Sie sind hier

Der König von Wara

Der König von Wara.

 

Erzählung von Walther Kabel.

 

 

1. Kapitel

Das in Paris an der Ecke der Rue de Rivoli und des Boulevard de Sebastopol inmitten eines uralten Parkes gelegene Haus des Nobilité-Klubs gehört vielleicht zu den eigenartigsten Bauwerken der Hauptstadt der Französischen Republik. Der Künstler, der das in der Mitte des vorigen Jahrhunderts vollendete Gebäude entworfen hat, muß ein ebenso begeisterter wie talentvoller Anhänger der arabischen Architektur gewesen sein. Denn eine so vollkommene Nachahmung einer Moschee mit ihren Kuppeln, schlanken Minaretts und graziösen Bogenformen der Fenster und Türöffnungen zu schaffen und in ihr die gewünschten größeren und kleineren Räumlichkeiten zweckentsprechend unterzubringen, bot zweifellos Schwierigkeiten, die nicht leicht zu überwinden waren. Aber das Problem ist in glücklichster Weise gelöst worden, und noch heute staunen die von einem besonders kunstverständigen Führer aufmerksam gemachten Fremden dieses in seinen äußeren Umrissen lebhaft an die Moschee von Cordoba erinnernde und hinter hochragenden Pappeln und weitästigen Kastanien halbverborgene Klubhaus bewundernd an, da es neben den modernen Großstadtpalästen in seiner weltabgeschiedenen Stille tatsächlich wie ein Märchen aus Tausend und eine Nacht wirkt. Und wenn dann vielleicht derselbe Führer seinem Hörerkreise noch von der prunkvollen Inneneinrichtung mit der kostbaren Gemäldesammlung und auch von den wenigen Auserwählten erzählt, denen ihre Millionen den Luxus dieses zweiten Heims gestatten, mag bei manchen wohl der Wunsch rege werden, all diese Herrlichkeit einmal in der Nähe zu schauen. Doch die schweren, mit maurischer Schmiedearbeit ausgeschlagenen Flügeltüren des arkadenartig gebauten Vorraums öffnen sich nur den Mitgliedern, zu denen hauptsächlich die Träger der Namen berühmter französischer Adelsgeschlechter sowie die jüngeren Attachés der fremdländischen Gesandtschaften und einige hervorragende Künstler und Gelehrte gehören.

Der Nobilité-Klub wurde im Jahre 1848, als nach der Februarrevolution die provisorische Regierung in Frankreich die Abschaffung aller früheren Adelstitel anordnete von dem Grafen d’Auvergne und mehreren Standesgenossen sozusagen als öffentlichen Protest gegen diese von republikanischer Seite veranlaßte Vergewaltigung ihrer jahrhundertealten Namen gegründet. Damit hatte diese Vereinigung zunächst auch politische Bedeutung, die aber bald, da die Zeit die Gegensätze immer mehr verwischte und jenes Dekret nichts als eine bloße Form blieb, vollkommen schwand, und als deren letzter Rest heute nur noch die Ausschließung der bürgerlichen Elemente nach Möglichkeit durchgeführt wird. –

Über das Leben und Treiben innerhalb der Klubräume waren früher die sonderbarsten Gerüchte im Umlauf. Man sprach von geheimnisvollen Aufnahmezeremonien, verborgenen, unter der Erde liegenden Sälen, in denen bacchantische Orgien gefeiert wurde, von Bedienten, die sich durch einen furchtbaren Eid zu ewigem Schweigen verpflichten mußten – kurz, die Exklusivität des Klubs und das lächelnde Schweigen seiner Mitglieder gegenüber etwaigen Fragen gab der phantasievollen Frau Fama reichlich Stoff zu solchen Übertreibungen, bis eines Tages die Pariser Zeitungen ihren Lesern in spaltenlangen Artikeln die Wahrheit über den Nobilité-Klub und seine Geheimnisse verraten konnten. Und dies geschah bei Gelegenheit einer Untersuchung, die im Sommer des Jahres 1905 das Kriminalgericht der französischen Hauptstadt beschäftigte und wieder einmal zeigte, daß das moderne internationale Hochstaplertum durch immer neue Tricks selbst die bestverwahrtesten Geldschränke auch ohne Anwendung von Brechstange, Stahlbohrer und Sauerstoffgebläse zu öffnen weiß. –

Vergebens hat der damalige Präsident des Klubs Vikomte de Tisserant, seinen ganzen Einfluß aufgeboten, um gewisse Vorgänge, die sich in der Nacht vom 30. zum 31. Mai in dem Nobilité-Klub abspielten und dann mit der Gegenstand jener Untersuchung wurden, möglichst zu vertuschen, da diese nur zu sehr geeignet schienen, den schadenfrohen Spott der sensationslüsternen Pariser herauszufordern. Und daß der Verüber des genialen Streiches trotz des Aufgebots eines ganzen Heeres von Detektivs nicht entdeckt wurde, man vielmehr erst nach Jahren in die Lage kam, einen bestimmteren Verdacht gegen eine der bekanntesten Koryphäen der vornehmsten Gaunerzunft zu fassen, kann das Interesse an der Geschichte des ‚Königs von Wara‘ nicht abschwächen, zumal selbst die deutschen Tagesblätter seiner Zeit jenen großen Diebstahl mit allen Einzelheiten erwähnten.

*

In dem von der mächtigen Hauptkuppel überwölbten Festsaale des Hauses des Nobilité-Klubs tagte am Abend des 30. Mai die satzungsgemäße Monatsversammlung. Der große, ganz in Hellblau und Gold gehaltene Raum war durch die unter farbigen Glocken aufleuchtenden Glühbirnen in ein gedämpftes Licht getaucht, das sich in matten Reflexen auf den breiten Goldrahmen der ein den Wänden hängenden alten Gemälde widerspiegelte und den Gesichtern der Anwesenden den warmen Fleischton der Tizian’schen Engelsköpfe verlieh. –

Ungefähr dreißig Herren saßen um den hufeisenförmig gestellten schweren Eichentisch in bequemen Polsterstühlen und folgten meist etwas gelangweilt den geschäftlichen Erörterungen. Soeben hatte der Schatzmeister Graf d’Auberville für das verflossene Jahr Rechnung gelegt und bei dieser Gelegenheit mitgeteilt, daß das Klubvermögen nunmehr durch verschiedene Zuwendungen bis auf rund zwei Millionen gestiegen sei. Vor ihm auf dem grünen Bezug des Tisches stand eine offene Kassette, die mit Geldrollen und Banknotenpäckchen bis oben gefüllt war. Nachdem dann der Präsident die darin enthaltenen Beträge durchgezählt hatte, ließ er seine Glocke ertönen und die Verhandlungen nahmen ihren Fortgang. Sein Auftrag, die bereitgestellte Summe von fünfzigtausend Francs zur Tilgung einer noch auf dem Gebäude lastenden Hypothekenschuld zu verwenden, wurde einstimmig angenommen und darauf zum letzten Punkt der Tagesordnung, der Aufnahme eines neuen Mitgliedes übergegangen. –

Als sich der Vikomte jetzt nach Gegenzeichnung der Kassenbücher von seinem Platze erhob, richteten sich die einzelnen Herren doch etwas interessierter auf. Man hatte schon manches von diesem russischen Krösus gehört, dessen Aufnahmegesuch heute erledigt werden sollte, und war daher gespannt, wie die Auskunft über ihn lauten würde.

Graf Viktor Elbendorf,“ begann der Vikomte, nachdem er einer Mappe mehrere Papiere entnommen und zur Durchsicht weitergereicht hatte, „entstammt einem der ältesten und reichsten Adelsgeschlechter Kurlands und ist uns von Petersburg aus aufs Beste empfohlen worden. Der Graf hat sich schon vor mehreren Wochen schriftlich an mich gewendet, den Tag seiner Ankunft angemeldet und um Einführung in unseren Kreis gebeten. Vor drei Tagen erhielt ich dann ein Telegramm aus Berlin, daß seine Reise sich infolge einer plötzlichen Erkrankung verzögert habe und er mir daher erst später wie angekündigt, seinen Besuch abstatten könne. Trotz dieser Nachricht ließ er sich bereits gestern Vormittag bei mir melden. Ich hatte nach dem Inhalt der Depesche erst nach einer Woche auf seine Ankunft gerechnet, freue mich aber aufrichtig, daß seine Indisposition sich so schnell gebessert und ihm die Weiterfahrt gestattet hat, da man selten die Bekanntschaft eines so liebenswürdigen und trotz seines gemessenen Auftretens durchaus bescheidenen jungen Aristokraten machen kann. Graf Elbendorf steht jetzt im sechsundzwanzigsten Lebensjahr und ist, wie die Herren sich bald selbst überzeugen werden, ein ebenso feingebildeter wie geistreicher Gesellschafter, der mit seinen dunklen, melancholischen Augen wahrscheinlich noch manches Unheil bei unserem schönen Geschlecht anrichten wird. Ich selbst kann sein Aufnahmegesuch nur unterstützen, nicht nur auf Grund seiner Empfehlungen, sondern auch infolge des vorzüglichen Eindrucks, den er als mein vorläufiger Gast schon während unseres kurzen Beisammenseins auf mich gemacht hat. Er besitzt hier in Paris keine Bekannten und hat mich daher ersucht, seine Aufnahme in den Klub möglichst zu beschleunigen. Da irgendwelche Bedenken kaum vorzubringen sind, bitte ich sofort zur Abstimmung zu schreiten. Und ich hoffe dem jungen Kurländer, den ich für den heutigen Abend eingeladen habe und der mich wahrscheinlich schon unten im Lesezimmer erwartet, bald mitteilen zu können, daß er der Ehre der Mitgliedschaft für würdig befunden ist.“

Der Vikomte schloß diese kurze Rede mit einer Verbeugung und ließ dann, da sich niemand weiter zu Wort meldete, an jeden der Herren eine weiße und schwarze kleine Elfenbeinkugel verteilen und die silberne Urne herumgehen. Mit klingendem Ton fielen die Kugeln hinein. Und nicht eine schwarze fand sich darunter. – – –

Wenige Minuten später öffnete ein alter Diener, der die zur Zeit Ludwigs des XIV. übliche reichgestickte Livree mit Wadenstrümpfen und Schnallenschuhen trug, die Türen des Saales und ließ den jungen Grafen eintreten. Der Präsident ging Elbendorf höflich entgegen, stellte ihn den einzelnen Herren vor und vereidigte ihn nach kurzer Ansprache durch Handschlag auf die Statuten. Inzwischen hatte man Zeit, den neuen Klubgenossen prüfend zu mustern. Der Kurländer war von schlanker, mittelgroßer Figur, die in dem tadellos sitzenden Frackanzug noch vorteilhafter zur Geltung kam. Seine geschmeidigen Bewegungen und das frische Gesicht mit dem kleinen, aufgedrehten Schnurrbärtchen wirkten sehr jugendlich, während das sichere Auftreten und die vornehme Ruhe und Gewandtheit, mit der er jetzt in fließendem Französisch seinen Dank für die Aufnahme in den Nobilité-Klub ausdrückte, eine erprobte gesellschaftliche Schulung verriet. Als er in herzlichem Tone von der aufrichtigen Freude sprach, die er bereits gestern infolge der liebenswürdigen Gastfreundschaft des Vikomte de Tisserant empfunden habe, und dann weiter betonte, wie wohltuend er, der Fremdling, durch das Entgegenkommen seiner Standesgenossen berührt sei, das hier in Paris eine zweite Heimat erschlossen habe, da hatte er sich schnell die vollsten Sympathien dieses auserlesenen Kreises erworben, in dem der Wert des Einzelnen nur zu sehr nach dem oberflächlichsten äußeren Eindruck bemessen wurde. Niemanden war es aufgefallen, daß die halbverschleierten Blicke des jungen Kurländers ganz unauffällig immer wieder die Anwesenden prüfend überflogen und jetzt nur einen Moment auf der Kassette haften blieben, deren Deckel Graf d’Auberville soeben über den fünfzigtausend Francs zuklappte.

Als der Präsident darauf die Sitzung aufhob und die Herren sich in die unteren Klubräume zerstreuten, um den Rest des Abends je nach Neigung am Spieltisch, in der reichhaltigen Bibliothek oder einem der mit raffiniertestem orientalischen Luxus ausgestatteten Salons zuzubringen, schloß Elbendorf sich dem Vikomte an, der zunächst noch mit dem Schatzmeister die Geschäftsbücher und die Kassette in dem Geldschrank des Vorstandszimmers verwahren und einige notwendige Anordnungen treffen wollte.

Lieber Graf, Sie müssen mich einen Augenblick entschuldigen,“ meinte Tisserant, als sie die mit dicken Läufern belegten Marmortreppen hinabstiegen und das neben der Bibliothek liegende Vorstandszimmer betraten. „Nehmen Sie doch Platz. – Ich möchte Sie nachher gern einmal durch unseren Besitz führen, Ihnen auch die in der oberen Galerie untergebrachte Gemälde- und Waffensammlung zeigen. Falls Sie irgend eine Erfrischung wünschen, brauchen Sie nur zu läuten.“

Elbendorf begnügte sich mit einer Zigarette, die er auf dem Rauchtischchen fand, setzte sich in einen der breiten rotledernen Klubsessel und begann in einer Zeitung zu blättern, während Graf d’Auberville sich an dem großen, in die Wand eingelassenen Panzerschrank zu schaffen machte und der Vikomte an seinem Schreibtisch mehrere Briefsachen durchsah. Als das Kunstschloß jetzt mit klingendem Ton aufschnappte und die schwere Tür des Geldspindes sich geräuschlos öffnete, ließ der Kurländer die Zeitung sinken, erhob sich langsam und schien nach einem Zündholz für seine ausgegangene Zigarette zu suchen. Dabei entging ihm aber keine Bewegung d’Aubervilles, der gerade die Kassette in eines der oberen Fächer des Schrankes hineinstellte.

Tisserant schaute jetzt von seinen Papieren auf, bot Elbendorf Feuer an und sagte lächelnd:

Sie langweilen sich, Graf, nicht wahr? – Diese Kontorumgebung soll Sie aber nicht länger festhalten. Ich bin sofort mit meiner – kaufmännischen Tätigkeit fertig und kann mich Ihnen dann vollständig widmen.“

Langweilen? – Nicht im Geringsten,“ meinte Elbendorf verbindlich und kehrte auf seinen Platz zurück. „Ich habe hier soeben zufällig einen recht interessanten Artikel entdeckt, der wieder einmal zeigt, daß heutzutage für Geld alles zu haben ist, selbst ein – Königsthron! – Doch – davon später. Ich möchte die Herren nicht stören.“ –

Und er vertiefte sich wieder in die Lektüre des Matin1, ohne sich anscheinend weiter um die beiden Vorstandsmitglieder zu kümmern, die jetzt leise einige Klubangelegenheiten besprachen. Als dann aber Graf d’Auberville den Kassenschrank schließen wollte und auch der Vikomte mit einem Seufzer der Erleichterung das Tintenfaß zuklappte und die auf dem Schreibtisch stehende elektrische Lampe ausdrehte, rollte Elbendorf die Zeitung schnell zusammen und sagte aufstehend:

Die Herren würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir gestatten wollten, einen Teil des Inhalts meiner Brieftasche hier zu deponieren. Ich trage eine ziemlich bedeutende Summe bei mir und habe bisher noch nicht Gelegenheit gehabt meinen Bankier aufzusuchen.“ –

Damit zog er aus der inneren Tasche seiner Frackweste ein Portefeuille heraus und entnahm ihm mehrere Banknoten, die er nachlässig durchzählte und dann zusammenfaltete.

Tisserant hatte nur mit einem kurzen ‚Aber bitte, lieber Graf‘ geantwortet und reichte ihm jetzt einen einfachen gelben Umschlag, in den der junge Kurländer die Scheine hineinschob. Dann wollte Elbendorf mit einem Bleistift, den er an einer dünnen goldenen Kette zusammen mit Zigarrenabschneider, Messerchen und einer runden Geldkapsel trug, seinen Namen auf das Kuvert schreiben, ohne es vorher irgend wie zu schließen. Aber d’Auberville erhob wie abwehrend seine wohlgepflegte weiße Hand und meinte lächelnd: „Verzeihung – auch hierbei müssen wir uns an die Klubsitte halten, Graf Elbendorf. Es kommt bei uns häufiger vor, besonders nach etwas – lebhaften Spielabenden, daß unsere Herren für kurze Zeit größere Beträge hier aufbewahren lassen. Dies geschieht aber nur gegen Empfangsbescheinigung und Übergabe eines versiegelten Umschlags, auf dem die Summe und der Name vermerkt sind.“

Wozu die Umstände,“ lachte der Kurländer ohne jede Spur von übertriebener Sorglosigkeit. „Aber – wenn’s nicht anders geht!“ –

Und bereitwillig verschloß er den Umschlag und fügte die gewünschte Aufschrift hinzu. –

Inzwischen stellte ihm der Schatzmeister eine kurze Empfangsbestätigung aus und warf dann, nachdem er das Kuvert in das unterste Fach gelegt hatte, die schwere Panzertür zu. Und mit hellem Klang schnappten die Riegel ein.

Elbendorf war vor dem mächtigen Geldspind stehen geblieben und schaute es sich jetzt nachdenklich an. Dann sagte er kopfschüttelnd, wobei über sein jugendliches Gesicht ein Ausdruck naiver Bewunderung flog:

Ich habe mir schon manchmal überlegt, wie die Herren Einbrecher es nur fertig bekommen, dieses Gefüge aus härtestem Stahl zu sprengen. Bei mir daheim steht in unserem Verwaltungsgebäude auch so ein eisernes Ungetüm, allerdings eine andere Konstruktion, und daran hatten einmal ein Paar Spitzbuben – es müssen die reinsten Dilettanten gewesen sein – in einer Nacht ihre Kunst ganz erfolglos versucht, wie wir an den Spuren der angesetzten Stemmeisen nachher sehen konnten. Sie erreichten nichts weiter – als einige Jahre Einzelhaft in dem Zuchthaus in Riga, da sie beim Herausklettern aus dem vorher eingedrückten Fenster von unserem Wächter und seinen großen Doggen gestellt wurden.“

Graf d’Auberville tauschte mit dem Vikomte einen schnellen Blick, der nur der ehrlichen Harmlosigkeit des jungen Kurländers galt. Dann meinte der letztere, indem er mit dem Zeigefinger gegen die Wand des Schrankes klopfte:

Lieber Graf, in diesem Behälter sind ihre Banknoten mehr wie gut verwahrt! Wer nicht im Besitze des passenden Schlüssels ist, dürfte tagelang arbeiten, um diese aus Eisen, Kupfer und Stahl zusammengeschweißten Platten ‚aufzuknacken‘. Und bekanntlich liefern die Fabriken nur immer zwei Schlüssel dem Käufer eines Geldschrankes aus, während ein dritter unter besonderen Vorsichtsmaßregeln in den Händen des Fabrikanten verbleibt und nur bei gehörigem Ausweis zu erlangen ist. Und diese beiden Schlüssel sind bei d’Auberville und mir jedenfalls vollkommen sicher. Ich wüßte wenigstens nicht, wie man mir mein Schlüsselbund, das ich stets bei mir trage und das nachts unter meinem Kopfkissen liegt, so leicht rauben wollte.“

Elbendorf lächelte etwas verlegen.

Herr Vikomte, ich habe dieses Thema wahrhaftig nicht angeschnitten, weil ich um mein Geld irgend wie besorgt bin, wirklich nicht! Ich interessiere mich nur im allgemeinen für Kriminalistik, besonders eben für diesen ewigen Krieg zwischen den besitzenden Klassen und jenen genialen Bösewichtern, die diesen Kampf mit Ausnutzung der besten technischen Erfindungen immer aufs neue beginnen. –

Es steckt doch eine ganze Menge Romantik in dem modernen Verbrechertum, das ist nicht abzuleugnen,“ fügte er sinnend hinzu. Aber die beiden französischen Aristokraten merkten nichts von dem überlegenen Spott, der so fein durch die letzten Worte klang. –

Eine Romantik, die meist hinter Kerkermauern in traurigste Wirklichkeit umschlägt,“ spann Tisserant den Gedanken weiter aus. –

Aber wir wollen uns doch nicht mit den Schattenseiten des Daseins beschäftigen, meine Herren,“ fuhr er schnell ablenkend fort. „Vielleicht können wir jetzt endlich den für Sie sicherlich recht interessanten Rundgang durch unser Haus beginnen, Graf Elbendorf. Der mit geschäftlichen Sorgen überladene Präsident des Nobilité-Klubs bleibt stets in diesem verwitterten Raume zurück! Da draußen bin ich nur der – ‚tolle Vikomte‘, wie mich die Pariser Skandalblätter zu titulieren pflegen. Und der wird Sie jetzt in die – wenigen Geheimnisse dieser Räume einweihen, auf deren Kenntnis Sie als Mitglied ja ein statutenmäßiges Recht besitzen.“

d’Auberville schloß sich den beiden nicht an, sondern blieb in einem der Spielzimmer zurück, wo seine Whist-Partner ihn schon sehnsüchtig erwarteten. Nachdem der Vikomte dann den jungen Kurländer durch die Zimmerfluchten der beiden Etagen geführt und ihn auch auf manches seltene Stück der Einrichtung aufmerksam gemacht hatte, wobei Elbendorf eine ungewöhnliche Kenntnis der antiken Kunstgewerbe verriet, betraten sie wieder die Bibliothek, in der sich zur Zeit niemand aufhielt. Tisserant drehte das Licht der beiden Kronleuchter an, verschloß die beiden Türen und wandte sich darauf seinem Begleiter zu, der diesem Beginnen etwas erstaunt zugesehen hatte.

Ich muß Ihnen jetzt, lieber Graf,“ begann der Vikomte mit unterdrückter Stimme, „einiges aus der Geschichte unseres Klubs erzählen, damit Sie begreifen, aus welchen Gründen die Erbauer dieses Hauses auf die etwas romantisch anmutende Idee gekommen sind, außer den eigentlichen Klubräumen noch andere Gemächer herstellen zu lassen, die von Unkundigen kaum aufgefunden werden können. Unsere Vereinigung wurde, wie Ihnen wohl bekannt ist, im Jahre 1848 gegründet und war seiner Zeit ein Sammelpunkt für jene altadligen Familien Frankreichs, die sich mit der Neugestaltung der Verhältnisse ihres Vaterlandes nicht einverstanden erklären wollten. Da man nun bei der Unsicherheit in unserem politischen Leben mit der Wiederkehr ähnlicher Schreckenszeiten, wie sie die große Revolution schuf, rechnen zu müssen glaubte, so sollten die Angehörigen des Klubs für Tage der Not in diesem Gebäudes eine sichere Zufluchtsstätte finden. Und das Vorhandensein der zu diesem Zweck geschaffenen Räume ist bis heute ein sorgfältig bewahrtes Geheimnis geblieben. Nur unseren Mitgliedern, die sich ja durch Abgabe ihres Ehrenwortes gemäß Absatz 5 unseres Statuts zum Stillschweigen über alle internen Angelegenheiten verpflichtet haben, werden die unterirdischen Gemächer, in die ich auch Sie jetzt führen will, gezeigt.“

Der Vikomte trat darauf an den breiten, fast ein Drittel der Rückwand des Zimmers einnehmenden Kamin heran und drehte eine der starken Flügelschrauben, mit denen die eiserne Gittertür und ihre Umrahmung an die marmorne Vorderseite befestigt zu sein schien, zwei Mal langsam nach rechts und ein Mal nach links herum, worauf sich der ganze eiserne Türteil geräuschlos zurückbewegte und gleichzeitig der Boden des Kamins versank, so daß man, wenn auch in gebückter Haltung, die jetzt sichtbare schmale Wendeltreppe erreichen konnte. Nachdem Tisserant noch schnell ein Licht angezündet hatte, ging er voraus. Nach vielleicht zwanzig Stufen hörte die Treppe auf, und so viel sich Elbendorf auch bei dem ungewissen Kerzenschein nach einer verborgenen Tür umsah, – er erblickte nichts als die gleichmäßig aneinander gefügten Mauersteine der Wände und den mit achteckigen Fliesen ausgelegten Boden des engen Schachtes. Doch der Vikomte hob schon ohne Anstrengung das untere Ende der Treppe, das sich wie eine Schiebeleiter nach oben übereinanderlegte, und damit zugleich eine der Fliesen in die Höhe, wodurch die Fortsetzung der Treppe sichtbar wurde, die er darauf wortlos hinabstieg. –

Eine dumpfe, feuchte Grabesluft erfüllte das weite Gemach, in dem die beiden jetzt standen. Das flackernde Licht ließ lange, gespenstische Schatten über die verschossenen Möbel und verschimmelten Tapeten dieses Raumes hinlaufen, an den sich noch zwei ebenso eingerichtete Zimmer anreihten.

Wir befinden uns hier,“ sagte Tisserant erklärend, „drei Meter unter dem hinteren Teil des Parkes. Über diesem Gemach stehen zum Beispiel die beiden alten Kastanienbäume, von denen unser Gartenpavillon beschattet wird. –

Doch das Wichtigste dieses sinnreich angelegten Verstecks sind die beiden weiteren Ausgänge, von denen der eine in den Pavillon, der andere in die Grabgewölbe der nahen Kirche St. Merry einmündet. Sehen Sie, Graf, hier diese Rosette an dem Wandspiegel braucht man nur zu drehen, und er läßt sich wie eine Tür nach außen öffnen.“

Mit leisem Knirschen funktionierte der Mechanismus. Der Vikomte hielt den Leuchter in die Höhe, so das Elbendorf den Anfang des gemauerten Ganges und eine in einer Ausbuchtung stehende eiserne Leiter übersehen konnte.

Dieser Gang,“ fuhr Tisserant hastig fort, als ob ihm daran lag, diese Räume möglichst schnell zu verlassen, „endet unter einem Sarkophag, der einst die Gebeine des Großvaters des Begründers unseres Klubs enthielt, jenes Grafen Hugo d’Auvergne, mit dessen Namen die glänzendste Periode der Geschichte meines Vaterlandes verknüpft ist. Der Boden dieses aus kararischem Marmor gefertigten Sarges, dessen Deckel leider als eine der besten Arbeiten des berühmten Bildhauers Baptiste Pigalle den Sammlungen des Louvre einverleibt ist, läßt sich in derselben Weise wie dieser Spiegel zurückschieben. Auch dort finden sich ähnliche Rosetten, und ebenso gelangt man von jener Leiter aus durch eine bewegliche Bodenplatte des Pavillons ins Freie. –

Eine Promenade nach den Gewölben der Kirche, die der verdorbenen Luft wegen – der Gang ist seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden – nicht einmal ganz ungefährlich sein dürfte, können wir uns wohl schenken. –

Mir wenigstens fällt schon dieser Moderduft recht unangenehm auf die Nerven,“ fügte Tisserant leicht zusammenschauernd hinzu und ließ den Wandspiegel wieder vor die Maueröffnung gleiten.

Der junge Kurländer starrte gedankenverloren vor sich hin und schien die letzten Worte ganz überhört zu haben. Und ebenso nachdenklich folgte er dann seinem Begleiter zurück in die Bibliothek

 

 

2. Kapitel

Etwa zwei Stunden später betrat Baron Wartensleben, der als Attaché der dänischen Gesandtschaft angehörte, ganz aufgeregt das Spielzimmer, in dem Graf d’Auberville bei seiner Partie Whist saß.

Wie, meine Herren,“ rief der blonde Däne lebhaft, „Sie hier bei den Karten, während im blauen Salon soeben eine Wette abgeschlossen wird, wie sie toller und phantastischer kaum zu ersinnen ist! –

Denken Sie nur, unser schwarzäugiger Kurländer will in sechs Monaten nichts anderes als der Inhaber eines – Königsthrons in Afrika sein!“

Der Baron warf sich nach dieser etwas rätselhaften Einleitung in einen Sessel und meinte belustigt:

Ähnliche Gesichter wie Sie, meine Herren, machten wir auch, als Elbendorf vor kaum fünf Minuten unserem Vikomte mit ernstestem Gesicht diese unglaubliche Wette vorschlug. Erst hielten wir es nur für einen Scherz, aber – die Sache ist wirklich perfekt geworden, und als ich den Salon verließ, wurden gerade die einzelnen Bestimmungen schriftlich festgelegt. Dieser Deutschrusse ist ja ein wahres Prachtexemplar von liebenswürdiger Verschrobenheit! Und schon am ersten Abend hat er sich bei uns einen Spitznamen verdient, den er wahrscheinlich nicht mehr verlieren wird. –

König von Wara‘, – das klingt doch nach etwas, wie? Und wenn er seinen Plan tatsächlich durchführt, so haben wir bald eine leibhaftige – Majestät unter unseren Mitgliedern!“

Die Herren, erst etwas ungehalten über diese Störung, hatten längst die Karten fortgelegt und erstaunt zugehört. Auch Graf d’Auberville ließ jetzt sein Einglas, das er an einer dünnen Seidenschnur im linken Auge trug, durch ein Hochziehen der Augenbrauen fallen und sagte kopfschüttelnd:

Ich habe noch immer nicht begriffen, um was es sich eigentlich handelt. Erzählen Sie doch mal näheres, Wartensleben! Aus Ihren Andeutungen wird ja kein Mensch klug!“

Mit dem größten Vergnügen…! Also hören Sie … Elbendorf hat heute abend im Matin einen Artikel entdeckt, in dem ein afrikanischer Negerfürst, der sich König von Wara nennt, die Anrechte auf seinen Thron um eine Million Francs ausbietet.“2

d’Auberville, der sich interessiert in seinem Sessel vorgebeugt hatte, nickte eifrig…

Ja, ich besinne mich! Der Kurländer erwähnte schon vorhin im Vorstandszimmer etwas Ähnliches. Ich habe aber nicht weiter darauf geachtete.“

Stimmt, lieber Graf, stimmt! Zufällig kam im blauen Salon – es wurde zunächst von den Wirren in Rußland und von der Unsicherheit der politischen Weltlage gesprochen – die Rede wieder auf diese Zeitungsnotiz, die uns allen entgangen war. Elbendorf läßt den Matin holen und liest uns diese merkwürdige Offerte vor; Tisserant bezweifelt zunächst die Ernsthaftigkeit des Angebots und dann die Möglichkeit, sich überhaupt in den Besitz dieses Thrones bringen zu können, selbst wenn man schon die Million opfern wollte. Unser Kurländer widerspricht, weist auf den als Unterhändler für den phantastischen Verkauf genannten Inhaber des Exporthauses Villier hin, auf die weiteren Ausführungen des Artikels, die die Sache allerdings keineswegs als Zeitungsente oder verspäteten Aprilscherz hinstellen, entwickelt schließlich einen abenteuerlichen Plan, wie mit Hilfe einer gutausgerüsteten, bewaffneten Expedition immerhin der Versuch zu machen sei, auf einige Zeit König von mehreren Tausend schwarzen Untertanen zu spielen, und erklärt sich, als alles ihn lachend auffordert, dieses Wagnis doch selbst zu unternehmen, ohne Zögern hierzu bereit und bietet Tisserant eine Wette an, daß er innerhalb von sechs Monaten – König von Wara sein und dies auch mindestens zwei Wochen lagen bleiben wird. Und diese Wette, meine Herren, ist dann abgeschlossen worden. –

Nun sagen Sie selbst, ist Ihnen so etwas schon vorgekommen? Dieser Elbendorf will mit seinen verrückten Streichen unserem Vikomte anscheinend Konkurrenz machen! Und dabei besitzt er eine so überzeugende Beredsamkeit und zielbewußte Entschlossenheit, daß ich eher für als gegen ihn wetten möchte. –

Doch, lieber Graf, beinahe hätte ich das Wichtigste vergessen,“ wandte er sich jetzt an d’Auberville. „Der Vikomte läßt Sie bitten, für eine halbe Stunde Ihrem geliebten Whist zu entsagen und zu uns hinunterzukommen. Er hofft, daß Sie sich an der Wette beteiligen werden, da auch schon Labrac, Seefried und verschiedene andere gegen Elbendorf halten wollen. –

Lassen Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen, meine Herren, diese Karnevalsstimmung da unten ebenfalls durchzukosten,“ setzte er schnell aufstehend hinzu. „Ich jedenfalls eile, um meinen Teil daran noch zu erwischen!“ Und übermütig einige Takte des neuesten Moulin Rouge Walzers vor sich hinpfeifend, tänzelte er zum Zimmer hinaus.

Die anderen waren durch die ausgelassene Stimmung des jungen Attachés angesteckt worden und ließen sich nicht einmal Zeit, das angefangene Spiel zu beenden, sondern folgten ihm auf dem Fuße. Als sie den großen Gesellschaftsraum betraten, der wegen seiner mattblauen Tapeten und der gleichfarbigen Bezüge der niedrigen Sessel und Divans die Bezeichnung ‚blauer Salon‘ erhalten hatte, schallte ihnen lebhaftes Stimmengewirr und Gläserklingen entgegen. In der Luft hing der süßliche Rauch von türkischen Zigaretten in dichten Schwaden, die zwischen den mattgeschliffenen Glocken des großen Kronleuchters wie graue Wolkenfetzen umherschwammen; Diener glitten lautlos umher und füllten aufs neue die Sektkelche, mit denen man soeben auf das Wohl des ‚Königs von Wara‘ getrunken hatte. Und der, dem diese Ovation galt, stand jetzt inmitten einer Gruppe von Herren, die mit erhitzten Gesichtern auf ihn einsprachen, antwortete verbindlich, lächelte dazu so ruhig, so leidenschaftslos, als ob man soeben nichts als eine harmlose Segelfahrt auf der Seine verabredet hätte. –

d’Auberville war schnell an den Tisch herangetreten, an dem der österreichische Legationssekretär Freiherr von Seefried auf einem Bogen Papier niederschrieb, was Tisserant ihm diktierte. Der Graf wollte etwas fragen, aber der Vikomte winkte ihm, ganz in Anspruch genommen von seiner Arbeit, Schweigen und sagte nur hastig: [„Nicht jetzt!“]3

Die ausgelassene Heiterkeit hörte sofort auf, als Seefried sich dann erhob und mit dem eng beschriebenen Blatt unter den Kronleuchter trat: Und unter tiefstem Schweigen der Anwesenden begann er mit der Verlesung der Urkunde:

Bedingungen der Wette, die heute am 31. Mai des Jahres 1905 zwischen dem Grafen Viktor Elbendorf und allen denen abgeschlossen ist, die dieses Schriftstück unterzeichnet haben.

Graf Elbendorf verpflichtet sich innerhalb von sechs Monaten vom heutigen Tage ab gerechnet dem Nobilité-Klub in Paris auf irgend eine Weise sichere Nachricht zukommen zu lassen, ob er den in der Abendausgabe des Matin vom 28. Mai des Jahres ausgebotenen Thron des Königreichs Wara, nordwestlich vom Tschadsee in Afrika gelegen, erworben und während zweier Monate tatsächlich innegehabt hat, wobei es gleichgültig ist, ob die Ausübung der Herrscherrechte mit Waffengewalt erfolgt.“

Eine donnernde Lachsalve unterbrach hier den Legationssekretär, der sich aber nicht stören ließ und mit theatralischem Pathos weiterlas:

Es steht jedem der Teilnehmer an der Wette frei, die Expedition des Grafen Elbendorf auf eigene Kosten mitzumachen. Ebenso ist jedes Mitglied des Klubs hiermit verpflichtet, die Wette gegen jedermann geheim zu halten, damit dem Vorhaben von seiten der Regierung keine Schwierigkeiten in dem Weg gelegt werden können.

Die Unkosten der Expedition trägt Graf Elbendorf allein. Gewinnt er die Wette, so fällt ihm jedoch von jedem seiner Wettgegner die Summe von fünfzigtausend Francs zu, die jeder Beteiligte bereits heute in Form einer Anweisung auf seine Bank in dem Kassenschrank des Klubs zu deponieren hat. Diese Abmachung ist auf Wunsch des Grafen Elbendorf getroffen, damit die Ernsthaftigkeit der Wette nicht angezweifelt werden kann. – Verliert Graf Elbendorf durch irgendwelche Umstande die Wette, wobei es gleichgültig ist, welcher Art diese Hindernisse sind, so zahlt er an jeden der Wettbeteiligten zehntausend Francs. Auch diese Summe ist entsprechend der Zahl der Teilnehmer hier zu deponieren.

Graf Elbendorf verzichtet auf jede Bestimmung, die ihm einen Rückritt von der Wette ermöglichen könnte.

Paris, den 31. Mai 1905.“

Als Seefried geendet hatte, legte er das Schriftstück wieder auf den Tisch und reichte dem Kurländer jetzt den Federhalter hin, damit er seinen Namenszug darunter setze. Schon beugte sich Elbendorf über das Papier, da schien er doch zu zaudernd, richtete sich wieder auf und sagte mit höflicher Verbeugung zu Tisserant:

Herr Vikomte – bitte! Meine Herren Gegner zuerst – ich als letzter!“

Aber lieber Graf, wozu diese Förmlichkeit,“ lachte dieser abwehrend. „Es bleibt sich doch wirklich gleich, ob wir…“

Nein – pardon! Ich als Hauptperson bei dieser Wette muß doch auf der Urkunde den wichtigsten Platz, hier eben den letzten, einnehmen. Ich halte dies für wesentlich!“

Wie Sie wollen,“ meinte der Vikomte, nahm die Feder und unterschrieb. Als dann die anderen Herren, denen sich auch d’Auberville anschloß, – im ganzen waren es zwölf – die Namen unter das Papier setzen, benutzte Tisserant diese Zeit, um aus dem Vorstandszimmer einige von den gelben Umschlägen zu holen, in denen nachher die von den Beteiligten auszufüllenden Anweisungen verwahrt werden sollten. Kaum hatte er den blauen Salon verlassen, als auch die Reihe an Elbendorf kam. In großen, energischen Buchstaben fügte er als letzter seine Unterschrift hinzu, streute etwas von dem farbigen Sand über das noch feuchte Blatt und faltete es dann hastig zusammen. D’Auberville, der neben ihm stand, meinte etwas spöttisch, indem er auf des jungen Kurländers leicht zitternde Hand wies:

Sie scheinen durch den Gedanken an Ihre zukünftige Herscherrolle doch nervös geworden zu sein, lieber Graf! Schließlich – es handelt sich ja für Sie auch um mehr als nur die Kosten der Wette!“

Allerdings! Ganz gefahrlos dürfte diese – Expedition nicht werden,“ entgegnete Elbendorf mit einem seltsamen Lächeln, das der andere sich nicht recht erklären konnte. –

Als dann der Vikomte zurückkehrte und von Elbendorf die zusammengelegte Urkunde entgegennahm, um sie in einen Umschlag einzuschließen, glaubte d’Auberville in des Kurländers Gesicht wieder einen Ausdruck ängstlicher Spannung zu bemerken, der sich erst verlor, nachdem Tisserant das gelbe Kuvert, ohne die Unterschriften der Wettbestimmungen vorher zu prüfen, versiegelt hatte. Der Präsident des Nobilité-Klubs schenkte dieser Beobachtung jedoch nicht die geringste Bedeutung, half vielmehr jetzt dem Vikomte, der soeben von den Beteiligten die ausgefüllten Anweisungen über je fünfzigtausend Francs einsammelte, beim Ausstellen der Empfangsbescheinigungen.

Die Deponierung der dreizehn gelbe Umschläge, die die Urkunde über die Wette und die Schecks enthielten, gestaltete sich dann zu einer übermütigen Feier, bei der Tisserant und Elbendorf durch witzige Ansprachen der durch die Erledigung der geschäftlichen Fragen etwas gestörten Ausgelassenheit wieder zu ihrem Recht verhalfen. –

Zwei Stunden später, gegen drei Uhr morgens, verließen auch der Vikomte und sein Gast so ziemlich als letzte den Nobilité-Klub, bestiegen einen Wagen und fuhren dem in der Rue Berger gelegenen Junggesellenheim Tisserants zu. –

Der Vikomte hatte dem Wein, ganz besonders aber zum Schluß der von Elbendorf ausgesetzten Bowle recht stark zugesprochen und war kaum mehr fähig, auf die Fragen des Kurländers zu antworten. Während das Gefährt, eine gewöhnliche mit zwei Pferden bespannte Taxameterdroschke, in mäßiger Schnelle über den Asphalt des Boulevard de Sebastopol dahinrollte, meinte Elbendorf, indem er die Worte seinem schon halb schlummernden Begleiter fast in die Ohren schrie:

Sagen Sie, Herr Vikomte, wird das Klubhaus eigentlich nachts noch durch einen besonderen Wächter überwacht? – Es wäre doch möglich, daß man einen Einbruch versuchte!“

Tisserant schüttelte nur lallend den Kopf. Endlich bekam er eine Antwort heraus:

Wächter? – Wozu wohl, lieber – Elbendorf? Zwecklos – zwecklos! Die Dienerschaft schläft ja im Souterrain.“

Ein Lächeln der Befriedigung huschte über des Kurländers Gesicht, das jetzt bei dem flackernden Laternenschein diesen weichen jugendlichen Ausdruck vollkommen verloren hatte. Ein anderer war’s, der mit dem halb trunkenen Präsidenten des vornehmsten Pariser Klubs heimfuhr und dabei mit fest zusammengekniffenen Lippen und kaum merklichem Mienenspiel zunächst in Gedanken sein gefährliches Werk vollendete. Einer, der jetzt um Jahre gealtert schien, wo es bisweilen in seinen vorher so harmlosen Augen aufflammte wie dämonische Energie und die über den etwas vorstehenden Backenknochen so fest gestraffte Haut von einem rücksichtslosen, vor nichts zurückschreckenden Wollen sprach. Der aber, der neben ihm saß, fühlte nicht die spöttisch überlegenen Blicke, mit denen er gemustert wurde, ahnte nicht, daß sich noch in dieser Nacht Ereignisse abspielten sollten, die ihn nachher zwangen, sein Amt als Vorsitzender der feudalsten Vereinigung der französischen Hauptstadt niederzulegen.

Während der Vikomte unter der seidenen Steppdecke im tiefsten Schlaf lag und seine von Alkohol überhitzte Phantasie ihn die unmöglichsten Abenteuer auf dem Zuge nach dem Königreich Wara überstehen ließ, jagte ein Wagen in schnellster Gangart durch die Rue Berger, bog in den Boulevard de Sebastopol ein und machte unweit des Hauses des Nobilité-Klubs halt. Ein Herr sprang heraus, bezahlte den Kutscher und wartete, bis das Gefährt wieder verschwunden war. Nachdem er sich dann forschend umgeschaut hatte, ging er ganz unbefangen bis zu der Pforte des hohen eisernen Zaunes, der den Park des Klubs gegen die Straße hin abschloß, öffnete sie und schritt die Pappelallee entlang auf das Gebäude zu. Kaum hatte ihn aber die hier unter den Bäumen lagernde Dunkelheit aufgenommen, als er stehen blieb, sich mit verschränkten Armen an einen der dicken Stämme lehnte und wohl fünf Minuten in dieser Stellung fast bewegungslos verharrte, wobei nur seine Augen immer wieder prüfend über die Fenster des hohen Kuppelbaus und auch über die nahe Straße hinglitten, wo jetzt eine Kolonne der Straßenreinigung gerade bei der Arbeit war. Doch das Haus lag wie ausgestorben da, und auch auf dem Boulevard zeigte sich nichts Verdächtiges. –

Dann kam wieder Leben in die Gestalt. Ein Schatten huschte blitzschnell von Baum zu Baum, von Gebüsch zu Gebüsch, bis er den im hinteren Teil des Gartens gelegenen Pavillion erreicht hatte, dessen achteckiger mit farbigem Schiefer bekleideter Bau sich zwischen zwei uralten Kastanienbäumen erhob. Nur wenige Sekunden dauerte es, bis die Tür sich dem geschickt gehandhabten Dietrich öffnete und der Fremde in dem Gartenhause verschwand. Dann flammte in dem dunklen Raum ein weißer Lichtschein auf, lief wie suchend über den mit einem Teppich belegten Boden hin und erlosch wieder. Als der Lichtschein abermals aufblitzte, kniete der geheimnisvolle Eindringling auf der Erde, hatte den Teppich zusammengerollt und prüfte mit tastenden Fingern die rosettenförmigen Messingknöpfe, mit denen die großen achteckigen Fliesen des Fußbodens verschraubt waren. Bald war der eine gefunden, der dem Druck nachgab und sich drehen ließ, worauf die mittelste der Platten nach unten umklappte und eine schmale eiserne Leiter sichtbar wurde, die in den geheimen Gang hinabführte. –

Nichts regte sich in den mit so verschwänderischem Luxus ausgestatteten Räumen des moscheeähnlichen Gebäudes. Doch plötzlich schien aus dem großen Kamin in der Bibliothek ein leises Surren und Schleifen wie von aneinandergeriebenem Metall herauszudringen. Und dann entstieg diesem Kamin lautlos die Gestalt eines schlanken Mannes, der jetzt, nachdem er leise die beiden Türen des Zimmers verriegelt hatte, mit einem Schlüssel die dritte in das Vorstandszimmer führende aufschloß. Und dieser Schlüssel war an einem Ringe zusammen mit mehreren anderen befestigt, unter denen sich auch der zu dem mächtigen Panzerschrank des Nobilité-Klubs befand. Als der Unbekannte darauf geräuschlos die schwere Tür des Geldschrankes aufzog und den leuchtenden Kegel seiner elektrischen Taschenlampe auf die darin liegenden Gegenstände fallen ließ, traf der von dem polierten Stahl zurückgeworfene helle Schimmer sein Gesicht, in dem jeder Muskel vor Erregung gespannt schien. Ein bartloses Antlitz mit lichtblonden Augenbrauen war’s, das sich jetzt tief in den Schrank hineinbeugte. Und niemand hätte in diesem einfach gekleideten Manne mit der ungeschickten Brille vor den flimmernden Augen den eleganten Grafen Elbendorf wiedererkannt, der noch vor wenigen Stunden hier in demselben Raume dem Grafen d’Auberville mit so nachlässiger Ruhe seine Banknoten zur Aufbewahrung übergeben und den man im blauen Salon bei Gläserklirren und frohem Gelächter als – König von Wara begrüßt hatte.

Nach kurzer Zeit war das in dem Schrank enthaltene Bargeld und die in den Umschlägen befindlichen Anweisungen in den Taschen des Herrn Grafen verschwunden, der dann ohne Übereilung das Geldspind und das Vorstandszimmer wieder verschloß, die Riegel von den Türen der Bibliothek zurückschob und durch den Kamin seinen Rückweg antrat, ohne irgend eine Spur seiner Tätigkeit zu hinterlassen. Ungesehen gelangte er auch auf die Straße zurück und verschwand in der Richtung nach dem Karussell-Platz, während die ersten Schimmer des anbrechenden Morgens über dem Häusermeer der Millionenstadt aufzuckten.

 

 

3. Kapitel

Graf d’Auberville kehrte gerade von einem Ausflug nach der kleinen, idyllisch gelegenen Seineinsel Marante zurück und fuhr in gemäßigtem Tempo in seinem Mercedes die Champs Elysees entlang, als er von dem Vikomte de Tisserant, der auf einem zierlich gebauten Apfelschimmel den Reitweg heruntertrabte, mehrmals angerufen und durch heftiges Winken zum Halten veranlaßt wurde.

Der Graf, der seinen Wagen selbst führte, lenkte vorsichtig an die den Reiterweg begrenzende Baumreihe heran und stellte dann den Motor ab.

Endlich finde ich dich, – endlich,“ begann der Vikomte, ohne sich Zeit zu lassen, den Freund zu begrüßen. „Ich habe dich überall gesucht. Daß du auch gerade heute ausfahren mußtest – gerade heute, wo ich dich so nötig brauchte!“

Der schöne Nachmittag lockte mich, und die frische Luft und der Kaffee in dem reizenden Schweizerhäuschen auf Marante haben mir nach der gestrigen schweren Sitzung sehr gut getan. – Aber, was hast du nur, Leon,“ fuhr d’Auberville ganz erschreckt fort, als er jetzt erst das verstörte Gesicht des Freundes bemerkte.

Da beugte sich Tisserant ganz tief über den Hals seines Pferdes herab und flüsterte d’Auberville leise einige Worte zu, die der Chauffeur nicht hören sollte. Der Graf fuhr zusammen und schaute den Vikomte zweifelnd an, als ob er garnicht begreifen konnte, was ihm da soeben erzählt wurde.

Unmöglich,“ brachte er schließlich immer noch ungläubig hervor. „Elbendorf sollte?! Das fasse ich nicht!“

Aber ein warnender Blick Tisserants ließ ihn seine weiteren Bedenken verschweigen.

In einer Viertelstunde bei mir!“, rief der Vikomte ihm, der diese Unterredung auf offener Straße schnell abzubrechen wünschte, noch schnell zu und sprengte dann in gestrecktem Galopp davon, während der Mercedes sich ebenfalls wieder nach dem Tuilerien-Garten zu in Bewegung setzte.

Als d’Auberville nach kurzer Zeit wie verabredet den Freund aufsuchte, fand er dort einen ihm fremden Herrn vor, der ihm als Kriminal–inspektor Restand vorgestellt wurde. Wenn der Graf bisher noch gehofft hatte, daß diese peinliche Angelegenheit eine friedliche Lösung finden würde, so gab er diese Hoffnung in demselben Augenblick auf, als der Vikomte ihm den Amtstitel des Fremden nannte. –

d’Auberville hatte noch nie etwas mit den Sicherheitsbehörden zu tun gehabt und betrachtete daher jetzt mit unverhohlenem Interesse das Gesicht des Kriminalinspektors, der sich ihm gegenüber in einen der Sessel niedergelassen hatte. Aber Restands kleine, schmächtige Figur und schmales Gesicht mit den wasserblauen Augen und dem ungepflegten dünnen Schnurrbart boten so garnichts Anziehendes. Außerdem ließ ihm auch Tisserant keine Zeit, den Inspektor noch weiter zu mustern. Denn nachdem er die nach dem Salon führende Tür des Arbeitszimmers vorsichtig ins Schloß gedrückt hatte, schrie er mit einer Stimme, die vor Erregung leise vibrierte:

d’Auberville, ich deutete dir bereits an, mit welch unerhörtem Raffinement wir bestohlen worden sind. Es ist kein Zweifel mehr: Wir haben gestern nicht den Grafen Viktor Elbendorf, sondern einen ganz abgefeimten Hochstapler in den Klub aufgenommen, und ich bin es, der ihm Gelegenheit gegeben hat, unseren Kassenschrank bis auf den letzten Centime zu berauben.“

Aber das ist ja ganz undenkbar,“ rief der Graf erschreckt. „Dieser junge Mensch mit den vollendeten Manieren eines reichen verwöhnten Aristokraten soll ein gemeiner Dieb sein? – Und wie hat er es fertiggebracht diesen Schrank, den wir für so sicher hielten, aufzubrechen? – Ich begreife das alles nicht?“

Mag der Herr Inspektor dir die notwendigen Erklärungen geben,“ meinte Tisserant unsicher. „Sie werden wahrscheinlich übersichtlicher ausfallen, als wenn ich dir Bericht erstatte. Denn mein Kopf schwirrt mir noch von all den Aufregungen der letzten Stunden und selbst der kurze Spazierritt hat mir nicht viel Ablenkung gebracht. –

Wenn Sie also so liebenswürdig sein wollen, Herr Restand,“ wandte er sich an das semmelblonde Männchen, das bisher anscheinend teilnahmslos durch das Fenster auf die gegenüberliegende Seitenfront des Börsengebäudes geschaut hatte. „Ich nehme auch an, daß Sie inzwischen bereits irgendwelche Nachrichten aus Berlin erhalten haben, die den Fall wenigstens etwas aufklären. Graf d’Auberville hat, wie ich Ihnen bereits sagte, gerade als Schatzmeister unseres Klubs das lebhafteste Interesse an dieser mysteriösen Geschichte.“

Der Kriminalinspektor verbeugte sich zustimmend gegen Tisserant und begann dann mit etwas langsamer, nachdenklicher Stimme:

Nachdem Sie mich heute Mittag gegen ein Uhr auf meinem Bureau aufgesucht und den Diebstahl gemeldet hatten, ist von mir zunächst wie immer in solchen Fällen die genaue Überwachung der Pariser Bahnhöfe und eine Nachfrage in sämtlichen Hotels und Pensionen angeordnet worden. Außerdem habe ich auch telegraphisch den Hafenstädten und unseren Grenzstationen das Signalement des Täters zukommen lassen. In dieser Hinsicht ist also alles getan, um den Flüchtling abzufangen. Meine zweite Aufgabe bestand darin, Erkundigungen in Berlin einzuziehen, ob dort vielleicht über den jetzigen Aufenthalt des wirklichen Grafen Elbendorf etwas bekannt war. Denn nachdem Sie mir die Empfehlungsbriefe über den Grafen vorgelegt hatten, war ich sicher, daß der kurländische Edelmann tatsächlich existiert und daß nur ein Hochstapler hier seine Rolle mit ebensoviel Gewandtheit wie Frechheit gespielt hat. Da der letzte an Sie gerichtete Brief des Grafen Elbendorf aus dem Hotel Bristol in Berlin abgeschickt war, so ließ ich mich zunächst mit der Berliner Polizeidirektion durch Vermittlung der Straßburger telephonisch verbinden und erfuhr so, daß Graf Viktor Elbendorf sich noch in der Klinik des Professors Bergmann im Berlin einer schweren Halsentzündung wegen in Behandlung befindet. Auf meine Bitte wurde einer der Berliner Beamten zu dem Kranken geschickt, der zum Glück schon vernehmungsfähig war. Graf Elbendorf hat dann angegeben, daß er im Expreßzug Eydtkuhnen-Berlin allerdings die Bekanntschaft eines Herrn gemacht habe, der sich Baron von Wrangel nannte, und mit den Pariser Verhältnissen sehr vertraut zu sein schien und dem er daher ohne Argwohn mitteilte, daß er sich längere Zeit in Frankreich aufzuhalten gedenke und bereits als Mitglied für den Nobilité-Klub gemeldet und empfohlen sei. Der Baron hat sich dem Grafen dann auch in Berlin angeschlossen, ihn auch während seiner Erkrankung ein Mal in der Klinik aufgesucht, ist dann aber plötzlich ausgeblieben. Jedenfalls traut der Kurländer aber diesem Herrn, den er als einen überaus liebenswürdigen und gebildeten Gesellschafter schätzen gelernt hat, ein derartiges Verbrechen niemals zu. Das hob er mehrmals besonders hervor. –

Leider stimmt aber schon die oberflächliche Personalbeschreibung, wie ich sie nach Berlin berichten konnte, recht genau mit der dieses Herrn von Wrangel überein, und für mich besteht kein Zweifel mehr, daß der Baron und unser Gauner ein und dieselbe Person sind. Und mit dieser Feststellung, meine Herren, verliert unser Fall auch ein gut Teil des Unerklärlichen. Der Betrüger hat eben dem etwas sehr vertrauensseligen Grafen alles für ihn Wissenswerte abgefragt, – zuerst wahrscheinlich nur in der Absicht, sich mit dessen Hilfe in Ihre Kreise Eingang zu verschaffen und dann im Trüben zu fischen. Als Elbendorf dann erkrankte, da erst mag ihm wohl eine andere Idee gekommen sein, – eben die, hier selbst als Viktor Elbendorf aufzutreten, der ja von niemandem, nicht einmal von den Herren der russischen Gesandtschaft, persönlich gekannt wurde. Und da er wußte, daß der kurländische Edelmann durch seine Krankheit längere Zeit an Berlin gefesselt war, brauchte er eine Entdeckung kaum zu fürchten, die ihm ja auch nur durch einen weiteren Brief Elbendorfs an Sie, Herr Vikomte, gedroht hätte. Und diese Gefahr suchte er dadurch nach Möglichkeit abzuschwächen, daß er Sie gleich nach seiner Ankunft in Paris sehr geschickt bewog, ihn als Gast in Ihre Wohnung aufzunehmen. Zweifellos würde er auch Mittel und Wege gefunden haben, Ihre Korrespondenz zu überwachen und wäre dann bei den ersten ihm ungünstigen Anzeichen schleunigst von dem Schauplatz seiner Tätigkeit verschwunden. Außerdem bin ich fest davon überzeugt, daß der Pseudograf hier garnicht lange den Viktor Elbendorf spielen wollte, sondern es ursprünglich wohl nur auf Ihre Privatkasse, Herr Vikomte, abgesehen hatte, vielleicht auch auf die Börsen der anderen Mitglieder des Klubs, die er beim Jeu mit etwas corriger la fortune zu erleichtern dachte. Erst später, nachdem er herausgefunden hatte, auf wie einfache Art er einen einträglicheren Fischzug abhalten konnte, änderte er seine Pläne. Und die Art, wie er sie durchführte, zwingt selbst mir als altem Kriminalisten etwas wie Anerkennung ab. Besonders diese famose Wette ist ein Streich, wie er genialer kaum auszuklügeln ist.“

d’Auberville, der bisher nervös mit seinem Monokel gespielt hatte, horchte plötzlich auf und schaute dann etwas zweifelnd zu seinem Freunde Tisserant hinüber, er aber hartnäckig zur Seite blickte.

Ich kann es Ihnen, Herr Vikomte,“ fuhr Restand jedoch schon wieder fort, „kaum verdenken, daß Sie diesem so sicher auftretenden Hochstapler gegenüber auch nicht das geringste Mißtrauen empfanden. Denn so wie Sie ihn mir geschildert haben, – mit diesen tadellosen Umgangsformen, dieser gediegenen Bildung und den vielseitigen Sprachkenntnissen – hätte sich wohl jeder täuschen lassen. Allerdings – eins mußte Sie vielleicht doch stutzig machen – das wenige Gepäck Ihres Gastes! Er zog bei Ihnen doch nur mit einem einzigen mittelgroßen Reisekoffer und einer Handtasche ein. Fiel Ihnen denn das garnicht auf…?“

Wie sollte es…?“, meinte Tisserant betreten. „Er sagte mir ja, daß er seinen Kammerdiener erst in einigen Tagen mit den übrigen Sachen aus Berlin erwarte. Mit der Auskunft mußte ich mich doch zufrieden geben!“…

Der Inspektor nickte.

Ein gerissener Kunde, dieser Baron von Wrangel! Hoffentlich mache ich noch seine Bekanntschaft. Möchte mir den Vogel, der sich so talentvoll mit fremden Federn zu schmücken weiß, zu gern einmal aus der Nähe ansehen und ihn fragen, wann er denn seinen Königsthron in Afrika zu erobern gedenkt.“

Restand lachte still vor sich hin.

Zweifellos ist nämlich diese famose Wette der beste Witz an der ganzen Geschichte!“ setzte der dann sehr offenherzig hinzu. –

Das müssen Sie doch zugeben, Herr Graf?“, wandte er sich vollkommen unbefangen an d’Auberville.

Dieser hatte sein Glas eingeklemmt und musterte den Kriminalinspektor ziemlich hochmütig, da er sehr wohl herausmerkte, wie sehr es den Beamten belustigte, daß sie sich von diesem Gauner derart hatten hinters Licht führen lassen.

Sie erwähnten schon vorhin die Wette, Herr … Herr Inspektor,“ entgegnete er daher etwas von oben herab. „Offen gestanden – ich wüßte nicht, wie diese Wette mit dem Diebstahl zusammenhängen sollte?“

Den Zusammenhang bilden die sechshundertausend Francs, die der Herr Pseudograf heute vormittag von den verschiedenen Banken abgehoben hat,“ meinte Restand trocken.

d’Auberville fiel nun doch sein Monokel vor Schreck aus dem Auge.

Sechshunderttauend … Francs … abgehoben?“, stotterte er ganz fassungslos.

Allerdings! Und sie wurden ihm anstandslos ausgezahlt, da er sich durch die Mitgliedskarte Ihres Klubs legitimieren konnte, außerdem überall derart sicher auftrat, daß auch den Angestellten der Banken keinerlei Bedenken kamen.“

d’Auberville schaute jetzt den Vikomte ganz niedergeschmettert an.

Also deshalb drang er so darauf, daß die Wettsummen sofort deponiert wurden – deshalb,“ meinte er kopfschüttelnd. „Wer das hätte ahnen können! Schwindel diese ganze Wette, – nur in der Absicht inszeniert, jeden der Beteiligten um die fünfzigtausend Francs zu prellen! – Für uns eine nette Bla…“

Er wollte Blamage sagen, unterbrach sich aber schnell, hüstelte verlegen und warf dem Freunde, der diesen Betrüger in ihren Kreis eingeführt hatte, einen keineswegs freundlichen Blick zu.

Der semmelblonde Restand mit den nüchternen Äuglein schien wieder lediglich Interesse für die großen Steinfiguren zu haben, mit denen die Ecke des Börsengebäudes gegenüber verziert war. Erst nach einer geraumen Weile begann er wieder:

Ja, Herr Graf, die Wette war allerdings nur in der Absicht eingegangen worden, um den Inhalt des Geldschrankes zu vergrößern. Und ebenso dürfte die von dem Herrn Pseudografen nachher gebraute Bowle auch nur den Zweck gehabt haben, dem Herren Vikomte auf unauffällige Art ein sicher wirkendes Schlafmittel zuzuführen. Denn Sekt, Porter, Burgunder und über brennenden Zucker gegossener alter Jamaikarum wirken mindestens ebenso gut wie ein chemisches Präparat, was ja auch der Erfolg bestätigt hat. Denn der Herr Vikomte merkte nicht, daß ihm in der Nacht sein Schlüsselbund unter dem Kopfkissen hervorgezogen wurde, hörte auch nicht, wie sein Gast, der in dem Fremdenzimmer neben seinem Schlafgemach untergebracht war, die Wohnung und das Haus verließ, nachdem er sich umgezogen und auf dem Tisch in seinem Zimmer einen Zettel mit der Nachricht zurückgelassen hatte – überaus vorsichtig – daß er nur seinen Kopfschmerz durch einen kurzen Spaziergang vertreiben wolle. Daß ‚dieser Spaziergang‘ ihn durch den Pavillon und den geheimen Gang an den Kassenschrank des Klubs bringen sollte, hätte der Herr Vikomte kaum ahnen können, selbst wenn er in der Nacht erwacht wäre und den Zettel gefunden haben würde. Und dies brauchte der Schwindler nach der schweren Sitzung kaum zu befürchten. Er hatte seine Vorbereitungen ebenso gut getroffen, daß er auf ein ganz sicheres Gelingen rechnen konnte. Die Beraubung des … ‚feuer- und diebessicheren‘ – Panzerschrankes selbst war dabei das geringste Kunststück, da er den Schlüssel zu dem Geldspind besaß und sich auch ganz ungesehen in den Kassenraum einschleichen und das Gebäude ebenso gefahrlos mit Hilfe des geheimen Ausgangs verlassen konnte. –

So, Herr Graf, damit wäre ich denn zu Ende. Wie der Herr Vikomte zunächst durch das Fehlen seiner Schlüssel und das lange Ausbleiben seines Gastes argwöhnisch wurde und dann in dem Klubhaus den ausgeplünderten Geldschrank vorfand, wird er Ihnen selbst wohl am ausführlichsten erzählen können. Mich ruft jetzt meine Pflicht ab. Die Herren können sich vielleicht morgen vormittag bei mir auf dem Bureau erkundigen, ob wir irgend etwas in dieser Angelegenheit ausgerichtet haben.“

Damit erhob sich der Kriminalinspektor und wollte sich verabschieden. Doch Tisserant, der bisher wie schuldbewußt die Augen zu Boden geschlagen und das Muster des bunten Perserteppichs studiert hatte, trat jetzt auf Restand zu und fragte zaghaft:

Und haben Sie Hoffnung den Dieb abzufassen, Herr Inspektor?“

Das schmächtige Männchen zog zweifelnd die Schultern hoch.

Ich muß den Herren ehrlich eingestehen,“ meinte er zögernd, „daß selbst mir in meiner langjährigen Praxis noch kein Kriminalfall vorgekommen ist, der mit so viel verwegenem Geschick durchgeführt wurde. Und gerade diese – diese glänzende Genialität, die der Dieb in jeder Kleinigkeit entwickelt hat, läßt mich – hm, ja“ – er hüstelte verlegen – „läßt mich bei ganz nüchternem Abwägen unserer Chancen nur – auf einen glücklichen Zufall rechnen. Besser, daß ich dies den Herren gleich heute sage als nach Wochen. So vermeidet man wenigstens etwaige zu herbe Enttäuschungen. Denn wir haben für die Person des Verbrechers nicht die geringsten Anhaltspunkte. In seinem Gepäck hat sich nichts weiter vorgefunden als einige sehr elegante Anzüge und Wäschestücke, aus denen aber die Firmenzeichen der Lieferanten vorsichtig herausgetrennt sind. Außerdem einige Nachschlüssel, die uns auch nichts sagen. Dann könnte uns höchstens noch seine Unterschrift unter der Wetturkunde und der Zettel mit der Nachricht von dem – nächtlichen Spaziergang irgendwie weiter helfen. Doch auch damit ist kaum etwas anzufangen. Denn wie ich durch Vergleich festgestellt habe, ähneln sich die Schriftzeichen auf der Urkunde und dem Zettel nicht im geringsten, sind vielmehr beide mit ganz verschiedener, offenbar sehr geschickt verstellter Handschrift geschrieben.“

Der Inspektor stutzte plötzlich und fuhr dann lebhafter fort:

Nein, daß ich auch nicht früher daran gedacht habe…! Da fällt mir eben ein, wie leicht unser famoser ‚König von Wara‘ noch im letzten Augenblick mit seinem Plan hätte hereinfallen können! Sie, Herr Vikomte, kannten doch die Schrift des Grafen Elbendorf und seinen Namenszug, nicht wahr? – Wenn Sie nun auf der Wetturkunde die Unterschrift dieses Betrügers gesehen hätten und Ihnen die Unähnlich–keit beider Namenszüge aufgefallen wäre, dann – würden Sie doch zweifellos stutzig geworden sein! Stimmt’s? –

Der Pseudograf hat aber natürlich Glück gehabt und ist trotz dieser offenbaren Unachtsamkeit bei seinen Berechnungen durchgeschlüpft, daß heißt – Sie haben auf die Unterschriften garnicht geachtet!“

Tisserant nickte nur resigniert vor sich hin. Doch d’Auberville zog plötzlich seine Beine, die er bisher nachlässig von sich gestreckt hatte, an und richtete sich in seinem Sessel auf.

Sie irren, Herr Kriminalinspektor,“ sagte er eifrig. „Ich besinne mich jetzt genau, daß dieser – dieser Gauner uns zuerst unterschreiben ließ und nachher das Blatt in sichtlicher Aufregung zusammenfaltete, auch besonders ängstlich Tisserant beobachtete, als dieser die Urkunde in den Umschlag schob. Er hat also sehr wohl an diese Gefahr einer Entlarvung gedacht, meine ich.“

Nach Ihrer Schilderung seines Benehmens muß ich das jetzt aller–dings auch annehmen, Herr Graf,“ entgegnete Restand bedächtig. – „Leider annehmen! Denn Sie sehen, mit welch geriebenem Schurken wir es zu tun haben. Der für den Herrn Vikomte zurückgelassenene Zettel konnte ihn nicht hineinlegen, da diese Bleistiftzeilen absichtlich so unleserlich hingekritzelt sind, daß eine bestimmte Handschrift sich daraus nicht feststellen läßt. –

Ich fürchte, es wird eine ergebnislose Jagd werden. Der Fuchs ist nicht so leicht zu fangen! Denn ich möchte fast wetten, daß er auch sein Äußeres bereits vollkommen verwandelt hat. Wenn Sie, meine Herren, ihm jetzt auf der Straße begegnen sollten, – glauben Sie mir, Sie würden ihn garnicht wiedererkennen. Derartige Talente der Verbrecherzunft wissen ihre Gesichtszüge durch Schminke und falsche Bärte besser zu verändern als der routinierteste Schauspieler. –

Doch ehe ich’s vergesse, Herr Vikomte, vielleicht bemühen Sie sich noch heute auf das Kriminalamt. Ich möchte Ihnen das Verbrecheralbum vorlegen lassen. Möglich daß Sie Ihren Herrn Gastfreund dort herausfinden. Wir wollen jedenfalls nichts unversucht lassen…“

Nach diesen Worten verabschiedete sich der Kriminalinspektor mit einer kurzen Verbeugung und wurde von dem Vikomte zuvorkommend bis an die Flurtür begleitet. –

Als die beiden Freunde allein waren, begann d’Auberville zunächst eine hastige Promenade durch das Zimmer, wobei er unverständliche Worte vor sich hinmurmelte. Tisserant saß ganz zusammengebrochen in seinem Schreibtischstuhl. Von dem ‚tollen Vikomte‘ war nicht viel übrig geblieben. –

Schließlich machte der Graf in seiner Promenade vor dem Freunde halt.

Sag nur, Leon, wie konntest du nur wegen dieser verflixten Geschichte gleich auf die Polizei laufen? – Wie konntest du nur! – Du hast uns ja vor aller Welt bloßgestellt! Selbst wenn die Kriminalbeamten noch so sehr die löbliche Absicht haben uns zu schonen – die Pariser Reporter sind findige Leute, und morgen pfeifen es sicher die Spatzen von allen Dächern, daß der feudale Nobilité-Klub einem gemeinen Hochstapler Zutritt in seine ängstlich behüteten Räume gewährt hat! – Was hätte uns der Verlust dieser Summen geschadet? – Nichts, nichts! Aber jetzt ist das Geld hin und, was wir dafür erhalten, – eine ungeheure Blamage!“

Der Vikomte knickte noch mehr zusammen.

Du hast gut reden,“ meinte er mit einem Versuch sich zu entschuldigen. „Aber als ich heute gegen zwölf Uhr mittags vor dem völlig ausgeräumten Geldschrank stand und schnell ausrechnete, daß wir um nicht weniger als 123000 Francs außer den Anweisungen bestohlen waren, da – da verlor ich doch den Kopf, hoffte durch eine schnelle Anzeige diesem elenden Betrüger, dem ich noch gestern in aufrichtiger Zuneigung die Hand gedrückt habe, seine Beute wieder abjagen zu können! –

Ich hätte einmal sehen mögen, ob Du in meiner Lage imstande gewesen wärest, alle Eventualitäten so kaltblütig gegeneinander abzuwägen! Bedenke nur meine Stellung als Präsident, der diesem Pseudografen höchst eigenhändig dieses Gaunerstückchen erleichtert, ihn bei sich beherbergt und sogar noch selbst zur Aufnahme empfohlen hat! – Das stürmte alles zusammen auf mich ein! Ich wollte auch erst mit dir die Sache besprechen, aber natürlich – du mußtest ja zu derselben Zeit in Marante deinen Mokka schlürfen!“

d’Auberville klopfte jetzt etwas milder gestimmt dem Freunde begütigend auf die Schulter.

Ich glaub’s ja, Leon, daß einem unter diesen Umständen die ruhige Überlegung verloren gehen konnte. Aber höchst unangenehm bleibt die Affäre für uns immer! Und wenn vielleicht noch den Pariser Skandalblättern diese Wette zu Ohren kommt, dann – dann können wir alle getrost auf einige Zeit nach der Riviera verduften, bis Gras über den – König von Wara und seine 723000 Frank – notabene ein ganz nettes Sümmchen – gewachsen ist!“

 

 

4. Kapitel

Die Befürchtungen des Grafen d’Auberville waren nur zu sehr gerechtfertigt. Noch nie bildete ein Kriminalfall derart das allgemeine Tagesgespräch als dieser so raffiniert ausgeführte Diebstahl, noch nie ist ein Name so schnell populär geworden wie des ‚Königs von Wara‘. Und erst als Tag um Tag, Woche um Woche verging, ohne daß der ‚Herr Baron von Wrangel‘ aufgespürt wurde, und andere Ereignisse sich in den Vordergrund drängten und den Pariser Boulevardbummlern neuen Gesprächsstoff gaben, erstarb das spottlustige Interesse an dem großen Kassenraub langsam wieder und ließ ihn bald ganz in Vergessenheit geraten. –

Nur Graf Viktor Elbendorf, der nach seiner völligen Genesung gerade in Paris eintraf, als noch in jedem Tingel-Tangel beißende Couplets über ‚Seine Majestät, den König von Wara und seinen Hofstaat‘ gesungen wurden, mußte es sich gefallen lassen, den Spitznamen seines erfindungsreichen Vorgängers zu übernehmen, trotzdem besonders Tisserant dagegen protestierte, daß in diesem Spitznamen das Andenken an die blamablen Vorgänge jener Mainacht länger als nötigt weiterleben sollte. Der echte Elbendorf sträubte sich wunderbarerweise garnicht so sehr gegen diese scherzhafte Umwandlung seines Adelsprädikats in den königlichen Titel. –

Und das begreife ich vollkommen,“ meinte der etwas sarkastisch veranlagte Seefried vertraulich zu d’Auberville. „Denn unser jetziger blonder Elbendorf mag wohl selbst einsehen, daß dieser Vergleich mit dem früheren dunkeläugigen Elbendorf alias ‚von Wrangel‘ für ihn auch manches Schmeichelhafte enthält. Denn wenn der gute Viktor nur halb soviel Esprit und liebenswürdige Umgangsformen besäße wie jener Langfinger, so wär’s für ihn und auch für uns sicher kein Schaden!“ –

Leider ist das nicht der Fall,“ setzte Seefried aufseufzend hinzu und ließ sich von einem der Diener einen Kognak ‚Dreistern‘ reichen. –

Jahre vergingen. Die Mitglieder des Nobilité-Klubs hatten die peinliche Erinnerung an den ‚König von Wara‘ längst überwunden. Und die von einem breiten Eichenrahmen umschlossene Urkunde über jene merkwürdige Wette bildete zwischen den Porträts des Vikomte de Tisserant und des Grafen d’Auberville im blauen Salon das letzte warnende Memento an die Ereignisse jener Mainacht. Da betrat an einem der letzten Dezembertage des Jahres 1907 Baron Wartensleben in ungewöhnlicher Erregung das Bibliothekszimmer des Klubhauses, in dem außer Tisserant und d’Auberville nur noch einige andere Herren anwesend waren.

Vikomte,“ rief der blonde Däne schon von der Tür aus, „wenn mich nicht alles täuscht, so habe ich heute eine überaus wichtige Entdeckung gemacht! – Doch bitte – urteilen Sie selbst!“ –

Und damit zog er aus der Brusttasche seines dunkelgrauen Gehrocks ein Exemplar der illustrierten Pariser Zeitung hervor und reichte es Tisserant hin, der es ohne sonderliches Interesse entgegennahm und dann unschlüssig durchgeblätterte.

Letzte Seite, Tisserant – letzte Seite – das Portrait oben links!“ wies Wartensleben ihn ungeduldig zurecht. „Beschauen Sie sich’s nur genauer. – Fällt Ihnen denn da keine Ähnlichkeit auf?“

Auch Graf d’Auberville, der sich soeben nach dem neuesten Bädeker eine Frühjahrsreise nach Algier und Ägypten zusammenstellte, hatte seinen Sessel hinter den Tisserants gerollt und sah ihm jetzt neugierig über die Schulter. Und nur kurze Zeit hatten die beiden Freunde auf das betreffende Bild hingeblickt, das in Brustformat einen Herrn mit rundem, slavischem Gesichtsschnitt, dunkelem gescheitelten Haupthaar und kleinen aufgetrehten Schnurrbärtchen darstellte, als sie schon wie aus einem Munde riefen:

Der König von Wara!“

Dieser Name wirkte wie ein Zauberwort auf die Anwesenden. Man umdrängte Tisserant, riß ihm die Zeitung fast aus der Hand. Fragen, Ausdrücke wie: „Kaum glaublich!“ – „Nein, diese Ähnlichkeit!“ schwirrten durch die Luft. Endlich gelang es dem blonden Attaché das Blatt wieder zurückzuerobern.

Einen Augenblick Ruhe, meine Herren,“ suchte er sich mit lauter Stimme Gehör zu verschaffen. „Das Interessanteste kommt ja noch! – Wir alle, die wir uns auf den genialen Pseudografen noch besinnen, müssen wohl zugeben, daß die Ähnlichkeit zwischen diesem Bilde, unter dem nichts weiter als ‚Georges Manolescu‘ steht, und unserem einstigen – Klubmitglied, der die Begriffe von Mein und Dein so sehr zu unserem Schaden verwechselte, geradezu frappant ist. Nun kommt ein derart gleiches Aussehen zwischen zwei Personen ja häufiger vor, und daher könnten wir auch keineswegs mit Sicherheit annehmen, hier endlich den so spurlos verschwundenen – ‚König von Wara‘ entdeckt zu haben. Aber wenn ich den Herren erst den kurzen Artikel, der zu dem nebenstehenden Bilde gehört, vorgelesen haben werde, dann kann sich wohl jeder selbst eine Meinung über diese merkwürdige Ähnlichkeit und ihren Zusammenhang mit jener Diebstahlsgeschichte bilden. –

Hören Sie also, was die Zeitschrift über Georges Manolescu bringt:

Die wechselvollen Schicksale des ‚Fürsten der Diebe‘, Georges Manolescu, der unter dem Namen eines Fürsten Lahovary die alte und neue Welt durch seine Streiche in Staunen setzte, haben durch den Tod des außergewöhnlichen Mannes ihr Ende erreicht. In seinen Memoiren hat er ausführlich geschildert, wie er – der Sohn eines rumänischen Kavallerieoffiziers – zum Verbrecher geworden ist. Voll Stolz hat er darauf hingewiesen, daß die Mittel, mit denen er ‚arbeitete‘, immer nur Geist und Kaltblütigkeit gewesen seien, wie seine geschäftliche Gewandtheit, seine vielseitige Bildung und die Kenntnis von sieben lebenden Sprachen ihm Zutritt zu den vornehmsten Kreisen verschafft habe. Einen großen Teil seiner ebenso verwegenen wie genialen ‚Unternehmungen‘, die ihm z. B. in zwei Jahren Juwelen im Werte von ‚nur‘ 540000 Francs einbrachten, hat er in seinem Buche, das in einem deutschen Verlage erschienen und auch ins Französische übersetzt ist, mit allen Einzelheiten geschildert. Und daß er bei dieser Aufzählung seiner Heldentaten aus leicht begreiflichen Gründen einen Teil derselben unterschlagen mußte, – eben die, die man bisher nicht auf sein Konto gesetzt hat, ist sehr wahrscheinlich. Trotzdem er natürlich auch einige Male das Unglück hatte, mit dem Zuchthaus Bekanntschaft zu machen, glückte es ihm doch immer wieder sich ‚emporzuarbeiten‘. Ja, er brachte es sogar fertig, sich in Deutschland mit einer Gräfin zu verheiraten, die jedoch bald merkte, wer ‚Fürst Lahovary‘ war und sich schleunigst von ihm scheiden ließ. Nachdem dann eine Pariser Millionärin, die den interessanten Abenteurer kennen und lieben lernte, ihm ihre Hand anvertraut hatte, zog Manolescu sich völlig vom ‚Geschäft‘ zurück und hat noch ein Jahr ungestörten friedlichen Glückes auf seinem in der Nähe von Mailand gelegenen Landsitze verlebt. An den Folgen einer Operation, der er sich unterziehen mußte, ist der ‚Fürst der Diebe‘, eben erst 37 Jahre alt, vor wenigen Tagen gestorben.“

Nun, meine Herren, was sagen Sie zu dieser Notiz,“ fragte Wartensleben jetzt triumphierend. „Ich mache nur noch auf die Charakteristik – ‚gesellschaftliche Gewandtheit, vielseitige Bildung, große Sprachkenntnisse‘ – besonders aufmerksam!“

Da meinte der Vikomte schnell, als ob er allen anderen Äußerungen zuvorkommen wollte:

Gewiß, meine Herren, die größte Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß ‚Fürst Lahovary‘ und unser ‚König von Wara‘ ein und dieselbe Person sind. Aber – wer will das jetzt noch mit Bestimmtheit behaupten, wo Georges Manolescu seine Geheimnisse mit ins Grab genommen hat? – Und – de mortuis nihil nisi bene4!“

 

 

Fußnoten:

1 französische Tageszeitung

2 Diese Annonce hat tatsächlich in französischen Blättern gestanden.

4 Von den Toten soll man nur Gutes reden !

 

 

Anmerkung:

3 An dieser Stelle fehlt in der Vorlage Text.

 

Zusatznote:

Walther Kabel arbeitete Auszüge aus dieser Novelle ab Kapitel 5 (zweiter Abschnitt) in den Roman Der Ring der Bogia ein, übernahm die Erzählung hierfür aber nicht vollständig.