Olaf K. Abelsen
Abenteuer
Abseits vom
Alltagswege
Einzig berechtigte
Bearbeitung a. d.
Schwedischen von
M. Schraut
– Band 25 –
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1931 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16
Dort, wo der langgestreckten Halbinsel Niederkalifornien, diesem wenig bekannten Landstrich, etwa in der Mitte der Westküste die Cedros-Insel vorgelagert ist, schneiden zahlreiche Buchten mit felsigen, bewaldeten Ufern in diese Heimat der endlosen Kakteenfelder ein. Eine der Buchten war seit Monaten Zankapfel und Schauplatz erbitterter Kämpfe um drei Erdölquellen gewesen, bis schließlich das Recht auch hier gesiegt hatte und eine junge Niederlassung entstanden war, in der fleißige Yuma-Indianer friedlich mit Europäern und Mexikanern das Erdöl in ferne Gegenden verschickten. Der blutige Streit um die Eugenia-Bucht und ihre Umgebung hatte zarte Beziehungen zwischen den weiblichen Teilnehmern und ihren kernigen, straffen Helfern angeknüpft.
Mein Freund Taskamore, ein Halbblut von hervorragenden geistigen und körperlichen Eigenschaften, war genau wie ich durch Rosenketten an diesen einsamen, weltentlegenen Erdenfleck gebunden. Aber das abenteuerliche Blut, das heiß durch unsere gesunden Adern rann, lechzte insgeheim nach neuer, nervenkitzelnder Betätigung. Ich war Wanderer abseits des Alltags, – Taskamore war es nicht weniger.
All das, was an der Eugenia-Bucht sich abgespielt hatte, war für uns im Grunde nur Sprungbrett in unbekannte andere Weiten. – Genug: Das geregelte Dasein lähmte bereits uneingestanden unsere besten Kräfte, und ein Zufall gab den Dingen eine andere Wendung. – –
Der fahlgelbe Streifen im Nordwesten schien Taskamore wenig zu behagen.
„Die Sonne zieht Wasser, El Gento“, sagte er bedächtig und zögerte noch immer, das kleine Boot loszumachen.
„Und unser Morgenbad?!“, warf ich aufmunternd ein. „Vorwärts, die Riffe winken, und die Dünung ist schwach, wie das Atmen eines schlafenden Riesen.“
Der Riese vor uns war der endlose Ozean.
Längst hätte die Sonne klar und gleißend am Himmel stehen müssen. Sie verbarg ihr strahlendes Antlitz hinter finsteren Wolkenfetzen, die wie Gebirge im Osten lagerten und die Bergzentren des Felsengebirges vortäuschten.
Ich selbst spürte, wie drückend schwül die Luft war. Auch das Getier am Strande unserer großen Bucht, in der jetzt ein Leben und Treiben wie an einer der Stätten der Großindustrie herrschte, fühlte wohl die für diese frühe Tagesstunde ungewöhnliche Wärme.
Winter war es.
Aber Winter am Rande der heißen Zone und daher Schnee und Eis und Kälte nur ein Traum.
Taskamore löste das Tau, stieß mit dem Bootshaken kraftvoll ab, und das kleine schlanke Fahrzeug, Nußschale nur für vier Mann vielleicht, flog unter dem Druck der eintauchenden Riemen fast zischend durch das stille Wasser, auf dem die Erdölflecke dahintrieben wie flache, tote Quallen.
Die Gefährten schliefen noch.
Taskamore und ich wohnten seit Tagen hier am Außenstrand in einem Lederzelt und tauschten Erinnerungen aus und jagten durch die nahe Steppe auf schäumenden Pferden und hetzten den Panther oder den gefährlichen Jaguar und schmiedeten Pläne.
Pläne, die gen Süden zielten.
Ganz weit gen Süden.
Wo, wie die Menschen sagen, die Welt zu Ende ist.
Taskamore winkte.
„Stopp!!“
Haarscharf schoß das Boot an den kahlen Felsen vorüber, die hier weit draußen aus der nimmermüden Brandung wuchsen.
Ich zog die Riemen ein, der Bootshaken biß in den Fels, und wir waren angelangt.
Acht Meter hoch stieg diese Nadel aus der Tiefe empor, – droben gab es eine Abplattung, unser Sprungbrett.
Keuchend erklommen wir die Höhe, standen Leib an Leib, nackt wie die seligen Götter, braun wie die Insulaner, stark wie die Bären und doch … unfroh …
Unten schaukelte das Boot mit unseren Kleidern und Waffen, unten brandete die Dünung zischend gegen den Felsenzaun, aber ihr ewiges Spiel war heute matt und lustlos wie wir selbst.
Ein Blick ringsum …
Es war nötig.
Haie trieben sich hier umher …
Nicht nur die.
Robben und Sägefische, Tümmler und Wale kleinerer Art belebten die Küsten der wärmeren Striche der endlosen Halbinsel Niederkalifornien, die ein Kontinent für sich ist.
Kamo zaudert mit dem Hechtsprung.
„Hallo, was gibt es?!“
Seine Augen ziehen sich enger, starren ins Weite – dorthin, wo Satanas den ockergelben Streifen malte.
„Olaf, ein großer Wal, ein sehr großer …“
Da habe auch ich den Burschen erspäht.
Und wir beide müßten nicht gerade wir beide sein, wenn nicht sofort die Flamme des Jagdfiebers in uns hochschlüge.
„Wie wär es?!“
Mehr fragt Kamo nicht.
„Los!!“
Und ich schwinge die Arme hoch, stoße mich ab, schieße durch die Luft, fahre in die brodelnden Wasser, tauche wieder auf und schwimme dem Boote zu.
Kamo ist dicht hinter mir.
Das Boot, Nußschale nur, jagt mit bebenden Dollen gen Nordwest. Vier Riemen peitschen den heiligen Ozean, zwei nackte Kerle mit Muskeln wie stählerne Federn legen sich mit aller Kraft in die gehorsamen Ruder, die Küste schwindet allmählich, Wogenberge turnen wir hinan, in Wellentäler schießen wir hinab, – – und in der Ferne liegt still und schlafend das Ungeheuer, das der Aberwitz der Abenteurerlust mit Stahlmantelgeschossen bezwingen will.
Neu ist mir dieses Spiel und das Neue lockt …
Welch’ einen Einzug in die Bucht wird das geben, wenn wir mit dem erlegten Wal im Schlepptau uns nähern und alles am Strande zusammenlaufen wird und irgend einer brüllt:
„Fünftausend Dollar ist der Fang wert!“
Mindestens so viel.
Immer wieder drehen wir die Köpfe.
Das Meeresungetüm schläft.
Wale schlafen auf der See, schaukeln daher wie ein gekentertes schwarzes Wrack.
Nie sah ich einen Burschen wie den da! Mit bloßem Auge schätzte ich:
„Zwölf Meter, Kamo!“
„Vierzehn, Olaf!!“
Im Bogen geht es von hinten heran …
Finger am Drücker …
Feuer fährt aus dem Rohr …
Nochmals …
Auch Kamo schießt zweimal …
Dann die Ruder, – dann ein erstes Eintauchen …
Und ein Schwanzschlag des Todwunden, daß eine Fontäne gen Himmel fährt …
Der Ozean kocht …
Spritzer kommen über Bord, ganze Wogen bedrohen uns, – der Wal dreht sich wie rasend um sich selbst, – – und urplötzlich verschwindet er in den Schlünden des Meeres …
Kamo ruft hinter mir:
„Fehlschüsse, Olaf!!“
Ich lehne keuchend mit der Brust gegen die hochgestellten Ruder und stiere in die Ferne.
Mir verschlägt es die Antwort …
Das, was ich dort sehe, ist wie ein grauenvoller Spuk …
„Kamo!!“
Heiser, bellend kommt es aus jäh verdorrter Kehle.
„Kamo, – – da vor uns!“
Freund Taskamore kennt das Meer erst seit Monaten. Ich kenne es seit Jahren, vielen Jahren.
Er erhebt sich, beschattet die Augen …
Nie sah er eine Springflutwoge.
Nie sah ich solch’ einen Wall von hochgetürmten Wassern. Dafür gab es hier im Stillen Ozean nur eine Erklärung: Seebeben!
Die Mächte der Tiefe, die nie zur Ruhe kommen, hatten sich wieder einmal geregt, hatten mit wütenden Fausthieben ihren Kerker zu sprengen gesucht und hatten feurigen Odem durch berstendes Gestein und durch die Sandschichten des Meeresbodens emporgeblasen und eine jener Dampfexplosionen erzeugt, die den Ozean aufwallen lassen zu gigantischen Bergen, die jene Springfluten hervorrufen, von denen schon so mancher Seefahrer jäh überrascht wurde.
Das, was da in der Ferne herangerollt kam als gläserne Mauer, die sich über den ganzen Horizont hinzog, mußte eine in sich geschlossene, von unheimlichen Kräften vorwärtsgepeitschte gigantische Wassermasse sein mit steilem, uns zugekehrtem Vorderrand, ein verheerendes Gebilde aus salzigem, schimmerndem Naß, dahingleitend wie ein ungeheuerlicher Fremdkörper über sein Ursprungselement, eine Vernichterin, die nichts mit Orkan, Taifun oder Gezeitenströmungen zu tun hatte.
Die drückende Schwüle und die völlige Windstille empfanden wir doppelt stark beim Nahen dieser gläsernen, noch fernen Wand.
Und als ob Satanas nun zufrieden, daß er wieder einmal mit giftigem Haß die Urkräfte der Tiefe zu tückischem Spiel angeregt, hatte er schleunigst seines Beelzebubschwanzes zottige Quaste dazu benutzt, das scheußliche Ocker vom Himmel zu verwischen und den Sonnenstrahlen Zutritt zu gewähren zur Beleuchtung der Endkatastrophe.
Der Sonnenball tauchte auf, und mit ihm dicht vor uns ein schwarzes Wrack, der tote Wal.
Er war tot.
Nicht die leiseste Bewegung des Schwanzes verriet irgendwie eine Lebensäußerung.
„Kamo, – dort, die einzige Rettung für uns!“
Meine Stimme schrillte, mit feuchten Händen packte ich die Riemen, mein Leib war mit klebrigem Schweiße bedeckt, meine Nerven streikten.
Das Boot flog auf den toten Riesen zu.
Wir hatten zwei Harpunen im Boot, dazu einen Bootshaken, genügend Leinen.
Es blieb uns nur die eine Aussicht, der zermalmenden Kraft der gläsernen Mauer zu entgehen und vielleicht uns und das Boot zu retten.
Eine so geringe Aussicht, daß sie wie Aberwitz erschien.
Und doch mußte es gewagt werden.
Dumpf stieß das Boot gegen den toten Riesen, dessen mächtiger Rücken wie ein Hügel die Wasser überragte.
Kamo verstand meine Absicht sofort, nahm die zweite Harpune, trieb sie in den Kadaver hinein mit wütendem Stoß, drückte nach …
Zwei Harpunen und der Bootshaken sollten uns Halt geben an der einzigen Brustwehr, die wir dem fast lautlos dahinrollenden gläsernen Verderben entgegensetzen konnten.
„Kamo, – festbinden …! Das Boot umkippen, – festbinden mit dem Boden nach oben.“
Nackt hingen wir in den Tauen an den Harpunen, verstauten Kleider und Waffen unter den Bodenbrettern, – das Boot lief voll, schmiegte sich von selbst an den Kadaver und hing wie ein heller Auswuchs an der Seite des Wales.
Ich richtete mich auf.
Die Springwelle nahte.
Welle?!
Woge?!
Nichts da!
Das war weder Welle, Woge, Wand, Mauer, das war ein Gebirgszug von Wasser, an dessen unstätem Fuß spielerisch kleine Schaumkämme mit dahineilten …
Taskamore blickte wie ich dem Ungeheuer entgegen. Die Höhe konnten wir schätzen, vielleicht zwanzig Meter, vielleicht mehr, die Breite blieb uns verborgen. Aber die Geschwindigkeit beobachteten wir, und selbst Kamos Mund war schmale Linie, ganz schmale …
Noch hundert Meter …
Mein Herz hämmerte plötzlich …
Noch fünfzig …
„Kamo, tief Luft holen, dann unter das Boot tauchen …!“, schrie ich wie ein Besessener.
Besessen von Wut gegen dieses stille Ungetüm.
„Jetzt, Kamo!!“
Ich glitt hinab, tauchte, hatte mir noch die Lungen voll Luft gepumpt, umkrallte die eine Sitzplanke, preßte mich gegen das Holz …
Horchte …
Unter Wasser …
Spüre ein Schaukeln …
Spüre den Stoß, der den Wal, das Boot und uns in die Tiefe drückte …
So tief, daß der Druck der Wassermassen mir die Lungen sprengen wollte …
Klingen, Singen, Glockengeläut vernahm ich in den Ohren …
Vor den Augen glühten knisternde falsche Feuer auf … Holzscheite flogen brennend im Kreise …
Die Glocken wurden zur Kanonade, mein Kopf ward zum surrenden Rade, wurde größer … größer …
Barst …
Zerschellte …
– – Nichts mehr.
Stille, – – Tod, – – das – Ende?!
Aber langsam lebten die Töne wieder auf …
Gellendes Pfeifen schrillte …
Dumpfes Poltern donnerte …
Zischendes Fauchen schwoll, verklang, schwoll von neuem …
Die Augenlider heben sich …
Über mich her stürzt das plätschernde Naß …
Salz brennt in den Augen, Ohnmacht umlauert die Sinne …
Ich horche.
Orkanmusik …
Das kannte ich …
Das ist die wilde Konzertsuite des Ozeans, des Sturmes, das ist nichts Fremdes, – – und der auflodernde Lebenstrieb reißt Kopf und Oberleib hoch …
Wieder ein Blitz aus pechschwarzem Gewölk …
Und ein Blick ringsum. Ein Erkennen dessen, was zu glauben das Hirn sich sträuben würde.
Sehen muß man es.
Der Wal hat sich gedreht, Verwesungsgase gaben ihm eine Vierteldrehung, und unser Boot und wir schweben auf dem höchsten Punkt des treibenden Kadavers.
Taskamore liegt stumm und still, den Mund aufgerissen.
Tot etwa?!
Ringsum heulte der Orkan, brandet und tobt das Meer, überflutet uns, gibt uns frei, überflutet uns wieder, wirft das Boot hin und her …
Aber die Harpunen und die Leinen haben gehalten.
Unsere Insel schwimmt …
Ein Griff nach Kamos Hand. Der Puls schlägt, – – ich atme auf …
Wieder ein Blitz.
Mein Leib ist zerschunden, Hautfetzen hängen herab …
Übelkeit befällt mich, ich speie das Meerwasser aus, und es ist rot, rötlich … Wütende Stiche spüre ich in den Lungen, in den Schläfen …
Ein wilder Wirbel jähen Versagens letzter Kräfte reißt mich hinab in den Abgrund der Finsternis …
Das Ende?!
– Nein.
Nur ein Anfang …
Die Sonne brennt auf unser Schutzdach, das umgekippte Boot, und unser Wal stinkt.
Wir sitzen auf dem treibenden Kadaver und kauen voll Ekel Stücke des Fisches, den ich harpuniert habe. Durst quält uns. Hohläugig, hohlwangig hocken wir Opfer eines tückischen Schicksals in dem Verwesungsgestank des Untieres, und Worte kommen über rissige Lippen, Worte, hinter denen bereits der Wahnsinn lauert.
Es ist der vierte Tag.
Der vierte Morgen.
Ringsum nichts als Wasser, Himmel, Sonnenglast.
Wir, der tote Wal, das Boot als Mittelpunkt eines blanken Tellers, in dem die grüne Flut spielerisch aufschäumt, fällt, wieder aufschäumt.
Drei volle Tage ohne einen Tropfen Trinkwasser.
Und dazu die Sonne …
Ohne Erbarmen …
Und der Gestank …! –
Kamos hagere Züge haben nichts von ihrer starken Männlichkeit verloren. Kamo sagt und wirft das Fischstück in die See, wo die Haiflossen dahingleiten:
„Mich ekelt es an!“
Seine Stimme klingt ganz fremd.
Wir sind ausgetilgt aus der Reihe der Hoffenden. Daß wir noch leben, ist kein Geschenk, ist Fluch.
In unseren derben Sportanzügen sitzen wir da, zwei Todgeweihte. Der Oststurm, der auf das teuflische Spiel der Urgewalten des Erdinneren folgte, blies einen vollen Tag und entführte uns, zwei Halbtote, gen Westen in den Pazifik hinein.
Die Felsenbucht, die Freunde, – – all das ist weggewischt …
Ob die Springflut dort jemand am Leben ließ, – wir redeten nie darüber. Nie.
Wir haben unsere Wunden gepflegt, wir haben das Boot ausgeflickt, aber die eingedrückten Planken ließen sich mit Walhaut schlecht abdichten. Als Sonnendach genügte es.
Wir sind Gefangene auf einem verwesenden, von den Gasen noch dicker aufgetriebenen Ungetüm. Zuweilen, wenn der Gasdruck im Innern zu stark wird, bläst der tote Riese aus dem Riesenmaul pfeifend verpestenden Odem in die Luft.
Taskamore erhebt sich, kriecht unter dem Boot ins Freie und geht taumelnd über die ekle Fläche unserer Insel. Aus den Löchern, die die Harpunen stießen, quillt neben den Holzschäften grünlich-gelbes widerliches Gemenge, stinkender Tran. Rings um den Kadaver hängt an der Wasseroberfläche diese scheußliche Fettschicht und schillert in der Sonne noch farbenfroher.
Kamo sagt laut:
„Wir sollten baden, Olaf! Es erfrischt.“
Dann lachte er hinterdrein – wie soeben …
„Das Fett!!“, meint er heiser. „Das stinkende Fett!!“
Er nimmt seinen Marsch wieder auf, hin und her, her und hin, unermüdlich.
Bleibt wieder stehen.
„Olaf, wir müßten das Boot doch ausflicken, besser flicken!“
„Hast du Nägel?! Wie willst du die Haut straff spannen?!“
Wir haben keine Nägel.
Er wendet sich ab und geht zum Schwanzende.
Steht dort, Statue im Sonnenglast und schaut den Haien zu.
„Hallo, El Gento!“
Ich schrecke hoch. Woher die Frische der Stimme.
„Hallo, – die Harpune und eine Büchse – – schnell!“
Mich treibt es empor. Frische steckt an.
„Was planst du, Kamo?“
„Nägel!“, erklärt er fast heiter. „Her mit der Harpune, halte das Ende der Leine!“
Das Geschoß fliegt, und der längste Menschenhai sitzt fest. – Zwei Kugeln noch, – wir ziehen ihn empor, keilen den Rachen auf, schlagen mit dem Büchsenkolben die spitzen Zähne heraus, sammeln sie sorgsam, häuten die Bestie ab, und das andere fliegt in die See zurück.
Haifischzähne als Nägel sind nicht Kamos Erfindung. Es gab eine Zeit, wo ich Vater Pierres Inselreich in der Südsee wie eine Heimat liebte, wo ich den Insulanern ihre Künste ablauschte und ihre Geschicklichkeit und ihren Erfindungsgeist in gleichem Maße anstaunte.
„Löcher mit der Messerspitze vorbohren“, riet ich auf Grund dieser Erfahrungen.
Heiliger Eifer beseelte uns. Jeder Kampf um Freiheit und Leben ist geheiligt.
Wir pfuschten nicht. Wir arbeiteten mit aller Sorgfalt. Wir vergaßen über alledem, daß selbst das kleine Boot uns niemals vor dem drohenden Tode des Durstes und vor dem Gespenst des Wahnsinns retten könnte. Wir hatten all dies genau so ausgeschaltet aus dem Reich unserer Gedanken, wie die Erinnerung an die Felsenbucht und die dort zurückgelassenen Menschen, die unserem Herzen so nahe standen. Wir bohrten, hämmerten, flickten, wir dichteten zerbrochene Planken ab, und als die unbarmherzige Sonne über unseren schweißigen Gesichtern stand, ließen wir das Boot zur Probe hinabgleiten in sein eigentliches Element, Taskamore sprang hinein, und fast genau in derselben Minute spürten wir den ersten Luftzug nach tagelanger Flaute.
Das Leck ließ nur noch tropfenweise das Seewasser durch. Vier Schichten Haifischhaut und Stücke unserer Wollhemden als Kalfatermittel hatten aus dem kleinen Wrack ein wieder seetüchtiges Fahrzeug gemacht.
Taskamore holte den Mast hervor, das sorgsam gehütete Segel knallte im Winde, und die Abschiedsrede, die ich dem toten Wal hielt, war kurz und doch ein Ausdruck unserer Dankbarkeit, mochte das verwesende Ungetüm auch noch so mißmutig dazu stinkend rülpsen.
Das Boot neigte sich, schoß davon. Vier große Stücke Walhaut nahmen wir mit, um Bug und Heck abzudecken und bei Sturm auch die Mitte des Schiffleins gegen überkommende Spritzer wirksam zu schützen. Ich steuerte, Kamo arbeitete weiter. Der Wind blies scharf, und als wir den treibenden Kadaver mit seinen Gasen und seinem Odeur und seiner Fettschicht ringsum weit hinter uns hatten, refften wir das Segel, Taskamore sprang in die Flut, schwamm nebenher, – dann ich, und zwei neu zum Leben Erwachte schüttelten die Tropfen ab und fühlten die Gewißheit, daß das Unheil uns nimmermehr bezwingen würde.
Gen Osten ging es. Dort mußte die Küste Niederkaliforniens liegen, dort würden wir entweder Wiedersehen mit den Lieben feiern oder geliebte Tote bestatten müssen.
Der Westwind orgelte jetzt aus vollen Backen, Gewölk zog auf, düstere Schwärze jagender Wolken ward gefurcht durch die Zickzacklinien der Blitze.
Die ersten Regentropfen fielen.
Aus Tropfen ward Sintflut, und so fade auch dieses laue Wasser schmeckte, wir tranken es, wir flogen dahin vor dem Sturm und vor den weißen Schaumkämmen, die hinter uns den Horizont wie mit tanzenden blanken Eisschollen spickten. Taskamore sang irgend ein wildes Grenzerlied, und plätschernd schöpfte er das Boot leer, kniete, sang und höhnte die Gefahr, die da in unserem Rücken daherkroch …
Nacht war es geworden, der Himmel ein einziges, düsteres fleckiges Tuch, die See ein brodelnder Kessel, unser Boot ein hüpfender Kork. Meine Hände brannten, ich durfte nicht eine Sekunde die Leine des Segels festzurren … Wogen kamen über Bord wie gierige, springende Bestien, klatschten auf das Lederdeck, liefen ohnmächtig weiter.
„Insel!“, brüllte Kamo …
Ich hatte sie bereits bemerkt …
An der Nordwestseite des dunklen Fleckes da vor uns stand die Brandung haushoch. Aber drüben gen Südost mußte unter Wind ruhiges Wasser zu finden sein.
Wir fanden es, glitten hinein in die Stille und schauten uns an und wußten, daß diesmal das Schicksal uns gütig gewesen.
Ein flacher Strand, steinig, einige Büsche, dahinter grüne Hügel, Felszacken, Wälder, ein Flüßlein mit breiter Sandbarre, – ein sicherer Hafen!
Wir landeten.
Taskamore knotete das Tau an einen Baum, wir zogen das Boot noch höher, wir starrten auf einen niederen Baum mit braungelben Riesenschoten mitten im Dickicht.
„Bananen!“, sagte Kamo erstaunt. „Wo sind wir?!“
„Entschieden weit südlicher, als wir es ahnen, Bruder Taskamore. Messer heraus …! Die überreifen Früchte da kommen uns gerade recht.“
Da waren nicht nur Dornen, die uns von dem Labsal trennten. Da waren wirre Gehänge von Ranken, fingerdicken glasharten Lianen, wie sie die Urwälder Südmexikos zu undurchdringlichen Dickichten umspinnen und sich emporwinden an den Baumriesen als gefährliche Schmarotzer.
„Suchen wir anderswo“, meinte ich.
Wir bogen nach links in den Uferwald ein, der von Regen troff. Wir stolperten über Gestein, das unter Gras und Busch und Blumenpracht verborgen war, wir schoben mit den Büchsenläufen dornige Girlanden zur Seite und prallten fast auf eine uralte Steinmauer. Aber dicht daneben lockten andere Bananen, wuchsen uns gebefreudig in den Mund, Taskamore aß, kaute, und mein Blick hing gefangen an etwas anderem …
Mitten in einem frisch aufgeworfenen Sandhügel, den irgend ein Erdwühler mit der Nase hochgedrückt hatte, zeichnete sich klar und scharf der frische Eindruck eines kleinen Stiefels ab.
„Kamo!“ Ich dämpfte meine Stimme.
„Ich sah es“, – er nickte nur … „Eine Frau, – diese Insel muß bewohnt sein … Da – – Zigarettenreste aufgeweicht …“
Und als Nachsatz, so mit dem gutmütigen Spott, der auch Coy eigen war: „Hast du gar keinen Hunger, Olaf?!“
„Habe ich …!“ Seine Auffassung der Dinge war entschieden richtiger.
Bananen sind nahrhaft, sind als Nachtisch ganz schön, aber für zwei wie wir, die noch vor einer Woche bei Jagdzügen eine ganze Hirschkeule vertilgt, war es Säuglingsfutter.
Kamo warf den Rest einer der klebrigen Früchte ins Gras. „Genug! – Ich höre Tauben gurren, Olaf, und zwölf Waldtauben sind mir lieber, als hundert Bananenbäume!“
Ein Rascheln, Poltern …
Blitzschnell waren wir in Deckung.
Was da irgend woher ins Gras rollte, waren vier Konservenbüchsen.
Ich bückte mich …
„Voll!!“
Sogar die bunten Papierschildchen der Londoner Herstellerfirma waren noch aufgeklebt.
„Fleisch!“, – – und ich rief in den Wald hinein:
„Wir danken, verehrte Spenderin!“
Nur das Tröpfeln des bereits nachlassenden Regens antwortete.
„Unhöflich!“, sagte Kamo. „Aber immerhin, es erspart uns viel Mühe.“
An einem sandigen Fleck des Flußufers stellten wir das Boot auf Stützen, Taskamore schuf mit Hilfe der Walhäute ein großes Zelt, ich schleppte Holz zusammen und da erst fiel mir ein: Woher ein Zündholz, woher Feuer?!
Ich kehrte zu der langen, hohen alten Mauer zurück.
„Hallo, Miß…! Uns fehlt ein Feuerzeug, uns halben Schiffbrüchigen!“
Vielleicht …
Ich wartete.
Ich rief nochmals …
Ein Rascheln, – polternd, hüpfend kam eine leere Konservenbüchse daher, und in der Büchse lagen zwei Schachteln Schweden, echte Schweden.
„Besten Dank!“
Vorläufig beließ ich es bei dieser einseitigen Verständigung.
Die Schachteln waren in eine Nummer einer englischen Zeitung eingewickelt gewesen, die bereits zwei Monate alt war.
Das Papier flammte hoch, die Späne faßten Feuer, und wir konnten nach einer Stunde zum ersten Mal auf dieser Insel soupieren, von der wir nichts wußten, als daß sie irgendwo an der mexikanischen Küste liegen mußte.
Daß wir mit Holzstäbchen aßen, war etwas unbequem.
Jedenfalls kann ich die Konservenfabrik mit gutem Gewissen weiterempfehlen.
Die Sonne schien wieder. Aber sie nahte sich bereits ihrem Abendbade im Stillen Ozean, und in kurzem mußte es dunkel sein.
Kamo fragte sachlich:
„Wer wacht?!“
„Ich, – schlafe du nur!“
Kamo hätte nicht halber Sohn der Wildnis sein müssen … Im Nu war er eingeschlafen. Ich warf noch einen dicken Baumstumpf in die Glut, der die stechenden Plagegeister fernhalten würde mit seinem gelblichen Qualm, und nahm die Büchse und trat ins Freie.
Aus dem grünen Pflanzenwuchs des Flusses schob sich langsam eine braune lange Schnauze an Land. Tückische kleine Augen glotzten mich an.
Krokodile, hier?! – Wo waren wir?!
Ein Zentnerstein belehrte die Bestie, daß dieser Platz vorläufig tabu sei. Das Untier schoß in die Tiefe zurück, und mein Blick erfreute sich sinnend an der rosigen Pracht des Sonnenuntergangs. Die Flußrinne schimmerte wie Gold, drüben auf einem gestürzten Baum standen vier Silberreiher, Wildenten, grellrote, mir fremde Wasservögel belebten die schillernde Pracht des murmelnden Gewässers, irgendwo kreischten Affen, ein langgezogener dumpfer Schrei erklang, ein Schwarm Papageien schoß lärmend und wütend kreischend aus einer Baumkrone über den Fluß, der dumpfe Schrei wiederholte sich, – – wo waren wir?!
In vier und einem halben Tage waren wir aus der Region Nordmexikos mit seinen Kakteenfeldern hineingeweht in eine rein tropische Umgebung …
Wieder schaute ich ringsum.
Irgend etwas, das mehr dem Instinkt des Weltentramps entsprang, warnte mich.
Rechts von mir auf einer Anhöhe am Ufer hockte auf dem abgestorbenen Ast eines Pandanus mit mannshohen Bretterwurzeln ein Raubvogel. Sein Gefieder schimmerte farbenfroh, aber sein Geierkopf drehte sich mißtrauisch … Dann strich er plötzlich ab.
In demselben Moment rollte der Peitschenknall eines Schusses durch den Uferwald, und aus dem Gestrüpp fuhr eine Gestalt hoch, warf die Arme in die Luft und stürzte schwer vornüber auf das Gesicht.
Ein Mulatte …
Im blauen Leinenanzug mit Strohhut.
Die Büchse war ihm entfallen, er regte sich nicht.
Ich lag hinter Steinen und Gräsern, horchte, bis neben dem Toten sich Kamo aus dem Gestrüpp halb aufrichtete und winkte …
„Kriechen, Olaf, – – Vorsicht!“
Als ich neben ihm kauerte, war meine erste Frage.
„Du?!“
„Nein, es schoß jemand anderes … Aber der Schuß weckte mich, ich sah den da gerade noch umsinken. Die Kugel sitzt über dem linken Ohr, sie kam von der Mauer, El Gento, – – die Frau!!“
„Eine heitere Gegend“, meinte ich wenig beglückt.
„Für uns eine sichere Gegend …“ Er zeigte seine prächtigen Zähne. „Die Frau wacht … Wir werden sie morgen finden.“
Bissig und drohend pfiff eine Kugel über uns hinweg. Wir schmiegten uns ins Gestrüpp, schoben uns rückwärts. Mit der sicheren Gegend war es nicht weit her.
Unser Boot schwamm wieder. In schnellen Schlägen trieb Kamo es flußaufwärts, wo wir hinter der Krümmung eine Lagune vermuteten. Die dort kreisenden Vogelscharen boten hierfür genügend Anhalt. – Es war keine brackige Lagune, es war ein großer, halbverkrauteter See mit wundervollen Uferpartien. Mitten in der bereits im Halbdunkel der nahenden Nacht dämmernden Wasserfläche lag eine grüne, hohe, kleine Insel.
Je näher wir kamen, desto schärfer musterte ich jede Einzelheit …
Der tastende Bootshaken stieß dröhnend durch dicke Vorhänge von Stacheln und Blüten und Blättern gegen Metall …
Gegen die Bordwand eines unter Ranken und Büschen und bunten Blatteppichen träumenden Schiffes.
Es war die Jacht „Hamilton“, etwa 800 Tonnen, und sie war das seltsamste Schiff, das je mein Fuß betreten hat. Taskamore meldete nach einer halben Stunde, daß das Schiff leer sei. Ich habe derweil droben aufgepaßt …
Droben – am Deck …
Es war kein Deck, es war ein Garten …
… Hinter den dicken Bambusstäben des Käfigs am Heck funkeln in einer Ecke die grünlichen Lichter des gefangenen jungen Puma, dessen Lenden und Rücken mit eiternden Wunden bedeckt sind.
Von brutalen Schlägen, hat auch Kamo gemeint.
Aus dem Käfig dringt der Pesthauch von Unrat und Krankheit. Als Taskamore dem Tiere den frisch harpunierten, riesigen lachsartigen Fisch durch die Stäbe zuwarf, heulte der Puma dumpf und schmerzlich auf und verkroch sich noch scheuer in den eklen Schmutz des tiefsten Winkels.
Nun schläft Freund Kamo, – und ich stehe im Mondlicht allein vor dem Käfig und spreche zu dem armen Tier, um es an meine Stimme zu gewöhnen. Wer Tiere liebt wie ich, findet auch den Weg zum Herzen der dümmsten Kreatur, die nicht begreifen will, daß nicht alle Menschen Schlächter sind. – Der Puma liegt still. Sein japsendes Atmen beweist, daß das Ende seiner Leiden naht. Brutale Wichte haben ihn hungern lassen, sein Maul zerfetzt, und er stirbt dahin, ein freies Tier, als Opfer der Herren der Schöpfung, die in ihrer Anmaßung und zügellosen Wut sich selbst schändeten, indem sie einen Wehrlosen peinigten.
Weshalb?!
Und die Frage kehrt immer wieder.
Weshalb?! Und – wer?!
Der erschossene Mulatte am Ufer konnte nichts mehr gestehen. Daß er den Tod verdient, daß die „Frau“ ihn erschoß, weil sonst ich ihm leichte Beute geworden, darüber sind wir uns einig, Kamo und ich.
Über vieles andere gehen unsere Meinungen auseinander.
Mitleid bannt mich vor den Käfig. Obwohl es doch ratsamer wäre, über das grüne Deck zu schleichen und Ausschau zu halten nach denen, die vielleicht hier in der Jacht wohnten und sie nur verließen, weil wir ausgetilgt werden sollten als lästige Zeugen einer unbekannten Tragödie, von der wir nur einiges erraten.
Ich ziehe die Blende von der Karbidlaterne weg und beleuchte die arme Kreatur. Die kurze, blutige Katzenschnauze des Puma wühlt sich sofort in das stinkende Maisstroh.
Helfen?!
Der Puma ist fast ausgewachsen, und für eine gütige menschliche Hand wird er kaum Verständnis haben.
Langsam entferne ich mich, wandele durch hohe Erdklumpen, aus denen die tropischen Zaubergewächse emporschießen. Rund um die Reling läuft ein schmaler Weg wie ein Laubengang. Andere Pfade führen zu den Deckeingängen. Bretter, die von einem Wrack herrühren dürften, halten die Erdklumpen zusammen. Man könnte von Beeten sprechen. Die Leute, die sich einst die Mühe machten, dieses Schiff derart zu maskieren, haben nur nicht mit dem unheimlich raschen Wachstum tropischer Pflanzen gerechnet. Wurzeln ziehen sich dick wie Taue über die schmalen Pfade hin, und daß das Buschmesser weiter oben verschiedentlich nachgeholfen hat, um diese Wege frei zu halten, sieht man an den Schnittflächen der Zweige und Äste. Auch dem Druck der Wurzeln, dem Regen und dem Sturm hat diese Brettereinfassung des Deckgartens nicht recht standhalten können. Die Bretter stehen schief, Erde ist weggeschwemmt, vielleicht auch Erde nachgefüllt worden in diese Riesenkästen, die mich mit ihrem üppigen Inhalt immer wieder in Erstaunen setzen. – Ich schätze, daß die Jacht „Hamilton“ hier im See mindestens schon zwei Jahre liegt.
Ein Schiff der Rätsel, – ohne Übertreibung kann man das behaupten. Dieser Deckgarten ist nicht das einzige, das zum steten Grübeln zwingt.
Der Mond ruht mit mildem Glanz über dem stillen Gewässer. Es dürfte schwer sein, unbemerkt an das Schiff heranzukommen, und falls noch mehr Farbige in der Nähe sind, die der „Frau“ vielleicht nachstellen, werden sie nach der Lektion von vorhin, glatter Kopfschuß, wohl bis zur völligen Dunkelheit warten.
Falls …
Man könnte hier jeden Satz mit dieser Einschränkung beginnen. Jeden!
Ich biege hier und dort die Ranken und Zweige der Außenvorhänge auseinander und spähe mit erfahrenen Augen in den bläulichen Zauber der Mondnacht. Die Oberfläche des weiten Gewässers zeigt zuweilen seltsame lange Furchen, daß man vermuten könnte, ein Mensch schwimme dicht unter dem blanken schillernden Spiegel dahin.
Menschen?!
Das eine Krokodil hat mich klug gemacht. Der Zentnerstein dürfte dem Saurier ebenfalls noch in Erinnerung sein.
Es sind Krokodile, und so weit ich es taxieren kann, muß der See von dem scheußlichen Volke wimmeln. Wie sie sich ernähren, ist eine andere Frage. Sollte es hier so viel Wild und Fische geben, daß ein paar hundert Panzereidechsen dieses Formats ihr Leben fristen können?!
Die Furchen kommen, verschwinden. In den Tiefen des Sees spielt sich ein zweites Leben ab, Unterwelt der Saurier, Kampf ums Dasein. Wie überall …
Wieder stehe ich vor dem Pumakäfig, dessen halbe Seitenwände und Rückenwand aus verwitterten Kistenbrettern zusammengeschlagen sind.
Arme Kreatur! Wie lange magst du bereits leiden! Wie kläglich ist dein unregelmäßiges Atmen, das wie ein Stöhnen klingt.
Helfen!!
Helfen!! Wäre nicht eine Kugel für das stinkende Etwas da beste Erlösung?! Taskamore wollte auf die Art Erlöser spielen. Ich wehrte es ihm. Sollte denn dieses armselige kranke Geschöpf niemals die Bestie Mensch von einer besseren Seite kennen lernen?! Wie wäre es, wenn ich …
Der Gedankenfaden zerriß …
Ein heller, spitzer Schrei kam von Norden über den See, langgereckt, in jedem Schwingen des schrillen Tones wilde Angst.
Ich stürze zur Reling.
Ein Blick genügt … Auf zwei Baumklötzen steht da ein Mensch, der in toller Hast eine Stoßstange handhabt. Aber die schwimmende Pflanzendecke ist zäh, und drei, vier Blitze von den Uferbäumen und das Dröhnen von Schüssen verwandeln den träumerischen Frieden in nervenprickelndes Geschehen.
Der Mann arbeitet weiter …
Sauschützen drüben …
Der Mann kennt sie wohl …
Und Kraft muß der Bursche haben, unheimliche Kraft.
Er schafft das Unglaubliche, sein Floß gleitet in eine Rinne, die lange Bambusstange wird zum Ruder, und der Flüchtling stößt einen Schrei aus, der wie das Hohngelächter eines Brüllaffen klingt.
Rings um den See, in dessen grünen Uferwänden sich der Widerhall der Schüsse verfängt und verdoppelt, erwacht das Getier der tropischen Wildnis und begleitet das aufmunternde neue Erleben mit seinem vielstimmigen Konzert. Jetzt erst höre ich, was da alles von Bestien, Affen, Vögeln in den Wäldern und den felsigen Hügeln steckt.
Plötzlich steht Taskamore neben mir.
Der Fremde müht sich verzweifelt, das Floß zu erklettern. Der rechte Arm hängt machtlos im Gelenk. Nur mit der Linken arbeitet er …
Ein Ruck …
Er liegt mit dem Bauche auf den Stämmen, ein zweiter, – nur die Füße wühlen im Wasser.
Die eine Furche beeilt sich.
Höchste Zeit …
Ich drücke ab … Habe nur geschätzt: Kopf so und so lang, – dort muß die weiche Halspartie zu treffen sein.
Eine kleine Kaskade fliegt hoch – Das Krokodil wendet jäh. Der Mann hockt jetzt inmitten seines erbärmlichen Fahrzeugs … Die Ruderstange entglitt ihm, aber der Kerl hat Schneid. Seine gesunde Hand erhebt sich, spuckt kurze Blitze, und die Furchen kreuzen einander, das Wasser spritzt hoch von wütenden Schwanzschlägen.
Taskamore ist heran.
Doch die am Ufer sind besessen vor Grimm, und aus den Bäumen fliegt die Kugelsaat wie Knallerbsen …
Kamo ruft, – ein Indianer springt ins Boot, kauert sich zusammen, das Boot wendet, und die Herrschaften drüben verschwenden Munition, als ob es hier ganz in der Nähe ein Waffengeschäft gäbe, was ich füglich bezweifle.
Ich schätze nach den Blitzen die Zahl der Sonntagsjäger – vielleicht elf …
Immerhin elf Kerle wie der Mulatte, und der Bursche war Schwergewichtler, können uns zu schaffen machen.
Das Boot verschwindet unterm Heck, unter den grünen, blühenden Vorhängen, und Kamo ruft mir zu, ihm den Verwundeten abzunehmen.
Ich trage den Mann, der nur einen Schurz von Baumrinde trägt und aus der Schulterwunde schwer blutet, in eine der vier Heckkabinen, wo Taskamore geschlafen hatte. Eine Karbidlampe brennt, der Apothekenkasten steht noch auf dem Tischchen, und der glatte Fleischschuß ist schnell gesäubert und verbunden.
Voll Entsetzen habe ich den Indianer zunächst angestarrt. Sein rotbrauner Leib ist über und über von Zecken bedeckt, die zum Teil wie helle Beeren an ihm hängen, dick vollgesogen.
Unter meinen flinken Händen hat der Mann nicht einen Laut ausgestoßen, hat keine Frage beantwortet, aber die glühenden Augen reden zu mir, hilflos, dankbar: „Ich verstehe deine Sprache nicht!“
Mit allen Sprachen, die ich irgend radebreche, versuche ich es.
Der Mann ist einer jener Wilden, die noch immer, fernab den bewohnten Stätten, die „Kultur“ wie die Pest meiden.
Kamo steht in der Tür. Auch er wendet seine Sprachkünste an. Es hilft nichts, der Fremde kann nicht begreifen, was wir wissen möchten.
Ich nehme Alkohol aus dem Medizinkasten und betupfe die Zecken, löse sie aus der Haut.
Der Mann muß tagelang im dicksten Busch regungslos gelegen haben. Nur so ist es möglich, derart von dem blutsaugenden Geschmeiß überfallen zu werden. Auch sein verfilztes schwarzes Haar, die Dornenkratzer, der Gestank seines Leibes bestätigten den Aufenthalt in einem Dickicht zwischen Gewürm und faulenden Fleischresten.
Taskamore ist an Deck zurückgekehrt, und ich hole zwei Eimer Wasser und bedeute dem fremden Gast, sich gründlich zu säubern. Seife, Handtuch sind ihm bekannt, und er geht gründlich zu Werke, deutet zuletzt auf seinen Kopf und macht die unmißverständliche Handbewegung des Schneidens mit einer Schere.
Auch den Gefallen tue ich ihm, und als sein Haarwulst fällt, kommt eine kaum verheilte zackige Schädelnarbe zum Vorschein, die sich vom Scheitel bis in die Stirn zieht.
Überflüssig zu sagen, daß der Mann Hunger hat. Ich bringe drei Büchsen Fleischkonserven, und drei Pfund werden restlos vertilgt.
Zu meiner Überraschung öffnet „Zecke“ (wir haben ihn nie mehr anders genannt) einen Wandschrank, sucht einen blauen neuen Leinenanzug und ein halbseidenes Hemd hervor und schlüpft hinein. Die verbundene Schulter (glatter Durchschuß) beachtet er kaum.
Seine Selbständigkeit verwirrt mich.
Kennt der Mann die Jacht?
Schon die nächsten Minuten weiß ich es. Er entfernt sich, kehrt mit Besen, Schaufel, Wischtuch zurück und beginnt die überschwemmte Kabine zu säubern.
Ich finde das sehr höflich und sehr angebracht, freue mich über seine Gewandtheit, seine urwüchsige Kraft, für die ein Liter Blutverlust gar nichts bedeutet.
Nachdenklich sitze ich in dem Klappstuhl und schaue ihm zu, rauche und grübele. – Die Kabine ist, wie die ganze Jacht, nur nach praktischen Gesichtspunkten eingerichtet. Alles sehr bescheiden. Das Schiff ist alt, die Maschinen unmodern, die Kesselanlage muß geradezu Kohlen fressen. Aber die Bunker sind gefüllt. Mehr geht nicht hinein. Und auch das wunderte mich bei der flüchtigen Besichtigung der „Hamilton“.
Nebst vielem anderen.
Der Medizinkasten wird zum Ruhepunkt meiner Augen. All die Flaschen mit den sauber aufgeklebten Schildchen sind für die Tropen berechnet.
Chloroform …
Ich buchstabiere: Chloroform!
Und mit einem Male weiß ich, wie dem Puma droben zu helfen ist. Verträgt sein Herz die Narkose nicht mehr, hat er einen leichten Tod, verträgt er sie, soll er gesund werden.
Ich will es. Ich habe meinen Kopf für mich. Mag Taskamore auch vielleicht im stillen lächeln. Ich kann nicht ohne ein Tier sein, das mir Liebe vergilt und Treue hält.
Zecke beobachtet mich, wie ich die Flasche und eine Chloroformmaske und Watte nehme und davonschreite. Er hat soeben das Bett frisch bezogen. Auch das versteht er.
Kamo lächelt nicht, als ich ihm mein Vorhaben auseinandersetze.
„Versuch es, Olaf …“
Ohne viel Worte holt er eine dünne Leine, macht eine Schlinge, ich leuchte ihm, und die Schlinge fliegt beim dritten Mal dem halb aufgerichteten, böse fauchenden Puma über den Nacken.
Taskamore zieht, und als der kleine Kopf dicht am Gitter liegt, schiebe ich die zweite Schlinge durch die Stäbe, rucke scharf an, und mit einem Klagegeheul schließt sich die Schnur um die eiternde Schnauze.
Urplötzlich steht Zecke neben uns.
Sein gesunder Arm hält eine seiner Pistolen …
Taskamore spricht beruhigend auf ihn ein, zeigt auf die gräßlichen Wunden, – – Zecke begreift, und ein frohes Lächeln verzieht sein kantiges, nicht unschönes Gesicht.
Dann kniet er nieder und redet zu dem Puma. Das kranke Tier dreht die Augen, und Zecke greift durch die Stäbe und krault ihm den Kopf.
Nachher gibt es noch einen harten Kampf, aber schließlich siegen wir drei, und der betäubte Puma wird in eine der Heckkammern getragen.
In seinen Rückenwunden krabbeln weiße Maden, das Tier stinkt derart, daß es mich Überwindung kostet, diesen Samariterdienst zu beenden. Kamo geht mir geschickt zur Hand, Wunde auf Wunde wird scharf gesäubert, vernäht, mit Jod bestrichen, derweil wäscht Zecke das Fell an anderen Stellen mit Seife und Karbollösung, – drei Männer, um einen Puma bemüht, der auf einem einfachen Holztisch liegt und dessen Puls ich dauernd kontrolliere.
Dann wird der Käfig von Zecke ebenso gründlich gesäubert, aus einem Bettsack im Mannschaftslager erhalten wir genügend Stroh, und nach fast anderthalbstündiger Arbeit tragen wir den Puma auf sein sauberes Lager. Jetzt muß sich die Natur selber helfen, wir haben alles Menschenmögliche getan. Taskamore und Zecke sind bereits an Deck gegangen, ich bin allein mit dem kaum atmenden Raubtier, mit der Tüte voll Jodoformpulver, die Laterne neben mir, bestreue ich noch die Stellen, aus denen trotz der Jodkruste das Wundwasser hervorgetreten ist, ich drehe den Puma auf die andere Seite, und gerade da erwacht er.
Seine Augen starren voll Bewußtsein in den grellen Lichtkegel, ein kurzer heiserer Laut, er sitzt aufrecht, schwankt hin und her, sieht auch mich, und der kleine Katzenkopf, viel zu klein für den geschmeidigen Körper, duckt sich, die genähte Oberlippe will sich drohend emporziehen, kraftlos fällt er nach vorn, mir gegen die Brust, und sein Kopf liegt an meinem Kinn, matt, einer Stütze bedürftig, die Augen irren umher, bleiben an meinem ruhigen Blick wie gebannt hängen, und der Puma, jetzt nur ein Geschöpf ohne eigenen Willen, fühlt die streichelnde Hand und hört die sanft gesprochenen Worte, muß sie erdulden, beides, das Streicheln und die allernächste Nähe der menschlichen Stimme, muß sogar die Arme dulden, die seinen Leib halten, und ich – ich fühle das eine, daß, falls je eine Brücke der Freundschaft zwischen mir und diesem fast ausgewachsenen Silberlöwen zu schlagen möglich, diese Minuten die entscheidenden sind.
Ich spreche immerfort, streichele immerfort, lasse das Tier langsam zurückgleiten, greife nach der Laterne und schreite hinaus.
Als die knarrende Tür sich schließt, winselt der Puma …
Weshalb?! – Angst?!
Ich glaube es nicht … Ich schaue durch die Stäbe … Er liegt ruhig, aber die blanken Lichter hängen an mir, und als ich mich entferne, verklingt das Winseln in einem behaglichen Stöhnen.
– Und dies war der Beginn meiner Freundschaft mit Hondu, dem männlichen Puma. Daß er später Hondu benannt wurde, war eine andere Geschichte, die in dem Tempel der großen Schlangengöttin Hatzipekilla zwischen mir und der „Frau“ sich abspielte.
Zecke ist nicht begriffsstutzig und eine Verständigung durch Zeichen daher leicht. Als er heute früh tadellosen Kaffee aufbrühte, sang er irgend einen wilden Reim, der an tropische Matrosenkneipen erinnerte. Überhaupt, – ein fideler Bursche, nur seine Vorliebe für den Puma stört mich.
Unser vierbeiniger Patient ist recht mobil. Er frißt, säuft Wasser, geht im Käfig hin und her und nimmt von uns kaum Notiz. Meine Versuche, ihn durch Fleischstücke an die Stäbe zu locken und ihn zu streicheln, bleiben ohne Ergebnis. Ich verlange vielleicht auch allzu viel. Ein Puma ist schließlich eine Raubkatze von fast ein und ein Viertel Meter Länge und etwa sechzig Zentimeter Rückenhöhe. Der lange buschige Schweif läßt das Tier sogar noch größer erscheinen. Trotzdem liegt im Gesichtsausdruck eines Silberlöwen nichts Bösartiges, Furchterregendes, und der Ausdruck der Augen hat mehr etwas Nachdenkliches, Melancholisches. Von gefangenen Löwen behauptet man dasselbe. Daß junge Pumas sehr zahm werden, ist mir bekannt, daß sie feige sind, ebenso, und daß die Pumamutter bei Gefahr ihre Jungen im Stiche läßt, muß leider gleichfalls als erwiesen gelten. Zum Heldengeschlecht gehören diese Katzen also nicht, und dennoch empfinde ich für meinen Pflegling eine tiefe Sympathie, die wohl dem Mitleid entsprungen sein mag.
Vorläufig kann er nicht gerade als Schönheit gelten. Nein, mit all den kahlrasierten, vernähten Stellen sieht er sogar mehr nach abgetretenem Bettvorleger aus.
Taskamore holt mich vom Käfig weg.
„Ich rudere hinüber“, erklärte er sehr bestimmt. „Wir werden doch dieser Nigger wegen nicht den Tag über uns hier langweilen! Zecke wird die Jacht bewachen. Die Kerle stecken dort am Nordufer … Bitte, erkennst du den dünnen Rauchfaden? Dort lagern sie. Wenn wir sehr schnell nach Süden rudern, werden wir an Land sein, bevor sie um den See eilen können. Das Boot versenken wir, damit sie es nicht stehlen. Es wird da schon irgend eine versteckte Bucht geben.“ – Und als Nachsatz: „El Gento, du bist eingerostet!“
Ein Versucher von Taskamores Art ist gefährlicher als hundert berückende Weiber.
Eingerostet – ich?!
Wo?!
Etwa auf dem toten Wal, wo alles von üblem Fett stank?!
„Rudern wir!“, sagte ich lachend, und Kamo strahlt und reckt die Eisenarme.
Wir packen zwei leichte Rucksäcke für alle Fälle. Man sollte sagen: Leinwandbeutel mit Tragriemen, – was man so in zehn Minuten zusammenschustern kann.
Dann wird Zecke instruiert.
Das ist schon schwieriger, ihm klar zu machen, daß er scharf aufpassen soll.
Wir stoßen ab, flitzen durch die grünen Vorhänge ins Freie, … und da geht es schon los …
Peng … peng … peng …
Sauschützen!
Taskamore läßt die Muskeln spielen, und die Bleiwespen surren über den blanken Seespiegel und klatschen ins Schilf.
Träge Hitze brütet über dem See. Nur das lose Völkchen der Wasservögel amüsiert sich auf seine Art, die Herren Krokodile ruhen aus, sogar die Affenhorden sind auffallend still.
Kamo hat sich einen in der Jacht gefundenen wunderschönen grünen großen Damenfilzhut keck aufgestülpt, und seine hellen Bronzezüge leuchten mit der Sonne um die Wette. Sein toller Lebenstrieb steckt an. In diesem Prachtmenschen ist so viel Kraftüberschuß, daß er davon einem Dutzend Büroschemelreitern genügend abgeben könnte. Ich fürchte nur, daß die derart Beschenkten nicht recht wüßten, was sie damit anfangen sollten. Vielleicht würden sie nur als Defraudanten in die Fremde ziehen und nachher in einer Zelle enden.
Ich steuere, äuge umher, erspähe in dem Pflanzenteppich des Sees eine Rinne, und gleich darauf fliegt das Boot unter tief überhängenden Zweigen hinweg und landet in einer völlig steinigen kleinen Bucht mit dickbemoosten Felsufern.
Im Nu ist das Boot versenkt, die Bootsleine knoten wir im Wasser an einen Baumstumpf, und im Nu sind wir auch durch einen Einschnitt der Uferwand auf einer üppig-bunten Steppe, die sich nach Südost in der Ferne verliert. Einzelne Baum- und Felsgruppen beleben die sanft gewellte Fläche, die von schweigenden Wäldern eingerahmt ist. – Die Insel ist doch größer, als wir es dachten.
Kamo trabt gen Osten, der Wald nimmt uns auf, und ein Zufall läßt uns einen Wildpfad finden, der zum Flusse führt. Dieser Pfad ist mit hellen Tierknochen unschön geschmückt, und die noch sichtbaren Fährten weisen auf Raubtiere und Krokodile hin. Nachts dürfte diese enge Allee nicht empfehlenswert sein, am Tage hat sie ebenfalls ihre Tücken, zumal auch nicht ein Sonnenstrahl das Blätterdach durchdringt und zu beiden Seiten Dornen, Lianen, Äste und Zweige eine allzu feste Wand bilden, – das Bild eines tropischen Urwaldpfades, mir längst vertraut.
Lautlos schleichen wir dahin, die entsicherte Büchse im Arm …
Und zehn Meter weiter hängt mitten im Wege von oben ein endloser glatter Ast herab, grünbraun, leicht pendelnd.
Taskamore schnellt zurück, reißt mich mit.
Der Ast hat Leben bekommen … Es ist eine Anakonda, die größte aller Riesenschlangen, ein Untier von acht Meter Länge, ein doppelter Schlauch, denn sie steht gerade in der Häutung, und als sie sich jetzt emporringelt, fällt ein Teil der alten Haut wie ein Sack zu Boden, und die Anakonda zeigt uns ihr neues gelbrot geflecktes Kleid. Im Augenblick ist sie verschwunden, still kriecht sie davon, erinnert mich an meine erste Begegnung mit solch einem gefährlichen Gesellen an der südlichen abessinischen Grenze.
Und wieder dreißig Meter weiter sahen wir die helle Sonne glänzen. Ganz unvermittelt endete der Pfad am Rande des Uferwaldes des Flusses, wo eine kleine, sandige Bucht, von einer Landzunge abgeschlossen, dem vielfachen Getier wohl als Tränke diente. Der Boden war hier ohne jede Grasnarbe, vollkommen zerstampft, neben den Spuren von Hirschen fanden wir mindestens ebenso zahlreiche Raubtierfährten und die eigentümlichen Eindrücke von Krokodilpfoten.
Wir blieben im Halbdunkel stehen und musterten die Umgebung. Der Fluß schimmerte durch das Gestrüpp der Landzunge hindurch, und meiner Berechnung nach konnten wir der Steile nicht mehr fern sein, wo am anderen Ufer uns das Dickicht und die Mauer den Weg versperrt hatten.
Taskamore, den Kopf vorgebeugt, lauschte angestrengt. Auch ich vernahm jetzt Töne, die ich nicht recht unterzubringen wußte. Es klang wie ein sehr gleichmäßiges Hämmern oder Rattern. Man konnte an ein Auto denken, das auf glatter Straße dahinsaust.
„Was bedeutet das?!“ Kamo blickte mich fragend an.
Ich konnte nur die Achseln zucken.
„Es muß ein Motor sein“, entschied Kamo nach einer Weile. „Überhaupt, Olaf, wir dürften hier noch so manche Überraschung erleben. Dies ist niemals eine Insel … Nur die Spitze einer Halbinsel von beträchtlicher Größe. – Da, – was war das nun wieder?!“
Ein paar kurze Detonationen ertönten irgendwoher …
„Motor!“, sagte ich kurz. „Schlechter Bootsmotor … Hallo – das Schnurren wird lauter … Es ist ein Motorboot, es kommt in den Fluß hinein …“
Taskamore warf sich zu Boden und kroch nach links auf die Landzunge zu. Ich folgte, und als wir nun freien Blick über den Fluß gewannen, bemerkten wir weit rechts ein plumpes, schwarz geteertes Boot, das mit Hilfe eines Außenbordmotors im Schneckentempo den Fluß entlangkam. Am Steuer saß ein Gentleman in blendend weißem Tropenanzug, Tropenhelm und sehr farbiger Krawatte, rauchte eine Zigarre und hatte sich aus Bambusstäben und Leinwand am Heck seiner Prunkjacht einen Sonnenschutz errichtet.
Die übersaubere Erscheinung des Fremden, der sehr nachlässig-zwanglos das Steuer handhabte, paßte in diese Umgebung so wenig hinein, daß Kamo mißmutig flüsterte: „Der Mann verdirbt uns das Milieu, Olaf!“
Irrtum …
Er verdarb nichts …
Dieses braune, magere Gesicht dort unter dem Tropenhelm, das wir nun deutlicher abschätzen konnten, zeigte zwar einen äußerst behaglich-gelangweilten Ausdruck, veränderte sich jedoch blitzschnell, als vom Nordufer her ein kurzer Knall ertönte und der vornehme Tropenhelm daraufhin weit zur Seite rutschte.
Dann sank die lange weiße Gestalt wie tot vornüber, der Motor stoppte, und das plumpe Boot schlingerte wie trunken nach links und rannte gegen die Krone eines am Nordufer halb ins Wasser gestürzten Urwaldriesen.
Taskamore schob die Büchse vor. Daß dicht neben uns jetzt ein scheußlich nach Moschus stinkendes Krokodil sich an Land wagte, hatte gegenüber den Ereignissen schräg vor uns keinerlei Bedeutung.
Die Büsche dort teilten sich, ein Panamahut wurde sichtbar, darunter ein braunes wildes Gesicht mit kurzem, krausem Vollbart.
Der Mischling äugte nach dem Patentkahn aus, trat völlig ins Freie, duckte sich und kletterte über den Wurzelballen des vom Sturm gefällten Urwaldriesen hinweg.
Ein zweiter Kerl erschien, diesmal ein Europäer, – genau so gut bewaffnet wie der Halbnigger, genau wie der in blaues Leinen gekleidet.
Er rief dem Farbigen etwas zu und trat rasch wieder zurück.
Nicht rasch genug.
Zwei kurze, abgehackte Knalle, die nur aus einer ganz kurzen Büchse kommen konnten, und der Mischling und der Europäer brauchten keine Rückfahrkarten von der Hölle mehr.
Während der Mulatte mit fast komisch anmutendem Sprung ins Wasser klatschte und dort sofort nützliche Verwendung fand (den hochgehenden Spritzern nach waren mehrere Krokodile bei der Verteilung der Beute anwesend), schlug der Europäer im Todessturz nach vorn und kam mit dem Kopf außerhalb des Gestrüpps zu liegen.
„Saubere Arbeit“, lobte Taskamore leise.
„Der Vornehme versteht seine Sache. Warten wir ab.“
Es lohnte, den weiteren Verlauf der Dinge zu beobachten.
Zunächst steckten dort im Gebüsch mindestens noch drei der fragwürdigen Zeitgenossen, denn das Wutgebrüll und ein wildes Geschieße auf das Patentboot verrieten ihre Gegenwart vollkommen einwandfrei.
In dem schwarzen Kahn rührte sich nichts. Er hing zwischen den ins Wasser getauchten Ästen fest verankert, und nur das schöne Sonnendach bekam einige Löcher und klappte traurig herab, als eine der Stützen durch eine Kugel zersplittert wurde. Der Motorbootsfahrer selbst blieb unsichtbar. Immerhin war seine Lage etwas unangenehm, da eine Büchsenkugel glatt durch beide Bordwände hindurchgehen mußte.
Erst als das Sonnendach sich melancholisch über den Bootsrand lehnte, hörten wir wiederum den kurzen, abgehackten Knall, – nein, nicht einen, – neun Schuß fegte der Fremde in das Gestrüpp, und ein heiserer Aufschrei von dort sowie rasche Bewegungen der Büsche zeigten an, daß die Helden Fersengeld gaben.
Dann trat Stille ein.
Nur der Moschussaurier neben uns erboste sich über unsere Anwesenheit und klappte den Rachen mehrmals drohend auf und zu. Es klang genau so, als ob man zwei nasse Bretter gegeneinander schlägt. Da es sich jedoch um ein Tier von kaum anderthalb Meter handelte, begnügte sich Taskamore mit dem üblen Scherz, dem Kaiman einen kleinen Ballen von trockenen Dornen in den Schlund zu werfen, worauf die Bestie hustend und spuckend wieder im Wasser verschwand.
Stille also … – Was würde folgen? Der weiße Gentleman durfte es nicht wagen, mit seinem schwarzen Kahn seinen Platz zu verlassen. Sobald er es riskiert hätte, sich aufzurichten, waren ihm frische Knallerbsen sicher.
Minutenlang geschah nichts.
Die aufgeregten Affen, Papageien und großen weißen Aras und die Wasservögel hatten sich wieder beruhigt. Die Silberreiher, die trägen Fluges dreimal den See umkreist hatten, fielen wieder in das Röhricht ein und nahmen wie wir eine streng abwartende Haltung ein. Ein Reiher wartet immer, stiert ins Wasser und weiß genau, daß ihm doch sehr bald ein Fisch in Tauchnähe kommt.
Unsere Raubfische drüben hatten nun seit gestern drei Mann auf der Verlustliste. Das würde ihren Übereifer dämpfen und eine endgültige Abrechnung erschweren. Den Kerlen lag offenbar daran, jeden Fremden abzuknallen, der sich in den Fluß hineinwagte. Eine so ausgesprochene Mordgier muß gewichtige Gründe haben. Was es hier für derartige Gesellen zu holen gab, blieb mir gänzlich unbegreiflich.
