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An den Feuern der Ewigkeit

 

 

Olaf K. Abelsen

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

An den Feuern der Ewigkeit

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a. d.

Schwedischen von

M. Schraut

 

– Band 26 –

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1931 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel.

Das Grauen des Ungewissen.

Der Puma Hondu hatte während unseres Rückmarsches zum Maya-Tempel einen armen alten Affen erwischt und lag kauend und Knochen knackend vor uns im Grase des quadratischen Hofraumes.

Freund Taskamore und ich saßen auf dem Postament des Götzenbildes inmitten der grünen Wildnis und schwiegen uns aus. Unsere Gedanken kreisten desto lebhafter. Der Abschied von Lord James Sheridan, seiner Schwester und den übrigen Kampfgefährten der letzten, ereignisreichen Woche war uns doch recht nahe gegangen.

„Abelsen“, hatte der Lord noch zuletzt zu mir gesagt, „falls Sie meine Schwägerin Margot finden sollten, geben Sie mir sofort Nachricht …“

Margot finden?!

Weilte sie überhaupt noch hier auf der großen Halbinsel La Terrosa, die ihres Gatten Eigentum gewesen und die nunmehr ihr allein gehörte?!

Wir wußten es nicht.

Lord Reginald Sheridans Skelett, das von den roten Ameisen so restlos kahl gefressen war, hatten wir genau so wenig gefunden, wie seine wortkarge, tapfere Frau. Nur sie konnte es drüben aus der offenen Grotte am Nordostufer entfernt haben. In aller Stille hatte sie uns verlassen. Ihre Abschiedszeilen waren schlicht und dankbar und doch ein neues Rätsel.

Taskamore hob den Kopf und schaute nach dem Stande der Sonne.

„Gewitter …“, sagte er nur. „Sehr bald … Auf See mag das Unwetter bereits toben.“

Er mußte es wissen. Im Voraussagen von Naturereignissen war er mir weit überlegen.

Ich beobachtete die Wolkenwand, die sich der Sonne näherte, und so dünn und zart diese Wolkenschleier auch zu sein schienen, – ihre Farbe verriet vieles.

Die Hitze wurde fast lähmend. Die Luft war gesättigt mit elektrischem Fluidum, und das Getier der tropischen Wildnis, in der dieser uralte Maya-Tempel sich erhob, verkroch sich eilends in seine Schlupfwinkel.

Hier an der südlichsten Grenze Mexikos, umspült von den Wogen des Pazifik, hatten sich auf La Terrosa Pflanzenwelt und Tierwelt in üppigstem Maße, ungehindert und ungestört durch Sendboten der fragwürdigen Kultur, zu einem Wunderlande an Vielseitigkeit entwickelt.

Ein fernes Grollen trieb mich von dem Steinsockel hoch.

„Freund Kamo, mit der geplanten Jagd drüben in der Steppe wird es doch nichts. Holen wir die Laternen.“

Taskamore, Sproß eines berühmten weißen Abenteurers und kriegerischer indianischer Ahnen, meinte wortkarg:

„Eine genügt, El Gento. Bringe auch Lassos mit.“

Ich warf ihm einen prüfenden Blick zu.

„Lassos?!“

Sein Bronzegesicht verriet nichts.

„Ja … Margot Sheridans Entschluß ist töricht.“

„Und wozu entschloß sie sich?“

„Beeile dich …! Im Stollen ist es trocken. Hier wird sehr bald der Regen herabstürzen.“

Kamo hatte entschieden seinen besonderen Tag. Er gab mir Rätsel auf. Kannte er Lady Margots Verbleib?!

Ich schritt zum Eingang des Südflügels. Der Tempel bildete ein mächtiges, innen offenes Viereck, und ihn zu betreten war für den Uneingeweihten fast sicherer Tod.

Droben in meinem Gemach, das einst Lord Reginald als Arbeitsraum gedient hatte, füllte ich schnell die beiden Karbidlaternen und nahm für alle Fälle noch eine Blechbüchse Karbid und etwas Proviant mit. Taskamores Andeutungen hatten mich nervös gemacht. Oder lag es an der Gewitterluft?!

Mein Blick überflog das Holzregal mit den verschiedenen Vorräten. Ich hatte die Karbidbüchsen noch morgens gezählt. Es waren bestimmt vierundzwanzig gewesen. Jetzt – – waren es nur zwanzig. Eine trug ich in dem Wildlederrucksack. Wer holte die anderen drei?!

Margot Sheridan?!

Hatte sie die Zeit, als wir am Strande der Jacht Hamilton nachgewinkt hatten, dazu benutzt, dem Tempel einen Besuch abzustatten?!

Als ich vor Taskamore stand, war die Sonne verschwunden. Das Gewölk hatte sich schwarz gefärbt mit fahlgelben Streifen und Rändern.

„Gehen wir …“, – und Kamo griff nach der Büchse, gab Hondu einen leichten Schlag und schleuderte die Reste des armen Affen in die Dornen.

Gehorsam schlich der Puma hinter uns her.

Wir lüfteten die Steinplatte, ließen sie nachher wieder herabfallen und begannen die Wanderung durch den endlosen Felsengang, den die Maya-Priester hier einst angelegt hatten.

Der Laternenschein huschte vor uns her und enthüllte die saubere Bauarbeit eines einst so reichen und tapferen Volkes, das dann erst durch die Habgier weißer Europäer zu jämmerlichen Sklaven hinabsank, bis aus fremden Eindringlingen und Urbevölkerung ein neues Mischvolk voller Intelligenz und Freiheitsdrang sich entwickelte.

Die Totenstille in dem gemauerten Stollen, dessen Boden handhoch ein brauner Staub bedeckte, wirkte heute auf mich niederdrückender denn je. Irgend etwas regte sich in meiner Seele, das fast an Grauen grenzte. Ich begriff mich selbst nicht.

Der riesige Schatten Hondus, der über Staub und Mauern dahinglitt, hatte etwas nervenpeinigendes, und Kamos Schweigsamkeit trug noch dazu bei, meine innere Unausgeglichenheit zu steigern. Ich fühlte, daß mir der Schweiß über Stirn und Wangen lief, und mein Herz hämmerte dumpf, als ob ich in verdorbener Luft mich bewegte. Der Modergeruch, hervorgerufen durch Sickerwasser und schlammige Pfützen, beklemmte mir die Brust, und der Atem pfiff mir über die Lippen wie überhitzter Dampf.

Taskamore blieb stehen. Wir hatten die Stelle erreicht, wo der Seitenstollen abzweigte und die Steinquadern der Decke sich öffnen ließen.

Gleich darauf standen wir in der Baumhöhle.

Freilich, von dem Wurzelstock des mächtigen Pandanus war nichts mehr übrig. Das Dynamit hatte den Urwaldriesen auch droben im Freien, wohinauf er seinen gewaltigen Stamm einst reckte, zu Fall gebracht. Dort, wo einst die Priester ein Bäumchen vor Hunderten von Jahren gepflanzt hatten, gähnte ein Loch, und noch tiefer eine Erdhöhle, aus der wir die goldenen Tempelgeräte, hölzerne Götzenbilder, Tonkrüge und viele andere Dinge von Altertumswert hervorgeholt hatten.

Kamo leuchtete hinab.

Der grelle, kalte, weiße Lichtschein traf eine zusammengekauerte Gestalt, die ein flaches Stück Holz dicht vor die bebrillten Augen hielt.

Dann schaute der Fremde zu uns empor und sagte in reinem Englisch:

„Ein außerordentlich interessanter Fund, meine Herren …“

Der alte Mann mit dem verwitterten Gesicht sprach mit der ganzen Inbrunst eines fanatischen Gelehrten, der nur für die Dinge sich begeistert, die seinem Spezialfach naheliegen.

Er war in derbes gelbes Leinen gekleidet, trug im Gürtel zwei Pistolen, auf dem Rücken eine Art Tornister und dazu einen Tropenhelm von mäßiger Sauberkeit.

Neben ihm stand eine kleine Laterne, die er abgeblendet hatte, als er unsere Schritte vernahm.

Das ungeheure Krachen des Donners über unseren Köpfen verschlang seine nächsten Worte. Durch das Loch in der Höhlendecke prasselte der Regen herein, und der Fremde rutschte mehr zur Seite.

Als der Nachhall des Donners verstummt war, erklärte der bartlose Herr von neuem:

„Professor Allan Allison, London …, ein Freund Lord Edwards Sheridans, der La Terrosa seinerzeit kaufte. Allerdings war ich ein Jüngling, und Mylord zählte fast siebzig. Mein Vater war Hausmeister auf Sheridan-Castle, und Mylord ließ mich studieren. – Sie haben doch nichts gegen meine Anwesenheit einzuwenden, meine Herren? Ich bin Forscher, nichts weiter, und ich kann Ihnen jetzt schon versichern, daß diese Bilderschrift auf diesem Holze geradezu wunderbare Entdeckungen verspricht. – Warten Sie, ich komme zu Ihnen, – hier wird es mir zu feucht.“

Der alte Herr sagte mir zu.

Leute, die so erstaunlich selbstverständlich auftreten, sind nicht wissenschaftliche Narren jener Art, die, sobald das Fachinteresse fehlt, blind durchs Leben gehen.

Ich streckte ihm die Hand hinab, um ihm aus dem Loche emporzuhelfen.

„Besten Dank …“ – Er betrachtete uns höflich, musterte den Puma, der sich etwas zusammengeduckt hatte, mit erhabener Gleichgültigkeit und meinte, auf unsere Büchsen deutend:

„Sie schleppen ja ein ganzes Arsenal mit sich herum. Reiherjäger?“

„Auch das“, erwiderte Taskamore und behielt die lange, dürre Gestalt fest im Auge. „Wann kamen Sie hierher, Mr. Allison?“

Der Gelehrte brachte eine Uhr in einer wasserdichten Nickelkapsel zum Vorschein und rechnete nach. „Um sechs Uhr früh landete ich am Nordwestufer hinter dem langen Riff, um sieben hatte Juan, mein Diener und Bootswart, das Frühstück fertig, um halb acht fand ich die Spuren, die in die offene Grotte führen und sah die Falltür und drang hier ein. Es ist jetzt genau zehn.“

Er schob seine Zwiebel wieder in die Tasche und hielt uns das Holzstück hin, das etwa wie ein Ruderblatt aussah und über und über mit rot und blau gefärbten Schnitzereien bedeckt war. „Herstellungszeit etwa 1430“, erklärte er in ganz anderem Tone. „Es handelt sich um eine sogenannte Pasisto, eine behördliche Urkunde. Die Kunst der Bildschrift war damals auf dem besten Wege, sich in Buchstaben umzugestalten, das Eindringen der Spanier jedoch vernichtete diese Aufwärtsentwicklung, die wir in China, Ägypten und Europa in derselben Epoche bereits bis zu einem Maße vorgeschritten sahen, daß …“

Mein unmerkliches Lächeln brachte den Professor aus dem Konzept.

„Langweilt Sie derartiges? – Wie war doch Ihr Name?“

Er war gekränkt, und er fuchtelte mit dem schweren, unverwüstlichen Holzstück erregt umher.

Auch Freund Kamos Lippen zuckten. Leute wie Allison sind wie die Kinder, die bitter empört sind, wenn man ihren harmlosen Spielen wenig Beachtung schenkt.

Mein Name?! – Es war immerhin vorsichtiger, zunächst das Inkognito zu wahren.

„Gento“, sagte ich, und auf Taskamore deutend: „Mr. Tounens …“ – Auch das war nicht ganz gelogen.

Allan Allison salutierte mit seiner Hartholzlatte. „Sehr erfreut … – Haben Sie hier vielleicht Lord Reginald Sheridan getroffen? In dem elenden Hafennest Tiplaxan sagte man mir, seine Jacht müsse hier irgendwo ankern. Ich hätte ihn sehr gern gesprochen. Es soll hier einen sehr gut erhaltenen Maya-Tempel geben, der mich wahrscheinlich monatelang beschäftigen wird. – Oh, – war das wieder ein Blitz!! Aber Vulkanausbrüche sind zuweilen noch lärmender, und meine Studien der Eruptionszeiten haben mich schon wiederholt in äußerst unangenehme Lagen gebracht. Jedenfalls bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß Mittelamerika einst mit den Großen Antillen, Florida, den Bahamainseln und Nord-Südamerika ein geschlossenes Landgebiet bildete und daß erst vulkanische Einflüsse das Meer diese Länderstrecken überfluten ließ, die übrigens ein gewaltiges Gebirgsland gewesen sein müssen. Die auffallende Erscheinung im Karibischen, daß neben Tiefen von nur sechzehn Metern Abgründe von viertausendfünfhundert und …“

„Lord Reginald ist tot“, unterbrach Taskamore ihn mit höflicher Bestimmtheit. „Die Jacht „Hamilton“ verließ heute früh mit Lord James die Halbinsel. Ihnen dürften diese Namen nicht fremd sein, Mr. Allison.“

Der hagere Gelehrte betrachtete sein kostbares Brett. „Fremd?! Lord James?! Lord Reginald?! Ich bitte Sie, – – fremd?! Wir sind Freunde. Und Sie?!“

Hinter den blanken Brillengläsern blickten uns ein paar verwaschen-graublaue Augen jetzt mißtrauisch-zerstreut an.

„Auch Freunde …“, entgegnete Kamo sichtlich belustigt.

„Hm … Lord Reginald also tot … – Und Lady … Lady, – – nun, seine Gattin?“

Ein großer Diplomat war er nicht. Man klopft bei zweifelhaften Anlässen geschickter auf den Busch.

„Lady Margot ist leider verschwunden“, erklärte Taskamore mit so großem Ernst, daß Allison den Kopf horchend auf die Seite legte.

„Ver…schwunden?“, reckte er das Wort ungewöhnlich lang. „Das ist sehr merkwürdig. Ein Toter, eine verschwundene Dame, eine heute früh in See gegangene Jacht, die ich nicht bemerkte und …“, – dann wieder der prüfende Blick.

Das Toben des Gewitters nahm zu. Durch die breite Öffnung der Höhlendecke, die noch vor einer Woche durch den Riesenstamm des Pandanus ausgefüllt worden war, ergoß sich eine Sintflut in das unregelmäßige Erdloch des auseinander gesprengten Wurzelstockes. Blitz folgte auf Blitz, trotz der Vormittagsstunde war es draußen finstere Nacht, und das fahle Aufleuchten der elektrischen Entladungen, das ohrbetäubende Knallen und Knattern der Donnerschläge bildeten eine übertrieben urwüchsige Begleitmusik zu Professor Allisons faden Redensarten.

Taskamore hatte sich auf ein dickes Wurzelstück gesetzt und blickte wortlos zu Allison empor. Er lächelte nicht mehr, in seinen Augen war ein harter, kalter Glanz. Wie spielend legte er die Büchse über die Knie und strich mit den Fingern über den stark geölten Kolben. In dieser fieberschwangeren Treibhausluft von Terrosa mußte man die Waffen sehr sorgsam behandeln.

Allison schien auf irgend eine Entgegnung zu warten. Sie kam nicht. Ich streichelte, halb benommen, Hondus Katzenkopf und fühlte nur wieder jenes klare und doch so schwer zu ergründende Unbehagen, das seit dem Betreten des Hauptstollens auf mir lastete. Die Geister all der Generationen von Maya-Priestern, die hier einst ihren blutigen Götzen blutige Menschenopfer dargebracht und in schrankenloser Willkür als geheime, unheimliche Kaste ein ganzes Volk schamlos ausgenutzt und die dann doch vor dem künstlichen Donner der wenigen plumpen Luntenflinten spanischer Eroberer so jämmerlich feige kapituliert hatten, – all diese blutbesudelten Gaukler einer machthungrigen Sekte schienen unsichtbar durch diese Höhle zu schweben und mit eisigen Krallenfingern meine Brust zusammenzupressen.

Ein Zustand, den ich bisher kaum gekannt hatte.

Etwas so Außergewöhnliches, daß sogar die Schweißabsonderung der Haut nachließ und ich nur das Empfinden stetigen Fröstelns hatte.

Aus irgend einem Grunde brannten auch die Laternen trüber als bisher, ihre sanft zischenden Leuchtzungen krochen in die Öffnungen der Brenner zurück, und der trotz der Regenschnüre zu uns hineinfallende Lichtschein der Blitze zeigte uns in kurzen Pausen unsere glänzenden, mit klebrigem Fett der Drüsen bedeckten, unnatürlich farblosen Gesichter.

Kein Zweifel, daß nun auch Taskamore und Allison von diesem selben Grauen befallen waren. Der Professor verriet in seiner Haltung eine zerfahrene Hilflosigkeit. Sein Kopf drehte sich hin und her, als ob er nach der Ursache dieser seiner Angst und Ratlosigkeit suchte. Trotzdem gewahrte ich erst jetzt in seinem Gesicht gewisse Merkmale erhöhter Energie. Seine stark gebaute Kinnpartie, über der ein schmaler, fast lippenloser und daher grausam-höhnischer Mund durch die dicke, plumpe Nase beschattet wurde, zeigte je drei tiefe Kerben von den Mundwinkeln bis zu den Faltenwülsten des Halses. Dicke Schweißperlen standen in diesen Kerben wie erstarrte Glastropfen. Die Backenknochen drängten sich weit vor, und dieses eckige Antlitz entblößte jetzt erst seine wahren Züge: Die eines klugen, kühlen, unbeugsamen Charakters. – Allan Allison war kein einseitiger, von Wissensdurst besessener Gelehrter. Wir hatten uns in ihm getäuscht.

Und Taskamore?

Er hatte das Kinn jetzt in die Linke gestützt und saß da wie jemand, der all seine Sinne anspannt und weiß, daß etwas geschehen wird.

Wie einer, der wartet … – Worauf?! – Dennoch hatte seine Körperhaltung etwas Tierhaft-Machtvolles, etwas von einem Jaguar, der ein Unheil wittert, sich sprungbereit hält, aber nicht weiß, woher der verderbliche Vorstoß erfolgen wird.

Der vierte von uns, selbst ein Tier, lag flach neben mir, den runden Katzenkopf auf die Vorderläufe gedrückt, die Ohren so weit zurückgelegt, daß ihre hellen Innenhaare wie weiße Flecke erschienen, der lange, dicht behaarte Schweif hielt sich reglos, und die Hinterbeine waren halb angezogen, als ob Hondu mit gleitendem Satz dort hinabschnellen wollte, wo jetzt der Wolkenbruch des Gewitters von der benachbarten Talwand mit ihrer Krone von eng ineinander verschlungenen, tausendfach durchrankten Riesenstämmen ganze Bäche in das Loch der Höhlendecke hineinspie und die erdige Tiefe im Umsehen bis zum Rande füllte.

Vielleicht hatte La Terrosa seit Jahrhunderten kein Unwetter erlebt wie dieses. Blitz folgte auf Blitz, die Salutschüsse des Himmels wurden zu einer fortwährenden Kanonade, – – dann ein paar Sekunden Stille, ein überlautes Rauschen und Pfeifen und Knistern, und mit einem Getöse, als ob die Erde auseinanderrisse, stürzte einer der Baumgiganten, der sich vom Talrande gelöst haben mußte, über die Deckenöffnung. Erde, Äste, Grasklumpen flogen herab, – ein noch stärkeres Getöse setzte ein, und um uns her zitterten die gemauerten Wände, – hinter uns im Stollen krachte und polterte es, vor uns brach der Stollen bis zu schmalem Schlitz zusammen, und durch diese enge Spalte wand sich verzweifelt ein Mensch hindurch, – nur ich sah es, ich sprang zu, ich riß das leichenblasse, leichte Geschöpf im letzten Augenblick in meine Arme und schleuderte es rückwärts, denn über mir brachen die Quadern, polterten herab, die eine streifte meine Schulter, aber ich entging dem Tode.

Um uns her jetzt nichts als blendender Staub, brauner Staub, in Jahrhunderten hier angesammelt, nie mehr zum quirlenden Leben erweckt, – erst jetzt, wo die geheimen Gänge der Maya-Priester zusammenkrachten unter dem Druck der Erdmassen und der Urwaldgiganten, die durch die Wucht des Regens – ein Erdrutsch – hinabsausten über die Höhle, die für vier Menschen und einen Puma zum Todeskerker geworden …

 

2. Kapitel.

Die eisernen Haken.

„… Mein Vater hat sehr spät geheiratet“, sagte Magneta Allison halblaut zu mir, als sie mir half, eine spärliche Konservenmahlzeit zusammenzustellen. „Sie haben richtig geraten, Mr. Gento, ich bin zwanzig Jahre alt …“

Taskamore und Allison untersuchten drüben die Einsturzstellen. Zwischen Magneta, mir und Hondu hatte sich bereits in diesen drei Stunden eine vertrauensvolle Kameradschaft entwickelt.

Drei Stunden … Am besten gekennzeichnet durch den Ausdruck: Hoffnungslosigkeit!

Wir gaben uns über unser Geschick keinerlei schöngefärbter Täuschung hin. Wir hatten, umfangen von Totenstille, die Stollen und die Höhlendecke immer wieder geprüft. Daß Kamo und der Professor erneut nach einer Stelle suchten, wo vielleicht ein frischer Lufthauch die Verbindung mit der Oberwelt verraten könnte, war mehr Ablenkungsmanöver für die verstörten Gemüter.

Auch Magnetas Stimme flatterte seltsam unausgeglichen. Absichtlich hatte ich das Gespräch auf sie selbst gebracht. Ein Mädchen von ihrer wunderbaren Schönheit mußte eitel sein.

Aber auch das täuschte.

Genau wie wir uns über Allison getäuscht hatten.

Magneta fügte hinzu: „Ich bin zwanzig und fühle mich wie fünfzig. Seit drei Jahren sind wir fast ohne Unterbrechung durch die tiefsten Wildnisse Mittelamerikas und Südamerikas gestreift. Jeden Vulkan haben wir erstiegen, jeden erloschenen Vulkan haben wir bezwingen wollen. Sie hüten ihre Geheimnisse. In den einen drangen wir hundert Meter tief ein, – dann kam ein Abgrund … Ein hinabgeworfener Stein oder Felsblock verschwand in der Finsternis und schlug nirgends auf. Vater ist zäh. Vater wollte siegen. Und sein Fanatismus begeisterte mich mit. Es waren Jahre, Mr. Gento, die dreifach, zehnfach zählen. Ich habe durch diese innige Verbundenheit mit der Natur alles abgestreift, was mein Geschlecht herabdrückt in eine zweitklassige Welt. Ich bin nicht gelehrt, bin nicht Blaustrumpf, ich bin nur durch eine Fülle von Wundern gegangen, und diese Schule läßt mich die Torheiten der Frauen belächeln. Ich kenne unzählige von ihnen, die daheim in London oder sonstwo mühselig mit den wissenschaftlichen Fortschritten der Männer gleichen Schritt hielten und nachher anmaßend und dünkelhaft wurden, – ohne Grund. Sie kennen wohl jene „Bescheidenheit“, Mr. Gento, die das heutige Mannweib auszeichnet. Klägliche Verlogenheit, Pose, – nichts weiter.“

Sie blickte von dem Aluminiumteller auf, und ihre großen, dunklen Augen lachten mich an.

„… Nettes Gespräch für lebendig Begrabene!!“

Sie hatte sich den Staub weggewaschen, ich sah noch immer wie ein Mohr aus.

„… Da, Ihr Puma streicht so ruhelos umher … Armer Kerl! Falls wir hier nicht ersticken, wird er wohl daran glauben müssen … Hunger kennt kein Gebot. In Columbien haben wir einmal zwei Wochen mitten in den Anden nur Eidechsen gegessen. Seitdem mag ich keine Eidechse mehr sehen. Vaters Magen ist weniger wählerisch.“

Kamo und Allison kehrten zu uns zurück. Ihre Gesichter glichen dem meinen. Wir mochten das in dem Erdloch angesammelte Wasser nicht zum Waschen vergeuden. Es versickerte ohnedies nur zu schnell in unbekannte Tiefen.

Der Professor setzte sich auf einen Stein und erklärte mit einer Gemütsruhe, die infolge der Anwesenheit seines einzigen Kindes beinahe den Eindruck rauher Brutalität machte: „Luftzufuhr ist wohl genügend vorhanden, aber der Hunger dürfte uns allen den Rest geben. Es sei denn, daß die Schiffsbesatzung uns ausgräbt. Juan ist ein schlauer, zuverlässiger Bursche, der schon deinetwegen, liebe Eta, nichts unversucht lassen wird, uns zu finden.“ Der gutmütige Spott des letzten Satzes schwächte das unverhohlene Eingeständnis, daß Befreiungsversuche unsererseits von vornherein zwecklos seien, wohltuend ab.

„Juan ist nämlich ein Neger“, warf Miß Allison belustigt ein. „Treu wie ein Pudel und schwarz wie ein Pudel.“ Sie aß ihren Anteil Büchsenfleisch sehr zierlich mit rasch geschnitzten Stäbchen und meinte dann ganz sachlich: „Vater, die Luft hier muß mit natürlicher Kohlensäure vermengt sein. Ich habe einen arg benommenen Kopf, und die Laternen brennen trotz der blank geputzten Scheiben sehr trübe.“

Allison antwortete nicht sofort.

„Verhaltet euch einmal ganz still“, bat er dann.

Das lähmende Schweigen in dieser halb eingestürzten Höhle, in der Mauerbrocken, Felsstücke, Holztrümmer und heller Sand und braune Staubmassen wild durcheinander lagen, währte noch keine halbe Minute, als nebenbei aus dem lehmigen Tümpel ein schwaches Puffen erklang.

Ich zog Hondu näher heran, damit auch er sich nicht rühre, und dann warteten wir.

Allison schaute auf seine Uhr. Taskamore hatte die Laterne hoch erhoben, und ihr Licht ließ die Oberfläche des Wasserloches wie gelbbraunen glänzenden Sammet leuchten.

Plötzlich wölbte sich in der Mitte des Regentümpels die Oberfläche zu einer flachen Glocke, die mit einem harmlosen „Puff“ zerplatzte.

„Kohlensäure!“, sagte der Professor und steckte die Uhr in die Tasche. „Die Blasen steigen in Zwischenräumen von genau achtundzwanzig Sekunden auf. Wenn Sie, Mr. Gento, Ihren Puma nicht sterben lassen wollen, binden Sie ihn dort oben auf den Steintrümmern fest. Kohlensäure ist schwerer als Luft, und Hondu atmet sie am ersten ein, weil er weit kleiner ist als wir.“

Allan Allison hatte gute Nerven. Nicht jeder hätte diese neue Gefahr so nebensächlich abgetan.

Mir erklärte das Vorhandensein von Kohlensäure in der Luft so mancherlei:

Als ich mich erhob, taumelte ich leicht. Und als ich Hondu am Nackenfell emporhob, knickte er mit den Hinterbeinen ein und fiel halb zurück.

„Das ist am schlimmsten“, meinte Allison achselzuckend. „Wir wollen uns darüber klar sein, daß wir vielleicht noch acht Stunden zu leben haben. Oder aber …“ – er griff nach dem Holze mit der bunten Bilderschrift – „diese Zeichen reden die Wahrheit, und wir finden den Weg in die Tiefe.“

Ich hatte Hondu in die Arme genommen und schleppte ihn auf den Trümmerhügel, wo ich ihn festband. Auch meine Gedanken flossen zäh und schwer wie krankes, verdicktes Blut. Allisons Worte erreichten mein Ohr nur wie aus weiter Entfernung. Erst als ich mich wieder niedersetzte, schien auch Magneta den Sinn der Sätze ihres Vaters richtig erfaßt zu haben.

„Ein Weg in die Tiefe?“, fragte sie mit etwas farbloser Stimme.

„Ja!“

Und dieses energische „Ja“ kam nicht über Allisons dünne Lippen. Taskamore hatte es ausgesprochen.

„Ich habe es geahnt“, fügte er schlicht hinzu. „Ich konnte mir nicht denken, daß die Maya-Priester nur deshalb hier in der Höhle den jungen Pandanus eingepflanzt hatten, damit seine Wurzeln, die mit ihm im Laufe der Jahre wachsen mußten, einige Goldgeräte und Götzen verbergen halfen. Nein, diese zweifellos sehr feierliche Pflanzung des Pandanus, dessen Krone schon damals über die Höhlendecke hinausgeragt haben muß, dürfte einem doppelten Zwecke gedient haben. Sie verbarg, was versteckt werden sollte, und sie blieb ein Zeichen für spätere, eingeweihte Geschlechter, wo der Zugang zu einer unterirdischen Welt, wahrscheinlich einer sehr großen Höhle, zu suchen sei. Auf diese Gedanken brachte mich erst Lady Margot Sheridans spurloses Verschwinden. Selbst Hondus feine Nase versagte, als wir die ganze Umgebung nach ihr durchstreiften. Wo konnte sie also geblieben sein?! Doch nur in geheimen Räumen hier irgendwo im Gebiet des Stollens und seiner Abzweigungen. – Es war eine Vermutung von mir. Sie, Mr. Allison, haben sie bestätigt.“

Der Professor nickte. „Leuchten Sie mir, und ich will Ihnen die Bildschrift deuten. Stehen wir aber besser auf … Die Kohlensäure wird lästig. Der Kopf ist mir schwer wie Blei.“

Drei Menschen umstanden ihn, – zwei davon, die der geheimnisvolle Wind des Schicksals vom Norden Kanadas hinabgeweht hatte bis in die Fieberregion der Tropen. Die dritte, ein junges Weib, Gefährtin ihres ehernen Vaters seit Jahren, hinausgewachsen über alle Weichlichkeit und Kleinlichkeit ihres Geschlechts, ein Mädchen mit einem Körper von Stahl, einer Seele wie eine reine Quelle und dem freien, ruhigen Blick derer, die sich zur Natur zurückgefunden haben.

„Sie sehen hier in der oberen Zeichenreihe“, erklärte Allison fast zu begeistert, „die Zeremonie der Baumpflanzung, die übrigens auch bei den alten Azteken, als sie noch ein winziges Volk waren, in Sümpfen hausten und schwimmende Felder hatten, genau so feierlich bei der Aussaat erfolgte. Schwimmende Felder, – es stimmt schon. Die Azteken bauten Flöße, stützten sie durch Balken, bedeckten sie meterhoch mit Erde und schufen so inmitten der Sümpfe riesige Äcker. – Sie sehen hier weiter diese Höhle, dann nur die Wurzeln des jungen Pandanus, und unter diesen Wurzeln Tempelgeräte, vieles andere noch. Es folgt nun eine Reihe von Bildgruppen, die von den ersten getrennt sind. Sie schildern, wie beim Bau dieser unterirdischen Gänge mehrere Leute starben. Die Ursache des Todes war unbekannt, – betrachten Sie bitte diese dritte Bildgruppe, und Sie werden erkennen, daß sie die Versuche wiedergibt, die Todesfälle aufzuklären. – Wir kommen zum wichtigsten … Hier ist wieder der Wurzelballen des Pandanus zu sehen, ebenso die Tempelgeräte, daneben ein Mann mit einem Grabscheit. Das heißt: Die Priester gruben das Versteckte nochmals heraus, erweiterten das Erdloch und stießen links auf Felsen – – hier bitte. – Eine weitere anschließende Bildgruppe zeigt, wie man schlaffe Körper aus dem Loche schleppt. Mithin waren abermals Priester ums Leben gekommen. Aber die anderen ließen nicht nach in ihrem Eifer, und – – fanden eine Stelle, wo aus dem Felsen Kohlensäure hervordrang. Sie sehen hier die Unzahl strahlenförmig angeordneter Kügelchen. Man grub noch tiefer, jetzt unter allerhand Vorsichtsmaßregeln. Der bloßgelegte Felsen hatte ganz unten eine wagerechte Fortsetzung, und – hier! – sehen Sie ein Loch, einen angeseilten Mann und zwei andere, die das Seil halten. – Beachten Sie eins dabei: Die Felsspalte, aus der die giftigen Gase hervordringen, liegt links von der Wurzel, das Loch im Gestein, in das der Mann hinabgelassen wird, liegt rechts von dem Wurzelstock. – Das weitere kann jeder Laie entziffern: Der Priester findet eine Höhle – hier! –, schreitet mit einer Fackel weiter und … kehrt um, läuft davon! Auch hier eine Feinheit: Der Ärmste hinkt, – betrachten Sie genau seine Beinstellung! Er wird wieder emporgezogen, – hier liegt er, sein Bein wird verbunden, er ist also irgendwie in der Grotte verletzt worden. – Die Schlußbilder zeigen uns, wie der Mann seinen Angreifer schildert, als ein phantastisches Untier, wie das Loch mit Erde gefüllt wird, wie die Geräte wieder vergraben werden und wie der heilige Pandanus – seine Wurzeln sind hier als griffbereite Menschenhände dargestellt –, das Geheimnis verbirgt. – – Zweifeln Sie an der Existenz der Höhle?“

Allisons Fanatikeraugen prüften unsere Gesichtszüge.

