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Der Stern von Kabinur

 

 

Harald Harst: Aus meinem Leben

 

Band: 263

 

Der Stern von Kabinur

 

Erzählt von

Max Schraut

 

1. Kapitel.

Der faule Dicke.

„Es ist und bleibt ein Drecknest,“ sagte Inspektor Baat mit Groll und Verachtung. „Hierher kommandiert zu werden, nur weil da angeblich in Bombay in einem Hotel, das ein Europäer bewohnt hatte, ein Zettel mit einer genauen Skizze des Nagar-Palastes gefunden wurde, ist ein Verbrechen.“ Der dicke, riesige Detektivinspektor Charly Baat stöhnte mit Nachdruck und sog wütend an seinem Eisgetränk.

Harst erwiderte aus der Tiefe seines Liegestuhles, in den Hotelgarten hinabspähend: „Mr. Baat, wer war der Europäer?“

„Ein Kerl mit einem Phantasienamen … – Sagen Sie doch selbst, Mr. Harst, es ist doch eine glatte Unmöglichkeit, in die Keller des Nagar-Palastes vorzudringen. Der Fürst hält hier in Baroda eine Polizeitruppe von dreihundert Mann, eine Leibgarde von rund tausend Mann, und der Nagar wird Tag und Nacht so scharf bewacht, daß Seiner Hoheit auf drei Millionen Pfund Sterling geschätzte Juwelen wirklich sicher sind. Aber die Sache ist die, unter uns bemerkt: Man liebt mich in Bombay nicht übermäßig, meine Herren Obermacher halten mich für stinkend faul, ich soll einen zu großen Mund haben, ich soll … ach, was soll ich nicht alles!! Jedenfalls hoffen die Herrschaften, ich werde in diesem Glutofen von Residenz etwa dreißig Pfund abnehmen und dann bescheidener werden! Welche Dummheit! Ein hagerer Mensch ist temperamentvoll, ich mit meinen 200 Pfund bin eine Schnecke – auch mit Fühlhörnern …“

Wir schmunzelten. Baats Herzensergüsse war der einzige Trost in diesem Elend. Wir hatten ihn vorgestern kennen gelernt, als er mit seinem Motorboot den Wismamintui-Fluß hinaufgekommen war und wir beide in einem Sampan die Wohnschiffe der armen Hindus besichtigt hatten. Baat rief uns an, und wie stets auf abgelegenem Posten schlossen wir uns rasch aneinander an.

Seinem Motorboot …! Ein Ding für sich. Es war ein Zinkrettungsboot von irgendeinem abgewrackten Dampfer. Baat hatte es gekauft und eigenhändig, so erzählt er stolz, einen sehr starken Motor eingebaut. Dieses Fahrzeug verdiente den Namen Benzinstänker mit demselben Recht wie etwa die Bezeichnung Äppelkahn, denn abgesehen von seiner Schnelligkeit war es ein ganz unmögliches Bauwerk. Baat hatte nach eigenem Geschmack eine Kabine gezimmert – alles aufs billigste, aus Kistenbrettern, die er mit alter Ölleinwand bespannt hatte. Mit diesem Ungeheuer war er, um die Reisespesen einzusäckeln, von Bombay bis Baroda gekommen, nur einen chinesischen Bengel als Bootsjungen mit im Kahn und seinen Hund … Zum Glück paßte sowohl der Boy als auch der ruppige fette Köter, ein mißglückter schottischer Schäferhund, zu dem Kahn und zum Besitzer, der auf sein Äußeres nicht viel gab, – man kann getrost sagen, Charly Baat sah immer schmierig und unrasiert aus und seine Hände bewiesen, daß der Motor häufig streikte. „Lady Hamilton“ hatte er seinen Benzinstänker getauft – ausgerechnet! Die schöne Lady Hamilton und ihr geliebter Lord Nelson hatten sich sicherlich in ihren Gräbern mehrfach umgedreht, als Baat den Namen in Hellblau an die einst graue Bordwand malte.

Baat nahm wieder sein Glas zur Hand und sog mit eingezogenen Backen an dem Strohhalm. Er mochte dreißig Jahre alt sein, – seine besonderen Kennzeichen waren: Bartloses, schwammiges Gesicht, kleine Augen, dicke Himmelfahrtsnase mit Nasenlochhaarschmuck und eine borstige gelbrote Tolle mit vorgetäuschter Scheitellinie. – Zu seinen Füßen lag sein Prachthund, am Ledergurt seiner weiß gewesenen Beinkleider trug er ein Pistolenfutteral, das er als Zigarrentasche benutzte. Auf meine Frage, ob er nie eine Waffe bei sich trüge, hatte er mich erstaunt angesehen. „Wozu?!“ Und dann hatte er die Arme gehoben und die Fäuste geballt. Für die Fäuste gab es keine Handschuhnummer.

Er stellte das Glas wieder hin. „Wenn ich Sie wäre, Mr. Harst, würde ich abreisen. Oder bilden Sie sich ein, dieser Schüttelkopp[1], oder wie der Halunke heißt, treibt sich mit den von ihm befreiten drei Gefangenen Goßwarras noch immer in dieser schönen Gegend umher?!“

„Vielleicht,“ nickte Harald zerstreut und beobachtete weiter den Tennisplatz des Hotelgartens, auf dem sich zu dieser späten Nachmittagsstunde ein paar Damen der spärlichen Europäerkolonie von Baroda hüpfend und schwitzend abquälten. Das Hotel King Edward ist in dieser „Residenz“ die einzige leidlich annehmbare Unterkunft. Wir kannten Baroda von früher her, wir hatten gehofft, daß in sieben Jahren auch hier die Kultur eingezogen sein würde … Es gibt kein erbärmlicheres Eingeborenenviertel als in dieser Hauptstadt eines Fürsten, der über ein jährliches Einkommen von über eine Million Pfund Sterling verfügt, also etwa 22 Millionen Mark!! Dieser indische Potentat führt den Titel Garkwar, auf deutsch „Kuhhirt“ – Tatsache. Schafhirt wäre richtiger, denn daß seine Untertanen in Schmutz und Armut dahinvegetieren und der Fürst sich in westlichen Metropolen mit Nachtbetrieb amüsiert, das – – nennt man Schafsgeduld. Aber das gehört schließlich nicht hierher. Oder – – vielleicht doch … Der Leser ist vorbereitet auf die unglaublichen Zustände, die wir später in diesem Black Town antrafen.

Wer Hinrich Schöttelkoff oder Schüddelkopp, wer Herr Ehrhard von Binger und Frau Susi Alferlan sind, wer Karl Murg ist (diese vier meinte Charly Baat mit den Flüchtlingen), dürfte noch bekannt sein. Im vorigen Band habe ich zum Schluß angedeutet, daß der große geduldige Verbrecher Schöttelkoff uns entwischt war. Wie er sich dann zu des Inders Goßwarra stillem Dschungeltempel geschlichen und die drei anderen noch rechtzeitig befreit hatte, erfuhren wir erst zu spät. Wir saßen nun hier in Baroda seit fünf Tagen fest und taten im Grunde gar nichts. Es schien, als ob Harald darauf wartete, daß die vier Herrschaften uns wie gebratene Tauben zufliegen würden.

Ich sagte daher zu dem dicken Inspektor: „Sie haben ganz recht, Mr. Baat, auf diese Weise werden wir die vier nie erwischen.“

„Kaum …“ Baat gähnte kräftig. „Indien ist groß … – Was interessiert Sie da eigentlich unten auf dem Tennisplatz, Mr. Harst? Ich habe mein Lebtag nicht Tennis gespielt, ich wog schon mit sechzehn Jahren 140 Pfund, und …“

„Der Gentleman,“ hatte Harald gelangweilt erwidert. „Sein Tropenanzug sitzt eins a …“

„Ach, das ist ja der deutsche Geschäftsreisende, der heute mittag eintraf,“ meinte Baat geringschätzig. „Ein richtiger Fatzke, – Monokel, seidenes Hemd, Bügelfalten, sauberer Kragen … Muck heißt er, und er macht in Motoren.“

Ich wußte noch nichts von dem Landsmann Muck. Ich erhob mich halb aus meinem Rohrsessel …

„Donnerwetter!“ entfuhr es mir … Das scharfe Profil kannte ich.

„Ein Fremder,“ sagte Harst da, – ich merkte seinem Tone an, daß „Muck“ nicht beachtet werden sollte.

„Ja, ein uns Fremder,“ und ich setzte mich wieder.

Baat gähnte abermals. „Wie schlagen wir den Abend tot?! Unten das Hotelkaffee ist unmöglich, der Kientopp erst recht … Fluch meinen Vorgesetzten!! In Bombay …“

Harst hatte eingeworfen: „Wäre es nicht angebracht, daß wir mal die Umgebung des Nagar-Palasts etwas in Augenschein nähmen?! Es wäre doch immerhin möglich, daß Ihre Behörde tatsächlich mit einem großangelegten Plan zur Beraubung der Schatzkammern rechnet … Hat man Ihnen denn die im Hotel gefundene Skizze nicht gezeigt, die der Unbekannte dort vergaß?“

Baat stöhnte. „Nun fangen Sie auch noch an!!“ Er griff in die Brusttasche und brachte einen versiegelten Umschlag zum Vorschein. „Dies Ding soll die Beweise enthalten, sagte mein Chef …“

„Und Sie haben den Umschlag noch nicht mal geöffnet?!“

Baats wässerige Äuglein wurden vor Unwillen ganz groß. „Die Herrschaften dort sind für Entmündigung wegen Geistesschwäche reif! – Sie haben den Nazar besucht, Mr. Harst, – nicht mal die Tresore der Bank von England sind so sicher wie die des Fürsten in die Felsen gesprengte Schatzgewölbe. Im übrigen sei bemerkt, daß ganz Baroda längst weiß, daß ich hier vor Anker gegangen bin … Ich mag eine Schnecke sein, aber ich betonte meine Fühlhörner … So dumm, wie ich aussehe, bin ich vielleicht nicht. Ich war in der verflossenen Nacht in Verkleidung unten am Bergabhang vor dem Palast …“

Harst konnte seine Überraschung nicht verbergen …

„Also sind Sie doch an der Arbeit …?“

„Ja …“

„Um so unbegreiflicher ich mir dann, daß Sie den Umschlag nicht öffnen …“

„So?!“ Und Baat lächelte ironisch. „Ich lasse mir nicht gern vorher Winke gegeben, ich winke schon selbst, wenn es nötig ist. Meine Augen und Ohren sind vorzüglich, und unter meinen gelben Schweineborsten liegt ein Hirn, das sicher seine vier Pfund wiegt, – möglich, daß es noch mehr wiegt.“

„Sie sind köstlich!“ rief ich lachend, denn dieser Fettwanst, der plötzlich seine fraglos überreich vorhandene Faulheit sanft umhüllen wollte, wirkte mehr als spaßig. Nie im Leben glaubte ich es ihm, daß er nachts verkleidet Dienst getan hätte.

Charly Baat sah mir diese Zweifel wohl an. „Denken Sie, ich habe mir ohne Grund das Erdgeschoßzimmer im Anbau geben lassen?! Na, da sind Sie schief gewickelt, Mr. Schraut. Ich tue keinen Schritt ohne Überlegung, ich habe nicht mal den Kopf ohne Zweck.“

Er hob jetzt nicht nur den Kopf, sondern reckte sich soweit hoch, daß er über die Verandabrüstung hinwegspähen konnte.

„Dieser Motor-Muck gefällt mir nicht,“ sagte er mißmutig. „Der patente Gent hat ebenfalls nächtliche Gelüste, und wenn jemand so tut, als ob er erst heute mittag hier in Baroda angelangt ist und im Gegensatz dazu schon in der verflossenen Nacht droben am Nazar-Bagh-Palast[2] im Mondlicht den Nachtigallen lauschte, dann … könnte man ja mal den Umschlag öffnen, meinen Sie nicht auch, Harst?“ Er fiel in seinem Sessel zurück, trat dabei seinem Musterhund auf den räudigen Schwanz, streichelte seinen „Monitor“ entschuldigend und riß den Umschlag auf. – Ich habe noch nie einen Hund namens Monitor gesehen.

„Hm – hier ist die Zeichnung, Mr. Harst … Darf ich nicht einfacher nur Harst sagen? – Und hier ist eine Hotelrechnung des Kerls sowie eine Photographie seiner Eintragung im Fremdenbuch, schließlich noch eine an einen Zettel geheftete Rasierklinge, die der Fremde in den Wascheimer geworfen hatte, wie auf dem Wisch vermerkt ist. – So, das wäre alles … Und auf den belanglosen Kram hin muß ich hier in dem verfl… Baroda meine Nachtruhe opfern und beobachten, wie Mr. Hans Muck aus Barmen, Vertreter einer Barmer Motoren-A.-G., den Nachtigallen lauscht!! Aus Barmen – zum Erbarmen!!“ fügte er auf deutsch hinzu, das er leidlich beherrschte.

„Geben Sie her …“ – Harst nahm den Umschlaginhalt in Empfang. „Ich will die Sache in Ruhe prüfen.“

Der dicke Baat grinste. „Ich weiß, Sie gehören zu den modernen Spürnasen, die mit abgerissenen Hosenknöpfen, Wollfäserchen und Ähnlichem arbeiten, wohl gar mit Fingerabdrücken …! Als ob heute noch ein Verbrecher so dumm wäre, keine Zwirnhandschuhe zu tragen!!“

Harst entgegnete scherzend: „Lieber Baat, Sie sind noch moderner als ich. Sie arbeiten mit einer Gabe, die selten ist: Mit der Verstellungskunst! Sie tun so, als ob Ihre Fettpolster jede Gedankentätigkeit lähmten und spielen den Faulen. Ich habe Sie nachts bewundert. Sie erkletterten die hohe Zypresse neben der kleinen chemischen Fabrik, die zugleich Drogerie ist, mit Affenfixigkeit, und ihr Chinaboy seilte Ihnen Fernrohr und Lampe ebenso geschickt an.“

Baat glotzte Harst verblüfft an. Ich nicht minder. Ich wußte nichts davon, daß Harst nachts das Hotel verlassen hatte, allerdings hatten wir getrennte Schlafzimmer.

„Sie … sind ein Diplomat!“ keuchte der Dicke dann. „Wissen Sie, was ein Diplomat ist? Ich las unlängst ein Bonmot von Mac Donald, dem Ministerpräsidenten: Ein Diplomat ist ein Mann, der das Geburtsdatum einer Frau kennt, aber niemals ihr Alter. – Wenn man diesen Ausspruch des Arbeiterführers richtig bewertet, findet man darin verschiedene geistvolle Feinheiten. – Sie Schwindler, weshalb rücken Sie jetzt erst damit heraus, daß Sie …“

„… Jedes zu seiner Zeit, Baat. Vergessen Sie nicht, Schöttelkoff, der nach der Millionenerbschaft angelte, hatte hier gute Beziehungen.“

Baat kniff die Augen klein und bekam Speckfalten auf der Stirn. „Wie meinen Sie das?!“

„Ich meine, daß er und die anderen drei sich in der Stadt verborgen halten. Ich will noch ehrlicher und noch weniger Diplomat sein: Schöttelkoff ist sicherlich hier, – ich fand eine Spur von ihm …“

„Welche?“ fragte der Detektivinspektor hastig, und seine Schweinsäuglein tasteten Harsts Züge übermäßig sorgfältig ab, als ob er meines Freundes undurchdringliche Miene durchlöchern wollte.

Harst schob seinen linken Ärmel hoch, öffnete den Manschettenknopf und klappte die Manschette um.

Auf seinem Unterarm sahen wir einen leichten Verband.

