Olaf K. Abelsen
Abenteuer
Abseits vom
Alltagswege
Einzig berechtigte
Bearbeitung a. d.
Schwedischen von
M. Schraut
– Band 10 –
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1929 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.
Wenn man von dem Rätsellächeln der Asiaten spricht, von diesem Lächeln, das alles und nichts besagen kann: Mein Kamerad Gupa war Asiate, war sogar reinblütiger Mongole vom großen Volke der Chalcha, – aber sein Lächeln war so selten wie der Regen im Felsengewirr des Wadi Arabah, jenes Kalkplateaus mit den tiefen, breiten Talkerben, das nun meine neue Heimat geworden war.
Wenn Gupa, ein Riese von ebenmäßigem Körperbau, überhaupt lächelte, verzog er den Mund nur zu einem spöttisch-geringschätzigen Bogen.
Und als er damals über mein verwirrtes Gesicht lächelte, nachdem ich Wera Zubanoffs Brief gelesen hatte, empfand ich keinerlei Ärger über diese seine schlecht verhehlte Verachtung für zartere Gefühle, denn – er war Mongole, und die Frauen bedeuteten ihm nur Spielzeug oder Sklavin.
Der Morgen weckte mich in meiner kleinen Zelle. Zu den altgewohnten Störenfrieden des Klosters St. Antonius gehören die in den Felsklüften zahllos nistenden Raben. Diese schwarzen Gesellen vertreten hier die nützlicheren Herren einer Hühnerschar. Kein Hahnenschrei weckte mich: Rabengekrächz!
Es war eine unruhige Nacht gewesen.
Wera kommt …!
… Ich träumte von Fesseln, die meine Freiheit für immer beschwerten … Ich hatte es verlernt, mich auf etwas zu freuen. Das war es.
Nur das?!
Oder hatte ich mich nicht vielmehr an diese schrankenlose Freiheit zu sehr gewöhnt?! Würde mir diese Frau nicht jenen Weg weisen, der nichts anderes war als die ausgetretene Straße des Alltags?! …
… Ich hatte rasch gefrühstückt … Eine Hand voll Datteln, ein Trunk Wasser genügten. Leise verließ ich die Zelle. Über den Klosterbauten lag noch das fahle Licht der Dämmerung, in dem Garten zeigte sich noch keiner der arbeitsamen jüngeren Mönche, der Bruder Torhüter fragte nur erstaunt:
„So früh?! Wohin?!“
„Zu Gupa … Wir werden Wera Zubanoff entgegenreiten …“
Gupa mied das Kloster. Er hauste droben in den weißen Klippen, von denen man ein Stückchen des Nordteiles des Roten Meeres erspähen kann. Seine Höhle war lang und schmal und hatte noch einen zweiten Ausgang und kleinere Abzweigungen.
„Sei vorsichtig!“ mahnte der alte Mönch, den ich nie ohne seinen Tschibuk sah. „Denke an die Kugeln, denke an …“
Ich klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers auf den Kolben der Büchse, und dann streichelte ich meines Hundes rostbraunen Kopf.
„Die beiden schützen mich, Bruder … Keine Sorge!“
Der Greis, dem der Pfeifenrauch den weißen Bart um den Mund gelblich gefärbt hatte, sagte trotzdem nochmals und eindringlicher: „Die Kugeln in der Dunkelheit gestern galten dir …! Eine Kugel ist unberechenbar wie ein störrisches Maultier. Du mußt einen Feind haben, Bruder.“
Er blickte mich dabei aus noch immer seltsam klaren Augen vertraulich an. Wir standen hier auf der Ringmauer des Klosters, und Wrangel, mein Hund, und die frechen Raben waren die einzigen Zeugen seiner Warnung. „Die Frau, die hierher kommen will, hat einen Gatten, Bruder … Er ist koptischer Christ wie ich, – trotzdem …“
„Zubanoff der Schütze?! Niemals!“ – und das war meine ehrliche Überzeugung.
Der Greis meinte sanft: „Ich kenne nichts von der Welt und ihren Fallstricken, nichts von den Lastern, Vergnügungen und Zerstreuungen all der Abermillionen, die jenseits dieser weißen, ewig sonndurchglühten Berge wohnen. Ich kam als vierzehnjähriger Knabe hierher. Darüber ist ein Menschenalter vergangen …“
Seine graublauen Augen, die jetzt auf den Kuppen der Felswildnis mit verlorenem Ausdruck ruhten, waren durchaus die eines reinblütigen Europäers. Seine faltige Gesichtshaut freilich hätte mehr auf einen Bewohner des nur hundertfünfzig Kilometer entfernten Niltales hingedeutet.
Dieser Bruder Pförtner, Theodorus ward er genannt, war im Vergleich zu den übrigen Koptemönchen dieses ältesten Klosters der Welt ein verschlossener Charakter. Heute schien er in ganz bestimmter Absicht das Gespräch auf seine Vergangenheit zu lenken.
„… Bruder Olaf, es sind fast sechzig Jahre her … Unser Kloster war damals, als ich hierher kam, erst wieder durch milde Spenden der koptischen Gemeinden bewohnbar gemacht worden. Es hatte lange Zeit leer gestanden. Ich kam hierher, weil einige Brüder, die nach Kairo pilgerten, um notwendige Dinge einzukaufen, unterwegs eine von Wüstenräubern überfallene kleine Karawane fanden – nur Tote … Ich … war der einzige Überlebende. Ich hatte mich während des Angriffs der Beduinen in den Klippen verkrochen, aber der Schreck und die Angst hatten mir die Sprache geraubt und warfen mich monatelang auf das Krankenlager. Als ich hier in diesen friedlichen Mauern endlich genesen war, war auch mein Gedächtnis tot. Da die Brüder bei den bereits in Verwesung übergegangenen Leichen keinerlei Papiere gefunden hatten und da sich auch nicht feststellen ließ, woher die kleine Karawane in diese öden Berge des Wadi Arabah gelangt sein könnte, weiß ich nichts über meine Eltern, über meine Heimat, über meinen Namen …“
Sein Blick streifte mein braunes Gesicht. „Bruder, du bist einer der Ruhelosen … Ich kenne deine Schicksale. Deine nordische Heimat mußt du meiden. Wir alle haben dich gern. – Bruder, ich weiß nur eins über meine Eltern … Sie müssen wie du ziellose Erdenpilger gewesen sein, denn die Behörden in Ägypten konnten über die zehn Toten, alles Europäer, nichts in Erfahrung bringen. Es sind sechzig Jahre seit jenem Überfall dahingegangen, und …“ – er zögerte – „… und selbst du, der vielleicht mein Sehnen nach Aufklärung über meine Herkunft stillen könnte, wirst kaum etwas ausrichten.“
Also, das war es!
Ich reichte ihm die Hand. „Bruder Theodorus, wir werden ein andermal eingehender darüber sprechen. Jetzt muß ich aufbrechen. Der Anstieg zu Gupas Höhle im Sonnenschein ist eine Qual, und Gupa und ich werden Wera Zubanoff entgegenreiten. Sie wird den Weg über Ab-el-Ejam vom rechten Nilufer wählen, es ist der für Dromedare bequemste, und als gute Kamelreiterin dürfte sie für die Strecke kaum zwei Tage brauchen … Lebe wohl, Bruder, auf Wiedersehen.“
Der Hund und ich schritten auf der breiten Ringmauer hin nach Osten bis zu der verfallenen Treppe.
Eine seltsame Schwere lastete auf meinen Gliedern, das ekle Geschrei der Raben war mir widerwärtig, und ich fühlte bereits die Unfreiheit, die meiner drohte. Ich war ehrlich vor mir selbst: Ich taugte nicht zum Liebesgefährten einer Frau von Weras bezaubernder Schönheit. Erst einmal Sklave solcher Schönheit, und meine Lebenslinie würde abbiegen in das Grau des Alltags, die Ernüchterung würde kommen und dann vielleicht … ein Auseinandergehen voller Enttäuschung, voll geheimen Hasses.
Nur das nicht!! –
Ich begann zu klettern. Und die Anspannung der Muskeln, das Spiel der Kräfte war Ablenkung und frohe Aufmunterung.
Vor Gupas Höhle zog sich eine Terrasse hin, in deren nördlichem Schattenwinkel eines jener nie versiegenden, daher rätselhaften Wasserlöcher sich befand, die dem Gebirge ringsum eigentümlich sind.
Gupa stand vor der Zisterne und holte gerade am langen Strick den Wassereimer hoch.
„Morgen, Gupa …“
„Morgen, Olaf …“
Er ließ sich nicht stören, er wandte kaum den Kopf. Er war nackt bis auf ein Hüfttuch, und dieser muskelstrotzende athletische Körper erregte erneut meine Bewunderung.
Gupa nahm sein Morgenbad, goß sich den gefüllten Eimer über den Kopf und schüttelte die Nässe ab, legte dann seine Kleidungsstücke an, ganz leichte Unterwäsche, darüber einen braunen, mehr grauen mantelartig geschnittenen Leinenstoff, den er mit einem Lederriemen zusammenhielt. Er zog die derben Sandalen an, kämmte sein Haar mit den Fingern nach hinten und stülpte die Lammfellmütze über. In wenigen Minuten war er fertig.
Gupa betrat seine Wohnhöhle, kam mit Sattel, Zaumzeug, Büchse, Pistole, Messer und Satteltasche wieder heraus und schritt vor mir her in die westlichen Täler hinab.
Er war wortkarger denn je.
Die wenigen Sätze, die wir wechselten, bezogen sich auf den unbekannten Schützen, der es auf mich abgesehen gehabt hatte und den wir nicht gefunden hatten. Gupa meinte, der Fürst Zubanoff käme hier nicht in Frage, – ich gab ihm recht.
Unter uns tauchten die Klosterbauten auf, die uralte Kapelle, die neuere Kirche, die gekalkten Vorratshäuser, das Grün des großen Gartens, die Felder, die Palmen … Jenseits des Tales verschwommen Hügel und Berge in violetter Verwaschenheit.
Außerhalb der hohen Ringmauer weideten drei magere Dromedare. Gupa hatte sie erst vorgestern von einem Araber des Wadi Warag gegen Goldkörner eingehandelt, die er im Lederbeutel bei sich trug: Erinnerungen an die Goldfelder des Amur, um die so heißer Streit entbrannt gewesen, – gewesen. Auch das gehörte der Vergangenheit an.
So jämmerlich die Dromedare auch aussahen, ihr Trab war flott und weit ausgreifend, und Wrangel mußte galoppieren, um gleichen Schritt mit uns zu halten.
Wir bogen nach rechts ab. Etwas wie ein Weg, gekennzeichnet durch dürren Tierdünger von Eseln, Maultieren, Kamelen und Schafen sowie durch einen kaum sichtbaren blanken Strich mit zermahlenem Gestein, lief aufwärts in die grelle, helle Felswildnis. Kein Baum, kein Strauch, kein Lebewesen, tödliches Schweigen, – das ist für den Neuling der niederdrückende erste Eindruck dieses Wadi Arabah.
Die Hitze nahm zu. Ich holte mir Wrangel in den Sattel, denn von dem langhaarigen, dickpelzigen Tiere, das aus dem unwirtlichen Sachalin stammte, war es nicht zu verlangen, hier stundenlang über kahles Gestein zu laufen.
„Gupa …?!“
Er schaute auf.
„Was hast du heute? Du bist so still.“
Er kniff die Mongolenaugen noch kleiner.
„Was soll werden, Olaf?!“
„Du meinst, wenn Wera da ist?“
„Was sonst …?!“
Ich war um eine Antwort verlegen.
Aber ich spürte: Gupa, der Treue, war eifersüchtig.
„Ich … weiß es selbst nicht …“
Er lachte. Sein Lachen …
„Nun also!! – Ich kenne dich, Olaf … Es ist der heiße Wind der Leidenschaft. Die Nacht wird kommen und mit ihr der kühle Tau. Dann wirst du einsehen, daß die Frau dir nur eine Last ist.“
Ich wagte nicht zu widersprechen. Gupas wilde Vergangenheit umfaßt dunkelste Berufe. Gupa ist Menschenkenner geworden.
Wir ritten in eine Schlucht hinab, wieder einen Paß empor, und vor uns lag wie eine trügerische Fata Morgana eines jener kleinen fruchtbaren Täler, die in diese Einöde Bilder freudigster Üppigkeit hineinzaubern. – Sie sind selten, aber sie sind da … Man könnte sie Oasen nennen, wenn sie nicht so winzig wären und wenn hier flache oder wellige Wüste sich dehnte.
Wir rasteten hier.
Gupa sattelte die Dromedare ab, legte ihnen die Fußriemen um, – wir beide und der Hund lagerten im Schatten und waren im Paradiese.
Was sollte werden?! – Der Gedanke verließ mich nicht. Scheu musterte ich Gupas harte Züge. Er hatte den Kopf nach Westen gewandt und schien zu lauschen. Ich wünschte, ich hätte sein feines Gehör.
„Schüsse,“ sagte er leise …
Da war es auch mir, als ob ich einen ganz fernen Knall vernähme.
Der Hund, die Ohren hoch gestellt, knurrte.
„Aufbruch!“ Ich lief zu den Tieren, eine dunkle Vorahnung sagte mir, daß Wera sich in Gefahr befände.
Auch Kamerad Gupa beeilte sich. Die Dromedare, empört über die zu kurze Rast, keilten aus. Kostbare Minuten vergingen. Das Lasttier war am störrischsten. Gupa hieb ihm die Faust zwischen die Ohren, und es knickte vorn ein.
Wir trabten weiter, Wrangel war besessen von Eifer, ich mußte ihn immer wieder zurückrufen.
Einen Berg hinan, – am tiefen Abgrund entlang, – wieder ein Tal …
Auf diesen hellen Felsen, deren Farbe nur selten in düsteres Grau oder Braun übergeht, erkennt man fremde Gegenstände auf weite Entfernung. Die Luft ist klar und dünn, – die Luft flimmert, aber es war ein totes Kamel, das da auf der Talsohle zwischen Geröll neben einem lang hingestreckten Manne in Beduinentracht lag.
Der Mann lebte noch. Das Reittier war tot.
Ich kniete neben dem Araber, sein Gesicht war grau und eingefallen, die Lippen farblos, die Augen geschlossen. Die Whiskyflasche gab ihm letzte Kraft trotz der beiden Kugeln quer durch die Brust. Er konnte wenige Worte flüstern, er war von Wera als Führer angeworben worden, – hier an dieser Stelle hatten plötzlich aus den Steinblöcken Schüsse geknallt … Mehr wußte er nicht. Er starb, und wir begruben ihn in einer Felsspalte.
Gupa sagte nur: „Ich wußte, daß Ähnliches geschehen würde … Die Mörder werden sterben“ – Viel Worte machte er nie.
Wir hatten den Hund. Ohne ihn wäre es zwecklos gewesen, nach Fährten zu suchen. Zwischen den Felsblöcken fand ich vier Patronenhülsen von Winchesterbüchsen, dazu drei Zigarettenstummel und Pfeifentabakreste.
Im Spurendeuten war ich Gupa doch über. Ich erkannte, daß hier drei Leute versteckt gewesen, – ich erkannte weiter, daß ein vierter in einer nahen Schlucht vier Dromedare bewacht hatte. Dann fehlte jegliche Fährte. Die Mörder waren mit Tieren, denen die Hufe umwickelt gewesen, hierher gekommen und genau so entflohen – zu fünfen mit Wera. Aber wir hatten den Hund, und Wrangels Nase ist vorzüglich.
Während ich die Fährten studierte, hatte Gupa die Umgebung scharf überwacht. Wir mußten immerhin damit rechnen, daß es sich bei diesen Entführern Weras um dieselben Personen handelte, zumindest um denselben heimtückischen Schützen, der mich gestern zweimal bedacht hatte – ein Sauschütze freilich, denn seine Schüsse waren nur Pulververschwendung gewesen.
Gupas Zuruf lockte mich aus der Schlucht wieder in das Tal. Von Westen her kam ein Mann auf einem Maultier dahergetrabt, und ich lernte so eine der sonderbarsten Gestalten kennen, die mir je über den Weg gelaufen sind.
„Rechnungsrat a. D. Tübbicke, Berlin,“ stellte er sich vor.
Tübbicke war hager, bartlos und glich bei seinem gebräunten Gesicht mit den scharfen Zügen weit mehr einem wohlhabenden, forschen Landwirt. Unter dem Rande des Tropenhelms schimmerten vergnügte, lebhafte braune Augen, um den energischen Mund hatte er stets den Anflug eines gütigen, humorvollen Lächelns.
Dieses Lächeln schwand, als er das erschossene Dromedar erblickte.
„Was ist hier geschehen?“ fragte er in holprigem Schulenglisch, da ich aus Vorsicht mich als „Lensen[1], Ingenieur, aus London“ vorgestellt hatte.
Er musterte mich und Gupa sehr durchdringend, seine Hand glitt unmerklich unter die aufgeknöpfte Sportjacke.
„Lassen Sie Ihre Pistole nur stecken, Mr. Tübbicke,“ beruhigte ich ihn. „Wir haben hier einen Toten und das gleichfalls erschossene Dromedar soeben erst gefunden …“
„Kann jeder sagen – entschuldigen Sie … Man hat mich in Kairo gewarnt. Diese Berge sollen zuweilen von Räuberbanden heimgesucht werden, die aus Abessinien über die Grenze vordringen.“ Sein Ton kurz und scharf. An den Rechnungsrat glaubte ich immer weniger.
„Dann hat man in Kairo arg übertrieben … Mein Kamerad Gupa und ich kommen soeben vom Koptenkloster St. Antonius und …“
„Woher?!“ Seine dicken buschigen grauen Augenbrauen zogen sich hoch. „St. Antonius, – – das ist merkwürdig!“
„Aber es ist wahr,“ – ich wurde etwas ungeduldig. „Leider können wir uns hier nicht lange aufhalten, Mr. Tübbicke. Die Banditen, vier waren es den Spuren nach, haben eine Europäerin entführt, der wir entgegengeritten waren. – Wo wollen Sie hin?“
„Hm – mir die Berge, die Gegend ansehend,“ – er lächelte ein wenig. „Ich finde dieses Wadi Arabah sehr schön … Kennen Sie die Müggelberge bei Berlin, Mr. Lensen? Es ist ein herber Kontrast, – dort grüne Waldkuppen, hier …“
„Ich kenne sie … – Sie würden uns einen Gefallen erweisen, wenn Sie nach dem Kloster, das sind fünf Stunden, reiten und das hier Vorgefallene melden wollten, Mr. Tübbicke.“
„Bedauere. Ich werde Sie begleiten. Ich will auch mal etwas erleben. Unterschätzen Sie mich nicht, – ich wog mit fünfzig zwei Zentner, dann habe ich gemüllert und gespart … Wissen Sie, was „Müllern“ ist?“
Jetzt mußte ich lachen. „Natürlich!“
„Heute mit sechzig Jahren wiege ich hundertfünfundvierzig Pfund, ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich …“
„Verzeihen Sie, wir haben wirklich keine Zeit,“ – Gupa hatte bereits sein Dromedar bestiegen.
„Ich habe zu viel Zeit, ich komme mit. Mein Maultier ist besser als ein Vollblutaraber, ich besitze zwei Repetierpistolen, ich treffe zur Not auch damit, ich habe Proviant und Wasser und …“
Gupa ritt kurzerhand in die Schlucht hinein, ich rief Tübbicke ein „Glückliche Reise“ zu, folgte Gupa und setzte den Hund auf die frische, aber unsichtbare Fährte. Wrangel trabte nach rechts die Schluchtwand empor, die Nase dicht über dem Steingeröll, – wir kamen in ein endloses, schmales Quertal, die Tiere griffen lebhafter aus, und … hinter uns nahte das Dröhnen beschlagener Hufe. Ich wandte den Kopf … Tübbicke hatte sich nicht abschütteln lassen, Tübbicke erschien neben mir, straff im Sattel sitzend, ein tadelloser Reiter, alles andere, als eine etwa komische Figur, und mit blitzenden jungen Augen meinte dieser grauhaarige Sechzigjährige:
„Ein früherer Wachtmeister von den Allensteiner Dragonern hat noch feste Schenkel, Mr. Lensen! Kennen Sie Allenstein?!“
Gupa warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Ich fügte mich in das Unabänderliche.
„Drei sind vielleicht besser als zwei,“ sagte ich nur. „Aber machen Sie sich darauf gefaßt, daß Ihre Ägyptenreise nicht in einem Hotelbett in Kairo endet!“
„Sehe ich nach einem durch Daunenfedern Verwöhnten aus?! Ich wog mit fünfzig zwei Zentner, war dick wie ein Mastferkel und faul wie ein Krebs. Ich ging nicht, ich kroch. Aber daran war nur meine Wirtschafterin schuld, sie kochte zu gut, Mr. Lensen, ich sah mein Ende voraus, jeder zu prall gefüllte Ballon platzt irgendwo, ich kündigte ihr, – denken Sie: Der Mut!! Fünfzehn Jahre hatte sie mich zu üppigen Mahlzeiten verführt, – und dann kündigen!! Das ist mehr als Mut. – Haben Sie mal eine Haushälterin gehabt?!“
„Nein, zum Glück nicht!“ – Innerlich feixte ich über diesen prächtigen alten Herrn, der sicherlich keinen üblen Gefährten abgab.
„… Und wissen Sie, wie dieser Wendepunkt in meinem Leben eintrat?“ redete er mit seiner klaren scharfen Stimme weiter. „… Durch ein Theaterstück, durch einen Schwank, den ich bis dahin nur vom Hörensagen kannte. Es gibt da ein lustiges und doch auch wieder ergreifendes Stück, „Zum weißen Rößl“ heißt es … Eine der Hauptfiguren ist ein armer Privatgelehrter, der viele viele Jahre gespart hat, um mit seiner Tochter zusammen sich ein einziges Mal ein uraltes Sehnen erfüllen zu können: Eine Reise in die Alpen! – Eine rührende Figur, Mr. Lensen … Und ausgerechnet von der Bühne herab mußte mir so ein Schauspieler klar machen, daß ich bis dahin nichts als ein Prasser und Stammtischtrottel gewesen, daß in Wahrheit auch in meiner Seele stets der Wunsch, fremde Länder zu sehen, lebendig gewesen. Von Stund an ward es anders. Ich kündigte dem weiblichen Futtermeister, ich bezog eine kleine Wohnung weit draußen in einem Vorort, ich ging zu Fuß zum Dienst hin und zurück, ich aß zu Mittag in einer Speisehalle für achtzig Pfennig. Wenn Sie da einen Bratklops auf Papier legten, gab es noch nicht einmal einen Fettfleck, und ein Kotelette mußte man auf dem Teller zwischen dem Gemüse mit einer Harke suchen – einer Kinderharke! Ich sparte, meine Sehnsucht war Ägypten, ich sparte so, daß meine Vorgesetzten an meiner Kleidung Anstoß nahmen und ein Neffe von mir mich entmündigen lassen wollte. Genau neun Jahre neun Monate lebte ich so. Das Ende vom Liede war die Pensionierung, und der Anfang des zweiten oder dritten Abschnitts meines Daseins war der D-Zug nach Mailand … Seit sechs Wochen bin ich nun hier im uralten Pharaonenlande, seit einer Woche reite ich durchaus selbständig durch die Gegend, – es macht mir Spaß …“
Das glaubte ich ihm ohne weiteres. Sein Gesicht strahlte …
Ich gab ihm die Hand. „Dann also auf gute Kameradschaft, Mr. Tübbicke …!“
„Und ob …!! Und ob!! Auf mich ist Verlaß, ich stehe überall meinen Mann …!“
Man konnte diesen alten Herrn, den die sechzig Jahre wahrlich nicht belasteten, geradezu beneiden.
Gupa hatte sein Dromedar nach rechts hinter ein paar Kalksteinzacken gedrängt und war aus dem Sattel geglitten, hatte Wrangel zurückgerufen und gab uns durch Winke zu verstehen, daß wir uns gleichfalls verbergen sollten. – Das war in diesem Teile des Tales nicht schwer. Zu beiden Seiten der ziemlich steilen Wände, die so glatt wie hellgraues, straff gespanntes Leinen aussahen, lagen Blöcke in allen Größen, manche von geradezu phantastischen Formen, einige wie verstümmelte Marmorstatuen oder wie die Werke übermoderner Bildhauer, andere in unregelmäßiger Pyramidenform oder ungeheure Würfel, viele davon durch große dünne Scheiben nachstürzenden Gesteins förmlich überdacht und primitiven Höhlenwohnungen gleichend.
Auch wir waren im Nu aus dem Sattel, auch wir führten unsere Tiere in eine der seltsamen Behausungen, – niemand konnte uns hier erspähen, falls nicht gerade Dromedar und Maultier in eine wütende Beißerei gerieten. Tübbicke kam dem zuvor, indem er seinem offenbar wenig friedfertigen Viech eine Wolldecke über den Kopf warf, ein Beweis, daß die langbeinige und flinke Stute schon häufiger wenig zarte Eigenschaften verraten hatte.
Ich fand einen Schlitz in den Seitenteilen unseres Verstecks, und als ich gen Westen zu dem Paß emporspähte, von woher einzig und allein Fremde zu erwarten waren, erblickte ich auf einem wundervollen, fast weißen Bischarin-Dromedar eine Europäerin mit Tropenhelm, Nackenschleier, tadellosem Reitdreß, vor sich im Sattel eine kurze Büchse, – – hinter sich aber ein Dutzend Beduinen, prächtige Gestalten, zweifellos Zugehörige eines Stammes aus dem südlichen Niltal oder aus der Libyschen Wüste, alle gut bewaffnet und beritten. Langsam kamen sie ins Tal hinab, eine Schar, mit der wir sehr zu rechnen hatten, falls es sich hier um Verbündete der Entführer Wera Zubanoffs handelte. Dieser Gedanke, daß die Europäerin und ihr Anhang mit den Mordgesellen etwas zu tun haben müßten, war mir sofort aufgestiegen.
Das Tal war gerade durch die Felsblöcke sehr eng. Es folgten Minuten einer Spannung, wie man sie selten erlebt und doch nicht missen möchte. Das geringste Schnauben unserer Tiere mußte uns verraten …
Das Getrampel der dreizehn Reiter näherte sich. Tübbicke hatte ganz von selbst seine Pistolen hervorgeholt, als er sah, daß ich meine Büchse entsicherte. Wenn diese Beduinen und diese sonngebräunte Frau, die sich hier so abseits des sogenannten Weges nach dem Kloster in den unwirtlichen Bergen umhertrieben, Arges im Schilde führten, dann …
Meine Sorge war überflüssig gewesen.
Achtlos trabten sie vorüber.
Tübbicke, der dicht neben mir stand, stieß mich leise an und lächelte zufrieden. Ich horchte auf die sich rasch entfernenden Geräusche der Kamelhufe, dann wandte ich den Kopf wieder dem Sehschlitz zwischen den Blöcken zu. Es war nicht ausgeschlossen, daß dem Haupttrupp noch ein paar Leute mit Lastkamelen folgten.
So flink, wie ich damals die Büchse emporgerissen, gezielt und gefeuert habe, um einen heimtückischen Schuß zu vereiteln, – so schlecht, wie ich damals auf kaum hundertfünfzig Meter Entfernung den Mann auf der Höhe des Passes getroffen habe, ist es selten geschehen.
Der Knall meiner Büchse erfüllte das Tal mit vielfachem Echo. Es klang wie Salvenfeuer. Ich hörte das Schreien der Beduinen, – nach Osten zu hatten wir keinen Ausblick, – ich lief aus dem Versteck ins Freie, ich sah die Frau im Tropenhelm mit starren Augen die Paßhöhe mustern, wo soeben um die Ecke der Felswand zwei lange Arme herumgriffen und den meuchlerischen niedergesunkenen Schützen um die Biegung zerrten …
Der Tropenhelm war der blonden Frau ins Genick gerutscht, ihr Antlitz lag frei, es war das verhärmte, finstere, harte Gesicht eines nicht mehr ganz jungen Weibes, das Unendliches gelitten haben mußte.
Sie hatte ihr wunderbares Bischarindromedar mit dem stolz gebogenen Hals durch einen Schlag vorwärtsgetrieben und hielt unmittelbar vor mir.
Ihre Augen, in denen ein eigenes Leuchten glomm, glitten über mich hin wie der eisige Hauch aus einer finsteren Kluft.
„Ich danke Ihnen,“ sagte sie genau so eisig. „Ich hatte mich, wohl infolge einer Vorahnung irgendeiner Schurkerei, gerade umgedreht, die Kugel traf meinen Tropenhelm … Wer sind Sie?“
Tübbicke erschien jetzt gleichfalls neben mir, und auch Gupas rauhe Stimme und Wrangels wütendes Kläffen meldeten das Näherkommen auch dieser beiden Gefährten.
Die Frau achtete nur auf mich. Ihr etwas anmaßender Ton behagte mir wenig. Sie hatte so eine gewisse Art bewußter Geringschätzung, die nicht jedermanns Sache ist.
„Ein Tourist,“ erwiderte ich.
„Lügen Sie nicht! Ich kenne diese harmlosen Globetrotter von Kairo her zur Genüge. Sie sehen denen etwa so ähnlich, wie ein Somalikrieger einem Schacherer aus dem Londoner dunkelsten Viertel. – Aber – Ihr Name ist mir gleichgültig … Sahen Sie den Schützen genauer?“
„Es war ein Beduine, dem Gesichtstuch nach könnte es ein Tuareg gewesen sein, aber die verirren sich kaum in diese Gegend.“
Mir kam es vor, als wäre sie sehr zufrieden damit, daß ich nichts Genaueres über den Mann, den meine Kugel dann sofort niedergeworfen hatte, angeben konnte. Sie spielte mit den hellgelben Lederzügeln, sie kniff die Augen zusammen und rief nach rückwärts:
„Adir!!“
Einer ihrer Beduinen drängte sein Tier neben sie.
Sie sprach mit ihm in einem merkwürdigen Negerdialekt, der sehr viel nasale Laute enthielt.
Dieser Adir war ein tadellos gewachsener dunkelhäutiger Mann mit einer von ranzigem Hammelfett triefenden und dementsprechend duftenden Riesenfrisur. Sein leicht gekräuseltes, recht langes Haar war mit einem Riemen in der Mitte des Kopfes zu einem Schopf hochgebunden, der Rest dieses Kopfschmuckes fiel fast bis in den Nacken hinab. Genau dieselben Frisuren trugen die übrigen elf Begleiter der finsteren Dame, und der Geruch nach üblem Fett war derart aufdringlich, daß ich die Lady ehrlich bewunderte, in dieser Gesellschaft es längere Zeit auszuhalten.
Adir winkte dreien der Leute, sie trabten an, sie jagten den Paß empor, indem sie sich tief an die Hälse ihrer Tiere schmiegten. Es waren glänzende Reiter, und als ich dann später erfuhr, daß es sich gar nicht um eigentliche Beduinen, sondern um Krieger des Volkes der Bischarin handelte, ergab sich die Erklärung für Lady Cordys tadelloses Reittier ganz von selbst.
Das tollkühne Vorsprengen der vier Leute sollte leider durch meinen Warnungsruf nicht mehr rechtzeitig aufgehalten werden.
Der Paß droben, besser nur eine schmale, den hohen steilen Berg sich emporwindende natürliche Terrasse, spie plötzlich hinter Geröllschutt hervor Blitze und Kugeln.
Die Kerle, die sich dort eingenistet hatten, waren freilich auf Ziele, die sich bewegten, nicht eingeschossen, – die Bischarin wieder hatten sich blitzschnell zu Boden gleiten lassen, ihre Tiere knieten auf einen Pfiff nieder, streckten sich lang und waren durch Geröll gleichfalls gedeckt. Wir unten im Tale hatten ebenso schnell die schützenden Felsblöcke erreicht, – die nächste Kugelsaat zerspritzte an diesen Blöcken, und dennoch blieb unsere Lage vorläufig insofern recht unangenehm, als wir gegenüber den Feinden droben stark im Nachteil waren, ihr Schußfeld reichte über das ganze Tal hin, und jeder Versuch unsererseits, den Paß zu stürmen, mußte uns Verluste einbringen.
Die Frau hatte sich an das Gestein gelehnt, ihre weißen Zähne nagten die Unterlippe, ihre harten Augen hatten etwas Geistesabwesendes. Ich betrachtete sie nun genauer. Sie mußte einmal sehr schön gewesen sein – einmal, als sie noch vom Leben Glück und Liebe erhofft hatte.
„Ich bin Lady Jane Cordy,“ sagte sie plötzlich. „Haben Sie von mir gehört?“
Diese Frage mußte ich verneinen. „Ich heiße [Lensen, Mylady … Ihr Name ist mir gänzlich][2] unbekannt …“
Sie hob den Blick. Sie hatte eine eigentümliche Art, das Gesicht dessen, mit dem sie sprach, nur flüchtig zu streifen.
„Das ist sehr merkwürdig,“ meinte sie und wandte den Kopf nach Gupa hin, der sich abseits niedergesetzt hatte.
In dem Moment wurde mir klar, daß sie mich kannte, ebenso Gupa.
Ihre Augen ruhten nun flüchtig auf der kräftigen Erscheinung Tübbickes, der durchaus Rechnungsrat a. D. und halbe Schwankfigur sein wollte.
Er verbeugte sich.
„Tübbicke, Adolar Alfred Armin Tübbicke aus Berlin, Beamter im Ruhestande, Ägyptenforscher im neuen Amateurberuf, Mitglied des Sportvereins „Freiluft“ … Ich habe von Ihnen gehört, gelesen, Mylady. Sie sind die ungekrönte Königin der Bischarin.“
„Reportergeschwätz!!“ sagte sie wegwerfend. „Ich bin Missionarin gewesen …“
Draußen knallte von Westen her wieder ein Schuß, nur einer …
Als ich um den Felsen lugte, sah ich gerade noch den Körper eines Mannes im braunen Beduinenmantel über den Rand der Terrasse in den Abgrund rollen. Ein gellender Schrei noch – und wieder herrschte Stille.
Der Bischarin Adir schob eine neue Patrone in den Lauf seines weiß Gott wo erbeuteten Militärkarabiners.
Auch Lady Cordy hatte diesen Erfolg Adirs mit beobachtet.
