer auf diese Weise zwischen die Zähne bekommen, und dann …“
„Lassen Sie das, Maerker!!“, – ich war durchaus nicht so siegesgewiß, denn drüben am Ufer trabten eben hinter den Weiden gemächlich die zwölf Schurken dahin, genau so gemächlich, wie unser Umiak sich vorwärtsbewegte. „Wir werden beobachtet …“, fügte ich kurz hinzu. „Walky ritt voraus, er wird den Fluß erst anzünden, wenn wir die Quelle passiert haben … die Ölquelle, und dann erst dürfen wir darauf hoffen, daß das Messer uns noch rechtzeitig befreit und rettet.“
Zehn Minuten …
Das Umiak schwamm im Öldunst dahin, – noch eine Biegung, und wir sahen die pechschwarzen Uferfelsen, sahen Walky in seiner Uniform am Ostufer neben einem lodernden Feuer …
Er stierte uns wild an, – sein Gesicht verriet, daß seine Henkerrolle ihm wenig behagte …
Und wir glitten hinein in die matt blinkende Opalschicht, – Gestank umgab uns …
Das Boot drehte sich in der Strömung, – ich sah nichts mehr.
Maerker rief in verbissener Wut:
„Die Quelle brennt, Abelsen … Bei Gott – sie brennt …! Und die ganze Bande ist jetzt da versammelt …“
Hinter uns her kroch das Verderben, die Flammenwand …
„Jetzt, Maerker, – – und wenn Sie das Messer nicht in einer Minute erwischen, dann …“
Ich hörte schon hinter mir Lizzies Schrei:
„Sie beißen mir ja in den Arm! Ich habe die Naht aufgetrennt …“
Das Umiak drehte sich …
Und … ein Stoß: Es war irgendwo aufgelaufen, es schwamm nicht mehr …
Unheimlich rasch rückte die brennende Wand heran …
Die Hitze spürte ich bereits …
„Maerker – – nur schnell!!“
Ich hörte ein Knirschen … einen Fluch …
Ich ahnte das Unheil …
„Das Messer liegt auf dem Boden des Umiak!“, stöhnte Maerker, „es entfiel mir … Ich ich …“
Lizzie da – heiser, angstgehetzt, denn keine fünfzig Meter war das Flammenmeer entfernt, und die Glut versengte uns die Gesichter:
„Ich hab es zwischen den Füßen … Bücken Sie sich … so … Schneiden Sie, und wenn Sie mir die Handgelenke zerfetzen …“
In meinen Ohren brauste das kochende Blut wie ein Orkan …
Mir wurde schwarz vor den Augen, – die Lungen sogen nur noch Hitze und Giftdämpfe ein …
„Ich … kann nicht, … zu … schwach …“ – wie aus endloser Ferne kam dieses Keuchen des gleichfalls halb besinnungslosen Gefährten …
Und dann – ein neuer Stoß …
Das Boot schwankte …
Ich vernahm undeutlich das Plätschern von Wasser – ich fühlte einen frischen Luftzug …
Ich riß die tränenden Augen auf …
Im Umiak stand die triefende, überschlanke Gestalt des Yellowknife-Indianers – er ruderte mit aller Kraft …
Dann bückte er sich … Sein Messer fuhr durch meine Riemen …
Ich taumelte hoch …
„Die anderen losschneiden, Mister!“
Ich schnitt …
Das Boot schoß dem Ostufer zu … Dieser Samson hatte Kräfte wie ein Stier …
„An Land springen – – Boot tragen!“, kommandierte er …
Das Umiak schrammte über den Sand. Wir packten zu, – wir schwangen es hoch, wir rannten landeinwärts, flohen vor der Hitze, den Glutwellen, und fielen dann erschöpft hinter einer Gruppe von Felsen nieder.
Das Boot prallte auf den Boden auf, Holz splitterte, – ich beugte mich über Lizzie, ihre Augen waren weit aufgerissen, in ihrem stieren Blick flackerte der beginnende Wahnsinn der gräßlichen Todesfurcht, die auch mir das Herz hatte hüpfen lassen …
Ein Wasserstrahl spritzte aus Samsons Feldflasche in Lizzies entstelltes Gesicht, sie zuckte zusammen, öffnete den Mund, trank … trank, und – – dort neben mir lag Maerker über eine Pfütze gebeugt und soff das lehmige Naß in sich hinein wie ein Verdurstender.
Lizzie lächelte matt. Die Krisis war überwunden, und als Maerker dann im Lehmbrei hockend einen Spiegel hervorzog und sich eingehend betrachtete, als er mit dem Taschentuch die leichte Rußschicht zu entfernen suchte und dann nur einem Neger glich, da überflog selbst Samsons ernste, scharfe Züge eine schwache Andeutung eines Lächelns …
Ich stand auf.
Wortlos reichte ich dem Indianer die Hand. Sein Habit schillerte von Petroleum, sein Haar war fettig, sein Gesicht ebenso …
„Mister, wir müssen weiter“, mahnte er. „Hier sind wir nicht sicher … Drüben ist ein schmaler Flußarm …“
Er hatte wohl recht.
Wir halfen Lizzie empor, Samson übernahm allein die Last des Vorderteiles des leicht beschädigten Umiak, wir, Maerker und ich, die andere Seite. Lizzie und Bully trabten nebenher. Der Hund hatte die Glut noch am besten überstanden. Hinter uns über den fernen schwarzen Felsen und Weidenstümpfen, die in ihrer trostlosen Abgestorbenheit am besten für die ungeheuren Hitzewellen des brennenden Oil-River zeugten, wälzte sich gen Norden eine gewundene, endlose Linie finsteren Qualms, – Flammen wurden nur selten sichtbar, aber das Bild blieb trotzdem schauerlich und ergreifend, und wenn ich einmal den Kopf drehte und zurückblickte, wollten sich mir die Sinne verwirren aus Entsetzen vor dem, was aus uns geworden, wenn Samson nicht rechtzeitig erschienen wäre – dieser Samson, der da mit keiner Silbe erwähnte, wie er sich trotz der Übermacht der Angreifer hatte retten können. Nur das eine erwähnte er kurz, daß Staffy Hampel mit dem Rest seiner Bande ihn eingekreist und daß die von ihm Verfolgten gleichfalls an der Jagd auf ihn beteiligt hätten.
Diese Insel hier war für einen Eilmarsch ungünstig. Weidengestrüpp, Schlammlöcher, halbmannshohe Felsen zwangen uns immer wieder zu Umwegen. Wir konnten uns erst als endgültig gerettet ansehen, wenn wir den Flußarm erreicht hatten, da gerade der Ostteil des Mackenzie-Deltas aus einer Unmenge schmaler Wasserrinnen bestand, die jede Verfolgung aussichtslos machten.
Aber – Maerker und ich waren nur zu rasch am Ende unserer Kräfte. Unser Blut war vergiftet durch die Petroleumschwaden, mein Kopf war schwer wie ein Bleiklotz, ganz mechanisch setzten wir die zitternden Beine, die Last des Bootes drückte grausam die rechte Schulter, – – plötzlich brach Maerker zusammen, und das Umiak glitt halb über ihn. Er war ohnmächtig geworden.
Samson nahm wortlos die einzige Büchse, die wir hatten, Lizzies Waffe, und bedeutete mir durch einen Wink, für Maerker zu sorgen. Rasch entschwand er gen Westen, den Weg zurück, den wir gekommen waren.
Lizzie, deren Haar halb versengt war, half mir. Maerker kam sehr bald wieder zu sich.
Wir besichtigten nun das Fellboot. Zwei Rippen des Gerüsts waren zerbrochen. Lizzie verstand sich am besten darauf, sie auszuflicken.
Wir besprachen unsere Lage. Wir besaßen Lebensmittel für zwei Tage, eine Repetierbüchse, eine Pistole (die zweite kleinkalibrige aus Lizzies Bündel), sechzig Patronen und zwei Messer, das des Indianers mit eingerechnet.