„Nein“, sagte Taskamore sofort. „Gehen wir an die Arbeit … Wir können es!“

Seine Hand deutete auf das Wasserloch.

Das Wasser war bis auf einen geringen Rest versickert.

Allison trat rasch an den Rand der Vertiefung und zeigte nach links. „Das hereinflutende Wasser hat einen Teil des Felsens freigelegt. Warten Sie …“

Er sprang in den morastigen Brei hinab und ließ sein Feuerzeug aufflammen, kratzte mit einem Stück Holz noch einige Lehmklumpen weg und stieß den Ast in eine Ritze des Gesteins.

„Aufgepaßt!!“

Als er das brennende Feuerzeug über die Steinspalte hielt, erlosch es sofort.

„Dies also ist die Kohlensäurequelle, und dort drüben muß sich das Loch und die Steinplatte befinden, die die Priester über den Zugang zu der großen Höhle deckten.“

Er watete hinüber, wühlte mit dem Fuße in dem lehmigen Brei, tat noch einen Schritt vorwärts …

„Ich fühle Gestein!! Reichen Sie mir einen längeren Ast, – ich …“

Allan Allison schrie gellend auf. Sein Körper verschwand blitzschnell, eingehüllt in den mit hinabschießenden flüssigen Schlamm.

Magneta hatte sich vorwärtsgeworfen, – Taskamore riß sie zurück …

Mit den gurgelnden Lauten des abfließenden Schlammes vermischte sich des Mädchens tiefes, schmerzliches Stöhnen. Aber sie war tapfer, sie weinte nicht. Sie biß die Zähne aufeinander und starrte nur, lebende Statue, dorthin, wo jetzt eine hochgekippte Steinplatte und neben dieser eine zackige Öffnung von fast anderthalb Meter Durchmesser sichtbar geworden waren.

Ein flüchtiger Gedanke ging mir durch den Kopf, wie leicht es für Lady Margot gewesen sein müsse, die Platte zu heben, ein Tau zu befestigen und Platte und Erde wieder herabfallen zu lassen.

Ich beugte mich vor …

Der letzte Rest Schlamm war verschwunden, und an der einen Seite des Felsloches bemerkte ich zwei eiserne Haken.

Es war eine der langen Strickleitern, die Lord Reginald im Maya-Tempel stets vorrätig gehalten hatte.

 

3. Kapitel.

Der Tanz der Flammen.

… Es ist das alles schließlich nur Vorspiel …

Ich hätte vieles genauer schildern können.

Was gestern dort in der Pandanushöhle[1], die nun fünf Meter hoch mit Erde und Bäumen und Ästen und Rankengewirr und Steinen bedeckt ist, sich abspielte, kann nur der Auftakt zu ganz neuem Geschehen sein.

Wir haben einen Ruhetag eingeschoben. Falls Lady Margot noch lebt, werden wir sie finden.

Daß Allison noch lebt, dankt er der Strickleiter. Er hat den Sturz in die Tiefe ohne merkliche Gemütserschütterung überstanden. Als er wieder auftauchte, glich er kaum einem Menschen. Aber uns allen war ein Bad dringend nötig.

Es dauerte übrigens nur noch zehn Minuten nach Allisons Wiedererscheinen, und dann spürten wir über uns bereits das emsige Arbeiten der farbigen Helfer. Allison hatte Juan nicht umsonst gelobt. Gegen sieben Uhr abends waren wir frei, und um acht konnten wir an Bord des alten klapperigen Schoners „Bonanza“ ein sehr kultiviertes Abendessen einnehmen. Gebadet hatten wir auch bereits, und unsere neuen Leinenanzüge, für Allisons Größe berechnet, erweckten Magnetas stille Heiterkeit.

Nun ist es wieder Abend geworden. Am Ufer der Bucht, in der die „Bonanza“ ankert, stehen zwei Zelte, und der Abendsonnenschein fällt auf mein Papier und färbt es allzu rosig.

Der Klapptisch steht dicht vor dem Zelt. Hondu beschnüffelt die Reste einer Hirschkeule, und Taskamore und die anderen sind bis auf drei Mann der Besatzung unterwegs zur Pandanushöhle. Um zehn Uhr wollen wir dort den Abstieg in die Unterwelt beginnen. Vieles muß dorthin geschafft werden. Allison ist kein Weltentramp, sondern strenger Wissenschaftler. Ich habe mich nie mit Photoapparaten oder allerlei Instrumenten herumgeschleppt. Der Professor führt alles bei sich, was ein Höhlenforscher braucht.

Wer sein Kind Magneta tauft, ist entweder ein Narr oder ein anerkannter Weiser. Allison ist weder Narr noch ein Weiser im landläufigen Sinne. Seine Theorie über die Umgestaltung der Erdoberfläche, die er uns heute beim Frühstück vortrug, imponierte mir geradezu.

Doch auch dies bleibt Vorspiel.

Anderes bedrückt mich. Allisons Diener Juan gefällt mir. Doch der Sennor Umberto, dem der schäbige alte Kahn von Schoner gehört, und die sechs übrigen „Seeleute“, – – die wünschte ich meilenweit weg. – Wir sind ihnen zu Dank verpflichtet, gewiß. Sie haben uns in emsiger Arbeit herausgebuddelt, und Allison hat jedem fünf englische Pfund Extralohn gespendet. Was die Herren sichtlich erfreute. Trotzdem: Galgenvögel bleiben Galgenvögel, und konfiszierte Gesichter, Gaunervisagen, lassen sich nicht durch klangvolle Namen wie Umberto, Jeromino, Pascal, Juarez und so weiter umkneten.

Kapitän Umberto, angeblich Italiener, ist ein Mulatte, der in Europa zweifellos längst im Zuchthaus als Altpensionär sich eingekauft hätte. Der Kerl wirkt um so abschreckender, weil er überaus eitel ist und trotz seiner reichlich sechzig Jahre wie ein Gockel im gefährlichen Alter dauernd um Magneta herumschwänzelt.

Vielleicht noch gefährlicher ist Sennor Juarez, der Steuermann, ein baumlanger Mestize, sehr wortkarg, sehr ablehnend, sehr darauf versessen, bei allem dabei zu sein.

Ein Schleicher. Einer von der Sorte, die an einem Baumast und in einer Schlinge am besten aufgehoben sind.

Sennor Juarez sitzt drüben am Heck der „Bonanza“ (was bekanntlich Goldgrube bedeutet, hier lediglich Rattenkasten) und angelt.

Weshalb soll er nicht angeln? Fische sind in Menge vorhanden.

Nur daß dieser gelbbraune, sehnige Athlet immer so merkwürdig mit dem endlos langen Bambusstock hin und her fuchtelt, erregt so allmählich mein Mißtrauen.

Zeichen, Signale?!

Wem sollen sie gelten?! Hier auf Terrosa befindet sich außer uns niemand. Nachmittags haben Kamo und ich drüben in der Steppe zwei Hirsche geschossen und dabei auch für alle Fälle mit Hondus Hilfe die Umgebung des Tempels nach frischen Fährten abgesucht.

Ich schreibe, und Sennor Juarez glaubt wohl, ein Mensch, der so töricht ist, Papier auf die Weise zu benutzen, könne nur ein harmloser Narr sein.

Er angelt, raucht Zigaretten, erwischt hin und wieder einen Fisch und fuchtelt … fuchtelt allzu viel.

Vor der Bucht ziehen sich haushohe Riffe hin. Einzelne so groß, daß sie mit grünem Gestrüpp bedeckt sind, Inselchen fast. – Sollte Juarez dort draußen einen teuren Amigo haben, mit dem er so etwas wie eine Zeichensprache vereinbarte?! Und ist es nicht auffallend, daß er, der seine gut geformte Nase (häßlich ist der Kerl nicht!) so schweigsam in all und jedes steckt, diesmal den Transport von Allisons Ausrüstung nicht begleitet hat?!

Da – – wieder ein Fisch!!

Und welch’ ein Bursche!!

Aber Juarez hat Pech, der Angelstock entgleitet ihm, und die Beute zieht samt Angel und Stock davon.

Juarez’ Flüche hallen bis zu mir herüber. Er springt in das kleine Boot, die beiden farbigen Matrosen lachen, gröhlen und feuern ihn an, und der Mestize hetzt mit Ruderschlägen, in denen eine gewaltige Kraft liegt, hinter der davongleitenden Bambusstange her, die wie ein Stock noch handhoch aus dem stillen Wasser ragt und andauernd die Richtung ändert.

Urplötzlich ist Leben in das stille Buchtbild gekommen.

Die Zurufe der Matrosen finden ein Echo in dem Gekreisch der Papageienschwärme, Kraniche und Edelreiher, die bisher drüben im Schilf wie versteinerte Philosophen auf Baumstümpfen saßen, streichen mit heiserem Schreien davon, eine Herde Affen schließt sich dem Konzert an, und unter dieser schrillen Musik schießt des Mestizen Boot im Zickzackkurs auf die Riffe zu.

Ein Lächeln fliegt mir um den Mund – flüchtig, drohend.

Weg mit der Feder, – „Hallo, Hondu!!“, und wir sitzen im großen Boot, das am Ufer an kurzer Leine schaukelt.

Boot?!

Die Werften in dem Räubernest Tiplaxan, woher damals auch Lord James nebst schießfreudigem Schwesterlein im Motorstänker hierher kamen, sind offenbar um fünfzig Jahre zurück. Der schwere, geteerte Kahn gehorcht kaum dem Ruderdruck eines einzelnen Mannes, ich werfe die Jacke ab, mir rinnt der Schweiß wie eine Dusche über den Leib, das Seidenhemd klebt am Körper, aber dieses Monstrum von Boot kapituliert vor meinen noch immer zähen Muskeln, und die beiden farbigen, sogenannten Matrosen betrachten mißgünstig das schäumende Bugwasser.

Der Mestize ist bereits in den Riffen untergetaucht.

„Sennor, bleiben Sie, – – Haifische!“, ruft der eine braune Schlot grinsend.

Der Federfuchser gilt auch ihnen als Narr.

Der Federfuchser hat sein Inkognito gewahrt. Kamo und ich sind Mr. Tounens und Mr. Gento, mehr nicht … Sie wissen nichts von uns, halten uns für Reiherjäger oder dergleichen. Mögen sie.

Ganz still ziehe ich die Riemen durch die blaßgrüne Flut, über der ein feiner rosiger Hauch liegt. Der Himmel flammt vor mir in den verwaschenen Farben von rot und violett, einzelne helle Wolken gleichen gefärbten, halb schlaffen, verzerrten Kinderballons … Die Riffbarriere hält die Brandung ab, die nimmer ermüdet, denn der offene Pazifik, der sich von hier endlos dehnt bis zu den fernen Gestaden des asiatischen Festlandes, kennt keine Ruhe. Draußen braust und schäumt er ohne Unterlaß, und draußen, das weiß ich, flitzen die spindelförmigen Haie umher und stellen den Fischen nach, die in den Klüften der Klippen ihren Laich ablegen. In die Bucht wagen sie sich nicht hinein. Denn La Terrosa ist das Land der Giftschlangen und der Krokodile, und heute vormittag beobachteten wir, wie ein Hammerhai aus Versehen am Außenufer der Bucht eine Moschusbestie schnappen wollte. Dem Hai bekam es verdammt schlecht. Das Krokodil dürfte für eine Woche satt sein. Merkwürdig übrigens, daß die Krokodile hier so stark nach Moschus stinken. Es sind auch nur entfernte Vettern der heiligen Nilkrokodile, sind mehr Alligatoren, aber Kerle von fünf Meter Länge lassen es den Jäger vergessen, ob Alligator, Krokodil oder Yakaree. Übles, heimtückisches Gelichter bleibt es auf jeden Fall.

Längst habe ich den famosen Schoner „Bonanza-Rattenkasten“ hinter mir. Hondu, narbenreich wie ein alter Landsknecht, schnappt nach fetten Libellen. Ich möchte wissen, was Hondu nicht frißt. Alles. Mir frißt er aus der Hand, und seine Treue gleicht der eines edlen Hundes. Wer mir Hondu als feige schilt, nur weil es ein Puma ist, würde sich eklig wundern. Ein leises Zungenschnalzen und ein Wink genügen, und Hondu fliegt wie ein Gummiball mit Zähnen an irgend eine spottlustige Gurgel, – sagen wir besser Tennisball, denn der Puma ist flinker als ein Panther.

Schwarz, mit grünen Moosflecken und oben mit kahlen Grasbüscheln und Gestrüpp liegen die Riffe da. Zwischen ihnen schmale Wasserstraßen, – ein Inselreich im kleinen. Ich habe mir die Stelle gemerkt, wo Juarez in dieses Labyrinth von Fels und Wasser einbog. Daß der Verlust des Angelstockes nur ein Trick gewesen, hätte ein Blinder mit dem Stecken gefühlt. Lieber Sennor Juarez, derartige Mätzchen verfangen bei uns nicht. Da muß einer schon sehr helle sein, uns Sand in die Augen zu streuen, und du bist gelbbraun und gar nicht hell, und dein Athletenleib und deine auf den ersten Blick annehmbare Fratze machen die Sache auch nicht besser.

Jammerschade, – – zu spät!

Juarez’ Boot schießt aus dem Kanal hervor.

Er sitzt mit dem Rücken nach mir hin, noch sieht er mich nicht, – – „Stopp, Juarez!“

Seine Riemen schleifen, er fährt herum, grinst, zeigt prachtvolle Zähne …

„Verraten Sie mich nicht, Sennor Gento“, flüstert er hastig. „Der alte Umberto ist ein Vieh, und meine Dolores ist das hübscheste Mädel von Tiplaxan …“

Boot liegt an Boot. – Juarez wird redselig. „Ich hatte Dolores an Bord versteckt gehabt, – in der vorigen Nacht brachte ich sie auf die Riffe … Sie muß doch essen und trinken, und … wir lieben uns. Ich schmuggelte allerlei hinüber. Verraten Sie mich nicht …“

Lügt er?!

Wenn er lügt, könnte er Reporter werden oder Schauspieler. Seine Aufgeblasenheit ist zerplatzt. Die kriecherische Seele grinst durch die dünne Schicht von angeborener Reserve hindurch.

„Umberto ist ein Vieh“, wiederholt er grollend. „Der alte Satan sollte …“, – das Ende des Satzes ist nicht recht wiederzugeben. Juarez deutete eine kleine Operation an, durch die einst für die Harems fette Eunuchen entstanden.

Weshalb sollte Juarez mich beschwindeln?! War seine Erklärung nicht durchaus einleuchtend?!

Ein Rest Mißtrauen bleibt. Aber es ist besser, ich schiebe diese Sache für später auf. Ist hier eine Lumperei im Gange, komme ich schon noch dahinter.

Wir rudern gemächlich zurück.

Der Mestize erzählt von Umberto Scarfo … Zwei Hafenbordelle besäße der Alte in Tiplaxan, dazu zwei kleine Schmugglerdampfer …

Und Juarez feixt. „Schmuggeln, – – Sie verstehen, Sennor … Lebende Ware … Blond wird bevorzugt. Damenkapellen, Barmädels, Gouvernanten … Der Mädchenhandel floriert nirgends so sehr wie hier und weiter im Süden …“

Wenn er nur nicht so geschwätzig wäre, der Bursche! Schlechtes Gewissen?!

… Und ich beschließe, mit Kamo zu reden. Bevor wir in die Tiefe der Erde eindringen, muß dies hier geklärt werden.

– Und nun sitze ich wieder an dem Klapptisch und habe auch dies zu Papier gebracht.

Und überlege …

Log Juarez?!

Sollen Taskamore und ich Stunden opfern, die Riffe zu durchsuchen? Wie sollten wir es Allison beibringen, daß Vorsicht und Mißtrauen sehr gute Bundesgenossen sind?! Er wird Juarez ohne weiteres glauben und wird den Aufbruch der Expedition niemals um Stunden verzögern wollen.

Die Dunkelheit kommt. Der westliche Horizont verliert seine Farben, das Grau der Dämmerung bricht über das Meer, umnebelt die Wälder der Bucht, verwischt die Konturen und zeigt das unklare Bedrohliche einer so ungewissen Beleuchtung.

Allison und die anderen müßten längst von der Pandanusgrotte[2] zurück sein.

Hondu ist davongeschlichen … Irgendwo drüben in der Steppe jault ein Pumaweibchen.

Ich rufe … Liebesabenteuer sind zurzeit wenig angebracht.

„Hondu!!“

„… Hondu!!“

Ein Echo äfft den Befehl nach …

„Hondu, hierher!!“

„Hier … her …“, äfft das Echo …

Dann trifft mich ein Stoß in den Rücken, ein paar Kerle liegen über mir, ein Hieb reißt mir die Kopfhaut auf … – –

– Und dies letzte schreibe ich bereits angesichts der Feuer der Ewigkeit.

Feuer der Ewigkeit …! – Magneta Allison hat den Ausdruck geprägt, ihr Vater hat dagegen eifrigst protestiert, aber ich finde diese Bezeichnung klangvoll und schön, obwohl ich weiß, daß unsere Mutter Erde sich sehr leicht wieder einmal derartig großzügige Scherze leisten kann wie diesen hier: Eine Riesenfalle, die über Mensch und Tier und Landschaft und Vegetation zusammenklappte und die ihren Felsendeckel wasserdicht abschloß gegen das wogende Meer, das hier hoch über uns unsichtbar lastet.

Geologen und Geographen, also Fachleute, haben die Erdentwicklung fein säuberlich in Perioden eingeteilt. Sie haben Vermutungen aufgestellt, haben Beweise hierfür gesammelt, haben als Tatsachen hingestellt, was doch nur Annahme, Hypothese bleibt. – Professor Allison hat als Außenseiter von alledem nie viel gehalten. Er ist im wahren Sinne des Wortes mit seinen Theorien volkstümlich geblieben, und sein Spezialgebiet, die vulkanischen Erscheinungen und durch Explosionen im Erdinnern hervorgerufenen Veränderungen der Erdoberfläche, wirken unbedingt überzeugend.

Daß er gegen Magnetas poetischen Ausdruck „Feuer der Ewigkeit“ Einspruch erhob, hatte im Grunde seine Berechtigung. Wer will voraussagen, wie lange diese ungeheure Höhle, von der wir erst den geringsten Teil kennen, noch bestehen wird?! Vielleicht vollziehen sich schon in diesem Augenblick, wo ich diese Zeilen beim ruhigen kalten Licht der Karbidlampe schreibe, in noch größeren Tiefen jene Umlagerungen der flüssigen und festen Bestandteile des Innenstreifens der Erdrinde, die urplötzlich diese ganze Wunderwelt austilgen und – – uns mit vernichten. Und wenn dem so wäre, das eine hätten wir fünf und Hondu doch vor allen Sterblichen voraus: Wir sahen die Träume eines Jules Verne, der die überphantastische Geschichte der Reise nach dem Mittelpunkt der Erde schrieb, in geläuterter Form Wirklichkeit werden! Wir sahen das größte Weltwunder, das je die Urkraft der Natur erzeugte.

Aber – wir sahen nichts, das irgendwie traumhaft war. Allisons logische Ausführungen und schlichten Schulbeispiele erklärten alles auf natürliche Weise. –

Wo mit der Fortsetzung des Berichtes beginnen?! Soll ich das Widerwärtige, Plumpe, rein Menschliche der Beschreibung dessen vorausschicken, was sich meinen Augen in der Ferne in unvergleichlicher Pracht darbietet?! Soll ich erwähnen, daß wir Lady Margot noch immer nicht gefunden haben?! Lebt sie noch?! Wir wissen es nicht. Fiel sie den Bestien zum Opfer, die hier scheu und blind und tückisch umherschleichen und die Gewässer bevölkern und uns zwangen, diesen Berg als Festung zu benutzen?!

Blicke ich schräg hinab in die dämmernde Tiefe, so sehe ich wandernde Lichtpünktchen – – zwei … Und drüben auch zwei. – Laternen und Menschen. Meine Gefährten. Genau so dürftig bekleidet wie ich selbst. Dreißig Grad Wärme ununterbrochen zu ertragen, macht Hosen und Jacken überflüssig. So etwas wie eine Schwimmhose genügt.

Blicke ich gen Osten, dann weiten sich die Augen. Dort leuchten die „Feuer der Ewigkeit“. In allen Farben spielen die Flammenzungen, – wie ungeheure bunte leuchtende Tücher, die eine Tänzerin hin und her schwenkt.

Flammentanz …

„Feuer der Ewigkeit …“

So unendlich winzig kommt man sich vor angesichts dieser unfaßbaren Farbenorgie, die da in meilenweiter Ferne lautlos, rastlos, aber in steter Bewegung aus den drei Feueressen des Weltenschmiedes emporloht.

Unendlich winzig.

Kein Landschaftsbild, mag es auch noch so köstlich oder trotzig oder gewaltig sein, vermag gerade dieses Gefühl auszulösen, das uns hier täglich und stündlich auf ein ganz bescheidenes seelisches, selbst errichtetes Postament herabdrückt. Die Fundamente des Bauwerks der Selbstüberschätzung schrumpfen zusammen, der zynische Spötter würde hier umgemodelt werden, der anmaßendste Vampyr der Menschheit, der nur noch in Zahlen denken kann, würde Konzerne, Transaktionen und sonstige Frevelkünste seines Götzen Mammon vergessen.

Diese Welt der „Feuer der Ewigkeit“ schmilzt alle Werte um.

Und würde ein Geistesheros erstehen, wie einst jene wahren Götter des Dichterolymp, die Unvergängliches schufen, weil ihre Ideale hoch über Zeitströmungen hinausgewachsen waren: Diese Welt zu besingen, müßte ein Gigant geboren werden, der das heilige Grauen zu zergliedern und verständlich zu machen weiß, das uns überfiel, als wir am fünften Tage endlich die Ursache des fernen hellen Glanzes in allen Einzelheiten erschauten.

Hier oben auf der flachen Kuppe zwischen Trümmern von steinernen Palästen haben wir gestanden und minutenlang uns nicht geregt und nur in uns eingesogen das große Wunder, und selbst Magnetas melodische Stimme und ihr leiser, zögernder Ausspruch über märchenhafte Schönheit klangen unendlich unbedeutend und wie eine Entweihung.

Jetzt sind es genau zwölf Tage geworden, seit wir uns hinabwagten in die ewige Finsternis. Wir sind nicht mehr die alten, – wir fühlen es, daß unsere Seelen sich umstellten, daß das Kleine und Kleinliche des Menschseins von uns abglitt. Wir haben wie von selbst all die krausen, törichten Mätzchen gestrichen, mit denen die Zivilisation, die schlimmste Verderberin der natürlichen Schlichtheit, das Treiben da oben auf der sonnenbestrahlten Erde in ungeschriebene Paragraphen zwang.

… Ein Schuß knallt in der Tiefe …

Sein Dröhnen verpufft in diesem Dom, der weder Höhle, noch Grotte, noch Granitdom ist, wie in einem dichten Walde.

Zwei wandernde Lichtpünktchen kommen näher, schleifen hinter sich her ein langes Etwas.

Ein Zuruf … – Ich muß die Arbeit unterbrechen. Unsere Festung hat eine Zugbrücke, und ich werde das Tau lösen, langsam wird das Gebälk herabsinken.

Es sind Magneta und Kamo, die beiden Unzertrennlichen.

 

4. Kapitel.

Abstieg ins Nichts.

… Sie lagen über mir wie ein Rudel Wölfe, und ihre Fäuste behinderten sich gegenseitig in dem hinterlistigen Spiel.

„Weg da! Ihr seht doch, er hat genug …“, hörte ich benommenen Kopfes das Scheusal Umberto durch die klaffenden Zahnlücken und den ranzigen Bart zischen. „Der Kolbenhieb saß … Bindet ihn!“

Bindet ihn?!

Mit einem Male verflog das blendende Sprühfeuer vor meinen Augen, das rinnende Blut bewahrte mich vor völliger Ohnmacht, und mein jähes Emporschnellen und der Hechtsprung ins laue Buchtwasser betrogen die Banditen um ihre Beute.

Glühende Eisen zischten in der Flut: Kugeln!

Ich schwamm zu tief …

Und schwamm seitwärts, erreichte mit den Händen wieder den steinigen Grund und zog mich weiter, bis ich den Kopf über dem Wasser zwischen dick bemoosten Felsbrocken und faulenden Baumstümpfen hatte.

Holte tief Atem, legte mich bequemer, hörte das Fluchen und Brüllen und das Quietschen der Bootsrollen und den ganzen, überflüssigen Lärm einer sinnlosen Verfolgung.

Wagte einen Blick zur Seite …

Einen Blick vorwärts …

Hatte Glück gehabt …

Ein halb unterwaschener Baum mit einem Wurzelgeflecht wie krauses Gitter stand in Griffnähe.

Im nächsten Moment war ich im Dickicht untergetaucht, kroch im Bogen zu den Zelten, schnitt die eine Zeltbahn auf, holte das, was ich brauchte und nicht missen mochte, und trabte davon, gen Südost.

Jeden Schritt kannte ich hier.

Die Schramme am Hinterkopf – – Spielerei! Aber die Abrechnung mit dem Gesindel – – keine Spielerei! Sennor Umberto würde sehr schlecht abschneiden bei alledem. Vielleicht würde er sogar wünschen, daß ihn jemand abschnitte, … auch das war möglich.

Ich konnte mir unschwer vorstellen, was sich in der Pandanushöhle ereignet hatte. Hinterlistige Kolbenhiebe mußten Taskamore und Allison und den schwarzen Juan sehr schnell erledigt haben – vorläufig. Mit Magneta hatten sie wohl etwas mehr Umstände gemacht – vorläufig! Und jetzt saßen sicherlich bei den Gefangenen zwei Wächter und warteten darauf, abgelöst zu werden, nachdem auch Mr. Gento mit einer gelinden Gehirnerschütterung den Ufersand der Bucht zierte.

War etwas anders gekommen! So manche Rechnung stimmt nicht. Diese schon gar nicht. Das feine Plänchen der Herrschaften hatte einige Schönheitsfehler gehabt. Selbst wenn sie mich wirklich erwischt hätten, – ob Taskamore nicht Mittel und Wege gefunden haben würde, die Gesamtlage ein wenig zu korrigieren, – ich hätte darauf jede Wette angenommen!

Der Zauber des dämmernden Tropenwaldes umfing mich mit all seinen Wundern. Das harmlose Getier war zur Ruhe gegangen, dafür erschienen all jene nächtlichen Beutemacher, die im Dunkeln, dem Lebenstrieb folgend, ihren blutigen Kampf ums Dasein ausfechten müssen. Ein Stachelschwein kreuzte meinen Weg, zweifellos ein ganz alter Herr, der die Gefahren der Wildnis kannte. Mit leisem Rasseln zog er Kopf und Beine unter den schützenden Panzer, wie sein kleinerer Vetter, der europäische Igel oder Schwinigel, den sein Wettlauf mit dem Hasen für alle Kinderherzen populär gemacht hat. Das Stachelschwein grunzte und knurrte, – schon war ich vorüber und mußte schleunigst einem mehrere Meter langen, gefleckten dicken Tau ausweichen, das sich um eine arme Moschusratte gewickelt hatte. Blumen und Baumblüten, die tagsüber ihre Kelche vor den sengenden Sonnenstrahlen geschlossen hatten, waren in der lauen Abendbrise weit geöffnet und strömten ihre Düfte in betäubenden Wolken in das geheimnisvolle Zwielicht. Ungezählte Leuchtkäfer surrten wie fliegende Laternchen durch die Schatten der Urwaldriesen, Flattertiere schwebten still durch die Luft, und ganze Trauben unbeliebter großer Stechmücken tanzten an den helleren Stellen und vereinigten die raschen Bewegungen ihrer Flügel zu einem an- und abschwellenden sanften Klingen.

Der Wald trat zurück, der Boden wurde felsig, und jene Schlucht lag zu meinen Füßen, in der vor Tagen ein ähnlicher Banditenchor wie der des Sennor Umberto Ethel Sheridan gefangen gehalten hatte. Jene farbigen, heimatlosen Strolche deckte nun der Sand der Küste. Giftige, eiserne Gebisse hatten nach den Beinen der goldhungrigen Rotte geschnappt, und uns blieb nur die Pflicht, entstellte Tote der Erde zu übergeben. – Wo waren Lord James, Ethel und die übrigen Insassen der Jacht „Hamilton“? Hatte der Orkan sie in die Abgründe des Pazifik befördert, derselbe Gewittersturm, der eine ganze Talwand ins Rutschen gebracht hatte?!

James Sheridan war mir stets sympathisch gewesen. Ein Mann. Damit war er genügend gekennzeichnet. Aber seine Schwester Ethel, diese verblüffend sichere Bogenschützin? War die Versöhnung mit Margot, die mir als Kameradin lieb und wert, wirklich aufrichtig gewesen?!

Auch die Schlucht lag hinter mir.

Ich dachte an Hondu, meinen vierbeinigen Freund. Um ihn sorgte ich mich etwas. Wenn er ahnungslos von seinem Liebesabenteuer zur Bucht zurückkehrte, könnten die Schufte ihn mir erschießen.

Hinter einer einzeln stehenden abgestorbenen Fichte trat eine Gestalt in den milden Glanz der erwachenden Sterne.

„Kamo, du … ?!“

„Kehren wir um“, sagte er nur. „Das Verscharren der beiden Toten hat mich aufgehalten.“

Sein Gang war etwas unsicher, und die Stimme auch.

„Deine Eile verrät mir, Olaf, daß du ihnen entwischt bist. Es sind Anfänger auf diesem Gebiet, und Allisons reiche Brieftasche lockte sie. Wir werden ihnen beweisen, daß auch zwei Mann mit fünf ihres Schlages fertig werden.“

Über die Vorgänge in der Pandanushöhle verlor er kein Wort.

Als wir die Bucht erreichten, war der Schoner „Bonanza“ bereits weit draußen, jenseits der Riffe. Die Zelte standen noch an derselben Stelle, und neben dem Klapptisch und meinem Tagebuch lag Hondu und wedelte uns freundlich an.