Taskamore versetzt mir einen gelinden Puff. Das hieß: „Achtung!“
Ich schaute schärfer hin. Meine Blicke bohrten sich in die buntfarbige Wildnis ein, betasteten alles irgendwie Auffällige.
Ein kleiner Schwarm Kolibris, die wie glänzende Weihnachtsbaumkugeln umherschwirrten, erregte meinen Verdacht. Dort drüben stand ein gewaltiger Pandanusbaum mit den üblichen Bretterwurzeln und Girlanden von Schmarotzerpflanzen. In seinem Blätterdach hingen ganze Blütenballen von jenen Schädlingen, die langsam jeden Urwaldriesen ersticken, aushöhlen und zum Sterben bringen. In den Astgabelungen hatten sich Hängeorchideen eingenistet.
Der arme Baum kränkelte bereits. Wer die Tropen kennt, weiß die Zeichen des beginnenden Todeskampfes zu deuten. Spechte hämmerten unsichtbar im Geäst, weiße Aras, die so gern Baumlöcher als Wohnung wählen, flogen hin und her.
Die Spechte sind das böseste Zeichen. Ein gesunder Baum hat keine Stellen mit loser Rinde, unter der Käfer und Würmer hausen.
Ein ungeheurer Ast streckte sich bis zur Mitte des Flusses vor. Sein Blattschmuck war fahl, desto üppiger gediehen die Schmarotzer. Lianenstränge zogen sich nach oben und unten, wie straff gespannte Seile, überall wucherten Orchideen, überall hatte unter dem Deckmantel verfänglicher fremder Schönheit der endgültige Verfall begonnen.
Und gerade dort um jenen Ast schwärmten die gefiederten glitzernden Bällchen der flinken Zwergvögel.
Aufgeregt war ihr Flattern, als ob ein klettertüchtiger Panther irgendwo da droben lauerte.
Kamo, Sproß eines berühmten Ahnherrn, der für die Vereinigten Staaten das Wunderland am Yellowstone entdeckt hatte, zugleich Nachkömmling wilder Siouxkrieger, von denen sich kleine Reste droben in Kanada eine neue Heimat gegründet, stützte den linken Ellenbogen auf, legte den Büchsenlauf in die hohle Hand und zielte sehr lange, setzte den Kolben wieder ab, schüttelte unzufrieden den Kopf und äugte mit verkniffenen Augen hinüber.
Ich wußte, was er suchte.
Die Schufte wollten dem weißen Gentleman jetzt von oben das Lebenslicht ausblasen.
Ob der Mann nicht auch so schlau war wie wir?! Sollte er nicht auch mit der Gefahr rechnen?
Der Kolibrischwarm stob plötzlich davon.
Doch von dem Schützen, der sich droben eingenistet hatte, war nichts zu bemerken. Der Bursche verstand seinen Kram.
Dann flog irgend etwas, das nur wie ein feiner Strich durch die Luft sauste, auf das Boot zu. Ich reckte den Kopf höher …
Im Bootsrand zitterte ein langer gefiederter Pfeil.
Pfeile sind mir höchst unsympathisch. Pulver verrät den Schützen, die Bogensehne macht keinen Lärm.
In dem Patentkahn rührte sich nichts.
Nur irgend etwas erhob sich für Sekunden über die Bordwand, und dann folgte von dem Riesenast ein grimmer Schrei, ein Mensch rutschte aus einem dichten Blütenbusch heraus und glitt, sich krampfhaft an die Lianen klammernd, tiefer und tiefer, ein lähmender Anblick, da im Halse des Farbigen wie eine Spicknadel ebenfalls ein Pfeil steckte …
Das Blut sprang im Takt der rasenden Herzschläge in deutlich sichtbarem Strahl aus Ein- und Ausschuß, – der Todwunde krampfte sich verzweifelt fest, drehte sich, ich sah sein verzerrtes Gesicht, und das Erbarmen trieb mich, durch eine Kugel diese Tragödie der Wildnis zu beenden.
Taskamores Hand drückte mir die Büchse herab.
„Sollen wir uns verraten?!“
Dann ein kurzer, abgehackter Knall, und der Mann sauste wie ein Stein in die Tiefe und fiel zwischen die Dornen am Fuße des Baumriesen.
Auf diesen Schuß folgte kein Wutgebrüll mehr.
Nichts folgte …
In all dieser Pracht des tropischen Waldes, in all diesem Duft von Millionen von feurigen Blüten war ein neues Menschenleben ausgelöscht worden wie eine stinkende Trankerze, die die Wunder des Paradieses nur beschmutzte mit ihrem üblen Geflacker.
Die Sonne schien weiter, die Affen und Papageien kreischten erbost über die neue Störung, die koketten Silberreiher drehten nur mißtrauisch die Hälse, – alles kam wieder zur Ruhe, und sogar das spuckende Krokodil von vorhin tauchte von neuem auf und schielte uns giftig von der Seite an und machte Miene, vollends aufs Trockene zu krabbeln und sich für die Dornenmahlzeit Revanche zu holen.
Dumme Bestie, – tatsächlich, sie trottete näher, sie war bereits mit der Schnauze dicht an Taskamores aufgestütztem linken Arm.
Das Nilkrokodil und das indische sind wenig flink auf dem Lande. Anders ihre amerikanischen Vettern, denen man nachsagt, sie könnten einen guten Läufer einholen. (Ich selbst bezweifle dies trotz ihres schlankeren Leibes und trotz der höher gestellten Beine.)
Taskamore hatte nur mit der rechten Hand neben sich gegriffen, – das Gras verdeckte mir seine Bewegungen, ich sah nur eine breite, lange Messerklinge, die ich sehr gut kannte, im Sonnenglanz aufblitzen, und dann tat das Yakkaree einen Satz nach rückwärts, schoß rückwärts ins Wasser zurück, eine breite Blutspur zurücklassend, die aus der durchschnittenen Kehle stammte.
Zwischenspiel nur …
Taskamore stieß die Klinge in den Sand, säuberte sie am Grase und schob das Messer in die Lederhülle zurück.
Als wir nach dem Boot ausschauten, war es verschwunden.
„Was nun, Bruder Kamo?!“, meinte ich unzufrieden. „Der Gentleman ist gefährlich … Wenn wir auch nicht wie Strolche aussehen, – er ist mit seinen Kugeln flink bei der Hand und …“
… Er war sogar noch flinker, als für uns zur Zeit angenehm.
Taskamores schöner Hut bekam einen Kolbenhieb, und da leider Freund Kamos Kopf in dem Hut steckte, gab es einen üblen dumpfen Schlag.
Der zweite Hieb traf nur noch meinen linken Stiefelabsatz, – mit einem Hechtsprung schoß ich ins Wasser, tauchte, stieß mit den vorgestreckten Händen gegen ein Hindernis, fühlte die zackige Schwanzspitze eines Krokodils, vermutete sofort, daß es nur das soeben verwundete Tier sein könnte und packte fester zu …
Es ging hier ums Leben, es ging um alles, – doppelter Tod drohte mir, von oben her Kugeln, hier im verkrauteten Flusse das Ersticken, falls ich mich nicht rechtzeitig wieder nach oben an die Oberfläche zurückarbeiten konnte.
In solchen Augenblicken handelt man, ohne sich selbst über Tun und Lassen Rechenschaft ablegen zu können. Hirn und Hand arbeiten wie Maschinenteile, – ein flüchtiger Gedanke genügt, und die Tat folgt bereits, – hier das rasche Herausreißen des Messers, ein Stich in die Schwanzspitze des nur langsam vorwärtskriechenden Sauriers …
Die Bestie beeilte sich mehr, ich hielt fest, obwohl sie mit dem Schwanz wütend hin und her zu schlagen suchte, – ich sagte mir, daß ich mich auf den feineren Instinkt des Krokodils verlassen müßte, das schon irgendwie den Krautgürtel überwinden würde.
Das Yakkaree lief denn auch tatsächlich auf dem Flußgrund entlang, zog mich mit, – die Büchse hatte ich noch am Ufer aus der Hand gleiten lassen, hier hieß es zunächst, das nackte Leben retten, alles andere würde sich schon finden. Ich spürte, daß Schlingpflanzen mich behinderten, aber das todwunde Krokodil schoß mit letzter Kraft vorwärts, noch hatte ich genügend Luft in den Lungen, blies sie langsam aus, – dann ein letzter Ruck der Bestie, ein noch wütenderer Schwanzschlag, und das Tier stieg regungslos empor, ich öffnete die Augen, sah die milchige Wassermasse über mir, hütete mich, mit dem Kopf aufzutauchen, sah den Schatten der bereits toten Panzerechse, griff wieder zu, brachte nur das halbe Gesicht über Wasser und hatte als Schutzschild den treibenden Kadaver des abgekehlten Yakkaree, das mit der sanften Strömung, Bauch nach oben, langsam von der gefährlichen Landzunge sich entfernte.
Arme Bestie! Ich hatte gewonnenes Spiel, und du in deiner plumpen Dummheit mußtest dein Leben lassen und mir zur Rettung in deiner Todesangst den Weg bahnen, der einzig und allein mir die Geschosse der Banditen vom Leibe hielt!
Mit den Beinen half ich jetzt vorsichtig nach. Das tote Yakkaree war mir zu langsam. Ich wagte auch, ein einziges Mal den Kopf über den Kadaver emporzurecken, aber Gebüsch und überreich mit Früchten beladene Bananenbäume verdeckten mir die Aussicht.
Was war aus Taskamore geworden?!
Wer waren die Angreifer?!
Neuer Schrecken da …
Die Blutbahn, die meine Bestie noch immer hinter sich herzog, hatte andere Saurier mobil gemacht. Sie witterten den Braten, die leichte Beute, sie fressen einander auf mit Panzer und Knochen, – was ein Krokodil zwischen die Zähne bekommt, splittert wie faules Holz, mag es auch der dickste Röhrenknochen sein.
Da kamen sie heran, die berüchtigten, furchenziehenden Schnauzen – im Eiltempo …
Vier, fünf …
In einer Minute konnte es ein Dutzend sein!
Der Weg zum Nordufer war noch frei, ich trennte mich von meiner toten Schwimmweste, stieß kräftig aus, hielt den Kopf tief, erreichte denselben Baum, an dem vorhin des weißen Gentleman Patentkahn gelegen hatte, packte einen Ast, zog mich empor, machte ein hohles Kreuz, – – und hinter mir schnellte nun doch eine der Bestien aus dem Wasser, – ich war flinker, dröhnend klappte der Rachen zusammen, – noch ein Schwung, und ich hockte in der Krone des gestürzten Baumriesen.
Mir war nun doch ein wenig schwindelig im Kopf von der letzten Anstrengung. Ich bekam jenes fatale Gefühl in der Magengegend, das zumeist einem Schwächeanfall vorausgeht. Dagegen gibt es nur ein Mittel: Ablenkung, Bewegung!
Ich kletterte höher, ich rutschte dann oben auf dem Stamm entlang – hinein in die Wurzelballen, – hier war ich völlig sicher, hier schöpfte ich erst richtig Atem und …
Meine Augen fanden einen Ruhepunkt: Aus dem Gestrüpp, kaum drei Meter vor mir, erschien ein weicher, dunkler Fleck, ein Glanzlederhut, hob sich, und ich schaute zum ersten Mal in Margot Sheridans herbe, strenge, fast zu regelmäßig-schöne und viel zu kalte Züge.
… Es ist alles so seltsam unwirklich um mich her …
Traumphantasien könnten nicht spukhafter sein als diese Umgebung, diese ganzen Umstände meiner Gefangennahme.
Traumphantasien können uns das Grauen vermitteln, können zu furchtbarem Albdruck werden, können uns den Angstschweiß aus allen Poren treiben.
Und all das habe ich erlebt in dem knappen Zeitraum von drei Stunden etwa.
All das und viel mehr noch.
Was sind all die Wunderpaläste des Orients, des unermeßlichen Indiens gegenüber diesem fast schon sagenhaft alten Maya-Tempel[1]!
Nichts …!
Was sind all die Frauen, die bisher geheimnisvoll meine Wege kreuzten, im Vergleich zu Margot Lady Sheridan!
Puppen!
Spielzeug!
Nichts!
Und was tut diese Frau hier?!
Ich weiß es nicht.
Ich wüßte überhaupt nichts von ihr, wenn sie mir nicht ein Gemach angewiesen hätte, das sie selbst wohl gelegentlich benutzte.
Was ich hier fand, gab mir wenigstens Aufschluß über ihren Namen und die Möglichkeit, meine jüngsten Erinnerungen zu Papier zu bringen.
Ich habe mit einem der Bleistifte geschrieben, und ich habe so begonnen, wie das rege Gedächtnis es mir eingab:
1. Kapitel.
Walfang mit Büchse.
Der fahlgelbe Streifen im Nordwesten schien Taskamore wenig zu besagen.
„Die Sonne zieht Wasser, El Gento“, sagte er bedächtig und zögerte noch immer, das kleine Boot loszumachen.
– Was alles ist seit jener Morgenstunde geschehen!
Niederkalifornien, die Freunde an der Petroleum-Bucht, mein Wölflein Kain, meine kleine überzärtliche Mi Moa …
Alles wie weggewischt …
Kinderbilder auf Schiefertafel, und das Kind fährt mit dem Handrücken darüber hin und alles verschwimmt wie im Nebel …
Kinderhand – – Schicksal!
Riesenfaust – – Schicksal!
Sie wirft uns umher, hierher, dorthin, sie knüpft zarte Bande, sie überschüttet uns mit den Hitzewellen tollsten Erlebens …
Und – wischt alles wieder aus, zwingt uns hinein in Neues, Unbekanntes …
Erbarmungslos oft …
Oft gnadenreich und beglückend.
Wie hier. – –
… Ich glaubte, die Frau im weichen Lackhut würde sich vollends zeigen. Nein, sie bog nur mit der behandschuhten Hand die Zweige vorsichtig auseinander und spähte nach links, wo der eine Tote lag.
Dann wandte sie den Kopf ganz nach rechts, und ihre Aufmerksamkeit galt nun dem Flusse.
Was dort vorging, sah ich nicht. Ich durfte mich nicht rühren, wenn ich meinen rasch gefaßten Entschluß ausführen wollte. Außerdem war es wenig ratsam, mit der Dame dort irgendwie anzubinden. Eine Schützin wie sie konnte mir, der nur die Pistolen und das Messer hatte, sehr böse Sekunden bereiten, denn ob sie auch jetzt gewillt sein würde, mich zu schützen, blieb zweifelhaft.
Kaum hatte sie sich geräuschlos zurückgezogen, als ich ebenso lautlos ins Gras glitt und vorwärts kroch. In dieser Sportart des Anschleichens hoffte ich der flinken Miß doch über zu sein.
Ich kam gerade noch zur rechten Zeit durch das Gestrüpp …
Niemals hätte ich die Frau sonst wiedergefunden. Sie schwebte bereits acht Meter über dem Boden an einer dicken glatten Liane, die sich bei näherem Hinsehen als ein dickes, grün gestrichenes Schiffstau mit einzelnen Knoten entpuppte.
Ich nahm Deckung.
Dieser Pandanus da bildete den Zugang zu dem Gemäuer, das wußte ich nun …
Und wartete.
Beobachtete …
Die fabelhafte Kraft und Geschicklichkeit der Frau, die ihre Büchse umgehängt hatte, verblüfften mich.
Sie trug einen Lederanzug, dazu grüne Wickelgamaschen, braune Schnürschuhe mit dicken Sohlen, und unter dem Lederrock eine weiße Bluse mit weichem Kragen und schwarzer Schleife. Als sie droben in den Ästen und bunten Ranken verschwand, befürchtete ich schon, sie würde das Tau emporziehen. Sie unterließ es, und meine nächste Sorge war, genau den weiteren Weg zu verfolgen, den sie nunmehr einschlug.
Ich konnte mich lediglich danach richten, wo ich Vögel auffliegen sah, von ihr selbst war nichts mehr zu bemerken. Bis zum hohen Gemäuer konnte es kaum mehr weit sein.
Ich ließ ihr einige Minuten Vorsprung, dann erst turnte ich empor und fand auch unschwer die Fortsetzung des luftigen Pfades, der mit allerlei heimtückischen Überraschungen aufwartete.
Da war ein dicker Ast, der so vertrauenerweckend ausschaute …
Er hing nur in Lederschlingen, ein leichtfertiger Schritt, und man segelte hinab in die Dornen.
Da waren Lianenstränge, die man scheinbar als Halt benutzen sollte …
Sie waren mit rostigen Eisenspitzen gespickt, – oder vergifteten …
Letzteres war wahrscheinlicher.
Da war schließlich – und das war am niederträchtigsten, ein dritter Urwaldriese mit metergroßen, lederartigen Blättern, durch den der letzte Teil des Weges hindurchführte … Und hier, ich prallte zurück, bemerkte ich nur durch einen glücklichen Zufall im allerletzten Augenblick hinter einem der Blätter den flachen, kleinen Kopf einer Korallenschlange, eines der gefährlichsten Reptile, die Amerika kennt.
Ein Messerhieb zertrennte das Blatt.
Was sah ich?!
Die Schlange hing an einem Draht, – neben ihr gut ein Dutzend lebende und tote oder schon gänzlich zusammengeschrumpfte ähnlich giftige armlange Geschöpfe.
Fürwahr, die Wohnung der „Frau“ war gut gesichert! All diese Vipern brachten sicheren Tod …
Gesichert, – Tod sicher!
Totsicher, – ich kam hindurch! Gefährlich ist nur das, was man nicht kennt.
Es gab im ganzen vier dieser netten Riesenblätter, mit Schlangen behangen, und dann sah ich die Mauerkrone vor mir, stand auf einem mannsdicken Ast zwanzig Meter über dem Erdboden, blickte hinab und …
Da war irgend etwas in meinem Hirn, das plötzlich nicht mehr mitmachte …
Sah ich recht?!
Augentäuschung, Blendwerk der Hölle …!
Ich schaute direkt in einen Wassergraben, dessen grüner Morast von der Sonne hell beschienen wurde. Und in diesem gemauerten Graben wimmelte es von Schlangen und Krokodilen …
Sechs Meter mochte er breit sein.
Es war eine Schlangenzuchtanstalt, ein Schlangennest! Schon oft hatte ich über „Schlangennester“ etwas gelesen, ich wußte, daß es warme Höhlen in Mexiko gab, in denen zum Beispiel Klapperschlangen zu Tausenden überwinterten.
Aber dies da unten, – das war Teufelsspuk!
Dazu gehörten Nerven, die mehr als robust sein mußten, – schon der Anblick allein erzeugte Schwindel und Übelkeit …
Der Gedanke, dort hinabzustürzen?!
Ich glaube, das Entsetzen würde jeden Menschen schon während des Sturzes töten.
Und dieser Ast, der hier mit dem äußersten Ende sich oben auf die Mauerkrone stützte, war mindestens fünfzehn Meter lang und besaß nicht einen einzigen Seitenast, keine einzige Stütze, nichts, ragte frei durch die Luft …
Wie war die „Frau“ hinübergelangt?!
Balanciert?!
Unmöglich!
Das Wagnis war zu groß!
Wie also?!
Aber – hinüber mußte ich, so oder so.
Ich war in Stimmung, man fühlt es ja selbst am besten, wenn man seine glückliche Stunde hat.
Nicht leichtsinnig, El Gento!
Dieser Weg ist kein Alltagsweg …
Kein fetter Büroonkel wird ihn betreten, kein goldstrotzender General wird das Risiko auf sich nehmen!
Ich?!
Ein Lachen perlte mir leise über die Lippen …
Ich?!
Andere Pfade war ich gewandelt, nicht minder üble, gefährliche …
Immerhin …
Dieses Spiel hier war nervenkitzelnd …
Fast genau so wie damals: Zwei Drähte, Starkstrom, – ein Mann auf der Flucht, Sturm und Regen, und an Füßen und Händen lächerliche selbstgefertigte Gummihandschuhe …
Also …
Reitsitz!!
Und im Reitsitz vorsichtig weiter …
Vorsichtig …
Besser, nicht in die Tiefe schauen …
Besser, nicht allzulange zögern …
Und vielleicht an recht Angenehmes denken und lächeln …
Ein Lächeln hilft über so vieles hinweg, nur nicht über die eigene Dummheit, die sich hinter ironischem Grinsen verschanzt …
Gibt solche Leute, ungezählt … Sind Kinder von heute … Die Fassade muß doch schließlich einen Ausputz haben: Das selbstgefällige, tiefgründige Lächeln …
Bitte, meine Herren, – lasse Ihnen hier gern den Vortritt, sehr gern …
Bitte – nach Ihnen …
Sie verzichten? Sie lächeln nicht mehr?!
Dann – Platz gemacht! Der Fassadenputz fiel ab … Das Jämmerliche grinst hindurch.
Also weiter …
Und dazu mein Lächeln, geboren aus etwas anderen Instinkten.
Da ist die Mauer …
Gewonnen …
… Ach nein! – Ein Kopf hebt sich vor mir, brauner Lackhut … Ein Büchsenlauf stößt mir fast ins Gesicht …
„Halt, Mister …!“
Und nach einem scharfen, prüfenden Blick dieselbe kalte Stimme: „Kehren Sie um, Mister! Sofort!“
Das Lächeln vergeht mir.
Die grauen Augen da sind ohne Erbarmen.
Also – – gehorchen?! – Versuchen wir es mit der Höflichkeit, wenn auch geölte Phrasen nicht recht zu den ganzen Umständen passen. Man kann die Phrasen ja modulieren, damit sie nicht zu lächerlich wirken.
„Verzeihen Sie, Miß, ich hätte Sie vieles zu fragen, und der soeben zurückgelegte Weg und manches andere rechtfertigen meine Neugier. Da ist zum Beispiel die Gartenjacht, da ist der Puma in seinem Käfig, die indianischen Mumien, die fehlenden Schiffspapiere und die überreiche Ausrüstung des Schiffes und schließlich eine Rothaut, die wir Zecke nennen …“
Die „Frau“ verrät freudiges Erstaunen.
„Ah, – Hondu lebt?!“
„Der Indianer heißt Hondu?“
„Nein. Der Puma. Ein Wunder, daß man ihn nicht tötete.“
Hier gibt es eine Gelegenheit, an das Herz dieser Frau zu rühren. Der Puma ist ihr nicht lediglich Tier, ich merke es.
„Er lebte – leider, der arme Kerl … Wir haben zwei Stunden an ihm herumgeflickt, die eiternden Wunden zu nähen. Jetzt geht es ihm gut.“
Wieder der lange, prüfende Blick. Dann sagt sie leise: „Das war sehr … lieb von Ihnen … Wer sind Sie?“
Eine kritische Frage das. Mit meinem wahren Namen ist nach landläufigen Anschauungen nicht viel Staat zu machen.
„Man nennt mich El Gento, Miß …“ Ich hatte wenig Aussicht, mit dieser Antwort durchzukommen. – Auch in diesem Falle irrte ich mich.
„Wirklich?! Sie sind der … Abenteurer El Gento?“
Die herben Züge der Frau, die kaum die Mitte der Zwanzig erreicht haben kann, spiegeln wachsendes Interesse wieder. „Ich glaube Ihnen. Sie sind sehr kühn, Mr. Abelsen … Dieser Weg durch die Baumkronen hat bereits vielen den Tod gebracht.“
„Vielen leichtfertigen Dummköpfen, Miß … Die Kühnheit allein schafft keine Brücke zum Erfolg. – Ich sitze hier auf dem Ast etwas unbequem, und der Blick nach unten in den Schlangengraben ist auch nicht dazu angetan, mein Wohlbehagen zu steigern.“
Leider scheint ihre gute Laune bereits wieder verflogen zu sein.
„Sie hätten auf dem Erdboden bleiben sollen, El Gento!“ Das klang recht abweisend und hart. „Ich darf hier keine Gäste dulden, wer es auch sei.“
Meine Chancen sinken bedenklich, aber mein Entschluß steigert sich zur raschen Tat.
Der Griff kommt der Frau völlig überraschend – die Büchse ist mein, ein einzelner Schuß geht ins Blaue, und ein Satz bringt mich neben sie auf das flache, seltsame Dach, auf dem das Gras sprießt, und steile Randmauern, nicht allzu hoch, einzelne Beete begrenzen.
Aber auch die Frau ist flink, und nur blitzschnelles Zupacken hält ihre Hände von den Pistolen fern.
„Oh, – Sie sind roh!“ keucht sie atemlos.
Ihr Gesicht ist grauweiß vor Zorn.
„Ich bedauere, daß Sie mich hierzu zwangen, Miß … Wenn Sie mir versprechen, mir einige Fragen zu beantworten, und alle Feindseligkeiten zu unterlassen, will auch ich Ihre Wünsche nach Möglichkeit erfüllen. – Einverstanden?“
Ein seltsamer Blick trifft mich.
„Sie sind sehr … bescheiden – – als Sieger“, meint sie mit unmerklichem Spott.
Und plötzlich spitzen sich die roten, vollen Lippen … Ein schriller Trillerpfiff ertönt … Ich ahne irgend eine böse Wendung der Dinge, – doch das, was wirklich geschah, konnte ich nicht voraussehen …
Irgendwoher tauchten vier pfeilschnelle Katzenleiber auf, ausgewachsene Pumas, die mit Riesensätzen herbeifliegen.
Das Spiel gefällt mir nicht …
Ein zweiter Griff, und ich presse die Frau an mich, habe ihr Gesicht den anstürmenden Bestien zugekehrt, habe ihre Hände noch immer wie im Schraubstock.
„Schicken Sie die Tiere weg!“, befehle ich scharf. „Oder ich nehme Sie mit mir über die unsichere Laufplanke des Astes, und wenn wir abstürzen, sterben wir gemeinsam. Ich bin von Frauen solche Behandlung nicht gewöhnt.“
Unter meiner Umschlingung fliegt ihre weiche Brust wie im Fieber. Ihre Hände zittern in den meinen.
„Oh, – das mir, das mir!!“ In ohnmächtigem Grimm unter schlecht verhehlten Tränen stößt sie es hervor.
Die vier Pumas sind dicht vor uns …
Bremsen den letzten Sprung, können nicht an mich heran, stehen zusammengekauert da und pendeln mit den langen Schweifen.
„Schicken Sie sie weg!!“, wiederhole ich. „Wenn Sie mich vom Hörensagen kannten, hätten Sie von vornherein Frieden schließen müssen. Wozu das alles?! Will ich denn Schlechtes, Miß?!“
Ihr jagender Atem beruhigt sich.
„Ich … war töricht“, gibt sie zu. „Gut denn, – also es bleibt bei Ihrem Vorschlag!“
Sie ruft den Pumas einige scharfe indianische Worte zu, und die vier Prachtkerle kehren widerwillig um, traben über das grasbewachsene Dach und tauchen irgendwo unter.
Mein Griff lockert sich, meine Hände gleiten herab, und als ich ihre Pistole einstecke, sage ich höflich: „Entschuldigen Sie, Miß, Sie sind zu temperamentvoll.“
Sie drückt den Hut wieder mehr in die Stirn, sie ist sichtlich verwirrt und benommen, und der Blick, der mich jetzt ganz scheu streift, zeigt Erstaunen.
„Nein, sind Sie aber rabiat!“ Das ist alles, was ihr im Augenblick einfällt.
„Und Sie?!“
Mein Lächeln wirkt versöhnend.
„Kommen Sie“, sagt sie noch verwirrter. „Bleiben Sie aber dicht hinter mir …“
Bisher hatte ich keine Zeit gefunden, meine Umgebung sorgfältiger zu mustern. Nun erst überfliege ich das Viereck der Dächer, das in der Mitte offen ist. Dort muß es einen großen Hofraum geben.
Urwaldriesen mit bunten Kronen überragen das Gemäuer, sind jedoch überall viele Meter vom Dache entfernt. Gräser, kleine Büsche, kleine blühende Teppiche bedecken die flachen Dächer. Aber in den ummauerten Beeten, wo das Gestrüpp am dichtesten, wo sogar blanke Pfützen vom letzten Regen schillern, haust dasselbe unheimliche Volk, wie drunten im Graben. Alles, was Mittelamerika an Giftvipern aufzuweisen hat, macht sich in diesen anrüchigen Beeten breit. Da sind Klapperschlangen in allen Größen, faul in der Sonne liegend, da sind Korallenschlangen – viele andere noch.
Die Wege zwischen diesen Schlangenhürden sind schmal und auch nicht frei von Gefahr. Einige der Pfleglinge mit den flachen Köpfen verirren sich auch, machen kleine Ausflüge, – ich sollte davon später noch etwas merken.
Eine Frage drängte sich mir über die Lippen.
„Miß, womit füttern Sie all dies Gezücht?!“
„Sie fressen sich gegenseitig, Mr. Abelsen …“ – Die Antwort dürfte kaum stimmen.
„Und das Fleisch für die Pumas?“ Ich bin hartnäckig.
Jetzt bleibt eine Erwiderung aus. Ich denke mir mein Teil.
Wir sind hier auf dem südlichen Teil des Daches. Jetzt kann ich in den Hof hinabschauen. Und staune. Blumen, Büsche, Steinfiguren, mit Sand bestreute Wege, – – ein Gartenparadies! Ich staune die Innenmauern an: Steinquadern, für die Ewigkeit errichtet, überreich mit Skulpturen, Fresken, Nischen, verzierten Fensteröffnungen, vorspringenden Balkonen geschmückt.
„Ein Tempel, Miß?“
Sie ist stehen geblieben, bückt sich und hebt eine Falltür des Daches auf, eine Steinplatte.
„Ein Maya-Tempel … Zugleich Festung, wie um das Jahr 1300 üblich …“
Die Holztreppe ist hell, hat ein künstlerisch zierliches Geländer, und durch leere Hallen gelangen wir in den Raum, den ich jetzt bewohne – als Gefangener mit einiger Freiheit.
Das Mobiliar (der Ausdruck paßt) ist durchaus modern: Ledersessel, Sofa, Schrank, Schreibtisch … Vor den beiden Fensteröffnungen hängen dünne Vorhänge. In einer Ecke lehnt eine Leiter. Die Wände, dünne Steinplatten, sind grauschwarz, und einzelne Felder zeigen Malereien altindianischer Art: Kampfszenen, Opferszenen und … Liebesszenen. Ich wende rasch den Kopf weg.
Auf eine einladende Handbewegung der Frau setze ich mich. Sie bleibt stehen und starrt nicht gerade freundlich an mir vorüber.
„Fragen Sie!“
„Hätten Sie etwas Eßbares, Miß?“
Diese Einleitung verwirrt sie wieder. Dann erwidert sie hastig: „Gewiß … Ich bringe Ihnen sofort alles Nötige …“
Die aus rötlichem Eichenholz gearbeitete Tür in den schweren eisernen Angeln ist neueren Datums. Weder die Azteken noch die Maya-Völker kannten Eisen vor der Ankunft der habgierigen Spanier. Draußen wird ein Riegel vorgeschoben.
Ich bin eingesperrt. Meiner Laune macht das nichts aus. Ich bin mit dem bisherigen Erfolg durchaus zufrieden.