Maerker war durchaus meiner und Samsons Ansicht, daß, falls Staffy Verdacht schöpfte, wir könnten entkommen sein, er und Umiwark die ganzen Eskimos des einst so kriegerischen Stammes der Kupagniut, die weit verstreut an der Küste gen Osten hausten, auf uns hetzen würde.
Dann plötzlich Hufschläge, – ich griff zur Pistole, – – es war der öltriefende Yellowknife auf Notar Walkys Pferd.
An Samsons Gürtel hing ein Stück blutigen Felles … Ich erkannte Walkys Haarschopf.
Keiner fragte etwas. Der Indianer sagte nur: „Der Gaul wird das Boot tragen helfen … Sie sind hinter uns.“
Mit Seehundsriemen wurde die eine Seite des Umiak dem Pferde angehängt. Wir arbeiteten in wilder Hast, und im Trab erreichten wir den freundlich blinkenden Flußlauf, der Gaul tat mir leid, Samson führte ihn abseits und schleppte nachher die noch im Fell steckenden Schenkel und besten Fleischstücke ins Boot.
„Wir dürfen nicht schießen“, meinte er gelassen. „Wir müssen Fleisch haben. Wir werden mit der Strömung zur Küste rudern, denn die Verfolger werden annehmen, wir würden südwärts in die Prärien und Wälder der Fallensteller uns wenden. Nur an der Küste des Nordpolarmeeres können wir hoffen, einem Walfangschiff zu begegnen, das uns aufnimmt.“
Als wir eine halbe Stunde unterwegs waren, deutete der kundige Yellowknife schweigend auf ein paar starke Rauchsäulen, die hier und dort aufzupuffen schienen, bald verschwindend, bald wieder gegen den klaren Himmel in dicht geballten Wolken hochflatternd. „Die Kupagniut haben die Zeiten nicht vergessen, wo sie plündernd und mordend den Mackenzie im Sommer aufwärts fuhren“, sagte Samson gleichgültig. „Ich bin zum fünften Male hier. Sie signalisieren. Sie brennen Treibholzfeuer an, werfen nasses Holz in die Glut, decken Lederdecken darüber und ziehen sie weg und breiten sie abermals darüber.“
Ich hatte wieder etwas dazu gelernt.
Lizzie saß stumm vor sich hinbrütend da und hatte Bullys Kopf im Schoß.
Gegen neun Uhr abends begegneten wir einer am Ufer entlangziehenden achtköpfigen Eskimofamilie. Samson blickte ihnen lange nach. Zehn Minuten darauf erschienen in der Richtung, in der sie verschwunden waren, die schwarzen Rauchbälle – – Signale.
Um elf Uhr befanden wir uns außerhalb des Deltas in der Geröllwüste, die sich gen Osten erstreckte, noch immer fünfzig Kilometer vom Meere entfernt.
Die nordische Wildnis nahm uns schützend auf. – Diese trostlose Steinsteppe, deren feines Geröll die Stiefel zerfetzt und doch ein Gutes hat: Sie verwischt die Spuren, denn die Eskimos sind keine Fährtensucher, und unser Trupp hatte zwei Männer, die jede Fährte zu löschen verstanden: Der andere, vielleicht bessere, war Samson.
… Es wird Zeit, daß ich ans Schlafen denke.
Die Uhr zeigt ein Uhr nachts. – Seltsam auch dies, daß die Arktis, das Nordland, das Schlafbedürfnis so auf ein Mindestmaß beschränkt, nicht nur in den ewig hellen Sommernächten, sondern auch im froststarrenden Winter. Man sagt, die Eskimokinder vom Mackenzie blieben mitunter im Sommer drei Tage und Nächte spielend im warmen Freien ohne Schlaf. Nordlandforscher bestätigen dies. Ich auch, denn damals unsere Flucht vor Umiwarks Armee und vor Staffys Banditen ließ uns kaum Zeit, längere Rast zu machen.
Wollte ich im einzelnen diese Flucht, diese wiederholten Überfälle schildern, – es würde mir kaum gelingen. Jene drei Monate sind für mich zu einem unklaren Chaos zusammengeschrumpft.
Drei Monate …
Das erscheint dem, der den Norden nicht kennt, unglaublich.
Drei Monate sind dort vielleicht wie eine Woche, ein Jahr wie ein Monat … Die Leute des Nordlandes haben so unerhört viel Zeit.
Umiwarks Horden hatten viel Zeit.
Immer, wenn wir die Küste zu erreichen hofften, trafen wir auf ihre Signale und wußten dann: wir werden ständig beobachtet, man drängt uns absichtlich nach Osten, wo die Wildnis kaum noch Fallensteller kennt …
Ein Gutes hatten diese Scharmützel: Wir eroberten Waffen und Patronen und Pelze. Die, denen sie gehört hatten, lebten nicht mehr.
Wir eroberten Hunde, ein zweites Zelt, sogar einen eisernen tragbaren Zeltofen.
Ich denke nicht gern zurück an diese Monate des Umherirrens, des ständigen Ausweichens, der kritischen Stunden. Wenn wir lagerten, setzte ich mich zu Samson und kraute Bully den dicken Schädel, denn Jugend hatte sich zu Jugend gefunden, und Lizzies Augen ruhten voll Glanz auf Maerkers frischer Männlichkeit.
Unser Umiak haben wir zerschlagen, als wir das Delta verließen, die Haut nahmen wir mit. Wir schleppten pro Mann etwa achtzig Pfund Gepäck, Lizzie die Hälfte, Bully trug zuletzt nur den kostbaren Ofen.
Östlich vom Delta in der Geröll-Wildnis liegen die Eskimo-Süßwasserseen, darunter der eine wie die Ostsee fast. Ihnen wichen wir aus, denn an ihren Ufern fischen die Urbewohner des Nordlandes zur Sommerzeit am liebsten, und zwar am Nordufer die Eskimos, im Süden die Indianer.
Wir trafen mehrmals mit weißen Trappern zusammen, die ausnahmsweise auch in der heißen Jahreszeit in ihren Blockhütten geblieben waren.
So manches Original, das geradezu in einen der Cooper’schen oder May’schen Indianerromane hineingehörte, habe ich da gesehen … Männer mit klaren, verwitterten Zügen, viele mit einem humorvollen Blinzeln im Blick, viele so verschlossen, daß man geradezu spürte, welche Seelenlast von früher her sie beschwerte.
Drei Monate Hetzjagd … wie die Hasen, nein, wie die Wölfe, die sich wehrten.
Drei Monate kreuz und quer durch die Wildnis, Tag und Nacht auf der Lauer, immer wachsam …
Es ging ja für die Gegner nicht nur mehr um das Erbe der Gondaloors, sondern um den eigenen Hals.
Langsam, lächerlich langsam schlugen wir uns nach Osten durch. Unser Ziel war der Horton-Fluß, der in die Franklin-Bay mündet. Samson wollte dort ein Umiak-Gerüst bauen und noch vor dem Winter den Großen Bären-See zu erreichen suchen.
Wollte …
Schon im September schwand die Sonne, erschien immer nur für kurze Zeit, es wurde kalt, und die Hoffnung erstarb, daß wir noch rechtzeitig an den Horton kämen.
Endlose Wälder durchwanderten wir. Wir hatten nun insgesamt neunzehn Hunde und zwei Schlitten, an die ich Räder angebracht hatte. Wir waren als flüchtender Troß beweglicher geworden, Samsons und meine Büchse lieferten genügend Fleisch, – doch die Verfolger blieben rührig wie ehrliche kanadische Polizisten, die vielleicht ein Jahr brauchen, einen Mörder zu stellen.
Es war die seltsamste Zeit, die ich je durchlebte, und ihr vorläufiger Ausklang war … ein Gemetzel, war die Abrechnung mit Staffy Hampel, den wir bisher nie zu Gesicht bekommen hatten. Unsere Karawane zog gerade durch das Gebirge, das die Eskimos „die Walroßzähne“ nennen, und wir schätzten die Entfernung bis zum Flusse noch auf zweihundert Kilometer. Tiefe Täler und tiefe Wälder, rieselnde Bäche und eine bedrückende Einsamkeit zeichnen diese Verlängerung des Höhenzuges, der sich bis Kap Lathurst auf der großen Halbinsel im Eismeer weitererstreckt, in diesem Teile aus. Bevor wir in die Schluchten einbogen, hatten wir abermals hinter uns drei Punkte entdeckt, von denen die Rauchbälle emporschossen. Die Tage der Mitternachtssonne waren vorüber, und die Dunkelheit kam sehr früh. Trotzdem marschierten wir bis gegen elf Uhr, abwechselnd waren Samson oder ich ein Stück voraus, den besten Weg für die Wagenschlitten zu suchen. Wir fanden hier bereits Schneehalden, die von der Sonne nicht mehr weggeschmolzen wurden, wir hörten im Dickicht das Geheul der Wölfe, die hier, so sagte mir Samson, ihre Jungen groß ziehen und sich dann wieder zu Rudeln zusammentun und südwärts traben und sich in der Wildnis verlieren, wo man auf sie seltener stößt, als die Romanschreiber es sich denken. In diesem Lande der Unendlichkeit bleibt das Wildkaninchen das häufigste Tier, ohne daß Gefahr besteht, es könnte einst wie in Australien zur Landplage werden.
Ich suchte diesmal den Lagerplatz aus, eine Fels- und Tannengruppe inmitten einer kleinen Hochebene, über die sich schmale Bahnen liegen gebliebenen Schnees hinzogen. Ein eisiger Wind fegte über diese Hochsteppe, und Menschen und Hunde drängten sich neben dem kleinen Feuer zusammen, dessen Lichtschein durch die Tannenwipfel abgefangen wurde. – Während Lizzie und Maerker die Karibukeule brieten und die Hunde fütterten, unter denen Bully sich sehr bald zum unumschränkten Herrn regelrecht durchgebissen hatte, wollten Samson und ich nochmals auf unserer Fährte einige Meilen zurückkehren (englische Meilen), um festzustellen, ob meine längst gehegte Vermutung, daß Staffy Hampel sich Cree-Indianer als Kundschafter angeworben habe, wirklich zuträfe.
Der stille, wortkarge Yellowknife war mir ein tatkräftiger Freund geworden. Als wir nun der westlichen Waldgrenze, durch eine der vielen Frühjahrswasserrinnen gedeckt, zuschritten, fragte ich ihn zum ersten Male nach seinen näheren Familienverhältnissen. So manches an ihm hatte mir bereits zu denken gegeben, und als er ganz schlicht erwiderte, er sei kein reinblütiger Yellowknife, sondern mehr ein Irokese von den großen Seen im Süden, er habe dort am Huron-See auch eine Schule besucht und sei erst als Neunzehnjähriger zu den Stammesverwandten seiner Mutter in die Wildnis gegangen, da begriff ich ihn vollkommen. Das unruhige Blut seiner kriegerischen Ahnen war gerade bei ihm wieder lebendig geworden, er verachtete das in den Ansiedlungen herumfaulenzende Indianerpack, das in billigen städtischen Anzügen sich aufplusterte und nur arbeitete, wenn das Geld für Tabak und Brandy ausgegangen war.
Als wir den Wald betraten, als er den muskulösen Leib horchend vorbeugte und dabei die Fellstücke an seinem Ledergurt, die in der Kälte hart geworden, leise raschelten, hätte kein Maler ein trefflicheres Vorbild für eine romantische Rothaut vergangener Zeiten gefunden.
Samson hatte bei dieser Menschenhatz uralte finstere blutige Gebräuche wieder aufleben lassen. Nicht allein Ben Walkys Skalp schmückte seinen Gürtel, es war noch ein halbes Dutzend Eskimoperücken dazu gekommen, und es sollten noch mehr werden.
Es war nicht finster, es wird dort droben an der Grenze des ewigen Eises nur in wolkigen Nächten wirklich so dunkel, daß man diesen Lichtmangel unangenehm empfindet. – Da legte mir der Indianer die Hand auf die Schulter …: „Hunde, Mister!“ – Ich hörte nichts … Doch Samsons Ohren waren besser.
Er lehnte sich auf seine eroberte Büchse, eine vorzügliche großkalibrige Winchester, und verhielt sich regungslos.
„Sie haben recht, Mr. Olaf“, sagte er wieder nach einer Weile, „Hampel hat Cree-Indianer angeworben, die Cree vom Mackenzie sind Hundeschinder … die Hunde werden gepeitscht, und das bedeutet, daß die Besitzer einen Eilmarsch planen.“ – Die Worte klingen dem Uneingeweihten widersinnig. Trotzdem stimmt es: Der Indianer dort droben, der vor den mutigeren Eskimos flüchtete, mißhandelt die Hunde, bis sie fast toll werden, und spannt sie dann erst ein oder belädt sie im Sommer mit Traglasten.
Samson eilte weiter, wählte nordwestliche Richtung und schlug jenen halben Trab an, den ein trainierter Körper stundenlang verträgt. Ich war mir über seine Absichten nicht im klaren, sollte aber schon nach einer halben Stunde erfahren, wie richtig er die Taktik des Gegners eingeschätzt hatte. Als wir den Höhenzug, der unser Hochplateau und Lager nach Norden abriegelte, hinter uns hatten, fanden wir eine waldfreie, schneereiche Ebene vor, und über den leuchtenden Schnee bewegten sich nach Osten zu flinke Punkte: Hundeschlitten! Zehn im ganzen, hinterher noch im Eilmarsch vielleicht zwanzig Männer, Eskimos und Indianer.
„Sie wollen von Osten an unser Lager heran, Mister, – eine zweite Abteilung von Westen … Sie fürchten, wir könnten den Fluß erreichen, der noch vierzehn Tage stromauf eisfrei bleiben wird. Und am Horton liegen zwei Polizeistationen, Mister … Es geht um ihr Leben.“
Ich verstand ihn.
Wir kehrten um, und als wir uns dem Lagerplatz näherten, fanden wir dann auch Maerker als Posten auf der Westseite der Felsengruppe.
„Schon zurück?!“ – Er war erstaunt, daß wir von Norden kamen. Ich klärte ihn mit ein paar Worten auf, und er erwiderte nur: „So ganz Greenhorn bin ich doch nicht, Abelsen. Auf der Ostseite liegt Bully, und Bully würde rechtzeitig Alarm geschlagen haben, das wissen Sie!“
Ob ich es wußte! Es war nicht der erste Überfall, den wir vorausahnten und dem wir zuvorkamen.
Vier Menschen, ein Bully, und als Gegner so ziemlich alles, was hier an zweibeinigen Kreaturen lebte! Das schärft die Sinne, das läßt kein Fett ansetzen, das vertreibt Gedankenträgheit! Das war im Grunde Tag für Tag dieselbe lauernde Gefahr, dasselbe beständige Achtgeben auf jede Kleinigkeit …
Daß es um eine Erbschaft ging, – von uns sprach keiner mehr von den Millionen. Sie waren Beiwerk, – Hauptsache war hier erbitterter Kampf um unser Leben, das ausgelöscht werden sollte, weil sonst die kanadische Polizei ein paar Dutzend Stricke bereithalten mußte, all das Gesindel um Herrn Häuptling Umiwark und um des Teufels Onkel, Staffy genannt, aufzuknüpfen. Darüber gaben sich die Schufte auch keinerlei Täuschung hin, daß [es][17] um sie geschehen, wenn erst die Funkstationen in den Forts am Mackenzie die Steckbriefe in die entlegensten Blockhäuser der Polizeiposten hinübermorsten oder die Meldung von den Walfängern an der Küste aufgefangen und den Eskimos vom Horton-River übermittelt wurde, die den alten Umiwark und den Stamm der Kupagniut bitter haßten und gern die ausgesetzte Belohnung verdienten: Kopfgeld!
