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Das Geheimnis der Llano Estacado

Felsenherz, der Trapper

Selbsterlebtes aus den Indianergebieten

erzählt von

Kapitän William Käbler.

 

2. Band:

Das Geheimnis der Llano Estacado.

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 26, Elisabeth-Ufer 44.

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1922.

 

Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin

 

 

1. Kapitel.

Der lange Billy und der kleine Jimmy.

Am Rande einer kleinen Prärie, nahe der Einmündung des Rio Mazapil in den Kanadian lagen an einem glutheißen Sommertag an der flachen Spitze eines mächtigen, würfelähnlichen Felsblocks drei Weiße, die als Brustwehr vor sich flache Steine aufgeschichtet hatten und mit gespanntester Aufmerksamkeit die Umgebung beobachteten.

Zwei von ihnen trugen die gewöhnliche Tracht der nordamerikanischen Pelzjäger, hatten verwitterte, von der Sonne tief gebräunte bärtige Gesichter und unterschieden sich voneinander nur durch ihre verschiedene Körperlänge.

Der eine, fast ein Riese, dabei dürr wie eine Hopfenstange, erwiderte jetzt auf die Frage des dritten Weißen, dessen Sportkostüm und ganze Ausrüstung mehr für eine Sonntagsjagd in einem zivilisierten Land als für einen Ritt durch die gefährlichsten Teile des ‚wilden Westens‛ geeignet schien:

Mylord, glaub’ schon, daß Ihnen Mund und Kehle trocken wie ‛ne gut gedörrte Büffellende sind –! Aber den Durst werden wir uns wohl noch ‛ne Weile vergehen lassen müssen, falls wir überhaupt noch jemals dazu kommen, Wasser oder was Ähnliches zu saufen! Wir liegen hier nun schon einen Tag, eine Nacht und noch ‛n halben Tag, und drüben stecken die verdammten roten Spitzbuben in den Uferbüschen und im hohen Gras.

Sagte Ihnen schon, daß es Apachen sind, und nicht wenige! Die Halunken wissen ganz genau, wie fürchterlich die Sonne uns hier röstet und wie bald wir vor Hunger und Durst kein Glied mehr rühren können. Wir stecken eben in einer üblen Patsche, Mylord, und – offen gestanden, für unser Leben gebe ich keinen Penny mehr! Mir wird auch schon immer häufiger schwarz vor Augen. Der Fels, auf dem wir liegen, ist heiß, wie meiner seligen Großmutter Wärmflasche, und daß wir das Wasser so nah haben und es förmlich riechen, steigert noch die Qualen des trockenen Maules! –

Eine Patsche ist’s, ‛ne böse Patsche! Wie denkst du darüber, Jimmy?“

Ich denke, daß du recht hast, Billy. Meine Kopfhaut juckt! Ich fühl’ schon das Skalpmesser, das mir einen Teil meiner spärlichen Haare samt der Haut –“

Lord Robert Barnley ließ ihn nicht ausreden. Er war ein noch junger, stattlicher Mann mit hellblondem Schnurrbart und schmalem, energischen Gesicht.

Zum Teufel, dann wollen wir dieser Geschichte ein Ende machen und durchbrechen!“ rief er mit bereits recht heiserer, matter Stimme. „Unsere Pferde stehen doch noch dort in der beiden Spalte dieses Felsblocks, und –“

Der lange Jimmy kicherte.

He, he, – durchbrechen! Mylord, das kann nur ein waschechtes Greenhorn vorschlagen! Passen Sie mal auf, ich werde Ihnen gleich zeigen, wie es uns ergehen würde, wenn –“

Er hatte seinen löchrigen großen Filzhut auf den eisernen Ladestock seiner Doppelbüchse gehängt und den Hut etwas über die Brustwehr erhoben.

Sofort knallten vier Schüsse aus den kaum zwanzig Meter entfernten Uferbüschen –

Der Hut drehte sich wie ein Kreisel auf dem Ladestock, und der lange Billy und sein kleiner, von ihm unzertrennlicher Gefährte stießen ein Hohngelächter aus, das dem Lord angesichts dieser verzweifelten Lage recht unangebracht erschien.

Na, Mylord, mein feiner Zylinder hat zwei weitere Löcher bekommen!“ kicherte der lange Billy dann. „Wenn Sie Ihren werten Kadaver in ein Sieb verwandeln lassen wollen, dann –“

Halt’s Maul, Billy!“ unterbrach ihn sein Freund Jimmy, der nach Westen zu die Prärie beobachtete. „Ich will gleich auf der Stelle ein Liter Brandy saufen, wenn ich dort nicht mit meinen noch leidlich guten Augen zehn Rothäute zu Pferde und vorn einen Weißen sehe, der einen hochbeinigen Fuchs reitet! –

Aha – jetzt machen sie halt! Sie werden unsere Schüsse gehört haben! –

Sind Komanchen, die Roten, Mylord! Nehmen Sie mal Ihren Patentfernkieker und lugen Sie zwischen den Steinen hindurch. Die meisten Komanchen tragen das Haar lang, während die Apachenhunde nur die Skalplocke stehen lassen. –

Wie wär’s, Billy, wenn wir noch ‛nen Schuß abgeben würden?! Sonst reiten die elft da drüben womöglich doch gemütlich weiter und –“

Verdammt!“ brummte der lange Billy. „Da sind die Apachen schon –!“

Die elf Reiter waren von dem hohen Felsblock etwa sechshundert Meter entfernt. Aus den Buschinseln, die hier und dort über das Präriegras hinwegragten, galoppierten jetzt dreißig – vierzig Rothäute hervor, bildeten im Nu einen Kreis und jagten auf die elf Umzingelten zu, die jedoch sofort in geschlossener Masse nach dem Fluß durchzubrechen versuchen.

Vorwärts – ihnen zu Hilfe!“ rief Lord Barnley, der Durst, Hunger und Müdigkeit beim Anblick des sich drüben entspringenden Kampfes vergaß.

Gleichzeitig wollte er sich aufrichten. Doch Billy packte zu, riß ihn nieder, sagte trocken:

Da – ihr schöner Panama hat nun ebenfalls zwei Luftlöcher, Mylords –!“

Barnley war blaß geworden. Tatsächlich hatten zwei Kugeln aus den nahen Büschen ihm den Strohhut vom Kopf gefegt.

Billy kicherte: „Mylord, Sie werden noch viel lernen müssen! Hätte meine Faust eine Sekunde später ihren werten Kadaver gepackt und hinter die Deckung gezogen, dann würden Sie jetzt nicht mehr daran denken, Ihren in der Llano Estacado verschwundenen gelehrten Bruder zu suchen! Tote Menschen denken nicht mehr! Und wer zwei Kugeln im Schädel hat, ist tot, darauf saufen auch ich ein Liter Brandy, – wenn ich eins hätte!“

Inzwischen knallten in der Prärie immer von neuem Schüsse –

Das wilde, gellende Kriegsgeschrei der Apachen näherte sich dem Felsen; Komanchen und Apachen waren jetzt in einem der flachen Prärietäler verschwunden.

Dann erschienen kurz hinter einander zwei Reiter; der Weiße, der mit den Komanchen zusammen gewesen war, und ein Apache auf einem Grauschimmel. Der Weiße floh. Er hatte seine Doppelbüchse vorhin abgefeuert, hatte jetzt nur noch sein Jagdmesser und einen Tomahawk als Verteidigungswaffen, die in seinem Ledergurt steckten.

Der Apache auf seinem Grauschimmel sprengte in Karriere hinter dem Flüchtling drein –

Welches Greenhorn!“ brummte der kleine Jimmy, der einen für seine geringe Größe geradezu unglaublich tiefen Baß besaß. „Der verdammte Apache hält schon den Tomahawk bereit! Daß dieses Greenhorn dort auf dem Braunen sich nicht mal umgeschaut –! Schein eine nette Memme zu sein, der Blondbärtige!“

Der Flüchtling riß plötzlich seinen Braunen herum, gerade als aus des Apachen Hand die blinkende Streitaxt wirbelnd durch die Luft fuhr –

Bravo!“ brüllte Billy. „Bravo! Das Greenhorn bist du, alter Jimmy! Der da drüben versteht seine Sache!“

Der schlanke Weiße, der einen ledernen Jagdanzug und ein rotes Seidentuch um den Hals trug, war mit drei Sätzen seines hochbeinigen Gaules neben dem Apachen, in dessen Skalplocke ein Büschel Adlerfedern flatterte –

Der Apache hatte sein Jagdmesser aus dem Gürtel gerissen –

Pferdeleib drängte an Pferdeleib – dann ein Schlag mit der Faust – ein Schlag, wie ihn nur dieser bärenstarke junge Reiter austeilen konnte –, und das Messer des Indianers sauste in die Luft –

Ein zweiter Fausthieb traf den Apachen unter das Kinn, daß er betäubt in sich zusammensank –

Jetzt ein Griff, und der Rote lag quer über dem Sattel des blonden Jägers, der nun, den Apachen als Schild benutzend, dem Felsen zujagte, von dessen Plattform ihm Billy warnend entgegenrief:

He, Master, in den Uferbüsche stecken Indsmen!“

Der Reiter richtete den Bewußtlosen noch höher auf, so daß dessen Leib ihn völlig deckte –

Unbelästigt gelangte er so an den Felsblock heran, drückte seinen Braunen in die breite Spalte hinein, stieg aus dem Sattel, schob den Apachen nach oben zu Billy, der sich dabei so geschickt benahmen, daß die Roten in den Büschen auch jetzt nicht zu schießen wagten, um ihren Häuptling nicht zu treffen.

Der blonde Jäger bewies auch hier wieder, daß er alles andere nur kein Greenhorn war.

Während Billy den Apachen am Genick festhielt, packte der junge Weiße den Lasso, den Jimmy ihm zugeworfen hatte, zog sich daran empor und schob gleichzeitig den Körper des Indianers so zur Seite, daß dieser ihn abermals gegen Kugeln seiner Stammesgenossen aus den Büchsen schützte.

Dann ein blitzschneller Schwung, und er lag hinter der Brustwehr –

Billy zog jetzt auch den Apachen völlig auf die Plattform, kicherte und meinte:

Das haben wir fein gemacht! Euch aber, junger Mann, spricht hiermit der lange Billy seine Anerkennung aus. Sollte ich mal Zahnschmerzen haben, so werde ich mich an euch wenden. Ein Fausthieb von euch bringt ‛nen morschen Backenzahn schneller ans Tageslicht als die blankeste Zange –!“

Lord Barnley hatte bisher, noch immer blaß vor Erregung, schweigend all diese Vorgänge verfolgt, sagte nun herzlich:

Master, ich gratuliere! Euch saß der Tod im Nacken! –

Ihr erlaubt: Mein Name ist Lord Barnley. Wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?“

Ein Trapper, Mylord,“ erwiderte der blonde Jäger ernst. „Ich nenne mich Felsenherz. Damit Sie auch gleich alles weitere wissen: Die Farm meines Onkels ist von Mescalero-Apachen vor vier Tagen niedergebrannt und die Bewohner bis auf meine Schwester und mich sind ermordet worden. Meine Schwester wurde dann von einem weißen Verbündeten der Mescaleros, einem Pelzjäger namens Fred Hobler –“

Wie, was – Hobler, Fred Hobler?!“ zischte da der lange Billy mit völlig verzerrtem Gesicht. „Hobler ist hier in der Nähe –?! –

Mann, sagt mir, wo er steckt, denn Jimmy und ich haben mit diesem Hobler eine alte Rechnung wettzumachen –!“

Wo er steckt, weiß ich nicht,“ meinte Felsenherz ebenso ernst und bedächtig. „Er wird mit meiner geraubten Schwester wohl den Mazapil auf seinem Flachboot hinuntergefahren sein. Die zehn Komanchen und ich wollten ihn suchen. Vor zwei Tagen hatten nämlich die Mescaleros ein großes Komanchenlager in der Nähe der zerstörten Farm angreifen wollen, wurden aber abgeschlagen und flüchteten nach Westen. Daß wir die Mescaleros hier nun im Norden vorfinden würden, ahnten wir nicht, sonst hätten wir uns nicht so leicht umzingelt lassen.“

Jimmy band jetzt dem Mescalerohäuptling mit dem Lasso Hände und Füße und brummte:

Da hättet ihr hier lange suchen können, Felsenherz! Wenn der rote Hobler – er hat doch einen roten Vollbart, nicht wahr? – den Mazapil entlang gekommen wäre, hätten wir ihn bemerken müssen. Wir sind ja bereits anderthalb Tage hier von den Mescaleros regelrecht belagert worden, und die verflossenen Nacht war’s so mondhell, daß meinen kleinen, aber scharfen Schweinsäuglein nicht mal ein Kanoe entgangen wäre, vielweniger noch ein großes Flachboot. –

Nein, Felsenherz, der Hobler hat diese Richtung niemals eingeschlagen; der wird nur zum Schein ein Stück abwärts gerudert und dann gelandet sein.“

Der lange Billy schaute sich jetzt den mit den Kriegsfarben bemalten Häuptling, einen noch ziemlich junge Indianer, genauer an.

Hm!“ kicherte er. „Hm – diese rotbraune Visage sollte ich kenne! Jimmy, ich wette ein Liter Brandy, alter Junge: Es ist Wattami, der Sohn Wikunas, des bisherigen Mescalerohäuptlings.“

Er schaute Felsenherz dann fragend an, und der junge Trapper nickte nur und erklärte kurz:

Wikuna ist tot. Er starb durch meine Kugel. Und meines Bruders Chokariga, des Oberhäuptlings der Komanchen, Gürtel ziert jetzt der Skalp des einen Mörders meiner Verwandten und – meiner Braut –!“

Der Lord wollte Felsenherz schnell mit ein paar teilnehmenden Worten trösten. Doch er kam nicht dazu.

Aus den Uferbüsche ertönte eine laute Stimme, die in gebrochenem Englisch hervorrief:

Die Blaßgesichter mögen ihre Ohren öffnen. Hier spricht Opatoa, der Unterhäuptling der Mescaleros. Wir haben fünf Komanchen gefangen genommen. Die anderen werden die Geier fressen. Wenn die Blaßgesichter uns Wattami herausgeben, sollen die fünf Komanchen frei sein; wenn nicht, werdet ihr hören, wie die langhaarigen Athabaskenhunde1 am Marterpfahl heulen.“

Der lange Billy brüllte zurück:

Opatoa wird dann gleichfalls hören, wie Wattami, das blinkende Messer, nach Weiberart winselt, wenn wir ihm die Haut in Streifen vom Leib ziehen und das Fleisch mit Pfeffer einreiben. –

Opatoa denkt, er hat hier Kinder vor sich! Wenn ihr nicht die fünf Komanchen mit Waffen und Pferden frei gebt und uns nicht freien Abzug gewährt, sollt ihr sehr bald Wattamis Sterbegeheul vernehmen!“

Eine Antwort aus den Büschen erfolgte erst nach einer geraumen Weile:

Die Blaßgesichter sollen einen Vorsprung bekommen, so breit der Mazapil ist. Die Mescaleros werden in die Prärie hinausreiten. Sobald Wattami, das blinkende Messer, zu ihnen unterwegs ist, werden die fünf Komanchen zu euch reiten dürfen.“

Der lange Billy lachte schallend.

Opatoa denkt, wir haben das Gehirn eines Stinktieres, das aus seinem Baumloch schlüpft, wenn man unten gegen den Stamm schlägt. Ihr wollt die fünf Komanchen wieder einfangen, sobald Wattami nicht mehr in unserer Gewalt ist. Wir kennen eure Hinterlist, Opatoa! –

Schick die fünf Komanchen mit fünfen deiner Krieger bis zur Hälfte des Weges zwischen euch und uns. Sobald die Komanchen davonreiten wird auch Wattami frei sein. –

Ihr müßt euch mindestens bis drüben an die erste Buschinseln der Prärie entfernen. Ich weiß, wie zahlreiche ihr seid! –

Wage es also nicht, noch einige deiner Krieger in den Büschen zu lassen!“

Opatoa meint es ehrlich,“ erklang die Erwiderung. „Es sei, wie die Blaßgesichter es vorschlagen. Erst wenn ihr den Fluß hinter euch habt, werdet ihr verfolgt.“

 

 

2. Kapitel.

Die Verfolgung.

Der Mescalerohäuptling war inzwischen wieder zur Besinnung gekommen. Seine dunklen Augen glitten hin und her, blieben dann auf Felsenherz haften.

Der junge Trapper, der neben seinem neuen Gefährten lang auf dem Bauch lag und nur den Kopf etwas erhoben hatte, sagte jetzt mit unheimlicher Ruhe zu dem Apachen:

Wattami trägt dort im Gürtel das Jagdmesser meines ermordeten Onkels! Wattami war mit dabei, als die Farm überfallen wurde. Felsenherz hatte den Frohsinn der Jugend in seiner Brust. Jetzt ist sein Herz zu Stein erstarrt. Wattami wird sterben durch Felsenherz’ Büchse. Ich habe gesprochen.“

Der Mescalero verzog höhnisch sein Gesicht.

Ich höre eine Eule krächzen, die nur nachts durch die Bäume fliegt! Felsenherz wird am Marterpfahl sterben. Wattami wird ihn fangen, bevor noch die Sonne hinter dem Felsengebirge verschwindet.“

Master Felsenherz,“ meinte Jimmy jetzt, „eure Privatangelegenheiten mit dem Apachen erledigt lieber später. Für uns heißt es, unsere Haut in Sicherheit bringen. –

Das wird nicht ganz leicht sein. Der Mazapil ist hier kaum hundert Meter breit. Das ist ein verdammt geringer Vorsprung, schätze ich.“

Die Mescaleros versammeln sich schon in der Prärie!“ meldete Lord Barnley. „Es sind gegen hundertzwanzig Indianer.“

Etwas viel!“ kicherte der lange Billy. „Schadet aber nichts! Werden jetzt nach dem Fluß zu die Brustwehr zerstören und unsere Pferde aus der Spalte ans Ufer bringen, damit sie erst mal saufen können. Die Roten werden’s kaum bemerken –“

Billy gelangte auch ungehindert mit den vier Pferden in die Büsche.

Mittlerweile hatten sich von dem Haufen der Mescaleros drüben an der Buschinseln zehn Reiter gelöst: die fünf Komanchen und fünf Apachen.

Auch der Lord, Jimmy und Felsenherz verließen jetzt die Plattform des Felsens und nahmen den Häuptling mit, dem man die Füße losge–bunden hatte.

Als sich dann die fünf Komanchen allein dem Felsen näherten, durfte auch Wattami sich entfernen. Er lief in weitem Bogen nach rechts hinaus.

Die Komanchen kamen angesprengt, und gleich darauf lenkten sie vereinigt mit den vier Weißen ihre Pferde in den Mazapil hinein, der hier nur in der Mitte eine tiefe Stromrinne hatte.

Glücklich erreichte der kleine Trupp das jenseitige Ufer.

Nach rechts am Ufer entlang!“ rief Felsenherz jetzt. „Ich traue den Mescaleros nicht! Sie können –“

Unsinn!“ meinte der lange Billy kurz. „Dort vor uns ist schluchtenreiches Gelände; dort lassen wir auf den Steinboden kaum Fährten zurück. Vorwärts!“

Dann müssen wir uns trennen!“ erklärte Felsenherz hastig. „Die Mescaleros erscheinen bereits drüben! Mag es euch nicht leid werden, Billy, daß ihr meinen Rat nicht befolgt –!“

Er gab seinem Braunen Schenkeldruck und sprengte hart am Ufer des Mazapil mit den fünf Komanchen nach Südwest, während der Lord und die beiden alten Trapper direkt nach Osten davongaloppierten.

Der älteste der fünf Komanchen, ein bereits grauhaariger Krieger von herkulischem Gliederbau, hielt sich dicht neben Felsenherz, rief ihm nun zu:

Mein weißer Bruder ist klug wie der Biber, der eine Strecke über Wasser schwimmt, dann untertaucht und die Richtung ändert. Wir werden den räudigen Apachenhunden entgehen. Die drei Blaßgesichter aber –“

Er schwieg –

Von Osten her trug der Wind den Knall einiger Schüsse herüber.

Ich wußte es!“ sagte Felsenherz ernst wie immer. „Die Mescaleros hätten Billys Vorschlag niemals angenommen, wenn sie nicht gleichzeitig auch Verrat geplant haben würden. –

Mein Bruder Tukoma trägt den Schnee des Alters in seinen Haaren; Felsenherz ist noch jung. Tukoma mag mir seine Gedanken mitteilen.“

Sie jagten währenddessen in unveränderter Eile über die Prärie dahin, die sich hier bis dicht an den Mazapil heranzog.

Felsenherz ist ein Komanche geworden,“ erwiderte Tukoma bescheiden. „Er ist der Bruder Chokarigas, des obersten Häuptlings der Komanchen. Tukoma schweigt.“

Der junge Trapper blickte zurück. Dort hinter ihnen, etwa siebenhundert Meter entfernt, tauchte gerade ein Haufen der Verfolger auf, vielleicht vierzig Mescaleros.

Dann schaute Felsenherz nach vorwärts. Die Prärie stieg sanft an und ging weiterhin in eine Reihe kahler, grauschwarzer Berge über.

Felsenherz bog mehr vom Fluß ab. Nach zehn Minuten dröhnten die Hufe der Pferde auf hartem Gestein. Ein enges Tal öffnete sich dort in den Hügeln. Die sechs Flüchtlinge hielten darauf zu.

Sehr bald wurden die Felswände höher, der Weg noch schmaler und steiler.

Felsenherz zügelte seinen Braunen, sprang ab und erklomm eine Abzweigung dieses Kanons, die auf eine steinige Hochebene führte. –

Die fünf Komanchen waren dicht hinter dem blonden Jäger, schwangen sich nun gleich ihm auf ihre Mustangs und galoppierten nach Süden weiter.

Die Hochebene war dicht mit einzelnen Felsblöcken besät. Nur vereinzelt wuchsen hier in großen Abständen spärliche Gräser.

Tukoma drängte sein Pferd näher an Felsenherz’ Braunen heran.

Mein weißer Bruder wird die Apachenhunde bald wieder hinter sich haben,“ sagte er. „Wattami, das blinkende Messer, hat die Augen eines Falken. Diese Hochebene gleicht einer Falle. Vor uns sind steile Felswände, und hinter uns die stinkenden Kröten der Mescaleros.“

Felsenherz fühlte den leisen Vorwurf aus diesen Worten heraus. Seine Blicke musterten prüfend den südlichen Rand der Ebene, an dem wie eine Felsenmauer das Gestein glatt und steil anstieg. Dann lenkte er seinen Braunen nach rechts. Er hatte dort eine dunklere Stelle wahrgenommen, die nur ein abzweigender Kanon sein konnte.

Tukoma blickte zurück –

Die Mescaleros – dort links – ein zweiter Trupp!“ rief er dem jungen Trapper zu.

In unvermittelter Eile, ohne jedoch sein Pferd zu überanstrengen, sprengte Felsenherz dahin.

Der alte Komanche war etwas zurückgeblieben und beriet sich mit den vier anderen. Felsenherz’ verschlossenes Wesen, seine Jugend und der Umstand, daß er erst vor drei Tagen in den Stamm der Komanchen aufgenommen worden war, machten seine Gefährten schwankend, ihn fernerhin als Führer anzuerkennen.

Tukoma sprengte ihm nach, war bald neben ihm und sagte in einem Ton, der deutlich seine veränderte Gesinnung verriet:

Mein weißer Bruder mag sich uns anschließen. Wir werden unsere Pferde preisgeben und dort zu Fuß die Felswand erklimmen.“

Nein!“ rief der junge Trapper kurz. „Da rechts von uns gibt es einen Kanon. Es ist besser, wir behalten die Pferde –“

Der Kanon kann eine Schlucht ohne zweiten Ausgang sein,“ meinte der alte Komanche gereizt. „Felsenherz wird den Mescaleros in die Hände geraten. Tukoma ist nicht schuld daran.“

Die fünf Komanchen bogen mehr nach links ab.

Das Kriegsgeschrei der Mescaleros wurde lauter und lauter, verwandelte sich in ein Triumphgeheul, als sie sahen, daß die Komanchen sich von Felsenherz getrennt hatten und jetzt von den Pferden sprangen und eine terrassenartige Einbuchtung der Steilwand zu erklettern begannen.

Felsenherz setzte seinen Weg fort, lenkte nun in den Kanon ein, ritt ihn im Schritt entlang, mußte sehr bald absteigen, da der tiefe Einschnitt so steil wurde, daß sein Brauner wiederholt rückwärts rutschte.

Dann versperrte ihm Steingeröll das weitere Vordringen. Es war ein Geröllhaufen, der durch den Absturz eines Teiles der linken Felswand sich gebildet hatte. –

Felsenherz redete seinem Pferd aufmunternd zu, stieg von Stein zu Stein, zog den Braunen hinter sich her und erreichte so die Abplattung der linken Wand, die durch den Absturz der gewaltigen Felsmasse entstanden war. Hier ließ der Braune sich wieder ohne Widerstreben weiterführen. Noch fünf Schritt, und Felsenherz hatte das Hindernis überwunden. Vor ihm lag nun eine allmählich sich verbreiternde Schlucht, an deren Südende ein Bach mit donnerndem Toben als Wasserfall von den Felsen herabstürzte.

Der junge Trapper ließ sein Pferd stehen und kehrte nach dem Geröllberg zurück. Seine Gedanken weilten für einen Moment bei jener erschütternden Szene, als er dicht bei dem brennenden Wohnhaus der Farm vor vier Tagen seine Braut und seine Verwandten, entstellt durch gräßliche Wunden, aufgefunden hatte. –

Damals war sein Herz zu Stein geworden. Es durfte jetzt nicht weich sein! Die Mescaleros verdienten keine Schonung –!

Oben auf dem Geröllhügel duckte er sich hinter einem Felsblock zusammen, spannte die Hähne seiner erprobten Doppelbüchse und wartete –

Nach wenigen Minuten schon tauchten die Mescaleros auf: Wattami, das blinkende Messer! –

Hinter ihm her kamen in langer Reihe einige zwanzig Apachenkrieger.

Felsenherz zielte kurz –

Der Donner des Schusses hallte in dem Kanon in tausendfältigem Echo wider –

Wattami war nach vorn auf das Gesicht gefallen –

Abermals drückte der junge Trapper ab, griff dann nach einem zentnerschweren Fels, schleuderte ihn in die Tiefe, – packte einen anderen Stein –

Mit wildem Wutgeheul drängten die noch lebenden Mescaleros rückwärts, verschwanden um die Biegung des Kanons.

Felsenherz verließ sein Versteck, nahm seinen Braunen am Zügel und suchte einen Ausgang aus der Schlucht. –

Dort, wo der Bach wohl zehn Meter tief auf das Gestein der Schlucht aufprallte, hatte er im Lauf der Zeit ein tiefes Loch ausgewaschen, ähnlich dem Becken einer Fontäne, floß dann die Schlucht weiter abwärts und verschwand in einer Felsspalte. –

Felsenherz’ kundige Blicke ruhten jetzt auf einem glatt ausgetretenen schmalen Pfad, der fettig glänzte und um das Wasserbecken im Bogen hinter den Wasserfall führte.

Er wußte: Es war eine Wildfährte – der regelmäßige Weg eines oder mehrerer Bären, die vielleicht dort hinter dem stürzenden Wasser des Baches ihre Höhle hatten.

Langsam schritt er den Wildpfad entlang. Der Braune hatte sich bereits an den Lärm der stürzenden Wasser gewöhnt und sträubte sich nicht, auch hier seinem Herrn zu folgen.

Hinter den zerstäubernden, weißen Wassern gähnte in der Schluchtwand eine riesige, dunkle Öffnung.

Der Braune schnaubte plötzlich warnend und wollte zurück. –

Felsenherz klopfte ihm beruhigend den Hals, lud seine Büchse und nahm sie in den rechten Arm, hielt mit der Linken dem Braunen die Nüstern zu, damit das Pferd durch die Witterung der Bären nicht scheuen würde, und drang in die weite Höhle ein. Bereits nach wenigen Schritten verstärkte sich der ferne, schwache Lichtschein. Diese Höhle war nur ein natürlicher Tunnel, der auf eine breite Bergterrasse führte.

Der blonde Trapper hielt Umschau, stieg in den Sattel und ritt zwischen hohen Felswänden wohl zwei Stunden lang dahin, bis er, langsam immer höher gelangend, mit einem Mal vor sich eine endlose, mit dünnem Gras bewachsene Sandebene erblickte, aus der sich stellenweise kahles Gestein zu wild zerrissenen Hügeln erhob, während weite Flächen dieser endlosen Wüste wieder mit gelbgrünen Kaktusstauden bestanden waren.

Felsenherz wußte jetzt, wo er sich befand: am Rande der berüchtigten Llano Estacado, der ‚gepfählten Ebene‛, jener achthundertfünfzig Kilometer langen und fast fünfhundert Kilometer breiten Hochlandwüste, die den ganzen Nordwesten des heutigen Staates Texas einnimmt und die ihren Namen von den Pfählen hat, die zur leichteren Auffindung der wenigen Wasserlöcher in den Boden eingegraben sind –

Der junge Trapper, der schon vor einer Stunde die Hufe seines Braunen mit Stücken seiner Schlafdecke umwickelt gehabt hatte, war überzeugt, daß die Mescaleros seine Fährte auf dem harten Gestein verloren hätten, und wollte jetzt zunächst sich und seinem Pferd Ruhe gönnen.

Dem Stand der Sonne nach schätzte er die Zeit auf vier Uhr nachmittags. Da er noch getrocknetes Büffelfleisch und Maisbrot in seinen Satteltaschen hatte, jedoch nichts besaß, den quälenden Durst zu löschen, spähte er von einem Hügel aus über die einsame, endlose Llano Estacado hin und glaubte auch, nach Südost zu einige jener Holzstangen zu bemerken, die nach einer Wasserstelle den Weg wiesen.

Im Schritt ritt er über das dünne, kurze Gras den Pfählen entgegen – Trübe, menschenfeindliche Gedanken beschäftigten seinen Geist.

Es schien sein Los zu sein, daß er stets einsam bleiben mußte. Auch die fünf Komanchen hatten sich von ihm getrennt, ebenso die beiden alten Trapper und der Lord, die vielleicht schon unter den Messern und Tomahawks der Apachen ihr Leben ausgehaucht hatten. –

Und weiter irrten seine Gedanken dem Mädchenräuber Fred Hobler nach, der ihm seine Schwester Anna entführt hatte –

Felsenherz’ Augen hingen geistesabwesend auf dem dürren Grasboden der Wüste; und doch entging ihnen nicht –

Der Braune spürte plötzlich den leisen Zügeldruck und stand still. Felsenherz bückte sich tiefer, musterte die Fährte, die da schnurgerade von Norden her auf dieselben Pfähle zulief, durch die er belebendes Naß zu erhalten hoffte.

Indianer!“ murmelte er. „Es sind fünf Tiere gewesen, unbeschlagene Pferde. Die Spur dürfte zwölf Stunden alt sein. Die Pferde gingen im Schritt und nach Indianerart hintereinander. –

Was tun fünf Rothäute hier im Nordwinkel der Estacado?!“

Dann folgte er der Spur, ließ sie nicht einen Moment aus den Augen –

Mit einem Mal riß er den Braunen zurück –

Da – auf einer kahlen, sandigen Stelle glänzte neben der Fährte ein kleiner, gebogener Draht: einer Haarnadel!

Felsenherz sprang ab, hob sie auf – seine Hand zitterte: Er hatte diese Haarnadel erkannt! Es war eine von denen, die die deutschen Auswanderer mit aus der alten Heimat herübergebracht hatten. Denn Harry Felsen oder Felsenherz war ein Deutscher, und die überfallene und zerstörte Farm hatten die neuen Ansiedler stets die Felsenfarm genannt –

Und schon ritt der einsame junge Trapper weiter der so deutlichen Spur nach. –

Er hatte zuerst die Absicht gehabt, den Versuch zu machen, Billy, Jimmy und den Lord aus den Händen der Apachen zu befreien, falls die drei noch lebten. –

Doch nun mußte er sie ihrem Schicksal vorläufig überlassen. Es galt, Anna und ihren Entführer einzuholen. Er sagte sich jetzt auch, daß Fred Hobler für sich und seine Gefangene zwei der fünf Pferde als Reittiere und die übrigen drei für seine Felle und sonstigen Besitz als Packtiere benutzt hatte.

Bald war die ersten der Stangen, die zumeist sehr weit auseinander standen, erreicht, bald auch in einer Schlucht eine natürliche Zisterne gefunden, in deren Nähe Felsenherz die Asche eines Feuers und andere Anzeichen eines Lagerplatzes entdeckte. Hier hatte Hobler gerastet und war dann weiter nach Süden zu geritten.

 

 

3. Kapitel.

Der Geisterbüffel der Llano Estacado.

Zu derselben Zeit, als Felsenherz seinen Braunen in der Schlucht tränkte und dann selbst seinen Durst löschte, näherten sich von Osten her dieser Schluck drei Reiter auf abgetriebenen, stolpernden Pferden. Und hinter ihnen her kamen auf nicht minder erschöpften Mustangs etwa fünfzehn Mescaleros als unerbittliche, blutgieriger Verfolger.

Die drei Reiter waren Lord Robert Barnley und seine beiden Führer und Beschützer, die er in Fort Reno vor vier Wochen gegen hohen Lohn für seine Absichten gewonnen hatte.

Der lange Billy blickte jetzt immer häufiger nach den Apachen zurück, denen man am Mazapil glücklich nach einigen gutgezielten Schüssen entgangen war.

Die roten Schufte haben zähere Gäule,“ meinte Billy seufzend. „Wir werden wohl bald uns zur Abfahrt in die ewigen Jagdgründe rüsten können, Mylord. Selbst wenn wir sechs von den Halunken abermals niederschießen wie vor vier Stunden am Mazapil, bleiben noch acht übrig und das ist zu viel für Jimmy und mich, da Sie doch bei einem Nahkampf nicht mitzählen.“

Lord Barnley rief ärgerlich: „Nicht mitzählen?! Wofür halten Sie mich, Billy?! Ich stehe so gut meinen Mann wie Sie –!“

Jimmy, der auf seinem großen, mageren Falben wie ein Kind auf einem häßlichen Schaukelpferd sich ausnahm, brummte jetzt recht laut:

Ich wette ‛n Liter Brandy, alter Billy, daß dort ‛ne frische Fährte neben ‛ner alten hinläuft – sogar ‛ne ganz frische! Auf meine Augen ist Verlaß –“

Billy kicherte plötzlich vergnügt in sich hinein und sagte:

Will verdammt sein, wenn der Gaul nicht beschlagen war! Und ich wette zwei Liter Brandy, daß es der Braune des jungen Mannes war, der meine Grütze in Schädel hatte als wir beide alten Savannenläufer, alter Jimmy! Der Braune hat links hinten so etwas den Drehtritt, und diese Fährte –

Aha – mein alter Schimmel wittert Wasser!“ unterbrach er sich. „Da – er kriegt’s mit der Eile! Nur zu –! Felsenherz kann nicht weit sein!“

Die drei Pferde der Flüchtlinge begannen zu galoppieren, gaben freiwillig ihr Letztes her –

Jetzt war die Schlucht erreicht –

Hurra – Felsenherz!“ brüllte Jimmy, dessen Klepper ein paar Meter Vorsprung hatte. „He – Felsenherz, wie wär’s, wenn ihr mal hier nach oben kämt! Es sind nämlich ein paar von euren Freunden in der Nähe – Mescaleros! –, die Appetit auf ein Stück Blei haben. –

Beeilt euch, Master! Die Bande ist schon verdammt nahe!“

Felsenherz hatte seinen Braunen nicht abgesattelt. Mit leichtem Schwung war er oben und ritt die Böschung der Schlucht hinab.

Der lange Billy begrüßte ihn mit einem vergnügten Kichern.

Felsenherz, nun sind wir unser vier; nun mag die Apachenbrut nur kommen! Sechzehn sind’s im ganzen, die uns über die Estacado gehetzt haben, wie armselige Hasen!“

Der Lord mag mit den Pferden in die Schlucht hinabsteigen,“ ordnete der junge Trapper an. „Wir drei legen uns hier hinter die Steine. –

Tränken Sie die Pferde, Mylord, und halten Sie die Augen offen! Die Mescaleros dürften –“

Sie sind schon da!“ rief Jimmy. „Dort biegen sie um das große Kaktusfeld – hinlegen! Machen Sie, daß Sie verschwinden, Mylord –!“

Der Lord nahm die vier Pferde an den Zügeln und führte sie in die Schlucht.

Die Apachen sind mit einem Mal verdammt vorsichtig!“ brummte Jimmy. „Sie haben nur zwei Späher vorausgeschickt. –

Da – die beiden Burschen halten jetzt an der Stelle, wo wir auf eure Fährte stießen, Felsenherz! Die Sache scheint ihnen bedenklich –

Sie machen kehrt –“

Felsenherz lugte zwischen den Steinen hindurch –

Hobler ist gleichfalls hier vorüber gekommen – mit meiner Schwester und drei Packpferden,“ erklärte er. „Wir müssen die Mescaleros unbedingt loswerden. Auch ihr beide wollt mit dem Lord doch tiefer in die Estacado hinein, wie ihr mir vormittags erzähltet. Wir wollen in die Schlucht zurückkriechen; sie zieht sich im Bogen weit nach Osten. So gelangen wir den Apachen in den Rücken.“

Ein feiner Gedanke!“ grinste der lange Billy. „Felsenherz, ihr seid ein verdammt schlauer Bursche. Ihr gefallt mir!“

Der Lord hatte die Tiere bereits getränkt und auch die Feldflaschen gefüllt –

Felsenherz ritt voraus. Die Schlucht hatte größtenteils sandigen Boden, der den Hufschlag dämpfte.

Dann machte der junge Trapper am Ostende der Schlucht halt, sprang ab und erklommen die Nordwand, schob vorsichtig den Kopf hoch und spähte umher.

Links von ihm lag das Kaktusfeld. Und hinter diesem hielten jetzt die sechzehn Apachen und schienen zu beraten. Nach ein paar Minuten schlichen fünfzehn zu Fuß nach links um das Kaktusfeld herum. Nur einer blieb bei den Pferden.

Auch Billy und Jimmy fanden sich nun neben Felsenherz ein, der ihnen vorschlug, den Mescaleros die Pferde zu rauben, wodurch sie dann sämtlich unschädlich gemacht worden wären, da sie sich ohne ihre Mustangs niemals tiefer in die Llano hineinwagen würden.

Felsenherz ließ seine Büchse zurück und näherte sich dem Wächter der Pferde, der mit dem Gesicht nach Westen hin regungslos dastand. Er hielt sich offenbar hier für völlig sicher, lehnte auf seiner einläufigen Flinte und schaute nicht ein einziges Mal rückwärts.

Die anderen Apachen waren indessen längst verschwunden.

Der junge Trapper hatte jedoch nicht mit der feinen Witterung und der Dressur der Indianerpferde gerechnet. Als er noch zehn Schritte von den Bäumen entfernt war, wurden diese unruhig, schnaubten und erregten so die Aufmerksamkeit des Wächters, der sich jetzt mißtrauisch umdrehte und sofort die Flinte emporriß.

Felsenherz war aufgesprungen, blickte nun direkt in die auf ihn gerichtete Mündung der Feuerwaffe –

Der Lauf der Büchse blieb jetzt regungslos –

Felsenherz’ Augen starrten nach dem Gewehrschloß, nach dem Abzugsbügel und dem darum gekrümmten Finger des Mescaleros –

Der Feuerstrahl brach aus der Mündung hervor –

Der junge Trapper hatte den Bruchteil einer Sekunde vorher den Oberkörper nach rechts gebogen, taumelte, sank zur Seite, schlug mit den Händen um sich –

Der Apache, ein alter Krieger mit narbigem Gesicht und zahlreichen Skalpen am Gürtel, stieß einen schrillen Siegesruf aus, zog das lange Jagdmesser und stürmte vorwärts, setzte dem schwerverwundeten Blaßgesicht den Fuß in den Nacken und holte zum tödlichen Stoß aus –

Drüben am Rande der Schlucht verharrten Billy und Jimmy mit vorgestreckten Köpfen wie gelähmt.

Er ist verloren!“ brummte Jimmy. „Er ist doch ein Greenhorn –! Wie konnte er –“

Da – der anscheinend wehrlose Felsenherz hatte sich blitzschnell zur Seite gerollt, des Apachen rechten Fuß gepackt und schleuderte den Roten zu Boden –

Sein Messer funkelte bereits über dem durch den schweren Sturz halb Betäubten –

Er besann sich eines besseren, ließ das Messer fallen, ballte die Rechte zur Faust und schmetterte sie dem Mescalero gegen die Schläfe –

Gleich darauf näherte er sich mit den Indianerpferden und dem bewußtlosen Gefangenen, den er einem der Mustangs über den Rücken geworfen hatte, der Schlucht.

Felsenherz, ihr seid doch unmöglich erst drei Monate hier in Amerika!“ rief Billy ihm entgegen.

Ich habe bei dem alten Trapper Birth eine gute Schule durchgemacht!“ fiel ihm Felsenherz ins Wort. „Vorwärts jetzt – verlassen wir diesen Platz! Die fünfzehn Apachen dürften bereits herausgefunden haben, wo wir geblieben sind. Helft mir, die Mustangs zu einer Reihe aneinander zu binden. Lassos sind ja genug vorhanden!“

Und der alte Mescalero? Ich denke, wir schicken ihn in die ewigen Jagdgründe,“ brummte Jimmy und lockerte sein breites Bowiemesser.

Nichts da!“ befahl Felsenherz. „Der Apache kann uns nützlich noch sein. Die Mescaleros haben ihre Dörfer dort am Westrand der Estacado am Rio Pecos und kennen die Llano besser als wir. Schenken wir ihm das Leben, dann wird er sich vielleicht dankbar erweisen –“

Jimmy und Billy lachten. –

Dankbar?! Bester Felsenherz, diese Apachenhunde wissen von Dankbarkeit genau so viel wie Jimmy und ich von der Viehlohsesowie2 oder wie der gelehrte Kram sonst heißt!“ kicherte der lange Billy. „Aber gut – wenn ihr euch mit eurem Gefangenen herumschleppen wollt – meinetwegen!“

Der Apache wurde auf einen Mustang gebunden. –

Als die vier Gefährten dann gerade nach Süden zu die Schlucht verließen, stürmten auch schon die Mescaleros herbei, die am Nordrand jetzt sich herangeschlichen hatten.

Brüllte nur!“ lachte der kleine Jimmy, drehte sich auf seinem Falben um, legte an und drückte zweimal kurz hintereinander ab –

So – zwei weniger von der roten Brut!“ schmunzelte er –

Felsenherz blickte ihn ernst an. „Zwei Menschen immerhin, Jimmy!“ sagte er vorwurfsvoll. „Es war zwecklos, sie niederzuknallen! Und da wundert ihr euch, daß die Rothäute, besonders die Apachen, jeden Trapper zu Tode martern, der ihnen in die Hände gerät?!“ –

Die Mescaleros hatten ebenfalls auf die vier Weißen gefeuert, konnten jedoch mit ihren schlechten Feuersteinflinten auf solche Entfernung nichts mehr ausrichten.

Der kleine Jimmy erwiderte auf Felsenherz’ zur Menschlichkeit mahnende Worte nach einer Weile etwas verlegen: „Hm, eigentlich habt ihr nicht Unrecht, old Boy! Werde mich bessern, zumal wir gut tun, mit Pulver und Blei sparsam umzugehen –“

Keiner der vier Weißen, die in einer Reihe nebeneinander ritten, hatte gemerkt, daß der alte Apache inzwischen wieder zu sich gekommen war.

Sie drehten sich daher auch sämtlich erstaunt um, als hinter ihnen des Mescaleros rauhe Stimme plötzlich vernehmbar wurde.

Felsenherz wird einst der berühmteste Jäger der Prärien und des ganzen Westens werden,“ sagte der Apache mit Würde und gewisser Feierlichkeit. „Koromitu hat über sechs mal zehn Male die Büffel von den nördlichen Prärien im Herbst gen Süden wandern sehen; Koromitu war vier Jahre in Fort Griffin gefangen und kennt die Weißen besser als irgendein anderer Apache!

Er spricht ihre Sprache, wie die vier Bleichgesichter hören; er hat noch kein Blaßgesicht gefunden, das einen Mescalero geschont hätte, wenn dieser die Büchse bereits abgefeuert hatte. Felsenherz hat das Auge des Adlers, den Verstand des listigen Panthers, die Kraft des Bären, eine Faust von Stein und ein Herz für die roten Kinder Manitus.“

Ein feiner Lobgesang!“ kicherte der lange Billy.

Aber Lord Barnley fügte sofort hinzu: „Der alte Mescalero hat recht! Felsenherz, ihr seid das, was man in England unter einem Gentleman versteht!“

Er wollte dem jungen Trapper die Hand reichen. Doch der wehrte ab und fragte den Apachen streng:

Ich habe dich geschont, Koromitu, weil ich erst von dir erfahren wollte, ob du mit dabei warst, als die Farm meines Onkels überfallen wurde?“

Ich war nicht dabei, Felsenherz,“ erklärte der Mescalero mit offenem Blick. „Ich gehörte zu Wattamis Truppe, die erst später bei der Farm eintraf.“

Felsenherz nickte. „Ich glaube dir. Von den zwanzig Mescaleros, die die meinigen ermordet haben, wird keiner der Strafe entgehen. Das Gesetz der Wildnis lautet: Auge um Auge, Zahn um Zahn!“ –

Die vier Gefährten waren sehr bald nach Westen abgeschwenkt, um Hoblers Fährte wiederzufinden. Das machte auch weiter keine Schwierigkeiten. Hobler war hier abermals der Pfahlreihe gefolgt, die von der Zisterne in die Schlucht zur nächsten Wasserstellen verlief. –

Nach drei Stunden brach der Abend an. Man lagerte im Schutz einer grottenartigen Felsenanhäufung, und auch der alte Apache erhielt hier Wasser und Büffelfleisch gereicht. Felsenherz hatte ihm weniger fest die Lassos um die Hand- und Fußgelenke geschlungen, um ihm nicht unnötig Schmerzen zu bereiten.

Jimmy übernahm die erste Wache bis Mitternacht und schritt beständig in weitem Kreis um das gut versteckte Lager herum.

Der Lord erzählte jetzt Felsenherz, weshalb er nach Amerika gekommen sein und die beiden Trapper als Begleiter angeworben habe. –

Mein Bruder Edward, gleich mir recht vermögend, ist aus Liebhaberei Forschungsreisender geworden. Vor vier Jahren schrieb er mir aus Galveston in Texas, daß er in Begleitung von drei bekannten Pelzjägern die Llano Estacado auch in ihren mittleren, wasserärmsten Teilen näher kennen lernen wollte und wahrscheinlich vier bis fünf Monate nichts von sich hören lassen würde. Als dann überhaupt keine Nachricht mehr von ihm eintraf, hielt ich mich für verpflichtet, über sein Schicksal an Ort und Stelle Erkundigungen einzuziehen.

So stellte ich vor drei Monaten fest, daß er tatsächlich mit den drei Pelzjägern von Fort Reno aus in die Llano eingedrungen war. Seitdem ist er verschollen, ebenso die drei Trapper, die er als Ortskundige mitgenommen hatte.

In Fort Reno erfuhr ich dann auch etwas, das mich in meiner Absicht noch bestärkte, dasselbe zu tun wie Edward, nämlich die Estacado nach allen Richtungen zu durchqueren. –

Habt ihr vielleicht etwas von dem Geisterbüffel der Llano gehört, Felsenherz?“

Gewiß, Mylord! Mein alter Lehrer, der Trapper Birth, der aus mir erst einen Westmann gemacht hat und der beim Überfall auf die Farm ebenfalls den Tod fand, erzählte mir davon. Auch mein roter Bruder Chokariga erwähnte diesen leuchtenden Büffel, der über die Prärie hinrasen soll, ohne eine Spur seiner Füße zurückzulassen.

Natürlich handelt es sich hier um einen schneeweißen Büffel, aber alles andere ist eben hinzugedichtet worden. Solche Farbenspiele, daß ein Tier im Gegensatz zu seinen Artgenossen völlig weißes Haar hat, kommen in der Natur ja häufiger vor.“

Oh, da sind Sie im Irrtum, Felsenherz,“ meinte der Lord eifrig. „Dieser Geisterbüffel der Estacado erscheint nur nachts und –“

Lassen Sie mich nur berichten,“ fiel Billy ihm ins Wort. „Sie wissen ja, Mylord, ich sah den leuchtenden Büffel genau vor einem Jahr zum ersten Mal, und zwar eine Tagereise weiter südlich vom sogenannten Apache-Spring3, der einzigen seeartigen Wasseransammlung in der Llano. –

Die Sache war so, Felsenherz –“ wandte er sich nun an den jungen Trapper. „Wir, der Jimmy und ich, kamen mit zwei Packpferden vom Rio Pecos her und wollten quer durch die Estacado nach Fort Griffin, um dort unsere Jagdbeute, gegen fünfhundert Felle aller Art, loszuschlagen. –

Unweit des Apache-Spring trafen wir mit dem roten Hobler zusammen, den eine Bande von Waco-Indianern drei Tage lang gehetzt hatte. Hobler besaß nur noch Pulver für fünf Schüsse, und er und sein Gaul waren dem Zusammenbrechen nahe. Wir drei lagerten dann etwa zwei Kilometer östlich vom Apache-Spring auf der zerklüfteten Spitze eines Felsenhügels. Hobler meinte nämlich, die Wacos sein noch immer hinter ihm her. –

Hobler übernahmen in der Nacht die zweite Wache von zwölf bis drei Uhr morgens. Jimmy und ich schliefen wie die Bisamratten, denn wir waren seit sechs Tagen fast ununterbrochen unterwegs gewesen.

Mit einem Mal gellte mir ein wildes Geheul in den Ohren. Ehe ich noch recht die Augen aufreißen konnte, bekam ich einen Kolbenhieb über den Schädel, so daß meine Denkmaschine für viele Stunden total aussetzte.

Als ich wieder zur Besinnung kam, lag ich neben Jimmy gefesselt am Fuß des Hügels in der prallen Sonne. Jimmy stöhnte. Auch ich wurde wieder ohnmächtig, erwachte erst gegen Abend und – nun sperrt die Ohren gut auf, Felsenherz! – und erblickte vor mir in der Dunkelheit einen ungeheueren Büffelbullen, der ein geheimnisvolles Licht ausstrahlte. Die unheimliche Bestie war keine fünf Meter entfernt. Als ich mich aufrichtete und das Vieh durch Brüllen zu verscheuchen suchte, machte es auch wirklich kehrt und war im Nu verschwunden.

Ich selbst war so matt, daß ich sehr bald wieder das Bewußtsein verlor. Bedenkt, Felsenherz, wir beide hatten einen vollen Tag in der Sonne gelegen! Und dazu noch die Schmerzen des Kolbenhiebes! Außerdem brutal gefesselt! –

Na, old Boy, dafür war dann auch das abermalige Erwachen mitten in der Nacht doppelt angenehm, denn – ja, staunt nur! – denn irgend jemand hatte mir inzwischen die Fesseln abgenommen und neben mich einen mächtigen Schlauch voll Wasser gelegt. –

Jimmy war nun bald ebenfalls ziemlich munter geworden, nachdem ich seinen Schädel gekühlt und ihm zu trinken gegeben hatte. –

Wir rieten hin und her, wer uns befreit haben könnte; wir suchten nach Spuren – fanden aber keine. –

Unsere Pferde, unsere Waffen, unsere Packtiere – alles war uns leider gestohlen worden. Aus den Fährten, die wir schließlich doch entdeckten, entnahmen wir, daß Hobler, dieser Schuft, an uns zum Verräter geworden war, uns niedergeschlagen, einen Indianerüberfall vorgetäuscht und uns bestohlen hatte. –

So, Felsenherz, nun kennt ihr dieses Erlebnis, bei dem der Geisterbüffel der Llano eine Rolle spielte. Übrigens haben auch andere Trapper den leuchtenden Büffelbullen gesehen, und alle sind sich einig darüber, daß der Büffel nicht etwa lediglich weiß ist.

Eure Annahme, old Boy, trifft also gehörig daneben –!“

Da ertönte aus dem Hintergrund der Grotte, wo der alte Mescalero saß, dessen tiefe Stimme:

Das Blaßgesicht, das man den langen Billy nennt, behauptet nur das Richtige. Koromitu hat den Geisterbüffel ebenfalls zweimal erblickt. Man sieht ihn meist in der Nähe des Apache-Spring. Wer ihn bemerkt, weicht ihm aus, denn er soll Unheil bringen, wenn man es wagt, sich ihm zu nähern. Zwei junge Krieger meines Stammes wollten im vorigen Sommer den Geisterbüffel erlegen, da sie wegen Feigheit aus dem Stamm ausgestoßen worden waren.

Man fand sie einen Monat später auf. Manitu hatte ihnen aber den Geist genommen. Sie schrien und tobten, und man erkannte leicht, daß die Angst vor dem Geisterbüffel ihnen den Kopf verwirrt hatte.“

Der alte Apache schwieg wieder. –

Dafür sagte der Lord nun: „Felsenherz, ich möchte kein Engländer sein, wenn es mich nicht gereizt hätte, dieses Geheimnis genau so aufzuklären wie das Verschwinden meines Bruders Edward. –

Glauben Sie noch, daß der leuchtende Büffel nur in der Phantasie der Trapper und Rothäute existiert?“

Nein, Mylord, etwas Wahres muß wohl daran sein –

Ich denke, wir legen uns jetzt nieder. Morgen müssen wir mit Sonnenaufgang weiter, und morgen früh werden wir auch die Mustangs der Apachen laufen lassen. Ihr Instinkt wird sich schon auf unserer Fährte zurückführen, so daß sie nicht vor Durst eingehen werden. –

Die Wache von zwei Uhr morgens ab übernehme ich. Billy, ihr weckt mich dann.“

Die drei Männer hüllten sich in ihre Decken und waren im Nu eingeschlafen.

 

 

4. Kapitel.

Der Skalpierte.

Die Nacht war dunkel, aber sternenklar. –

Gegen zwei Uhr morgens schlenderte der langen Billy, die Doppelbüchse im Arm, der Felsenanhäufung zu.

Plötzlich blieb er stehen.

Er glaubte vor dem Lagerplatz etwas wie einen dunklen Schatten wahrgenommen zu haben.

Mißtrauisch starrte er eine ganze Weile nach jener Stelle hin. Nichts regte sich. Er beruhigte sie schließlich in dem Gedanken, daß es ein Präriefuchs gewesen sein müsse. Für alle Fälle machte er nochmals die Runde um das Lager, und zwar tief gebückt und stellenweise kriechend. Er fand nichts Verdächtiges.

Dann weckte er Felsenherz, der auch sofort munter wurde, seine Büchse nahm und in die Dunkelheit hinaufschritt –

Billys leises Schnarchen zeigte an, daß er schon nach wenigen Minuten fest eingeschlafen war.

In der Ecke, wo der alte Mescalero hinter den drei Schläfern gefesselt lag, bewegte sich etwas –

Koromitu hatte schon vorher die Riemen abgestreift gehabt, und er war es auch gewesen, den der langen Billy als Schatten draußen bemerkt hatte.

Der Apache kroch lautlos auf die Schläfer zu. Dann glitt seine Hand an Lord Barnleys Kopf vorüber und griff nach der Feuersteinflinte, dem Tomahawk und dem Jagdmesser, die Felsenherz als Eigentum des Gefangenen mitgenommen und neben das Feuer gelegt hatte.

Koromitu wand sich wie eine Schlange mit seinen Waffen ins Freie –

Der junge Trapper hatte gerade halt gemacht, stand nun auf einem Hügel nördlich des Lagerplatzes und lauschte in die schweigende Nacht hinaus –

Ihm war es soeben vorgekommen, als hätte er dort nach Westen zu, wo die Stangenlinie sich befinden mußte, das Schnauben von Pferden gehört. Der Wind wehte von West herüber und es waren mithin nicht ausgeschlossen, daß eine Schar von Reitern den Pfahl-Weg entlangkam.

Wer aber waren diese Reiter? Etwa die Mescalero? Sollten sie den Flüchtenden bereits wieder auf der Spur sein?

Felsenherz hielt dies für ausgeschlossen. Er wollte jedoch als gewissenhafter Wächter einmal ein paar hundert Schritt nach Westen zu vordringen.

Langsam, stets wieder stehen bleibend und lauschend, bewegte er sich vorwärts. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Bald unterschied er auch eine der eingegrabenen Stangen, die recht schief stand.

Wieder horchte er mit angehaltenem Atem –

Dann – urplötzlich wurde ihm von hinten die Büchse aus dem Arm gerissen.

Er fuhr herum – vor sich gewahrte er einen großen, breitschultrigen Roten, der auf ihn angelegt hatte –

Felsenherz möge sich nicht rühren!“ warnte des alten Mescalero tiefe Stimme. „Koromitu führt nichts Böses im Schilde. Aber Koromitu ist ein alter Krieger, und die jungen Männer seine Stammes sollen nicht verächtlich sagen, daß Koromitu ein Greis sei, da er nicht einmal den vier Blaßgesichtern hätte entfliehen können. –

Die Pferde habe ich bereits weggeschafft. Felsenherz hörte ihr Schnauben.“

Gut – ich bin in deiner Gewalt, Koromitu,“ meinte der junge Trapper gleichmütig. „Du brauchst nur abzudrücken, und auf diese Schrittlänge mußt du mich treffen. –

Was wünscht Koromitu noch?“

Die Mescaleros werden von den anderen roten Männern Manitus stinkende, in Höhlen hausende Kröten genannt,“ fuhr der Apache fort. „Die Mescaleros zählten noch vor dreißig Jahren an tausend Krieger. Dann verdrängten die Texaner sie aus den Jagdgründen östlich der Llano Estacado, erbauten das Fort Griffin und scheuchten die Mescaleros mit ihren Büchsen in die unzugänglichen Felsengrotten am Rio Pecos.

Die Mescaleros zählen jetzt kaum noch sechshundert Krieger. Die anderen raffte das Blei der Texaner hinweg. So wurden die Mescaleros die unerbittlichen Feinde aller Blaßgesichter. Vier Jahre mußte Koromitu in Fort Griffin die niedrigsten Arbeiten als Gefangener verrichten. So wurde auch ich ein Feind der Bleichgesichter. –

Seit gestern habe ich anders denken gelernt. Felsenherz hat –“

Der junge Trapper bemerkte zu spät die kleine Gestalt, die unhörbar dem alten Apachen in den Rücken geschlichen war. Zu spät kam sein Ruf:

Jimmy – nicht stechen –!“

Um den Bruchteil einer Sekunde kam er zu spät.

Jimmy hatte sein breites Bowiemesser in Verkennung der wahren Sachlage dem Mescalero bereits zwischen die Rippen gestoßen –

Koromitu taumelte zur Seite. Felsenherz fing ihn auf, fuhr den kleinen Jimmy empört an:

Ihr seid abermals zum Mörder geworden! Hätte ihr die Ohren aufgesperrt, dann würdet ihr –“

Verdammt!“ brummte der Kleine. „Ich hab’s nur gut mit euch gemeint, old Boy –! Mir tut der vorschnelle Stich wahrhaftig leid!“ –

Er kniete neben dem tödlich Getroffene nieder, ergriff seine Hand und rief ihn leise an:

Koromitu, verzeih’ mir –! Bist du noch bei Besinnung?“

Der Sterbende röchelte schwer. Dann lallte er mühsam:

Jimmy keine – Schuld. – Felsenherz, – Hobler hat einmal – von dem – Geisterbüffel – in unserem Dorf – gesprochen – und von – Gold – viel Gold –“

Dann noch ein tiefer Seufzer; ein Zucken des Körpers, und der Mescalero war tot.

Jimmy richtete sich auf. „Arme Rothaut! Ich habe in meinem Leben noch keinen Messerstich bereut!“ meinte er dumpf. „Diesen bereue ich, und ich gäbe gern fünfundzwanzig Bärenfelle dafür her, wenn ich Koromitu wieder lebendig machen könnte.“

Felsenherz schwieg. Und schweigend trugen die beiden den Toten nach dem Lagerplatz, wo sie Billy und den Lord weckten.

Der Morgen graute bereits. Der Mescalero wurde in derselben Grotte nach Indianerart sitzend mit all seinen Waffen beerdigt, indem man Felsstücke um den Körper herum zu einem flachen Hügel anhäufte.

Dann setzten die vier in gedrückter Stimmung ihren Weg fort. Ihnen allen ging Koromitus Tod recht nahe.

Die Pfähle verliefen jetzt mehr nach Westen und nicht mehr wie bisher direkt nach Süden.

Der Landschaftscharakter änderte sich. Die felsigen Schluchten und steilen Kanons wurden seltener. Bald gab es ringsum nichts als Sand – Sand, spärliche Gräser und endlose Kaktusfelder.

Die Fährte Hoblers war noch genau so deutlich wie am Tage vorher. Doch dann – hörten die Stangen gegen Mittag plötzlich auf.

Verdammt!“ meinte der kleine Jimmy, „was bedeutet das?! Uns und unseren Tieren tut Wasser wahrlich not! Und jetzt sind die Pfähle mit einem Mal wie weggewischt?!“

Felsenherz war von seinem Braunen gesprochenen und untersuchte den Sandboden rings um die letzte Stange, sagte dann:

Hobler hat die Pfähle in anderer Richtung eingegraben, also einen falschen Weg – absichtlich hergestellt. Man sieht genau, daß diese Stange hier erst vor kurzem an dieser Stelle ganz oberflächlich eingebuddelt worden ist. Vielleicht hat Hobler so jeden Verfolger irreführen wollen.“

Die Pferde waren infolge des beständigen Watens in dem feinen Sand völlig ermattet; die Wasserflaschen und die beiden Wasserschläuche waren längst leer.

Die vier Gefährten lagerten im Schatten eines Winkels des Kanons. Der lange Billy hatte soeben erklärt, daß es unmöglich sei, mit den erschöpften Tieren etwa umzukehren.

Bevor wir die Zisterne in jener Schluck erreichen, wo Jimmy die beiden Apachen niederschoß, sind wir elend verreckt!“ fügte er hinzu. „Dieser Hobler hat die Sache nur zu schlau angefangen! Es bleibt uns nichts anderes übrig, als hier die Nacht zu erwarten und den Tieren bis dahin Ruhe zu gönnen. Nachts kühlt sich der Sand ab, und zuweilen taut es sogar, so daß die Pferde die feuchten Gräser abrupfen können.

Morgen werden wir von hier nach Südost reiten; dort muß es irgendwo eine Wasserstelle und einen anderen Stangenweg geben, der von Osten die Llano durchschneidet.

Einen besseren Vorschlag weiß ich nicht. –

Oder ihr, Felsenherz?“

Nein, Billy. Dieser Rat ist gut.“ –

Endlos lang wurden den vier Gefährten die Stunden bis zum Anbruch der Dunkelheit. Gegen zehn Uhr abends führten sie die Pferde dann aus dem Kanon zu einer der grasreichsten Stellen.

Die Tiere fraßen mit Gier das kahle Gras. Ihre Reiter hatten sich in der Nähe niedergesetzt und kauten widerwillig das harte Büffelfleisch und ein paar Teeblättchen aus des Lords Vorratsbüchse, um die Speichelabsonderung zu fördern –

Felsenherz fühlte seit dem Tod Koromitus eine seltsame Unruhe wie die Vorahnung eines düsteren Unheils. Diese Unruhe trieb ihn auch jetzt empor. Er nahm seine Büchse und schritt dem nächsten der falsch gesteckten Pfähle zu, sagte halb nach rückwärts gewandt zu den drei Gefährten:

Vielleicht erwische ich irgendein Wild. Unser Fleisch geht auf die Neige –“

Am Rand eines Kaktusfeldes machte er nach etwa zehn Minuten halt, lehnte sich auf seine Büchse und ließ die Gedanken wie so oft zurückschweifen in die jüngste Vergangenheit, die ihm alles entrissen, woran sein Herz gehangen hatte –

Plötzlich fuhr er aus seinem Sinnen hoch –

Da – auf jenem Hügel jenseits des Kaktusfeldes war ein leuchtendes Etwas erschienen –

Der Geisterbüffel –!

Kein Zweifel – es war das geheimnisvolle Tier –!

Felsenherz merkte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte –

Ganz deutlich erkannte er die seltsame Erscheinung jetzt. Es war in der Tat ein wahrhaft riesiger Bison mit mächtigem Höcker, und das ganze Tier erstrahlte in einem weißgelben Licht – sogar die Hörner, das Maul, die Beine –

Felsenherz verstand jetzt vollkommen, daß die Trapper dieses leuchtende Tier den Geisterbüffel getauft hatten. Der Bison hatte wirklich etwas Gespenstisches an sich –

Er war vielleicht einhundertfünfzig Meter von Felsenherz entfernt, verhielt sich regungslos, stand den Kopf ihm zugewandt –

Dann schien es rückwärts sich zu bewegen, wurde kleiner und kleiner und verschwand –

Felsenherz dachte an Koromitus Worte, daß es Unheil bedeute, wenn man das Tier erblicke –

Er schüttelte die halbe Erstarrung von sich ab, murmelte:

Unsinn – es gibt nichts Übernatürliches –!“

Und doch schaute er abermals mit leisem Grauen nach dem jetzt leeren Hügel hinüber –

Schon wollte er umkehren. Vielleicht hatte auch einer seiner Gefährten den Geisterbüffel erblickt; vielleicht zeigte sich der leuchtende Bison nochmals –

Mit einem Mal wuchsen vor und hinter ihm dunkle Schatten aus dem Boden hoch –

Er fühlte sich gepackt, niedergerissen –

Fünf, sechs Rothäute knieten auf ihm, entwanden ihm die Waffen –

Eine Messerklinge blinkte dicht über seiner Kehle –

Dann aber war er wieder Herr seiner selbst, hatte den ersten lähmenden Schreck überwunden, war derselbe Felsenherz, der einen grauen Bären mit einem Felsstück getötet hatte –

Sein rechter Arm, den zwei der Mescaleros festhielten – denn daß es Apachen waren, hatte er jetzt an der Kriegsbemalung und den Skalplocken erkannt – beschrieb einen Halbkreis, riß die beiden Roten mit –

Wie ein Blitz schnellte er empor, schlug mit der Eisenfaust zu, packte einen Mescalero, schleuderte ihn gegen die beiden noch aufrecht dastehenden Gegner, sprang in langen Sätzen davon.

Da – vor ihm Schüsse – jetzt auch Billys Stimme:

Hunde – lebendig fangt ihr mich nicht!“

Da wurde er gewahr, daß er sich in der Dunkelheit geirrt hatte: er war zu weit nach links in eine schmale Gasse des Kaktusfeldes eingedrungen, wollte kehrtmachen, hörte aus der Richtung des Kanons das Triumphgeheul der Apachen, wußte, daß er, seiner Waffen beraubt, den Gefährten jetzt nicht mehr beistehen konnte –

Auf allen Vieren kroch er am Rand der stacheligen Wand der Kakteen weiter, fand eine neue Gasse, die nach Osten zu verlief, drängte sich hindurch, kam so – ein Zufall! – auf jenem Hügel, wo vorhin der Geisterbüffel gestanden hatte –

Zu seinem Erstaunen bemerkte er am Ostabhang des Hügels ein hochbepacktes Pferd, neben dem im Sand ein einzelner Mann saß und eine kurze Holzpfeife rauchte.

Felsenherz kroch näher. Der Mann trug einen großen Schlapphut und einen hirschledernen Jagdanzug. Er saß mit dem Rücken nach Felsenherz hin, und – dieser traute seinen Ohren nicht: Der Fremde sang gemütlich irgendein Lied vor sich hin, als ob er sich hier in einer friedlichen Kneipe und nicht in der Nähe einer heulenden Apachenhorde befände, deren schrille Siegesrufe deutlich bis hierher gellten

Nicht genug damit: Als Felsenherz noch drei Meter von dem Fremden entfernt war, sagte dieser halblaut in leidlichem Englisch:

Nur näher heran, Master! Ich fresse niemand. Ich habe euch längst gehört, wenn ich auch keine Ohrmuscheln mehr besitze –“

Dabei drehte er sich langsam um, lüftete den Hut und deutete auf eine runde, kahle Stelle auf der Mitte des Kopfes:

Auch den Skalp haben mir die Wacos einst geraubt, Master. Des–halb nennt man mich den Skalpierten. –

Meinen richtigen Namen habe ich vergessen. –

Doch – wer seid ihr?“

Felsenherz hatte sich jetzt von dieser Überraschung etwas erholt, flüsterte hastig:

Master, drüben haben die Mescaleros meine Gefährten überfallen, und wenn die Roten uns hier entdecken, werden sie –“

„– mir gar nichts tun!“ vollendeter der seltsame Mensch, der ein tiefgebräuntes Gesicht und einen schwarzen, langen Vollbart, aber keinerlei Waffen bei sich hatte. „Die Rothäute kennen mich als ehrlichen Mann, der sie nie betrügt. Ich bin an jedem Lagerfeuer willkommen. Nur die Wacos meide ich, die da mehr im Süden, in Neu-Mexiko, umherschwärmen. –

Setzt euch, Master. Vorläufig werden die Apachen euch in der Dunkelheit nicht finden. Weshalb sind die Roten denn hinter euch her?“

Ich nenne mich Felsenherz, bin Trapper,“ berichtete dieser schnell, ohne sich jedoch neben dem Skalpierten niederzulassen. „Wir sind ohne unsere Schuld mit den Apachen vor zwei Tagen am Rio Mazapil aufs neue aneinandergeraten, daß die dort drei Weiße belagert hatten –“

Sein Gegenüber hörte schweigend zu. Als Felsenherz alles Nötige erwähnt hatte, reichte der Händler ihm die Hand und sagte:

Master, ich will zusehen, was ich für eure Gefährten tun kann. –

Dort drüben – könnt ihr jene Anhöhen wahrnehmen? –

Gut, wandert dorthin! Ihr werdet dort in den zerklüfteten Hügeln schon ein Versteck finden. Ich komme nach. –

Hier – trinkt!“ –

Er reichte eine große Blechflasche. „Tee ist drin, Master!“

Danke – das tut gut – wahrhaftig gut!“

Dann also auf Wiedersehen, Master Felsenherz. Ich meine es ehrlich mit euch.“

Der Skalpierte nahm sein Packpferde am Zügel und verschwand in der Dunkelheit.

 

 

5. Kapitel.

Am Apache-Spring.

So hatte sich also doch seine düstere Ahnung bestätigt! Es hatte sich wirklich etwas ereignet, wodurch ihm die weitere Verfolgung Fred Hoblers noch mehr erschwert wurde. Er besaß jetzt keine Waffe, kein Pferd, war hier in der weiten Llano Estacado lediglich auf den Schutz dieses Skalpierten angewiesen.

Felsenherz strebte den linken Ausläufern des niederen Höhenzuges zu. Dort hoffte er sehr bald harten, steinigen Boden zu finden, der keine Spuren annahm. Wenn er die Stiefel auszog und auf seinen derben Strümpfen dann der Mitte des Höhenzuges zueilte, wo er sich mit dem Skalpierten treffen wollte, mußte es selbst dem feinen Spürsinn der Rothäute unmöglich sein, auf seiner Fährte zu bleiben –

Der Tag brach an. Unser Felsenherz lag jetzt auf einer kleinen Felsterrasse einer steilen Wand in einer breiten Spalte des Gesteins. Nur durch recht waghalsiges Klettern hatte er dieses sichere Versteck von oben her erreicht.

Es wurde heller und heller. Dann schossen die ersten Strahlen der Sonne über die Wüste hin –

Und jetzt gewahrte Felsenherz auch in der Ferne nach Osten zu einem endlosen Reitertrupp: Indianer, die im geschlossener Reihe hintereinander ritten! –

Es konnten nur die Mescaleros sein.

Einzelheiten vermochte der junge Trapper nicht zu erkennen, also auch nicht, ob sich bei dem Zug Gefangene befänden.

Zehn Uhr vormittags mochte es sein, als Felsenherz über sich auf der Höhe der Felswand ein leises Geräusch zu hören glaubte. Sofort griff er nach dem länglichen Steinstück, das er als Waffe aufgehoben und hierher mitgenommen hatte –

Dann von oben her seines neuen Bekannten rauhe, harte Stimme:

So, Felsenherz, nun könnt ihr aus eurem Loch herauskriechen. Die Apachen sind fort.“

Felsenherz zauderte, fragte dann mißtrauisch:

Seid ihr allein, Master?“

Nein, das nicht gerade. Ich habe meine Aurora, meine Stute, bei mir und auch euren Braunen. Übrigens sehr vernünftig von euch, daß ihr argwöhnisch seid. Allzu viel Sicherheitsgefühl hat hier im Westen schon manchen Trapper das Leben gekostet.

Ich selbst war ja auch einmal so ein Greenhorn. Deshalb verlor ich auch die Ohren und das runde Stück Kopfhaut. –

Damit ihr seht, daß der Skalpierte kein hinterlistiger Lump ist, will ich euch eine kleine Freude machen. Paßt auf!“

Gleich darauf ließ er an einem Lasso Felsenherz’ Doppelbüchse, Pulverhorn, Kugelbeutel, Jagdmesser und auch den Tomahawk hinab, den der Komanchenhäuptling Chokariga seinem weißen Bruder geschenkt hatte.

Felsenherz nahm freudig die Waffen an sich, prüfte schnell, ob die Büchse geladen war und kletterte dann die Steilwand empor.

Nun stand er vor dem Mann; nun konnte er ihn auch bei Tageslicht anschauen. Und – jetzt machte der Seltsame auf ihn einen ganz anderen Eindruck.

Der Skalpierte hatte ein regelmäßiges Gesicht und große, graue Augen, die klug, ernst und doch gutmütig jetzt den jungen Trapper musterten.

Felsenherz streckte ihm die Hand hin.

Ich danke euch! – Wie seid ihr zu meinen Waffen und meinem Pferd gekommen?“ –

Denn der Braune stand tatsächlich ein paar Meter weiter in einem kleinen Tal neben dem Packpferd des Händlers.

Eingetauscht hab’ ich sie gegen Pulver und Blei,“ erwiderte der Skalpierte kurz. „Wir wollen sofort aufbrechen. Ich möchte nach Hau–se –“

Nach Hause?!“ rief Felsenherz erstaunt.

Folgt mir. Ihr werdet alles sehen. –

Besteigt euren Braunen. Ich gehe zu Fuß.“

Eine halbe Stunde später befanden sich die beiden bereits auf dem Marsch nach Süden. Felsenherz hatte Hunger und Durst gestillt und wandte sich jetzt an seinen Begleiter mit der Frage, was aus Billy und Jimmy geworden sei.

Billy und der Lord sind von den Mescaleros als Gefangene mit nach dem Apache-Spring genommen worden, wo sie gemartert werden sollen,“ erklärte der Indianerhändler gleichmütig. „Jimmy ist tot, skalpiert und von mir heute früh begraben worden. –

Wattami ist eurer Kugel entgangen, da diese auf ein Säckchen mit Goldstaub aufschlug, das der Häuptling auf der Brust trug. Er setzt jetzt jenem Hobler nach, der eure Schwester raubte. Hobler hatte die Mescaleros, seine Verbündeten, heimlich verlassen und um einen Teil der Beute des Farmüberfalles betrogen. Er wird also am Apache-Spring wohl gleichfalls am Marterpfahl sterben. Geschieht ihm nur recht.

Übrigens kenne ich den Fred Hobler. Er war im vorigen Jahr mit einer Kugel im Schenkel mein Gast. Und aus den Worten des sterbenden Koromitu entnehme ich, daß dieser Schurke von Hobler es jetzt auf meine Ersparnisse abgesehen hatte.

Na – Wattami wird ihm die Suppe versalzen!“

Und das sagt ihr alles so gefühllos, als ob der Lord und Billy gar kein Mitleid verdienten!“ rief Felsenherz empört. „Ich bin euch wahrhaftig dankbar, aber diese eure ganze Art –“

Ruhe, junger Freund, – Ruhe!“ unterbrach ihn der Skalpierte. „Ihr müßt bedenken, daß ich mit den Mescaleros erstens gut Freund bin, daß ich zweitens keinerlei Waffen habe, um bei der Befreiung des Lords und Billys mithelfen zu können, und daß ich drittens und letztens durchaus nichts dagegen habe, wenn ihr eure Gefährten zu befreien sucht.

Über all das können wir reden, wenn wir zu Hause sind, bei mir zu Hause! Denn meine Wohnung liegt nicht allzu weit vom Apache-Spring ab. Gegen Abend haben wir sie erreicht.“

Er schob den in einen Lederüberzug gehüllten Packen mehr nach vorn und schwang sich in den Sattel. Die Stute begann ganz von selbst zu galoppieren. –

Drei Stunden später hielten die beiden an einer kleinen Wasserstelle in einem breiten Felsental kurz Rast. –

Hier brachte Felsenherz das Gespräch nun auf den Geisterbüffel und erwähnte, daß er das unheimliche Geschöpf in der verflossenen Nacht auf demselben Hügel bemerkt hätte, wo er gleich darauf mit dem Skalpierten zusammengetroffen sei.

Der Händler lachte kurz auf. „Felsenherz, was ihr da gesehen habt, war einfach ein weißer Büffel, nichts weiter! Ich hause hier in der Llano Estacado doch bereits eine geraume Weile und habe trotzdem dieses Gespenstervieh noch niemals vor mir erblickt! Die Indianer sind abergläubisch und die Trapper nicht weniger. Sie machen aus der Mücke leicht einen Elefanten. Schweigt mir von solchem Unsinn! Wir tun besser, wieder aufzubrechen!“ –

Und abermals vier Stunden später, als die Sonne bereits untergegangen war, näherten die beiden sich einigen sehr hohen Sanddünen, über die ein einzelner zerklüfteter Granitberg hinwegragte. –

Der Händler hielt plötzlich an und sprang aus dem Sattel, entnahm einem Beutel acht tellerförmige, aus starkem Büffelleder gefertigte Unterschnallschuhe für Pferdehufe, warf vier davon Felsenherz zu und sagte: „Macht fix, junger Mann! Die etwas zugespitzte Seite kommt nach hinten.“

Als die plumpen Dinger befestigt waren, ging es weiter. Felsenherz sah, daß diese Lederteller nur eine ganz undeutliche Fährte zurückließen, die niemand als eine Pferdespur würde deuten können. –

Der Skalpierte trabte voran, lenkte in ein Dünental hinein und dann auf den von Spalten und Rissen durchzogenen, oben ganz flachen, kahlen Berg zu, dessen Höhe vielleicht hundert Meter betragen mochte. An der einen Seite dieses von gänzlich unfruchtbaren Dünen umgebenen Berges gab es einen kaum meterbreiten Vorsprung, der sich allmählich nach oben zu hinzog und bis vor eine breite Kluft führte. –

Die beiden Reiter hatten ihre Tiere am Zügel hier hinaufgeleitet und verschwanden nun in der dunklen Spalte, deren Boden ebenfalls langsam anstieg.

Der Skalpierte war wieder ein Stück voraus. Er hatte jetzt einen harzigen Ast als Fackel angezündet und beleuchtete so eine oben offene Grotte, die mindestens für fünf Pferde Raum bot. –

Dies ist die Vorhalle,“ meinte er. „Wer mir bis hierher nach–schleicht, ist noch lange nicht in meiner Behausung. Gebt acht, Felsenherz, – so macht man’s, wenn man weiter will!“ –

Er trat an die eine Wand der Aushöhlung heran und – drehte ein anderthalb Meter breites und gut zwei Meter hohes Stück des Felsens nach außen wie eine Tür. –

Felsenherz sah, daß diese so sinnreich gearbeitete Pforte innen aus roh behauenen Balken bestand und nur an der Außenseite mit flachen Steinplatten benagelt war. –

Hinter dieser Tür führte ein Felsengang ziemlich steil aufwärts und mündete in eine zweite, noch größere Grotte, die durch Holzwände in drei Räume abgeteilt war, während drei breite, ins Freie mündende Spalten dieser Felsenwohnung genügend Licht und Luft gewährten.

Die beiden Pferde wurden in dem als Stall dienenden Raum untergebracht. Als dies geschehen, zündete der Händler in seinem ‚Wohngemach‛ eine zweite Fackel an. Kaum hatte deren zuckender, roter Lichtschein sich etwas beruhigt, so daß Felsenherz die an eine Wildwestfarm erinnernde Einrichtung dieses Raumes besser überschauen konnte, – da war der Skalpierte auch schon mit einem Satz an einem schrankartigen Kasten, rief:

Ha – erbrochen! Das kann nur Hobler getan haben! Das ist dieses Elenden Dank für meine Gastfreiheit und für die Pflege, die ich ihm angedeihen ließ!“

Ihr seid also bestohlen worden?“ fragte Felsenherz erschrocken. „Hobler hatte es also wirklich auf euer Gold abgesehen!“

Der Händler antwortete nicht, holte seine Stute aus dem Stall und erklärte in seiner kurz angebundenen Art: „Wartet hier auf mich. Ich bin in zwei Stunden zurück. Da nebenan ist die Küche. Bereitet euch eine warme Mahlzeit.“

Weshalb schleppt euer Pferd den den großen Packen auch jetzt mit?“ meinte Felsenherz. „Ihr wollt doch jetzt wohl nicht Tauschgeschäfte mit den Indianern treiben, Master!“

Vielleicht doch, junger Mann! Denkt an eure Schwester! –

So – ich hab’s eilig.“ –

Er verließ die so schlau angelegte Felsenwohnung durch die schwere, mit Steinplatten benagelt Tür –

Felsenherz trat nach einer Weile in die breite, als Fenster dienende Felsspalte hinein, um, soweit dies in der Dunkelheit möglich war, einen Blick ins Freie zu werfen. So bemerkte er denn, daß vor diesem Ausblick ein Gestein sich wie ein Balkon herauswölbte.

Nun stand er auf diesem flachen Vorsprung, sah unter sich die Dünen mit ihrem im Sternenschein hell schimmernden Sand und gewahrte dann nach Osten zu eine Anzahl kleiner, roter Pünktchen. Dies konnte nur die Feuer eines großen Indianerlagers sein! –

Kein Zweifel: Dort lag der Apache-Spring! Dort befanden sich die Mescaleros, denen Hobler vielleicht nach dem gemeiner Diebstahl hier gerade in die Arme gelaufen war, falls er dort am Wasser seine Pferde hatte tränken wollen!

Und – wo Hobler war, da mußte auch das geraubte Mädchen sein! –

Felsenherz besann sich nicht lange. Die Ungeduld, sich zu überzeugen, ob seine Vermutungen zutrafen, zerrte an all seine Nerven. Er mußte dort hinüber! Die Entfernung schätzte er auf etwa eine halbe Meile. Für diese kurze Strecke brauchte er seinen Braunen nicht. Er nahm seine Büchse, riß die Fackel aus der Felsspalte, eilte hinaus, drückte die Felsplatte hinter sich zu und gelangte ins Freie. Er löschte die Fackel, legte sie auf einen Stein, um sie nachher sofort wiederzufin den, und hastete vorwärts, nur von dem einen Gedanken beseelt, womöglich seine Schwester sofort zu befreien.

 

 

6. Kapitel.

Ein Retter in der Not.

Felsenherz’ Erregung schwand, je mehr er sich dem Lager näherte. Er unterschätzte die Gefahr nicht, die ihm bei diesem Wagnis drohte. Das Lager war ja fraglos von Wachen umgeben, und seine Hauptsorge mußte sein, durch diesen Ring unbemerkt hindurchzuschleichen.

Jetzt konnte er bereits von der Kuppe eines Hügels Einzelheiten unterscheiden. –

Der Apache-Spring war tatsächlich ein vielleicht achtzig Meter breiter See, der sich von Nord nach Süd in einer Länge von zweihundert Metern hinzog. Das Ostufer war dünn bewaldet und mit Büschen bestanden, während das Westufer felsig zu sein schien. –

Die Mescaleros lagerten unter den Bäumen. Es brannten dort etwa fünfzehn riesige Feuer, ein Beweis, daß die Rothäute sich hier infolge ihrer großen Zahl ganz sicher fühlten.

Felsenherz kroch jetzt auf allen Vieren weiter. Er hatte sehr bald festgestellt, daß sich auf dem Westufer, dem er sich immer näher schob, keine Wachen befanden. –

Dann lag er hart am Wasser zwischen ein paar großen Steinen. Er vermochte nun das Lager genau zu überschauen, bemerkte auch, daß an vier schlanken Bäumen je ein Gefangener angebunden war, von denen einer ein Indianer zu sein schien. Die drei anderen waren der Lord, der lange Billy und – Fred Hobler! Wirklich Fred Hobler! –

Der junge Trapper ließ seine Büchse hier zurück, zog die hirschledernen Jacke und die Stiefel aus und kroch langsam in den See hinein, nahm noch einen kleinen, trockenen Kaktusbusch mit, den er vorher mit einigen Grasbüscheln noch undurchsichtiger gemacht hatte.

Als seine Füße den Grund verloren, drückte er den Kaktusbusch über seinen Schlapphut, so daß die Zweige und Gräser seinen Kopf verbargen und diesem das Aussehen eines zufällig auf dem Wasser treibenden Strauches gaben.

Mit kaum merklichen Schwimmstößen bewegte er sich auf eine Reihe von Büschen zu, die als einzige bis zum Wasser sich hinaberstreckten.

Glücklich gelangte er auch bis ans Ostufer, spähte nochmals umher, bevor er sich mit größter Vorsicht in die Sträucher hineindrängte, wobei er genau so, wie der alte Birth es ihn gelehrt hatte, die besonders hinderlichen Zweige mit dem Messer abschnitt. Geduldig setzte er so Zentimeter für Zentimeter seinen Weg fort. Bis zu den ersten Bäumen betrug die Entfernung vielleicht fünfzig Meter. Er brauchte gut eine Stunde, bevor er diese Strecke zurückgelegt hatte.

Nun befand er sich an der Rückwand des einzigen Lederzeltes, das die Mescaleros errichtet hatten. Vor diesem Zelt brannte ebenfalls ein Feuer.

Felsenherz hörte dort sprechen.

Da zuckte er zusammen: Das war seiner Schwester Annas Stimme gewesen! –

Und jetzt – der andere war Wattamis, der jungen Apachenhäuptling! –

Des Trappers Messerspitze glitt über das Zeltleder hinweg, schlitzte es unten auf. Dann schob er sich weiter vor, in das Zelt hinein, lauschte wieder, kroch auf das Fell zu, das den Eingang verschloß.

Jetzt verstand er, was Wattami gerade sprach:

Das weiße Mädchen ist die Schwester des jungen Jägers, dessen Faust der Steinkeule gleicht, mit der einst Wattamis Väter gegen die ersten Blaßgesichter kämpften. Felsenherz ist ein großer Krieger. Aber er ist jetzt waffenlos, irrt in der Llano umher. Er kann dich nicht befreien. Auch den Skalpierten hat Wattami weggeschickt und das Pulver und Blei zurückgewiesen.

Du wirst das Weib des Häuptlings der Mescaleros werden. Ich habe gesprochen!“

Niemals!“ rief Anna Felsen. „Niemals! Lieber den Tod!“

Das weiße Mädchen wird später anderer sprechen. –

Geh’ in dein Zelt und ruh dich aus. Morgen früh sollst du mit ansehen, wie Hobler gemartert wird – als erster! Nun – geh’!“

Felsenherz warf sich schnell zur Seite. Als der Türvorhang schon zurückgeschlagen wurde –

Und doch – des jungen Trappers eine Hand berührte noch des Mädchens Rocksaum –

Anna Felsen gewahrte die am Boden liegende Männergestalt, schrie vor Schreck auf und wollte wieder ins Freie zurücktreten.

Doch Wattamis Argwohn war erwacht. Er drängte das Mädchen beiseite, lüftete das Türfell vollständig –

Felsenherz schnellte vorwärts –

Alles hing jetzt von seiner sicheren Faust ab –

Ein furchtbarer Stoß traf Wattami vor die Herzgrube, so daß der Häuptling bewußtlos nach hinten ins Feuer flog –

Mir nach!“ flüsterte der Trapper. „Anna – ich bin’s!“

Er packte der Schwester Hand, zerrte sie in das Zelt hinein, sah noch, wie vom nächsten Feuer ein Dutzend Apachen herbeistürmten.

Hier – hier ist das Loch in der Zeltwand! Hindurch – beeil’ dich!“ keuchte er –

Zu spät –! –

Plötzlich wurde das ganze Zelt zur Seite geschleudert. Das lodernde Feuer beschien hell die Gestalten der Geschwister –

Ein riesiger Apache schwang schon das Wurfbeil –

Anna fuhr in Todesangst empor, umschlang den Bruder –

Felsenherz hörte einen dumpfen Krach – Die junge Frau glitt zu Boden – und sechs – sieben Mescaleros hingen bereits wie eine Meute Hunde an dem jungen Trapper, rissen ihm die Beine weg, brachten ihn zu Fall, preßten ihm die Arme nach hinten – zerrten ihn hoch –

Felsenherz wehrte sich nicht. Seine Augen ruhten starr auf der Schwester, in deren linker Schläfe eine indianische Streitaxt steckte. Der Wurf hatte ihm gegolten –!

Anna war für ihn gestorben –!

Alle Mescaleros eilten heran –

Ein gellendes Jubelgeschrei erhob sich. Und – gestützt auf zwei andere Rote, näherte sich nun auch der noch immer halb ohnmächtige Wattami, den das Feuer die Adlerfedern und die Skalplocke völlig verbrannt hatten.

Mit blutunterlaufenen Augen stierte er Felsenherz an. Schon fuhr seine Rechte nach dem Messer –

Hund von einem Blaßgesicht, dein Skalp wird noch diese Nacht an demselben Feuer trocknen, das mich entehrt hat!“

Seine Hand schnellte hoch, wollte zustoßen –

In demselben Moment war Felsenherz aus seiner dumpfen Betäubung erwacht –

Eine rasende Wut, ein wilder Rachedurst trieb ihm das Blut zu Kopf –

Er warf sich nach hinten; die ihn festhaltenden Roten wurden mit zu Boden gerissen –

Schon stand er wieder auf den Beinen – Die blinkende Streitaxt zuckte auch –

Doch – zum Zuschlagen kam er nicht –! Was hätte es ihm auch genützt, wenn er ein paar der Roten getötet hätte! Dieser Übermacht wäre er schließlich doch unterlegen!

Nein – ein anderes Ereignis trat ein, – etwas, das einzig und allein Felsenherz retten konnte –

Die Mescaleros zerstreuten sich mit einer Eile, als hätte eine Windsbraut sie hinweggefegt –

Der Geisterbüffel war’s, der ihnen diesen panischen Schrecken eingejagt hatte. Das riesige, leuchtende Tier war bis in die Mitte des Lagers gerannt, stand da nun still –

Felsenherz zauderte nicht eine Sekunde. Was scherte ihn der Geisterbüffel! Der Weg zum Wasser hin war frei! –

Ein Sprung, und er hob die tote Schwester empor. Dann lief er zum See hinab, schwamm mit der Leiche im linken Arm zum anderen Ufer, fand seine Büchse, eilte weiter in die Nacht hinaus, bis er die hohen Dünen vor sich erblickte.

Hier machte er halt. Der Schweiß drang ihm aus allen Poren. Er war so erschöpft, daß er die Tote in den Sand legen mußte.

Der Tomahawk steckte nicht mehr in der Wunde.

Felsenherz kniete nieder, fühlte nochmals den Puls, hielt der Schwester Hand in der seinen –

Plötzlich beugte er sich tiefer über sie. –

Ja – kein Zweifel! –

Der Puls war noch zu spüren, wenn auch ganz schwach –

Und jetzt etwas wie ein leises Stöhnen –

Sie lebt!“ rief Felsenherz – „Sie lebt –!“

Er wollte sie gerade wieder aufheben, als neben ihm ganz unerwartet die jetzt so milde, gültige Stimme des Skalpierten erklang:

Ich werde eure Schwester tragen, Felsenherz! Was zur Erhaltung ihres Lebens geschehen kann, wird geschehen. –

Ihr aber müßt aus diesem traurigen Geschehenes eine Lehre für die Zukunft ziehen, nämlich die, nie übereilt zu handeln! Hättet ihr auf meine Rückkehr gewartet, würde manches vielleicht anders gekommen sein. –

Gehen wir –“ –

Eine halbe Stunde später lag Anna Felsen mit verbundenen Kopf auf einem Fellager in der Behausung des Skalpierten. Mit stillem Staunen hatte Felsenherz beobachtet, mit welcher Geschicklichkeit der seltsame Mann die Wunde untersucht und den Verband hergestellt und angelegt hatte. Die Verletzung war zum Glück weniger schwer, als es den Anschein gehabt hatte. Der Tomahawk war von der Seite eingedrungen und hatte den Schädelknochen nur an einer Stelle verletzt. –

Sie wird gesund werden, wenn nicht gerade allzu hohes Wundfieber eintritt,“ erklärte nun die Stimme im Nebengemach. „Ein so kräftiges Mädchen stirbt nicht so leicht. –

Wir müssen jetzt überlegen, wie wir die Gefangenen befreien können, Felsenherz. Euren Dank spart euch für später.

Übrigens habe ich eure Spuren, die zum Apache-Spring und wieder zurück führten, verwischt, sonst hätten wir die Mescaleros bald hier gehabt, die bereits mit Fackeln nach euch suchen. –

Es ist jetzt Mitternacht. Vor Tagesbeginn müssen der Lord, der lange Billy und euer roter Bruder Chokariga –“

Wie – wer?! Chokariga?!“ entfuhr es dem jungen Trapper.

Ja – leider ist auch er den Apachen in die Hände gefallen, als er seinen Kriegern weit vorausritt, da er um euer Leben besorgt war. Die fünf Komanchen, die sich am Rio Mazapil von euch trennten, hatten ihm alles berichtet.

Mir gelang es, im Lager der Mescaleros mit Chokariga einige Worte zu wechseln, denn mich beargwöhnen die Roten nicht. Sie wissen, daß ich mich in ihre Händel nicht einmische. –

Also: Die drei Gefangenen müssen vor Tagesanbruch frei sein, sonst sind sie verloren. Bevor Chokarigas hundertachtzig Krieger am Apache-Spring eintreffen, – und das kann erst gegen Mittag geschehen – müßt ihr nochmals in das Mescalerolager hinein, Felsenherz! –

Hört mich an. Ich habe Wattami für die Freilassung eurer Schwester zehn Pfund Pulver und zweihundert Kugeln geboten. Er hat abgelehnt.

Ich werde nun mit meiner Aurora abermals hinüberreiten. Und ihr – kommt mit! Natürlich nicht etwa so, wie ihr geht und steht! Nun – ich will ein einziges Mal meine Unparteilichkeit aufgeben und –“

Das weitere sprach er nur flüsternd, fügte dann wieder lauter hinzu: „Eurer Schwester werde ich einen Tee von dem sogenannten Schlafgras einflößen, nach dem sie viele Stunden völlig ruhig bleiben wird. Wir können uns also von hier entfernen, ohne fürchten zu müssen, daß ihr etwas in unserer Abwesenheit zustößt.“

Felsenherz war mit allem einverstanden. –

Bevor sie dann aufbrachen, sagte der junge Trapper noch:

Wißt ihr auch, daß der Geisterbüffel es war, der mir die Flucht ermöglichte? Wäre er nicht erschienen, dann –“

Ich weiß es,“ nickte der Skalpierte achselzuckend. „Aber – es war ein gewöhnlicher weißer Büffel, nichts weiter! Ein bloßer Zufall, daß er sich in das Lager verirrte! –

Vorwärts – es ist die höchste Zeit für uns –!“

 

 

7. Kapitel.

Abschied für immer.

Die Mescaleros hatten die Verfolgung des Flüchtlings, der auch seine Schwester mitgenommen hatte, sehr bald aufgeben müssen. Gegen ein Uhr morgens herrschte in ihrem Lager völlige Ruhe. Nur die zahlreichen Wachen umkreisten es beständig, und vor jedem der vier Gefangenen saß noch ein besonderer Wächter.

Dann näherte sich der Linie der wachenden Krieger ein einzelner Weißer, der ein hochbeladenes Parkpferd am Zügel führte. Es war der Indianerhändler – der Skalpierte.

Die Wachen ließen ihn ohne weiteres passieren. Er schritt bis mitten in das Lager hinein, band sein Pferd an einen Baum, der hinter den vier Pfählen stand, an die die Gefangenen aufrecht gefesselt waren. Dann begab er sich zu dem Zelt des Häuptlings Wattami, wo dieser mit Wasser seine schweren Brandwunden kühlte. Vor dem Zelt flackerte ein kleines Feuer.

Der Skalpierte setzte sich neben den Häuptling und sagte in seiner kurzen Art: „Wattami mag mir die Behandlung seiner Wunden überlassen.“ –

Er holte eine Flasche hervor, rieb mit deren Inhalt die zerstörten Hautstellen ein und fragte dann: „Spürt der Häuptling der Mescaleros bereits Linderung?“

Wattami bejahte. –

So,“ meinte der Skalpierte, „dann mag Wattami diese andere Flasche hier sofort halb austrinken, sich dann auf sein Lager ausstrecken und schlafen. –

Das weiße Mädchen ist entflohen, erzählte mir einer der Wachtposten. Ich hätte Wattami für sie auch zwanzig Pfund Pulver gegeben. Wenn Wattami sie wieder ergreift, biete ich –“

Der Mescalero unterbrach ihn haßerfüllt: „Die drei Bleichgesichter und der Hund von Athabaske sterben heute morgen am Marterpfahl! Auch Felsenherz und seine Schwester werden bald um ihr Leben winseln! Unser Freund wird das Mädchen niemals loskaufen können. –

Ich habe gesprochen!“

Gut, Wattami. Dann verzichte ich. Du erlaubst doch, daß ich bis zum Morgengrauen hier bleibe –“

Der Skalpierte ist den Mescaleros stets willkommen,“ erklärte der Apachenhäuptling und verschwand in seinem Zelt –

Die Stute Aurora knabberte die Blätter von den nächsten Büschen ab. Den großen Packen hatte ihr Herr ihr abgenommen und auf die Erde gelegt.

Etwa zehn Minuten nach dem kurzen Gespräch zwischen Wattami und dem Indianerhändler begann die Lederumhüllung des Packens sich an einer Seite zu bewegen. Dann schoben sich der Kopf und der Oberleib eines Mannes heraus, der in der Rechten ein Jagdmesser hielt. Er ahmte das Zirpen einer Grille nach – fünf mal –, worauf der Komanchenhäuptling, der gefesselt am nächsten Baum stand, den Kopf fünfmal nach vorn neigte.

Der Wächter Chokarigas starrte schlaftrunken in das Feuer. –

Felsenherz schob sich noch weiter vor. Sein Messer glitt über die Riemen, die den Komanchen hielten.

Jetzt schlenderte der Skalpierte herbei, setzte sich zu des langen Billys Wächter und nahm eine Flasche aus der Tasche, tat, als wollte er trinken, reichte die Flasche dann aber den Mescalero und sagte:

Mein Bruder mag das Feuerwasser mit den drei anderen Wächtern teilen.“

Der Rote tat einen Schluck, ging zum nächsten Apachen, zum dritten und vierten und kehrte mit der leeren Flasche zu dem Händler zurück.

Die vier Wächter ahnten nicht, daß dem so heiß begehrten Feuerwasser ein Schlafmittel beigemengt war. –

Einer nach dem anderen sank zur Seite, blieb regungslos liegen.

Der Skalpierte erhob sich, schnürte den Packen wieder auf seine Stute, nahm sie am Zügel und verließ das Lager.

Felsenherz hatte inzwischen auch den Lord und Billy losgeschnitten. Jetzt huschte Chokariga zu seinem Wächter hin, nahm ihm die Büchse und den Tomahawk ab und trat vor Hobler hin, – den einzigen, der noch gebunden war.

Das Blaßgesicht soll gleichfalls frei sein!“ flüsterte der Komanchen und zerschnitt Hoblers Riemen.

Hobler wollte sofort in den Büschen verschwinden, hatte aber erst einen Schritt vorwärts gemacht, als Chokariga die Streitaxt mit furchtbarer Wucht auf des roten Hobler Schädel niedersausen ließ –

Die Befreiten und Felsenherz krochen zum Seeufer hinab und schwammen zum Westufer hinüber.

Der junge Komanchenhäuptling richtete sich auf, deutete nach Westen und sagte zu Felsenherz: „Mein Bruder wird sehr bald das Kriegsgeschrei der Komanchen hören! Chokariga hat dem skalpierten Mann nicht alles anvertraut. Eine zweite Abteilung meiner Krieger hielt sich westlich von mir, als ich von den stinkenden Kröten der Apachen mich gefangen nehmen ließ.

Ich wollte meinen Bruder Felsenherz schnell befreien. Die Mescaleros sind blind. Chokariga hatte im Ärmel seines Jagdhemdes ein zweites Messer verborgen.

Am Morgen werden die Apachen umzingelt sein.“

Aus dem Dunkel tauchte jetzt die Gestalt des Geheimnisvollen auf.

Chokariga hat seine Krieger bereits in der Nähe, wie ich soeben bemerkt habe,“ erklärte er sehr bestimmt und fast befehlend. „Es soll jedoch kein Blutvergießen geben zwischen den Komanchen und den Apachen. Nur die Mörder der Familie Felsen sollen ihre Strafe erhalten

Chokariga wird die Mescaleros umzingelt lassen und die Auslieferung der Mörder verlangen – weiter nichts! Ihr seid alle Kindern Manitus, und ihr sollt in Frieden miteinander leben!“

Der Komanchenhäuptling schüttelte den Kopf.

Der Skalpierte wagt eine kühne Sprache! Chokariga wird tun, was ihm gut scheint!“

Da reckte der Indianerhändler sich höher und erwiderte in demselben gebieterischen Ton:

Chokariga wird schweigen, wenn der Geisterbüffel erscheint! Wartet hier!“ –

Er verschwand wieder –

Drüben im Lager war es jetzt lebendig geworden. Ein wildes Geheul erscholl: Die Flucht der Gefangenen war bemerkt worden –! –

Die vier Männer blickten nach dem Lager hinüber, dessen Feuer neu angefacht worden waren –

Nach kaum fünf Minuten abermals das gellende Geschrei der Mescaleros –

Und jetzt tauchte dort, hell beschienen von den flackernden Feuern – der Geisterbüffel auf, stand eine Weile still und rannte weiter, bis die Büsche ihn den Augen wieder entzogen –

Dann tauchte er wiederum auf, trabte um den See, kam auf Felsenherz und dessen Gefährten zu –

Mit einem Mal flog das leuchtende, mit einer Phosphorlösung ein–geriebene Büffelfell samt dem Schädel zur Seite, und auf dem Rücken seiner Stute richtete sich der Skalpierte auf, rief:

Der Geisterbüffel wird nie mehr gesehen werden! Ich bin Edward Barnley, und diese Maskerade diente mir dazu, jeden Neugierigen von meiner Behausung fernzuhalten!“

Er sprang aus dem Sattel – Die Brüder Barnley lagen sich in den Armen –

Die Mescaleros waren durch den Geisterbüffel gewarnt worden und entflohen nach Süden zu. Chokariga umzingelte sie jedoch zwei Tage später in einem Kanon und erzwang die Auslieferung der Mörder der Familie Felsen, zu denen auch Wattami gehörte, der dann im Zweikampf mit dem Komanchenhäuptling fiel. Die anderen der Mörder wurden erschossen –

Drei Wochen später war Anna Felsen völlig wiederhergestellt. Lord Robert Barnley nahm sie mit nach Europa zu ihren dortigen Verwandten zurück.

Der Tag, an dem die Reisenden in Galveston sich für immer von Felsenherz, Chokariga, dem langen Billy und Edward Barnley, der ebenfalls als Trapper im Westen sein Leben zu beschließen gedachte, verabschiedeten, war für Felsenherz ein besonders schmerzlicher. Er wußte, daß er seine Schwester nie wieder sehen würde; er hatte die Prärien lieben gelernt, vermochte sich ebensowenig von der Wildnis und dem abenteuerlichen Leben loszusagen wie der Skalpierte –

Der langen Billy, Chokariga, Barnley und Felsenherz wurden dann auf ihrem Rückweg nach der Llano Estacado gegen ihren Willen mit in den Krieg hineingezogen, den die Texaner damals gerade gegen Mexiko zur Erreichung ihrer Unabhängigkeit begannen und bei dem die verschiedenen Indianerstämme auf jeder Seite als Hilfstruppen mitfochten.

 

 

Nächster Band:

Der Kundschafter von Fort Kavett.

 

 

Fußnoten:

1 Athabasken – die Komanchen gehören zur Nation der Athabasken

2 Philosophie

3 Spring = Quelle