Ich berichtete Taskamore über Juarez’ fragwürdigen Ausflug nach den Riffen. Die Begleitumstände machten auch Kamo stutzig. Der Mond war soeben aus dem zarten Gewölk in breiter Sichelform hervorgekommen. Taskamore lehnte auf seiner Büchse und sein scharf geschnittenes edles Gesicht behielt die Richtung auf die hellen Segel des Schoners bei.

„Sie fliehen … Fünfhundert englische Pfund als Beute genügen ihnen“, sagte er nachdenklich. „Wir werden trotzdem die Riffe besuchen. Holen wir unseren Motorkahn.“

Der lag gut versteckt im schilfreichen Innenwinkel der Bucht. Mit diesem plumpen Ding waren James und Ethel Sheridan ganz allein von Tiplaxan herübergekommen nach La Terrosa, dem einsamen Riesenbesitz ihres älteren Bruders, den sie nur als Skelett wiederfinden sollten. Margot und Lord Reginalds weiße Knochenreste waren verschwunden. Wir standen vor neuen Aufgaben, deren Endziel Lady Margot darstellte. Diese prachtvolle Frau mit der so stark ausgeprägten Eigenart ihren verworrenen Plänen zu überlassen, wäre Undank gewesen. Eine enttäuschte Frau sagt vielleicht der Welt Lebewohl und zieht sich hinter stumme Mauern zurück. Die Riesenhöhle dort unten, von der wir noch nichts wußten, war kein Witwenheim für eine Margot Sheridan.

Der Motor sprang an. Es war so ein Ding, das polizeilich verboten werden müßte. Alle Krokodile verkrochen sich. Maschinengewehrfeuer war Kaffeemühlenknarren im Vergleich zu dem Getöse.

Hondu knurrte und jaulte.

Das ungefüge Ding von Boot schoß durch die blinkende Flut, rammte ein flüchtendes Krokodil, und die sausende Schraube gab dem Moschusvieh den Rest. Es trieb dahin, den hellen Bauch nach oben. Nicht lange. Die lieben Kollegen sind nicht wählerisch.

Taskamore steuerte. Finster und drohend lag die dem Monde abgekehrte Seite der Riffbarriere vor uns.

Ich saß auf der Ruderbank, hielt für alle Fälle die entsicherte Büchse bereit. Der Wind kam uns entgegen, und wieder knurrte Hondu dumpf. Sein Knurren hat eine besondere Note, wenn die Luft nicht ganz rein ist.

Meine Augen überflogen die Spitzen der Klippen, das Gestrüpp, die spärlichen Sträucher, die wenigen Bäume.

Ich war gewarnt, die Büchse flog empor, und der kurze, abgehackte Knall ertönte zweimal.

Drüben glitt polternd ein Knüttel ins Wasser, – auch eine Büchse.

Als wir das große Riff erklettert hatten – Hondu warnte nicht mehr – lagen da zwei der trauten Freunde Sennor Umbertos, ein drittes Augenloch in der Stirn.

„Eine Falle“, sagte Kamo und stieß die Leiber hinab in die gurgelnde See, in der die phosphoreszierenden Schatten der Haie umherstrolchten.

Es war nicht leicht, in diesem stacheligen Gestrüpp festzustellen, wen der Mestize Juarez hier verborgen gehalten hatte.

Kamo leuchtete, und ich löste von einem Zweige ein paar blonde, ausgekämmte Haare.

Doch ein Weib also!

Wir kehrten um, nachdem Taskamore in steilem Bogenschuß auch den Schoner mit einigen Kugeln bedacht hatte. Umberto Scarfo hatte nun wohl die Überzeugung gewonnen, daß er richtiger täte, sich in Tiplaxan um den Verkauf seiner Hafenbordelle zu bemühen, um einem Strick zu entgehen.

Der Schoner verschwand im milchigen Nebel des Horizonts, und wir wanderten zu dritt der Pandanushöhle zu.

Jetzt erst sah ich, welch’ gewaltige Erdmassen der Platzregen auch anderswo ins Rutschen gebracht hatte. Die offene Grotte, in der Lord Reginald als Knochenmann neben den Heereszügen der roten Ameisen in unheimlicher, sitzender Stellung damals von uns aufgefunden worden war, hatte gleichfalls gelitten. Der Seitenstollen war verschüttet, und zu dem verzweigten System unterirdischer Gänge der alten Maya-Priester gab es nur mehr hier außerhalb des Tempels den Schacht, den Umberto auf Juans Gebot graben ließ, damit er uns und Professor Allisons Brieftasche rette, wobei ihm und seinen Banditen letztere die Hauptsache gewesen, wie wir nunmehr zweifelsfrei erkannt hatten.

Neben dem Erdschacht zwischen gestürzten Baumriesen saß der schwarze Juan, ein strammer, breitschultriger San Domingo-Neger von erstaunlicher Rührigkeit, dabei ein Gentleman, der etwas auf sein Äußeres hielt. Und – ein stiller, bissiger Witzbold zuweilen.

„Ich hörte zwei Schüsse“, begrüßte er uns höflich und nahm die kurze, qualmende Pfeife aus den Wulstlippen. „Es leben also noch mehr als genug von diesen üblen Schurken.“

„Sie segeln heim“, erwiderte Taskamore.

Unten aus der Höhle meldete sich Magnetas angenehme Stimme. Es brannte Licht in der Pandanusgrotte, und des Mädchens gesundes, hübsches Gesicht lag im Sehfeld des Erdloches wie in einem dunklen Rahmen.

„Hallo, – alles in Ordnung?!“

„Alles, bis auf zwei neue, hastige Todesfälle“, rief ich ihr zu.

Die Strickleiter, die Lady Margot benutzt hatte, hing jetzt in dem steilen, engen Schacht.

Wir stiegen hinab, Hondu rutschte abwärts, riß Erdmassen mit sich und landete unten auf allen Vieren als echte Katze, schüttelte sich den Sand ab und rieb den Kopf schmeichelnd an Magnetas Hüfte.

Professor Allison saß abseits und verteilte Instrumente, Lebensmittel und vieles andere in fünf starke Rucksäcke, schaute nur flüchtig auf und murmelte eine Verwünschung. Um den Kopf trug er einen Verband. Kamo und Juan hatten blutige Beulen am Hinterkopf, die nachher bepflastert wurden.

Der schwarze Juan sagte zu seinem Herrn äußerst mißvergnügt:

„Die Brieftasche schwimmt nach Tiplaxan, Mr. Allison.“

„Versorge die Laternen mit Karbid“, meinte der Gelehrte trocken. „Die Kerle werden baumeln. Old England schickt einen Kreuzer, und die Negerrepublik von Guatemala wird vor dem Kreuzer zu Kreuze kriechen.“

„Vater hat Migräne“, erklärte Magneta wie entschuldigend. Aber sie lächelte spitzbübisch.

Das hier waren Gefährten nach unserem Geschmack.

Nicht viel Worte, – handeln, Gewesenes vergessen, – die Parole stimmte.

Allison fragte Kamo und mich: „Fünfzig Pfund? Zu viel?“

„Zu wenig“, meinte Kamo. „Viel zu wenig. Miß Magneta soll unbelastet bleiben.“

„Unsinn!“, sagte Allisons Tochter. „Ich habe stets Gepäck getragen. Vierzig Pfund für mich, Vater. Packe aber bitte das Blitzlicht zu den Zinkkästen mit den Filmrollen. Letztens lag es zwischen dem Hartzwieback.“

Juan brachte die Strickleiter nach unten, wobei er, wie vorhin Hondu, im Eiltempo durch das Erdloch sauste. Kamo fing ihn auf.

Es gab noch allerlei zu tun. Mittlerweile war es elf Uhr abends geworden.

Die Strickleiter wurde nun in dem Gestein des zackigen Höhlenzugangs befestigt, und ich ließ an einem Tau die Rucksäcke hinab. Achtzehn Meter Tiefe maß ich so.

Bevor Allison als erster den Abstieg begann, hielt er eine Ansprache, für die wir nur aus Höflichkeit Interesse zeigten.

Magneta lächelte nachsichtig. Gelehrte, selbst vom Schlage dieses Vulkanforschers, bleiben immerhin Gelehrte.

Allison schloß mit den stark betonten Worten: „Ob wir je wieder lebend die Oberwelt erreichen, ist sehr fraglich. Ich habe daher dieses Dokument verfaßt, das wir in diese Zinkbüchse hineintun und neben die Haken der Strickleiter legen werden. Das Papier besagt, wer hier in unbekannten Tiefen den Tod fand. Auch deiner habe ich gedacht, Juan, ebenso des Pumas.“

Juan verzog den Mund. „Sehr liebenswürdig, Mr. Allison. Bin ich vor oder hinter dem Puma erwähnt?“

Der Professor verstand einen Spaß.

„Vor, du frecher Heide!“

Juan kratzte seinen Wollkopf. „Fast zu viel Ehre …! – Und die Herren Tounens und Gento?“

Allison staunte. „Was soll das?!“

„Ich meinte nur, – – die Herren sind als Tounens und Gento weniger bekannt. Die Zeitungen, die wir in Tiplaxan lasen, berichteten von einer Sturmflut an der niederkalifornischen Küste, von den Verheerungen an der Eugenia-Bucht, wo die Ölfelder liegen, und von vielen Toten und Verschwundenen, darunter von einem gewissen Taskamore und Abelsen, zwei Namen, die auch anderswo bereits einiges Aufsehen erregten. Das wollte ich andeuten, Mr. Allison …“

Der Professor und Magneta bekamen große Augen.

„Stimmt das?“, fragte Allison.

„Es stimmt …“ Taskamore hakte seine Laterne vor die Brust. „Also – – Aufbruch!! Ich glaube, wir fünf passen zueinander, wie eine sorgsam ausgewählte Fußballmannschaft. Wenn nicht gerade die Naturkräfte uns vernichten, dann werden wir lebend wieder emporsteigen.“

Allison und Magneta drückten uns die Hände, und der Professor kletterte in das Steinloch hinein, packte die Leitersprossen und turnte abwärts. Als nur noch sein Kopf zu sehen war, machte er Halt.

„Freund Taskamore, ich muß Ihre letzte Bemerkung leider etwas korrigieren. Wenn meine Vermutungen über diese Unterwelt zutreffen, werden wir anderswo zur Sonne wieder emporsteigen. Doch – das können wir nachher besprechen. Ich bin kein Jules Verne, der seine Helden aus dem Erdinnern durch einen Vulkanausbruch ins Freie befördert, ohne daß sie ersticken oder sich die Stoppelbärte versengen.“

Worauf Juan prompt an die Rasierzeuge im Gepäck und an die Pflicht jedes Gentlemans erinnerte, den sprossenden Bartwuchs wegzuschaben.

„Eitler Fant!“, knurrte Allison und zog auch den Kopf unter das Gestein.

Nach einer Weile erklang seine scharfe Stimme:

„Der nächste!!“

Magneta folgte. – Ich hatte nachher mit Hondu einige Schwierigkeiten, als ich ihn anseilte und hinabließ. Auch das ging vorüber, und nun standen fünf Menschen mit fünf Laternen und ein Puma auf einer schmalen Bergterrasse und spähten schweigend hinab in die Finsternis, in der sich das kalte Laternenlicht machtlos verlor.

Allison schnüffelte wie ein Kaninchen.

„Riechen Sie es?!“

Wir rochen es …

Es roch wie in einer Klinik, in der ein paar Höhensonnen dauernd brennen, also nach Ozon.

Taskamore schritt nach links hinüber.

„Hier ist eine steile, steinige Schlucht … Versuchen wir es.“

Das Geröll gab nach. Mit Poltern und Prasseln rollten die Steine in die Tiefe, ganze Schutthalden kamen in Bewegung, und mit einer dieser Steinlawinen rutschte Taskamore blitzschnell abwärts und verschwand. Wir anderen knieten und klammerten uns fest, horchten und riefen dann, als der tosende Lärm in den Abgründen langsam erstarb.

„Hallo, – – Taskamore!!“

Magnetas Stimme bebte vor Angst.

Die mit Sauerstoff übersättigte Luft erzeugte in mir ein eigentümliches Rauschgefühl. Der Lebensimpuls war übertrieben gesteigert, Angst und Überlegung zerrannen zu tollem Wagemut, und als in den dunklen Tiefen dumpf ein ferner Schuß puffte, stieg ich weiter hinab, kam ebenfalls ins Rutschen, sauste gegen ein klebriges Etwas, das ein schwindsüchtiger kleiner Baum war, an dem ungezählte rote Blattläuse saßen, und bremste den Sturz, konnte Magneta auffangen, sah Hondu wie einen Rodelschlitten im Nichts verschwinden und hörte Allisons kernige Flüche.

Wir seilten uns an, und nach zehn Minuten erreichten wir eine weite, flache Stelle, wo ein Tümpel wie ein blasser Fleck im Laternenlicht schillerte und Taskamore neben einem erschossenen Untier saß und die Hautfetzen von seinen Händen entfernte.

Allison schoß förmlich auf die tote Bestie los und beleuchtete sie.

„Da – eine Bestätigung meiner Theorie!“, meinte er stolz. „Ein Krokodil ohne Augen! Die Augen sind mit Häutchen bedeckt und verkümmert. Das Tier braucht hier die Augen nicht, und genau wie die Grottenmolche hat es das Augenlicht ausgeschaltet.“

Was er als Krokodil bezeichnete, war eine Riesenpanzerechse von acht Meter Länge mit flacher, langer Schnauze.

Taskamores Kugel hatte das eine tote Auge zerstört, und das Zittern und Zucken des langen Schwanzes bewies, daß die motorischen Nerven noch immer lebten.

„Vorsicht, Juan!!“

Aber Kamos Warnung kam zu spät.

Der harte Schwanz schlug jäh zur Seite, und der schwarze Juan erhielt einen Schlag gegen die Schenkel, daß er wie ein Pfeil in den kleinen Teich hineinflog. Hätte Freund Nigger noch den Rucksack umgeschnallt gehabt, wäre er unbedingt zu seinen dunklen Ahnen versammelt worden, denn kaum war das trübe Wasser unter ihm aufgespritzt, als auch schon vom anderen Ufer, wo eine Menge Steine und Felsbrocken umherlagen, ein paar der blinden Höhlenkrokodile herbeischossen,– Magneta schrie gellend, um die Bestien zu verscheuchen, meine Büchse spie Kugeln, Allison warf mit Felsstücken, Kamo packte den feuchten Juan und mit vollem Schwung entrann unser Schwarzer einem eilfertig zuschnappenden Rachen …

Der Professor benahm sich hierbei wie ein Mann, der jeder Situation gewachsen ist. Bevor das Untier die Kiefer hatte wieder schließen können, schleuderte er ein kantiges Gebilde (es war ein Lavatropfen von Kopfgröße), in die gelben Zahnreihen hinein, und das Krokodil, sehr im Irrtum über die Verdaulichkeit dieses Brockens, schien das zackige Ding hinabwürgen zu wollen, bekam Erstickungsanfälle, warf sich hin und her, entblößte den ungeschützten Bauch, und – – wurde regelrecht von den anderen Bestien vor unseren Augen zerrissen.

Juan betrachtete sehr kühl die widerliche Szene, griff nach dem Gurt, hakte die Whiskyflasche los und tat einen Zug, den ich auf ein halbes Liter schätzte.

Magneta lachte leise. „Vaters Theorie stimmt. Jetzt müßten wir von blinden Höhlenbewohnern mit zwei Beinen angegriffen werden.“

„Und die Theorie wäre?“, fragte ich wirklich gespannt.

Aber Allan Allison kniete neben seinem Rucksack und holte aus einer Zinkröhre und einer Lage Watte ein Instrument hervor, das für ein Fieberthermometer zu klein und für einen Höhenmesser zu groß war.

„Achthundert Meter unter dem Erdniveau“, meldete er feierlich. „Das enttäuscht mich etwas. Aber diese steinige Ebene wird sich allmählich weiter senken, nehme ich am Jedenfalls haben wir hier bereits die Wasser der Bucht von La Terrosa über uns, und die Halbinsel liegt hinter uns. Für den Anfang genügt mir dies alles.“

Juan, der jetzt seine Schenkel massierte, bestätigte trocken (obwohl er naß wie ein Pudel war): „Mir genügt es auch, Mr. Allison. Es erinnert mich an unseren Abstieg in den Krater des erloschenen Zaributo in …“

„Zwanzig Grad Wärme!“, meldete Allison wieder. „Nein, einundzwanzig, – – halt, die Quecksilbersäule klettert noch immer. Aha, – – vierundzwanzig Grad Celsius … Für achthundert Meter Tiefe sehr wenig. Meine Kollegen würden aus ihren dicken Wälzern so manchen Unsinn streichen müssen. – – Setzen wir den Marsch weiter nach Osten fort. Die Abgrenzungen der Höhle sind nicht zu erkennen. Ich behaupte, sie dehnt sich nach Norden und Süden meilenweit aus, und nach Osten zu schier endlos.“

Taskamore sagte lediglich: „Wir werden sehen …“ Dann schritt er wieder voran.

Den tagelangen Marsch durch diese finstere Unterwelt im einzelnen zu schildern hätte wenig Zweck. Ich will nur die besonders wichtigen Zwischenfälle hervorheben und auch Professor Allisons Höhlentheorie näher erklären.

 

5. Kapitel.

Höhlentheorie, Irrlichter und Totenkult.

„Theorie ist logisch durchdachte Vermutung, gestützt auf Tatsachenmaterial, das sich jedoch verschieden deuten läßt.“

So sagte Professor Allison zu Beginn unserer dritten „Nacht“, – was man hier so „Nacht“ nennen kann. Nach Erdoberflächenrechnung war es sechs Uhr morgens.

Wir hatten wieder einen elfstündigen Eilmarsch hinter uns, der in dem Tempo nur möglich war, weil die ozongesättigte Luft den Körper außerordentlich widerstandsfähig machte. Die seltsamen Erregungserscheinungen des ersten Tages waren geschwunden. Wir hatten uns an die anders geartete Luftzusammensetzung des „sechsten“ Erdteils, wie Allison dieses Land der Tiefe bezeichnete, bereits gewöhnt. Geblieben war nur die verstärkte Lebensfreudigkeit und Kraftfülle, und damit waren wir sehr zufrieden.

Wir befanden uns jetzt wieder, nachdem wir verschiedene Bergketten durchquert hatten, in einer flachen Ebene, deren Boden zum Teil Wüstencharakter zeigte, zum Teil felsig war. Wir hatten abgestorbene, faulende Wälder angetroffen, die ungeheuren Hügeln von Humus glichen, wir hatten Flüsse und Bäche durchquert, die aus der Finsternis entsprangen und in der Finsternis sich verloren. Wir trafen zuweilen gut erhaltene Steinbauten an, die zweifellos Tempel oder öffentliche Prunkgebäude eines Volkes waren, das hier von einer unausdenkbaren Weltenkatastrophe überrascht worden war. Immer wieder stießen wir jedoch auf jene morastigen Tümpel, in denen die blinden Krokodile in Unzahl hausten. Außer ihnen hatten wir bisher nur noch vier Arten von Lebewesen feststellen können: Käfer, rote Höhlenläuse, Höhlenmolche und Riesenmaulwürfe, Tiere bis zu anderthalb Meter Länge, die nicht minder gefährlich waren wie die Krokodile. Die Maulwürfe traf man überall dort an, wo weicher Boden oder jener Humus vorhanden, in dem sich noch Reste von Eichenstämmen und sehr harzreichen Kiefern befanden.

Die noch lebende Vegetation beschränkte sich auf eine Strauchart, mit der ich bereits in den ersten Minuten unserer Reise ins Ungewisse Bekanntschaft gemacht hatte. Es handelte sich um eine buschartige Pflanze bis zu vier Meter Höhe, deren holziger Stamm sehr weich, deren Rinde schleimig und faserig und deren Blätter am besten mit jenen feuchten Pilzarten zu vergleichen waren, die in dunklen Kellern bleichsüchtig ihre dünnen Stengel und schlaffen Köpfe aus Bodenritzen hervorschicken. Die ganzen Büsche waren dicht bedeckt mit den roten klebrigen Höhlenläusen. Allison behauptete, daß die Büsche und die Läuse sich gegenseitig ernährten. Die roten Tierchen entzogen dem Strauche die Kraft, und der Strauch wieder brauchte die Ausscheidungen der Tierchen zu seiner Existenz im Dunkeln.

Faßte man einen dieser Zweige an, so war die Innenhand wie mit rotem Kleister eingerieben, der freilich das sehr Unangenehme an sich hatte, Entzündungen hervorzurufen. Schleunigstes Abwaschen war daher geboten.

Unsere kriegerischen Zusammenstöße mit den Krokodilen und Riesenmaulwürfen endeten stets mit ein paar Schüssen. Um Patronen zu sparen, gingen wir dem Viehzeug aus dem Wege, unser Lager schlugen wir stets auf unzugänglichen Felsen auf oder bauten aus Steinen einen hohen Wall.

So auch diesmal.

Die Steppe, in der wir uns in dieser dritten Nacht befanden, war einst vor Jahrtausenden mit Gras bedeckt gewesen. Reste der verdorrten Gräser ließen sich noch nachweisen. Wir hatten an einer Stelle Halt gemacht, wo genügend Felstrümmer und jene glasflußartigen Riesenbrocken umherlagen, die Allison als vulkanische Erzeugnisse uns deutete. Der Wall war sehr bald errichtet, in der Mitte des Lagerplatzes brannte ein Feuer aus Baumüberresten, und da diese zumeist fingerdick mit Harz überkrustet waren, schlugen die Flammen meterhoch empor und erzeugten eine Qualmwolke, die kerzengerade emporstieg. Die Höhlendecke war bisher niemals sichtbar geworden. Der Tiefenmesser zeigte jetzt durchschnittlich zweitausend Meter, die Temperatur war auf achtundzwanzig Grad gestiegen.

Magneta säuberte zusammen mit Juan das Aluminiumgeschirr, und Allison rasierte sich und hielt Vortrag.

„Ich will Sie hier natürlich nicht mit endlosen, streng wissenschaftlichen Auslassungen langweilen, meine Freunde. Die Höhlenforschung hat sich im Laufe der letzten achtzig Jahre zu einem besonderen Zweige der Geologie entwickelt. Sie ist neben der Vulkanforschung zweifellos das vielseitigste und dankbarste Gebiet für jeden Gelehrten und Laien. Aber gerade auf diesem Gebiet stoßen die Theorien der Herren Kollegen oft wie Rammböcke aufeinander, womit ich nicht sagen will, daß die Kollegen irgend etwas mit Schafböcken zu tun hätten. Aber Sie wissen ja: Drei Fachgelehrte, vier Meinungen. Und jeder verteidigt seine Ansicht mit dem ganzen ehrgeizigen blinden Fanatismus des Besserwissers. – Ich stehe als Außenseiter da, was meine Theorie über den Ursprung der echten großen Höhlen der Erdkruste angeht. Ich möchte nur drei Beispiele nennen. Es gibt ja in allen Erdteilen und Ländern weite Grottengebiete, die meisten fand man zufällig. Ich selbst rechne nicht zu den Höhlen jene Auswaschungen durch unterirdische Flußläufe, die die lehmigen oder kalkigen Einbettungen im Urgestein wegspülten und somit nichts als natürliche Tunnel sind. Ich scheide auch jene zahllosen kleineren Grotten aus, die infolge von Verschiebungen der Gesteinmassen entstanden[3] sind. Für uns, die wir hier als erste den unterirdischen sechsten Erdteil betreten haben, kommen nur die Riesengrotten mit eigener Tier- und Pflanzenwelt in Betracht. Ich denke da an …“

„Verzeihung“, warf ich höflich ein, „vor uns hat Lady Margot Sheridan dieses Reich der Tiefe betreten. Ich hoffe, daß sie noch lebt.“

Allan Allison säuberte sorgfältig sein Gesicht mit einem nassen Schwamm und blickte mich durchdringend an. „Lady Margot müßte in der Nähe des Eingangs Fußspuren zurückgelassen haben, lieber Abelsen. Ihres Freundes Kamo Augen sind vortrefflich. Er fand nichts. Ich sagte Ihnen schon einmal, daß Mylady zweifellos einem der umherstreifenden Krokodile zum Opfer gefallen ist.“

„Woran ich so lange zweifeln werde, bis …“

Aber Allison winkte kurz ab. „Ihre Kameradin ist tot! Bedenken Sie, Abelsen, eine Frau hier ganz allein!“

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Und doch wollte ich nicht daran glauben, daß eine Frau von dieser Energie, die dort oben den Maya-Tempel so nachdrücklich gegen eine Rotte von Schurken verteidigt hatte, hier elend umgekommen sein sollte.

Allison fuhr bereits fort: „Wie gesagt, ich will hier nur drei Höhlen nennen, die zweifellos durch rein vulkanische Einflüsse entstanden sind. Ich beginne mit der Adelsberger Grotte im Karstgebirge. Ihr zugänglicher Teil ist etwa eine halbe Meile lang. Sie enthält Teiche, Seen, in ihnen lebt als bekanntestes Höhlentier der Olm, ein stattlicher, blinder Fisch. Meine Theorie geht nun dahin, daß bei vulkanischen Umwälzungen der Erdoberfläche steile, tiefe Täler oben wie Schachteln zusammengepreßt wurden, daß Lava und Gesteinmassen die oben noch vorhandenen Öffnungen gründlich verschlossen und so ein völlig gegen die Außenwelt abgesperrter Hohlraum geschaffen wurde, in dem, wohl infolge vulkanischer Gase, alles mit eingeschlossene organische Leben, so weit es gegen Gase nicht geschützt war, vernichtet wurde. Diese selbe Theorie wende ich hier auf unseren sechsten Erdteil an, der ja einwandfrei durch seine verfaulten Wälder, seine Steinbauten, die Krokodile, die Riesenmaulwürfe und vieles andere beweist, daß ursprünglich auf diesem Boden ein Volk hauste, dessen Kulturstufe fast die der alten Azteken, Mayas und Inkas erreicht hatte. Stellen Sie sich vor, meine Freunde, daß dieses endlose, jetzt überwölbte Gebiet einst ein von zwei Gebirgszügen eingeschlossenes Land gewesen sei. Stellen Sie sich vor, daß eines Tages die Erdrinde an dieser Stelle sich senkte, daß die Gebirge nach innen klappten, sich berührten, daß ungeheure Mengen Lava die Berührungsstellen überfluteten und sozusagen verkitteten, daß dann das Ganze hinabsank – immer tiefer, bis unter den Spiegel des Meeres. – Sie zweifeln? – Ich will Ihnen eine andere Höhle nennen, deren Länge etwa 230 Kilometer beträgt, die Mammuthöhle in Südkentucky in Nordamerika. Die dortigen Höhlenfunde ergeben ohne Zweifel, daß auch dort eine reiche Vegetation vorhanden gewesen, daß dort Menschen, Tiere lebten, bevor oben die große Katastrophe hereinbrach. Die Höhleninschriften dort rühren niemals etwa aus der Höhlenzeit der Mammutgrotte her, sondern aus einer früheren Periode, als noch die Sonne in jene Täler freien Zutritt hatte. – Ich habe meine Theorie als Fallentheorie bezeichnet, da die Urkräfte des Erdinnern Mensch, Tier, Pflanzen in diese ungeheuren Steinfallen einschlossen und vernichteten. Kollegen von mir – sehr wenige – haben sich meiner Ansicht insofern etwas angepaßt, als sie die „Aufblähungstheorie“ erdachten, das heißt: Vulkanische Gase sollten das Gestein auseinander gedrängt haben – etwa, als wenn man eine Gummiblase aufbläst, und hierbei sollen dann bewohnte Täler mit „überdacht“ worden sein. Sie, meine Freunde, können in jeder Fachschrift diese Aufblähungstheorie erwähnt finden. Sie ist unsinnig, denn ein so ungeheurer Gasdruck, der die Oberschichten der Erdrinde derart auseinandertriebe, daß so gewaltige Grotten entstehen könnten, würde stets ein Ventil nach außen gefunden haben und ohne erhebliche Pressungen des Gesteins verpufft sein. Als drittes Beispiel für die Richtigkeit meiner Annahme nenne ich die schönste und eigenartigste aller Grotten, die Reka-Höhle bei St. Canzian im Karst, in der der Reka-Fluß verschwindet und dreißig Kilometer weiter unter dem Namen Timavo wieder ins Freie tritt. Wer die Wasserfälle, Seen und Sinterbecken der Reka-Höhle gesehen hat wie ich, der wird niemals annehmen, daß dieses Naturwunder von Urzeiten her „überdacht“ gewesen, der erkennt ohne weiteres die Klarheit und Einfachheit meiner „Fallentheorie“. Einst floß die Reka im Sonnenlicht dahin, tief eingebettet in das Karstgestein. Erdstöße kamen, vulkanische Ausbrüche, Berge neigten sich, prallten aneinander, stützten einander, schlossen sich zur Höhlendecke, und unter ihren geknickten Wipfeln rauscht in der Finsternis die Reka bis auf den heutigen Tag.“

Keiner von uns widersprach. Wie sollten wir auch?! Sahen wir nicht selbst hier die Überreste versunkener Kultur?! Sahen wir nicht die erblindeten Krokodile, die Riesenmaulwürfe, die wie tolpatschige Bären durch die Finsternis schlichen und Gänge gruben, in die wir selbst hätten hineinschlüpfen können?! Brannten dort nicht die Reste von Bäumen, hatten wir nicht vor Stunden noch neben einem verfaulten Baume drei große, öde Steinpaläste angetroffen, die wir nicht zu betreten wagten, weil das Mauerwerk gefährlich verschoben war und mit jähem Einsturz drohte?!

Dieses ungeheure Gebiet hier, abgesperrt gegen das Sonnenlicht, mußte einst ein Kulturvolk beherbergt haben!

Schauer der Ehrfurcht über das phantastische Vernichtungswerk der Urkräfte des Erdinnern empfand ich wie eine neue Erkenntnis. Und doch, – was bedeutete all dies im Vergleich zu dem, was unser noch wartete!

Dabei gab es hier nichts, gar nichts, was nicht auf natürliche Weise erklärt werden konnte. Hier schuf keine Poetenfeder vorsintflutliche, noch lebende Ungeheuer, hier hatten wir nur Geschöpfe vorgefunden, die einst zu derselben Zeit gelebt haben konnten, als ein unbekanntes Volk diese gewaltigen Täler bewohnte.

Allison nahm in aller Gemütsruhe eine Zigarre und begann zu rauchen. Freund Taskamore saß auf einem Stein und hielt das Kinn in die Hand gestützt. Sein hageres Gesicht zeigte einen Ausdruck sehr nachdenklichen Ernstes. Der schwarze Juan wanderte außerhalb des Steinwalles als Wache umher, Magneta sog an einer Zigarette, und ich hatte mich langsam erhoben.

„Wir danken Ihnen für Ihre interessanten Belehrungen, Professor“, sagte ich ebenso ernst, wie Kamos Gesicht es war. „Eine Frage nur noch: Wo, schätzen Sie, befinden wir uns jetzt? Wir sind zumeist nach Osten gewandert, und wir müßten nun das Festland von Mittelamerika über uns haben.“

„So ist es …“, nickte Allison und zog sein Notizbuch hervor, wo er die bisher zurückgelegten Strecken eingetragen hatte. „Etwa zwischen den Staaten Guatemala und Honduras liegt eine Landzunge, die 600 Kilometer messen dürfte. Wir haben bisher infolge unserer gesteigerten Leistungsfähigkeit etwa hundertvierzig Kilometer geschafft – mindestens. Mithin liegt jetzt über uns die Republik Guatemala. – Hallo, was gibt es, Juan?“

Unser Neger stand dicht an dem Steinwall und zeigte mit der Hand nach Norden.