An Samsons Gürtel baumelte ebenfalls Kopfgeld, aber es waren noch Haare dran, und schön sah es nicht aus. Lizzie freilich fochten diese kleinen Perücken nicht weiter an. Sie war zu sehr an blutige Tiertragödien gewöhnt, als daß ein Eskimoskalp ihr die Seele beschwert hätte, sie war die Tochter des Mannes, von dem niemand wußte, wo er geblieben, sie hatte die brutale Grausamkeit geldhungriger Bestien auf dem Oil-River kennen gelernt, und sie war doch Weib geblieben … Und welch ein Weib! Während wir noch leise berieten, trat sie zu uns. – „Natürlich wollen sie uns vom Flusse abriegeln, aber ich will nicht, daß meinetwegen hier nochmals Kugeln gewechselt werden, ich will es nicht! Sind die Feinde wirklich in solcher Übermacht erschienen, so werden wir niemals den Horton-Fluß erreichen. Wenden wir uns nach Norden, – weshalb sollen wir nicht droben irgendwo überwintern und die Zeit für uns kämpfen lassen?! Es kann nicht verborgen bleiben, was in den drei letzten Monaten geschehen ist, auch Umiwark ist seiner Leute nicht sicher, und ein Verräter findet sich immer. Die Polizei wird im Frühjahr nach uns suchen!! – Brechen wir auf!“
Wir drei Männer schwiegen dazu.
Gegen eine Lizzie Gondaloor gab es keinen Widerspruch. Jeder von uns hatte auch Verständnis dafür, daß sie uns nicht neuen Schießereien mit Hampels Rotte aussetzen wollte, letzten Endes war sie ja die Ursache dieser hartnäckigen, monatelangen Jagd, und es sprach nur für ihren Charakter, daß sie uns Männer nicht abermals dem blinden Zufallsspiel eines Kugelregens aussetzen wollte, bisher waren wir ja unverletzt davongekommen, ob auch diesmal, wo der Gegner offenbar die äußersten Anstrengungen machte, uns endlich zu erwischen, blieb immerhin fraglich.
Lizzie fügte in demselben bestimmten Tone hinzu: „Also – Aufbruch!! Olaf, ich lasse in dieser Sache nicht mehr mit mir verhandeln. Es wäre …“
Samson hob plötzlich die Hand. Es war eine eigentümlich freudige Geste … „Zu spät, Miß …! Die Crees haben getrocknete Fische für ihre Hunde mit …“
Ich sog prüfend die Luft ein.
Fischgestank …!
Jeder kennt ihn, der droben im Nordland die Ureinwohner besuchte. Viele Hunderte von Metern trägt der Wind ihn durch die reine, klare Luft dieser Einöden.
Lizzie neigte wie bedauernd den Kopf und blickte vor sich hin. Dann warf sie ihn zurück, sah zu den Sternen empor und sagte hart: „Wir werden kämpfen, – und diesmal werden wir keine Patronen sparen! Ich habe es nicht gewollt, – – die da drüben wollen es! Es ist gut.“
… Ich lag allein auf meinem Felsen nach Westen zu, unter mir eine Wolldecke, neben mir die zweite Büchse und bequem ausgebreitete Patronenrahmen, deren Mantelgeschosse vor Fett blinkten.
Unsere Festung, ein Felsenquadrat von fünfzehn Metern Seitenlänge mit genau acht mächtigen Tannen in der Mitte, war genügend geschützt, – wir waren vier Jäger, die ihres Schusses sicher waren, und wir warteten nun auf den Angriff mit der kaltblütigen Gelassenheit von Leuten, die dieses Spieles endgültig überdrüssig waren.
Auf meiner Verteidigungsfront hier hatte ich den Fischgestank andauernd als Alarmsignal in der Nase. Drüben im Walde stecken sie, klägliche Anfänger im Kriegshandwerk, klägliche Nachkommen ihrer berühmten Voreltern, die nie so töricht gewesen wären, ihr Hundefutter auf den Schlitten dem Feinde so dicht unter die Nase zu schleppen!
Warten … warten …! – Es quält nur die Nerven, wenn man dieses Warten nicht kennt. Es bleibt Zerstreuung genug für den, der zu beobachten weiß. Ich sah die Kundschafter, die sich in den Regenrinnen vorwärtsschoben, – unser Lagerfeuer brannte absichtlich dreifach hell, die Scheite knallten und die Polarnacht mit ihrem Halbdunkel genügte, auf hundert Meter alles zu erkennen – alles …
Arme Schächer! Sie hatten es sich so fein ausgedacht, uns hier gänzlich einzukreisen und nicht einen entschlüpfen zu lassen!
Nach Mitternacht schoben sie sich über den Schnee wie die Fischottern, wie Seehunde, – – bei euch drüben wird es sehr bald unruhig werden!
Der Kreis war geschlossen, – ich zählte vor mir fünfzehn Gegner, im ganzen mochten es also fünfzig sein. – Nur Ruhe, – – warten, – – Finger am Abzug, neun Patronen im Rahmen, die Büchse tadellos gesäubert und geölt …
Dreißig Meter …
Und jäh bellte da das eiserne Maul des gefährlichen Beißers auf …
Jäh schnellten die Linien drüben empor, stürmten vorwärts …
Arme Schächer!
Sechs erreichten die Felsen – nur sechs, und fanden doch keinen Schutz, – – vier kniffen aus, und auch hinter ihnen her war der bleierne Tod …
… Von dem Gemetzel in den Walroßzahn-Bergen sollen lange Artikel in den kanadischen und amerikanischen Zeitungen gestanden haben, – das füge ich hier nachträglich ein. Und nicht eine einzige Zeitung soll uns irgendwie verurteilt haben. Im Gegenteil: Staffy Hampel, Umiwark und beider Helfershelfer hatten weiß Gott keine gute Presse. So sagte es mir einer, der es gelesen hatte.
Kampf – – das?! Kampf?! Nein, – – Scheibenschießen, bei dem ich die Zähne zusammenbiß, so widerte mich das alles gründlichst an!
Mein Beißer bellte nicht mehr.
Ich horchte …
Nach Süden lag Maerker in guter Deckung, – bei ihm war es allzu lebhaft, und mit ein paar Sätzen flog ich durch die hohen Felsbrocken und hörte nun das gellende Kreischen aus allernächster Nähe …
Ein anderer war mir schon zuvorgekommen: Maerker lag regungslos im Geröll, aber die überschlanke Gestalt des Yellowknife kniete auf einem blonden, stiernackigen Riesen, dem ein Hund das dicke Genick zerfetzt hatte und noch nicht losließ: Steuermann Swensen und Bully …
Swensens in Todesangst verzerrtes Gesicht stierte in das unheimlich Unbewegte des Indianers, den er mit den Bärenpranken von sich abhielt.
Ich sah etwas wie ein mattes Aufblitzen, ich sah einen Arm herniederfahren, – – und zwei andere Arme sanken zur Seite, – – so starb Steuermann Swensen, der wahrscheinlich nie Swensen geheißen hatte, der wahrscheinlich nie Steuermann gewesen …
Dann schnellte der Indianer empor und flog davon, – ich bückte mich, riß Bully zurück, er gehorchte und knurrte nur dumpf.
Maerkers Prellschuß gegen die Stirn war ungefährlich. Dieser Mann ohne Beruf hatte auch hier seinen Mann gestanden, gerade hier hatte Hampels Rotte angegriffen, und die zähnefletschenden Gesichter von drei toten Chinesen dicht vor dem Felsen und drüben in den Schneewehen ein paar dunkle Klumpen und schmerzliches Stöhnen aus einer der Wasserrillen besagten genug.