Der Schreibtisch lockt mich. Bücher stehen da … Zeitungen liegen, ein hoher Stoß. Ich nehme eins der Bücher, noch eins, das dritte … Alles gelehrte englische Werke, in jedem eine Widmung:
„Reginald Sheridan seiner teuren Margot.“
Und aus einem der Bücher fällt ein vergilbter Briefumschlag … Der Empfänger war Lord Reginald Sheridan, London, Westend, Drake-Street, Sheridan-House. – Also eine Lady, vermute ich …
Als sie mit einem Teebrett zurückkehrt, bedanke ich mich:
„Zu liebenswürdig, Mylady …“
Ein Ruck, ihr Kopf fliegt nach hinten, ihre Augen gleiten über Buch und Briefumschlag.
„Ich hätte Ihnen meinen Namen nicht genannt, Mr. Abelsen. Sie sind indiskret.“
„Ich bin so, wie es die Umstände verlangen.“
Meine erste Mahlzeit im Tempel der Schlangengöttin ist nicht ohne Reiz. Mein Proviant liegt neben meiner Büchse auf der Landzunge. Oder – lag dort. Ich weiß es nicht.
… Die Geschichte der mittelamerikanischen Staaten, unter denen Mexiko allzeit die erste Rolle einnahm, ist grellbunt wie die all dieser von Abenteurern großen Schlages gegründeten Republiken mit einer farbigen Bevölkerung. In dem Farbenspiel wiegt das Rot vor. Blutige Kämpfe, Revolutionen, Revolutiönchen, furchtbare Metzeleien durchziehen als rote Fäden die Entwickelung dieser lockeren Staatsgefüge, denen erst die moderne Zeit innere Festigkeit verlieh.
Drei große Völker schufen hier in verklungenen Zeiten mächtige Reiche. In Mexiko die Azteken, weiter südlich die Mayas, noch südlicher und vielleicht als uralte Kulturnation am interessantesten die Inkas.
Seeräuber besonderen Formats, Cortez als ihr Hauptvertreter, durchzogen dann brandschatzend und plündernd die reichen Städte, besessen von Goldgier, Blutrausch und Eroberungssucht. Einwanderer kamen, eine Mischrasse entstand in den Küstenstrichen und wurde die Begründer der heutigen Republiken Mexiko, Guatemala, Honduras, San Salvador, Nicaragua, Costa Rica.
Über Azteken, Mayas, Inkas sind dicke Folianten geschrieben worden. Berühmte Forscher vermochten die Bilderschriften zu entziffern und zogen daraus recht phantasievolle Schlüsse auf Lebensgewohnheiten, Religion, Staatsverfassung und kriegerische Ereignisse.
Eine Tatsache bleibt unverrückbar bestehen: Die Bauwerke, die diese Völker schufen, waren ebenso großartig wie beständig, ihre religiösen Anschauungen entsprachen dem kriegerischen Geist, Menschenopfer gehörten zu jedem Fest, und die Sklaverei übertraf an Härte und Gefühllosigkeit die des alten Rom.
Wenn nun all diese Tempel, Paläste und Städte heute größtenteils wie vom Erdboden verschwunden erscheinen, muß man dreierlei bei diesem schier unbegreiflichen Verschwinden derartiger Ewigkeitsbauten berücksichtigen.
Erstens: Die Zerstörungswut der weißen Plünderer, die schon deshalb Tempel und Paläste mit Pulver sprengten, weil sie überall geheime Schatzkammern vermuteten.
Zweitens: Der ureigene Vernichtungswille der unterjochten Indianer. Beim Rückzug vor den Mordbanden der Spanier fanden sie immer noch in ihrem wilden Fanatismus Mittel und Wege, die Bauten durch Wasserdampfexplosionen zu zertrümmern.
Und drittens, – der mächtigste Bundesgenosse dieses Vernichtungswillens: Die Natur selbst! – Erdbeben, Vulkanausbrüche und die ungeheure Schnelligkeit des Vordringens der ungehinderten tropischen Wildnis vollendeten das traurige Werk.
Wenn man bedenkt, daß ein Buschpfad im Urwald von Guatemala oder Honduras in einer Woche wieder vollkommen zuwächst, daß Lianen, Dornen, Baumschößlinge in der feuchtheißen Luft an einem Tage oft um einen Meter wachsen, begreift man vieles.
In jenen Urwäldern entdeckten Forscher unter metertiefer Humuserde auf scheinbaren Hügeln und Bergen ganze tote Städte, überwuchert vom Urwald.
Um so größer war mein Erstaunen, hier einen vollkommen erhaltenen Maya-Tempel vorzufinden.
„… Er ist der Schlangengöttin geweiht“, erklärte Lady Sheridan, während ich der gebratenen Hirschkeule und den Früchten eifrig zusprach.
„Selbst Schlangengöttin!“, dachte ich und rüstete mich zur nächsten Frage.
„Mylady, was treiben Sie hier eigentlich?“
Sie besaß schlagfertigen, trockenen Witz.
„Ich werde belagert, Mr. Abelsen …“
„Haben Sie hier einen Eiskeller?!“ Und ich deutete auf die Hirschkeule.
Ein flüchtiges Rot färbte ihre Wangen.
„… Diese Hirschkeule, Mylady, dürfte noch vor wenigen Tagen lebend über die Steppe gewandert sein … Ihre Belagerer hier ahnen offenbar nicht, was mir als gewiß erscheint und was auch ganz zu dem paßt, das ich über so uralte Baulichkeiten weiß: Ein unterirdischer, endloser Gang! – In den Tempelruinen Mexikos entdeckte man einen solchen Gang, der drei Meilen weit unter der Erde hinlief. Das fällt mir soeben ein.“
„Sehr belesen, Mr. Abelsen …“
„Oh, ich bin ja mal Ingenieur gewesen, Tiefbau als Spezialfach … – Wer sind Ihre Gegner? Der weiße Gentleman erschoß vorhin einen Europäer, also haben Sie auch Europäer zu Feinden.“
„Wer – weißer Gentleman?!“ Ihr Erstaunen war nicht geheuchelt.
Ich erzählte von dem Herrn mit dem Patentkahn, genau wie ich ihr auch bereits Taskamores und meine Abenteuer, beginnend mit der Waljagd, berichtet hatte.
Jetzt wurde sie lebhaft. „Wie sah der Herr aus?“ Sie wollte ihn ganz genau beschrieben haben.
Ich merkte ihr an, daß sie diesen patenten Gentleman mit dem plumpen Motorkahn zu kennen glaubte. Sie gab dies zwar nicht zu, aber ihre noch finsterere Miene und ein eigentümlicher Blick der halbgeschlossenen Augen verrieten sehr viel.
„Mylady, Sie kennen den Mann!“, erklärte ich geradezu.
Eine Antwort blieb aus. Sie hatte die Fingerspitzen in leicht nervösem Spiel aneinander gelegt, und ich durfte ihre schlanken Hände abermals bewundern. Unter den langen, dunklen Wimpern hervor schaute sie mich zerstreut an. Es war ein Mißklang in unser bisher durchaus argloses Gespräch geraten, den ich bedauerte. Die feinen Falten des Leids, die um den üppigen Mund sanft eingekerbt waren, traten deutlicher hervor. Der Zug unbeugsamer Energie und Verbitterung schien anzudeuten, daß sie nicht gesonnen war, etwas von ihren Geheimnissen preiszugeben.
„Bisher“, sagte ich etwas spitz, „ist unser Friedensvertrag sehr einseitig ausgelegt worden. Ich spielte mit offenen Karten, von mir wissen Sie alles, ich von Ihnen so gut wie nichts. Dabei müßten Sie doch im eigenen Interesse Verbündete wie Taskamore und mich mit Freuden begrüßen. – Wo sind wir hier, ist dies eine Insel oder Halbinsel?“
Die Frage war doch wirklich unwesentlich. Trotzdem zauderte sie und erklärte erst nach einer fast beleidigenden Pause: „Halbinsel, Mr. Abelsen. Genau auf der Grenze zwischen Südmexiko und Guatemala.“
Ich war mehr als überrascht. „Dann muß unser Wal in vier Tagen ungeheure Entfernungen zurückgelegt haben … Es ist kaum zu glauben, daß …“
„Bedenken Sie das Seebeben und die Springflut und die dadurch hervorgerufenen Meeresströmungen!“, meinte sie geistesabwesend und kam sofort wieder auf das andere Thema zurück. „Der Mann im Korkhelm war es wohl, der Ihren Freund niederschlug?“
Auch mir erschien dies jetzt am wahrscheinlichsten. Der schwarze Kahn war ja verschwunden gewesen, der Gentleman konnte am Südufer gelandet sein und mußte uns beide für Mitglieder der fragwürdigen Bande gehalten haben, die den Tempel hier belagerte.
„Vielleicht, Mylady … ich sah ihn nicht. Ich hatte Eile … Der Herr ist etwas rücksichtslos.“
Sie war noch nervöser geworden. „Ich muß mir Gewißheit verschaffen …“ Sie sprach hastig und abgehackt. „Wir reden später über diese Dinge … Dann werde ich zu einem endgültigen Entschluß kommen.“
Sie räumte die Teller und die Bestecke ab, tat alles auf das Teebrett und entfernte sich mit einem kurzen „Auf Wiedersehen“.
Als die Tür zugefallen war, wurde auch der Riegel wieder vorgeschoben.
Mein Gemach war Gefängnis, aber die Leiter dort in der Ecke gab zu denken, und ein prüfender Blick zur Decke empor entlockte mir ein Lächeln. Der mit Margot Sheridan geschlossene Pakt war hinfällig geworden. Ich hatte die Bedingungen eingehalten, sie nicht. Im Gegenteil, schon die selbstverständliche Art, mich hier einfach gefangen zu setzen, widersprach den Vereinbarungen.
Zwei Stunden später benutzte ich die Leiter zu einer gründlichen Untersuchung der Holzdecke des großen Zimmer. Durch die beiden Fenster in den Hofgarten hinabzuklettern, war nicht ratsam. Unten strichen die Pumas umher, schielten zu mir nach oben und spielten Wächter. Ich hätte sie abschießen können. Das wäre überflüssiger Tiermord gewesen. Ich hatte vier Pistolen, die Myladys eingerechnet. Sie hatte sie nicht zurückgefordert. Sie schien über ein Waffenarsenal zu verfügen, in ihrem Gürtel sah ich den Ersatz, als ich frühstückte.
Die Frau war nicht von jenem Weibchenschlage, der in einem gesunden Manne mit Verständnis für frauliche Reize den Trieb weckt. Diese Frau war erhaben über die geringste Eitelkeit. Sie war herb und kalt und fast zu energisch, sie war Mannweib im besseren Sinne.
Sie war schön.
Ihre Schönheit glich der jener römischen Vestalinnen, die gesteinigt wurden, wenn sie ihre Keuschheit preisgeben. Lady Margot war Frau, mußte die Liebe kennen, und doch umgab sie der Reiz strengster Reinheit.
Ich dachte sehr viel an sie, als der spitze Bleistift über das Papier flog.
Genug damit.
Die Leiter …
Zwei Stunden … Ich sorgte mich um Lady Sheridan. Vorhin war es, als ob ganz fern Schüsse knallten. Aber ich konnte mich auch getäuscht haben, denn die Pumas unten im Hof waren sehr unruhig.
Die Leiter mußte einen Zweck haben, und die Falltür im Dach führte mich auf die richtige Spur. Die uralte, getäfelte Holzdecke gab ihr Geheimnis preis, sie war leichter zu bezwingen, als Margot Sheridan.
So stieg ich denn durch das quadratische Loch empor in eine niedere, lange, leere Halle, die unter dem festen Dache lag. Balken, die kein nagender Wurm, keine tropische Fäulnis angreifen konnten, hielten die Steinplatten des Daches, über denen die Erdschicht lagerte, aus der Gräser und Grasbüschel und kleine Sträucher, einzelne Dornen, sogar Lianen, hervorwuchsen. Der Ausgang nach oben war leicht zu finden. Es gab mehrere Steintreppen und Falltüren.
Jetzt stand ich auf dem Dache, auf einem der schmalen Pfade, und um mich her war das bunte Reich der nahen Wipfel der bunten Urwaldriesen. Die niedere Dachbrüstung zeigte mir abermals die Größe der Steinquadern, die mit einem bräunlichen Mörtel verbunden waren, hart und bräunlich-grau wie Metall. Man hat behauptet, – die Chemiker mögen recht haben, –, daß die Maya-Völker einen Mörtel aus Menschenblut oder Tierblut und Rinderdünger und Lehm oder Ton benutzten. Mag sein. Dieser Mörtel war jedenfalls glashart, und die Jahrhunderte hatten ihn nicht zermürbt.
Ich beobachtete mit gemischten Gefühlen das widerliche Treiben in den Schlangenhürden. Eine zwei Meter lange Klapperschlange war gerade dabei, eine kleinere hellgrüne zu verschlingen. Ganz junge Schlangenbrut lag kribbelnd und krabbelnd in einem Winkel, die Mutter ruhte halb über dem Gezücht wie eine Henne, die ihre Küken[2] schützt.
Ein unheimlicher Tempel.
Von der Brüstung hielt ich mich fern, denn die Banditen draußen, die diesen Mauern nicht einmal mit Dynamit hätten beikommen können, mochten irgendwo wieder in der Nähe lauern. Ich war vorsichtig und musterte die Baumkronen sehr scharf. Die entsicherte Pistole war nur eine mäßige Waffe für einen Fernschuß. Langsam umschritt ich die vier aneinander stoßenden Teile des Daches von Süden nach Osten. Überall dasselbe Bild, überall diese heimtückischen Hürden, in die nachts ein Unkundiger ahnungslos hineintappen mußte. Dann war sein Schicksal besiegelt.
Ich schnitt eine fingerdicke Liane ab, die bereits hart wie Manilarohr war. Mein Messer bekam Scharten, immerhin genügte dieser Stecken, sowohl die vorwitzige Natter zu töten als auch die Grasbüschel und kleinen Sträucher vor jedem Schritt gründlich abzusuchen.
Ich trat an den Innenrand und schaute mir nochmals den grünen, bunten Hof an, – ein kleiner wundervoller Park war es. In der Mitte erhob sich eine grellbunt bemalte sitzende Götzenfigur von abscheulicher Häßlichkeit. Ein Weib, eine Göttin, das Haar durch züngelnde Schlangen angedeutet, die sechs Arme ebenfalls Schlangen, die spitzen Brüste Schlangenköpfe, der vorquellende Bauch hohl und im Inneren blanke Gegenstände, die ich nicht genau erkannte.
Auch die Wandreliefs, die Skulpturen, die Götzen in den Nischen zeigten ähnliche widerwärtige Gestalten. – Schlangentempel … Es stimmte schon. Und – was tat Lady Sheridan hier? Daß ihr die Jacht „Hamilton“ gehörte, bezweifelte ich kaum mehr. Engländerinnen bringen so manches fertig, das Abenteurerblut dieses Inselvolkes, das Britanniens Weltmacht schuf, schreckt vor nichts zurück. Und doch: Weder Mexiko noch das benachbarte Guatemala sind heute gerade an den Küstenstrichen noch so unzivilisiert, daß ein Tempel wie dieser hier etwa durch das fanatische Verschweigen der Indianer verborgen bleiben könnte, oder daß Räuberstückchen, wie diese Kämpfe zwischen Mylady und den Banditen, der Öffentlichkeit entzogen werden könnten.
Es mochte jetzt fünf Uhr nachmittags sein, vielleicht auch sechs Uhr. Meine wackere, wasserdichte Armbanduhr war stehen geblieben, ich hatte sie nur nach der Sonne gestellt. Abendwind kam auf, die Wipfel rauschten, die drückende Hitze ließ nach, die Affen und Papageien wurden lebhafter, Schwärme von Kolibris, wie glitzernde Wolken, schossen hin und her.
Die Pumas rekelten sich unten im Sande. Es waren wirklich Prachttiere, und daß sie vollkommen zahm waren und ihrer Herrin aufs Wort gehorchten, wunderte mich nicht weiter. Junge Pumas werden unter leitender Hand wie Hündchen, das sagt schon Altvater Brehm, der „Sein Tierleben“ nicht lediglich als Stubenhocker schrieb.
Es war ein Risiko, sich die Tempelräume anzusehen, aber im schlimmsten Falle mußte ich zu ernsten Mitteln greifen, mir die Bestien vom Leibe zu halten. In dem Saal unter dem Dache hatten haufenweise altertümliche Harzfackeln gelegen, die sicherlich noch brennen würden.
Ich fühlte mich nicht als Gefangener, ich wollte wissen, was hier eigentlich vorging, Lady Sheridans Persönlichkeit sollte mir nicht länger ein dunkles Rätsel bleiben. Meine Wege abseits vom Alltag hatten mich hart gemacht. Wer mir nicht freiwillig gab, was mir den Umständen nach gebührte, den zwang ich dazu, den Schleier zu heben.
Und doch hielt mich irgend eine unerklärliche Scheu zurück, gegen Margot Sheridans Willen mich einzudrängen in ihr geheimes Tun. Die Frau war niemals eines jener überspannten, sensationshungrigen Weiber, die da, auf ihre Millionen und guten Beziehungen pochend, die entferntesten Erdenwinkel mit ihrer sportlichen Neugier unsicher machten. Der eigenartige Zauber tiefen Leides, der aus ihrem Gesicht unmerklich hervorstrahlte, der in den klaren, ruhigen Augen dämmerte, mahnte mich, das eigene Abenteurerblut diskret zu dämpfen.
Andererseits – und dies gab den Ausschlag – war Bruder Kamos Schicksal völlig ungewiß. Mir lag die Pflicht ob, mich um Taskamore zu bemühen, ihm zu helfen.
Mich gefangen halten, wenn Kamo meiner bedurfte?! Lady Sheridan hätte niemals so eigenmächtig und selbstverständlich mich von der Außenwelt absperren dürfen! Sie kannte mich vom Hörensagen, sie mußte wissen, daß ich nicht aus weichem Lindenholz geschnitzt war. –
Ich beeilte mich, alle Bedenken waren geschwunden, die Freundespflicht rief, und nebenbei bedrückte mich noch die Sorge um Margot Sheridan. Mochte sie auch noch so erfahren in allen Schlichen eines Kampfes gegen heimtückische Gegner sein, mochte sie noch so vorzüglich schießen und gegen körperliche Anstrengungen gefeit sein, – ein unglücklicher Zufall konnte all das wegfegen mit der ganzen Grausamkeit mißgünstigen Geschickes!
Ich trabte den Weg über die Dächer zurück, ich sah zu meiner geringen Beruhigung den grünbunten Fleck der Jacht noch mitten im schimmernden See, – das wollte wenig besagen.
Ich stieg die Treppe hinab, die Steinplatte klappte herab, sechs Fackeln nahm ich mit, versuchte die eine zu entzünden, das Zündholz genügte, rasch löschte ich sie wieder und fand die Steintreppe zum nächsten Stockwerk.
Weite leere Hallen, in einigen Götzenbilder von teuflischer Häßlichkeit, in anderen uralte Holzgeräte, Truhen, seltsame Stühle, in einer dritten eine Pyramide menschlicher Schädel, in einer vierten rote offene verwitterte Kisten mit Mumienresten.
Wieder eine Treppe hinab …
Und dann eine neue Tür wie die meines Gemachs, – verschlossen … Das Schloß sehr fest, etwas verrostet, aber moderne Arbeit.
Ich bückte mich, suchte durch das große Schlüsselloch zu schauen und sah der Tür gegenüber ein Bett, das mit hellblauer Steppdecke belegt war, ein weiß lackiertes eisernes Tropenbett. Davor stand ein Tisch, auf dem Tisch eine Karbidlampe, Bücher, ein Lederhut, eine Büchse, – ein buntes Allerlei.
Ich suchte anderes.
Ich wollte den Gang finden, den unterirdischen Gang, den Lady Sheridan nicht abgeleugnet hatte.
Ich kam in das Erdgeschoß des Südflügels. Hier hatten der grimme Zahn der Zeit und die Urkraft der Wildnis doch bereits gewütet. Die Steinplatten des Fußbodens waren von armdicken Wurzeln emporgedrückt, die Wurzeln hatten Schößlinge getrieben, und fahle Blätter an kränkelnden Zweigen strebten lichthungrig den Fensteröffnungen entgegen. An den Wandverzierungen schlängelten sich dünne Lianen empor, – ein Wintergarten, hätte man sagen können, aber doch nur eine Stätte des Verfalls. Der Urwald draußen hatte seine Wurzeln bis hierher getrieben, Jahrhunderte hatte es gedauert, bis diese Verwüstung möglich wurde.
Eine graugrüne große Moschusratte flitzte durch die Trümmer, – also auch Tiere waren hier bereits eingedrungen. Der Dunst fauliger Erde peinigte mich. Ich sah das Unsinnige meiner Absicht ein, hier irgendwo den unterirdischen Gang zu suchen, der doch sicherlich gut versteckt lag.
Ich machte enttäuscht und verärgert kehrt und stand auf drei Meter einem zusammengekauerten Puma gegenüber. Die Lichter der Bestie waren eng wie Spalten, der Schweif pendelte nicht, die ganze Stellung deutete auf jähen Ansprung hin.
Mein Herz tat ein paar schnellere Schläge. Beruhigte sich. Meine Augen bohrten sich in die starren Blicke des Pumas, und dann begann ich leise zu sprechen, schmeichelnd, – so, wie ich zu dem armen Kerl dort auf der Jacht geredet hatte.
Schießen?!
Mein Arm hing herab.
Bevor ich die Pistole im Anschlag hätte, schnellte die Bestie sich vorwärts, und ein Ringkampf mit einem Puma böte wenig Chancen.
Das Tier öffnete die Lider ein wenig weiter. Der Schweif kam in Bewegung, pendelte sacht, die Muskeln entspannten sich.
Ich sprach zu ihm, und der schmeichelnde Laut der menschlichen Stimme war ihm nicht fremd.
Die Ohren, innen fast weiß, außen dunkel gefärbt, legten sich nach hinten. In den Blick trat etwas Ängstliches, Scheues, die hochgezogene Oberlippe, die die Reißzähne entblößt hatte, glitt tiefer, und das kühle Rieseln, das ich als Gegner auf dem Rücken verspürt hatte, wich vollends. Ich hatte mich wieder in der Gewalt, ich wollte siegen, und ich siegte. Ich hatte bereits mancherlei Raubzeug kennen gelernt, und ein Puma ist kein abessinischer Löwe oder Leopard. Die Feigheit hat man dem Puma nicht zu unrecht nachgesagt.
Das Tier kroch zurück, erhob sich und trollte von dannen – in den Hofgarten hinein.
Der Tempel der Schlangenkönigin war kein angenehmer Aufenthalt. Eiliger als vorhin stürmte ich die Treppen hinab, gelangte wieder auf das Süddach und schritt der Stelle zu, wo der dicke Ast als Laufplanke die Außenmauer berührte.
Ich war noch vorsichtiger geworden, hatte mich geduckt, richtete mich auf, sah, daß das Ende des Astes sich bewegte und hob den Arm.
Der weiße Gentleman sah mich nicht.
Er saß mitten auf der Laufplanke und starrte hinab in den Schlangengraben. Sein Korkhelm hatte ein Kugelloch, sein weißer Anzug war reif für eine Reinigungsanstalt. Sein braunes, hageres Gesicht verriet, daß die Schlangen ihn sehr kalt ließen. Zwischen den Lippen hing ihm eine frisch angezündete Zigarette.
Ich musterte ihn mit der Neugier, die hier durchaus verständlich. Dieser Mann schien keine Nerven zu besitzen. Er lächelte sogar, als ich ihn anrief und auf ihn zielte. Seine grauen Augen hatten einen Schimmer unbekümmerten Frohsinns.
„Abelsen? – Natürlich Abelsen …“, sagte er sichtlich belustigt über meine feindselige Haltung. Sein Englisch war rein und ohne jeden Akzent. „Lassen Sie doch das Schießeisen stecken … Wir ziehen ja am selben Strang, Mr. Abelsen. Meine teure Schwägerin, die mich übrigens wie die Pest haßt, ist nun glücklich oder unglücklich von der Horde erwischt worden. Taskamore hat Kopfschmerzen, Zecke ist zu minderbegabt, Sie zu finden, daher suchte ich Sie … Ethel wollte mitkommen, aber das Mädel kühlt Taskamores Schädel, was zweckdienlicher ist. – Ich bin Lord James Sheridan – – seit einer Woche Lord. Aber die Geschichte ist trotzdem noch fraglich. Was die verdammten großen roten Ameisen übrig ließen, kann auch irgend ein Kuli sein, obwohl die Goldzähne stimmen. Das war das einzige Erkennungszeichen, Mr. Abelsen. – Finden Sie, daß ich sehr logisch rede? Wohl kaum. Ich bin nicht Anwalt oder Schriftsteller. Ich rede so, wie es mir in den Sinn kommt. – Falls Sie mir nicht glauben sollten, und Ihr Freund Taskamore meinte, Sie seien das verkörperte Mißtrauen, – da, er hat mir ein Leumundszeugnis mitgegeben … Warten Sie, hier steckt der Papierwisch!“
Er faßte in die Tasche seiner Tropenjacke, und … ein kurzer Knall zerriß die Luft, meine Pistole flog davon und nahm einen Fetzen Haut mit …
Ich hatte mich überlisten lassen.
Der Mann konnte mehr als ich.
Er konnte infam geschickt schauspielern.
Unter der dauernden Obhut seiner Pistole mußte ich es mir gefallen lassen, daß er mir die Hände mit einem dünnen geteerten Strick zusammenband.
Das war der Beginn meiner Freundschaft mit James Sheridan, einem jener Engländer, die es verständlich machen, daß das Inselreich Britannien die halbe Welt in die Tasche gesteckt hat.
„So, mein Lieber, nun können wir freundlicher miteinander verkehren … Setzen wir uns hier auf die Mauerbrüstung …“
Er hatte nur einen Fehler gemacht. Er hatte mir die Hände vorn zusammengeschnürt.
Diese Hände fuhren hoch, und der Kinnhaken, den Seine Lordschaft erhielt, hätte für einen ausgewachsenen Ziegenbock genügt, glaube ich.
Lord James lag da und rührte kein Glied. Sein Korkhelm war in die Schlangenhürde geflogen.
„Mylord, ich bedauere unendlich, daß Sie einen Vorderzahn eingebüßt haben“, sagte ich zu dem allmählich wieder etwas lebendig werdenden Gentleman, den ich hinab in mein Gemach getragen und zur Sicherheit auf einen Stuhl gefesselt hatte.
Die Dämmerung hatte sich über Urwald und Tempel herabgesenkt, und Seine Lordschaft befühlte mit der Zungenspitze wehmütig die Zahnlücke. Zum Glück war es ein Seitenzahn.
„Sie sind aber einer!“, meinte er kopfschüttelnd. „Wie können Sie nur derart zuschlagen, daß ich …“
„Wie können Sie schießen, daß ich fast den Zeigefinger verloren hätte!“, – und der Vorwurf war berechtigter.
„Ich mußte“, sagte er mit erstaunlicher Wurstigkeit. „Ich wollte unbedingt den Tempel von innen sehen …“
„Das Vergnügen haben Sie jetzt, – Mylord, – – falls Sie wirklich ein Lord James Sheridan sind.“
Ich hatte die Karbidlampe angezündet und rauchte eine Zigarette aus meines Gefangenen silbernem Etui. Es war englischer Opiumdreck, diese Papiertabaknudel, aber in der Not … und so weiter.
Er schaute sich um.
„Ganz hübsch hier … Reginald hatte immer Geschmack. Aber Reginald war ein Phantast, und die unsinnige Idee, unseres Großvaters Erbe anzutreten, hat ihm vielleicht das Leben gekostet. Wie gesagt, – ich kann mich irren …“
Sein wirres Gerede fiel mir auf die Nerven.
„Wo ist Taskamore?“, fragte ich kurz.
„Keine Ahnung …“
„Also nicht auf der Jacht?“
„Nein. Dort befinden sich nur Ethel, mein Diener Abraham Knox alias Zecke und der genähte Puma.“
Jetzt log er nicht.
„Weshalb logen Sie vorhin? Woher kannten Sie meinen Namen?“
Ein belustigtes Lächeln verzog die dünnen Lippen. „Zecke-Abraham hat Ohren wie ein Luchs, ein Gedächtnis wie der Philosoph Kant mit dreißig Jahren und spricht etwa sieben Sprachen fließend. Die achte Sprache, den Gesang der Englein im Himmel, lernte er während der letzten vier Tage, als er im Gestrüpp lag, sich nicht rühren durfte und die Horde ihn suchte und Schlangen, Zecken, Krokodile ihn halb auffraßen. Er ist sehr stolz darauf, Sie geblufft zu haben, und läßt Sie verbindlichst grüßen.“
Das war Hohn, bissiger Hohn. Immerhin entschuldbar, da dieser Zecke uns tatsächlich schändlich hineingelegt hatte. Seine Kammerdienerallüren hätten uns vorher die Augen öffnen sollen.
Der Gentleman fügte halb entschuldigend hinzu: „Er hat schon andere geblufft, vielleicht ist das ererbt, er ist nämlich Botokude, Mr. Abelsen, und man geht völlig fehl, wenn man diesen Indianerstamm aus Brasilien für faule Sprüchwörter verwendet. Die Kerle sind äußerst gerissen. Als ich dort noch Gold wusch, übrigens ein wenig lohnendes Geschäft, stand ich mit den Botokuden auf du und du. Die armen Teufel teilen das Schicksal aller durch die Zivilisation verseuchten Naturkinder, sie sterben langsam aus, und mit ihnen ein ganz interessantes Völkchen. Dann las ich in einer Zeitung, die durch Zufall den Weg in unser Lager fand, von Reginalds Verschwinden und kaufte für das mühsam der Wildnis abgerungene Gold für uns drei, Ethel, Zecke und mich, Kabinenkarten bis an diese schöne Küste. Zecke als Vorhut hatte Pech – – oder Glück. Die Auffassungen darüber sind ungeklärt. Ich sage: Er hatte Glück! Er fand hier den Krokodilfluß, fand auch die Jacht „Hamilton“ und lernte vieles dazu. – Würden Sie mir nicht besser die Stricke abnehmen? Meine Lage ist nicht nach meinem Geschmack …… Hallo, was war denn das?!“
Über uns ein Poltern, Rumpeln …
Im Nu hatte ich die Lampe ganz klein geschraubt. Sie pfiff etwas und stank. Das ist die Eigentümlichkeit aller Karbidlampen, bei denen man die Gaszufuhr drosselt.
Wir horchten.
„Dort sind Leute“, flüsterte der Lord. – Ich nahm vorläufig an, er sei ein Lord. „Vielleicht gar die verwegenen Burschen, die es wagten, James Sheridan anzugreifen. Ist ihnen schlecht bekommen.“
„Still!!“
Ein dumpfer Fall oben … Die Decke besaß nur eine Balkenlage. Die alten Mayas hatten keinen Wert auf schalldichten Fußboden gelegt.
„Schlangenbiß – – tot!“, raunte mir der Lord zu. „Was tun wir, Mr. Abelsen? Die Halunken sind ihrer dreißig, trotz meiner Abstriche … Und noch nie sah ich so buntes Pack wie die. Da waren Indianer, Neger, Mulatten, gelbe Mexikaner, erdfarbene, malariaverseuchte Yankees mit wattierten Schultern, eine Blütenlese von Galgenvögeln … Jedes Zuchthaus und jeder Henker würde sich freuen, die Leute je nach Verdienst zu behandeln.“
Sein Geschwätz störte mich.
„Seien Sie doch still!!“
Mylord hüstelte nur noch und schien wieder seine Zahnlücke gründlich zu befühlen.
Ich trat zu ihm. „Antworten Sie mir jetzt kurz und bündig …“
„Tue ich immer. Ich habe zum Beispiel auf einen Pfeilschuß prompt mit …“
„Weiß ich. – Ist Lady Margot in der Gewalt dieser Leute?“
„Wahrscheinlich. Ich glaube kaum, daß sie noch entfliehen konnte, obwohl ich gehörig dazwischen pfefferte: Vier Mann Abgang! Dann mußte ich mich selbst in Sicherheit bringen. Viele Hunde sind …“
„Wo war das?“
„Im Norden des Tempels, wo die Kerle ihr Lager haben.“
„Sahen Sie Taskamore?“
„Nein …“
„Dann sind es die Burschen … – Da, das sind Schritte von mindestens zehn Mann … Wie mögen die den Baumweg gefunden haben?!“
„Genau wie ich – durch gute Augen und durch Ihre sehr sichtbare Fährte, Mr. Abelsen. Das soll kein Vorwurf sein.“
Aber ich empfinde es als Vorwurf.
„Hören Sie mal zu, Mylord …“
„Ist zweifelhaft, das Mylord … Sagen Sie Sir James, – genügt vollkommen. – Also?“
„Wenn Sie mir versprechen, nichts gegen mich zu unternehmen und mir zu gehorchen, will ich …“
„Abgemacht, – will ich auch. Ist ja Unsinn, daß wir beide hier Räuber und Soldat spielen, Abelsen. – Weg mit den Stricken! – – Aha, – da purzelte wieder einer um … das war ein netter Knall! Mir scheint …“
Sir James verlor den Faden. Über uns begann ein Höllenlärm, spitze, schrille Schreie gellten auf, Schüsse knallten, Gebrüll wie von losgelassenen Teufeln schwoll an, verklang, lebte wieder auf, neue Schüsse, polternde Stürze, heiseres Heulen, – eine Sinfonie des Inferno war im Gange, grauenvoll in ihren jähen Kontrasten von zartestem Piano völligen Schweigens bis zu grimmigstem Höllenlärm.
Und dann Pause …
Ich hatte den Widerhall der letzten Schreie noch in den Ohren, ich fühlte ein tiefes, die Seele erschütterndes Grauen, – und Sir James sagte mit etwas belegter Stimme
„Ganz nett …! Es fehlt nur noch …“
Aber auch der Satz wurde nicht beendet …
Ein gellendes Angstgeschrei, überlaut, die Nerven folternd, war der unlogische Abschluß der gekünstelt kaltblütigen Bemerkung des Engländers. Das Geschrei entfernte sich sehr rasch, – ein Mensch floh vor irgend etwas, das seinen Herzschlag zum Stocken brachte und nun die tierischen Laute der Kehle entpreßte …
In der Ferne irgendwo in den Hallen erstarb das gräßliche Gewinsel …
„Donnerwetter!!“, meinte Sir James und atmete rasch. „Das war denn doch etwas zuviel des Guten!“
Ich beugte mich über ihn, die Stricke fielen, seine Hand suchte die meine.
„Gute Kameradschaft, Abelsen …! So ganz unerfahren bin ich auch nicht …“
Der feste Händedruck umfing beiderseits kalte, schweißige Finger.
„Still!!“
Ein schleifendes Geräusch nun, nachdem eine Minute lang Totenstille geherrscht hatte.
„Was ist das?!“
„Ich weiß nicht!“ Auch meine Stimme klang fremd. Der Schlangentempel war ein Haus des Grauens geworden.
Das schleifende Geräusch blieb …
Dann wieder Stille …
Und dann …
Wir duckten uns, als ob ein Hieb unsere Köpfe getroffen hätte.
Ein wahnwitziger Fistelschrei …
Irrsinnige Angst gellte in den hellen Schallwellen …
„Hilfe … Hilfe …!!“
Und nochmals:
„Hilfe …!!“, – aber ersterbend in gurgelnden Tönen.
Und … Schweigen …
Sir James hielt meinen Arm umklammert.
„Begreifen Sie das?!“
Ein eigentümliches Krachen folgte, nicht allzu laut …
„Knochen!!“, flüsterte ich …
„Sie glauben?!“
„Eine Schlange, Sir James …“
„Verdammt, da haben Sie recht … Es muß solch ein Vieh von Anakonda sein … Und zuerst waren es Raubtiere …“
„Pumas – es stimmt.“
Wir redeten wie betrunken. Noch immer rannen mir die Schauer über den Leib …
Das zischende kleine Flämmchen war nur der einzige Laut außer dem Singen und Klingen des Blutes in meinen Ohren.
Ich schlich zur Fensteröffnung, schob die Vorhänge zurück und wollte in den Hof hinabspähen. Draußen schwarze Finsternis, das feine Tröpfeln dünnen Regens und ein fernes Grollen, dazu eine schwere, feuchte Schwüle, die mir den Atem benahm. Nicht ein Stern am dunklen Firmament, düstere Wolken zogen ganz tief, einige mit schwach leuchtenden rötlichen Rändern, als ob irgendwo doch noch das Abendrot Zutritt fand zu diesen finsteren Behängen der Himmelsglocke.
Sir James tippte gegen meine Schulter. „Abelsen, man nennt diesen Küstenstrich den großen Friedhof … haben Sie bereits Chinin geschluckt? Ich sage Ihnen, lieber ein Gramm Chinin hier, als die feinste Hirschkeule … Großvater Edward hätte das Grenzgebiet nie so billig erschachert, wenn nicht die Malaria gewesen wäre. Haben Sie schon Chinin geschluckt?!“
Da erst wurde mir bewußt, daß Taskamore und ich unverzeihlich leichtsinnig gehandelt hatten. In dem Medizinkasten der Jacht waren übergenug Chinintabletten in Zinkröhrchen vorhanden, ich hatte die Aufschrift gelesen, aber – unbegreiflich – der Gedanke, daß diese tropische Schönheit von Wald und See den Tod in sich trügen, war mir nicht gekommen.
„Ich habe nicht daran gedacht, Sheridan …“
Sir James warf sich in einen Sessel und nahm sein Zigarettenetui. „Bitte …“
„Danke …“ Ich rieb ein Zündholz an stand breitbeinig vor dem Engländer.
„Ist wirklich Ihre Schwester auf der Jacht?“
„Ja. Ethel, die Bogenschützin … Ein liebes Mädel, Abelsen. Nur nicht mehr recht für Salonbetrieb geeignet, etwas verwildert unter den Botokuden … Immerhin: Junge Dame!!“
„Und wenn die Kerle die Jacht angreifen?!“
Ein stilles, herzliches Lachen folgte.
„Da kennen Sie Ethel und Abraham Knox schlecht!! Wollte den Mulatten sehen, der an Bord gelangt!! Lebend niemals!“
Die Zigarette wirkte ablenkend. Wirkte belebend während dieser Kanonade der Blitze. Zuweilen zitterte der Tempel unter dem Anprall der Schallwellen.
„Sheridan“, sagte ich entschlossen, „ich steige nach oben. Ich will sehen, was dort geschehen ist.“
„Von mir aus – einverstanden … Das Bild da oben könnte ich Ihnen beschreiben: Viele Tote, dazu tote Pumas und eine lebende Riesenschlange, die uns unbedingt anfallen wird. Nun, dagegen gibt es Mittel … Zu zweien ist die Sache ungefährlich. Am probatesten ist, ihr den Kopf abzuschneiden … – Das war ein Blitz!!“
Ja, – das war einer …
Das Gemach wurde taghell …
Wir taumelten zur Seite … Sheridan packte den Tischrand …
Ich glaube, wir beide waren bleich geworden. Noch nie hatte ich ähnliches gehört, wie diesen Knall, noch nie hatte ich durch den Luftdruck gut befestigte Fenstervorhänge in lange Streifen reißen sehen.
„… Großvater Edwards Rittergut hat seine Schattenseiten“, witzelte Sheridan so recht anmaßend-wurstig. „Meinen Bruder Reginald muß der Teufel geritten haben, als er mit seinem … hm … na sagen wir schon, mit seiner niedriggeborenen Gattin hierher flüchtete vor dem allgemeinen gesellschaftlichen Boykott. Wer heiratet auch eine Filmdiva dritten Ranges?! Noch dazu eine, deren Vater erwiesenermaßen mit einer Hanfschlinge um den Hals in die Hölle rutschte! Nein, ich liebe Schwägerin Margot nicht. Wir Sheridans sind für alle Zeit blamiert, Ethels Verlobung ging auseinander … scheußlich, sage ich Ihnen! Sie kennen ja wohl den Ehrenkodex der … guten Gesellschaft. „Laß dich nicht erwischen, und errege kein Aufsehen, dann bleibst du Gentleman!“ Nach dem Rezept wurden wir vor zwei Jahren gesellschaftlich abgekehlt, Abelsen. Wir!! Drei Sheridans liegen im Sudan, mit je einigen Kugeln in der Brust, begraben, zwei andere in Indien, zwei in Belgien. Stets starben wir für England, und – – die Londoner Gesellschaft gab uns einen Fußtritt. So liegen die Dinge, mein Bester. Sie glaubten, hier wohl auf ein großes Geheimnis gestoßen zu sein. Irrtum. Jämmerliche Affäre, Abelsen, so jämmerlich, daß einem dabei übel wird.“
Einzelne seiner Sätze wurden vom Toben des Gewitters halb verschlungen.
Ich gebe zu: Ich war enttäuscht!
„Und die Banditen, Sheridan?!“
„Dja, das ist mir noch etwas unklar … Großvater Edwards Küstenrittergut war stets die Zuflucht von allerlei Gesindel. Wollte ich darüber im einzelnen berichten, könnten wir hier übernachten, und dazu habe ich keine Lust. Die Jacht ist mir sympathischer, Abelsen …“
„Das gebe ich zu, – mir auch!“
Ich stieg die Leiter empor, hielt die Lampe in der Linken. Erst dicht unter der Decke schraubte ich sie höher, und das kalte, weiße Karbidlicht beschien blutbetropfte Sprossen.
Ich betrachtete die Rillen der Falltür. Von dort kam der rote Quell …
Gleichgültig! Ich mußte Taskamore finden! Alles andere blieb Nebensache …
Ich drückte gegen die Platte …
Ich drückte stärker …
Irgend etwas dort oben rutschte zur Seite.
„Vorsicht!“, warnte Sheridan heiser …
Sein Gesicht zeigte rote Tränen …
Ich schob den Kopf durch die Öffnung, die grelle Lampe erlaubte mir raschen Umblick.
Was ich sah, war grauenvoll.
Da lagen Tote übereinander, da lagen erschossene Pumas, da lag eine der Bestien, das Gebiß noch am Halse eines Mulatten, dessen stiere glasige Augen wie Kuhaugen vorgequollen waren.
Ich hob die Steinplatte, der Regen fiel nur noch dünn, das Gewitter hatte ausgetobt.
Der Gang über das Dach mit seinen Pfützen war ein Spaziergang der Schrecken.
Das giftige Gewürm schwärmte überall, Schlangenleiber entglitten aus der Helle in die Finsternis, rasselndes Klappern warnte, Sheridan schlug mit einem rasch geschnittenen Stecken wie ein Preisfechter zu, – – endlich hatten wir den dicken Ast über der Dachbrüstung erreicht.
Der Engländer, wie ich bis auf die Haut durchnäßt, setzte sich auf die Mauer, rutschte auf der feuchten Laufplanke weiter, und plötzlich dann ein dumpfes Splittern, der Ast knickte in der Mitte ein, ich wollte noch zugreifen, – James Sheridan sauste in die Tiefe, und ich mußte mich zurückwerfen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Der kalte Schweiß lief mir über Stirn und Wangen … – Der Schlangengraben!! Unmöglich, daß Sheridan nicht gebissen wurde …! Vielleicht war es ihm zu wünschen, daß er bei dem Sturz das Genick brach …
Ich stand da wie versteinert …
Helfen?!
Wie?!
Hier gab es keine Hilfe.
Ich horchte …
Der Regen rauschte, Wind schüttelte die Bäume, ich hatte Mühe, die Lampe unter dem Jackenzipfel zu schützen.
Ich kehrte um. Jetzt war ich Gefangener … Ich schritt dahin, ein Träumender … Schlug mit der harten Liane hierher, dorthin, erreichte die Falltür, stieg hinab, klappte sie zu und war … allein …
Allein?!
Mein Fuß stockte.
Wer erschoß die Banditen?!
Ein Gedanke flammte in mir hoch.
War Lady Margot doch entkommen?!
Ich wußte nun ja, wo ihr Gemach lag … Mich trieb es dorthin …
Ich schlich durch die bedrückende Leere dieser Hallen und Treppen, vorbei an greulichen bunten Götzen, – meine Augen suchten nach der Anakonda … Meine Finger umkrallten die Pistole.
Mit wild vibrierenden Nerven gelangte ich vor die vorhin verschlossen gewesene Tür.
Angelehnt nur – nein, halb offen …
Und auf der Holzschwelle eine Blutspur.
Ich hielt den Atem an.
Eine Kette klirrte, ein Tier erhob sich, knurrte grollend …
„Hondu!“, rief ich …
„Hondu!!“
Es war der genähte Puma …
Von dem Bett hinter mir kommen die tiefen Atemzüge meiner Patientin. Margot schläft.
Sie atmete regelmäßig, ganz leise setzte ich mich an den Schreibtisch, stellte den mitgebrachten Teller vor mich hin und aß kaltes Büchsenfleisch mit Hartzwieback. Auch Hondu erhielt den Inhalt einer Büchse und beschnupperte meine Hand. Sein langer Schweif pendelte dankbar. Als ich ihn streichelte, schnurrte er wie eine Katze, legte die Ohren ganz nach hinten und blickte mir enttäuscht nach, als ich wieder Platz nahm.
Nun schreibe ich …
Ich schreibe, und die Schrift verschwimmt, und ich sehe einen wundervollen Frauenleib und ein köstliches Antlitz, das schamvoll errötet.
Margot?!
Ich denke an sie nur als an Maya …
Der Name ist weicher …
Ma … ya …
Maya …
Eine große bunte Vergangenheit umschließt er. Das Leben Margot-Mayas wird wohl auch so bunt gewesen sein. Filmstar, der Vater ein … Mörder?! Ich würde es nie glauben … Aber Sir James log nicht. Armer James – – tot …! Der Tod hat hier überreiche Ernte gehalten. Die Leichen droben müßten begraben werden. Schon morgen werden sie den Tempel verpesten. – Bei dieser feuchten Hitze verfällt jeder Kadaver nur zu schnell.
… Stunden sind vergangen.
Ich habe in dem Schreibtisch nach leeren Papierbogen gesucht, und dabei fand ich ein Buch mit seltsamen Deckeln aus Krokodilhaut.
Verblaßte Schrift …
Edward Lord Sheridans Aufzeichnungen.
Sie lesen sich wie ein Abenteurerroman … Über vieles geben sie mir Aufschluß. Dieser Lord hat sich nicht besser dargestellt, als er war.
Was war er? Naturforscher, Abenteurer und Politiker und … Goldsucher. Es wäre ja auch wunderbar gewesen, wenn diesen klugen Feuerkopf die uralten Sagen von märchenhaften Schätzen nicht verwirrt hätten.
Seine Niederschrift besagte kurz folgendes:
Als der Präsident Justo Rufino Barrios von Guatemala 1882 mit allem Nachdruck ans Werk ging, den längst vorbereiteten ehrgeizigen Plan der Bildung eines mittelamerikanischen Staatenbundes mit Gewalt zu verwirklichen, fehlte es ihm an dem so überaus nötigen Gelde. Zu derselben Zeit weilte der bereits siebzigjährige Lord Edward Sheridan mit seiner Jacht in der übel berüchtigten Fieberbucht La Terrosa dicht an der mexikanischen Grenze. Dieses unbewohnte Gebiet, in dem die Malaria, das Schwarzwasserfieber und wilde Tiere und Giftschlangen jeden Siedler rasch hinwegrafften, kaufte der Lord dem Präsidenten Barrios für 100 000 englische Pfund ab. Es handelte sich um einen bei der Grenzregulierung von Mexiko zum Teil beanspruchten Landstreifen von insgesamt fünfzig Quadratkilometer. Die englische Regierung hatte ein reges Interesse daran, hier nötigenfalls einen geheimen Flottenstützpunkt zu gewinnen. Der Lord ließ in den Kaufvertrag die Klausel einfügen, daß die Regierung von Guatemala Seiner Lordschaft auch die Polizeigewalt übertrug. Mithin war Lord Edward dort sein freier Herr. Niemandem hatte er verraten, daß er auf der Halbinsel La Terrosa den Maya-Tempel schon vorher entdeckt hatte, niemanden duldete er in der Bucht, und als Präsident Barrios drei Jahre später bei der Erstürmung des Grenzstädtchens Chalchuapa (Grenze von San Salvador) fiel und sein Nachfolger den Vertrag nicht anerkennen wollte, genügte eine englische Drohnote, und alles blieb, wie es war. Lord Sheridan war Besitzer von fünfzig Quadratkilometer Küstengebiet, lebte zumeist in dem Maya-Tempel, bis ihn Ende 1890 das Sumpffieber hinwegraffte. Aus Bilderschriften hatte er die Überzeugung gewonnen, daß in dem Tempel der Schlangengöttin ein ungeheurer Schatz verborgen sei: Wie ein Besessener hatte er danach gesucht – – und den Tod gefunden. –
Eine Nachschrift seines weit weniger phantastischen ältesten Sohnes besagte, daß dieser Lord Reginald, der Vater des Gatten Margot-Mayas, sich damit begnügt hatte, in dem Tempel einen Verwalter und zwanzig Eingeborene wohnen zu lassen.
Hiermit schloß das Buch.
Die angeführten Einzelheiten, besonders Lord Edwards Kämpfe mit allerlei dunklen Ehrenmännern, lasen sich wie ein Piratenroman. 1887 zum Beispiel hatte der Mulatte Zabaco, der aus Honduras fliehen mußte, drei Schoner ausgerüstet, um Lord Edward zu überfallen und das Gebiet La Terrosa als Beute einzustecken und dort ein eigenes Reich zu gründen. So abenteuerlich das klingen mag, – dort war alles möglich! Zabaco wurde durch die Geschütze der Jacht des Lords für immer „befriedet“, – man sagt, der Lord habe damals die sämtlichen Seeräuber den Krokodilen zum Fraß überlassen. – Das erfuhr ich später.
Jedenfalls: Das Besitzrecht der Sheridans an La Terrosa war nicht zu bestreiten. Was in den Jahren seit 1900 etwa hier geschehen, blieb dunkel bis auf die letzten zwei Jahre.
– Als ich das Buch weglegte, hatte ich nebenbei die eine Gewißheit erlangt, daß die Fiebergefahr für diesen Küstenstrich wohl stark übertrieben worden war, vielleicht mit Absicht. Wo politische und eigennützige Pläne Hand in Hand gehen, ist man in der Wahl der Mittel niemals von Gewissensbedenken beschwert. Weltreiche gründet und stützt man nicht durch Ehrlichkeit, sondern durch „Diplomatie“ und eisernes Zupacken. –
Mein Denken glitt hinweg über eine müde Schläferin und suchte den Mann, der meinem Herzen am nächsten stand.
Taskamores Schicksal war mir stärkste Quelle der Sorge.
Und doch war ich vorläufig hier an diese Räume und an diesen riesigen, unheimlichen Tempel gebannt. Ich durfte Margot-Maya nicht allein lassen. Das Geschick hatte mich zu ihrem Hüter bestimmt, und ein Taskamore, sagte ich mir, wird schon selbst für seine Befreiung sorgen.
Allmählich kam die Müdigkeit.
Es war so drückend heiß in diesem gegen die Außenwelt abgesperrten Gemach. Die dicken Steinmauern schienen Hitzewellen auszuatmen, in der Luft hing der Geruch von Desinfektionsmitteln, es roch nach Krankenhaus.
Leise erhob ich mich. An der linken Wand, zwischen den Fenstern, stand noch ein zweites Bett. Hier mochte Lord Reginald geschlafen haben. Mit einigem Widerwillen warf ich mich angekleidet auf die Decke und schloß die Augen.
Auch ich war übermüdet, meine Nerven waren überreizt. Sir James’ vage Andeutungen über ein Skelett mit Goldzähnen und über gefräßige rote Ameisen wollten mir nicht aus dem Sinn.
Ich hörte draußen den Regen leise trippeln und die Baumkronen rauschen. Ich gedachte der Toten droben in der Halle … Meine Gedanken sprangen ohne Zusammenhang hierhin, dorthin … Vermischten sich mit kurzen Traumgesichten …
Dann schlief ich ganz fest.
Wie lange?!
Eine kalte Schnauze berührte meine Hand.
Ich fuhr hoch …
Hondu der Puma stand vor dem Bett. Er hatte sein Lederhalsband abgestreift. Ich schüttelte die Schlaftrunkenheit von mir und warf einen Blick nach dem Bett der Frau hinüber. Sie schlief.
Aber Hondu, der Puma, kauerte in einer Stellung, die eine Gefahr von außen ahnen ließ. Seine Augen hingen an der Tür, die schwärzlichen Ohren waren nach vorn gestellt.
Ich horchte.
An der Tür kratzte jemand.
Es klang, als ob ein Kindernagel das feste Holz schabe.
Ich erhob mich leise.
Als ich das Ohr an die Tür drückte, dauerte das schwache Geräusch ununterbrochen fort.
Es konnte eine List sein.
Ein Blick auf meine Uhr zeigte die sechste Morgenstunde. Durch die Ritzen der Fensterläden drangen lange matte Lichtstreifen der Tageshelle herein.
Ich bückte mich, zog den innen steckenden Schlüssel heraus und wollte durch das Schlüsselloch spähen. Die Vorsicht warnte mich. Die dicke Tür war kugelfest. Ein dünner Pfeil konnte durch das Schlüsselloch fliegen und mir zumindest ein Auge rauben.
Hondu schlich herbei und sog die Luft röchelnd ein. Seine Haltung blieb geduckt, sprungbereit.
Ich lockerte die eine Pistole und wartete.
Das leise Kratzen verstummte.
Plötzlich schoß ein kaum armlanger Pfeil aus Bambus durch das Schlüsselloch und klatschte drüben gegen die Wand, dicht über dem Kopf der Schläferin.
Der sehr dünne Pfeil aus gespaltenem Bambus fiel im Rückprall auf den Bastteppich.
Hondu zog die Oberlippe grimmig hoch …
Ich hatte bereits einen der eisernen Tropenstühle mit der oberen Rückenlehne vor das Schlüsselloch gestellt.
Ich war nun im Bilde: Ein Feind lauerte draußen, und der Tempel der Schlangengöttin schien abermals von dem farbigen Pack besetzt zu sein.
Dann vernahm ich draußen einen dumpfen Schlag, einen schnell ersterbenden Aufschrei und – nichts mehr.
Hondu zitterte vor Grimm. Seine Katzenaugen, in denen ein fast menschlicher Ausdruck lag, suchten mein Gesicht. – Öffne doch!!, sprachen diese Augen.
Ich ging und besichtigte den Pfeil. Die Spitze war ein Dorn, fingerlang, und der Dorn war klebrig von dem Saft irgend einer niederträchtigen Pflanze. Behutsam legte ich den Pfeil auf den einen Schrank und wartete.
Es geschah nichts mehr.
Die Hallen und Treppen der Steinfeste schwiegen, und auch Hondu kehrte lautlos zum Bett seiner Herrin zurück und tat sich nieder.
Ich verließ mich auf die feineren Sinne des Puma und schob den Schlüssel wieder in die Tür, schob den Riegel zurück, schloß auf und hielt die Pistole bereit, stemmte den Fuß gegen die Tür und öffnete sie handbreit.
Draußen im Gange war es taghell.
Vor der Tür auf den Steinplatten lag eine frische Blutlache, und ein Faden der Lache war mit einem Ast oder Zweig zu einem deutlichen „T“ ausgezogen.
Taskamore?!
Oder nur neue Hinterlist?!
Wenn es Kamo gewesen, der den Bogenschützen niedergeschlagen hatte, weshalb hatte er sich nicht gemeldet?!
Rücksicht auf die Kranke?!
Ich durfte nichts wagen. Ich schloß die Tür wieder, ging in den zweiten Raum und öffnete hier den einen Flügel des einen Fensterladens mit größter Behutsamkeit – so langsam, daß ein Spion draußen die Bewegung kaum wahrnehmen konnte.
Das feine Rieseln hatte aufgehört. Matte Sonne fiel durch die Spalte.
Ich schaute in den Hof hinab – nur einen Moment …
Ich erwartete eine Kugel, einen Pfeil.
Nichts.
Ich wagte es abermals …
Der kleine Park dort vor mir blitzte von Wassertropfen, die vom Sonnenschein getroffen wurden. Auf dem mächtigen Steinsockel des Götzenbildes in der Mitte saß, mit dem Gesicht nach Norden, mir das Profil zukehrend, Taskamore und putzte seine Büchse. Die Zigarette in seinem Mundwinkel qualmte.
Rechts von dem Götzen gewahrte ich ein frisch umgegrabenes Stück Erde.
Massengrab?!
Meine Brust weitete sich vor Freude …
„Hallo, Kamo …!!“
Er drehte den Kopf, nickte mir zu, winkte lässig.
„Morgen, Olaf … – Komm getrost herunter. Der letzte der Eindringlinge hat vier Fuß Erde über sich.“
Ich beeilte mich. Trotzdem schloß ich die Tür ab und nahm den Schlüssel mit. Hondu war hinausgeschlüpft. Er hatte es nötig. Ein stubenreiner Puma soll eine Seltenheit sein.
Taskamore drückte mir die Hand. Er trug noch den bewußten kecken Filzhut. Auf dem Sockel lag auch meine Büchse, gut gefettet und sauber.
Taskamores unergründliches Lächeln war die erste Antwort auf meine hastige Frage: „Was ist geschehen?“
„El Gento, du fragst, als ob ich alles wüßte. Du weißt sicherlich weit mehr. Meine Geschichte ist sehr einfach. Der Kolbenhieb war nicht genügend, und der Kerl, der so leichtfertig zuschlug, hatte keine Zeit, dir ein paar gefährliche Kugeln ins Wasser nachzuschicken. Als Schwimmer bist du unübertrefflich. Da inzwischen der Gentleman herangeschlichen war, schob ich den Toten in das Schilf und schlüpfte in die Büsche, folgte dem Manne, der mit seinem plumpen Kahn am Südufer gelandet war, und wurde Zeuge, wie er seine Schwester zur Jacht schickte und dann selbst das Lager der Banditen beschlich. Vielleicht ist dir bekannt, daß dieser heuchlerische Zecke sein Diener …“
Ich nickte … „Weiter!“
„Nun, die Frau wäre beinahe erwischt worden. Es ging heiß her, Kugeln waren billig und Menschenleben noch billiger … Ich brauchte mich nicht einzumischen, außerdem mußte ich meine Beule kühlen, schlief dann im Dickicht an einer Quelle und wurde während des Gewitters sehr naß. Beim ersten Morgengrauen schlich ich hierher …“
„Und wie gelangtest du in den Tempel?“
Bruder Kamo warf mir einen merkwürdigen Blick zu.
„Der Blitz, Olaf …“
„Also ist ein Baum gegen die Dachbrüstung gestürzt?“
„Ja … Es war ein sehr bequemer Weg, den ich jedoch wieder versperrt habe.“ Er tippte auf das Beil in seinem Ledergurt. „Ich fand die Toten und die Kadaver der Pumas, fand drüben in der Halle einen Spaten … Und dann war doch noch einer der Wichte, die hier eingedrungen, am Leben … Es ist kaum schade um ihn. Ein Mensch, der so leichtfertig sein Versteck verläßt, ist ein Dummkopf … Sein Pfeil hat hoffentlich nicht getroffen.“
„Nein …“ Ich war noch etwas benommen. Taskamores Erlebnisse waren fast zu schlicht.
„Und du, Olaf?“
Als ich Sir James Todessturz erwähnte, blickte er auf.
„Du irrst, er lebt … Er ist auf der Jacht …“
„Du sahst ihn dort?“
„Vor einer Stunde etwa – ja!“
„Und – – die Banditen, Kamo?“
„Sind in ihrem Lager … Ich zählte noch ihrer neun. Ich ließ sie ungeschoren, aus guten Gründen … Ich habe nur noch sechs Büchsenpatronen. Außerdem, Olaf: Sind es Banditen?! Was tun die Engländer hier?!“
Ich beendete meinen Bericht, erwähnte Lord Edwards Buch, erwähnte La Terrosa, das den Sheridans gehörte, und schloß mit der Bemerkung: „Lady Margot gab also stillschweigend zu, daß ein unterirdischer Gang existiert …“
Kamo zeigte wenig Interesse hierfür. Seine Gedanken waren anderweit in Anspruch genommen.
Er hatte das Kinn leicht in die Linke gestützt und beobachtete Hondu, der jetzt dicht vor uns mit pendelndem Schweife stand und hin und wieder seine Wundnarben leckte.
Dann griff er in die Tasche und holte eine Gabel hervor, eine fingerdicke Astgabel mit vertrockneter Rinde. Die Gabelenden waren sehr dünn und das Ganze etwa vierzig Zentimeter lang.
„Wofür hältst du dies, Olaf?!“
Ich mußte ihm die Antwort schuldig bleiben.
„… Ich fand drüben in der Halle Spaten, Hacken, leere Kisten, Hämmer, Brechstangen und acht von diesen Gabeln …“, sagte er bedächtig. „Die Maya-Schätze scheinen Lord Reginald, der nun Skelett geworden, keine Ruhe gelassen [zu][3] haben. Das Gold ist stets der Teufel, der die Seelen vergiftet. – Du kannst jetzt weiter Krankenpfleger spielen …“
Hondu hatte sich jäh herumgeworfen und zusammengeduckt. Sein kleiner, runder Kopf war auf einen der Eingänge des Westflügels gerichtet. Seine Nüstern sogen die Luft fast pfeifend ein, und dann kroch er rückwärts, bis er zwischen uns kauerte. Seine Ohren spielten, und die Krallen seiner Vorderpfoten wühlten sich tief in den weichen, feuchten Boden.
Wir hatten uns erhoben. Kamo schwang sich auf den Sockel … half mir empor und deutete auf jene Tür …
Langsam schob sich ein mächtiger Schlangenkopf ins Freie, ein endloser, sich windender Leib folgte …
Eine Anakonda von der Größe gehörte fast ins Fabelreich.
Das Untier glitt in die Büsche, – – so genau wir auch hinschauten, das Reptil wurde nicht mehr sichtbar. Es maß mindestens zwölf Meter, und sein Schuppenkleid war so farbenfroh, daß die Vermutung nahe lag, daß es soeben erst gehäutet hatte.
Ich erinnerte mich an die schleifenden Geräusche, die Sir James und ich gehört hatten, und hier nun sah ich meine Vermutung bestätigt. Es war doch ein Riesenreptil gewesen, das über uns einen der Eindringlinge zerquetscht hatte.
„Kamo, war einer der Toten besonders böse zugerichtet?“, fragte ich flüsternd.
„Ja …“
Meine Augen suchten die Büsche ab.
Da waren zwischen den Wegen weite Stellen Dickicht, – Dornen, Lianen, junge Bäume, Schlingpflanzen.
Eine Wildnis.
„Seltsam …!“, meinte Taskamore … „Wo blieb die Anakonda?“
Hondu hatte sich niedergetan.
Seine Angst war verflogen.
„… Ich denke, du kehrst zu Mylady zurück, Olaf … Die Schlange erledige ich, und ich bringe euch frisches Fleisch. In ein paar Stunden bin ich zurück. Gib mir deine Büchsenpatronen. Du brauchst sie nicht … Ich werde auch …“
Und schwieg …
Wir horchten …
Wieder rieselte es mir kühl über den Rücken.
Irgend woher war ein dumpfer Schrei gekommen – ein langgereckter, entsetzlicher Schrei …
Er erstarb …
Taskamore schnellte auf das Dickicht zu. Seine federnden Sprünge waren wie die eines flüchtigen Hirsches. Mitten in das Gestrüpp sprang er … und versank.
Mitten in das Gestrüpp sprang ich – – und rutschte in einen schrägen, engen Schacht, neben dem ein Steindeckel lehnte. Wohl zehn Meter tief fuhr ich hinab, kam auf die Beine, sah links von mir ein grelles, weißes Licht, hörte Kamos schrillen Ruf, rannte blindlings vorwärts …
Eine Messerklinge funkelte, – irgend etwas rollte mir vor die Füße: Der Kopf der Anakonda.
Am Boden des gemauerten Ganges lag eine Laterne, in den dreifachen Windungen des Reptils hing ein Mädchen …
Wieder blinkte das Messer, – – die Windungen fielen auseinander, und Ethel Sheridan – nur sie konnte es sein – lag in Kamos Armen.
Auf den Steinen zuckten und tanzten die Teile des Reptils wie gräßliche, ruhelose Spiralen.
Ethel Sheridan war bei Bewußtsein. Nur die grauenvolle Angst hatte sie gelähmt. In ihrem blassen Gesicht lag ein Ausdruck wahnwitzigen Entsetzens, und in den graublauen Augen schillerten die Vorboten des Wahnsinns.
Taskamore lief mit ihr zu dem Eingang des Stollens, klomm empor und sprach zu ihr, als sei nichts geschehen.
Es war Absicht, daß er ihre Gedanken abzulenken suchte.
„… Was macht Ihr Bruder, Miß? Und wie geht es Abraham Knox, dem Botokuden? Wir werden heute einen sehr schönen Tag bekommen, der Wind weht vom Meere her … Sie sind doch Miß Sheridan? Ich fürchte, Sie haben soeben sehr häßlich geträumt … Da – ist der Tempel nicht wunderschön? …“
Ethels aschblonde Haare umspielten Taskamores Schulter. Sie lag ganz still. Er sprach immer eindringlicher, er wurde energisch.
„So antworten Sie doch, Miß …!“
Ein Tränenstrom kam, ein erlösendes Schluchzen. Sie preßte sich an ihn, verbarg das Gesicht …
„Es … war … grauenvoll …!!“
Die Gefahr, daß der erschütterte Geist in die Bahnen des Irrsinns sich verlieren könnte, war beseitigt.
Als wir Ethel Sheridan dann in Margots Gemach brachten, saß Mylady aufrecht im Bett.
Zwei Frauen starrten sich an, und Ethels Lippen öffneten sich wieder.
„Nein, nein, – nicht hier!!“
Lady Margot sagte bitter:
„Es gibt noch mehr Räume in diesem Tempel, Ethel Sheridan!“
Taskamore machte kehrt.
In meinem Gemach ward Sir James’ Schwester vorläufig untergebracht.
Nun hatte ich zwei Pfleglinge, denn Kamo entfernte sich sehr bald.
„Olaf, ich muß draußen nach dem rechten sehen. Weiber sind Kletten … Ich bringe Fleisch.“
Glücklicher Taskamore! – Ethel war keine angenehme Patientin.
Sie schlief dann. Ich hatte ihr Tee gereicht und in den Tee eine Dosis Brom und viel Zucker getan. Ihre Abneigung gegen Margot war fast Haß, und dieses Mädchen, fühlte ich, würde mir niemals irgendwie seelisch näherkommen. Dabei besaß sie eine so freimütige, ungezwungene Art, daß vielleicht jeder andere von ihr bezaubert worden wäre. Ihr neckisches Lachen, ihre übermütigen Augen, das pikante Bubengesichtchen und dazu ein Körper, der gegen jede Anstrengung gefeit schien, der offenbar ebenso sportgestählt wie geschmeidig war, – man mußte sie als Kameradin rasch liebgewinnen, mußte sie auch bewundern, weil sie den Nervenschock[4] so schnell überwand. Und noch eins: Kein Wort gegen Lady Margot kam über ihre Lippen! Nur ich war ungeschickt genug gewesen, dieses Thema mit allzuviel Eifer anzuschneiden.
Ethel hatte mich groß angesehen. Nichts weiter. Und dann von der Riesenschlange gesprochen.
War es von ihr Absicht?
Sollte die Anakonda ein lockerer Vergleich mit Mylady sein?!
„… Ich hasse diese Art Kriechtiere“, hatte das Mädel erklärt. „Sie überfallen ihre Opfer wie mit Hämmern … Ihr Kopf ist ihre erste Waffe. Sie schnellen vor, betäuben die Beute halb und wickeln sie dann ein … – So erging es mir, Mr. Abelsen. Ich bin kein Grünling, aber … – hier sehen Sie, eine ganz nette Beule …!“
Sie schob die Stirnhaare empor, und am Haaransatz zeichnete sich eine pflaumengroße, bereits verfärbte Beule ab.
„… Und dann noch eins, falls Sie noch nie mit einer Anakonda zu tun hatten: Der Pesthauch des Maules! Das ist schlimmer als der Hieb! Das ist Höllenodem, und – – alles geht so schnell, im Nu hatte das Reptil mich umwickelt … In den Wäldern Südamerikas[5] nach der Grenze von Paraguay hin hatten James und ich fünfmal unliebsame Begegnungen mit diesen eklen Kriechtieren Also hätte ich mich eigentlich etwas tapferer zeigen sollen …“
Und als ich ihr den Tee brachte, hatte sie sich bereits in Kleidern auf das Bett geworfen und sich leicht bedeckt.
„Ich danke Ihnen … James wird mir nachher eine lange Standpauke halten. Mag er … Es ist ja alles gut abgelaufen, und Lebensgefahr?! Wir leben ja nur von der Gefahr“, witzelte sie und nahm mir die Tasse ab. „Und Sie tun im Grunde dasselbe, so weit ich von Ihnen hörte. Abenteurer ohne den anrüchigen Einschlag zum Hochstaplertum sind die famosesten Menschen, da geben Sie mir doch recht. Ihr Tee schmeckt übrigens etwas sehr fade, finde ich … Guatemala ist allerdings nur durch seine Kaffeesorten bekannt …“
Sie schlief dann, und ich konnte zurück zu der Frau, die in ihrer ernsten Reife mir bereits mehr bedeutete als nur Zufallsbekanntschaft.
Auch Margot-Maya war nicht verzärtelt. Sie hatte sich einen seidenen Schlafanzug übergezogen und saß in den Kissen, neben sich Lord Edwards Krokodillederbuch. Meine lange Abwesenheit veranlaßte sie zu einem prüfenden stillen Blick. Ich hatte ihr mitgeteilt, wie wir Ethel und den Stollen gefunden, und sie dazu vorhin nur geäußert:
„Armes Ding! Aber auch arme alte Schlange! Die Anakonda war halb zahm … Sie war hier unsere Hausgenossin, und es gab ein so einfaches Mittel, jeden Angriff zu verhüten. Man brauchte nur sanft zu pfeifen …“
Mehr zu erklären, hielt sie für unnötig.
Ich ging hinüber in den zweiten Raum. Meine Rolle als Krankenpfleger für zwei Frauen behagte mir sehr wenig, zumal ich hier noch feindliche Parteien zu behandeln hatte. Dieser Schlangentempel fesselte meine Bewegungsfreiheit, Taskamore hatte sich schleunigst aus dem Staube gemacht. Und ich?! Ich sehnte mich nach den Wäldern, dem blinkenden Wasser, der fröhlichen Tierwelt und dem Spiel der Muskeln – irgendwie! Mich hier zurückhalten, mich in Pflichten hineinzwingen, die freilich der reinen Güte entspringen mochten, das lag mir nicht!
… Dachte ich.
Und hantierte in der Küche umher, machte unnötigen Lärm, war gereizt, fühlte die innere Unausgeglichenheit.
Pflichten?!
Durfte ich Margot-Maya verschweigen, daß Sir James ihren Gatten gefunden zu haben glaubte?!
Als … Skelett …?!
Zerfressen, gefressen von den großen roten Ameisen?!
Würde sie nicht fragen? Würde sie nicht wissen wollen, weshalb James Sheridan hier aufgetaucht?
Als ich das Gemach wieder betrat, hatte Margot Sheridan die Hüfte freigelegt, nur die. Und zarter und behutsamer als ich konnte kaum ein wirklich feinfühliger Arzt zu Werke gehen. Der Mullverband war festgeklebt. Vorsichtig erweichte ich ihn, wusch die Wunde, drückte ein wenig, – kein Eiter, ich durfte zufrieden sein. Der neue Verband war rasch angelegt, und als ich alles weggeräumt, was nach Operationssaal ausschaute, als ich dann Fleischbrühe brachte und auf dem Bettrand saß und Freund Hondu den Zuschauer spielte, lächelte Margot ganz wenig.
„Nachher tragen Sie mich hinab in die Sonne, Abelsen, in meinen Garten …“
In meinen Armen lag sie, ihr Haar duftete dicht vor mir, Kissen schleppte ich mit mir, hinterdrein schritt federnd und lautlos der Puma.
Auf das Postament des Götzen bettete ich Margot Sheridan, in den Schatten, warf dabei achtlos die Holzgabel ins Gras, die Taskamore gefunden und hier hatte liegen lassen.
Die tiefe Blässe, die jäh die Züge der Frau entfärbte, erschreckte mich.
„Fühlen Sie sich so schwach, Margot?“
Ihre Augen waren hart und böse.
„Schleudern Sie das Ding ins Gestrüpp, Abelsen! Es … widert mich an!“
Ich war sprachlos … Ihre Heftigkeit, der feindselige, herrische Ton verletzten mich. Weshalb das alles?! Einer Astgabel wegen?!
Ich tat ihr den Willen.
Sie lag auf den Kissen, die nackten Füße in leichten Schuhen, den Kopf in die Hand gestützt. Über ihr grinste das Scheusal von Gottheit, und ringsum dufteten die Blüten wie ein Zaubergarten.
Und doch wehte es wie Kälte zwischen uns.
„Woher haben Sie … das Ding?“, fragte sie ebenso erregt, und ihre Augen belauerten jetzt mein Gesicht.
Es tat mir weh.
Mißtrauen keimte auf.
„Woher?! Taskamore fand es drüben in einer Halle, als er Spaten suchte, und wollte wissen, was die Astgabel bedeutete.“ Meine Stimme war erfüllt von dem, was mein Herz bewegte.
„Und Sie?!“
Noch immer die kalte Schärfe.
„Sie haben ja mit James gesprochen, Abelsen. Was konnten Sie Ihrem Bruder Kamo antworten?“
„Nichts – genau wie Ihnen, Mylady. Sir James dürfte sich für Astgabeln kaum interessieren, – ich gewiß nicht.“
Schweigen.
Dann leise abbittend:
„Abelsen …!“
Ich lehnte an dem Steinsockel …
„Abelsen, verzeihen Sie mir … Es hat schon eine Bewandtnis mit alledem. Ich frage nicht ohne Grund!“
Ein Schwarm Papageien stob kreischend über den Hof hinweg … Drüben auf dem Dache turnten einige Affen. Hondu warf begehrliche Blicke dorthin. In der Ferne knallte ein Schuß – von Süden her … noch einer.
Hondu schlich davon.
Die Sonne brannte heiß, der Himmel war wolkenlos, und die Orchideenblüten drehten sich wie alte kokette Jungfern im leichten Winde hin und her, als hielten sie Zwiesprache.
Eine Hand strich über meinen Ärmel, eine Hand fand die meine.
„Abelsen, nicht böse sein …“
Der weichen Stimme Widerstand leisten, dieser Stimme, in der nie der gewollte gurrende Klang irgend einer Koketterie mitschwang?
Unsere Augen fanden sich wie unsere Hände, und der kühle Hauch der Entfremdung zerflatterte.
Margot-Maya war nur noch Maya-Maja, um ihre Mundwinkel zuckte es, alles Harte, Herbe war weggewischt.
„Ich fürchtete, Sie hätten mit James allzu viel gesprochen, Abelsen … Die Familie Sheridan liebt mich nicht. Niemand liebte mich ja … Schnöder Eigennutz zauberte Bilder von Glück hervor, die nichts als kläglicher Trug waren. – Weshalb fand sich James hier ein?“
Da war die Frage, die ich so gern vermieden hätte.
Aber die Antwort wurde mir jetzt leichter, die geringen Andeutungen Lady Sheridans hatten auch das Dunkel etwas erhellt. Ich brauchte nicht zu fürchten, hier einen hemmungslosen Schmerz zu verursachen … Diese Frau war betrogen worden – irgendwie. Von Liebe zu ihrem Gatten wußte sie nichts mehr. Ich ahnte, daß selbst das Schrecklichste sie völlig unberührt lassen würde. Sie mußte zu viel durchgemacht haben. Schnöder Eigennutz?! War sie nur ihres Geldes wegen geheiratet worden?!
Ich teilte ihr mit, was ich wußte. Viel war es nicht. Niemals war es irgend eine Gewißheit. Ich sprach mit aller Zartheit, aller Vorsicht, aller Schonung.
Ihre Finger wurden in meiner von der Sonne durchwärmten Hand eisig wie tote Gliedmaßen.
„Also … Heimkehr zu einem Toten …“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Das Schicksal scheint gesprochen zu haben, und man rühmt dem Geschick zuweilen Gerechtigkeit nach. Trotzdem, – Reginald war nicht so schlecht, das er das Ende verdient hätte.“
Haltlos irrten so Worte und Sätze zwischen uns von Ohr zu Ohr, – taumelnde, ziellose, dunkle Nachtschmetterlinge, die das Licht scheuen.
Mir gefiel das nicht, in mir bäumte sich etwas auf gegen diese Art halben Vertrauens. Mir lag derartiges nicht.
„Heimkehr?!“, fragte ich und blickte sie voll an. „Wo waren Sie inzwischen, Margot? Weshalb verließen Sie Ihren Gatten?“
Ihre Lippen schlossen sich ganz fest.
„Verlangen Sie, daß eine Frau eingesteht, wie tief sie gedemütigt wurde?!“, meinte sie dann mit leisem Aufbegehren. „Jedenfalls, – ein Jahr hausten wir hier, und dann … hielt ich es nicht länger aus, Abelsen, verkroch mich in ein Küstenstädtchen drüben im Süden, wohnte unter Farbigen, die ich fast lieben lernte, weil sie mich nicht belästigten … Es war nicht etwa Sehnsucht, die mich hierher zurücktrieb, es war … Pflichtgefühl … und … trostlose Verlassenheit. Ich habe niemanden auf der Welt, nicht Eltern, nicht Geschwister … Ich hatte nur Hondu, als die Eingeborenen mich hier absetzten und eilends wieder davonruderten. Hondu hatte ich dort in dem Hafennest Tiplaxan ganz jung gekauft. Hondu war mein Gefährte, und – – dieser Tempel war leer, unsere Jacht war leer, weder Reginald noch einen einzigen der Dienerschaft fand ich. Das war meine Heimkehr, Abelsen … War, – ja … vor acht Monaten … Nur die Pumas fand ich, die wir schon früher besessen hatten, – – und ich war zufrieden mit dieser Einsamkeit, ich liebe diesen uralten Tempel, liebe den Fluß, den verkrauteten See und die dichten Wälder und die Steppe im Süden. Eine Heimat muß der Mensch haben, an die er sich klammert mit den Erinnerungen verklungener Zeiten, – La Terrosa ist mir Heimat geworden, obwohl ich im finstersten London aufgewachsen bin und meine Kindheit nur die enge, schmutzige Gasse und Roheit, Verworfenheit und … Verbrechen kannte. – Sagen Sie selbst, Abelsen: Ist dieser Garten inmitten dieser Mauern, die von einer großen Vergangenheit reden, nicht ein Zauberreich?! Ich habe hier so oft gesessen und habe mich durchgerungen zu der einen, einzigen richtigen Auffassung unseres Daseins: Kampf gegen uns selbst, Abelsen, Sieg über die Schwäche, die mit dem Geschick hadert, und dann die innere Ruhe des wunschlosen Friedens! – Vielleicht wird man hart dabei, hart und … selbstsüchtig, denn dieses Sichabschließen gegen alles ist ein Stück Egoismus. – Wie sollte ich anders weiterleben als so?! Ich mußte mich loslösen von Vergangenem. Also … vergessen! Es ist mir gelungen. Und als vor drei Wochen die Leute, die dort im Norden in den Felshügeln hausen, hier auftauchten, habe ich meine Heimat verteidigt, und der Kampf erhielt mich frisch, verjüngte mein Blut und … kostete Blut. Es war nicht meine Schuld.“
Und der Nachsatz ganz leise:
„Ich glaubte, die Heimatlosen dort hätten Reginald getötet … Meinen Hondu erwischten sie, – – armes Tier! Mit Lassos schleiften sie ihn davon, und ich hatte damals nicht eine einzige Patrone mehr im Lauf. – Daß Sie Hondu so zart und tierlieb zurechtgeflickt haben, Abelsen, das vergesse ich Ihnen nie. Unsere Freundschaft entstand auf dem besten Fundament, das je zwischen Mensch und Mensch gemauert ward: Liebe zum Tiere! Wer das Tier, ein Geschöpf Gottes gleich uns, als Sache betrachtet, ist schlimmer als ein Teufel, denn er will ableugnen, daß dem Tiere die Fähigkeit logischen Denkens und Fühlens mitgegeben ist, und diese Lüge ist schamlos!“
Es war, als hätte Hondu, der Puma, die Worte seiner Herrin verstanden. Die turnenden Affen hatten ihn weggelockt, – mit einem Male stand er wieder vor uns wie hingezaubert, und trotz seiner vernähten Wunden und trotz des zerfetzten, wieder geflickten Maules lag etwas Stolzes, Hoheitsvolles in der ungezwungenen Haltung der geschmeidigen Glieder und der Stellung des Kopfes. Die Ohren spielten leicht, der Schweif pendelte bedächtig, und dann setzte er zum Sprunge an, war leichtfüßig oben auf dem Sockel und rieb den Kopf an Myladys Schulter und schnurrte dazu ganz, ganz sanft.
Mylady lächelte glücklich.
„Sehen Sie, Abelsen, – das ist nur ein Tier …! Nur?! Es ist zum Glück ein Tier!“
Ihr Gesicht wurde sofort wieder ernst.
„Abelsen, eins versprechen Sie mir: Falls ich sterben sollte, – Hondu soll Ihnen gehören, Sie sollen für ihn sorgen! Dulden Sie nicht, daß er etwa in die Wildnis enteilt, behandeln Sie ihn gut. Man sagt den Pumas manches Schlechte nach … Es ist das alles übertrieben. Sie sind nicht feige, sie sind nur klug, sie meiden den Jäger, denn sie kennen die Wirkung der Schußwaffen …“
Hondu hatte sich mit einem Ruck aufgerichtet.
Wer je in einem Zoologischen Garten die seltene Gelegenheit hat, ein Pumamännchen in dieser Stellung höchster Wachsamkeit oder Aufmerksamkeit zu beobachten (etwa vor der Fütterung), der wird zugeben, daß das Tier in solcher Stellung kraftvoll, edel und klug wirkt. Dem Puma fehlt das, was uns beim Panther und Tiger abstößt: das Lauernde! Im Wesen des Pumas liegt eine gewisse burschikose Ehrlichkeit, Bauernpfiffigkeit.
Hondus Kopf war auf das Gestrüpp gerichtet, wo der Zugang zum Stollen so gut verborgen lag.
Auch ich sprang auf. Vorsichtig, wie stets, hatte ich Margots leichte Büchse mitgenommen, entsicherte sie und war mit wenigen Sätzen am Rande des großen Dickichts. Hondu war mir gefolgt. Er kauerte sprungbereit neben mir. Falls die „Heimatlosen“, wie Mylady sich so zartfühlend ausgedrückt hatte (für Banditen aller Schattierungen allerdings eine sehr milde Bezeichnung!) den fernen Zugang zum Stollen entdeckt hatten und einen Angriff wagten, würde es heiß hergehen.
Ich horchte. Was ich da vernahm, sprach sehr wenig für meine Annahme.
Keuchende Atemzüge, scharrende Geräusche, zuweilen auch ein Gemurmel, das wohl ein halb unterdrückter Fluch sein sollte, – dann eine Stimme, mir so vertraut: Taskamore!
Und sein Kopf war es, der jetzt über den Spitzen der Sträucher erschien, wieder verschwand.
„Kamo!! Hallo …!“
Antwort kam …
„Hilf mir … schnell …!!“
Ich mußte Anlauf nehmen, springen. Anders war die Gebüschlücke nicht zu erreichen.
Und mit mir sprang Hondu, – ich mußte ihn zurückreißen, sonst wäre er Sir James an die Kehle geflogen, der, nur noch ein kläglicher Rest seiner selbst, soeben von Taskamore ins Freie geschoben wurde.
Hinter Taskamore gewahrte ich den braunen Zecke, das Gesicht gleichfalls von Blut überströmt, immerhin noch fähig, die schräge Bahn ohne fremde Hilfe zu erklimmen, obwohl seine Bewegungen bewiesen, daß auch er stark mitgenommen war.
Ich nahm James Sheridan in die Arme. Seine Augen waren glasig, sein Anzug zerfetzt, Kopf und Brust wie in Schlamm und Blut getaucht, Morast klebte an den Beinen, dicke Blutegel hingen in den Kleiderfalten.
Plötzlich stand Mylady draußen am Außenrand des Gestrüpps, bückte sich mühsam, packte in die Dornen und zog mehrere große Stauden, die in einen bisher unsichtbaren Kasten gepflanzt waren, beiseite. Die Anstrengung ließ sie erbleichen, sie taumelte gegen einen Baum, hielt sich fest, – aber der Weg war frei, und eilends trug ich Sir James über den großen grünen Hofraum empor in Margots Gemach.
Taskamore und Margot erschienen ebenfalls sehr bald. Ich hatte Sheridan auf das zweite Bett gelegt. Er glich mehr einem Toten, atmete kaum und blutete noch immer stark aus einer Stirnwunde mit rissigen Rändern.
Kamo, der Margot in den Armen gehabt und sie auf ihr Bett gesetzt hatte, wo sie stumm und verstört uns zuschaute, flüsterte hastig: „Wir haben den Stollen verrammelt … Zecke wacht dort … Nun rasch ans Werk, Sheridan muß eine ganze Menge Kugeln im Leibe haben …“
Wir wuschen ihn, entkleideten ihn.
Wie ein Wunder war es: Sechs Streifschüsse und ein Fleischschuß im linken Oberarm nur!!
Aber der Blutverlust und wohl auch die furchtbaren Anstrengungen der überstandenen Hetzjagd drohten, das schwache Lebenslichtlein gänzlich auszulöschen.
„Kampfer!“, rief Taskamore.
Mylady kramte schon in der Reiseapotheke.
Ihre Blässe wirkte erschreckend. Doch die eiserne Energie hielt sie auf den Beinen.
Die kleine Spritze tat ihre Schuldigkeit.
Die Verletzungen wurden gesäubert, verbunden, und nach einer halben Stunde war Sir James sauber gebettet und wieder bei Bewußtsein.
Kamo erklärte, einer von uns müsse auf dem Dach Posten beziehen. „Die Kerle haben Verstärkung erhalten, Olaf … Sie werden jetzt alles versuchen, uns auszulöschen … Ich gehe …“
Mit einem Schlage war so das bisherige fast friedliche Bild des Tempels in eine Reihe wildbewegter Einzelszenen aufgelöst worden.
Taskamore verschwand, ich drückte Margot wieder in die Kissen … „Gehorchen Sie doch! Muten Sie sich nicht zu viel zu! Sollen wir hier ein Hospital eröffnen?!“
„Wecken Sie Ethel …“, sagte sie schwach. „Wir brauchen jede Hand … jede!!“
Ich mußte mich erst einmal ein wenig beruhigen, wieder klar und kühl denken lernen. Mein Hirn war wie ein aufgescheuchter Hornissenschwarm, die flatternden Gedanken stachen mich, peinigten mich.
Ethel wecken, – ganz recht … Ethel konnte den Stollenausgang bewachen, auch Zecke mußte verbunden werden … Und Margot mußte ebenfalls eine Kampferdosis bekommen … Sie hatte beängstigend blaue Lippen und eingefallene Augen … Was zuerst tun?
„Hoch mit dem Ärmel, Margot!“
Ich füllte die Spritze …
„Es muß sein …“
Sie hielt still.
„So, nun legen Sie sich nieder … Brav sein!!“
Sie lächelte verzerrt. Ich rückte ihr die Kissen zurecht …
Von James’ Bett kam eine noch mattere Stimme: „Abelsen, – – die Jacht!! Die Kerle haben …“
„Werden Sie sich wohl ruhig verhalten!!“ Ich wurde grob. „Der Teufel hole die Jacht! Seien Sie froh, daß Sie noch leben, Sheridan!“
„Aber … meine Schwester …“
„Unsinn, – die ist hier!!“
Er stöhnte …
„Die ist nicht hier …“
Ich fuhr herum …
„Was reden Sie da?!“
Sein von Dornen jämmerlich zerkratztes Gesicht hatte etwas Furchteinflößendes, die Augen waren unnatürlich weit aufgerissen.
Ich beugte mich über ihn.
„Ethel hat sich heimlich von hier entfernt?“
„Ja … Die Schufte benutzten sie ja als Schutzschild …! Gott im Himmel, retten Sie das Mädel, Abelsen … Knox und ich haben getan, was wir konnten … Wäre Taskamore nicht gewesen, lägen wir im Krokodilmagen … Die Bestien werden Ethel nicht schonen …“
Es war wirklich ein angenehmes Land, dieses La Terrosa!! Es hätte La Terrible heißen müssen! Und all das wegen eines dreimal verdammten sagenhaften Maya-Schatzes!! Verfluchtes Gold, verfluchte Habgier!!
Ich stürmte davon, fand tatsächlich mein Gemach leer.
Diese Ethel …!!
Und rannte in den Hof hinab, fand den braunen Zecke stillvergnügt neben dem Steinhaufen des verrammelten Ausgangs, sauber gewaschen, – er kaute Blätter, legte sie auf seine Schrammen, schlang Streifen seines Hemdes darüber: Botokuden-Chirurgie!!
Er blickte mich etwas schuldbewußt an. Neben ihm lag Hondu und blinzelte.
„Mr. Abelsen“, meinte dieses Prachtexemplar von Diener recht kläglich, „Sie tragen es mir doch nicht nach, daß …“
„Blech!! – Können Sie noch ein paar Stunden hier wachen?“
„Warum nicht?!“ Sein braunes Gesicht mit den dunklen Knopfaugen strahlte Erstaunen. „Warum nicht?! Die paar Streifschüsse!! Aber die Hauptsache, Mr. Abelsen: Miß Ethel muß …“
„Weiß schon … wird schon! – Hallo, Hondu, mitkommen!“
Ich riskierte es, ich packte den Puma am Halsband … Er gehorchte … Er hätte auch zuschnappen können …
Schnappte nicht, folgte mir – die Treppen empor …
Taskamore umschritt droben das Dach und beäugte die Urwaldriesen.
Es ging sehr lebhaft zu in dem grünen, bunten Dom, alles Getier freute sich des sonnigen Vormittags, Rollschwanzaffen bildeten Ketten, schwangen sich spielend über die Baumlücken in die Luft, wild kreischende Papageien fochten Liebestourniere aus, und unten im Schlangengraben lagen die scheußlichen Nattern in zierlichen Spiralen und sonnten sich.
Taskamores Bronzegesicht war unbewegt.
„Wer von uns beiden?“, fragte er nur.
Ich verstand. Er wußte, daß Ethel jetzt unsere Hauptsorge war.
„Ich!“
Sein Blick glitt über Hondu hinweg.
„Dir gehorcht er vielleicht, mir nicht, Olaf … Du hast mehr Glück bei Tieren … – Gut denn. – Und wir?“
„Kennen die Kerle den Stollen?“
„Wenn sie Fährtensucher sind – ja! Ich konnte mit James Sheridan im Arm meine Spuren nicht verwischen, und Zecke taumelte hinterdrein wie trunken … Die Blutspur wird alles verraten.“
„Trotzdem muß ich es wagen. Hier oben, etwa durch die Baumkronen – unmöglich! – Sei vorsichtig, Kamo … Eine Kugel ist wie ein Weib!“
„Und das Getier warnt“, meinte er.
Seine Hand suchte die meine, und nach diesem wortlosen Abschied eilte ich mit Hondu von dannen.
Das Leben ist bunt wie der tropische Urwald … Dieses Leben ist Jungbrunnen. Aus der Heimkehr zu Coy war eine Heimkehr einer Frau zu einem Toten geworden. Das Geschick wollte es.
„Zecke, mein Freund, räumen wir die Steine weg … – Vorsicht, … leise!! Beschädige mir die Laterne nicht …!“
So begann der Schlußakt.
Die quadratische gemauerte Öffnung lag frei. Die Sonnenstrahlen fielen in den Schacht und auf die schräge Rutschbahn, die nur an den Seiten Einkerbungen für die Hände hatte.
Hondu schnüffelte …
Ich drängte ihn vorwärts … Er glitt ein Stück in die Tiefe, bremste kratzend mit den Krallen und legte die Ohren nach hinten.
Steckten dort unten Leute im Gang, mußte er sie wittern.
Nichts an seinem Benehmen deutete auf Gefahr hin. Er schnüffelte, bog den Kopf zurück und schaute mich an.
Zecke flüsterte: „Alles sicher, Mr. Abelsen … Ich kenne Pumas sehr gut …“
Ich drängte Hondu noch tiefer hinab. Die Leine, die ich ihm durch den Ring des breiten Halsbandes geschlungen hatte, straffte sich.
Ich rutschte mit hinab.
„Zecke, schließe den Deckel!“, rief ich nach oben.
Die Schiffslaterne hatte ich mit einem Stück Leder umhüllt.
Wir, Hondu und ich, standen im Dunkeln.
Über uns fiel die Steinplatte zu, – und auch der letzte Rest Tageslicht verschwand.
Ich kannte den Stollen nur etwa fünfzig Meter weit nach Norden.
Dort hatte Taskamore die Anakonda zerstückelt, von der man oft behauptet, sie lebe im Wasser. Das trifft ebenso wenig zu, wie das alte Märchen, die Ringelnatter, übrigens ein sehr harmloses und leicht zu zähmendes Geschöpf, hause in Wassergrotten. Beide Schlangenarten sind vorzügliche Schwimmer, ihre Wohnungen wählen sie am liebsten an trockenen Orten, in Steinen, Felsen, Baumlöchern.
Der uralte Stollen hier war gut drei Meter breit und sehr sorgfältig hergestellt. Eine dicke Schicht von bräunlichem Staub, der etwas feucht zu sein schien, bedeckte den Boden. In dieser Staublage sah ich, als ich die Lederblende etwas lüftete, zahlreiche Spuren von Menschen und Tieren. Sir Reginald Sheridan, der nun tot sein sollte, hatte diesen Weg wahrscheinlich häufig benutzt, ebenso seine Pumas.
Ich blendete die Laterne wieder ab, nachdem wir die eklen Kadaverreste der Anakonda hinter uns hatten. Der Schwanzteil hatte sich noch immer lebhaft bewegt, und Hondu war davor bis an die Wand zurückgewichen.
Ich blieb stehen und horchte.
Ein muffiger, dumpfer Geruch hing in der Luft: Nasse Erde!
Und hier und dort tropfte es auch klingend von der leicht gewölbten Decke.
Ich nahm Hondu beim Halsband. Die Staubschicht machte jeden Schritt unhörbar. Hondu war mein bester Warner. Solange er ruhig blieb, hatte ich nichts zu fürchten.
Er blieb ruhig.
Ich zählte die Schritte.
Dreihundert … Ich tastete mich immer an der linken Wand hin, den linken Arm vorgestreckt. Meine Finger glitten über die sauber behauenen Felsblöcke und ganz genau fühlte ich jede mit Mörtel ausgefüllte Rille zwischen den einzelnen Quadern. Die alten Mayas mußten sehr tüchtige und fleißige Steinmetzen gewesen sein. Freilich lehren uns Inschriften, daß hauptsächlich Sklaven all diese Arbeiten verrichteten und nachher zum Lohn … geschlachtet wurden. Die Maya-Priester hatten es also sehr leicht, ein Geheimnis sorgfältig zu hüten, etwa eine Schatzkammer …
Trotz meiner keineswegs angenehmen Lage mußte ich lächeln: Schatzkammer …!! – Cortez und Konsorten hatten hier in Mittelamerika und in dem Inka-Reiche gründlich aufgeräumt. Ihre Methoden, Geständnisse zu erpressen, hatten sie von Europa mitgebracht, wo die Inquisitionsrichter ungehemmt ihre grauenvolle Phantasie hatten spielen lassen: Tortur, geschmolzenes Blei, kochendes Wasser …, – besser, man dachte nicht daran! Und dieselben Herrschaften schickten dann in die „friedlich“ eroberten Länder ihre Sendboten zum Preise des Christentums! – Eine tolle Welt!!
Meine Finger fanden etwa beim vierhundertachtzigsten Schritt eine sehr breite Mörtelstelle. Ich machte halt. Dieses Mörtelstück war lose, gab nach …
Ich horchte.
Hondu zeigte keinerlei warnendes Benehmen. Ich schob die Lederblende etwas beiseite und musterte die Mauer.
Die Fugen zwischen fünf Steinen waren sehr breit, fast zehn Zentimeter, und bildeten eine geschlossene Linie, so:
– eine Linie, die unten bis zum Boden reichte.
Der Mörtel fehlte stellenweise, ich sah, daß hier eine Spitzhacke gearbeitet hatte, im Staube unten lagen Mörtelstücke und – – und wieder solch eine Astgabel.
Seltsam … Ist es wirklich so, daß man im Dunkeln seine Gedanken besser zu sammeln vermag und daß Sonnenlicht „zerstreuend“ wirkt?!
Als Taskamore mir die Astgabel gezeigt hatte, war es im hellen Sonnenglast geschehen. Sie hatte keine einzige Zelle meines Gehirns irgendwie in jene Schwingungen versetzt, die als „Reiz“ die Erinnerungen auslösen. Und Erinnerungen sind Wissen, gesammelte Erfahrungen und Eindrücke verschiedener Art.
Ich war geistig blind gewesen gegenüber jener ersten Gabel. Ich war geistig blind geblieben auch dann, als Margot-Maya so rasch das Gespräch ablenkte und bat, ich solle das „Ding“ ins Gestrüpp werfen.
„Das Ding“ war eine Astgabel für Rutengänger.
Nun wußte ich es.
Was ein Rutengänger ist, was sie leisten, daß hier keine Selbsttäuschung oder kein Betrug vorliegt, wenn die Gabel in den Händen einer so hochsensiblen Person über einer Wasserader oder einem Kohlenflöz oder Metallmassen „ausschlägt“, war mir längst bekannt.
So wunderbar und fast übernatürlich die Fähigkeiten eines Rutengängers erscheinen: Die exakte Wissenschaft hat sie anerkannt, unzählige Erfolge haben selbst die ärgsten Zweifler zu Gläubigen gemacht, und ich persönlich war Zeuge gewesen, wie eine Engländerin in den wasserlosen Landstrecken der Kalahari auf Regierungskosten die Stellen fand, wo das Bohren nach Wasseradern Erfolg versprach.
Kein Zweifel, daß auch Sir Reginald Sheridan mit zu den überempfindlichen, feinnervigen Naturen gehörte, die die Wunderrute erfolgreich führen konnten, nur daß er nach Edelmetall, nach dem Goldschatz geforscht hatte, und sicherlich auch hier an dieser Stelle in dem uralten, feuchten, modrigen Gange.
So war denn der „Schatz“ aufs Neue in meine Gedankenreihe mit eingeschaltet worden und ließ sich schwer daraus verdrängen.
Nach abermals hundert Schritt, die ich in beschleunigterem Tempo zurücklegte, war es Hondu, der mich zu einem neuen Aufenthalt zwang.
Hondu blieb stehen und drängte hinüber zur rechten Wand. Das geschah so plötzlich, daß ich zur Seite gerissen wurde. Im Dunkeln hörte ich, wie der Puma die Luft leise pfeifend einsog und wieder ausstieß. Ich getraute mich nicht recht, die Blende der Laterne wegzuziehen, da ich mit der Nähe der Gegner rechnete. Aber als ich Hondus Kopf befühlte, stellte ich fest, daß er die Nase dicht an die Mauer gedrückt hatte und daß gerade dort ein fingerlanges Stück Mörtel fehlte.
Jetzt beleuchtete ich doch die Wand. Sie hatte nichts irgendwie Auffälliges, es sei denn, daß einige der Steinquadern mir wie mit einem unmerklichen Fetthauch überzogen erschienen. Das war aber auch alles, was mir ins Auge sprang. Der Mörtel saß in den Rillen vollkommen fest, bis auf das fingerlange Loch. Dort fehlte er. Als ich mit dem Messer in den Spalt fuhr, stieß ich wieder auf Mörtel. Trotzdem schnupperte Hondu hartnäckig weiter, und eine gewisse Erregung an ihm war unverkennbar.
Ethel Sheridans Geschick trat für Minuten zurück und mußte einer Neugier weichen, die berechtigt war. Der Gedanke, daß der Stollen geheime Abzweigungen besäße, war längst in mir aufgestiegen. Eine solche Abzweigung hätte mein Vorhaben insofern erleichtert, als ich dadurch der Gefahr entging, mit den „Heimatlosen“ zusammenzustoßen, die vielleicht bereits im Stollen behutsam und lautlos wie ich vordrangen.
Notwendig hatte ich mich während meiner Studien auch mit uralten Bauten erloschener Kulturvölker beschäftigt. Überall, sei es im alten Rom, in Athen, in Memphis, Indien oder Mexiko waren die Priester größtenteils Betrüger gewesen, die durch allerlei „Zauberei“ das Volk in Bann hielten, überall hatten sie technische kleine Wunder nur zu diesem Zweck ersonnen. Die „Orakel“ jener Zeit waren nichts als Ausnützung der Eigentümlichkeiten der Fortpflanzung des Schalles gewesen. Tempelruinen in Mexiko enthielten in den Kellergeschossen Geheimtüren von wunderbarster Art. Sollte hier nicht auch solch’ eine Geheimtür zu finden sein?!
Ich leuchtete die Wand nochmals ab.
Zweifellos hatten die Steine hier einen ganz unmerklichen fettigen Glanz, als ob nackte Leiber unendlich oft die Quadern gestreift hätten.
Gerade hier!
Und dieser Glanz zog sich bis zur gewölbten Decke hin. – Das war am auffälligsten.
Ich überlegte.
Gab es hier eine Tür, so war sie oben in den Steinen der Decke, dicht an der Wand.
Hiermit erhielt auch das fehlende Mörtelstück seine Bewertung. Bei genauestem Hinsehen stellte ich fest, daß um dieses horizontale Loch herum die Steine noch blanker waren. Das Mörtelloch genügte gerade, nackten Zehen Halt zu bieten.
Ich hielt die Laterne schräg und berechnete, daß ein gewandter Mann das Loch mit hochgestrecktem Bein gerade noch erreichen konnte.
Aber oben am Gewölbe war nichts irgendwie auffällig. Vielleicht nur das eine, daß der Mörtel zweier Steinplatten droben sehr dick aus den Steinen hervorgequollen war und an zwei Stellen tropfenartige Wülste bildete.
Ich lächelte unwillkürlich …
Meine verehrten Maya-Baukünstler, ihr seid ja gewiß sehr schlau vorgegangen, aber hier steht nun nach rund siebenhundert Jahren ein moderner Techniker, der sich kein X für ein U machen läßt!
Ich nahm Anlauf, meine Stiefelspitze fand in dem Mörtelloch Halt, ich packte eine der Zacken, und – – mehr brauchte ich nicht zu tun, ich hatte die richtige erwischt, über mir hoben sich vier der Quadern, die jedoch recht dünn waren, und ohne jede Anstrengung schwebte ich aufwärts in einen anderen Stollen hinein, der an dieser Stelle beträchtlich breit war. Daß Hondu bei dieser Luftfahrt halb erwürgt wurde, hatte nichts zu bedeuten. Er erholte sich sehr schnell, und als ich nun den Mechanismus dieser Tür ableuchtete, sah ich eine fast primitive Hebelvorrichtung. Als Gegengewicht war ein auf einem Balken befestigter Steinblock benutzt worden, die Tür ließ sich sehr leicht wieder zudrücken, und der Steinzapfen, der den Auslöser spielte, war das Mörtelstück, – – verblüffend genial, wenn auch primitiv!
Was hatte ich nun gewonnen?! Es ging doch um Ethels Befreiung, und falls dieser obere Stollen nur ein Versteck, eine Sackgasse, darstellte, konnte ich eiligst wieder hinabturnen.
Hondu hatte mir die Schwebefahrt etwas verübelt und saß mit bockbeiniger Miene da und leckte sich die Oberlippe. Ein Puma hat keinen Schnurrbart wie andere Katzenarten ihn besitzen, das Gesicht wirkt dadurch friedlicher, zur Zeit war Hondu jedoch keineswegs in Stimmung, keuchte noch schwer und hatte weder für die Balken des Mechanismus noch für sonst etwas Interesse. Ich verzichtete darauf, ihn zu streicheln, – diesmal hätte er sicherlich zugeschnappt.
Auch hier auf dem Boden Fußspuren … Der Staub zeigte sie mir ganz deutlich. Es waren die Stiefelabdrücke von vielleicht fünf Männern.
Diese Feststellung dämpfte meinen Eifer.
Nur eins wieder gab mir die Gewähr, daß diese Leute nicht zu den „Heimatlosen“ zählen könnten: Die Fährten entfernten sich den Gang hinab, ohne zurückzukehren.
War Sir Reginald mit seinen Dienern hier gewesen?! Hatte er vor mir die Tür entdeckt?!
Das ganze Abenteuer oder Teilabenteuer fiel so völlig aus dem Rahmen meiner sonstigen Betätigung heraus, daß ich am liebsten schleunigst die Klapptür wieder geöffnet hätte und hinabgesprungen wäre. In der freien Natur, in pechfinsterer Gewitternacht in Urwald oder Steppe hätte ich nie, selbst unter den bedrohlichsten Umständen, dieses scheußliche Gefühl der Beklemmung gehabt wie hier. Es war eine lautlose Warnung, die das feste Gemäuer ausstrahlte.
Und die Reaktion kam sofort: Nun erst recht!! Nur nicht auf derartige Stimmen hören, die da mißgünstig eine große Chance verderben wollen!
So dachte ich damals …
Mir selbst unverständlich, denn diesen „stillen Mahner“ in unserer Brust habe ich nie mißachtet.
„Hondu – vorwärts …!!“
Freund Puma gehorchte … Der Stollen zog sich meiner Berechnung nach etwa in östlicher Richtung weiter, während der untere Gang immer nördliche Richtung eingehalten hatte.
Hondu wurde lebhafter, schon nach fünfzig Schritten drängte er sogar sehr ungestüm vorwärts und schnüffelte und spielte dauernd mit den Ohren.
Hundert Schritt …
Jetzt spürte ich einen ganz bestimmten Geruch: Verwesung!
Also das war es! Das hatte Hondu bereits in dem unteren Stollen gewittert!
Ich machte mich auf allerhand Überraschungen gefaßt. Mit der entsicherten Büchse im Arm, die Laterne vor der Brust, den Puma an der Leine mit der Linken haltend, trabte ich lautlos dahin. Der grau-braune Staub wirbelte unter meinen Füßen dicht empor, die Steinwände waren hier noch feuchter, die Wassertropfen des Sickerwassers hatten sogar stellenweise trübe Pfützen erzeugt.
Plötzlich eine scharfe Biegung nach links, fast rechtwinklig. Der Gestank war jetzt so aufdringlich, daß ich Lust hatte, mir erst einmal eine Zigarre anzuzünden. Aber die Neugier duldete keinen Zeitverlust, erst recht nicht meine ernste Aufgabe, die Ethel betraf.
Eine runde Halle tat sich vor mir auf. Schätzungsweise hatte ich bisher hier vierhundert Meter im Eiltempo zurückgelegt.
Ich blieb stehen.
Was ich sah, war grauenvoll.
Noch grauenvoller, weil das grelle, kalte, weiße Licht der großen Karbidlaterne so harte Schatten schuf.
Die Felsenhalle war eine natürliche Grotte … An der zackigen Decke gewahrte ich schmale helle Streifen: Sonnenlicht, das von oben durch Löcher hineinfiel. Mitten in dieser niederen Höhle war eine Vertiefung, in der welkes Laub, Äste, Zweige, bleiches Moos, fahle Pflänzchen etwa eine verwahrloste Fontäne darstellten. Der Wasserspeier des Fontänenbassins war ein ungeheurer Baum, ein Pandanus, – besser, sein Wurzelstock. An dem grün-gelben Bast des knorrigen Holzes rieselten dünne, plätschernde Rinnsale abwärts und verschwanden zwischen dem Wurzelgewirr.
Ich erkannte, daß es sich um einen Pandanus handelte, der droben über der Grottendecke im Sonnenschein sein buntes Blätterdach gen Himmel reckte, – eine gewiß seltene Naturerscheinung, falls sie wirklich „natürlich“ war. Später sah ich, daß die Grotte ursprünglich in der Mitte offen gewesen und daß die alten Mayas Felsplatten benutzt hatten, um die Öffnung zu schließen. Der Baum mußte zu jener Zeit sehr jung gewesen sein. Als er heranwuchs, schaffte er sich Luft und drängte die Platten beiseite, dadurch waren die Luftlöcher entstanden.
Nicht der mindestens vier Meter dicke Waldriese mit seinem steinernen „Blumentopf“ und den vielen Rinnsalen fesselte meinen Blick.
Neben dem Rande der Vertiefung lagen fünf verweste Tote …!
Es genügt: Verwest!
Viel war von ihnen nicht mehr übrig. –
Tote haben mich nie geschreckt …
Das Grauenvolle an diesen menschlichen Überresten war die Natternbrut, die da vor dem Lichtschein aus hellen Rippen und halbleeren Bauchhöhlen eilends in das Wurzeldickicht flüchtete, durchweg kleinere Giftschlangen …
Wovon sie sich nährten, sei nur angedeutet: Ganze Madenballen sah ich!!
Ich drehte mich rasch um, rieb das Feuerzeug an und tat drei lange Züge aus der Zigarre. Ich hatte einen verdammt faden Geschmack im Munde!
Es kostete mich einige Überwindung, nochmals hinzuschauen. Und doch mußte ich es. Daß die Toten dort Sir Reginalds Diener waren, erschien mir gewiß.
Wie waren sie hier umgekommen?
Von Giftschlangen gebissen?!
Dann hätten sie nicht alle fünf so dicht beieinander am Rande der Vertiefung gelegen. Kein Schlangenbiß wirkt sofort. Außerdem wußte ich von Margot, daß ihr Gatte und die Diener stets Gegengift bei sich getragen hatten. Am besten und einfachsten ist da ein Schnitt durch die Bißstelle, aussaugen und Einstreuen von ganz fein pulverisiertem übermangansaurem Kali, das bekanntlich, in Wasser gelöst, violett färbt und auch zum Gurgeln benutzt wird.
Wie starben die fünf?
Ethel war vergessen …
Das Abenteuer hatte mich nun doch ganz in seinen Krallen!
Ich überlegte …
Erzählte man nicht von den Inka-Priestern, sie hätten ihre Schatzgewölbe durch teuflische Einrichtungen geschützt, die jeden Uneingeweihten vernichteten?
Erzählte?! – Nein, es war so … es ist so … Forscher, die die alten, überwucherten Inkastädte besuchten, verschwanden spurlos. Ich könnte hier Namen anführen, – es genügt das eine: Die Gattin des amerikanischen Gelehrten Professor Holdyn rüstete 1912 eine Expedition aus, die ihren Mann und seine drei Begleiter suchen sollte. Von der Expedition kehrten nur Weiße zurück, und beide … wahnsinnig. Was sie gesehen und erlebt, konnten sie nicht mehr schildern. Aus ihren wirren Reden entnahm man, daß alle übrigen durch Gift umgekommen seien. Wie, wo, – noch heute weiß es niemand. Die unendlichen Urwälder im Norden Südamerikas hüten ihre Geheimnisse trotz Flugzeug, Auto und tragbaren Sendern.
Ich ahnte, daß ich hier an einem Platz mich befände, der verborgene Gefahren barg.
Unbekannte Gefahr, die irgendwie mit blitzartigem Tode lauert, kann auch die besten Nerven rebellieren lassen.
Und – merkwürdig: Hondus feinerer Instinkt warnte auch ihn! Er hatte sich dicht an mich gedrückt und stand regungslos.
Wo lauerte die Gefahr?
Umkehren?
Es wäre am klügsten, sagte ich mir.
Nochmals betrachtete ich die Leichenreste …
Neben ihnen lagen zwei Aluminiumbecher, der eine war platt zusammengedrückt.
Und die Schädel?
Das waren nicht Schädel, das waren nur zertrümmerte Knochen.
Ich schaute mir die Decke an, die Felsplatten. Da erkannte ich, daß sie wie Schieferplatten übereinander angeordnet waren, ein sehr kunstvolles Dach, das trotzdem den Eindruck einer natürlichen Höhlendecke machte. Nur am Stamm des Pandanus hatten sich die Steinplatten gehoben und verschoben.
Sollte es hier eine Vorrichtung geben, die etwa eine der Platten herabschwingen ließ, falls jemand eine bestimmte Stelle am Rande der Vertiefung betrat? – Nein, – dazu hätte ein sehr komplizierter Mechanismus gehört, der außerdem niemals die Jahrhunderte überdauert haben würde.
Ich nahm die Büchse, schob die Sicherung vor, ergriff sie am Lauf und betastete jede Stelle des Bodens, bevor ich mich Schritt für Schritt weiterwagte.
Der Staub lag handhoch, und in dem Staub zogen sich überall Rinnen entlang – wie willkürliche Muster. Es waren die Spuren des giftigen Ungeziefers, das dort in dem Loche hauste.
Je näher ich den fünf eklen Leichenresten kam, desto vorsichtiger wurde ich.
Hondu zerrte rückwärts.
Auch das war ein schlechtes Zeichen.
Ich fühlte, daß mir der Schweiß ans allen Poren drang. Der Gestank war kaum zu ertragen. Sekundenlang überwog das unerklärliche Furchtgefühl: „Kehre um!!“
Nein – gerade nicht!!
Wenn ich hinterher Taskamore erzählen würde, wie ich hier ängstlich vor dem unbekannten Grauen zurückgewichen war, hätte er sicherlich jenes unnachahmliche Gesicht aufgesetzt, das ich schon von Coy her nicht sehr schätzte …!
Ich tastete mich weiter vor.
Der Büchsenkolben schob die Staubschicht zusammen, und dann … sprang ich jäh zurück, wollte die Büchse mitreißen …
Sie entfiel mir und … stand schräg wie angeschraubt.
Ich hatte nur ein schnappendes Geräusch gehört – so, als ob sich Klammern in den Büchsenkolben einbohrten.
Vorsichtiger noch bückte ich mich …
Was ich da in einer der zahlreichen Mulden des Steinbodens gewahrte, wo die Büchse wie angenagelt schräg emporstand, verblüffte mich.
Es war ein modernes, stark verrostetes Tellereisen für kleines Raubzeug, eine Schlagfalle mit sehr starken Zinken. Die Feder mußte gut eingefettet gewesen sein, sonst hätte sie niemals all die Jahre ihre Zugkraft bewahren können.
Und hier in dieser unheimlichen Höhle kam mir nun ein Gedanke, der unweigerlich vieles erklärte. Ich besann mich auf Lord Edwards Krokodillederbuch. Von seinen letzten Aufzeichnungen fehlten zwei Blätter, und dort, wo das Fehlende eine Fortsetzung auf der nächsten Seite fand, hatte etwa gestanden:
„wird keiner mehr hingelangen, dafür habe ich gesorgt. Laßt den Toten ihre Ruhe. Unser Geschlecht braucht Tote nicht zu bestehlen.“
… So etwa …
Ich hatte diesen Zeilen keine Bedeutung beigelegt. – Jetzt konnte ich mir den Inhalt der fehlenden Blätter ergänzen. Nur Lord Edward konnte als uralter Mann diese englischen Schlagfallen hier in die Bodenvertiefungen gelegt haben. Er selbst mußte kurz vor seinem Ende die beiden Blätter vernichtet haben. Weshalb?! War das Verhältnis zu seinem Sohne so schlecht gewesen?!
Das waren im Grunde nebensächliche Fragen.
Ich kniete nieder, – ich wußte, daß die Zinken der beiden Schlagbügel vergiftet waren. Ein Blick zu den Toten hinüber zeigte mir, daß ihre Füße unter den zerfaserten Lumpen noch in den Bügeln steckten. Die Schädelbrüche konnten nur beim Sturz auf den Steinboden entstanden sein.
Eine Gefahr, die man kennt, ist keine Gefahr mehr. Man hat Mittel, ihr wirksam zu begegnen.
Genug: Ich bahnte mir mit der Büchse, deren Kolben dabei übel zugerichtet wurde, einen Weg durch diese Sperre. Acht Fallen schnappten noch zu, dann hatte ich die Fortsetzung des Stollens vor mir.
Noch zweihundert Meter: Der Gang hörte auf, Steinquadern überall, fester Mörtel überall, aber … gerade vor mir, an einem der untersten Steinblöcke, wieder zwei Mörtelzacken.
Ich war gewarnt.
Ich sah hier im Staube eine einzelne Fußspur, die nicht zurückkehrte.
Mit dem Büchsenkolben stieß ich gegen die Zacken. Und das war mein Glück.
Zu meinen Füßen schwand der Boden, klappte mit dumpfem Krach herab, verblieb eine Weile so, und dann schlug das Steinquadrat wieder zu.
Ich hatte hinabgeschaut in eine tiefe offene helle Grotte … Ich hatte das Meer branden hören und hatte zwischen Felsstücken ein weißes Skelett gesehen, das seltsamerweise aufrecht am Boden saß …
Genau so, wie Sir James mir seinen zufälligen Fund beschrieben hatte.
Es war das Skelett Lord Reginald Sheridans.
Margots Gatte war tot.
Wenn Margots Gatte vorsichtiger gewesen wäre, hätte er hier nicht den Tod gefunden, denn die Innenwandungen der offenen Grotte waren dicht umrankt mit Dornen, Lianen und anderen Schlinggewächsen.
Ich gelangte mit Hondu wohlbehalten hinab. Und da erst sah ich, was dem Skelett Stütze bot: Feine, dünne Lianen, – dünn wie Fäden …
Er mußte sie im Sturze mitgerissen haben, sie waren vertrocknet, aber sie hielten den Knochenmann am Boden in aufrechter Stellung.
Ein breiter Weg krabbelnder roter Ameisen zog sich neben den Skelettfüßen in den dunkelsten Teil der Grotte. Auf diesem Wege kribbelte und krabbelte es in doppelter Heerschar, – die einen zogen ins Freie, die anderen zu ihrem hohen Turm von Ameisenbau.
Hondu und ich flüchteten schleunigst.
Keine vierzig Meter unter uns, hinter grünen Kulissen, blinkte das Meer. Ich sah, daß ich mich etwa an der Spitze der Halbinsel La Terrosa befand. Und selten wohl habe ich den glühenden Sonnenschein, das Licht, den flimmernden Himmel und den Salzhauch der See so freudig begrüßt wie damals.
Der Schlangentempel Lord Edward Sheridans hatte mir in der letzten Stunde abermals einen Vorgeschmack der Hölle gegeben. Nie wieder würde ich jenen zweiten Stollen betreten!
Schwor ich mir damals zu …
Man soll nie vorschnell schwören. –
Ich suchte mir einen kahlen Stein als Sitz, und ich ruhte mich aus und begrüßte die handgroßen Falter und das frohe Völkchen der Kolibris, die kreischenden weißen Aras und die flinken Affen wie traute Gefährten.
Auch ein Krokodil hätte ich so begrüßt.
Eine frische Zigarre nahm ich, – – wunderbarer Genuß! Wie schnell die Nerven wieder vernünftig wurden!
Und dann: Ethel!!
Das trieb mich hoch …
Ich hatte eine Wanderung von vielleicht zwei Kilometer vor mir, schätzte ich, bis ich den verkrauteten See oder das Lager der „Heimatlosen“ erreichen würde. Und dann?!
… Spätere Sorge!
Hondu begann zu tollen … Hondu war wie ein Füllen auf frischer Weide. Ich nahm ihm die Leine ab … Mochte er sich austoben.
Ich überlegte. Ich mußte mich nach Südwest wenden. Das Gelände hatte hier ein völlig anderes Aussehen wie in der Nähe des Tempels. Felsenhügel, Felsschluchten, kleine Waldstücke, Dickichte wechselten mit kahlen Steinfeldern ab, die zweifellos vulkanischen Ursprungs waren: Verwitterte Lavaströme!
Mexiko und Guatemala sind nun einmal unruhiger Boden. Guatemalas Hauptstadt mußte Ausgang des vorigen Jahrhunderts verlegt werden, weil plötzlich ein bis dahin harmloser Berg Feuer zu speien begann.
Ich schritt frisch und munter durch diese schöne Tropenwelt, die doppelt schön war, weil ihr die fieberschwangere, feuchte Hitze so ganz fehlte. Hier war Luft, Wind, Salzgeruch, Blütenduft, freier Blick.
– – Und jähes Erwachen aus meinem Sinnen.
Vor mir Hondu auf einer Felskuppe, urplötzlich sich niederkauernd in das Geröll, ganz flach, und den Kopf zurückdrehend zu mir …
Achtung!, las ich in Hondus Augen.
Achtung!, kreischten die grünen langschwänzigen Papageien …
Wie im Traum war ich dahingeschritten, – das taugt nicht für Waldläufer, die den Feind beschleichen …
Ich schiebe mich neben Hondu, spähe hinab …
Eine breite, düstere Schlucht …
Reisighütten … acht …
Männer, auf Moos hingestreckt, – – ein Bild, daß man Maler sein möchte.
Räuberlager!
Selbst Weiber fehlen nicht …
Indianerinnen, Mulattinnen in grellen, bunten Lappen …
Sogar Hunde, ruppige Hunde …
Sechs an der Zahl …
Die „Heimatlosen“ also.
So hat Margot sich ausgedrückt: Heimatlose! – Das ehrt sie. Ihre Feinde, – trotzdem Verständnis für die Irrwege menschlichen Geschicks, die den Besten ausstoßen aus der Gemeinschaft und den Gemeinsten aufnehmen in die „beste“ Gesellschaft.
So hatte ich mir dieses Lager doch nicht gedacht.
Woher kamen diese verwegenen Kerle, woher erhielten sie neuen Zuzug?!
War da vielleicht irgendwo in einer der mittelamerikanischen Räuberrepubliken wieder mal ein Revolutiönchen angezettelt worden durch fremdes Geld?! Hatte da wieder einmal eine Großmacht ein paar Millionen springen lassen, um besser im Trüben fischen zu können?! Hatten da wieder mal arme Teufel ihr Leben riskiert für irgend ein Ausland?!
Schon möglich: Politische Flüchtlinge!
Heimatlose!
Und Kerle, die nun alles riskierten, die irgendwo von dem „Schatze“ von La Terrosa gehört haben mochten …
Und ins Gras bissen – für nichts!
Ins Gras bissen, weil sie den Maya-Tempel stürmen wollten!
Arme Teufel! Verzweifelte Teufel! Vielleicht nicht einmal wirklich Banditen, so mehr Edelauswurf der Menschheit.
Da waren ein paar hellhäutige Mischlinge, die noch tadellos sauber in Kluft waren, da waren junge Weiber, die wahrhaftig Spangenschuhchen trugen.
– – Wo steckte Ethel?
Ich ließ den Blick schweifen. – Aha – vier Posten … gut verteilt … Schlendern hin und her.
Schade.
In die Schlucht war bei Tage nicht einzudringen.
Es sei denn …, – aber vier Leute niederstechen?! Hinterrücks?!
Widerstrebte mir …!
Heimatlose! – Das ging mir nicht aus dem Sinn … Gehörte ich selbst nicht mit zu ihnen?! Wollte ich mit Pharisäerhochmut mich aufblasen und behaupten, ich sei besser als die da?!
Achtung! – – Einer der Kerle hier oben, Büchse im Arm, kommt näher … Ein alter, graubärtiger Schwarzer, Panamahut, grüner Leinenanzug wie ein Zeisig, aber Gesicht wie ein Patriarch.
Kommt näher …
Es wurde Zeit, ich rutsche zurück, ziehe Hondu am Schweif. Ein Felsblock, Dornen darum – wir kauern nieder, – der Neger tappt vorbei …[6] Sein melancholisches Profil verrät Intelligenz.
Könnte nichts schaden, den Alten mal ins Gebet zu nehmen … Ein feiner Posten, der Schwarze!! Der scheint über die Quadratur des Zirkels nachzusinnen …
Komischer Bandit! …
… Als ich die Hände von seinem Halse wieder lockere und ihm die Messerspitze auf die Gurgel drücke, grinst er …
Es ist ein Lächeln, das mir wehtut.
Das Lächeln eines Verspielten, aus der Bahn Geschleuderten.
Ich frage nicht nach Ethel …
„Wer sind Sie?“
Er flüstert rauh:
„Professor Ramon Cambrios von der Universität in ……“
Die …… Punkte bezeichnen die Stadt, die er nannte.
Ich will Stadt und Land verschweigen.
Sein Englisch ist tadellos, und als ich ihn dann abseits in das Gebüsch geschafft habe, sitzt er vor mir und erzählt.
Ahnte ich es doch: Revolution, – Todesurteil – Flucht – nur das nackte Leben gerettet zusammen mit Leidensgenossen, – auf gut Glück im Kutter hier nach La Terrosa, wo die Polizei machtlos ist, Zusammentreffen mit den Banditen gestern, Verbrüderung, – – und dann zuckt er die Achseln …
„Weiter, Sennor?! Zukunft?! Vielleicht nach einer Gegenrevolution … Aber mein Vermögen, mein Haus bin ich endgültig los …“
Er lächelt wieder. Das Lächeln derer, die nichts mehr zu hoffen haben.
„Mr. Cambrios?“, fragte ich höflich, „Sie haben in Ihrem Lager eine Gefangene?“
Seine klugen, melancholischen Züge werden noch düsterer. „Leider! Miß Ethel Sheridan … Gerade Sheridan!! Wie mich der Name packte, aufrührte! Denken Sie, ich kannte Lord Edward Sheridan persönlich. Es ist lange her, ich war noch jung, Student, aber ich hatte bereits in den Zeitungen Artikel über die Maya-Kultur veröffentlicht. Lord Edward schrieb mir, und ich kam hierher, um ihm zu helfen, die Bilderschriften zu entziffern. Das Schicksal spielt mit uns Fangball, Mister … Nie hätte ich es mir träumen lassen, daß ich als Greis wieder dem Namen Sheridan und einer Enkelin meines Wohltäters begegnen würde.“
Ich war so sprachlos über seine Eröffnungen, daß ich mich erst hineinfinden mußte in dieses Neue, gänzlich Unerwartete.
„Dann werden Sie mir auch helfen, Miß Ethel zu befreien“, sagte ich sehr bestimmt. „Wer sind Ihre jetzigen Verbündeten eigentlich?!“
Er blickte mich ernst an. „Zuchthäusler, politische Gefangene, Flüchtlinge, – aber nebenbei Leute, die als Söldner jedem gedient hätten. Geld gibt bei ihnen den Ausschlag, – arme ungebildete Teufel, Mister! Angenehm ist uns dieses Bündnis wahrlich nicht. Aber – das Unglück wischt alle Unterschiede weg, – was sollten wir tun?! Mit ihnen etwa kämpfen?! Es waren noch neun Mann, fünf Weiber, und wir zwölf und sieben Frauen und … erschöpft, froh, ein Dach über dem Kopfe zu haben … Und wenn es ein Laubdach ist. – Gewiß will ich Ihnen helfen … Ich bin den Sheridans verpflichtet von früher her. Die schwarze Hautfarbe schließt nicht die weiße Treue und Dankbarkeit aus.“
Meine Gedanken umspielten eine andere Frage. Aber ich wollte behutsam vorgehen.
„Hoffen die Leute, in dem Schlangentempel Gold zu finden, Mr. Cambrios?“
„Ja … Das Gerücht, La Terrosa und der alte Tempel bergen ungeheure Schätze, kommt nicht zur Ruhe.“
„Ein Aberwitz, falsche Hoffnung!“, meinte ich mit wenig Ehrlichkeit, denn ich selbst glaubte jetzt an das verborgene Gold – aus guten Gründen.
Professor Ramon Cambrios nahm zunächst mit Dank die Zigarre entgegen.
Bedächtig erwiderte er: „Kein Aberwitz, Mister … Der Schatz existiert. Aber finden wird ihn niemand. Lord Edward hat danach gesucht, sein Sohn suchte, sein Enkel, – auch ich vor vierzig Jahren … Die Mayas waren sehr klug. – Wie denken Sie sich Miß Ethels Befreiung? Ich darf nicht zu lange hier bei Ihnen bleiben, meine Abwesenheit würde Verdacht erregen …“
„Wann werden Sie abgelöst?“
„Sehr bald …“
„Und wo befindet sich Ethel?“
„In einer der Hütten bei meiner Tochter. Es fehlt ihr an nichts, ich habe dafür gesorgt, daß sie gut behandelt wird, aber der Anführer ist ein Mensch, dem ich nicht traue, ein Mestize, Mister … Er will den Tempel um jeden Preis in seine Gewalt bringen, und ich fürchte, die Leute werden Miß Ethel als Geisel benutzen und …“ – er verstummte mit einer vielsagenden Handbewegung.
Mein Hirn arbeitet fieberhaft.
„Was sind Ihre Gefährten?“, fragte ich hastig.
„Heimatlose!“, sagte er hart. „Menschen, die um jeden Preis anderswo ein neues Leben beginnen wollen, Verbitterte, Verzweifelte, jetzt vom Goldrausch Besessene, obwohl sie mit den anderen nicht auf eine Stufe gestellt werden dürfen. – Entscheiden Sie sich schnell … Wir werden Verdacht erregen, und dann ist alles verloren.“
Ein Entschluß war in mir gereift. Es gab kein langes Überlegen.
„Ich begleite Sie! Ich werde mit dem Mestizen unterhandeln … Lassen Sie mich nur machen.“
Der alte Mann war entsetzt.
„Sie ahnen nicht, welchen Haß die Leute gegen Sie und Ihre Freunde hegen“, rief er warnend. „Der Mestize Alvarez hat den Satan im Leibe!“
„Dann habe ich die ganze Hölle im Herzen“, sagte ich kalt. „Mein Name ist El Gento, Sennor Cambrios, und ein weißes Mädchen diesen Banditen zu überlassen, entspricht nicht meinen Anschauungen. Ich werde mit Alvarez fertig werden.“
Er hob wie mitleidig die Schultern.
„Sie laufen dem Tod in die Arme, Mister! Es ist Ihr Wille!“
„Wir werden sehen …!“, – Taskamores Lieblingsspruch schlüpfte mir ohne Prahlerei über die Lippen.
Der schwarze Professor erhob sich. Wir schritten der Anhöhe zu, hinter uns her trottete der Puma.
Mein Vorhaben mochte tollkühn erscheinen. Aber ich hatte einen Trumpf in der Hand, der den Sieg verhieß. Ich rechnete mit Alvarez’ blinder Goldgier. Außerdem war mir durchaus klar, daß wir den Tempel gegen diese Übermacht niemals würden halten können. Wir waren nur zwei, die als unblessierte Verteidiger in Betracht kamen: Taskamore und ich! Wir hatten zwei Verwundete bei uns, und der brave Zecke-Knox mit seinen Streifschüssen würde als Wachtposten für die Nacht kaum zu verwenden sein.
Unser Erscheinen auf dem Felshügel erweckte unten in der Schlucht einen wilden Tumult. Um meine friedlichen Absichten darzutun, hatte ich einen grünen Zweig abgebrochen, den ich dauernd wie einen Fliegenwedel schwenkte.
Die ganze Sippe dort hielt die Büchsen im Anschlag. Die Situation war peinlich, aber da der gelbbraune Anführer uns sehr selbstbewußt entgegenkam, hatte ich gewonnenes Spiel.
Der lange dürre Kerl in seinem leidlich sauberen Sportanzug hatte ein geradezu konfisziertes Gesicht. Eitelkeit, Frechheit, alle Laster leuchteten aus diesen welken Zügen.
„Alvarez …“, stellte er sich höhnisch vor und faßte an die Hutkrempe.
„Abelsen …“, sagte ich freundlich.
Sennor Mestize riß die Augen auf.
„Abelsen?! Von der Eugenia-Bucht?! Niederkalifornien – – Petroleum?!“, fragte er merklich bekniffen.
„Ganz recht … – derselbe! Sie sind wohl ein Bekannter des Ölpiraten Scarpa, mein Freund?! Scarpa ist tot …“
Seine Zunge leckte die Unterlippe.
„Hm, – – und was bringen Sie?!“
Ich beugte mich vor und raunte ihm zu:
„Das Gold, – – wir wollen in Frieden teilen …!“
Er verfärbte sich. Dann lief er blaurot an. Die Gier verzerrte seine Malariafratze.
„Ist das wahr?!“ Er zog mich abseits. „Mr. Abelsen, Sie haben den Schatz gefunden?“
„Ich weiß, wo er liegt … das genügt.“
„Leiser!“, warnte er.
Aha, – ein Gauner, der auf eigene Rechnung Geschäfte machen wollte!
Er fieberte. „Wo?“, drängte er … „Schnell, – wo liegt das Gold? Ich weiß, es ist vorhanden … Ich …“
„Setzen wir uns, Mr. Alvarez. So im Handumdrehen erledigt man keine Millionenprojekte … Schicken Sie Ihre Leibgarde fort … Die Kerle machen sehr lange Ohren … Nur Miß Ethel muß als Vertreterin der Sheridans dabei sein. Darauf bestehe ich.“
„Muß das sein?!“ Ein schiefer Blick traf mich.
„Muß – unbedingt …! Außerdem werden Sie doch wohl nachher Ihre bewährten Freunde mit ins Vertrauen ziehen, hoffe ich …“
Der Bursche grinste. „Vielleicht … – Hallo, Benito, – schicke die Miß her! Schert euch im übrigen weiter weg …! Wir reden später miteinander.“
Sechs Kerle beratschlagten leise. Ich merkte, hier traute einer dem anderen nicht. Konnte mir nur recht sein! – Der Professor und seine Gefährten hatten sich unter den Bäumen gelagert.
Ich spielte Va banque. Es ging nicht anders.
Mit Gewalt war hier nichts auszurichten.
Die sechs holten Ethel. – Armes Mädel, – schön sah sie nicht aus. Der getrocknete Schlamm auf ihrem Sportdreß machte sie zur Vogelscheuche, aber unter dem wirren, aschblonden Haar strahlten kluge, energische Augen, die für Sennor Alvarez nur einen Blick tiefster Verachtung hatten.
Zwanglos reichte sie mir die Hand.
„War das klug?!“, meinte sie etwas besorgt. „Diese Herren werden sich kaum an Vereinbarungen halten, und …“
Alvarez fauchte wütend: „Schweigen Sie! Ich bin Advokat, und mein Name …“
Benito, ein Mulatte wie ein Herkules, unterbrach ihn grob. „Was du warst, war ein Dreck … – Wir bleiben hier, wir wollen mit dabei sein und … – – Hände vom Gurt, Alvarez!! Wenn hier einer ins Gras beißt, bist du es!“
So ähnlich hatte ich diese Gesellschaft eintaxiert.
Noch zwei fanden sich ein, – nun war die alte Garde beieinander.
Es ging nach Wunsch.
Das Leben hat doch noch immer seine scherzhaften Seiten …
Wir nahmen Platz, Ethel dicht neben mir, Hondu zu meinen Füßen. Die Diplomatensessel waren hart, Felsstücke, aber das Landschaftsbild entschädigte, war schöner als ein feines Konferenzzimmer.
„Also der Schatz …“, begann ich … – Konnte es eine wirksamere Einleitung geben?
Die Gaunerschädel flogen hoch … In neun Augenpaaren schillerte Goldrausch.
„Ich weiß, wo er ruht, Sennores … – Lassen Sie mich erzählen … Ich verließ den Tempel durch den Stollen, den Sie noch immer nicht gefunden haben. In einem Seitengang liegt eine Grotte … Und dort …“ – Kunstpause, – „… mehr möchte ich vorläufig nicht sagen. Ich schlage folgende Teilung vor: Sie ein Drittel, wir den Rest, und für Sie noch die ehrenwörtliche Verpflichtung, La Terrosa sofort zu verlassen. Einverstanden?“
Lange Gesichter … Aber dann übereifrige Zustimmung.
„Mein Ehrenwort!“, erklärte Alvarez großartig …
Seine Kumpane schworen sogar noch bei allen Heiligen …
Ich hätte laut lachen mögen!
„Vorausgesetzt, daß Miß Ethel einverstanden ist …“, fügte ich hinzu.
„Vollkommen“, sagte Ethel ebenso ernsthaft.
„Dann will ich Ihnen die Grotte zeigen und dort die näheren Erläuterungen geben“, sagte ich und stand auf. „Wir sind nur zwei Unverwundete im Tempel, Taskamore und ich … Ehrlich Spiel, Sennores!“
„Durchaus ehrlich“, rief Alvarez feierlich wie ein Strafverteidiger, der für einen Raubmörder sich ins Zeug legt.
Wir brachen also auf.
Das Getuschel und Flüstern der Sennores hinter mir und Ethel war so eindeutig wie möglich. Ich würde das Übereinkommen strikt einhalten, aber die anderen?! – Wer den Verlauf der Dinge voraussieht, kann vorbeugen. Wenn die Burschen glaubten, Ethel, mich und Hondu austilgen zu können, sobald sie Bescheid wußten, waren sie hier an den Unrechten geraten.
Der Marsch bis zur Nordküste währte kaum eine halbe Stunde. Droben, von Büschen und Bäumen umgeben, lag der dunkle Grotteneingang. „Wir sind am Ziel“, sagte ich leichthin. „Folgen Sie mir …!“
Die Sonne stand bereits im Westen, und ihre Strahlen erleuchteten das Innere der Grotte nur halb.
Alvarez, der dicht hinter mir war, wich zurück.
„Ein Skelett“, sagte er scheu.
„Ja – Lord Reginald Sheridan, – – oder das, was noch von ihm übrig …“
Der Mulatte Benito lachte rauh und schob Alvarez beiseite. „Unsinn – ein Knochenmann!! Hast du Angst, du Federfuchser?! – Wo ist der Schatz, Mr. Abelsen?“
„Eine Etage höher …“, erwiderte ich. „Dort liegt die andere Grotte …“ Ich dachte an die Tellereisen …
Der Totenschädel, über den noch einzelne Ameisen hinwegkrabbelten, schien uns heimtückisch anzufeixen. Selbst Benitos geschwollenes Heldentum schrumpfte wieder zusammen. „Oben? Wo? Ich sehe keine Tür da oben …“ – Der kleinlaute Ton brachte Sennor Alvarez’ Mundwerk in beschleunigten Gang. Seine Führerrolle stand hier auf dem Spiel, er mochte sein Ansehen nicht noch mehr einbüßen, und vielleicht schien es ihm auch zwecks Verringerung der Zahl der Schatzanwärter sehr angemessen, einen Streit vom Zaune zu brechen. Einige der Kerle hielten doch wohl treu zu ihm.
„Es wird eine Geheimtür sein, Dummkopf!“, grobste er den breitschultrigen Halbnigger an, der vor ihm entschieden das eine voraus hatte: Er machte aus seiner Verworfenheit weiter kein Hehl und gab sich so, wie das Geschick ihn zusammengeknetet hatte.
Benito besaß das rasch aufflammende Temperament all dieser „Halben“. – Der Streit war da, bevor ich es noch recht geahnt hatte. Schimpfworte, haßglühende Augen, gezückte Messer, – im Nu bildeten sich zwei Parteien, und die des Mestizen war die stärkere. Daß die Pistolen nicht schon jetzt losgingen, war lediglich einem geringfügigen Umstand zuzuschreiben.
Hondu kannte Schußwaffen … Als der Mulatte auf Alvarez anlegte, duckte er sich zum Sprunge …
„Verrückt sind wir!“, grollte der ernüchterte Benito. „Ich schätze, wir haben Besseres vor … – Mr. Abelsen, wo ist die Geheimtür?“
Einen Vorteil hatte dieser kurze erbitterte Zank gehabt: Ich hatte Ethel Sheridan eine meiner Pistolen heimlich zustecken können …
„Dort oben!“
Die Kerle betrachteten die grünen Steinwände, über die sich das dichte Geflecht der Ranken bis nach außen in den hellen Sonnenschein hinzog, mit einigem Mißtrauen. Es entsprach ganz ihrer eigenen seelischen Einstellung, daß sie überall Verrat fürchteten.
„Klettern Sie voran!“, befahl Alvarez. „Aber vorher, – Ihre Waffen werden Ihnen unbequem sein, Mr. Abelsen … Geben Sie sie mir …“
„Wenn Sie es verlangen? – Bitte …“ Ich knöpfte die eine Pistolentasche auf, die andere war ja bereits leer … „Hier, meine Büchse, meine Pistole …“ Und ich legte beide auf den Boden. Und fügte hinzu: „Gleiche Bedingungen für alle: Folgen Sie meinem Beispiel … Auch Ihre Schießprügel belasten Sie unnötig, und von meiner Seite droht kein Verrat!“
Das Gelächter der neun Sennores war zweifellos eine arge Entblößung ihrer biederen Gefühle mir gegenüber.
„Los, – – nach oben!“, kommandierte der ausgemergelte Mestize.
„Damen haben den Vortritt, – Miß Ethel, bitte, – an dieser Stelle … Sie brauchen nur das Gestein emporzudrücken. – Haben Sie vielleicht ein Zündholz, Mr. Alvarez? Ich möchte mir eine Zigarre anzünden … Es riecht dort oben etwas unangenehm. Lord Reginalds Diener haben dort irgendwie den Tod gefunden …“
Diese Ablenkung sicherte Ethel davor, etwa hier schon als überflüssig kaltgestellt zu werden. Sir James’ Schwester merkte wohl, worum es ging, und sie war bereits verschwunden, als der stark vertatterte Mestize mir wirklich Feuer gab.
„Danke …“ – Und ich rieb ein Hölzchen an, fixierte die ellenlangen Fratzen meiner „Freunde“, warf Ethel die Schachtel zu … „Die Laterne steht oben im Stollen, Miß …“
Indem klappte die Tür wieder zu. „Nur ein Hebelmechanismus der alten Maya“, beruhigte ich die noch stärker beunruhigten Herren. Und meine Ruhe machte mir geradezu Vergnügen. Der Spaß hier war Nervenkaviar.
„Ja … Und sie riechen … Aber das macht Ihnen doch nichts aus, hoffe ich …“
Alvarez war schon wieder im besten Zuge, die Autorität zu wahren … „Ich werde der Miß folgen, dann Benito, dann Mr. Abelsen … und so weiter … Dabei bleibt es …“ Er packte die Ranken und als auch er droben angelangt, machte sich der Mulatte auf den Weg.
Wir standen dann oben im Stollen, der Verwesungsgeruch belästigte die Nasen, und Hondu, den ich emporgeseilt hatte, reckte sich merkwürdig lang und schnüffelte. Das kalte Licht der Karbidlaterne kämpfte gegen den rötlichen Schein der Petroleumfunzel, die die Sennores mitgebracht hatten.
Ich beobachtete Hondu, er zerrte an der Leine, – irgend etwas stimmte hier nicht.
„Gehen Sie voran!“, flüsterte der Mestize scheu. Die ganzen neun Schatzsucher schienen jeglichen Mut eingebüßt zu haben.
Ethel blieb dicht neben mir.
„Leise!“, flüsterte ich und hüstelte.
Der dicke, uralte Staub machte diese Mahnung fast überflüssig. In diesem weichen Bodenbelag erstarb jeder Tritt.
Hondu zog an der Leine wie toll. Was hatte er nur?! Witterte er einen Lebenden dort in der Grotte mit dem dicken Pandanus, der seinen ungeheuren Stamm aus der Tiefe ins Freie schob? Angst packte mich … Wenn Freund Kamo oder Zecke mir etwa gefolgt waren und durch meine frische Fährte den oberen Stollen gefunden hatten?! Wenn sie etwa ahnungslos in eines der Tellereisen geraten waren, von denen sicherlich noch eine ganze Menge in kleinen Vertiefungen lauerten?!
Ich eilte schneller dahin. Daß Ethel und ich hinter uns neun bewaffnete Kerle hatten, die jeden Augenblick uns niederknallen konnten, – selbst das war gleichgültig! Unehrlich Spiel trieben sie ohnedies, und bevor sie nicht wußten, wo das Gold lag, würden sie sich hoffentlich noch beherrschen …
Dann die letzte schwache Biegung des Ganges, – ich stutzte …
Vor mir grelles Licht …
Eine der großen Laternen stand am Rande der Vertiefung, und hinter dieser blendenden Wand zeichnete sich eine hohe, helle Gestalt ab. Erst als Alvarez, der die Laterne trug, sich vordrängte, erkannte ich Lady Margot Sheridan, die, fast gespenstisch bleich und mit einem weißen Leinenkleid über den schlanken Gliedern, uns regungslos entgegenstarrte.
In beiden Händen hielt sie eine der Ruten, der Astgabeln, ließ sie jetzt fallen und sagte mit völlig klangloser Stimme:
„Ich … sorgte mich um Sie, Abelsen … Knox wollte mich nicht in den Gang hinablassen, aber … ich war hier …“ – sie schwieg, und ihr starres Gesicht gewann Leben … Die Augen flogen über die Gesichter meiner fragwürdigen Begleiter hin … Und nach einer Pause, in der auch keiner der Sennores ein Glied rührte, fügte sie hinzu: „Was ich hier sah, zerstreute meine Sorgen … Und was ich hier fand, war … Heimkehr zu einem Toten, der mich nur heiratete, weil die untalentierte Filmschauspielerin Margot Brunce als … Rutengängerin mehr verdiente! Zu spät erkannte ich, weshalb Reginald Sheridan, Spieler und Verschwender, mich umworben hatte und dann in das Tropenreich La Terrosa schleppte. Schatzsucherin, – – deshalb!! Letzte Hoffnung für ihn, durch mich das Maya-Gold zu entdecken. Sklavin war ich hier, wurde Tag für Tag auf die Suche geschickt … Die heilige Rute, der Zauberstab der weissagenden Nornen, sollte der Erde das Geheimnis entlocken. Und als mir, auch mir kein Erfolg beschieden, warf Reginald Sheridan mir meine Herkunft vor, und – zwischen uns gab es nur noch Haß, Verachtung. Das andere kennen Sie, Abelsen … Ein Rest von Pflichtgefühl und die heiße Sehnsucht nach den stillen Tempelräumen trieb mich zurück in diese Einsamkeit. Ich fand hier niemand mehr vor … Bis die Leute dort erschienen, auch Besessene wie Reginald, Goldhungrige, – – und heute, vorhin … ja vorhin feierte ich Heimkehr zu dem, der meine Seele hart gemacht hat. Ich habe das Skelett gesehen, Abelsen, – es ist Lord Reginald, und ich – – bin Margot Brunce, das Kind der Gosse, Stieftochter eines Raubmörders, Opfer eines kalt berechnenden Menschen, dem ich nur Mittel zum Zweck war, und … trotz allem Priesterin der heiligen Rute, die zu uns Erwählten durch ihre Zuckungen spricht. Das ist mein Lebensweg, Abelsen … Und das, Ethel, war dein Bruder! Nun kennst du ihn! Gehaßt habt Ihr mich, verachtet. Prüfe und entscheide, Ethel: Wer verdiente Verachtung?!“
Die ungeheure Bitterkeit, die durch diese kalten anklagenden Sätze klang, war so zu Herzen gehend, daß selbst Alvarez’ Bande die Köpfe senkte und verlegen an ihren Büchsen herumfingerte.
In der ganzen Erscheinung Margots lag eine warnende, mahnende Würde, der niemand sich entziehen konnte.
Ethel Sheridan fand als erste die passenden Worte. Ich rechnete es ihr hoch an, daß sie jetzt der besseren Einsicht Raum gewährte und schnell auf die Schwägerin zuschritt. Margot stand gerade dort, wo keine Gefahr mehr vorhanden, und Ethels Weg zu ihr führte durch aufgewühlte, harmlose Staubmassen.
Was Ethel sprach, als sie Margot herzlich umschlang, verstand ich nicht.
Meine Augen glitten über die Leichenreste hin – – die von mir gefundenen Tellereisen waren verschwunden.
In meinem Hirn war für all das auch keinerlei Raum. Margots Lebenstragik, ein abenteuerlicher, tragischer Roman, hatte in mir nicht nur tiefes Mitleid geweckt. Andere zartere Stimmen meldeten sich … Meine Augen überflogen die Gruppe der beiden Frauen, die sich umschlungen hielten. Ethel weinte …
Neben mir kauerte Freund Hondu, – hinter mir klirrten leise die Spaten und Hacken, die Alvarez’ Kerle mit hierher geschleppt hatten.
Und aus dem rosigen Dämmer dieses lyrischen Zwischenspiels schälte sich nun für mich die brutale Frage heraus, wie ich mit denen, die da hinter mir auf Mord und Raub sannen, unblutig abrechnen könnte.
Ihre Absichten waren jeglicher trügerischen Hülle in dem Augenblick entkleidet worden, als sie mir die Waffen abverlangten. Leben und Bewegung kam wieder in ihre trotzigen Gestalten, – der bannende Zauber der klingenden Worte einer schamlos betrogenen Frau war gebrochen … verweht.
Alvarez trat vor. „Hallo, – schätze, daß diese Theaterszene da lange genug gedauert hat! – Lady Sheridan, – wo liegt das Gold?“
Die beiden Frauen lösten sich voneinander.
„Das Gold“, sagte ich anstelle Margots, die unschlüssig abwartete, „liegt unter dem Wurzelstock dort … Die Maya-Priester vergruben es, pflanzten den jungen Pandanus über jene Stelle, und … starben vielleicht unter den Folterwerkzeugen irgend eines jener weißen Schurken, die auch hier wie in Mexiko und in den Inkaländern zum Preise abendländischer Kultur geschmolzenes Blei und siedendes Öl in Indianerkehlen gossen … – Ist es so, Margot?“
Sie bückte sich, hob die Rute aus dem Staube, faßte die beiden Enden der Gabel mit den Händen, reckte die Arme nach dem ungeheuren Wurzelballen vor, und die Rute schlug kräftig nach unten.
„Es ist so, Abelsen! Aber ihr …“ –, und die strengen Augen suchten Alvarez’ Blick, „ihr habt keinen Teil an diesen Schätzen … Ich warne euch!!“
Benito schwang seine Hacke …
„Keinen Teil – stimmt, Mylady! Alles gehört uns … alles …! – Vorwärts, – – macht Schluß … Tote reden nicht …“
Nein, – Tote reden nicht …
Aus Ethel Sheridans Hand sprangen zwei, drei Feuerstrahlen …
Schreie …
Finsternis … Klirren von Laternenscheiben, Gebrüll, – – ich war vorwärts gesprungen, zog die Frauen in den Stollen, wir liefen, fühlten uns an den Wänden entlang, – Kugeln pfiffen, Nacht war um uns, – bis mein Fuß gegen den Balken stieß …
Das Gegengewicht hob die Falltür, wir sprangen hinab, wir waren in Sicherheit, die Steine schlossen sich über uns, und mein Zündholz knisterte, Margots Laterne puffte auf, brannte, – droben ein Geräusch, ein Gesicht in der jäh klaffenden Öffnung, – – ein einzelner Schuß, die Falltür fiel wieder zu, und die Kerle droben gaben es auf, uns fernerhin zu belästigen.
Zecke-Knox wurde geholt … Taskamore kam.
Mit ehernem Gesicht hörte er die Geschichte des Maya-Schatzes.
„Wir werden sehen …“, sagte er eisig. – –
… Und all dies, was zuletzt geschehen, habe ich in meinem Gemach im Tempel mit spitzem Bleistift niedergeschrieben.
Es ist Nacht … Stille, helle Tropennacht mit prächtig ausgestirntem Himmel …
Der Tempel schläft …
Wenn ich aber die Ohren spitze und in die Ferne lausche, höre ich vom See her, wo Professor Cambrios und seine Gefährten die Jacht Hamilton eifrig von den grünen Behängen befreien, rauhen Gesang und das Kreischen einer Dampfwinde.
Maya-Schatz?! – Was die Dampfwinde in den Bauch der Jacht hebt, sind wohl Schätze, aber nur wenig goldene Tempelgeräte, zumeist nur Götzenstatuen, Waffen, – – uralt. Und was da in der Grotte des Pandanus neben den Verwesten lag, waren entstellte Tote, die Gesichter verzerrt vor Todesgrauen … – Von Alvarez und den Seinen lebte keiner mehr, als wir nach vielen Stunden uns wieder hinabwagten in die Finsternis der Hölle und der Goldgier.
Wir haben die Leichen verscharrt. Die Erinnerungen sind getilgt. Andere Erinnerungen leben … –
Taskamore leitet auf der Jacht die notwendigen Arbeiten. Hier im Tempel wohnen seit zwei Tagen nur Margot, ich und Hondu.
Der Puma teilt seine Anhänglichkeit nach genau geregelten Stunden. Tagsüber gehört sie einer verbitterten, schönen Frau und mir. Nachts spielt er Wächter bei Margot. Sie hält sich fern von den anderen, tiefe Schwermut liegt über ihrem Wesen, wie Gewittergewölk. Wenn ich mit ihr spreche, habe ich stets den Eindruck, daß ihre Gedanken in die Ferne schweifen oder im eigenen Herzen etwas zu düsterer Glut entfachen, das mir unverständlich. Sie bleibt verschlossen, und die Vermutung, sie trüge doch noch ein Geheimnis mit sich als schwere Bürde, will sich aus meinem Ideenkreis nicht bannen lassen.
Ein scharfes Kratzen an meiner Tür …
Und mit einem Schlage bin ich nicht mehr der nachdenkliche Chronist, sondern der bewegliche, sprungbereite El Gento.
Hondu ist es. Der Puma … Mit lautlosem Schritt tritt er ein, scheuert den Kopf an meinem Schenkel … Geht weiter, tut sich neben dem Tische nieder und blickt mich mit Augen an, in denen herbe Trauer blinkt.
Sein Erscheinen weckt meinen Argwohn.
Mehr als das: Angst um die Frau, die irgend etwas in ihrer Seele verschließt!
Ein Griff nach der Büchse und Laterne …
Ich stehe vor Margots Tür …
Offen diese Tür … Leer das Gemach … Mein Ruf bleibt ohne Antwort. Meine Augen finden das flüchtig beschriebene Blatt, das da auf dem Kissen des Bettes liegt.
Abelsen, Taskamore, ihr alle, die ihr es gut mit mir meintet …! Ihr alle – lebt wohl! Margot Brunce verläßt euch für immer. Vielleicht deshalb, weil sie sich ihrer Schwäche schämt … Ich habe Reginald doch geliebt. Und dann ist da noch etwas, daß ich nicht preisgeben möchte. Meine Gedanken flattern. Es war ein schwerer Kampf … – Sucht mich nicht … Gönnt mir den Frieden. – – Lebt wohl! Ich danke euch.
Margot.
– Das war um Mitternacht. – Wir haben gesucht. Wir haben weder Lord Reginalds Skelett, das nach England gebracht werden sollte, noch Margot gefunden. Vier Tage haben wir La Terrosa durchstreift – – umsonst. Sogar Hondus feine Nase hat versagt. Die Frau, die noch irgend ein Geheimnis verbirgt, blieb verschwunden.
Am fünften Morgen verließ die Jacht den Binnensee. Cambrios und seine Gefährten werden in London eine neue Heimat finden. Taskamore und ich behalten die alte Heimat: Die ganze Welt! Und Hondu bleibt bei uns.
Wir winken den Scheidenden nach, – – und das Schiff wird kleiner und kleiner …, ein Punkt am Horizont, – – dann nichts mehr.
Nun haben wir drei den uralten Maya-Tempel ganz für uns. Und haben den Kutter der Flüchtlinge und Lord James’ Motorboot.
Freund Kamo legt mir die Hand auf die Schulter.
„El Gento …!!“
Der Puma Hondu sitzt vor uns.
„… El Gento, mein weißer Bruder, glaubst du, daß Margot den Tempel verließ?! – Ich nicht! Wir werden warten … Der Tag wird kommen, an dem die festen Gemäuer und die Stollen im Innern der Erde auch das Letzte preisgeben … El Gento, wir werden sehen …“
Die Morgensonne zieht Silberstreifen über das Meer. Hinter uns in den grünen Dächern der Urwaldriesen lärmen die Affen, die weißen Aras und die bunten Papageien.
Taskamores Bronzegesicht leuchtet im Widerschein des Morgenglanzes … Die stille, große, heilige Ruhe der Freiheit liegt in dem versonnenen Blick seiner Augen. Dann richtet er sich straffer auf.
„Komm, Olaf, … Gehen wir in die Grotte des Pandanus, wo du den Wurzelstock mit Dynamit sprengtest, und die andere Höhle freilegtest … Die Zauberrute der seltsamen Frau zuckte wie der Lebensnerv eines lebenden Wesens. Geschah es nur infolge der wenigen Kostbarkeiten, die wir fanden?! – Komm, wir sind allein … Der Tempel wird uns beherbergen, bis …“
Und den Satz beendete er nicht.
Federnden Schrittes tauchte er im Dickicht unter …
Hondu, der Puma, jaulte plötzlich in langgezerrten Dissonanzen …
Der Urwald nahm uns auf, und die Steinquadern der Mayas grüßten uns mit ihren verwitterten Behängen von Lianen und Dornen …
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