„Lichter, Mr. Allison …!! Wandernde Pünktchen!“

Ich drehte mich um.

Ein Blick genügte. Auch ich sah in weiter Ferne fünf weiße Pünktchen, die mit geringem Abstand gen Osten sich fortbewegten.

Taskamore sagte da, ohne sich zu erheben:

„Ich bemerkte sie schon gestern, kurz bevor wir das Lager bezogen … Ich machte mir meine Gedanken darüber. Können es tanzende Flämmchen sein, Mr. Allison, – etwa Irrlichter?“

„Niemals!“ Der Professor war ganz aufgeregt, nahm sein Fernrohr, stellte es ein und schaute lange hinüber. „Es sind Laternen“, erklärte er leise. „Oder Fackeln … Selbst das Fernrohr hilft nicht viel … Nehmen Sie es einmal, Taskamore.“

„Olaf und ich werden besser hinübereilen“, erklärte Kamo sehr bestimmt. „Es kann nicht weiter als eine halbe Meile sein … – Brechen wir auf. Falls hier doch noch Ureinwohner leben, müssen wir wissen, woran wir mit ihnen sind.“

Magneta widersprach allzu lebhaft. „Taskamore, bedenken Sie die Gefahr!!“

Ihre Augen hingen an seinem Antlitz mit verzehrender Angst. „Falls Sie die Leute beschleichen wollen, müßten Sie und Abelsen mit abgeblendeten Laternen sich in die Finsternis hineinwagen, oder aber die Leute würden Sie bemerken und …“

Taskamore hatte sich ihr zugewandt. Es schien, als ob er aufhorche und eine ferne süße Melodie vernähme. Seine zumeist so strengen verschlossenen Züge, denen freilich niemals etwas Finsteres, Menschenfeindliches anhaftete, wurden weich und wie von innen her von einer starken freudigen Gemütsbewegung durchleuchtet. Er unterbrach Magneta mit einer seiner vielsagenden Handbewegungen.

„Miß Allison, El Gento und ich gingen bereits andere Wege. Wollten wir dieser Gefahr, die wandernden Lichtpünktchen aufzuklären, wirklich nur der Gefahr wegen ausweichen, so würden wir Ärgeres zulassen, als wir vielleicht ahnen. – Es müssen auch außerhalb der Mauer Feuer angezündet werden. Niemand lege sich nieder. Wir werden in drei Stunden zurück sein.“

Magneta erwiderte nichts mehr.

Ohne Säumen brachen wir beide auf. Kamo kletterte über die Mauer, ich folgte, ich nahm Hondu an die Leine, und wir schritten zunächst tief gebückt gen Süden. Es geschah auf meinen Vorschlag hin. Wir schwenkten sehr bald nach Westen ein, wo wir gestern eine Schlucht durchquert hatten, die sich gen Norden in unbekannte Weiten verlor.

Der Puma war sicherster Schutz selbst in dieser völligen Finsternis. Was Menschenaugen nicht sahen, sagte ihm der Instinkt voraus. Hondu hatte bisher stets auf eigene Faust gejagt und sich dabei recht weit von uns entfernt. Die Riesenmaulwürfe wurden ihm leichte Beute. Es erging ihm nicht anders als uns: Die ozonreiche Luft hatte seine Kräfte, die Feinheit seiner Sinne verdoppelt.

Wieder änderten wir die Richtung. Nach meiner Berechnung mußte die Schlucht ganz nahe sein. Hondu trabte, wir trabten, um uns her war die Stille einer nächtlichen Wüste.

Plötzlich wurde die Leine Hondus schlaff, er machte halt, – ich konnte nicht so rasch abstoppen, ich fühlte eine Neigung des Bodens, der hier pulverförmige Sand kam ins Rutschen, und aufrecht glitt ich in die Tiefe, zog schnell die Blende von der an der Brust befestigten Laterne und sah vor mir einen endlosen Abhang, auf dem einige der eklen, klebrigen Büsche wuchsen. Die Sandmassen glitten wie eine geschlossene Masse in die Tiefe, ich befand mich bereits bis zu den Knien in diesem tückischen, rieselnden, rötlichen gleitenden Walle, der feinkörnige Sand stieg mir bis zur Hüfte, und dennoch mußte ich nur darauf bedacht sein, das Gleichgewicht zu bewahren … Ich ruderte mit den Armen, beugte mich hin und her, Hondus Leine hatte ich losgelassen, was aus Taskamore und dem Puma geworden, wußte ich nicht. Und immer noch steigerte sich die Geschwindigkeit der abrutschenden Sandmassen, immer noch war kein Ende dieses Dünenabhangs zu erspähen, der Lichtkegel verlor sich machtlos in den schwarzen Schleiern einer undurchdringlichen Finsternis, ich hatte den Eindruck, als ob der ganze steile Hang mit mir in ungeahnte Schlünde glitte.

Und dann sprang jäh in meinem Hirn das Gefühl tödlicher Angst auf. Ich wurde mir der Gefahr bewußt, in dieser Sandwoge zu ersticken, die mir bereits die Brust beengte. Ich sah das Verfehlte meines Verhaltens zu spät ein. Ich hätte mich, auf dem Rücken liegend, dieser abwärts rollenden Woge anvertrauen müssen, sie hätte mich mit sich gerissen, aber niemals eingesponnen in ihre winzigen, grausamen, nach Milliarden zählenden Teilchen.

Ich sauste hinab. Arbeitete zu spät mit den Füßen, mich zu befreien. Pfeilgeschwind ging es in die Tiefe. Eiskalter Schweiß perlte mir von der Stirn. Der Sand umwogte die Laterne, bedeckte sie, allmählich wurde ihr Lichtschein schwächer, bis die gräßliche Finsternis mich umdrohte.

Mein Kampf gegen den Sand war aussichtslos.

Aber – auf diese jämmerliche Weise sterben?! Hier sterben, wo die Wunder dieser Riesengrotte mein reges Hirn beständig mit der Erwartung neuer Wunder gereizt hatten?!

Ironie des Schicksals: Hier war ein Wunder!! Hier war das gierig erstrebte Erleben abseits des Alltags mit all seinen Schrecken! Was forderte ich vom Geschick? Hatte ich es nicht herausgefordert so und so oft?!

Jede Schätzung für Zeitablauf ging mir verloren. Steckte ich bereits eine Stunde in diesen brutalen, höhnischen winzigen Klammern, die mit ihrem Rieseln und Singen neben mir, mit mir dahineilten wie lebendes Getier?

Meine Kehle war wie ausgedörrt.

Schleimige Zweige streiften mein Gesicht …

Aber wenn ich zupackte, griff ich ins Leere …

Ein Schrei wollte aus der gepreßten Brust die unheimliche Angst ins Leere brüllen.

Sand berührte meine Lippen …

Verzweifelt, voller Grimm breitete ich die Arme aus …

Ein Strauch konnte mich retten.

… Falls er hielt, falls er nicht samt den Wurzeln herausgerissen wurde unter dem Druck der Sandmassen.

Meine Schulter prallte gegen einen Fels …

Also gab es hier festen Boden! Mußte ihn geben … Diese Höhlenbüsche wuchsen nur in Felsritzen und lehmiger Erde.

Meine rechte Hand stieß gegen einen armdicken Busch, umkrallte ihn … Mein Mund spie den Sand aus, die Angst wich, alle Muskeln spannten sich, ich fühlte den Ruck, der Stamm gab nach, beugte sich, und die Beine glitten nur noch allein vorwärts, legten sich schräg, und über meinem Kopf hinweg fluteten die letzten Nachläufer dieses unheimlichen Heereszuges der rinnenden Körner.

Ein Ruck, ich hatte den Kopf frei …

Und dann war die Woge vorüber, meine Laterne leuchtete wieder, ich lag auf dem Bauche, der Busch hing über mir, und die den Stamm umspannende Hand troff von rotem, eklem Saft zerdrückter Höhlenläuse.

Ich rührte mich nicht. Bis ich spürte, daß da vor mir harter Boden war, daß die Büsche ganz dicht standen, daß kahles Gestein, mit feuchten Lehmfurchen durchsetzt, wie ein Sattel quer durch die Dünenwand sich zog.

Das jagende Herz kam zur Ruhe. Das Gefühl der Kälte ließ nach, der Lebenstrieb meldete sich mit triumphierendem Frohlocken, und mit zwei Klimmzügen stand ich auf dem breiten Felsensattel, der sich gen Osten in der Ferne verlor.

Wo waren Kamo und Hondu?

Ich blickte nach oben …

Nichts als Sand, steile Düne … Und in der glatten Sandfläche eine zehn Meter breite gezackte Furche – wie eine Blitzbahn …

Ich sah, ich war nicht geradeaus gerutscht, die Sandwoge war Hindernissen ausgewichen, hatte sich niederträchtig klug ihren Weg gewählt – hierhin, dorthin, wo kein Hindernis sich ihr entgegenstemmte.

Wo waren Taskamore, der Puma?!

Sie mußten doch meine Laterne sehen!

Standen sie noch oben am Rande des Abhangs? Hatte dieser etwa Aufbauchungen, die mir die Aussicht versperrten?

Rufen, mich melden?!

Ich dachte an die wandernden Lichtpünktchen.

Besser nicht!

Und Schritt für Schritt ging ich auf dem Felsengrad gen Osten, wand mich zwischen den Sträuchern hindurch, säuberte mir mit Sand die rote, klebrige Hand, die bereits zu brennen begann.

Mein Kompaß, ein Büchschen mit Glasdeckel nur, belehrte mich, daß ich gen Norden strebte. Die Schlucht hatte eine unmerkliche lange Biegung, und der Pfad lief aufwärts.

Da die Gefahr bestand, daß der Lichtschein von denen, die wir hatten beschleichen wollen, gesehen würde, hakte ich die Laterne von der Brust, drückte den zerknitterten Filzhut darüber, so daß nur ein enger Lichtkreis auf den Boden fiel.

Es ging aufwärts.

Der Sand verschwand, kahles, zerklüftetes Gestein erschien, kleine Rinnsale von Wasser gurgelten durch enge Becken, die von fahlen Höhlenmoosen eingefaßt waren. Es waren die ersten, die ich hier sah. Sie wuchsen wie überzüchtete, überernährte Treibhausgewächse bis Kniehöhe, Höhlenmolche lagen auf nassen Steinen – – blind, fast weiß die Haut, leicht gesprenkelt. Ihrer Haut fehlte das Pigment. Ihrer Existenz fehlte die Sonne.

Ich kletterte aufwärts, die bedeckte Laterne ganz tief haltend. Ich hatte nach der Uhr gesehen: Zwanzig Minuten wanderte ich bereits allein durch das Unbekannte dem Unbekannten entgegen.

Und erreichte die Ebene.

Ebene?!

Es war eine steinharte endlose Tenne aus glasähnlicher, matt blinkender Lava.

Mein spähender Blick suchte die Irrlichter.

Vor mir, um mich her Finsternis.

Hinter mir Finsternis …

Über mir.

Hier gab es keinen Sternenhimmel, keinen tröstenden flimmernden Stern, keine Mondsichel.

Über mir … lag die Republik Guatemala, auch eines der ruhelosen Erdbebengebiete.

Seltsame Vorstellung: Über mir leuchtete die Sonne, gingen Menschen ihrer Arbeit nach, rollte vielleicht ein Eisenbahnzug.

Und hier: Eine Riesengruft!

Der sechste Erdteil!

Wie stolz Allison auf den Namen war. Und es stimmte im Grunde: Dies hier war eine Welt für sich, war nicht Höhle, nicht Grotte, nicht Felsendom, war eine Riesenhalle, in der der Knall der Büchse kein Echo an den Steingrenzen dieses Reiches weckte, weil diese Grenzen endlos weit und die Schallwellen sich verloren.

Wieder blickte ich gen Osten.

Zu meinen Füßen nur war ein Lichtschein wie ein matter Reflex.

Aber mit einem Male erschien da drüben ein greller Punkt, bewegte sich, – ein zweiter kam, ein dritter …

Fünf zählte ich …

Wie ein Spuk verschwanden sie wieder.

Ich begann zu laufen … Der harte Boden erleichterte die Eile. Daß meine umgehängte Büchse, daß die Pistolen unbrauchbar, die Läufe voller Sand, daran dachte ich nicht.

Die fünf grellen Punkte hatten mich in eine Wut versetzt, die vielleicht die Reaktion auf die überstandene Todesangst war. Ich mußte wissen, mit welcher Art von Geschöpfen wir es hier zu tun hatten. Ich lief auf Fußspitzen, – – und prallte fast gegen einen hohen Stein, fuhr zurück, stand still …

Kein Stein.

In kurzem wußte ich es.

Eins der uralten, plumpen Steinbauwerke war es, aber begraben unter einst feuerflüssiger Lava in dicken oder schmalen, erkalteten Rinnsalen.

Ich schlich weiter, umschlich den großen Bau, verhüllte die Laterne noch mehr, verließ mich auf mein Tastgefühl.

Nach Osten zu lag der unversehrte Eingang.

Ich horchte.

Hier vernahm man nicht einmal das Keuchen und Rasseln eines kriechenden Krokodils, hier vernahm man nicht die Bewegungen des Sandes unter den Grabfüßen eines Riesenmaulwurfs, hier herrschte jene absolute Stille, die den eigenen Herzschlag und das Singen des Blutes in den Ohren und das Arbeiten der Lunge zu einzigen Zeichen des Lebens stempelt.

Ich horchte.

Fünf Stufen führten in den steinernen, in Lava gebetteten Bau.

Ich bückte mich, kroch empor, die Augen über den Stufen. Ich wollte Fährten finden.

Der Stein war glatt, kahl, stumm.

Ich betrat die Vorhalle.

Hier zog ich den Hut von der Laterne. Das heiße Metall hatte den Filz stellenweise gebräunt, und diese Stellen waren mürbe wie Zunder.

Ich sah dasselbe Bild hier wie in all den Gebäuden, die wir bisher angetroffen: Mächtige Steinquadern, einen hellen Kitt in den Fugen, die Wände bunt bemalt oder mit Fresken bedeckt, alles in primitivster Art. Die Bilder hatten dem Gluthauch der großen Katastrophe nicht standgehalten. Sie waren zerplatzt, abgeblättert die Farbe, und die groben Fresken zeigten kindliche Unbeholfenheit: Götzen, obszöne Szenen, Tiere, die ein Kind entwerfen könnte, Arabesken von zügelloser Unregelmäßigkeit.

Die Türöffnungen, die Steintreppen, gestützt von Quadern, – – sie schreckten mich ab.

Trotzdem war da in mir ein geheimer Wille, der mich weitertrieb. Eine Macht, der ich gehorchte.

Ich schritt geradeaus, und dieser weite Saal war nichts als eine Totenkammer.

Das kalte Licht glitt über Reihen von Skeletten hin …

Eng gereiht hockten sie am Boden, tief gestaffelt, hunderte …

Die Knochen gelblich-weiß, die Schädeldecken glänzend, wie poliert, eine Versammlung der Abgeschiedenen.

Klein waren sie, Zwerge mußten diese Gebiete bewohnt haben, als noch die Sonne in die Täler leuchtete.

Und wieder beschlich mich das Grauen …

Ganz vorn, gleichsam als Führer der Schar, lag ein einzelnes Skelett flach am Boden.

Das Grauen kroch mir in die Kehle, und der Atem pfiff mir wie aus beengter Brust.

Der kühle Verstand siegte.

Skelette zerfallen …, sagte ich mir. Wie kam es, daß diese Knochenmänner am Boden hockten und den Jahrtausenden getrotzt hatten?

Ich beugte mich hinab zu dem Nächsten der ewig Stummen.

Totenkult!!

Kupferbänder, grün verfärbt, hielten die Gebeine zusammen, Kupferstäbe steckten in den Wirbelknochen, gaben ihnen Halt.

Nur das liegende Skelett war nicht in dieser Weise hergerichtet. Als ich es berührte, löste es sich auf in zahllose Knöchelchen, und das leise Rasseln der zerfallenden Teile donnerte mir wie Flüche eines Totenchores in den Ohren.

Ich wandte mich weg …

Ich hatte genug gesehen, und andere Aufgaben harrten meiner.

In der Türöffnung stand Taskamore, neben ihm Hondu, der mit der langen buschigen Rute pendelnd den Steinboden fegte.

Freund Kamo drückte mir stumm die Hand. Hondu scheuerte seinen Katzenkopf an meinen Schenkeln und jaulte leise.

„Sahst du die Lichter, Kamo?“

Er nickte. „Fünf … – Suchen ist zwecklos, Olaf. Die Lichter sind fort, und Finsteres im Finsteren aufstöbern wollen, hieße nochmals unser Leben aufs Spiel setzen.“

„Und Hondus Nase? Ich behaupte, die Leute waren hier …“

Ich führte den Puma zur Schwelle, drückte seinen Kopf herab. „Hondu, such’ …!!“

Er schnüffelte, schnüffelte, seine Ohren spielten, ans seiner Brust kam ein Grollen, und er drängte in die Lavaebene hinaus.

Sein Benehmen war seltsam, seine Erregung übertrieben.

Ich blendete die Laterne ab, wir liefen hinter dem trabenden Puma her, und keine fünf Minuten darauf vernahmen wir vor uns das Murmeln und Plätschern von Wasser.

Ein breiter Fluß mit kahlen Ufern durchschnitt das Lavafeld.

Als wir das Ufer absuchten, stießen wir auf Überreste großer Baumkähne, deren Bug und Heck in schnabelförmigen Kupferverzierungen ausliefen.

Das Holz der Kähne war hart wie Metall, war zum Teil überzogen von einem gelblichen Niederschlag wie Schwefel.

Hondus Nase versagte.

Der Fluß zerstörte unsere Hoffnung, und wir kehrten um.

Mühsam das Suchen nach dem Lagerplatz … Endlich ein Lichtschein …

Brennende Feuer …

Magneta eilt uns entgegen …

Sie hat nur Augen, Worte für Taskamore …

Allison hörte still zu. Sein eckiges Gesicht verriet keine Gemütsbewegung. Seine Fragen waren dann mehr ein Triumph, der seiner Theorie galt.

Die Wachen wurden ausgelost. Ich zog den kürzesten Streifen Papier, – die anderen krochen in die Zelte, und Hondu und ich versorgten die Feuer und machten die Runde um das Lager und spähten in die Ferne.

Da sah ich im Norden abermals die hellen Pünktchen.

Drei nur …

Sie bewegten sich nicht … Sie verschwanden, und ein größerer heller Fleck erschien.

Ich stellte das Fernrohr ein.

Es war bestimmt ein Lagerfeuer. Es brannte irgendwo auf einer Anhöhe jenseits des Flusses.

Mehr erkannte ich nicht.

Aber das Feuer redete zu mir eine eindringliche, warnende Sprache. – Nach einer Stunde etwa wurde es kleiner und kleiner.

Juan löste mich ab.

In meine Träume hinein wehte das Grauen des Knochenhauses und das Gefühl der Unsicherheit.

Bis ein gellender Schrei uns alle ins Freie scheuchte.

Hondu zerbiß dem Riesenmaulwurf, der da urplötzlich vor Juan aus dem Sande hochgeschossen war, das Genick, aber Juans linker Schenkel zeigte Loch an Loch von den Zähnen dieses Tieres der Tiefe, das die große Katastrophe überstanden, weil die Erde es geschützt hatte, genau wie das Wasser die Krokodile vor dem Tode bewahrte.

Nur ein Neger von Juans Katzenzähigkeit konnte nachher den Weitermarsch mitmachen. Er hinkte, aber er rauchte seine Pfeife, und er schleppte seinen Rucksack wie wir. –

Drei Tage später stießen wir auf die Felswand, die Professor Allison für Urgestein, für einen Teil der Höhlenwand hielt. Hier bogen wir nach Nordost ab, und von der Höhe einiger Hügel sahen wir zum ersten Male in endloser Ferne den farbigen Schimmer der Feuer der Ewigkeit.

Die wandernden Lichtpunkte hatten sich nicht mehr gezeigt.

 

6. Kapitel.

Unsere Festung und der Magneta-Wald.

Von jetzt an wanderten wir dahin in schwacher Dämmerung, und jeder Tagemarsch verstärkte für uns die ferne Lichtquelle, obwohl die drohende Dunkelheit nie völlig wich und Unfälle und Zwischenfälle genügend dafür sorgten, unseren Eifer zu dämpfen.

Der erste noch nicht vermoderte Wald tauchte auf, ein Leichenfeld von Bäumen, die starr und leblos eine endlose Fläche bedeckten. Aber ihr Holz war wie versteinert. Trotzdem brannte es. Brach man Äste ab, knickten sie mit einem Geräusch, wie springendes Porzellan.

Überhaupt änderte sich das Landschaftsbild mit jedem Kilometer. Die Büsche wurden zu Dschungeln, die Blattläuse wurden noch zahlreicher, Tümpel, Seen, Wasserfälle, Berge, neue tote Wälder, grandiose Felsenhügel wechselten mit kurzen Strecken kahler Steppe oder Lavatennen ab. Das Getier nahm zu. Es war ein Paradies der Krokodile, der Molche, Riesenwühler und Riesenkäfer. Hondus Fell zeigte neue Narben, und oft genug rettete uns nur ein Schuß von den stinkenden Panzerechsen oder den angriffslustigen Erdbären, wie Magneta die frechen Gesellen getauft hatte, deren überaus flinke Bewegungen sogar Hondu in Bedrängnis brachten.

Keine Stunde verging ohne Aufregung. Jeder Lagerplatz mußte doppelt und dreifach geschützt werden. Juan hatte eine teuflische Jagdart erfunden, die Bestien zu bekämpfen. Da sie blind waren, ging er ihnen mit Feuer zu Leibe, und er war es, der auch dem drohenden Proviantmangel abhalf.

Die Erdbärenschenkel schmeckten wie zähes Hirschfleisch. Mit sehr langen Zähnen kosteten wir zuerst davon. Nachher mundete es uns vortrefflich, und jetzt hier in unserem Standquartier, unserer Burg, sind wir auf diese Fleischkost angewiesen. Juans ungeahnte Kochkünste wissen allerdings auch Höhlenmolche und manche anderen, besser ungenannten Ingredienzen zu verwenden.

Überhaupt: Der schwarze Juan!! – Ein Kapitel für sich. Talente blühen im Verborgenen, und erst eine Unterwelt bringt sie ans Tageslicht, so paradox das auch klingt.

Wir drei sind ganz dicke Freunde geworden, – Juan, ich, Hondu.

Taskamore war stets von Magneta mit Beschlag belegt, und Allison photographiert, zeichnet, sammelt, macht Ausflüge und beobachtet seine Instrumente.

Unsere Burg fanden wir auf etwas ungewöhnliche Art. Ungewöhnlich ist hier ja alles. Der sechste Erdteil ist das Reich des Seltsamen. „Abseits vom Alltag“ genügt hier nicht als Bezeichnung. Man muß schon recht gründlich das Hirn anstrengen, den passenden Ausdruck zu finden. Vielleicht liegt dieses „anders als anderswo“ mehr im Gefühlsmäßigen. Eben weil die Menschennatur doch sehr anpassungsfähig ist und rasch vergißt, was die Hauptsache an diesem Leben tief unter der Erde ausmacht:

Das Abgeschlossensein von der Außenwelt und der beständige Mangel natürlichen Lichtes! Die fernen Feuer der Ewigkeit mit ihren wallenden Flammenzungen sind kein Ersatz der Sonne oder des nächtlichen Firmaments, und deshalb ist hier auch ein Vergleich mit der Polarnacht gänzlich unangebracht. Es bleibt eben der sechste Erdteil an den Feuern der Ewigkeit, es bleibt das große Wunder einer ungeheuren Falle, die über einer prähistorischen Kultur zusammenschlägt und sie vermodern ließ bis auf geringe Reste.

So ist es.

An jenem Tage nun, als wir den drei deutlich erkennbaren fernen Riesenessen nach des Professors Schätzung bis auf fünf Meilen nahegerückt waren, und als er es für ratsam hielt, zunächst einmal eine längere Rast einzuschieben und die Umgebung sorgfältig zu sondieren, hatten Juan, ich und Hondu von dem provisorischen Lagerplatz uns entfernt und durchquerten das hügelige, felsige Vorgelände, weil es dort wohl unbedingt einen Ort geben müßte, der all unseren Anforderungen genügte.

Juans Hauptstärke lag neben seinen Kochkünsten und seiner sonstigen Anstelligkeit in einer erstaunlichen Gleichgültigkeit gegenüber jeder Gefahr. Alles, was seine Neugier reizte, mußte genau untersucht werden, ganz genau, selbst wenn die Begleitumstände es geboten, besser auf eine so gründliche Inaugenscheinnahme zu verzichten.

Wir waren am Ufer eines ziemlich ausgedehnten Sees vorübergekommen, so weit wir den See überschauen konnten. Er mochte noch ausgedehnter sein, als wir annahmen. Der Boden war lehmig, weich und feucht. Die Gebüschgruppen hier zeigten beträchtliche Höhe. Es wimmelte von Höhlenmolchen, handgroßen Käfern mit langen Beißzangen, Tausendfüßlern so lang wie ein Arm und ähnlichen, durch den Ozongehalt der Luft im Wachstum überzüchteten niederen Tierarten.

Wir fanden ganze Krokodilpfade, die zu kleinen Tümpeln führten, und wir sahen jene Erdhügel, die man anderswo für Termitenbauten gehalten hätte: Es waren „nur“ Maulwurfshügel!

„Vorsicht!“, ermahnte ich Juan, der uns immer wieder vorauseilte.

Juans Wollkopf war ein Kopf für sich. Seit Juan die Narben im Oberschenkel hatte, haßte er Magnetas flinke Erdbären.

Vor uns tauchte dann jener Wald auf, der nachher nach Magneta getauft wurde, ein Urwald, der nur an seiner Außengrenze den traurigen Eindruck des Nicht-Leben- und Nicht-Sterben-Könnens hervorrief, im Innern jedoch unheimliche, verwilderte, fast unzugängliche Wildnis war.

Nach Norden zu dehnte sich steiniges Hügelland, noch weiter nordöstlich ragten die scharf umrissenen Konturen der zerklüfteten hohen Felsmassen in die Luft.

Wie immer, schritten wir mit Harzfackeln dahin. Seit Tagen sparten wir das Karbid für die Laternen.

Juan blieb stehen. Buschwerk verdeckte mir seine Gestalt. Nur seine Fackel und sein Schädel ragten über das rot betupfte fahle Grün hinweg.

Er rief etwas …

Ich verstand ihn nicht …

Dann fuhr die steil emporgestreckte Fackel herab, – ein schriller Schrei folgte, und ich sah Juan wie einen gehetzten Hasen nach Nordost flüchten.

Ich begann zu laufen. Kaum hatte ich die Buschgrenze erreicht, als ich im ungewissen Fackellicht vor mir eine bewegliche Masse erkannte, die einem unregelmäßig wogenden Meer von dunkel gefärbten kurzen Wellen glich.

Hondu stieß einen Ton aus, den ich noch nie von ihm vernommen hatte. Ich kannte die verschiedensten Äußerungen seiner Empfindungen, in diesem Falle konnte ich nur auf Furcht schließen, auf ein jähes Entsetzen, das auch die Tierseele befällt, wenn sie den unabwendbaren Tod mit feinstem Instinkt vorausspürt.

Diese kochende Woge wälzte sich mit erstaunlicher Eile zum Teil hinter dem in langen Sätzen flüchtenden Neger her, die weit größere Menge des seltsamen, durcheinander quirlenden lebenden Stromes wandte sich gegen Hondu und mich.

Als das Fackellicht Einzelheiten enthüllte, sah ich die schweinsähnlichen Schnauzen von Riesenmaulwürfen, die hier zu Hunderten aus mir zunächst unbegreiflichen Gründen sich versammelt hatten.

Hondus Jaulen steigerte sich zu einem qualvollen Winseln. Er wich zurück, riß an der Leine, warf mich fast um.

Ein letzter Blick über die dicht gedrängten Rücken der bärengroßen Wühler gab mir Aufschluß über Zweck und Sinn dieser merkwürdigen Versammlung.

Ich hatte einst irgendwo in einem naturwissenschaftlichen Werke gelesen, daß auch die Maulwürfe genau wie manche anderen Tierarten zu Zeiten der Paarung, herbeigelockt durch ererbten Trieb, bestimmte Stellen nächtlicherweile aufsuchen und dort dann die Auswahl der neuen Pärchen nach unbekannten Gesetzen stattfände. Übrigens eine Annahme, die viel umstritten worden ist und zu der ich selbst etwa aus persönlicher Erfahrung keine Stellung nehmen kann.

Hier – und das bewies mir der Augenschein – handelte es sich zweifellos um eine solche gemeinsame Brautschau und gleichzeitiges Hochzeitsfest. Hätten sich gewöhnliche Maulwürfe hier versammelt gehabt, und wäre ihr Hochzeitsplatz etwa eine mondhelle Wiese gewesen, das Schauspiel würde mich dann zu längerem Verweilen gereizt haben. Die Natur zu belauschen, die Tierwelt in all ihrer Ursprünglichkeit und Eigenheit zu beobachten, ist mir stets Quelle reinster Freude gewesen.

Hier aber waren es bissige, gefährliche Bestien von der Größe brauner Bären, blinde Geschöpfe, aber ausgestattet mit den feinsten Sinnen. Gehör und Geruch ersetzten diesen Bestien mit den rosigen Nasen und den walzenförmigen Körpern und übergroßen Grabfüßen vollkommen das fehlende Augenlicht.

Ich hatte bereits übergenug Beweise von der erstaunlichen Schnelligkeit dieser Kreaturen erhalten, die, vielfach eine bequeme Beute der Krokodile, uns Menschen genügend zu schaffen machen konnten.

Es gab vor dieser Welle von angrifflustigen Tieren nur eine Rettung: Schleunigste Flucht dorthin, wohin sich auch der schwarze Juan gewandt hatte – nach den Felsenhügeln!

Hondu und ich rannten ums Leben, das wußten wir.

Das Getrappel der Füße hinter uns klang wie das Geräusch einer über eine trockene Wiese jagenden Rinderherde.

Flucht, – leider Flucht im Bogen nach Osten.

Denn der Teil der Hochzeiter, der es auf Juan abgesehen hatte, zwang mich zu diesem Umweg.

Hondu jaulte verschiedentlich schrill wie eine verrostete Trompete.

Die Todesangst saß ihm im Nacken …

Mir nicht minder.

Vor dieser Woge von Leibern gab es kein Heil, als kläglichen Wettlauf.

Und wie rannten wir!

Der Puma machte Sätze, daß ich mit durch die Luft gerissen wurde. Zuweilen strauchelte ich, zuweilen mußte ich beide Hände gebrauchen, Hondu nach rechts zu drängen. Er wollte zum Lager zurück, und das wäre das allerverkehrteste gewesen.

Vor mir aus dem Dunkel lohte eine Fackel auf.

Juans Triumphgeheul hätte meine Heiterkeit erregt, wäre die Lage nicht so überaus ernst gewesen. Dieses elende Viehzeug von Höhlenbestien war besessen von Liebestrieb und Raubgier. Einmal hatte ich beobachtet, wie so ein Vieh ein junges Krokodil mit den überaus kräftigen Zähnen mitten durchbiß und auffraß. Diese Sorte von Maulwürfen gab sich mit Kleinigkeiten nicht ab, fraß die zangenbewehrten Käfer, die Molche, die Tausendfüßler und hatte sich vollständig auf Fleischkost umgestellt.

Wir rannten ums Leben.

Aber Juan brüllte, und Juan hockte oben auf einer Felspyramide von achtzehn Meter Höhe mit steilen, glatten Lavawänden.

„Mr. Olaf, – – hierher …!“

Noch dreißig Meter …

War das ein Wettrennen!!

Noch zwanzig Meter …

Das Getrappel hinter mir klang verdammt nahe …

Hondu, der Dummkopf, tat zur Unzeit einen wilden Satz …

Ich war nicht vorbereitet.

Flog vornüber, ließ aber weder Leine noch Büchse fahren, wurde über Geröll geschleift, – die am Büchsenlauf festgebundene Fackel erlosch, – ein Tier sprang mir in den Nacken, – irgendwo fiel ein Schuß, noch einer, ich kam wieder auf die Beine, und Juans Zurufe leiteten mich zu einem säulenartigen Lavagebilde, das einer Schraube von gut sechs Meter Durchmesser glich.

Ein Scherz der Natur, – eine Wendeltreppe ohne Stufen, – die Schraubenwindungen bildeten die Treppe, ich riß Hondu mit mir, wir umkreisten die Säule, strebten nach oben, kamen oben an …

„Springen!!“, brüllte Juan …

Ich sah ihn drüben auf der gewaltigen, steilen Pyramide stehen, deren flache Spitze wie der Hut eines Pilzes vergrößert war: Lava, erstarrte Lava, ein überhängendes Dach also, aufgesetzt auf diesen Granitklotz, der fast ein Hügel war.

Springen?!

Vier Meter?!

Es erübrigte sich.

Mochte das Viehzeug da unten auch noch so flinke, krumme kräftige Beine haben, – die Wendeltreppe mieden sie!

Ich schaute hinab. Es war gerade kein Bibelspruch, den ich vor mich hin murmelte.

Ich setzte mich erschöpft nieder.

Hondu keuchte, ich keuchte …

Aber dann …

Ich blickte gen Osten …

Die Lavatreppe, die ungeheure Schraube, war höher als der Pyramidenpilz.

Die Aussicht auf die Feuer der Ewigkeit berückte mich. Alles vergaß ich. Bisher hatten wir das ferne Flammenmeer der brennenden Gase nur wie durch leichte Schleier geschaut.

Jetzt war die Fernsicht klar und rein und unbehindert.

Für Naturphänomene hatte Freund Juan wenig übrig.

„Springen Sie doch, Mr. Olaf! Hier ist ein kleines, steinernes Haus … Sie werden staunen!“

Ich staunte ohnedies.

Die Feuer der Ewigkeit ließen grüne, blaue, violette, rote Flammenzungen emporlohen … Die lohenden Zungen der drei Riesenessen vereinigten sich, und die Gase, die dort brannten, mußten aus Rohrleitungen aus dem tiefsten Innern der Erde kommen.

Die Feuer der Ewigkeit waren, von hier oben gesehen, mit nichts vergleichbar, das jemals meine Augen anstaunen durften.

Ich hatte voller Andacht von Bergesspitzen über tropische Landschaften, über nordische Schneegefilde, über unendliche Tannenwälder den Blick schweifen lassen … Ich hatte einst die Fackel des Südpols geschaut, hatte die Wunder eines Eisdomes genossen …

Hier – – dies?!

War es Magneta zu verdenken, daß sie vier Stunden später, neben Taskamore stehend, an dieser Stelle die Bezeichnung prägte:

Feuer der Ewigkeit …!

Nein …! In dieser Verbindung des Ausdrucks für das vernichtende und fördernde Element – Feuer – mit dem mehr symbolischen Namen „Ewigkeit“ lag etwas Hehres, Heiliges. –

Und nun hausen wir hier auf dem Pilzdach der steilen Pyramide, wir haben eine Zugbrücke hergestellt, und über diese Planken kommen Taskamore und Magneta und schleppen hinter sich den toten Höhlenmaulwurf.

In dem großen Urwalde haben sie ihn erlegt, den wir Magneta-Wald tauften, und dessen Abgrenzungen wir nicht kennen.

Bruder Kamo nimmt mich beiseite.

Er dämpft die Stimme. Sein Ton ist seltsam ernst.

„Olaf, es bleibt unter uns … Wir wollen die anderen nicht beunruhigen. Ich habe die wandernden Lichtpünktchen abermals gesehen. Es gibt da im Magneta-Walde eine große kahle, buschfreie Blöße mit vielen einzelnen Felsen. Dort sah ich sie. Magneta lenkte ich ab, – – wir werden jetzt wieder nachts abwechselnd wachen, wir drei, Juan und wir beide.“

In der Ferne, wo die Stämme des Waldes heller schimmern, blitzte eine grelle Flamme auf.

„Allison photographiert einen Stein mit Inschriften, Olaf … Findest du nicht, daß er sich merkwürdig verändert hat?! Ich fürchte fast …“

Magneta tritt zu uns.

Wir reden über den geplanten Erkundungsmarsch zu den Feuern der Ewigkeit.

 

7. Kapitel.

Eine Frau, die ich nicht begreife …

Das kleine Steingebäude, das hier einst auf der Pyramide stand, bevor die Lava es mit ihrem Glasteig halb bedeckte – genau wie jenen Palast der Zwergenskelette – bewohnen jetzt Allison, Magneta und Juan.

Kamo und ich haben unser Zelt.

An Kleidungsstücken tragen wir fast nichts.

Vor Magneta brauchen wir uns nicht zu schämen, zu genieren, – sie ist so oft mit splitternackten Wilden zusammengewesen, daß die paradiesische Tracht, ergänzt durch einen Lendenschurz und Gurt mit Pistolen, sie nicht weiter stört.

Sie selbst benutzt ein … Hemd als Anzug, ein Nachthemd ihres Vaters, dazu Sandalen, Juans Fabrikat.

Alle Formalitäten sind abgeschafft. Es heißt: „Olaf, Kamo, Juan, Professor“, – ohne „Herr“, oder „Mister“ oder „Miß“. Magneta ist zu lang. Also: Eta! Nur Hondu hat keinen Teil an dieser Vereinfachung. Er bleibt Hondu und ist aller Liebling.

Und Etas Liebling ist Kamo. Wie weit die beiden in der Kameradschaft, die zwischen Mann und Weib so brüchig ist, gediehen sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Bei dreißig Grad Wärme soll das Blut entweder träge werden oder heißer rollen. Ich glaube, und ich schließe darauf aus blanken Augen und Kleinigkeiten, – hier rollt es mit beträchtlicher Wärme und Eile durch die Adern.

Von mir aus, – – mögen sie glücklich sein. Meine Gedanken sind anderswo. –

Und nun ist es Nacht und die Zeit meiner Wache. Wir leben nach der Uhr. Über uns im Nordwinkel Guatemalas ist es jetzt Nacht, – – komische Vorstellung, – – über uns, in Guatemala!! Oder – – über uns über dem Südzipfel des Golfes von Honduras, denn Allison behauptet allen Ernstes, wir hätten das Meer zu unseren Häupten. Er stützt sich dabei auf seine Berechnungen, deren Richtigkeit ich anzweifele. Es ist ja auch gleichgültig, ob über uns das Meer brandet, oder eine Republik von Farbigen ihre Volksbeglückungsexperimente versucht, Präsidenten verjagt, neue einsetzt, Revolutiönchen markiert und die „misera plebs“, das arbeitende Proletariat, aussaugt. Nur daß das Meer entschieden sauberer ist.

Ich sitze hinter der Brustwehr, die wir rings um den Pilz aus Steinen und Lehm aufgemauert haben, und vor mir brennt das Feuer, knistert, knallt, faucht …

Hondu rekelt sich zu meinen Füßen.

Aus dem Steinhause dringt Juans unmelodisches Schnarchen, und irgendwo am Seeufer drüben klappt ein Krokodil die Kinnbacken wie trockene Bretter zusammen.

Zuweilen weht so etwas wie ein frischerer Luftzug über mich hin.

Allison hat längst festgestellt, daß unser sechster Erdteil irgendwo mit der Oberwelt durch Spalten und Risse in Verbindung steht und daß hier sogar etwas wie Zugluft herrscht. – Er stellt vieles fest. Er schreibt, rechnet, photographiert, beobachtet seine Wunderinstrumente, – – alles andere ist leerer Schall für ihn. Kamo hat nicht ganz unrecht: der Professor hat sich verändert. In seinen Augen flackert die einseitige Besessenheit des Fachgelehrten. Sogar um Eta kümmert er sich nicht. Sie leidet darunter, vielleicht merkt sie nicht ganz, wie es um ihren Vater steht, weil Taskamore ihr Denken ausfüllt.

– Es wird Zeit, Juan zu wecken.

Er hat die nächste Nummer.

Das Wecken ist ein Kunststück, denn Juans Schlaf ist wie tiefe Trunkenheit eines Siebenschläfers.

Er haust linker Hand in der Küche. Der Herd ist neu. Das Geschirr alt und spärlich. Der Schornstein ist ein Lehmrohr, das dauernd qualmt, weil das Fleisch geräuchert wird, soweit wir es nicht sofort verbrauchen. Bei dieser Hitze stinkt ein erlegter Höhlenmaulwurf nach zwei Stunden wie eine Abfallgrube im Sommer.

Ich rüttelte Juan …

Aber erst ein Kübel Wasser bringt ihn auf die Beine.

Draußen schärfe ich ihm größte Wachsamkeit ein.

„Juan, ich will in den Eta-Wald … Du weißt, weshalb.“

Er stopft seine Pfeife mit seinem gestreckten Tabak. Dieses Gemisch stinkt wie alte, schwelende Socken.

„Lassen Sie das lieber, Olaf …“, warnte er in aufrichtiger Besorgnis.

Und er blickt in die dämmernde, unsichere Tiefe.

„… Die Krokodile schwärmen, Olaf … Und die Erdbestien auch … Da, hören Sie …!“

Ich höre …

Ein schrilles Quieken, wie von einem gestochenen Schwein.

Juan fährt zurück.

„Was war das?!“

Er starrt in die Luft …

„Gibt es hier Fledermäuse, Olaf…?! Irgend etwas strich dicht an meiner Backe hin.“

„Ein Käfer – vielleicht“, erkläre ich ohne Interesse.

Plötzlich richtet sich der Puma lauschend empor, stellt die Ohren hoch und windet. Mit röchelndem Schnüffeln zieht er die Luft ein und ist dann mit einem eleganten Satz droben auf der Brustwehr. Der pendelnde Schwanz beschreibt ganz kurze, hastige Ausschläge, und die Hinterpfoten krallen sich fester in das Gemäuer.

„Hondu – – hierher!“

Ich packe sein Halsband … Reiße ihn zurück.

Irgend etwas schwirrt da bösartig an meinem Ohr vorüber, klatscht gegen den Lauf der Büchse und wirbelt zu Boden.

Es ist ein primitiver Pfeil mit Kupferspitze.

Juan hebt ihn auf und zeigt all seine prachtvollen Zähne.

„Also doch, Olaf!!“

Mehr sagt er nicht.

Wir sehen uns an.

Hondu knurrt grollend.

Der Rohrpfeil muß uralt sein, ist fast anderthalb Meter lang, und die Federn am unteren Ende sind verblichen, farblos.

„Wecke Taskamore, Juan!“

Kamo ist im Nu neben uns.

Ein Blick auf Hondu überzeugt mich, daß vorläufig jede Gefahr vorüber. Der Puma ist wieder ruhig und gleichgültig geworden, sitzt dicht zu meinen Füßen und läßt sich die Ohren krauen.

„Hältst du es für möglich, Kamo, daß hier noch Nachkommen jener Unglücklichen leben, die seinerzeit die große Katastrophe, das Zuklappen der Riesenfalle, mit erlebten?“

Mein Freund schüttelt energisch den Kopf. „Nein. Und da du diese Frage anschneidest, die Allison allerdings als ungelöst betrachtet, erkläre ich nunmehr ohne Rückhalt, daß ich …“

Ich hatte bisher den alten Pfeil hinter dem Rücken verborgen.

„Bitte, prüfe …! Prüfe, bevor du dich auf eine Ansicht festlegst, die du später wieder umstoßen müßtest.“

Seine meist sehr starren Züge belebten sich.

„In der Tat, der Pfeil ist sehr alt, Olaf …“

„Und es wurden zwei abgeschossen, einer auf Juan, der andere auf mich, außerdem verriet Hondu einwandfrei, daß der Schütze unten zwischen den Steinen gehockt hat.“

Taskamores hohe Stirn bekam Falten.

„Wir werden sehen …“, brachte er seinen Lieblingsspruch wieder einmal an. „Juan, du wirst hier sehr sorgsam den Wächter spielen“, wandte er sich an Freund Nigger, der bereits seine Pistolen umständlich nachsah. „Lösche das Feuer jetzt bis auf einige Scheite. Sobald wir auf der Lavatreppe sind, ziehst du die Planken wieder hoch und steckst noch ein Feuer auf der Brüstung an.“

„Verstehe!“, nickte Juan eifrig. „Sie sollen nur kommen, ich werde …“

„Halt!“, warf ich mahnend ein, denn des Schwarzen Wagemut wäre hier wenig am Platze gewesen. „Du tust nichts weiter, als scharf horchen und die Treppe beobachten. Rührt sich etwas, so gib drei Schüsse ab … – Daß du nicht etwa auf eigene Faust etwas unternimmst!“, warnte ich zum Schluß noch eindringlicher. „Du würdest dadurch nur Eta und den Professor bedenklich gefährden.“

„Ich bin kein Narr“, meinte Juan gereizt. „Die letzte Sache da mit den verliebten Biestern hat mich klug gemacht.“

„Hoffentlich!!“ Taskamore stieß die Brände mit einem Baumast auseinander, und ein Eimer Wasser ließ die Plattform unserer Festung in Dunkelheit versinken.

Lautlos senkte sich die einfache Zugbrücke, ich nahm Hondu an die Leine, schritt voran, und wir drei standen dann auf einer der oberen Windungen der seltsamen Wendeltreppe und überließen es Hondu, erst einmal unten nach dem Rechten zu sehen.

Ein leiser Pfiff, der Puma kehrte zurück, und Juan glitt über die Planken, zog sie empor, während wir geräuschlos abwärts schritten.

Wir schlugen mit aller gebotenen Vorsicht die Richtung nach dem Ostzipfel des Eta-Waldes ein. Die Laternen hatten wir abgeblendet, unsere Augen waren mit der Zeit an dieses Dreivierteldunkel gewöhnt geworden, und Hondus gute Nase war der sicherste Schutz. Er pflegte sofort halt zu machen, wenn er etwas Verdächtiges witterte, und seine eigenen Erfahrungen hier unten im sechsten Erdteil hatten ihn mißtrauisch und überaus wachsam werden lassen.

Unbehindert erreichten wir die ersten Bäume. Der traurige Blattschmuck, die zerfaserte Rinde, und eine trostlose Schlaffheit, die den Stämmen ihre verschiedenen Merkmale aufdrückten, machten sie zu kläglichen Kümmerlingen – wie angeschweißtes Wild, das mit schlecht verheilter Wunde sich im Dunkel der Dickungen hält. Ohne Sonne kein frisches, pflanzliches Leben, ohne erquickende Regengüsse keinen Glanz der Blätter. Diese Wälder hier im Bereich des matten Lichtscheins der Feuer der Ewigkeit glichen dahinsiechenden Kranken.

Der Boden war weich, tiefer Humus. Doch bereits nach kurzer Strecke zeigte der Eta-Wald die lästige Eigenart der tropischen Waldungen. Mochten Lianen und Dornenranken, Schmarotzergeflechte und ähnliches lebendes Netzwerk auch genau so kränkeln, sie bildeten doch schier undurchdringliche Drahtzäune, und nur Taskamores hervorragender Ortssinn fand die Lücke, die als schmaler Naturpfad tiefer in die Stille und faulige Luft dieser Baummassen führte.

Die Lichtung lag vor uns. Ich sah sie zum ersten Male. Ihre Abgrenzungen waren nicht zu erkennen. Man konnte Einzelheiten kaum auf zehn Schritt erkennen.

Hondu drängte plötzlich vorwärts. Seine Eile galt einem bestimmten, fernen Ziel, er mußte etwas wittern, und wir entsicherten die Büchsen und schritten in größerem Abstand dahin. Wenn schon ein Pfeilregen jäh hinter einem der dick bemoosten Steinblöcke hervor auf uns niedersausen sollte, – eine geteilte Scheibe zersplittert die Menge der Geschosse. Ich ließ auch Hondus Leine länger durch die Hand gleiten, bis er sechs Meter vor mir war.

Still huschten wir dahin, wie Schatten der Unterwelt, alle Sinne aufs äußerste gespannt, wichen finsteren Tümpeln aus, in denen die ekle Brut der Krokodile lauerte.

Die Lautlosigkeit der Umgebung bedrückte die Seele. Der kahle Steinboden, der mit hellen Sandstrecken abwechselte, dazu die verstreuten starren Felsen und einzelnen Büsche bargen kein Tier, das durch fröhlichen Ruf das Ohr erfreut hätte.

Blickte man empor, so war dort nichts als schwarze Finsternis. Man sehnte sich nach dem Gefunkel der Sterne. Hier war sogar das wundervolle Flammenspiel der drei Riesenessen abgesperrt. Der sieche Urwald verdeckte die fernen Feuer der Ewigkeit.

Ein mattes, ganz mattes Leuchten deutete vor uns auf einen Wasserspiegel hin. Wenige Schritte: Ein See!

Der feine, helle, fast weiße Ufersand zog sich wie ein willkürlich hingeworfenes Seidenband nach rechts und links und verlor sich in unbekannten Weiten, täuschte jedoch stärkere Lichtfülle vor.

„Ob wir eine Fackel anzünden, Kamo?“

Seine schlanke, muskulöse Gestalt, in deren Haltung stets das unbewußte Prunken mit Kraft und Geschmeidigkeit lag, regte sich nicht.

„Eine Insel, Olaf …“

Wir sprachen gedämpft, wie Schuldbewußte.

Es war seltsam: Aber wir hatten uns hier in diesen endlosen Tagen des Eilmarsches eine Art Flüsterton angewöhnt, – – wie Menschen, die berühmte Kirchen und Paläste besuchen, über denen der Hauch einer langen, bunten, glorreichen Vergangenheit ruht.

Ich strengte meine Augen noch mehr an, und auch mir schien es, als ob dort drüben, mitten auf dem matten Metallspiegel des Sees ein dunkleres Etwas lastete.

„Nur dort können die wandernden Lichter gewesen sein“, fügte Kamo hinzu.

Der Puma lief [hin][4] und her, kratzte im Ufersand, schnüffelte und wandte sich nach rechts.

Gleich darauf standen wir vor einem uralten Baumkahn, der zwischen Felsen verborgen war. Vier neu geschnitzte Blattruder ohne jede Verzierung lagen darin.

Taskamore winkte mir, mit anzupacken. Und ich winkte ab. „Kamo, die Leute sind hier am Ufer. Ich würde es richtiger finden, wir versuchten mit einem Floß hinüberzukommen und auf der Insel die Kerle abzufangen, wer es auch sei.“

Wir eilten weiter. Der Wald trat dicht an den See heran, und unter einem Hügel halb morscher Bambusstauden bis zu Schenkeldicke wählten wir das Material.

Die Arbeit war uns nicht neu, und nach zehn Minuten schwamm ein Floß, das uns bequem zu tragen vermochte.

Taskamores weit längere Stoßstange fand überall Grund. Es lagen auch Riffe unter Wasser, und einige vorwitzige Krokodile sanken mit aufgeschlitzten Leibern in die Tiefe. Allisons Buschmesservorrat eignete sich vorzüglich, das eine Ende einer Stoßstange zur Lanze zu gestalten.

Die Insel rückte näher.

Ihre Fundamente lagen im Finstern, der höhere Teil erhielt ein wenig Licht der fernen brennenden Gase, der höchste Punkt, sahen wir nun, war eine zackige blanke Bergspitze.

Wer jemals in einer Höhle eine Bootfahrt unternahm (und der Tourist kann dies in vielen Grotten), wird den rechten Genuß und die richtige Weihe des Seltsamen nur in schweigender Gesellschaft empfinden. Habgier, Unverstand und öde Zweckmäßigkeit haben der Natur auch dort Gewalt angetan, wo dies am unangebrachtesten gewesen. Man hat in berühmte Höhlen elektrische Bahnen gelegt, man hat Fahrstühle zur Beförderung in obere Höhlenetagen gebaut, man hat elektrisches Licht eingerichtet, – – und hat die Weihe der Unterwelt zerstört.

Jener Gelehrte, der einst die Wasserfälle der Reka überwand und dem damals lohende Fackeln und primitives Gerät genügten, soll die verflucht haben, die aus einem Naturwunder eine Schaubude machten.

Geräuschlos landeten wir. Hondu zitterte vor Eifer. Als erster war er am Ufer.

Und hier mußten frische Spuren von Menschen vorhanden sein, denn des Pumas Ungestüm riß mich eine steile Kluft mit vielen Naturstufen hoch. Lavatropfen wie hängende Säulen versperrten den Weg, hier wuchs nicht Baum noch Strauch, nur schleimige Pilze und Leuchtmoose schimmerten fahl in tiefen Klüften.

Mit einem Male ein freies Plateau, und als dessen Ostgrenze eine Mauer, darüber die Inselspitze wie eine Burgruine.

Ich befühlte die Mauer: Steinquadern!

Hondu drängte nach links …

Eine Toröffnung, dahinter verschwommen im kraftlosen Glanz der farbigen fernen Feuer ein halb eingestürzter Bau, – Stockwerk auf Stockwerk, eins immer kleiner als das andere, genau wie jene Bauten in Nordmexiko, die ganzen Indianerstämmen Raum und Schutz gewährten.

Hondu jaulte ganz leise und tat einen plötzlichen Satz, riß sich los, flog über Geröll hinweg und verschwand oben auf dem Dach des ersten Stockwerks.

Dann ein halblauter Ruf, eine Stimme, die ich nie vergessen hatte.

Tagelang hatte ich mit Lady Margot Sheridan in dem ehrwürdigen Maya-Tempel allein gelebt und mich selbst betrogen und mich selbst bekämpft. Kameradschaft sollte bleiben, was sie war: Zwanglose, harmlose Vertraulichkeit und Vertrauen!

Die Stimme beflügelte meinen Fuß, und droben in einem fast kahlen Gemach saß Mylady auf einem Moosbett und hatte die Hände um Hondus Hals geschlungen.

Eine Fackel brannte in einer Ritze, die engen Türöffnungen und Fenster waren mit Fellen verhangen, und der Qualm zog durch ein seitliches Loch träge davon.

„Olaf – – Sie?!“

Margot sprang empor.

„… Fliehen Sie …! Es sind ihrer zwanzig, Olaf, und die Leute sind toll …!“

Sie schob Hondu von sich.

Diese Begrüßung ernüchterte mich.

Aber die Frau mit dem blonden reichen Haar und den leidvoll-strengen Zügen, in denen doch die Lebensgier in feinen Blutwellen unter der Haut pochte, ließ weder Kamo noch mich zu Worte kommen.

„… Sie wollen Ihr Lager überfallen, wollen Sie alle töten – alle … Das Gold hat sie wahnsinnig gemacht – – das … Gold!!“

Die Verachtung in ihrer Stimme hielt sich im Gleichgewicht mit der Angst um uns.

„… Kehren Sie um, – verteidigen Sie sich. Umberto und Juarez sind Bestien, und Magneta Allison wird als einzige geschont werden, weil …“

Ihre trostlose Geste sagte alles.

Taskamore wandte sich hastig dem Ausgang zu.

„Olaf, du bleibst … Verbergt euch, … für drei ist das Floß zu klein …“

Er glitt hinaus, und Margots Ruf verklang ohne Erfolg.

„Olaf, sie werden ihn töten … Olaf, es ist schändlich, schmachvoll: Eine Sheridan als Genossin dieser Banditen!“

„Wer …?!“ Ich verstand sie nicht.

„Haben Sie denn Ethel Sheridan, meine Schwägerin, hier unten nie zu Gesicht bekommen?! Ich selbst kenne die näheren Zusammenhänge nicht, weiß nur, daß Ethel eine Heuchlerin ist, daß sie mich nach wie vor haßt, daß sie den Zugang zu dieser Unterwelt bereits vor mir entdeckte und schwieg und sich später mit Alvarez irgendwie zusammentat …“

Diese Eröffnungen, so überraschend sie mir auch kamen, verdrängten doch nicht die Pflicht der Stunde.

„Margot, hier können wir nicht bleiben …“

Ich überflog die aufgeschichteten Lebensmittel: Konserven, – überflog all das andere.

„Waren Sie einmal ganz oben in diesem vielstöckigen Bauwerk …?“, fragte ich überstürzt und raffte schon einen der Rucksäcke auf. „Droben werden wir uns verteidigen können … Helfen Sie mir … Einpacken! Nehmen Sie dort die beiden Strickleitern mit den eisernen Haken, auch die Leine … und …“

Schüsse, ferne Schüsse …

Ein rollendes Schnellfeuer …

Taskamore würde zu spät kommen …

„Schnell, Margot, – auch dies hier …“

Da kam Leben, Bewegung in die überschlanke Gestalt.

Mit zwei prall gefüllten Säcken klommen wir von Stockwerk zu Stockwerk, – Hondu wurde emporgezogen, Treppen gab es nicht.

Die Strickleitern flogen empor, krallten sich fest …

Immer höher ging es …

Und drüben strahlten für uns die Feuer der Ewigkeit, bis beim zehnten Anstieg plötzlich etwas wie ein finsteres hängendes Tuch sich zwischen das Farbenspiel der brennenden Gase und uns armselige Menschen schob.

Ich starrte hinüber, gewann Gewißheit und sagte mit brüchiger Stimme, in der die Schauer eines unnennbaren Staunens mitschwangen:

„Die Höhlendecke, – – eine Zacke der Höhlendecke!!“

Sie verstand mich nicht sofort. „Das ist doch unmöglich …! Ich habe nie die Höhlendecke erspähen können, Olaf …“

„Aber wir sind hier offenbar an einer Stelle, wo die Riesengrotte niedriger ist! Schauen Sie hin, Margot … Es ist die Höhlendecke … – Vorwärts, – – später hiervon …“

Noch vier Stockwerke, und dann, bereits in tiefe Finsternis getaucht, eine kleine, halbkreisförmige Plattform, – – eine Fackel knistert, sprüht, und über der äußersten Spitze des Bauwerks ragt ein plumpes riesiges Steinbild noch höher, und seine hochgereckten Arme, die irgend ein heidnisches Symbol halten, berühren zackige Felsen: Die Höhlendecke!!

Spukhaft wirkt das Bild, erinnert an uralte Sagen: Atlas, der das Himmelsgewölbe trägt, Atlas, der auf Zeus’ Befehl diese Last für immer schleppen muß, der den Herkules überlisten will und nachher doch wieder das Firmament auf die Schultern nimmt!

Man müßte schon ein Philister sein, wollte man nicht angesichts dieses Steingötzen, der das Gewölbe des sechsten Erdteiles hält, abermals die ganze Nichtigkeit des Menschen mit all seinen angemaßten Würden und Kenntnissen wie einen jämmerlichen Tand empfinden!

Margot schaut empor …

„Olaf, das ist ein Märchen, zur Wirklichkeit erstarrt!“

Märchen?!

Wieder leben in der Tiefe die bellenden Stimmen der Schüsse auf …

Ich fahre herum …

Dort im Norden muß die Festung liegen … Es ist zu weit …

Nicht einmal Lichtpünktchen glimmen durch das Dunkel.

Nur die Schüsse hallen schwach herüber …

Der Zauber zerrinnt, die harte Wirklichkeit zerreißt die flüchtigen Vorstellungen von Atlas, dem Titanensohn, der im Lande der Hesperiden das Himmelsgewölbe trägt.

Dieser oberste Raum ist klein, hat nur drei Zwischenwände, einen Eingang. Die Plattform ist bedeckt mit Lavastreifen. Lavatropfen hängen vom Sockel des Steingötzen herab …

Die Verteidigungsmöglichkeit kann kaum besser sein als hier. Von hier werde ich die Kerle einzeln wegputzen, und Margot wird helfen.

Wir legen die Säcke ab, befestigen die Fackel im dritten, fensterlosen Raum, – – alles leer hier. Nur am Boden mürber Zunder, der vielleicht einst gewebter Stoff war.

Wir sind erschöpft, sitzen, Rücken an die Wand gelehnt.

Lady Sheridan starrt geradeaus.

„Margot, eine Frage …“

Schweigen …

„Margot, Sie ließen doch einen Zettel damals zurück, bevor Sie verschwanden. Weshalb nahmen Sie das Skelett Ihres Gatten mit in diese Finsternis hinab, weshalb wollten Sie überhaupt hier in diesem sechsten Erdteil …“

Die graublauen Augen haben sich mir zugewandt. Blick ruht in Blick, und ich verstumme.

Sie spricht.

„Ich log!“

„Inwiefern?“

Ihre Stimme wird noch kälter.

„Ich log, daß ich Reginald Sheridan noch liebte, der mich nur heiratete, weil in mir die geheimen Kräfte der heiligen Rute schlummerten. Reginald war die Habgier selbst, das Maya-Gold lockte ihn, und ich sollte es finden – – als Ruten-Gängerin! Wie sollte ich den Mann noch lieben, Olaf?! – Und das andere, was Ihnen unerklärlich scheint, … das andere …“ – ihre Augen wichen zur Seite – „ist mein Geheimnis …“

Hondu, der einst ihr gehörte, sitzt zwischen uns.

Margot wirft die Arme um den Hals des Tieres, verbirgt das bleiche Gesicht in dem weichen Fell, und ein wildes, lautloses Schluchzen rüttelt ihren Leib hin und her.

Die Fackel knistert, qualmt, brennende Harztropfen fallen wie heiße Tränen auf den Steinboden …

Still gehe ich hinaus, taste mich hinaus.

Stehe auf der Plattform.

Die Feuer der Ewigkeit strahlen, blitzen, spielen in allen Farben, aber in sie hinein drängt sich der schwarze Keil, der vom Himmel des sechsten Erdteils herabhängt.

Ich begreife diese Frau nicht.

 

8. Kapitel.

Ein Bekannter von einst.

Stunden sind vergangen.

Wir haben uns hier oben unter dem Titanen Atlas häuslich eingerichtet, und Margot Sheridan bringt mir, der ich draußen auf der Lauer liege, einen warmen Imbiß.

Kein einziger Schuß ist drüben mehr gefallen. Das Todesschweigen dieser Unterwelt liegt über den unbekannten dunklen Weiten.

Margot und Hondu kauern neben mir.

Eine unsichtbare Schranke erhebt sich zwischen mir und der Frau, die um jeden Glauben an Liebe betrogen wurde. Ich hatte sie nichts mehr gefragt, ich habe gewartet, und wir sprachen über Allison, Magneta, Juan und diese Riesenhöhle und des Professors Theorie der zusammenklappenden Gebirgsmassen.

Die Laterne am Boden ist umhüllt und nur ein dünner Lichtfaden kriecht über den Boden und bestrahlt die Teller, die billigen Bestecke und Margots Hände, die in diesem Lichtkreis auftauchen und verschwinden wie körperlose Dinge.

Der mißmutige Hondu, dem die Enge hier oben nicht gefällt, kaut an amerikanischem Büchsenfleisch, als ob es Leder wäre. Die saftigen Schinken eines der Erdbären Etas schmecken ihm besser.

Unvermittelt beginnt Margot dann:

„Sie fingen mich in einem alten Gebäude voller Gerippe, Olaf, ganz überraschend …“

Also das war der Schrei gewesen, den ich gehört hatte!

„… Ich weiß wenig über die Leute. Es sind ihrer zwanzig, einschließlich Ethel … Sie schleppten mich mit sich, sie umschlichen Ihre Lagerplätze, sie wagten wohl keinen offenen Angriff. Und dann fanden sie hier das Gold, hier auf der Insel … – Gold?! Die Feuer der Tiefe haben es als unrein ausgeschieden, es ist nicht … Gold, Goldkörner, es ist ein goldenes Bett, Olaf, eine Schlucht, bis oben gefüllt mit zackigen Goldwogen. Nur hier konnte die Natur in so verschwenderischer Fülle das Unsaubere hineinzwängen zwischen ehrliche Felsen … Gold – – ein Krankenbett, ein Pestbett! Hervorgequollen muß es sein aus den tiefsten Schlünden wie ein Drache, – – und starb dann hier, erkaltete, verlor seine gefräßige Hitze und Feuerflüssigkeit und ward zu neuem Anlaß von Verbrechen. – Olaf, Sie hätten die Kerle sehen sollen, als sie in das Nest sprangen, mit den Messern kleine Stücke lossprengten und Gesichter wie faulende Leichen hatten – vor Gier!! Sie hätten Ethels Worte hören sollen, die dem Mestizen Juarez mit Leib und Seele verfallen ist! Eine Furie umtanzte das goldene Bett, und in den Augen dieser Furie glühte der Mord … Es war – – widerwärtig! Und ich habe ihn gewarnt …“

Ihre Stimme sank zum Hauch.

„… Einer der Leute ist so anders als das übrige Gesindel … Ein Weißer ist es … Er spricht wenig. Sein Name? Er nennt sich der rote Hill, und dabei ist sein Haar sandblond und sein wilder Bart fast weiß. Ein merkwürdiger Mensch … Ihm danke ich es, daß man mich nicht allzu roh behandelte …“

Ihre weiteren Sätze rauschten an meinen Ohren vorüber und fanden keinen Zugang zur Schwelle des arbeitenden Gedankenreiches.

Ich saß ganz still.

Der rote Hill?! Richard Hiller etwa?! Gefährte von der Eugenia-Bucht Niederkaliforniens – – und jetzt hier?!

Aber Margots Beschreibung paßte nicht auf unseren Ret Hil. Unser Ret Hil war ein Mann gewesen, wie die Welt ihn zuweilen zurechtknetet, – unser Hil trug keinen wilden Bart, und sein Gesicht strahlte Tatkraft, Klugheit, versonnene Güte. Er war ein schlichter Jäger gewesen, sagte er, und nachher hatte er an der Eugenia-Bucht, wo uns auf See die Springflut überraschte, die Erdölquellen sachgemäß erschließen wollen.

Vergangenheit griff in die Gegenwart hinein. Dieser Richard Hiller sollte wirklich nochmals meinen Weg kreuzen?!

„Olaf, – – dort!!“

Der blassen, schönen Frau wunderfeine Hand besaß ungeahnte Kräfte, und die spürte ich bei diesem jähen Druck um meinen Arm.

Diese Frau, die, umgeben von Schlangengewürm, das von Gift strotzte, und im selben Tempel mit einem Ungetüm von Anakonda, das ihr nichts zu leide tat, gelebt hatte, war weit hinausgewachsen über die Grenzen weiblicher kleiner Unzulänglichkeiten, die doch in ihrer Gesamtheit vielleicht gerade den holden Reiz des anderen Geschlechtes darstellen.

Wir hatten auf den See und den Wald vor uns in den letzten Minuten nicht geachtet.

Die Dunkelheit war zerfetzt von roten flackernden Flammen …

Die Finsternis war zerrissen von den sprühenden Funkengarben von brennenden harzigen Stämmen.

Eine Festbeleuchtung hatten die Banditen sich geleistet, die ebenso großartig wie frevelvoll und unbedacht war.

Einzelne Bäume des Eta-Waldes, und es gab da viele, die fast nur noch Säulen von Harz und schwefligen Niederschlägen bildeten, lohten empor wie Magnesiumfackeln, und durch das plötzliche Knallen und Krachen erhitzten Holzes tönte der wilde Gesang der heimkehrenden Sieger.

Vor der wilden, menschlichen Meute schritten Fackelträger, und wo sie in dem fauligen Gewirr des Urwaldpfades eine der Riesenkiefern entdeckten, legten sie neuen Brand an.

Ihre tollen Lieder berauschter Hirne klangen wie das tierische Gebrüll einer trunkenen Affenherde. Freudenschüsse gaben sie ab, traten auf die Lichtung hinaus, fanden auch hier neue Opfer einer unsinnigen Zerstörungswut.

Arm in Arm schritten hinter den Fackelträgern der gelbe Juarez, die blonde Ethel und der säbelbeinige, alte Bordellwirt Umberto, der zweifellos Italien nie gesehen hatte.

Ein nettes Kleeblatt, die drei da!!

Welcher Kontrast zu den anderen drei, die ihnen folgten!

Magneta ging stolz und ruhig dahin, als ob die ekle Brut gar nicht vorhanden sei. Neben ihr Professor Allan Allisons hohe Gestalt, mit einem halb verächtlichen, halb trüben Lächeln auf dem eckigen Cäsarenkopf. Und dann der schwarze Juan, als einziger der drei gefesselt, blutend dazu, taumelnd, aber immer bemüht, gleichfalls Haltung zu bewahren.

Den Beschluß machte der Chor der Sieger, – alles Galgenvögel, denen das Bewußtsein der Übermacht und die Gier nach dem goldenen Bett und die Hoffnung auf ungeahntes Schlemmerleben droben in den Städten, den Stätten der „Kultur“, die kläglichen Seelen umgekrempelt hatte, so daß die bunt geflickte Seite dieses mürben Behälters ohne Inhalt nach außen kam und sich endlich so zeigte, wie sie war: Leer und wie ein häßlicher, hundertfach geflickter Luftschlauch einer jetzt zwecklosen Maschine.

Aber als allerletzter kam einer, der nicht sang, der sich mit dem ganzen wertvollen Gepäck aus unserer Burg beladen hatte und gebückt unter der Riesenlast dahinschritt und still die Horde betrachtete.

Ein einziger Blick gab mir Gewißheit: Es war der rote Hiller, – die Yuma-Indianer hatten ihn Ret Hil getauft, er selbst nannte sich so, er hatte unter den Ausgestoßenen lange gelebt und ihnen mit Rat und Tat beigestanden.

Es war die Vergangenheit, die hineinpackte in die Gegenwart und mir zuraunte, daß auch sie ihr Recht auf uns besäße und sich nicht fortjagen ließe in einen Schmutzwinkel hinter die protzigen Gestelle einer Gegenwart, die gefüllt waren mit Dingen, die sich erst bewähren sollten. Dieselbe Stimme kündete mir den zweifelhaften Wert all dessen, was wir Gegenwart nennen. Ein Windstoß, ein Naturereignis, ein Orkan, der die Menschen mitreißt, – – und das aufgeblähte Etwas, das wir als zu uns gehörig bewundern oder dulden, verrauscht in Fetzen in das Nichts. Nur das, das solchen Sturm übersteht und hart und fest und geläutert am großen Pfade des Lebens sich aufrecht hält, das kann aus Gegenwart Vergangenheit werden – wie die festen Meilensteine am Wege der Länder und Völker.

Waren nicht Kamo und ich wie Beweise für diese raunende, scheue Wahrheit?! Konnte nicht auch Ret Hil durch die Springflut weggeschwemmt sein aus Gegenwärtigem?!

… Die gröhlende Menge machte das Boot fertig. Man setzte über zur Insel …

Als allerletzter, ganz allein fuhr der Mann mit dem großen Bündel, Ret Hil.

Still, bedächtig, aber in seinen Ruderschlägen lag die Kraft eines hohen Geistes, nicht nur das brutale Muskelspiel besessener Narren, die nunmehr diesen sechsten Erdteil als ihr Eigentum betrachteten.

Inzwischen waren die anderen längst vor dem unteren Stockwerk des hohen Baues angelangt.

Taskamore war nicht unter ihnen.

Angst beschlich mich. Kurzes Nachdenken zerstreute sie schnell. Als die Schüsse fielen und die Kerle unsere Burg gestürmt hatten, konnte Taskamore noch gar nicht zur Stelle gewesen sein.

Eine neue greuliche Flut von heiserem Gebrüll schwoll jählings an. Man schleppte und stieß die drei Gefangenen gen Süden, wo neben dem uralten Terrassenbauwerk der Boden allmählich in tiefen Felskerben zum See abfiel. Ein Dutzend Fackeln gaben das nötige Licht, und der rötliche, unruhige Schein glitt hinab in eine Kluft, in der die lodernden Brände mit ihrer schwelenden Glut sich wiederspiegelten auf gelbrotem Metall, das erfrorenen Meereswogen in der Gestaltung glich und an den Wänden des Schlundes emporzulecken schien mit metallenen Zungen.

„Gold – das Gold!“, flüsterte Margot neben mir.

Ihr Atem ging und kam in kurzen Stößen.

„Olaf, – Sie kenne ich, – Sie verachten es, wie ich es tue! Es ist die Geißel der Menschheit seit jenem unseligen Tage, an dem im alten Reiche der Pharaonen ein König die ersten Münzen schlagen ließ! Es könnte Segen für die Menschheit sein, wenn nicht Eitelkeit, Genußgier, Machthunger und … Weiber als finstere Dämonen diesen Segen immer wieder vernichten würden. Es klingt hart, daß ich die Frauen mit erwähne. Wer nicht blind ist, sieht ihre Putzsucht, Leichtfertigkeit. Sie sind der ergänzende Teil zum großen Geheimnis des heiligsten Triebes, der Liebe, der Fortpflanzung. Aber das biblische Gleichnis vom Sündenfall und von der Vertreibung aus dem Paradiese scheint mir zumeist sehr willkürlich gedeutet zu werden. Wer jemals gesehen hat, wie die sogenannten oberen Zehntausend der sogenannten Kulturzentren ihre Weiber mit Schmuck und Flitter behängen und schamlos zur Schau stellen, als wären es Dirnen aus einem Hafenviertel, der verliert den Glauben an die große, hehre Mission der Frau. – –

Ist das Professor Allison, Olaf?“

Es war Allison, der jetzt von dem krummbeinigen Mulatten Umberto gezwungen wurde, in die Goldkluft hinabzuklettern. Wahrscheinlich sollte Allison das Edelmetall prüfen.

Wieder konnte ich hier von dem hohen Auslug seine Gesichtszüge unterscheiden, deren Ausdruck mich schmerzte. Allison schien es als körperliche Pein zu empfinden, dieses goldene Bett zu betreten. Dann bückte er sich, kratzte mit dem Messer an den goldenen Zacken und sprach irgend etwas zu dem krausköpfigen Kapitän.

Die Kerle stießen ein unsinniges Geheul aus, tanzten wie verrückt umher und achteten nicht im geringsten auf unseren schwarzen Juan und Magneta.

Nur wir sahen es …

Der rote Hill zerschnitt Juans Stricke, warf die losen Enden in das Dunkel, zwei Gestalten huschten davon, eine Strickleiter flog am Nordende des Bauwerks empor, und Magneta erreichte die erste Terrasse … –

Es wurde Zeit.

Ich hörte neben mir das leise Knacken, als Margot Sheridan den Sicherungshebel ihrer Büchse mit dem Daumen zurückschob …

Ein Blick nur. Wir verstanden uns …

Allison stand noch immer in der Kluft. Umberto beugte sich zu ihm hinab …

Aber die Kugel, die ich dem alten Schurken zugedacht, blieb im Rohr.

Unter der wahnwitzigen Schar, in der Ethel Sheridan Arm in Arm mit dem Mestizen Juarez, dicht hinter dem Sennor Kapitano der „Bonanza“ diesen Veitstanz gemäßigter mitmachte, tauchte Ret Hils schlanke hohe Gestalt auf.

Von dem, was er redete, war hier oben auf dem Gipfel der Dächer wenig zu verstehen. Aber seine eindrucksvollen Handbewegungen ergänzten das Fehlende.

Die Kerle verstummten.

Ret Hil warnte sie, warnte sie vor Umberto, Juarez und Ethel …

Seine Stimme schwoll an … Wie ein Fanatiker schleuderte er dem verblüfft schweigenden Mulatten und dem höhnisch grinsenden Alvarez die Anklagen in die gleißnerischen Gesichter.

„… Glaubt ihr wirklich, daß die drei mit euch teilen werden?! Ausnutzen werden sie euch, Packesel werdet ihr spielen, das Gold an die Oberwelt zu schaffen! Nachher?! Nachher genügt das Gift, das Alvarez in einem Fläschchen bei sich trägt, euch alle krepieren zu lassen!“

Juarez Hand flog zum Gürtel.

Aber Ret Hil war flinker. Der Fausthieb hätte einen Riesen zu Fall gebracht.

„… Ich habe die drei vorgestern belauscht“, rief der rote Hill noch dröhnender. „Da – öffnet dem Mestizen die Jacke … Überzeugt euch …!“

Ethel Sheridan lachte schrill.

„Lügner!! Lügner, – – Gift?! Wo ist Gift?! Hier ist das Fläschchen …! Und was enthält es? Scheidewasser!! Ihr kennt es alle …! Zum Prüfen von Gold! Nichts weiter! Laßt euch nicht von diesem Burschen narren, der nur die Macht an sich reißen möchte!“

Und auch ihre überschnappende Stimme erreichte uns nur brockenweise.

Es war ein Kampf mit Worten …

Ret Hils Sache stand nicht zu Best.

Umberto mischte sich ein, und der kleine fette Schuft mit dem vertierten Gesicht konnte reden. Er tat es anders als Ethel, er schlug salbungsvolle Töne an, und das farbige Gesindel, zu beschränkt, die unendliche Niedertracht dieses bescheiden eifernden „Freundes der Ärmsten“ (verdammt, der Umberto hatte Zeitungen studiert!!) zu durchschauen, wurde wankelmütig.

Ret Hils schneidendes Lachen verdarb dem Halbnigger das Konzept.

Seine Stimme war wie der Orkan, der das Meer bis zum Grund aufwühlt.

„Wo stecktet ihr drei, Umberto, als ihr uns gegen das Lager des Professors hetztet?! Wo stecktet ihr?! Hinten – – ganz hinten, – sicher vor jeder Kugel! Und – was wäre geworden, wenn Allison nicht dem Neger befohlen hätte, mit uns zu verhandeln?! Die Hälfte von uns wäre abgeknallt worden, die andere Hälfte hätte als Packesel für das Gold noch genügt! Wo wart ihr drei? Wer war vorn? – – Ich!! Mir spritzte der Schwarze die Kugeln um die Ohren, ich rief Allison zu, daß jedes Blutvergießen zwecklos sei! Und neben mir waren da noch ein paar andere, die nicht nur ihr Maul zu gebrauchen verstehen …!“

Fesselndes Schauspiel, – Banditenaufruhr, Banditenspaltung …!

Da waren sechs Leute, die sofort neben Ret Hil traten.

Die anderen?! Die fühlten sich wohl getroffen durch diese bittere Wahrheit, die hatten wohl ebenfalls die eigene Haut sicher gedeckt und gehofft, die Dummen würden die Festung schon stürmen.

Umberto warf sich mächtig in die Brust.

„Das ist … Rebellion!!“, kreischte er … „Das ist gemeiner Verrat an uns allen! Packt zu, meine Jungens, bindet die Halunken, – – oder …“

Umberto Scarfo stoppte rechtzeitig ab. Diese neue Tonart verfing nicht. Er merkte es.

Die sechs da um Ret Hil hatten die Pistolen bereit. Das waren keine Halsabschneider, die nur Hühner abkehlten, das waren Burschen, die mehr Verstand besaßen als der größere Haufen. Das waren Kämpfer, keine Wortvergeuder …

Außerdem begann auch Sennor Juarez allmählich wieder Luft schnappen zu können, setzte sich aufrecht, starrte blöde um sich …

Ethel Sheridan, hineingeraten in diese unwürdige Gemeinschaft durch Ereignisse, die ich noch nicht überschaute, half Juarez auf die Beine …

Ethel, Schwester Lord James’, den ich Freund nannte!!

Ich bekam den gallenbitteren Geschmack auf der Zunge.

„Wir … wir werden uns in Güte einigen“, rief der gemästete, eitle Kapitano eilends. „Nur keine Feindschaft, Jungens, – all das sind nur Mißverständnisse, die …“

Er hatte sich verrechnet.

„Hände hoch – – alle!!“

Den Ret Hil kannte ich.

Irgendwoher war der krächzende Ruf eines Adlers erklungen. Nur eine Sekunde hatte Ret Hil aufgehorcht.

„Hände hoch!!“

Umberto war der erste, der gehorchte …

Aber da waren noch unter den Anhängern des Kapitano ein paar Kerle, die jetzt die Sache falsch verstanden. In ihre blöden Hirne hatte sich der Wahn, daß Umberto sich völlig zu ihnen zählte und ihres gleichen sein wolle, derart festgefressen, daß sie dem blondbärtigen Europäer, dessen Barthaare fast weiß erschienen, mit jenem instinktmäßigen Haß begegneten, der schon durch ihre farbige Blutmischung bedingt war.

Der eine griff nach dem Messer, ein anderer ebenso heimlich nach der Pistole.

Jetzt wurde es Zeit.

„Schulter!“, sagte ich nur …

Margot nickte.

Indem erscholl abermals das Krächzen des Adlers.

Und diesmal fielen die schrillen Töne in das allgemeine Schweigen hinein, wie Rufe aus der Geisterwelt.

Anderes kam hinzu, die Szene da unten jäh zu beenden.

Umberto hatte flüchtig nach dem unsichtbaren Vogel ausgeschaut. Sein Blick glitt über den nahen Wald jenseits des östlichen Seeufers hin.

Dort, wo bisher nur einzelne Stämme gebrannt hatten, flackerten überall lange Reihen von himmelhoch lodernden Urwaldriesen, und irgend eine schwache, trotzdem diese Glutmassen noch mehr anfachende Luftbewegung hatte das Feuer bis zum Seeufer vorgetrieben.

Himmelhoch …!

Hier gab es keinen Himmel, hier gab es nur die Höhlendecke, und der grelle Lichtschein dieses Riesenbrandes enthüllte jetzt das seltsame Wunder, daß die steinerne Wölbung gerade über dem Götzenbilde hier über uns sich tief herabgesenkt zu haben schien.

Umberto, Ethel, der Mestize starrten aufwärts, mußten uns sehen …

Sahen uns.

Mit heiserem Kreischen verschwand der Kapitano in dem Erdgeschoß der Terrassenburg, Ethel riß Juarez mit sich, – im Nu war der Platz leer, da auch Ret Hil die Wendung der Dinge für sich und die Seinen schleunigst ausgenutzt hatte. Ein Griff hob Allison aus der goldenen Kluft, dann folgten die acht Leute dem vorausgeeilten Juan und der flinken Magneta, – nicht ein Schuß fiel, von Stockwerk zu Stockwerk turnten sie, wir halfen, warfen die feste Leine hinab, und wenig später waren wir hier oben eine stattliche Versammlung, die nun mit dem Reste der Herrschaften im Erdgeschoß ganz nach Belieben umspringen konnte. Gegen unseren Willen konnte nicht einer sich ins Freie wagen.

„Ret Hil, – – Sie hier?!“

Beide Hände hatte er mir gereicht.

Über sein Gesicht lief ein Zucken.

„Leider, Abelsen, leider …! Die Springflut nahm den einen Tankdampfer mit, das Ding kenterte, ich habe acht Tage allein in einem Boot halbtot gelegen … Im Grunde mußte ich Umbertos Schmugglerkahn noch dankbar sein! Aber was hier in den Tiefen der Erde als Fortsetzung folgte, war … geplanter Massenmord, das stimmt schon. Umberto, Juarez und dieses Frauenzimmer, das mit einem Male auftauchte, sind schlimmer als Hyänen – ekler, widerwärtiger. – Wo ist Taskamore?“

„Drüben!“

Ich deutete über den See nach der taghell beleuchteten Waldblöße. Dort am Ufer stand ein einzelner Mann, lässig auf seine Büchse gelehnt, den Filzhut weit ins Genick geschoben:

Lebende Statue …!

Magneta sah ihn.

Magneta offenbarte alles, was in ihrem Herzen sich regte, in einem einzigen, jubelnden Schrei.

Die Gestalt schwenkte den Hut.

Die Wälder brannten, knallten, knisterten, – Riesenstämme stürzten, Funkenregen stiebte …

Aber über Feuer und Qualm und zischenden Flammenzungen leuchteten drüben in endloser Ferne die anderen Feuer, – farbig, still, riesenhaft, – aus drei Essen hervorfauchend… –

Kamo lag plötzlich flach im Geröll …

Das Erdgeschoß spuckte Blitze …

„Narren!“, sagte Ret Hil kalt. „Da, Taskamores Antwort!“

Aus dem Geröll am Ufer ein kurzer Strahl, – unter uns in dem Terrassenbau ein Schrei …

Und Stille.

Stille, die nicht mehr Stille war …

Denn der Eta-Wald, vielleicht Jahrtausende dahinkümmernd, war nur mehr ein einziges Flammenmeer, umgab den See im Halbkreis nach Norden zu, bestrahlte die Blöße, lärmte in grimmer Wut gegen sein Sterben, fauchte, zischte, polterte, knallte, krachte, donnerte …

Und … sandte das lebende Heer seines gefährlichen Getiers flüchtend zum See.

Aus Pfützen und Tümpeln und sumpfigen Bächen krochen Scharen von Krokodilen über Gestein und Sand, liefen mit hochgestellten Beinen um die Wette mit ihren grimmen Feinden, den Erdbären Magnetas, – Wogen von Viehzeug suchten der sengenden Glut zu entrinnen, wimmelten auf der Waldlichtung wie eine geschlagene Armee.

Und wieder gellte Magneta Allisons Ruf:

„Rettet Taskamore!!“

Er war verschwunden.

Dort, wo er den einen Schuß abgegeben hatte, plumpsten Krokodile ins Wasser, wühlten sich Riesenmaulwürfe in den Boden …

Hier bei uns wuchs die Hitze, daß uns das Atmen schwer wurde.

„Rettet Taskamore!!“

Ich nahm Magnetas ungeduldige, zitternde Hand.

„Eta, Freund Kamo sorgt schon für seine Sicherheit! Aber wir?!“

Das Sprechen ward zur Pein.

Das, was die Lungen einsogen, war Glutodem.

Und der Wald brannte noch nicht einmal in all seiner Fülle morschen Holzes!

Allan Allison, der schweigend Umschau gehalten, winkte mir.

„Olaf!“

„Professor?“

„Blicken Sie dorthin!“ Sein Finger wies auf den Titanen Atlas …

Auf Atlas, den Träger des Himmels.

Hier den symbolischen Träger des finsteren Firmaments des sechsten Erdteils.

 

9. Kapitel.

Um das goldene Bett.

Margot wird ungeduldig.

„Olaf, aufhören!!“

Das Mittagmahl wartet. Und Damen soll man erst recht nicht warten lassen.

Ich packe die Blätter zusammen … Wir nehmen hier im weitläufigen Erdgeschoß des uralten Terrassenbaues getrennt das Essen ein. Umberto und die Seinen bilden die eine Tischrunde (ohne Tisch, natürlich), wir die andere. Wir sind bewaffnet, die anderen nicht. Wir sind die Herren, die anderen sind … gehorsam. Das Blättchen hat sich eben gewendet. Taskamore, Allison und Eta sind heute unterwegs. Deshalb zählt unsere Partei nur zehn Köpfe.

Die Speisenkarte ist außerordentlich reichhaltig. Es gibt Büchsenfleischsuppe mit Moosgemüse, Maulwurfschinken und hinterher pro Kopf einen halben Biskuit. Hondu verzichtet auf diese Nachspeise.

Bei Tisch meint Ret Hil, wir könnten jetzt Sennor Umberto (den wir nur noch Hummer nennen), eigentlich mit seinem Anhang heimschicken.

„Die letzten Krokodilkadaver sind vergraben, und – was soll die Gesellschaft noch hier?!“

Ich kann ihm nur beipflichten. Je eher wir die acht Leute, Ethel eingerechnet, loswerden, desto angenehmer für uns. Richtige Bewegungsfreiheit werden wir erst haben, wenn die Kerle abmarschiert sind.

Auf Taskamore und seiner Begleiter Rückkehr können wir nicht warten. Allison will erkunden, wie weit man sich den drei ewigen Feuern ungefährdet nähern darf, und die kleine Expedition unserer Freunde kann kaum vor übermorgen zurück sein.

„Übernehmen Sie die Aussprache mit Ethel“, bittet Ret Hil mit harter Miene. „Sie kennen meine Abneigung gegen diese … diese junge Dame.“

Ich erhebe mich von meinem Steinsitz, greife nach der Büchse, wünsche allseits gesegnete Mahlzeit, pfeife Hondu und schlendere durch drei Türöffnungen in den dritten nördlichen Raum, wo die Gegenpartei haust.

Die Herrschaften dinieren noch. Über Mangel an haßerfüllten Blicken kann ich mich nicht beklagen.

Ich bleibe stehen, lehne mich an die dicke Mauer und zähle die brennenden Fackeln.

Acht …

„Miß Ethel, bitte …“

Ethel Sheridan, die mit keinem von uns bisher ein Wort gewechselt hat, obwohl der große Waldbrand acht Tage zurückliegt, ist schwerhörig.

Es fällt mir nicht im Traum ein, etwa dem Hummer oder dem gelben Juarez die Ehre anzutun, mit ihnen das Nötige zu besprechen. Ethel ist immerhin Lord James’ Schwester.

„Ethel – – bitte!!“

Sie sitzt neben ihrem Mischling-Galan, wirft den Kopf frech zurück, und … das ist alles.

Wir haben mit diesen Herrschaften nicht mehr viel Umstände gemacht und alle Höflichkeit ausgeschaltet.

Ich trete vor, reiße Ethel am Arme hoch und stoße sie durch die Türöffnung ins Freie.

„Bravo!“, ruft einer von der Hummer-Garde.

Die Kerle bereuen es längst, sich damals nicht für Ret Hil entschieden zu haben. Nun ist es zu spät, und alle Schmeicheleien und Anbiederungsversuche stoßen auf taube Ohren.

Ethel steht da, schüttelt die Fäuste, schäumt vor Grimm.

„Sie … Flegel!! Sie … Bestie!!“

Ich blicke sie an, und wenn ich jetzt dieses Gesicht zergliedere, begreife ich nicht, weshalb ich es jemals einigermaßen reizvoll fand. Ethels Züge haben in dieser häßlichen Verzerrung unbedingt etwas … etwas Negerhaftes, ein negroiden Einschlag. Die Lippen sind dick, die Unterlippe hängt herab, die Backenknochen sind zu stark entwickelt, die Augenpartie verrät vielleicht am allerdeutlichsten, daß einer der Sheridans einmal irgendwo in der Wahl der Gattin einen Fehlgriff tat. Auch Ethels Temperament spricht dafür. Sie ist unbeherrscht, haltlos, sie hat sich dem Mestizen an den Hals geworfen, – – die näheren Umstände kenne ich nicht. Bisher nicht. Ethel ist eben ein Rückschlag, – – Kuckucksei wäre zu wenig gesagt.

„Schämen Sie sich!“

Der Speichel rinnt ihr vor Wut aus den Mundwinkeln, und in den wilden Augen flammt eine fast bedrohliche Tücke.

Ret Hil hat mir eine üble Aufgabe zugeschoben.

Mein Blick schweift über den See, den stellenweise noch rauchenden Wald …

In der Ferne leuchten wie reine, farbenfrohe Wunder die Feuer der Ewigkeit.

„Ethel, – nur weil Ihr Bruder James mein Freund war, – – wie konnten Sie sich mit diesem Auswurf einlassen?“

Die reinen, farbenfrohen Flammenzungen stimmen mich milder.

„Sie sind doch eine Sheridan, eine Engländerin, Ethel …! – Was wurde aus der Jacht Hamilton? Dieses Gewürm von Umberto behauptet, die Jacht sei untergegangen, und seine Leute hätten Sie herausgefischt … Ist das richtig?“

Hondu sitzt neben mir. Und Hondu hat ein sehr feines Gefühl dafür, wer Sympathie verdient.

Ethels Fäuste sinken, da der Puma böse knurrt.

„Ja, die Jacht ging verloren …“, erklärt sie heiser, aber absichtlich ohne jedes Bedauern. „Mir gehört also La Terrosa, und mithin auch diese Höhle. Ich werde vor Gericht meine Ansprüche geltend machen. Margot kommt als Erbin nicht in Frage, da Reginald eine unebenbürtige Ehe schloß – – mit einer Krämertochter. Margot ist für mich Margot Brunce, – – ein Etwas, keine Dame!“

„Da haben Sie mithin seinerzeit also eine recht widerliche Komödie gespielt, als Sie so taten, als hätten Sie Ihren Haß gegen Margot begraben … Welche Verstellungskunst!!“ – Ich bringe es nicht fertig, einen scharfen Ton anzuschlagen. Dieses Mädchen ist mir nur – – ein Etwas.

„James ist tot?“, frage ich nach einer kurzen Pause, die Ethel durch ein freches Gelächter ausfüllt.

„Ja … tot!“

„Armer James, arme Besatzung! – Machen wir es kurz … Sie und die Bande da verlassen in einer Stunde die Insel. Sie bekommen eine Büchse und eine Pistole mit je zwanzig Patronen und sonst noch das Nötigste mit, damit Sie den Rückmarsch ungefährdet überstehen. Teilen Sie dies Ihren Freunden mit. Weiter hätte ich Ihnen nichts zu sagen, höchstens das eine: Wer von Ihnen morgen noch in der Nähe des Sees angetroffen wird, erhält eine Kugel, und wer je wieder wagt, diese Unterwelt zu betreten, mag vorher sein Testament machen. La Terrosa ist Margots Eigentum.“

Ich bemerke das vielsagende höhnische Zucken um ihre Mundwinkel.

Sie glaubt zweifellos, daß wir außerordentlich töricht handeln.

Der offene Hohn in den haßerfüllten Augen reizt mich doch.

„Ich weiß, woran Sie denken, Ethel … aber – – die Pläne schlagen Sie sich nur aus dem Kopf. Selbst wenn Sie den Ausgang etwa durch Sprengung der Pandanus-Höhle verrammeln oder ähnliche Scherze beabsichtigen, uns hier einzusperren, und dann vielleicht mit einer kleinen Armee farbiger Strolche zurückkehren: Zwecklos!! Absolut zwecklos, da wir bereits einen anderen bequemeren Ausgang entdeckt haben. Von dem Golde werden Sie also nichts mehr vorfinden, Ethel … Sie haben verspielt, Leib und Seele. Ich bedauere Sie.“

Damit wende ich mich ab …

Hinter mir ein zischendes Keuchen, – – dann Hondus Knurren, – – dann ein ohnmächtiges wildes Schluchzen und …

„Schuft, mit dir rechne ich ab!!“

Ret Hil tat wirklich klug, als er mich bat, mit diesem Weibe zu reden. – –

Der Abtransport der Herrschaften verläuft etwas lebhaft, und ich glaube, der Hummer wird die Kolbenstöße noch tagelang gefühlt haben. Juarez und Ethel haben sich auf eine Schimpfkanonade beschränkt.