Maerker erwachte, als ich ihm Brandy einflößte und den Fleischriß verband. Er blickte etwas wild um sich … „Na – wie steht es, Abelsen? Es war ein Herren-Einzelspiel, und die Tennisbälle saßen, wo sie sitzen sollten, nur der lange Kerl wurde mir unbequem, und da flog Bully ihm ins Genick …“
„Ich will nach Lizzie sehen, Maerker … Aber passen Sie noch gut auf, – die Kerle können wiederkehren …“
„Tote kehren nicht zurück“, meinte er sehr wurstig und nahm seine Büchse vom Boden auf …
– Lizzie hatte als einzige wirklich Pech gehabt. Es war nur ein Fleischschuß durch den linken Unterarm, und sie hatte schon selbst ihr Taschentuch als Verband benutzt, auch Samson war schon bei ihr gewesen.
Sie saß mit dem Rücken gegen einen Stein gelehnt da … und weinte bitterlich.
Ihre Nerven streikten.
Ein Wunder?! In ihrem Schußfeld zählte ich acht reglose Klumpen …
„Es war schrecklich, Olaf …“, sie schmiegte sich an mich wie ein scheues Vögelchen. „Es war grauenhaft, Olaf … Haben Sie es denn nicht bemerkt: Die Leute waren betrunken, Eskimos und Indianer! Nur deshalb liefen sie uns wie eine Hammelherde in die Kugeln!! Oh – – dieser Hampel, dieser Schuft!!“
Auch ich bekam das Würgen in der Kehle, aber es war Wut, grimme, tolle Wut …
Hampel durfte nicht entfliehen …
„Sahen Sie ihn, Lizzie?“
Sie hielt mich noch immer umklammert, und ich fühlte ihr warmes Blut aus dem durchschossenen Arm in meinem Nacken.
„Olaf, – – es ist kein Mensch, es ist ein Teufel, Olaf!! Nein – ich sah ihn nicht … Ein Mensch wie er wird sich hüten, sich selbst preiszugeben …“
Ich trug sie dann zum Lagerfeuer … Ich hörte noch zweimal von Maerkers Südseite her Schüsse, ich rief Bully herbei, – die Zughunde lagen faul und dickgefressen und gleichgültig eng beieinander in einem Winkel.
Maerkers Zurufe bewiesen mir, daß er die Felsen durchstöberte … Und wieder schoß er nochmals, und aus einer Tanne krachte ein Körper herab …
Lizzie schrie auf und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Der Mann ohne Beruf brüllte herüber:
„Das war wohl der letzte … Schicken Sie mir Bully, Abelsen … Ich will doch mal sehen, wo unser allerintimster Freund Staffy eigentlich steckt und das Samson dort …“
Ein Knistern im Feuer ließ mich aufblicken … Keiner von uns hatte in den letzten Minuten auf den Himmel geachtet, der Wind hatte gedreht, und es schneite …
Schneite Riesenflocken, – – immer dichter, immer toller, – immer kälter wurde es … Vielleicht sank hier das Thermometer in Minuten um zehn Grad, und das ist keine Seltenheit in der Übergangszeit zum Winter. Morgen konnte bei Südwind wieder jeglicher Schneerest getilgt sein.
Konnte … – Aber dies war kein neckischer Septemberschneesturm, der nur den Winter vortäuschte. Dies war ein Unwetter, daß wir schleunigst das große Zelt aufbauten und hineinschlüpften und die Handschuhe vorsuchten und an Pelzsachen überzogen, was nur vorhanden war. – Maerker hatte mitten im Zelt ein kleines Feuer angefacht und ging dann mit dem Thermometer ins Freie. Wie ein Schneemann kehrte er wieder zurück.
Er las die Grade ab und verkündete dumpf: „Fünfzehn – – fünfzehn Grad!“
Wir drei dachten an die Ärmsten, die da draußen im Schnee verwundet lagen und nun hinüberschlummerten in das große Nichts. – Suchen?! Bei dem Schneesturm?!
Lizzie lag stumm da. Wir hockten am Feuer und hörten den Nordorkan in den Tannen pfeifen und zischen und ächzen und brausen. Wir horchten … immer wieder … Wo war der Yellowknife?! Er kam nicht … Und er hatte nur den leichten Lederanzug an.
Als Maerker mit Lizzie eine Unterhaltung beginnen wollte und dabei eine seiner beliebten Redewendungen einstreute, fauchte sie ihn gereizt an:
„Schweigen Sie!! Sie haben kein Herz!“
Armer Doktor Maerker …! Und ich hatte mir eingebildet, Lizzie und er hätten längst die schmale Grenzlinie der Kameradschaft überschritten und gemeinsam einen Blick in das Wunderland der Liebe getan.
Maerker schaute erst starr geradeaus, dann wandte er wieder den Kopf. „Ich werde Ihnen beweisen, daß ich ein Herz habe, Lizzie! Wenn Sie glauben, daß ich nur billige Witze reißen kann, Sie irren sich!“
Er erhob sich und raffte einen Pelzrock, zwei Pelzhosen und eine Wolldecke auf.
Ich packte ihn.
„Wo wollen Sie hin?! Seien Sie kein Narr!!“
„Narren suchen Samson nicht, aber ich werde ihn suchen …“
Und da geschah zweierlei: Aus Lizzies Ecke kam ganz sanft ein flehendes: „Bitte, bleiben Sie!“, – und der Zeltvorhang bewegte sich, und eine weiße hohe Gestalt trat ein: Samson …!
Schüttelte sich, klopfte den Schnee ab und zog dann vorsichtig aus der Innentasche des Lederrockes ein Papier hervor …
Es war die Urkunde, die wir am Oil-River unterschrieben hatten.
„Woher hast du sie?“, fragte Maerker argwöhnisch, und zählte Samsons Gürtelperücken.
Der Yellowknife reichte Lizzie das Papier, setzte sich und stopfte gelassen seine Holzpfeife, nahm ein glühendes Aststück, blies den Rauch feierlich gen Westen, Norden, Osten, Süden und erwiderte:
„Ich fürchte, Hampel lebt nicht mehr … Als ich mich von ihm verabschiedete, antwortete er nicht. Er war zu stolz dazu, er hing auch ganz hoch an einem Ast einer halb abgestorbenen Tanne.“
Wir fragten nicht nach den Einzelheiten.
Als der Tee fertig war, aßen und tranken wir und legten uns dann zum Schlafe nieder.
Am Morgen schneite es nur noch ganz wenig, aber die Temperatur blieb den Vormittag über unter Null[18], und als die Sonne verschwand, zeigte das Thermometer wieder zwölf Grad.
Draußen lagen anderthalb Meter Schnee, gefallen in einer Nacht …
Der Winter war da.
So ist das Nordland.
Mit unseren zwei Schlitten zogen wir nun gen Norden, fünf Tage, fünf Nächte, und dann kam am Abend des sechsten die schwarze, pechschwarze Wolkenwand von Nordwest herauf, und … wir hungerten. Wir hatten schnell die Zelte aufgebaut, das kleine für Lizzie, das große für uns, und Bully und ich wollten noch rasch nach irgend etwas Eßbarem uns umtun. Samson warnte mich, aber – wir hungerten. Dieses Land im Norden kann ein erbarmungsloser Henker sein.
Wir mußten Fleisch haben, mußten, und ich verließ mich ganz auf Bullys feine Nase, dem man bereits die Rippen fühlen konnte. Einen unserer Ziehhunde zu schlachten, war ebenfalls nicht möglich. Wir brauchten jeden einzelnen, denn ohne Hunde würden wir das Wrack nie erreichen. – Die Wolkenwand kam langsam höher. Ich berechnete, daß ich noch zwei Stunden Zeit hätte. Ich wandte mich nach Osten, wo ein dünner Waldstrich zu sehen war. Samson hatte mir Schneeschuhe gefertigt, und als wir, Herr und Hund, kaum den Wald erreicht hatten, sah ich Elchfährten und Bully zog wie unsinnig an der Leine. Ein Elchbulle hatte sich abseits im Weidengestrüpp niedergetan, zwei Elchkälber bekam ich ebenfalls in Schußnähe. Das Büchsenlicht war schlecht, aber die drei Tiere fielen doch im Feuer, und ich schleppte die Elchkälber rasch zu dem toten Bullen und hieb von dem einen die Hinterviertel eiligst ab. Zu meinem Schreck krümelte es bereits mit Schnee, als ich mit etwa anderthalb Zentner Fleisch den Rückweg antrat, der nie ein Rückweg werden sollte. Dann fielen die Flocken dichter, der Sturm brach los, und anstatt mich irgendwo in den Schnee einzugraben und abzuwarten, bis das Unwetter vorüber, trieben mich lächerlicher Ehrgeiz und lächerliche Selbstüberschätzung in der Richtung weiter, wo ich unser Lager vermutete. Und jetzt, wo ich am Ende meiner Kräfte war, da ich hartnäckig das Fleisch noch immer schleppte, stolperte ich plötzlich einen steilen Hang hinab, schlug hin und rutschte auf dem Bauche in sausender Fahrt abwärts, und rappelte mich auf und hörte das Krachen und Splittern und Bersten sturmgepeitschten Treibeises. Bully zerrte wie unsinnig an der Leine, – ich hörte das Meer, und diesmal verließ ich mich ausschließlich auf Bullys Instinkt …
Eine Stunde qualvollen Kletterns – – und ich hatte das Wrack gefunden!
Ich war gerettet …
Ich sitze hier im Warmen …
Von den Freunden sehe ich nichts mehr …
Nach Osten zu liegt das jetzt erstarrte Meer – alles andere ist weiße Wüste …
Einsiedler auf Kap Lathurst, – und dieser Einsame sitzt noch immer und schreibt und sorgt sich um die Kameraden. Wenn ich nicht wüßte, daß Samson bei ihnen ist, dann würde ich verzweifelt Tag für Tag gesucht haben, – so aber hoffe ich … Maerker ist ja schließlich auch ein ganzer Kerl, und die drei werden mit dem Schlittengespann schon irgendwo sichere Zuflucht gefunden haben, denke ich, und vielleicht wie ich irgendwo in einer Bucht am Meere Seehunde fangen und Fische angeln und sich durchschlagen, bis ein Zufall uns wieder zusammenführt.
Es ist totenstill umher …
Am 13. September 1913 strandete der Walfänger „Alaska“ hier. Morgen ist der 13. Oktober, und mehr als ein Jahrzehnt liegt dieses Wrack festgekeilt zwischen Felsen und ewigem Eise. – Dreizehnte Oktober … Zuweilen bringt selbst diese Zahl Glück. Zuweilen …
Ich werde noch im Bett lesen, und dann werden in meinen Träumen wieder die blonden Eskimos von der Viktoria-Insel umhergeistern neben dem verschollenen, doch nicht gehenkten Millionenerben und seiner Tochter Lizzie. –
Nach unruhiger Nacht begann ich an 13. Oktober meine gewohnte Morgenarbeit mit einiger Unlust. Ich wollte mit Bully wieder einmal auf das Eis der Bucht hinaus und nach Eskimoart den Robben nachstellen. Als wir das Wrack, das nur einem Schneehügel gleicht, in dessen Ostseite ein Loch gegraben und eine Eistreppe hergestellt ist, mit unseren Fanggeräten verließen, mochte es gegen zehn Uhr vormittags sein.
Wir wanderten gemächlich zum ersten Fangloch. Mit dem Beil hieb ich die frische Eisschicht weg und holte die Leine ein. Sie hatte zwölf Haken in Abständen von einem halben Meter. Erfolg: Zwei prächtige Lachse von gut fünfzehn Pfund. – An den anderen drei Leinen hatte jedoch ein Seehund Pirat gespielt, – und die Köpfe von fünf weiteren Lachsen hingen noch an den Haken. Also hatte sich doch wieder ein unliebsamer Kompagnon eingefunden, dem ich schleunigst das Fell über die Ohren ziehen mußte, wenn nicht meine Fischerei zwecklos sein sollte. – Ich ließ Bully an jedem Atemloch Witterung nehmen. Dasjenige, das am weitesten nach Norden zu lag, schien das richtige zu sein. Die Eisschicht zeigte eine Öffnung, gerade groß genug, den Kopf eines bärtigen Seehundes durchzulassen. Gerade hier hatte ich den Schnee zu einer drei Meter hohen Schanze aufgetürmt, so daß ich gute Deckung fand. Wir warteten eine Weile, der Seehund kam auch einmal nach oben, schien jedoch Verdacht geschöpft zu haben, und sackte schleunigst wieder nach unten.
Ich wußte: länger als vier Minuten würde er es, da er nur flüchtig Atem geholt hatte, unten nicht aushalten, – Alle anderen Löcher waren verstopft!
Ich hielt die Harpune, an deren Stiel die lose aufgerollte Leine hing, wurfbereit.
Das Wasser in dem Atemloch überzog sich bereits wieder mit Eis, – dann stieß der Seehund mit dem Kopf hindurch, und diesmal wäre es um ihn geschehen gewesen, wenn nicht eine fremde Hand von der Höhe der Schneeschanze herab den Harpunenstiel ergriffen hätte.
„Lassen Sie das Tier am Leben, Mister“, sagte eine tiefe Stimme …
Überall anderswo hätte dieser Zwischenfall, dieses plötzliche Erscheinen eines Fremden nicht viel zu bedeuten gehabt. Hier erschreckte es mich derart, daß ich gänzlich verwirrt herumfuhr und in ein Männergesicht starrte, das mir mit seinen tiefen, finsteren Falten und den strengen harten Augen nichts Gutes verhieß.
Es war ein Europäer mit ganz kurz geschnittenem grauen Bart, wie ich in Pelz gehüllt, wie ich mit Büchse und Pistole bewaffnet. Aber meine Büchse lag abseits, und im Augenblick hatte ich nur die Harpune zur Hand, während der Fremde in der Rechten seine öltriefende Coldpistole, halb emporhielt. Seine Pelzhandschuhe hatten (wie üblich) für den Zeigefinger einen besonders eingenähten dünnen Lederfinger zum Bedienen der Schußwaffen.
„Wer sind Sie?“, fragte er schroff.
Seine ganze selbstherrliche Art mißfiel mir gründlich, seine Pistole noch mehr.
Der Mann war groß, größer als ich, und er hatte mir gegenüber den zweiten Vorteil – außer der Pistole –, daß er auf der Schneeschanze stand.
„Und Sie?“, – Unhöflichkeit gegen Unhöflichkeit!
Seine Augen zogen sich drohend kleiner.
„Antworten Sie!“, sagte er noch barscheren Tones. „Wenn ein Weißer hier allein bei Kap Lathurst Seehunde fängt, kann es nur ein Narr oder ein Verbrecher sein.“
„Weder das eine noch das andere“, – ich lachte ihn harmlos an … „Vielleicht sind Sie einer von …“
Und dann fuhr die Harpune blitzschnell empor, schlug ihm den Arm zur Seite, und gleichzeitig flog Bully ihm wie ein Gummiball an die Kehle, und Mann und Hund rollten auf der Südseite der Schneeschanze auf das Eis. Im Nu war auch ich drüben, rief warnend: „Rühren Sie sich nicht! Der Hund zerfleischt Sie!“
Ich nahm ihm die Pistole weg, dann zog ich Bully zurück.
„Stehen Sie auf!“
Er erhob sich. Er lachte dabei – so ein eigentümlich trockenes, gutmütig-nachsichtiges Lachen.
„Das haben Sie nicht schlecht gemacht“, meinte er ohne jede Gereiztheit. „Ein vorzüglicher Hund auch … – Sie gefallen mir.“
Er betrachtete mich genauer. „Sind Sie Engländer? – Es scheint nicht so … Wir können übrigens die Unterhaltung besser im Wrack der „Alaska“ fortsetzen … Mein Sohn ist mit den Hunden und Schlitten dort, und Ihre Anwesenheit hier wird ja hoffentlich eine einleuchtende Erklärung finden. – Geben Sie mir meine Pistole zurück. Sie können kein schlechter Mensch sein, und wir wollen Frieden schließen.“
Wäre er nicht um so vieles älter gewesen als ich, würde ich grob geworden sein. – Wer war der Mann?! Ein Walfänger?! Von einem Fangschiff? – Nein, die Walfänger, die auf der Herschel-Insel ihr Hauptquartier haben, mußten längst daheim sein. –
„Frieden, Mister?!“ Ich trat etwas zurück. „Sie haben mich bedroht, nicht ich Sie, und Ihr Benehmen ist nicht gerade dazu angetan, mich …“
Er lachte wieder. „Reden Sie doch nicht so viel, – es ist ja Torheit, sich hier in der Wildnis des Nordens wie bissige Köter anzuknurren …! Beantworten Sie mir nur eine Frage … Wie kamen Sie in den Besitz dieses Taschentuches, das da in der Kajüte auf Ihrem Schreibtisch lag – neben Ihrer Schreiberei, die ich nicht lesen kann …“
Er holte eins von Lizzies Taschentüchern mit buntem Rand und sauber eingesticktem Monogramm hervor. Er breitete es mit zärtlicher Sorgfalt auf seiner linken Hand aus und blickte mich forschend an.
Er hätte nichts mehr zu sagen oder zu fragen brauchen.
Ich rief atemlos, – und er hörte wohl, wie erregt ich war:
„Sind Sie etwa Edward Gondaloor, Lizzies Vater?!“
„Ja …“ Und er beugte sich vor. „Ja, der bin ich … Sie kennen Lizzie?“
„Ich war fast ein halbes Jahr mit ihr auf der Suche nach Ihnen, Mr. Gondaloor!“
„So?!“ Seine Augen weiteten sich. „Und Sie sind – – wer?!“
„Der Bevollmächtigte der Behörden in Kalkutta, die das Erbe Ihres Bruders Ernest verwalten …“
Er senkte den Kopf. „Merkwürdig …! Und Lizzie?“
„Muß sich hier irgendwo in der Nähe in Gesellschaft zweier zuverlässiger Männer befinden, Mr. Gondaloor. Ein Schneesturm trennte mich von den Freunden vor etwa vierzehn Tagen …“
Edward Gondaloor murmelte leise, und ich fühlte deutlich, daß die Sorge um seine Tochter ihn schwerer bedrückte, als er es zeigen wollte:
„Es wäre auch sehr hart vom Schicksal, wenn ich so bitter bestraft werden sollte. Ich war ein schlechter Vater, – ich ließ meinen Sohn aus erster Ehe damals in Winnipeg zurück, – – und erst das graue Haar weckte mein Gewissen … Nun habe ich den Sohn gefunden und die Tochter vielleicht verloren – – um nichts, um dieses lächerlichen Goldes wegen …“
Er tat mir leid. – Was ich über ihn bisher vernommen hatte, war nicht viel Gutes. Jetzt glaubte ich zu begreifen, weshalb dieser Begründer von Goldy Lake City, dieser Pionier der Wildnis stets so herb verschlossen und rauh sich gezeigt hatte. Seine erste Frau war eine Indianerin gewesen, – nie hatte er Lizzie erzählt, daß er aus dieser Ehe einen Sohn besäße … Und dann war das ständig nagende Gewissen für ihn schließlich zur unerträglichen Qual geworden. Er mußte insgeheim Nachforschungen nach dem Verbleib seines ersten Kindes angestellt haben, und als er sichere Kunde erhielt, wo er ihn finden könnte, fand sich auch ebenso heimlich Ben Walky in der Siedlung ein, und … – was weiter?! Das konnte nur er selbst mir beantworten.
Gondaloor raffte sich auf. „Kommen Sie, Mister … Als ich … dieses Taschentuch vorhin erkannte, ahnte ich Schlimmeres … Hoffentlich haben Sie recht, daß mein Mädel noch lebt … Dieses Land ist grausam, das wissen Sie …“
Er streckte mir die Hand hin. „Vorläufig danke ich Ihnen … Gehen wir … Mein Sohn wartet …“
Vor dem Wrack lagerten zwanzig kräftige Schlittenhunde, zwei Schlitten standen vor der Treppe, hoch bepackt, und auf den Eisstufen stand – ich traute meinen Augen nicht! – der Yellowknife Samson, mein guter Freund, und zum ersten Male sah ich ihn … lächeln, fast so humorvoll lächeln, wie Doktor Maerker dies konnte.
„Samson, du?!“ – und ich schaute ihn an, schaute Gondaloor an …
Freund Samson sagte belustigt: „Charles Edward Ernest Gondaloor, – das stimmt besser, Mr. Olaf … – Vater, du darfst es mir nicht verargen, daß ich dir die Überraschung gönnen wollte, Mr. Abelsen so kennen zu lernen, wie er wirklich ist …! Und daß ich über Lizzie schwieg, Vater: Auch das sollte eine Überraschung werden! Lizzie und Doktor Maerker befinden sich fünfzig Meilen nach Südwest zu in einer meiner Blockhütten … Jeder von uns hatte seine kleinen Geheimnisse, – – morgen oder noch heute abend werden wir bei Lizzie sein!“
In der Kajüte haben wir drei gesessen und als Männer über Vergangenheit und Gegenwart gesprochen, über einen Roman, den das Nordland dichtete … Über den indianischen Fallensteller Samson, der seine wahre Herkunft kannte und der sie verschwieg, der hier hoch im Norden sein Jagdrevier hatte und der in den Sommermonaten auch nicht müßig war, – der heimlich dreimal in Goldy Lake City weilte, um Vater und Halbschwester von ferne zu sehen, – der durch andere Fallensteller erfuhr, daß sein Vater nach Samson, dem Yellowknife, suchte, und der dann gestern abend hier wie von ungefähr dem Vater begegnete, der drüben am Horton sein Winterquartier hatte und den Sohn finden wollte …
Roman des Nordens, der weiten Wälder, der steinigen Prärie, des weißen, endlosen Winterlandes!
Der alte Gondaloor sprach wenig. Was er erzählte, war nur wieder ein Ausschnitt aus einer jener Tragödien, die selbst vor der Wildnis nicht halt machen, die sich mit ihr vereinen zu blutigem einsamen Spiel der Kräfte und Leidenschaften …
„Jener Walky, der mich da in die Ferne zu locken meinte, hatte noch einen zweiten Schurken gleichen Kalibers bei sich, Mr. Abelsen … Es stimmt schon, daß am Oil-River jemand aufgeknüpft wurde: Das war jener Sam Gunter, Walkys Spießgeselle.“ Steinhart war Gondaloors Stimme, steinern sein Gesicht. „Morden wollten sie mich, hatten schon die Schlinge geknotet, den Riemen am Ast befestigt, – nur daß ich ihnen von Anfang an mißtraut hatte … Walky entfloh, der andere baumelte. Und Walky belog also nachher aus Angst diesen Staffy Hampel und tat so, als hätte er seinen Part der großen Schurkerei erledigt … – Dann bin ich weiter nach Nordost gezogen, den Sohn heimzuholen ins Vaterhaus … Am Ufer des Horton im Süden steht mein Blockhaus, von dort aus durchquerte ich die Wälder …“
„Und dort … sah ich dich, Vater“, nickte Ernest Gondaloor, der jüngere … „Ich sah dich, und ich richtete es so ein, daß wir uns gestern begegneten … Auch Abelsens Unterschlupf hatte ich inzwischen entdeckt, – er sollte mit uns zurück zu Lizzie und Maerker … – Ich denke, wir brechen auf.“
Er erhob sich und griff nach seinem Pelzrock.
An seinem Gürtel hing nicht eine einzige Perücke mehr.
Er spürte wohl meinen Blick … warf den Kopf ohne Scham zurück. „Abelsen, Sie vermissen die Skalpe …! – Abelsen, ich sah euch im Umiak gefesselt auf dem Oil-River schwimmen, hinter euch das brennende Petroleum … Und in dem Umiak saß auch Lizzie, meine Halbschwester. Während ich da den Ölfluß durchschwamm, um euch zu retten, habe ich den tödlichen Haß gegen diese Mörderbrut brennender im Hirn verspürt als die Hitze des lohenden Öls, und da habe ich mir zugeschworen, diese Brut auszutilgen, wie es einst meine Ahnen mütterlicherseits taten, und das waren Irokesen von den großen Seen im Süden. Den Schwur habe ich gehalten, Abelsen, – – vielleicht verstehen Sie jetzt auch diesen meinen Rückfall in barbarische Zeiten … Verdient hatten Staffys Gesellen dieses Schicksal, zu bedauern waren nur die erkauften, betrunkenen Angreifer jener Nacht, – – Sie wissen … – es war kein Kampf, und Sie wissen auch: Lizzie weinte! – Alles wissen Sie nun, auch weshalb ich durchaus hier nach Norden wollte: Mein Vater war hier, und der Sohn suchte den Vater, weil der Vater den Sohn gesucht hatte …“
Die beiden Gondaloors standen nebeneinander, beide gleich groß, beide schlank, sehnig, wie aus Erz gegossen.
Beides Männer, die nun unter Vergangenes den Schlußstrich gezogen hatten, beide beseligt durch die Wiedervereinigung, beide zu hart, um dies durch eine herzlichere Gefühlsäußerung zu zeigen.
Sie gaben sich nur die Hand, schauten sich still an, und der Alte meinte rauh:
„… Wir werden in Goldy Lake City sehr glücklich sein … Mein ist das Land dort auf viele Meilen, mein ist das Geld, und dieses Erbe meines Bruders soll aus Goldy Lake City eine Stadt entstehen lassen – unsere Stadt, Ernest, und wir werden bleiben, was wir waren: Kinder der Wildnis, – – Kinder am Rande der Wildnis, die meinen längst gehegten Wunsch in die Tat umsetzen: Eine Renntierfarm, eine Karibufarm, wie ganz Alaska sie bisher nicht gesehen hat! – – Spannen wir die Hunde ein, packen Sie Ihre Sachen, Abelsen. Ich will meine Tochter begrüßen.“ –
Zwei Schlitten glitten in windschneller Fahrt gen Südwest … Bully trabte nebenher, und als wir im Dämmerlicht der Polarnacht vor uns einen Streifen Tannen bemerkten, hielt Ernest Gondaloor seinen Schlitten an.
„Vater, dort in den Tannen steht das Blockhaus … Falls du Lizzie gern …“
Vielleicht wollte er vollenden: „… gern überraschen möchtest.“ –
Die Überraschung war anderer Art.
Der dünne Knall eines Schusses kam durch die eisige Winterluft wie das kurze Pfeifen einer Hundepeitsche …
Eine Hundepeitsche fegte über Hunderücken, zwei Schlitten rasten weiter, drei fiebernde Männer lauschten, vernahmen abermals Schüsse, – – flogen aus den Schlitten, sprangen von Baum zu Baum, eine Anhöhe hinan, drüben den Abhang hinab …
Und gerade da lohte vor der Tür der Blockhütte im Tale ein Feuer harziger Äste auf, Flammen schossen empor, rötliche Glut funkelte in vereisten Fenstern …
Und Arm in Arm standen vor der verschneiten Hütte Lizzie und der übermütige Erich Maerker, – – Arm in Arm, Hand in Hand, Jugend bei Jugend, und Maerkers klare laute Stimme schallte uns entgegen:
„Hallo, Samson, – – bist du es?! Wir verknallen hier deinetwegen Patronen …! – Wen bringst du da?“
Gondaloor, Vater und Sohn, traten vor.
Ich hielt mich zurück. Meine Hand betastete meine Schläfen unter der Pelzkappe. Ich wußte – diese Jahre abseits vom Alltag hatten das Haar dort gebleicht, und ich hatte verzichten gelernt.
Jugend zu Jugend …
Mochten sie glücklich miteinander werden! –
Ich lockte Bully, und wir beide stiegen wieder den Abhang empor und kehrten zu den Schlitten zurück. Nachdenklich schaute ich auf die Hunde, die sich eng zusammengedrängt hatten, um sich gegenseitig zu wärmen. Einzelne Windstöße pfiffen über die Ebene und wirbelten Schneefontänen empor, die wie Gespenster davonritten und wieder in sich zusammensanken.
Nachdenklich …
Sollte ich nicht einen der Schlitten besteigen und davonjagen – dorthin, wo die bleichen Knochenmänner mir friedlich Gesellschaft geleistet hatten im Wrack der Alaska?!
War meine Aufgabe nicht erfüllt?! Das Erbe der Gondaloors hatte seinen Erben gefunden, – Lizzie hat ihr Herz verschenkt, und vier Glückliche würden heimwärts reisen nach Goldy Lake City, der Stadt der Zukunft, der großen Karibufarm der Zukunft … –
Mein Entschluß war gefaßt. Ich packte meine Sachen auf den einen Schlitten, ich wollte gerade die Hunde antreiben …
„Olaf!!“
Die Stimme hielt mich.
Lizzie kam atemlos herbei. Atemlos stand sie vor mir …
„Olaf, – wollen Sie uns verlassen?“
Ihre Augen blickten mich an mit der Reinheit des Kindes, das nicht ahnt, wie bitter weh es quälen kann …
„Olaf, Sie sind doch mein bester Freund, – Sie müssen bei uns bleiben …“
Ihre Arme schmiegten sich um meinen Nacken.
Sie lächelte glücklich …
„Wir alle haben Sie gern, Olaf … Und – – ich … doch am meisten … als Freund, – – Sie dürfen mir diese glückliche Stunde nicht zerstören … bitte … bitte …“
Und dann küßte sie mich, nahm mich bei der Hand, zog mich lachend mit sich fort … – –
Am Gold Lake[19], an dem schmalen langen See von Goldy Lake City, hause ich nun in einem neuen Blockhaus – – nur mit Bully …
Am Ufer des Sees vor meiner Hütte liegt ein Fellboot, hergestellt aus der Lederhaut des großen Umiak, das uns einst den Oil-River hinabtrug.
In diesem Boot rudere ich zuweilen zu Gondaloors Heim hinüber … Es ist ja wieder Sommer geworden, und Lizzie ist längst Frau Maerker und wohnt südwärts in Winnipeg. Die beiden Gondaloors, Vater und Sohn, möchten mich hier für immer festhalten, suchen mir den Gedanken auszureden, im Herbst wieder zur Küste zu wandern, und dann bis zum Lande der blonden Eskimos vorzudringen. Aber sie werden kein Glück damit haben … Eines Tages, vielleicht sehr bald, werde ich ohne Abschied verschwunden sein … Ich habe sie darauf schon vorbereitet. In meinem Blut ist wieder die alte Unruhe, – – was ich mir vornehme, davon bringt mich niemand ab. Nur eins werde ich mitnehmen außer Bully: Das Fellboot …! Drüben über den Bergen fließt ein Bach dem Mackenzie zu …
Ich habe dieses Land der kurzen Sommer und der langen Winter lieben gelernt, und ich möchte den Traum der nordischen Wildnis noch einmal träumen …
Vielleicht finde ich das andere Land jenseits des Eismeeres, wo blonde Eskimos ihre Geheimnisse hüten sollen …
Vielleicht …
Und selbst wenn dieses andere Land für mich zum Lande des Jenseits werden sollte, wenn meine Gebeine schließlich irgendwo bleichen sollten, wo niemand sie jemals entdeckt: Das Unbekannte lockt, und die träumerische Stille jener verschneiten Tannenwälder und vereisten zähen Weidenbüsche und steinigen Prärien schenkt mir doch vielleicht einen neuen holden Traum, wie … Lizzie es war, – – einen Traum der Wildnis …
Anmerkungen: