Felsenherz, der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten
erzählt von
Kapitän William Käbler.
1. Band:
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 26, Elisabeth-Ufer 44.
Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1922.
Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin
1. Kapitel.
Weiße Banditen.
Über die kleine Prärie, die sich zwischen bewaldeten Bergen in leichten Bodenwellen bis zu einem der zahlreichen Nebenflüsse des Oberlaufes des Kanadian hinzog, jagten an einem heißen Julimorgen vier Reiter, deren Lederanzüge und die ganze Ausrüstung sie als Fallensteller erkennen ließen.
Ihre Tiere, abgetrieben und mit Schweiß bedeckt, stolperten oft vor Erschöpfung und wurden trotzdem von ihren Reitern stets aufs neue zu rasendem Galopp angespornt.
Es waren dem Zaumzeug und den Satteldecken nach Indianerpferde, magere, kleine, aber ebenso zähe Klepper, die nicht so leicht ermüden und die jetzt doch jeden Augenblick zusammenzubrechen drohten.
Der vorderste Reiter, ein rotbärtiger, hagerer Mensch mit einer Gesichtshaut wie Leder und dunklen, stechenden Augen, drehte sich jetzt nach seinen Gefährten um und rief ihnen aufmunternd zu:
„Der Estacado-Bach ist nahe! Nur Mut! Wir werden den roten Schuften schon entgehen!“
Gleichzeitig blickte er nach Westen zu über die hügelige Prärie, durch deren dichtes Gras die Fährte der vier Flüchtlinge wie ein endloser Strich sich hinzog.
Was er dort in der Ferne sah, beruhigte ihn noch mehr als die Nähe des Baches, wo die vier ihr plumpes Boot versteckt hatten, bevor sie dem Komanchendorf dort in den südlichsten Ausläufern der Rocky Mountains einen sehr lohnenden heimlichen Besuch abgestattet hatten. Denn nur acht Indianer zählte er, die ihnen nach dieser nächtlichen Hetzjagd noch auf den Fersen geblieben waren.
„Gemach, Boys, gemach!“ brüllte er jetzt mit einem triumphierenden Lachen. „Nur acht von der roten Brut bemerkte ich soeben! Also Trab, Boys! Mit diesen acht werden wir leicht fertig!“
Die Flüchtlinge zügelten ihre Pferde und ritten nun nebeneinander einer Gruppe von Eichen zu, in deren Mitte eine einzelne Riesenkiefer sich erhob.
„Wahrhaftig, Hobler, du hast die Richtung fein eingehalten!“ meinte ein schlanker, junger Mann mit wehendem schwarzen Schnurrbart zu dem Rotbärtigen. „Dort sind die Eichen, und dort mehr links muß hinter den Büschen der Estacado-Bach seine rauschenden Wasser dem Mazapil zusenden –!“
„Kein Kunststück weiter, Benito!“ sagte Hobler gleichmütig. „Diese Gegend hier im Nordwesten der berüchtigten Llano Estacado ist seit Jahren mein Jagdgebiet. Ich kenne hier jeden Fußbreit Boden. –
Ah – der Bach meldet sich schon! Hört ihr sein Rauschen –?! Nun können uns die Komanchen nachpfeifen, und wir werden diesen kostbaren Ledersack, den mein Pferd so brav bis hierher geschleppt hat, in aller Ruhe in Sicherheit –“
Er brach mitten im Wort ab, griff nach der am Sattel befestigten Doppelbüchse und rief zischend:
„Da – da, – es ist der Unterhäuptling der Komanchen, der schwarze Panther, und der andere Rote mit dem langen Haarschopf kann nur seine kriegerische Schwester sein, von der man sich weit und breit die reinen Wunderdinge erzählt! Die beiden müssen im Bogen uns überholt haben. Aber – was tut’s! Es sind nur zwei –!“
Die beiden Komanchen waren ganz plötzlich aus den Uferbüschen des Estacado-Baches aufgetaucht und galoppierten jetzt auf ihren scheinbar noch recht frischen Mustangs den Flüchtlingen entgegen.
„Überlast sie mir!“ meldete sich Hobler abermals. „Der schwarze Panther schwenkt einen Eichenzweig. Er will zum Schein mit uns unterhandeln! Natürlich nur deshalb, um uns seinen Kriegern in die Hände zu spielen!“
Hobler spannte die Hähne seiner Büchse, warf noch einen Blick auf die Zündhütchen und ließ sein Pferd in Schritt fallen.
Als die beiden Komanchen noch etwa sechzig Schritt entfernt waren, parierte der schwarze Panther seinen Mustang und schwenkte den Eichenzweig über dem Kopf –
„Die vier Bleichgesichter werden das Gestohlene herausgeben!“ rief er in gutem Englisch. „Die Komanchen leben seit Monaten in Frieden mit den Trappern und Farmern. Der schwarze Panther hat hundert Krieger in der Nähe, und –“
Der scharfe Knall eines Schusses donnerte über die stille Prärie hin –
Ein zweiter Schuß folgte –
Die junge Indianerin sank mit einem Schrei vom Pferd, und auch der Hand des Häuptlings entfiel der Eichenzweig, obwohl die Kugel den Arm nur gestreift hatte.
Der Komanche spornte seinen Mustang an, stürmte nun mit schrillem Kriegsgeschrei auf die vier Weißen ein –
Hoblers Freunde schossen jetzt gleichfalls, fehlten aber. Nur der Mustang des Roten schien getroffen zu sein, schnellte in die Luft und blieb dann wie angewurzelt stehen.
Der Häuptling hatte den Tomahawk bereitgehalten. In kurzem Bogen sauste das Schlachtbeil auf Hobler zu. Doch dieser riß schon sein Pferd mit einem Ruck hoch, und die Schneide des Tomahawks vergrub sich mit dumpfem Krach in die Stirn des abgetriebenen Tieres, das sofort nach hinten zusammenbrach.
Im selben Augenblick war auch der Mustang des Komanchen umgesunken. Beide Reiter hatten sich gewandt aus dem Sattel geschwungen.
Der schwarze Panther schnellte sich jetzt in langen Sätzen nach der Stelle hin, wo Hobler ihn, die Büchse zum Schlag erhoben, erwartete.
Das Sonnenlicht funkelte gleißend auf der Klinge des Jagdmessers, mit dem der Komanchen diesen heimtückischen Angriff rächen wollte.
Benito, der erst den einen Lauf seiner Büchse abgefeuert hatte, stand im Anschlag, den Zeigefinger am Abzug, und rief drohend:
„Verschwinde, Rothaut! Ich vergieße nicht gern Blut –“
Der schwarze Panther hatte kehrt gemacht.
„Verdammt! Bist du verrückt, Benito!“ brüllte Hobler. „Knall den roten Halunken nieder –!“
Der Komanche war bereits neben seiner Schwester, hob sie empor, schwang sich in den Sattel ihres Mustangs und jagte dem Eichenwäldchen zu.
Hobler hatte Benito die Büchse aus der Hand gerissen, zielte kurz, feuerte –
„Pest!“ fluchte er. „Der Schuft entkommt! Vorwärts – nach dem Boot, Boys! – Benito, nimm den Sack auf deinen Gaul! Dort – die acht roten sind keine dreihundert Meter mehr entfernt.“
Er zog seinem Pferd den Tomahawk aus der Stirn, nahm die Satteltaschen über den Rücken und rannte seinen Gefährten nach.
Als er durch die Uferbüsche drang, sah er das plumpe, große Boot bereits auf dem Wasser schwimmen. Er watete hinüber. Benito half ihm in das Fahrzeug hinein, das von den beiden anderen schnell in die Mitte der reißenden Strömung des etwa sechzig Meter breiten Flüßchens gelenkt wurde.
Hobler nahm ebenfalls eins der Ruder und sagte dabei mit verbissener Wut zu Benito:
„Weshalb drücktest du nicht ab, he?! Du bist und bleibst ein Waschlappen! –
Mehr nach dem rechten Ufer hinüber, Tompkins und Webster! Die acht Komanchen haben Büchsen! Und wenn diese Schießprügel auch nicht viel taugen werden, so ist’s doch besser, ein Ende Wasser zwischen uns und sie zu legen. –
Ihr drei rudert! Ich werde steuern. In einer Viertelstunde haben wir den Rio Mazapil erreicht, und dann sind wir die roten für immer los!“
In den letzten Sätzen spielte ein kaum merkliches heimtückisches Lächeln um seine Lippen.
Benito, Tompkins und Webster saßen jetzt mit dem Rücken zur Fahrtrichtung auf den Ruderbänken, während Hobler von seinem Platz am Steuer aus alles beobachten konnte, was sich am linken Ufer des breiten Baches weit vor ihnen abspielte.
Mit Genugtuung sah er, daß die acht Komanchen jetzt dort drüben nach Norden zu davongaloppierten. Er ahnte, was kommen würde. Aber das war ihm gerade recht!
Vor ihm auf dem Boden des kastenähnlichen Flachboots lag der große, fast zentnerschwere Ledersack. Neben ihm lehnte seine Büchse, die er bereits wieder geladen hatte. Seine scharfen Augen glitten unaufhörlich hierhin und dorthin. Nichts entging ihnen.
Der Estacado-Bach, wie er von den Trappern getauft worden war, wurde bald recht schmal und schoß nun zwischen steilen Uferfelsen dahin. Dicht vor seiner Einmündung in den Rio Mazapil gab es eine Stelle, wo sich eine Halbinsel in den Bach hineinschob, so daß er hier kaum dreißig Meter breit war.
Diese mit Gestrüpp bewachsene, felsige Halbinsel faßte Hobler dann besonders scharf ins Auge, als das Boot sich ihr mit großer Geschwindigkeit näherte.
Und wiederum blitzten seine Augen triumphierend auf. Er hatte dort drüben nur einen Moment lang den Kopf eines Komanchen bemerkt.
Hobler bückte sich und schien in der einen seiner Satteltaschen etwas zu suchen.
Hier in der Stromenge schoß das Boot auch ohne Steuer in der Hauptströmung dahin.
Dann geschah das, was Hobler erwartet hatte:
Acht Schüsse knallten zu gleicher Zeit! – Webster und Tompkins schnellten hoch, ließen die Ruder fahren und sanken lautlos über Bord –
Benito war gleichfalls mit leisem Schrei von der Ruderbank gerutscht –
Eine Kugel war ihm in die rechte Schulter gedrungen. Er lag nun halb ohnmächtig, das Gesicht nach unten, im Boot –
Die Halbinsel war passiert. Hobler richtete sich aus seiner gebückten Haltung wieder auf. Ein höhnisch-zufriedenes Lächeln verzerrte sein gebräuntes Gesicht.
Dann rief er, scheinbar voller Mitgefühl:
„Benito, armer Kerl, ich kann dir leider jetzt nicht beispringen. Ich muß am Steuer bleiben. Die Pest über diese rote Brut! Wer konnte auch mit dieser Teufelei rechnen! Wir sind aber in einer halben Stunde in unserem Versteck. Dann – verbinde ich dich –“
Und in Gedanken fügte er hinzu: ‚Hoffentlich bist du inzwischen verblutet!‛
Benito, ein geborener Mexikaner, den Hobler genau so wie Webster und Tompkins nur deshalb vor zwei Monaten aus dem damals erst kaum entstandenen Städtchen Santa Fee mit in diese Wildnis geschleppt hatte, um nicht allein seinen gefährlichen Plan ausführen zu müssen, – dieser jetzt schwerverwundete Benito stöhnte leise und erwiderte mit schwacher Stimme:
„Es – es ist aus mit mir, Hobler –! Ich hätte – fest bleiben sollen! Aber – die verdammte Goldgier hat –“
Er sank kraftlos noch mehr zusammen. Ohnmacht umfing seine Sinne.
Hobler lachte vor sich hin –
„Narr, Waschlappen! Wenn ich dich jetzt ins Wasser würfe, wären die Nuggets1 ganz mein! Aber – vielleicht brauche ich dich noch! Besser, du krepierst erst später –“
Die Einmündung des Baches in den weit breiteren Rio Mazapil war erreicht.
Hier war die Strömung bedeutend schwächer. Hobler band das Steuer fest und bemühte sich um den Verwundeten. Die Kugel saß nicht tief. Der Trapper hatte Erfahrung in solchen Dingen, schnitt das Bleigeschoß heraus, wusch die Wunde mit Rum und Wasser aus seiner Feldflaschen und stellte einen kunstgerechten Verband her, schob Benito seine Satteltaschen unter den Kopf und setzte sich wieder ans Steuer.
Der Rio Mazapil floß hier durch eine wellige Prärie dahin. Dann tauchten felsige Berge auf. Die Ufer wurden steil, zeitweise fuhr das Flachbootes in düsteren Kanons dahin.
Dann kam wieder ein Stück Prärie. Und nun erschien am linken Ufer des hier genau nach Norden strömenden Nebenflusses des Kanadian ein einzelner Höhenzug, der von West nach Ost verlaufend mit seinem östlichen Ende sich als breite Halbinsel in den Mazapil hinein erstreckte.
Hobler hielt das Boot jetzt dicht am linken Ufer, wo ein schmaler Waldstreifen sich hinzog. Als er die durch des Südufer der Halbinsel und das Flußufer gebildete Bucht erreicht hatte und sich außerhalb der Strömung befand, griff er zu den Rudern und trieb das schwerfällige Fahrzeug auf ein paar riesige Felsblöcke zu, die gerade im tiefsten Winkel der Buch halb auf dem Land und halb im Wasser lagen.
Plötzlich hörte er jedoch mit rudern auf und lauschte gespannt. Der schwache Ostwind hatte ihm dumpfe Geräusche zugetragen –
„Verdammt – Axtschläge?!“ murmelte Hobler. „Was bedeutet das?! Sollten sich hier etwa wieder Siedler eingefunden haben?! Pest – das wären mir sehr unerwünscht! Ja – es sind Axtschläge! Ah – und das war das Brüllen einer Kuh –!“
Hastig ruderte er weiter. Das Boot verschwand –
2. Kapitel.
Ein ernster Besuch.
Daß die Familie Felsen gerade hier mitten in einem von den umwohnenden Indianerstämmen der Apachen, Wacos und Komanchen heiß umstrittenen Gebiet sich niedergelassen hatten, war bei ihrer Ankunft in dem Hafen von Galveston durchaus nicht ihre Absicht gewesen, sondern mehr einem Zufall zuzuschreiben.
An demselben Morgen hatten die vor fünf Tagen auf der Halbinsel des Rio Mazapil eingetroffenen Ansiedler sehr früh mit ihrem Tagewerk begonnen.
Die Familie hatte nämlich in der Stadt El Paso am Rio Grande del Norte, von wo aus sie mit ihren drei Auswandererwagen geeignetes Siedlungsland aufsuchen wollte, einen früheren Farmer, ebenfalls einen Deutschen, kennen gelernt, und dieser Franz Birth, der jetzt Pelzjäger geworden, hatte den Felsens geraten, seine Farm am Rio Mazapil zu beziehen, die er erst vor anderthalb Jahren verlassen hätte, weil ihn seine Frau und seine beiden Söhne bei einem Bootsunfall im Mazapil ertrunken wären.
Er hatte betont, daß die beiden Blockhäuser fraglos noch gut erhalten seien und daß vortrefflicher Ackerboden in nächster Nähe wäre. Mit den Indianern sei es nicht so schlimm, wie die meisten Einwanderer es dächten. Dort bis an den Mazapil verirrten sich selten Rothäute –
Dieser Vorschlag des alten Birth war von den Felsens schließlich angenommen worden, obwohl man sich auf eine monatelange Wagenfahrt durch unbewohnte Einöden gefaßt machen mußte.–
Nach zehnwöchiger, ohne Unfälle verlaufener Reise war man dann endlich auf der Halbinsel des Mazapil angelangt, wo man tatsächlich die beiden, von Birth erbauten, geräumigen Blockhäuser genau so vorfand, wie Birth sie einst, gramerfüllt durch den Tod der Seinen, aufgegeben hatte –
Die Familie Felsen bestand aus dem früheren Tischlermeister Albert Felsen, seiner Frau namens Bertha, seinen beiden Kindern Arnold und Helene, neunzehn– und achtzehnjährig, und den Geschwistern Harry und Anna, deren Vater Gustav Felsen vor langen Jahren als recht unstäter Geist nach Nordamerika ausgewandert war und dort schnell Reichtümer zu erwerben gehofft hatte.
Dieser Gustav Felsen, ein Bruder des Tischlermeisters, war dann verschollen. Die letzte Nachricht von ihm war vor fünfzehn Jahren aus El Paso bei den Seinen eingetroffen. Kurz darauf starb seine Frau, und so hatte denn sein Bruder Albert die Kinder Harry und Anna bei sich aufgenommen. Als auch dem Tischlermeister darauf die deutsche Heimat zu eng wurde, schlossen sich Harry, der inzwischen fünfundzwanzig Jahre geworden, und seine Schwester den Verwandten an, da diese ja seit langem an ihnen Elternstelle vertreten hatten –
In diesen fünf Tagen seit ihrer Ankunft am Mazapil waren Births frühere Farmgebäuden hauptsächlich infolge der Arbeitsfreudigkeit, Ausdauer und Umsicht Harry Felsens wieder völlig in Stand gesetzt worden.
Harry, von Beruf Kunstschlosser, war ein schlanker, stattlicher junger Mensch mit sympathischem Gesicht. Er besaß neben all seinen sonstigen guten Eigenschaften jene Heiterkeit, die sowohl ihm selbst als auch seinen Verwandten schon oft über manche trübe Stunde hinweggeholfen hatte.
Während sein Vetter Arnold auf der langen Wagenreise nur ungern sich von dem alten, erfahrenen Birth, der sich leider etwas dem Trunk ergeben hatte, über all das belehren ließ, was ein Farmer in der Wildnis notwendig wissen muß, war Harry des jetzigen Trappers desto eifrigerer Schüler gewesen. Er erlernte das Reiten, Schießen, das Lesen von Fährten und das Schleudern von Lasso und Wurfbeil genau so leicht und schnell, wie er sich schon daheim in Deutschland als Kunstschlosser durch Geschicklichkeit und einen hellen Verstand ausgezeichnet hatte –
Der alte Felsen und die Seinen dankten Birth jetzt immer aufs neue, daß er sie auf diesen so sehr geeigneten Siedlungsplatz aufmerksam gemacht hatte.
Die Halbinsel, die etwa neunzig Meter lang und an zweihundert Meter breit war, vereinigte in sich alle Vorzüge, die man nur irgend wünschen konnte.
Die beiden Blockhäuser lagen nach dem Fluß zu auf einer sechs Meter hohen Felsterrasse, die nur einen einzigen, engpaßähnlichen Zugang hatte. Der Fluß war fischreich; gutes Weideland für die sechs Rinder, die man mitgebracht, befand sich auf der Halbinsel selbst, während nach Norden zu eine große Talsenke fruchtbaren Ackerboden aufwies –
An diesem Morgen hatte Harry mit dem Bau einer Hürde für die Rinder begonnen, nachdem man gemeinsam vor dem Wohnhaus, das mit seinen blanken, neu eingesetzten Fenstern recht freundlich wirkte, das Frühstück eingenommen hatte.
Harry schwang jetzt unverdrossen seine Axt und fällte im nahen Wald dünne Kiefern, die er sofort auf die richtige Länge kürzte.
Heiter wie immer pfiff er dabei ein Lied. –
Gegen zehn Uhr brachte ihm Helene Felsen einen Imbiß. Sie war ein hübsches, frisches Mädchen, und daß aus ihr und Harry ein Paar werden würde, stand außer Zweifel, obwohl Harry seiner Base bisher nur als guter Freund und Kamerad gegenübergetreten war.
Er machte jetzt eine Arbeitspause, legte die Axt beiseite, dehnte und reckte sich und meinte dann lachend zu Helene:
„Heute abend ist die Viehhürde fix und fertig!“
Helene nickte nur. Dann sagte sie sehr ernst:
„Harry, Birth ist wieder halb betrunken und zankt mit dem Vater über den Kaufpreis der beiden Blockhäuser. Es ist schrecklich, wie anders er sich benimmt, wenn er der Rumflasche zugesprochen hat!“
Harry seufzte. „Du hast ganz recht. Seit gestern stört er hier die Gemütlichkeit, Helene. Am besten wäre, er würde nach El Paso zurückkehren. Wir brauchen ihn nicht mehr. Ich werde den Farmbetrieb schon allein –“
Helene war mit einem Schrei von dem Baumstamm, auf dem sie gesessen hatte, hochgefahren.
Aus einem nahen Gebüsch war ein mit den Kriegsfarben bemalter Indianer, die lange Doppelbüchse quer über dem Sattel, auf einem kohlschwarzen Mustang auf die beiden zugesprengt, parierte dicht vor ihnen sein Pferd und saß nun wie eine Erzstatue minutenlang regungslos auf seinen ebenso regungslosen Tier.
Nur seine dunklen Augen glitten prüfend immer wieder über Harry und Helene hin, und der von Fluß herüberwehende Wind bewegte die Adlerfedern sacht hin und her, die er in dem schwarzen, zu einem Schopf hochgebundenen Haar mitten auf dem Schädel trug.
Trotz der Bemalung des Gesichts erkannte Harry, daß der Indianer noch jung sein müsse. Sein Anzug aus Wildleder war reich mit Raubtierzähne und Glasperlen verziert. In einem bunt gefärbten Ledergürtel steckten ein Jagdmesser und ein Tomahawk.
Seine Augen fraßen sich jetzt förmlich in Harrys Antlitz fest. In diesem Blick lag zugleich etwas Drohendes, Stolzes und Gebieterisches.
„Was tun die Blaßgesichter hier?“ fragte er dann plötzlich. „Dieses Land gehört den Komanchen. Habt ihr meinen Vater, den weißen Adler, um Erlaubnis gebeten, hier euch niederzulassen?“
Harry, der auf Births Rat hin stets seine Büchse mit zur Arbeit nahm, hatte längst die Waffe aufgehoben und sie in den rechten Arm gehängt.
„Nein,“ erwiderte er nun, ebenfalls auf englisch, das er mittlerweile durch Birth und mit Hilfe einiger Bücher erlernt hatte. „Wir haben niemand um Erlaubnis gefragt. Dies Gebiet gehört zu Texas, und in El Paso sagte man uns, wir könnten uns ansiedeln, wo wir wollten.“
Des jungen Komanchen Blick wurde noch drohender.
„Ihr seid Diebe! Chokariga, der schwarze Panther, weiß, daß ihr Diebe und Mörder dort in eure Hütten am Ende der Halbinsel aufgenommen habt! Ihr werdet sterben.“
Harry Felsen war bei all seinem Frohsinn eine leicht erregbare Natur, und diese durch nichts begründete Anschuldigung brachte sein Blut in Wallung.
„Hüte deine Zunge, Rothaut!“ rief er nicht minder drohend. „Du würdest sonst schnell belehrt werden, daß ich nicht der Mann bin, der sich dergestalt beleidigen läßt! Du nennst uns Diebe. Beweise es, oder du bist nichts als ein frecher Lügner –!“
In den Augen des jungen Unterhäuptlings der Komanchen flammte es auf.
Ein leiser Schenkeldruck – sein Mustang machte einen Satz – gerade auf Harry zu.
Doch der war auf seiner Hut gewesen.
Blitzschnell warf er sich zur Seite, packte zu, bekam den linken Arm des Komanchen gerade noch zu fassen –
Ein Ruck – und der schwarze Panther flog zu Boden –
Aber Harry hatte nicht mit der Gewandtheit seines Gegners gerechnet.
Wie ein Pfeil schnellte der Komanche hoch, umkrallte Harrys linkes Handgelenk, holte mit dem Messer zum Stoß aus –
Auch Harry hatte sein Jagdmesser herausgerissen; auch er stand stoßbereit da –
Helene Felsen schrie auf – In ihrer Angst rief sie mehrmals um Hilfe –
Die beiden Gegner maßen sich mit feindseligen, jede Bewegung des anderen belauernden Blicken.
Und abermals rief Helene in ihrer Kopflosigkeit:
„Vater – zu Hilfe! Zu Hilfe –!“
Dabei waren diese Rufe ganz zwecklos. Die Entfernung bis zu den Blockhäusern war viel zu weit.
Regungslos, wie gebannt, verharrten der schwarze Panther und sein weißer Gegner in derselben Stellung.
Wer würde zuerst zustoßen? Und – würde der andere diesem Angriff zuvorkommen können?!
Da – des Komanchen Blicke wurden plötzlich sanfter. Sein Gesicht entspannte sich gleichsam.
Harry hatte den Eindruck, als hätte der Indianer auf den letzten Hilferuf Helenes ganz besonders achtgegeben, obwohl diese sich doch der deutschen Sprache bedient hatte.
Dann ließ der Komanche Harrys Handgelenk los, trat zurück und sagte:
„Ihr werdet uns die beiden Mörder ausliefern, die ihr verbergt. Tut ihr es nicht, dann lebt ihr keine Stunde mehr. Die Blockhäuser sind umstellt. Ich habe gesprochen. Ich bin der schwarze Panther, und – dort sind meine Krieger –“
Harrys Kopf flog herum. Helene sank vor Schreck in die Knie –
Denn aus den Büschen waren jetzt einige zwanzig ebenso scheußlich bemalte Rothäute hervorgetreten –
Harrys Herz schlug schneller. Es waren die ersten ‚wilden‛ Indianer, die er zu Gesicht bekam. Denn in El Paso war er nur auf halb zivilisierte, elende, schmutzige Yumas getroffen.
Seine Gedanken arbeiteten blitzschnell. Er wußte, in welch furchtbarer Gefahr seine Verwandten, seine Schwester, Birth und er selbst schwebten.