Dann macht sich Ret Hil mit dreien von uns auf und bleibt dem abziehenden Trupp auf den Fersen.

Sicher ist sicher.

Sennor Hummer muß sofort zwölf Stunden ununterbrochen marschieren, dann erst dürfen sie lagern … – Er wird Fett dabei einbüßen. – –

Jetzt endlich ist die Insel ganz gesäubert.

Ich will nachholen, was über den großen Brand zu sagen ist. Es wäre effektvoller gewesen, die Schilderung der Ereignisse nicht an dem Punkte zu unterbrechen, wo Allisons Geste während der qualvollen Hitze, die auch uns mit dem Tode bedrohte, auf den gewaltigen, steinernen Götzen wies. Der Professor, der jahrelang die Wildnisse der Erdbeben-Republiken durchquert hatte, war ein besserer Kenner der Eigentümlichkeiten solch uralter Bauwerke.

„Abelsen, zumeist sind die Steinfiguren auf diesen Terrassenbauten drehbar und verbergen nur den Eingang in irgend ein sicheres Versteck“, hatte er mir zugeraunt. „Wollen Sie es wagen, emporzuklettern? Es geht um unser aller Leben. Diese Tollhäusler, die da den Wald anzündeten, wußten nicht, daß sie sich selbst mordeten! Schauen Sie hinab, – da klettern sie zu uns empor, ohne Waffen, die Todesfurcht sitzt ihnen im Nacken, und der andere Tod ebenso: Taskamore kommt dicht hinter ihnen her!“

Hier handelte es sich um Sekunden. Der von Krokodilen wimmelnde See war unpassierbar. Falls Allisons Vermutung nicht zutraf, konnten wir bestimmt damit rechnen, – in kürzester Zeit jämmerlich zu ersticken. Ein Besinnen oder Zögern gab es hier nicht. Übrigens teilte ich des Professors Hoffnung, denn die an einer Stelle in die Mauerblöcke eingemeißelten Löcher konnten nur Stufen sein, – waren Stufen, und mit wenigen Griffen erreichte ich das Postament.

Die Hitze hier unter der Höhlendecke – das Steinbild mochte acht Meter hoch sein – war qualvoll. Der Anblick des Waldbrandes hätte mich begeistert, wenn die Umstände weniger gefährlich gewesen wären.

Eine rasche Prüfung des Sockels ergab, daß die Figur des Atlas auf einer quadratischen, glatt geschliffenen Platte stand, die auf der Oberfläche des ebenso polierten Sockels auflag. Schon dies und einige tiefe Schrammen in dem Sockel feuerten meine letzten Kräfte an. Ich bezwang das aufsteigende Schwindelgefühl, ich drückte mit aller Kraft gegen die eine Ecke der Platte, die mir die richtige zu sein schien, wie die Schrammen andeuteten. Es war die richtige, und zu meinem Erstaunen, das sich in einem halb unbewußten Triumphschrei äußerte, schwenkte die Statue zur Seite und gab ein rundes Loch frei, das gut ein Meter Durchmesser hatte.

Ein rascher Blick in die unbekannte Tiefe: Eine steile, schmale Treppe mit Steingeländer lief in völlige Finsternis hinab. Muffiger, fauliger Gestank quoll mir in die Nase.

Ich rief, winkte …

Ich half Magneta empor, dann Margot …

Alles ging in fliegender Eile.

Laternen brannten. –

Einzeln klommen wir abwärts …

Wohin? Niemand wußte es …

Niemand kümmerte sich um die verstörten Feinde, Freund und Feind brachte sich in Sicherheit, als letzter Taskamore, der das Steinbild wieder über die Öffnung rückte.

Ich hatte längst die Tiefe erreicht. Die gewundene Treppe war in die Mauern eingebettet, der Schacht erweiterte sich, ganz unten hatte er Sichelform, eine breite Steinplattform bot genügend Raum, Wasser sprudelte aus einer Bodenspalte, staute sich zum kleinen Tümpel auf und floß irgendwohin langsam ab.

Die Luft hier war kühl, fast kalt. Wenigstens für uns, die wir an die dreißig Grad beständige Wärme gewöhnt gewesen und zuletzt vielleicht mit achtunddreißig gerungen hatten.

Still, erschöpft sanken die meisten zu Boden. Ret Hil hatte die Bündel mit den Konserven geborgen, Juan hatte meinen Hondu getragen, – die geglückte Flucht vor dem Feuer machte uns stumm. In einem Winkel hockten die acht zahmen Gegner, – abseits, schuldbewußt, nur Ethel schon da mit den frechen, herausfordernden Augen.

Professor Allison blieb selbst hier strenger Wissenschaftler. Er untersuchte die Steinmauer, er maß die Wassertiefe, stellte noch andere Messungen an, – es wirkte fast komisch, wie er trotz seiner sichtlichen Ermattung ruhelos hin und her schritt, unfehlbar ein großer Geist.

Aber – – ein getrübter Geist?!

Niemals!

Ein Mann, der genau wußte, was er wollte, der vorsichtig das Wasser der Quelle schmeckte und dann den gefüllten Becher weiterreichte.

Schließlich wandte er sich an Eta.

„Kind, genau wie der Terrassenbau im Urwalde von Quextaro in Südmexiko! Genau! Eine höchst eigenartige Übereinstimmung, wie du zugeben mußt.“

Eta nickte nur, aber Juan erklärte heiser:

„Nur, daß dort vierzehn Stockwerke waren, hier zwölf, und daß dort die Rückwand des Baues sich an eine Felswand lehnte, während sie hier frei liegt und auf einer Insel.“

Allison lächelte nachsichtig. „Mein guter Juan, der See ist erst nach der großen Erdbebenkatastrophe entstanden, und die Felswand mag auch vorhanden gewesen sein.“

Er setzte sich und begann zu zeichnen.

Das Bild der Insel im Magneta-Wald und den Terrassenbau möchte ich wenigstens in flüchtigen Strichen zu meiner eigenen Erinnerung wiedergeben. Langatmige Erklärungen erübrigen sich. Eine Skizze genügt. – Allison hat mir nachher bestätigt, daß sie leicht verständlich sei.

 

 

a ist die oberste, kleinste Terrasse mit ihren Räumen, b ist die Götzenstatue, c (die punktierten Linien) der Schacht mit der Quelle, der nur bei genauesten Messungen der Mauerstärken und der Breite der einzelnen Terrassenwohnungen zu finden gewesen wäre.

Die Länge von c, von West nach Ost, betrug 23 Meter, die Breite etwa zehn, wovon noch drei Meter von der Wasseransammlung eingenommen wurden.

Mithin war der für so viele Personen verfügbare Raum sehr gering, woraus sich schon aus Schicklichkeitsgründen allerlei Unzuträglichkeiten ergaben. Es blieb nichts übrig, als für die Frauen durch Decken und den Stoff der Rucksäcke eine Ecke abzuteilen. Ethel weigerte sich zunächst, mit Margot und Eta diesen Verschlag zu teilen, aber sie besaß trotz ihres bissigen, hartnäckigen Schweigens und anderer Unliebenswürdigkeiten immer noch so viel Anstandsgefühl, die Notwendigkeit einer zeitweiligen Trennung der Geschlechter einzusehen.

Sennor Umberto, Juarez und Anhang waren äußerst zahm und fielen uns nicht zur Last. –

Die drei Tage, die wir hier in dieser Kellerluft zubringen mußten, waren eine Qual für alle. Am zweiten Tage abends hatten Taskamore und ich die Treppe erstiegen und den fast glühend heißen Götzen zur Seite gedrückt. Der Wald brannte noch, die Hitzewellen, die uns entgegenschlugen, zwangen uns, die Öffnung schleunigst wieder zu verschließen.

Am folgenden Abend versuchten wir es ein zweites Mal, ob wir das schauerliche Loch mit seinem üblen Gestank verlassen konnten.

Diesmal war die einströmende Hitze erträglich.

Der Götze hatte sich abgekühlt, und als wir zur Terrasse hinabkletterten, hatten wir ein unvergeßliches Bild vor uns.

Teile des Waldes brannten noch. Aber die bereits verkohlten Teile glichen Brandstätten, die von weißen Schneeflächen durchzogen waren: Weiße Asche! Weiß wie Schnee oder Salz! – Allison erklärte uns später, die Farbe der Asche sei auf die chemischen Beimengungen der Baum- und Gestrüpprinden zurückzuführen.

Brennende, schwelende Wälder kannte ich. Aber was das Grausige des Bildes ausmachte, waren die Tierleichen.

Auf dem See trieben Riesenkrokodile mit dick geschwollenen Bäuchen, – tote Riesenmaulwürfe umkränzten das Seeufer, auf der Waldblöße lag ein Tierkadaver neben dem anderen.

Die ungeheure Hitze hatte hier ungezählte Opfer gefordert.

„Scheußlich!“, sagte Kamo. „Wir werden sie eingraben müssen. Sie stinken schon.“

Und wie sie stanken!

„Wie unser Walfisch bei der Springflut!“, nickte ich.

Dann schoben wir den Titanen Atlas über die Öffnung und wollten zur Terrasse hinab.

„Warte!“, bat ich.

Meine Blicke verfolgten die dünnen Rauchschwaden, die wie graue Gespenster emporschwebten aus dem trostlosen, vernichteten Walde.

Taskamore beobachtete gleichfalls.

Die Rauchwolken zogen alle in einer Richtung, verdichteten sich gerade über uns, wo die Höhlendecke die Arme des Götzen berührte, und … verschwanden dort.

Kamo befühlte das Steinbild. Es war aus einem einzigen Block porösen Gesteins hergestellt. – Wir beide hatten den gleichen Gedanken. Taskamore kletterte bedächtig an den Beinen des „Atlas“ hoch, erreichte den Kopf, stellte sich auf die Schultern der Statue, und die Rauchschwaden verschluckten ihn halb.

Aber die gelbgrauen Gespenster waren im Absterben begriffen.

Kamo rief, – plötzlich verschwanden seine Beine, und als ich ihm folgte, fand ich zwei Hände, die mich kraftvoll emporrissen. Ich lag in einer fast wagerechten Kluft der Höhlendecke, die von unten als solche nicht sichtbar war.

Der Rauch behinderte uns nicht weiter, mit atemloser Spannung folgten wir dem Stollen, der teilweise steil anstieg, viele Windungen hatte und mit erkalteter Lava vollständig ausgegossen war.

Die Luft wurde immer reiner.

Dann kam eine enge Stelle, wo der Qualm sich gesammelt hatte, wo wir aus Vorsicht umkehrten. Trotzdem wußten wir: Dieser Weg führte ins Freie, an die Oberwelt.

– – Und dann folgten jene Tage, in denen Sennor Hummer und Konsorten und wir mit ihnen verzweifelt schufteten, die Tierkadaver zu beseitigen.

Als wir Allison, Juan und Eta und Margot heimlich unsere Entdeckung des aufwärts führenden Stollens mitteilten, war der Professor nicht im geringsten überrascht.

„… Es wird noch mehr derartige Luftlöcher geben … Allerdings, sie zu finden, dürfte recht schwer fallen.“

Am sechsten Tage nach dem Brande, gerade um die Mittagszeit, ereignete sich etwas, das uns recht bedenklich stimmte.

Die enorme Hitze mußte in den Felsschichten der Höhlendecke gewisse Lockerungen hervorgerufen haben, und eine ungeheure Masse Gestein prasselte urplötzlich ohne vorhergehende warnende Geräusche auf die Waldblöße herab und erschlug und begrub einige der Leute des eitlen, krummbeinigen Hummer-Mulatten.

Fortan lebten wir noch einige Tage in ständiger Sorge, daß sich zum zweiten Mal Ähnliches ereignen könnte.

Es geschah nichts, – und der Tag nahte, den ich bereits erwähnte: Meine Unterredung mit Ethel und der Abzug der um das goldene Bett betrogenen acht Herrschaften. –

Es mochte nachmittags vier Uhr sein, als Margot und ich mit dem überaus fett gewordenen Hondu das Boot bestiegen und zur Waldblöße hinüberruderten. Wir brauchten Fleisch, ich wollte ein paar Riesenmaulwürfe schießen.

Gemächlich wanderten wir gen Norden. Hondu tobte sich in endlosen Galoppsprüngen ans, Margot war still wie immer, und auch ich fühlte mich irgendwie bedrückt.

Die herbe, schöne Frau an meiner Seite, die noch immer verschwieg, weshalb sie diese Unterwelt aufgesucht hatte, begann krampfhaft über Dinge zu plaudern, die zwischen uns nur Abwehr anderer Gedanken waren.

„… Der Professor wird innerlich wohl gelächelt haben, Olaf, als ihr ihm durch Blicke verrietet, daß ihr für seinen Verstand fürchtetet! Und er – fürchtete für euren Verstand, als er als erster heimlich die Insel betreten und die Goldkluft gefunden hatte …“

„Mag sein … – Mehr, wie ich um Sie mich sorgte, Margot, kann er kaum für uns gefürchtet haben. Goldrausch?! Lieber Himmel, – – Kamo und ich, – – Goldgier?! Allison kennt uns zu wenig, genau so wenig, wie ich Sie kenne, Sie blonde Sphinx …“

Wir hatten die verkohlten Stangen der Bäume und den fußtiefen Schnee der Asche hinter uns.

Vor uns lag die dämmernde Ferne des sechsten Erdteils, – Büsche, Felsen, Tümpel, Sandstrecken.

Wieder wollte die Frau mir ausweichen.

„Ich denke, wir sind Freunde, Olaf … – Achten Sie besser auf Hondu … da, er jault vor einem Erdloch …“

„Diesmal entgehen Sie mir nicht, Margot … Ich will die Wahrheit wissen: Weshalb diese unsinnige, unnötige Flucht hierher in die Tiefen der Erde?“

Das feierliche Schweigen dieser durch Steinmauern abgeschlossenen Welt war um uns.

Kein Lärm in Flammen aufgehender Stämme störte mehr.

Sie stand vor mir, den Kopf gesenkt. Unter dem dünnen Stoff des losen Gewandes hob sich die Brust in hastigen Atemzügen. Dann blickte sie mich an, mit jener kühlen Ablehnung, die verletzen könnte …

Könnte …!

Ihre Stimme strafte ihre Augen und die frostige Miene Lügen.

„Ich habe Reginalds Skelett in einem Winkel der Pandanushöhle eingescharrt“, sagte sie, jedes Wort abwägend. „Ich stieg hinab in die Tiefe und verwischte meine Spur, weil ich jede Versuchung ausschließen wollte. Mein Leben ist zerbrochen … Ich bin … zu müde, um nochmals hoffen zu wollen. Und jetzt – – fragen Sie nichts mehr!“

Sie hatte sich schnell abgewandt und eilte weiter. Ihre Schultern zuckten …

Tränen?!

Und … Versuchung ausschließen?! – Ich begriff mit einem Male.

Das, was man Schicksalsfügung nennt, meldete sich, und mit einem Schlage war ich der, der die Wege abseits vom Alltag wandert und liebt und die Dornen am Wege genau so freudig begrüßt wie blumige Matten.

Ich sah Margot taumeln … fallen …

Hondu war in einem der Löcher der großen Erdwühler verschwunden.

Und ein Etwas fuhr auf mich zu, prallte gegen mein Kinn …

Warf mich zurück …

Ich riß den langen Pfeil heraus und schnellte hinter einen der kümmernden Büsche. Das Blut lief mir über die Brust … Die Augen suchten …

Zwei Zentimeter tiefer, und der Pfeil hätte mir die Kehle durchbohrt.

Dann der kurze Knall der Büchse …

Hinter einem Stein warf ein Mann die Arme empor, schlug wie ein Klotz hintenüber.

Es war einer von denen, die wir unter dem fallenden Steinschutt begraben glaubten.

– Die Jagd war aus …

Margot lag wie tot in meinen Armen. Der Pfeil steckte noch in ihrer linken Schulter als kurzer Stumpf. So trug ich sie zurück zur Insel …

Es war der schwärzeste Tag meiner vielen Tage hier in den Tiefen der Erde.

Die Frau, die in ihrem Herzen die Liebe nicht wieder hatte aufblühen lassen wollen, rang mit dem Tode.

Was Allison an Medikamenten und Verbandzeug hierher mitgenommen, hatte die Hitze vernichtet.

Bedrückt, verzweifelt stand ich vor dem Terrassenbau … Mein Blick schweifte hinüber zu den ewigen Feuern, deren Farbenpracht heute herrlicher war denn je. Grüne Flammenzungen lohten gleich wallenden Schleiern im grellen Scheinwerferlicht, sanken zurück, und rosige Glut folgte, wandelte sich in fahles Gelb, abermals in zartes Grün …

Wie frische, saftige Wiesen, auf die der Landmann seine Hoffnungen setzt.

Die Feuer der Ewigkeit sprachen zu mir mit ihren flammenden Zungen:

„Hoffe …!!“

… Und ich hoffte …

 

10. Kapitel.

Umberto trinkt …

Juan schleicht mit einem Gesicht umher wie Gewitter. Oder besser wie Regenhimmel.

Alles schleicht auf Fußspitzen.

Ret Hils Anhänger, früher rüde Kerle vom Schlage der Hummer-Bande, sind zartfühlend, rücksichtsvoll und flüstern nur.

Ein Weib ringt mit dem Tode, und Juan und ich spielen Pfleger.

Auf den schwärzesten Tag folgen noch zwei schwarze: Wir verloren drei Leute bei der Jagd! Und weder der rote Hill noch Allison, Eta und Kamo sind bisher zurückgekehrt. Wir tragen die Last dreifacher Sorge, dazu das ewige Mißtrauen, ob nicht der Hummer plötzlich wieder auftaucht und sein goldenes Bett beansprucht. Wir sorgen uns um das Ausbleiben Ret Hils und seiner Begleiter mit am meisten. Falls sie abgeknallt worden sind (vielleicht hat der schlaue Mulatte irgendwo noch Waffen versteckt gehabt!), ist damit zu rechnen, daß die Bande auch die kleine Expedition abfängt, die gen Osten zog.

Wir leben wieder im Kriege und im Dreivierteldunkel. Der Wald ist endgültig tot, kein Flämmchen schießt mehr aus dem toten Boden hervor, nur schwacher Qualm deutet noch darauf hin, daß in den Tiefen der Humusschichten einzelne Stellen weiterglimmen – wie die brennenden Torfmoore Schottlands, die auch kein Regen löscht. – Hier fällt kein Regen.

Hier überfällt uns Männer nur in jeder Stunde die Angst, wenn wir Margot stöhnen hören. Die Schulterwunde eitert, das Fieber rast durch die Adern eines dem Verfall preisgegebenen Leibes.

In ihren Fieberdelirien hat diese herbe Frau, als ich ihre heiße Hand hielt, das letzte verraten. Für mich war es kein Geheimnis mehr.

Und ich – ich trage am allerschwersten.

Die Gefährten?! – Es sind harte Männer, die im Lebenskampf nicht wählerisch in ihren Mitteln blieben, und die so manchen sterben sahen. Trotzdem: Hier regt sich etwas in ihren Seelen, das mir wohltut. Mir, von dem sie wissen, daß mein Name über verdorrte Fieberlippen immer wieder in die fürchterliche Nacht ihrer irren Träume gellt, bald voller Sehnsucht, bald voller Angst. – –

Und wieder ist ein Tag dahin …

Wieder sitze ich neben dem erbärmlichen Lager Margot Sheridans, wieder muß ich so und so oft den kurzen, letzten Bleistift beiseite legen und die feuchten Kompressen erneuern.

Rührend ist die stete Arbeit der Gefährten, die in Ledereimern aus dem Quell des geheimen Schachtes unverdrossen das kühle Wasser heranschaffen.

Kühl und rein ist es, und es bleibt unsere einzige Behandlungsart.

Hondu streicht ruhelos umher, zuweilen steht er neben dem Lager aus Moos und Fellen im knisternden Fackellicht und winselt leise, kläglich, fast wie ein Hund. Das Tier fühlt, was hier vorgeht, und da Margot seine ursprüngliche Herrin gewesen und da seine Liebe für mich aus der starken, ehrlichen Dankbarkeit für Samariterdienst sich entwickelte, fällt es ihm schwer, seine Gunstbezeugungen gerecht zu verteilen. Mit Margots Verwundung ist auch dieses tastende Abwägen gelöst. Hondu, der Puma, sieht weiterhin in mir den Herrn, in Margot ein Wesen, dem er seine Kraft und Lebensfrische einhauchen möchte. Wenn er über Margots herabhängendes Haar vorsichtig mit der Schnauze hinwegstreift, gleicht dies durchaus den verzweifelten Versuchen einer Mutter, durch ihre eigene Lebenswärme die kalte Hand des Todes von ihrem verscheidenden Kinde abzuwehren. –

Die Fackeln knistern, tropfen …

Margot liegt still … Der Schweiß perlt auf ihrer Stirn, die Brust hebt sich kaum mehr, das Gesicht ist grau und verfallen.

Ein leiser Ruf erklingt draußen irgendwo am Inselufer – verklingt.

Dann höre ich Ruderschläge …

Und höre sie auch nicht … – Margots graublaue Augen sind weit geöffnet. – Naht der Tod? Soll ich allein sein mit ihr, in diesen Minuten, wo der Körper besiegt zurücksinkt, die Augen den Glanz verlieren und die Hoheit des Todes die Züge friedvoll glätten wird?

… Ein leichter federnder Schritt.

Hondu ist mit einem Satz auf den Beinen, – ich zeige nur mit müder Hand auf das, was von dieser starken Frau noch übrig ist.

Taskamore beugt sich über sie, und er, dem die Wildnis Mutter war und dem die Geheimnisse der Wunden und ihrer Folgen genau so vertraut sind, wie die Handgriffe und Mittel zur Verhütung des Ärgsten, betastet die Narbe mit den gelben, brandigen Rändern, zieht sein Messer, geht zur nächsten Fackel, hält die Klinge in die Glut und sagt nur: „Hole Juan … Auch Magneta.“

Magneta Allison ist nicht die, die da auszog mit Vater und Freund zu den farbigen Feuern der Ewigkeit. Die Züge sind erstarrt vor beherrschtem Schmerz. Eine böse Ahnung kommt mir. Eine Frage – – hastig, scheu.

„Er war zu unvorsichtig, Olaf … Vor unseren Augen glitt er in die Tiefe, und all die Felsspalten dort sind gefüllt mit flüssiger, kochender Lava … Dort gibt es kein Vordringen. Er … verbrannte, als ob man ein Schnitzelchen Papier in die Herdglut wirft, aber nicht ein Schrei kam über seine Lippen. Das, was er jahrelang als Ziel seines Studiums sich setzte, die Geheimnisse der unterirdischen Feuer, haben ihn zu sich genommen.“

Und Eta, Juan, ich halten den abgezehrten Leib. Tief schneidet der glühende Stahl in kranke Materie, – Margot zuckt nur zusammen, ein Strom von Eiter entlastet den vergifteten Körper, und Taskamore spielt weiter Arzt und Kämpfer gegen den Tod, – – am Morgen schläft Margot seit Tagen zum ersten Male ohne das qualvolle, rastlose Hin- und Herwerfen des Leibes.

Sie wird gesund werden.

Und trotzdem liegt es über uns allen wie die finstere Vorahnung trauriger unabwendbarer Ereignisse. Allan Allisons heldenmütiges, lautloses Sterben in den fernen glühenden Schluchten vor den Feuern der Ewigkeit wirft genau so dunkle Schatten auf die allgemeine Stimmung, wie das Ausbleiben Ret Hils und der drei Leute, die mit ihm den Abzug der Gegner beobachten sollten. Gewiß, uns ist bekannt, daß des krummbeinigen, geschwätzigen, von Phrasen aufgeblähten Umberto Anhängerschaft nur noch gezwungen zu ihm hielt, daß sie gern zu uns hinübergeschwenkt wären, weil – und das stellt den Angelpunkt der seelischen Verfassung dieser Kerle dar! – weil wir die Herren des goldenen Bettes sind.

Gold!!

Das war ihr Götze, ihr Wahnsinn, – Umberto hatte ihnen eine Zukunft ausgemalt, in der das ehrliche Wort „Arbeit“ fehlte. Schlemmen, Prassen, Nichtstun, – – so sollte ihre Zukunft sein. Und jeder dieser Farbigen hatte aus eigener Phantasie dieses Köstliche mit eigenen Einzelheiten geschmückt. Die Halbgebildeten unter ihnen träumten von gesellschaftlichen Machtpositionen, von glänzenden Palästen, Festen, schönen, eleganten Weibern und einem Dienertroß, dem sie die Reitpeitsche ungestraft um die Ohren schlagen könnten. Die primitiveren Naturen begnügten sich mit der Vorstellung wilder Saufgelage und geschminkter Hafendirnen. – – Und all das war dann zerronnen, die schillernde Seifenblase, in der sie märchenhafte Orgien zu schauen glaubten und doch nur das Spiegelbild ihrer widerlich verzerrten ureigensten Fratze sahen, war zerplatzt. Wir waren die Hüter des goldenen Bettes der faulen, faulenden Genußgier. Mithin würde der vielgewandte Hummer leichtes Spiel mit ihnen haben. Sie würden abermals innerlich umfallen. Sie waren schon umgefallen, denn Ethel mit dem negroiden Einschlag einer unklaren Ahnenreihe, Umberto und Juarez allein genügten nicht, einen Ret Hil etwa in eine Falle zu locken.

Unsere Stimmung war erfüllt von Unbehagen, Ungewißheit und jenem Aufbäumen gegen die innere Dumpfheit, das geradezu nach Taten schreit. Wir waren überladen mit seelischem Explosivstoff. –

Es war in der Nacht nach Margots beginnender Genesung. Ich schlief seit Tagen wieder einmal ganz fest und ohne jenes unbewußte stete Aufhorchen, das auf den Schmerzensschrei oder Fieberschrei einer Kranken lauert.

Wir hatten zwei Wachen dauernd aufgestellt, die eine auf der Insel, die andere am Ufer der Waldblöße. Drei starke Feuer brannten auf den Terrassen, ein Überfall war kaum möglich.

Eine Hand fuhr mir über das Gesicht …

„Still – keinen Laut!“

Im Nu bin ich munter, sehe Kamo über mich gebeugt, sehe Hondu, dessen Lichter im Finstern wie grüngelbe Schlitze schimmern.

„Verrat, Olaf! Seit gestern ahnte ich diese Entwicklung der Dinge … Umberto hat sich an unsere Leute herangemacht und einen nach dem andern gewonnen. An ihre Zuverlässigkeit habe ich nie geglaubt … Mit phantastischen Versprechungen fängt man jeden Dummkopf! Und wie dumm sind sie! Das goldene Bett, das sie auf ungezählte Zentner schätzen, ist nichts als ein kaum zentimeterdicker Überzug des Gesteins! Die ganze Goldschlucht dürfte mit hunderttausend Dollar zu kaufen sein, und sie träumen von Millionen! Ich habe in aller Stille das goldene Bett angebohrt, an zwanzig Stellen, überall dasselbe Ergebnis: Gold, gewiß, aber nur eine einzelne Woge, die flüssig aus den Tiefen hochstieg, sich verteilte und erstarrte! – Arme, dumme Teufel! Bringen wir sie wieder zur Vernunft! Juan wacht draußen, vorläufig ist nichts zu befürchten, das Boot habe ich leck geschlagen, und der See birgt noch genügend Krokodile, jeden Schwimmer zu gefährden, und ein Floß wäre zu auffällig.“

Ich hatte mich erhoben, nahm die Büchse, faßte unwillkürlich nach dem Schloß, wollte den Patronenrahmen herausschnellen lassen, um ganz sicher zu gehen, daß die Burschen nicht etwa heimlich den Rahmen entfernt hätten.

Sie hatten ihn entfernt.

Kamo hörte das metallische Geräusch der leer anschlagenden Feder.

„Bravo, El Gento! Ein guter Gedanke!“

Auch er prüfte.

Bei ihm war alles in Ordnung.

Ich lud die Waffe.

„Holen wir Eta“, flüsterte Taskamore und seine Stimme war bedrohlich spröde.

Eta schlief mit Margot im selben Raum des Erdgeschosses nach Osten zu.

Wir schlichen lautlos dorthin, noch lautloser folgte Hondu. Durch die Tür- und Fensteröffnungen drangen matte rötliche Lichtbahnen herein.

Etas Lager war leer. Aus Margots Ecke kam tiefes Atmen.

Taskamore stand gebeugt und befühlte die leichte Decke, die über das Moos gebreitet war.

„Noch warm …! – Eilen wir …“

Wir traten ins Freie, kauerten uns zusammen, krochen zum Uferabhang.

Ein Blick rückwärts belehrte uns, daß Juan, der auf der dritten Terrasse hätte patrouillieren sollen, verschwunden war.

Links von uns, hinter einigen Felszacken, bewegten sich Gestalten. Ein großes Bambusfloß hatte dort angelegt, unsere Leute und Juarez trugen gerade zwei Gefesselte auf die nassen Stämme: Eta und Juan!

Kamo lachte leise … Ich kannte dieses Lachen, und ich kannte den Mann, der hier zu lachen vermochte, wo das Unheil in greifbarer Nähe war.

„Jetzt kommen wir an die Reihe, Olaf … Zurück in unseren Schlafraum …! Sie stoßen nicht ab …“

Still glitten wir zurück …

Im Eingang, wo der Schattenstrich begann, stand eine schlanke Gestalt. Bartlos, straff, – jener rote Hill, den ich zuerst auf der Cedros-Insel gesehen.

„Sie hier?!“

„Man muß doch nach dem Rechten sehen, Freund Olaf … Ich kam von Süden über den See, nachdem ich Sennor Umberto, der mich allein bewachte, durch einen unzarten Fußtritt zu meiner Auffassung von Menschheitsbeglückung bekehrt hatte. Daß er sich dabei die Achterpartie am Lagerfeuer versengte, lag nicht in meiner Absicht. Miß Ethel und die sonstigen Helden liegen auf der Waldblöße bereit. Die Festvorstellung hat begonnen, den ersten Akt versäumte ich leider, aber …“

„Still … – Jeder einen!“

Wir drängten uns in den Schatten …

Gestalten schlüpften herein, – vier …

Ich vernahm einen dumpfen Schlag, – der Bursche, den ich zu besserer Einsicht bringen wollte, litt an Luftmangel, – – meine Schuld.

Als die vier am Boden lagen und sehr dauerhafte Lederriemen trugen, dazu weniger angenehme Knebel, schritt Ret Hil nach kurzer Verständigung davon.

Er wurde gesehen … Er ging auf das Floß zu, ohne jede Waffe, nur das Messer Umbertos hatte er im Gürtel.

Juarez bellte wütend:

„Teufel, – wo kommen Sie her?!“

Auf dem Floß waren noch außer den Gefangenen vier Mann.

„Ich wollte Sie zu einer Besprechung einladen, Juarez. Wegen des goldenen Bettes … Ich habe es mir angesehen. Professor Allisons Gesteinbohrer waren noch unversehrt, und jemand hat die goldenen Kissen des Bettes auf ihre Dicke geprüft. Ich war enttäuscht, und Sie werden es auch sein, Juarez. – Lassen Sie Ihre Büchse lieber fallen … Auch ihr, meine Freunde, die ihr so töricht wart, ein paar Schurken zu trauen. Schaut dorthin … Ehe ihr mit dem Finger zuckt, habt ihr jeder eine Kugel im Schädel, denn Taskamore und Abelsen schießen nie daneben, und eure Strohköpfe sind dick genug. Bitte … fallen lassen!!“

Juarez zauderte …

Er schielte auf die Gefangenen …

Er bückte sich blitzschnell, wollte Magneta als Schutzschild emporreißen.

Gleichzeitig knallte es von der Blöße her, und ein paar giftig surrende Brummer zerstiebten an den Felsen.

Der schwarze Juan war flinker als Ethels gelber Liebling.

Juans Füße, Schuhgröße 52, trafen Juarez gegen die Knie, und wenn Juan Fußtritte austeilte, war jeder Fußballspieler blamiert.

Der Mestize flog über den Rand des Floßes[5] hinweg, – – ein paar hungrige Bestien lauerten bereits in der Nähe, – – der Rest war nicht Schweigen, sondern ein Jammergebrüll des Sennor Juarez, das sehr bald ein Ende hatte …

Trübe Blasen stiegen hoch …

Blut färbte das Wasser …

Von drüben fiel kein Schuß mehr.

Dieses entsetzliche Kreischen des Mestizen ließ jede Hand ruhen.

Dann schnellte ich vorwärts, – Eta und Juan schlüpften an Land, Ret Hil hob eine Büchse auf, und die drei Leute folgten gehorsam.

In unserem Schlafraum schnitt Hiller den Gefesselten die Riemen durch und brachte die Kerle auf die Beine. Eine Fackel beleuchtete sieben dunkel getönte, verlegene Gesichter.

„Kommt mit!“, sagte Ret Hil. „Ich werde euch zeigen, welchen Schwindels wegen ihr einmal zu Umberto, dann zu uns, dann wieder zu Umberto hieltet …“

Wir umgingen den Terrassenbau. Büsche und Felsen schützten uns gegen die Kugeln von drüben.

„Schaut her“, begann Hiller ganz sanft und versöhnlich … „Steigt nur in euer goldenes Bett. Betrachtet die Löcher … Die gute Mutter Natur hat euch in eurer Habgier geblufft. Wenn ihr diese goldenen Überzüge loslöst, wenn ihr sie verkauft, bekommt ihr etwa – und ich verstehe mich darauf – achtzigtausend Dollar. Ihr seid Euer siebzehn, – teilt ihr redlich, erhält jeder etwa … etwa sechstausend Dollar. Und dafür setzt ihr euch der Gefahr aus, als Räuber aufgeknüpft zu werden. Ein miserables Geschäft! Außerdem – – hier ist Juarez berühmtes Fläschchen mit Scheidewasser. Nachher soll Umberto nur drei Tropfen davon trinken … Ihr werdet dann mit erleben, wie rasch reine Blausäure wirkt … – Hallo, Olaf, – was gibt es?!“

Ich stand auf einem flachen Stein. Zufällig war mein Blick nach Osten geschweift …

Was ich dort an den Feuern der Ewigkeit sah, weitete meine Augen in ungläubigem Staunen.

„Dort!!“, sagte ich mit schwerer Zunge …

Alle blickten hin …

Allen preßte es die Luft pfeifend über die Lippen.

Wo bisher die drei Riesenessen der Giganten der Tiefe ihr wunderbares Farbenspiel wogender Flammen in sicherer Ferne in ewig gleichem und doch immer wechselndem Lichte gezeigt hatten, strömten jetzt wie aus drei glühenden Gebläsen drei schmale rotgelbe Feuerkegel aufwärts und beleuchteten mit bisher unbekannter Stärke sogar die Felsendecke jenes Teiles der Riesenhöhle …

Schmal und steil stiegen die drei einzelnen, zusammengedrängten Flammentrichter hoch, und die Gewalt, mit der sie den Öffnungen der glühenden Kuppen entwichen, vernahmen wir bis hierher als ein ununterbrochenes Pfeifen und Zischen.

… Ich hatte Malmotta kommen und verschwinden sehen, ich hatte den Geiser der Träume belauscht, ich kannte die ungeheure Unberechenbarkeit, der flüssigen Massen des Erdinnern, die immer wieder nach neuen Ventilen suchen und die Erdrinde sprengen und Tod und Vernichtung spien.

„Schnell, – laßt die Leute tun, was sie wollen, Ret Hil!“, rief ich ein wenig unbedacht … „Gebt sie frei … Mögen sie fliehen … Ich wette, daß in wenigen Stunden die ganze Höhle vergast und derart durchhitzt ist, daß …“

„Sie sollen ohnedies hinüber“, unterbrach Hiller mich mit einem besonderen Lächeln. „Ich glaube, sie sind gründlich kuriert. – Nicht wahr, Freunde, ihr habt nun gesehen, daß die euch verheißenen Paradiesträume jämmerlich zusammengeschrumpft sind. Haltet selbst Gericht, – hier habt ihr das Fläschchen! Beeilt euch aber, flieht zur Pandanusgrotte – – und schont Ethel Sheridan! Versprecht mir das!“

Die Burschen standen wieder mit trübe hängenden Köpfen da.

„Mr. Hiller“, stieß der eine hervor, „wir sind …“

„Laßt es gut sein … Beeilt euch! Und vergeßt diese Stunde nicht! Findet euch zurück zur ehrlichen Arbeit. Schnell, haut ein paar Goldzacken los, kauft euch daheim ein Stück Land, bepflanzt es …! Schnell, – meine besten Wünsche begleiten euch!“

Als die Leute mit dem Floß abstießen, hatte ich bereits für Margot eine Art Hängematte hergestellt, die sich bequem über dem Rücken befestigen ließ.

Umbertos Banditen feuerten zunächst noch, – das Floß legte drüben an, nach wenigen Minuten verstummte das unregelmäßige Geknatter, Gestalten erschienen am Ufer, der Schein unserer Wachtfeuer zeigte uns die Vorgänge in unsicherem Licht …

Taskamore hatte Allisons Fernglas an den Augen.

„Rebellion gegen den Hummer!“, meldete er harten Tones. „Allgemeine Rebellion … Der große Kerl, Pedro nennt er sich, hält Umberto das Fläschchen hin … Jetzt …, – sie packen den Kapitano, – – da, – – hört ihr Ethel kreischen. Hört ihr das Wutgebrüll derer, denen nun endlich die Augen aufgegangen sind … – Der Pedro schöpft Wasser in einen Becher … Das Fläschchen …, – er gießt etwas in den Becher …“

Eta preßte die Hände gegen die Ohren …

„Hör’ auf, Kamo, – hör’ auf… Das ist fürchterlich …!“

Ein Geheul kam über den See, als ob Umberto bereits in der Hölle briete …

Und … verstummte …

Ein Platsch im Wasser …

Krokodilnasen ziehen Furchen …

– – Ein Lump war ausgetilgt.

 

11. Kapitel.

Der rote Drache.

Anmerkung des Verlages. Ein Zufall will es, daß gerade jetzt, wo Abelsens „An den Feuern der Ewigkeit“ im Druck erscheinen soll, auf dem Nordteile der Insel Neu-Seeland die beiden großen Städte Napier und Hastings (an der Ostküste gelegen, – von Südaustralien durch die sogenannte Tasman-See getrennt) durch ein Erdbeben vollständig vernichtet wurden. Wie Berichte der Regierung von Neu-Seeland im einzelnen schildern, wurde gerade die Stadt Napier durch vulkanische Erdaufblähungen zunächst beträchtlich emporgehoben und stürzte dann in eine bis dahin unbekannte Vertiefung hinab, zweifellos in eine Höhle, wie das Bild einzelner fast verschwundener Straßenzüge zeigt. Diese jähe, vulkanische Vernichtungsarbeit beweist erneut, daß alle Erdbebengebiete (Kalifornien, Mittelamerika, Japan und so weiter) niemals, selbst an bisher von Vulkanausbrüchen nicht betroffenen Stellen, irgend eine Gewähr bieten für Sicherheit von Bauten und Menschen. Die Vernichtung Napiers ist so vollkommen, daß an einen Wiederaufbau der Stadt gar nicht mehr gedacht werden kann. – Wir wollten unseren Lesern diesen Hinweis auf die jüngste Katastrophe auf Neu-Seeland nicht vorenthalten, zumal der Ausgang dessen, was dieses Buch dem Leser bringen will, immerhin eine gewisse Ähnlichkeit mit dem tragischen Geschick der beiden Städte aufweist, außerdem auch unzweideutig erkennen läßt, daß die Erlebnisse der Abenteurer im sechsten Erdteil gegenüber dem allzu phantastischen Romane Jules Vernes sich streng von jeder Übertreibung fernhalten. – –

Ein Lump war ausgetilgt. Einer jener Seelenfänger, die die schrankenlose Selbstsucht schlau unter dem öligen Deckmantel wohltönender Redensarten verbergen. Ein moderner Bandit, bar jeder Romantik, bar jeglichen heroischen Zuges, – ein jämmerlicher Feigling, ein schleimiger Betrüger.

Braun, braun-rot schlossen sich die Wasser über menschlicher und tierischer Bestie.

Und schaudernd flüchtete mein starrer Blick in die Ferne, wo auf dem sanft ansteigenden Boden der Riesenhöhle im Osten aus den drei roten Schlünden die schmalen Strahlen wie grelle, klare Pinselstriche hervorwuchsen, umhergeschleudert wurden, nicht mehr das friedvolle Bild von einst mit seiner lockenden und doch so trügerischen Farbenpracht, sondern gleich gierigen, drohenden Fäusten, die jetzt die wallenden, farbenfrohen Schleier zusammengerafft hatten und wütend gegen die steinerne Decke ihres Kerkers pochten.

Mein starrer, gebannter Blick wurde noch stierer, – – täuschte ich mich?!

Kroch da nicht von den drei Essen wie ein roter Lindwurm ein breites Band über Täler und Hügel und Klüfte?!

Ein Lavastrom?!

Und – wenn es ein solcher war, dann mußte er Meilenbreite haben, dann mußte er sich mit einer Schnelligkeit fortbewegen, die diese Welt in kurzem in einen Glutofen verwandeln würde.

Der Herzschlag stockte mir.

Es war Lava …

Sie floß …

Der rote Lindwurm kam von Osten, scheinbar träge, aber die Entfernung bis dahin war zu groß, – das war nicht Trägheit, das war eine glühende Woge, eine Springflut, aus den Tiefen der Erde gespeist.

Ich war gebannt, gelähmt.

Hillers Hand legte sich auf meine Schulter.

„Freund Olaf, wir müssen die da drüben mit uns nehmen, es ist Christenpflicht!“

Und in eiligen Sätzen sprang er zum Strande, formte die Handmuscheln zum Schallrohr …

Seine Stimme, klar und laut, warnte und mahnte.

Und die, die noch vor Stunden Verrat geübt und in ihrer Verblendung sich gegen uns gewandt, ruderten, – – ruderten, – – das große Floß legte an, und Pedro, der baumlange Bursche, dankte uns, schaute gen Osten, woher der Lindwurm näher kroch, woher das Zischen und Pfeifen der drei überhitzten Essen die Gefahr selbst dem Blödesten vor Augen führte.

Nur Ethel war am Seeufer der Waldblöße geblieben …

Sie stand da, den Kopf zurückgeworfen, – herausfordernd, voller Haß …

Ich wartete nicht. Dieses Mädchen, das sich selbst längst verloren hatte, sollte nicht das Schicksal all der armen Kreaturen teilen, die hier bereits Jahrtausende in der Dunkelheit vegetiert hatten und deren feinerer Instinkt sie die Gefahr ahnen ließ.

Denn – seltsam! – ein Heerzug von eiligen Krokodilen, Riesenmaulwürfen, Molchen und Käfern setzte sich gen Westen in flüchtigen Trott …

Alles Getier wich vor dem roten Lindwurm zurück, hielt Frieden, pilgerte friedlich nebeneinander …

Alle …

Krokodile entstiegen dem See …

Aus der Erde wühlten sich die Erdbären Magnetas, und in breiter Front zogen sie davon, sich beständig vermehrend … –

Ich hatte das Floß festgemacht, schritt auf Ethel zu …

Ethel schaute, starrte … schaute.

Diese allgemeine Flucht erschütterte sie, diese Heeresmassen enteilender Tiere brachen ihren Haß, ihre Unvernunft, ihre ganze Erbärmlichkeit.

„Kommen Sie …!!“

Da erst wandte sie den Kopf …

Hilflos, verstört waren die Augen …

„Kommen Sie …!! Schnell …!!“

Ich spähte zum Titanen Atlas empor … Fackeln leuchteten dort …

Über den steinernen Leib des Götzen kletterte Taskamore, auf dem Rücken die kranke Margot …

Und verschwand.

Wie Ameisen folgten die anderen.

Einer rief, – – Ret Hil:

„Olaf, – – zögern Sie nicht!!“

Ich packte zu, willenlos ließ Ethel sich führen. Ich stieß ab … Und spürte plötzlich die Hitzewellen, die der ferne rote Lindwurm, der strömende Lavafluß, bereits bis hierher vorausschickte.

Ret Hil half uns die Terrassen empor, half Ethel, denn deren Leib war schlaff vor Angst, das Gesicht grau, die Augen eingefallen.

Jetzt kannte sie die Gefahr.

Und das glühende, kriechende Ungeheuer schien vor Wut zu spucken, zu husten, zu krächzen, weil ihm seine menschliche Beute entging.

Die feurige Woge hatte die Tümpel und die kleinen Seen erreicht, Feuer und Wasser bekämpften sich unter grimmen Lauten, aber das Feuer siegte, schob sich weiter vor …

Ein größerer See explodierte wie ein Dampfkessel …

Die Vernichtung des sechsten Erdteils hatte begonnen.

Ich mußte mir Ethel auf den Rücken binden, – niemals hätte sie aus eigener Kraft den Titanen Atlas erklettert.

Wie unendlich beschämend mußte es doch für sie sein, hier auf die Hilfe dessen angewiesen zu sein, den sie mit den häßlichsten Schimpfworten belegt hatte!

Wenn in ihrer Seele auch nur noch ein Fünkchen Gutes glomm, würde diese Stunde Wunder wirken.

So hoffte ich.

Und nun saß ich mit meiner lebenden Last oben auf dem Kopfe des Götzen, und aus der schrägen Kluft nahmen mir Juans Hände die zitternde Bürde ab.

Ich verharrte noch eine Weile auf diesem rauhen Haupte des Götzen in andächtigem Schauen. Eine innere Stimme sagte mir, daß diese Welt der Tiefe hinsterben würde wie so viele andere Welten, Erdperioden, regsame Völker, von denen uns nichts geblieben ist als geringfügige Andenken und Reste, deren Deutung zu völlig irrigen Schlüssen führen kann. Der sechste Erdteil, das Reich der Tiefe, würde verschwinden, und die Welt da droben würde fernerhin kreisen in all ihrer Unzulänglichkeit, die nur die Schuld ihrer Bewohner ist, und in ihrer Fülle von Naturschönheiten, an deren Entstehen die Menschen keinen Anteil haben.

Der rote Lindwurm kroch weiter.

Über ihm schwebten die Dämpfe der ausgedörrten Seen und Tümpel wie Geister der Abgeschiedenen in langen, hellen Gewändern, die noch nach ihrem Tode stumm und feierlich Protest erheben gegen diese Vernichtung ihres Seins.

Wälder und Buschstrecken waren von der Glut erfaßt worden, gingen in Flammen auf und bildeten ein lohendes Spalier für das Vorrücken des gefräßigen Untieres.

Aus den drei Essen der gigantischen, machthungrigen Schmiede der Unterwelt schossen weiter die schmalen, gelbroten Feuergarben gegen die zackige, steinerne Himmelsdecke dieser seltsamen Welt, und ihr Zischen und Fauchen verschmolz mit dem Geknatter der feurigen Holzfanale zu einem Schlachtengetöse von ohrbetäubender Wucht.

In alledem lag etwas unendlich Großartiges, Grausiges.

Die Dunkelheit war gewichen, die ungezählten Flämmchen und Flammen des Fackelspaliers des grimmen Drachen warfen zuckende Lichter auf das abziehende Heer der Kreaturen der Tiefe.

Die Heerscharen der Krokodile, Erdbären, blinden Molche, Riesenkäfer und des kleineren Gewürms hasteten gen Westen. Ihre eng gedrängte Armee glich einem wogenden bunten Meer, das eilends mit seinen unruhigen Wellen zurückflieht vom Gestade in den Schoß der großen Mutter Ozean.

Die Hitze stieg.

Über Brust und Stirn lag mir der feurige Odem des roten Ungeheuers wie Eisenreifen.

Und doch hielt ich stand mit verbissener Energie.

Eine Bucht des Sees hier streckte einen blanken Fühler im Bogen weit gen Osten. Gerade in jener Bucht hatte der eifrige Professor mit seiner Angel die größten Höhlenolme hervorgeholt, gerade dort hatte sein Lot niemals Grund gefunden. Wenn die feurige Riesenschlange jene Bucht erreichte, mußte der Kopf des Untiers erstarrend in den Fluten verschwinden.

Und das wollte ich schauen – als letztes, diesen Kampf zwischen Wasser und Feuer, dieses Ringen zwischen zwei Elementen, deren Kräfte sich dort die Wage hielten.

Über mir ein Zuruf …

Taskamore lag flach auf dem Bauche und spähte herab.

„Olaf, was zauderst du?!“

Unwille war in seiner Stimme.

„… Bedenke, – sobald die Lava den See erreicht, kann es zu einer Dampfexplosion kommen, die …“

Seine Worte verrauschten unter dem gewaltigen Heulen der bereits bedrohten Bucht.

Über die Randfelsen hatte sich der Drache hinweggewälzt, streckte seine feurigen Fühler aus, – wie Kanonenschüsse dröhnten die jäh verdampfenden Wasser.

Eine helle Wolke erhob sich, versperrte jede Aussicht.

Kamos Faust packte mich, – ein allerletzter Blick über die Wunder der Tiefe, und der mit Lava dick und mattglänzend überzogene Stollen zeigte mir den Pfad zur Oberwelt.

In dem dunklen Glasfluß steckten zwei Fackeln.

Taskamore trieb zur Eile.

„Eine Stunde fast hast du dort auf dem Kopf des Götzen gesessen – welcher Wahnwitz!! Eine halbe Stunde brauchen wir bis zum Sonnenlicht, und wir dürfen die kleine Insel niemals als Lager wählen. Die Leute bauen bereits ein Floß … Vorwärts nun!“

Aus dem fernen Zwielicht des Stollens trabte Hondu hervor. Er hatte sich nach seinem Herrn gesehnt, seine Freudensprünge, seine allzu stürmische Zärtlichkeit waren mir ein Gruß des Lebens nach dem Anblick der Vernichtung dort unten.

Irgendwer hatte Hondu um den Hals eine Lianenranke mit zart blauen Blüten als Schmuck geschlungen. Sie war mir Gruß der grünenden Natur der Oberwelt, einer Natur, die ich so sehr liebe.

Kamo setzte sich in Trab. Seine Fackel flackerte höher, zischte, tropfte, aber ich spürte nach kurzem Lauf durch diesen Tunnel der Erdrinde den Salzhauch des Meeres, die völlig veränderte Luft, und meine Lungen, verwöhnt durch die Überfülle an Sauerstoff, arbeiteten wie die eines asthmatischen Kranken. Ein leichtes Schwindelgefühl stellte sich ein, – es verging wieder, – der Stollen hatte steile Stellen, enge Durchlässe, weite Grotten, – und dann vor mir, unwahrscheinlich in dem klaren, lebensvollen Glanz, lag ein breiter Strich Sonne über dem Ausgang.

Ich trat ins Freie, stand auf zerklüftetem Bergrücken einer kleinen Insel, – das endlose Meer dehnte sich ringsum, nach Norden zu lagen noch einige Inseln, hineingestreut in die Wasserwüste, wie grünumrankte Steinbrocken.

„Der Golf von Honduras“, erklärte Kamo schlicht. „Der Karte nach sind es die südlichen der Bay-Inseln. Wir haben Mittelamerika unterirdisch durchquert, wir nahmen Abschied vom Pazifik, und dies hier ist ein Teil des Großen Ozeans.“

Meine Augen vertrugen die Lichtfülle der wolkenlosen Morgenstunde nicht und zwinkerten geblendet und tränten.

Wie durch Schleier sah ich die anderen Inseln und weit im Norden einen Rauchkegel.

Ich begriff: Jene Insel dort mit den drei finsteren, kahlen Bergen, aus deren Spitzen der Rauch und einzelne Flammenzungen emporschossen, waren die Riesenschornsteine des steinernen Hauses, das nun in all seiner düsteren unterirdischen Pracht in Feuer zerfiel.

Taskamore eilte wieder voraus. Tropisches Buschwerk, Blütenduft, Bambusstangen, ein Wald, Vogellärm empfingen mich …

Am Nordstrand lag Margot Sheridan auf weichem Sande und lächelte mir vertraulich zu. Ihr schmales Gesichtchen hatte bereits einen rosigen Hauch der Gesundung, die Augen sprühten Lebensfreude, und als ich neben ihr stand und ihre Hand hielt, fühlte ich das starke Klopfen des Blutes in ihren Adern.

Wir hatten uns nichts zu sagen. Nichts, das für andere bestimmt war. Unsere Augen sprachen …

Juans heller Ruf mahnte mich an die Pflicht für die Allgemeinheit. Das Floß schwamm bereits, wir schichteten Bambus auf Bambus, standen bis zur Schulter in der salzigen Flut, Ethel und Magneta warfen uns starke Ranken zu, still und eilig arbeiteten wir, denn hier war unseres Bleibens nicht länger.

Aus dem Stollenloch der Insel droben kamen Dämpfe und Schwaden mit immer wachsender Wucht.

Schleunigst stießen wir ab, plumpe Blattruder arbeiteten, was wir an Decken besaßen, wurde als Segel gehißt.

Wir wußten, – hinter uns lauerte der Tod. Nur die ferne Insel dort im Norden konnte außerhalb der Gefahrenzone liegen.

Und was wir befürchtet, was kommen mußte, kam …

„Festhalten!“, schrie ich …

„Festhalten!!“

Ein jeder warf sich nieder.

Meine Arme umschlangen Margot, und ein Lianentau band uns an das unsichere Floß.

– Das war jener Tag, an dem einige der Bay-Inseln fast ganz im Meere versanken … Jener Tag, an dem die Insel Patuca mit ihren drei rauchenden Kratern sich höher emporhob, an dem viele armselige Küstendörfer durch eine Springflut zerstört wurden.

Ein Rollen und Grollen in der Tiefe hatte den Beginn der großen Umwälzung angezeigt.

Der Stollenausgang des Inselchens, von dem wir geflüchtet waren, spie Flammen, und dann hob sich das Meer rings um das Eiland wie eine einzige ungeheure Wasserblase, verharrte eine Weile und setzte sich nach Osten zu wie eine Wassermauer in Marsch.

Unser Floß, bereits eine Meile entfernt, tanzte hin und her, aber nur die Ausläufer der gigantischen Wogen überspülten uns.

Niemand kam zu Schaden.

In den Tiefen grollte es noch, – die Woge flutete weiter …

Die kleine Insel war weggefegt.

Über das Haupt des Titanen Atlas ergoß sich jetzt vielleicht eine Riesendusche des Ozeans …

Vielleicht.

Niemand hat mehr den sechsten Erdteil betreten. Leute, die später, wie ich hörte, den Zugang in der Pandanusgrotte suchten, fanden keine Grotte mehr, nur Felsen, gestürzte Bäume, Krokodilreste, – eine Wildnis ohne Beginn und Ende. Sogar der Maya-Tempel war nur noch Schutt und Mauersteine: Ein Steinberg in der Wildnis, über den diese Wildnis sehr bald ihr grünes Gespinst breiten würde. – – So las ich es zufällig, so habe ich es hier eingefügt.

Und doch kann ich nicht daran glauben, daß der sechste Erdteil vernichtet sein soll – restlos, – nein, daran glaube ich nicht! Insofern müssen meine Vorahnungen doch getrogen haben. Wäre diese Höhle, die nicht Höhle, nicht Grotte, nicht Felsendom war, sondern etwas Märchenhaft-Unendliches, Gewaltiges, – – wäre sie eingestürzt, so hätten die Republiken Guatemala, Honduras und die Bai von Honduras so ungeheuerliche Umgestaltungen ihrer Oberflächenformation erfahren müssen, wie dies bisher bei keinem Erdbeben seit Menschengedenken geschehen ist.

Denke ich an unseren sechsten Erdteil zurück, so stelle ich ihn mir lediglich verkleinert vor … Das tierische und pflanzliche Leben in ihm wird weiter gedeihen, und vielleicht werden wir, die wir einst das Glück hatten, jene Welt der Tiefe zu schauen, einmal Nachfolger finden, – – einmal, wenn unsere Gebeine längst modern oder zu Staub zerfallen sind. –

Nach fünfstündiger Fahrt nahm die grüne Insel im Norden uns gastlich auf.

Die Feuer der Ewigkeit sind Vergangenheit geworden, aber eine so greifbar nahe, so tief eingeprägte Reihe von Seelenbildern, daß sie stets das bleiben wird, was Magneta einst als wundervolle Bezeichnung für sie erfand:

Feuer der Ewigkeit!

 

12. Kapitel.

Was Kamo fand …

Menschenleer, unbewohnt war die kleine Insel mit ihren üppigen Wäldern, Dickichten, Felspartien und ihren flatternden, fliegenden und kriechenden Besitzern aus dem Tierreich.

Nachmittags stießen Kamo, ich und Hondu auf jene Bucht, in der das eiserne, verrostete Dampferwrack festgekeilt lag.

Ein Orkan hatte es in dieses natürliche Dock gezwungen, Fischer vom Festland hatten es ausgeplündert, es war nur noch eine eiserne Wanne, aber ohne jeden Riß im Boden, ohne ein bedenkliches Leck.

Nun tönt das Geschrei und der aufmunternde Gesang unserer Leute hinten in meine Hütte aus Zweigen, Margot sitzt draußen im Sonnenlicht, kraut Hondu das Fell, und ich … schreibe …

Der Gesang von der Bucht schwillt zum Triumphgeschrei, atemlos kommt Ethel gelaufen …

„Das Wrack schwimmt!!“

… Und wieder vergehen wunderbare Traumtage. Das Wrack wird zum Segler, geflochtene Segel verleihen ihm das Aussehen einer Raubdschunke, und Kapitän Ret Hil hält uns abends eine lange Standpauke, weil wir durchaus auf diese Fahrt zum Festland verzichten wollen.

Ret Hil, der große Menschenkenner, Seelenbezwinger und Läuterer, möchte heimkehren zur Eugenia-Bucht an der Küste Niederkaliforniens und dort sein emsiges Schaffen fortsetzen.

Margot lächelt gütig. Alles Herbe ist aus ihren Zügen getilgt.

„Wir wollen eben noch eine Weile Insulaner spielen, wir vier, lieber Hiller …“

Ethel Sheridan steht abseits.

Auch sie ist verändert: Still, wortkarg, trotzdem freundlich, hilfbereit, dankbar, und ihre Blicke betteln um Vergebung.

Ihr ist längst vergeben.

Ret Hit sagt gutgelaunt:

„Abenteurer bleibt Abenteurer! – Ich nehme jedenfalls alle Leute mit zur Eugenia-Bucht, zu den Ölquellen, auch Juan. Arbeiten werden wir, – alle für einen, einer für alle! Und da Magneta die in Tiplaxan zurückgebliebenen wissenschaftlichen Sammlungen ihres Vaters nach England schaffen muß und dort verwerten will …“, – – er zögert etwas.

Magneta nickt ihm harmlos zu. „Wir waren sehr gute Freunde, – wir alle … Der, den ich hätte mitnehmen mögen, will frei sein, frei bleiben.“ Ihre Stimme klingt etwas spröde. „Vielleicht … ist es besser so …“ fügte sie hinzu und schaut Ethel an. „Und Sie, Ethel? Ihr Entschluß?“

„Ich möchte ebenfalls heimkehren – nach London … Es gibt dort so viel Elend, und …“ … Sie wendet sich ab. – –

… Der Morgen dämmert, die frische Brise facht die frohen Stimmen der Leute Ret Hils zu übermütigem Singsang an.

Banditen einst … Heute – – Freunde emsigen Schaffens.

… Der Abschied ist kurz, herzlich.

Das Wrack mit den Mattensegeln gleitet davon gen Westen, wo das Festland nahe.

Drei Menschen stehen auf den Felsen der Bucht, – zwei Arm in Arm, Taskamore auf seine Büchse gelehnt.

Hondu läuft hin und her und jault.

Abschiedstöne …

Das Meer brandet, rauscht, die Palmen knistern mit riesigen Blättern, graziöse Möwen umschweben das Schiff, das allmählich unter den Horizont taucht.

Taskamores scharfes Profil dreht sich. Seine dunklen Augen streifen Margot und mich …

„Habt ihr je von dem großen Freibeuter gehört, der die Gewässer des Golfes von Mexiko bis hier hinab unsicher machte?“

Und er fügt einen Namen hinzu …

„Kommt mit“, meint er einfach. „Ihr werdet sehen …“

Daß Pierre Lacombe (er hatte viele Namen) noch heute mit seinen Millionenschätzen in den Köpfen der Bewohner der Küstenstriche einiges Unheil anrichtet, wußte ich längst.

Während Kamo voranschreitet in die kahle, kalte Öde der einzigen Schlucht, die das liebliche Inselbild stört, flüstert Margot scheu:

„Taskamore war nachts heimlich so oft da unten … Ich liebe die Sonne, Olaf. Nur nicht wieder …“, – und dann ein Stoß, Hondu ist an mir vorübergeschossen wie ein Blitz, wirft auch Kamo fast von dem engen Felsensteig, ein Schuß dröhnt aus den Schatten der feuchten Kühle, und Brandung, Palmen, Büsche und frohe Seevögel scheinen für Sekunden zu erstarren …

Taskamore ist hart wie ein Klotz mit emporgeworfenen Armen vornüber gefallen und rollt polternd und Gestein mit sich reißend, in den finsteren, engen Schlund, in dem die Wasser eines Bächleins geheimnisvoll murmeln … –

Pierre Lacombes ruhelose Seele geistert mit Schreck und Grauen durch unsere Herzen.

… Es war der Pfad zur Hölle, den wir vorwitzigen Menschen hier zu betreten gewagt hatten …

Die ewige Brandung lärmt wieder, die Palmen erwachen.

Und doch ist alles so anders …

Wie eine Vision sehe ich den roten Drachen, der von den Feuern der Ewigkeit abwärts kriecht. Sein Leib ist Ausgeburt der Hölle, seine breite Flammenspur Weg der Vernichtung.

Das … war.

… Und hier?! …

 

Nächster Band:

Der Pfad zur Hölle.

 

 

Anmerkungen:

  1. „Pandanushöhle“ / „Pandanus-Höhle“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Pandanushöhle“ geändert.
  2. „Pandanusgrotte“ / „Pandanus-Grotte“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Pandanusgrotte“ geändert.
  3. In der Vorlage steht: „entstand“.
  4. Fehlendes Wort: „hin“ ergänzt.
  5. In der Vorlage steht: „Flosses“ – Sowohl der Brockhaus von 1911 als auch die Regeln der Deutschen Rechtschreibung von 1938 geben „das Floß / die Flöße“ als korrekte Schreibweise an. Daher geändert auf „Floßes“.