„Die Kugel ging durch das dicke Fleisch, Baat, und sie kam nur aus einem amerikanischen Preßluftkarabiner, Kaliber 6,9. – Sind Sie auch beschossen worden?“

Baat schnappte nach Luft. „Die Schufte …!! Wo erwischte Sie die Kugel?“

„In dem Gehölz neben der kleinen Fabrik. Ich hielt es für ratsam heimzukehren, ich blutete stark, – Sie saßen noch oben in der Zypresse mit Ihrem Fernglas. Wonach schauten Sie aus?“

Baat lächelte fast schelmisch. „Raten Sie!!“ – Als Harst die Achseln zuckte, erklärte der Inspektor leise: „Nach meiner Lady Hamilton …! – Man hat am Tage während Sifus Abwesenheit meinen Prachtkajüte erbrochen und in den Schränken das Oberste zu unterst gekehrt, jedoch nichts gestohlen.“

Er deutete mit dem Daumen über die Schulter nach den Tennisplätzen. „Ich glaube den Monsieur zu kennen, der so erfolglos nach Papieren und einer Rasierklinge suchte …“

„Ich auch …“ – und Harst steckte das „Belastungsmaterial“ in die Brusttasche und brachte Ärmel und Oberhemd wieder in Ordnung. – Meinten sie etwa Muck aus Barmen?! Muck war mir zur Zeit interessanter als alles andere.

 

2. Kapitel.

Pi Mo’s Krähen.

Ich hatte Herrn Legationsrat a. D. Ehrhard von Binger in Berlin aus Anlaß des Falles Goßwarra (Tor des Todes) nur einmal flüchtig gesehen. Mein Personengedächtnis ist gut, reicht freilich nicht an das Harsts heran. Binger war blond, hatte damals gegen alle Mode sehr lange Haarkotelettes mit sanfter Biegung nach den Backenknochen und ein kurzes Schnurrbärtchen sowie randloses Monokel getragen. Fatzke war er auch. Pardon, – aber für einen überreifen Mann paßt ein Übermaß an Schick nun einmal nicht.

Unsere Unterhaltung schlief ein. Die Sonne sank, und die ersten etwas kühleren Windstöße zeigten eine Drehung des Luftzuges nach Südwest an. Dort lag die Bucht von Cambay, das Meer. – Die breite Hotelveranda mit ihren elektrisch betriebenen Riesenventilatoren, deren Surren das Rauschen der Palmen leider übertönte, füllte sich jetzt. Die Tennisdamen erschienen lärmend und erhitzt und nahmen zwei Tische weiter Platz. Andere Gäste wagten sich aus ihren Zimmern hervor, zumeist Farbige, Kaufleute, viele Perser und ein paar hochgewachsene schmalbrüstige Inder aus dem Süden, alle tadellos in Weiß, die meisten europäisch gekleidet, alle von jener fein gedämpften Geschäftigkeit, die nichts mit der quecksilbrigen Nervosität westlicher Börsianer zu tun hat. Flüstern, Rufen, Klirren von Geschirr und Knarren der Sessel und Dielen löste die bisherige Ruhe ab. – Nicht nur das Hotel war erwacht. Um diese Abendstunde war auch ein Gang durch die Basarstraße am Flusse recht lohnend.

Baat meinte, wir sollten uns einmal um diese Stunde den Dschauch Dahli ansehen, die Gasse der schönen Frauen. Es sei lohnend …

Harst kniff ein Auge zu und erwiderte belustigt, Baat sei wahrscheinlich für einen Vorbereitungskurs für junge Diplomaten vornotiert. „Glauben Sie, ich hätte nicht gehört, daß Mr. Muck aus Barmen den Hoteldirektor nach dem Wege zum Dschauch Dahli fragte?!“

Wir brachen auf, holten unsere Tropenhelme aus unseren Zimmern (Harst und ich wohnten zwei Türen von Baat entfernt ebenfalls im Erdgeschoß des Seitenflügels) und standen eine Weile vor dem Hoteleingang still und nahmen das bunte Bild des Schmuckplatzes mit seinem Menschen-, Tier- und Wagengewimmel kritisch unter die Lupe.

Baat liebte bissige Bemerkungen.

Seine Hoheit der Kuhhirt hatte wohl in Paris zufällig einige Verkehrspolizisten am Tage beobachtet und die moderne Verkehrsregelung auf seine Hauptstadt verpflanzt. Tatsächlich standen da zwei baumlange Inder mit weißen Handschuhen mit Stulpen und fuchtelten mit den Armen umher. Es sah immerhin ganz nett aus. Daß sich kein Gebein um die Signale kümmerte, beeinträchtigte den Eindruck nicht. Drüben hinter der heiligen Mauer der Büßer lag in Grün gebettet der Riesenpalast Seiner Hoheit, ein Bauwerk von erlesener Geschmacklosigkeit. Man ist gerade in dieser Beziehung in Indien sehr verwöhnt. Auch der erbärmlichste Tempel wirkt malerisch.

Wanderte der Blick weiter, sah man den für Baroda so kennzeichnenden Höhenzug, gekrönt von dem wirklich imposanten Bauwerk der Schatzkammer des Fürsten, dem bereits erwähnten Nazar Bagh. Ihre schlanken Türme mit den vergoldeten Zwiebeldächern hoben sich klar vom feurigen Abendhimmel ab, und der Gedanke, daß dort Juwelen im Werte von über sechzig Millionen Mark lagerten, erschien angesichts der Erhabenheit der alten Trutzburg, die viele Jahrhunderte und viel Blut gesehen hatte, nicht so ganz phantastisch – – 60 Millionen in Juwelen! Daß übrigens die Fürsten von Baroda kein harmloses Geschlecht sind, mußte noch 1875 der englische Aufpasser des damaligen Garkwar erfahren. Der Engländer wurde eines nachts überfallen und entging mit knapper Not dem Tode. Anstifter war Seine Hoheit gewesen, und seine Hoheit wanderte ins Exil, und ein Verwandter trat die Nachfolge an. Gleichzeitig wurde vom Vizekönig von Indien befohlen, daß der leicht zu verteidigende Nazar Bagh geräumt würde. Deshalb residieren nun die „Kuhhirten“ im früheren Sommerpalast.

Dies erzählte uns Charly Baat, während wir der Gasse der schönen Frauen zustrebten und Autos und Motorrädern, Kindern und … Kuhfladen auswichen.

Wir kamen durch einen Teil des Eingeborenenviertels, wo im Gegensatz zu den Vorstädten und den Kasernen (alles moderne Bauten) eine erschreckende Enge und ein Übermaß an Küchendüften (nebst anderen) herrschte. Ausgerechnet kamen gerade jetzt die Prachtelefanten mit ihren Mahuts und Pflegern von der Tränke und vom Abendbad am Fluß. Einige dieser verwöhnten Dickhäuter hatten noch einen Wasservorrat im Rüssel, und leider erhielt auch der fluchende Charly eine Dusche, die seinen Anzug stark anfeuchtete.

Dann der Dschauch Dahli …

Eine breite Gasse von weiß getünchten Lehmhäusern, – alle vorn mit offener Halle mit buntseidenen Vorhängen aus mehreren Stücken … In jeder Vorhangspalte der hübsche Kopf eines jungen Weibes – geschminkt, gepudert, wie niedliche Kasperleköpfchen …

In Japan sitzen sie noch heute in Käfigen, diese Kinder der Seligkeit, wie der Inder sehr zart sie benennt. Hier sah man nur die Köpfe – – und die verschiedenen Gentlemen, die Auswahl hielten.

Aus den Häusern Grammophonklänge und leiser Gesang, Lachen, … Der Orient ist doch poetischer als unser Kultureuropa mit seinen fragwürdigen Vierteln und Hafengassen. Die rosarote Sünde trägt hier poetischere Formen.

Der dicke Charly fragte einen der diensthabenden Beamten, der sofort stramm stand, nach einem Herrn mit Koteletten und Einglas. Der Polizist, braun und stark wie ein Bär, deutete sofort auf ein Kaffee mit weit vorgebauter Veranda, die dicht besetzt war. Im Hintergrund auf einem Podium spielte eine europäische Jazzband, fünf Mann im Smoking … und vielleicht fünfzig Meter weiter hielten Frauen die Babys über den Gossenlöchern ab und knabberten Kühe das Gras in den Vorgärtchen.

Wir traten ein. Der Herr Wirt, natürlich ein Chinese, bedienerte uns in einem Gehrock mit speckigen Seidenaufschlägen und … weißen Beinkleidern und weißen Tennisschuhen …

Der Bursche gefiel mir auf den ersten Blick nicht. Abgesehen davon, daß er beiderseits schielte, war er von einer verdächtigen Katzenfreundlichkeit und nötigte uns zu einem Tisch unweit des Podiums an der Seitenbrüstung. Ich gewann den Eindruck, daß der Tisch reserviert gewesen und zwar für uns.

Charly probierte erst die Korbsessel auf ihre Haltbarkeit, bevor er seine zwei Zentner Lebendgewicht den gepolsterten grün lackierten Massenartikeln anvertraute. Seufzend nahm er Platz und sagte zu Harst, der ebenfalls noch zögerte: „Sie magerer Hering brauchen doch keine Angst zu haben, mit dem Ding zusammenzubrechen.“

„Das nicht …“ – Mein Freund blickte schräg in den kleinen Seitengarten des Hauses hinein, der durch eine mannshohe Lehmziegelmauer von der Straße abgegrenzt war. „Ich habe andere Bedenken, lieber Baat … Ich würde hier an der Brüstung in der Zugluft sitzen, und bin sehr empfindlich …“

„Machen Sie keine Witze!“ Baat winkte eine hellbraune Juno herbei …

„Einen Moment …“ – und Harst warf mir einen besonderen Blick zu. „Schraut und ich werden das Kaffee einmal von innen besichtigen … Ich liebe so alte Gebäude, und ich vermute hier Antiquitäten … Sie kennen meine Schwäche, Baat. Mein Arbeitszimmer daheim ist noch nicht genügend Museum. Bestellen Sie für uns nur Eiskaffee und Brogas (ein einheimisches Nußkonfekt in Stangen).“

Wir schlenderten davon. Nichts war mir lieber als dieses Alleinsein mit Harald. Ich hatte ihn unendlich viel zu fragen. – Wir fanden den Durchgang zum Garten der sogenannten Bar, niemand hielt uns auf, obwohl wir erst noch über einen Wirtschaftshof mußten, der von einem Bretterzaun umschlossen war und auf dem zu unserem Erstaunen ein neues Auto, ein viersitziger Selbstfahrer englischer Marke, stand. Einige Chinesen, offenbar Hausangestellte, wuschen auf Tischen Teller, Gläser und Tassen, putzten Bestecke, andere lungerten untätig herum. Die Zahl dieser Angestellten schätzte ich auf zwanzig – etwas viel für eine Bar mit Damenbedienung.

Eine Bretterpforte führte in den eigentlichen Garten. Sie hatte nur einen Haken als Verschluß, als Harst jedoch öffnen wollte, merkten wir, daß außen ein Pfahl als Stütze gegen die Tür gedrückt war.

Was Harst hier eigentlich vorhatte, ahnte ich nicht. Aber er hatte es eilig, nahm Anlauf, sprang mit dem vorgestreckten Fuß gegen die morschen Bretter und flog samt der Tür in ein Gestrüpp hinein, sprang sofort wieder auf und lief nach links auf den einzigen höheren Baum hin, der neben der Mauer nach der Gasse zu seine weitausladenden Äste über Unkraut und verwahrloste Beete hinwegreckte.

Meine Frage, was er eigentlich in dieser Wildnis suche, ließ er unbeantwortet, zog vielmehr seine Pistole und entsicherte sie und sagte unnötig laut: „Da oben sitzt ein Aasgeier …“

Es stimmte. Er saß ganz oben und drehte immerfort den nackten Hals, als ob ihn unsere Anwesenheit erheblich störte.

„Ich werde ihn herunterknallen,“ fügte Harst noch lauter hinzu. „Möglich, daß ich daneben schieße und … – hallo, was ist denn das?! Sind das nicht die weißen Tennisschuhe des Herrn Pi Mo …?! – Hallo, Pi Mo, was tun denn Sie da oben?! Wir suchen Sie wie eine Stecknadel … Ich möchte gern einige Raritäten kaufen … Sie haben doch zweifellos einiges davon auf Lager.“

Herr Pi Mo kam in seinem Gehrock, der ihm bei der Kletterpartie äußerst hinderlich gewesen sein mußte, mit affenartiger Fixigkeit herab und stand grinsend vor uns … In einem Körbchen, dessen Henkel er mit den Zähnen gepackt hatte, lagen etwa zehn Kräheneier.

„Ich habe Eier eingesammelt,“ sagte er mit vielfältigen Bücklingen. „Mit Raritäten kann ich gleichfalls dienen … Wenn die Herren sich in meine Wohnung hinaufbemühen wollen?“

„Sehr gern … Leider ist mir beim Öffnen der Hoftür ein kleines Unglück zugestoßen, Mr. Pi Mo … besser der Tür selbst. Ich werde Ihnen den Schaden ersetzen …“

Pi Mo betrachtete die zertrümmerte Tür mit abschätzenden Schielaugen. „Dreißig Rupien,“ sagte er sachlich und schritt weiter, gab den Korb mit den Eiern einem der Kulis und geleitete uns in die oberen Räumlichkeiten, die zu unserem Erstaunen aufs glänzendste eingerichtet waren.

In einem Zimmer nach dem Hofe zu nötigte uns der üble Bursche in zwei Klubsessel und bat uns zu warten. Er würde uns alte Elfenbeinschnitzereien, Waffen und Schmucksachen vorlegen …

„Nur zu …!“ ermunterte Harst den Redseligen zur Eile.

Die Portiere zum Nebengemach fiel hinter Pi Mo zu, und Harst feixte mich geradezu übermütig an.

„Ein windiger Geselle, mein Alter, sehr windig …“ Er sprach deutsch. „So windig, daß ich mich außerordentlich freue, ihn erwischt zu haben …“

Ich hatte mir dieses feudale, ganz europäisch eingerichtete Herrenzimmer neugierig angesehen. „Wobei hast du ihn erwischt?“ – und ich denke, die Frage war berechtigt.

Er wurde ärgerlich. „Natürlich beim Eiersammeln …! Wobei sonst?! Seine Backwaren rührt er mit Kräheneiern an, und das ist eine kleine Gemeinheit … Schade nur, daß der Baum nicht ein einziges Nest hatte, oder hast du eins bemerkt, – ich nicht?!“ Er feixte weiter …

„Hm, deine Laune ist etwas unausgeglichen, und deine Reden sind …“

„… Diplomatie, würde der dicke Charly sagen … – Ich bin nur gespannt, welch’ neue Schurkerei Herr Bar-Onkel nun ersinnen wird, nachdem die zweite mißglückt ist …“

Die Sache wurde mir allgemach zu bunt. „Würdest du vielleicht weniger orakelhaft dich ausdrücken,“ bat ich mit einiger Gereiztheit.

Aber zunächst blieb alles orakelhaft, denn Pi Mo erschien mit einem riesigen Pappkarton in den Armen, den er fast zärtlich auf den Nußbaumschreibtisch stellte.

„Wissen Sie, wer wir sind, Mr. Pi Mo?“ erkundigte sich Harst, indem er näher trat.

„Sehr wohl, Mr. Harst … Aber ich weiß auch, daß Sie nirgends gern auffallen … Deshalb sind Sie im Hotel unter anderen Namen gemeldet. Sie und Ihr Freund …“

Pi Mo nickte verschmitzt und hob den Deckel von dem Karton.

Das Feilschen um verschiedene wirklich wertvolle Stücke zog sich sehr in die Länge. Der Chinamann verstand es, Preise zu machen. Schließlich kaufte Harst ein Kästchen aus Elfenbein mit Goldeinlagen und einen persischen Dolch mit silberner Scheide. Als er bezahlte, sagte Pi Mo geschäftstüchtig: „Und noch dreißig Rupien für die Tür, Mr. Harst, – die haben Sie vergessen.“

„Durchaus nicht … Verlassen Sie sich drauf, ich vergesse nichts.“

Er schaute Pi Mo eigentümlich an, und der Chinese kramte in seiner Raritätenkiste und hüstelte.

Wir gingen zu Charly Baat zurück. Die beiden erworbenen Stücke wollte der Chinese uns ins Hotel senden, sie müßten erst noch gesäubert werden.

Ich befand mich in einer Stimmung, die man vielleicht am besten mit „Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit“ bezeichnet. – Ich begriff von den letzten Vorgängen nichts.

 

3. Kapitel.

Damenbesuch.

Baat war ungehalten. „Verdammt, wo bleiben Sie denn?! – Ich sitze hier und …“

Harst zeigte auf den Baum drüben im Garten. Der freche Aasgeier hockte noch immer dort.

„Haben Sie nichts gesehen, Baat?“

„Was denn?!“

„Wir haben Pi Mo abgefaßt …“

Baat blickte ihn scharf an. „So?! Wobei?“

„Er mogelt,“ – und Harald lachte herzlich … „Ja – er benutzt Kräheneier … Ich würde hier keine Kuchen essen … Auch nichts anderes …“

Baat schüttelte den feisten Schädel. „Sie sind – Verzeihung – etwas übergeschnappt! Die Brogas sind vorzüglich …“

„Mag sein …“ Er warf seinen Strohhalm aus Versehen unter den Tisch … „Schade … Nehmen wir einen anderen … Sie haben ja noch Reserve auf Ihrem Teller, Baat … danke …“

Dann wandte er sich mir zu. „Laß dir gleichfalls Ersatz von Baat geben, mein Alter … Dein Strohhalmen ist rissig … Bitte, – schau her …“

Und das Ding flog ebenfalls auf den Bastteppich.

Baat stierte vor sich hin. „Sie sind ein komischer Herr, lieber Harst … An Schrauts Strohhalm war doch nichts auszusetzen, und …“

„Glauben Sie?!“ Er beugte sich weit über den Tisch. „Ich sage Ihnen, Baat, wenn Schraut und ich die Strohhalme benutzt hätten, die auf der Untertasse unseres Eiskaffees lagen, würden wir im Hotel oder schon hier Leibschmerzen bekommen haben …“

Der dicke Inspektor begriff mit einem Male. Ich auch.

„Sie … meinen, daß …“

„Ich meine, daß man in Strohhalme Dinge hineintun kann, die beim Aufsaugen des Eiskaffees mit in den Mund und Magen gelangen, ohne daß sich nachher in dem Eiskaffee selbst Gift nachweisen ließe …“

Baat war sprachlos. Er flüsterte ganz heiser: „Steckt dieser schieläugige Lump dahinter?“

„Nein, lieber Baat, – aber einer seiner Leute … Ich ahne auch schon wer.“ Und er blickte der hellbraunen Juno nach, die gerade am Nebentisch einige Barodeser Stutzer bedient hatte.

„Soll ich das Frauenzimmer verhaften?“ ereiferte sich der Inspektor und wurde ganz blaß … „Womöglich habe auch ich schon irgendein Teufelszeug im Magen!“

„Deshalb lassen Sie uns sofort aufbrechen,“ sagte Harald eindringlichst. „Nehmen wir einen Wagen und fahren wir zur Apotheke … Ein Brechmittel ist das beste …“

Er legte einige Silberrupien auf den Tisch, und im Eiltempo verließen wir die Gasse der schönen Frauen und waren in wenigen Minuten vor der Apotheke, die zwischen Black Town und dem nördlichen Villenviertel liegt. Der arme Baat schluckte mit Todesverachtung sein Tränklein und ging dann an einen stillen Ort, von wo er noch bleicher zurückkehrte.

So endete dieser Ausflug in das Reich der Liebe mit einem Brechpulver.

Baat verlangte dringend ins Bett, und wir beide saßen noch bis elf bei ihm und erörterten als Fachleute das Geschehene.

Das Endergebnis war: bei Pi Mo war einer der Leute zu suchen, die entweder mit Hinrich Schöttelkoff und Konsorten oder mit den Personen im Bunde war, die es auf des Kuhhirten Juwelen abgesehen hatten. –

Harst und mein Zimmer hatten eine Verbindungstür. Neben dem meinen lag unser „Salon“. Hier aßen wir unser verspätetes Souper, hier zeigte mir Harst auch die beiden verfänglichen Strohhalme, die er in der Bar heimlich mit den Füßen geangelt und zu sich gesteckt hatte.

„… Baat braucht nicht alles zu wissen,“ sagte er und schnitt die Strohhalme mit dem Federmesser auf. „Bitte – hier ist ein weißes Pulver … auch in deinem Strohhalm. Ich werde die Stücke sorgfältig aufheben. Natürlich ist Pi Mo der Giftmischer …“

Er sog an seiner Zigarette und weidete sich an meinem Erstaunen. Es war vielmehr Bestürzung.

„… Pi Mo, mein Alter, nannte ich einen windigen Patron. Ich hätte deutlicher sagen sollen: einen preßluftiger Patron!“

„Wer?! Der … Schütze von der verflossenen Nacht?“

„Er selbst – kaum, aber eine seiner Kreaturen. Seine Bar ist sehr reich mit Angestellten besetzt … – Auch die Zugluft an der Brüstung war wichtig …“ Er lächelte fein … „Der Tisch erwartete uns, und wenn wir dort Platz genommen hätten, ohne daß ich aus angeborenem Argwohn die Umgebung ins Auge gefaßt hätte, wäre aus dem Baum an der Mauer sicherlich ein Krähenei uns an den Kopf geflogen … Aber der Geier warnte mich, da er immer nach unten in die dichten Zweige äugte, und da dachte ich mir, säße dort ein Kerl mit einer Preßluftbüchse und knallte uns drei rasch nacheinander nieder, – wer hätte gegen Pi Mo wohl Verdacht geschöpft?!“

Ich legte meine Nachtischzigarre weg. Sie schmeckte mir nicht mehr.

„Solch’ ein Satan!“ fuhr’s mir heraus.

„Lieber Himmel, – ein Chinese, dazu noch ein in Indien ansässiger …!! Pi Mo hatte die Luftbüchse oben im Baume gelassen … Das Eierkörbchen war eine dumme Ausrede, – vorbereitet für alle Fälle … Er hätte dann wenigstens noch ein paar Nester vorher anbringen sollen, – aber er brachte nachher seine Raritäten … – Rauche doch, für heute hat Herr Pi Mo wohl genug gesündigt, meine Warnung zum Schluß verstand er recht gut. – Gehen wir das Kästchen und den Dolch an … Fein eingepackt hat er die Sachen hierher geschickt …“

Er schnitt die Schnüre auf und entfernte sehr vorsichtig das Papier und besichtigte dann das Kästchen, ohne es mit den Fingern zu berühren, beleuchtete es mit der Taschenlampe und … fand nichts, auch an dem Dolche entdeckte er nichts.

„… Ich hatte mit einer Teufelei Pi Mo’s[3] nicht mehr gerechnet, mein Alter, und es stimmt … – Nun können wir die Strohhalme verbergen und die Raritäten einschließen …“

„Und – – dann?!“

„Ja … dann?! Dann müssen wir wohl aufs neue unserer Haut zu Markte tragen, es hilft nichts …“

Die Strohhalmstücke kamen in eine leere Vase, Kästchen und Dolch in Harsts Koffer. Inzwischen waren mir die Fragen eingefallen, die ich schon bei Pi Mo an Harald hatte richten wollen. Da er augenblicklich in selten redefreudiger Stimmung war, begann ich, neben ihm vor seinem Koffer in seinem Schlafzimmer stehend: „Weshalb bist du in der verflossenen Nacht in der Nähe der kleinen Fabrik am Bergabhang gewesen?“

Er schloß den Koffer ab und richtete sich auf.

„Ich konnte nicht schlafen, Tatsache. Baat hatte uns doch bereits von seiner hiesigen Mission erzählt, und da wir den Nazar nun besichtigt hatten, trieb mich jenes Vorgefühl, daß etwas passieren würde, ins Freie. Ich kletterte, nur mit einem Gummimantel über dem Schlafanzug und mit Mütze, zum Fenster hinaus und beobachtete dann den dicken Charly auf der Zypresse mit seinem Fernrohr und unten am Boden seinen Boy Sifu und den Prachthund Monitor. Dieser witterte mich, knurrte, ich zog mich zurück, und plötzlich erhielt ich die Kugel durch den Unterarm … – das war alles.“

„Genug war’s! – Und glaubst du Baat die lächerliche Geschichte, daß er seinen Benzinkahn beobachten wollte?“

„Ja! Er äugte genau in der Richtung nach dem Flusse, und in dieser Nacht werden wir feststellen, ob die Lady Hamilton bei Mondlicht von der Zypresse aus zu sehen ist.“

„Na gut … – ich glaube ihm nicht, Harald. Er ist Diplomat …“

„Wir auch … Ich habe ihn heute doppelt und dreifach angelogen … Aber davon später. Hast du noch etwas auf dem Herzen?“

„Ja. Die Hauptsache. Hans Muck aus Barmen, den wir nachher bei Pi Mo gar nicht sahen, ist doch Ehrhard von Binger?“

Er zog die Augenbrauen ganz hoch. „Ach so …“ sagte er sehr gedehnt … „Binger …!!“ Dann schmunzelte er. „Eigentlich hast du recht … Ähnlichkeit ist vorhanden … Und die Nase ist Wachs und Schminke und bräunlicher Puder … Ich sah niemals eine bessere Verkleidung.“

„Also nicht Binger?!“

Da lachte er still in sich hinein. „Alterchen, Binger wäre doch ein Mordsesel, wollte er sich hier so öffentlich zeigen!! – Warte nur, Muck aus Barmen wird schon rechtzeitig in die Erscheinung treten. – Und jetzt – Aufbruch!!“

„Halt!!“ Ich packte ihn beim Jackenknopf. „Um nochmals auf Baats seltsames Gehabe auf der Zypresse zurückzukommen: Was wollte er beobachten? Sein Boot?! Was hätte das für einen Zweck gehabt?!“

Bisher war mir der Name Kabinur insofern geläufig, als ich wußte, daß Kabinur ein Vasallenstaat Seiner Hoheit des Kuhhirten war. Seiner Hoheit Gebiet ist nämlich arg zersprengt, hier liegt ein Stück, dort liegt ein Stück, und die meisten dieser in englisches Gebiet eingebetteten Parzellen sind kleine Fürstentümer unter sogenannten Radschas, die einst in Film und Roman so beliebt waren.

Harst erwiderte ganz leise und mit seltsamer Betonung:

„Baat wollte den Stern von Kabinur beobachten …“

„Was?! Stern?!“

Aber seine Leutseligkeit, mir Audienz zu gewähren, war verpufft.

Er brach auf. Das heißt, er steckte sein Handwerkszeug zu sich und erteilte mir einige Verhaltungsmaßregeln.

Es war jetzt kurz vor Mitternacht, aber im Speisesaal des Hotels wurde noch munter gejazzt und getanzt. Alles, was in Baroda zur Elite der Gesellschaft gehörte, gab sich dort abends einer Art Zerstreuung hin, die mit viel Alkoholkonsum und Schweißverlust verbunden war.

Als Harst den Flur betreten wollte und schon den Türdrücker in der Hand hatte, klopfte es. Eine junge Europäerin mit braunrotem Bubikopf, schickem Gesellschaftskleid und Goldbrokatschuhchen huschte flink in unseren Salon, drückte die Tür wieder zu und stand erhitzt, atemlos und verlegen vor uns.

„Ich bin Bessy Steamer …“ sagte sie nach Atem ringend. „Verzeihen Sie, daß ich Sie so spät noch störe, aber mir blieb nur diese eine Möglichkeit …“

Harst deutete auf den Sessel links vom Sofatisch. „Wollen Sie bitte Platz nehmen. – Ihr Anliegen?“ – Er war nicht übermäßig liebenswürdig, obwohl dieses holde Kind mit den sanften, verängstigten Porzellanaugen jedem gefallen mußte.

Jedem?! – Gewiß, auch mir gefiel sie, aber ich habe doch mit jungen Damen, die so urplötzlich in einen unfertigen Kriminalfall hineinspringen, wenig im Sinn. – Daß der Besitzer der kleinen chemischen Fabrik draußen am Abhang des Nazar John Steamer hieß, wußten wir bereits. Vermutlich war Bessy seine Tochter. In der Nähe der Fabrik, zu der auch eine Drogerie gehörte, wie schon erwähnt ist, war Harald durch Preßluft angeschrammt worden. Dort hatten also Pi Mo’s Kreaturen gelauert. – Meine geringe Voreingenommenheit gegen Bessy war mithin begreiflich.

Sie fühlte wohl Harsts Kälte. „Mr. Harst, ich … ich werde lieber wieder gehen,“ sagte sie mit zitternder Stimme, und in den langen Wimpern ihrer Augen erschienen glitzernde Tropfen, die sie schnell wegtupfte. Sie erhob sich halb und blickte Harst dabei so verzweifelt an, daß er sie herzlich zum Bleiben aufforderte.

„… Miß Steamer, unsereiner ist sehr mißtrauisch. Uns ist heute hier so viel Sonderbares begegnet, daß wir alle Ursache haben, dieses Mißtrauen noch zu steigern.“

„Was ist Ihnen zugestoßen?“ fragte Sie schnell.

„Oh – ich hätte mich an Kräheneiern beinahe … vergriffen, und dann hätten wir fast Stroh verschluckt …“

Sie starrte ihn natürlich verständnislos an. Wie sollte sie aus solchen Andeutungen klug werden?!

Wir hatten uns zu ihr an den Sofatisch gesetzt. Die Stabjalousien waren herabgelassen, die Fenster offen, und eine Menge surrende Nachtschwärmer umspielte die elektrische Tischlampe, deren Licht voll auf Bessys lieblichem Antlitz ruhte.

Sie sagte jetzt sehr leise – mit einem Blick nach den Fenstern hin: „Ich sah Sie in der vergangenen Nacht … Ich weiß auch, woher der Schuß kam, Mr. Harst … Aber Vater hat mir streng verboten, mich in fremde Dinge einzumischen. Vater hat ohnedies so viel Sorgen … Die Polizei will die Fabrik nicht länger dulden, weil sie so nahe der Stadt eine Gefahr für die Bevölkerung bilde … – Deshalb verließ ich soeben heimlich den Tanzsaal und wagte mich hierher … – Der Schuß kam aus der Mühle, Mr. Harst …“ – Sie sprach überhastet und unzusammenhängend, ihre Gedankengänge hatten Lücken, und den eigentlichen Grund ihres Besuches scheute sie sich vorläufig noch zu nennen.

„Ist das alles, Miß Steamer?“ fragte Harald daher auch und nickte ihr aufmunternd zu.

„Nein …“ gestand sie tief errötend. „Ich … ich sorge mich um Allan – um Mr. Allan Fairlan … Er … er ist seit gestern nacht verschwunden. Wir sind heimlich verlobt, Mr. Harst … Vater mag Allan nicht leiden, obwohl Allan wirklich ein prächtiger Mensch ist.“ Sie redete nun freier und flüssiger. Die Liebe war die treibende Kraft ihrer Selbstüberwindung, und daß Bessy sehr verliebt war, bewiesen ihre leuchtenden Augen.

„Wer ist Allan Fairlan,“ wollte Harst wissen.

„Der Geschäftsführer unserer Drogerie … Er … er hat etwas farbiges Blut in den Adern, Mr. Harst, und Vater denkt als Engländer in diesem Punkte sehr streng. Für ihn ist Allan ein Mischling. Dabei sieht man es ihm in keiner Weise an, daß seine Großmutter mütterlicherseits Inderin war … Er ist auch ein sehr gebildeter Mann und eigentlich Chemiker. Nur aus Liebe zu mir spielt er den Verkäufer bei uns …“

„Was begreiflich ist,“ lächelte Harst. „Wo wohnt Fairlan?“

„In der Drogerie …“

„Ah – in dem schlichten kleinen Hause, – wohl oben im ersten Stock?“

„Ja …“

„Und da können Sie und er von den Fenstern aus sich zuwinken … Das Wohngebäude der Fabrik ist keine hundert Meter entfernt, und gestern nacht war es sehr hell. – Sah auch Fairlan, daß man aus der Mühle auf mich schoß?“

„Das weiß ich nicht, ich nehme es jedoch an …“

Harald wandte sich mir zu. „Die Mühle ist eine Wassermühle, mein Alter … Vom Abhang des Lazar kommt in einer Röhrenleitung das Wasser einer scheinbar sehr kräftigen Quelle herab. Es ist eine Reismühle …“

„Auch für Mais und anderes,“ ergänzte Bessy etwas ungeduldig. „Mr. Harst, ich muß sofort wieder weg … – Heute früh fand Vater in der Drogerie einen Zettel Fairlans des Inhalts, daß Allan abgereist sei … Seine Koffer und Sachen fehlten gleichfalls. Aber ich glaube nicht an diese Abreise …“ Sie begann leise zu schluchzen. „Allan liebt mich viel zu sehr, als daß er …“

„Hat Ihr Vater Fairlans jähe Abreise nicht auch eigentümlich gefunden?“

„Ja. Er ging zur Polizei, und … und nun soll Allan Geld unterschlagen und Bücher gefälscht haben … – sagte der Beamte.“

Harst nickte leicht. „Ein Grund mußte wohl vorhanden sein. Ein solcher Grund läßt sich auch herrichten. – Haben Sie noch einen ernsthaften Bewerber, Miß Steamer?“

Sie errötete, aber vor Unwillen, ihr Mund wurde hart. „Ja, den Chef der Polizei des Fürsten, Mr. Harst.“

„Ah – Mr. James Repp … War er es, der die Unterschlagungen entdeckte?“

„Er nahm die Geschäftsbücher mit und zeigte Vater dann heute nachmittag die radierten Zahlen … Danach hätte Allan in dem einen Jahr bei uns über dreitausend Pfund unterschlagen. Repp hat sofort Haftbefehl erlassen und überallhin telegraphiert … Ich bin halb von Sinnen vor Angst … Allan ist schuldlos, und Repp hat ihn beseitigt!!“ Ihre Stimme überschlug sich … Sie hatte weiße Flecken im Gesicht, so erregt war sie. „Repp ist ein heuchlerisches Scheusal … Ich … ich werde nicht eher ruhen, bis die Wahrheit an den Tag kommt.“

Der Tag kommt,“ sagte Harst und drückte ihr die Hand. „Tun Sie in der Angelegenheit nichts … Ich werde handeln. – Wer schoß auf mich?“

„Ich sah nur aus dem Bodenfenster der Mühle einen Gewehrlauf herausragen und den linken Arm eines Mannes. Alles andere lag im Schatten, Mr. Harst. – Werden Sie mir wirklich helfen?“

„Ja. Seien Sie nur guten Mutes, Ihr Allan wir vielleicht rascher wieder auftauchen, als es anderen und auch Ihnen angenehm ist.“

„Mir?!“

Harst hielt ihre Hand noch fest. „Liebes Kind, Sie werden sich auf einiges Schwere vorbereiten müssen … Und nun gehen Sie … Gute Nacht.“

 

4. Kapitel.

Ein böser Anfang.

Die Tür fiel zu.

Harst blickte mich an. „Wir sind mit James Repp Goßwarras wegen schon mehrfach zusammengewesen, – ein anmaßender, verschlossener Mensch, Vollblutengländer, dem Fürsten als zweiter Aufpasser sehr unbequem, – kein Wunder, daß der alte Steamer der Fabrik wegen mit der Polizei Scherereien hat … Bessy ist schön, und Eifersucht bringt selbst feste Charaktere in den Sumpf …“

„Und Fairlan selbst?“ fragte ich gespannt.

Harst verzog die Mundwinkel. „Pi Mo weiß sicher, wo man Fairlan hingetan hat, mein Alter … Sollte Bessy beobachtet worden sein, wie sie hier zu uns huschte, gebe ich auch für ihr Leben nicht viel …“

Ich erschrak. Harald fuhr noch leiser und ernster fort: „Du kennst die Arbeitsmethoden dieses Konsortiums ja. Preßluft, Strohhalme, – vielleicht war auch das Nußkonfekt vergiftet … Die Leute gehen aufs Ganze. Letzten Endes ist das erklärlich: sechzig Millionen Mark – – ein Objekt!!“

Ich war starr. „Die Schatzkammer im Nazar Bagh?!“

„Natürlich: Konsortium für Juwelenausfuhr!“ Seine Ironie klang für die Herrschaften bedrohlich. „Pi Mo hat sehr viele Kulis, und die Mühle … – du wirst ja sehen, mir fiel die Mühle gleich gestern auf … Sie arbeitet Tag und Nacht … Eselzüge, Wagen, Karren, – – es war mächtiger Betrieb. – Warte, ich will dir hier einen Situationsplan zeichnen – mit ein paar Strichen. Dann bist du schnell im Bilde.“

Die Erklärungen, die Harald mir zu dieser Zeichnung gab, waren ebenso kurz und klar. Ihn hatte die Kugel an der Nordostecke des kleinen Gehölzes erwischt, wo er Charly Baat beobachtet hatte. Die Fabrik war mit einer Mauer umgeben und bestand aus Wohnhaus, Fabrik und zwei Lagerschuppen.

„Und nun,“ sagte er und führte mich in sein Schlafzimmer, „verbrenne ich die Skizze wieder …“ Er tat’s, zerrieb die Asche und öffnete seinen Koffer. „Bitte, dies ist die Zeichnung, die der Unbekannte im Hotel in Bombay zurückließ … Viel Unterschied zu meiner Skizze ist nicht festzustellen.“

„Allerdings nicht …“

„Diese Skizze, mein Alter, wurde in dem Bombayer Hotel absichtlich zurückgelassen, behaupte ich, ebenso die Rasierklinge, – die Rechnung, ausgestellt für Mr. Georg Andersen ist ohne Bedeutung. Die Eintragung im Fremdenbuch hat auch keinen Wert: verstellte Schrift. Bleiben also die Skizze und die Klinge. Das Papier zeigt keinerlei Fingerabdrücke außer denen Baats, der eine recht schweißige Hand hat. Der Zeichner hat das Papier mit Handschuhen angefaßt. Die Rasierklinge ist englisches Fabrikat und total verdorben. Beiderseits sind an den Schneiden so tiefe Scharten vorhanden, daß die Klinge unbedingt zum Schneiden eines harten Gegenstandes benutzt worden ist – oder noch wahrscheinlicher zum Beschaben, vielleicht von Holz. All das hilft uns nichts, obwohl …“

Er schwieg und drehte etwas den Kopf nach dem Fenster hin.

„Hörtest du?“ flüsterte er …

„Nein … nichts. Was war’s?“

„Ein dumpfer Knall – ganz leise zwar, irgendwo im Hotelgarten, so, als ob ein Brett umfiel. Es mag nichts zu bedeuten haben, obwohl ich immer an den Landsmann Hans Muck denken muß. Vergessen wir nicht, daß Baat ihn beobachtete, daß Muck gestern nacht auch in der Nähe der Fabrik war und offiziell erst heute mittag hier im Hotel abstieg. Es sind eine Menge Spieler und Gegenspieler vorhanden, vorläufig weiß man nicht, wie man sie einordnen soll: Wir beide, Baat und Bessy Steamer sind ja – Fairlan eingeschlossen – die eine Partei … glaube ich. Die andere?! Da ist Pi Mo und der Besitzer der sehr beschäftigten Mühle, ein alter schmieriger Europäer soll das sein, sagte Baat so nebenher, und dann Schöttelkoff, Binger, Frau Susi Alferlan, der Gauner Karl Wurz …“

Ich beugte mich vor. „Harald, du meinst, daß Schöttelkoff …“

„… Ich meine, es ist ein Konsortium. Und jetzt endlich – – Aufbruch. Wir klettern durch das Fenster … Die Jalousie fällt von selbst wieder zurück. Mach’ fix …“

Er zog die Stabjalousie etwas hoch, ich schob mich hindurch – bis zum Erdboden waren es kaum zwei Meter. Einige Büsche standen an der Mauer, und gerade unter dem Fenster war ein Kellerfenster mit schrägem Lüftungsschacht, der mit einen Bretterdeckel verschlossen war. Ich ließ mich hinabfallen, und Harst folgte sofort …

Leider …

Der Bretterdeckel hatte im milden Mondschatten durchaus harmlos ausgesehen. Sie waren es nicht, nicht mehr … Die einzelnen Bretter waren von den Querleisten gelöst und so knapp an dem linken Rand des Schachtes gelegt worden, daß sie unter meinem Gewicht nachgaben … Ich sauste in den Schacht, Harst desgleichen[4], – wir wurden unten sofort bei den Beinen gepackt und durch das Kellerfenster gerissen, von dem man die Eisenstäbe entfernt hatte … Wir sahen sechs kleine Kerle mit wilden Gesichtern … Der eine hielt eine Karbidlampe, die anderen hatten Maximpistolen mit Trichtern … Diese Knalldämpferwaffen sollten verboten werden.

„Laßt euch binden,“ kommentierte der Chinese mit der Laterne … „Wir schießen!“

Wir beide lagen noch am Boden auf Holzwolle und Reisstroh … Die Situation war eindeutig.

Da gab es plötzlich irgendwoher einen Ton, als ob man auf einem großen Kessel mit einem umwickelten Klöppel schlägt, die Laterne zersplitterte, erlosch, und eine dunkle Stimme sagte irgendwoher:

„Verschwindet, räudige Chins!!“

Das Stroh raschelte … Ich sah noch, daß die Schufte blitzartig durch das Kellerfenster verdufteten, dann leuchtete Harsts Taschenlampe auf …

Der große Kellerraum war leer. Auch unser Retter hatte sich dünne gemacht.

„Ein netter Anfang!“ meinte Harst und klopfte sich den Mörtel und Schmutz vom Anzug. „Pi Mo ist tüchtig. Aber der Andere ist noch tüchtiger.“

„Wer war’s, Harald?“

„Jemand … Vielleicht Mr. James Repp …“

Ich muß damals ein unglaublich dummes Gesicht gemacht haben.

 

5. Kapitel.

Die Zypresse.

Wir schlugen die Richtung nach dem östlichen Eingeborenenviertel ein. Die Nacht war warm, aber nicht drückend. In den Parkanlagen patrouillierten eingeborene Polizisten, stramme Kerle in sauberem Khaki. Es war sehr still hier, und auch in Black Town schlief bereits alles.

„Weshalb Repp?“ hatte ich die Unterhaltung begonnen. „Wie kamst du gerade auf den Polizeichef?!“ – Ich rauchte meine Zigarre mit dem Behagen eines Mannes, der soeben einigen Pistolenkugeln entgangen ist.

Harst hatte die Augen überall. Er warf seinen Zigarrenrest weg und meinte bedächtig: „Du wirst noch vieles fragen, mein Alter … Denke immer daran, daß Schöttelkoff engste Beziehungen nach Baroda unterhielt, daß er ein Verbrecher ganz großen Stiles ist, daß er technische und chemische Studien in Berlin trieb, daß er tadellose Höllenmaschinen anfertigte und – – manches andere. Er ist hier in Baroda, und seine drei Schützlinge gleichfalls, dabei bleibe ich. Die Erbschaft ist ihm an der Nase vorbeigerutscht, er hat jahrelang diesen Plan verfolgt, er wird noch ein zweites Eisen im Feuer haben, und Pi Mo könnte sicherlich hierüber genaue Auskunft geben. Pi Mo’s Bedarf an Mehl ist ungeheuer.“

Wir bogen in den Weg zur Drogerie ein. Zu beiden Seiten gab es vereinzelte Büsche und halb abgeerntete Mais- und Indigofelder. Bedauernswerte Kamele kreisten in engem Rund um die Schöpfräder und füllten aus den Hauptkanälen das Wasser in die schmalen Rinnen der Felder. Die primitiven Göpelwerke knarrten mißtönend, und zuweilen kam der schrille Schrei eines bockbeinigen Lastesels aus der Ferne, den die Treiber unbarmherzig schlugen. Karawanen zogen stumm vorüber, finstere Begleiter musterten uns tückisch, – in Baroda haßt man die weißen Fremden und Unterdrücker noch mehr als anderswo in Indien.

Die Drogerie, ein kläglicher Bau mit allzu protzigen Schaufenstern, ließen wir rechts liegen und näherten uns der Fabrik. Die Einfahrt in der Mauer war von dürftigen Anlagen umsäumt, über dem Tore leuchtete ein weißes Schild:

Chemische Fabrik
John Steamer

Wir hatten links vom Tor ein Versteck gefunden. Schon nach zehn Minuten tauchten die Scheinwerfer eines Autos auf. Es waren John Steamer und Bessy. Steamer steuerte selbst den Wagen, ich sah ihn zum ersten Male, und ich hatte mir von ihm ein so ganz anderes Bild gemacht.

Steamer stieg aus und öffnete das Tor. Er war ein mittelgroßer Mann mit scharfen, bartlosen Zügen, die wie versteinerten wirkten, dabei tadellos angezogen und – offenbar sehr schlechter Laune.

Bessy fuhr mit dem Auto durch das Tor, sie fuhr sehr sicher, dann knallten die Torflügel zu und wir konnten das Tätigkeitsfeld wechseln.

„Zur Zypresse,“ sagte Harald nur.

Es war nicht mehr weit bis dorthin. Wir hielten uns möglichst gedeckt, und Harald hatte längs die Clement entsichert im rechten Ärmel. Sein linker Arm war etwas flügellahm, er hatte sicherlich Schmerzen, ließ es sich aber nicht merken.

„Ich werde nach oben klettern,“ entschied er. „Du paßt hier auf. Bleibe im Grase liegen … Ich will …“

Er drückte den Kopf noch tiefer auf den Boden. Wir waren die letzte Strecke gekrochen.

„Hm – was ist das da …“

„Sägemehl …“ sagte ich …

„Schau’ an, Herr Pi Mo ist vielseitig. – Oder Schöttelkoff …“

Er betastete den Stamm …

„Schufte!! Durchgesägt, und zwar schräg … Bis auf ein winziges Stückchen, das dem Baume halt gibt. Ich wette, daß aus der Krone ein dünner Draht irgendwohin läuft, – wäre ich emporgeklettert, dann hätte ich durch einen leichten Zug an dem Draht samt dem Baum die Reise abwärts und auch wohl gen Himmel angetreten …“

Ein gellender Schrei aus dem nahen Gehölz …

Eine tiefe Stimme: Baat!

„Hallo – hierher, – ich habe den gelben Halunken – – – hierher!“

Er hatte ihn, und der Chin war mausetot.

Charly, den wir mit Magenbeschwerden im Bett vermuteten, grinste kaltblütig.

„Da – er hat mein Monogramm an der Schläfe …!“

Baat trug am Ringfinger der Rechten einen klobigen goldenen Siegelring mit goldener Monogrammplatte. Der Faustschlag hatte dem Chin die Stirn gesiegelt …

„In Bombay,“ sagte Baat, „finden Sie viele Kerle, die mein Monogramm in der Haut haben. – Da, der Bursche hatte es auf Sie abgesehen … Ich war vor ihm hier, ich sah ihn mit einem langen Draht operieren, und ich hatte bald heraus, daß die Zypresse umgestürzt werden sollte.“

„Ja, man hätte das Sägemehl sorgfältiger entfernen sollen,“ meinte Harst trocken. „Ich danke Ihnen, lieber Baat. Was macht der Magen?“

„Danke – ist mit Alkohol konserviert, ich glaube, es wird ein halber Liter gewesen sein … – Ich bin wieder hinter Muck her …“

„Erbarmung!! Muck?!“ Harald ging auf den kalauernden Ton des Dicken anscheinend mit Freuden ein, obwohl der tote Chinese neben uns wohl andere Stimmung verlangt hätte. Tot ist tot, und Mensch bleibt Mensch, ob weiß, oder gelb oder schwarz. Der arme Teufel war ja doch nur als Opfer eines Mächtigeren gefallen, des Konsortiums und dessen Direktoren, und Baat hätte getrost weniger kräftig zuschlagen können.

„Ja, Hans Muck aus Barmen, Motoren-Vertreter …“ erwiderte Charly und horchte nach der Straße hin. Ein Auto fuhr sehr schnell vorüber, wir sahen durch die Büsche nur die Scheinwerfer blitzen. Es wandte sich der Stadt zu und mußte von der Mühle gekommen sein. Wir hörten auch Räderknarren und Karrengerumpel, und all die Geräusche geschäftigen Treiben galten ebenfalls der Wassermühle.

Baat fügte hinzu: „Muck hat eine künstliche Nase und sogar sein Kinn durch Wachs verändert … Er umschnüffelt die Fabrik, und soeben, als ich dem Chin da einen Denkzettel gab, verlor ich ihn aus den Augen.“

„Welche Unvorsichtigkeit!“ – Und der Ausruf Harsts war auf mancherlei zu beziehen. Baat bezog ihn wohl darauf, daß er die Verfolgung Mucks aufgegeben hatte. Ich bezog ihm auf das Wachs. Zuweilen habe auch ich gute Augen.

„Ich werde die Polizei verständigen,“ meinte der Dicke und zeigte auf den Toten. „Es ist sicherlich einer der Kulis Pi Mo’s … Schade, daß wir gegen Pi Mo keine direkten Beweise haben. – Oder – haben Sie welche auf Vorrat, Harst?“

„Nein. Wir hätten die Strohhalme mitnehmen sollen. – Gehen wir … Es ist heute nacht doch nichts mehr anzufangen …“

In den Anlagen vor dem Hotel trennten wir uns. Baat wollte zur Polizeidirektion. Harst führte mich schweigend im Hotel bis zum Boden empor und weiter bis auf das flache Dach des Nordturmes, reichte mir sein scharfes Fernglas.

„Schau’ nach Südwest … Du wirst den Fluß sehen und jenseits des Flusses die Wälder des kleinen Fürstentums Kabinur …“

Als ich das Glas richtig auf den in weiter Ferne flimmernden Punkt eingestellt hatte, sah ich … den Stern von Kabinur. Er sah im Glas so groß wie ein Fünfpfennigstück aus. Aber ich erkannte deutlich, daß er aus elektrischen Glühlampen zusammengesetzt war, die in Zwischenräumen einzeln erloschen und wieder aufleuchteten, bald die eine, bald die andere …

Es wirkte recht hübsch. Aber – Lichtreklame im Urwald auf einer Palme?!

Harst sagte gähnend: „Den beobachtete ich schon gestern nacht von hier aus … Dieser Stern gibt Antwort auf alle Fragen, die im Falle „Schätze des Nazars“ noch dunkel sind.“

 

 

Die Mühle des Mr. Mac Tuppy

 

1. Kapitel.

Wie Baat starb.

Es war zwei Uhr morgens, als ich mir die Morgenschuhe anziehen konnte, also die passende Stunde für den Wechsel der Fußbekleidung.

Wir saßen dann noch eine Weile im Salon, wir beide, und ich spielte Diplomat und legte diesmal meinen guten Harald hinein und tat so, als ob mir das Wachs nicht aufgefallen wäre. Als er erklärte, daß morgen vormittag, besser heute vormittag zumindest eine Verhaftung erfolgen würde, war ich gleichfalls ahnungsloser Engel und wußte doch ganz genau, daß ein gewisser Jemand reif für die Zelle war. Ich ging mit dem erfreulichen Bewußtsein zu Bett, Harst durchschaut zu haben, und dies Erfreuliche war die bekannte reinste Freude, die Schadenfreude.

Als wir um halb zehn vormittags mit Charly Baat auf der Gartenveranda frühstückten, hatte ich gesegneten Appetit, nur Baat und Harst waren nicht recht hungrig, und der Dicke schien zerstreut und auffallend einsilbig.

Dann tauchte der lange dürre James Repp tadellos in Weiß mit Achselstücken, Ärmelstreifen und blasiertem, hochmütigem Gesicht auf. Der Herr Polizeichef von Baroda und der Detektivinspektor liebten sich nicht.

Repp sagte dienstlich: „Ich möchte die Herren zu einer Besprechung in die Direktion bitten. Ich bin über einen Teil der Vorgänge genau unterrichtet, und wenn Sie auch, Mr. Baat, sehr weitgehende Vollmachten haben, können Sie mich doch nicht ganz ausschalten.“

Baats Gesicht war Essig. „Es gibt noch nicht zu besprechen …“ Und er fuhr sich nervös über seinen Borstenscheitel.

„Doch!“ meinte Harald milden Tones.

„Sehr viel!“ bekräftigte auch der steife Repp.

Sein Dienstauto wartete, und wir fuhren in das sogenannte Regierungsviertel, den imposantesten Teil von Baroda.

Repps Dienstzimmer hatte drei Fenster und wunderbare Saffiansessel.

Wir nahmen Platz. Harst holte aus der Tasche die Bombayer Zeichnung, die Rasierklinge und die Hotelrechnung hervor.

Ich weiß nicht, ob dem Leser bekannt ist, daß es für unbrauchbare Rasierklingen einen patentierten Halter in Form eines Messers gibt, besser einer messerartigen Klemmvorrichtung. Man kann die Klingen dann noch als Messer benutzen.

Als Harald als letztes solch einen Halter auf den Tisch legte, wurde Baat sehr unruhig. Er beobachtete Harst voller Argwohn, und nur Repps folgende Worte lenkten ihn ab.

„Mr. Harst, sie riefen mich vorhin an und baten um diese Besprechung und gaben mir auch Verhaltungsmaßregeln.“

Der Dicke bekam grüngelbe Gesichtsfarbe. Harst hatte zu allerletzt seine Pistole hervorgeholt und erwiderte scharf:

„Ich teilte Ihnen mit, Mr. Repp, daß in der verflossenen Nacht auch Hans Muck verschwunden ist. Er ist nicht in das Hotel zurückgekehrt, und ich fürchte, ihm ist es genau so ergangen wie dem armen Allan Fairlan und dem Chinesen, der den Baum umstürzen sollte. – Mr. Baat, wo ist Hans Muck?!“

Ich war diesmal in keiner Weise überrascht. Ich hatte ja das Wachs gesehen, und Baats Unvorsichtigkeit hatte darin bestanden, das Wachs zu erwähnen und es nicht zu entfernen.

Der Polizeichef, der bei all seiner Zugeknöpftheit wohl mehr leistete, als seine in britischer Unnahbarkeit versteinerten Züge ahnen ließen, denn sonst hätte man ihm kaum einen so verantwortungsvollen Posten anvertraut, hatte bei der Erwähnung Allan Fairlans nur durch ein Zucken der Augenbrauen verraten, wie wenig er diesen von Bessy Steamer begünstigten Nebenbuhler schätzte oder wie unangenehm der Gedanke an diesen überhaupt war.

Charly Baat, dem diese versteckten Anschuldigungen fraglos wie ein Blitz aus heiterem Himmel kamen, schoß jetzt das Blut bis in die Stirn. Er ballte die Fäuste, – ein Blick traf Harst, der eine ungeheure Empörung ausstrahlte.

„Was soll das?!“ fragte er förmlich geifernd. „Sind Sie nicht recht bei Sinnen?! Soll ich etwa mit Fairlans und Mucks angeblichem Verschwinden etwas zu tun haben?! Das ist ja so unendlich … albern, – ich finde keinen anderen Ausdruck, daß ich auf jede Verteidigung verzichte. Aber von Ihnen, Mr. Repp, als Kollegen und Landsmann verlange ich, daß Sie mich gegen diese infamen Verdächtigungen schützen und …“

James Repp, der lässig im Sessel saß und seine schmalen Hände mit den blanken Nägeln angelegentlich betrachtete, unterbrach den dicken Berserker mit einem kurzen: „Lassen Sie Mr. Harst einmal sein Beweise gegen Sie vorbringen – bitte!!“

Jetzt sollten für mich doch noch einige ungeahnte Überraschungen kommen. Harst, der wie kein anderer im Telegrammstil Geschehnisse, Beobachtungen und die sich daraus ergebenden Schlüsse vortragen kann, sagte zu Baat, der noch immer wie ein sprungbereiter gereizter Bär sich benahm: „Unsere Bekanntschaft begann auf dem Flusse. Mir fiel auf, daß Sie für Ihr absonderliches Motorboot sofort einen guten Liegeplatz fanden, obwohl Sie betont hatten, nur ein einziges Mal für einen Tag in Baroda gewesen zu sein. Sie wählten als Ankerplatz eine Stelle unweit eines Bootsteges, der zu einem schmalen, langgestreckten, verwilderten Garten gehörte. Sie hatten unseren Sampan ins Schlepptau genommen …“

„… Was ich sehr bereue,“ warf der Dicke bissig ein.

„… Und als wir dann davonruderten, erblickte ich in der offenen Gartenpforte einen schielenden Chinesen, – später erfuhr ich, daß es der sehr ehrenwerte Pi Mo war. Sie tauschten mit diesem Gelbgesicht ein paar heimliche Zeichen aus, zweifellos vorher genau vereinbarte Handbewegungen …“

„Lächerlich!! Ihre Phantasie galoppiert!!“

„… Im Hotel trafen wir uns wieder, Mr. Baat. Sie erwähnten so nebenher Ihre Spezialmission, ohne näher darauf einzugehen. Sie sprachen darüber jedoch in einem so höhnischen Tone, daß auch dies mich stutzig machte. Ein verhältnismäßig junger Beamter wie Sie wird mit einer immerhin schwierigen und ernsten Aufgabe betraut, und Sie reden darüber, als ob Ihre Vorgesetzten Narren wären. – Der Abend und die Nacht kam. Ihr Zimmer lag unweit der unsrigen, Sie hatten gerade dieses Zimmer ausgewählt, jedoch erst, nachdem Sie wußten, wo wir unsere Räume hatten. – Sie waren nach alledem kein ganz einwandfreier neuer Bekannter für mich, und ich tat gegen neun Uhr abends etwas, das reiche, aber leider angefaulte Früchte trug: Ich rief Oberinspektor Grablay in Bombay, meinen bewährten Freund telephonisch an. Er gab mir über Ihre Person im strengsten Vertrauen so eigentümliche Aufschlüsse, daß ich danach notwendig Ihnen folgen mußte, als Sie um Mitternacht die einsame Zypresse aufsuchten …“

Baat murmelte etwas von „unleidlichem Gewäsch“ …

„… Sie hatten ihren Hund bei sich. Ihren Boy trafen Sie erst in der Nähe des Gehölzes. Zu meinem Erstaunen gewahrte ich dann noch jemand, der Ihnen und mir offenbar vorausgeeilt war und uns ebenfalls beobachtete: Muck!“

Baat lehnte sich zurück und gähnte … „Ziemlich löcherig, Ihre Beweise …“

„… Sie erkletterten die Zypresse … Sie glaubten sich dort mit Sifu, Ihrem Boy, und mit Monitor allein. Der Hund ist übrigens vorzüglich dressiert und umkreiste Sie dauernd in weitem Abstand und verbellte jedes Fuhrwerk und jeden Wanderer, auf den benachbarten Wegen … – Sie hatten Fernrohr und Karbidlampe mit in den Wipfel genommen, und …“

Baat hüstelte … „Weiß schon, – nun kommt die Geschichte von den Lichtzeichen, die ich mit der Laterne gab, – – leugne ich gar nicht … Es war meinerseits nur eine Übung im Morsen mit Blinklicht …“

Harst zog seine linke Manschette halb aus dem Ärmel. „Ihre Übung war nicht schlecht … Ich habe mir hier die Zeichen notiert … Es waren Morsezeichen und Buchstaben und Wortgefüge, aber scheinbar ohne Sinn … scheinbar …“

Baat biß sich auf die fetten Lippen. Aber er schwieg bereits …

„… Scheinbar ohne Sinn … Daheim im Hotel löste ich die Chiffredepesche, die Sie gen Südwest aussandten … Der Text lautete:

Kabinur benutzen. Alles gut im Gang.

Das klingt zuerst sehr sonderbar. Aber die Lösung kam sehr bald. – Bleiben wir bei den Vorgängen an der Zypresse. Der Hund witterte mich, ich mußte um das Gehölz herum nach Norden flüchten, plötzlich traf mich die Kugel …“

Mr. Repp ließ seine wohlgepflegten Hände klatschend auf die Schenkel fallen. „Was traf Sie?!“

„Eine Kugel … Woher, wußte ich nicht. Aber es mußte eine Luftbüchse gewesen sein. Ich eilte ins Hotel, nachdem ich den Unterarmfleischschuß verbunden hatte, und erstieg den Turm und spähte mit dem Fernrohr gen Südwest, wo der kleine, waldreiche Vasallenstaat Kabinur liegt. Mein Fernglas zeigte mir … – weshalb werden sie wieder so blaß Mr. Baat?!“

Aber Charly Baat, der mit glanzlosen, weil aufgerissenen Augen durch das Fenster in den baumreichen Park der Polizeidirektion stierte, schnellte nur aus dem Sessel hoch, – seine linke Hand fuhr nach der Gegend des Herzens und zerknüllte den weißen Jackenstoff, – dann schlug er wie ein Klotz nach vorn über und lag still. Ein letztes Zucken zog seine Beine und Arme zu einer unter anderen Umständen höchst komischen Schwimmbewegung in Beugestellung, und – es war aus mit ihm.

Eine Kugel, die durch das Fenster gekommen, hatte sein Herz mit unheimlicher Sicherheit durchbohrt.

Mr. James Repp blieb kaltblütig sitzen, als Harst den leblosen Körper umdrehte. „Man soll über Tote nichts Schlechtes reden,“ sagte er mit ungeheurer Verachtung, „doch der Mensch da war eine Schande für England.“

 

2. Kapitel.

Unklare Dinge.

Den Schützen im Park zu suchen, wäre zwecklos gewesen. Er hatte in irgendeiner Baumkrone gehockt und war längst über alle Berge. Baat mußte ihn bemerkt und seinen Tod vorausgesehen haben. Wir waren uns darüber einig, daß „das Konsortium“, von dem Repp auch nicht mehr wußte als wir, diese „Besprechung“ bei Repp richtig gedeutet und einen unzuverlässigen Mitwisser stumm gemacht hatte.

Die Leiche wurde entfernt, und Repp schickte Beamte aus, die den Barbesitzer Pi Mo herbeiholen sollten.

Inzwischen erörterten wir drei die geplanten Vorgänge mit der kühlen Sachlichkeit von Fachleuten. Repp bestätigte das, was Oberinspektor Grablay meinem Freunde telephonisch mitgeteilt hatte, in allen Punkten. Es verhielt sich damit folgendermaßen:

Man war in Bombay längst zu der Überzeugung gelangt, daß Baat mit den dunkelsten Elementen der Hafenstadt in Verbindung stand. Baat war geizig und habgierig, sparte jeden Pfennig, vernachlässigte seinen Dienst, betrieb allerlei Geschäfte nebenbei und besaß ein Vermögen, das niemals auf ehrliche Art erworben sein konnte. Oberinspektor Grablay ließ ihn beobachten. Aber Baat war zu schlau. Man konnte keinerlei Beweise erhalten, die genügt hätten, ihn vor Gericht zu stellen. Dann, und das war vor einigen Monaten, benutzte Baat seinen Urlaub zu einer Seereise mit seiner famosen Lady Hamilton. Auch da wurde er nach Möglichkeit überwacht. Er fuhr nach Baroda, blieb jedoch nur einen Tag. Hatte jedoch insgeheim Zusammenkünfte mit allerlei vermummten Gestalten. Nachher zeigte er sich in Bombay noch vorsichtiger, bis Grablay dahinter kam, daß Baats Köter den Depeschenboden spielte. Man hielt den Hund verschiedentlich an, wenn er scheinbar von Liebesausflügen aus dem Eingeborenenviertel kam und fand in dem Halsband regelmäßig schmale Zettel mit einer Chiffreschrift, die rasch kopiert, aber nie enträtselt werden konnte. In jüngster Zeit hatte Baat dann mit einem älteren Europäer, der im Excelsior-Hotel in Bombay abgestiegen war, häufiger telephonische Gespräche geführt, – harmlosen Inhalts dem Anschein nach. Als der Mann merkte, daß er unter Beobachtung stand, verschwand er. Auf dem Schreibtisch des Zimmers fand Grablay zwischen den Löschblättern der Schreibunterlage jene Skizze der Umgebung des Nazar-Bagh-Palastes, und Teile der abgelauschten Gespräche brachten Grablay zu der Überzeugung, daß Baat sich mit einer Verbrecherbande zur Beraubung des Nazars zusammengetan habe. Weiter fand Grablay die Rasierklinge im Spüleimer, und da Baat genau dieselbe Marke Klingen benutzte, da ferner noch andere Kleinigkeiten hinzukamen, entschloß sich Grablay zu einem – wie die Ereignisse nun bewiesen hatten – sehr klugen Schritt. Er schickte Baat nach Baroda in besonderer Mission, wovon James Repp natürlich verständigt wurde. – Wenn der Leser jetzt die Vorgänge rückschauend überblickt, wird er für so manche Eigenart Charly Baats und für manches scheinbar Widerspruchsvolle oder Geheimnisvolle eine Erklärung finden.

Baat, der dicke faule Baat, der nicht einmal den ihm mitgegebenen Brief zu öffnen für nötig hielt (er wußte ja mit am besten, wie es um die geplante Beraubung der Schatzkammern des Nazar stand) – Baat war tot. Er hatte sterben müssen, weil er seine Pflicht, seinen Eid und seine Ehre gröblichst verletzt hatte. Einer seiner Verbündeten erschoß ihn.

Wer?!

Repp, der nun auch von dem Schuß auf Harst aus dem Bodenfenster der Mühle Kenntnis erhalten hatte, blieb dabei, daß Pi Mo das Haupt des Konsortiums sei und daß Hinrich Schöttelkoff und die anderen drei Deutschen lediglich Statisten seien.

Bisher war hier unter uns dreien in des Polizeichefs entheiligtem Büro der Name Bessy Steamer nicht erwähnt worden. Nur Allan Fairlan, Bessys Verlobter, hatte von Repp (was von diesem sehr anzuerkennen war) ein durchaus günstiges Leumundszeugnis erhalten. Repp sagte, ihm sei es unbegreiflich, daß Fairlan ein Betrüger und Fälscher sein sollte … „Wenn ich nicht selbst Bücher John Steamers über den Geschäftsbetrieb der Drogerie geprüft und die Rasuren und falschen Eintragungen nicht selbst entdeckt hätte, würde ich für Fairlan die Hände ins Feuer gelegt haben.“

Mir war es nunmehr zur festen Überzeugung geworden, daß Repp als Mensch und Beamter sich niemals dazu hergeben würde, etwa aus unreinen Motiven – Eifersucht – einen Nebenbuhler zu schädigen. Mochte James Repp auch gefühllos erscheinen, mochte er ein eingefleischter Engländer mit allen Vorzügen und Fehlern des echten und selbstbewußt-kühlen Briten sein, – sein Charakter war einwandfrei. Was von seinen Fähigkeiten zur Aufdeckung dunkler Verbrechen zu halten war, stand freilich auf einem anderen Blatt. Seine hohe dienstliche Stellung, die ihm Polizeigewalt über ganz Baroda einschließlich der Vasallenstaaten verlieh, mußte ihn mehr zum Verwaltungsbeamten als zum Detektiv umgewandelt haben, falls er ehemals „Detektiv“ gewesen war.

Wir kamen auf die Mühle und ihren Besitzer zu sprechen. Mac Tuppy hieß der alte Schotte, dem sie seit vielen Jahren gehörte. „Ich kenne Mac Tuppy genau,“ erklärte Repp, als Harald andeutete, der Müller könnte vielleicht mit zu dem Konsortium gehören. Der Schuß sei ja aus dem Bodenfenster gefallen, und weil Fairlan dies mit beobachtet habe, sei er eben beseitigt worden.

Repp sagte sehr bestimmt: „Mac Tuppy ist ein Greis, der mit seiner schwer angegriffenen Gesundheit übergenug zu tun hat. Er hätte es auch nicht nötig, sich auf unsaubere Geschichten einzulassen, er ist reich, die Mühle wirft hohen Verdienst ab, außerdem besitzt Tuppy noch zwei Plantagen, deren Verwaltung er ebenfalls ständig kontrolliert. Der Mann ist ein Arbeitspferd und reibt sich durch seine Geschäfte auf. Wo er die Zeit hernimmt, nebenbei noch so viel zu lesen und zu studieren, begreife ich nicht. Er ist ein förmliches Konversationslexikon. Sie können antippen, wo Sie wollen: Er weiß alles, er kennt die neuesten Romane und Schauspieler genau so gut wie etwa die Versuchskonstruktionen der Raketenwagen. Die Gicht plagt ihn zuweilen furchtbar. Er war verschiedentlich sogar in Europa in dem Trinkbade Karlsbad, da wir derartige Heilquellen hier leider nicht haben. Er ist im Grunde dauernd unterwegs, und für ihn lege ich meine Hand ins Feuer – ohne Bedenken.“

Repp sog an seiner Zigarre und fügte zögernd hinzu: „Ob sein Mühlenverwalter einwandfrei ist – Tuppy nennt ihn Werkführer. Der Mann ist ein Mischling mit allerhand Blutproben in den Adern. Den Namen habe ich vergessen.“

Harst blickte mit halb geschlossenen Augen auf den dunklen großen Afghanteppich. Die Blutflecken waren vorhin von der Stelle, wo Baat umgesunken war, entfernt worden, die Stelle war noch naß und hatte daher eine stumpfe Farbe im Vergleich zu dem feinen Seidenglanz des Prachtstückes aus dem Lande der politischen Dauerkämpfe. Nach Amanullahs Abdankung war für das aufstrebende Gebirgsreich die Glanzperiode erloschen.

„Und was halten Sie von dem Plane des Konsortiums überhaupt, Mr. Repp?“ fragte er klar und eindeutig, denn diesen Punkt hatte Repp bisher umgangen.

Repp schaute Harst ruhig an. – Sie hatten beide die gleichen grauen Augen, Repp und Harst, und auch in der hageren Figur glichen sie einander.

„Nichts,“ erwiderte Repp mit blanker Ironie. „Gar nichts! Der Nazar-Bagh-Palast ist eine Festung … Die Gewölbe liegen in die Felsen eingebettet, und diese Keller haben vier Stockwerke. Im tiefsten Stockwerk hinter Eisentüren und Geheimtüren lagern des Fürsten Schätze. Nicht einmal eine Maus käme dort hinein – weder von oben noch von unten.“

Harst nickte. „Nein, weder von oben noch von unten … Mag sein. Obwohl ich dann nicht recht verstehe, daß Freund Grablay in Bombay der im Hotel gefundenen Skizze irgendwelche Wichtigkeit beimaß.“

„Ich auch nicht,“ sagte Repp trocken. „Oder es sei denn, Grablay wollte lediglich Baat entlarven – hier in Baroda.“

Harald schüttelte jetzt leicht den Kopf. „Wir drehen uns ja im Kreise, Mr. Repp … Wenn Grablay die Möglichkeit einer Beraubung des Nazar nicht für gegeben hielt, konnte er auch nicht hoffen, Baat hier zu Unvorsichtigkeiten zu verführen. Also?! – Und dann, Mr. Repp: Der Stern in den Wäldern von Kabinur jenseits des Flusses und Baats Blinklichtdepesche?! Was halten Sie davon?“

„Nicht viel. Baat war mit Verbrechern aller Art verbündet. Ein Plan mag vorliegen. Ich glaube …“ – er zauderte – „man will die Aufmerksamkeit der Polizei nur ablenken, und das Konsortium beabsichtigt ganz anderes.“ Und wieder nach einigem Zögern fuhr er fort: „Ich habe Baat ebenfalls beobachten lassen, wie Sie wissen. Ich bin nicht so gleichgültig, wie es scheint. Pi Mo’s Bar und die Mühle sind seit den Morgenstunden unauffällig umstellt, und zur Zeit werden beide Grundstücke aufs genaueste durchsucht. Wenn Fairlan und Mr. Muck noch leben, werde ich sie finden, und sind sie tot, werden die Schuldigen aufgeknüpft werden. Ich bin zäh und übereile nichts. Das britische Weltreich wurde auch nicht in ein paar Tagen geschaffen.“

Es klopfte. Ein eingeborener Detektivinspektor trat ein, hinter ihm der schielende, sanft grinsende Pi Mo.

… Und zu unserem Erstaunen die totenblasse Bessy Steamer.

„Mr. Repp,“ meldete der Inspektor, „die Durchsuchung ist erfolglos verlaufen. Nur bei Pi Mo fanden wir Miß Steamer in einem Schrank versteckt vor – in Pi Mo’s Arbeitszimmer im ersten Stock.“

Bessy Steamer war rasch auf James Repp zugetreten. Sie zitterte am ganzen Leibe, – ihre Stimme überschlug sich, als sie Repp ins Gesicht schrie:

„Sie … sind ein Schurke!! Allan Fairlan steckt in einer Zelle des Polizeigefängnisses und Sie … Sie … heucheln und erlassen einen Steckbrief hinter ihm!!“

Der Polizeichef von Baroda sagte nur:

„Schließen Sie die Tür, Damas, – lassen Sie uns allein …“

Der Farbige entfernte sich.

Repp schaute zu der vor ihm stehenden Bessy auf und fragte kalt: „Woher wissen es, Miß Steamer?“

„Durch Pi Mo …“ Sie riß aus ihrem Handtäschchen ein Päckchen Pfundnoten heraus, einen sehr hohen Betrag. „Ich heuchele nicht, ich war bei Pi Mo, um ihn zu bestechen … Ich ahnte, daß er über Allan mehr wußte als alle anderen hier. Pi Mo’s Leute sahen, wie Allan von Ihren verkleideten Beamten in einen Lastkarren gefesselt hineingeworfen wurde. Das war eine Stunde nach dem Schuß auf Mr. Harst, als Allan auf dem Wege zum Mühle war.“

Repp, der nur unmerklich errötet war, erwiderte nichts. Er wandte sich an Pi Mo.

„Sie sind reif, überreif, Pi Mo … Die Kräheneier mögen noch hingehen, aber die Strohhalme werden Sie ins Zuchthaus bringen …“

Pi Mo verneigte sich überhöflich. „Seit wann ist es verboten, Kräheneier zu sammeln, Mr. Repp?! – Von Strohhalmen weiß ich nur so viel, daß ich sie in ihrer hygienischen Seidenumhüllung von der Firma Baire aus Bombay für mein Kaffee beziehe …“

Harst hatte Bessy in einen Sessel gedrückt und legte jetzt dem gelben Burschen die Hand schwer auf die Schulter. „Sehen Sie, Pi Mo, das war’s ja gerade … Sie haben soeben selbst das Wichtigste angedeutet: Die Seidenpapierumhüllungen!“

Der Chinese starrte ihn verständnislos an. Aber seine Züge verrieten eine gewisse Unruhe.

„Daß der Tisch an der Brüstung reserviert war, Pi Mo, – für uns zum Nachteil und für Sie zum Vorteil, nun, das ist vielleicht nebensächlich. Daß ich aber, nachdem wir Sie beim Eierholen ertappt und Ihnen die Raritäten abgekauft hatten, auf diesem Tisch nur Strohhalme für unsere Eiskaffees ohne Seidenpapier sah, während die anderen Gäste hygienischer bedient wurden, – daß Schraut und ich nur je einen Strohhalm bekommen hatten und Baat mehrere, – – schon faul, mein lieber Pi Mo! Ich habe unsere Strohhalme dann mitgenommen, und Baats Komödie beim Apotheker konnte an der Tatsache nichts ändern, daß er keine vergifteten Strohhalme erhalten hatte, … wir ja!!“

Der Barbesitzer hatte sich verfärbt. Sein erdiges Gesicht aber zuckte vor Grimm. „Also deshalb sind die beiden auf und davon!!“ schrie er. „Nun verstehe ich …!!“

„Wer?“

„Das Mädchen, das Sie bediente, und der Mixer, Mr. Harst. – Die nur können mit Baat gemeinsame Sache gemacht haben … Ich …“

„… Ja, Sie sind ein schlauer Unschuldsengel, Pi Mo,“ nickte Harst. „Natürlich sind Sie jetzt nicht zu fassen. Ich verliere nicht gern zwecklose Worte über eine verfahrene Geschichte. Wir hätten Sie und Ihr Nest sofort ausheben lassen sollen.“

Er setzte sich.

Auf dem Tische lagen Bessys Banknoten, und James Repp betrachtete das Päckchen mit verdächtiger Ausdauer. Es wurde still in dem Zimmer. Pi Mo stand mit seinem sanften Grinsen aufrecht da und spielte den Unbeteiligten.

Repp sagte zu ihm – es waren drückende Minuten verstrichen: „Daß Charly Baat tot ist, wissen Sie ja …“

Pi Mo verbeugte sich. „Die traurige Kunde ist bereits allgemein verbreitet.“

Dem Chin war nicht beizukommen. Er machte sich über uns lustig.

Bessy Steamer hatte ihre Erregung derweil auf ein erträgliches Maß niedergekämpft.

„Weshalb haben Sie Allan eingesperrt?“ fragte sie plötzlich den unerschütterlichen Polizeichef.

James Repp entgegnete einfach: „Weil er sonst nicht mehr lebte, Miß Steamer.“

Sie zuckte zusammen. „Wollen Sie das nicht näher erläutern, Mr. Repp?!“

„Es hätte keinen Zweck … Sie würden mir nicht glauben, Sie haben mir manches verdorben … – Wer beobachtete Fairlans Sicherstellung durch die Polizei?“

Pi Mo wurde munter. „Ein paar meiner Angestellten, die von der Mühle Mehl geholt hatten,“ erklärte er übertrieben höflich … „Ich habe die Leute zum Schweigen verpflichtet und bisher selbst geschwiegen. Nur Miß Bessys tiefer Schmerz rührte mich. Da sagte ich es ihr. Aber das Geld lehnte ich ab.“

„Ja, das ist richtig,“ nickte Bessy fast begeistert. „Pi Mo war sehr nett zu mir. Als die Polizei kam, wollte ich mich in … in … dem Hause nicht gern antreffen lassen und verbarg mich gegen Pi Mo’s Willen … – Lassen Sie Allan frei, Mr. Repp. Dann … dann werde ich Sie herzlich um Verzeihung bitten, weil mir vorhin der beleidigende Ausdruck entschlüpfte.“

Repp, der mir so allgemach ein kleines Rätsel wurde, sagte kühl:

„Wenn ich Fairlan freilasse, wird Ihnen ein vielleicht weil größerer Schmerz zugefügt werden, Miß Steamer. Fairlan würde … durch irgendeinen Unfall, den ich kaum verhindern könnte, bestimmt sehr bald sterben.“

Bessy stierte ihn entgeistert an.

Harst ergänzte zu meinem Erstaunen Repps Worte: „Außerdem, Miß Steamer, würden Sie noch eine niederschmetternde Enttäuschung erleben … Die Dinge sind noch nicht spruchreif, Miß Steamer. Vielleicht wendet sich alles zum Guten …“

Repp nickte unmerklich und warf Harst einen bewundernden Blick zu.

Ebenso eigentümlich war Bessys und Pi Mo’s Benehmen. Das Mädchen hatte den Kopf tief gesenkt und seufzte verstohlen. Eine Wolke schweren Grams lag auf ihrem Gesicht. Pi Mo war wieder wie vorhin erblaßt und hatte die Augen fast ganz zugekniffenen.

Ich wurde aus alledem nicht klug.

Repp verabschiedete Bessy und den Chinesen in dienstlichem Ton. „Ich bedaure, meine Zeit ist sehr knapp bemessen …“

Die Tür fiel zu.

 

3. Kapitel.

Das Ende der Fabrik.

Repp war immerhin höflich genug gewesen, Bessy bis zur Tür zu begleiten und den draußen wartenden Beamten zuzurufen, Miß Steamer und Pi Mo könnten sich entfernen.

Er ging im Zimmer auf und ab, die Hände in den Taschen seiner tadellos geschnittenen weißen Uniformjacke. Er schien mit einem Entschluß zu kämpfen, blieb vor uns stehen und sagte sichtlich bedrückt: „Meine Lage Miß Steamer und Ihrem Vater gegenüber ist sehr peinlich. Die Fabrik, unter uns, stellt heimlich Sprengstoffe her. Als Deckmantel dient die Fabrikation von Feuerwerkskörpern. Ich verkehrte in John Steamers Haus, ich bewarb mich um Bessy, bis ich eben Verdacht schöpfte. Die indischen radikalen Nationalisten stehen zu Steamer in geschäftlichen Beziehungen. Die Bombenattentate der letzten Monate wären wohl ohne Steamer nicht möglich gewesen. Seine Fabrik wurde wiederholt revidiert, natürlich fand man nichts. Es wäre meine Pflicht gewesen, sie zu schließen, oder doch die Verlegung an einen Platz weiter außerhalb der Stadt zu fordern. – Was nun Allan Fairlan betrifft …“ – er sprach immer langsamer – „ja, was diesen Mann angeht, der bei Bessy mehr Glück hatte als ich, – er war und ist in Lebensgefahr. Vorgestern nacht schlich er von der Drogerie in den Feldern zur Mühle. Er wählte stets denselben schmalen Fußsteg. Was ihn zur Mühle trieb, weiß ich nicht … Hätte er noch zehn Meter weiter den Steg[5] verfolgt, wäre er in Atome zerrissen worden …“

Harst und ich starrten den Polizeichef sprachlos an.

„… Meine Beamten hatten zum Glück die Mine entdeckt,“ fuhr Repp sinnend fort. „Es war da ein Brett mit Sand und Kraut bedeckt worden, und ein Tritt auf dieses Brett – Sie verstehen … Der Anschlag konnte nur Fairlan gelten. Und weil ich als treibende Kraft hinter alledem …“ – wieder zögerte er – „den … den …“

„… Vater Bessys vermute,“ ergänzte Harst lebhaft. „Wir wollen doch alle Rücksichten fallen lassen, Mr. Repp. Sie argwöhnen genau wie ich, daß der alte Steamer die Bücher selbst gefälscht hat … Und ich behaupte: Fairlan ist nicht das, wofür er sich ausgibt. Die Zentralregierung in Kalkutta hat ihre besondere politische Polizei, und deren obere Beamte pflegen gerade in neuerer Zeit den indischen Nationalisten sehr scharf und sehr peinlich auf die Finger zu sehen.“

Repp beugte sich vor. „Der Gedanke ist mir noch nicht gekommen … Das würde manches erklären … Ich glaubte nur, Fairlan hätte zuviel von Steamers dunklen Sprengstoffgeschäften in Erfahrung gebracht … – Gehen wir, meine Herren … Die Sache muß geklärt werden.“ Er war sehr lebendig geworden, schritt uns im Eiltempo voran, hinüber in den Seitenbau, das Polizeigefängnis. Als der Oberschließer vor dem Haupteingang aus seinem Stübchen trat und den Schlüssel zur schweren Haupttür in das Schloß schob, wandte er sich halb um … „Zu Mr. Fairlan?“

„Ja … Öffnen Sie!“

Der farbige Beamte erwiderte ohne jede Verlegenheit: „Mr. Fairlan ist auf Befehl des Herrn Residenten in aller Stille heute früh fünf Uhr freigelassen worden. Der Befehl lautete ferner dahin, daß ich Ihnen, Mr. Repp, hiervon erst Mitteilung machen sollte, wenn Sie nach Mr. Fairlan fragen würden.“

Repp sagte nur: „Es stimmt also. Fairlan hat seine Maske als Verkäufer in einer Drogerie nebst Kramladen mit großem Geschick getragen.“ Wir gingen über den Hof ins Hauptgebäude zurück. „Trotzdem fürchte ich für Fairlan …“ und Repp trat mit uns auf den Vorplatz hinaus. Drüben über den Palmenwipfeln der Anlagen ragte der Nazar stolz und trutzig in den sonnendurchglühten Himmel hinein. Repp deutete dorthin … „Ich möchte wissen, was Fairlan immer in der Nähe der Mühle wollte …“

Ein indischer Bettler, eine verkrümmte hinkende Jammergestalt, winselte neben uns um eine milde Gabe. Repp musterte ihn scharf.

„Mr. Fairlan – Sie?!“ fragte er leise.

Der bärtige stinkende Kerl flüsterte im besten Englisch:

„Nein, Hans Muck aus Barmen … – Es ist zum Erbarmen, daß Sie sich meinetwegen Sorgen machen, lieber Harst … Wiedersehen …“

Er hinkte davon.

Harst sagte zu uns, nachdem er sich vorsichtig umgeblickt hatte:

„Das war einer der besten Berliner Kriminalkommissare, Mr. Repp. Gut sind sie alle, aber für Hinrich Schüddelkopp hat man eben den allerbesten herausgesucht.“

Mein Mund klappte auf …

„Lücke etwa?!“

„Ja, Doktor Hans Lücke, hier mit Wachsnase, Wachskinn und Koteletten … Jetzt mal zur Abwechslung Bettler, eine Stunde später vielleicht Hausierer … – Schraut und ich sahen an Baats Siegelring im Gehölz Wachsstückchen, und schon da fürchtete ich, daß Baats Hammerfaust Lücke übel mitgespielt[6] haben könnte: Kinnhaken! Aber wir haben Lücke unterschätzt, er muß doch wieder auf die Beine gekommen und geflüchtet sein …“

Repp sagte kopfschüttelnd: „Die Sache mit dem Konsortium wird für meinen Geschmack von allzu viel geheimnisvollen Persönlichkeiten umrankt. Es ist das allerdings Geschmackssache … Was soll dabei herauskommen?!“

Die Antwort?!

Ein ungeheurer Knall aus der Richtung des Nazar … Die Scheiben der Polizeidirektion klirrten – einige barsten, zersplittertes Glas fiel herab … Angstrufe ertönten, – – drüben erhob sich jetzt eine schwarze Qualmwolke, von giftgrünen Strahlen durchzogen … Explodierende Feuerwerkskörper flogen in die Luft … weitere dumpfe Knalle folgten … –

Repp hatte nicht eine Sekunde die Ruhe verloren.

„Die Fabrik …!! Hinein in mein Dienstauto!“

Wir jagten davon.

Repp war sehr bleich. Die Angst um Bessy stand ihm an der Stirn geschrieben.

Als wir an der Drogerie vorüberrasten, fanden wir sie verhältnismäßig wenig beschädigt.

Das Auto hielt.

Vor uns auf dem Wege, der nach links zu der völlig zerstörten Fabrik führte, kniete Bessy Steamer neben einem am Boden liegenden Inder …

Es war Allan Fairlan. Eine Kugel war ihm durch die Brust gegangen, aber die Kugel schien nicht allzu gefährlich zu sein.

Bessy war in ihrem Schmerz wie von Sinnen. Ich brachte sie halb gewaltsam in die Drogerie, während Polizeibeamte Fairlan ins Krankenhaus schafften und Harst und Repp die Ruinen der Fabrik in Augenschein nahmen.

Das arme Mädel umklammerte mich und schrie immer wieder: „Er darf nicht sterben … er darf nicht sterben …! Es wurde wieder aus der Mühle geschossen … Er darf nicht sterben!“

Ich bin ein schlechter Tröster, ich bin so unbeholfen im Umgang mit Frauen, – bei hübschen jungen Damen versage ich ganz. Das Alter über fünfundfünfzig liegt mir am besten.

Die Hintertür der Drogerie hatte ich nicht zu öffnen brauchen. Das hatte schon die Explosion besorgt. – Bessy beruhigte sich allmählich. Seltsamerweise fragte sie nach ihrem Vater überhaupt nicht. Dann kam eine Freundin von ihr und nahm sie mit zur Stadt. Ich eilte zu den Resten der Fabrik. Soeben wurde John Steamers kaum mehr erkennbare Leiche aus den Trümmern des Wohnhauses hervorgeholt. Außer ihm waren noch elf farbige Arbeiter und vier Büroangestellte ums Leben gekommen. Wo die Fabrik gestanden hatte, war nur mehr ein riesiger Krater zu sehen.

Repp, dem ich von Bessys bestimmter Behauptung, Fairlan sei von der Mühle aus niedergeschossen worden, berichtet hatte, sagte ingrimmig – und diesmal zeigte er etwas Temperament:

„Das ist Pi Mo’s Werk!! Der verfl… gelbe Hund hat den Mitwisser Steamer nun auch erledigt, genau wie Baat! Aber ich fasse ihn schon noch …“

Harst blickte den Polizeichef ernst an. „Ich fürchte, Sie werden, Pi Mo nie mehr sehen, Mr. Repp … Möglich, daß man noch seinen Kopf findet … Möglich. Pi Mo ist mit in die Luft geflogen, denn der Generaldirektor des Konsortiums hat Lunte gerochen …“

„Ich verstehe Sie nicht …“

„Sie werden mich verstehen. – Gehen wir mal die Schäden der Mühle in Augenschein nehmen.“

 

4. Kapitel.

Mehl und Glas.

Um die Fabrik hatte sich inzwischen eine Mauer von Neugierigen angesammelt. Viele Tausende waren herbeigeströmt, die Polizei hatte übergenug zu tun, noch immer erfolgten in den zusammengebrochenen Lagerhäusern einzelne schwache Explosionen.

Uns holte ein Polizeireiter ein, der neue Unglückskunde brachte: Die Elefanten Seiner Hoheit, durch die Explosion im Außenkraal des Elefantenhauses in Panik geraten, waren sämtlich ausgebrochen und hatten sich in die Wälder geflüchtet. Seine Hoheit sei gleichfalls sehr empört, daß die Fabrik nicht längst geschlossen worden sei, und werde sich beim Vizekönig beschweren.

Repp hatte, wie sich jetzt herausstellte, eine erlesene Auswahl von Flüchen für ganz besondere Fälle in Bereitschaft. Ein solcher Fall schien hier vorzuliegen. Der Polizeichef flocht in seinen Blumenkranz von Verwünschungen die Bemerkung ein, natürlich werde er jetzt einen dienstlichen Wisch erhalten. Aber das verstörte Gesicht eines Mannes mit stark bemehltem Gesicht, das recht komisch wirkte, lenkte ihn wohltuend ab.

„Wo ist dein Herr?“ fragte er den im Torweg der Mühle stehenden Werkmeister, also jenen Mischling, dem er nicht über den Weg traute.

Mischling stimmte vielleicht. Vielleicht, denn bei einem Müller pflegt die Hautfarbe unsichtbar zu bleiben.

Der lange Kerl winselte indem er auf die Fenster deutete: „Mr. Tuppy wird Schadenersatz fordern … Ich habe gezählt, es sind achtundzwanzig zerbrochene Scheiben.“

Er mochte recht haben.

Aber Repp wollte hören, wo Mac Tuppy sei. „Der Satan hole eure Fenster … Wo ist dein Herr?“

„Der …. der ist doch schon vor drei Tagen nach Vandnoor gereist … Er hat die Gicht in den Zehen und bekam keinen Schuh mehr an.“ (Vandnoor ist ein Solbad in den Himalaya-Vorbergen, erst neuerdings in Mode gekommen durch eine großzügige Reklame.)

„So?!“ Repp war etwas enttäuscht. „Wie heißt du doch?“

Der lange Mehlstaubfänger erwiderte stolz:

„Graf Alfons d’Amida …“

Repp lachte bissig. „Richtig, deine Ahnenreihe reicht um[7] die Erde herum … Dein Vater war also Spanier, und deine Mutter?“

„Eine Halbe,“ meinte dieser Grafensproß kleinlaut. (Halbe, gleich Kind eines Weißen und einer Chinesin.) Dann gab d’Amida sich jedoch einen inneren Ruck und meinte großartig: „ich bin es nicht gewöhnt, mit Du angeredet zu werden, Mr. Repp, wenn auch mein armer Vater …“

„… Weiß ich, wurde in Kalkutta aufgeknüpft, ungefähr fünf Morde … – Zeige uns die Mühle.“

Der große Vorhof war mit Lastwagen, Kamelen, Eseln, schreienden Kulis und Mehlstaub angefüllt. Es herrschte hier eine wilde Geschäftigkeit. Jeder der Kunden wollte zuerst abgefertigt werden. Sie hatten die Explosion schon vergessen. Es waren viele Chinesen darunter, und die Mehlsäcke flogen die Rutschbahn von oberen Mühlensaal her herab wie eilige weiße Raupen in endlosem Zuge.

Die Mühle war ein langgestreckter Bau, der mit der Hinterfront nur noch zehn Meter von dem Abhang entfernt war. Schräg über uns auf der Anhöhe lag der Nazar Bagh.

Es war kein Wunder, saß es hier so geschäftig herging. Die Mühle hatte vier Turbinen von erheblicher Stärke, wenn auch in der Konstruktion schon etwas veraltet. Das Wasser kam aus einem meterdicken Rohr aus der Mitte des Abhangs in den Erdgeschoßraum hinab, und der Druck mußte sehr stark sein, – ich verstehe nicht viel von technischen Dingen, sah auch zum ersten Male eine Mühlenanlage mit Turbinen.

Wir besichtigten den Maschinenraum, wir stiegen in die Keller hinab, wir ließen uns Zeit, und Harst schnüffelte in allen Winkeln umher. Die Mühle besaß eigene elektrische Beleuchtung, die Keller waren zumeist leer, ausgemauert und mit Licht versehen.

Repp wurde etwas ungeduldig. „Mr. Harst, denken Sie etwa noch immer an den Nazar?!“ meinte er, als Harald die Kellermauern mit der Taschenlampe ableuchtete. „Wenn jemand von hier aus zu den Gewölben des Nazar vordringen wollte, würde er sehr bald auf festes Gestein stoßen und müßte Gesteinbohrer verwenden. Er müßte einen Gang durch die Felsmasse herstellen, der etwa zweihundert Meter lang sein müßte – mindestens, und dazu gehörten, weil Sprengschüsse nicht möglich wären, viele Jahre … Ich habe mir dieses schon überlegt. Lassen Sie doch den Gedanken fallen.“

Harst nickte zerstreut. „Natürlich ist das ausgeschlossen. Gehen wir wieder nach oben.“

Er schritt nochmals durch den Maschinenraum, wo zumeist Chinesen tätig waren. Der Lärm war ohrbetäubend, und ich war froh, als wir wieder im Freien waren und den Anbau betraten, in dem Mac Tuppy wohnte. Repp hatte d’Amida wieder herbeigerufen, und wir fanden hier drei bescheiden möblierte Stübchen, einen dicken chinesischen Koch in einer blitzsauberen Küche – – sonst nichts.

Repp setzte sich in Tuppys Schreibstuhl. „Hör mal, Freund d’Amida,“ – und er kopierte jetzt sehr geschickt Harsts ganze Art, „– lieber Freund d’Amida, bist du ein guter Schütze?“

„Es geht, Mr. Repp …“

„Schießt du mal Krähen, Freund d’Amida?“

„Nein.“

„Menschen?“

d’Amida wurde stutzig. „Menschen?! Ich habe keinerlei Vorstrafen, oder doch nur ganz geringe, und ich würde nie Menschenblut vergießen …“

„Sehr lobenswert – sehr … Führe uns jetzt zum Schluß auf den Boden der Mühle …“

„Bitte,“ sagte d’Amida steif.

Harst sagte gar nichts.

Wir kletterten eine bestäubte Treppe hinan und kamen zu dem verfänglichen Bodenfenster. Bis zum Fenster hin lag das feine Mehlpulver in gleichmäßiger Schicht, keine einzige Fußspur war zu bemerken. Die Scheiben waren natürlich sämtlich zerbrochen und die Splitter nach innen gefallen.

Harst nahm Repp beim Ärmel. „Halt …! Sehen Sie etwas?“

„Nein.“ Repp war sehr erstaunt. „Und ich habe gute Augen, Mr. Harst …“

„Mr. d’Amida,“ wandte er sich an den langen Mehlstaubfänger, „ihr habt hier eine kleine Dummheit gemacht, nachdem ihr auf Mr. Fairlan geschossen hattet … Die Sache ist doch die: Fairlan wollte als Inder verkleidet hier zur Mühle. Jemand schoß ihm aus diesem Fenster mit dem Preßluftkarabiner durch die Brust. Miß Bessy fand ihn, zum Glück kniete sie sich nieder und beugte sich über ihn, und der Luftstoß der Explosion ging über beide hinweg. Ich betone, die Explosion erfolgte nach dem Schuß, der hier aus diesem Fenster abgegeben wurde, Mr. d’Amida. Sie wissen nichts davon?“

„Nichts …!“

„Wann waren Sie zuletzt hier oben?“

„Seit Wochen nicht.“

„Ich würde mir an Ihrer Stelle ein besseres Gehirn besorgen. Sie waren noch vor etwa einer halben Stunde hier. Vielleicht wischen Sie sich einmal den Mehlstaub von den edlen Zügen … Er ist ziemlich dick, dieser Staub, aber nicht dick genug. – Kennen Sie Kollodium? Man benutzt es, um blutende leichte Wunden zu bestreichen. Es riecht. – Sie riechen nach Kollodium. Wischen Sie!!“

Aber d’Amida wischte nicht. Seine Schultern sanken, er wurde sehr schlapp in Haltung und Fassung.

Repp wischte, und d’Amidas Gesicht zeigte vier durch Kollodium geschlossene Schnittwunden.

„Schuft!“ sagte Repp. Doch der Lange hatte sein Gehirn, das sicherlich weniger wog als das Baats, schleunigst aufgefrischt und meinte wie ein Lamm: „Ach, nun verstehe ich Sie erst … Gewiß, unten im Mahlsaal flogen mir Scheibensplitter ins Gesicht …“

Harst seufzte. „Sie verwechseln unten und oben … Hier flogen sie Ihnen ins Gesicht – Nicht unten! Sie hatten zu lange Mr. Fairlan und Bessy durch dieses Fenster beobachtet, mein Freund. – Betrachten Sie den Fußboden. Die Glassplitter sind schön gleichmäßig wie die Dielen überstäubt, aber Sie hätten nicht frisches Mehl dazu nehmen sollen, es riecht stets, während Mehlstaub, der hier allmählich sich angesammelt hätte, den Geruch längs verloren haben würde. Diese Mehlschicht hier am Fenster ist auch in der Farbe von der Umgebung verschieden – eben zu frisch, mein lieber d’Amida. – Und weiter: die Schicht wäre niemals so gleichmäßig auch über die Glasscherben verteilt worden, wenn diese Scherben nur von dem durch die Explosion aufgewirbelten Staub bedeckt worden wären. Schließlich …“

… Kunstpause …

„… schließlich, d’Amida, – ich hebe hier diesen Splitter auf … Was sehen Sie, wenn ich ihn umdrehe?“

Auf der Unterseite, die nur wenig Staub enthielt, leuchteten zwei frische, rote, verwischte Flecke: Blut!

Harst fuhr fort, während d’Amida erheblich zitterte, und Repp schon ein paar schmale Handfesseln aus Stahl ihrer Bestimmung zuführte, was d’Amida stöhnend sich gefallen ließ: „Leugnen Sie noch immer?“

Der Gefesselte konnte höchstens im Jenseits die Frage beantworten. Er schnellte plötzlich hoch und fiel vornüber, zuckte und lag still.

Wir sahen im Halbdunkel des langen Bodenraumes gerade noch eine schattenhafte Gestalt mit einer kurzen Büchse in der Hand zur Tür huschen. Die Bodentür schlug zu, der Riegel wurde vorgeschoben, und der, dem d’Amida einen raschen Tod verdankte, war nicht mehr zu finden. –

 

5. Kapitel.

Die eine Turbine.

In unserem Salon saß Dr. Hans Lücke mit gewohntem Monokel und stark geschwollenem Kinn.

„Tag, Kinder … Die Sache macht sich …“ Er drückte uns warm die Hand. In Baroda kann man niemandem kalt die Hand drücken.

Lücke, tipp top wie immer, wippte mit dem übergeschlagenen Bein und zeigte seine tadellosen weißen Schuhe, Fabrikat Lauter u. Comp., Berlin, oder Stiller oder Leiser. Ich weiß nicht recht, welches. „Also die Sache macht sich … Das Konsortium schwindet dahin wie Aprilschnee. Steamer, Baat, nun d’Amida … Pi Mo ist sehr rührig, aber leider nicht zu fassen. Ein schlauer Teufel, ein Schüler Schöttelkoffs wahrscheinlich … – Wie hat euch Mac Tuppy gefallen?“

Er blinzelte uns durch seinen Scherben ironisch an.

„Tuppy ist verreist,“ sagte ich etwas gedehnt, während Harald es sich bis aufs Hemd bequem machte.

„Tuppy ist Bluff,“ erklärte Harald und warf sich in den Korbsessel.

„Natürlich,“ nickte der patente Hans. „Tuppy und Hinrich Schüddelkopp sind eins. Das ahnten Sie doch, Mäxchen, nicht?“

Es fiel mir schwer, aber ich war ehrlich.

„Nein, es überrascht mich.“

„Ja,“ sagte Harst milde, „der gute Pi Mo streut allen Leuten Sand in die Augen … Er wird sehr bald eine ganze Sandbank aufgeschüttet haben … Einiges nimmt der Fluß mit, aber einiges bleibt, auch auf seinem Bootssteg …“

Lücke musterte ihn argwöhnisch. „Sie altes Orakel, was soll das?!“

„Nichts. – Wie geht’s Fairlan? Sie haben doch mit ihm sich angefreundet.“

„Der Schuß ist ungefährlich, Bessy ist selig, und als ich im Krankenzimmer war, packte mich der Neid … Küssen kann das Mädel!! Sie genierte sich gar nicht … Ein liebes Ding.“

Ich wagte einzuwerfen: „Harst nimmt an, daß Pi Mo tot ist … mit in die Luft geflogen. Und Sie, Lücke, scheinen das Gegenteil …“

„… Er lebt – leider,“ erklärte Lücke und griff nach der Eislimonade. „Schüddelkopp kann ihn nicht entbehren.“

„Stimmt,“ pflichtete Harald bei. „In diesem Punkte habe ich mich verhauen.“

Unser gedämpftes Gespräch sank zu noch vorsichtigerem Flüstern herab.

„Ich weiß nicht, wo der Hinrich, der Herr von Binger, die süße Susi und Karl Murg stecken,“ berichtete Lücke. „Ich fürchte, wir werden Sie auch nicht finden. Der Plan, den Nazar Bagh betreffend, ist Unsinn, das meint auch Fairlan. – Was mich betrifft: Ich bin hierher gekommen, die vier zu verhaften, und ich harre aus.“

Harst rauchte eine zweite Zigarette an. „Wir werden morgen Baroda verlassen, Freund Lücke. Wir werden sehr geschäftig bis dahin tun, werden dann Baats Lady Hamilton leihen und den trefflichen Sifu und nach Bombay gondeln. Dann werden wir Hinrich fangen, und Pi Mo wird baumeln. Der Stern von Kabinur muß erst wieder leuchten … Das wird das Zeichen sein, daß das Konsortium weiterarbeitet. Repp hat schon ein Flugzeug heimlich bestellt. Es wird alles klappen, sobald ich Jack den Bauchaufschlitzer gespielt habe. – Und jetzt fragt nichts, sondern laßt uns von der Liebe reden – wie einst im Mai, oder anderen Dingen. Wie sieht’s in Berlin aus, Lücke?“

„Wie immer. Man reißt das Pflaster auf.“ –

Als wir nachts vom Hotelturm nach dem Stern von Kabinur auslugten, war nichts zu sehen. Am anderen Nachmittag gondelten wir mit dem Benzinstänker, Sifu und dem trefflichen Hund Monitor, den nachher Bessy sehr lieb gewann und bei sich aufnahm, den Fluß abwärts und in die Bucht von Cambay hinein.

Ich will die nächsten Tage, die wir zwischen Korallenklippen verborgen mit Angeln, Schlafen, Essen und Skat zubrachten, übergehen. Mit Repp war vereinbart, daß er uns ein Polizeiboot schicken solle, sobald der Stern wieder nachts seine Lampen aufglühen ließ. Dieses Boot erschien am fünften Tage, gab ein Flaggensignal und fuhr davon. Sifu, der Bengel, beobachtete es mit größtem Interesse. Harst sagte zu ihm, und er sprach ganz freundlichen Tones: „Du bist in vieles eingeweiht, Sifu, du bist ein verdorbener Schlingel, aber noch besserungsfähig. Du würdest uns verraten, ich weiß es, daher werden wir dich fesseln. Du hast Angst vor Pi Mo. Willst du reden?“ – Es war umsonst, und Sifus Sprung über Bord wurde von Harald verhindert.

Zwei Stunden drauf kehrten wir in strömendem Gewitterregen zur Flußmündung zurück, verbargen die Lady Hamilton im Schilf unweit der Residenz und waren um Mitternacht in dem Gehölz neben dem Wege zur Mühle. Harst hatte von seinen Absichten bisher nichts preisgegeben, und Repp und seine Beamten, die wir in dem Wäldchen trafen, wußten genau so wenig wie wir, weshalb Harald jetzt, als vier mit Säcken beladene Karren von der Mühle her nahten, sich kriechend entfernte und sich heimlich auf den letzten Wagen schwang und zwei Säcke mit dem Messer aufschlitzte.

Das Gewitter hatte etwas Abkühlung gebracht, die Luft war rein, der Mond und die Sterne gaben übergenug Licht.

Harst winkte. Im Nu waren die Karren umzingelt, die Kutscher und Kulis gefesselt und alles im Gebüsch verborgen.

Die Säcke enthielten nicht Mehl, sondern Sand, und der Transport war für Pi Mo bestimmt.

„Sie sind an der Arbeit,“ meinte Harst. „Repp, – zur Mühle nun. Einige Leute bleiben hier, andere sollen Pi Mo’s Bar einkreisen, den Rest nehmen wir mit.“

Graf d’Amida war tot, und der neue Werkmeister war bisher bei Pi Mo Barmixer gewesen, ein Chinese, dem unser Besuch sichtlich auf die Nerven fiel.

Die Mühle war in vollem Betrieb. Aber – – was von Säcken die Gleitbahn herabkam, enthielt Sand … Sand …

Harst führte uns in den Turbinenraum. Die eine Turbine stand am äußersten Ende des Raumes nach dem Abhang zu.

„Bitte – horchen Sie!“ sagte Harst zu Repp und deutete auf das hohe Turbinengehäuse. „Diese Turbine läuft mich. Sie ist nur eine Attrappe …“ Er öffnete die eine Seite, und wir sahen in eine leere Riesenbüchse hinein, aus der eine eiserne Leiter in einem runden Rohr schräg nach unten lief.

Er zog seine Pistole, schaltete die Taschenlampe ein und erklärte kurz: „Die Anhöhe, auf der der Nazar steht, ist Fels, mit Sandstreifen durchsetzt. Das Konsortium arbeitet sich in einer solchen Sandschicht zu den Schatzgewölben empor. In dem Schacht, dessen Sandmengen Pi Mo als Mehl zu sich schaffen ließ und in den Fluß schüttete, stecken die Gesuchten. Es werden dort Räume vorhanden sein, die behaglich als Wohnung hergerichtet sind. – Steigen wir hinab …“

Wir kamen nicht weit. Wir hatten kaum den horizontalen Teil des Schachtes erreicht, in dem dicht bei dicht Säcke mit Sand aufgestapelt waren, als wir einen dumpfen Knall vernahmen und auch den starken Luftstoß einer Explosion in den höheren Teilen des Schachtes verspürten. Gleich darauf schoß uns eine hohe Woge Wasser entgegen, und mit knapper Not gelangten wir vor den einbrechenden Fluten in den Maschinenraum zurück.

Was war geschehen? – Ein Polizeibeamter, der bei der Verhaftung Pi Mo’s zugegen gewesen, und der inzwischen zurückgekehrte Flieger, der eine Weile über dem Stern von Kabinur gekreuzt hatte, sowie Harsts verbindende Erklärungen gaben restlos Aufschluß.

Die Verhaftung war Pi Mo ganz überraschend gekommen. Trotzdem hatte er noch Zeit gefunden, auf einen Knopf neben seinem Schreibtisch zu drücken. Dieser Knopf ließ auf dem Dache von Pi Mo’s Bar oben auf der Fahnenstange eine dort ständig bereite grüne Rakete in die Luft gehen. Der Flieger hatte auch die Rakete bemerkt, und im selben Moment war der leuchtende Stern erloschen, im selben Moment erfolgte im Schacht auch die Explosion: Eine geheime Leitung hatte von dem Baume, auf dem zwei Chinesen den Signalstern bedienten, bis in den Schacht zu der Dynamitladung geführt. Pi Mo hatte seine Verbündeten kaltblütig ertränkt. Die, die Hans Lücke hatte verhaften wollen, wurden erst nach Tagen als Leichen geborgen.

Das Konsortium hätte bestimmt sein Ziel, die Schatzkammer, erreicht.

Hätte …

Das Konsortium wanderte, soweit es die Statisten betraf, ins Zuchthaus, Pi Mo durfte sich Baroda vom Galgen aus ansehen.

Es gab kein Konsortium zur Verwertung von Juwelen Seiner Hoheit des Kuhhirten mehr. Es gab nur ein glückliches Ehepaar Allan und Bessy Fairlan, – noch heute leben sie in Kalkutta.

Die Mühle steht still.

Meine Feder auch.

Wiedersehen …

 

Nächster Band:

Das Lied des Sterbens.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „Schüttelkopp“ – Durch den folgenden Text: „… oder wie der Halunke heißt …“ kann man davon ausgehen, daß diese Schreibweise (im Gegensatz zum sonst üblichen „Schüddelkopp“) hier beabsichtigt ist. Daher so belassen.
  2. In der Vorlage steht: „Nazar-Baph-Palast“.
  3. „Pi Mos“ / „Pi Mo’s“ – Einheitlich auf „Pi Mo’s“ geändert.
  4. In der Vorlage steht: „desgeichen“.
  5. In der Vorlage steht: „Steig“.
  6. In der Vorlage steht: „mitgespeilt“.
  7. In der Vorlage steht: „und“.