„Der schwarze Panther spricht von zwei Mördern,“ sagte er ruhig, obwohl er bemerkte, daß die Roten ringsum ihre Büchsen schon halb erhoben hatten. „Wir halten keine Mörder verborgen. Mag der schwarze Panther unsere Blockhäuser durchsuchen.
Ich lüge nicht! Wir sind erst fünf Tage hier, und während dieser Zeit ist kein Fremder zu uns gestoßen.“
Helene hatte sich erhoben, nickte eifrig und rief, indem sie den Komanchenhäuptling offen anschaute:
„Es ist die Wahrheit, schwarzer Panther!“
Des jungen Indianers ernster, stolzer Blick ruhte seltsam prüfend auf Harrys Antlitz.
„Das Blaßgesicht führe mich zu den Seinen!“ befahl er dann, winkte den Kriegern, die sofort lautlos in die Büsche zurückglitten, hob seine Büchse auf und war mit leichtem Satz auf dem Rücken seines Pferdes.
Harry und Helene schritten voran. Als die drei sich der Felsterrasse näherten, brüllte der trunkene Birth vom Rand des Felsens herab:
„He, Harry, wo hast du den roten Burschen da aufgegabelt? Sind etwa noch mehrere in der Nähe?“
Er hatte englisch gesprochen, da er das deutsche bereits halb verlernt hatte.
Harry rief ärgerlich zurück: „Verhaltet euch gefälligst ruhig, Birth! Die Sache ist verteufelt ernst.“
Birth lief plötzlich davon. Harry ahnte schon, daß der alte Trapper in seinem unzurechnungsfähigen Zustand irgendeine Dummheit begehen würde.
Der Komanchen ließ sein Pferd am Fuß der Terrasse zurück und schritt den Engpaß empor.
Oben bemerkte Harry dann sofort, daß Birth seine Büchse geholt hatte und nun vor dem Eingang des Blockhauses sich in drohender Haltung aufgepflanzt hatte.
„Birth – weg mit dem Gewehr! Die Farm ist umzingelt!“ warnte er den Alten, der wie alle Trapper in jedem ‚wilden‛ Indianer nur einen Todfeind sah.
Birth lachte gröhlend. „So – so, umzingelt! Dann ist es höchste Zeit, diesen Burschen, der ja ein Häuptlings ist, festzunehmen! Der junge Halunke gibt ein gutes Unterpfand.“
Harry war auf den Alten zugesprungen.
„Seid ihr verrückt?!“ brauste er auf. „Wollt ihr alles verderben?! Gebt die Büchse her!“
Birth stieß Harry vor die Brust.
„Greenhorn2, willst du mich belehren, wie –“
Harry, der zurückgetaumelt war, erkannte, daß die Wut und der Alkohol dem Alten vollends die klare Überlegung geraubt hatten und daß Birth jetzt auf den Komanchen anlegen wollte –
Er sprang zu, holte mit der geballten Faust aus und versetzte dem Sinnlosen einen solchen Hieb unter das Kinn, daß Birth hintenüberflog und regungslos in der Tür liegen blieb.
Der Häuptling hatte diese Szene, leicht auf seine Büchse gestützt, scheinbar teilnahmslos beobachtet.
Dann wandte er sich an Harry:
„Das Blaßgesicht hat eine Faust wie ein Felsen. Der schwarze Panther weiß genug. Ihr werdet, wenn die Sonne zum dritten Mal aufgeht, diesen Platz verlassen haben. Ich habe gesprochen.“
Er wollte davongehen.
„Halt!“ rief Harry rasch. „Der schwarze Panther wollte sich doch überzeugen, ob wir –“
Der Komanchen hatte mit der Rechten eine stolze, befehlende Geste gemacht.
„Ihr habt keine Mörder verborgen,“ erklärte er kurz. „Dieses Land aber gehört den roten Kindern Manitus, nicht euch! Die Blaßgesichter kommen in Scharen und verdrängen den roten Herrn dieser Gebiete. Ihr werdet nach drei Sonnen verschwunden sein, oder –!“ und seine diese Worte begleitende Handbewegung deutete einen Messerstoß an.
Dann verließ er die Terrasse und war mit seinem Mustang gleich darauf im Wald untergetaucht.
3. Kapitel
Die Mescalero-Apachen
Birth kam zu sich. Inzwischen hatte Helene den alten Felsen und ihren Bruder Arnold herbeigerufen, die nach Norden zu am Flußufer eine Tonschicht ausgebeutet hatten, um daraus Ziegel zu brennen.
Birth war jetzt vollkommen nüchtern. Harry, der gefürchtet hatte, der Alte wurde nun aufs neue Streit anfangen, war freudig überrascht, als Birth ihm versöhnlich die Hand hinstreckte und beschämt sagte:
„Ich gebe zu, ich habe mich wie ein trunkener Narr benommen. Den Hieb verarge ich dir nicht, mein Junge, zumal ich selbst ihn dich gelehrt habe. –
Erzähle jetzt. Wer war der rote eigentlich? Nannte er seinen Namen?“
Harry berichtete alles ganz eingehend.
„Wie – Chokariga, der berühmte schwarze Panther der Komanchen war’s?!“ rief Birth erstaunt. „Oh – ein Glück, Junge, daß du mich deine Faust spüren ließest! Mit den Komanchen dürfen wir es auf keinen Fall verderben! Der schwarze Panther soll erst zwanzig Jahre alt sein. Und doch ist er bereits in Wahrheit der Oberhäuptling aller Komanchenstämme, da sein Vater, der weiße Adler, diese Stellung, weil durch eine Kugel erblindet, nur noch dem Namen nach bekleidet. –
Merkwürdig bei alledem bleibt nur, warum der schwarze Panther die beiden Mörder gerade hier bei uns gesucht hat. Es gibt dafür nur eine Erklärung. Diese beiden Kerle müssen sich hierhin gewann haben, das heißt, die Komanchen sind ihnen bis hier gefolgt und werden erst dicht bei der Farm ihre Spur verloren haben.“
„Was nun, Birth?“ fragte der alte Felsen bekümmert. „Sollen wir wirklich die Farm räumen und anderswohin ziehen? Der Platz gefällt mir gut. Ich war so froh, daß wir gerade hier uns niedergelassen hatten. Und jetzt – jetzt soll unsere ganze bisherige Arbeit umsonst gewesen sein?!“
Birth schaute ernst vor sich hin. Nach einer Weile sagte er bedächtig:
„Hm – man könnte mit dem schwarzen Panther unterhandeln. Wir haben fünf überflüssige Gewehre mit; auch ein Fäßchen Pulver und Blei könnten wir abgeben. Wenn die Roten nach drei Tagen erscheinen, und das geschieht ohne Frage, werden wir sehen, ob nicht durch Geschenke etwas auszurichten ist.“
Harry nickte. „Der schwarze Panther ist kein blutgieriger Wilder,“ meinte er. „Er hat auf mich einen vortrefflichen Eindruck gemacht. Ich denke, wir nehmen Births Vorschlag an. Zur Sicherheit können wir ja an dem kritischen Tag die Farm in einen Verteidigungszustand setzen, damit die Roten nicht etwa sofort über uns verfallen.“
Vater Felsen war einverstanden. Allen war jetzt wieder leichter ums Herz, zumal auch Helene betonte, daß sie ebenfalls fest an den Edelmut des jungen Komanchenhäuptlings glaube.
So waren denn vorerst die Sorgen beseitigt, und die Ansiedler wandten sich ihren verschiedenen Arbeiten wieder zu. Für alle Fälle wollte Harry aber feststellen, wo die Komanchen geblieben seien. Er bestieg sein Pferd, einen hochbeinigen Braunen, und tritt nach Nordwest in die Prärie hinaus, die sich hier meilenweit bis zu einem hohen Bergrücken hinzog.
Von einem Hügel aus gewahrte er auch eine endlos lange Schlange einer hinter dem anderen reitenden Indianer bereits in weiter Ferne. Er wartete, bis die Roten verschwunden waren, und wollte nun gerade kehrtmachen, als er von Norden her einen anderen Reitertrupp nahen sah.
Da er selbst durch Gebüsch gedeckt war, blieb er in seinem Versteck und beobachtete den Trupp, der aus einundzwanzig Indianern bestand, die jedoch zumeist nur Bogen und Pfeile bei sich führten. Nur drei besaßen Flinten.
Der Trupp hielt sich stets in den Tälern und kam etwa fünfhundert Meter nach Westen zu an Harry vorüber. Der Kriegsbemalung nach waren es keine Komanchen. Diese Roten dort drüben trugen auch die Köpfe mit Ausnahme der Skalplocke kurz rasiert
Als sie die Fährte der Komanchen erreicht hatten, machten sie halt. Offenbar waren sie sehr überrascht über diese noch so frischen Spuren, denn nach kurzer Zeit folgten drei von ihnen im Galopp den soeben erst verschwundenen Komanchen. Die übrigen näherten sich im Trab dem Mazapil-Fluß, nachdem sie nach dorthin ebenfalls zwei Späher vorausgeschickt hatten.
Harry überlegte, was er unter diesen Umständen tun solle. Die Halbinsel und die Farm lagen gut zwei Kilometer weiter nördlich, und es war daher kaum zu befürchten, daß der Trupp auf die Farm aufmerksam werden würde. Harry beschloß, den Indsmen nach einer Viertelstunde nachzureiten. Vielleicht wollten sie nur den Mazapil überqueren.
Mit größter Vorsicht ritt er nun dem Waldstreifen am Ufer des Mazapil zu, band hier seinen Braunen in einen Busch und schlich zu Fuß dorthin wo der Trupp in den Wald eingebogen war. Die Fährte lief zum Fluß hinab. Harry entdeckte jedoch von den Indianern nichts mehr. Die Spuren verrieten ihm, daß der Trupp tatsächlich den Fluß an dieser Stelle passiert hatte. Seit Tagen war kein Regen gefallen und der Mazapil führte daher nur wenig Wasser.
Harry war beruhigt. Trotzdem ließ er es nicht an der nötigen Vorsicht fehlen. Er hatte bei dem alten Birth eine gute Schule in allen Dingen durchgemacht, die ein tüchtiger Farmer und Jäger hier im wilden Westen unbedingt wissen muß. Er sagte sich, daß die drei Kundschafter, die den Komanchen gefolgt waren, schon bald zurückkehren könnten. Er wollte sie beobachten. Aus ihrem Verhalten hoffte er erfahren zu können, ob die Roten ihren Marsch wirklich fortzusetzen gedächten oder etwa Arges gegen die Farm im Schilde führten.
Er hatte sich hinter eine Eiche gestellt, zwischen deren dichtem Behang von Schlingengewächsen er über den Fluß gespäht hatte.
Zum Glück erschien ihm dieser Platz für seine weiteren Absichten nicht mehr sicher genug. Er wandte sich ab und wollte mehr flußaufwärts ein besseres Versteck wählen.
Die Eiche erhob sich am Rande einer kleinen Lichtung. Da – als Harry kaum einen Schritt getan, sah er auch schon die drei Kundschafter, die durch das hier auf der Lichtung besonders hohe und saftige Gras auf ihn zuschlichen. Sie waren kaum noch vier Meter entfernt –
Jetzt schwirrte auch schon ein Pfeil durch die Luft, ritzte noch Harrys linke Halsseite und fuhr hinter ihm in den Stamm.
Mit einem schnellen Satz entging er zwei weiteren Pfeilen. Einer der Roten schleuderte fast gleichzeitig seinen Tomahawk. Harry bückte sich. Aber das Wurfbeil traf doch noch den Lauf seiner Büchse und riß sie ihm aus der Hand.
Die drei Indsmen drangen jetzt auf Harry ein, der kaum Zeit fand, sein Jagdmesser zu ziehen.
Es war sein erster Kampf mit Rothäuten! Und daß es hier auf Tod und Leben ging, erkannte er nur zu gut. –
Der vorderste Rote, ein baumlanger, bärenstarker Kerl, rief den beiden anderen einen kurzen Befehl zu. Er trug in die Skalplocke eingeflochten mehrere Adlerfedern und die schwarze und rote Kriegsbemalung ließ sein Gesicht noch furchtbarer erscheinen.
In der Linken den Tomahawk, in der Rechten das langen Messer, – so stand er jetzt dicht vor dem jungen Deutschen, zischte ihn in schlechtem Englisch an:
„Hund von einem Blaßgesicht, dein Skalp wird Wikunas Gürtel zieren –!“
Der Tomahawk zuckte höher –
In demselben Moment hatte Harry aber auch seine volle Kaltblütigkeit wiedererlangt. Er sah, daß die beiden anderen Roten sich abwartend verhielten.
Er sprang zu –
Ein Fußtritt vor den Leib schleuderte den Gegner nach rückwärts – zwei neue Sätze – zwei Fausthiebe, wie Birth sie ihn gelehrt hatte –
Auch diese beiden Indsmen flogen zu Boden, rührten sich nicht mehr. Für den Moment war Harry die drei Feinde los. Blitzartig schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, sie für alle Zeit stumm zu machen und ihre Leichen in den Fluß zu werfen.
Nein – diese Mordarbeit widerstrebte ihm! Ihm war etwas Besseres eingefallen. Er hob seine Büchse auf, rannte davon, fand die Mustangs der drei Kundschafter, schwang sich auf den einen Gaul und kehrte zu seinem Braunen zurück, jagte nun mit den vier Tieren im Galopp am Waldsaum entlang nach Süden zu, um die Indianer durch diese deutliche Fährte aus der Nähe der Farm wegzulocken.
Erst nach halbstündigem Ritt trieb er die drei Indianerpferde in die Prärie hinaus. Er selbst nahm seinen Braunen am Zügel und ritt eine Stunde lang im Bett eines steinigen Baches nordwärts, bis er in einen Felsenkanon gelangte, wo der harte Boden keine Spuren annahm.
Nach all diesen Vorsichtsmaßregeln näherte Harry sich dann schließlich in großem Bogen von Osten her der Halbinsel. Als er – inzwischen waren drei Stunden verstrichen – vor der Terrasse erschien, rief ihn Helene von oben an.
„Harry, wir waren deinetwegen schon in großer Sorge. Birth hat sich vor anderthalb Stunden aufgemacht, um nach dir zu suchen.“
Harry wurde jetzt von den seinen umringt. Er konnte kaum all die an ihn gerichteten Fragen beantworten.
Vater Felsen meinte seufzend: „Mit der Ruhe und dem Frieden ist es nun vorbei! Ich weiß nicht, seit heute früh lastet eine bange Ahnung auf mir, als ob wir hier doch das Feld werden räumen müssen.“
Gleich darauf erschien der alte Birth. Auch sein Gesicht wurde noch düsterer, als Harry ihm das Aussehen der Indsmen schillerte, mit denen er den unblutigen Strauß ausgefochten hatte.
Das waren also Apachen vom Unterstamm der Mescaleros,“ erklärte er. „Das sind mit die gefährlichsten Rothäute. –
Ich habe die Spuren des Kampfes auf der Lichtung gefunden und bin auch über den Fluß geritten. Der Trupp scheint seinen Marsch nach Süden fortgesetzt zu haben, was mir, offen gestanden, etwas merkwürdig vorkommt. Daß die drei Kundschafter nicht mal ihre Gäule sich zurückgeholt haben, sondern zu Fuß den Mazapil passierten, ist recht auffallend. Jedenfalls dürfte es notwendig sein, heute gegen Abend nach dieser Teufelsbrut nochmals Ausschau zu halten. Ich werde vor Sonnenuntergang das andere Flußufer absuchen. Ihr anderen aber tut gut, die Terrasse nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu verlassen.“ –
Birth kehrte abends gegen elf Uhr von seinem Kundschafterritt nach der Farm zurück und brachte die beruhigende Nachricht mit, daß die einundzwanzig Mescaleros tatsächlich ohne Aufenthalt weitergeritten seien.
„Ich glaube, sie wollten schleunigst aus der Nähe ihrer Todfeinde, der Komanchen weg,“ fügte er hinzu. „Wir können uns getrost schlafen legen.“
Die Nacht verging auch für die Ansiedler ohne jede Störung. Hätte der alte Birth am verflossenen Abend jedoch die Fährte der Mescaleros nur eine halbe Meile weiter verfolgt, dann würde er wohl weniger unvorsichtig gewesen sein.
Denn in einem steinigen Tal, das bereits mit zu der berüchtigten Llano Estacado, der ungeheuren Sand– und Felswüste östlich des Rio Pecos, gehörte, hatten die Mescaleros ihr Lager aufgeschlagen.
Wikuna, der riesige Häuptling, saß an einem durch trockene Distelstauden genährten Feuer und besprach sich flüsternd mit Hobler, dem Rotbärtigen, der seit langen mit dem Apachenhäuptling eng befreundet war.
„Mein Bruder Hobler ist sehr großmütig,“ sagte der schlaue Apache jetzt mit deutlichem Spott. „Er will uns die ganze Beute der Farm überlassen. Weshalb will er die Farm denn überhaupt zerstören, wenn er keinen Vorteil davon hat?“
„Der eine der Farmer hat mich beleidigt, Wikuna,“ erwiderte Hobler kurz.
„Meines Bruders Zunge ist gespalten wie die der Schlangen, die in den Büschen herumkriechen,“ meinte der Mescalero darauf mit merklicher Geringschätzung. „Die Farm kann kaum erst zweimal zehn Tage bewohnt sein. Und mein Bruder war über einen Mond3 auf der Fährte der räudigen Hunde mit dem Weiberhaar4, wie er mir vorhin erzählte. Mein Bruder belügt Wikuna. Und Wikuna, der springende Hirsch, wird seine zwanzig Krieger nicht von den Kugeln der Bleichgesichter am Mazapil treffen lassen. Die Komanchenhunde lagern im Nordwesten am Kanadian keinen Tagesritt entfernt. Der schwarze Panther scheint mit den Farmern Freundschaft geschlossen zu haben. Er war bei ihnen und die Hunde der Komanchen zählen über zehn mal zehn Krieger.“
Hobler hatte die Lippen fest aufeinander gepreßt. Er fühlte sich durchschaut. Schweigend rauchte er seine Pfeife weiter und tat, als ob des Apachen Worte ihn schwer verletzt hätten.
Wikuna beobachtete ihn mit halb zugekniffenen Augen. Er wußte seit Monaten, daß der weiße Trapper hier im Norden der Llano Estacado irgendwo ein Versteck hatte, in dem er seine Jagdbeute, Tierfelle aller Art, aufbewahrte.
Dann nahte dem Feuer ein einzelner Reiter, sprang ab und berichtete dem Häuptling, ein graubärtiges Bleichgesicht sei auf der Spur des Trupps bis fast an das Lager herangeritten, dann aber umgekehrt. –
Mithin war der alte Birth von den Spähern der Mescaleros sehr wohl bemerkt worden.
Wikuna richtete an den Apachen noch einige Fragen und schickte ihn dann wieder weg.
Inzwischen hatte Hobler sich genau überlegt, wie er den Häuptling doch vielleicht noch zu einem Angriff auf die Farm bewegen könne.
„Mein Bruder Wikuna wird alt,“ meinte er mit einem aufreizenden Lachen. „Er fürchtet die Nähe des schwarzen Panthers. Und heute am Ufer des Mazapil warf ihm ein Fußtritt des jungen Weißen zu Boden.“
Des Mescaleros Augen weiteten sich für einen Moment.
„Wikuna vergißt nichts!“ sagte er kalt. „Der Skalp des Bleichgesicht mit der Felsenfaust wird seinen Gürtel zieren. Alles hat seine Zeit. Ich habe gesprochen.“
„Du wirst also zurückkehren, Wikuna?“
„Fast zweihundert meiner Krieger lagern drei Tagereisen von hier am Rio Pecos. Das Kriegsbeil wird die Hunde der Komanchen und die Farmer auslöschen.“
„Gut, ich werde dich begleiten, Wikuna. Ich werde dir gegen die Komanchen helfen.“
Der Apache starrte in die knisternde Glut. Nach einer Weile fragte er:
„Wo sind die drei Gefährten meines Bruders Hobler geblieben? –
Mein Bruder spricht nicht alles aus, was er denkt.“
„Ich sagte dir schon: Zwei wurden von den Komanchen erschossen. Der dritte ist verwundet.“
„Und wo befindet er sich?“
„In – in einer bewaldeten Schlucht weit nördlich der Farm –“
Wikunas Augen bedeckten sich fast ganz mit den Lidern.
Ein jüngerer Roter brachte für die beiden große Stücke am Spieß gebratenes Hirschfleisch. Sie begannen zu essen. Dann hüllte der Häuptling sich in seine Decke und streckte sich neben dem Feuer zum Schlaf aus.
4. Kapitel.
Das Ende der Felsenfarm.
Am Morgen nach dem die Gemüter der Ansiedler so sehr beruhigenden Kundschafterritt des alten Birth wollte Harry am anderen Ufer des Mazapil einen Hirsch zu schießen suchen, dessen Standplatz er bereits genau kannte.
Helene begleitete ihn bis zu der Furt nördlich der Farm. Sie machte keinen Hehl daraus, daß die Nähe der Mescaleros und der Komanchen sie noch immer ängstigte. –
„Ich hatte so schlechte Träume, Harry,“ sagte sie trübe.. „Kehre recht bald zurück. Auf Birth ist so wenig Verlaß. Mutter hat zwar das Rumfäßchen jetzt versteckt. Aber Birth scheint sich heimlich ein paar Flaschen schon vorher gefüllt zu haben. Ich traf ihn vorhin im Stall. Er verbarg schnell etwas unter dem Heu.“
Sie hatten die Furt erreicht. Helene gab dem Jugendgespielen die Hand. Beider Blicke ruhten lange und zärtlich ineinander. Plötzlich beugte sich Harry zu ihr herab und küßte Helene auf die frischen Lippen, sagte dann glücklich:
„So, nun sind wir ein Brautpaar, Helene! –
Habe keine Sorge; in drei Stunden bin ich wieder bei dir! Leb’ wohl!“
Sein Brauner patschte in das seichte Wasser. In der Mitte des Flusses drehte Harry sich nochmals um und schwenkte seinen großen Schlapphut. Helene winkte mit der Hand. Ihr war so seltsam schwer ums Herz. Langsam trat sie den Rückweg an –
Seine Gedanken weilten erst noch bei Helene, beschäftigten sich dann aber bald ausschließlich mit dem jungen Komanchenhäuptling.
Harry sprengte im Galopp am jenseitigen Ufer über einen Streifen Prärie und gelangte bald in ein sumpfiges, von Gebüschgruppen bestandenes Gebiet, wo stets Wild zu suchen war.
Im Gegensatz zu Helene fühlte er sich heute so heiter und glücklich wie nie in seinem Leben. Seine großen graublauen Augen leuchteten vor Jagdeifer und jugendlichem Frohsinn. Die Zipfel seines rotseidenen Halstuches, das er mehr als Putz trug, flatterten lustig hinter ihm drein. Sein hirschlederner Jagdanzug, unter dessen Jacke das gestreifte Baumwollhemd vorn hervorlugte, schützte ihn vor den bereits recht lästigen Sonnenstrahlen.
Es war so merkwürdig, daß er den schwarzen Panther nicht vergessen konnte und daß sich in ihm ein Gefühl der Zuneigung für den schlanken, kraftvollen Komanchen immer stärker einstellte. Vergebens grübelte er darüber nach, wie dieses Gefühl für den Häuptling, den er doch mehr als Feind denn als Freund betrachten mußte, entstanden sein könnte. Wenn er sich nochmals die Szene vergegenwärtigte, wie sie beide mit stoßbereiten Messern sich ins Auge geschaut hatten, dann merkte er mit aller Deutlichkeit, daß selbst in diesem kritischen Augenblick in seiner Brust kaum wahre Feindseligkeit gegen Chokariga aufgelodert war.
Das alles war so seltsam. Und nicht minder seltsam war’s gewesen, daß der Komanchen mit solcher Aufmerksamkeit auf den deutschen Hilferuf Helenes achtgegeben hatte.
Harry empfand unklar, daß der junge Häuptling und er selbst durch irgendwelche Bande geheimer Sympathie miteinander verknüpft waren. Er freute sich geradezu auf ein Wiedersehen mit Chokariga, und er war auch fest überzeugt, daß jener den deutschen Farmern das Verbleiben auf der Halbinsel des Mazapil ohne weiteres gestatten würde.
Seine Aufmerksamkeit wurde nun doch durch eine Hirschkuh abgelenkt, die dicht vor ihm mit einem Hirschkälbchen flüchtig vorüberschritt.
Eine halbe Stunde später hatte er seinen Braunen in einem Gebüsch zurückgelassen und umschlich ein Dickicht, wo der Hirsch, auf den er es abgesehen hatte, sich tagsüber niederzutun pflegte. Er fand auch eine frische Fährte, die in die Dickung hineinführte. Da der Wind günstig stand und ihn dem Wild nicht verraten konnte, versuchte er, den Hirsch anzuschleichen.
Er hatte Glück. Bald bemerkte er über einem Vorhang von wildem Hopfen das mächtige Geweih des ruhenden Tieres. Da er seine Schusses sicher war, rechnete er, wo der Kopf des Hirsches sich befinden müsse, zielte und drückte ab.
Auf den Schuß hin tat der Hirsch nur noch einen einzigen Satz und brach dann zusammen.
Harry weidete das Wild schnell aus. Sein Brauner würde schon bis zur Farm samt dem prächtigen Geweih tragen.
Nun richtete er sich auf, wischte das blutige Jagdmesser mit einem Büschel Gras ab und – fühlte plötzlich, wie ihm eine Lassoschlinge über den Kopf flog und sofort mit einem harten Ruck nach rückwärts zugezogen wurde. Das Messer entfiel seiner Hand. Er taumelte nach hinten –
Ein neuer Ruck, und er schlug lang hin. Vergeblich suchte er die Schlinge mit den Händen zu lockern. –
Ihm begannen die Sinne zu schwinden –
Er fühlte, wie man ihm eine stinkende Pferdedecke über den Kopf warf, wie er an Armen und Beinen gepackt wurde, wie man ihm Lederriemen um die Gelenke schnürte.
Dann verlor er für kurze Zeit die Besinnung.
Als er wieder zu sich kam, war er allein, – war er an eine junge Eiche, die in einer felsigen Schlucht gerade einer breiten Felsspalte gegenüber in dem harten Boden Wurzeln geschlagen hatte aufrechtstehend gefesselt. Die Decke hatte man ihm abgenommen. Die Sonne schien in die düstere Schlucht hinein, und er konnte ringsum alles genau erkennen..
Harrys Augen schauten jetzt voll wachsender Unruhe nach der Felsspalte hinüber, vor der eine Menge Knochen, teilweise noch mit Hautfetzen daran, sowie Tierschädel lagen. –
Blitzartig ward ihm die grausame Heimtücke derjenigen klar, die ihn überfallen und hierher gebracht hatten, ohne daß er wußte, wer ihn mit dem Lasso so überraschend niedergerissen hatte.
Die Spalte dort war fraglos der Eingang zu der Höhle eines Bären, vielleicht gar eines Grisly!
Birth hatte ja erwähnt, daß ein grauer Bär jenseits des Flusses hause –
Wer aber konnte ihm diesen entsetzlichen Tod zugedacht haben? fragte Harry sich jetzt immer wieder. Vielleicht der Mescalero Wikuna –? –
Ja, nur dieser kam hier in Betracht. Niemals hätte der schwarze Panther für ihn eine so grausame Todesart ersonnen!
Harry wußte nur zu gut, daß der Grisly den Menschen auch dann angreift, wenn er nicht gereizt wird.
Die Todesangst trieb dem armen Gefesselten schnell den Schweiß auf die Stirn. Mit aller Kraft zerrte er an den Lederriemen. Er fühlte, wie ihm das Blut über die Hände lief, wie die Riemen immer tiefer in die Haut einschnitten.
Er mußte freikommen – mußte! Um jeden Preis!!
Helenes Bild huschte durch sein Hirn. Er dachte an ihre Tränen, die sie um ihn vergießen würde, wenn er nicht heimkehrte.
Und er dachte weiter an die Gefahr, die der Farm ohne Zweifel drohte –!
Da – in der Felsspalte war der hellgraue Kopf eines riesigen Grisly erschienen –
Harry wurde es einen Moment schwarz vor den Augen. Dann – ein neuer kraftvoller Ruck an den Armfesseln – Ah – sie gaben nach – der rechte Arm war frei –
Der Bär hatte die Spalte bereits verlassen, trottete nun auf sein Opfer zu –
Harry Felsen beobachtete den Grisly – langsam hob er den freien Arm, zog aus dem Knoten des rotseidenen Halstuches die billige Vorstecknadel heraus, die Helene ihm in El Paso geschenkt hatte – eine Krawattennadel mit einer Koralle.
Da richtete der Bär sich vor ihm auf, ließ ein gurgelndes Brummen hören, das wie ein wütendes Röcheln klang.
Und kam so näher. Seine tückischen Augen umspielten die menschliche Beute –
Noch zwei Schritt war er entfernt – seine Vorderpranken streckten sich hoch, um das Opfer in tödlicher Umarmung zu zerdrücken. –
Harry Felsens Herzschlag stockte. Alles kam jetzt darauf an, daß er seine Ruhe bewahrte, daß seine Hand nicht zitterte.
Und dieser Hand, nur mit der Nadel bewaffnet, flog jetzt vorwärts –
Zweimal stach Harry zu, traf die Augen der Bestie mit der schier so harmlosen Waffe –
Dann ein Fausthieb – ein Hieb, wie nur Harry ihn austeilen konnte, – gerade auf die Nase des Grisly –
Das geblendete Untier taumelte zurück, heulte auf, wischte sich mit den Vorderpfoten über die blutenden Augen –
Harry suchte die Knoten der Riemen; fand sie, öffnete sie, – war frei –!
Wie automatisch hob er schnell die Nadel auf, die er vorhin hatte fallen lassen, steckte sie wieder in das Halstuch zurück.
Der Grisly hatte sich niedergelegt, wischte noch immer mit den Prallen seiner Pranken über die blutüberströmte Schnauze.
Der junge Farmer fühlte jetzt fast Mitleid mit dem des Augenlichts beraubten Tiers. Er wollte es nicht seinem Schicksal überlassen. –
Dort drüben lag ein wohl zwei Zentner schwerer Stein. Harry wuchtete ihn hoch, schlich im Bogen hinter den Grisly, zielte kurz und schmetterte den Felsblock dem geblendeten Bären auf den Schädel.
Wie vom Blitz gefällt sank die Bestie zusammen. Noch ein paar krampfhafte Zuckungen und der Grisly hatte ausgelitten –
Harry stürmte schon davon. Und wirklich – sein Brauner stand noch in demselben Gebüsch, das Harry freilich erst nach einer halben Stunde wiedergefunden hatte.
Er schwang sich in den Sattel. Im Galopp ging’s durch das Sumpfgebiet hindurch, über die Prärie hinweg.
Die im Sonnenlicht gleißenden Wasser des Mazapil tauchten auf.
Plötzlich zog Harry so scharf die Zügel an, daß sein Pferd auf die Hinterhand rutschte –
Des jungen Deutschen Augen stierten nach links –
Dort drüben lag die Halbinsel; dort stiegen dunkle Rauchwolken auf, hatten sich bereits in der Luft zu grauen Dunstschleiern angesammelt –
Ein wilder Schrei entrang sich Harrys Brust –
Der Braune jagte weiter der Furt zu – weiter am Ufer entlang – unter den Eichen dahin – bis an die Felsterrasse, auf der die beiden Blockhäuser in hellen Flammen standen –
Harry hastete den Engpaß empor –
Dort lag Helene – tot – tot! In ihrem Kopf steckte noch ein Tomahawk. Das Gesicht war über und über mit Blut bedeckt –
Harry sank in die Knie, griff nach der schon erkalteten Hand der Geliebten –
Kein Pulsschlag mehr – das Leben war längst entflohen.
Taumelnd erhob er sich. Seine Züge waren verzerrt; seine Augen weit aufgerissen. Wie ein Irrer schwankte er dem brennenden Wohnhaus zu –
Da – da lagen der alte Felsen und seine Frau – beide skalpiert – dort vor dem Stallgebäude Arnold Felsen mit einer furchtbaren Halswunde – auch hingemordet, auch skalpiert –
Harry fühlte, wie ihn mit einem Mal eine unnatürliche Ruhe überkam. Es war ihm, als sei in seinem Inneren irgend etwas zersprungenen – vielleicht sein jugendfrohes Herz. –
Er suchte weiter. Hinter dem Steil fand er auch den alten Birth, dem ein indianischer Pfeil in der Brust steckte, – ebenfalls skalpiert –
Harry bückte sich –
Da – der Puls des alten Farmers schlug noch ganz schwach –
Und der Sterbende öffnete noch einmal die Augen –
„Birth,“ rief Harry, „Birth – wer waren die, die hier –“
Der Alte lallte mit kaum noch verständlicher Stimme:
„Weiß – nicht – War – war – betrunken. Ein – ein roter Ba –“
Und mitten im Wort versagten ihm die Kräfte. Er schloß die Augen wieder, reckte sich – noch ein Seufzer, und auch er war tot –
Die Glut der brennenden Blockhäuser zwang Harry zum Verlassen der Felsterrasse. Krachend stürzten die Dächer ein; die Balkenwände brachen auseinander, begruben das Ehepaar Felsen, Arnold und den alten Trapper, lohten weiter, angefacht von dem scharfem Ostwind, der über den Fluß strich –
Mit Helenes Leiche im Arm erreichte Harry halb erstickt sein Pferd, stieg in den Sattel, hielt die tote Geliebte im Arm und ritt auf gut Glück in die Prärie hinaus –
Er wunderte sich über sich selbst, daß er jetzt so gar keinen Schmerz mehr über den Verlust all seiner Lieben empfinden konnte. Sein Herz war tot – für immer –
Und so ritt er weiter und weiter, bis der Braune ganz von selbst in einem buschreichen Tal im Norden der zerstörten Farm halt machte.
Harry bettete die tote Braut in das saftige Gras. Dann überwand er sich und zog den Tomahawk aus dem gespaltenen Schädel –
Sein Blick fraß sich förmlich fest an dem geschnitzten Stiel des Schlachtbeiles –
Da – da war das Bild eines Tieres eingeritzt mit schwarzer Farbe ausgetauscht, – eines Panthers –!
„Der Komanchen! Der schwarze Panther!“ flüsterte Harry. „Also doch die Komanchen –!“
Mit dem Beil grub er Helene ein Grab, füllte die Grube mit grünen Zweigen aus, legte die Tote hinein und kniete nieder –
„Helene!“ sagte er feierlich, als spräche er zu einer Lebenden, „Hier an deinem Grab schwöre ich, daß ich alle, die an diesem Blutbad teilgenommen haben, bis auf den letzten Mann auslöschen will! Und sollte mein Rachedurst je nachlassen, dann will ich hierher zurückkehren und an deiner Ruhestätte neue Kraft schöpfen, mein Werk zu vollenden. Mein Herz soll fortan hart und erbarmungslos wie ein Felsen sein, soll so sein, wie du hießest, meine Helene!“
Er erhob sich, bedeckte die Tote mit neuen Zweigen und Blumen, füllte das Grab mit Erde, setzte die ausgestochenen Rasenstücke wieder ein und legte obenauf einen großen, flachen Stein, der zufällig ungefähr Herzform hatte.
Bis Sonnenuntergang saß er am Grab der geliebten Toten in dumpfem Brüten.
Alles – alles hatte dieser Tag ihm geraubt! Er stand nun allein in der Welt da.
Aber – er hatte dennoch einen Lebensweg: Die Rache! –
Er kannte das Gesetz der Wildnis, wo es keinen Richter gibt, Untaten zu straffen. Und dieses Gesetz des wilden Westens lautet: Auge um Auge, Zahn um Zahn!
5. Kapitel.
In Flammennot.
Und wieder ritt Harry Felsen durch die einsame Prärie der sinkenden Sonne entgegen. Nur den Tomahawk der schwarzen Panthers besaß er als Waffe.
Dort, wo das Abendbrot den Himmel färbte, dort war, wie Birth ausgekundschaftet hatte, das Lage der Komanchen aufgeschlagen, da wollten sie abwarten, ob die Ansiedler die Farm räumen würden – dort würde er, der Rächer, ihre Fährte finden –
Der Ostwind hatte sich noch verstärkt, raste als Sturm in ungleichen Stößen über die durch die lange Dürre stellenweise wie versengte Prärie.
Er achtete auf nichts. Seine Augen waren gleichsam nach innen gerichtet.
Aber irgendwann wurde er doch gewahr, daß ein seltsamer Lichtschein über die endlose Prärie hinzuckte, daß neben ihm immer mehr flüchtendes Getier wie gehetzt gen Westen stürmte.
Er drehte sich um –
Hinter ihm stand der ganze Horizont in Flammen – die Prärie brannte.
Heulend und brausend kam ein lohnender Damm näher und näher – schon fühlte der einsame Reiter die ersten Hitzewellen –
Da – der Braune tat einen Satz, wieherte auf –
In tollem Rasen ging’s jetzt weiter. Vogelschwärme strichen kreischend durch die Luft; Rudel von Hirschen, Präriehunde, einzelne Panther und Bären – Alles strebte wie sinnlos vorwärts –
Der Braune keuchte schwer, stolperte immer häufiger –
Harry blickte zurück. Der Feuerball näherte sich mit unheimlicher Geschwindigkeit –
Dann ein dunkler Streifen dort vorn – felsige Hügel, die sich in zwei Ausläufern wie eine geöffnete Schere in die Prärie hineinschoben, – wie ein Trichter, der all diese Flüchtlinge nun aufnahm –
Da vorn war die Rettung –!
Aber – hinter ihm prasselte und zischte die alles verheerende Glut, deren Ausstrahlung die Luft bereits mit Siedehitze erfüllt hatte –
Große Schaumflocken flogen dem wackeren Pferd vom Maul. Es gab sein Letztes her, überholte das flüchtende Getier –
Aufwärts ging es in ein enges Tal hinein. Haushohe Wände rechts und links –
Dann tat der Braune einen letzten Satz, sank in die Knie –
Harry war darauf vorbereitet gewesen, sprang aus dem Sattel.
Gerade am Fuß eines einzelnen Felsblocks, der an der hinteren Talwand lag, war der Braune zusammengebrochen. Harry erkletterte den Felsen, schaute abermals zurück –
Der Feuerdamm war gestoppt; denn die Flammen fanden hier keine Nahrung mehr. Aber die zwischen den Talwänden eingezwängte, erstickende Hitze drohte Harry die Besinnung zu rauben.
Noch etwas anderes drohte: Das vor Angst halbtolle Raubwild nahte, mochte wohl hier auf der Höhe des Felsens die Fortsetzung eines Rettungsweges vermuten –
Ein schwarzer, riesiger Baribalbär, eine Bestie von gut zwei Meter Länge, versuchte als erster den Felsblock zu erklimmen –
Der Tomahawk in Harrys Hand schmetterte herab.
Ein Panther schnellte empor, fiel dicht vor Harrys Füße –
Ein neuer Hieb, ein Fußtritt – das Vieh flog hinab –
Der rote Schein des verglimmenden Präriebrandes beleuchtete diesen wahnwitzigen Kampf eines einzelnen Mannes gegen die vierfüßigen Räuber der Wildnis.
Schlag auf Schlag sauste auf dumpf dröhnende Tierschädel –
Bis endlich die Hitze nachließ; bis der rote Feuerschein mehr und mehr verblaßte und das Heer der Angreifer sich langsam zerstreute.
Auch mit Harrys Kraft war es jetzt zu Ende. Er glitt zu Boden – Eine Ohnmacht umfing sein Sinne.
Als er wieder zu sich kam, klatschte ein Sturzregen auf das Gestein, hörte er den Donner eine schweren Gewitters, sah er im zuckenden Licht der Blitze am Fuß des Felsblockes seinen Braunen mit hängendem Kopf stehen.
Wie so oft hatte auch hier der Präriebrand die Luft mit Elektrizität gesättigt, hatte ein Gewitter hervorgerufen.
Der Regen ließ nach. Im Osten zeigte sich bereits der erste Schimmer des Tageslichts.
Harry Felsen stillte seinen Durst aus einer Regenpfütze, kletterte hinab zu seinem Pferd, sah ringsum die Kadaver der getöteten Bestien, nahm seinen Braunen am Zügel und entfloh diesem Ort des Schreckens.
Dort, wo der Steinboden in die Prärie überging, fand er einen noch lebenden, halb versengten Hirsch, tötete ihn und hieb eine der Keulen ab. In seiner Tasche steckte noch das Büchschen mit Schwefelhölzern. Eine nahe Schlucht diente ihm dann als Lagerplatz. Ein kleines Feuer briet die Hirschkeule gar.
Das war des Trappers Felsenherz erste Mahlzeit in der Wildnis – seine erste einsame Mahlzeit –
Als die Sonne bereits recht hoch stand, bestieg er seinen Braunen und ritt in die kahle, schwarze Prärie hinein nach Südost zu. Er wollte nochmals nach der Farm zurück, wollte in den verkohlten Resten der Blockhäuser nach der Leiche seiner Schwester Anna suchen. Sie konnte ja nur in der Wohnhütte sich befinden; sie mußte dort unter den Streichen der Komanchen ihr junges Leben ausgehaucht haben.
Felsenherz bemerkte jetzt etwas wie eine Furche, die sich über den schwarzen Grasboden fast schnurgerade von Nordwest nach Südost hinzog. Bald hatte er festgestellt, daß es die Fährte zahlreicher Reiter war, die einer hinter dem anderen vor nicht allzu langer Zeit nach dem Mazapil geritten waren; er schätzte, vor etwa drei Stunden.
‚Die Komanchen!‛ schoß es ihm durch den Sinn. Und sein Körper straffte sich.
Er galoppierte weiter, schlug aber eine Richtung ein, die ihn südlich der Halbinsel an den Fluß führen mußte.
Der Präriebrand hatte in der Nähe des Mazapil in dem frischen Gras keine Nahrung gefunden. Bald lenkte Felsenherz in den Waldstreifen am Flußufer ein, ritt mit größter Vorsicht unter den Bäumen dahin und ließ den Braunen schließlich in einem Dickicht zurück.
Zu Fuß schlich er, jetzt auf wohlbekanntem Gelände, der Halbinsel näher und näher.
Gerade dort, wo er die jungen Kiefern vor drei Tagen gefällt und das erste Zusammentreffen mit den schwarzen Panther gehabt hatte, hörte er in den Büschen das Stampfen und Schnauben von Pferden.
Auf allen Vieren kroch er weiter, bis er auf einer Lichtung gegen hundert Komanchengäule vor sich hatte, die von drei Rothäuten bewacht worden.
Einer dieser Wächter, der an einem Baum lehnte, hatte am Gürtel außer dem Tomahawk noch ein kleines Handbeil stecken, das Felsenherz sofort als Eigentum seines Onkels wiedererkannte.
Bedurfte es eines besseren Beweises als dieses Teiles, daß der Rote an der Plünderung der Farm mitbeteiligt gewesen?!
Felsenherz beobachtete die beiden anderen Wächter, die links von ihm standen.
Lautlos richtete er sich hinter dem Komanchen auf, der eine Büchse lose in den Arm gehängt hatte.
Ein Hieb mit dem Tomahawk, zwei schnelle Griffe, ein Sprung auf den Rücken des nächsten Pferdes, und Felsenherz jagte mit der erbeuteten Büchse, dem Pulverhorn und dem Kugelbeutel von dannen.
Hinter ihm her schrillte der Alarmruf der beiden anderen Wächter.
Nach zehn Minuten hatte er seinen Braunen wiedergefunden, ließ den Mustang laufen und setzte seine Flucht fort.
Er wurde verfolgt und nur zu bald sah er ein, daß er sehr unklug gehandelt, als er sich auf die Ausdauer seines Pferdes verlassen hatte.
Er hoffte, noch den kleinen Bach zu erreichen, dessen steiniges Bett schon damals seine Fährte verwischt hatte. Ein Blick nach rückwärts zeigte ihm jedoch, daß er bereits halb eingekreist war. Hinter ihm jagte als nächster der Komanchen der schwarze Panther auf seinem Rappen her. Felsenherz riß seinen Braunen herum. Er wollte sein Leben so teuer wie möglich verkaufen, sprang ab, spannte die Büchse –
Mit gellendem Schrei flog der schwarze Panther auf ihn zu –
Felsenherz legte an, drückte ab – der Schuß versagte. Er warf die einläufige Flinte als nutzlos weg, nahm den Tomahawk in die Hand –
Fünf Meter vor ihm hielt der junge Komanchenhäuptling –
Ein Lasso schwirrte durch die Luft –
Felsenherz konnte der Schlinge nicht mehr entgehen –
Ein Ruck, und er wurde fortgeschleift. Dann erschienen schon neben ihm andere Komanchen. Und gleich darauf war er ein Gefangener.
6. Kapitel.
Im Lager der Komanchen.
In dem nördlichen Präriewinkel zwischen dem felsigen Höhenzug, der sich bis ans Ende der Halbinsel hinab erstreckte, und dem Uferwald des Mazapil war an diesem selben Morgen ein großes Indianerlager mit einigen sechzig Lederzelten entstanden.
Als Felsenherz jetzt nach dem Beratungsplatz in der Mitte des Lagers gebracht wurde, staunte er über die Menge von Komanchen, die er hier versammelt fand. Er hatte also die Zahl der Reiter aus der Fährte sehr unrichtig abgelesen. Er schätzte die Komanchen jetzt auf mindestens zweihundert Krieger. Dann kamen ein Dutzend Weiber, sämtlich alte Indianerrinnen mit von Falten zerfurchten Gesichtern.
Im Nu war in der Mitte des Beratungsplatzes ein großer Holzpfahl eingegraben, an dem man Felsenherz jetzt aufrecht mit Lassos festband.
Der schwarze Panther hatte sich bisher nicht wieder blicken lassen. Auch die Komanchenkrieger schienen sich um den Gefangenen nicht weiter zu kümmern.
Die Sonne stand im Zenith. Es war Mittag geworden. Felsenherz befand sich in einer seelischen Verfassung dumpfer Gleichgültigkeit. Ihn peinigte der Durst. Doch er beachtete es kaum. Seine Gedanken waren lediglich Selbstvorwürfe. Er hatte ja durch eine einzige Unüberlegtheit alle seine Rachepläne zunichte gemacht. Nur um sich eine Büchse zu verschaffen, hatte er den Pferdewächter niedergeschlagen. Hätte er mit ruhiger Überlegung gehandelt, wäre er noch jetzt frei. Nun aber gab es kein Entrinnen für ihn. Birth hatte ihm genug von der Grausamkeit der Rothäute erzählt.
Er hatte daher mit dem Leben abgeschlossen. Helene würde nie so gerächt werden, wie er es an ihrem Grab geschworen.
Er hatte die Augen halb mit den Lidern bedeckt und den Blick zu Boden gerichtet. Vor ihm saßen zwei Komanchen als Wächter. Dann wurde er plötzlich angesprochen.
Der schwarze Panther stand vor ihm. Die dunklen Augen des jungen Häuptlings ruhten wieder mit einem Ausdruck fast neugieriger Spannung auf seinem Gesicht.
Felsenherz schoß das Blut plötzlich in ohnmächtigem Grimm in die Wangen. Er unterbrach den Komanchenhäuptling, brüllte ihn haßerfüllt an:
„Du fragst mich, wer die Farm eingeäschert hat?! Du selbst warst es, heuchlerischer Bursche – du selbst! Dein Tomahawk steckte noch in der Schädelwunde des blonden Mädchens, das meine Verlobte war!“
Der schwarze Panther griff nach dem Messer. Aber die Hand sank wieder herab.
„Das Blaßgesicht redet irre,“ sagte er kalt. „Ich spreche nie mit gespaltener Zunge. Wir haben die Farm nicht niedergebrannt!“
„Und dein Tomahawk, elende Rothaut?!“ schrie Felsenherz in wachsender Wut. „Wie kam dein Wurfbeil, in dessen Stil ein schwarzer Panther eingeritzt war, in die Todeswunde?! Du bist ein feiger Lügner, ein vielfacher heimtückischer Mörder –“
Des jungen Komanchen Jagdmesser zuckte wie ein Flammenstrahl auf, sauste, blitzschnell geschleudert, auf Felsenherz’ Brust zu –
Aber – eine höhere Macht lenkte hier die todbringende Klinge: die Spitze traf die rote Koralle der Nadel, glitt nach links ab, fuhr an der Seite des Halstuches entlang und blieb an der Schulter, in dem ledernen Jagdwams stecken.
Im selben Augenblick kam ein Komanche herbeigelaufen und reichte den jungen Häuptling einen Tomahawk, redete dabei auf den schwarzen Panther lebhaft ein.
Dieser wandte sich jetzt an Felsenherz. Sein Gesicht zeigte deutlich, wie erstaunt er war, daß man ihm diesen Tomahawk überbracht hatte.
„Ist es diese Waffe, die du fandest?“ fragte er schnell und hielt Felsenherz das Schlachtbeil hin.
„Ja – sie ist’s! Es ist der eine Beweis, daß du die Meinen hinschlachten ließest. Und der zweite Beweis war das kleine Handbeil, welches der Komanche, den ich bei den Pferden niederschlug, im Gürtel hatte.“
Chokariga schwieg minutenlang, schien zu überlegen. Dann erklärte er ernst, fast feierlich:
„Das Blaßgesicht hat mich einen Lügner genannt. Mein Mund kennt die Lüge nicht. Dieses Beil nahm einer der beiden Mörder mit sich, die ich in eurer Farm vermutete. Sie hatten in unserem Dorf am Oberlauf des Kanadian einen Ledersack voll Nuggets gestohlen. Auf der Flucht schoß der eine, ein rotbärtiger Trapper namens Hobler, meine Schwester Mobita nieder. Sie lebt noch. Aber in ihren Adern rast das Wundfieber.
Wir haben in der Nähe der Farm nach Spuren gesucht. Der Gewitterregen hat alle Fährten weggewaschen. Das Blaßgesicht möge mir erzählen, was sich ereignet hat, nachdem ich mit meinen Kriegern die Umgebung der Farm verlassen hatte.“
Im Felsenherz’ stritten Zweifel an des jungen Häuptlings Aufrichtigkeit und der Wunsch, die Wahrheit zu ergründen, miteinander. Erst wollte er dem schwarzen Panther überhaupt nicht antworten. Dann aber belehrte ihn ein Blick in seines Feindes offenes Gesicht und ehrliches Auge, daß das, was er als Schuldbeweis gegen die Komanchen angesehen hatte, vielleicht doch trügerisch wäre.
Er begann kurz zu berichten, was sich in den letzten Tagen abgespielt hatte. Als er seinen Kampf mit den Mescalero-Apachen erwähnte, lief es über des schwarzen Panthers rotbraunes, scharf geschnittenes Antlitz wie ein Zucken hin.
Inzwischen waren noch mehr Komanchen nähergetreten. Es bildete sich eine immer enger werdender Kreis um den Gefangenen und den Häuptling.
Als Felsenherz jetzt von seiner Gefangennahme und dem Grisly sprach, rief der schwarze Panther ungläubig:
„Das Blaßgesicht ersinnt Märchen!“
„Schicke ein paar deiner Krieger über den Fluß. Sie werden den Grisly finden!“ erwiderte Felsenherz.
Chokariga erteilte auch sofort drei älteren Komanchen einen kurzen Befehl.
Felsenherz erzählte weiter – von der brennenden Farm, von Births letzten Worten.
Und wieder unterbrach der schwarze Panther ihn:
„Der Sterbende hat ‚ein roter Bart‛ sagen wollen und hat so auf einen der Mörder hingewiesen.“
Felsenherz schwieg, atmete schwer und erklärte darauf:
„Der schwarze Panther beschämt mich. Ich sehe ein, daß ich dir Unrecht tat. Birth hat diesen Hobler gemeint.“ –
Dann berichtete er weiter, wie er Helene begrub, wie er den Schwur geleistet und durch den Präriebrand nach Westen zu gehetzt worden war. Als er den Ansturm der durch das Feuer toll gewordenen Bestien auf den Felsblock schilderte, wurden ringsum aufs neue Ausrufe des Staunens laut.
Der junge Häuptling sagte mit einem Blick, aus dem Bewunderung und eine gewisse Zuneigung sprachen:
„Das Blaßgesicht mit der Felsenfaust wird den Grisly erledigt haben. Ich glaube ihm. Den Präriebrand werden die Mescaleros hinter dir angefacht haben, um dich zu töten. Offen wagten sich diese stinkenden Kröten nicht an dich heran. –
Die Versammlung der Alten wird über dein Schicksal beraten. Ich habe gesprochen.“
Er wandte sich um und schritt davon, nachdem er sein Messer aus Felsenherz’ Jagdwams gezogen hatte.
Auch die anderen Roten zerstreuten sich. Dann kam eine alte Indianerin und brachte Felsenherz geröstetes Hirschfleisch und ein aus dem gegorenen Saft wilder Pflaumen hergestelltes Getränk.
Die Wächter machten ihm den rechten Arm frei. Er aß mit gutem Appetit. In seiner Brust war die Hoffnung wieder erwacht, Helenes Tod doch noch an den wahren Schuldigen rächen zu können –
Nachmittags fand die Versammlung der Alten statt. Daran nahmen fünfzehn der ältesten, meist schon grauhaarigen Krieger teil.
Sie ließen sich dicht vor dem Gefangenen im Kreis nieder. Zuletzt erschien der schwarze Panther mit dem Oberhäuptling der Komanchen, einem weißhaarigen, gebeugten, blinden Greis. Er führte ihn in die Mitte des Kreises, wo man eine Art lederbezogenen Stuhl aufgestellt hatte.
Felsenherz musterte den Greis voller Interesse.
Das, was Birth über den weißen Adler, den blinden Oberhäuptling, gerüchteweise erfahren und den Ansiedlern mitgeteilt hatte, wurde Felsenherz jetzt nur Gewißheit.
Dieser Rote war nie und nimmer ein Indianer, wenn auch sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht in der Hautfarbe sich nicht viel von der der anderen Komanchen unterschied. Das war fraglos ein Europäer, der nun dort, durch irgendein schleichendes Leiden früh gealtert, auf dem Stuhl saß und die Hand seines Sohnes noch immer umklammert hielt.
Dann begann Chokariga zu sprechen. Felsenherz verstand kein Wort, da die Verhandlung ausschließlich in der Komanchensprache geführt wurde.
Andere Rote erhoben dann ihre Stimme. Schließlich redete auch der weiße Adler mit tiefer, wenn auch unsicherer Stimme.
Die fünfzehn Komanchen antworteten würdevoll mit einem kurzen Zuruf –
Hierauf wandte der schwarze Panther sich an Felsenherz:
„Die Blaßgesichter sind Diebe. Sie kommen und stellen den roten Kindern Manitus das Land, die Büffel und anderes Wild. Sie bringen uns dafür das Feuerwasser und Pulver und Blei, bringen Zwietracht, Mord und Lügen. Die Komanchen waren einst ein großes Volk. Sie wollten in Frieden leben. Die Blaßgesichter drängt sie immer wieder nach der untergehenden Sonne zu. Auch du und die deinen waren solche Diebe.
Dieses Land gehört uns! Der schwarze Panther ließ euch dennoch drei Tage Zeit, um die Halbinsel zu verlassen. Hobler und die stinkenden Kröten der Mescaleros, die am Rio Pecos in Felslöchern hausen, plünderten die Farm und mordeten die deinen.
Du glaubtest, die Komanchen redeten mit zwei Zungen und seien die Mörder, tötetest aus Rache eine der Komanchen und nanntest mich einen Lügner.
Der Rat der Alten hat beschlossen, daß du mit mir um dein Leben kämpfen sollst, und zwar mit dem Tomahawk. Besiegst du mich, dann bist du frei. Besiege ich dich, werde ich deinen Skalp mit Stolz tragen, denn du bist ein großer Krieger, der den Grisly ohne Waffen niedergestreckt hat.
Ich habe gesprochen!“
Bevor Felsenherz noch etwas antworten konnte, und es drängte ihn, diesen Zweikampf abzulehnen, meldete sich schon der weiße Adler mit zitternder Stimme:
„Das Blaßgesicht möge mir seinen vollen Namen nennen. Es gibt nicht viele mit weißer Haut, die den Grisly mit einer Nadel besiegen.“ –
Er sprach das Englische vollkommen fließend.
„Ich heiße jetzt Felsenherz,“ erklärte der junge Deutsche mit lauter Stimme. „Denn mein Herz ist tot und hart geworden, als ich die Leichen der meinen erblickte. Mein anderer Name ist genau so ausgelöscht, wie meine Verwandten es wurden.“
„Felsenherz – Felsenherz,“ murmelte der Greis geistesabwesend vor sich hin. „Es gab einst eine Zeit, da auch ich –“
Das weitere war nicht mehr zu verstehen.
Eine geraume Weile herrschte jetzt Schweigen –
Dann wieder des Gefangenen volle, ruhige Stimme:
„Der schwarze Panther will mit mir kämpfen. Ich muß diesen Kampf ablehnen. Denn ich würde dich nicht zu töten versuchen. Es wäre also ein ungleicher Kampf.
Ich hatte dich beleidigt – ich habe mein Unrecht eingesehen.“
Der junge Häuptling trat schnell dicht vor Felsenherz hin.
„Das Blaßgesicht beleidigt mich aufs neue!“ sagte er ernst. „Ich war es, der den Alten diesen Kampf vorschlug, um dich vor dem Marterpfahl zu bewahren. Du wirst von meiner Hand sterben, und an deiner Leiche werden die Weiber der Komanchen die Totengesänge anstimmen wie an der eines großen Häuptlings. Der Name Felsenherz wird unter unserem Volk geehrt werden.
Ich habe gesprochen.“
„Gut,“ meinte Felsenherz mit einem flüchtigen Lächeln. „Gut – es sei! Kämpfen wir!“
Das ganze Komanchenlager war jetzt in weitem Kreis um den Beratungsplatz versammelt.
Man band Felsenherz, reichte ihm den Tomahawk des schwarzen Panthers, führte ihn nach der einen Seite des großen Kreises hin und ließ ihn allein.
Ihm gegenüber etwa dreißig Schritt entfernt hatte Chokariga sich aufgestellt, rief jetzt hinüber:
„Das Blaßgesicht kann werfen oder den Tomahawk zum Schlag benutzen!
Der Kampf mag beginnen.“
Felsenherz wirbelte das Schlachtbeil bereits um den Kopf –
Ein lauter Schrei der Zuschauer – alle hatten geglaubt, er hätte hinterlistigerweise den etwas links von ihm sitzenden weißen Adler treffen wollen. Aber der schwere Tomahawk sauste in schnellen Drehungen auf den Pfahl zu, an dem der Gefangene noch soeben gefesselt gestanden hatte.
Krachend vergrub sich die Schneide in das splitternde Holz, blieb darin stecken.
Der schwarze Panther rief:
„Was tust du?! Weshalb gibst du deine Waffe aus der Hand?!“
„Ich brauche sie nicht, Chokariga! Meine Faust genügt mir!“
Der junge Häuptling stand noch Sekunden regungslos. Dann schnellte er vorwärts – bis dicht vor Felsenherz hin; die Schneide seines Tomahawks funkelte im Sonnenlicht, zuckte hoch wie ein gleißender Strahl –
Felsenherz schien den Todesstreich ruhig erwarten zu wollen. Nur ganz wenig hatte er sich zusammengeduckt. Aber all seine Muskeln waren gestrafft –
Der rechte Arm des schwarzen Panthers wollte die Aufwärtsbewegung beginnen. Jeden Moment mußte das Schlachtbeil dem scheinbar Wehrlosen den Schädel spalten –
Da – ein kurzer Sprung nach links – dicht an Felsenherz’ rechter Schulter sauste das Beil herab –
Ein Hieb mit der Faust – gerade unter das Kinn, und der Komanche flog hintenüber, blieb regungslos liegen –
Ein fast tierisches Gebrüll, halb Wut, halb Überraschung und Bewunderung, erhob sich aus dem Kreis der Roten.
Felsenherz bückte sich, nahm den Tomahawk des Bewegungslosen auf, ging zu dem weißen Adler hinüber und legte ihm die Waffe in den Schoß, sagte dazu:
„Der weiße Adler soll seinen Sohn nicht verlieren. Ich habe den schwarzen Panther besiegt, ohne ihn zu töten. –
Ich habe gesprochen.“
Dann lehnte er sich erwartungsvoll an den Holzpfahl.
Der blinde Oberhäuptling hatte sich erhoben, rief den Zuschauern etwas in der Komanchensprache zu, worauf von allen Seiten ein Beifallsgemurmel erklang.
Auch Chokariga hatte sich taumelnd aufgerichtet. Da drängten sich die drei Komanchen durch den Kreis der Umstehen, die vorhin nach dem anderen Flußufer geschickt worden waren. Einer von ihnen trug das Fell des Grisly, der andere den Kopf und die Klauen mit den wohl fünfzehn Zentimeter langen weißlichen Krallen.
Abermals ein immer schärfer werdendes Beifallsgemurmel. Und dann des greisen Häuptlings Stimme:
„Der schwarze Panther, mein Sohn und Nachfolger, brauche sich nicht zu schämen, von Felsenherz besiegt worden zu sein! Felsenherz ist ein Komanche geworden. Wir werden ihn als einen der Unserem aufnehmen. Wer den Grisly mit einem Felsblock tötet, wer Wikuna, den springenden Hirsch, mit der Faust niederstreckt, der doch über die Kraft dreier Bären verfügt, soll unser Bruder sein!“
Der junge Häuptling zögerte noch. Dann schritt er langsam auf Felsenherz zu, reichte ihm die Hand und sagte mit frohem Blick:
„Du bist mein Bruder! Wer dein Feind ist, ist auch der meine! Deine Rache ist meine Rache, deine Gedanken sind die meinen.
Ich habe gesprochen.“
Fest ruhten ihre Hände ineinander; ihre Blicke leuchteten auf. Das, was beide sofort bei der ersten Begegnung empfunden hatten, nämlich eine schnell beginnende Zuneigung füreinander, brauchte jetzt nicht weiter verheimlicht zu werden.
„Ich danke euch, ihr Krieger vom Volk der Komanchen!“ rief Felsenherz laut. „Ich war nach dem Verlust der Meinen ein Einsamer geworden. Jetzt bin ich es nicht mehr. Ihr habt an dir einen treuen Freund gewonnen!
Den schwarzen Panther habe ich gleich beim ersten Sehen geliebt! Ich hätte ihn nie getötet. Ich danke euch!“
Die freudige Erregung schien dem greisen Häuptling geschadet zu haben. Er schwankte auf seinem Stuhl kraftlos hin und her. Man führte ihn schnell in sein Zelt zurück, wo er bald in einen tiefen Schlaf fiel.
7. Kapitel.
Wikunas Strafe.
Felsenherz und der schwarze Panther schritten eine halbe Stunde später der niedergebrannten Farm zu.
„Ich habe die Deinen bereits begraben lassen,“ sagte der junge Häuptling. „Wir haben auch die Trümmer der Blockhäuser durchsucht, jedoch keine Leiche mehr gefunden. Deine Schwester ist vielleicht von den Mescaleros mitgenommen worden.“
„Dann wünschte ich, sie wäre tot,“ meinte Felsenherz dumpf und bedrückt. „Wikuna, der springende Hirsch, wird mir den Fußtritt vor den Leib nicht vergessen und seinen Rachedurst an meiner Schwester kühlen!“
Sie stiegen den Engpaß zu der Terrasse empor, standen dann oben vor den zerstörten Blockhütten.
„Mein Bruder Felsenherz wird dabei sein, wenn Wikuna am Marterpfahl stirbt,“ erklärte Chokariga jetzt. „Meine Späher durchstreifen bereits die ganze Umgegend. Sie werden die Spuren der Mörder finden. Ich habe meine besten Krieger ausgeschickt.“ –
Nochmals durchsuchten die beiden nun die Terrasse und die verkohlten Balken. Von Anna Felsen entdeckten sie keine Spur – nichts!
Felsenherz kehrte stumm und traurig mit dem Häuptling in das Komanchenlager zurück, wo man ihm neben dem Jagdzelt des schwarzen Panthers ein eigenes errichtet hatte.
Am anderen Morgen stellten sich die ausgesandten Kundschafter wieder ein und meldeten, daß sie nirgends fremde Fährten entdeckt hätten.
Der schwarze Panther und Felsenherz berieten, was unter diesen Umständen zu tun sei. Felsenherz meinte, die Mescaleros wären vielleicht auf einem Floß den Mazapil hinuntergefahren und hätten das Floß dann erst am Ufer des Kanadian verlassen. –
Der Komanche schüttelte den Kopf. „Ein Floß kann die Stromschnellen nördlich der Farm nicht passieren, mein Bruder. Vor allen, es müßte, um auch die Pferde zu tragen, sehr groß gewesen sein. Ich werde nochmals Späher nach Süden über den Fluß schicken. Nur dorthin können sich die stinkendem Kröten der Apachen gewandt haben – eben dem Rio Pecos zu.“ –
Am Nachmittag ritt Felsenherz allein nach Helenes Grab. Nach anderthalb Stunden hatte er das liebliche Tal erreicht. Er blieb dort, bis die Sonne hinter den fernen Ausläufern der Rocky Mountains geschwunden war.
Auf dem Rückweg stieß er plötzlich bei bereits halber Dunkelheit auf eine Fährte, die er nach kurzer Prüfung als die eines großen Indsmentrupps erkannte, der von Norden her, vom Kanadian gekommen und die Richtung auf den Mazapil eingeschlagen hatte. Die Spur war noch ganz frisch.
Felsenherz, dessen Brauner jetzt wieder völlig bei Kräften war, galoppierte auf der Fährte weiter. Die Roten hatten sich stets in Tälern entlanggeschlängelt und daher weite Umwege gemacht. –
Nach einer Stunde war Felsenherz nur noch etwa zwei Kilometer von dem Komanchenlager entfernt.
Er durchquerte gerade ein ausgetrocknetes, sandiges Flußbett, als er weit vor sich eine dunkle Masse erblickte – Indianerpferde, die dicht gedrängt beieinander standen.
Er riß seinen Braunen zurück. Ein Gebüsch deckte ihn gegen Sicht. Sein Verdacht, diese Rothäute könnten Mescaleros sein, wurde jetzt zur Gewißheit.
Die Apachen planten fraglos einen Überfall.
Vorsichtig ritt er eine Strecke weit zurück und dann weiter in großem Bogen nach Westen zu bis an den Waldstreifen des Mazapil. Hier ließ er seinen Braunen an einer Eiche stehen und schlich zu Fuß auf die Halbinsel zu. Das Komanchenlager war ja ohne Zweifel bereits von den Mescaleros von Norden her umstellt, und er hielt es daher für ratsam, sogar der Halbinsel auszuweichen und schwimmend bis zu dem Nordteil des Uferwaldes vorzudringen.
Lautlos stieg er ins Wasser. Die Büchse, die ihm der schwarze Panther von einem seiner Krieger beschafft hatte, legte er auf einen kleinen, treibenden Baumstamm, dessen Zweige gleichzeitig seine Kopf verbargen.
Die Strömung führte ihn schnell von dannen. Als er an dem südlichen Winkel zwischen Halbinsel und Ufer vorüberglitt, glaubte er im Lichtschein des soeben aufgegangen Mondes zwischen den riesigen Felsblöcken, die jenen Uferwinkel ausfüllten, ein plumpes Boot zu erkennen, das soeben zwischen den Felsen verschwand. Er hatte jedoch nicht Zeit, sich jetzt um diese auffällige Beobachtung zu kümmern. Er mußte die Komanchen warnen. Sie waren seine Brüder geworden, und er hielt es für seine Pflicht, so schnell als möglich den schwarzen Panther von der drohenden Gefahr zu benachrichtigen.
Als er die Halbinsel passiert hatte, drückte er den Baumstamm durch Schwimmstöße mit den Beinen dem Ufer zu. Er tat es jedoch so behutsam, daß der treibende Stamm niemandem auffallen konnte. Er mußte damit rechnen, daß auch dieser Uferstreifen vielleicht schon von den Mescaleros besetzt sei.
Dann fand er mit den Füßen Grund, ergriff die Büchse und watete im Schutz einiger überhängender Zweige auf festen Boden. Lauschend blieb er hier hinter einer Erle stehen.
Nichts Verdächtiges regte sich. Er schlich weiter, erreichte die Uferhöhe und sah nun durch die Bäume den roten Schein der Lagerfeuer der Komanchen in der Ferne glühen.
Schritt für Schritt bewegte er sich vorwärts. Seine Vorsicht war keineswegs überflüssig gewesen. Mit einem Mal hörte er hinter einem Dornengestrüpp ein leises Klirren – so, als ob jemand aus Unachtsamkeit ein Messer auf einen Gewehrlauf hatte fallen lassen.
Wie eine Schlange schob Felsenherz sich jetzt durch das dichte Gras. Seine Büchse hatte er zurückgelassen. Als er nun den Kopf hob, gewahrte er deutlich den Oberkörper zweier Indsmen mit rasierten Schädeln und Skalplocke, also Mescalero-Apachen.
Unbemerkt gelangte er in ihren Rücken. Lautlos richtete er sich auf. Dann ein Griff mit beiden Händen – und die Köpfe der Mescaleros schlugen dumpf krachend aneinander. Noch zwei Fausthiebe und wie tot lagen sie da.
Felsenherz holte seine Büchse, hing sie über die Schulter und schleifte die beiden Roten hinter sich her. Er wußte, daß der Weg hier jetzt frei war.
Zehn Minuten darauf erschien er ganz überraschend an dem Lagerfeuer vor dem Zelt Chokarigas, der mit seinem Vater gerade bei der Nachtmahlzeit saß.
Schnell berichtete er alles Nötige. Die beiden Mescaleros wurden gefesselt. Dann erteilte der schwarze Panther seine Befehle. Die Komanchen taten so, als ob sie noch immer nichts von der Anwesenheit ihrer Todfeinde wüßten. Nur auf dem Beratungsplatz wurden drei Feuer unterhalten. Das übrige Lager lag in stiller Dunkelheit. Aber in den Zelten, die um den freien Platz herumstanden, wachten die gesamten Krieger der Komanchen, die Büchsen schußfertig in den Händen.
Die Posten außerhalb des Lagers wurden abgelöst. Die neuen Wachen kannten die drohende Gefahr, schlenderten jetzt dicht vor den äußeren Zeltreihen hin und her, gaben sich absichtlich recht sorglos.
Mitternacht war längst vorüber. Die Wachen wieder abgelöst. Und auch die jetzigen Wächter spielten die Nachlässigen und Ahnungslosen, setzten sich nieder und krochen dann rasch in das Lager zurück –
Felsenherz und der schwarze Panther hockten im Eingang des Häuptlingszeltes.
„Sieht mein Bruder dort die dunklen Gestalten?“ flüsterte der Komanchen. „Es sind die Späher der Mescaleros. Da – sie kehren um. Sie sind beruhigt. Sie haben sich täuschen lassen.“
Draußen an den Feuern des Beratungsplatzes saßen noch einige zwanzig Komanchen. Der schwarze Panther ahmte das schrille Zirpen einer großen Grille nach. Auf dieses Signal hin verschwanden auch die zwanzig von den Feuern, nachdem sie noch einen Arm trockene Reiser in die Glut geworfen und die kunstvoll hergerichteten, menschenähnlich Puppen – mit Gras ausgestopfte Jagdanzüge, die als Kopf zusammengerollte Decken trugen, aufrecht hingesetzt hatten.
Und wieder flüsterte der schwarze Panther:
„Mein Bruder – sie kommen –!“
Lautlos in einer doppelten Schlangenlinie huschten die Mescaleros durch die Zelte nach dem Beratungsplatz hin. Der vorderste war ein riesenhafter Roter mit Adlerfedern in der Skalplocke: der Häuptling Wikuna!
Er hielt in der Rechten den Tomahawk, in der Linken die Büchse. Jetzt schnellte er mit langen Sätzen auf die nächste Gestalt am Feuer zu – stutzte –
In demselben Augenblick fuhr der schwarze Panther empor. Das furchtbare Kriegsgeschrei der Komanchen erscholl –
Schüsse knatterten –
Die Mescaleros fluteten zurück –
Aber schon tauchte vor Wikuna die Gestalt des jungen Komanchenhäuptlings auf –
„Steh, elende Kröte!“ rief dieser dem Apachen zu.
Wikuna stieß ein gellendes Hohngelächter aus. Er hatte soeben den weißen Adler erblickt, der, gestützt auf den Arm einer Indianerin, in dem Eingang eines nahen Zeltes erschienen war, stürmte dorthin, packte den Greis, stieß ihm zweimal das Messer in die Brust und schleuderte ihn dann Chocariga in die Arme, so daß dieser rücklings samt seinem Vater zu Boden sank.
Der Mescalero war schon neben dem jetzt Wehrlosen, holte zum tödlichen Tomahawkstreich aus –
Felsenherz riß die Büchse an die Wange, drückte ab – Mit will– dem Schrei stürzte Wikuna quer über den blinden, zu Tode getroffenen Greis –
Gleich darauf schwenkte der schwarze Panther den Skalp des Apachen in der Luft –
Der Morgen graute. Vor seinem Zelt lag auf Fellen der weiße Adler der Komanchen, das Gesicht der aufgehenden Sonne zugekehrt. Neben ihm saßen der schwarze Panther und Felsenherz.
Der Sterbende murmelte unzusammenhängende Worte vor sich hin. Plötzlich richtete er sich auf. Ein Zug der Verklärung lief über das faltenreiche Greisenantlitz – seine Worte wurden deutlicher –
„Ich – verließ – Weib – und Kind – aus – Abenteurerlust. Nur einmal – schrieb – ich noch den Meinen nach Deutschland, als ich schon – längst ein Komanche – geworden –
Gustav Felsen stirbt als – Rothaut – im Herzen jedoch – Deutscher –! Gott wird mir gnädig sein –“
Er sank zurück. Ein letzter tiefer Atemzug, und alles war vorüber.
Harry Felsen war bleich geworden. Dann nahm er Chokarigas Hand, flüsterte erschüttert:
„Er war mein Vater! Und wir – wir sind Halbbrüder. –
Er war unser Vater – Gustav Felsen, der Verschollene –!“ –
Am Vormittag gegen neun Uhr untersuchten der schwarze Panther, Felsenherz und fünf andere Komanchen jene von undurchdringlichem Gestrüpp umgebenen Felsblöcke im südlichen Buchtwinkel der Halbinsel.
Schwimmend gelangten sie sehr bald an den gut verborgenen Eingang einer weiten Höhle, in der sie jedoch nur noch den Mexikaner Benito auf seinem Krankenlager vorfanden.
Benito berichtete sofort alles, was er über die Plünderung der Farm, an der er selbst nicht teilgenommen hatte, und über Hoblers Verbleib wußte.
Hobler hatte Wikuna schließlich doch zum Überfall auf die Farm durch das Versprechen zu bewegen gewußt, ihm die beiden weißen Mädchen zu überlassen. Bei dem Überfall hatte Helene jedoch drei Mescaleros erschossen, und ein Apache hatte sie mit seinem Tomahawk niedergeschlagen.
Um den Verdacht, die Farm geplündert zu haben, auf die Komanchen abzuwälzen, ließ Hobler den Tomahawk des schwarzen Panthers in der Schädelwunde der Toten zurück. Er war dann gleich nach dem Überfall heimlich in die Grotte zurückgekehrt, wohin er Anna Felsen mitgeschleppt hatte.
Am vergangenen Abend war er mit seinem Boot, den reichen Pelzvorräten und der Gefangenen den Mazapil abwärtsgeflohen –
Benito entging dem Marterpfahl nur auf Bitten des jungen Trappers, der noch am selben Vormittag mit zehn der besten Komanchenkrieger die Verfolgung Hoblers aufnahm. Der schwarze Panther wollte, sobald der weiße Adler feierlich beigesetzt war, mit Felsenherz am Kanadian an einer bestimmten Stelle wieder zusammentreffen.
Nächster Band:
Das Geheimnis der Llano Estacado.
Fußnoten:
1 Goldkörner
2 grüner Junge, Neuling
3 Monat
4 Komanchen, die als einer der wenigen Indianerstämme das Haar lang trugen