„Er ist der beste Schütze meiner Leute,“ sagte sie mehr zu sich selbst … „Im übrigen wird die Geschichte langweilig.“
„Da haben Sie recht, Mylady …“ Ich hatte mir schon eine passende dünne Felsplatte ausgewählt, die einem dreieckigen Schilde glich.
Gupa beobachtete mich. Als ich die Platte emporhob, stand er auf und ergriff eine weit größere. Für seine Bärenkräfte bedeutete sie ein Nichts.
„Die deckt uns beide, Olaf,“ meinte er wortkarg wie immer. „Hier hat sie eine Seitenspalte, du schießt, ich trage.“
Zu meiner angenehmen Überraschung nahm dann Tübbicke meinen Schild. „Ich mache mit … selbstverständlich.“
Ich band Wrangel, der zweifellos hinterhergetrabt wäre, mit einem Lederriemen fest, und wir drei begannen den Angriff, der nur ein Spaziergang wurde. Als wir uns an den Bischarin, die auf halber Höhe der Terrasse im Geröll lagen, vorbeidrückten, rief Adir in einem Englisch, das noch schlechter als das unseres Rechnungsrates war:
„Sie werden entflohen sein, glaube ich.“
Seine letzten Worte wurden von dem Getöse einer starken Explosion übertönt, die irgendwo auf der anderen Seite des das Tal abschließenden Berges erfolgt sein mußte.
Wir kletterten langsam höher. Nicht eine Kugel begrüßte uns. Tübbicke, der hinter uns ging und still vergnügt vor sich hin pfiff, als ob es sich in der Tat nur um eine harmlose Bergtour handelte, sagte unvermittelt: „Natürlich haben sie ein Stück des Passes weggesprengt, damit wir zu einem weiten Umweg gezwungen werden.“
Gupa erklärte dazu: „Sie müssen dann gerade Dynamitpatronen bei sich haben …“
Er sprach nur aus, was auch ich bestimmt annahm.
Unser Rechnungsrat mit den drei A. A. A. in den Vornamen (Adolar, Alfred, Armin, – – seine Eltern mußten witzige Leutchen gewesen sein) brummte etwas von „Sprengstoffgesetz“ und „grobem Unfug“ und wollte dann durchaus an die Spitze. Ich nahm ihm seinen Schild ab. „Bleiben Sie mit Gupa hier,“ befahl ich so energisch, daß er mich erstaunt anblickte. „Die Kerle können noch irgendeine Schurkerei vorbereitet haben …“
Kamerad Gupa war daran gewöhnt, daß ich in kritischen Momenten stets allein handelte. Tübbicke dagegen paßte mein Ton nicht. „Vergessen Sie nicht meine Jahre, Mr. Lensen!!“ – aber er lächelte dabei unsicher und fügte von selbst hinzu: „Die Berufung auf mein Alter ist allerdings sehr fadenscheinig begründet. Man schätzt mich meist auf fünfundvierzig ein … Gut, hier in diesem Falle gebe ich nach, obwohl …“
Ich wanderte weiter, Tübbickes Nachsatz entging mir daher. Der Paß wurde schmaler, je höher ich kam. Aber die Fernsicht war dafür auch derart bezaubernd, daß ich fast den eigentlichen Zweck dieses steilen Anstiegs vergaß. Noch nie hatte ich die höchsten Zacken des Wadi Arabah in so intensiv violettem Schimmer gesehen wie heute, noch nie war in mir der Gedanke an ihre entfernte Ähnlichkeit mit dem freilich weit großartigeren Ausblick vom Grat des Zugspitzmassivs so eindringlich aufgetaucht wie jetzt.
Dann wurde die Terrasse wieder breiter, das Geröll füllte sie wie mit Riesenkieseln, und … zehn Meter noch: Hier hatten die Gegner in Deckung gelegen, hier, wo der Paß in scharfer Krümmung nach Norden abbog, fand ich eine Blutlache, Patronenhülsen und ein blutgetränktes Taschentuch von feinstem Leinen mit bunter Kante, ein Herrentuch.
Ich rührte nichts an. Ich wollte erst einmal sehen, ob der Gegner wirklich nur mit der Sprengung sich begnügt haben sollte. Mit größter Vorsicht bewegte ich mich weiter, meine Augen, durch die wochenlange Untätigkeit in freier Natur vielleicht ein wenig eingeschläfert, gewannen die frühere Schärfe und das rasche Erfassen jeder Einzelheit zurück.
Ich hielt den Schild nun schräg, – ich kam um die Biegung, blickte den Paß abwärts, in der Tiefe lag eine enge Schlucht, schon mehr ein Canon, und dann sah ich auch die durch die Explosion zerstörte Stelle. Ich erkannte, wie klug die Gegner gerade den Platz gewählt hatten. Das Gestein mußte sich dort nach innen gewölbt haben, die Stelle mußte einer an die Felsen geklebten Brücke geglichen haben, und diese Brücke war in einer Breite von vier Metern verschwunden, der Paß, die Terrasse hatte ein Loch, und nur einzelne Zacken und Wülste ragten noch aus der senkrechten Wand hervor.
Wenn irgendwo, dann lauerte die Gefahr dort vor mir – dicht vor dem zerstörten Paß. Wäre ich in der Lage unserer Feinde gewesen, hätte ich Verfolger nicht nur aufhalten, sondern auch vernichten wollen, dann würde ich damit gerechnet haben, daß der Feind hinter mir erst einmal die Wirkungen der Explosion genau in Augenschein nehmen würde – eben prüfen würde, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, dennoch irgendwie über den Abgrund hinüberzukommen und einen zeitraubenden Umweg zu ersparen.
Menschen, die in engster Verbundenheit mit der Natur leben, eignen sich mit der Zeit eine über[sinnliche Fähigkeit, Ereignisse vorherzusehen][3] an, eine Art sechsten Sinn. Auch hierin sind uns die Tiere über, denn gerade sie meiden instinktmäßig jede Falle, und es bedarf schon großer Kunstfertigkeit, Erfahrenheit und Ausdauer, zum Beispiel einen scheuen Wüstenwolf durch einen Köder ins Verderben zu locken.
Ich beäugte die kritische Stelle. Ich tat keinen Schritt, bevor ich nicht das Geröll untersucht hatte. Ich stellte den Schild weg. Meine Armmuskeln waren steif durch das Tragen der schweren Steinplatte geworden, die Finger schmerzten, der Schweiß rann mir über das Gesicht, ich war hier der prallen Sonne ausgesetzt, und das Gestein war schon derart durchhitzt, daß es einer glühenden Kesselwand glich.
In sehr verdächtiger Weise lehnte da ein langer Felssplitter am Abhang. Das untere Ende lag auf einer kleinen Felsplatte auf, unter der ein Stein wie bei einer primitiven Wage einen Stützpunkt in der Mitte der Platte bilden mußte: Die Platte lag durch den Druck des Steinsplitters schräg.
Das sah ja auf den ersten Blick sehr harmlos aus: Ein Zufall konnte diese Mausefalle zusammengefügt haben – konnte. Aber unter diesem hochgedrückten Teil der Platte blinkte es zwischen dem feinen Steinschutt metallisch. Ich bückte mich. Ein Taschenfeuerzeug war da zwischen Steinen so festgeklemmt, daß der Knopf, der das Hartstahlrädchen in Bewegung setzte, von der Platte getroffen werden mußte, sobald man etwa diese mit dem Fuße niederpreßte oder auch nur der lange Steinsplitter umfiel und dadurch die „Wage“ zurückkippte.
Eine höllische Einrichtung!!
Das hatte niemals ein Beduine ersonnen, niemals irgendein farbiger Bewohner Ägyptens, das war so zweifellos das Werk eines Europäers, wie auch das blutige feine Taschentuch droben und dieses goldene Feuerzeug einem Weißen gehört hatten!
Aber, – diese Falle zeigte, je mehr ich hinter ihre Eigentümlichkeiten durch vorsichtiges Wegräumen der Platte, des Steinsplitters und des Gerölls kam, noch weitere eindeutige Besonderheiten. Dicht an dem Zündstein lag das aufgerauhte Ende einer Zündschnur, die man noch mit Schwarzpulver eingerieben hatte. Sie führte, kaum zehn Zentimeter lang, zu einer Dynamitpatrone, die vollkommen mit Steinen umhüllt war.
Welche Wirkung diese Höllenmaschine gehabt hätte, konnte gerade ich als einstiger Ingenieur mir unschwer ausmalen. Das Geröll ringsum hätte wie ein Hagel von Geschossen weithin alles zerschmettert. Wären Tübbicke, Gupa und ich blindlings hierher vorgedrungen, wäre von uns nicht viel übriggeblieben. Zerfetzt hätten wir dort unten im Abgrund gelegen, – wo nun der arme Teufel ruhte, der, vielleicht verlockt durch das Geld des satanischen Weißen, hier durch eine Kugel den Tod gefunden hatte.
Ich schob die Dynamitpatrone in die Tasche. Sie war ja so weit ungefährlich. Das goldene Feuerzeug trug den Stempel eines Londoner Juweliers und unter einem eigentümlichen Wappen das verschlungene Monogramm
J. C.
J. C. …?!
Etwa Jane Cordy?!
Ich mußte über meine eigene Torheit lächeln. Ich hatte ja das Kugelloch in Myladys Tropenhelm gesehen. Ich hatte selbst den Schützen verletzt, – das bewies das Taschentuch. Der Mann mit dem Tuareg-Gesichtstuch war ein Europäer gewesen.
Wer?!
Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Hinter mir stand der jugendfrische, lächelnde Sechzigjährige, Adolar Tübbicke. Seine derben Stiefel hatte er mit den Senkeln zusammengebunden und über die linke Schulter geworfen. Auf farbigen Sportsocken war er herbeigeschlichen, – und allerhand Hochachtung vor seiner Fertigkeit im Anschleichen: Ich hatte nichts gehört!!
„Das hätte drei Begräbnisse gespart, Mr. Lensen …!“ und er deutete auf das Feuerzeug und auf meine Tasche. „Viel verstehe ich als Büromensch nicht von solchen Dingen, aber als früherer Soldat reime ich mir das Nötige schon zusammen.“
Ich schaute ihn belustigt an.
„Sie wollen Rechnungsrat im Ruhestande sein?!“ Ich sprach jetzt deutsch, und auch das brachte ihn nicht weiter außer Fassung.
„Daß Sie kein Londoner Gewächs sind,“ meinte er ironisch, „merkte ich schon an Ihrem ganzen Gehabe.“
„Ihr feiner Riecher für Nationalitätszugehörigkeit ist verblüffend!“
„Die Kerle haben ziemlich ungenügend gesprengt,“ sagte er mit einem Blick auf die Lücke in der Terrasse. „Wetten, daß wir unsere Tiere hier nach einer Viertelstunde in aller Sicherheit hinüberführen?!“
„Ich wette nur auf Ja, denn auch ich sehe die übriggebliebenen Zacken und die Spalten im Gestein. – Hallo, Gupa!!“
Der Mongole näherte sich schnell. Wir begannen sofort passende lange Steine in den Spalten festzukeilen. Paßten sie nicht, so schlug Gupa sie zurecht. Adolar, vor dem ich immer mehr Respekt bekam, half so eifrig und so geschickt, daß ich abermals die Bemerkung hinwarf, sein Beruf sei wohl kaum der Büroschemel und der Amtsschimmel gewesen. Ich betonte Schemel und Schimmel, ich sprach wieder deutsch, er lachte herzlich, er hatte wirklich eine geradezu erquickende Art an sich.
Als wir nun große Platten herbeischleppten, – als Brückenbelag –, als diese Brücke von uns auf ihre Tragfähigkeit vorsichtig probiert wurde, erschien Lady Cordy mit meinem Hunde an der Leine und musterte wortlos unser Werk, folgte uns dann ohne weiteres über die etwas wackeligen Platten und zeigte dabei eine so stolze Verachtung jeder Gefahr, daß Tübbicke sehr zwanglos meinte: „Man scheint über die Königin der Bischarin nicht zu viel, eher zu wenig Gutes geredet zu haben, Mylady!“
Ein hochmütiger, kalter Blick streifte ihn, einer jener Blicke, die ich schon kannte.
„Werden die Dromedare sich nicht sträuben?“ fragte sie mich. „Ein falscher Tritt, und die Platten kippen …“
„Wir verbinden ihnen die Augen und seilen sie an …“ entgegnete ich nur.
Gupa holte die Bischarin herbei. Die Dromedare benahmen sich sehr vernünftig, aber das Maultier des Mr. A. A. A. hatte Mucken, keilte aus und biß sogar nach seinem Herrn. Kostbare Minuten gingen wieder verloren. Mit einem Male schwang der Herr Rat i. R. sich in den Sattel, keilte dem störrischen Vieh die Absätze in die Weichen und – ich schloß unwillkürlich die Augen – setzte im Galopp über das unsichere Bauwerk hinweg, – hinter ihm polterten ein paar Steinplatten in die Tiefe, aber er war drüben, und er machte von der Sache keinerlei Aufhebens, obwohl sogar der Bischarin Adir ihm in einigen uns unverständlichen Worten seine Hochachtung ausdrückte.
Nichts bringt Menschen einander so schnell näher wie gemeinsame Gefahr, gemeinsames heißes Erleben. Und dieses Passieren der Notbrücke, diese letzte Cowboyszene, geritten von einem Sechzigjährigen, waren der Kitt der Verbrüderung. Selbst Mylady wurde zugänglicher. Da ich mit dem Hunde wieder an der Spitze ritt, hielt sie sich neben mir und sprach über unsere Aussichten, die Mörder einzuholen. Aber ihre Redseligkeit ging sehr bald in ein recht verfängliches verstecktes Verhör über. Ich war auf der Hut. Ich wußte zu wenig von dieser streitbaren, finsteren Amazone, die hier in Oberägypten mit zwölf Bischarinkrieger aufgetaucht war, deren Heimat doch so weit südlicher lag – dort, wo die Eisenbahn bei Wadi Halfa den großen Nilbogen durchschneidet und die Nubische Wüste ostwärts bis zum Roten Meer und bis zur Nordgrenze Abessiniens sich hinzieht.
Sie wollte mich aushorchen. Ein zweckloses Beginnen, denn meine Gegenfragen überhörte sie geflissentlich, und ich diente ihr mit gleicher Münze.
Wir hatten etwa die Westgrenze des eigentlichen Wadi Arabah (richtiger heißt es: Uadi Arabah) erreicht, zwei Stunden schärfsten Rittes lagen hinter uns, als ich nach einer kurzen Rast, die unbedingt der Mittagshitze wegen nötig gewesen, meinerseits zu einem Vorstoß gegen Myladys Geheimnisse ausholte, – hatte ich doch während dieser anderthalb Stunden Ruhepause Lady Janes Zigarettenetui genauer betrachten können … Ausholte! Ich holte nämlich das Feuerzeug hervor. Bisher hatten wir ihr die Mausefalle mit Dynamit verschwiegen …
„Kennen Sie dies, Mylady?!“
Ich behielt sie scharf im Auge.
Sie verfärbte sich …
„Sie kennen dies Feuerzeug, – es sollte uns eine kleine Überraschung bereiten, hier in der Tasche habe ich die zugehörige Dynamitpatrone …“
Sie sagte gar nichts. Zum Ableugnen war sie wohl zu stolz. Der kalte, hochmütige Zug in ihrem vergrämten, verblühten Gesicht trat noch deutlicher hervor.
„… Ja, Sie kennen es, Mylady. Mr. Tübbicke erzählte mir vorhin, daß in den Zeitungen gestanden hätte, Sie und Ihr Gatte James Cordy seien in vielen Punkten recht verschiedener Ansicht, milde ausgedrückt. Gewiß, die Herren Reporter saugen sich jetzt vieles aus den Fingern, aber … weshalb haben Sie das blutgetränkte Taschentuch droben von der Paßhöhe verschwinden lassen?!“
Ihre Züge wurden steinern.
„Für gewöhnlich unterhalte ich mich nicht mit steckbrieflich verfolgten Totschlägern,“ sagte sie in offener Feindseligkeit. „Wenn Sie das Feuerzeug kennen, Mr. Abelsen, – ich kenne auch Sie und Ihre Vergangenheit …“
„Freut mich …!“ Ich wollte zwischen uns die Lage klären. „Es ist Tatsache, daß Sie, Mylady, mit Ihren zwölf Bischarin ihn verfolgt haben, daß Sie seine Fährte heute verloren hatten, daß er, nur er den Führer Wera Zubanoffs niederschoß und die Dame mit sich schleppte. Es ist weiter Tatsache, daß er dann auf Sie feuerte, daß meine Kugel ihn traf, daß er die Dynamitfalle herrichtete, daß Sie jedoch um jeden Preis seinen Namen mir verhehlen möchten. Gut – ich bin Abelsen. Sie müssen mich als Beschützer Wera Zubanoffs irgendwie …“
„Schweigen Sie!“ – und sie hielt ihr weißes Bischarin an und setzte sich an das Ende des Zuges, wo sie eifrig mit Adir flüsterte.
Dafür rückte nun Adolar Tübbicke auf, blinzelte mich von der Seite an und fragte nur:
„Krach?!“
„Mit Mylady? Ja!“
„War vorauszusehen …! Hoffentlich werden wir sie bald los … Ich war ja nie verheiratet, aber diese Jane Cordy – mit Millionen hätte sie beklebt sein können, vorn und hinten, – – die Augen, Gott steh’ mir bei, – eine Xantippe ist im Vergleich zu ihr ein süßes Mädel …“
„Und – wer sind Sie?!“ Ich schaute ihn scharf an.
Er lächelte fidel. „Weiß schon … Sie glauben, ich reise inkognito. Schwerer Irrtum Ich bin wirklich eine Figur aus dem weißen Rößl, Herr Lensen … Hier ist mein Paß, und …“
„Pässe werden gefälscht …“
„Stimmt, – meiner ist echt, und … – hallo, was soll denn das?!“
Sechs der Bischarin waren vorgeprescht, – Adir hielt uns seinen Karabiner entgegen, hinter uns erklang Lady Cordys schneidende Stimme:
„Hände hoch, meine Herren!!“
Also so war es gemeint …!
Mylady hatte behauptet, sie kenne mich. Mylady irrte sich …
El Gento von einst erwachte …
El Gento von einst riß sein Dromedar herum.
El Gento war so unhöflich, Mylady die Büchse aus der Hand zu schlagen und die Dame mit einem Ruck vor sich in den Sattel zu ziehen.
Die Mündung einer Pistole, an eine Stirn gepreßt, wirkt Wunder.
Ich hätte natürlich niemals abgedrückt, aber die Bischarin wagten es unter diesen Umständen auch nicht. Der Friedensschluß erfolgte dann etwas gewaltsam. Besonders Mylady war empört, als ich ihre Satteltaschen durchsuchte. Hätte sie mir meine Fragen beantwortet, würde ich nie ihr Notizbuch an mich genommen haben, und dann würden wir niemals für Wera Zubanoffs Entführung die richtige Deutung und nie die Oase in der Nubischen Wüste gefunden haben.
Jedenfalls: Lady Jane mußte mit ihrem hammelfettduftenden Anhang in einer Seitenschlucht verschwinden – zu Fuß. Ihre und der Bischarin Waffen sowie die prächtigen Dromedare nahmen wir mit uns. Wir hatten sie nur entliehen – für eine Stunde. Nach einer Stunde durfte Mylady laut Abmachung diese Friedenspfänder von einer westlichen fernen Kuppe wieder abholen. Daß wir drei Kameraden unsere Reittiere gegen die besten der Bischarinkamele dabei austauschten, konnte uns niemand verargen. Bei Friedensschlüssen wird immer gemogelt. Der Sieger legt die Paragraphen so aus, wie es ihm vorteilhaft ist. –
Das war meine erste Begegnung mit Jane Cordy. Nicht die letzte …
… Mein Schreibtisch ist diesmal außerordentlich wertvoll. Er besteht nur aus drei Steinblöcken, die über und über mit tief eingegrabenen Hieroglyphen bedeckt sind. Die Schreibtischplatte ist daher recht rauh, aber Sussik hat sie leidlich mit Lehm geglättet, das heißt: Die Gravierungen ausgefüllt! Ein Professor für Ägyptologie würde sich deshalb die Haare gerauft haben. Aber wir hier in unserer Oase sind ganz auf das Praktische eingestellt. Unser Respekt vor den Resten einer Kulturepoche, die dreitausend Jahre zurückliegt, ist nicht allzu groß.
Wer Sussik ist?
Ein Bischarin, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt. Einen Geburtsschein besitzt er nicht, die sind in seiner Heimat noch unbekannt.
Sussik ist mein Diener. – Nein, ich will dies sofort richtig stellen, er ist mein Freund. – Freundschaft hat verschiedene Fundamente. Unser Fundament war nubischer Wüstensand, bleichende Knochen, Blut und … Wasser.
Sussik stinkt auch nach Hammeltalg in ranzigstem Zustand, aber der Duft stört mich nicht mehr. Eine Nase gewöhnt sich an alles. Freund Sussik war vier Jahre am ersten Nilkatarakt (bei der Nilstadt Elephantine, der zweite Katarakt befindet sich bei Wadi Halfa) Fremdenführer. Mithin hätte er eigentlich ein Gauner schlimmster Sorte sein müssen. Aber das traf bei ihm nur gemäßigt zu. Ich will nicht behaupten, daß er absolut ehrlich war. Das ist niemand. Die es behaupten, sind die ärgsten Spitzbuben. Immerhin war er genügend Naturkind geblieben, um die Segnungen der in Elephantine erworbenen Zivilisation schleunigst wieder über Bord zu werfen, – diese seemännische Redensart trifft bei ihm zu, denn er hatte auf einem der berühmten Kataraktboote gedient. –
Sussik ist mein Freund. Ich werde nachher noch genügend von ihm zu reden haben.
Mein Schreibtisch steht in einem Leinenzelt, das unter einer Schicht Flugsand sich viele Jahre tadellos konserviert hatte. Sogar die in Schwarz aufgedruckte Londoner Firma, die es einst für die verschollene Expedition geliefert hatte, ist noch zu entziffern.
In diesem geräumigen Zelt hause ich zusammen mit Sussik. Es steht dicht neben dem uralten Gemäuer an der Westseite der Oase, an den ehrwürdigen Resten eines nubischen Tempels, die der Antilopenjäger Gupa zum Ausspannen der Felle benutzt. Das Mauerwerk hat so zahllose Risse, in die man bequem die Spannpflöcke hineintreiben kann. Zuweilen sperrt Gupa dann ohne Absicht ein Chamäleon oder eine andere Art Eidechsen durch die straffe Haut in eine Spalte ein, und die armen Viecher müssen fasten. Es schadet ihnen nichts.
Neben meinem Zelt wohnt in einem zweiten der Mann aus dem Weißen Rößl, Herr Tübbicke, und das dritte Zelt gehört Gupa, der meist hoch zu Dromedar mit A. A. A. abwesend ist. Sie jagen.
Und die Oase?
Tübbicke hat sie „Olaf“ getauft, aber das war Unsinn, es ist einfach die Oase, unsere Oase. Ich gehe jede Wette ein, daß wir die ersten Europäer sind, Tübbicke und ich, die hier längere Zeit verweilten. Die, die vor uns hier waren, hatten wohl allen Grund, schleunigst wieder abzuziehen. Die langen Speere der Bischarin sind wohl noch von den unruhigen Zeiten der Mahdisten-Aufstände her so verdammt scharf.
Unsere Oase liegt etwa am Südrande der Nubischen Wüste. Etwa. Ich bin kein Geometer, und die Vermessung dieses Gebietes von 400 000 Quadratkilometer hat bisher nicht stattgefunden. Sie liegt dort, wo die große Karawanenstraße von Assuan nach Berber den Bir Schikr berührt, – und dann nach Nordosten zu – irgendwo zwischen den gelben ungeheuren Dünen von Flugsand, der so leicht ist, daß jeder Lufthauch ihn in Bewegung bringt. So locker ist dieser eigentümliche Sand, daß die Bischarin ihn wie die Pest meiden. Kein Menschenfuß, kein Dromedarhuf, kein Eselsbein ist diesem Pulverstaub gewachsen. Wie wir diese Dünen, die von den Bischarin so treffend mit „Berge, die fließen“, bezeichnet werden, passieren konnten, dankten wir der finsteren Lady Jane.
Was ich seinerzeit auf der Schule über Nubien gelernt hatte, war spottwenig gewesen. Wir hatten da in meiner Heimatstadt Göteborg einen Geographielehrer, der als Junggeselle in einem Gasthaus speiste, stets „Mittagsschoppen“ einhielt und, da die Geographiestunden nachmittags lagen, fast regelmäßig auf dem Katheder sanft einschlief und den Lehrstoff von einem von uns vorlesen ließ. Daß der Vorleser dabei mit Skat spielte oder mit uns sonstigen Unfug trieb, schadete unseren Kenntnissen bedenklich. Später als Student und Ingenieur hatte ich für Ägypten, Nubien und den Sudan auch nur mäßiges Interesse. Erst als wir drei, A. A. A., Gupa, ich (und Wrangel) gezwungen waren, den kleinen Spazierritt ins Nubische hinein zu wagen, – als wir dann gerade zur Zeit die Überbleibsel der schon erwähnten verschollenen Goldexpedition ausbuddelten, stieß ich dabei in einer der Kisten auf des Franzosen Moiree dickes Werk über Ägypten, ich nahm es mit, es liegt nun als einziges Buch hier auf meinem steinernen Schreibtisch – aufgeschlagen, und ich habe soeben bei einer Morgenzigarre abermals darin studiert und fand viel Wissenswertes.
Für den Durchschnittsgebildeten ist Nubien (es sei denn, er hätte Karl Mays „Im Reiche des Mahdi“ gelesen) ein Teil von Ägypten, in dem „Neger“ wohnen. Für den reichen Globetrotter ist Nubien eine endlose Wüste, die man mit dem Luxuszug Wadi Halfa – Berber schleunigst durchquert, um recht rasch nach dem fruchtbareren Sudan und nach Chartum zu gelangen, wo es vornehme Hotels, Jazzband, Wasserspülung, Eisfabriken und ähnlich wichtige Dinge gibt.
Nubien war einst ein Kulturreich, ebenso mächtig wie das nördlichere Pharaonenland.
Es war …
Jahrtausende ließen von dieser Kultur nur noch steinerne Denkmäler übrig. Fremde Völkerschaften verdrängten die Ureinwohner, dieses ungeheure Gebiet von 750 000 Quadratkilometer zählt heute kaum eine Million Einwohner, die Mahdisten-Kriege schlachteten ein Drittel der Bevölkerung hin, – als es dann mit der Herrschaft des Mahdi zu Ende ging, als die Engländer als die wahren Herren ihre Geschäftstüchtigkeit auch auf die Ausbeutung der uralten Goldminen ausdehnten, war die Nubische Wüste als Nordteil Nubiens für wenige Jahre an den Börsen sattsam bekannt.
Auch Ägypten hat also seine Periode des Goldtaumels gehabt, wie Kalifornien, Alaska, Südafrika. Wer weiß heute noch etwas davon?! 1906 war diese Massensuggestion verpufft. Viele Millionen waren zwecklos für Expeditionen ausgegeben worden, die nach Goldfundstellen suchen sollten. Fünfunddreißig solcher Expeditionen haben die Einöden durchquert … Spekulanten erschossen sich, als die Schwindelaktien der zahlreichen verheißungsvollen Gesellschaften nicht einmal mehr als Tapeten verwendbar waren …
Und doch steht fest, daß die Ägypter hier einst phantastische Goldmengen durch ihre Sklaven schürfen ließen. Steininschriften beweisen es. Goldkarawanen führten das edle Metall in langen Barren gen Norden, nicht etwa Kamelkarawanen, denn das Kamel und das Dromedar wurden erst später von Arabien her eingeführt. Esel und Pferde besorgten diese Transporte, die stets unter dem Schutze von Bewaffneten nordwärts zogen. Schon damals gab es dieselben Karawanenstraßen wie heute, schon damals war die Gilde der Wüstenräuber äußerst rührig, – heute sind diese unbequemen Leute seltener und vorsichtiger. So manche jener Goldkarawanen erreichte nie ihr Ziel. Die schwarzbraunen Banditen flüchteten mit dem Golde, – ein Sandsturm kam, und Gold und Banditen schliefen den ewigen Schlaf unter meterhohen Sandwehen …
So schreibt Moiree … Er schreibt viel Wissenswertes.
Aber Moiree kannte nicht Lady Jane und Lord James Cordy und uns vier … Dann hätte er noch weit Interessanteres berichten können. Er kannte auch unsere Oase nicht – unsere grüne, wundervolle Oase, eingebettet in dunklen Granit, umsäumt von gelben Sanddünen …
Wenn ich durch den Zelteingang hinausschaue über dieses kleine Paradies, sehe ich die Sonne auf dem blanken Spiegel des winzigen Sees glänzen … Prächtige Kraniche, schwarze Störche und melancholische Marabus, die sich rasch an unsere Gegenwart gewöhnt haben, stehen halb im Wasser und lauern den zahllosen Fröschen auf. In den Palmenkronen lauern große weißköpfige Geier auf Gupas Jagdbeute. Gupa spendet ihnen regelmäßig die Innenteile, und wenn er guter Laune ist, wirft er ihnen auch einmal einen ganzen Schakal hin oder einen langohrigen Fennek …
Heute haben wir sanften Wind. Die Dornbüsche, die Tamarinden[4] und Gummiakazien rauschen fast heimatlich. Aber drüben sitzt mein Freund Sussik und bringt seine Frisur wieder in Ordnung, und damit schwindet jeder Gedanke an meine nordischen Kindheitsstätten. Sussik kaut nämlich Hammeltalg – so lange, bis er einen schaumigen Kloß im Munde hat, und damit reibt er seinen schwarzen Bubikopf ein, weil nur derart präparierter Hammeltalg in der sengenden Sonne nicht zerfließt … –
A. A. A. und Gupa sind morgens wieder davongeritten. Es gibt nur einen einzigen Pfad durch die „fließenden Berge“. Wir kennen ihn, aber andere kennen ihn auch, und auf diese anderen warten wir. Drei Wochen sind wir nun hier. Wir haben Geduld. Sie werden kommen. Dann müssen all die dunklen Fragen sich klären. Wir fürchten keine Überraschung, denn wir haben uns wirksam geschützt. Unsere Oase ist eine Festung mit unersteigbaren Wällen, und die einzige „Leiter“ ist sorgsam „verlegt“ … Mein Feind Cordy wird ein sehr langes Gesicht machen, wenn er den „Pfad“ nicht mehr vorfindet. Ich liebe lange Gesichter, ich liebe sie, ohne schadenfroh veranlagt zu sein … Wera hat auch ein längliches, feines Antlitz.
Wera?!
Fünf Wochen, nein sechs – sechs Wochen sind es her, seit wir die Fährte Lord Cordys im Wadi Arabah verloren durch einen der so seltenen, kurzen Platzregen. Gegen Regenwäsche ist auch Wrangels Nase machtlos, und als die Dunkelheit kam, gaben wir es auf, nach Weras Entführern zu suchen und lagerten in einer jener Kalksteinhöhlen, die besser sind als ein Luxushotel – billiger jedenfalls.
Wir waren müde, abgehetzt, durchnäßt, verärgert. Tübbicke konnte seine schwere Enttäuschung darüber, daß unser Abenteuer nun in Wahrheit zu Wasser geworden, nicht verbergen. Mißmutig schaute er zu, wie Gupa aus Reisern, Gras und Kameldung ein Feuer anzufachen suchte …
„Weshalb haben Sie eigentlich der Lady das Notizbuch weggenommen, Olaf?!“ meinte er neugierig, und diese Neugier zauberte wieder ein friedliches Lächeln um seinen freundlichen Mund. „Man klaut doch nur Dinge, die von Wert sind … Ich habe mir das Büchlein angesehen … Es enthält lediglich vier Seiten Zahlen, – Preise für Einkäufe in Kairo, denke ich …“
„Sie denken daneben.“
„Bitte, es sind Notizen über Einkäufe! Geben Sie das Ding mal her.“
Gupa an der anderen Seite des qualmenden Feuers, über dem nun, gestützt durch drei Steine, ein Aluminiumtopf stand, mischte sich mit seinem kräftigen Baß etwas gereizt ein. Wir hatten uns der deutschen Sprache bedient – nicht absichtlich. Unser Kamerad mit dem undurchdringlichen Golemgesicht sagte ziemlich scharf: „Sprecht englisch …! Auch ich will wissen, was vorgeht.“
Er schüttete gemahlene Hirse in das Wasser des Kessels, tat den Inhalt einer Konservenbüchse hinzu und behielt seine steinerne Miene bei, als ich mich bei ihm mit Recht entschuldigte …
„Es handelt sich um Lady Janes Notizbuch, lieber Gupa …“
„Es handelt sich um viel ernstere Dinge,“ erklärte er laut. „Wir haben zwei Gegner, und jeder von ihnen hat Begleiter. Der eine ist Lord Cordy, der andere seine Frau. Sie sind ebenfalls verfeindet.“
„Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte,“ lächelte Tübbicke sorglos. „Ich möchte wohl wissen, wie uns hier jemand finden soll …?!“ Er war Optimist. Er nahm das Leben von der leichten Seite. Auch das ist Jungbrunnen.
Gupas dunkle Augen ruhten mit etwas geringschätzigem Ausdruck auf Tübbickes frischem Gesicht. Seine Stimme grollte fast, als er entgegnete: „Der Lord wird uns finden …! Er verlor etwas – er oder einer seiner Begleiter … Hier dies!!“
Er griff in sein mantelartiges Gewand hinein, in das er sich allerlei Taschen eingenäht hatte. Ein schmutziger brauner viereckiger Stab kam zum Vorschein.
„Da!!“
Nichts weiter sagte er …
Tübbicke lachte. „Was ist das?! Ein Gummiknüttel?!“
„Es ist Gold,“ erklärte Gupa. „Ich fand es im Geröll des Passes vor der Notbrücke, die wir errichteten.“
Er kratzte mit dem Messer die Schmutzschicht an einer Stelle ab.
Es war ein Goldbarren von etwa zwanzig Zentimeter Länge und fünf Zentimeter Dicke.
Tübbicke wog die Goldstange mit feierlicher Miene in der Hand. „Das imponiert mir, das sehe ich zum ersten Male.“
„Ich nicht,“ – Gupa schaute mich an. „Olaf, du weißt, daß ich am Amur Goldminen besaß. Ich war Millionär …“
Freund Adolar starrte ihn sprachlos an. „Millionär?! Sie?!“
„Ich – ja! Und ich weiß mehr über die Goldminen der Erde als mancher andere. Dieser Barren ist sehr alt. Er muß aus einer sehr alten ägyptischen Schatzkammer stammen. Lord Cordy ist ein Abenteurer, – Sie sagten das, Mr. Tübbicke. Er ist noch mehr: Ein Mörder und Frauenentführer. Ich nehme an, es war nicht Wera Zubanoffs Schönheit, die ihn lockte. Die Fürstin Zubanoff hat uns vieles verschwiegen, obwohl wir ihre Retter sind, Retter waren, Olaf …!“ Und jetzt traf mich ein ironischer Blick. „Was besagt das Büchlein, Olaf? Wir müssen klar sehen.“
Ich hielt das kleine Notizbuch, das in einer Klapphülle steckte wie in einem Zigarettenetui, in der linken. Ein Druck auf den Knopf ließ das Etui auseinanderschnappen, und das Büchlein, mit einem Gummiband befestigt, öffnete sich von selbst. Der Flammenschein beleuchtete die Zahlen und die daneben gekritzelten Wörter.
Tübbickes Stirn krauste sich. Sein Gesicht ward hart.
„Reden Sie, Lensen!“
„Ich werde vorlesen,“ meinte ich achselzuckend. „Ich habe die feine Witterung eines Schweißhundes auch für entlegene Dinge wie dies Geschreibsel. Hier steht als erste Zahl:
400 – K. – Kuft
Halten Sie „Kuft“ für Toilettenseife, Tübbicke?!“
Er schwieg und senkte den Kopf.
„Hier steht weiter:
4T. – K. – K.
Glauben Sie, es handelt sich um Zahnbürsten, Tübbicke?!“
„Kuft ist eine Stadt am Nil,“ sagte der Rat widerwillig.
„Also wußten Sie ganz gut, daß es nicht Notizen über Einkäufe sind. Es sind Angaben über eine Reiseroute nach Süden, – von Kairo aus in Kilometern berechnet, dazu noch in Tagesmärschen von Ort zu Ort. Da von Kairo bis Kuft in der Luftlinie die Strecke vierhundert Kilometer beträgt, da für diese Entfernung vier Tagesritte vorgesehen sind, ergäbe das pro Tag hundert Kilometer. Das schaffen nur erstklassige Reitdromedare wie die der Bischarin. – Weiter steht hier:
300 – Kuft – Ass.
3½ T.
Meinen Sie nicht, Tübbicke, daß „Ass“ gleich Assuan sein soll? Oder denken Sie an Skatkarten?!“
Adolar mit den drei A rief ärgerlich:
„Genug davon! – Die Route ist bis hinab zur großen Karawanenstraße genau berechnet … bis zum Bir Schikr, dann folgt nur noch eine Zahl:
150 – Irba,
und das verstehe ich nicht recht.“
Ich mußte lächeln. Für einen Reisenden aus dem „Weißen Rößl“ hatte der Herr Rat erstaunliches Talent zum Kombinieren.
Mein Lächeln machte ihn verlegen.
„Natürlich ist Irba das Irba-Gebirge, das im Osten am Roten Meere liegt. Aber – – die 150?!“
„… Können nur bedeuten: 150 Kilometer von Bir Schikr gen Osten,“ erklärte ich.
„Nun – – und?!“ Jetzt wurde Tübbicke lebhafter. „Was soll es mit dieser Reiseroute?! Wer quält sich denn heutzutage noch per Dromedar bis zur Nubischen Wüste durch?! Mein Reisehandbuch umfaßt nur Oberägypten bis zum großen Stauwerk bei Assuan, und ich habe mir nur eine Nilfahrt bis Siuk leisten können, doch …“
Ich sagte ironisch: „Tübbicke, Sie werden mir nie einreden, daß Sie lediglich zum Vergnügen nach Ägypten gekommen sind …! Als wir Sie trafen, waren Sie zweifellos nach dem Kloster St. Antonius unterwegs. Was wollten Sie dort?“
Er zögerte, dann erklärte er offen:
„Jemand suchen, Lensen … Oder nein, weshalb das Versteckspiel, Sie heißen Abelsen, ich werde jedoch Olaf sagen, wie es Gupa tut. Ich könnte Ihr Vater sein.“
„Und Sie sind nicht Rechnungsrat im Ruhestande …?!“
Er streckte mir die Hand hin. „Ich bin es – Tatsache! Ich werde Ihnen gelegentlich eine abenteuerliche Geschichte erzählen, die den großen Vorzug der Wahrheit hat. Ich gebe zu: Meine Interessen lenken mich ostwärts. Ich wollte in den uralten Wüstenklostern St. Antonius und St. Paulus Nachforschungen anstellen, aber – das hätte Zeit. Ich möchte mich von Ihnen beiden nicht gern trennen, Sie könnten mir später helfen. Ich habe eben meinen Entschluß geändert. – Meinen Sie, daß Lord Cordy ebenfalls die Route bis Bir Schikr kennt?“
Ich löste das Gummiband, und das Büchlein enthüllte sein letztes Geheimnis. Zwischen Etui und Rückendeckel war ein zusammengefalteter Zettel eingeklemmt. Mit Tinte stand da in groben Zügen – eine fast brutale Schrift:
„Du wirst mich niemals daran hindern, W. Z. zu zwingen, mit nach der Oase zu kommen. Sie kennt alles Nötige, nur Sie! – Hüte Dich, – das Recht ist auf meiner Seite. Solltest Du mir bis Bir Schikr folgen, ist es Dein eigener Schade!“
Keine Unterschrift …
Trotzdem: Cordy war der Schreiber, und Cordy war auch der heimtückische Schütze gewesen, der mich im Tale von St. Antonius hatte auslöschen wollen.
Tübbicke und Gupa pflichteten mir vollkommen bei. Wir kannten nun unser fernes Ziel. Es war die Nubische Wüste. Wir glaubten auch, daß wir allen Grund hätten, uns zu beeilen. Wir aßen rasch, Gupa übernahm die erste Wache. Um Mitternacht weckte er mich.
Diese Nacht sollte nicht ruhig verlaufen. Die kalte Schönheit der mondbeschienenen Berge paßte in meine Stimmung hinein. Wera Zubanoff war aus meinem Herzen getilgt. Ich hatte mich zu mir selbst zurückgefunden. Ich wollte frei bleiben. Die breite Straße des Alltags war nichts mehr für mich. Das Abenteuer lockte, und aus der Vorfreude wuchsen mir die Kräfte, den Trieb auszuschalten und nur Mann zu sein, Mann von einst, als die Araukaner mich El Gento nannten. Was ich für Liebe gehalten, war doch nur Trieb des Augenblicks gewesen. Das wahrhaft Beständige in mir war die Unrast derer, die abseits vom Alltag ihre Pfade suchen.
Wrangel hob den Kopf von den Vorderpfoten, stellte die kleinen Ohren aufhorchend nach vorn, und aus seinem breiten Brustkasten kam ein warnendes Murren.
Ich äugte durch die Spalten des Steinwalles, den wir vor dem Höhleneingang aufgeschichtet hatten.
Die Schlucht entlang kam leichten federnden Schrittes die stolze Gestalt der Lady Jane Cordy.
Sie kam allein, ohne Waffen, jedenfalls ohne ihre Büchse und ohne den Ledergurt mit den Pistolen. Nur ihr Mondschatten begleitete sie.
Wie ich sie so stolz und aufrecht nahen sah, fühlte ich abermals eine stille Sympathie für diese rätselhafte Frau, über die auch Tübbicke recht wenig hatte berichten können. Was er in Kairo über sie in den Zeitungen gefunden hatte, müßte alles mehr Vermutung sein. – Missionarin, – – Königin der Bischarin?! Das erstere war möglich, das zweite war Sensationsmache.
Sie kam ruhig heran, sie mußte unseren Aufenthaltsort kennen, sie blieb unten vor der Höhle stehen, zu der ein paar schmale treppenartige Terrassen emporführten.
„Mr. Abelsen …“ rief sie halblaut.
Mein breitkrempiger Strohhut war unverkennbar.
„Sie wünschen?“
Ich hütete mich, den Kopf zu heben. In den Strohhut mochte man mir von drüben ein Loch schießen, mein Schädel war vorläufig noch zu wertvoll. – Ich traute ihr nicht.
„Ich möchte Sie allein sprechen,“ sagte sie ebenso gedämpft und setzte den einen Fuß auf die unterste Terrasse.
„Bitte … Meine Gefährten schlafen weiter hinten. Nur der Hund ist bei mir.“
„Geben Sie mir mein Notizbuch zurück …“ Ihre Stimme klang befehlend.
„Sehr gern … Ich hielt es für ein Zigarettenetui, und ich wollte mir ein Andenken an Ihre Undankbarkeit aneignen.“
Sie spürte den beißenden Spott.
„So spricht man nicht mit einer Dame, Mr. Abelsen …!“
„Aber mit einer Feindin, Mylady! – Salonphrasen wären hier wenig am Platze.“
Sie lachte bitter. „Ich lebe seit fünf Jahren unter den Bischarin, und die haben keine Salons. – Natürlich wußten Sie, daß es ein Notizbuch [ist][5]. Sie hofften darin irgend etwas zu finden …“
„Papier – ja! Ich schreibe gern.“
„Schämen Sie sich!! Ein Mann wie Sie sollte alle Winkelzüge verachten.“
„Danke. Nehmen Sie sich bitte dasselbe vor, und wir werden vielleicht Freunde werden.“
Sie mochte sich getroffen fühlen, denn sie schwieg eine Weile.
Ich warf ihr das Notizbuch in flachem Bogen vor die Füße. „Verzeihen Sie diese Art der Rückgabe, aber Ihre Bischarin lauern doch zweifellos in der Nähe.“
„Ja, Ihre Höhle ist eingekreist, und Sie werden hier ausgehungert werden, falls Sie nicht …“
„… Wollen Sie die Wildwestszenen fortsetzen, Mylady?! Wir sind hier in nächster Nähe einer Weltstadt, denn siebzig oder achtzig Kilometer haben nichts zu bedeuten. Falls ich meinen Hund auf sie hetze, wirft er Sie nieder, – und das Bild von heute nachmittag würde sich wiederholen.“
„Das Bild würde anders wirken, Mr. Abelsen. Vier Kilometer nach Westen lagert ägyptische Gebirgsartillerie, die sich wohl auf einem Übungsmarsch befindet. Der Steckbrief gegen Sie läuft noch. Ich warne Sie. Ich kenne keine Rücksichten.“
Sie sprach kalt und unerbittlich. Vielleicht log sie.
„… Was fanden Sie in dem Notizbuch?!“ fügte sie drohend hinzu. „Lügen Sie nicht!!“
Sie hatte das silberne Etui aufgehoben und aufgeklappt.
„Ich fand …“ – ich mußte antworten und lügen – „die Tagesritte bis zu den Weideplätzen der Bischarin. Ich würde an Ihrer Stelle die Bahn oder einen Dampfer benutzen, Mylady, falls Sie wieder dorthin zurückkehren wollen. Oder wollen Sie den edlen Wettstreit zwischen uns beiden, Ihren Gatten zu finden, fortsetzen?! Ich werde ihn finden … Tübbicke ist ohne Makel, ohne Steckbrief, und er wird die Stelle am Nil schon entdecken, wo Ihr Gatte vielleicht ein Schiff bereithielt, um die schöne Wera in ein Flitterwochennest zu verschleppen …“ – Das war roh. Das war Absicht. Das war aber auch die einzige Möglichkeit, jeden Verdacht Lady Janes zu zerstreuen, ich könnte den in dem Etui versteckten Zettel gefunden und meine Schlüsse daraus gezogen haben.
Meine schamlosen Andeutungen entlockten ihr nichts als eine stolz-wegwerfende Kopfbewegung. Sie zauderte noch Sekunde, dann drehte sie sich um und wollte davongehen.
„Lady Cordy …!!“ – Was hatte sie nun vor.
Sie wandte den Kopf halb zurück.
„Jede Gefängniszelle müßte sich Ihrer schämen!“ sagte sie ungeheuer verächtlich. „Ich will Sie nie mehr sehen, ich habe Sie leider überschätzt!“
Sie verschwand im Mondschatten der Schluchtwand, ihre Gestalt zerschmolz in der dort lauernden Finsternis, – und ich konnte mit mir zufrieden sein. Ich hatte gewußt, daß von ihr nichts zu erfahren sein würde, ich hatte sie getäuscht: Wir würden uns wiedersehen, denn sie war ja zweifellos hinter ihrem Gatten her – weshalb?!
… Und ich dachte an frühere Erlebnisse, dachte an des Schicksals unberechenbare Launen, das hier wieder einmal Menschen und unberechenbares Geschehen durcheinandergewirbelt hatte …
Bestand nicht eine entfernte Ähnlichkeit zwischen Lady Janes undurchsichtigem Vorhaben und Wera Zubanoffs abenteuerlicher Fahrt bis zur Küste Sachalins?! Auch Wera hatte gesucht, liebenden Herzens gesucht, – und der Abschluß war eine grausame Enttäuschung gewesen. Zwei Frauen, und doch wie grundverschieden in ihrem Wesen und Sichgeben, wie ähnlich in dem einen: Erstarrt zu zäher Energie, zielbewußt, hart, wenn es darauf ankam. Aber Wera trotz allem immer noch „Weibchen“, – Jane Cordy vermännlicht, außerhalb der Gefühlswelt der Frau stehend, wohl hineingedrängt in ein seltsames Dasein fern aller Kultur! Wie bitter hatte es geklungen, als sie die fünf Jahre unter den Bischarin erwähnt hatte!! Freiwillig war sie nicht in die nubische Wüste gezogen – niemals! Und – – fünf Jahre, in denen dann, wie Tübbicke es wußte, nur ganz selten über sie ungewisse Kunde in die Öffentlichkeit gedrungen war. –
Ich schaute auf meinen linken Unterarm. Das Zifferblatt der Armbanduhr, eine matte Scheibe mit Leuchtstrichen, zeigte den Anbruch der zweiten Morgenstunde.
Ich beobachtete die gegenüberliegende Schluchtwand. Sie stieg erst steil an, ging dann in eine breite Geröllhalde über. Daß dort hinter den Steinen Bischarin lauerten, daß vielleicht gar über unserer Höhle ein paar dieser glänzenden Reiter und Speerwerfer steckten, – das war gewiß.
Würden sie nun abziehen?!
Ich nahm mein Fernglas. Äußerlich war damit nicht mehr viel Staat zu machen. Es war zerschrammt, zerbeult, aber es war einmal eines der besten gewesen, die ich vom versunkenen „Paradies der Enterbten“ mitgenommen hatte.
Ich stellte es ein. Die Geröllhalde lag im klaren Mondlicht da. Zwischen den Felstrümmern bewegte sich ein Tier … Es war ein Klippdachs, eins der scheuesten Geschöpfe dieser steinigen Einöde. Er lief eilfertig hin und her, nach einer Weile erschien ein zweiter, das Weibchen, mit drei rattengroßen Sprößlingen. Die ganze Familie zog die Halde empor, Vater Dachs als Vorhut voran, seine Familie zehn Meter hinter ihm.
Nein, dort steckten keine Bischarin. Wo ein Dachs zu nächtlicher Futtersuche ausgeht, ist das Gelände unverdächtig.
Ich wollte gerade das Glas in den Lederbeutel zurückschieben, als von Westen her klingender Hufschlag ertönte. Das war ein beschlagenes Pferd, und der Reiter trabte. Noch sah ich ihn nicht. Mir fiel Jane Cordys Drohung ein: Ägyptische Artillerie!
Einen Moment ward mir unbehaglich zumute.
Dann bog der Reiter um die Felsgruppe: Ein Mann in gelbem Reitanzug – wie aus dem Modenblatt geschnitten, im Munde eine Zigarette, in der Linken einen Reitstock mit gekrümmter Silberkrücke.
Das Sattelzeug war funkelnagelneu, das Pferd war ein Apfelschimmel von tadellosem Gliederbau, mit einem fast zu kleinen Köpfchen, ohne Zweifel arabisches Vollblut.
Ich hatte das Glas schon wieder an den Augen.
Wenn dieser Sonntagsreiter vor dem Mena House-Hotel erschienen wäre, – dort gehörte er hin, dort war die Zentrale aller reichen Globetrotter für Ägypten. Hier?!
Es war ein bartloses, braunes Gesicht mit kurzer Oberlippe … Tübbicke konnte mit dem da nicht konkurrieren. Ich auch nicht. Die letzten Jahre hatten in meine Haut die Runen des Erlebens eingekerbt.
Der Gentleman warf seinen Zigarettenstummel weg, brachte sein Pferd zum Stehen und blickte sich um.
Es war zweifellos ein Engländer.
Er stieg zu meinem Erstaunen gemächlich aus dem Sattel. Vor der Brust baumelte ihm etwas Blankes, das er nun wie ein Jongleur in die rechte Augenhöhle warf. Er musterte die Terrassen vor unserer Höhle, nahm sein Prachttier am Zügel und kam näher. Vor der untersten Terrasse, wo noch vor zehn Minuten Lady Jane gestanden hatte, machte er halt und blickte zu mir empor. Sehen konnte er mich nicht. Ich hatte den Hut abgenommen. Er faßte an die Krempe seines Tropenhelms …
„Ralph Cudderson,“ sagte er. „Ich habe doch das Vergnügen mit Mr. Lensen …?“
Dabei klemmte er den Reitstock unter den Arm und lüftete seinen Korkhelm. Sein hellblonder Scheitel war schon reichlich dünn.
Was sollte ich tun?!
„… Sie können sich getrost melden, Mr. Lensen,“ fügte Cudderson hinzu. „Ich traf vorhin eine Dame und zwölf etwas fragwürdig duftende Kerle, an denen das Beste ihre Dromedare waren. Das heißt, einer ritt ein Maultier, und …“
„… Was tun Sie hier?“
Er pfiff durch die Zähne. „Das ist schwer zu beantworten … Eigentlich gar nichts. Eigentlich … Ich hatte da in Kairo eine Dame gesehen, die mich fabelhaft interessierte: Wera Zubanoff. Zwei Tage reite ich nun hier in dieser scheußlichen Gegend umher und suche sie.“
„Und – was sind Sie von Beruf, Mr. Cudderson?“
„Nichts.“ Er setzte seinen weißen Topf wieder auf. „Nichts, das ist doch selbstverständlich … Leute, die arbeiten, werden doch nicht so verrückt sein und blindlings hinter einer Fürstin Zubanoff hertraben. Ich bin der Sohn von Cudderson und Walker, Immobilien-Bank, London, und gänzlich schuldlos daran, daß mein Vater unanständig reich ist. Ich wohne seit sechs Wochen im Mena House, wir hatten da famose Bridgespieler und glänzende Golfleute. Die Pyramiden, die Sphinx und die alten Grabkammern haben mich noch keinen Tropfen Schweiß gekostet. Aber diese aschblonde Russin … – wie gesagt, ich suche sie. Sie soll mit einem Führer nach dem Kloster St. Antonius unterwegs sein, hörte ich, und da bin ich eben vorgestern früh losgeritten und habe mich verirrt. Die Dame vorhin, die mit den zwölf Niggern …“
„Nubiern …“ verbesserte ich.
„Meinetwegen auch Nubiern –, sie beschrieb mir den Weg in diese Schlucht und riet mir, mich Ihnen anzuschließen. Ich bin ein durchaus verträglicher Mensch, Mr. Lensen. Ich habe nicht einmal einen Spleen. Nur, ich möchte Wera Zubanoff heiraten, unbedingt. Ihr Gatte hat sich von ihr getrennt und soll sich in eins der Koptenklöster auf der Nilinsel Kalabsche – oder so ähnlich – zurückgezogen haben. Er wird wohl hinsichtlich der Scheidung keinerlei Schwierigkeiten machen.“
Der Mann war harmlos.
Ich erhob mich, stieg über den Wall und stand vor ihm.
Sein Pferd trug zwei Satteltaschen, zusammengerollte Wolldecken, zerlegbare Zeltstangen und einen Wasserschlauch.
„Mr. Cudderson,“ sagte ich schmunzelnd, „Sie haben ganz entschieden keinen Spleen. Wissen Sie, wer die Dame war, die sie hierher schickte?“
„Nein, – mir auch gleichgültig, Mr. Lensen. – Wo ist die Fürstin?“
Er hielt mir sein Zigarettenetui hin. „Bitte – echtes Elefantenleder!!“
„Die Zigaretten?!“
„Nein, die sind von Cheffger, London. Ich habe fünftausend Stück an Bord.“
„An Bord?!“
„Ja doch! Denken Sie, ich bin zu Fuß nach Ägypten gekommen? Die Minnawatta ankert auf dem Nil, tausenddreihundert Tonnen, allermodernste Motoren, siebzehn Knoten, – ganz netter Kahn. Wo ist die Fürstin?“
Hätte er mich dies noch vor vier Tagen gefragt, würde ich ihn als Nebenbuhler betrachtet und dementsprechend behandelt haben.
„Ich weiß es leider nicht, Mr. Cudderson. Wir haben ihre Fährte verloren.“
„Fährte?!“ Er schüttelte den Kopf. „Sie reden wie ein Trapper, Mr. Lensen, und weshalb in aller Welt schleppen Sie sich hier mit dem Ding umher?!“ Er tippte mit dem Zeigefinger auf meinen Büchsenlauf. Er trug hellgelbe Waschlederhandschuhe mit Reitstulpen. „Hier braucht man doch keine Waffen! Mein Reitstock ist schon beinahe zu viel des Guten. Wenn man ein Scheckbuch, ein paar lose hundert Pfund in der Tasche hat, lebt man hier bequemer und sicherer als in London. Meinen Sie nicht?“
„Nein.“
Er blickte mich verdutzt an. „Haben Sie denn schlechte Erfahrungen gemacht?!“
„Ja.“
„Inwiefern? Ich bin gespannt …“
„Wir haben gestern Wera Zubanoffs Führer begraben, und der starb an der Bleikrankheit, Mr. Cudderson.“
Er verstand. „Nicht möglich!! Erschossen?! Und die Fürstin?“
„Entführt!“
Ihm fiel vor Schreck das Einglas aus dem Auge. „Hier … in Ägypten?! Keine zehn Reitstunden von Kairo entfernt?! Das ist geradezu unerhört!“ Er war ganz fassungslos. „Ich kann daran kaum glauben! Dort drüben am Nil rollen die Expreßzüge, rollen Straßenbahnen, Autos und … – scherzen Sie auch nicht?!“
„In solchen Dingen – nein!!“
Er schaute mich lange an. „Sie haben ein Gesicht wie ein … ein … na, sagen wir: wie ein Gentleman, der gern Löwen jagt. Sie gefallen mir. Die Dame vorhin meinte, ich sollte mich Ihnen anschließen, Sie hätten zwar die Manieren eines Hottentotten, aber den Mut und die Schlauheit eines Tigers … Ich kenne Tiger nur aus dem Londoner Zoo. Und schießen – hm, ja beim Taubenschießen in Monte Carlo erhielt ich einen Trostpreis, und … – Sie wollen also Wera Zubanoff befreien … Ich mache mit, klar! Ich bitte also in aller Form, Sie begleiten zu dürfen, Mr. Lensen, obwohl ich Ihnen zweifellos sehr zur Last fallen werde. Ohne meinen Diener bin ich geradezu hilflos. Mac besorgt alles für mich, am liebsten hätte ich auch Mac hier zu Ihnen geschickt, aber …“
„… Haben Sie ihn denn mit?!“
Er blickte mich fast entsetzt an. „Aber natürlich! Er lagert drüben im zweiten Tale. Ohne Mac Olby bin ich einfach undenkbar. Wir haben doch noch zwei Packpferde mit. Die Gummibadewanne nahm sehr viel Platz in Anspruch.“
Jetzt war ich sprachlos. „Wo kriegen Sie denn das Wasser zum Morgenbade her?!“
„Oh, Mac filtriert es, ich benutze stets dasselbe, es handelte sich bisher auch nur um …“
Er mochte ja ein guter Kerl sein, dieser Cudderson … Als Begleiter war er unmöglich. Ich erklärte ihm das auch ganz unverblümt.
„… Unser Ritt kann wochenlang dauern … Es geht wirklich nicht, Mr. Cudderson.“
„Schade …“ Er überlegte angestrengt. „Die Badewanne können wir wegwerfen, Mr. Lensen,“ meinte er bittend. „Nötigenfalls kaufe ich auch Waffen … auch ein Auto, vielleicht können wir auch die Minnawatta benutzen …“
Donnerwetter – – die Jacht! An die hatte ich gar nicht mehr gedacht, und gerade sie – – siebzehn Knoten …!!
Ich war auch jetzt ehrlich.
„Die Jacht gibt den Ausschlag, Mr. Cudderson!“
„Allerdings,“ sagte hinter mir Mr. Tübbicke vergnügt. „Entschuldigen Sie, meine Herren, daß ich mich einmische … Die Jacht kenne ich, Olaf. Erstklassig! Und Mr. Cudderson kenne ich auch … Sie besinnen sich doch, wir spielten mal zusammen Golf … Sie wohnten freilich im Mena House, ich nur im Nebenhause …“
Sie schüttelten sich die Hände, und das Ende vom Liede war, daß Cudderson sofort mit seinem unentbehrlichen Mac nach Kairo zurückkehren und uns mit der Minnawatta beim Dorfe Cotsch gegenüber Abu Girzeh erwarten wollte. Es wäre besser gewesen, wir hätten diese Vereinbarung in Ruhe besprochen, denn später sollte sich zeigen, daß auch hier wieder einmal der alte Satz zutraf: Eile mit Weile! Das konnte freilich niemand voraussehen. Wir waren schuldlos an alledem, was nachher kam. Und es … kam allzuviel, die Zufälligkeiten, die uns sämtlich ungünstig, häuften sich zu Bergen an.
Als Gupa, der einen beneidenswert tiefen Schlaf hatte, von diesem Zuwachs an Gefährten erfuhr, gab er seinem Unmut höchst eindeutig Ausdruck: Er spie in die noch glühenden Reste des Feuers und drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter.
Zwei Tage darauf sah ich zum ersten Male von den Höhen nordöstlich von Cotsch das wahre Gesicht Ägyptens: Den Nil, das fruchtbare Niltal, die zahllosen Fellachendörfer – und drüben jenseits des zwei Kilometer breiten Stromes das blendende, endlose Sandmeer der Libyschen Wüste.
Das also war der zweitgrößte Fluß der Erde, das war „das fließende Geheimnis“, dessen wahres Quellgebiet erst 1876 durch Stanley festgestellt wurde!
Was ich sah, wirkte im Glanze der Morgensonne überwältigend. Vielleicht könnte ein gottbegnadeter Dichter diesen Eindruck in wenige Sätze zusammenfassen, – ich war jedenfalls für lange Minuten verstummt und ließ die Blicke staunend über ein Landschaftsbild schweben, das gerade infolge seiner scharfen Kontraste kaum seinesgleichen haben dürfte.
Tübbicke schwieg gleichfalls, nur Gupa sagte völlig unberührt von alledem:
„Dort liegt eine Jacht!“
Wir suchten einen Weg zu der Landzunge, wir umgingen die letzten Fellachenhütten und führten die Dromedare am Zügel.
Die Minnawatta hatte an einem brüchigen Dampfersteg festgemacht, an Deck stand Ralph Cudderson, winkte uns zu, – englische Matrosen in blendend sauberen Anzügen brachten unsere Tiere an Bord, Cudderson drückte uns flüchtig die Hand, sprach irgend etwas von „Frühstück“, und ehe wir recht zur Besinnung kamen, befanden wir uns im Achtersalon der Jacht an einer glänzend gedeckten Tafel, – – wirklich, ehe auch ich recht zur Besinnung kam, sonst hätte ich unbedingt stutzig werden müssen. Cudderson war zu nervös, zu fahrig.
„… Setzen Sie sich … So …“
… Es war für fünf gedeckt. Der Platz mir gegenüber blieb frei – vorläufig.
„… Ich freue mich außerordentlich,“ sagte der Engländer jetzt mit eigentümlichem Lächeln … Dieses Lächeln war nicht nur erkünstelt, sondern auch verzerrt, und urplötzlich gab da irgendeine ganz feinfühlige Zelle in meinem Hirn das Signal: Gefahr!!
„… freue mich außerordentlich, Sie an Bord zu haben …“
Unsere Büchsen hatte uns ein steifer, anmaßender Steward vorhin schon abgenommen …
„… Legen Sie doch bitte Ihre lästigen Ledergürtel mit dem lächerlichen Behang ab … – Morris, helfen Sie den Herren!“
Der Steward verbeugte sich neben mir … „Mein Herr …!!“
Gupas Blick suchte den meinen. Gupa lächelt selten. Jetzt grinste er, senkte die Hände in die weißen Falten des Damasttuches der Tafel und brachte sie nicht mehr leer zum Vorschein.
Cudderson sah es, und sein Unterkiefer sank, die oberen Schneidezähne entblößten sich vor Schreck, der Steward neben mir erhielt einen sanften Ellenbogenstoß in den Leib, der ihn auf den dicken Teppich beförderte, und Adolar Tübbicke war rasch an der Gangtür und verschloß sie, war noch rascher auch bei der zweiten Tür.
Ralph Cuddersons grau verfärbtes Gesicht zeigte die Bewölkung des Schuldgefühls und der Angst.
„So, jetzt können wir frühstücken,“ meinte ich. „Lieber Tübbicke, stellen Sie unsere Büchsen doch in Greifnähe. – Sie, Mr. Cudderson, hätten die elektrische Beleuchtung der Jacht nicht so stark in Anspruch nehmen sollen. Alle Fenster sind verhängt, alle Lichter brennen hier, und …“
Gupas Baß fauchte den Erblaßten weniger zart an …
„Schurke, Verräter …!!“
Ich winkte Gupa beruhigend zu. „Vergessen wir die Umgangsformen nicht, Freund Gupa! – Also, Mr. Cudderson …?!“
„Coddersohn …“ warf Adolar Tübbicke bissig ein. „Ein richtiger Codder, Waschlappen …! Der Kerl erbleicht vor der eigenen Schufterei.“
Der Engländer saß mit einem Gesicht da, als ob ihm die ganze Szene mehr als widerwärtig wäre. Der Ausdruck des Schuldbewußtseins in seinem sonst zweifellos durchaus sympathischen Gesicht hatte sich verändert.
„Ich bin ein Narr gewesen, daß ich mich auf die Geschichte überhaupt einließ!“ sagte er geradezu gequält. „Nun muß ich mir hier Dinge an den Kopf werfen lassen, die im Grunde berechtigt sind.“
„Weshalb ließen Sie sich auch von Lady Cordy einwickeln!“ platzte Tübbicke heraus. „Die verdammten Weiber!! Wo schon ein Unterrock sich einmischt, ist stets …“
„… Lady Cordy?!“ fragte Cudderson in maßlosem Erstaunen. „Wie kommen Sie darauf?! Ich kenne Lady Cordy nicht!“ Er sprach immer schärferen Tones. „Ich werde Lord James Cordy, meinen Bekannten von Kairo her, holen und …“
In dem Moment übersah ich endlich die Sachlage.
Die Erregung riß mich von meinem Platze hoch.
„Lord Cordy erschoß den Führer Wera Zubanoffs, Lord Cordy feuerte auf seine Gattin, – ich habe gleichzeitig auf ihn geschossen, ich traf auch. Ist er verwundet?!“
Ralph Cudderson stieg das Blut bis in die Stirn.
„Der … infame Lügner!“ keuchte er. „Ja – er ist verwundet – Streifschuß an den Rippen! Ich Narr!“ Er sprang auf. „Kommen Sie mit, Mr. Lensen … Cordy wartet drüben in der Kabine …!!“
Ich mußte lachen.
„Sie naives Gemüt!! Er wartete! Wartete! Er ist längst auf und davon, er wird gemerkt haben, daß …“
Cudderson rannte zur Tür …
Die Kabine stand offen …
Oben an Deck – die Jacht schwamm schon in der Fahrrinne des Stromes – sahen wir das kleinste Boot der Minnawatta mit einem einzelnen Ruderer eiligst dem Ostufer zustreben.
Cudderson brüllte den Kapitän an:
„Ist das Mylord?! Wie konnten Sie das Boot ausschwingen lassen?! – Ihm nach! Ich will rein dastehen vor diesen Herren, ich bin …“
Mein warnendes Hüsteln, mein Blick brachten ihn zur Vernunft. Es war nicht nötig, daß die Besatzung mit eingeweiht wurde. Mochten die Leute denken was sie wollten, die Wahrheit sollten sie nicht erfahren.
Die Jacht änderte den Kurs. Lord Cordy ruderte wie ein Verzweifelter. Er hielt den Kopf tief gesenkt, er hatte noch dazu den Tropenhelm tief ins Gesicht gezogen.
Cudderson war außer sich. Er nahm uns beiseite. Er konnte kaum sprechen. „Meine Herren, entschuldigen Sie … Ich bin schamlos hintergangen worden, Cordy ist eine Zufallsbekanntschaft, er wohnte auch im Mena House, und wir hatten insofern Anknüpfungspunkte, als er Hauptaktionär der verkrachten Nubischen Goldminen-A.-G. ist, bei der auch mein Vater Millionen einbüßte …“
Er rang förmlich nach Luft. Um seine Nase zeigten sich die weißen Flecken ungeheuerer Aufregung.
„… Ich traf ihn dicht vor Kairo, als wir uns getrennt hatten … Ich hatte ja keine Ahnung von alledem, was Sie vorhin andeuteten, Mr. Abelsen … Ja … Abelsen, denn er verriet mir Ihren richtigen Namen, er erzählte mir, daß Sie steckbrieflich wegen Mordes gesucht werden, er behauptete, Sie hätten Wera Zubanoff verfolgt … Alles Lügen, – – und ich verdammter Narr glaubte ihm, ich gab mich dazu her, Sie hier an Bord mit Ihren Begleitern festzunehmen und der Polizei auszuliefern … Ich kann nur nochmals um Entschuldigung bitten. Ich bin so absolut unerfahren in allen Dingen, die nicht gerade mit Sport zusammenhängen … Ich hätte auf meinen Mac hören sollen. Dem gefiel der Lord gleich nicht. Mac besitzt Menschenkenntnis …“
Sein Blick irrte dauernd nach dem flüchtenden Boote hin …
„Ah – wir fangen ihn – wir fangen ihn … Da, – wie er sich anstrengt …! Und wir müssen ihn haben! Er würde Sie sofort bei der Polizei denunzieren, Mr. Abelsen …“
Die Jacht rückte allerdings sehr schnell auf. Aber der Nil hatte niedrig Wasser, die so heiß ersehnte und segenbringende Überschwemmungsperiode, die stets mit großen religiösen Feierlichkeiten begrüßt wird, setzt erst im Juli ein, wenn die Regenfälle in den abessinischen Bergen den Attara-Fluß, den rechten bedeutendsten Nebenstrom, zehn Meter höher anschwellen lassen.
Es war nicht nur der niedrige Wasserstand, der mir zu denken gab. Der Nil ist bei Kairo in der Fahrrinne durchschnittlich zehn Meter tief, während des Hochwassers steigt er um acht Meter, außerhalb der eigentlichen Stromrinne gibt es überall sehr flache Stellen, endlose Sandbänke, Inselchen und leider auch die berüchtigten schwimmenden Grasinseln, – – ich bin kein Neuling auf dem Wasser, ich sah das Unheil voraus, und mein warnender Zuruf an den Kapitän kam zu spät.
Die Jacht lief auf, wir spürten den leichten Stoß, – der Kapitän ließ die Schrauben sofort rückwärts arbeiten, der Nilschlick wirkt jedoch wie ein Riesensauger, – die Minnawatta lag fest.
Und das war schlimmer als alles andere.
Cordy hielt auf das Dorf Cotsch zu, – auch dort befand sich eine Polizeistation, auch dort gab es Telephon …
Es handelte sich jetzt um meine persönliche Freiheit, und etwa darauf warten, daß die Jacht wieder freikäme, wäre unter diesen Umständen Wahnsinn gewesen.
„Mr. Cudderson, lassen Sie Ihre Pinasse zu Wasser bringen,“ sagte ich zu dem zitternden, vor Ingrimm farblosen Engländer. „Wir müssen in Ihrem Interesse Komödie spielen. Sie würden die größten Unannehmlichkeiten haben, wenn Sie mir freiwillig zur Flucht verhelfen wollten …“
Ich hielt ihm die Pistole vor die Brust. Jetzt brüllte ich. Und Tübbicke und Gupa, rasch im Bilde, halfen bei dieser bitterernsten Posse.
„Die Pinasse ausschwingen!! Los!!“
Ein neuer Ruck ging durch den Schiffskörper – noch einer … Am Heck gurgelte der weiße Gischt, die Jacht glitt langsam in tieferes Wasser … –
Zehn Minuten darauf legt die Minnawatta stromabwärts hinter einer felsigen Halbinsel am Ostufer am Dampfersteg einer Handelsgesellschaft an. Wir drei, immer noch die Waffen in der Hand, trieben unsere Tiere an Land …
Keiner kam auch jetzt so recht zur Besinnung. Die Besatzung merkte wohl, daß unsere drohende Haltung nur eitel Spiegelfechterei sei. Cudderson beruhigte mich. „Die Leute halten treu zu mir … – Nur eins noch, Abelsen: Wo ist Wera Zubanoff?“
Ich zauderte erst. Aber er war ein anständiger Kerl …
„Cudderson, benutzen Sie von Assuan die östliche Karawanenstraße bis Bir Schikr … Ich werde Ihnen in Bir Schikr weitere Nachricht zugehen lassen … – Wiedersehen – vielleicht …“
Noch ein verständnisinniges Blinzeln, – wir steckten die Pistolen weg, und vorüber an den erstaunt glotzenden Arbeitern der Dattel-Exportgesellschaft – vorbei an Stapeln süßlich duftender Kisten und langen Lagerhäusern trabten wir einen Hohlweg des hier recht steilen Ufers hinan – hinein in das Wadi Tarfe, das unser tüchtiger Alterspräsident A. A. A. bereits vorher nach seinem Reisehandbuch als günstigsten Weg ausgewählt hatte.
Doch schon nach einer Stunde schärfsten Rittes hatten wir die Siedlungen hinter uns und damit auch die Gefahren-Zone. Wir bogen in eine schmale Schlucht nach Süden ab, wir hatten den Tieren die Hufe umwickelt, ich hatte Wrangel vor mir im Sattel, und gegen Mittag erreichten wir die kleine Sandwüste zwischen dem Wadi Tarfe und dem südwärts gerichteten Wadi Keneh, ein gänzlich unbewohntes Gebiet, das erst bei der Nilschleife von Keneh wieder ein Ausbiegen nach Osten nötig machte. Abends lagerten wir in einer kleinen, von Bergen eingeschlossenen Oase, in der wir keinerlei Spuren von Menschen fanden.
Lord Cordys Anschlag war endgültig mißglückt. Wir waren in Sicherheit. Keiner freute sich darüber mehr als Adolar Tübbicke. Er kam immer wieder auf die Vorfälle auf der Jacht zu sprechen, er fühlte sich so etwas als Held des Tages, denn durch seine Äußerung über Lady Cordy war ja erst die entscheidende Wandlung eingetreten.
Gupa sagte gar nichts. Ihn interessierten lediglich die beiden Hammelschenkel, die über dem Feuer brozelten und schmorten. Mit der stoischen Ruhe und Sachkenntnis des Mongolen drehte er den Spieß, fing den herabtröpfelnden Saft in einem Aluminiumteller auf, begoß die Bratenstücke geradezu andächtig und meinte nur gelegentlich: „Wir haben also bis Bir Schikr mindestens zehn Tage zu reiten, da wir die Karawanenstraße meiden müssen.“
Dann ging der Mond über den östlichen Höhen auf – eine runde, glänzende Scheibe … Wrangel nagte an dem Hammelknochen, ringsum meldete sich das Getier der Einsamkeit, ich nahm vor dem Schlafengehen noch ein Gießbad, rasierte mich und fand die Gefährten, als ich von der brunnenartigen Quelle zum Lagerplatz zurückkehrte, Tübbicke und Gupa bereits in tiefem Schlafe. –
Es gab eine Zeit, wo ich es gelernt hatte, im Pferdesattel einzunicken und den Nachtschlaf so zu ersetzen. Das war damals, als wir mit Coy durch die Pampas ritten … Im Dromedarsattel ist es mit dieser Art Ausruhen schlecht bestellt. Mein Bischarinkamel hatte allerdings einen sehr gleichmäßigen Gang, und wenn wir flache Sandebenen durchquert hatten, war ich doch zuweilen leicht eingeschlummert. Auch das Bad hatte mich munter gemacht, – ich rauchte noch eine Zigarre, saß mit dem Rücken gegen eine alte Dattelpalme, Wrangel lag neben mir, und ich beobachtete eine Rieseneidechse, einen Waran, ein Tier von einem Meter Länge, das soeben aus seiner Felsspalte aufgetaucht war und im dürren Grase hörbar schnüffelte.
Die Waraneidechse hatte offenbar ein Schlangenloch entdeckt. Unser Feuer war niedergebrannt, ich verhielt mich völlig still, der Waran grub mit der Fixigkeit eines Maulwurfes die Erde auf, und dann gab es einen so eigentümlichen Kampf zwischen ihm und einer großen, dicken Hornviper, daß ich wirklich bedauerte, keine Blitzlichtaufnahme von dieser sonderbaren Kampfmethode des Waran machen zu können.
Die Riesenechse wich jedem Vorschnellen der Viper geschickt aus, warf sich herum und schlug mit dem Schwanze nach der Schlange, traf auch schließlich, trommelte dann weiter mit dem Schwanzende auf das halbtote Reptil ein, und verspeiste es nachher – bis auf den Kopf.
Ich hatte bisher jene bescheidenen Grünflächen der Wüsten des Nordstreifens Afrikas nie kennen gelernt, es war dies die erste Nacht, die ich in einer wirklichen Oase verbrachte, ich wußte wohl von meiner Studienzeit her, daß tief unter diesen verwitterten Schichten Kalkgesteins starke Wasseradern sich hinziehen, daß die „Brunnen“, die erst die Entstehung der Oasen ermöglichen, zumeist dürftige Rinnsale dieser reichen Wasseradern sind, – im übrigen war mir hier alles neu, denn Tier- und Pflanzenwelt zeigten bereits ein völlig anderes Gepräge als droben im Wadi Arabah, das ich in meinen Mußestunden vom Kloster aus durchstreift hatte.
Die Oasen sind die eigentlichen Stützpunkte des Tier- und Pflanzenlebens dieser Einöden, und gerade die Nacht ist die einzige Zeit, in der man die vielfachen Bewohner dieser unendlichen Durststrecken zu Gesicht bekommt. Wir waren während des Tagesrittes nur vereinzelten Antilopentrupps begegnet, wir hatten lediglich Springmäuse und Hasen in größerer Zahl angetroffen, aber auch diese Tiere waren so scheu und vorsichtig, daß ich auch nicht einen einzigen Hasen erlegen konnte. Tübbicke hat ein paarmal daneben geknallt, Gupa versuchte es gar nicht, und so hatte der im letzten Fellachendorf gekaufte und sofort ausgeweidete Hammel auch für die Abendmahlzeit herhalten müssen.
Die Nacht änderte dies. Gerade diese selten oder nie von Nomaden besuchte Oase schien von dem Getier ringsum als Tränke bevorzugt zu werden. Schattengleich erschienen die für die Umgebung des unteren Niles charakteristischen Donkasantilopen. Das Trampeln ihrer Hufe verstummt plötzlich, das Leittier windet mißtrauisch nach unserem Lagerplatz hinüber, und – im Galopp gehen die Tiere ab. Igel, Stachelschweine, Dachse lösen sich in bunter Reihe ab, am frechsten sind die Stachelschweine, ihr Geruchsinn ist schlecht entwickelt, und trotz ihres Stachelpanzers fallen sie unschwer den schlauen Wüstenwölfen zum Opfer. In manchen Landstrichen sind sie daher völlig verschwunden, auch die Profitgier der Eingeborenen ist daran schuld, die Stacheln werden zu „Reiseandenken“ für die Touristen verarbeitet …
Ich langweilte mich nicht. Meine Zigarre war längst erloschen … Es mochte elf Uhr sein, und da erst fanden sich auch die Räuber der Wüste ein, harmlos für den Menschen, gefährlich für das andere Getier. Aus Höhlen und Klüften erschienen sie, – unglaubliche Entfernungen legen sie zurück, lautlos gleiten sie dahin, man muß schon sehr scharf aufpassen, um das leise Geräusch ihrer Krallen auf dem harten Gestein zu vernehmen, – im Sande schleichen sie näher ohne das geringste Anzeichen ihres Kommens, – nicht einmal Schatten, nur die glühenden Augen verraten sie … Die Farbe ihres Pelzes paßt sich der Farbe des Wüstenbodens genau an. Nur der libysche Luchs, dessen Vorhandensein östlich des Nils vielfach bestritten wird, macht hier insofern eine Ausnahme, als er in gebirgigen Gegenden recht dunkel getönt ist, während sein Fell in Sandwüsten mit nur vereinzelten Felspartien ins Gelbrötliche spielt.
Mit einem Schlage war nichts mehr von den gelbgrünlichen Lichtern zu entdecken … Nur ein Stachelschwein und zwei Igel und die überall in erschreckender Menge vorhandenen Ratten ließen sich nicht stören. Was aber mochte das Raubzeug verjagt haben?!
Mein Mißtrauen regte sich. Ich hatte die Büchse neben mir liegen, ich war seit dem Vorfall auf Ralph Cuddersons Jacht für alle Zeit gewarnt. Nie mehr würde ich hier meine Waffen außer Griffnähe lassen, – mit dem Kulturlande Ägypten hatte es doch seine eigene Bewandtnis. Kultur?! Gewiß: Am Nil entlang liefen die Schienenstränge der Sudanbahn, liefen Telegraphen- und Telephonleitungen, auf dem Nil verkehrten weiße Luxusschiffe, angefüllt mit reichen Tonristen aller Länder, – altertümliche Schiffe mit spitzen Segeln, floßähnliche, plumpe Fahrzeuge, Privatjachten, Motorboote, – – Technik allermodernster Art und allerälteste Schiffstypen, nicht zu vergessen die für die Stromschnellen besonders konstruierten Flachboote – belebten den weltberühmten Strom, an dessen Ufern einst die Pharaonen geherrscht und eine fanatische Priesterkaste mit noch heute ungelösten Mysterien das Volk unter strengster Fuchtel gehalten hatten. Aber – zehn Meilen landeinwärts, und dieses ungeheure ägyptische Reich zeigt sein zweites Gesicht … Es ist gelb-weiß, braun-gelb, Wüstensand, – es ist voller Runzeln: kahle Gebirgsmassen, – es zeigt Spuren von Tränen: Halb ausgetrocknete Flußtäler, – es zeigt seine verschleierten, geheimnisvollen Augen: Nächte wie diese!
Das ist Ägypten. Land voller Kontraste, Land voller Erinnerungen an entschwundene Zeiten, Land der gewaltigen Pyramiden, goldgefüllter Grabkammern, Spuren erster christlicher Glaubensentfaltung, weggewischt von dem mächtigeren Fanatismus des Islam …
Wer dieses Ägypten bereist, wie es die meisten tun: als Globetrotter, – der lernt es nie kennen. Nur abseits der gebahnten Straßen, nur in Sandeinöden, nur in hellen Gebirgsklüften, nur in den ungeheuren Sümpfen, im Süden offenbart es sein ehrliches Antlitz. Alles andere ist Trug.
… Wie weggefegt waren die glühenden Punkte. Ich nahm die Büchse, nahm den Hund an die Leine, erhob mich und schritt tiefer in die Schlucht hinein – nach Norden zu, erklomm die zerklüftete Südwand, und vor mir lag die Wüste, mondhell, fast wie am Tage …
Eine unwirkliche Beleuchtung war es, ein seltsames Licht, vielleicht dem Morgengrauen am wolkigen Tage vergleichbar – vielleicht …
Eine vereinzelte, abgestorbene, kümmerliche Palme stand hier. In ihrer Krone hingen Nester wie schwarze Flecken, Nest an Nest, – ganz oben der Horst eines Schopfgeiers, ein liederliches Gefüge von Ästen, Zweigen, Gras und … weißen Tierknochen.
Ich lehnte mich an den Baum, mein Blick schweifte in die Weite, meine Gedanken waren bei dem einen flüchtigen Satz, den Ralph Cudderson bedeutungslos hingesprochen hatte: Daß James Cordy Hauptaktionär der Nubischen Goldminen-A.-G. gewesen sei!
Goldminen!! – Und dazu der Zettel in Lady Janes Etui …!! – Um Gold ging es hier. Der Goldbarren, den Gupa gefunden hatte, war nur ein weiteres Glied in der Kette der Beweise.
Gold …!! Quell aller Übel, aller Verbrechen, jeder Niedertracht, jeder Erbärmlichkeit! – Gold, Habgier, – scheußliche Geschwister, verderbliche Zwillinge, umgeben von einem ebenso unedlen Verwandtenkreis: Geiz, Neid, Luxus und … Lüge.
– Im Vatikan befindet sich die berühmte Marmorgruppe, die den Nil als liegende männliche Gottheit darstellt, umgeben von sechzehn spielenden kleinen Knaben, die auf die sechzehn Ellen hindeuten, die der Strom im Altertum anschwellen mußte, um die Ufer befruchtend überfluten zu können.
Dieser Nilus mit seinen Beifiguren konnte ebenso gut ein Bild des Goldes sein. Mit Leichtigkeit könnte man die sechzehn Knäblein auch als die aus dem Goldhunger entsprießenden Untugenden deuten.
Das ging mir so flüchtig durch den Kopf … Seltsame Gedanken drängten sich mir in stillen Nächten häufiger auf. Die Nacht schärft die Sinne, das Sonnenlicht macht sie stumpf, der geheimnisvolle Mond wirkt auf die Seele ein, – Mondsüchtige klettern auf Dächern, suchen den Mond, das Nachtgestirn zu erreichen, – – stürzen vielleicht ab und brechen das Genick. Es gibt noch so zahllose ungelöste Rätsel unseres Innenlebens …
Mein Blick glitt suchend, voller Argwohn umher … Über mir krächzten die jungen, hungrigen Geier …
Mein Blick fand nichts, – und ich stellte das Fernglas ein, zerbeult, zerkratzt …
Ich suchte. Was?!
… Geheimnisvolle Zusammenhänge verbinden uns mit der Natur, mit Erde, Firmament, Sternen. Sollte alles nur Unsinn sein, was die Sterndeuter des Altertums über Menschenschicksale errechneten?!
Meine Gestalt straffte sich …
Da – war etwas …
Drüben, wo die Flugsanddünen sich wölbten, bewegten sich unklare Punkte …
Menschen?! Verfolger?!
Von dorther waren wir gekommen, hatten die Dünen umritten, hatten uns keine Mühe mehr gegeben, unsere Fährten zu verwischen.
Tiere nur?! Antilopen?!
Da – – ein feines Leuchten flackerte empor, – ein greller Strahl schoß ins Weite, erlosch …
Seltsam, – was war es gewesen?! Das Licht einer starken Laterne?!
Mir taten die Augen weh vom beharrlichen Hinstarren, ich ließ das Glas sinken …
Wrangel saß neben mir, die Ohren nach vorn gerichtet, den dicken Kopf leicht vorgeschoben.
„Alter Freund von Sachalin her, – siehst du etwas?“
Der Hund knurrte. Ein dumpfes Grollen kam aus seiner Kehle …
„Alter Freund, ich verstehe deine Sprache …! Hier ist es nicht mehr geheuer!“
Eilends zum Lagerplatz zurück …
Gupa im Augenblick wach, Tübbicke schwer schlaftrunken …
Ich sattelte schon die Tiere.
„Natürlich blinder Alarm!“ murrte Freund A. A. A.
Der Schuß und die Kugel, die mir den Hutrand aufriß, waren Beweis des Gegenteils.
Wir warfen uns in das dürre lange Gras … Unsere Dromedare wandten die Schwanenhälse unruhig hin und her, – das meine war gesattelt …
Ich wußte: Cordy, kein anderer!!
Mein Feind Cordy!!
… Ein Satz in den Sattel, ein Zuruf, – das Tier erhob sich …
Eine zweite Kugel fegte mir durch den Ärmel, dann jagte ich die Schlucht hinab, wo linker Hand eine flache Lücke die Wände durchschnitt. Diesmal sollte er mir nicht entkommen, gegen mein Bischarin kam kein arabisches Vollblut auf …
Hinaus in die Wüste, Büchse entsichert, Wrangel von der Leine befreit …
„Such, mein Hund …!“
Aber er stand vor mir, hinten zusammengeduckt, das Nackenhaar gesträubt, – – und … zitterte.
So hatte ich ihn noch nie gesehen.
Er, der dem stärksten Bären auf Sachalin das Fell zerzaust hatte, der sich in der Kehle des Feindes festbiß und wie eine Klette im Pelze hing, – er … zitterte, winselte leise …
Und starrte dorthin, wo nun aus dem Schatten schwarzgrauen Urgesteins ein plumpes Riesentier hervorbrach, ein Koloß mit Säulenbeinen und hochgerecktem Rüssel …
Ich traute meinen Augen nicht …
Hätte nicht Tübbicke, A. A. A., hinter mir gebrüllt: „Ein Elefant?!“ – ich würde geglaubt haben, ich schliefe und träumte nur …
„Ein Elefant …!!
Tübbicke verhielt sein Dromedar neben mir …
Allen Respekt vor diesem Sechzigjährigen, – er saß ohne Sattel auf dem weißgrauen Bischarin, den Sattel hatte er im linken Arm …
Der Elefant trabte nur, aber der weitausholende Trab dieses Dickhäuter schlägt jeden Renner.
Auf dem Halse des Elefanten hockte ein Mann in Beduinentracht mit Kopftuch und Büchse … Der Mantel flatterte …
Es war wie ein Spuk.
Wie kam James Cordy zu einem Elefanten?!
Hier gibt es diese Rüsseltiere nicht – nicht einmal unten im Sudan, da mußte man noch weiter südwestlich bis zu den großen Seen, aus denen der Nil entsprang.
Gupa trabte heran, – jagte vorüber …
Auch wir trabten an … Wrangel hielt sich hinten, das Untier dort war ihm unheimlich …
Dann kollerte der arme Tübbicke in den Sand. Ohne Sattel, – wer einmal auf einem Dromedar gesessen, wird dies begreifen.
Ich hielt mich nicht bei ihm auf. Gupa hatte hundert Meter Vorsprung, der Elefant zweihundert, aber es wurden dreihundert, vierhundert …
Das Klappern des schlecht verstauten Kochgeschirrs in den Satteltaschen machte mich krank … Vorwärts …! Ich mußte ihn haben …! Wo Cordy, da auch Wera Zubanoff!!
Und so rasten wir durch die mondhelle Wüste den Flugsanddünen zu, wo ich vorhin den blendenden Blitz gesehen hatte. Dort mußte Cordys Bande lagern … Dort war auch Wera, die … für mich nur noch Erinnerung an erloschenes Feuer irriger Leidenschaft bedeutete … –
Die Dämmerung hatte das Riesentier verschluckt.
Weiter …!
Der Vorsprung Cordys wuchs …
Weiter!
Noch zehn Minuten …
Aus dem verschwommenen Gelb der Dünen schälten sich noch hellere Zelte heraus … drei … vier …
Dromedare standen da, – vier Elefanten …
Hunde kläffen …
Eine Magnesiumfackel zischt auf, streut blendendes Licht über schlaftrunkene Männer in Schlafanzügen, über tiefbraune Arabergesichter, über ein zierliches Weiblein mit strohblondem Köpfchen …
Aus der beunruhigten Menschengruppe tritt ein einzelner hervor, lang, dürr, Gesicht wie gegerbt, Schauspielerzüge …
Gupa hält. Ich halte …
– Was wußte ich, der seit drei Jahren als Flüchtling die Welt durchirrte, von den Millionen, die die großen amerikanischen Filmgesellschaften riskieren – – für Sensationen?!
Nichts …!
Der Yankee redete uns an.
Fragen, Antworten gehen hin und her …
Ich antwortete vorsichtig, ich frage eindeutig.
Der Amerikaner, ohne Arg, erzählt von dem heutigen zufälligen Zusammentreffen mit einem einzelnen Europäer …
Cord hat er sich genannt, Forscher wollte er sein …
Abends hatte die Begegnung stattgefunden, und nun zeigte sich, sie hatte den Filmleuten den besten Elefant gekostet … Cord war verschwunden … Cord war ein Schlaufuchs, hatte uns hierher gelockt, wo er mit längerem Aufenthalt für uns rechnete, war weitergejagt, hatte nun eine Viertelstunde Vorsprung – mindestens … –
So lernte ich Gussy Gollan kennen, Star von Hollywood, kleiner Teufel mit frechem Gamingesicht, große Diva im Reiche des flimmernden Gottes.
Es war einmal ein besonderer Happen …
Auch der Happen ist verdaut.
In „unserer“ Oase gibt es keinen Unterrock, kein hellblau-seidenes Pyjama mit schwarzem Kragen und schwarzer Verschnürung. Hier gibt es nur Männer. Männer aus Stein, hart, fest, derb … In unserer Oase gibt es keinen zappeligen Kurbeldreher, der seinen Aufnahmeapparat wie ein Weibchen in den Flitterwochen behandelt. –
Der Filmoperateur Owen Darß, der Expeditionsleiter und Regisseur Howard Houston, ich – – und natürlich die zierliche Hexe Gussy saßen im großen Zelt in Klappstühlen um den Klapptisch. Mokka duftete in feinen Tassen, Gussys manikürte Finger kokettierten mit einer Zigarette …
Die Verfolgung Cordys war ergebnislos gewesen. Houston hatte wie ein Stauer geflucht, Gussy hatte gelacht und nun erörterten wir das Geschehene mit der trügerischen Gründlichkeit von Leuten, die der Wind des Zufalls zusammengeweht hat.
Tübbicke und Gupa hatte ich bei unseren Tieren gelassen. Die prächtigen Bischarin stachen Houston die Augen aus, und Houston hatte fünfzig Farbige bei sich. Man konnte nie wissen …
Was hier in der Wüste eigentlich gedreht werden sollte, verschwieg er. Die Filmleute schleppten aber die merkwürdigsten Dinge mit sich herum, und gerade Elefanten als Transporttiere mochten für einen zerlegten Eindecker, für mächtige Holzkisten, für drei auseinandergenommene Geschütze älteren Systems und für große Bündel verrosteter Gewehre am geeignetsten sein.
Und dann Mr. Houstons Leibgarde, die Farbigen!!
Es war erlesenstes Hafengelichter, wie ich es aus dem fernen Osten zur Genüge kenne, die Hälfte Araber, die andere Hälfte Neger, Fellachen, ein paar Chinesen und sogar vier schmalbrüstige Inder mit wallenden Bärten.
„Er nannte sich Cord,“ betonte Houston nochmals. „Er war allein – sagte er wenigstens. Wir konnten ihn nicht gut fortweisen … Wie es ihm möglich war, einen Elefanten zu stehlen, – mir schleierhaft!!“
Es war noch vieles andere schleierhaft.
Wir drei Kumpane, die wir lediglich unsere Sonderinteressen zu hüten hatten, waren übereingekommen, nichts zu verraten. Wir waren eben Touristen … Wer es nicht glaubte, – nun gut! Die Wahrheit sollte auf keinen Fall offenbart werden. Ein paar hastig geflüsterte Worte hatten zur gegenseitigen Verständigung genügt.
„… Es machte doch den Eindruck, als ob Sie, Mr. Lensen, diesen Cord verfolgten,“ meinte Gussy, der süße Fratz, und ließ ihre Brillantringe sprühen.
„Taten wir auch, weil er sich in der Nähe unseres Lagerplatzes herumdrückte, Miß Gollan …“
Ich hatte mein Lebtag nichts von einem Hollywoodstern Gussy Gollan gehört, aber Filmstars sind ja wohl Eintagsfliegen.
Howard Houstons Ledergesicht bekam einen lauernden Ausdruck. „Es wurde geschossen,“ tastete er vorsichtig nach der Wahrheit. „Mein Diener Ali will die Schüsse gehört haben …“
Dieser Ali bediente uns hier in dem komfortablen Zelt. Es war ein brauner Bursche mit undurchdringlichen Zügen, sehr ruhelosen Augen und gewandten Bewegungen.
„Ali, du hörtest doch was …?“
Ich hatte mir sehr rasch überlegt, daß die Entfernung bis zu unserer Schlucht im Süden viel zu groß war, als daß der Knall bis hierher hätte dringen können. Mich fing man nicht mit solchen Anzapfungen. Aber – wie konnte dieser Ali überhaupt etwas von Schüssen behaupten?! Er konnte sich das unmöglich völlig aus der Luft gegriffen haben. Ich mußte mit meinen Antworten noch behutsamer sein.
„Geschossen wurde, das stimmt, Mr. Houston, aber nicht von uns … Ich erwachte durch Schüsse. Möglich, daß dieser Cord auf irgend jemand oder auf ein Wild gefeuert hat …
Der Regisseur kaute an seiner Pfeife.
Ali sagte in stolperndem Englisch: „Es waren zwei Schüsse … Der Nachtwind kommt von Süden …“
Es entging mir nicht, daß er mit Houston einen langen Blick tauschte.
„Ich bedauere Ihren Verlust,“ meinte ich harmlos. „Hatten Sie denn keine Wächter bei den Elefanten?“
„Die Schufte waren eingeschlafen!“ fuhr Houston wütend auf. „Unser stärkstes Tier gerade …!! Ich begreife es selbst nicht, Mr. Lensen …“
Ein noch lauernderes Augenpaar beobachtete mich. Weiber, die sich zu dunklen Intrigen hergeben, sind gefährlicher als ein Dutzend gerissenster Schurken. Aber Gussy lächelte schon wieder, gähnte und meinte: „Bei Tageslicht nehmen wir die Verfolgung wieder auf. Dieser Cord mag sich verkriechen, wo er will … Mein Sporteindecker schafft hundertzwanzig Kilometer.“
Houston nötigte mich zum Zugreifen. Die Filmleute hatten allerhand Delikatessen mit.
„Haben Sie eigentlich ein bestimmtes Reiseziel?“ fragte er nebenbei.
Gussys Bemerkung über das Flugzeug schien ihm gegen sein Programm zu sein.
„Nein – kein Ziel, – wir sind auch nur Zufallsbekannte, wenigstens was Mr. Tübbicke betrifft.“ Ich trank einen Schluck Mokka und nahm einen Hartkeks … Diese ganze Gesellschaft mißfiel mir immer mehr. Es lag etwas unnennbar Drohendes in der Luft: Gewitterschwüle!
Der zappelige kleine Operateur Owen Darß sprach einer Flasche Whisky im Übermaß zu. Seine Nerven verlangten wohl nach diesem auch dämpfenden Mittel. Er hatte ein Rattengesicht mit Spitznase und fliehender Stirn. Sein dünnes graumeliertes Haar war künstlermäßig zurückgestrichen.
Dieser Darß ging zum Scheinangriff über. „Wir werden gut tun, die Spuren Cords auch bis zu ihrem Lagerplatz zu prüfen, Mr. Lensen … Vielleicht ergibt sich dann so manches Eigentümliche.“
Ich blickte ihn kalt an. „Sie denken, Cord und wir stecken unter einer Decke … Weshalb reden Sie nicht ganz offen?! Natürlich ist das barer Unsinn, denn wir jagten hinter Cord her, und wenn der nicht so schlau gewesen wäre, uns hier bei Ihnen …“
Darß meckerte: „Schaumschlägerei!! Halten Sie uns doch nicht für dumm, Mr. Lensen! Auch die Fußketten der anderen Elefanten waren gelöst, und es ist ein Wunder, daß die Tiere nicht mit ausbrachen, als Nuba vorüberjagte, Nuba, der Leitbulle!“
Die Karbidlampe über dem Tische brannte sehr hell. Aber gerade mir gegenüber hatten Houston und Darß ihre Reitanzüge an die Zeltstangen gehängt, und so hatte ich vor mir eine breite Schattenbahn. – Ali war hinausgegangen … Ohne die Schattenbahn hätte ich nie feststellen können, ob draußen noch Magnesiumfackeln weithin ihr grelles Licht umherstreuten. Es brannten keine Fackeln mehr, aber die Unruhe im Lager hatte sich noch nicht gelegt. – Mitten durch die Platte des Klapptisches lief die senkrechte Hauptstange des Zeltes. An dieser Stange war ein wagerechter Halter für die Lampe befestigt.
Ich schüttelte zu Darß’ nunmehr recht offenherzigen Verdächtigungen ironisch den Kopf: „Ihre Fähigkeit, folgerichtig zu denken, ist mäßig, Mr. Darß. Ständen wir mit diesem Cord im Bunde, hätten wir den Elefantendiebstahl wohl anders inszeniert …“
Das Rattengesicht feixte. „Wir werden ja sehen …!! Jedenfalls werden Sie so liebenswürdig sein und vorläufig bei uns bleiben …“
Also doch!!
„Sehr gern …“ – was dann kam, war für diese Grünlinge zur Abwechslung keine gut probierte Kurbelszene.
Ein Tritt gegen die Mittelstange, – die Lampe fiel herab, – ein Sprung über den stürzenden Tisch, – – ein Schnitt mit dem Messer …
Aber ich hatte mich doch verrechnet, – Darß und Houston lagen zwar mit am Boden, – die Katze Gussy schlug gerade zu, als ich mich durch das aufgeschlitzte Leinen an der Schattenseite zwängte.
Womit sie schlug, – es mußte einer der kleinen Spaten sein …
Ich taumelte … ich erhielt den zweiten Hieb auf die Schulter, die Büchse entfiel mir …
Sekunden entschieden hier … Funken sprühten mir vor den Augen, jähe Übelkeit würgte mir in der Kehle …
Gussys Stimme schrillte …
Gussy hing an mir wie eine Katze, hing mir im Nacken, riß mich nach hinten …
Sekunden entschieden hier … Nur die ungeheuerste Willensanspannung gab mir die Kräfte, das federleichte Weib mit der Linken herumzureißen. Der Armdruck erstickte sie halb … Ich sah wieder, ich rannte geradeaus, – ich wußte, wo unsere Tiere standen, – ich hatte das Weib als Schild, ich hatte Gupas Namen gebrüllt, – der Knäuel brauner Leiber vor mir zerfiel, – – Schüsse knallten …
Tübbicke – nie vergesse ich es ihm! – ließ einen Kerl kopfheister gehen, der mir seinen Speer in die Seite stoßen wollte, – Adolar Tübbicke stand im Mondlicht mit einem fidelen Lächeln da, in jeder Hand eine Pistole …
Peng … Peng … Peng …
Dann rauf auf die Tiere, rein in den Sattel.
Gupa warf ich das Frauenzimmer zu …
„Mitnehmen!!“
Ohne meine Büchse fliehen – niemals!!
Ich gab dem Bischarin die Hacken …
Vor dem Zelte die Herren Houston und Darß – wie gerufen …
Peng … Peng …
Schreckschüsse … Stücke Armhaut kosteten sie wohl …
Da lag die Büchse … Ein Zügeldruck, ein Satz abwärts, ein Griff, ein Satz aufwärts …
Peng … Peng … Peng …
Die Lagerstraße war wie leer gefegt …
Ein paar Wurfmesser sausten ins Weite …
Wrangel, der bei Tübbicke und Gupa gelegen hatte, balgte sich noch mit den fremden Kötern herum …
Ein Pfiff, – – hinaus in die mondhelle Wüste – – Feuer in den Adern, im Hirn, berauscht von diesem Erleben, bei dem das gute Recht auf unserer Seite war …
Tübbicke, dicht neben mir, rief unserem Golem zu: „Gupa, erwürgen Sie sie nicht!“
Gussy ruhte schlaff im linken Arm des riesigen Mongolen.
Hinter uns jetzt die Hölle …
Brüllen, Schreien, Schüsse, Heulen der Hunde – neue Schüsse …
Tübbicke lachte munter. „Das sind Helden, Abelsen!! Feine Bande!!“
Der Lärm erstarb …
Wir jagten nach Süden, den kahlen Bergen zu, und die feierliche Stille der großen Einöde beruhigte das heiße Blut.
Die kleine Oase ließen wir rechts liegen, bogen in ein Tal ein, stiegen ab, führten die Tiere auf schmalem Grat … Und über Gupas Sattel lag die Katze Gussy wie ein schlaffer Sack.
Nach der Karte konnte es die Nordspitze des Wadi Kebir, einer Abzweigung des Wadi Keneh, sein, wo wir Stunden später im Morgengrauen lagerten. Wir hatten gehofft, hier auf Wasser zu stoßen (Tübbickes Handbuch verzeichnete hier verschiedene Bir oder Brunnen), die Felslöcher waren jedoch leer, – kein Wunder, denn es mußte in dieser Gegend wochenlang eine grausame Hitze geherrscht haben, die Felsen waren derart durchglüht, daß sie auch nachts förmliche Glutwellen aushauchten. Die Örtlichkeit war trostlos, ein paar Palmen, verdorrte Büsche, versengtes Gras, dazu überall zahllose Tierspuren, – aber wir waren am Rande unserer Kräfte, ebenso unsere Dromedare, nicht minder der Hund, – unsere Wasserschläuche leer, an Proviant nur noch kärgliche Mengen Mehl und Hartbrot.
Der Morgen zog herauf. Gussy Gollan lag mit verbissener Miene auf meiner Wolldecke, Tübbicke rieb die Dromedare ab, Gupa stand als Wache zwischen den Felsen der südlichen Talwand und ich wollte versuchen, irgend etwas Genießbares zu schießen. Unterwegs hatten wir absichtlich jeden Schuß vermieden.
„Tübbicke, geben Sie scharf auf das Mädel acht!“ ermahnte ich ihn nochmals. „Die Kerle haben ihr Flugzeug, und …“
Freund Adolar schmunzelte. „Ich denke, Olaf, ich habe in dieser Nacht mein Hauptexamen zum Trapper für Ägypten und umliegende Dörfer mit „Genügend“ bestanden …!“
„Allerdings, das haben Sie, aber mit „Sehr gut“ … Trotzdem – unsere Lage ist ziemlich heikel …“ Wir sprachen deutsch … „Sehr heikel, denn nun sind auch noch diese Leute aus Hollywood hinter uns her – etwas viel für drei Mann und einen Hund, schätze ich.“
Gussy in ihrem Schlafanzug, über den sie noch im Zelt sehr kokett einen farbenfrohen Kimono geworfen hatte, – diese kleine zierliche, jungenhafte Hexe überraschte uns jetzt durch die schnippische Bemerkung – auch in deutscher Sprache:
„Wir werden später miteinander reden, Herr Lensen. Houston hat sich da eine kapitale Dummheit geleistet, als er Sie drei für Verbündete Cords hielt … Ich weiß nun besser Bescheid. Ich werde nicht fliehen, ich werde auch dem Flugzeug, falls es erschiene, keinerlei Zeichen geben – nicht ohne ihre Zustimmung. Genügt Ihnen das?“
Sie, die bisher sich völlig still und scheinbar teilnahmslos gezeigt hatte, – sie, die uns als Luft behandelt und nur zweimal unterwegs eine kurze Rast gefordert und sich dann ein Stück entfernt hatte, war zweifellos zu besserer Einsicht gelangt. Sie saß aufrecht da, sie schaute mich an und bat in einem Atem: „Nehmen Sie mich mit, Herr Lensen … Ich muß mir Bewegung machen, ich bin an körperliche Anstrengungen gewöhnt, und dieser Ritt hat mich nur gründlich durchgeschüttelt, – das war kein Training nach meinem Wunsch!“ Sie sprang auf und reckte und dehnte sich … Ihre weiten Ärmel fielen herab und enthüllten zwei wunderbar modellierte, aber ebenso muskulöse Arme.
„Donnerwetter!“ entfuhr es Tübbicke anerkennend. „Das also ist die andere Seite Ihres Wesens, Miß Gollan!“
„Nein“ – und ihre kecken Augen sprühten vor Übermut, „das – bin ich, Gussy Gollan, Tochter von Pierre Gollan, Großfarmer bei Santa Maria, Texas, – Cowboy-Königin mit fünfzehn Jahren, – – aber meine Karriere dürfte Sie kaum interessieren …! Also – nehmen Sie mich mit, Herr Lensen … bitte … bitte … Ich werde auch ganz artig sein, ich verscheuche Ihnen sicherlich kein Wild, ich schieße zwar miserabel, aber mit dem Lasso fange ich jedes Tier …!“
Mir lag nichts an ihrer Begleitung. Aber unter meiner Obhut schien sie mir sicherer als hier bei Tübbicke und Freund Gupa. Dieser kleine sprühende Satan hätte den beiden Kameraden zu leicht Hörner aufgesetzt. Ich traute dieser Gussy nicht. Ich hatte mir auch bereits so meine eigenen Gedanken über diese Filmleute gemacht …
„Gut, kommen Sie mit …!“
Ihre gestickten Lederschuhchen waren für diesen scharfkantigen Felsboden so ungeeignet wie nur möglich. Mir war dies gleichgültig … Lief sie sich Blasen an – ihre Schuld!
Wir schritten südwärts. Ihren Kimono hatte sie jetzt mit einem langen schmierigen Weidestrick der Dromedare umgürtet. Das Tal war breit, sehr breit, überall gab es steile Seitenschluchten, Felsgeröll, Sandstrecken, die auf die wasserreiche Zeit hindeuteten, Schutthalden und schmale Streifen runder Kiesel.
Das Mädel plauderte durchaus harmlos mit mir … Sie sprach von den gewaltigen Unkosten dieser Expedition, von dem großen Frachtdampfer, der die Elefanten eigens bis nach Alexandria gebracht hatte … Sie gab unumwunden zu, daß die Vorbereitungen in aller Heimlichkeit getroffen seien … „Sehen Sie, Herr Lensen, bei unserem Geschäft dürfen wir oft mit der Filmidee und allem, was zur Fertigstellung gehörte, erst dann vor die Öffentlichkeit treten, wenn wir die Konkurrenz nicht mehr zu fürchten brauchen …“
Was mich all das wohl interessierte?! Und doch gab es ein „Aber“ dabei: Traf mein Verdacht zu, so hatten wir drei mit diesen Leuten und ihrem großen Troß noch sehr zu rechnen.
„… Sie wollen hier wohl einen Film aus den Zeiten der Mahdistenkämpfe drehen, Miß Gollan …!“ – es war ein behutsames auf den Busch-Klopfen … „Oder soll es ein historischer Film aus dem Pharaonenreiche werden, vielleicht über die Ausgrabungen, die reichen Funde an Kleinodien.“
Ich blickte sie von der Seite an. Ihre getuschten Augenbrauen, nur dünne Striche, hatten sich einen Moment scharf zusammengezogen. Dann wandte sie langsam den Kopf. Ihre Augen sollten harmlos wirken, aber Gussy Gollans schauspielerische Fähigkeiten reichten doch nicht dazu hin, den Schreck zu bemänteln, den meine letzte Bemerkung ihr zweifellos eingejagt hatte.
„Wie … kommen Sie auf Kleinodien!! Sind Sie Goldsucher?!“ Das sollte Ironie sein … Das war nur ein grober Fehler …!
„Goldsucher – hm, wir alle jagen dem Golde nach,“ – und mir gelang der gleichgültige Ton besser … Ich war stehen geblieben. Wir hatten soeben die östliche Talwand erstiegen, und unten in der Tiefe einer Schlucht zwischen dürftigen Büschen und Gräsern weideten arglos fünf prächtige Antilopen, abseits ein einzelnes Stück, das beträchtlich lahmte und zweifellos früher einmal eine schwere Verwundung davongetragen hatte.
Gussy flüsterte hastig: „Schießen Sie doch – schießen Sie doch, da …“
Sie hob die Hand und zeigte auf dieselbe Antilope, die auch ich bereits als leichteste Beute ins Auge gefaßt hatte. Gerade dieses Tier zu erlegen, war beinahe ein gutes Werk … Doch wichtiger blieb mir dieses schlauen Mädels allzu eifriges Ablenkungsmanöver … Meine Äußerung über allgemeine Goldgier hatte ihr noch mehr mißfallen als meine erste Bemerkung.
„… Sie würden doch gegen ein paar Zentner Goldbarren sicherlich nichts einzuwenden haben – ich gewiß nicht!“ – mein Lachen klang sicherlich sehr echt, denn jetzt wußte diese kleine Katze gar nicht mehr, woran sie mit mir eigentlich war. Ihr unsicherer, prüfender Blick verriet übergenug – für mich alles!
Im Nu hatte ich die Büchse hoch, im Nu knallte der Schuß, die Antilope brach nach zwei Sätzen zusammen, die anderen Tiere gingen flüchtig ab, – Unmengen Geröll prasselten unter ihren flüchtigen Hufen den Steilhang hinab …
Und in diesen Lärm der polternden Steinbrocken halb hinter mir der kleinen Wildkatze schriller Befehl – wie das Klingen einer überspannten Bogensaite, – das Ohr peinigend, doppelt unschön aus so jungem Weibesmund:
„Rühren Sie sich nicht!! Die geringste Bewegung und ich schieße …“ Ihre Worte überstürzten sich in Feindseligkeit und Triumph … „Zum Glück haben Sie meine kleine Pistole nicht gefunden … Rühren Sie sich nicht!! Bei Gott – ich drücke ab, ich werde Sie nicht schonen, ich bin kein leichtfertiges, dummes Mädel, das nur nach vergänglichem Ruhme giert, ich … – – rühren Sie sich nicht!!“ Und diese letzte Warnung noch schriller, – wie ein Pfeifen und Zischen aus überheiztem Kessel …
Ich drehte mich bedächtig um, ich hatte die Büchse noch im Arm, – drei Schritt vor mir Gussy Gollan, kreidebleich vor ungeheurer Erregung, die kleine Repetierpistole im Anschlag …
„Werfen Sie die Büchse hin!!“ kreischte sie wie eine Irrsinnige … „Wollen Sie mich zur Mörderin werden lassen … – sind Sie toll, daß Sie mich derart herausfordern?! Ich will frei sein – ich werde es auch sein, – – ich schieße, – lassen Sie Ihre Waffe fallen!“
Mein leises Lächeln brachte sie völlig außer sich …
In ihren Augen sprühten jetzt Haß und ernster Wille zum Töten …
„Weg mit der Büchse – – weg damit!“ – – grell stach ihre plötzliche unnatürliche Ruhe gegen ihre bisherige fiebernde Nervosität ab …
Ich fühlte. Sie würde abdrücken!
Und – – ich lachte ihr ins Gesicht …
„Schießen Sie doch!!“
Ihr Mund war nur noch eine verkniffene Linie.
Ihr Zeigefinger krümmte sich um den Abzug, die Mündung der Pistole war genau auf meine Stirn gerichtet, und diese Mündung schwankte nicht, wie im Schraubstock lag die kleine Waffe in der leicht gebräunten, tadellos gepflegten Hand …
Ein leises metallisches Knacken …
Nur das …
Kein Schuß … Nur das Anschlagen des Bolzens gegen ein nasses Zündhütchen der leeren Patrone …
Nochmals versuchte es Gussy Gollan …
Mit einem mitleiderregenden Schluchzen sank ihr Arm hinab …
„Ja, Tübbicke hat die Patronen etwas präpariert, als Sie noch ohnmächtig waren,“ sagte ich nachsichtig. „Glaubten Sie wirklich, wir würden Sie nicht nach Waffen abfühlen?!“
Sie errötete tief …
„… Glaubten Sie wirklich, daß ich mich so leicht überrumpeln ließe?!“
Jetzt trat bei ihr die Reaktion ein … Sie mochte vieles in ihrem jungen Dasein bereits erlebt haben, – sie war sicherlich kein Durchschnittsweibchen, – aber sie blieb Weib.
Sie weinte. Sie taumelte zu einem nahen Felsblock, ihre Pistole fiel in das Geröll, sie selbst brach auf dem harten Sitz zusammen und bedeckte das Gesicht mit den Händen … Ihre Gestalt pendelte hin und her … Ihre Nerven versagten vollständig.
Ich trat neben sie. Ich sah in ihr nicht die Feindin, – ich hatte ja mit ihr gespielt, ich hätte es nie so weit kommen lassen sollen … Ich hatte vorausgeahnt, weshalb sie mich begleiten wollte.
Meine Hand stützte sie …
„Dummes kleines Mädel, – für den Film mögen Ihre Nerven genügend gestählt sein, – für sorgsam vorbereitete Sensationen und Tricks – dergleichen! Aber hier, – nein, Kind, hier wo die große, feierliche Erhabenheit einer noch unverfälschten Natur andere Ansprüche stellt, wo das unvorbereitete Abenteuer sich Ihnen nähert und den Einsatz einer ganzen Persönlichkeit verlangt, da – – fallen Sie ab … Wie sollte es auch anders sein?! – Ich rechne auch nicht zu den ganzen Persönlichkeiten, so anmaßend bin ich nicht … Aber, Kind, seit Jahren lebe ich in innigster Verbundenheit mit dieser unverfälschten Natur, wandere Wege, die keine Wege sind, nehme dankbar hin, was mir die eigene Freiheit und die Freiheit freien Landes beschert … Und das ist sehr viel, Gussy Gollan, denn das freie Land nenne ich jede Stätte, an der die große Lügnerin Zivilisation sich noch nicht breitmachte …“
Ob sie auf meine Worte geachtet hatte, – sie hob jedenfalls den Kopf, blickte zu mir auf und haschte nach meiner Hand.
„Sie … Sie … verachten mich nicht?“ – Die Worte waren kaum vernehmbar … „Ich … schäme mich jetzt … Ich muß völlig von Sinnen gewesen sein …“
„Das waren Sie! Und – weshalb?! Wer hat Sie dazu getrieben, Ihre Weiblichkeit derart zu vergessen, wer vergiftete Ihr Hirn mit irgendwelchen maßlosen Wünschen und Hoffnungen, daß Sie ein Menschenleben vernichtet hätten, nur um Leuten entfliehen zu können, die Ihnen und Ihren Begleitern nichts Böses angetan haben – nichts, – wer war dies, und – weshalb?!“
Sie antwortete nicht. Ihr Blick wich zur Seite, ihr Kopf senkte sich und das Letzte, was ich von ihrem unklaren Mienenspiel bemerken konnte, war ein Zug herber Entschlossenheit. Ihre Tränen waren versiegt, zusammengekrümmt saß sie da, das Kinn in die Linke gestützt …
Ein buntes, verirrtes Vöglein in ihrem für diese Umgebung lächerlichen Kostüm!
Ich ließ sie allein, kletterte in die Schlucht hinab, weidete die Antilope aus, zerlegte sie und stieg die Wand wieder empor. Gussy Gollans Platz war leer. Auch die kleine Pistole war verschwunden.
Der Gedanke, daß dieses gewiß nicht feige Mädel so wahnwitzig gewesen sein könnte, ohne Reittier zu entfliehen, kam mir überhaupt nicht. Etwas anderes beunruhigte mich: Daß sie sich an unser Lager heranschleichen und eins der Dromedare stehlen könnte! Freund Tübbicke war immerhin zu sehr Neuling in derlei Abenteuern, und Gupa und Wrangel mit seinen verbundenen Pfoten (er hatte sich die Ballen durchgelaufen) standen als Wächter zu weit von dem Lagerplatze ab, um rechtzeitig eingreifen zu können.
Ich beeilte mich. Es war eine Stunde Marsch bis zum Lager, und ich spürte jetzt die Müdigkeit wie Bleigewichte an den Füßen. Die durchglühten Felsen, die Sonne … – ich war froh, als ich endlich Tübbicke erblickte … Er lag und schlief. Keins der Tiere fehlte. Ich atmete auf. Und doch: Wo war Gussy?! In dieser Einöde zu Fuß etwa nach Norden flüchten und die Filmleute suchen, – Wahnsinn, sicherer Tod bedeutete das! – Ich warf die Fleischstücke zu Boden; stand dann vor Gupa, der mich aus klaren, kühlen, kleinen Mongolenaugen anschaute.
„Wo ist sie, Olaf?“
Meine Hand liebkoste den vor Wiedersehensfreude leise winselnden Hund. Dieselbe Hand hatte auf Gussys Schulter geruht.
„Entflohen, Gupa … – Wrangel muß mit. Ich nehme ihn in den Sattel. In zwei Stunden habe ich sie gefunden und bringe sie mit zurück …“
Um Gupas Mund bildeten sich feine Fältchen.
„Schlafen, – das ist besser als …“ – er wandte sich ab, verschluckte den Rest des Satzes und schaute nach Norden über die sandige, wellige Wüste.
Es wurden vier Stunden. Ich kehrte ohne Gussy zurück. An drei Stellen hatte sie sich an steilen Hängen mit Hilfe des Strickes, den sie umgegürtet trug, auf schmale Grate hinabgelassen. Dann verlor ich ihre Spur vollkommen.
Gupa behauptete, er hätte nach Osten zu am Horizont, wo der Hitzedunst wie Schleierstreifen hing, ein Flugzeug beobachtet. „Du hättest mir dein Fernglas überlassen sollen, Olaf … Es mag auch eine Schar weißer Reiher gewesen sein …“
Tübbicke übernahm die Wache. Ich schlief wie ein Toter.
… Menschen kommen, verschwinden, Menschenschicksale rollen sich vor uns ab wie der endlose Streifen eines Filmbandes, – eine starke Hand wischt all das wieder aus … –
Ich bin soeben draußen gewesen an dem kleinen Teich unserer Oase, ich bin in den Mauerresten umhergeklettert und habe ein Schlangennest gefunden – nicht das, was ich suche – suche, so lange wir hier sind. Es waren ägyptische Brillenschlangen, häßliche Geschöpfe, giftig, dumm …
Unsere Oase …
Das Gemäuer und die Ruinen, von denen ich sprach, ziehen sich genau von Nord nach Süd am Abhang einer der Staubdünen hin und schützen das freundliche Grün vor dem flüchtigen Sande. Die Länge dieser uralten Reste von Bauten, die nur irgendwie der Goldgewinnung gedient haben können, bedecken eine Fläche von fast dreihundert Meter Länge und vierzig Meter Breite. Tübbicke nennt sie „die Klappmauer“. Tübbicke findet für alles einen Namen. Einen Igel, der bereits zu unserem Haushalt zählt, da er sehr schnell zahm geworden ist, hat er „Gussy“ getauft. Mag er. So stachelig, wie Freund A. A. A. meint, war Gussy Gollan doch nicht.
Ich bin kreuz und quer unter den Palmen entlanggegangen, und die melancholischen Geier droben in den Bäumen und auf dem Gemäuer lassen dann kein Auge von mir. Zuweilen krächzen sie leise, müde, versinken dann wieder in ihre beschauliche Ruhe und warten …
Nun sitze ich wieder im Zelte und … habe so gut wie nichts an. Ein Nachthemd, möglichst ohne Ärmel, genügt hier. Aber vom Oktober bis März wehen hier nachts eisige Nordwinde. So sagt Sussik. Er ist mein Gewährsmann. Nubien kennt auch Wetterstürze. Wir haben es erlebt. Gewitterwolken ballten sich zusammen, gegen die keine Sonne aufkam. Man hoffte in tiefer Finsternis auf erquickenden Regen, Blitze fuhren herab, Donner dröhnte, die Luft kühlte sich empfindlich ab, – nach einer Stunde war alles vorüber, und wir legten schleunigst die warmen Sachen wieder ab.
„Nub“ bedeutet Goldland. Daher Nubien …
James Cordy, der erst Wera und dann den Leitbullen der angeblichen Filmleute stahl, hatte einen Goldbarren bei sich. Lady Janes Notizbuch enthielt die Angaben über Tagesritte bis zu dieser unserer Oase, so behaupte ich. Gupa lächelt. Wenn ich in dem Gemäuer umherklettere, suche ich … nach Gold.
Niemand wird mir die Überzeugung nehmen, daß gerade hier Reichtümer vermutet werden und daß auch Mr. Howard Houston und die Ratte Owen Darß auf die Jagd nach diesen Schätzen sind.
Gold, Liebe – Liebe, Gold, – Habgier, Lug und Trug und Niedertracht: Das ist der gährende Teig, der üble Blasen hochwerfen wird. Er wird … Wir warten. Wir sind gerüstet, durch die Dünen dort ringsum, hoch wie Berge, fließend wie Mehlbrei, gelangt niemand zu uns. Es gab einen Pfad. Er ist verlegt. Diesen Pfad werden sie suchen …
Der größte Philosoph hier in unserer Oase ist der alte Marabu, ein sehr, sehr alter Herr, sehr kahl, wie ein dreiviertel gerupfter Storch … Ein Flügel fehlt ihm gänzlich. Sussik meint, der Marabu sei tausend Jahre alt. Vielleicht … – Er hat am Teiche seinen Stammplatz im Schatten der höchsten Oschurbüsche, die bis sechs Meter Höhe die rissigen Palmenstämme umkränzen, nie die Blätter wechseln und nachts eigentümlich duften: Nach Mottenkiste! – Aber dieser Geruch hat dem greisen Marabu wenig genützt, er ist kahl, er sieht jämmerlich aus, aber man könnte ihn getrost Adolar taufen, so jugendfrisch kann er sein, wenn ein anderer Vogel ihn stört. Dann schießt er vorwärts, teilt Schnabelhiebe aus, verjagt den Frechling, watet zu seinem Stammplatz zurück, zieht das rechte Bein an den Leib und stiert vor sich hin. Auch er wartet. Urplötzlich fährt sein Schnabel in die Tiefe, blitzschnell verschlingt er die Beute, steht wieder regungslos da und gedenkt vielleicht jener Zeiten, als hier – vielleicht – die Nubische Goldminen-A.-G. zwecklos Sand und Gemäuer durchwühlte. Wrangel geht dem alten Herrn vorsichtig aus dem Wege, es ist so am besten für beide Teile. –
Ich habe meine Zigarre wieder angezündet. In den Zinkkisten der verschollenen Expedition hatten sich auch die Zigarren gut gehalten.
Ich werde von Sussik erzählen … –
Wir hatten damals am Nachmittag nochmals nach Gussy Gollan gesucht, selbst Gupa war nicht dagegen gewesen, denn ein so junges Weib im Wadi Kebir verdursten zu lassen, war selbst wider seine harte Natur.
Dann kamen viele endlose Tage und Nächte eines Rittes gen Süden, bei dem mir das Herz wieder froh und leicht und die Seele weit wurde, – es kamen wundervolle Stunden jener stillen Andacht, die nur die große Einsamkeit beschert. Kleine Abenteuer drängten sich uns auf, unwichtig wie Spielereien, – Begegnungen mit ziehenden braunen Nomaden, mit Zeltdörfern, die wir nur von fern beobachteten, mit festen Hütten armseliger Überbleibsel erloschener Völker, – – und eines Tages kam das große Abenteuer: Sussik!
Bir Schikr an der östlichen Karawanenstraße, den Sudan mit Oberägypten verbindend und die Nubische Wüste durchschneidend, lag bereits zwei Tagesritte hinter uns. Gupa allein war in dem langgestreckten Orte gewesen, den ich des Militärpostens wegen meiden mußte. Freund Golem hatte für Ralph Cudderson, wie versprochen, in der größten Karawanserei Nachricht zurückgelassen – einen Zettel mit ein paar Stichworten, die der Engländer schon verstehen würde. Ein Levantiner hatte Zettel und ein Stück des Goldbarrens freundlichst angenommen, – auch das war erledigt.
Es mochte um die vierte Nachmittagsstunde gewesen sein, als wir den ersten Bischarin begegneten, – sie jagten Wildesel, besser verwilderte Esel, die sie dann an die Karawanen gezähmt verkaufen. Es waren zehn Krieger, bewaffnet mit Lanzen, Keulen und Vorderladerflinten, eingehüllt in helle leichtwollene Decken, die sie mit einer schmaleren umgürtet hatten, echte Nachkommen der alten Hamiten, der bittersten Feinde der semitischen Völker, halb Neger, halb Nordägypter, dabei, was die Gesichtsbildung betrifft, gänzlich verschieden, nur in der Frisur sich gleichend und dem … Hammelgestank.
Sie entdeckten uns erst, als wir am Rande der vereinzelten Felsschlucht hielten, in der sie die gefangenen Esel zusammengetrieben hatten. Eine Verständigung mit ihnen war nicht möglich. Sie bettelten um Tabak und Pulver – durch Zeichen, beides konnten wir nicht hergeben, und der Abschied war daher wenig freundlich.
Mir war diese Begegnung sehr unangenehm. Die braunschwarzen Kerle (nicht alle braunschwarz, einige mehr kupferfarben, zweifellos infolge Blutmischung mit den Kuschiten, den Ureinwohnern des fast sagenhaften Goldlandes Kusch) würden uns sicherlich heimlich folgen, um zu sehen, was wir hier in ihren ureigensten Weidegründen vorhätten. Es trug auch nicht gerade zu meiner Beruhigung bei, daß Adolar erzählte, in Kairo hätten die Zeitungen vor der Benutzung der östlichen Karawanenstraße gewarnt, da die Bischarin wieder einmal etwas aufsässig seien.
Leider trafen wir bis zum Abend nur auf spärliche, sandverwehte Felshügel, – leider war es auch völlig windstill, und unsere Fährte mußte noch tagelang sichtbar bleiben. Hier halfen eben nur Wachsamkeit, vorsichtige Auswahl eines Lagerplatzes und … Wrangel. Der Hund war immer noch der beste Anmelder ungebetener zwei- und vierbeiniger Gäste. Seine Pfoten waren längst heil, seine Ballen hatten sich kräftiger, aber flacher entwickelt, wieder ein Beweis, wie schnell der Tierkörper sich einer veränderten Umgebung nicht nur hinsichtlich der Haarfarbe anpaßt. Wüstensand und Felsboden und scharfes Geröll erforderten andere „Fußschützer“, eben Ballen, als Wrangels ferne nördliche Heimat.
Unser Lagerplatz, wieder ein trockenes Flußbett mit einer schwachen Zisterne, schien mir durchaus günstig. Der Fels wölbte sich hier über eine flache terrassenartige Kuppe, – wir brauchten nur einen kleinen Halbkreis von Steinen aufzuschichten, und wir und die Tiere waren nur direkt von vorn anzugreifen. Mitten in der Nacht – Tübbicke hatte gerade Wache – schlug Wrangel wütend an. Wir entdeckten zunächst nichts Verdächtiges, der Hund beruhigte sich auch sehr schnell wieder, und wir vermuteten lediglich eine Schar von Wüstenwölfen in der Nähe. Der Füchse und Schakale wegen regte sich Wrangel längst nicht mehr auf. Aber die peinliche Überraschung zeigte sich nachher, als ich, von neuem Mißtrauen getrieben, nochmals mit dem Hunde die Schlucht absuchte und oben über unserem Steindache im Sande ganz frische Spuren entdeckte. Die Bischarin waren doch in der Nähe gewesen, und Gupas lauter Zuruf veranlaßte mich dann, schleunigst zum Lager zurückzukehren. Da sah ich die Bescherung: Unsere acht Wasserschläuche waren ausgelaufen, waren angestochen worden, und das konnte nur in der Art geschehen sein, daß einer der Bischarin an einem Strick über den Rand des überhängenden Felsens hinabgeklettert war und mit der Lanze rasch zugestoßen hatte und wieder verschwunden war.
Gewiß, das Felsloch hier hätte uns genügend Ersatz gespendet, wenn dieser Brunnen chemisch reines Wasser enthalten haben würde. Das war nicht der Fall. In einzelnen Teilen Nubiens stießen Forschungsreisende schon vor uns auf heiße Quellen, die dem höher gelagerten Schiefergestein entströmten. Diese stark alkalischen Quellen (bei Okma gibt es heute Heilbäder dieser Art, die schon im Altertum benutzt wurden) sind nur bedingt genießbar. Sie erzeugen Durchfall, die Kamele trinken dieses Wasser überhaupt nicht, das zum … Rasieren und Waschen angehen mag.
Freund Adolar war außer sich. Daß gerade während seiner Wache dies passiert sein mußte, ärgerte ihn wütend. Damit war nichts geholfen. Und gerade weil die Bischarin es auf unsere Trinkwasservorräte abgesehen gehabt hatten, deutete leider darauf hin, daß wir so leicht Ersatz nicht finden würden.
Ein Pech kommt selten allein. Beim Aufbruch am frühen Morgen noch vor Sonnenaufgang wurde Gupa, als er mal abseits enteilte, von einem kleinen braunen Reptil in die linke Hand gebissen. Wir hatten zwar übermangansaures Kali mit, ich schnitt die feinen Pünktchen, die die Giftzähne zurückgelassen hatten, unverzüglich durch Kreuzschnitte auf, saugte das Blut aus, band die Hand ab und streute von den tieflila Kristallen in die Wunden, aber Hand und Arm wurden sehr bald unheimliche, verfärbte Fleischklumpen, Gupa konnte sich kaum im Sattel halten, und im Schritt mußten wir weiter.
Mit Sonnenaufgang setzte dann der von den Bega-Völkern gefürchtete heiße Südwestwind ein. – Heiß ist sehr bescheiden ausgedrückt. Es waren Glutwellen, die stoßweise daherkamen, vermischt mit feinsten Sandteilchen. Der berüchtigte „Samum“ hat nichts mit diesem nubischen Fegefeuer zu tun. Der Samum verfinstert die Sonne, treibt Sandwolken hoch, begräbt Tiere und Menschen, häuft riesige Dünen auf, verändert in einer Stunde das Landschaftsbild vollkommen, verschüttet kleinere Oasen, Brunnen, Felsen, Felsenhügel. Der Nubawind naht stoßweise, gleichsam Glutwelle auf Glutwelle fegt dahin wie die Wogen des Meeres. Aber seine Gefahr liegt in der unerhörten Trockenheit dieser Backofenglut und in dem feinen Staube, gegen den nichts schützt und der, zumeist aus allerfeinsten Salzpartikelchen bestehend, Lunge, Kehle und Nase schwer gefährdet. Die Bischarin nehmen während dieser Stürme ihre wertvollsten Tiere mit in ihre Zelte hinein und wagen sich nicht ins Freie.
Der Glutstrom überfiel uns auf welligem Gelände, – nirgends war die Spur von schützenden Felsen zu entdecken, – doppelt qualvoll war es, im Schritt Gupas wegen weiterreiten zu müssen. Als wir erst das Brennen in Augen, Hals und Nase spürten, als die Tiere gewaltsam vorwärtsdrängten und sogar zu schreien begannen, ging uns die Erkenntnis auf, was der „Nuba“ bedeutete!
Freund Golem, der Gebissene, hatte nicht einmal so viel Kraft, sich seine Decke überzuhängen. Schüttelfrost packte ihn, Schüttelfrost bei vielleicht achtundvierzig Grad! Seine Wangen waren eingefallen, der Blick stumpf, die Haut klebrig, – – wie bei einem Sterbenden.
Es war ein trostloser Beginn unserer Suche nach dem Platz, wo wir mit Lord James abrechnen wollten!
Die Tiere husteten, wir husteten …
War eine Glutwelle vorüber, glaubten wir Kellerluft zu atmen …
Aber der Nuba kannte kein Erbarmen, das Goldland wehrte sich gegen die frechen Eindringlinge auf seine Art, mit seinen Mitteln.
Wir schleppten uns vorwärts, – die Tiere prellten nicht mehr vor, wir hatten auch ihnen die Köpfe bedeckt. Wrangel lag vor mir im Sattel und winselte.
Dann begann hinter uns abermals das Fauchen des Sturmes, dann kam eine neue Feuerwoge, wir hielten den Atem an, so lange es irgend ging.
Plötzlich stolpert mein Tier …
Ich hebe die Decke …
Vor uns ein tiefes, endloses Tal, vereinzelte Büsche, Palmen, magere Grasflächen … Der Boden gelb und braun gestreift, wie mit Farbstrichen gezeichnet, – und im Talgrunde Steinhütte an Steinhütte mit flachem Spitzdach – alle kreisrund … –
Tübbickes gedruckte Weisheit über Ägypten reichte nicht bis hierher, wir waren hier fremd, Neulinge …
Ein Dorf?!
Wir sahen weder Mensch noch Tier.
Aber – es waren Steinhütten, es waren saubere menschliche Bauten, die Dächer mit weißen Kieseln belegt, die Grundmauern aus Felsstücken …
Es waren Hütten – und somit ein Unterschlupf.
Wir erreichten die erste.
Keine Tür, kein Fenster – nichts.
Was tat es! Wir rissen ein paar Steine heraus, wir schufen ein Loch, wir banden die Tiere unter Wind an, bedeckten sie, krochen in das Bauwerk hinein, zogen Gupa mit uns …
Dieses Steinhaus mochte einen Durchmesser von vier Meter haben, die Grundmauer war nur anderthalb Meter hoch, die größte Höhe des Dachgewölbes auch vier Meter. Durch das Loch fiel genügend Licht herein. Innen lagen nur in der Mitte fünf Felsstücke – vielleicht Sitzgelegenheiten. Als ich aber die oberste Steinplatte hob, grinsten mir ein schneeweißer Totenschädel und Teile eines Skelettes entgegen.
Tübbicke mühte sich um Gupa, ich deckte die Platte wieder auf und sagte:
„Eine Gräberstadt, Freund Adolar!“
„Wenn schon!!“
Er hatte recht. Wir konnten froh sein, diese fast kunstvollen Riesengräber gefunden zu haben.
Es war eine Gräberstadt der Bega, wie ich später in dem Spezialwerk nachlas. Die heutigen Nachkommen der Bega, also auch die Bischarin, geben sich nicht mehr die Mühe, ihre Toten so umständlich zu bestatten. Ein Steinhaufen, – das ist alles. Nur für Krieger, die im Kampf gefallen sind, errichten sie zuweilen turmartige Rundbauten, in denen der Tote aufrecht steht.
„Wenn schon!!“ wiederholte Freund A. A. A. und flößte Gupa Whisky ein. „Ich finde es hier wunderschön, das Skelett stört mich nicht im geringsten.“ Er lächelte sein freundliches, junges Lächeln, und Gupa, der Golem, sagte matt: „Es geht mir besser …“
Zwei Stunden drauf ließ der Sturm nach. Ich nahm die Büchse, bestieg mein Tier, Wrangel trabte nebenher, – wir zogen auf Wassersuche. Mein Ziel war das Nordostende des meilenlangen Tales, denn dort hinten schimmerte es grün, dort mußte eine reichlichere Vegetation vorhanden sein … –
Die Luft wirkte förmlich erquickend. Jetzt einen Trunk Wasser, und Mensch und Tier waren wieder auf der Höhe!
Ich gab meinem Dromedar die Zügel frei. Es würde einen Brunnen rascher finden als ich …
Was hatte nur Wrangel da?! – Ich blickte zurück … Er stand vor einem der Gräber (bisher hatte ich achtzehn gezählt) und bellte wie toll.
Ich pfiff …
Natürlich nur irgendein vierbeiniger Feind, den er dort verbellte.
Ich pfiff wieder …
Er heulte, kratzte an der Mauer des Steinbaus, heulte noch schriller.
Ich kehrte um. Wrangel ist zu klug, derartige Töne grundlos auszustoßen. Ich näherte mich vorsichtig, die Büchse schußbereit, – die zehn Eseljäger, die uns die Schläuche aufgeschnitten hatten, waren mir noch allzufrisch in der Erinnerung.
Ich konnte beim besten Willen nichts Verdächtiges bemerken. Es gab da zwar im Sande halb verwehte Vertiefungen, die vielleicht Spuren von Menschen sein mochten, aber diese Spuren waren alt …
Dann erblickte ich zwischen den Felsstücken der Grundmauer das spitze Schnäuzchen, die schräg gestellten Augen und die riesigen Fledermausohren eines Fennek. Der Wüstenfuchs verschwand blitzschnell, Wrangel bekam einen fürchterlichen Anschnauzer, kniff den Schwanz ein und folgte mir zwar, aber sehr widerwillig.
Ich trabte an … Nach einer Weile blickte ich zurück, – der Hund war weg.
„Wenn schon!“ dachte ich …
„Wenn schon!“ war einer von Adolars Lieblingssprüchlein. Er verfügte über eine erlesene Kollektion solcher Redewendungen. An oberster Stelle stand sein „Denken Sie, ich …“ – Er hätte mich niemals so eindringlich zum Beachten seiner Worte aufzufordern brauchen, denn ich hörte ihm sehr gern zu, er nahm das Leben stets von der angenehmen Seite und selbst jener Schuß im Lager der Filmleute, der einem des farbigen Trosses in die Ewigkeit verholfen, und mich vor einem Lanzenstich bewahrt hatte, belastete sein Gemüt nicht weiter. –
Die Oase am Talende war recht ausgedehnt, das Wasserloch tief und kühl, das Wasser ohne Beigeschmack. Nur die zahllosen Spuren störten mich: Hier hatten Bischarin gelagert, hier hatten Zelte gestanden, Feuerstellen bildeten schwarze Flecken, und Aasgeier wühlten noch jetzt in Gruben mit zweifelhaftem Inhalt. Ich fühlte mich hier unbehaglich, schleunigst schöpfte ich Wasser, füllte die geflickten Schläuche und trabte zurück, diesmal an der Nordostseite des Tales entlang, wo lange Sanddünen und einzelne Felsen, meist verwitterter Schiefer, das Gesamtbild der weiten Senkung etwas veränderten.
Mein Dromedar – mitten in einer Düne – brach mit dem rechten Vorderfuß tief ein, warf sich sofort zurück, ich flog aus dem Sattel und mein rechter Arm fuhr durch den Sand gleichfalls beim Anprall in irgendeinen Hohlraum hinein.
Ich riß den Arm sofort zurück: Schlangen vielleicht! Dann aber, als ich mit dem Fuß wiederum irgendwohin versank, wurde ich doch aufmerksam. Ich begann mit den Händen zu graben und stieß so auf … Holzkisten …
Ich stieß auf Skeletteile, Sättelreste und vieles andere.
Ich hatte das Sandgrab der verschollenen Goldexpedition gefunden.
Eilends strebte ich unserem Schlupfwinkel zu, ganz erfüllt von der Freude über diesen wichtigen Fund, dessen wahrer Wert uns erst später klar werden sollte.
Wrangel?!
Wirklich – da war er – noch immer neben dem Steingrab … und wühlte mit den Vorderbeinen, heulte, bellte vor Eifer, kam mir entgegengerannt, schüttelte den Sand aus seinem dichten Pelz und wedelte … wedelte, … lief wieder zurück, heulte, kratzte, scharrte …
Da stieg ich doch ab.
Und das rettete Sussik das Leben.
… Sussik war nackt. Was ihn bekleidete, genügte nicht recht, er war nur gefesselt, und das Stück Leinen in seinem Munde war auch kein Schurzfell.
Sussik war auch mehr tot als lebendig. Er hatte tagelang in der Grabkammer auf Teilen des wahren Eigentümers gelegen und sicherlich nie mehr gehofft, daß er je wieder die Sonne wiedersehen würde.
Als Tübbicke und ich ihn durch das von mir in die Mauer gebrochene Loch ins Freie schafften, wurde er ohnmächtig. Aber ein Bischarin hat eben eine andere Widerstandskraft als ein Europäer, und wenn [bei][6] Sussik auch alle Rippen zu zählen waren, wenn auch die Stelle des Bauches eine Grube darstellte: Ohnmächtige Bischarin erholen sich sehr bald, und nachdem er erst ein paar Streifen Bratfleisch, obwohl es schon stark duftete, verschlungen und Wasser mit Whisky geschluckt hatte, bat er in überraschend höflichem Tone und ganz nettem Englisch um ein Stück Decke als Umhang.
Tübbicke, als Krankenpfleger eine Perle, erklärte freundlichst, daß wir leider nicht in der Lage seien, eine Decke zu zerschneiden … „Aber hier hast du die meine vorläufig, mein Sohn … Ich werde sie zwar gründlich lüften müssen, da deine Haarpomade allzu stark nach Hammel duftet, – wenn schon!“
Tübbicke blieb bei dem neuen Gefährten, der uns lediglich seinen Namen nannte, aber über die Gründe für sein „Begräbnis“ zu schweigen vorzog, – Gupa und ich ritten zu dem Riesengrab der Karawane, denn dort hofften wir so manches herauszuwühlen, was uns dringend fehlte.
Wie reich die Ausbeute dieser fünfstündigen Arbeit war, wie rasch dabei Freund Gupas Arm abschwoll, wie gierig wir die Kisten aufschlugen, mit welchem Genuß ich wieder mal eine Zigarre anzündete … – was da alles im Sande aufgestapelt wurde, und wie sorgfältig wir die menschlichen Skeletteile sammelten und nebenbei vergruben, sehr gern denke ich an jene Stunden zurück, in denen wir Ströme von Schweiß vergossen … –
Etwa zwanzig Jahre war es her, als diese Expedition hier zu Grunde ging. Wahrscheinlich durch einen tagelangen Glutsturm, wahrscheinlich infolge völliger Erschöpfung, denn an keinem der vierzehn Menschenschädeln nahmen wir Spuren von Verletzungen oder Kugeln wahr, – im Kampfe waren diese Unglücklichen nicht gefallen, das Gold hatte sie gemordet … –
Ich fand auch die letzten Aufzeichnungen des Expeditionsleiters in einer der Kisten … So stieß ich auf den Namen Archibald Houston.
Houston!
Sollte es ein bloßer Zufall sein, daß jetzt ein Howard Houston mit großem Troß hier weiter nördlich sich als Filmregisseur betätigen wollte?!
„Der Name ist zu häufig,“ wies Gupa meine Vermutungen zurück.
Wir musterten unsere Schätze. Um all das wegschaffen zu können, dazu hätten fünf Lastdromedare gehört.
Während Gupa und ich noch mißmutig dastanden und einsahen, daß wir uns im Grunde ganz zwecklos all die Stunden abgequält hatten, näherten sich Tübbicke und Sussik mit den Tieren. Der Bischarin riß die Augen vor Staunen gefährlich weit auf. Aber sofort besann er sich auf das Wenige, was er den Europäern abgelauscht haben mochte, – er milderte die Verblüffung seiner verhungerten Züge und sagte: „Das hat niemand von meinem Volke geahnt, daß diese Düne solche Schätze enthielt. Allerdings meiden wir dieses Tal der Toten, und nur selten wagt eine Abteilung unserer Stämme drüben in der Oase zu rasten.“
Es waren die ersten längeren Sätze aus seinem wulstigen Munde, sie waren an mich gerichtet, mich betrachtete er als seinen Retter.
Er wurde nun überhaupt gesprächiger. Die Bischarin sind keine verschlossenen Nomaden, sie tragen das Herz auf der Zunge, aber sie lügen auch mit seltener Virtuosität. Vielleicht liegt dies daran, daß diese Kinder eines Landes, das heute noch, wie ich betonen möchte, keineswegs ganz erforscht ist und von Europäern kaum besucht wird, eine Vorliebe für Märchen haben. Die Anzahl ihrer überlieferten Sagen und Abschnitte der Geschichte ihres Volkes ist sehr groß. Greise, die frei erfundene Geschichten am Lagerfeuer erzählen, werden hoch geachtet. Ein Naturvolk mit so reger Phantasie empfindet die Lüge daher nie als etwas Verwerfliches.
Sussik begann zu fragen. – Wohin wir wollten? Was wir vorhätten? – Immer wandte er sich an mich, und in seinen dunklen Augen lag mir gegenüber stets ein Ausdruck dankbarster Ergebenheit. – Es ist eigentümlich, daß uns eine innere Stimme häufig schon beim ersten Zusammentreffen mit einem Menschen zuraunt, wir dürfen gerade ihm volles Vertrauen schenken. So erging es mir Sussik gegenüber. Ich sagte ihm die Wahrheit.
„Wir suchen einen Ort, der von hier kaum mehr anderthalb Tagesritte entfernt sein kann. Dieser Ort dürfte entweder sehr schwer zugänglich oder noch schwerer zu finden sein.“
Er blickte mich unverwandt an.
Ich fügte hinzu: „Eine Frau, eine Weiße, kennt den Ort bestimmt …: Lady Jane Cordy!“
Als dieser Name sein Ohr erreichte, trat er unwillkürlich einen Schritt zurück, verneigte sich ganz tief und sagte:
„Lady mit dem guten Herzen!“ Es war, als ob er den Namen einer Gottheit ausspräche, so feierlich und ehrfurchtsvoll klang es.
Dann blickte er mich schärfer an. Mißtrauen war in seinen Augen. „Seid ihr Freunde Lady Cordys?“ fragte er bedächtig.
„Weder Freunde noch Feinde. Wir wissen nur, daß Lady Janes Gatte eine Frau geraubt hat, die er hierher bringen wird, und diese Frau wollen wir befreien, es ist eine Fürstin Wera Zubanoff.“
Sussik schaute an mir vorüber ins Weite. Er überlegte offenbar.
„Mr. Olaf,“ erklärte er erst nach geraumer Zeit, „ich werde euch zu dem Orte hinführen … Vielleicht ist es der richtige. Es gibt hier in weitem Umkreise nur eine einzige Oase mit uralten Mauerresten, zu der man nur gelangen kann, wenn man den Pfad schon einmal gegangen ist – den Pfad! Ich betrat ihn noch nie, aber unsere alten Männer berichten von einer Zeit, in der …“ – er stockte, machte eine abschließende Handbewegung:
„Wir werden finden!“ –
Was wir von den ausgegrabenen Dingen nicht mitnehmen konnten, verbargen wir im Sande. Am Spätnachmittag brachen wir auf. Sussik wollte es so. „Die Nacht, Mr. Olaf, ist die Freundin der Geheimnisse.“
Er bekam unser Packtier. Ich ritt mit ihm voran, ich wollte mir auch so weit sein Vertrauen erringen, daß er mir Näheres über Lady Jane Cordy und deren Beziehungen zu den Bischarin sowie über seine eigenen letzten Erlebnisse berichtete. Er war jedoch nur zu kärglichen Äußerungen zu bringen, die das Dunkel in keiner Weise lüfteten. Sussik gab nicht einmal zu, daß er Lord James kenne, und doch war ich davon fest überzeugt, mehr noch: Sussik und mein Feind Cordy hatten wohl untereinander so manches abzumachen. –
Nächtlicher Ritt …
Der Mond als Sichel am Himmel, kein Wölkchen sonst, das Firmament in unbeeinträchtigter Pracht, und die endlose Wüste nur belebt von all den schattenhaft dahinhuschenden Tieren, die tagsüber in ihren tiefen kühlen Felslöchern ruhen … –
Sussik führte uns zumeist durch steinige flache Täler, machte weite Umwege, – alles nur, um unsere Fährten zu verbergen. Zweimal sahen wir in der Ferne Lagerfeuer und ruhelose dunkle Gestalten: Schafherden der Bischarin. Zweimal ließen wir kleinere Trupps Bischarin vorüber …
Dann beschleunigte Sussik das Tempo. Wir durchquerten kahle Berge, wir kamen gegen Morgen wieder in die flache, aber wellige Wüste, vor uns stiegen Sanddünen hoch, der Sand wurde immer weicher, lockerer und feiner, die Tiere sanken tief ein, – da hielt Sussik mitten zwischen phantastischen gelbweißen Riesenhügeln, deren Kämme vom Wind zu den seltsamsten Gebilden geformt waren.
„Wartet hier,“ sagte der junge Bischarin, nahm seine Büchse, Erbstück der verwehten Karawane, und schritt zu Fuß nach Norden.
Tübbicke und Gupa lagerten sich, aber in mir war eine Unruhe, die auch mich davontrieb. Wrangel begleitete mich, wir gingen in entgegengesetzter Richtung – auf gut Glück … Vielleicht konnte ich einen Hasen erlegen, vielleicht war es auch etwas Anderes, mir selbst Unbewußtes, das mich in diese Dünen hineinlockte, die niemand erklettern konnte, da der lockere Sand stets nachgab und man nur immer einen Schritt vorwärts und drei rückwärts tat.
Wir hielten uns in den Tälern, der Hund und ich …
Wir sahen nicht einmal eine Springmaus. Hier gab es weder Grashalme noch lebende Wesen, nur Sand … Sand, Pulversand, heimtückisch, die Stiefel festhaltend wie mit tausend Zwergenfingern.
Ich wollte umkehren. Es gab kein Vorwärts mehr, ringsum steile himmelhohe Sandwände, hinter mir den einen schmalen Talschlitz.
Wrangel wollte nicht. Ich hatte ihn an der Leine, ich fühlte, wie er mit aller Kraft weiterdrängte. Ich gab nach …
Was er da tat?!
Nur ein Hund hat die feine Nase, eine Steinplatte zu wittern, die im Sande vergraben liegt.
Er kratzte wie toll, der Sand flog ihm am Bauche entlang, sein Eifer steckte mich an.
Meine Hand stieß auf etwas Hartes …
Stein!
Es war eine fast zwei Meter lange und etwa ebenso breite Platte aus Schiefergestein.
Das Sternenlicht genügte: Oben in die freigelegte Platte waren Hieroglyphen eingegraben!
Seltsam: Wrangel buddelte jetzt neben der Platte, und – da kam schließlich ein dicker Pfahl zum Vorschein, – und ein Taschentuch …!
Ich hob es auf …
Es hatte einen bunten Rand … Es war genau so groß, genau so gemustert wie das Lord Cordys – wie jenes blutgetränkte vom fernen Paß im Wadi Arabah!
Ich befühlte den Baumstamm. Die Platte lag mit einer Kante auf, und in der Platte waren Löcher und Pflöcke, die die Platte festhielten.
Ich hatte den Plattenpfad gefunden, – nein, Wrangel! Und es war auch kein Plattenpfad, sondern eine gigantische Treppe, uralt – uralt, – über der ersten wühlte ich aus dem Sande eine zweite frei, eine dritte, vierte …
Und dann kamen die Gefährten mit Sussik und den Tieren. Sussik schrie gellend auf, als er die Riesenstufen gewahrte … er schrie etwas in seiner Sprache! –
Achtundzwanzig Stufen nach oben zum Dünenkamm, sechsunddreißig drüben hinab …
Bis zum Mittag arbeiteten wir … Aber bereits vom Kamm des Sandberges sahen wir tief unter uns das gelobte Land …
Unsere Oase!! –
Zwei Tage noch, und wir hatten alles das, was wir in der Nähe der Stadt der Toten vorsichtig verscharrten, abgeholt und die Treppe wieder verschüttet. Wer genau wußte, wo sie sich befand, kam die Sandmauern auch so empor, denn über den Stufen rutschten die feinen Körnchen nicht nach.
Das ist der Weg, den wir benutzen, wenn wir in der Ferne jagen wollen …
Und das ist unsere Oase: Ein grüner Fleck inmitten unersteigbarer Dünen, eine uneinnehmbare Festung!
So … dachten wir.
… Menschen pferchen sich in den Städten zusammen, Menschen kämpfen wie Hyänen zwischen diesen steinernen Kästen, in Qualm und Gestank um das bißchen täglich Brot … In den Elendsvierteln meiner Heimatstadt hausen Menschen in Löchern, Verbrechen, Sünde, Haß erfüllt die engen Höfe …
Würde man einer dieser Familien vorschlagen: Zieht in die freie Ferne, lernt die Natur lieben, die euch alles schenken wird, lebt mit der Natur! – sie würden den, der so spräche, fassungslos anstarren. Und – sie bleiben Sklaven der ererbten Gewohnheit, der ererbten Enge, bleiben Herdentiere. – Möglich, daß sie sich selbst hier in diesem unseren Paradiese nicht glücklich fühlen würden, daß ihnen der Herdentrieb den Sinn zu sehr vergiftet hat.
Ich liebe die Einsamkeit, ich liebe diese Oase, von der es noch so unendlich viel zu sagen gibt.
Sie zieht sich nach Nordost fast zwei Meilen weit durch die Dünen, aber ihr grüner Kern liegt an dem uralten Gemäuer, ihr Teich blinkt in der Sonne, Palmenkronen spiegeln sich darin, der greise kahle Marabu spiegelt sich auch … –
In der äußersten Nordostecke gibt es Schiefergestein, einen verschütteten Wald, und eine heiße Quelle, die sofort wieder zwischen dem Gestein versickert und nur ihre weißen Salze ablagert. So ist dort im Laufe der Zeit ein ovales schneeweißes Bassin entstanden.
Unsere Badewanne, sagt Tübbicke.
Das Wasser ist ungenießbar, aber die Bäder sind Jungbrunnen. Adolar badet jeden Tag. Gupa und Sussik nie, ich jeden dritten Tag.
In diesem entlegenen Talwinkel hausen unsere Tiere in ihren Löchern und Klüften. Wir schonen sie, sie sorgen schon gegenseitig dafür, daß sie nicht zu zahlreich werden, – der Dib[7] frißt den jungen Fennek, der Schakal frißt den jungen Dib, die Geier fressen alles, was irgend herumliegt. –
Wieder ist ein Tag dahingegangen, es ist Abend, wir sitzen unter den Palmen, wir fünf, denn Wrangel zählt mit.
Über dem Feuer, dessen Qualm oben die noch unreifen Datteln etwas anräuchert, liegt in den Gabeln am Spieße das Hinterviertel einer Antilope, – Gupa dreht, begießt …
Dann essen wir … Essen ganz manierlich von Aluminiumtellern mit Messer und Gabel, trinken Tee, rauchen nachher, nur A. A. A. raucht nie. Er hat Grundsätze. Vielleicht werde ich mit sechzig Jahren nicht so frisch sein wie er. Ich habe keine Grundsätze, ich lasse mich vom Schicksal treiben … oder es treibt mich. „Es“ begann mit einem Fehlurteil über einen Menschen, der in Notwehr handelte. Ein Weib beschwor das Gegenteil. Wera ist auch ein Weib. Trotzdem habe ich Verpflichtungen der Kameradschaft ihr gegenüber, – das Herz spricht nicht mehr mit, das war einmal, die Wüste hat mich geheilt, wie sie die armen Lungenkranken, Nierenkranken heilt, die, an eine letzte Hoffnung sich klammernd, nach Ägypten kommen und nicht enttäuscht werden.
Wenn wir mit der Abendmahlzeit fertig sind, tut jeder das, was hier selbstverständliche Pflicht ist. Sussik und Gupa säubern Geschirr, Adolar und ich füttern die Dromedare, holen Gras vom fernen Talwinkel und Moos. Es wächst dort neben der Marmorbadewanne an den Felsen eine Moosart mit langen Stengeln und eine graue Flechte, – beide fressen die Tiere ganz gern.
Und dann, wenn die Sterne schon sehr hell schimmern, muß abwechselnd einer von uns die Plattentreppe empor mit meinem Glase und Ausschau halten.
So ist unser Leben, einfach, natürlich, zweckmäßig und gesund.
Morgen früh werden Sussik und ich einen langen Ritt unternehmen. Es erscheint mir immer bedenklicher, daß auch nicht eine einzige der vier verschiedenen Gruppen von Leuten, die wir erwarten, bisher hier in der Nähe eingetroffen ist. Vier: Lady Jane, Lord Cordy, Ralph Cudderson, die Filmleute. – Die fünften Mitspieler sind wir.
Mitspieler – wobei?! Wird überhaupt nichts geschehen?! Ist dies gar nicht der Ort, um den sich alles dreht?! Irre ich mich in dieser Beziehung?! – Wenn nur Sussik sprechen wollte. Er weiß, er als einziger.
Ich packe meine Schreiberei weg … die anderen schlafen schon. Wrangel liegt neben meinem Steinschreibtisch und träumt, seine Pfoten laufen im Traum, sein linkes Ohr hat einen neuen Riß, er balgt sich immer mit den abscheulichen Dibs herum, die draußen im Chor heulen, nur im Chor, – wie auf ein Zeichen stimmen sie ihre herzzerreißenden Klagelieder an, – man glaubt Kinder schreien zu hören. Wenn sie schweigen, beginnen die Fenneks mit ihrem hastigen Gekläff, und dann gibt es einen Höllenlärm, einen Kampf aller gegen alle. Die hellgelben Fenneks sind in der Überzahl, und sie verbeißen sich trotz ihrer kleinen Schnäuzchen mit ihren nadelscharfen Zähnen so fest, daß der Dib sie nicht abschütteln kann. Wehe dem Dib, den sie irgendwo in die Enge treiben können! Und dabei fressen sie alles, Eidechsen, Mäuse, Junghasen, Datteln – ja, die Datteln nicht zu vergessen. Wenn im August die Dattelreife beginnt, haben die Fenneks es gut, sagt Sussik. Aber, sagt er auch, es sei Unsinn, daß behauptet würde, die Fenneks könnten klettern. – Ich habe nie einen Fennek auf einem Baume gesehen.
Morgen reiten wir, und dann muß Sussik sprechen, muß! Ich will endlich Klarheit haben. –
… Eine Woche ist es her, als ich diese Blätter weglegte und schrieb „Morgen reiten wir!“ – Wir ritten nicht. Es kam alles ganz anders, und alles ist nun vorüber. Gupa schläft dort drüben im Palmenhain den ewigen Schlaf, fern von seiner mongolischen Heimat, Adolar ist unterwegs nach St. Antonius, und die anderen …? Viele bedeckt der feine Pulversand draußen im Dünenmeer, manche entflohen, der Rest ritt davon, zum Teil enttäuscht, zum Teil beglückt.
Sussik, Wrangel und ich sind allein in unserer Oase. – –
… Ich war wie immer so auch damals noch vor dem Schlafengehen draußen umhergewandelt, hatte mich über das Getier gefreut, das so zahm geworden, daß es kaum von mir Notiz nimmt. Im Sternenlicht buddelten Fenneks am Rande des Haines nach Mäusen, ein Dib schärfte sich die Zähne an dem Antilopenschädel und versuchte das Hirn freizulegen. Ich stand im Schatten, und Wrangel schlief im Zelt.
So kam es. Wrangel hätte mich gewarnt.
Sie kamen lautlos herangeschlichen, – ein riesiger Neger war es, der mir seine Pranken um den Hals legte, und Cordy schlug mit dem Pistolenkolben zu, ich verlor für kurze Zeit die Besinnung.
Den Freunden erging es ähnlich, und Cordy hätte meinen Hund niedergeschossen, wenn Wera ihm nicht in den Arm gefallen wäre. Da haben sie denn Wrangel an die Kette gelegt. Das war aber auch der einzige Beweis für ein besseres Gefühl, den James Cordy halb gezwungen lieferte. Im übrigen war er ein von Goldgier besessener Teufel.
Sie hatten uns in meinem Zelt auf die Bodenmatte gesetzt, uns vier, mit dem Rücken gegen zwei Kisten gelehnt und sehr zuverlässig gefesselt.
Sie – das waren Cordys Gesellen: Drei Araber, ein Neger, zwei Mischlinge, alles Kanaillen bösester Art.
Ich hatte meinen Feind Cordy so noch nie gesehen. Er saß zurückgelehnt da, die Zeltlampe schien ihm hell in das braune, verwüstete Gesicht. Sein dünnes graues Haar lag wirr um die hohe Stirn, eine Strähne beschattete das linke Auge, das rechte funkelte um so niederträchtiger.
Er hatte seine Garde weggeschickt. Der Neger sollte Wera nebenan bewachen, die anderen sollten die Reit- und Lasttiere über den Plattensteig in die Oase bringen.
Cordy war bartlos, seine äußere Erscheinung vernachlässigt, sein Körper irgendwie ruiniert. Seine schmutzigen Hände flatterten nervös, sein Mund zuckte, aber – noch hatte er Gewalt über sich.
„Also das sind Sie!“ sagte er mit kaltem Hohn zu mir. „Das ist der Abelsen, der Wera Zubanoff im zärtlichen Spiel das Geheimnis ablocken wollte!“
Eine Antwort hätte sich erübrigt. Der Mensch war keine Antwort wert. Aber es ging hier nicht allein um meine Person.
„Und das ist,“ sagte ich, „… das ist Lord James Cordy, der mich mit der Kugel verschiedentlich fehlte … – ein Meuchelmörder, ein Frauenräuber, ein …“
„Seien Sie nicht albern, Mann!! – Haben Sie das Gold gefunden? Sie müssen es gefunden haben … Sie sind lange genug hier …“ Seine Worte überstürzten sich. „Lange genug, um genau suchen zu können … Sollten Sie es anderswo verborgen haben, – ich werde euch schon die Zunge lösen!! Reden Sie!!“
„Sehr gern …“ Es war die Wahrheit. Vielleicht hing hier alles davon ab, wie ich redete. Dieses schlotternde Bündel verbrauchter Nerven da konnte unmöglich mir geistig gewachsen sein. Nur von Cordy konnte ich die Schleier lüften lassen.
„Ich habe das Gold leider nicht gefunden. Ich bezweifele auch, daß etwas zu finden ist. Hätten wir es entdeckt, wären wir nicht mehr hier, denn die Dummheit werden Sie uns wohl kaum zutrauen, hier das Eintreffen der anderen Anwärter abzuwarten und somit zumindest blutige Kämpfe zu riskieren!“
Er blickte mich scharf an. Dann beugte er sich vor und lachte mir schrill ins Gesicht. „Die anderen Anwärter liegen in der Totenstadt der Berge … Meine teure Gattin war nicht vorsichtig genug. Sie und ihre Bischarin teilten das Schicksal des Spions, den ich dort schon vorher mal lebend begraben ließ. Die Steinhütten eignen sich prächtig dazu. Wenn man die Löcher dort in der Außenmauer wieder verschließt, ahnt niemand, daß dort drinnen Lebende verhungern …“
Neben mir hüstelte Sussik warnend. Er hätte es nicht zu tun brauchen, ich war schon im Bilde: Sussik war der Spion, den Cordy soeben erwähnt hatte … Also der eine Punkt war bereits geklärt, auch das Andere, die Hauptdinge, würden folgen.
Cordy war in seiner satanischen Genugtuung über den Streich, den er seiner Frau gespielt hatte, Sussiks Warnungszeichen entgangen. Er lehnte sich wieder zurück …
„Und Sie … Sie werden denen da Gesellschaft leisten!“ fügte er mit einem schrecklichen Grinsen hinzu. „Ich kann keine Mitwisser dulden – keine!“
Er beobachtete mich lauernd.
„Natürlich nicht,“ sagte ich gleichgültig. „Ich würde nicht anders handeln … Hätte ich Wera Zubanoff in der Gewalt, würde mir es genügen!“
Es war eine plumpe, inhaltlose Anzapfung. Er fiel prompt darauf herein.
„Aber das infame Weib verrät nichts, das ist es!“ zischte er fast geifernd.
Da lachte ich ihn an. Ich konnte die inneren Zusammenhänge noch immer nicht richtig zusammenfügen, ich wußte zu wenig, – nur eins konnte ich: diesen Verbrecher aushorchen.
„Sie wäre ja eine Närrin, gäbe sie die Waffe aus der Hand, Mr. Cordy …! So lange sie schweigt, ist sie vor Ihnen sicher … Es sei denn, Sie fänden das Gold ohne Weras Angaben, was ich bezweifele. Ich habe hier alles um und um gekehrt, kein Fußbreit Boden blieb undurchsucht, – es ist nichts da!“
Er nagte mit den gelben Oberhauern die Lippe. Er schielte mich höhnisch an … „Was können Sie groß gesucht haben!!“ meinte er wegwerfend. „Sie fanden nicht einmal den alten Stollen.“
„Allerdings nicht. – Stollen?! Das ist mir neu …“
„Und das Neue bricht Ihnen das Genick, – Sie fanden den Stollen nicht, ich kannte die Treppe nicht, nun bin ich jedenfalls hier, und das Frauenzimmer wird reden!! Sie weiß Bescheid, ihr Mann hat es ihr anvertraut, aber der blöde Kerl ist ja jetzt unauffindbar, soll irgendwo in einem Koptenkloster stecken und seine Sünden abbüßen, der Idiot!! Sünden – lächerlich!“
„Die Nubische Goldminen-Aktiengesellschaft …“ gab ich ihm auf gut Glück ein anderes Stichwort.
Er war in dem Wahn befangen, Wera hätte mir mindestens die Hälfte des großen Geheimnisses offenbart. Und ich – wußte nichts!
„Ja, Lord Fattmoore war mitbeteiligt,“ nickte Cordy eifrigst. „Fattmoore war Zubanoffs Freund, – was man so Freund nennt …“
„Dafür modern seine Gebeine am Amur, Mr. Cordy …“
„Ist mir bekannt … Fattmoore war ein Schwätzer … Sein älterer Bruder rüstete damals 1903 die Expedition aus und nannte sich bescheiden Houston, ein Name, der zu nichts verpflichtet …“
„Nur zum Sterben, – Houston kehrte nie zurück …“ Ich sagte das mit einem kühlen Achselzucken. Innerlich jubelte ich, denn nun lichtete sich das Dunkel, nun wurde mir auch klar, wer der Filmregisseur Howard Houston sein mußte.
„Das Weib hat Ihnen ja recht viel erzählt! Stimmt, nur der Zettel, den Houston kurz vor der Katastrophe durch einen Araber nach Bir Schikr sandte, war das letzte Lebenszeichen von ihm.“ Cordy nagte wieder die Unterlippe … „Wenn man nur wüßte, ob der Zettel noch vorhanden ist?!“ Wieder traf mich der lauernde Blick. „Sprach Wera davon, Abelsen?!“
„Andeutungen – nur in Andeutungen … Sie ist sehr vorsichtig, Cordy.“ Ich schlug einen vertraulichen Ton an. „Wir sollten uns zusammentun, Cordy … Sie allein erreichen nichts … Ich verlange nur ein Viertel des Gefundenen. Das genügt uns …“
Sein Blick flog über meine Gefährten hin … Ich las ihm die Gedanken von der Stirn ab.
Prächtig war es, wie Freund Adolar mir da half.
Er schrie empört: „Und wir, Abelsen?! Wollen Sie uns etwa im Stiche lassen?!“
Gupas Baß mengte sich ein.
„Du bist ein Schurke, Abelsen! Jetzt erst erkenne ich dich!!“ – und er spie mir vor die Füße.
Das Theater klappte …
Ein Mensch wie Cordy konnte sich natürlich gar nicht vorstellen, daß jemand alles Gold der Welt verachtete und nicht einen Finger rühren würde, um Gold zu erbeuten.
Er stand auf, zerschnitt rasch meine Fußfesseln, half mir auf die Beine und führte mich ins Freie.
Hinter uns drein klangen Tübbickes wütende Schimpfworte.
Wir standen dicht am Teich. Cordy flüsterte nur noch: „Abelsen, – ich bin einverstanden … Ein Viertel Ihnen, den Rest mir … Werden Sie aber die Zubanoff so weit … einseifen können, daß sie …“
„… Meine Sorge!! – Wir müssen es nur geschickt machen …“ – Ich blickte mich scheinbar scheu um und fuhr noch leiser fort: „Geben Sie mir Gelegenheit, noch in dieser Nacht auch Wera zu befreien … Alles zum Schein … Tun Sie nachher vor meinen Begleitern so, als ob wir nicht einig geworden … Fangen Sie jetzt an zu fluchen, werden Sie grob … stoßen Sie mich in das Zelt zurück … Meine Begleiter würden Wera warnen, – Sie verstehen!!“
„Oh – ein schlauer Hund sind Sie!!“
Und er … fluchte, brüllte, drohte, jagte mich mit der Pistole in der Hand in das Zelt, fesselte mich von neuem …
„… Sie Idiot!! Sie Idiot!! Rücksicht auf Ihre Freunde …!! Für so dumm hätte ich Sie nicht gehalten …!!“
Dann ließ er uns allein, schickte jedoch den Neger als Wächter und vollführte im Nebenzelt bei Wera einen ähnlichen wilden Tanz: Ein betrogener Betrüger, der sich selbst betrog. – Tübbicke blinzelte mir verständnisvoll zu, Gupa betrachtete den Neger, der sich in dem Stuhl rekelte und dem eine Zigarre zwischen den Wulstlippen hing, etwa mit dem Interesse eines Henkers für den Delinquenten, und Sussik schielte zum Zeltdach hoch, wo eine Ganseidechse am Rande des Lichtscheins der Lampe auf fliegendes Gewürm lauerte.
Tübbickes zufriedenes Blinzeln war verfrüht. Mir selbst erschien die Zukunft durchaus nicht so rosig. Meine Spiegelfechterei gegen Cordy mochte Erfolg gehabt haben, aber Cordy würde es schon so einrichten, daß die Vorteile kurzer Freiheit und kurzen Beisammenseins mit Wera gering blieben, wir würden unausgesetzt umlauert werden und, selbst im günstigsten Falle, würde es mir kaum gelingen, die Freunde und Wrangel oder gar die Dromedare mit uns zu nehmen. Wenn dies wegfiel, durfte ich mit Wera nicht fliehen. Die Wüste draußen barg zweifellos noch mehr Gegner mit noch stärkeren Hilfskräften: Den angeblichen Howard Houston aus Hollywood mit seinem Riesentroß! Dieser Houston war ein Bruder zweier Toten. Der eine lag am Amur verscharrt, des anderen zerstreute Gebeine hatten wir im Tale der Stadt der Toten der Erde wieder übergeben.
Ich sann vor mich hin … Mir ward dabei nicht eben leichter ums Herz. Es mußte schnell gehandelt werden, Lady Jane und die Bischarin durften nicht in den Grabhütten verhungern. Ich mußte hart und erbarmungslos sein wie ein Felsblock, der im Absturz alles zermalmt. Diesem Ungeheuer von Cordy gegenüber wäre Menschlichkeit Schwäche gewesen.
In dem Augenblick fiel mir etwas ein …
Mein Gesicht überzog sich mit tiefer Röte, mein Herz hämmerte, beruhigte sich wieder.
Cordys Urteil war gesprochen.
Cordys lärmende Stimme nebenan verebbte, und durch die Stille drang laut und klar Wera Zubanoffs helles Organ.
„Niemals!! – Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen, Sie Elender!“
Dann wurde es ganz still.
Als ich vorhin aus der Betäubung erwacht war, hatte ich Wera nur flüchtig gesehen. Sie durfte sich frei bewegen, aber sie wurde ständig bewacht, sie allein hätte nichts für uns tun können, – für Wrangel war sie freilich Lebensretterin geworden, und das dankte ich ihr von Herzen als guter Freund.
Nun lebten in der Oase neue Geräusche auf, Cordy beobachtete wohl das Nahen seiner Leute mit den Tieren, seine Befehle waren kurz und nervös, seine Stimme ertönte stets in der Nähe, er behielt Wera im Auge.
„… Kettet den Elefant weiter weg an … Die Dromedare sollen ungehindert weiden …“
„… Abu Tirr, du bewachst unseren Harem!“
Dann Schritte, – Abu Tirr kam, und Cordy entfernte sich. Er würde nun sein Gelichter einweihen, er würde Wachen verteilen … Ich durfte ihn nicht unterschätzen! – Ich war gespannt, wie er uns für die Nacht unterbringen würde, wie er die Komödie vorbereitete, von der er ein zärtliches Schäferspiel zwischen Wera und mir und die Enthüllung des letzten Geheimnisses erhoffte, von der ich ganz anderes erwartete, das mit Gold und Liebe nichts zu tun hatte, weit eher mit Chemie.
Gupa sagte plötzlich halblaut zu dem schwarzen Herkules, der in einem schmierigen Beduinenmantel steckte, denn für die Figur paßte kein normaler Anzug:
„Warst du es, der den … Spion lebendig begrub? Ich glaube ja …“
Der Neger fletschte das prachtvolle Gebiß. Er war ein Vollblutneger irgendwo aus der Gegend der großen Seen wohl, wo der Nil entspringt.
„Halts Maul!“ grinste der Schwarze. – Er war sicherlich in Kairo oder Alexandria Lastträger gewesen – oder weit Schlimmeres, denn er trug am kleinen Finger einen dicken silbernen Ring mit einem Skarabäus und in den Ohren rote Korallen.
Gupa sagte etwas lauter: „Ich sah dich in Bir Schikr, schwarzes Schwein, – du wartetest dort auf deinen Herrn und … – auf die Hölle. Deinen Herrn hast du schon, in die Hölle kommst du noch!“
Der Neger warf ihm den zerkauten Zigarrenstummel ins Gesicht. „Wenn ich dich in eine der Grabkammer lege, werde ich dir die Hölle in deinem Bauche bereiten, Chinesenhund!!“ Und er zog sein Messer und fuhr mit der Schneide über den Daumennagel hin.
Gupa lachte – sein Lachen.
Sussik aber hüstelte, – und das war jetzt nötig, denn sobald der Schwarze Sussik wiedererkannt hätte, würde des Bischarin Leben geliefert gewesen sein. – Nur die entsetzliche Hungerkur mochte Sussiks Züge so verändert haben, daß der Neger bisher ahnungslos geblieben.
Draußen wiederum Schritte, der Zeltvorhang wurde gehoben und Cordys wildes Gesicht erschien im Lichtschein. Er winkte den Schwarzen …
„Erst den da!“ – und er deutete auf Gupa. „Wir werden sie einzeln an die Palmen fesseln, weit auseinander, – verbinde ihnen auch die Augen.“
Gupa besaß schon Kräfte, – der Schwarze die dreifachen.
Er warf sich Gupa wie einen Strohsack über die Schulter, schritt davon, und James Cordy blieb im Eingang stehen. Am Ledergürtel trug er drei Pistolen, die vierte hielt er in der Hand.
Ich mußte sehr vorsichtig sein. –
Tübbicke und der Bischarin wurden weggetragen, – als letzter ich … der Neger, begleitet von Cordy, stellte mich an der Nordseite des Teiches an eine Palme. Er hatte sich einen langen Strick um den Hals gehängt, dazu einen leeren Sack.
Cordy schickte ihn weg. „Schneide Zweige für den Elefant … Ich werde diesen Kerl festbinden – selbst, er ist der gefährlichste …“
Als wir allein waren, flüsterte er triumphierend: „Sind Sie zufrieden? Ich denke, so ist es am besten. – Meine Leute schicke ich als Wachen oben auf die Dünentreppe … Ich bleibe in Ihrem Zelt. Da Sie den Stollen nicht kennen und da auch Wera ihn bestimmt nicht kennt – wir haben sie mit einer Decke überm Kopf hereingeführt –, seid ihr beide mir sicher …“
Er funkelte mich bösartig an …
„Sie sind mir ein zu gerissener Kunde, um Ihnen blindlings zu vertrauen! Sie können mir das nicht verdenken … Wir sind bis auf die Zähne bewaffnet, Ihnen haben wir selbst das Messerchen abgenommen, Abelsen! Machen Sie keine Dummheiten! Ehrlich Spiel!!“
„Ehrlich Spiel! Nur mein Feuerzeug und zwei Zigarren spenden Sie mir, Cordy. Ich bin Kettenraucher … und ich brauche das Nikotin … Es wetzt den Verstand, Cordy … Wera wird nicht so leicht zu überlisten sein … Auch Küsse unter Palmen nützen nicht viel, wenn man nicht seine fünf Sinne beisammen hat … Oder betrachten Sie Zigarren als Wurfkeulen?! Haben Sie Angst?!“
Er hielt mir seine Pistole vor die Stirn …
„Angst?! Ich?! Aber Sie warne ich!! – Ich werde Sie ganz lose festbinden … Wir pflegen das Weib für die Nacht zu fesseln. Sie werden die Knoten unschwer lösen können …“
Fuselgeruch schlug mir aus seinem Munde entgegen …
„Sie sollten besser nicht saufen!“ meinte ich absichtlich. „Unser Geschäft verlangt klaren Kopf. – Wie wird es mit Ihren Leuten nachher, falls … es glückt?“
Er tippte achtmal auf den Pistolenlauf. „Acht Schuß, ein Sandloch, – – vorbei! – Der Elefant trägt uns beide und das Gold und … das Weib, wenn Ihnen etwas daran liegt … Seit ich Kokain schnupfe, ist das für mich abgetan …“
Dann band er mich an die Palme, holte mir vier Zigarren, schnitt die Spitzen ab und gab mir auch mein Feuerzeug.
Als er es mir in die Tasche schob, wußte ich, daß wir frei sein würden.
„Danke, Cordy … Sehr liebenswürdig … Sie werden mit mir zufrieden sein. – Gehen Sie jetzt … Wera könnte uns beobachten.“
Er feixte. „Sie ist schon im Zelte festgebunden, Abelsen …! – Viel Glück also – und ehrlich Spiel!“
Er entfernte sich, nachdem er mir den Sack so über den Kopf gelegt hatte, daß ich die Augen frei hatte.
Ich war allein mit dem uralten kahlen Marabu, der zehn Schritt weiter im Wasser wie immer auf einem Beine stand. Er schlief. Die gelben faltigen Lider bedeckten seine Augen. Er hatte es besser als ich. Was meiner wartete, waren peinliche Stunden. Das Wiedersehen mit Wera würde viel Taktgefühl erfordern. Ich dachte an ihre Nachricht, die sie mir nach Antonius sandte: Ich komme!
Und als ich mir dies ins Gedächtnis zurückrief, als ich an den greisen Bruder Türhüter dachte und an die hohe Ringmauer und des Bruders melancholische Äußerungen über seine unbekannte Herkunft, da schien mir das alles so unendlich fern zu liegen – so fern wie vor vielen Jahren Erlebtes. Zwischen jenen Tagen in St. Antonius und Cordys ersten meuchlerischen Schüssen, die mir als dem Vertrauten Weras galten, und der Gegenwart häuften sich die neuen Eindrücke zu grellbunten Schleiern. Was dahinter lag, war verschwommen, traumhaft … –
Ich hörte in der Oase Stimmen, – sie verklangen … Cordys Gesindel betrat den Plattenpfad, den Todespfad …
Dann wurde es eine geraume Weile ganz still. Und dann kam das vierbeinige Raubzeug mißtrauisch herbeigehuscht, stillte seinen Durst, knurrte sich an …
Die Mondsichel sank.
Es mochte zwei Uhr morgens sein. Es wurde Zeit. Ich streifte die Stricke ab, ich warf den Sack beiseite, ließ mich ins Gras sinken und rollte den Strick zusammen und schob ihn unter die Jacke.
Für Cordy – vielleicht …
Langsam schob ich mich weiter. In der Nähe der Zelte schlug ich einen Bogen, um von hinten an Weras Zelt heranzugelangen. Daß Cordy scharf aufpassen würde, wußte ich. Ob er mich hier im Schatten der Büsche erspähen konnte, war eine andere Frage. Er steckte in dem Zelt am weitesten nach Süden, in meinem Zelt, Wera im zweiten. Wollte er mich beobachten, mußte er also, da sein Zelteingang nach Osten wies, die Zeltbahn aufgeschnitten haben.
Ich war in all diesen Dingen kein Neuling. Ich konnte mit demselben schlichten Kombinationsvermögen, das mein unvergeßlicher Freund Coy besessen hatte, mir die Gesamtlage klar vor Augen führen. Die Redensart von „logisch geschultem Denken“ ist leere Redensart. Halbe Naturkinder wie meine araukanischen Freunde, wie die Australneger, wie die Dajak wissen nichts von „Logik“. Das „richtige“ Denken ist ihnen anerzogen durch den Daseinskampf, und sie denken schärfer als mancher Stubengelehrte, der Kants „Kritik der reinen Vernunft“ zitiert. Mein Sussik hat keinen Schimmer von all den lächerlichen Phrasen, aber was er tut und spricht, trifft den Nagel auf den Kopf. –
Aufgeschlitzt …
Und das stimmte …
Ich sah zwei Finger, die den Schlitz auseinanderhielten.
Ich lachte still in mich hinein.
Cordys Chancen sanken, denn die Finger sah ich nun von der Seite, als ich mich hinter Weras Zelt vorbeischob.
Coy wäre mit mir zufrieden gewesen.
Ich sah noch mehr.
Das Zeltleinen war über dem Schlitz nach außen gewölbt. Dort lag also Cordys Stirn, und Cordy wartete und hatte mich nicht bemerkt.
Ich tastete nach einem handlichen Felsbrocken, fand ihn, kroch weiter, richtete mich halb empor …
Gerade da stimmten die Dibs wieder ihr Klagegeschrei an, und … ich schlug von der Seite zu – genau auf die Zeltbahn, auf den Buckel …
Der Hieb saß, – im Zelt Gepolter, – schon war ich durch den Vorhang geschlüpft, warf ihn beiseite, – der Mond zeigte mir Cordy bewußtlos quer über einer Kiste liegen.
Ich ließ mir Zeit. Ich fesselte ihn an die Kiste, knebelte ihn … Auf meine Knoten konnte ich mich verlassen.
Ich machte Licht, suchte aus der Ecke meine Waffen hervor und lief dann bis zu dem ersten Palmenstamm, der unten stark angeschwollen war. Die Geschwulst war Adolar. Ich befreite ihn, drückte ihm eine Pistole in die Hand …
„Holen Sie Gupa und Sussik … Aber leise!!“
„Leiser wie eine Laus!“ – er fragte nichts, er handelte, verschwand.
In der Ferne hörte ich Wrangel an seiner Kette leise winseln. Armer Kerl, – er mußte noch warten, sein Freudengebell hätte die Herrschaften droben auf der Düne warnen können.
Nun kam das Schlimmste: Wera!
Ich kehrte um. Als ich um die Büsche bog und die Zelte vor mir lagen, stutzte ich und warf mich sofort lang hin.
In beiden Zelten brannte Licht …
Was war geschehen?! Hatte sich Cordy befreit?!
Ausgeschlossen …! Cordy war noch bewußtlos gewesen, und nach einem solchen Hieb mit einem Stein gegen die Stirn könnte nur ein Neger mit Eisenschädel so rasch erwachen.
Ich entsicherte die Büchse. – Hatte Cordy mich etwa genasführt, hatte er nicht alle fünf Kerle auf den Dünenkamm geschickt?!
Die Lage wurde kritisch.
Ich hob den Kopf …
Sprach da nicht jemand in Weras Zelt?!
Jetzt glitt ein Schatten über das Leinen, – ein Mann war im Zelt!
Ich schob den Büchsenlauf in die linke aufgestützte Hand …
Jetzt … lachte Wera …
Der Schatten wurde deutlicher …
Ein zweiter löste ihn ab, eine kleinere Gestalt mit erstaunlichen O-Beinen.
… Und dieser Mann trat jetzt ins Freie. Ich hatte ihn nur einmal bisher gesehen, ganz flüchtig …
Es war Mac Owen, Cuddersons Diener, diese Perle von einem Diener, ohne den sein Herr ein hilfloses Kind blieb, wie Ralph Cudderson selbst betont hatte.
Mac Owen trug im rechten Arm einen kurzen Karabiner, in der Linken eine jener langläufigen automatischen Pistolen, die einem sicheren Schützen durchaus eine Büchse ersetzen.
Owen schaute dorthin, wo ich lag, verneigte sich und rief gedämpft:
„Es hat nichts weiter auf sich, Mr. Abelsen. Wir sind es … Kommen Sie nur.“
Ich stand vor ihm …
„Seit wann sind Sie denn hier?!“
Er war mir ein Stück entgegengekommen …
Er sah auf seine klobige Armbanduhr.
„Genau seit acht Minuten, Mr. Abelsen … Wir wollten Sie nicht stören. Wir beobachteten, wie Sie die Fliege mit dem Stein an dem Zeltleinen totschlugen, und dann wollte Mr. Cudderson zunächst Frau Zubanoff begrüßen, womit ich einverstanden war.“
Ich konnte nur den Kopf schütteln. „Sie sind wirklich eine putzige Kruke!!“
„Mac Owen ist mein Name, – Schotte von Geburt, daher die roten Haare …“
Er lüftete seinen Tropenhelm.
Sein Haar interessierte mich nicht.
„Wie sind Sie denn aber hier in die Oase hineingelangt?!“
„Auf die bequemste Art von der Welt … Durch den alten unterirdischen Gang. Lord Cordy hatte den Eingang zwar wieder verschüttet, aber – ich heiße Mac Owen, und ich war zehn Jahre Diener bei …“
„Und wo liegt dieser Eingang?“
Er starrte mich verblüfft an. „Nun – dort in den Dünen doch …“
Vielleicht hätte dieser vortreffliche Mac mir noch mehr Grund zum Verblüfftsein gegeben, – aber Tübbicke, Gupa und Sussik näherten sich, blieben stehen …
Ich winkte.
Mac sagte hastig: „Ich denke, Mr. Abelsen, wir stören meinen Herrn vorläufig nicht … Frau Zubanoff interessiert ihn sehr, und es wäre vielleicht angebracht, die fünf Kerle festzunehmen, die der Lord bei sich hat. Wo sind sie?“
Adolar Tübbicke war der Situation entschieden mehr gewachsen als ich. Er klopfte Mac auf die Schulter …
„Mann, Sie sind doch sicherlich Cordy heimlich gefolgt … Haben Sie denn Lady Jane und ihre Bischarin befreien können?“
Owen verneint. „Die Dame haben wir gar nicht zu Gesicht bekommen … Es ist doch hoffentlich nichts Unangenehmes passiert?“
Tübbicke blickte mich an. „Abelsen, dann müssen wir erst mal schleunigst die fünf vom Dünenkamm entfernen und dann noch schleuniger Lady Jane helfen …“
„Und wie wollen Sie die fünf verjagen, Tübbicke?! Die Plattentreppe liegt drüben im kahlen Gelände, – die Schufte schießen uns von oben wie die Hasen ab … Aber weg müssen sie! Anders bekommen wir die Dromedare nicht heraus, und bis zur Gräberstadt ist es ein Tagesritt … Trotzdem, versuchen wir es!“
Hinter uns erklang abermals gedämpftes Lachen aus dem Zelt. Leise Bitterkeit stieg in mir hoch … nur einen Augenblick! Mochte Wera mich auch vergessen haben, – es war ja am besten so!
Wir schritten durch die Oase …
Unter einer bestimmten Palme machte ich halt.
„Tübbicke, was vergrub ich hier?“
„Ein Kistchen, in dem die mehrfach eingewickelte Dynamitpatrone nebst Zündschnur liegt.“
„Richtig. Und hier wollte ich Wera hinführen, hier hätten wir uns niedergesetzt, hier hätte ich die Patrone herausgewühlt, und dann … wäre Cordy sehr bald erledigt gewesen. Das war mein Plan. Aber ein Schlitz und zwei Finger und ein Stein änderten alles … – Sussik, buddele! Gupa, hole mir eine der hellen Wolldecken … Ich werde die fünf da oben ausräuchern.“
Mac Owen räusperte sich kräftig …
„Verzeihung, Mr. Abelsen, – das wird nicht nötig sein, nicht sofort … Ich war zehn Jahre Elefantenwärter im Zirkus Sarasani … Jeder zahme Elefant gehorcht mir. Kennen Sie den Trick?!“
„Welchen?“
„Einen fremden Elefanten sofort zutraulich zu machen … Man füttert ihn, nimmt den Rüssel und drückt die Spitze in die Achselhöhle. Der Schweißgeruch hat mehr Einfluß auf die Tiere, als jemand ahnt.“
„Nun – und?! Wollen Sie mit dem Elefant die Treppe hoch?!“
„Ja. Mit Ihnen, Mr. Abelsen … Wir hängen uns hinten an … – Das Dynamit hätte den Nachteil, daß es einen Teil der Treppe zerstören würde, und mit diesem Pulversand ist nicht zu spaßen …“
„Sie haben recht, Owen …! – – Schnell, – Lady Jane muß befreit werden …!“
… Es war damals eine sehr helle Nacht, und ich sehe Wera Zubanoff noch immer in Gedanken vor mir, wie sie langsam die Plattentreppe emporstieg, ganz allein.
Sie hatte es so gewollt.
Sie war gekommen, als ich Owens Plan kaum gebilligt hatte, – sie hatte mir beide Hände hingestreckt, und ihre Finger hatten die meinen in zärtlicher Dankbarkeit umschmiegt.
Wir standen im Baumschatten, ihre Züge waren verschwommen, aber ihre Stimme verriet, daß ich sie zu Unrecht für oberflächlich gehalten hatte.
„Ich danke Ihnen, Olaf, Sie lieber alter Freund …“
Und dann folgte ein leises, tief bewegtes Aufschluchzen …
Jedem gab sie dann die Hand, wollte wissen, was wir vorhätten, – erklärte in ihrer energischen Art:
„Weshalb die Umstände?! Ich gehe!“
Und sie ging …
Ging und stieg die langen Stufen hinauf[8] … angeblich im Auftrage Cordys … Die fünf sollten herunterkommen, das Gold sei gefunden, es müsse schleunigst verladen werden, Cordy wolle sofort aufbrechen.
Das Gold!!
Davon versprach sich Wera alles. „Es wird das Zauberwort sein, das jeden Argwohn löscht …“
… Ich sehe sie noch … mit dem Fernglas beobachtete ich den Dünenkamm … Ihre Gestalt hob sich so scharf gegen den klaren Nachthimmel ab … Erst lagen die fünf noch faul im Sande, dann kam Leben in sie …
Gold!!
Sie sprangen die Schieferstufen hinab … Einer hatte es immer eiliger als der andere, – sie kamen in weiten Abständen auf die Oase zugerannt, vorn der Neger …
Meine Schuld war es nicht, daß keiner von uns auf Sussik achtete, und Sussik hatte eine Repetierbüchse mit neun Schuß.
Von links her knallte es, der Schwarze schnellte hoch, schlug nach vorn in den Sand … –
Es war nicht schade um die fünf, und Sussik hatte allen Grund, Vergeltung zu üben. Daß ich ihn trotzdem grob anfuhr, – es war vielleicht mehr ein Versuch, mir einzureden, daß ich die Kerle gern geschont hätte.
Neben mir hatte der lange Cudderson gestanden, hinter ihm sein unvergleichlicher Diener. Zu meinem Erstaunen sagte Cudderson zu dieser blutigen Knallerei kein Wort, nur nach dem letzten Schuß wandte er den Kopf:
„Owen, hätten Sie auch so sicher getroffen?“
„Jawohl, Sir … Das Licht genügt, – aber ob ich auf die Köpfe gezielt hätte, das wäre zu überlegen gewesen.“
Bevor noch Wera nahte, hatten wir die Leichen ins Gebüsch gezogen …
Ich hatte keine Zeit, ihr wortreich zu danken. Gupa hatte schon drei Tiere gesattelt, – nach kaum fünf Minuten brachen Sussik und ich mit einem Lasttier auf … Acht Wasserschläuche nahmen wir mit, Whisky, Konserven …
Es ging wie im Fluge, und es mußte auch wie im Fluge gehen …
Unsere Tiere waren ausgeruht. Als wir erst die Dünen hinter uns hatten, trabten wir an, ritten vier Stunden ohne jede Rast, machten nur eine Stunde Atempause, tränkten die Tiere, – – weiter …
Mittags lag das endlose Tal mit zahllosen runden Steinhäuschen vor uns.
Wir durchsuchten alle Gräber – alle …
Und fanden nichts – nichts!
Fanden nicht einmal mehr Fußspuren oder Huffährten.
Eine ungeheure Wut schüttelte mich. Cordy hatte uns belogen …
Wo war Lady Jane, wo waren ihre zwölf treuen Bischarin?!
„Sussik, was hältst du davon?!“
Sussik kniete und fügte die Steine des zuletzt durchsuchten Grabes wieder ein. „Mr. Abelsen, ich weiß nicht …“ Er erhob sich und schaute nochmals ringsum. „Hier hat es gestern Sturm gegeben … Vor dem Staubsturm flüchten wir Bischarin stets in Höhlen, Zelte oder … solche Gräber. Vielleicht ist Lady Jane gefunden worden. Vielleicht …“ – er zögerte – „wäre es am besten, wenn wir uns trennten, Mr. Abelsen … Ich werde die nächsten Weideplätze aufsuchen …“
Schwaches Mißtrauen stieg in mir auf. Wer will so leicht in der Seele dieser halbwilden Gesellen lesen?!
„Wenn Lady Jane noch lebt, werde ich sie finden,“ sagte Sussik schlicht. „Wenn sie tot ist, wird der Lord uns die Stelle zeigen, wo ihre Leiche ruht. Lady Jane gehört uns, den Bischarin, und ihr Mörder wird die Stunde seiner Geburt verfluchen lernen.“
Wir trennten uns. Sussik ritt nach Osten, ich nach Nordosten. Ich hatte das Lastdromedar bei mir, und ich trabte nur bis zum grünen Talwinkel, wie Sussik mir geraten hatte, um hier die größte Tageshitze abzuwarten. – Es war jetzt drei Uhr. Vor sechs konnte ich nicht aufbrechen. Ich hatte in der Nubischen Wüste noch keinen so glutheißen Tag erlebt, abgesehen von den Stunden jenes Nuba-Sturmes, der uns in die Grabhütten gescheucht hatte.
Ich lag auf meiner Decke, rauchte und bedauerte nur eins: Daß ich Wrangel nicht bei mir hatte! Wäre er damals bei mir gewesen, würde ich zweifellos unsere Oase nicht wiedergesehen haben. Ich hatte von den Menschen wieder einmal genug, übergenug! Ich wäre mit Wrangel auf und davon geritten, wahrscheinlich nach Südost, – und dann hätte ich nach Wochen vielleicht die abessinischen Hochlande erreicht, längst das Ziel meiner Sehnsucht …
… Dann war ich doch wohl infolge der Hitze eingenickt, aber meine geschärften Sinne witterten Fremdes in der Nähe, – ich fuhr hoch, – – vor mir stand die zierliche Gussy Gollan in einem gelblichen Reitanzug mit weichen hohen Ledergamaschen, riesigem Strohhut mit Nackenschleier, Reitgerte unterm Arm, am Gürtel zwei Pistolen und ein breites Jagdmesser mit bunter Lederscheide, – gepflegt die ganze Erscheinung, pikant das frische Bubengesicht, ein Lächeln um die halb geöffneten Lippen …
„Starren Sie mich doch nicht so entgeistert an, Olaf!“
Sie kam näher, streckte mir die Hand hin …
„Ich freue mich, Sie … lieber Mensch! Wirklich!“
Ohne weiteres setzte sie sich dicht neben mich und blinzelte mich übermütig an …
„Sehr galant sind Sie gerade nicht … Bisher haben Sie kein Wort geäußert … Und nur Ihretwegen habe ich mich so in Dreß geworfen, denn … mein Kimono genügt hier … Ich wohne hier nämlich, Olaf …“
„Wo?!“ – Ich hatte mich jetzt leidlich gefaßt.
„Da drüben in den Felsen … Da gibt es ein Loch … Höhle nennt man so etwas. Dieses Ekel von Darß wollte mich ja nicht mitnehmen, und er hat doch die Expedition finanziert, er ist gar nicht Filmoperateur, – Börsenmakler ist er und sehr reich und, Gott sei’s geklagt, mein Onkel noch dazu … Aber so reden Sie doch irgend etwas, Olaf … Freuen Sie sich denn so gar nicht, daß ich noch lebe?!“
„Ja … Natürlich – sehr, – nur – dieses Wiedersehen kam zu unerwartet, kleine Feindin! – Wo stecken denn Ihre Begleiter?“
„Ach – die suchen nach der Oase, Olaf …“
„Also – nach Gold!“ – und ich prüfte Ihren Gesichtsausdruck. – Ihre lustigen Spitzbubenaugen wichen nicht aus.
„Ja – nach Gold – ekelhaft!! Ich habe die Geschichte längst satt, Olaf … Seit jener Szene zwischen uns beiden, Sie wissen … Ich schäme mich noch heute deswegen …“
„Und – wie fanden Sie sich damals zu der Expedition zurück?“
„Kleinigkeit, – Howard Houston holte mich mit dem Eindecker … Wir haben doch auch ein kleines Sportflugzeug mit, denn die Oase soll fast unzugänglich sein … Genaues weiß ich nicht. Darß und Houston tun so furchtbar geheimnisvoll … – Kommen Sie mit, Olaf … In der Höhle ist es kühler …“
Sie hatte sich leicht an mich gelehnt … Ich verstand die Sprache ihrer Augen, – mit einem Male nahm sie meinen Kopf in ihre Hände und küßte mich …
„Du, ich habe mir es schon immer gewünscht, einem wirklichen Manne zu begegnen, du …! Die Gentlemen da in London – Gott behüte!! Die denken, sie seien Männer, wenn sie Sport treiben und ähnlichen Unfug …“
Sie gab meinen Kopf frei, sie errötete leicht … „Nun wirst du mich sicherlich für eine ganz leichte Fliege halten …“ Sie senkte den Blick … „Du würdest mir unrecht tun … Ich … habe dich lieb …“
„Kleines dummes Mädel …!“ – ich nahm ihre Hand … „Flackerfeuer, Gussy … Liebe?! – – Doch jetzt, verzeih schon, – ich muß aufbrechen. Wenn Darß und Houston in die Oase eindringen wollen, wird es blutige Köpfe geben … Und das ist die Sache nicht wert. Alle, die diesem Phantom Gold hier nachjagen, werden enttäuscht werden …“
„Bleibe – bleibe bei mir …“ – sie schmiegte sich an mich … „Olaf, was kümmert es uns, daß eine Anzahl Narren ein paar Schüsse wechseln!! Darß ist feige, der gehört auf seinen Kontorbock, und Houston – – erst recht ein Waschlappen …! Bleib, Olaf …! Es ist hier so schön … so still. Ich verstehe dich jetzt: Die große weite Einsamkeit schenkt uns mehr als der Trubel der Großstädte. Ich bin nur ein kleines Tippmädel im Büro des Ekel-Onkels, ich bin Waise, ich war gedankenlos genug, mich zu dieser Komödie herzugeben, – ich habe Hollywood nie gesehen – – und gefilmt … ich?!“ Sie lachte harmlos … Sie war überhaupt ein lieber Fratz, ein so ganz, ganz anderer Typ von Weib … Keine Spur sentimental, herzerquickend ehrlich, und doch nicht aufdringlich. Es lag so viel zarte Schalkhaftigkeit in ihrer ganzen Art, daß man sie gern haben mußte. Um so verwerflicher war es von diesen goldhungrigen Spekulanten, sie mit in dieses unsaubere Unternehmen hineinzuziehen.
„Olaf, und wenn es nur Flackerfeuer wäre, – ist nicht auch ein Feuerwerk schön?! Mehr als Flackerfeuer dürfte es ja nicht sein, – du – – als Ehemann!!“ Sie lachte hell auf … „Ich kann mir Olaf nur so vorstellen, wie ich dich kennen lernte – als wilden Reiter, als tollen Draufgänger, als … Mann mit Herz trotzdem!“
Ich sprang auf und zog sie mit hoch.
„Dummes liebes Mädel, – entweder begleitest du mich, oder ich reite allein … Ich kann nicht bleiben. Und alles andere, Gussy … das schenke einmal einem so frischen fröhlichen Menschen von deinem Schlage!“
Ich hielt ihre Hände. Ich wollte sie nicht verletzen, ich wollte dieser schwülen Szene ein Ende machen.
Sie hob langsam den Blick und schaute mich traurig an.
„Du … liebst eine … andere …!“
„Nein, – aber ich bin allzeit ein leidlich anständiger Kerl gewesen, der den Augenblicksrausch nicht ausnutzt. – Kommst du mit?“
„Und ob!!“
Sie zog mich über Geröll und Felsen hinter einen dichten Busch, der ein Loch in der Talwand verdeckte … Lachend zeigte sie mir ihre Höhlenwohnung … „Da, man hat mich gut verproviantiert … Da – ein Kocher für Hartspiritus … Da das Klappbett, richtiger Tropenbett …“
„Und seit wann bist du hier?“ fragte ich gespannt.
„Seit heute früh vor Sonnenaufgang … Die anderen zogen weiter. Dann kam ein schrecklicher Sturm und … ein großer Trupp Bischarin … Zum Glück blieben sie dort unten bei den Grabhäuschen. Was sie dort taten, war nicht zu erkennen, aber nachher jagten sie mit ihren weißen Dromedaren trotz des Sturmes wie die Teufel davon … Die ganze Luft war voller Staub, Olaf. Und die Hitze … – aber Angst habe ich doch nicht gehabt. Mir tut niemand etwas.“
„Sahst du bei den Bischarin vielleicht eine Frau? Lord Cordy hat seine Gattin angeblich drüben in den Gräbern eingesperrt … Cordy ist Cord, der euren Leitbullen stahl. Sahst du eine Frau?“
„Ja … ja …! Bestimmt, Olaf … Einer der Bischarin hatte sie im Sattel, aber ich glaubte, es wäre eine Eingeborene. – – Was ist es mit Lady Cordy? Ihr Mann war jener Cord?!“
„Später … – beeilen wir uns, – wirst du im Dromedarsattel reiten können?
„Ich kann alles, Olaf, besonders, wenn du dabei bist …!“
Die Nacht, hell und still, umschmeichelte uns mit ihrem geheimnisvollen Zauber.
„Durch dich lernt man erst die Schönheiten eines Landschaftsbildes richtig sehen,“ meinte Gussy so munter, wie man es nach diesem Ritt, der für sie eine unerhörte Anstrengung bedeutete, nur verlangen konnte. Dann befühlte sie verstohlen ihren zierlichen Körper und seufzte. „Mir tut eigentlich alles weh, aber das schadet nichts.“
Sie gefiel mir immer mehr. In diesem Püppchen steckten Leben, Temperament und … der Hunger nach etwas Besserem als ein wohlfrisierter Bubikopf, kurzen Röckchen, Seidenstrümpfchen und gepuderten Wangen.
Nachher saßen wir auf dem Schieferbalkon und rauchten und schwatzten. Die Dromedare ruhten neben uns, bewegten mahlend die Unterkiefer und rochen nicht angenehm. Es ist eigentümlich, daß ihr persönliches Parfüm nachts so viel intensiver ist.
Wir saßen so, daß wir das Tal in seiner ganzen Länge nach Süden zu vor uns hatten. In der Mitte der weiten Senkung lag die eigentliche Oase. Nach links zu standen wie schwarze Kulisse hohe, schmale Schieferfelsen, einem Zaun auch vergleichbar, der einen Einschnitt in der Talwand gegen Sandwehen schützte.
„Olaf!!“
Gussys ausgestreckter Arm deutete auf die dunklen Kulissen.
Ihr schreckvoller leiser Ausruf war begründet.
Wie ein Geistertrupp ritten drüben, als Hintergrund den Schieferzaun, immer zu zweien ein langer Zug Bischarin in das Tal hinab, – weiß die prachtvollen Dromedare, hell die baumwollenen Sommergewänder, – – im Schritt ritten sie, lautlos, mit selbstverständlicher Sicherheit der Bewegungen, vorn über den hohen Sätteln die Lanzen und Gewehre …
Ich zählte achtzig Krieger.
Sie machten nicht halt, durchquerten nur das Tal, näherten sich uns und wollten wohl die sandige Ostwand wieder empor. Aber der Zug stockte. Vor dem Zuge ritten drei einzelne Reiter nebeneinander, der mittlere dieser drei trug keine Waffen und nicht die Bischarinfrisur, sondern eine Art Turban mit Nackenschleier.
Das Licht war zu gering, die Entfernung zu groß, Gesichtszüge zu unterscheiden. Der unbewaffnete Reiter deutete auf den Boden … auf meine frischen Spuren vom Wasserholen. Da glitt der Bischarin rechts von ihm aus dem Sattel, – und die blitzschnellen, gewandten Bewegungen kannte ich: Es war Sussik!
Ich flüsterte dem Mädel beruhigend zu, daß keine Gefahr vorhanden.
Sussik schritt auf meiner Fährte entlang, blieb unterhalb unseres Balkons stehen und schaute empor.
„Mr. Abelsen – – hallo?!“
Gleich darauf reichte mir Lady Jane die Hand.
„Ich danke Ihnen … Sie waren besorgt um mich, – ich danke Ihnen.“
Ihr Gesicht war noch steinerner, verhärmter als vordem.
Für Gussy hatte sie nur ein Neigen des Kopfes.
Ein paar Bischarin sattelten unsere Tiere, – es ging weiter, Lady Jane winkte mich neben sich, fünf Krieger trabten als Vorhut voraus, – hinter uns ritten Gussy, Sussik und der Häuptling.
„Bitte berichten Sie, Mr. Abelsen …“
Die Frau war wie erstarrt. Sie blickte mir nie ins Gesicht, die Augen erschienen mir leer und ohne Leben.
Sie unterbrach mich durch keine Zwischenfrage. Ich sprach laut, denn wir flogen über die Sandsteppe dahin wie getrieben von bösen Ahnungen. – Ich nannte ihren Gatten immer nur Cordy – wie einen ihr völlig Fernstehenden.
Dann, als mein Bericht beendet, kam ein unsäglich bitteres Auflachen über ihre Lippen …:
„Gold!!“
Nichts weiter. – Eine beklemmende Pause folgte.
Hinter uns klapperten die Hufe des langen Zuges, klirrten Waffen, knarrten die Sättel … Hin und wieder schrie ein Dromedarhengst schrill auf.
Wir bogen in ein neues Tal ein, jenseits eine steinige Ebene, und drüben in der Ferne wie die verschleierten Konturen eines Gebirges die Sanddünen, die unsere Oase einkreisten.
Lady Jane begann unvermittelt, – wir ritten des Gerölls wegen Schritt.
„Ich bin Ihnen einige Erklärungen schuldig. Ich heiratete sehr jung, ich war Waise, sehr reich. Der Mann, den ich liebte, zerbrach mein Leben, vergeudete mein Geld in den Luxusbädern und Spielhöllen mit Dirnen und kam nicht einmal zum Begräbnis unseres einzigen Kindes nach England. – Neun Jahre hatte ich all das ertragen, mit dem Tode meines Kindes und mit dem Verlust der Reste meines Vermögens begann für mich der neue Lebensabschnitt. Ich stellte mich der Mission zur Verfügung, ich wurde nach dem Sudan geschickt, ich lebte dann viele Jahre unter den Bischarin – nicht als Missionarin, nein, denn ich hatte sehr bald erkannt, daß man jedem Volke, jeder Farbe ihren Glauben lassen soll. Phantastische Gerüchte tauchten über mich auf, – man behauptete, alle Stämme der Bischarin hätten mich als Königin anerkannt … Ich bin den Bischarin in Wahrheit nichts als Beraterin, Freundin. Ich genieße hohes Ansehen unter ihnen, sie sind mir blind ergeben. – Zuweilen reiste ich in aller Stille nach Kairo. So vor einem halben Jahre auch. Dort sah ich den Mann wieder, der mich zertreten hatte. Er war gealtert, verwüstet, fast nur noch ein Wrack. Er sprach mich an, er war gleißnerisch freundlich, – ich merkte, daß er mich aushorchen wollte … Ich wußte, daß er und sein Vater an der Nubischen Goldminen-Aktiengesellschaft stark beteiligt gewesen, daß eine Expedition, die eine gewisse Oase hier suchen sollte, verschollen war … Das ist Ihnen bekannt, Abelsen. – Ich trennte mich von ihm mit der Überzeugung, daß er jetzt vom Goldfieber besessen war. Ich ließ ihn in Kairo überwachen, und als gewisse Anzeichen darauf hindeuteten, daß er seine Pläne durch ein Verbrechen zu verwirklichen suchte, kam ich abermals mit einigen Bischarin in die Nähe von Kairo. – Wir trafen uns im Wadi Arabah, Abelsen, – halb als Gegner. Ich war hinter Cordy drein, ich konnte nicht verhindern, daß er Wera Zubanoff entführte, daß er Sie erschießen lassen wollte durch einen gedungenen Mörder. Nicht er feuerte bei St. Antonius auf Sie … Der Mordbube ist tot. – Aber ich blieb auf Cordys Spur, er zog kreuz und quer durch das Land, mich abzuschütteln. Im Tale der Gräber, in der Totenstadt der Begas, legte er uns einen Hinterhalt, erschoß acht meiner Bischarin und … wollte mich verhungern lassen, weil ich ihm nichts über die Oase verriet, die ich besser kenne als jeder andere …“
Sie hatte ohne jede Erregung gesprochen. Sie war innerlich erfroren. Dieses Scheusal von Cordy hatte sie in Wahrheit zertreten – ein Mann, der aus Goldgier die Mutter seines Kindes, immer noch sein Weib, dem Hungertode in der Grabkammer überantwortete!!
Sie schwieg. Für sie war das alles abgetan.
Ich wagte kaum zu fragen …
„Mylady, woher hatte Cordy den einen Goldbarren?“
„Aus der Oase … gefunden dort – in dem Stollen, nur den einen Barren. Er war schon früher einmal dort.“ Sie sagte das sehr bedächtig, sehr zurückhaltend. – Sie sagte sicherlich nicht alles.
„Und der Zettel, den jener Houston-Fattmoore vor dem schrecklichen Ende der Expedition noch durch einen Boten wegschickte …?“ meinte ich lediglich mit dem mäßigen Interesse, alles zu klären, auch dies.
Jetzt schaute sie mich an. In ihrem Blick war ein offenes Prüfen, ein Abtaxieren meiner Persönlichkeit. Und deshalb fügte ich hinzu:
„Mir liegt nichts an Gold oder sonstigen Werten, Mylady …!“
Sie nickte. „Ich weiß … ich glaube Ihnen. – Fragen Sie nichts mehr, Abelsen. Es ist besser so … Schon mancher, der sich für seelisch stark gewappnet hielt, ist beim Anblick des elenden Goldes, das vielleicht irgendwo zu Millionen und Abermillionen aufgehäuft liegt, schwach geworden.“
„Mag sein … – ich nicht! Ich kenne eine Stätte, Mylady, einen Eisdom, in dem vielleicht weit mehr Schätze ruhen, als je hier in Nubien gefunden worden sind. Ich hätte damals … reich werden können, was so die Menschen reich nennen, – es hätte mich ein Wort gekostet, und mein Freund, Erbe dieser Schätze, hätte mich reich gemacht. Mein Freund war nur ein armer indianischer Fischer und Jäger … Er ist tot.“
Lady Jane streckte mir die Hand hin … Plötzlich war ihr Ton warm und voller Güte.
„Sie betrauern ihn noch, Abelsen …“
„Ich werde ihn nie vergessen!“
„Dann – sind Sie … reich! Wer in seiner Erinnerung diesen Schatz unvergänglicher Freundschaft bewahrt, kann nie arm werden … wie ich! In meiner Seele ist kein solches Fundament, kein Denkmal für Treue, – – nur vielleicht das eine: Dankbarkeit gegenüber meinen Bischarin! – Ja … ich bin sehr … arm …“ – und dann trieb sie ihr Tier an und jagte weit voraus. Sie wollte allein sein.
Das Mädel und Sussik hatten nur darauf gewartet, wieder neben mich zu kommen. Gussy Gollan, durch die Gegenwart der Bischarin zu der fremdklingenden Anrede gezwungen, fragte in harmloser Neugier: „Mr. Abelsen, – nun, wie steht es mit dem Golde?!“ Es klang etwas spöttisch, aber der Spott galt dem edlen Metall. „Werden die Elefanten zum Abtransport reichen, wird Onkel-Ekel-Darß die Unkosten herausschlagen?!“
Sie lachte kichernd, und ihr Lachen verwischte die trüben Eindrücke von vorhin. Sie war jung, sie war sprühendes Leben, das der Zukunft entgegenjauchzte …
„Geschlagen wird sicherlich irgend etwas, irgendwer,“ erwiderte ich leichten Herzens. „Aber – etwas herausschlagen, Miß Gollan, – nein, das glaube ich niemals!“
Vor uns senkte sich die Hochebene, stieg wieder an. Hier wußte ich Bescheid, hier hatte ich mit Sussik gejagt, hier hausten in Felsklüften zahllose Tiere, an sandigen Stellen sah man die Spuren der Fenneks wie die Fährten einer Hammelherde.
Ich flechte dies hier nicht ohne Grund ein, denn bei dem damaligen Nachtritt mit Jane Cordy als finsterer Führerin war es eine Schar von etwa zwanzig spitzschnäuzigen Wölfen, die genau an der Stelle aus einer Schlucht hervorbrach, die wir als Durchgang von den Dünenbergen zur offenen Wüste zu benutzen pflegten.
Hinter den Dibs aber – und das war das Wichtige – kamen drei graue Kolosse daher, ebenfalls wie in panikartigem Schreck blindlings dahinrasend, – hinter den Elefanten mehrere Reiter, Hunde, – wieder Reiter …
Wir hielten. Nur wir … Die Bischarin waren auseinandergespritzt, bildeten eine lange Kette, jagten weiter …
Dann – aus der Schlucht ein neuer Trupp, helle Dromedare, helle Mäntel …: Bischarin!!
Nun erst begriff ich alles, Lady Jane hatte auch von der „Filmexpedition“ längst Kenntnis gehabt … Dies hier war eine gut vorbereitete, genau auf die Minute fast klappende Einkreisung!
Das Bild vor uns entwickelte sich genau so, wie ich es erwartet hatte.
Sussik war auch verschwunden …
„Da ist der Onkel-Ekel-Darß!“ rief Gussy schrill und packte meinen rechten Arm. „Ach Olaf, sie werden sie töten …! Da – – die Elefanten brechen durch … Wenn sie nur nicht schießen würden!!“
„Wer – die Elefanten?! – Mädel, wenn du die deinen meinst: sie werden sich hüten! Sie stoppen schon, ballen sich zusammen … Da ist auch der lange Howard Houston …“
Arme Filmpiraten …! Sie hatten gänzlich den Kopf verloren … Der Kreis der Bischarin schloß sich enger und enger …
„Vorwärts, Gussy, – ich will dabei sein!“
Wir kamen gerade noch zurecht. Lady Jane hielt hoch zu Dromedar vor den beiden Goldsuchern Darß und Houston …
Lady Jane sprach nicht viel.
„Was suchen Sie hier?!“
Howard Houston-Fattmoore, jüngster von drei Brüdern, letzter von drei Brüdern, rief sichtlich erleichtert:
„Lady Cordy, – – Sie sind’s?! Gott sei Dank!“
„Was suchen Sie hier?!“ – ihre Stimme lehnte jede Bekanntschaft mit Houston scharf ab. „Gold – nicht wahr?! Und die Erlaubnis der Regierung für diese … Filmexpedition haben Sie sich erschlichen. Ich gebe Ihnen den einen guten Rat, – verschwinden Sie! Fangen Sie Ihre Elefanten wieder ein, wenden Sie sich westwärts dem Nile zu … Ist nach zwölf Stunden noch ein einziger von Ihnen hier in der Nähe, dann …“ – sie wies auf den Kreis der hellen Reiter – „stehe ich für nichts ein!“
Sie riß ihr Tier herum, – Houston wollte noch irgend etwas vorbringen, – sie ritt der Schlucht zu, und die Bischarin, nun an die hundertfünfzig Krieger, schlossen sich zur langen Doppelreihe zusammen.
Ich blieb noch, Gussys wegen.
Houston, bleich, verstört, wischte sich den Schweiß von der Stirn … Der kleine Darß mit dem Rattengesicht aber begann zu zetern …
„Sie rissen zuerst aus, Sie Feigling!! Wir hätten diese Kerle zusammenschießen können, wir hatten …“
Was die beiden Kompagnons sich an Liebenswürdigkeiten zu sagen wußten, erregte Gussys Heiterkeit. Ihr übermütiges Lachen brachte die beiden Narren zum Schweigen …
„Ihr seid mir Helden!! Männer wollt ihr sein?! Jämmerlinge seid ihr! Von Gold – keine Rede!! Ihr habt euch narren lassen! Wenn ich euch einen guten Rat geben darf: Ihr habt ja Aufnahmeapparate mit … Photographiert hier, was ihr irgend könnt! Vielleicht lohnt es! Filmt euch selbst mit eurem farbigen Gesindel …! Als Titel: Nubisches Gold, – – Untertitel: Eine aufgelegte Pleite!! – Mich seht ihr nicht wieder! Ich habe genug von euch …!“
Das hatte ich allerdings nicht erwartet! Was sollte aus Gussy werden?! Etwa … meine Gefährtin?!
Sie trabte davon, – ich mußte hinterdrein … Ich fing gerade noch einen niederträchtigen Zuruf des Börsenschiebers auf … – Dann war ich neben diesem voreiligen, unberechenbaren Mädel. – „Gussy, – wie denkst du dir deine Zukunft?! Du sagtest, du hättest keine Angehörigen mehr außer Darß …“
Sie blickte mich übermütig an. „Ich habe dich, Olaf! Du wirst mich nicht wegschicken … nein, du … nicht!!“
Ein Glück, daß wir die letzten Bischarin erreicht hatten, – der allerletzte war Freund Sussik, und seine schwarzen Augen betrachteten Gussy nicht eben freundlich.
Wir waren in den Sanddünen, in Tälern, in denen die Dromedarhufe versanken … Die Tiere keuchten vor Anstrengung, langsam wand sich der lange Zug durch dieses Gebirge von Pulverstaub … Es waren Täler, die mir neu, – wir ritten gen Norden, bogen scharf nach Osten ab … Vor uns an einer Dünenwand Zelte, Kisten, ein paar erschossene Hunde, zwei tote Maultiere, – als Wächter dabei fünf Bischarin, reglos wie Statuen.
Es war Houstons verlassenes Lager. Es sah wüst aus. Vor den Zelten qualmten noch Feuer. Es stank nach verbranntem Essen, nach kohlendem Fleisch, nach Blut, Unrat. Waffen lagen umhergestreut, Pferdesättel, Maultiersättel: Es war das Bild der Panik. – Weiter hinten standen, lächerlich anzusehen, die veralteten Geschütze, Filmrequisiten nur, und Teile des Sporteindeckers.
All das war nur Bild und glitt an meinem Bewußtsein ohne Eindruck vorüber.
Lady Jane hielt fünfzig Meter weiter, wo die Düne sehr steil abfiel. Durch die Milliarden von Körnchen Sand drängten sich Mauerreste, scheinbar hell gekalkt, daher wenig auffällig, – überall auch nur winzige Zacken, die sofort verschwinden mußten, sobald man nur einen Stein emporwarf und den losen Sand ins Gleiten brachte. Dieser Sand in diesen Dünen kannte auch genau genommen keine Ruhelage. Selbst an Tagen, wo sich kein Lüftchen regte, rieselte es hier überall unmerklich. Verhielt man sich ganz still und horchte scharf, so vernahm man ein ganz feines Klingen von all den rollenden, ruhelosen winzigen Körnchen. – In der algerischen Sahara hat man ähnliche Sandberge „singende Dünen“ getauft.
Irgend etwas Unnennbares zog mich nach der Stelle hin, wo Lady Jane jetzt ihr Tier hatte niederknien lassen und abgestiegen war. Mit jedem Schritt enthüllte sich mir das Geheimnis dieses Tales mehr und mehr. – Es war verschüttetes Mauerwerk. Wo Lady Jane stand, war ein hoher Torbogen, der Eingang zu dem Stollen. In diesem gewölbten Tore, flankiert von zwei grob ausgehauenen Isisstatuen, lag etwas unter einer braunen Decke – ein Mensch.
Die Frau, die in der Gräberstadt hatte verhungern sollen, bückte sich und zog die Decke mit einem Ruck weg. An ihrer leisen Kopfbewegung sah ich, daß der Anblick sie enttäuschte.
Es war nicht Cordy.
Gupa war es …
Gupa lag auf dem Rücken … Sein entstelltes Gesicht (die Verwesung hatte schon begonnen) war von einem schwarzen Streifen durchquert – von der Stirn bis zum Kinn: Angetrocknetes Blut.
Stirnschuß.
Ich atmete schwer. Wieder hatte ich einen Kameraden hingeben müssen, der mir viele, viele Monate Weggefährte gewesen, treu, anhänglich, voller Hingabe, – wenn auch nicht Freund. Zwischen uns hatte jener Zusammenklang der Seelen gefehlt, der der Kameradschaft erst die höhere Weihe gibt. –
Gupa mußte mindestens schon zehn Stunden tot sein. Wahrscheinlich noch länger. Da Houston aber mit seinem Troß erst abends hier angelangt sein konnte, kam keiner von ihnen als Täter in Frage. Gupa hätte sich von diesen Jämmerlingen auch niemals niederknallen lassen.
Jane Cordys Blick suchte fragend den meinen. Sie erkannte Gupa nicht. Der Tod hatte das Golemgesicht zu sehr verändert.
„Es ist der Mongole Gupa, Mylady.“
„Dann – ist Cordy entflohen,“ sagte sie leise, aber diese gedämpfte Stimme ließ meine Nerven schwingen.
„… Wieder entflohen!!“ – noch leiser dies.
Über uns beiden und dem Toten ruhte es wie das fiebernde Dunkel unausgesprochener Fragen.
„Eine Laterne!“ rief Jane Cordy dem abseits stehenden Sussik zu, der mich fassungslos anstarrte. Er hatte Gupa erkannt.
Die Karbidlaterne nahm ich, die Frau mit dem vergrämten, versteinerten Gesicht, Sussik und auch Gussy folgten. – Das Tor hatte zwei nach unten aufgeklappte Türen aus demselben Holz, das man in allen uralten Grabstätten Ägyptens findet. Die Türflügel zeigten reiche Schnitzerei, eine Auflage von Harz und Wachs und ein kompliziertes großes Kunstschloß. – Man hatte einst in den Gräberfeldern von Theben (Ägypten) ein sonderbares Instrument aus Metall gefunden, das man lange Zeit für ein eigenartiges Szepter hielt. Erst ein Zufall brachte in Nubien unter Sandhügeln einen Tempel zum Vorschein, und die tadellos erhaltene Pforte hatte ein Kunstschloß, zu dem jenes „Szepter“ paßte. Es war ein Schlüssel. – Dieses Schloß hier bewies mir auf den ersten Blick, wie hochentwickelt die technischen Kenntnisse der alten Ägypter gewesen waren. Das System von Riegeln, das die innen gepanzerte Tür versperrte, hätte für jeden modernen Tresor genügt.
Der Gang war drei Meter hoch, drei Meter breit, aus Nilschlammziegeln gemauert und mit denselben grünlichbraunen Platten ausgelegt. Er verlief zunächst zweihundert Meter in sanftem Bogen nach Süden und bog dann nach Westen ab. Ich zählte die Schritte, die Gesamtlänge mochte achthundert Meter betragen. Kurz vor dem Ausgang erweiterte er sich zu einer Halle mit vielen Nischen, in denen wohlerhaltene, kistenförmige Särge standen.
Scheinbar hatte der Gang hier ein Ende. Ich blickte mich suchend um, Lady Jane nahm mir die Laterne schweigend ab, kein Wort war zwischen uns bisher gewechselt worden.
Die hagere Frau mit der stolzen Kopfhaltung beleuchtete eine Ecke der Mauer, und der kalte Lichtschein traf auf dicke blanke Metallstäbe, Räder, Ketten, Haken, schwere Gewichte.
In demselben Augenblick bewegte sich einer der Stäbe, schob sich vor, und er, nur der eine, wurde zum Büchsenlauf. Eine knarrende Stimme brüllte dazu drohend irgendeine Unliebenswürdigkeit durch die frisch gehauene Schießscharte.
„Tübbicke, ich bin’s!!“ – und der Lauf verschwand.
Ich wartete.
Wir warteten … Lady Jane und Sussik wußten, was geschehen würde.
Ein Viereck der Mauer schwang, nachdem die Gewichte, die Stangen, die Räder sich eine Weile bewegt hatten, nach innen – – ganz langsam, lautlos fast, nur mit geringem Knirschen, fast feierlich, wie es sich für ehrwürdige Dinge aus der Urzeit Ägyptens geziemt.
Es war ein sehr großes Viereck, und an der Außenseite dieser mächtigen Tür hafteten als Teile des Mauerwerks verwittertes Gestein, Grasbüschel, Mauerbrocken, ein grüner Strauch: Also ein Stück der Mauer der Oase!
In der Tür stand Tübbicke, neben ihm der Hund …
Wrangel heulte auf, war mit einem Satz bei mir, sprang an mir hoch, winselte, drehte sich vor Freude um sich selbst wie ein Kreisel. Ich hatte Mühe, ihn zu beruhigen, er forderte erst sein Teil Zärtlichkeit.
Freund A. A. A. verneigte sich vor Jane Cordy. Er war etwas verlegen …
„Mylady … er … er ist entflohen …“ sagte er und vermied das Wort „Ihr Gatte“.
„… Mylady, es ist uns unbegreiflich, wie er entfliehen konnte … Er scheint seine Fesseln an einem Nagel der Kiste durchgerieben zu haben.“
Sie, die Frau, die ein Schurke zertreten hatte, nickte nur, schritt weiter in die Oase hinein und verschwand unter den Büschen und Palmen.
Im Osten zeigte sich der erste helle Schimmer des heraufziehenden Tages.
Tübbicke drückte mir und Sussik die Hand … Für Gussy hatte er nur einen erstaunten Blick.
„Habt ihr Gupa gefunden?“ Seine Stimme war erfüllt von Schmerz. „Ich habe die Leiche liegen lassen müssen … Die … Filmexpedition rückte an … Gestern nachmittag gegen sechs Uhr geschah es … Gupa verfolgte Cordy, Cordy erschoß ihn, ich mußte umkehren … – Wera bewacht die Dünentreppe. Mac ist bei ihr, Cudderson schläft noch. Er hatte vorhin die Wache …“
Er warf einen noch scheeleren Blick auf Gussy Gollan.
„… Die … Kerle, der Houston mit seiner Bande wollte natürlich hier herein … Wir haben ein paar niedergeknallt, der kleine Mac trifft tadellos …“
Ich überschaute zerstreut das grüne Paradies.
Menschengier hatte es entweiht …
Wrangel rieb seine Schnauze an meinem Schenkel und zwang mich in die Gegenwart zurück. Ich fühlte einen fragenden, unsicheren, bittenden Blick, – ich hatte Gussy ganz vergessen, und sie befand sich hier wie unter Feinden, sie gehörte mit zu denen da draußen in der Wüste, die nun nach ihren Elefanten suchten und dann zu ihrem Lager scheu und ängstlich zurückkehren, schleunigst packen und abziehen würden …
„Tübbicke,“ sagte ich sehr laut. „Miß Gollan hat sich von der … Bande getrennt, sie gehört jetzt zu uns, und ich bitte dies zu berücksichtigen …!“
Freund Adolar hatte das Herz und Ohren auf dem rechten Fleck. „Kommen Sie, Kind, Sie sehen sehr erschöpft aus … In meinem Zelt ist Platz genug … Kommen Sie nur, Sie sollen es gut haben …“
Gussy hatte auch das Herz auf dem rechten Fleck. Sie sah sich geborgen, sie lächelte schon wieder. „Zu Ihnen muß man Vertrauen haben, Mr. Tübbicke …! Ich … ich möchte nur bitten, daß zwei der Kisten draußen, die mit meinen Anfangsbuchstaben gezeichnet sind und meine persönlichen Sachen enthalten, hier in die Oase geschafft werden.“
„Wird gemacht, Kind … Das besorgt Sussik schon und Olaf …“ Er flüsterte mir dann zu: „Denkt an Gupa!“ – nahm das Mädel unter den Arm und führte sie nach den Zelten.
Sussik und ich fanden draußen im Dünental nur noch etwa vierzig Bischarin vor. Mir kam sofort der Gedanke, daß die Hauptmasse der Nomaden die Verfolgung Cordys aufgenommen habe. Aber – wer hatte dies befohlen?! Lady Jane hatte mit ihren Bischarin vorhin kein Wort gewechselt, als wir Gupa fanden und doch erst vermuteten, Cordy sei entwichen! – Ich überließ es Sussik, durch ein paar Bischarin die beiden Kisten heraussuchen zu lassen. Ein anderer half mir, Gupas Leiche in die Decke zu hüllen und begleitete mich auch bis zum Ausgang des Stollens, weigerte sich jedoch durch Zeichen, die Oase zu betreten. Er tat es mit solcher Entschiedenheit, daß auch dies eine besondere Bewandtnis haben mußte. So trug ich denn den toten Kameraden in meinen Armen allein bis zu einer sandigen Stelle im äußeren Palmenring, die für alle Ewigkeit Gupas letzte Ruhestätte werden sollte.
Auch der Tag war vorüber. Ich hatte mir die fünf Stunden Schlaf redlich verdient, um sieben Uhr trat ich aus dem Zelt und fand die Gefährten am Ufer des Teiches versammelt.
Mein Verhältnis zu Wera war nun vollständig zu harmloser, freundlicher und vertraulicher Brüderlichkeit abgeschwächt. Wir trugen uns gegenseitig nichts nach, das Verbindende zwischen uns war doch nur der aufstachelnde Reiz gemeinsamen Erlebens gewesen.
Tübbicke nahm mich beiseite.
„Olaf, Lady Jane und Sussik lagern draußen bei den Bischarin … Die Filmkompagnie ist abgezogen – endgültig. Es besteht wohl kaum noch die Aussicht, Cordy zu fangen, und gerade das erhöht mein Wohlbehagen keineswegs … So lange der Kerl noch frei umherläuft, kann man sich auf so allerlei gefaßt machen … Mylady läßt noch nach ihm suchen, gewiß, sie hat alle Bischarin ringsum alarmiert, aber – – die Hetze nach dem schlauen Fuchs dürfte umsonst sein …“ Wir schritten in das Tal hinaus – immer weiter, bis zur Dünentreppe … Droben auf dem Kamm standen drei Bischarin, sicherlich Leute mit vorzüglichen Augen – – Cordys wegen!
„Olaf,“ begann Tübbicke nach längerem Schweigen, „ich kenne Ihre Zukunftspläne nicht … Möglich, daß auch für uns sehr bald die Scheidestunde schlägt, möglich, daß wir uns dann nie wieder sehen.“
„Wahrscheinlich nicht,“ – ich drückte ihm fest die Hand. „Trotzdem werde ich Ihrer stets gern gedenken …“
„Ich auch …! – Ich möchte Ihnen noch etwas anvertrauen …“ Er zauderte unschlüssig … „Sehen Sie, Olaf, so ohne Ziel und Zweck sparte ich doch nicht all die Jahre. Ich … ich wollte Gewißheit haben über das Schicksal meiner Eltern und meines einzigen Bruders Theodor … Mein Vater war Schiffskapitän … Der Hafen Fosser am Roten Meer war damals vor fast sechzig Jahren noch ein halbes Räubernest, meine Eltern wagten sich von dort aus ins Innere – – niemand sah sie wieder. Ich war bei Verwandten in Hamburg geblieben, ein zweijähriger Junge …“
Ich trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
… Ich sah mich neben dem Pater Theodorus auf der Ringmauer stehen, hörte noch seine schmerzlichen Worte über seine ungewisse Herkunft.
„Tübbicke, Sie wollten doch noch nach dem Kloster St. Antonius!“ rief ich atemlos.
Er blickte mich groß an … „Ja. Weil es dort einen Mönch geben soll, der …“
Ich legte ihm die Hände auf die Schultern.
„Tübbicke – nicht soll!! Es muß Ihr Bruder sein …!!“
Ich hatte den frischen, heiteren Adolar nie weinen sehen … Ich ging still von dannen … Die Dämmerung senkte sich über die Oase herab … Und doch war es Licht geworden in dem Herzen eines Mannes, den man lieb haben mußte, der ausgezogen war zu suchen – nicht Gold! und der nun den Bruder finden würde … –
Leichten, schwebenden Schrittes kam mir unter den Bäumen Gussy entgegen. Sie schaute sich erst vorsichtig um, dann flüsterte sie hastig …
„Er ist hier!!“ Sie war so erregt, daß sie die Worte mit ganz veränderter Stimme hervorstieß.
„Wer?!“
Sie drängte sich an mich. „Cordy!“ hauchte sie. „Aber du … du darfst um keinen Preis an die Palme heran … Merkt er etwas, so … erschießt er dich … gerade dich … Er hat es sehr schlau angefangen, Olaf, – er tat nur so, als ob er in die Wüste hinausfloh, – er kehrte zurück, er …“
„Mädel – kalt Blut!“ Ich rüttelte sie leicht. „Du zitterst ja … Er kann doch nicht in der Krone einer Palme stecken, – das wäre …“
Sie flüsterte bittend: „Olaf, wenn du mir versprichst, daß du dich keiner Gefahr aussetzt, – – sieh, wir saßen doch am Weiher, und uns gegenüber erhob sich die verdorrte Palme, die die weißköpfigen Geier, die in der Krone horsten, durch ihren Unrat zum Absterben gebracht haben …“
„In dem Geiernest?“ fragte ich ungläubig …
„Ja! Ja! Aber du wirst nichts tun …“ – sie umklammerte mich … „Olaf, überlaß es mir … Ich … ich werde seine Aufmerksamkeit ablenken … Dann könnt ihr ihn … ausräuchern oder erschießen … oder sonst etwas … – Wir saßen da, der kleine Mac, Tübbicke und ich … Und ich wunderte mich, daß die beiden großen Geier immerfort auf der einen Palme sich niederließen, die Köpfe so komisch drehten und wütend krächzten … Mit einem Male stieß der eine Geier, wohl das Weibchen, wie ein Pfeil hinab auf das Nest, und … da … da … sah ich eine Hand mit einem Messer blitzschnell hochfahren, – und der Geier flog davon … Cordy steckt da oben …! – Und, Olaf, – – ich werde ihn … foppen, Olaf … Der Onkel-Ekel-Darß hatte da in London von einem Artisten eine Schlange gekauft, – in der einen der Kisten befindet sie sich … Natürlich keine richtige Schlange, nur so eine mechanische Spielerei mit starken Sprungfedern – sehr starken. Ich wiege nicht viel, höchstens neunzig Pfund, und das Ding schnellt mich mit hoch, wir haben es schon versucht, Darß wollte die Schlange nötigenfalls als Schreckmittel gegen die Nubier verwenden, – ich habe in die Kiste meine Wäsche mit verpackt … Mitten im Teich ist doch eine Sandbank, – dorthin schleppe ich die Kiste und …“
„Gut, – tue es …!!“ Ich wollte Cordy lebend haben um jeden Preis … – –
… Heute, wo seit jenem Abend so viele Tage bereits verronnen sind, brauche ich die Augen nur zu schließen, und alles, was damals geschah, erscheint mir als unvergängliche Reihe wildbewegter Szenen. Ich sehe noch immer die überschlanke Gussy aus der Kiste hochfahren, die schon völlig im Schlammsand eingesunken war, – emporschnellen mit den Windungen des künstlichen Ungetüms …
Ich sehe Wera, Cudderson, Mac, Tübbicke am Ufer – – sprachlos emporstarrend, – ich höre noch ihr Händeklatschen, ihre ahnungslosen Bravorufe …
Ich sehe mich selbst noch in der Krone der Nachbarpalme … Ein Ast bricht, Cordys Kopf fährt herum … er schaut in meine Pistolenmündung, springt über den Rand des Nestes hinweg, gleitet an der grünen Girlande abwärts, – – und Gussy schlägt mit dem Jagdmesser zu … Die Ranken reißen, Cordy saust mit dem Ende, an dem er hängt, in die Tiefe, – – sein Schädel zerkracht an dem Felsstück am Ufer …
Ich habe ihn doch nicht lebend gefangen.
Der Aasgeier Cordy war tot. – –
… Ich habe die Feder soeben eine Weile ruhen lassen. Und in dieser Pause habe ich innigst des lieben Mädels gedacht, das mir einige Tage des Glückes schenkte und das dann doch so vernünftig war, Lady Janes hochherziges Anerbieten anzunehmen …
Gussy wird nie Not leiden. Gussy ist mit Tübbicke heimgekehrt … Die Schlangenkiste, glaube ich, enthielt nicht nur Wäsche, sie war so sehr schwer geworden. Mag das Gold dem lieben Mädel Glück bringen.
Alle sind sie abgezogen, nur Sussik ist mir geblieben und Wrangel … Sie genügen mir. Sollte mich einmal die Sehnsucht nach anderen Gefährten überkommen, so brauche ich nur in die Wüste hinauszueilen und Lady Jane zu besuchen – bei ihren Bischarin … –
Das Geierpaar brütet jetzt auf dem Riesennest.
Auf dem Grabe Gupas blühen bereits bunte frohe Büsche.
Das Leben läuft weiter – hinweg über Gräber, über das, was uns wert und lieb gewesen … –
Sussik tritt neben meinen Schreibtisch und legt mir eine Patronenhülse auf das Blatt Papier. Er ist soeben von einer Jagdstreife zurückgekehrt.
„Frisch!“ sagt er mit Nachdruck.
Ich rieche an der Hülse … Es ist die einer Büchsenpatrone Kaliber 6,9 …
Sie ist frisch.
„Neben dem Steine, Olaf, wo ich sie fand, war Elefantenunrat sorgsam verscharrt!!“ Er schaut mich vielsagend an …
Wir verstehen uns …
Wir hätten diesen Onkel-Ekel-Darß und den Mr. Howard Houston irgendwo recht luftig aufknüpfen sollen! Dann hätte es nie eine Oase der Toten gegeben …
Unsere weißen flinken Tiere sind bereit … Wrangel bellt vor Freude.
„Belle nicht, Wrangel! Diesmal geht es auf die Menschenjagd …!“
– Ende. –
Anmerkungen: