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Die Fackel des Südpols

 

 

Olaf K. Abelsen

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

Die Fackel des Südpols

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a. d.

Schwedischen von

M. Schraut

 

– Band 17 –

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1930 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.

 

1. Kapitel.

Mac, der Leopardenjäger.

Selbst der größte Hundefreund hätte nicht behaupten können, daß Taito eine Schönheit sei. Taito gleicht jenen langgereckten chinesischen Kötern an der Westküste Formosas, die leider so oft das Schicksal unserer heimischen Schweine teilen: Man mästet sie, schlachtet sie, und das Festdiner eines der zahlreichen Feiertage der Mischlingsbewohner der Küstenstriche enthält dann als Glanznummer „Hunderücken pikant mit Formosa-Gurken in Weinessig“.

Nein, Taito, mir innigst verbunden durch das zumeist so billig bewertete Gefühl der Dankbarkeit, gleicht etwa einem Riesenexemplar von verunglücktem stichelhaarigen Teckel mit Bulldoggenschnauze und – neuerdings – nur einem Schlappohr.

Das linke Ohr liegt im Geröll der Goldinsel des Biba-Schoni[1].

Das alles ist jedoch ziemlich gleichgültig gegenüber der Rolle, die der Hund Taito bei jenem Überfall spielte, den die vier Motorbootfahrer damals so spät abends mit anerkennenswerter Geräuschlosigkeit in Szene gesetzt hatten.

Ich als Schatzhüter inmitten der Bergwildnis Formosas hatte mir die Aufgabe, die sagenhafte „Wand der Goßli“ vor den gierigen Fäusten zufällig oder absichtlich nahender Fremder zu schützen, denn doch zu einfach vorgestellt. Ich war allein mit Taito in der kleinen Steinhütte in dem Felsenkessel des Inselchens, das seinen Ursprung einem ungeheuren Bergrutsch verdankt. Man sah drüben am Westabhang noch die glatte breite Rutschbahn, auf der vor nicht allzu langer Zeit bei einem der häufigen Erdbeben eine ganze Granitkuppe samt erheblichen Geröllmassen in den großen stillen See hinabgeglitten war. Und gerade die Ostwand dieser neu entstandenen Insel enthielt in ihren oberen Schichten breite Adern gediegenen Goldes, das freilich durch einen dünnen Erd- und Moosbelag sehr gründlich für den Unkundigen verdeckt blieb.

Wie gesagt, die vier Helden, die es auf mich abgesehen hatten, waren so lautlos herangeschlichen, daß erst das Pfeifen der schlecht gezielten Kugel und der Knall des Schusses meinen sonst so wachsamen Taito mit drohendem Blaffen hochfahren ließen.

Mir galt die Kugel, – im Nu hatte ich mich niedergeworfen, im Nu die Lampe ausgelöscht, im Nu die treue Winchester ergriffen, – die Sache war ja bitter ernst, das wußte ich … Am Tage hatte ich die Kerle mit ihrem Benzinstänker beobachtet, sie schienen arglos nach Norden in den Fluß einzubiegen, – ich hätte eben vorsichtiger sein müssen.

Draußen lag mattes Mondlicht über dem Kessel. Die Felsen, die Büsche, die wenigen Bäume, alles war deutlich zu erkennen. Und mein Schuß richtete denn auch dort im Gestrüpp offenbar einiges Unheil an. Ein leiser Schrei ertönte, ein Fluch in schlechtem Englisch folgte, alsdann zwei weitere Kugeln, die lediglich Zufallstreffer hätten werden können …

Mir schadeten sie nicht.

Nur Taito heulte grollend und in sein erbostes Konzert mischte sich dann die Stimme:

„Ergeben Sie sich, Sir!! Widerstand ist zwecklos.“

Die Stimme …

Ich habe schon so manches eherne Organ auf meinen Streifzügen durch das Erdenrund vernommen, noch nie ein solches! Es klang wie das drohende Schwirren einer Stahlsaite, wie das Fauchen eines in rasenden Kreisen geschwungenen Schwertes fanatischer Derwische …

Aber es war doch die Stimme eines gebildeten Mannes, es war nicht der scheußliche Mischmasch von Sprachfetzen eines jener zahllosen, verwilderten weißen Leopardenjäger, die, zugleich Goldsucher und Kampferbaumpiraten, mit ihren vom Reisschnaps zerfressenen Hirnen und Kehlen die wilde Einsamkeit dieser Hochlandgebiete entweihen.

Ergeben?! – – Ich?! – – Mein dröhnendes Lachen und Taitos grimmes Kläffen waren die ganze Antwort. Mochten die Leute dort im Gestrüpp auch anderen Schlages sein (das bewies schon ihr Motorboot), – – Banditen bleiben sie doch, denn die erste bleierne Biene war mir unangenehm dicht am Ohr vorübergesurrt. Für solche Scherze habe ich kein rechtes Verständnis.

Ich feuerte abermals … Ich hatte so etwas wie einen hellen Hut zwischen dem dunklen Grün wahrzunehmen geglaubt, und später durfte ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß dieser Hut nunmehr zwei bisher nicht vorhandene Luftlöcher besaß – – ganz oben, wo der breitkrempige „echte“ Panama einen schicken Kniff hatte. Es war so ein „Panama“, wie die geschäftstüchtigen Japaner ihn herstellen: aus gedrehten und mit einer Kollodiummischung getränkten Fäden von sehr dünnem, sehr haltbarem Papier, – täuschend ähnlich den „echten“ Hüten dieser Art, nur ein wenig gefährlich für Raucher, da diese Sonnenschützer sehr leicht in Flammen aufgehen.

„Das war gänzlich überflüssig, Sir,“ ertönte die eherne Stimme von neuem. „Sie verschlechtern nur Ihre Aussichten, die ohnedies nicht mehr sehr glänzend sind, nachdem Jazinto den Verlust seiner Nasenspitze durch Sie zu beklagen hat.“

Hierauf abermals die schon erwähnte Aufforderung, meine Person den Herrschaften auf Gnade oder Ungnade auszuliefern.

Betrachtete ich meine Lage ohne Überwertung der Festigkeit meiner Steinhütte, zog ich in Erwägung, daß ich auf Hilfe von außen nicht zu rechnen hatte, daß meine Freunde Major Sakomo, Scannon, Doktor Suul und Begleitung im günstigsten Falle etwa nach drei Wochen hier wieder eintreffen konnten, daß schließlich mein Diener Tubeli gut zwei Tagesmärsche entfernt im Dorfe der Lekhoan auf Urlaub weilte, den ich ihm unbegrenzt erteilt hatte, so mußte ich mir sagen, der Fremde da draußen hatte recht: Widerstand war sinnlos!

Widerstand …

Nur eins blieb mir: Flucht! – wenigstens vorläufig. War ich erst einmal aus dieser Rattenfalle heraus, hatte ich erst einmal volle Bewegungsfreiheit, dann würden die Dinge wohl eine andere Wendung nehmen.

Die Hütte hätte drei kleine Steinfenster und einen schmalen Türschlupf nach Süden zu. Ich entschied mich also für diese Tür, ließ Taito getrost weiter heulen und bellen und kroch gemächlich vom Fenster an meinem bescheidenen Tisch vorüber und …

… hatte die Rechnung ohne die vier Gentlemen gemacht.

Oder ohne den Stinktopf.

Wie man’s nimmt. –

Stinktopf erweckt schon als Wort liebe Erinnerungen an verflossene Jugendzeiten, in denen man alles für bare Münze nahm, was so die Herren vom Federberuf über chinesische Seeräuber zusammenphantasierten. Da sollten die bezopften Piraten Tontöpfe mit einem gräßlich duftenden Inhalt den Gegnern vor die Füße geworfen haben. Ohnmächtig sollten brave Seeleute dann zusammengebrochen sein. – Das ist zu drei Viertel arger Schwindel. Es gab Stinktöpfe, man könnte sie als Vorläufer moderner Gasgranaten betrachten, – aber die Wahrheit über diese mit übel duftenden Sachen gefüllten Töpfe sieht denn doch etwas anders aus, wie mir einst schon mein alter Freund Chi Api zu berichten wußte, und der war Autorität in sämtlichen chinesischen Angelegenheiten, angefangen von der Delikatesse fauler Eier bis zu der zarten Rücksichtnahme der Scharfrichter, die Schwerter vorher anzuwärmen, damit den Delinquenten die Kälte des Stahles nicht „störe“ …

Was mir in dieser Nacht den Rest gab, war nun in der Tat ein „Stinktopf“ …

Mit dumpfem Krach schlug er auf den Steinboden auf, zerschellte mir dicht vor dem Gesicht und beleidigte nicht nur meine Nase und Kehle, sondern weit mehr noch meine Augen.

Sie tränten nicht, – – sie strömten über …

Und dann packte mich jemand von hinten beim Kragen, riß mich zurück, und Lord Bellegards harte eherne Stimme sagte mahnend:

„Machen Sie keine Geschichten, Sir …!!“

Ich mache keine Geschichten. Aus dem sehr einfachen Grunde, weil Bellegard mir gleichzeitig die Büchse aus der Hand drehte und Taito so kläglich winselte, daß ich angstvoll rief: „Lassen Sie meinen Hund am Leben, – ich ergebe mich.“

Schade.

Dieser gelbgrüne Halsabschneider Jazinto hatte inzwischen schon mit seinem Buschmesser meinen Taito so halb und halb für ein Festmahl hergerichtet. Das linke Ohr war endgültig dahin, und den Hieb über den Bulldoggenschädel hatte Taito nur deshalb so gut vertragen, weil besagter Schädel ohnedies bereits häufiger mit harten, unangenehmen Gegenständen in innigste Berührung gekommen war. –

Außerhalb der Hütte im Talkessel spielte sich der zweite Akt ab.

Lord Bellegard hatte mich an einen Baum fesseln lassen, freilich durfte ich sitzen, und als meine Augen und Tränendrüsen wieder in Ordnung, konnte ich meine vier Feinde in Ruhe mustern. – – Vor mir brannte ein Feuer, über dem ein Aluminiumkessel hing … Rechts saß der Lord und verband Taitos Kopf, links saß ein kleiner vertrockneter Kerl mit wüstem Vollbart, jenseits des Feuers aber bewegten sich Seiner Lordschaft edle Diener Jazinto und Wumbo.

Ich werde im Laufe der weiteren Niederschrift dieser meiner Erinnerungen an eins der seltsamsten und unheimlichsten, zugleich auch des phantastischsten meiner Abenteuer abseits vom Alltag diesen Typen von internationalen Wegelagerern noch vollauf gerecht werden. Es waren Typen, wie man sie nicht oft trifft, es waren Leute, die der Sturm des Lebens aus allen vier Himmelsrichtungen zusammengeweht hatte, Kerle von einer verblüffenden Klarheit der Weltanschauung, die in einem vielleicht sehr gesunden Egoismus gipfelte.

Daß der blonde Hüne mit der Stimme aus Stahl ein Lord war und Bellegard hieß, erfuhr ich durch die lebende Mumie mit dem roten, wilden Patriarchenbart. Der alte Bursche, ein rechter Formosa-Bummler, wurde von dem äußerlich sehr gepflegten Engländer mit Loow angeredet und war einst in Kanada Fallensteller gewesen, schien dann jedoch begründete Sehnsucht nach anderen Gegenden empfunden zu haben, anscheinend der Polizei wegen.

„Überflüssige Arbeit!“ knurrte Loow, ein gebürtiger Schotte, daher auch mit vollem Namen Mac Loow Barny. „Der Köter hätte ein gutes Gericht abgegeben, und uns fehlt seit Tagen frisches Fleisch. Der konservierte Dreck in den Büchsen krempelt unsereinem die Gedärme um.“

Loows wässerige Augen beobachteten voller Verachtung Bellegards chirurgische Versuche. Dann schaute Seine Lordschaft mich an, begegnete meinem dankbaren Blick, nickte mir zu, und sein braunes, bartloses, kühnes Gesicht überflog ein Lächeln. „Hallo, Mr. Abelsen, schon wieder mit allen fünf Sinnen gut beieinander?! Freut mich! Sie hätten sich diese Scherereien ersparen können. – Ihrem Hunde wird die Schmarre nichts anhaben, und was Sie selbst angeht, – Sie werden mit sich reden lassen. Es sind drei Tage her – um Sie gleich über die Zusammenhänge aufzuklären –, da begegneten wir spät abends einer Reisegesellschaft, die gerade ihr Lager aufschlug. Sie wissen, wen ich meine. Die Herrschaften waren in ihrer Unterhaltung dann etwas unvorsichtig, und das Wenige, was ich bisher über die Wand der Goßli wußte, wurde mir so äußerst einfach und sehr wahrheitsgetreu ergänzt. – Wo steckt das Gold?“

Der Mexikaner Jazinto und der Negerriese Wumbo, ein Prachtexemplar aus der Massai-Steppe, waren neugierig neben Mac Loow getreten und betrachteten mich mit einwandfrei goldhungrigen Blicken. Jazinto, Mischling, trug über der Nase eine Unmenge Watte und Heftpflaster. Ich habe es mir nie verziehen, daß diese meine Kugel nicht acht Zentimeter weiter nach rechts wirksamer saß. Es hätte mir viele Ungelegenheiten erspart.

Wumbo, der genau wie Jazinto in Englisch-Leder steckte, während Mylord einen sehr praktischen Sportanzug aus Cord trug und Mac Loow seine Knochen und Muskeln mit einem schmierigen derben Leinenkostüm behängt hatte, – Wumbo also, Koch seiner Lordschaft und Proviantmeister des Motorkutters „Times“, gestattete sich in leidlichem Englisch den Einwurf, daß ich die Stelle wohl kaum verraten würde, wo das Gold zu finden sei.

Worauf Lord Mansfield Bellegard meinte, es würde ihm außerordentlich leid tun, falls er sanfte Zwangsmittel anwenden müßte.

Worauf ich erklärte, sogar schärfste Zwangsmittel dürften keinerlei Erfolg bei mir haben …

„… Suchen Sie, Mylord …! Finden Sie das Gold, – – gut, dann ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie ein paar Zentner mitnehmen. Mehr als drei oder vier wird Ihr Boot kaum vertragen, da Sie bei der Rückkehr zur Küste mit den Stromschnellen rechnen müssen.“

Jazinto zischte einen eklen Fluch hervor und spie in die Flammen. „Wie viel glühende Holzkohlen befehlen Euer Lordschaft auf den Scheitel?“ fragte er in unverhohlenem Haß.

Woran wohl die Nasenspitze die Schuld trug.

Bellegard sagte nur: „Abwarten!! Wir werden uns die Insel am Tage anschauen, Jazinto. – Macht Mr. Abelsen die eine Hand frei, damit er an der Mahlzeit teilnehmen kann. – Etwas fix, Jazinto …!“

Bellegards graue kühle Augen schienen auf den Mischling sehr aufmunternd zu wirken.

Nachdem Taito sich ein wenig taumelnd neben mich geschleppt und sich niedergetan hatte, nachdem ich den armen blessierten Freund gestreichelt hatte, schlief das Gespräch völlig ein. Ich dankte für die Teilnahme an der Nachtmahlzeit und bat nur um einen Becher Tee, – auch das nur aus Höflichkeit. Ich wollte es nicht mit Bellegard verderben. Mochten die vier nur denken, mit mir leichtes Spiel zu haben, – was wußten sie denn von mir?! Nur das, was sie in jener Nacht erlauscht hatten, in der auch der so überaus vorsichtige Sakomo, Major und Chef des Ostdistrikts, zweifellos seinen schlechten Tag gehabt und die Umgebung des Lagers nicht genügend abgesucht hatte.

Ich trank und taxierte die vier auf ihre Gefährlichkeit als Gegner. Bellegard konnte trotz seiner Reckenfigur ein Blender sein, aus Mac Loow konnte ich schon gar nicht klug werden, Jazinto war eine bissige Schlange, und der Neger wieder sehr wahrscheinlich ziemlich harmlos. Am wenigsten traute ich Mac Loow. Leute, die so wenig reden wie er und die seit Jahren die Wildnisse Formosas durchstreift hatten, pflegen nicht nur Auge und Ohr, sondern auch die Zunge zu meistern.

Dann übernahm dieser verwilderte Leopardenjäger, den der Lord als Führer gedungen hatte, die erste Wache bei mir. Bellegard und seine bediensteten Kumpane zogen sich in meine Hütte zurück, und ich bemerkte durch das Fenster, daß der Lord mein spärliches Gepäck durchsuchte. Mochte er. Mein Tagebuch war gut versteckt. Sehr bald erlosch die Karbidlampe in dem Steinhäuschen, und nur das Lagerfeuer draußen spendete genügend Licht, den Talkessel zu überblicken. Mac prüfte meine Fesseln, nahm seinen verrosteten Schießprügel und kletterte die Talwand hinan, um nach dem Seeufer hinüberzuspähen. Er mochte immerhin damit rechnen, daß die vor anderthalb Stunden hier gewechselten Schüsse vielleicht doch von einer Jagdstreife der Lekhoan, der wilden Ureinwohner Formosas, gehört worden sein könnten.

Taito ruhte zu meinen Füßen. Das Feuer knisterte und knallte, am Himmel war kein Stern mehr zu bemerken, dichtestes pechschwarzes Gewölk lagerte über dem See und über dem Gebirge, die hier sonst übliche nächtliche Kühle war einer schweren, feuchtlauen Luft gewichen, die aus den endlosen Wäldern bei dieser vollkommenen Windstille bis hierher emporgekrochen war, fahles Wetterleuchten im Westen kündete ferne Gewitter an, meine Haut bedeckte sich mit klebrigem Schweiß, meine Nerven meldeten sich unter dem Einfluß dieser mit Elektrizität geschwängerten Schwüle, und meine Ohren vernahmen Geräusche, die wohl nur meine Einbildungskraft hervorzauberte: Tappende Schritte, Rieseln von Geröll und stoßweise Atemzüge eines Menschen, der drüben in den Büschen stecken konnte.

Dann fiel das Feuer mehr in sich zusammen, Funkengarben schossen hoch, eine fast unnatürliche Helle beleuchtete das Gestrüpp.

Und aus den grünen Zweigen löste sich jetzt eine überschlanke, zierliche Gestalt in weißem Leinenkleide, – ein blondes blutjunges Mädel mit einem tief ins Genick geschobenen Panamahut, – mit einem schmalen leicht gebräunten feinen Gesichtchen, einem süßen, vollen Lippenpaar …

Das war Elsie Bellegard, des Lords einziges Kind …

Ich starrte sie an wie eine Geistererscheinung. Ich hatte nichts von ihrer Anwesenheit gewußt, ich hatte geglaubt, Bellegard sei mit seinen drei Begleitern allein …

Ich wußte auch nicht, wer sie war. Aber ihre Ähnlichkeit mit dem Lord war so unverkennbar, daß ich sie zunächst für seine Schwester hielt. Sechs Schritt vor mir stand sie, betrachtete mich still, flüsterte dann hastig: „Ich werde Sie schützen, Mr. Abelsen …!“

Sie horchte, glitt näher, ihre Bewegungen waren kraftvoll-geschmeidig, und ein bestimmter Zug um den Mund verriet mir mehr als der harte Glanz ihrer Augen.

Sie trug um die Hüften einen Ledergurt mit zwei Pistolen und einem schmalen langen Messer. Dieses Messer strich über die geteerten Stricke hinweg, sie hatte sich herabgebeugt, Taito wedelte freundlich, einen Moment umwehte mich der Duft ihres gelösten blonden Haares, – dann verschwand sie genau so lautlos.

Ich war frei.

Aber Mac Loow kehrte zurück, und ich verhielt mich still. Er warf einen prüfenden Blick über mich hin, – er merkte nichts, Elsie hatte die Stricke hinter dem Baum zerschnitten und auch nicht vollständig – ein kluges Mädel.

Der Leopardenjäger schleuderte ein paar dicke Äste ins Feuer und streckte sich dann ins Gras. Seine blaurote Nase, seine schwimmenden Augen und die Feldflasche am Gurt verrieten den inbrünstigen Verehrer von Reisschnaps. Er drehte sich eine Zigarre aus handgroßen Tabakblättern, die er in einem Lederbeutel neben der ominösen Flasche trug, rauchte eine Weile stumm, lehnte auf seiner langen Büchse und schien über irgend etwas nachzugrübeln. Dann hob er den struppigen Kopf und sagte gedämpft:

„Abelsen, die Kerle sind verrückt! – Gold?! Es gibt andere Dinge, die für Männer wertvoller sind, für Männer mit gesundem Hirn und gesunden Knochen. Wollen wir Halbpart machen?!“

Ich brauchte nicht zu antworten.

Das ferne leise Grollen hatte sich, verstärkt, urplötzlich brach über uns ein Gewitter los, blendende Helle ließ mich die Augen schließen, ein ungeheurer Knall folgte, die Insel schien zu wanken, und drüben am Westrand des Tales ging ein vertrockneter Nadelbaum unter dem Blitzschlag in Flammen auf …

Wie ein Fanal brannte er …

Wie eine Riesensäule aus kienigem Holz …

Aber die ebenso urplötzlich herabströmenden Regenmassen und weitere Blitze und deutlich spürbare Erdstöße verwischten das grandiose Bild der Flammensäule.

„Ein Erdbeben, Mac Loow!!“ brüllte ich ihm ins Gesicht …

Er stand schon neben mir, wollte mich losschneiden, – ich sprang auf die Füße, – aus der Steinhütte kamen die drei Schläfer herausgestürzt, – ich rannte hinein, holte meinen Rucksack, stopfte meinen schmalen Blechkasten mit meiner Schreiberei hinein …

Ein neuer Erdstoß da …

Die Hütte schien sich zu drehen, – ich sprang zum Fenster hinaus, hinter mir brach das Dach ein, – ringsum war alles in Aufruhr und Bewegung, Felsen kollerten herab, der See brandete wie ein Ozean gegen die Inselgestade …

Finsternis, Regengüsse, Blitze, unheimliches unterirdisches Getöse, – und wir alle hin zu dem Motorboot, – – abstoßen, hinein in den See …

Keine Sekunde zu früh:

Es gab keine Wand der Goßli mehr!

… Denn das, was die unterirdischen Gewalten hier einst geschaffen hatten, die Insel, – – sie kippte hinter uns nach Osten zu über wie ein kleiner Felsen, der nur auf schmaler Grundfläche ruht.

Die Wand der Goßli und die dicken Adern reinen Goldes wurden Fundament des neuen, alten Inselchens …

Urplötzlich – ebenso urplötzlich trat beklemmende Stille ein. Regen, Blitze, das Rollen in der Tiefe – alles schwieg. Jazinto und Wumbo schöpften das Wasser aus dem Kutter, und Lord Bellegard sagte sehr höflich, indem er Elsie aus der kleinen Öltuchkajüte hervorzog:

„Mr. Abelsen, dies hier ist meine Tochter Elsie, mein einziges Kind …“

Ich verbeugte mich …

Aber mein Blick kehrte sofort wieder zu dem in mildes Mondlicht getauchten Bilde des Eilandes zurück …

Nein, es gab keine Wand der Goßli mehr! Die Insel war regelrecht gekentert. Nur nasse, kahle Felsmassen ragten über die Seefläche hinweg – ein gänzlich fremdes Gebilde hatte das Erdbeben geschaffen.

Der Lord fügte ebenso förmlich und gleichgültig hinzu:

„Der Zankapfel wäre damit endgültig beseitigt, Mr. Abelsen … Ich nehme an, das Gold ist fernerhin unerreichbar. Schließen wir Frieden.“

Ich schaute ihn an … „Frieden?!“

Aber Elsie fiel mir hastig ins Wort.

„Ja – Frieden, Mr. Abelsen …! Lehnen Sie Pa’s Hand nicht ab … Wir sind sehr arm, und Pa kam als Korrespondent der „Little Times“ nach Formosa …“

Die zarte Stimme überwand mich. –

Morgens lagerten wir am Ostufer des Biba-Schoni-Sees, und der Leopardenjäger erzählte mir seine merkwürdige Geschichte, während die anderen schliefen.

 

2. Kapitel.

Der Smaragd des Toten.

… Und dieser Morgen damals war wie ein göttliches Geschenk: Blauer Himmel, Westwind von den hohen, kühlen Bergkuppen, klare Luft, Vogelschwärme, in heiterer Sorglosigkeit im Sonnenglanz sich wiegend, ein paar breitmäulige Krokodile in einem nahen Tümpel, ganze Reihen von nachdenklich-ernsten Silberreihern hart am felsigen Ufer stehend und ins Wasser starrend, dazu bei mir das beglückende Gefühl, aller Verantwortung überhoben zu sein …

Das war so die Stimmung, in der ich Mac Loow Barnys langatmigen, immerhin bilderreichen Sang von dem Bergvolke der weißen Flüchtlinge auf mich wirken ließ.

Wir saßen an buschreicher Uferstelle, Mac Loow rauchte wieder seine unmögliche Zigarre, aber er war nüchtern und voller Eifer und wollte um jeden Preis mich dazu bewegen, irgendeine Äußerung zu tun, die seine Phantasie noch mehr anfeuerte.

Ich hütete mich.

Ich genoß diesen Morgen auf meine Art, ich kraulte Taito das Fell, und die Hälfte meiner Gedanken war bei den fernen Freunden, die ich hier kennen gelernt und die ich nicht mehr wiedersehen würde. Der Zettel, in einer Blechbüchse geborgen, lag schon drüben auf der neuen alten Insel auf höchster Kuppe als mein Abschiedsgruß. Wenige Worte nur, eigentlich zu knapp gefaßt für die Innigkeit unserer Beziehungen, aber genügend für mich, den immer Rastlosen, den es vorwärtsdrängte zu frischem Erleben.

Und dann unterbrach ich doch den für seinen Plan begeisterten Mac, blickte ihn mißtrauisch an.

„Haben Sie etwa das gelesen, was ich vor drei, vier Jahren am Gallegos in der zugigsten Ecke Südamerikas schrieb?! Es mag schon gedruckt sein. Ich weiß es nicht. Gelesen von Coy Cala und von Chubur und Chico und der Herrlichkeit der Pampas und der Wildheit der Inselstraßen um den Wellington-Archipel?! – Mac, mir scheint, Sie lasen’s, denn in vielem gleicht Ihre Geschichte dem sonderbaren, armseligen Schicksal jener vertriebenen Araukaner.“

Er schüttelte energisch den Kopf. Heute waren seine Augen klar, sein Blick frisch und frei, und sogar die verdächtige Nase hatte sich entrötet.

„… Ich las nichts davon,“ erklärte er unwirsch. „Übrigens hören Sie auch kaum zu …“ Er sprach durchaus wie ein Gebildeter, das Rohe, Rüde, Gewalttätige war von ihm abgeglitten, und unter der schäbigen Kluft enthüllte sich mir eine große, starke, in die Irre gegangene Seele. „Nichts!!“ bekräftigte er nochmals. „Ich sagte ja: Die Gerüchte leben immer wieder auf … In den westlichen Küstennestern Formosas gibt es Leute, die nachts jene Riesenlichter blinken sahen … Ich selbst, Mr. Abelsen, war ein einziges Mal bis zum Rande jener Hochlandsümpfe vorgedrungen, die zwischen den inneren Bergketten Formosas ein Waldgebiet von unendlicher Weite drohend, fieberschwanger und undurchdringlich für jeden Fremden abschließen. – Es ist schon so, wie ich’s erzählte: Es müssen dort Europäer hausen, und sie stehen auch mit der Außenwelt irgendwie in Verbindung, – – lächeln Sie nicht, Mr. Abelsen, ich selbst habe damals, als ich am Rande des Sumpfes lagerte, spät nachts am Himmel einen hellen Strich beobachtet, – es kann nur ein kleines schnelles Luftschiff gewesen sein.“

Ich kniff das linke Auge zu und schielte den phantasievollen Mac übermütig an. „Mein Lieber, ich lächelte gar nicht, ich gähnte, und sogar sehr herzhaft. Was Sie mir da auftischen, ist uralter Kram aus der Werkstatt jedes Schriftstellers, der kilometerlange Abenteuerromane verfaßt. Jedenfalls: All das reizt mich in keiner Weise! Sehen Sie, Mac,“ fügte ich beschwichtigend hinzu, „drüben jenseits des Stillen Ozeans, der nie still ist, wohnt jetzt in San Franzisko ein sehr guter Freund von mir namens Chi Api …“

Ich sah, daß Mac Loow Barny leicht zusammenzuckte und dann desto kräftiger an der eigenhändig gerollten Giftnudel sog.

„Kennen Sie Chi Api, Mac?“

Er ließ sich mit der Antwort Zeit. „Ja und nein, Mr. Abelsen … Gehört habe ich früher sehr viel von ihm, er soll seine Hände in allen möglichen Geschäften gehabt haben und auf Borneo …“

„… besaß er sein eigenes kleines unabhängiges Reich, – – stimmt schon, Mac! Und dieses Reich lag ebenfalls fernab von jeder Kultur, jeder Polizeistation … – Nein, für Geschichten dieser Art habe ich nichts mehr übrig, absolut nichts. Ich möchte außerdem weg von hier, ehrlich gestanden. Meine Sehnsucht gilt zur Zeit …“

Er hatte mir die linke Hand mit eisernem Druck um den Unterarm gelegt. „Schweigen Sie!“ meinte er leise und feierlich. „Verstehen Sie etwas von Edelsteinen? Können Sie einen echten Smaragd von einer Fälschung unterscheiden – – he?!“

Er besaß die graublauen, kühlen, großen Augen der reinblütigen Schotten, und in diesen heute so schnapsfreien Sternen wetterleuchtete es von überlegenem Spott. „Halten Sie mich für einen jämmerlichen Säufer und Phantasten, junger Mann?! Glauben Sie, ich wäre von Jugend an für dieses tolle Leben bestimmt gewesen: Fünf Monate saufen, den Rest des Jahres wieder durch die Urwälder ziehen?! Denken Sie, die Familie des Lords sei wertvoller als der Stammbaum der Mac Barnys von Barny-Castle?!“ Seine Stimme sank zum Flüstern herab. „Junger Mann, dreißig Jahre sind es her, daß ich Barny-Castle verließ, weil mein jähzorniger Vater mir, dem Zwanzigjährigen, die Reitpeitsche um die Ohren schlug. Da schwor ich mir zu: Nie wieder betrittst du deinen Heimatboden, nie wieder liest du eine Zeitung, nie wieder willst du etwas von den Deinen vernehmen! – Ich ging nach Kanada, – ich vergrub mich in die ungeheuren Einöden dieses wunderbaren Nordlandes und nannte mich einfach Mac und nichts weiter und stellte dem Wilde nach. Dann gabs auf Fort Chippeway Streit mit einem Beamten der berittenen Polizei, Schüsse knallten, – ich schieße leider nie daneben, und ich ging abermals in die Fremde. Seit vielen Jahren hause ich nun hier auf Formosa … Und da wollen Sie Grünspecht mir verwittertem Burschen so einfach ins Gesicht gähnen und behaupten, meine Geschichte interessiere Sie keinen Deut?!“

Der Druck seiner Hand verstärkte sich wieder. „Abelsen,“ flüsterte er, „hätte ich nicht Vertrauen zu Ihrer so schön sauber rasierten Fratze, würde ich mich wohl hüten, Ihnen das Geheimnis preiszugeben. Da – sehen Sie!!“

Und er riß sein Wollhemd auf, zog einen Beutel hervor, öffnete ihn …

„Bitte, Abelsen, – das fand ich vorigen Oktober am Rande der Sümpfe in der Tasche des Lederrockes eines blonden hellhäutigen Toten, – – das!! Und so wahr ich etwas von Edelsteinen verstehe, Abelsen: Der Smaragd wäre in geschliffenem Zustande seine zehntausend Pfund wert – mindestens!“

Was ihm in der flachen Hand lag, war ein unscheinbares grünes Etwas, umgeben von bröckeligem Urgestein.

Nein, – ich verstand nicht viel von Smaragden, und doch erkannte ich: Mac Barny übertrieb nicht!

Ich betrachtete den Stein, und er flüsterte weiter: „Halbpart, Abelsen! Allein schaffe ich es nicht …! Allein wage ich mich nicht in jene Sumpfwildnis. Zu zweien ist das eine andere Sache.“

Ich gab ihm sein Juwel zurück. „Stecken Sie es nur wieder weg. Auch das reizt mich nicht. Gold, Edelsteine, – alles nur Tand für Genießer in den großen Metropolen! Nichts für mich!“

Er lachte kurz auf. „Brav so, junger Mann, sehr brav! Nichts für Sie!! Nun gut …! – Und der Tote? Fragen Sie gar nicht nach dem Toten, dem ich den Stein abnahm?“

Ein gewisses Unbehagen beschlich mich da. Mac Barnys Stimme hatte jetzt so eigentümlich heiser geklungen.

„… Abelsen, – der Mann lebte, als ich ihn zu Gesicht bekam … Der Mann wollte mich beschleichen an meinem Lagerfeuer … Zwei Schüsse holten ihn herab, denn die Riemenschlinge lag mir bereits um den Hals …“

„Also war er auf einen Baum gestiegen?“ fragte ich nun doch mit rasch erwachter Neugier.

„Baum?!“ Mac lachte leise. „Baum?! – Da gab es nur Büsche, Abelsen, und jene Nacht war finster wie ein schwarzer Sarg. Ich saß am Feuer, drehte meine Hirschlende über der Glut, hatte meine Büchse neben mir liegen und dachte an nichts Arges. Plötzlich fiel mir die Schlinge um den Hals – von oben, aus der Luft, Abelsen, – merken Sie auf: Aus der Luft!! Und wenn ich nicht so verdammt gute Nerven hätte, wenn ich nicht blitzschnell emporgeblickt und gleichzeitig fast gefeuert hätte – senkrecht nach oben, Abelsen, merken Sie auf! – zweimal gefeuert, dann … dann wäre ich jetzt mit auf der großen Verlustliste derer, die nie wiederkehren, wenn sie jenem Gebiet dort jenseits der Berge zu nahe kommen. So war es, Abelsen: Ich traf das Tau, an dem der Mann hing, und ich traf den Mann selbst, und so purzelte er herab samt dem Ende Tau und dem Lederlasso, der mich hatte erwürgen sollen. Und weil nun dieses Tau dem Blonden um die Brust geknotet war, und weil dort nicht ein einziger Baum in der Nähe war, und weil der Mann sich doch wohl kaum von einem Stern hinabgelassen haben konnte, muß wohl …“

Ich starrte ihn an. „Ein … Luftschiff, meinen Sie, Mac?! Ein Luftschiff oder dergleichen?! – Sahen Sie denn nichts über sich, hörten Sie nichts?!“

Er schüttelte ernst den verwilderten Kopf. „Nichts, Abelsen! Und das war das Unheimliche …: Nichts! Der Mann schlug krachend ins Gras, lag still, war tot, mausetot, ich stierte in die Finsternis nach oben, und befallen von einem Grauen, das mir sonst fremd, feuerte ich noch meine letzten drei Patronen des Rahmens ins Leere. – Nein, ich hörte, ich sah nichts. Können Sie in pechrabenschwarzer Finsternis etwas sehen?! Der Himmel hing voll dicker Wolken, und gleich darauf brach auch der Regen los … Ich bin damals in Regen und Sturm entflohen – wie gehetzt, Abelsen … Hinter mir her war jene wilde unsinnige Angst, die man nur vor dem Unerklärlichen empfindet. Und die spürte ich in allen Nerven.“

Er nickte vor sich hin …

„… Vielleicht war es gut, daß ich entfloh. Daß ich erst im dichtesten Urwald halt machte, nachdem ich meine Fährte gründlich verwischt hatte. Denn – sie verfolgten mich …“

„Wer?“ fragte ich atemlos.

Er zuckte wie hilflos die Achseln. „Das weiß ich nicht, junger Mann. Aber es waren Leute hinter mir her, – das weiß ich, ich bin ja ein alter Waldläufer. Zwei Tage später traf ich einen anderen Leopardenjäger, der gerade einen Kampferbaumwald zeichnete, mit der Axt zeichnete … Sie kennen ja die Japaner als Herren Formosas, sie zahlen für jeden guten Wald so und so viel, man muß nur die Stelle genau angeben können. Und mit dem Kollegen schlug ich mich zur Küste durch, Abelsen … Und blieb dort, bis jetzt der Lord mich eben anwarb als Führer … Zeitungsschreiber will er sein. Wird wohl stimmen … Viele vom englischen Adel sind verarmt und arbeiten ausnahmsweise … ausnahmsweise. – Na, junger Mann, wie denken Sie jetzt über einen Zug über die Berge?! Noch immer zu uninteressant, he?! Oder hat sich Ihre Begeisterung für Wege abseits des Alltags abgekühlt?! Denn das da sind unbekannte Wege, Abelsen, – da lauert wohl so Schritt um Schritt der Tod auf den, der es wagt, jene Sümpfe zu betreten …“

Er lachte still in sich hinein … „Es mag so in meiner Jugend gewesen sein, da las alle Welt ein Buch von Rider Haggard[2] „Das unbekannte Land“[3], … oder so ähnlich hieß es … War ein Phantasieprodukt, Abelsen, und …“

„Ich kenne es, Mr. Mac Barny.“ Die respektvollere Anrede „Mister“ war mir ganz von selbst über die Zunge geglitten. Ich hatte diesen Leopardenjäger völlig falsch eingeschätzt, und er wieder hatte mir durch sein wiederholtes, halb scherzhaftes „junger Mann“ zu verstehen gegeben, daß meine lediglich auf seine äußere Erscheinung und seinen Beruf gestützte Beurteilung seiner Persönlichkeit ein etwas anmaßender Fehlgriff gewesen.

Ein flüchtiger Blick streifte mich. „Lassen Sie das „Mister“ nur wie bisher unter den Tisch rutschen, Abelsen … Nennen Sie mich getrost Mac. Ich bin nun einmal seit dreißig Jahren daran gewöhnt. – Also Sie kennen Rider Haggard … Er hat sehr viel geschrieben, und in einem seiner Werke schildert er eine Szene, die so etwa unserer heutigen Morgenunterhaltung samt Umgebung entspricht.“ Er deutete mit der Hand über den See und die fernen Berge hin. „Auch bei Haggard vertraut da ein alter Elefantenjäger einer Zufallsbekanntschaft ein großes Geheimnis an …“

Kurze Pause …

Macs[4] knorrige Finger, denen man die ungeheure Muskelkraft sofort anmerkte, obwohl seine Hände keineswegs Bärenpranken glichen, streichelten die auf seinen Knien liegende langläufige Repetierbüchse, zweifellos eine vorzügliche Waffe. Wiederum lächelte er sonderbar … „Ja, und dieses Gespräch der beiden wurde belauscht, Abelsen, und daraus ergaben sich dann allerlei Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten.“ Seine Stimme wurde lauter und schärfer. „Ganz besonders bedauerlich ist es aber, wenn so ein blutjunges Ding von siebzehn Jahren wie Miß Elsie hier heimlich das Zelt verläßt und sich hinter uns in die Büsche schiebt und ebenfalls horcht. Wie leicht hätte ich annehmen können, daß der Lauscher etwa Jazinto sei oder sonst ein farbiges, nichtsnutziges Gewürm …! Wie leicht hätte meine alte brave Riffle eine Kugel in das Gestrüpp spucken können …! – Kommen Sie nur heraus, Miß Bellegard. Der alte Mac, der noch nicht einmal so ganz alt ist und wahre Luchsohren hat, möchte mit Ihnen gern ein Wörtchen unter sechs Augen sprechen. Bitte – keine falsche Scham, Miß Bellegard … Zeigen Sie uns nur getrost Ihr niedliches braunes Gesichtchen …“ Er drehte sich um, bog mit der vorgestreckten Büchse die Zweige auseinander, und Elsie erhob sich tief errötend aus ihrer knienden Haltung und lachte uns verlegen an.

„Oh, ich bin eigentlich sehr stolz,“ meinte sie. „Mr. Abelsen hat mich gar nicht gehört … Es war nur ein übermütiger Scherz, ein Versuch, mich im Anschleichen zu üben …“

Sie trat hervor, nickte uns schon wieder ganz harmlos und freundlich, fast herausfordernd stolz zu, strich das blonde Haar aus der Stirn und setzte sich ohne weiteres auf einen bemoosten großen Stein. „Sie sind doch nicht böse, Mac?! Horchen wollte ich wirklich nicht … Nachher fesselte mich dann aber Ihr merkwürdiger Bericht so stark, daß ich beim besten Willen nicht auf das Ende der Geschichte verzichten konnte.“ Das klang alles sehr schlicht und natürlich. „Es war wirklich fabelhaft interessant … Nur sehr phantastisch.“

„Stimmt!“ sagte Mac ungewohnt scharfen Tones. „Sehr phantastisch – alles, auch Ihre Anschleichexperimente, Miß, – auch die!“

Ich hatte Elsie scharf beobachtet. Sie trug heute nicht das weiße Leinenkleid, in dem sie so mädchenhaft-unberührt gewirkt hatte. Ihr Sportanzug mit Reithosen und leichten Schnallgamaschen ließ sie älter erscheinen, und mein Gefühl sagte mir, daß sie keineswegs so kindlich-unschuldsvoll war, wie sie scheinen wollte. Vielleicht waren es gerade ihre überklugen, forschenden, kühlen Augen, wohl ein Erbteil ihres Vaters, die diesen Eindruck verstärkten. Mac taxierte sie wahrscheinlich ganz richtig, als er nun beinahe grob erklärte:

„Ich werde Ihnen mal etwas sagen, Miß … An diesen „Versuch“ glaube ich nicht, – entweder hat Ihr Vater Sie hergeschickt, oder Sie handelten sehr zielbewußt auf eigene Faust. Wie dem nun auch sei, – sollten Sie etwas von dem hier Erlauschten weitererzählen, so könnte das unbedingt zu sehr peinlichen Szenen führen. – Sie verstehen mich, hoffe ich!! Und um Ihnen diese Warnung besonders eindringlich einzuhämmern, erinnere ich Sie nur an die höchst bedauerliche Tatsache, daß Ihr Vater vorgestern abend, als wir im Flusse vor dem See ankerten, gegen meinen Willen den Plan entwarf, Mr. Abelsen … auszulöschen. Auch der Nigger war nicht dafür, der überhaupt ein sehr anständiger Kerl ist. Damals bedauerte ich es außerordentlich, Ihrem Vater von den unklaren Gerüchten über die Goldschätze der Goßli etwas mitgeteilt zu haben. Ich ahnte eben nicht, daß ein Auslandskorrespondent einer Zeitung, der mit Genehmigung Japans Inner-Formosa bereisen will, nebenbei auch Bandit sein kann, – entschuldigen Sie den harten Ausdruck. Ich war nie Bandit. Ich erbot mich dann als bester Schütze unserer kleinen Expedition, Mr. Abelsen in die ewigen Jagdgründe zu befördern und schoß absichtlich vorbei und rettete so vielleicht ein wertvolles Menschenleben. – Vergessen Sie das alles nicht …!! Und jetzt kehren Sie in Ihr Zelt zurück und merken Sie sich: Kein Wort!! Kein Wort von dem hier Gehörten!! Ein Jammer, daß der schwache Duft Ihres Parfüms mich so spät auf Sie aufmerksam machte. Parfümieren Sie sich nie – wenigstens nicht in der Wildnis, Miß! Die braunen Ureinwohner hier haben Nasen wie die Schweißhunde und … vergiftete Pfeile, so weit sie nicht schon Gewehre besitzen. – Guten Morgen, Miß …!!“

Sie erhob sich. Sie war sehr bleich geworden, und diese Blässe ließ sie noch älter erscheinen. Aber das Schuldbewußtsein war ihr an der Stirn geschrieben, und das hochmütige Zurückwerfen des Kopfes, durch das sie ihrem Rückzug die Note tief gekränkter Unschuld zu verleihen suchte, blieb nur eine leere Geste.

Ich hatte mich bei alledem völlig stumm verhalten. Mein Blick begegnete jetzt dem des Leopardenjägers, und Mac sagte ingrimmig: „Schwindel!! Abelsen, das Mädel steckt uns beide in die Tasche, falls es … ein Mädel ist! Siebzehn soll sie sein. Ich glaube nicht daran. Ich schätze sie auf dreiundzwanzig und den angeblichen Lord auf achtunddreißig. Es gibt da noch sehr viele dunkle Punkte. – Kommen Sie hinab zum Kutter … Wir brechen auf. Es ist besser so …“

Ich widersprach nicht. Ich bedauerte nur, daß ich mich so arg in Elsie getäuscht hatte. Ihr ganzes Verhalten war mir unerklärlich. Sie hatte mich doch in der Nacht befreien wollen?!

War auch das nur Berechnung gewesen?!

Der Kutter lag in einer engen Bucht. Droben auf der Uferhöhe im Gebüsch standen die beiden Zelte, eins für uns vier Männer, das andere für die beiden Bellegards. – Es war jetzt halb sieben morgens. Wir holten unsere Lederrucksäcke aus dem Kutter, Mac legte auf den kleinen Tisch in der Kajüte die dreißig Pfund in Banknoten hin, die er von dem Lord als Anzahlung für seine Führerdienste erhalten hatte, und dann verließen wir den Benzinstänker wieder und wanderten nordwärts am Seeufer dahin.

Ich blickte von einer Anhöhe nochmals zurück. Ich sah die beiden braunen Leinenzelte nur noch als winzige Kegel gegen den grünen Hintergrund. Aber ich sah auch eine ebenso winzige Gestalt und ein flatterndes weißes Tüchlein.

„Vorwärts!“ grollte Mac ungeduldig. „Bis zu meinem nächsten Unterschlupf sind es noch drei Stunden, und der Tag wird heiß, Abelsen … Wenn die Bienen so eifrig bei der Arbeit sind wie heute, melden sich nachher auch die Hornissen, falls man eben nicht jede Spur hinter sich verwischt.“

Da verstand ich ihn. Er rechnete damit, daß Bellegard uns verfolgen würde.

Elsies weißes Tüchlein mochte Hohn und Drohung gewesen sein.

„… Halten Sie sich dicht hinter mir, Abelsen … Nun geht es diesen Berg hinan, droben beginnt der Urwald … Selbst Jazintos verdammt scharfe Augen sollen keine Fährte auf diesem Wildziegenpfade entdecken, der so an die zwanzig Abzweigungen weiter nach oben hat.“

Hiermit war das Gespräch für anderthalb Stunden beendet, denn bei dem Anstieg brauchte man die Lungenkraft für jeden Schritt.

Bevor wir nachher in den schweigenden Dom des Waldes eintauchten, schaute ich mich nochmals nach dem Biba-Schoni-See um, erkannte auch das Inselchen, freute mich über die im Sonnenlicht gebadete weite Wasserfläche und nahm Abschied für immer von dieser großartigen, so abwechslungsreichen Landschaft, die mir so viele aufregende, frohe und wehmütige Stunden beschert hatte. Drüben auf der höchsten Kuppe der gekenterten Wand der Goßli lag die für meine Freunde bestimmte Blechbüchse. Sie würden sie finden … Sie würden mich vergessen, wie sie das Ungemach vergessen würden, das die güldenen Schätze der Helga Goßli für immer menschlichem Zugriff entzogen hatte.

Mac, mein neuer Freund Mac, war bereits im Waldesdunkel halb verschwunden. Ich beeilte mich, holte ihn ein, – er meinte mit gutmütigem Spott: „Abelsen, Sie sind zu sehr Schwärmer, Idealist … Sie klammern sich zu sehr an Vergängliches … Und vergänglich ist alles: Liebe, Freundschaft, Treue …!“

Seine Stimme gleicht jetzt fast der Lord Bellegards – schwirrende Stahlsaite …!

„Treue, Mac, – die streichen Sie nur aus Ihrem Unkengekrächz!“ erwiderte ich gutgelaunt und bückte mich und klopfte Taito den Rücken. „Wo Menschen versagen, Mac, da versagt ein treues Tier niemals!“

„Allerdings …“ – und er nickte gedankenvoll. „Ich hatte mal drüben in Kanada einen gezähmten Wolf als Leithund vor meinen Schlitten … Aber das sind Geschichten von einst wie vieles andere … Glauben Sie mir: Dreißig Jahre als Waldläufer, als Fallensteller, – – man erlebt da allerhand, und man wird Jahr um Jahr härter und verschlossener. Enttäuschungen gibts, bittere Enttäuschungen … Ihnen traue ich … Wie heißen Sie doch mit Vornamen?“

„Olaf Karl …“

„Dann will ich dich Olaf nennen …! – Ich finde, es ist ein Unfug, sich hier in der Wildnis mit dem förmlichen „Sie“ abzuquälen … Hand her, Olaf …!“ Er war stehen geblieben, er streckte mir seine sehnige braune Hand hin. „Du, – noch nicht alles weißt du über die geheimnisvollen Europäer dort hinter den Sümpfen zwischen den beiden Gebirgszügen … Später hörst du den Rest … – Auf gute Kameradschaft, Olaf! An den Edelsteinen liegt mir nichts, – damit du mich nicht falsch beurteilst. Aber an dem Geheimnis liegt mir etwas. Ich wittere da etwas Besonderes … – Weiter also!!“

Er bog sehr bald scharf nach Süden ab.

Mittags erreichten wir das, was er seinen „Unterschlupf“ genannt hatte. Er hatte mir darüber nichts verraten und weidete sich jetzt an meiner grenzenlosen Verblüffung …

 

3. Kapitel.

Um das Land der Smaragd-Leute[5].

… Formosa?! – Wer kennt es? – Wenige. – Die Japaner allerdings. Die fügten es 1895 nach dem siegreichen Kriege mit China ihrem Inselreiche zu. Viel Freude hat ihnen diese Eroberung nicht gebracht: Blutige Kämpfe mit den Ureinwohnern, zumeist sehr kriegerischen Nachkommen der eingewanderten malaiischen Seeräuber. – Ein Fehlgriff war auch die Einführung des Kampfermonopols, das einen starken Rückgang der europäischen Handelsniederlassungen an den Küstenstrichen zur Folge hatte.

Im übrigen: Eine 380 Kilometer lange und 120 Kilometer breite Insel an der Ostküste Chinas, von China durch die Fukienstraße getrennt, – für die Japaner und Chinesen stets „Taiwan“, nicht Formosa, – nur schmaler bewohnbarer Küstenstreifen, im Innern Gebirge bis zu 4400 Meter Höhe, – drei Gebirgsketten durchziehen dieses Taiwan, das durch Fieberluft, Regengüsse, Erdbeben, schwere Gewitter und kopfjagende braune Wilde berüchtigt ist. – Einwohnerzahl rund drei Millionen, davon eine halbe Million im schwer zugänglichen Innern (zwischen den drei Gebirgsketten) noch völlig selbständig und erst in letzter Zeit durch vorgeschobene Polizeiposten angeblich zur Kopfsteuer herangezogen.

Das mag genügen. Für mich. Vielleicht auch für andere. Ich weiß es nicht. Ob meine Tagebücher den Weg ostwärts in eine europäische Druckerei gefunden haben – mag sein. Schwieriger, nein, unmöglich wäre es einem Verleger, mir das Honorar zuzustellen. Die Gegenden, die ich besuchte, besitzen keine Postanstalten, und meine „Anschrift“ wechselt zu häufig. Sie lautete vor Jahren: Zuchthaus Sowieso bei G. in Schweden, – sie lautet heute:

Formosa, an den westlichen Abhängen der Taito-Gebirgskette, achtzig Kilometer vom Mount Morrison nach Süden zu, fünfzig Kilometer westlich der Polizeistation Bab Mandu, in Mr. Mac Loow Barnys Unterschlupf.

Ob ein Oberpostschaffner oder gar ein Postminister damit etwas anzufangen wüßte, bezweifle ich. – –

„Na, was sagst du nun, Olaf?!“ meinte Freund Mac, als wir die steinige Waldlichtung erreicht hatten und er dann nochmals wiederholte:

„Dies ist eine meiner Notbehausungen, – ich besitze davon im ganzen Mitteldistrikt verteilt so etwa ein Dutzend.“

Ich schaute, spähte, schaute mir die Augen aus, – ich konnte beim besten Willen nichts weiter bemerken als einen dünnen Bach, der sich über die kahle, felsige Lichtung bescheiden hinwegschlängelte, und mitten in der Lichtung einen einzelnen jener riesigen Kampferbäume, die als Patriarchen der Urwälder ihre himmelhohen Kronen auf dem soliden Fundament eines Stammes von gut vier Meter Durchmesser emporrecken und die sämtlich im Kampf mit den Gewittern ihre ehrenvollen Narben in Gestalt von breiten Rindenfurchen davongetragen haben – – Blitznarben.

Wir standen mit unseren Rucksäcken etwa zehn Meter vor dem Baume – müde, in Schweiß gebadet. Und wir standen in der grellen Sonne, kein Vergnügen! Aber Mac schien gerade dies großen Spaß zu machen. Ihm tat die Sonne nichts, mir auch nicht viel, ich war an Hitze gewöhnt, nur der betäubende Duft dieses Urwaldgiganten bereitete mir fast Übelkeit.

Mac lachte. „Nun gib mal acht, Olaf …! Du wirst noch überraschter sein!“

Er stieß einen gellenden Pfiff aus, der etwa dem schrillen Schrei eines Raubvogels glich. Daraufhin geschah folgendes: In Mannshöhe des Dryobalanoys, auch Flügeleiche oder Kampferölbaum, klappte ein viereckiges Stück der rissigen Rinde herab, und in dem Guckfenster erschien ein braunes, schmales, kühnes Gesicht, das dann sofort wieder verschwand.

„Tikku ist auf dem Posten,“ lobte Mac schmunzelnd. „Tikku ist nämlich mein – na sagen wir Hausverwalter, ein reinblütiger Lamsi, und die haben noch das meiste malaiische Blut in den Adern.“

Das wußte ich längst. Dazu war ich doch schon lange genug auf Formosa.

„… Jetzt wird Tikku die Tür öffnen, und dann …“ – aber diese Erklärung Macs entsprach leider nicht den Tatsachen.

Ein anderes Gesicht tauchte hinter dem Klappfenster auf, zugleich ein Büchsenlauf, und Jazintos olivengrüne Gaunervisage nebst zugehörigem Nasenverband verriet eine geradezu diabolische Freude über den wohlgelungenen Streich.

„Werft eure Schießprügel weg!“ sagte er patzig. „Ihr Tikku, lieber Mac, ist ein unedler Dummkopf … – Weg mit den Büchsen!! Oder …“

Mac schüttelte mißbilligend den Kopf.

„Jazinto, du leierst hier ein Sprüchlein ab, das dir nicht recht liegt … Wirklich nicht …! Du magst ja so schlau gewesen sein, stets hinter uns zu bleiben und erst hier, wo du meinen Schlupfwinkel vermutetest, uns vorauszueilen. Du hast auch Tikku überwältigt und gezwungen, sich am Fenster zu zeigen. Alles sehr schön … Nur die Rechnung stimmt nicht ganz, Jazinto. Ich habe nämlich zwei mir sehr ergebene Lamsi-Leute in meiner Behausung, und der andere, Jazinto, hockt dort auf jenem Ast und wartet nur auf mein Zeichen, dir eine Kugel durch dein Hirn zu blasen – – das ist es! Schau nur bitte mal nach oben, schräg rechts …, so – siehst du …“

Nein, Jazinto sah gar nichts, konnte auch nichts sehen, denn es gab keinen zweiten Hausverwalter, es gab nur einen gewissen meterlangen Hund mit unglaublicher Gelenkigkeit, der auf den Namen Taito hörte und der jetzt sehr programmäßig auf meinen leisen Befehl wie ein Blitz vorschnellte und sich in elegantem Sprung an Jazintos Brust verbiß.

Der mexikanische Mischling brüllte wie am Spieß … Half ihm wenig, denn Taito hielt fest, und Mac war genau so flink … Die Rindentür befand sich auf der anderen Seite, er rannte hin, es war meines Erachtens eine verkehrte Taktik, mit Jazinto konnten wir schneller einig werden, und ich besorgte das sehr gründlich, indem ich den üblen Burschen samt den an seiner Brust hängenden Taito einfach durch das Fenster ins Freie zog.

Der Hund hatte den Olivgrünen ziemlich übel zugerichtet. Ein Wunder war es, daß diese freche Spottgeburt von fragwürdigsten Blutmischungen überhaupt noch lebte. Hätte Taito auch nur einige Zentimeter höher zugepackt, wäre Signor Jazinto sämtlicher irdischer Sorgen für immer überhoben gewesen.

„Taito – loslassen!!“

Gut gesagt. – Taito hatte den Verlust des linken Ohres ebenso wenig vergessen wie den zweiten Hieb mit dem Jagdmesser über seinen narbenreichen Schädel. Er ließ nicht los. Er hatte sich da in ein paar Hautfalten verbissen, und erst ein gehöriger Jagdhieb brachte meinen vierbeinigen Freund wieder zur Vernunft.

Jazinto lag blutend und nach Luft schnappend am Boden. Der Verband war von seiner Nase herabgeglitten, – Signor Jazinto hätte unter diesen Umständen Mitleid verdient, wenn nicht sein minderwertiger Charakter derartige Empfindungen sofort im Keime erstickt hätte.

Er setzte sich aufrecht, – ich traute meinen Ohren nicht, als er in demütigstem Tone hervorwinselte, das alles sei ja nur ein Spaß gewesen, er hätte uns nur abschrecken wollen – – und was so des unsinnigen Geredes noch mehr war.

Dabei spürte ich den heimlichen Haß und die wütendste Rachsucht in seinen schwarzen glühenden Augen so deutlich, als ob er mir unverhohlen seine wahren Gefühle ins Gesicht gebrüllt hätte. Das wäre ehrlich gewesen, das hätte ich ihm verziehen, aber diese widerliche Scheinheiligkeit empörte mich derart, daß ich den Burschen mit einem Fußtritt halb in den Bach beförderte …

„Da, wasch dir deine Schrammen aus! Und wenn du den Versuch machst zu entfliehen, werden wir dir hier irgendwo ein genügend großes Loch schaufeln!“

Jammerlappen, wie er so im Wasser hockte und mit den tadellosen Raubtierzähnen knirschte und doch nicht wagte, nochmals das Maul zum Geifern zu öffnen!

Ich wandte mich weg.

Und – – vor mir stand Elsie Bellegard, dicht vor mir, an eine der leistenförmigen Außenwurzeln des Baumgiganten gelehnt, mit einer halb erhobenen Pistole spielend, um den Mund ein rätselvolles Lächeln.

Also so lagen die Dinge!! Nicht nur Signor Jazinto war uns gefolgt, auch die Bellegards hatten sich an diesem Gewaltmarsch beteiligt, um uns hier abfangen zu können. Schade, daß meine Büchse zehn Schritt hinter mir im Geröll lag!!

„Nicht wahr, ein unverhofftes Wiedersehen!“ meinte Elsie unmerklich schadenfroh. „Sie werden uns eben so leicht nicht los, Mr. Abelsen. Mein Vater fand es auch etwas übereilt von Ihnen, auf ein Wagnis einzugehen, das Ihnen Kopf und Kragen kosten kann – so sagt man ja wohl in mild umschriebener Form.“

„Ja – das sagt man,“ – – und Elsie Bellegard, getäuscht durch meine lässige Haltung, war peinlichst überrascht, als ich ihre Pistole sehr unsanft durch einen Fausthieb hoch in die Luft beförderte.

„Oh – – Sie sind kein Gentleman!“ rief sie, als ich genau so rücksichtslos ihr auch das Messer und die zweite Pistole abnahm, wobei es sich nicht vermeiden ließ, daß unsere Körper in innigste, aber hier sehr unerwünschte Berührung gerieten.

Sie war wieder genau so blaß geworden wie heute früh, als der brave Mac ihr so kräftig die Leviten gelesen hatte. Schade, es hatte nicht viel geholfen, wie dieser neue Zwischenfall zeigte, und daß ich unter diesen Umständen zu energischeren Erziehungsmethoden griff, konnte mir niemand verargen.

„Ihre Hände, Miß – – bitte!“

Mein Lasso bekam angenehme Verwendung.

Daß er einmal so zarte feine Handgelenke umspannen würde, hatte er sich wohl nicht träumen lassen, und daß er jetzt dieses reizende, kühne, fragwürdige blonde Mädel an einer Luftwurzel festhielt, mochte dem guten sechssträhnigen Riemen ungeahntes Erlebnis sein.

„Verhalten Sie sich still!“ befahl ich eindeutig grob, holte rasch meine Winchesterbüchse und bedeutete dem klugen Taito, bei Elsie Wächter zu spielen.

Taito nahm die Sache nicht recht ernst, oder aber sein Instinkt für gut und böse versagte, denn er wedelte Elsie freundlich an, richtete sich an ihr hoch und erhielt als Dank ein süßes Lächeln und ein paar weiche Koseworte.

Damals zweifelte ich allen Ernstes an Taitos gesunder Urteilsfähigkeit.

Oder, – war es bei mir ein anderes Gefühl?! Waren in mir doch Zweifel aufgestiegen, ob Elsie Bellegard hier nur eine undurchsichtige, trotzdem im Kern einwandfreie Rolle spielte?!

Ich umschritt den Kampferriesen, fand die Rindentür offen und daneben auf einem flachen, hohlen Stein, der halb mit Wasser gefüllt war, den riesigen Schwarzen sitzen, dem es gar nichts ausmachte, daß seine Englisch-Lederhose hinterwärts stark durchfeuchtet wurde.

Dieser Wumbo (Lord Bellegard hatte ihn genau wie den Musterknaben Jazinto erst in der Hafenstadt Anping angeworben) grinste mich vergnügt an und sagte achselzuckend:

„Mr. Abelsen, ich sein neutral, ich mich halten stets zu stärkerer Partei …“ – ein Ausspruch, der mir anderswo und unter anderen Umständen zweifellos ein ehrliches Lachen entlockt hätte. Jedenfalls war Wumbo ein Pfiffikus, der tadellos im Betriebe eines Kulturstaates abgeschnitten hätte.

„Wo ist Mac?“ fragte ich trotzdem etwas argwöhnisch.

Aus dem Halbdunkel des hohlen Baumes kam die beruhigende Antwort, daß Freund Mac soeben Seine Lordschaft wieder ins Bewußtsein zurückzurufen versuche.

„Olaf, meine Faust scheint für eine reinblütige englische Schläfe zu hart zu sein,“ erklärte der gebürtige Schotte des weiteren mit seinem grimmen Humor. „Bist du mit denen da draußen fertig? – Dann schneide mal meinen braven Tikku los, den sie hier wie einen Hammel auf kleiner Weide angeseilt haben.“

Man konnte wirklich nicht behaupten, daß diese Baumwohnung am Überfluß an Licht litt. Das hatte seine guten Gründe, denn so ein uralter, knorriger Kampferbaum der Gattung „Flügeleiche“ wird von den Kampfersuchern meist wenig sachgemäß und sehr rücksichtslos behandelt.

Was Kampfer ist, weiß jeder. Mottenpulver, Kampferspritzen – – bekannt! Weniger bekannt, schätze ich, wie dieses Produkt gewonnen wird. Mich hat erst Freund Mac hierüber aufgeklärt. Zunächst gibt es zwei grundverschiedene Arten der Kampferbäume. Die eine, zur Gattung der sogenannten Laurazeen gehörig, ist mäßig hoch, gleicht einer Linde, bildet große Wälder in Ostasien, besonders auf Formosa, und liefert den „echten“ Kampfer, indem man diesen auf chemischem Wege dem zerkleinerten Holze entzieht. Diese Art Kampferbaum ist derart mit Kampfer durchsetzt, daß selbst die feinsten Wurzeln, Blätter, Blüten, Rinde und jungen Triebe sehr scharf riechen und schmecken. Das Holz liefert außerdem wegen seiner Härte und feinen Maserung das Material für kostbare Möbel, denen für alle Zeit ein feiner Kampferduft anhaftet. – Ganz anders der sogenannte ostindische, der unechte Kampferbaum, der bis zu fünfzig Meter hoch wird, Flügeleiche genannt wird, weil der Stamm breite, leistenartige Wurzelansätze hat, und dem man durch Anbohren ähnlich wie bei Birken einen harzigen Saft entzieht, dessen chemische Bestandteile in der Hauptsache das Borneoöl, ferner Harz und schließlich Kampfer sind. Bei alten Stämmen tritt nun die merkwürdige Erscheinung ein, daß gerade der Kampfer sich inmitten des Holzes in Hohlräumen in Klumpen ablagert, so daß Kampfersucher einen solchen Baumgreis kunstgerecht mit Axt und Beil aushöhlen müssen, um diese Kampferstücke zu finden. Sie gehen dabei (Regierungsvorschrift!) so zu Werke, daß der Baum, obwohl innen ausgeplündert und hohl, nicht absterben kann, lassen also die Rinde und die Außenschicht unberührt. Ein solches Suchen nach Kampferstücken wäre nun außerordentlich mühsam, wenn das Holz etwa die Härte des „echten“ Kampferbaumes besäße. Dies ist nicht der Fall. Im Gegenteil, je älter eine solche Flügeleiche ist, desto weicher, mürber wird ihr Kern. Nur Rinde und Außenring behalten ihre Härte und Tragfähigkeit. Trotzdem geschieht es häufig, daß derart ausgeplünderte Riesenstämme bei einem Gewittersturm umknicken und dann beim Sturz eine Menge anderer Bäume mit umreißen. – Ein weiterer Unterschied dieser Giganten zu den bescheideneren, aber häufiger zu findenden „echten“ Camphoreen besteht darin, daß das Holz der „Flügeleiche“ nur ganz schwach nach Kampfer riecht und nur die weißen Blüten sehr aufdringlich duften.

Unser Kampferriese hier stand nun gerade in vollster Blüte. Deshalb auch der scharfe Geruch, der mir so unangenehm gewesen war und der es mir, so glaubte ich zunächst, unmöglich machen würde, in dieser Baumhöhle auch nur eine Nacht zuzubringen. – Grober Irrtum: die Blüten duften nur bei Sonnenbestrahlung und schließen sich wieder, sobald auch nur der Himmel mit leichtem Gewölk bedeckt ist. Mithin verschwindet der Kampfergeruch nachts fast vollkommen.

Und nun das Innere unseres Baumes. Meine Schätzung auf vier Meter Durchmesser war zu bescheiden gewesen. Der Riese hatte gut fünf Meter, und die Höhlung im Innern war so geräumig, daß Freund Mac als praktischer Hausherr im Innern noch eine Art Hängeboden eingerichtet hatte.

Vor der Tür hing innen ein feines, enges Flechtwerk als Schutz gegen die Moskitos und war unten durch eine Holzstange beschwert, nahm jedoch sehr viel Licht weg, zumal in zwanzig Meter Umkreis um den Stamm ohnedies Schatten herrschte. – Ich schob den Vorhang beiseite, trat ein, – er fiel hinter mir wieder zu und erst nach einigem Bemühen unterschied ich dann auf dem lehmgestampften Boden ein paar Gestalten, befreite den mir sofort sehr sympathischen Tikku von seinen Stricken und half hierauf Freund Mac, den Lord ins Freie zu tragen.

Wer den kleinen dürren Mac und den fast athletischen Lord so nebeneinander sah, hätte nie im Leben geglaubt, daß Mac Loow Barnys Faust diesen kräftigen Mann fällen könnte. Aber der Schotte war nichts als Knochen, Muskeln und Sehnen, an diesem mageren Körper gab es kein halb Pfund überflüssiges Fleisch. Nie lernte ich einen Menschen kennen, der über derartige Kräfte, über so gesunde Organe und über solche Zähigkeit verfügte. Selbst die Vorliebe für Reisschnaps konnte diesem Muskelgerüst nichts anhaben.

Der Lord kam zu sich. Als er die Augen aufschlug, fiel sein erster Blick auf Elsie. Sein braunes Gesicht wurde dunkler vor Zorn. Im Nu war er auf den Beinen, – aber er taumelte, mußte sich gegen den Stamm stützen, und diese Pause brachte ihn wieder zur Vernunft.

Mac stand sehr hundeschnäuzig daneben und drehte sich eine Zigarre, der Lamsi Tikku, ein Prachtkerl von Kopfjäger mit wunderbar ebenmäßigen Gliedern und sehr intelligenten Zügen, hatte derweil den Signor Jazinto herbeigeholt und gleichfalls gefesselt.

Bellegard sah sein Spiel abermals verloren. Er wandte sich mir zu und sagte etwas beschämt: „Mr. Abelsen, ich hätte die Sache anders einleiten sollen …“

„Scheint so,“ nickte ich und nahm ihm kurzer Hand die beiden Pistolen ab, was er auch wortlos duldete.

„Sie mißverstehen mich,“ fügte er dann erst leicht gereizten Tones hinzu. „Elsie hätte Ihnen und Mac schon heute früh die Wahrheit sagen sollen.“ Er zögerte etwas. „Was Mac Ihnen erzählt hat, ist mir nichts Neues, Mr. Abelsen. Bitte – lesen Sie …“

Er faßte in die Tasche und reichte mir einen Zeitungsausschnitt der „Little Times“, den ich rasch überflog.

Ich war wirklich erstaunt, hier schon all das gedruckt zu finden, was Mac mir über die Gerüchte von den blonden Fremdlingen inmitten der Sümpfe Formosas mitgeteilt hatte. Natürlich fehlte Macs persönliches Abenteuer jener Nacht, in der man ihn regelrecht hatte aufknüpfen wollen.

Bellegard steckte den Zettel wieder zu sich. „Sie sehen, Abelsen,“ meinte er mehr vertraulichen Tones, „daß ich im Auftrage der „Little Times“ diese Gerüchte in aller Stille nachprüfen sollte, – Sie sehen, daß ich nicht lüge. Nur deshalb hat man mich hier nach Formosa geschickt, Tatsache.“

„Ich glaube Ihnen,“ – und ich ging zu Elsie, entschuldigte mich und nahm ihr die Fesseln ab, was Taito, diesem treulosen Schürzenjäger, ein sehr reichliches Schweifwedeln entlockte.

Bellegard bat Mac und mich dann beiseite. „Ich möchte nicht, daß Jazinto und Wumbo uns hören,“ sagte er leise, – was man bei ihm so „leise“ nennen konnte. „Ich gebe zu, Mr. Abelsen, daß mein Vorgehen gegen Sie auf der Insel recht brutal erschien. Bedenken Sie aber, daß ich in der Tat trotz meines Titels ein armer Teufel bin und daß mich der Goldrausch gepackt hatte. Ich kannte mich kaum wieder, als wir damals Ihre Freunde belauscht und so erfahren hatten, daß die Insel ungeheure Mengen gediegenen Goldes enthielt. Elsie suchte mich aus diesem Rausch wachzurütteln, – es gelang ihr nicht, erst als Mac auf Sie feuerte, kam ich gleichsam wieder zu mir und erkannte die Ungeheuerlichkeit meines verwerflichen Vorhabens. Ich will mich nicht besser machen als ich bin, – Armut ist mir das Kläglichste, Niederdrückendste, und die Abhängigkeit von den Bonzen der „Little Times“ dort in London …“

„Schon gut …“ wehrte ich ab.

Mir lag weit mehr an dem, was Bellegard bisher über die blonden Fremden nicht verraten hatte, und zweifellos war er in diesem Punkte besser eingeweiht als selbst Freund Mac.

Bellegard reichte mir impulsiv die Hand.

„Bitte, tragen Sie mir diese moralische Entgleisung nicht weiter nach … Wir müssen gemeinsam handeln. Und als unversöhnliche Gegner ist das unmöglich.“

Wir blickten uns lange an, und der Händedruck zwischen uns tilgte dann wirklich alles aus.

„… Also nun zu meinem Auftrag – in aller Kürze,“ fuhr der Lord sichtlich erfreut fort. „Meine Zeitung verdankt die Angaben des kurzen Artikels einem Konsulatsbeamten aus der Hafenstadt Kelung. Dieser Herr, ein eifriger Jäger, kam häufiger mit Ihren Kollegen zusammen, lieber Mac. Es mag ein Jahr her sein, als er auf gut Glück mit drei Eingeborenen gleichfalls bis zum Rande der Sümpfe vordrang …“

Bellegard holte tief Atem …

„Und – er kehrte allein zurück, mit einer Kugel im Schenkelfleisch, mehr tot als lebendig. Sein Onkel ist nun einer der Mitinhaber des Zeitungskonzerns, und ihm schrieb er seine Erlebnisse auf – ihm allein: Seine Begleiter waren nachts aus dem Lager verschwunden, – er selbst erhielt in derselben Nacht eine Kugel von oben und fand morgens seine drei braunen Gefährten … erdrosselt vor … erwürgt durch eine Schlinge.“

Mac nickte ernst. „Kenne ich, – nur daß in meinem Falle der Mann mit dem Smaragd dran glauben mußte …“

„Oh, Sie kennen nicht alles,“ erklärte Bellegard immer erregter. „Denn jener Konsulatsbeamte hatte ein vorzügliches Fernrohr bei sich, hatte einen sehr hohen Baum erklettert und bei Tage jenseits des Sumpfgürtels deutlich einige Holzhütten mit rauchenden Schornsteinen und einen weit größeren langgestreckten Schuppen erkannt, bei Beginn der Dunkelheit dann auch mehrere Lampen von sehr starker Leuchtkraft … – Auch ich neige deshalb der Ansicht zu, daß dort Edelsteine in großen Mengen geschürft werden und daß die Leute über ein Flugzeug oder Luftschiff verfügen und ihre Steine heimlich nach der Küste schaffen, wo sie irgendwo an einsamer Stelle einen Vermittler sitzen haben, der …“

Macs verächtliches Grinsen verschlug ihm die Rede.

„Also – nur der Edelsteine wegen wollen Sie Ihre Haut zu Markte tragen,“ meinte er achselzuckend und spie den Stummel seiner Giftnudel ins Gras. „Nein, Mylord, – da mache ich nicht mit! Wenn Ihr sogenannter Konzern dort billige Fische fangen möchte – seine Sache!! Mich treibt anderes dorthin, ganz anderes, – dreißig Jahre liegen hinter mir, dreißig Jahre, in denen ich wie ein Wilder gelebt habe und meine schottische Heimat nie wiedersah und nur ein paar wirklich glückliche Jahre kennen lernte.“ Eine dunkle Wolke von Trauer glitt über sein Gesicht, das lediglich durch diesen furchtbaren ungepflegten Riesenbart und die rötliche Haarmähne verunstaltet wurde. „Was wissen Sie von mir, Lord Bellegard – – nichts!! In Schottland gibts ungezählte Mac Barnys, die einen sitzen auf Pachthöfen, die anderen sind Fischer, ein paar andere hausen als Uradel auf uralten Schlössern. Suchen Sie sich da heraus, aus welchem dieser Nester ich da hervorgekrochen bin! Das eine sage ich Ihnen: Es war kein schlechtes! Aber der Teufel saß meinen Vätern im Blute, der Jähzorn war erblich, und … daß ich ihn bei mir austilgte, danke ich den endlosen Winternächten in Nordkanada und der grauenhaften Einsamkeit. – Nicht wahr, Sie fragen sich nun im stillen: Was soll das alles?! – Oh, das soll schon etwas, das sollte nur der Vorspruch sein für dies. – Auch ich hatte damals ein Fernglas mit, auch ich erblickte so manches jenseits des Sumpfringes, über dem die Stechmücken wie Wolken schwebten! Auch ich möchte von dort aus dem Reiche der blonden Fremden etwas holen, aber keine Edelsteine, kein Gold, sondern das, was mein war, was mir höchstes Glück bedeutete, was Inhalt meines Daseins gewesen und mir … entschwand, weil ich ein selbstsüchtiger Narr war! – Blicken Sie mich nicht so zweifelnd an, Lord Bellegard …! Ihnen mag ich als halb vertierter Instinktmensch erschienen sein, – Sie sind bei Gott kein Menschenkenner, – Abelsen liest besser in fremden Zügen, in euren dumpfen Großstädten werdet ihr blind, nur die freie Natur macht sehend und schärft die Augen und stählt den Leib und die Seele. Die meine ging nie in die Irre, ich bin mir selbst nie untreu geworden, – und heute schäme ich mich fast meines schäbigen, verwilderten Äußeren … – Genug davon! Jedenfalls – wir, Lord Bellegard, können nicht Halbpart machen …! Halbpart, sagte ich zu Abelsen, und er verstand mich nicht und konnte mich auch nicht verstehen. Jetzt weiß er mehr als heute morgen. Der Rest aber bleibt mein, bis ich Gewißheit habe. – Nachmittags brechen Olaf, Tikku und ich von hier auf … Was Sie tun – Ihre Sache! Und das ist mein letztes Wort.“

Er wollte davongehen. Bellegard packte seinen Arm. „Mac, noch einen Augenblick …“

„Was soll das?!“ knurrte der Schotte unwirsch. „Gemeinschaft zwischen uns?! – Niemals!!“

„Vielleicht doch,“ sagte Bellegard besänftigend. „Wenn ich Ihnen nun mein Wort gäbe, daß ich lediglich als Forscher mit in jene unbekannte Wildnis eindringen will?! Würde Ihnen das nicht genügen?! – Mac, ich will sogar noch einen Schritt weiter gehen und Sie bitten: Nehmen Sie uns mit! Ich darf nicht ohne positive Ergebnisse von dieser Expedition zur Küste zurückkehren. Die Zeitung hat ein kleines Kapital drangesetzt, mich hierher zu schicken, und ich wäre ein Lump, wollte ich lediglich den Vergnügungsreisenden spielen …“

Der Leopardenjäger zauderte. Seine scharfen Augen ruhten durchdringend auf Bellegards männlich-kraftvollen Zügen.

„Gut denn,“ entschied er kurz. „Aber das merken Sie sich: Ich bestimme, was geschieht, ich allein und der, der da etwa nach funkelnden Steinen greift, falls wir Glück haben und hinkommen, der ist geliefert! Ich schieße nie vorbei, Abelsen auch wohl nicht, und mein brauner Tikku legt Sie mit seinem Bogen und seinen vergifteten Pfeilen selbst auf achtzig Meter glatt um. – Tikku – hallo,“ – er winkte dem schlanken Burschen, den ich vielleicht auf dreißig Jahre schätzte.

Der Lamsi hatte bisher wie eine Statue regungslos an einer der hohen Wurzelleisten gelehnt. Vielleicht kam das vollendete Ebenmaß seiner Glieder (er trug nur ein braunes, schmales Hüfttuch, Sandalen und einen Hüftgurt mit Messer und veraltetem klobigem Revolver) gerade in dieser Ruhelage des Körpers und in dieser Entspannung der scharf abgezeichneten Muskelwülste so vorteilhaft zur Geltung.

Er hatte uns drei still beobachtet, – das war mir nicht entgangen, – er hatte die ruhelosen schwarzen starren Augen all dieser Bergvölker des Innern von Formosa, fast unheimliche Augen mit kaltem durchbohrenden Blick, – er besaß auch jenen ungewohnt hochmütigen Zug in dem schmalen, prägnanten Gesicht, der gleichfalls so vielen kriegerischen Naturvölkern eigen ist. Ich denke da nur an die Somals, die Somali, wie man fälschlich sagt, an viele indische Völker auch. Von den vier Hauptstämmen Formosas, den Pegohoans, Lamsihoans, Lekhoans und Chihoans stellen die Lamsis zweifellos den reinblütigsten malaiischen Typ dar. Nach ihnen die Lekhoans, sie sind stark mit chinesischem Blute vermischt und haben daher auch die üblen Eigenheiten Chinas mit übernommen: Verlogenheit, ungeheure Gleichgültigkeit gegenüber dem Gemeinschaftsgedanken und kriecherische Unterwürfigkeit, gepaart mit raffiniertester Heuchelei. Anderseits: Die Genügsamkeit der Chinesen, ihr nicht anzuzweifelnder persönlicher Mut, der bis zu unbegreiflicher Todesverachtung geht, dazu die unbegrenzte Heimatliebe und Verehrung der Vorfahren, – das sind wieder Buchungen auf der Plusseite, die vieles wettmachen.

Tikku kam.

Langsam, federnden Schrittes, den Kopf mit dem straffen, gescheitelten, durch Muschelketten verzierten Haar leicht zurückgeworfen – ein Prachtkerl …!

Ich ahnte in der Minute nicht, daß Tikku mir einst sehr, sehr nahe stehen würde, fast so nahe, so teuer meinem Herzen wie der unvergeßliche Coy.

Er stand vor uns. Mac nickte ihm zu.

„Tikku, nachmittags brechen wir auf,“ sagte Mac sehr selbstverständlich. „Besorge bis dahin noch Wild … Wir werden bei dem bevorstehenden Eilmarsch kaum Zeit finden für die Jagd.“

Der Lamsi hob die rechte Hand und deutete ringsum auf die Randbüsche der Lichtung.

„Tuwan Mac,“ erwiderte er und kniff die harten Augen klein, „es war nicht gut, daß am Biba-Schoni geschossen wurde … Der Urwald ist voller Feinde. Die Chis sind über die Berge gekommen, und …“

Taitos jähes helles Blaffen ließ uns nach dem Hunde hinüberblicken, der sich von seiner neuen Freundin Elsie getrennt hatte und auf einen gestürzten Kampferbaum am Nordrande zugelaufen war.

„Hinwerfen!“ schrillte Macs warnende Stimme. „Hinwerfen, – die verdammten Chis wollen …“

Ein leiser Aufschrei folgte – ein qualvolles Ächzen …

In Mac Loow Barnys Brust steckte ein meterlanger gefiederter Pfeil.

Andere Pfeile flogen über uns hinweg … Schüsse knallten … Selbst Wumbo gab sein fragwürdiges Prinzip schlauer Neutralität auf …

Der Angriff wurde abgeschlagen.

Aber Mac Barny starb im Innern des Kampferbaumes eine halbe Stunde drauf in meinen Armen. Nur Tikku und Taito waren noch zugegen.

Was Mac mir mit erlöschender Stimme als heiliges Vermächtnis anvertraute, war die beklagenswerte Tragödie eines Vaters, der sein einziges Kind suchte …

 

4. Kapitel.

Der Geisteradler[6].

… Über alledem ist die Nacht hereingebrochen. Draußen neben dem Baumriesen stehen die beiden Zelte … Zwischen ihnen flackert das Lagerfeuer, und an dieser knisternden Glut, vom Flammenschein umspielt, sitzen einsam und schweigsam Tikku und Wumbo. Zuweilen erhebt sich der Lamsi und schreitet lautlos in die Finsternis hinaus und macht die Runde. – Die Chis haben acht Tote gehabt, es mögen ihrer im ganzen fünfzig gewesen sein, sie sind abgezogen, geflüchtet … Die blutige Lehre kühlte ihre wilden Hirne.

Acht tote Chis und Mac Loow Barny haben wir begraben. Jetzt bin ich Herr der Expedition, – so hat es Mac bestimmt.

Ich sitze in der Baumwohnung vor Macs Klapptisch vor der brennenden Karbidlampe und schreibe.

Schreibe …

Neue Menschengeschicke enthüllten sich mir, neues fremdes Leid wurde mir zu neuer Erkenntnis. – Bellegard, Elsie, letzte Sprossen verarmten Adels, – er vielleicht haltlos, wankelmütig trotz der prunkenden Stimme, sein Kind, – ich weiß nicht, wie ich sie einschätzen soll. Elsie klingt so weich … zu weich, und ich habe mir zugeschworen für immer: Nie wieder zarteren Gefühlen nachgeben, – hart bleiben, steinhart – – wie der da draußen, der Lamsi Tikku, Sohn eines Häuptlings freien Bergvolkes, vom eigenen Vater verjagt, weil der für sein Ansehen fürchtete, weil der Sohn über ihn hinauswuchs …

Neid, kleinlicher Neid eines fetten Tyrannen, – – und vielleicht, vielleicht ein ähnliches Schicksal daher wie das des armen Mac, den auch der eigene Vater von heimischer Scholle jagte.

Menschenschicksale …

Und eindrucksvoller hier in der Wildnis als in den fernen Steinwüsten der Metropolen, wo Mensch an Mensch achtlos vorübergeht und nur jeder seine eigenen Sorgen kennt. –

Taito winselt im Schlaf zu meinen Füßen, bewegt die krummen Pfoten. Ihm steckt noch die Aufregung des Kampfes im Blute.

War es ein Kampf?! Was sind fünfzig Wilde mit Bogen und Pfeilen gegenüber vier Repetierbüchsen?! – Arme dumme Teufel, diese Chis! Daß sie mir Mac erschossen, – – Fatum, Bestimmung!! Macs Lebensfaden war eben abgelaufen. Es sollte sein. Nun weiß ich, daß er drüben in Kanada droben bei Fort Chippeway eine Chippeway-Indianerin blutjung zum Weibe nahm, daß sein Prachtmädel eines Tages auf und davon ging mit einem fragwürdigen Burschen, daß Mac vor einem Jahr sein Kind, einziges Kind seines früh verstorbenen Weibes, in weiter Ferne jenseits der Sümpfe wiederzuerkennen glaubte an dem wehenden Schleier kupferroter Lockenpracht …

Und ich, nüchternen Sinnes, Außenstehender, Unbeteiligter frage mich immer wieder:

Was treiben die Weißen dort inmitten des Morastes des Hochlandes der beiden Bergketten?!

Was?!

Luftschiff, Flugzeug … – ich muß lächeln. Das klingt wie Jules Verne-Erinnerungen oder wie Kapitel aus einem Abenteuerroman jener Jahre, als noch der fliegende Mensch für die Welt ein Wunder bedeutete. Das war einmal … –

Was treiben sie dort?! – Edelsteinschürfer?! – Wirklich?!

Nun – wir werden die Frage prüfen, und so wahr ich ein Mensch ohne Verpflichtung anderen gegenüber bin, ein freier Mensch: Mac soll mir nicht umsonst sein Geheimnis anvertraut haben! Ich kenne nun den Weg zu der Stelle, wo ihm die Schlinge über den Kopf fiel, ich werde diesen Weg finden und werde mir den Zutritt in jenes fremde, sumpfumgürtete Land erzwingen! Ich werde sehen, wie es Mita Mac Barny geht, ich werde …

Ja – werde ich es wirklich schaffen?! Hat Mac mich nicht gewarnt mit ersterbendem Flüstern vor dem dornigen Dschungel des undurchdringlichen Sumpfes, vor der Fieberluft, vor den nimmermüden Wachtposten jener Einsamen da, die keinen schonen, der auch nur Miene macht, ihr Land zu betreten?!

… Ich sehe durch die offene Rindentür am Feuer den prächtigen Lamsi … Wieder erhebt er sich, wieder verschluckt ihn die Finsternis der sternenlosen Nacht. Sein Eifer erscheint mir übertrieben. Ich bin vorhin selbst zweimal am Rande der Lichtung gewesen und in den Wald eingedrungen und hatte Taito bei mir. Ringsum in den Baumkronen, die mit ihren Schlingpflanzen und Schmarotzergewächsen undurchsichtige Ballen bilden, hörte ich Affen schnattern und kreischen – jene großen wilden orangutanähnlichen Macacs, vor denen Leopard und Nebelparder schleunigst auskneifen … Dort oben haben sie irgendwo ihre Nester, – das frische Wasser des Baches hält sie an dieser Stelle, sagt Tikku. Wird wohl so sein.

… Durch die Finsternis draußen schweben in Schwärmen die großen Leuchtkäfer, ballen sich zusammen, lassen sich auf einem Aste nieder, bilden eine glühende längliche Traube. Man könnte an eine matt strahlende elektrische Lampe denken …

… Durch die Finsternis schießen lautlos wie Tiere der Vorzeit die geschwänzten Flugeichhörnchen dahin, seltsame Geschöpfe, – ihr helles Pfeifen stört mich, noch mehr das angstvolle Todesquieken ihrer Beute, junger Vögel, junger Baummäuse …

Und fern, ganz fern schreit irgendwo ein Leopard. Es klingt unheimlich schrill, fast wie das Plärren eines Säuglings, das zu höchstem Diskant anschwillt.

Nun taucht Tikku abermals auf und tritt in die Rindentür …

„Tuwan Olaf …!“

Er heischt Gehör.

„Was gibt es, Tikku?“

„Es ist Zeit, Tuwan …“ sagt er nur. „Ich hörte die Chis schon dreimal mit ihren Bambusflöten die Stille des Waldes zerschneiden, ich kenne ihre Signale, Tuwan, am Morgen würden wir hier eingekreist sein.“

Bambusflöten – eine sehr zahme Bezeichnung!

Die Trompeten von Jericho dürften kaum vier Meter lang gewesen sein, und ob ihr Ton so trommelfellerschütternd gewirkt hat wie diese „zarten Flöten“, möchte ich füglich bezweifeln.

Mich beunruhigte diese Mitteilung. Ich hatte nichts von Signalen vernommen, kannte diese Bambustuben auch bisher nur vom Hörensagen. Ich wußte jedoch, daß ihr Schall außerordentlich weit dringt und daß er sich nur in der gewünschten Richtung fortpflanzt.

Tikku erklärte mit überlegenem Ernst: „Tuwan, du wirst die Töne für das Schreien von Leoparden gehalten haben. Bitte befiehl, daß wir aufbrechen. Inzwischen werde ich die beiden Späher, die von den Chis hier zurückgelassen wurden, stumm machen.“

„Späher – – hier?!“

Er nickte nur. „In den Bäumen, Tuwan … Sie schnattern und grunzen wie die Affen, aber mein Ohr unterscheidet die Kehle des Macac von der eines giftigen Chi.“

„Ich komme mit,“ entschied ich sofort. „Ich kann mir nicht denken, daß du …“

Vor seinem hochmütig-sicheren Blick verstummte ich …

Schleunigst packte ich mein Tagebuch in den Blechkasten und griff nach der Winchester, während Freund Tikku seinen mannsgroßen Bogen bereit machte und vier Pfeile in den Lederköcher schob.

Taito schlich lautlos hinter uns drein. Die Dunkelheit umfing uns, und erst außerhalb der Krone des Kampfergiganten merkte ich, daß es sacht regnete. Es war nur ein lauer, feiner Sprühregen, – Tikku glitt vor mir her wie ein Schatten, und der Hund Taito bildete die Nachhut. So näherten wir uns im Bogen der Südecke der Lichtung, wo es nur hohes Gestrüpp, buschartige, duftende Bäumchen voller heller Blüten und zwei vereinzelte Nadelbäume gab, eine Art von Koniferen, dreißig Meter hoch, aber ebenfalls durchsetzt von Lianen und Schmarotzern.

Tikku blieb stehen. Seine Hand hob sich – aber ich sah kaum, was er tat.

„Nicht schießen!“ raunte ich ihm hastig zu.

Sollten noch zwei Chis hier ihr Leben lassen?! War das nötig?!

Plötzlich duckte er sich, ich vernahm ein eigentümliches Pfeifen, für eine Sekunde schoß eine blendende Lichtflut über uns hinweg, ich mußte die Augen schließen, ich glaubte an einen jähen Blitz, – dann prallte mir irgend etwas gegen den Hinterkopf und gegen den Rücken, – diesmal dachte ich an einen mich anspringenden Leopard, ich rollte in das Gestrüpp hinein …

Und um mich her und in mir war die Finsternis der schwülen Tropennacht und die tiefe, wohlige Schlaffheit halber Bewußtlosigkeit. Mein Körper schien über alle Erdenschwere hinausgewachsen zu sein, ich glaubte zu schweben – hoch in den Äther hinein, und lag doch im nassen Grase mitten zwischen scheußlichen Dornen mit fingerlangen Stacheln. Undeutlich hörte ich wie aus endloser Ferne ein paar Schüsse, einen Schrei – – noch einen …

Dann war ich wieder bei Sinnen, war imstande mich aufrecht zu setzen, fühlte nun die Stiche der scharfen Nadeln, regte mich nicht mehr, starrte dorthin, wo nochmals spukhaft der weiße Lichtstreifen über die Waldblöße schoß und mir nur noch das flackernde Feuer neben dem Kampferriesen zeigte.

Nur das …?!

War es trügerische Vision?!

Wo waren die beiden Zelte geblieben?!

Wo waren die Gefährten?!

Rufen? – Nein, das wäre Selbstmord gewesen, denn hier über mir in den beiden Nadelbäumen steckten die beiden Späher, und von Giftpfeilen halte ich nicht viel … oder zu viel. Macs rasches Ende hatte mich gewarnt.

Eine dunkle unklare Ahnung kam mir, daß dieser Überfall – nur darum konnte es sich handeln – nicht von den Wilden ausgegangen war, sondern von Leuten höherer Intelligenz, die über besondere Machtmittel verfügten.

Die blonden Fremden?! – War dieser Gedanke so ganz abzuweisen?! Konnten diese Leute nicht Mac Barny dauernd im Auge behalten haben, konnten sie nicht durch ihre heimlichen Vertrauten an der Küste dafür gesorgt haben, daß Mac nicht etwa mit einer Expedition, wie es nun geschehen, aufs neue versuchte, in ihr entlegenes Reich einzudringen?!

… Die stechenden Dornen, die mein Gesicht, meine Hände, mein Genick immer wieder peinigten, peitschten auch mein Hirn zu erhöhter Arbeitsleistung an. Die phantastischsten Möglichkeiten, geboren aus Ungewißheit und sich nur auf die eine einzige Tatsache stützend, daß die Zelte verschwunden, zauberten mir Bilder von wildester Romantik vor. Macs vorsichtiger Hinweis auf ein Luftschiff, von dem aus das Seil mit dem blonden Henker, der den Smaragd in der Tasche trug, pendelnd hinabgehangen sein müßte, genügte mir in diesen Minuten chaotischen Denkens für die Annahme, daß eine kleine Kolonie europäischer Ingenieure dort inmitten der Sümpfe irgendein Wunderwerk der Technik herstelle und daß dieselben Männer nun hier uns angegriffen und aufgegriffen hätten. Woher sonst die blendende Lichtbahn eines überstarken Scheinwerfers?! Es konnte ja nur ein solcher gewesen sein! – War denn diese Unterstellung in der Tat so widersinnig, so außerhalb des Bereichs des Möglichen liegend?! Hatte ich nicht selbst einst eine Insel besessen, die nur ein Gebilde aus Stahltonnen und riesigen Bimssteinblöcken war?! Hatte ich nicht mit dieser schwimmenden, tauchenden Insel den halben Pazifik durchquert?! Gab es denn heute für die Technik überhaupt noch die unübersteigbare Grenze des Nicht-Zu-Verwirklichenden?! Ahnte ich, was in den vier Jahren, die ich nun Weltentramp spielte, meine Kollegen vom Ingenieurfach und von verwandten Berufszweigen inzwischen Neues ersonnen?! Wann und wo hatte ich denn neueste Fachschriften oder Zeitungen gelesen?! Nirgends!! Seit Jahren stand ich gleichsam außerhalb der Zivilisation. Hatte ich da nicht ein gutes Recht, alles zu vermuten und alles für wahr zu nehmen, was den Umständen nach wahr sein mußte! Ich wußte doch am besten, daß ein Scheinwerfer von solcher Kerzenstärke sich nicht als Tornister auf dem Rücken eines Mannes montieren läßt! Und – konnte nicht der Stoß, der mich in die Büsche schleuderte, der Anprall des gewölbten Bugs eines Luftfahrzeuges irgendeiner Art gewesen sein?!

Müßige Hatz der Gedanken das …

Müßige Bemühungen, Fragen zu lösen, die vorläufig unlösbar bleiben mußten!

… Und die Erkenntnis und eiserne Energie, Herr des eigenen Hirns zu werden, bremsten die Sturmflut zweckloser Phantasien …

Anderes noch: denn nun belebte sich der enge helle Umkreis urplötzlich mit hastenden, halbnackten Gestalten …

Chis!!

… Mit den Hyänen des Schlachtfeldes, mit dem gierigen Raubgesindel der Wildnis, für die schon die leere Konservenbüchse Besitz bedeutet! – Die Chis waren da … Nicht zu fünfzig – zu hundert, schätzte ich, und trotzdem glitten sie lautlos hin und her, suchten, bückten sich, rannten durcheinander, warfen Holz in das Feuer, daß es hell aufloderte, verschwanden in der Baumwohnung, kehrten ins Freie zurück – ein ruheloser, verängstigter Haufe ohne Ziel und Führung, scheu wie in steter Furcht vor etwas Unbegreiflichem, vor einem Unheil, das jeden Augenblick über sie hereinbrechen könnte, – so benahmen sie sich …

Bis ein spitzer, greller Schrei die ganze Bande reglos am Platze bannte …

Ein Schrei, der irgendwoher kam, ebenso jäh erstarb, – dem blitzschnell genau neun Schüsse folgten …

Neun dünne blecherne Knalle, – so unverkennbar Schüsse aus einer Repetierpistole, daß schon der erste mir die Waffe verriet, die dort ihre drohende Sprache redete – – irgendwo, dennoch in der Wirkung brutal klar und deutlich …

Neun der Chis schnellten in die Höhe, sackten zusammen.

Und wildeste Panik ergriff da die übrigen … Sie stürmten gen Westen, waren wie weggefegt, und in Sekunden hatte der helle Platz am Kampferriesen beinahe das frühere Aussehen angenommen.

Nicht ganz.

Neun Tote dort, stille Schläfer der Ewigkeit, und … und ein Etwas, das sich da in den Lichtbereich des Flackerscheins des Feuers hineinschob, – Unding von einem Hund, riesiger Teckel mit sturrem gelben Pelz und Boxerschnauze und fegender buschiger Rute:

Taito!

Er lebte also! Er war noch da! Ich hätte seinen Namen brüllen mögen, – unsinnige Freude erfüllte mich …

Taito lebte!! Taito, Gefährte meiner Einsamkeit als Schatzhüter auf der Insel im Biba-Schoni-See!

Er trug noch den Verband um den dicken Kopf, den Lord Mansfield Bellegard ihm mitleidig angelegt hatte – ein Charakterzug Seiner Lordschaft, der ganz dick auf der Plusseite für ihn gebucht war.

Taito machte fünf Schritt vor der Baumtür halt und ließ sich gemächlich auf die Hinterschenkel nieder, reckte den Kopf nach allen Seiten und schien zu winden …

Wenn Taito sich derart benahm, war keine Gefahr mehr vorhanden. Die Chis würden nicht mehr zurückkehren, und ich durfte es wagen, die Dornenranken ringsum behutsam wegzuschneiden …

Behutsam – wollte ich.

Und da – – wieder derselbe wilde schrille tolle Schrei …

Diesmal langgereckt wie das geheimnisvolle Quietschen einer sich klemmenden Pforte, die ein Luftzug langsam, langsam öffnet und schließt – öffnet und schließt …

Diesmal für mich nichts Unheimliches, Unerklärliches mehr …

Das war Elsie – – Elsie Bellegard …

Das war Todesangst, Seelennot, Kampf mit irgend etwas Gräßlichem …

Und ich deckte den Arm vor das Gesicht, brach gewaltsam durch die Dornen ins Freie, stolperte über meine Büchse, griff danach, stolperte abermals über einen menschlichen Körper, rannte weiter …

Taito war verschwunden. Aber sein grimmes Kläffen ertönte in der Baumbehausung, – schon war ich zur Stelle, ein Blick nach oben …

Elsie Bellegard rang dort oben auf des armen Mac praktischem Hängeboden mit irgendeinem Manne, von dem ich bei der schlechten Beleuchtung zunächst sehr wenig sah. Das Mädchen hatte sich offenbar dorthin geflüchtet, als die unbekannten Angreifer ihren Plan so überraschend schnell ausführten. Wie Elsie noch die Zeit und Gelegenheit gefunden, sich in dem hohlen Baum in Sicherheit zu bringen, war eine andere Frage.

Ich kannte die in den Innenstamm eingekerbten Stiegen, die das Erklettern dieses Oberstocks erleichterten, – ich machte mir freilich zunächst eine vollkommen falsche Vorstellung von den Absichten des brutalen Wichtes, den selbst das klägliche Kreischen des Mädchens nicht störte …

Im Moment war ich droben, – und helle Wut ließ den Kolben der Pistole wie einen Schmiedehammer auf die mützenartige Kopfbedeckung des elenden Wichtes herniedersausen. Mit einem dumpfen Aufstöhnen rollte er beiseite, fiel dann über die äußere Bretterkante hinweg in den unteren Raum und schlug dort schwer auf die Tischplatte auf und blieb zusammengekrümmt in einer Ecke liegen.

Elsie Bellegard zu beruhigen und nach unten zu schaffen, war nicht ganz leicht. Ihre Nerven versagten vollständig, sie hielt mich so fest umklammert, daß ich mich kaum bewegen konnte, ihre Tränen flossen unaufhörlich und aus ihrem wirren Gestammel war zunächst nur das eine zu entnehmen, daß mehrere fremde Männer sowohl den Lord als auch Jazinto und Wumbo verschleppt hatten.

Endlich hatte ich das in Tränen aufgelöste Mädel vor die Rindentür auf eine Matte gebettet. Das Lagerfeuer beleuchtete ihr verstörtes Gesichtchen, ihre zerfetzte Jacke … Taito hatte sich sofort neben sie gesetzt und leckte ihr die Hände …

Sonderbar: Was meine Worte nicht vermocht hatten, das erreichte Taito durch seine stummen Zärtlichkeiten. Elsie richtete sich etwas auf, strich sich das Blondhaar aus dem Gesicht und sagte mit halb beschämtem Lächeln: „Ich glaube, ich habe mich sehr töricht benommen!“

Nun war es an mir, ehrlich erstaunt zu fragen:

„Töricht – Sie?! Der Bursche hätte eigentlich sofort eine Kugel durch den Schädel verdient!"

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, – nein, – er war es ja, der die Chis niederschoß, Mr. Abelsen …! Er …!! Verstehen Sie doch, – er wollte mich offenbar beschützen, aber in meiner tollen Angst mißverstand ich ihn und … schrie … schrie wie ein albernes kleines Mädel … Gewiß, er wollte mir dann wohl den Mund zuhalten, er sprach auch zu mir, aber ich verstand ihn nicht, – er ist weder Engländer noch Franzose, auch nicht Italiener oder Spanier, denn die vier Sprachen sowie das Holländische beherrsche ich ganz gut …“

Ich hatte mich an den Rand des großen Steines, des Wasserbeckens, gelehnt.

Jetzt wurde mir’s etwas wirr im Hirn. – Also kein brutaler Schuft?! Und ich – – ich hatte den Mann vielleicht erschlagen, der zweifellos nur die besten Absichten gehabt hatte.

Elsie flüsterte scheu: „Gehen Sie bitte zu ihm. Vielleicht … lebt er noch … Gehen Sie!“

Frauen bleiben allzeit Rätsel. Diese blonde Elsie leistete in dieser Beziehung noch mehr als andere. Erst das wilde, unsinnige Kreischen, erst diese hysterische Angst, – – jetzt …: „Bitte – gehen Sie zu ihm!“

Das blieb mir erspart.

Ich hatte mich halb der offenen Rindentür zugewandt, als in dieser Tür der schlanke Tikku auftauchte – mit dem Fremden in den Armen.

„Du bist entkommen, Tikku?! – aber er antwortete nicht, glitt lautlos um den Baum und kehrte sofort wieder ohne den Bewußtlosen zurück, – – Bewußtlosen, hoffte ich.

Elsie hatte Tikku gar nicht zu Gesicht bekommen.

„Wie, der Lamsi ist auch noch hier?“ fragte sie ziemlich gleichgültig und wandte nur ein wenig den Kopf. Ihr Blick begegnete den dunklen harten Augen Tikkus. „Weshalb stierst du mich so … so an!“ rief sie halb angstvoll, halb gereizt. „Kümmere dich um den Fremden, du, – und …“

Es war eine unerquickliche Szene, es war für mich sogar eine harte Nervenprobe, denn Tikku hatte mir ein verstohlenes Zeichen gegeben, das nur so zu deuten war: Der Mann ist tot!

Tikku, Sohn des Häuptlings der Lamsihoan von den westlichen Bergabhängen, sagte ohne Scheu und mit berechtigtem Vorwurf:

„Miß Bellegard, diese Nacht steht unter einem dunklen Stern. Vieles geschah, was nicht hätte zu geschehen brauchen, vieles von dem begreife ich nicht. – Der Fremde lebt nicht mehr. Es ist nicht Tuwan Abelsens Schuld.“

Elsie war hellhörig genug, Tikkus vorsichtige Anspielungen auf ihr wenig tapferes Verhalten zu verstehen. – Der Erfolg?! – Sie weinte leise, sie wühlte ihr Gesicht in Taitos rauhes gelbes Fell ganz fest ein und bedeutete uns beiden durch eine schroffe Handbewegung, sie allein zu lassen.

Als wir den Kampferriesen umschritten hatten, erlebten wir abermals etwas so niederschmetternd Ungeahntes, daß uns jetzt erst unsere Hilflosigkeit gegenüber den geheimnisvollen Angreifern klar wurde: Der Mann war verschwunden!

Tikku hatte ihn, wie er mir hastig erklärte, zwischen zwei Leistenwurzeln niedergelegt.

Die Stelle war leer.

Wir blickten scheu ringsum … Wir horchten. Nur wenige Minuten hatte der Tote hier gelegen. Und doch – er war weggeholt worden.

Auch hier lastete die Dunkelheit der schwülen Regennacht mit undurchdringlichen Schleiern über der Waldblöße.

Hierher drang der Schein des Feuers nicht.

Wir horchten …

Tikku neigte sich vor und flüsterte:

„Tuwan, es sind dies Leute, die zaubern können. Sie können mehr als wir. Kehren wir in den Baum zurück … Der Urwald birgt heute mehr Gefahren, als wir beide ahnen.“

Ein jäher Verdacht ließ mich mit wenigen Sprüngen zur Vorderseite der Baumhütte zurückeilen …

Aber meine Furcht war unbegründet gewesen. Elsie Bellegard und Taito fand ich noch in derselben Stellung vor, – das Mädchen schluchzte nur noch ganz leise, und ohne Widerspruch ließ sie sich dann in die Baumhöhle bringen und erkletterte eigenhändig den Hängeboden, wo sie vorläufig am sichersten geborgen war. Nur Taito mußte ich ihr emporreichen, und als sie dann noch einen Schluck Tee mit Reisschnaps zu sich genommen hatte, trat auch bei ihr die wohltuende Reaktion nach der Nervenpein dieser letzten Stunde ein – – sie schlief – – mit Taito im Arm, Taito neben sich …

Unten aber in dem sorgfältig versperrten Baumgemach hockten Tikku und ich neben dem kleinen Lehmherd, auf dem ein winziges Feuer knisterte, und tauschten unsere Ansichten über die unbegreiflichen Vorfälle aus.

Freund Tikku hatte nicht erst durch Mac Barny die englische Sprache erlernt und nicht erst von ihm Kenntnis von europäischen Umgangsformen erhalten. Er war, bevor Mac ihn wieder mit in die heimischen Bergwälder nahm, ein Jahr lang in Schanghai Stauer, Steward und Diener gewesen. Seine Intelligenz hatte ihm vieles spielend vermittelt, was andere erst mühselig sich aneignen müssen. Ich konnte es schon begreifen, daß sein fett gewordener tyrannischer Erzeuger das geistige Übergewicht seines Ältesten fürchtete.

Jedenfalls: Bei unserer Aussprache über den Angriff der „Fremden“ kam nicht viel heraus. Tikku war es genau so ergangen wie mir. Irgend etwas hatte ihn niedergeworfen, er hatte eine Weile betäubt dagelegen, war dann, als er mich mit Elsie sprechen hörte, durch das Fenster eingestiegen und hatte sich das bedauernswerte Bündel von Mensch, das ich so überkräftig auf den Tisch hinabbefördert hatte, genauer angesehen und festgestellt, daß der blonde junge Mann in braunem Khaki tot sein müßte.

„… Tuwan, er war jung,“ sagte der Lamsi bedächtig. „Und er hatte Haare wie du … Er trug zwei Pistolen bei sich, außerdem fand ich dies in seiner Tasche … außen, Tuwan, in der rechten Tasche …“

Er hielt mir seine flache Hand hin, und auf dieser Hand lag ein großer prächtiger Smaragd ähnlich dem, den ich nun von Mac Barny geerbt hatte.

Ich nahm das ungeschliffene, rohe Kleinod, das zum Teil noch in Urgestein gebettet war, zwischen die Fingerspitzen, und als ich so die Kälte des grünen Smaragds spürte, durchrieselte es mich wie ein Schauer.

Ich starrte Tikku eine Weile an.

„Weißt du, Tikku, was ich nun vermute?“

Des Lamsi hochmütig-verschlossene Züge überflog ein Zucken.

„Ich weiß es, Tuwan … Du glaubst, daß diese grünen Steine für die Fremden ein Erkennungszeichen sind.“

„Stimmt, Tikku, – man könnte sagen: Ein Klubabzeichen. – Kennst du einen Klub?“

Der Häuptlingssohn, der nach dem Tode seines aufgemästeten Vaters die Herrschaft über rund fünfzigtausend verstreut lebende Wilde zufallen mußte, erwiderte nur: „Ich war ja in Schanghai, Tuwan. – Es ist „ihr“ Abzeichen, und „sie“ haben Mac Barny nur deshalb dieses ganze Jahr nicht aus den Augen gelassen, um den Edelstein zurückzugewinnen.“

Ich gab ihm wortlos den Smaragd zurück.

Wortlos …

Denn alledem gegenüber wären Worte eitle Verschwendung gewesen.

Aber eins spürte ich deutlich: Auch in Tikkus Seele ging dasselbe vor sich wie in der meinen, – auch er empfand eine ungewisse Furcht, die bei ihm, dem halben Wilden, vielleicht bis zu abergläubischem Grauen sich gesteigert hatte. Ich merkte das an der erhöhten Unrast seiner Augen, an einem gewissen flackernden Schimmer im Blick. Gewiß, er hatte sich in der Gewalt, ich hatte ihn nicht unterschätzt, dieser prächtige farbige Bursche, reinblütiger Nachkomme verwegener Piraten, die einst Formosa völlig beherrscht hatten, war ein ganzer Kerl in allem. Daß er hier, wo das Unheimliche, Unerklärliche in sein Leben eingriff mit dunklen, drohenden Ereignissen, für’s erste ein wenig versagte, – ich trug’s ihm nicht nach.

Versagte, – ja, insofern, als er nunmehr, als ich mich anschickte, einmal draußen mich umzutun, er es war, der mich fast mit Gewalt zurückhielt. „Tuwan, bleibe …!“ Seine nervige Hand lag wie eine eiserne Klammer auf meinem Unterarm. „Diese Nacht steht unter einem schwarzen Stern, und der Geistervogel der Berge schwebt über den Wäldern. Bleibe im Schutze des Baumes, hier sind wir sicher, nur hier …“ Er senkte den Blick und fügte widerwillig hinzu: „Mac hat mich immer ausgelacht, wenn ich von dem Geisteradler sprach … Und doch, Tuwan: Ich sah ihn mit eigenen Augen … dreimal …“

„Wann?“ fragte ich hastig, denn dieser „Adler“ hätte, falls er existierte, vieles erklärt.

„In den letzten Monaten war es, nachdem Mac damals den blonden Fremden erschossen und den Smaragd erbeutet hatte … Mac kehrte damals zur Küste zurück, er sandte mir Botschaft, die erbeuteten Felle dorthin zu bringen … Ich tat es, packte die Ballen auf die Rücken unserer Reitochsen und …“

„Reitochsen?!“

„Ja, gewiß, Tuwan … Wir haben zwei hier in der Nähe in einem Gehege auf einer anderen Lichtung … Du wirst sie sehen … Es sind zierliche, kräftige Tiere, und …“

„Weiter! – Du marschiertest also zur Küste.“

„Ich brachte die eingesalzenen Felle dorthin. Am Tage vor meinem Aufbruch sah ich am späten Abend den Geisteradler zum ersten Male. Es war eine klare Nacht, und der Riesenvogel schwebte mit seinen glühenden Augen so dicht über den Baumkronen hinweg, daß ich das bunte Gefieder seiner Schwingen deutlich erkannte. Er flog sehr langsam, Tuwan, und … der Schreck jagte mich hier in den Baum zurück, wo ich eine Stunde wartete … Dann erst trat ich ins Freie … Und – wieder nahte der Riesenvogel, diesmal von Süden, seine Flügel bewegten sich kraftvoll und gleichmäßig, obwohl ein heftiger Wind über die Wipfel strich. – Als ich dann nach sechs Wochen hier wieder anlangte, erblickte ich den Adler genau acht Tage später – und abermals schwebte er so niedrig, daß ich ihm einen Pfeil in den Leib hätte jagen können. Doch – wer würde auf einen Vogel schießen, dessen Schwingen wie das Großsegel eines 200-Tonnen-Schoners sind?!“

Seine Augen ruhten starr und prüfend auf meinem sehr nachdenklich gewordenen Gesicht. „Glaubst Du mir, Tuwan?“

Seine unsichere Frage weckte mich aus diesen – so war es – rein technischen Erwägungen.

„Wie groß schätzt du den Vogel, Freund Tikku?“ antwortete ich mit einer Gegenfrage.

Er dachte nach. Seine braunen Hände wurden unruhig, seine Lider schlossen sich halb.

Seltsam genug: die Größenangaben lieferte mir jemand anders. – Von oben her kam Elsies Stimme, – Elsie mußte den letzten Teil unseres Gespräches mit angehört haben, sie war wach:

„Mr. Abelsen, – jetzt ist mein Kopf klarer als vorhin … Mein Gedächtnis arbeitet wieder. Ich besinne mich nun ganz genau auf das Geschehene … Ich erblickte – ich hatte gerade das Zelt für kurze Zeit verlassen – trotz der Dunkelheit gegen den Regenhimmel über den Bäumen einen riesengroßen schwebenden Schatten. Ich dachte zunächst an eine Wolke … Aber es war wirklich ein Vogel, Tikku hat recht, und er senkte sich herab, und mit einem Male waren fünf Männer in Khakianzügen neben den Zelten, da lief ich in den Baum und verbarg mich hier oben … Es war mir genauso ergangen wie Tikku, – das Grauen packte mich beim Anblick des Ungeheuers, – es war sicherlich zwanzig Meter lang, und seine Schwingen mögen fast ebenso lang gewesen sein …“

Der Lamsi nickte eifrig. „Miß hat richtig geschätzt, Tuwan … Ich hätte dir dieselben Maße genannt.“

Ich blieb eine Weile still. Dann fragte ich Freund Tikku nochmals: „Der Riesenvogel bewegte bestimmt die Schwingen?“

„Ja. Genau wie ein Adler, Tuwan. Im übrigen dürfte man ihn nicht als Adler bezeichnen, denn sein Gefieder ist eigentümlich bunt, hell-bunt, Tuwan …“

Ich hatte nichts mehr zu fragen. Für mich war ein geringer Teil der Geheimnisse der Fremden gelöst. – Ein Teil nur …! Sobald es Tag wurde, wollte ich etwas anderes feststellen: wer und was Tikku und mich in die Büsche geschleudert hatte!

„Schlafen wir!“ sagte ich … „Auch Sie, Elsie! Und laßt bitte die förmliche Anrede weg, ich bin für euch einfach Olaf, und ihr für mich Elsie und Tikku. Es ist Unfug, hier in der Wildnis sich mit Salonmanieren abzuquälen.“

„Bravo!“ rief das Mädel vergnügt. „Nur eins noch, Olaf, dann will ich ganz brav sein … eine einzige kleine Frage: Der Geisteradler Tikkus ist natürlich eine Flugmaschine, ein Eindecker?“

Und ich darauf: „Sahen Sie je ein Flugzeug ohne Propeller, Elsie?!“

„Gute Nacht …“ kam es von oben …

Und es wurde still im Kampferbaum.

 

5. Kapitel.

Ich sehe ihn …

Sie schlafen …

Ich habe es versucht.

Ich habe eine halbe Stunde ruhig dagelegen und alle möglichen Künste angewandt, den Schlaf herbeizuzwingen. Es gelang mir nicht.

Ich bin leise aufgestanden und sitze nun an dem Klapptisch vor meinen feuchten vergilbten Blättern. Ich schreibe. Die Tinte verläuft, der Kopf ist mir noch etwas benommen. Trotzdem habe ich all das, was ich nun über die Smaragd-Leute weiß, sehr sorgfältig nachgeprüft und glaube, eine Erklärung für diese geheime Siedlung dort in den Sümpfen gefunden zu haben.

Glaube …

Mac wird schon recht haben, der arme tote Mac, der hier sein Kind wiedersah – oder wiederzuerkennen meinte: es sind Edelsteinsucher, und es sind sehr kluge, sehr rücksichtslose, technisch sehr bewanderte Männer!

Blond – – blond, und das würde zu meiner Annahme stimmen: wahrscheinlich Nordländer, vielleicht gar Schweden, denn Elsie beherrscht meine Heimatsprache nicht.

Anderseits: Schweden würden ihr geheimes kleines Reich nicht so brutal verteidigen, wie die es tun, – meine Landsleute sind anders geartet. Temperamentvolle Südländer – denen traue ich es wohl zu, so rücksichtslos die Grenzen des Sumpfgürtels zu schützen.

Gewiß, die Hauptfrage bleibt offen, denn die Nationalität der Leute ist schließlich nebensächlich: Wie gelangten sie dorthin, wie konnten sie einen Sumpfgürtel passieren, von dem der landeskundige Mac behauptete, es gäbe dort nur Morast, Dornen, Stachellianen und nirgends eine Stelle, wo etwa ein Nachen die Wildnis überwinden könnte?!

… Ich sauge etwas mißmutig an meiner Zigarre … Sie ist feucht, und ihr Aroma ist nicht mehr einwandfrei.

Ich merke: Versenkt man sich immer tiefer in dieses merkwürdige Geheimnis, dann schießen beständig neue Unklarheiten wie Pilze im heißen Gewitterregen aus dem Sumpf dieser phantastischen Geschichte. Helga Goßli mit ihrer Goldwäscherei und ihrer geheimen Liebe war im Vergleich zu diesen Smaragd-Leuten ein harmloses Kindermärchen.

Der Geisteradler …

Schon der allein … auch ein sehr dunkler Punkt. Als Ganzes betrachtet – gut, da weiß ich Bescheid. Ich bin ja von Hause aus selbst Ingenieur. Doch ein Ingenieur, ein Konstrukteur ohne die nötigen Maschinen und Werkzeuge, nein, unmöglich!

… Ich drehe mich mit meinen Gedanken immer im Kreise. Packen wir einmal die mehr menschliche Seite der Angelegenheit behutsam an, beginnen wir bei Mac Loow Barny. Sein Mädel geht ihm aus Kanada mit einem Liebhaber durch … Er selbst, vom Sturm des Schicksals gen Süden geweht, wird hier auf Formosa Jäger und Kampfersucher und glaubt mit dem Fernglas seine Mita, Kind einer Chippeway-Indianerin, wiederzuerkennen. – Mithin: Mita Mac Barnys Geliebter befindet sich mit unter den Smaragd-Leuten – wahrscheinlich – falls es diese Mita ist. Mac, der sterbende Mac, nimmt mir das feierliche Versprechen ab, für seine Tochter zu sorgen und die „Fremden“ aufzusuchen.

Man verspricht vieles an einem Sterbelager. Werde ich halten können, was ich gelobte?!

… Und dann wieder: Die Sache ist nach Macs Tode in ein neues Stadium getreten. Lord Bellegard, Wumbo und der schuftige Jazinto, an dem mir weiß Gott nichts liegt, sind geraubt worden. Elsie rechnet auf meine Hilfe, den Vater zu befreien.

Somit liegt mir eine doppelte Verpflichtung ob, alles zu riskieren und morgen den Marsch gen Westen anzutreten. Den Weg hat Mac mir beschrieben, – ich weiß, daß es ein enger Weg abseits vom Alltag, vielleicht in die Hölle hinein ist. – Macht nichts … Ich werde ihn gehen. Im Grunde freue ich mich darauf. Wir haben ja zwei Reitochsen, wir haben Chinin in Menge gegen Malaria, wir haben Medikamente gegen das Sumpffieber … Dort in der Ecke steht Bellegards Medizinkasten, eine reichhaltige Tropenapotheke. Wir haben Waffen, Munition, und wir sind zwei Männer und ein Mädel, die gute Kameradschaft halten werden. Dann haben wir noch Taito – nicht zu unterschätzen! Taitos Nase, Ohren und Gebiß ersetzen den dritten Mann. – Ja, mich reizt das Abenteuer. Die Welt birgt doch noch immer so kleine niedliche Geheimnisse, die meine Nerven aufpulvern. Ich glaubte bisher, die Insel aus Stahl und das Reich der Affenkönigin und Malmotta seien so die Höhepunkte des Erlebens gewesen. Ich ahne: Man soll mit derartigen Behauptungen vorsichtiger sein, – Höhepunkte werden immer noch von höheren Punkten überragt. Das ist wie beim Bergsteigen: Die höchsten Kuppen des Himalaya sind ebenfalls noch jungfräulich unberührt, und der Ehrgeiz entdeckt stets unerreichbare Ziele.

– … Durch die Ritzen der Rindentür und des Fensters dringt bereits die matte Helle des Morgens.

Ein Blick auf die Uhr: Fünf! – Noch schlafen?! Nein … Tee kochen, essen, – heraus aus diesem stickigen Baumloch mit seinem Kampfergeruch!

Ich erhebe mich leise, – ich greife nach der Winchester, entsichere sie für alle Fälle und öffne ebenso leise die Tür.

Die Waldlichtung leuchtet mir entgegen im Morgenglanz mit ihrem blinkenden Bach und dem hellen Steingeröll und den blanken Blättern der Bäume und Büsche, die noch vom nächtlichen Regen tropfen.

Die Luft ist noch kühl und erquickend, die Sonne vermag bei ihrem niedrigen Stand das Blätterdach des Urwaldes noch nicht zu durchdringen.

Aber ein bedrückendes Schweigen herrscht ringsum, kein Vogel meldet sich, kein frecher Macac turnt durch die Zweige. Nur Bienen und Schmetterlinge aller Größen und Farben schweben und summen um die sich bereits öffnenden weißen Blüten des Kampfergiganten.

Diese Stille wirkt aufreizend, ängstigend. Es erscheint mir wenig glaubhaft, daß die Herde von großen Affen, die hier haust, etwa vor den dort im Geröll liegenden neun toten Chis ausgekniffen sein sollte. – Kein schöner Anblick, diese armen Kerle, die von den Kugeln des einen Smaragd-Mannes so blitzschnell niedergemäht wurden! In verrenkten Stellungen liegen sie da, neben sich noch ihre Hauptwaffe, den großen Bogen, im schmalen Lederköcher noch die Giftpfeile. Ich trete näher … Ich staune: Alles Kopfschüsse!! – Ich hebe einen Pfeil auf, – er hat über der vergifteten Eisenspitze eine Lederkappe wie einen Däumling. Nur die Formosa-Wilden sind so vorsichtig, ihre Pfeilspitzen vor dem Gebrauch derart zu schützen. Und diese weiche Lederkappe hat noch einen anderen Zweck: Schießt solch ein brauner Heide auf ein Wild, etwa auf eine der zierlichen Geisantilopen oder auf einen Hirsch (beide Wildarten sind im Gebirge sehr häufig), so wischt er vor dem Schuß mit der Kappe das klebrige Gift von der Pfeilspitze säuberlich ab und steckt die Spitze noch dreimal tief in die Erde. Auf diese Weise vermeiden es die Wilden, daß die Jagdbeute durch das Gift zu schnell in Verwesung übergeht.

Ich hatte bisher noch keinen Chihoan (Chi) deutlich zu Gesicht bekommen. Ich sah, daß dieser Volksstamm an Körpergröße weit hinter den mir bekannten Lekhoans (Lekhos) und den Lamsis zurückstand. Es waren kleine Kerle mit flachen Nasen und schmutzig-gelbbrauner Haut. Die Mischung mit Chinesenblut war hier unverkennbar.

Um Elsie Bellegard diesen Anblick der Toten zu ersparen, schleppte ich die Leichen nach einem raschen Rundgang um die Lichtung, bei dem ich nichts Verdächtiges bemerkte, nach einer Wurzelgrube eines gestürzten Baumes und warf Zweige, Erde und Steine darüber. In der Nähe befand sich ein übermannshoher Termitenhügel, der noch bewohnt war. Ich wußte, daß die großen Ameisen in kurzer Zeit von den Toten nur noch die Knochen übriglassen würden. Bedenkt man, daß solch ein Termitenbau schätzungsweise zweimalhunderttausend Tierchen beherbergt, so ist es begreiflich, daß die braune große Waldameise zum Beispiel mit einem Hirschkadaver in zwei Tagen restlos aufräumt.

Ich blieb noch ein paar Minuten unweit des Baues stehen, dessen Eingang wie stets nach Norden zeigte und aus drei sauber geglätteten Lehmröhren sich zusammensetzte. In diesen Röhren und vor dem Bau herrschte bisher ein scheinbar sinnloses Durcheinander von kribbelnden, eilfertigen Tierchen. Scheinbar. – Ein Termitenstaat ist eine Republik voller Ordnung und Zweckmäßigkeit. Die Lehmröhren liegen nebeneinander, die am weitesten rechts hat den größten Durchmesser, und sie dient ausschließlich den „Arbeitern“ zum Hineinschaffen der Nahrung und des Baumaterials und zum Hinausschaffen überflüssiger Dinge. Die mittlere ist den „Kämpfern“ vorbehalten, den Tieren mit Beißzangen, die linke den jungen Termiten. – Es dauerte noch keine vier Minuten, als das Signal „Beute in der Nähe“ bereits den ganzen Staat in Aufruhr gebracht hatte. Eine ganze Armee setzte sich nach dem Baumloch hin in Bewegung. Die Breite dieses Zuges betrug fast ein Meter. – Wie immer schickten die Termiten auch jetzt ganz militärisch Seitendeckungen aus, denn ihr gefährlichster Feind, der Ameisenfresser, hat es gerade auf diese Massenwanderungen abgesehen, da er sich in die festen Bauten keinen Zutritt zu verschaffen vermag. Vielleicht ist es auch ganz interessant, daß Termiten sich niemals in unmittelbarer Nähe von Kampfer- und Sandelholzbäumen ansiedeln. So scharf ihre eigene Ausdünstung auch sein mag: gegen fremde Gerüche sind sie sehr empfindlich, und ein Haus, etwa aus Kampferholz erbaut, bleibt von ihnen bestimmt verschont, während sie doch sonst alles zernagen und anfressen.

Ich hätte diese meine Kleintierstudien hier nicht erwähnt, wenn nicht gerade mein Verweilen unter den vordersten Bäumen des Urwaldes mir noch eine Überraschung beschert hätte, die mir bewies, daß Elsie Bellegards Trauer um den Tod des Fremden, den mir Freund Tikku als kräftigen, gut aussehenden jungen Menschen geschildert hatte, keineswegs nur hysterischer Überreiztheit entsprungen war. Ich wollte mich gerade wieder der Lichtung zuwenden, als ich Elsie in der Rindentür erblickte und neben ihr meinen Musterhund Taito. Sie spähte vorsichtig umher und schritt dann rasch der Stelle zu, wo Tikku in der Nacht den Toten zwischen die starken Wurzelleisten niedergelegt hatte. Da dort hohes Gras wucherte, mußte sie unschwer an den niedergedrückten Halmen erkennen, welcher Grasfleck für so kurze Zeit den leider zu Unrecht Niedergestreckten beherbergt hatte.

Mit gefalteten Händen stand sie da, tief in Gedanken versunken, während Taito weniger respektvoll den Boden beschnüffelte. Dann bückte sie sich, hob ein weißes Papier auf, entfaltete es und verriet durch eine jähe Kopfbewegung ein leises Erschrecken.

Ich eilte zu ihr. Sie hörte mich, drehte sich halb um und lächelte mich an. Ein förmlicher Glücksschimmer lag auf ihrem vom Schlafe sanft geröteten Gesicht, und in freudigstem Tone rief sie, mir das Papier hinstreckend:

„Olaf, er lebt …!! Er lebt!! Er heißt John Burr … John … Burr! – Da – lesen Sie nur … Die Fremden sind doch nicht so blutdürstig …!“

Das Papier war ein Bogen guten festen Schreibmaschinenpapiers. Sehr flüchtig war da mit schwarzer Tinte geschrieben:

Miß,

unser Gefährte John Burr ist bereits wieder bei Bewußtsein, bedarf jedoch dringend ärztlicher Behandlung. Raten Sie Ihren Begleitern recht energisch, sich um uns nicht weiter zu bemühen, denn alle Versuche, den Sumpfgürtel zu überqueren, würden fehlschlagen. Er ist nicht passierbar. Ihren Vater und die beiden Farbigen werden Sie nach einem Monat spätestens in der Hafenstadt Kelung wiedersehen. Kehren Sie mit dem Motorkutter dorthin zurück.

Eine Unterschrift fehlte.

„Ich bin so froh,“ sagte Elsie nochmals mit strahlenden Augen. „Olaf, ich hätte es nie vergessen, wenn durch meine Schuld dieser Fremde ums Leben gekommen wäre.“

Aber ihre Freude fand bei mir wenig Widerhall. Der Inhalt dieser Nachricht war mir weit wichtiger, als dieses junge, frische Mädel, das sich da offenbar auf den ersten Blick in einen der geheimnisvollen Smaragd-Leute verliebt hatte, ahnen konnte.

Ich entnahm dieser Mitteilung weit mehr, – der Schreiber der Zeilen (die Handschrift war derb und schmucklos und verriet einen eisernen Charakter) hatte sich in der Eile nicht recht überlegt, was alles er durch einzelne Sätze verriet.

Wer wie ich seit Jahren die ganze Welt und gerade ihre entlegensten Teile als seine Heimat betrachtet, – wer wie ich die Gefahr, das Abenteuer fand, ohne es zu suchen, – wer das Eine zu begreifen gelernt hat: daß wir in der Wildnis unser Leben nur durch stete Wachsamkeit schützen können, durch stetes Beobachten selbst der geringfügigsten Vorgänge, der lernt auch von selbst, den Geist für Dinge zu schärfen, die eigentlich außerhalb des Beobachtungsfeldes eines Weltenbummlers liegen.

So hier dies Schreiben.

Da stand: Dringend ärztliche Behandlung! Und das hieß doch nur: Wir müssen John Burr schleunigst in unser unzugängliches kleines Reich schaffen!

Mithin hatten wir vor dem Geisteradler vorerst Ruhe. Mithin mußten wir, wie dies meine Absicht gewesen, schleunigst diesen Platz verlassen und in den Urwäldern untertauchen, mußten nur nachts die kahlen Gebirge übersteigen, – dann würden die Smaragd-Leute unsere Spur verlieren.

Und weiter stand da, daß der Lord nach einem Monat wieder in Kelung sein würde – ein Satz, der mir bewies, daß die Fremden ihre Kolonie aufgeben wollten, verschwinden wollten, daß ihnen dann nichts mehr daran lag, ihr Geheimnis fernerhin strengstens zu hüten.

Wollte ich also das Mac geleistete Versprechen halten, tat Eile not! – Gewiß, der zweite Grund für das Eindringen in das unbekannte Gebiet, Bellegards Befreiung, war nun fortgefallen. Aber der wichtigste blieb bestehen: Mita Mac Barny konnte sich dort im Smaragd-Lande befinden, – und ich wollte dieses Land um jeden Preis mit eigenen Augen schauen und nachprüfen, was die Leute dort trieben und ob meine Vermutungen in vollem Umfang zuträfen.

Ohne Zweifel waren die Aussichten für unser Vorhaben jetzt recht günstig. Der Geisteradler würde nach meiner Berechnung kaum vor Mittag wieder hier eintreffen können, falls er sich überhaupt bei Tage zeigte, was ich nach dem bisher Gehörten nicht recht glauben konnte. Die Hauptsache war: Unverzüglicher Aufbruch, schärfste Wachsamkeit, ob etwa ein Spion uns folgte, und sorgfältiges Austilgen unserer Fährten. –

Elsie hatte wohl gemerkt, daß das Schriftstück mir viel zu denken gab, und hatte mich durch keine Frage oder Äußerung gestört.

Ich schob das Papier in die Tasche und erklärte ihr nur kurz, ich würde jetzt unseren Freund Tikku nach dem Gehege der Reitochsen schicken, – wir müßten in einer Stunde die Lichtung verlassen haben.

„Also Marsch zum Biba-Schoni-See, wo wir den Kutter verbargen,“ nickte sie arglos. „Hat das wirklich so große Eile, Olaf?!“

„Allerdings – doch nicht zum See, Elsie …! Wollen Sie es wagen, uns nach den Sümpfen zu begleiten?“

Eine überflüssige Frage, – doppelt überflüssig, denn das blonde Mädel konnten wir doch unmöglich hier zurücklassen, anderseits würde sie es wohl mit Freuden begrüßen, wenn ihr Gelegenheit geboten wurde, John Burr wiederzusehen.

Und in diesem Punkte täuschte ich mich nicht. Ihre blaugrauen Augen begegneten meinem prüfenden Blick mit schlecht verhehltem Jubel …

„Olaf, – wirklich, – Sie wollen es trotz dieser Warnung versuchen, die Fremden in ihrem abgeschlossenen Gebiet zu überraschen …! Wie gern begleite ich Sie, wie gern! Ich will doch recht bald meinen Vater wiedersehen und …“

Sie verstummte, wurde sehr rot, bückte sich schnell und streichelte unseren Taito, – vielleicht hatte sie noch das leise verständnisinnige Lächeln bemerkt, das meine Lippen umspielte.

Zum Glück vernahmen wir jetzt von Osten her im Walde allerlei Geräusche, – Tikkus helle Stimme ertönte aus der Dämmerung des Urwaldes, und zu meinem Erstaunen tauchte der brave Lamsi, den ich noch fest schlafend in der Baumhütte wähnte, gleich darauf mit den beiden bereits gesattelten Reitochsen auf.

Es waren zahme Büffel mit mächtigem Gehörn, nicht etwa die weit unbeholfeneren chinesischen Rinder, die man meist nur an den Küstenstrichen antrifft. Tikku führte sie am Nasenring, und Tikkus großartige Selbstverständlichkeit, mit der er dann meinen Bericht über den Zettelfund hinnahm und hierauf ohne viele Worte das eine Tier sachgemäß mit allem Nötigen belud, zeigte mir abermals, wie wertvoll gerade dieser braune Landesbewohner uns sein würde.

Gewiß, Freund Tikku hatte auch seine Fehler und Eigenheiten, von denen am stärksten sein sehr stark entwickeltes Selbstgefühl war. Mit einem fast verletzenden Hochmut schwieg er, wenn ich einmal anderer Ansicht war, – zuweilen befand er sich im Recht, wenn es eben um Dinge ging, die ihm als hiesigem Bergbewohner vertraut waren. Trotzdem fügte er sich meinem Willen, und dies besonders dann, sobald auf unserem Eilmarsche irgendwie Schwierigkeiten zu überwinden waren. – Sein Verhältnis zu Elsie war nicht das beste, bei Tikkus stolzem, sogar hochfahrendem Charakter insofern kein Wunder, als unser blonder Schützling wie alle Engländer gewohnt war, in jedem Farbigen den Menschen zweiter Garnitur zu sehen, meines Erachtens ein Nationalfehler, der England noch einmal seine indische Riesenkolonie kosten wird.

Elsie ritt den zweiten Büffel, und genau um acht Uhr begannen wir unseren Marsch, der meiner Schätzung nach volle acht Tage dauern würde.

Ich schritt mit Taito voran, hinter mir kam Elsie, den Beschluß machte Tikku mit dem Lastochsen. Ich schlug genau südwestliche Richtung ein, wir würden dann am Abend die Stromschnellen im Süden des Biba-Schoni erreichen, würden ein Floß bauen, übersetzen und in das eigentliche Hochgebirge eindringen.

Die Hochlandwälder Formosas haben zumeist geringes Unterholz, besitzen weite steinige Lichtungen, zahlreiche Bäche und leider ebenso häufige ausgedehnte Sumpfstrecken. Innerhalb des Urwaldes spürt man kaum etwas von den Tieren der Wildnis. Großes Raubzeug, nur Leopard und Nebelparder, bevorzugen als Standquartier die grasreichen Waldblößen, wo Hirsche, Antilopen, Wildziegen und Büffel ihnen bequemere Beute gewähren. Auch die Macacs, die einzige Affenart dieser langgereckten Insel, meiden das Halbdunkel der endlosen Walddome, sogar Vögel hört man nur vereinzelt (Papageien fehlen auf Formosa ganz), lediglich die verschiedenen Arten von Wildtauben und Eulen sowie der äußerst zierliche kleine malaiische Bär fühlen sich in dieser Dämmerung behaglich und verraten ihre Gegenwart durch allerlei Geräusche, Töne und seltsame Stimmen.

Während der ersten beiden Stunden versuchte Elsie wiederholt, mit mir ein Gespräch in Gang zu halten. Aber sie gab dies bald auf, nachdem sie zweimal durch ihre Unachtsamkeit beinahe aus dem Sattel geflogen wäre, wenn ihr Reittier unversehens in ein Baumloch trat und stolperte. Ich war auch nicht dazu aufgelegt, über Dinge zu sprechen, die mir selbst noch reichlich vieldeutig und zweifelhaft erschienen. Elsie hatte meine Ansicht über den „Geisteradler“ hören wollen, – ich wich ihr aus, denn bei nüchterner Prüfung war meine Annahme über dieses geflügelte Ungeheuer wohl kaum recht zu verteidigen.

So bewegten wir uns denn in ziemlich flottem Tempo vorwärts, bis eine neue weite Waldblöße mit völlig kahlen Felspartien mich dazu bewog, nunmehr einwandfrei festzustellen, ob wir verfolgt würden. Da wir inzwischen mehrmals in steinigen flachen Bächen lange Strecken zurückgelegt hatten, durfte ich hoffen, unsere Fährte sehr gründlich verwischt zu haben. Wir hatten bisher auch weder von den räuberischen Chis noch von einem etwa uns auf die Fersen gesetzten Smaragd-Manne das geringste bemerkt. – Auf dieser Lichtung ließ ich jetzt unter einem einzelnen Baume zwischen hohen Felskulissen halten und wanderte dann mit Taito auf unserer Spur vorsichtig zurück, blieb immer wieder stehen, horchte, spähte, schickte auch Taito seitwärts auf die Suche, – – wir trafen nichts als einen feisten pechschwarzen Kerl von Bär, der überaus geschickt einen kleinen Brotfruchtbaum erkletterte. Nach einer Viertelstunde machte ich kehrt, durchaus überzeugt, daß wir nun ohne weitere Besorgnis unseren Weg fortsetzen könnten. Trotzdem blieb in mir ein ganz geringer Rest von Mißtrauen wach. Wußte ich, ob die Smaragd-Leute nicht noch über andere eigenartige Machtmittel verfügten, die aller Vorsicht spotteten?!

Es war daher die Eingebung des Augenblicks, die mich kurz vor der Lichtung, fast schon angesichts der dort lagernden Gefährten, nach rechts abbiegen ließ, um die ganze Waldblöße einmal zu umrunden. Gewiß, dies bedeutete wohl eine halbe Stunde Zeitverlust, aber was bedeutete ein solcher Aufenthalt gegenüber jener inneren warnenden Stimme, die sich so häufig bei uns aus dem Unterbewußtsein meldet und auf die gerade der Kulturmensch so wenig achtet, während der mehr auf ererbte Instinkte bauende Wilde niemals einer derartigen Mahnung sich verschließen wird.

Ich schritt flott dahin, die entsicherte Büchse im Arm, – Taito trollte jetzt mißmutig und müde und japsend hinter mir her, – es war heiß und schwül geworden, die eigentümlich schwere, drückende Luft dieser ungeheuren Walddome erschlafft Körper und Hirn, – ich spürte es selbst.

So hatte ich die Blöße vielleicht zur Hälfte umschritten, lautlos, ein wenig sorglos bereits, als ich einen Blick nach den Felsen hinüberwarf, hinter denen Elsie und Tikku lagerten.

Ich stutzte, schaute schärfer hin …

Gewiß, Freund Mac, ebenso Major Sakomo und der treue Lekho hatten mir gelegentlich davon berichtet (was bisher alle Forschungsreisenden mit Ausnahme des Amerikaners Gilberson bestritten haben), daß es noch heute auf Formosa vereinzelt Tiger gäbe und zwar von jener dunkel-gestreiften Art, wie sie in der Mandschurei und Südostsibirien sehr häufig sind.

Das, was dort oben auf dem einen Felsblock zwischen gelbblühenden Sträuchern lag, konnte nur ein Tiger sein.

Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus, denn die zusammengeduckte Bestie verriet schon durch ihre Haltung, daß sie sich zum Angriffssprung bereit machte.

Unerklärlich war mir nur, daß die Büffel das große Raubwild nicht gewittert hatten. Möglich, daß Tikku die Tiere gerade irgendwo zu einem Wasserloch zur Tränke getrieben hatte, – – dann war Elsie dort allein neben unserem Gepäck, dann …

Ich riß die Büchse hoch.

Jede Sekunde war hier kostbar. Mochte die Entfernung für einen sicheren Schuß auch viel zu weit sein, – zweifellos würde ich den Tiger wenigstens verscheuchen.

Ich achtete auf nichts ringsum.

Nicht auf Taito, der plötzlich verschwunden war …

Nur die furchtbare Gefahr, in der Lord Bellegards Tochter schwebte, umnebelte förmlich mein Hirn.

Ich zielte …

Der Tiger bewegte sich, drehte den Kopf …

Ich mußte nochmals zielen …

Eine Hand griff von hinten nach dem Büchsenlauf, und Tikku, der Lamsi-Thronerbe, sagte mit seiner unnachahmlichen Ruhe und Überlegenheit:

„Olaf, es ist nur ein Tigerfell … Ich wollte Miß Elsie Gelegenheit geben, den kreisenden Riesenadler zu beobachten. Elsie steckt in dem Fell.“

In dem Augenblick trat mir wirklich der eiskalte Schweiß auf die Stirn. Es war ja gar nicht auszudenken, wenn ich abgedrückt und getroffen hätte.

Ich starrte Tikku böse an.

„Wie konntest du eine solche Maskerade nur gestatten oder gar …“

Vor seinem unmerklichen hochmütigen Lächeln verstummte ich.

Und in dieser Minute erinnerte mich der Lamsi Tikku so sehr an meinen unvergeßlichen Coy, daß gerade dieses blitzartige Vergleichen der beiden Persönlichkeiten meinen Ärger und meine Bestürzung völlig wegwischte.

„Der Adler,“ sagte Tikku nochmals und deutete schräg nach oben in den lichtblauen Äther, wo in schwindelnder Höhe langsam, bedächtig ein Vogel seine Kreise zog …

Vogel?!

Nein, – es war der Geisteradler, und seine übernatürliche Größe konnte ich leicht abschätzen: Ein Vogel wie aus den Urzeiten der Erde, wo gewaltige Tiere von wunderlicher Gestalt und Vögel von phantastischer Länge mit den ersten Menschen furchtbare Kämpfe geführt haben mochten.

Langsam, sicher, überwältigend als vereinzeltes Bild im Himmelsblau, kreiste das riesenhafte Geschöpf. Es schwebte nicht, – es flog, – ich sah die Bewegungen der dunklen Schwingen, die, mochten sie auch aus der Nähe hell gefärbt erscheinen, dort hoch oben im Sonnenglast sich scharf abzeichneten gegen die lichte Unendlichkeit des Weltenraumes.

„Nun hast du ihn gesehen, Olaf,“ meinte der Häuptlingssohn ohne jede Erregung. „Er sucht uns. Er ist abgeschickt von denen, zu denen wir wollen … – Ich habe die Büffel gut verborgen, und mag der Adler auch noch so gute Augen besitzen: Er findet nichts, – auch wir stehen jeder gedeckt.“

Meine Nerven gehorchten mir wieder, ich zog das Fernglas aus dem zerschabten Futteral, stellte es ein und bekam den Adler klar vor die Linsen.

Ein eigentümliches Rieseln ging mir über den Leib, als ich nun erst die Einzelheiten des seltsamen Geschöpfes feststellen konnte.

Die Größe allein war es nicht, die mich erschreckte, – es war vielmehr die Erkenntnis, daß all meine Vermutungen falsch gewesen. Ich hatte in der verflossenen Nacht, ich, der einstige Ingenieur, sehr bald eine einleuchtende Deutung gefunden für das, was weder Flugzeug noch Luftschiff sein konnte:

Schwingenflieger!

Mir waren die unermüdlichen Versuche sehr wohl bekannt, die ein greiser deutscher Konstrukteur im felsenfesten Glauben an einen schließlichen Erfolg mit einem sogenannten Schwingenflieger angestellt hatte, das heißt mit einer Flugmaschine, die durchaus den Vogelflug nachahmen sollte durch bewegliche Flügel, getrieben von einem Benzinmotor.

Das hatte ich angenommen: Schwingenflieger, künstlicher Vogel!

Und jetzt konnte ich mit eigenen Augen erkennen, daß der Adler dort, dieses Riesengeschöpf, ein Gebilde von Fleisch, Blut, Knochen und Federn war!

… Unermüdlich kreiste er …

Kam näher, entschwand fast, kehrte zurück …

Suchte … suchte nach uns!

So hatte Tikku, der Lamsi-Sohn, gesagt.

War das möglich?!

Sollten die Leute des Smaragd-Landes wirklich ein solches Geschöpf so dressiert haben, daß es ihrem Willen gehorchte, daß es wohl gar einige von ihnen auf seinem Rücken trug?!

Ich ließ das Glas nicht von den Augen.

Gerade jetzt näherte sich der Adler und flog etwas niedriger. – Ich strengte meine Augen über Gebühr an, ich erkannte den gekrümmten Schnabel, sogar die Augen, auch den eigentümlich fächerartigen Schwanz, – aber auf dem Rücken des unheimlichen Geschöpfes befand sich kein einzelner Mensch, befand sich nichts … nichts …

Aber – – der Adler suchte!!

Das merkte ich.

Er suchte … uns! –

In all seinen Bewegungen, in den Schleifen und Kreisen lag bewußter Wille, lag Sinn, Absicht.

… Es begann mir vor den Augen zu flimmern …

Ich mußte das Fernglas sinken lassen.

Tikku, der Lamsi, kauerte gleichgültig am Boden und aß voller Gemütsruhe eine rosige, saftige Frucht.

„Nun, Olaf?!“ In diesen zwei Worten lag mehr als in vier, fünf wohlgefeilten Sätzen. Nahm man zu der Betonung der Worte noch den Ausdruck der Augen und des hellbraunen, schmalen, fast europäischen Gesichts hinzu, dessen Haut niemals den matten Schimmer zartesten Crepe-de-Chine-Stoffes verlor und nie schweißig glänzte, so fiel eine Antwort wirklich nicht schwer.

„Ja, Freund Tikku, – es ist unheimlich, ich gebe dir da rückhaltlos recht. Wärest du in technischen Dingen bewanderter, würde ich dir auseinandersetzen, wie ich anfänglich über dieses Geschöpf von so überwältigenden Maßen dachte.“

„Ich sah viele Flugzeuge in Schanghai,“ meinte der Lamsi schlicht. „Ich sah auch Bilder von den Luftschiffen der Deutschen, mit denen sie im Kriege bis England fuhren. Ich kenne das Surren der Propeller, es ist sehr weit zu hören. Hier hört man nichts, und meine Ohren sind gut.“

Ich lehnte mich an einen Baum. Augenblicklich durften wir nicht zu Elsie über die freie Lichtung hinüber, denn der Adler schwebte gerade über uns, wir wären bemerkt worden.

„Ich stehe hier vor einem vollkommenen Rätsel,“ fügte ich sehr wenig selbstbewußt hinzu. „In der verflossenen Nacht müssen doch die Smaragd-Leute mit diesem Riesenvogel, auf diesem Riesenvogel uns erreicht und mit den Gefangenen auch wieder verlassen haben. – Wie befördert der Adler sie?! Wie befestigen sie sich an ihm?! Wo sind sie auf, an ihm?! Man sieht nichts von ihnen.“

Tikku warf den Rest der Frucht in das Schlupfloch eines Ameisenfressers. „Es ist ein großes Geheimnis, Olaf, und wir sind hier an diesen Platz gebannt, so lange der Adler sichtbar bleibt. Vögel haben noch schärfere Augen als ich …“ Er prahlte nicht, denn seine nächste Bemerkung bewies mir, daß er kein Fernglas brauchte. „Olaf, sahst du je einen Adler mit so starkem Flügelschlag seine Kreise ziehen?! Ein Adler schwebt … Er gleitet durch die Luft, ohne sichtbare Bewegung der Schwingen. Nur wenn er aufsteigt, wenn er höher der Sonne zustrebt, bemerkt man das Arbeiten der Flügel. Aber der Geisteradler da verhält sich anders. Seine Schwingen rühren sich unausgesetzt. – Ich wundere mich.“

Auch das besagte alles.

„Du glaubst also nicht an einen natürlichen Vogel, Tikku?“

Zu meinem Erstaunen holte er aus seinem langen Köcher einen schmalen, dünnen Holzspan heraus.

„Dies fand ich unter einem Baume am Rande der Lichtung heute früh, als ich die Reitochsen holte, Olaf.“

Ich betrachtete das Brettchen. Es war sauber geglättet und gefirnißt, aber nur in schräger Linie auf der einen Seite hellbraun mit Lack gestrichen, zweifellos ein abgesplittertes Stück eines größeren Holzes.

Ich wußte nichts damit anzufangen. Es konnte von einem leichten Kistchen herrühren – konnte.

Ich zuckte nur die Achseln. „Das macht uns nicht klüger, Tikku.“

Der Häuptlingssohn sagte kurz: „Mich gewiß nicht, Olaf. Du bist ein Europäer und ein Gelehrter.“

„Hier hilft mir mein Wissen nichts,“ – und ich schaute wieder empor zu dem Riesenvogel, der inzwischen bedeutend höher gestiegen und kaum noch zu erkennen war. Er entfernte sich nach Westen zu, und das war die Richtung, wo jenseits der Gebirgskette das Smaragd-Land liegen mußte. Ich nahm das Glas, – in wenigen Minuten schrumpfte auch vor den Linsen der Adler zum Pünktchen zusammen und verschmolz dann mit dem blauen Äther vollkommen.

„Aufbruch, Tikku …!“

In aller Eile beluden wir den einen Büffel, Elsie stieg in den Sattel, – um zwei Uhr nachmittags hatten wir den Fluß hinter uns und erklommen auf schmalen Wildpfaden die schroffen Wände des Gebirges.

 

6. Kapitel.

Der Weg zum Smaragd-Lande.

… Und nun ist es wieder einmal nacht, und in unserem Versteck eine Viertelstunde vor dem Sumpfgürtel ist es bereits die dritte Nacht.

Wir haben da im Urwald eine Schlucht gefunden, die uns genügend schützt, die eine frische Quelle hat und in der auch unsere Büffel weiden können. Rings um die Schlucht häufen sich entwurzelte Stämme, von Dornen und Lianen durchzogen, zu festem Wall. Ein reiner Zufall, daß ich einen Durchschlupf entdeckte …

In zwei Felslöchern der Südwand hausen wir kühl und trocken. Das Leopardenpärchen, das bisher diese Urwaldfestung bewohnte, hat daran glauben müssen. Tikkus Pfeil und mein Wurfmesser und einige Felsbrocken taten geräuschlose Arbeit. – Geräuschlos ist hier Hauptbedingung. Wir haben bereits so manches erkundet und gesehen, sind jedoch bisher unentdeckt geblieben, und das danken wir nur meinem Einfall, niemals auf dem üblichen Wege auf festem Boden den Sumpfrand zu besuchen. Wir wählen stets den Weg durch die Baumkronen. Er ist mühsam, aber wir vermeiden auf diese Weise alle Spuren. Nicht eine einzige Fährte auf dem weichen Humusboden verrät uns.

So manches erkundet …

Schon am ersten Tage nach unserem Eintreffen hier war ich bis zu dem Sumpfgürtel geklettert, hoch in den Ästen, hatte dann einen Durchblick gefunden und mit dem Fernglas über die Moräste hinweggespäht. – Ich schätzte die Breite des Sumpfringes auf eine Meile. Mac, der arme tote Mac, war ein Optimist, wenn er hoffte, jemals diese nasse Wildnis durchdringen zu können. Ich habe den Gedanken längst aufgegeben. Im Grunde ist unsere Anwesenheit hier sehr überflüssig, denn wir werden niemals das Smaragd-Land besuchen können, es sei denn, wir besäßen ein Flugzeug und könnten diese Dornenverhaue, die grünen trügerischen Sumpflachen und diese Dickichte überfliegen, – niederdrückende Erkenntnis gleich am ersten Tage!

Und dann: Was Mac da von Holzschuppen, Häuschen und so weiter geredet hat, die er gesehen haben wollte (genau wie der bewußte wagemutige Konsulatsbeamte), – keine Rede davon.

Es war sehr klares Wetter, als ich das Smaragd-Land an jenem Vormittag mit dem Glase durchforschte. Man könnte es eine felsige, buschreiche große Insel nennen – mit einigen Wäldern, einem blinkenden See, einem schillernden breiten Fluß, der einen schönen Wasserfall bildet …

Aber Gebäude, Menschen?!

Nein, nichts davon …!

Diese „Insel“ also, umsäumt von der flüssigen, dornigen, fieberschwangeren Mauer, dürfte drei bis vier Meilen Durchmesser haben. Die Vogelschwärme des Dschungels kreisen darüber, – der „Adler“ kreist dort niemals. Nicht ein einziges Mal bemerkten wir ihn, und auch Tikku und Elsie haben schon des öfteren das ferne, unerreichbare Smaragd-Land mit dem Glase betrachtet.

Nichts Auffälliges zeigt sich dort. Nach Westen zu sperrt freilich eine kahle steile Hügelkette den Blick ab. Trotzdem: Befänden sich dort noch Menschen, sagte ich mir am ersten Tage, müßte man etwas von ihrer Anwesenheit spüren, Rauch müßte aufsteigen, die Vogelschwärme würden scheuer sein …

Sagte ich mir …

Und am zweiten Tage hockte ich bereits vor Tagesanbruch mit Tikku in der Krone desselben Kampfergiganten, der in seiner duftenden Familie Urahn sein muß. Sechzig Meter hoch – bestimmt. Den Umfang des Stammes unten kenne ich nicht, wir betreten den Boden nicht.

An diesem zweiten frühen Morgen im Dämmerlicht der ersten Helle wurden wir eines Besseren belehrt, da sahen wir einen der Wächter lautlos schräg unter uns vorsichtig dahinschreiten, einen Karabiner im Arm, im Rucksack aber – und das war das Bedenkliche – einen stichelhaarigen gefleckten Terrier, der Kopf, Brust und Vorderpfoten außerhalb seines Tragbeutels hatte.

Der Zweck war ersichtlich: Die feinere Hundenase sollte diesen Posten, diesen Mann in Khaki mit Khakimütze, rechtzeitig warnen.

Ein blonder Mann mit sauber gepflegtem Spitzbart übrigens.

Das war nicht alles.

Der Mann trug derbe Schuhe und leichte Schnallgamaschen – gewiß …

Aber Spuren hinterließ er nicht …

Er trug unter den Sohlen eine Art kanadischer Schneeschuhe – so etwa sahen die Dinger aus –, und sie verursachten weder Geräusche noch tiefere Eindrücke, zumal dieser Wachtposten sehr sorgfältig grasfreie Stellen wählte.

Wir hielten den Atem an, als er unter uns mit seiner Hundelast dahinschritt … Er verschwand, und nach einer Stunde erschien eine zweite Wache, genau so ausgerüstet, ein langer Bursche mit trägen Bewegungen – auch mit Terrier auf dem Buckel.

Nun wissen wir: Der Außenrand des Sumpfgürtels wird Tag und Nacht abpatrouilliert.

Schlußfolgerung: Die Smaragd-Insel ist doch bewohnt! –

Was hilft uns dieses Wissen?!

Nichts! Gar nichts!

Hinüber können wir ja doch nicht. Würden wir es wagen, etwa einen toten Baum zum Nachen auszuhöhlen und in die Wildnis dort einzudringen: Die Hunde würden uns wittern, unsere Fährten könnten wir niemals völlig verwischen, und … dann das Fieber!!

Ich habe nachts aus den Morästen die Nebel aufsteigen sehen. Gewiß, wir schlucken jeder jeden Tag unsere Dosis Chinin, wir leiden daher dauernd unter Ohrensausen, aber in dem Dschungel hülfe uns auch Chinin nichts! Milliarden von Stechmücken flattern dort sofort nach Sonnenuntergang auf, wir erkennen diese Wolken surrender Insekten mit bloßem Auge …

Selbstmord wäre es, das grünbraune Gebräu im Nachen zu durchfahren, – – vielleicht fünfzig Meter weit, dann würden die stachligen Mauern uns zur Umkehr oder zu fragwürdigen Umwegen zwingen.

Es hilft uns auch nichts, daß wir ebenso genau wissen, daß diese Wächter diesen Morastring zweifellos sehr bequem überwinden, daß sie ganz nach Belieben ihr geheimnisvolles kleines Land verlassen und dorthin zurückkehren können.

Wie bringen sie das fertig?!

Wir, Tikku und ich, haben die Frage schon soundso oft erörtert. Möglich, daß es doch eine geheime Wasserstraße durch dieses Labyrinth von grünbraunen Wasserlöchern, Dornen, Lianen, Sträuchern und nochmals Dornen gibt. Möglich, daß irgendwo an anderer Stelle des Sumpfrandes genügend hohe Bäume quer durch den Schutzwall sich hinziehen und so mit ihren Ästen eine Brücke bilden – möglich beides, aber nicht sehr wahrscheinlich. – Eine Übergangsstelle muß vorhanden sein! Wäre sie nicht da, würde diese scharfe Bewachung sich erübrigen.

Rätselraten also …

Und ich schreibe hier diese Rätsel nieder, eine Steinplatte als Tisch, auf der die halb verhüllte Karbidlampe steht. Tikku schläft im Hintergrunde der Grotte, Elsie desgleichen nebenan in der zweiten, und der vierte im Bunde, das Musterexemplar Taito, leistet natürlich Elsie Gesellschaft.

Elsie ist sehr enttäuscht. Ihre stille erste Liebe auf den ersten Blick zu John Burr dürfte wenig Aussicht haben, je über das Anfangsstadium hinwegzukommen. Die Smaragd-Insel ist selbst einem so netten blonden Mädel gegenüber sehr unzugänglich.

… Meine Zigarre ist nur noch Stummel. Es wäre Zeit, das Mooslager aufzusuchen, – es muß längst Mitternacht sein.

Ein Blick auf die Uhr: Halb eins!

Und doch: Ich bin nicht müde, ich habe hier in dieser Schlucht zu wenig Bewegung, ich bin körperliche Anstrengungen gewöhnt, – wie soll ich hier die träge gewordenen Glieder wieder geschmeidig machen?!

Zwischen den Blättern des Tagebuchs hat sich ein hellerer Zettel aufdringlich hervorgeschoben: Die Warnung der Smaragd-Leute!

Ich überfliege sie nochmals, und – ein Zufall – ich drehe das Blatt um und sehe auf der Rückseite schwache lila Streifen: Durchdruck von Maschinenschrift!

Lese … Schiebe die Lampe näher, – buchstabiere, manche Buchstaben sind zu undeutlich, trotzdem ergibt das Ganze einen Sinn. – Es ist ein Geschäftsbrief einer Maschinenfabrik in Tokio an Mr. John Burr, Kelung, Formosa … Datum von vor zwei Jahren, Herbst. Die Firma meldet Mr. Burr, daß die Zahlung für die beiden Leichtmotore eingegangen sei und daß die Motore in zehn Tagen in Kelung mit Frachtdampfer Hata Maru eintreffen würden.

Zwei Vierzylinder, geringstes Gewicht, – – das gibt zu denken. Und die Gedanken lassen mir keine Ruhe …

Schon gestern entwarf ich flüchtig einen Plan, wie man nachts einmal einem der Wächter folgen könnte. Aber mir fehlte gestern der große Ansporn für ein großes Wagnis. Heute habe ich ihn: Diesen durchgedrückten Brief der Firma aus Tokio!! John Burr hat also vor zwei Jahren zwei Motore für die Smaragd-Leute in Empfang genommen … Und damit ist die Frage „Geisteradler“ wieder so sehr in den Vordergrund gerückt, daß ich endlich mit dieser Ungewißheit Schluß machen will.

Ruhe – – Nerven meistern!! Es wäre ja noch schöner, Olaf Karl, wenn du alter Ritter ungebahnter Pfade dich hier wie ein Unterrock von den sogenannten Nerven peinigen lassen wolltest! – Ruhe – eine neue Zigarre, überlegen, genau überlegen …!

Wie ist das doch da mit den Wächtern draußen? – Immer zwei sind es, der eine umkreist den Sumpf nach dieser, der andere nach jener Richtung, und gegen zwei Uhr morgens und elf Uhr vormittags und acht Uhr abends werden sie abgelöst, wechseln sie. – Das weißt du, Olaf Karl, und jetzt zeigt deine Uhr drei Viertel eins.

Beeile dich ein wenig, überhaste nichts, du wirst schon noch zur Zeit zur Stelle sein.

– – Ich hockte oben in dem bewußten Baum, wartete … Vor mir der Sumpf, hinter mir die Lichtung, wo Mac den Fremden erschoß und den Smaragd dann mitnahm, der letzten Endes doch wertlos ist, wenn er auch ein Geheimzeichen der Smaragd-Brüder sein sollte.

Die Nacht ist windstill, – mondhell, – die Nebel des Dschungels reichen nicht bis hierhin. Ich habe die Büchse in der Grotte gelassen, sie würde mich nur behindern … Ich habe auch auf die Stiefel verzichtet und mir die Sandalen von Tikku ohne dessen Wissen ausgeliehen.

Ich warte …

Es ist ein gefährliches Spiel … Ich bin fünf Äste tiefer geklettert. Wenn der Terrier mich wittert, ist die Partie verloren.

… Und dann kommt der eine Wächter von Norden her … Es ist wieder der mittelgroße mit dem feinen Spitzbart. Ich beuge mich vor – weit vor, – ich sehe den Rucksack, den Hund darin …

Und verwünsche den Drahthaarfox.

Mein Lasso hängt fast bis zum Boden hinab, – ich rutsche abwärts, ziehe den Lasso hinterdrein und bleibe im Walde unter den Bäumen, immer schräg hinter dem langsam, behutsam Dahintappenden. Es kann kaum ein Vergnügen sein, mit diesen geflochtenen Dingern unter den Sohlen stundenlang die Runde zu machen.

Ich bin leichtfüßiger …

Zehn Minuten dauert nun bereits dieses Schleichen, Kriechen, Spähen, diese immerwährende Nervenspannung.

Der Mann mit dem Terrier macht wiederholt halt. Ich spüre geradezu seine wachen Sinne, sein Mißtrauen gegen jedes Geräusch. Zum Glück ist der Urwald um diese Stunde belebt von allerlei Nachtgeschöpfen, das Jaulen und Schreien der Leoparden ertönt aus allen Richtungen, schwarze Bären sind zu dritt und zu vieren auf der Honigsuche und gleiten, die Krallen als Bremsen benutzend, an den Bäumen herab, fauchen, zischen, balgen sich, wilde Zwergkatzen haben anscheinend Balzzeit, und ihr Konzert vereint sich mit dem schrillen, kurzen Aufheulen der seltsamen, mörderischen Baumzibetkatzen zu gräßlichen Disharmonien …

Ja, der Urwald lebt, und hier so unmittelbar in der Nähe der weiten Hochlandmoraste ist die Wildnis offenbar fruchtbarer und bewohnter von scheuem Getier als drüben in den leichter zugänglichen Gegenden der östlichen und westlichen Gebirgskette. Dies hier, betonte Freund Tikku stolz, ist seine Heimat, wenn auch die weit verstreuten Dörfer der Lamsi nördlicher auf den Grassteppen und an der Grenze der Region des Nadelholzes liegen.

Der Mann da vor mir ist dieses nächtliche Konzert gewöhnt, das merke ich, und wenn er halt macht und horcht, dürfte er genau unterscheiden, welches der Geräusche altgewohnt und daher harmlos und welches wieder neuartig und verdächtig sein könnte. Der Mann hält sich stets im Schatten der überhängenden Zweige, seine Gestalt verschmilzt mit den Farben der Stämme und Büsche in eins, soundso oft verliere ich ihn aus den Augen, muß dann mühsam, wagemutig näher heran, bis der helle Kopf des Hundes ihn wieder verrät, – soundso oft wird sein Mißtrauen rege, dann setzt er – für mich qualvolle Minuten – den Terrier zu Boden und schickt ihn mit leisem Befehl in das Gestrüpp … Dann muß ich schleunigst den nächsten Baum erklettern, – ahne die schleichende Gefahr des Entdecktwerdens, ahne das Mißlingen des ganzen Planes, – – aber alles verebbt wieder zum bisherigen Verfolgungsspiel, und mein schweißfeuchter Leib, das hämmernde Herz finden neue Galgenfrist.

Noch zehn Minuten so …

Meine Hände bluten, mein Gesicht erscheint mir eine einzige große Kratzwunde gehässiger Dornen.

Und dann taucht der zweite Wachtposten auf, – beide stehen im Mondlicht, sprechen leise miteinander, und vereint setzen sie den Weg nach Westen fort.

Ich atme auf.

Ihr Tempo beschleunigt sich, ihre Aufmerksamkeit erlischt, der Kleinere zündet sich eine Zigarette an, und – noch ein paar Minuten, und vor uns tritt der Wald in scharfem Bogen vom Sumpfrande zurück und macht einer Reihe kahler dunkler Felsen Platz. Die beiden verschwinden in den zackigen Hügeln düsterer Felsen, und ich, alles auf eine Karte setzend, laufe flüchtigen Fußes über die mondhelle freie Strecke, werfe mich nieder und krieche die kleine Schlucht auf der Schattenseite entlang, sehe gerade noch, wie zwei weitere Leute gleichsam da vor mir zwischen Geröll und ein paar schlanken Nadelbäumen aus dem Boden wachsen …

Vier sind es nun …

Die Ablösung übernimmt von den beiden ersten die Hunde, – sie reden, es geht etwas erregt her, und ich, Schüler Coys, des Unvergeßlichen, schiebe mich näher und näher heran, finde Deckung, – noch näher, – höre jetzt einzelne Worte, verstehe sie, kenne die Sprache …

Es sind Finnländer …

Söhne des Landes der tausend Seen …

Der Schlagschatten eines betäubend duftenden Busches mit knallgelben Glockenblüten (übrigens eine böse Giftpflanze, mir schon bekannt) gestattet mir den Kopf zu heben …

Ich horche …

Was sie sprechen, betrifft nicht uns, nicht Dinge der Nähe. Ich glaube zu träumen … Namen werden laut, die fern im Süden, wo das ewige Eis des Poles beginnt, als Inselgruppen jedem Robbenschläger vertraut …

Ich erhasche die Wörter „Funkspruch“, „Dreimaster“, „Fackel“ …

Aber die verbindenden Sätze fehlen mir, – der eine Terrier knurrt, es wird still, ich halte die Pistole bereit, ducke mich, – der Tod scheint bereits nach mir zu greifen, – dann lacht der eine Finne.

„… Wildkatze, – still, Abo, still!!“

Sei gesegnet, Wildkatze!!

Meine zum Sprung, zur Verteidigung verkrampften Muskeln lösen sich …

Aber ich vernehme nichts mehr, ich hebe den Kopf, erblicke die beiden Leute der Ablösung, die sich bereits in entgegengesetzter Richtung entfernen.

Die beiden ersten …?!

Wo?

Wo nur?!

Soll ich um den Lohn dieser qualvollen Stunde betrogen werden?!

… Dort standen die vier, zwanzig Meter entfernt, dort neben den krummen Fichten an der überhängenden Steilwand.

Ich warte, obwohl der Eifer der Ungewißheit mir die Sinne verwirrt, – die überanstrengten Augen schmerzen, tränen …

Wo sind sie?! – Die Felsen antworten nicht.

Totenstille …

Eine Rieseneule schwebt dem Sumpfe zu, stößt herab, – ein jämmerliches Quieken …

Arme Wasserratte …

Und – armer schweißgebadeter zerschundener Olaf!

Alles war vergeblich, – die Stunden der Pein hättest du dir sparen können!

Mit dem Handrücken wische ich den beißenden Schweiß und das rinnende klebrige Blut aus den Augen … Ich zwinge die Enttäuschung nieder, – der klare Verstand sagt mir, daß ich dem Geheimnis des Zuganges zur Smaragd-Insel ganz nahe bin.

Wo sollten die beiden stecken?! Etwa sich dort niedergesetzt haben, ausruhen?!

Niemals!

Und das Bild von vorhin rufe ich mir zurück: Wie die beiden neuen Wachen gleichsam aus dem Boden wuchsen!

Wuchsen, – – also emporstiegen aus dem Geröll, aus irgendeinem Loche dort … – Loch … Höhle … lange, endlose Felsenhöhle, lang genug unterirdisch den Sumpf zu überbrücken …

Das ist es!

Und der Gedanke elektrisiert mich, – ich krieche vorwärts, bin zwischen den duftenden, harzschwitzenden Fichten, schiebe mich unter die tiefhängenden Äste, – – und sehe … sehe … und der Atem stockt mir …

Im Mondlicht kniet da Freund Tikku, den ich schlafend wähne, und hebt mit beiden Händen eine flache, harmlose, große Steinplatte auf …

Ein dunkles Loch darunter, eine Spalte, schräg hinabgehend in die Tiefe …

„Tikku …!!“

Er wendet kaum den Kopf.

„Hole Elsie, Olaf …!“ sagt er leise … „Elsie und Taito. Wir werden die Fremden sehen, Olaf … ihre Insel, ihr Land, den Adler … Hole Elsie! Es eilt. Auf dich hört sie, und …“

Ich biege mich halb in die Spalte, – das Mondlicht zeigt mir eine blank gescheuerte Steinfläche, – dort rutschen sie hinab, die Finnen, – dort kommen sie empor aus dem Schoße der Erde.

„Eile, Olaf …!!“ mahnt der Häuptlingssohn. „Ihr müßt hier sein, bevor die Wachen wieder nahen … Führe die Büffel in den Wald, Olaf, denn ob wir sie je wiedersehen werden, ich weiß es nicht …“

Tikkus Diplomatie ist denn doch zu anfängerhaft. Ich durchschaue seine Absicht. Er will mir den ungefährlicheren Teil der Fortsetzung dieses Abenteuers zuwenden, denn es ist wahrlich keine besondere Tat, das Mädchen, den Hund und unser notwendigstes Gepäck herbeizuschaffen, da ich doch bestimmt weiß, daß die beiden Wachtposten mich vorderhand kaum belästigen können. – Anders liegen die Dinge hier an dieser brenzlichen Stelle, wo jeden Moment aus dem Schlunde unerwartet ein paar der Smaragd-Leute auftauchen können – vielleicht mit ihren fixen Drahthaarterriern, die dann sofort die Anwesenheit eines Fremden wittern würden.

„Ganz recht,“ sage ich nun, „– beeile du dich, Freund Tikku, bestelle Elsie nur, daß sie dir folgen muß, treibe du die Büffel in den Wald, – ich bleibe!“

Der Lamsi erhebt sich sofort. „Wie du willst, – aber verschließe das Loch wieder, nimm auch dort die gelben Blüten und … – aber du kennst das ja, Olaf …“

Wie ein Schatten entschwindet er, trabt durch die Schlucht, und ich bin allein.

In meiner Seele erhebt sich ein heißer Widerstreit zwischen Neugier, frischem Wagemut und der Einsicht, daß jedes vorschnelle, unkluge Handeln uns noch in letzter Minute den Weg zu der geheimnisvollen Kolonie der Einsamen drüben jenseits der Sümpfe versperren kann.

Noch immer knie ich vor der Felsplatte, zaudere, – aber ich gebe der mahnenden Stimme in meinem Innern dennoch nach, packe den Rand der hochgekippten Steinplatte, schiebe ein paar der längsten, tiefsten Fichtenzweige zurück und …

Zu spät – zu spät etwa?!

Lichtschein dort in der Tiefe? – Eine Laterne, deren Leuchtkranz hin und her schwankt …?

Es ist eine Laterne, – es ist ein Mensch, der da aus den Schlünden der Felsen empor will …

Zu spät!

Nur eins noch, meinen Fehler wettzumachen: Ist es nur ein einzelner Mann, so soll er lautlos hier oben im Scheine des Mondes mein Gefangener werden, – nur das verspricht Abwendung dringendster Gefahr!

Ich krieche zurück, kauere zwischen den tief hängenden Ästen, sprungbereit, – und mein Herz pocht ruhig, ohne Hast …

Nun taucht eine braune Mütze auf, zwei Arme greifen nach einem Halt, zwei Hände ziehen den Körper nach … Die Laterne, die dem Manne vor der Brust hängt, klirrt leise gegen das Geröll, der nur mittelgroße Mann richtet sich auf, kehrt mir den Rücken zu, blickt flüchtig ringsum, – kein zweiter folgt ihm, und mit flinkem Ansprung werfe ich ihn nieder, presse ihm die Kehle zu, die Mütze gleitet herab, und unter der Mütze quillt jetzt eine Woge braunroten seidigen Frauenhaares hervor …

Ein Weib, – – vielleicht gar Mita Mac Barny, Tochter der Chippeway-Indianerin, – – vielleicht …

Ich lockere den derben Griff, – ihr Kopf schnellt herum, ein Paar übergroße dunkle Augen glühen mich drohend an, und noch blitzschneller zuckt blanker, schmaler Stahl gegen meine Brust …

„Katze mit Krallen!!“ – ein Fausthieb, das Messer fliegt davon, und auf meine hastige Frage kommt leise, hastige Antwort:

„Ja, ich bin Mita Mac Barny …! Und – wer sind Sie?!“

„Ein Freund Ihres Vaters,“ flüstere ich fast beschwörend. „Bei Gott, ein Freund von ihm, der …“

„Sie lügen …!“ – Aufrecht sitzt sie da, Verachtung in Blick und Stimme. „Sie lügen, – mein Vater – – hier?! Das ist unmöglich, das …“

„Es ist die Wahrheit! Woher wüßte ich sonst Ihren Namen?! Urteilen Sie nicht vorschnell, beantworten Sie mir meine Fragen, – wir haben nicht viel Zeit, die Wachen werden in einer knappen Stunde wieder hier sein und bis dahin müssen wir …“

Ich hatte noch immer ihr rechtes Handgelenk umklammert, denn diese junge Dame, mehr reizende Wildkatze, ist gefährlich.

„Lassen Sie mich los!“ sagt sie in gänzlich verändertem Tone. „Ich glaube Ihnen, – verzeihen Sie … woher sollten Sie auch meinen Namen kennen?! Ich war töricht, aber es war die letzte Chance für mich, Mr. … Mr. … – wie heißen Sie?!“

„Abelsen.“ Weshalb soll ich mich Macs Tochter gegenüber hinter einem der vielen anderen Namen scheu verkriechen, die man mir hier und dort beigelegt hat, vielleicht stolzere, gewichtigere Namen als das nichtssagende Abelsen. Waren die Zeiten nicht köstlich, als ich nur El Gento hieß?!

Sie zuckt merklich zusammen. Ihr sprühender Blick gleitet von Kopf bis Fuß über mich hin.

„Abelsen …“ wiederholt sie gedehnt … „Oh – also Abelsen … Dann sind Sie der, den man fürchtet … mit dessen Kommen sie rechnen, diese, diese …“

„Wer?“ frage ich dringend. „Wer sind die Leute, wie viele sind es, was treiben sie hier?! – Miß Mita, ich weiß so gar nichts von den Leuten. Aber Ihrem Vater gelobte ich es in die Hand, für Sie zu sorgen, und ich gehöre nun einmal zu den altmodischen Naturen, die ein Versprechen unbedingt halten … Es ist alles so dunkel, so geheimnisvoll, was ich bisher über das Smaragd-Land in Erfahrung bringen konnte.“

Ein schwaches Lächeln überfliegt ihr dunkel getöntes Gesicht.

„Das glaube ich Ihnen, Mr. Abelsen … Es ist schon sehr viel, daß Sie überhaupt diese richtige Bezeichnung wählten: Smaragd-Land!! – Aber, wo ist mein Vater? Hat er mir verziehen? Er hat ja damals Thomas Malcolm so falsch beurteilt …“

Armes Mädel, – sie war so ganz ahnungslos, und wenn mir jemals die peinliche Rolle des Überbringers einer Trauerbotschaft schwer gefallen war – hier doppelt, dreifach!

Mita Barny schien Gedanken lesen zu können. Mochte mein Gesicht auch im Schatten liegen, mochte ich meine Züge noch so sehr beherrschen können, – jetzt umklammerte ihre Hand die meine, und diese Hand zitterte leise und war eisig kalt …

„Er … ist … tot, – ich … ich fühle es, er ist tot,“ flüsterte sie scheu. „Es sollte nicht sein, daß ich ihm nochmals für seine Liebe und Güte dankte. Ich … konnte ihm ja niemals Nachricht zukommen lassen … Wüßten Sie, was alles in diesen zehn Jahren das Schicksal mir grausam aufbürdete, Sie würden vielleicht zweifeln, daß ein junges Weib, kaum erst Gattin des besten Menschen der Welt, derartiges überstehen könnte.“ Sie kämpfte die Tränen nieder, ich merkte, wie tief die Trauerbotschaft sie getroffen hatte, ich gewann aber auch Achtung und Bewunderung für diese Frau, von der ich bisher so wenig gewußt hatte. Sie war offenbar eine schlichte, aufrichtige, starke Seele, und gerade ihre pikante Schönheit, dazu die vollendet ebenmäßige, kräftige Gestalt, die angenehme, klare, feste Stimme mußten Sympathie erwecken.

Sie schwieg eine geraume Zeit. Regungslos starrte sie zum Monde empor, mir halb den Rücken zukehrend. Die edle Linie ihres Profils verriet, daß ihre indianische Mutter zu jenem südlicher hausenden Unterstamm des Chippeway-Volkes gehört haben mußte, der noch nicht die unschönen Merkmale der farbigen Bewohner der unendlichen Wälder und Einöden des nördlichsten Kanada besaß.

Dann sagte sie mit einem schwachen Seufzer, der mehr wie ein tiefer, befreiender Atemzug klang: „Mr. Abelsen, es ist jetzt nicht die Stunde, uns gegenseitig das Herz auszuschütten. Nur eins müssen Sie wissen: Ich wollte fliehen, denn die Finnländer dort jenseits der Sümpfe halten mich als Gefangene fest. Ich muß meinen Gatten wiederfinden, – sein Schiff ist jener Dreimaster „Eisvogel“, mit dem die Südpolexpedition Doktor Vandermars damals vor drei Jahren so hoffnungsfroh die Reise antrat. Mein Gatte Thomas Malcolm war mit Vandermar befreundet und Erster Offizier des prächtigen Schiffes. – Haben Sie von dem traurigen Schicksal des Eisvogels gehört?“

Ich verneinte. „Und – wie kamen Sie hierher, gerade hierher nach Formosa, Frau Malcolm?“

„Taifun!“ erwiderte sie gepreßt. „Orkan – das sagt alles. Ich wurde hier im Chinesischen Meer über Bord gespült … Der Sturm riß gleichzeitig den Kombüsenaufbau wie eine Pappschachtel weg. Ich trug bereits zwei Schwimmgürtel, band mich an das treibende Holzgehäuse fest, verlor die Besinnung und erwachte erst – – hier im Smaragd-Land. Man hat mich nicht schlecht behandelt, – nein, ich würde den Leuten unrecht tun, nur – ich war eine Gefangene, und als ich dann zufällig erlauschte, daß der Dreimaster irgendwo vor der großen Eisbarriere des Poles seit anderthalb Jahren eingefroren festliegt und daß die Funksprüche der Besatzung wohl lediglich durch Professor Sven Burrs Empfänger mehr durch Zufall aufgefangen wurden, und als …“ – sie stockte, horchte, – auch ich war zusammengefahren, denn vom Smaragd-Lande her war ein dumpfer Knall ertönt wie von einer gewaltigen Explosion …

Wir blickten über den Dschungel hinweg in die im bläulichen Dämmer verschwindende Ferne, wir sahen eine Flammensäule hochschießen, kleinere Detonationen folgten, neue Flammenfontänen gingen empor, dann ward die Nacht dort drüben von einer stetig anwachsenden rötlichen Glut durchleuchtet, – – noch ein letzter Knall – so stark, daß wir den Luftstoß spürten und Mita Malcolm gegen meine Schulter flog …

„Der Benzinschuppen!“ rief sie atemlos … „Das Benzin für den Braunen Falken[7] …!!“

Sie lehnte noch immer halb an meiner Brust.

„Ein Flugzeug?“ fragte ich ebenso atemlos.

„Nein, ein Schwingenflieger, Mr. Abelsen. Vielleicht der herrlichste künstliche Vogel, der je konstruiert wurde … Ein Wunderwerk des Professors, dieses ebenso genialen wie brutalen Menschen!“

Nun wußte ich es. Also doch Schwingenflieger!

Aber Mita Malcolms helle Stimme entriß mich jäh den tastenden Gedanken, die mühsam das soeben Gehörte, ihr Schicksal und das Ungemach der Expedition als neue Verwicklung in das mir bisher Bekannte hatte einreihen wollen.

„… Sie arbeiteten gerade am Umfüllen des Benzins, Mr. Abelsen … Niemand achtete auf mich, ich entfloh … Ich fürchte, sie werden sämtlich tot sein. Kommen Sie, kommen Sie, – retten wir den Falken … Sie sind Ingenieur, ich weiß es, – Sie werden den Falken steuern können, und … – nein, kommen Sie, – nicht reden, handeln … handeln, es geht um meinen Tom, es geht um die allerletzte Hoffnung für mich – jetzt vielleicht eine starke Hoffnung …“

Sie glitt bereits in die Felsspalte hinab. Ihrer Laterne weißer Lichtschein wies mir den Weg. Einen letzten Blick warf ich über den Dschungel. Gegen den dunklen Hintergrund der Bergmassen erstrahlte die feurige Lohe eines gewaltigen Brandes. Ich ahnte, daß es die Vorratshäuser und Baulichkeiten der Kolonie der Smaragd-Leute waren, die da in Flammen aufgingen. Ich folgte Mita Malcolm, und wir rannten wie gehetzt durch das tiefe weite Höhlengebiet, über dem die Moräste und die Sumpflachen und die feuchte Wildnis der Dornen sich dehnten.

 

7. Kapitel.

Bellegards Beute.

… Es gab kein Zaudern, keine Atempause – diese Frau da vor mir, die den Weg über Geröll und Pfützen und schleimige Höhlenmoose in unveränderter Eile fortsetzte, mußte Lungen und Muskeln einer Antilope haben – und mußte außerdem eine Liebe im Herzen bergen, die stärker war als die Mühsal dieser tollen Hatz, den Braunen Falken zu retten.

Was die Natur in den Schlünden der Erde als gangbaren Pfad durch ungangbare Wildnis launenhaft geschaffen, war zumeist eine kaum sechs Meter breite niedere Grotte mit einzelnen umfangreicheren Ausbuchtungen. Feuchtigkeit sickerte über schwarzes Gestein, kleine Rinnsale verschwanden in Löchern, dumpfe feuchte Luft erschwerte das Atmen, der Gestank eines Kellers voller faulender Kartoffeln war hier vielleicht treffendste Bezeichnung. Ganze Pilzfelder von weißen, farblosen Kümmerlingen entsprossen den nassen, verwitterten Stellen, – auch an den Wänden zogen sich wie verblaßte Tapetenfetzen die häßlichen Höhlenmoose der Tropen entlang, – – keine Grotte, in der Menschen hätten hausen können. Zu dumpf, zu ungesund die Luft, zu widerlich das Bild lichtscheuer Gewächse. Noch nie sah ich derartige Gebilde, noch nie an einer Höhlendecke taudicke bleiche Hängemoose gleich Därmen, die man zum Trocknen über Stangen breitet. Flüchtig erinnerte ich mich der Beschreibung irgendeiner Höhle, die ein Forscher in den Sumpfstrichen Sumatras entdeckt hatte. Ich entsann mich seines Hinweises auf die bisher wenig beachtete Pflanzenwelt solcher Höhlen unter tropischen Morästen, entsann mich, daß diese Grottenlianen, die da wie leblose helle schleimige Schläuche herabwachsen in die Finsternis der ewigen Nacht, reicher an Phosphor sind als faulende Baumstümpfe oder faulige Astlöcher im Morast wurzelnder Weiden.

Es war ein Weg, den ich nie geahnt, nie gekannt, und die Frau vor mir, getrieben von Hoffnung und Liebe, gehetzt von dem Gedanken, der Braune Falke könnte ein wahrscheinlich längst vernichtetes Polarschiff erreichen, stürmte vorüber, hinüber über all diese klägliche Pflanzenbrut, auf der unsere Füße ausglitten und strauchelten wie auf einem Parkett voller Schmierseife.

Mita Malcolm war besessen von dem blinden Eifer einer kritiklosen, unverständigen Hoffnung. Ich rief ihr mehrfach zu, vorsichtiger zu sein … Ich kam selbst kaum zur Vernunft. Ihr Ungestüm wirkte ansteckend, und die Folgen konnten nicht ausbleiben.

Sie stürzte.

Fünf Schritt vor mir glitt sie aus, die Füße flogen in einem Beet dieser verteufelten schleimigen Pilze zur Seite, krachend sank sie auf die Hüfte, suchte den Fall mit dem linken Arm abzuschwächen, stieß einen schmerzlichen Schrei aus, lag still, – die Laterne zerschellte, und um uns her schien mit einem Schlage eine unheimliche Geisterwelt erwacht zu sein, die bisher nur durch das grelle künstliche Licht in Schach gehalten wurde.

Was bis jetzt nur leblose Dinge, gewann Leben und grüngelbe Farbe …

Was ich bisher für Finsternis der Tiefe hingenommen, erwachte mit seinen häßlichen Einzelheiten zu gespenstischem Dasein.

In der schwachen Zugluft, die durch die Grotte strich, bewegten sich die matt leuchtenden hängenden Gebilde wie die gräßlichsten Riesenpolypen … Die hohen bleichen schimmernden Stengel der fadendünnen Pilze schwankten hin und her, – Satans Vorratskeller konnte nicht abschreckender wirken als diese Unmenge unwahrscheinlich glimmender Grottengewächse.

Das fahle Licht reichte gerade aus, Mita Malcolms schmerzverzerrtes Gesicht zu erkennen.

Ich bückte mich … Hob sie empor, sie stöhnte, sie flüsterte heiser, schuldbewußt: „Ich war eine Närrin … Mein Fuß … mein Arm!“ – und dann lag sie bewußtlos an meiner Brust.

Ärgeres hätte mir kaum begegnen können. Der Vorwurf unbedachten Handelns traf auch weniger die Frau wie mich. Ich hätte diesem sinnlosen Tempo [gegen]steuern[8] sollen, ich alter erfahrener Globetrotter und Abenteurer hatte mich mit hineinreißen lassen in diese zwecklose, folgenschwere Hatz.

Es half nichts: Weiter!!

Denn hinter mir, das wußte ich, würden nach diesen Explosionen die beiden Wachtposten schneller erscheinen, als es mir lieb sein konnte.

Weiter …

Mita Malcolm ahnte nicht, was ich von meinen Muskeln und meiner Energie forderte, fordern mußte …

Ich trabte dahin, die Frau in den Armen, – ausgleitend, rutschend, taumelnd, – ich biß die Zähne zusammen, ich brauchte den Weg zum Glück nicht zu suchen in diesem dämonischen Halbdunkel, – der Weg, von den Smaragd-Leuten so oft begangen, war zum erkennbaren Pfade geworden …

Es gab Strecken, in denen ich nichts sah, in denen die Schwärze lichtloser Räume mich drohend umfing und ich das Fehlen der gespenstischen Gewächse bedauerte. Dann tappte ich vorwärts, Schritt für Schritt, die eine Hand halb vorgestreckt …

Dann tauchten abermals die fahlen Felder der Pilze und der Tapetenfetzen und der schleimigen Fangschläuche auf.

Ich lief, stolperte, schwitzte … Schweiß brannte mir in den Augen … Die Anzeichen von Krämpfen ließen die Beinmuskeln zucken …

Nur das nicht …

Nur vorwärts, – denn die Luft hier inmitten der Grottenwelt belastete die Brust mit dem Gifte gefährlicher Sumpfgase … Ein gallenbitterer Geschmack im Munde und die Reizung der Schleimhäute der Nase und Kehle warnten mich. Ich kannte diese drohenden Signale … Ich hatte mitgearbeitet in jenen Tagen meines anderen Daseins an der Durchbohrung der stolzen Berggiganten für eiserne Schienenstränge der Herdenreisenden, – wir waren auch damals bei den gewaltigen Sprengungen auf heimtückische Quellen von Wasser und Gasen gestoßen, wir hatten flüchten müssen vor diesen Gaseinbrüchen und hatten ungewollte Explosionen erlebt.

Ich rannte hier mit meiner leblosen, schweren Last der ohnmächtigen Frau um das bißchen Leben, das mir nichts gilt, das aber für Mita Malcolm immer noch erfüllt war von dem Dreimaster Eisvogel, von eines Doktor Vandermar Südpolexpedition und dem Manne, den sie liebte. –

… Ich war auf keine Zeitung abonniert …

Ich?! Zeitung?! Presse, Neuigkeiten, Sensationen – – gedruckt?! Woher? – Wenn mir in diesen Jahren des neuen Lebens ein Blatt mit protzigem Titel zufällig in die Hände geraten war, dann entblößte sich vor mir in Druckerschwärze eine mir fremd gewordene Welt … Ich fand kein Begreifen mehr für die Nöte der Völker, die sich gegenseitig vier Jahre mit Waffen zerfleischt hatten und nach diesen Jahren die tiefen Wunden mit dem habgierigen Geschacher um die Beute vergifteten … Ich stand über alledem … Und nun hier fremdes Menschenleid, Frauenherzeleid um den Gatten, aussichtslos vermengt mit dem Wunsche ehrgeiziger Köpfe, selbst den starren Eisgefilden der Erdpole ihre letzten Geheimnisse zu entreißen. Verständnislos schaute ich in dieses Getriebe und selbstherrliche Getue derer, die die ewigen Eis- und Schneewüsten „erobern“ wollten. Für wen?! Zu welchem Zweck?! Hofften sie dort auf ein Wunder zu stoßen, etwa auf grünendes Land, auf Land, geeignet für neue Kolonien?! Hatten die grausamen Winternächte der Polargebiete nicht bereits genug Menschen verschlungen? Was nützt es der Menschheit, daß etwa auf den Gletschern, die niemals schmolzen und die die Pole der Erde sein konnten, falls die Magnetnadel nicht trog, Flaggen gehißt würden?! – Müßige Spielerei mit Gefahren, die im Grunde stets dieselben blieben: Kälte, Nacht, Hunger!!

Trotzdem: Dem sterbenden Mac, der sein einziges Kind über alles geliebt, hatte ich gelobt, für Mita zu sorgen.

Mitas Hoffnung war die meine.

Da vor mir auf dem felsigen Festland der Kolonie der Finnländer, deren Treiben mir auch ein Rätsel blieb, war vielleicht das einzige Mittel, das uns Gewißheit über den Dreimaster geben konnte: der Braune Falke!

Und das pulverte mich auf, das weckte den großen eisernen Willen zur Tat, den ich zu wecken gelernt hatte!

Durch, – – vorwärts!

Und ich trug diese Frau, die mir von einem Sterbenden gleichsam ans Herz gelegt worden, mit stumpfer Verbissenheit Schritt um Schritt dem anderen Ausgang dieses höllischen Weges zu.

Ich lief mit ihr im Arm um das Leben, das sie dem Geliebten widmen wollte, ich war Maschine in ihrem Dienst, ich war Automat von Stahl und Motor, – – und ich schaffte es …

Tageslicht glomm vor mir auf …

Eine Holztreppe sah ich, – – sah schräg empor in das unbekannte Land und sank, von jäher Erschöpfung bezwungen, in hohes frisches Gras.

Ruhte regungslos, pumpte die Lungen voll Luft, – es war die reine, erquickende Luft jener steinigen, felsigen Anhöhen, die ich von dem Baume aus mit dem Fernrohr erspäht hatte. Der Ausgang der Höhle lag im Südteil dieses Höhenzuges.

Dann kam ein Windstoß, stinkender Qualm fegte über uns hin, und ich besann mich auf meine Pflicht, sprang auf die Füße und sah zugleich, daß Mita die Augen öffnete. Sie setzte sich von selbst aufrecht, ihr leerer Blick gewann wieder Leben und Feuer, und vorsichtig ihre Glieder befühlend sagte sie schlicht:

„Ich danke Ihnen, mein Freund …“

„Und – haben Sie Schmerzen?“ fragte ich zerstreut, denn dort nach Norden zu über den Wipfeln niederer Bäume leckten die Flammen in spitzen Zungen hoch, wälzte sich gelblicher Qualm wie träge Dünung auf uns zu.

Mita Malcolm erhob sich zu meinem Erstaunen, schwankte wohl noch ein wenig, tat einige vorsichtige Schritte …

„Weiter!“ meinte sie gepreßt, und ihre Züge verrieten, daß nur der starke Wille den Schmerz meisterte.

Ich stützte sie. Wir klommen die Anhöhe hinan, gelangten auf einen breiten ausgetretenen Pfad, der durch Buschwerk lief, und stiegen in ein weites, felsenumsäumtes Tal hinab, in dem freundliche Baumgruppen mit kahlen Felsgruppen abwechselten. Nur die Mitte des Tales war eine sanft gewellte Grünfläche, und hier, nach Westen zu an eine Steilwand gelehnt, erhoben sich die Baulichkeiten der Kolonie – die brennenden, knisternden, fauchenden Holzschuppen, aus denen Funkenregen gen Himmel stiebten … aus denen das Krachen und Poltern stürzenden Gebälks und das grelle Zischen dicker Harzadern harzreicher Bretter schaurige Musik erdröhnen ließen.

Mit einem einzigen Blick umfaßte ich das in roten Flammenschein gehüllte Bild der Lichtung …

Mita stolperte weiter …

„Dort … dort … der Braune Falke …!!“

Im Moment erkannte ich die Gefahr. Der Schwingenflieger, der auf seinen jetzt herabgeklappten Füßen mit Pneumatikrädern und auf dem Fächerschwanze ruhte, stand mitten zwischen den lohenden Holzbaracken in einer breiten Lücke.

Im Moment war ich durch Hitzewellen und Funkensprühen bei dem riesigen künstlichen Vogel. Die Flügel waren an den Rumpf gedrückt, – es blieb mir keine Zeit, Professor Sven Burrs Wunderwerk anzustaunen, – ich stemmte mich gegen die Falkenfüße, schob, sog stickige Luft ein, schob, … und der Geisteradler rollte vorwärts – – spielend leicht, nachdem er erst einmal in Fahrt gekommen, – – ein letzter Stoß, – er war in Sicherheit …

„Mita, wo sind die drei Gefangenen?“ schrie ich durch Rauchwolken der Frau entgegen. „Wo, – – Lord Bellegard, der Neger, der Mischling, – – wo?!“

Sie deutete seitwärts auf die nackte Felswand.

„Im Stollen, Abelsen, – im Stollen … Dort kann ihnen nichts geschehen … Dort ist der Zugang … Aber lassen Sie uns lieber die nördliche einzige Blechbaracke schützen – – dort!“

Ihre Hand wies neue Richtung. Ich sah weder von einem Stollenzugang noch von einer Wellblechbaracke etwas. Ich sah nur jetzt, wo Augen, Gedanken, Sinne mehr zur Ruhe gekommen waren, über die Grassteppe verstreut die schaurigen Zeichen der heftigen Explosion vorhin: Bretter, Balken, Maschinenteile, Körperteile, Fetzen von Kleidern, blutige Schädelknochen mit blondem Haar, – dort lag ein Bein, hier eine Hand, – dort ein Etwas, das ein menschlicher Rumpf sein konnte, hier ein Etwas, das einst Teil eines Radioempfängers gewesen, – dort wieder ein Stück eines Akkumulators.

Das hohe Gras, das von so vielen gewohnten Wegen der Smaragd-Sucher durchkreuzt wurde, verbarg wohltuend all diese Zeichen der Kraft hochgehender Benzinmengen.

Außer Mita und mir sah ich kein lebendes Geschöpf.

Sie war dorthin gestolpert, wohin ihre Hand zuletzt deutete – eine grüne Wildnis, ein eckiger Hügel von blühenden Schlinggewächsen, der erst aus der Nähe seine Eigenheit als Wohnung verriet: Wellblechbaracke, dicht umrankt, – eine Tür, vier Fensterchen …

Aber Pflanzen und Blüten, von Qualm und Brand bereits vergiftet und halb ermordet, hingen schlaff, – Rauchschwaden jagte der leise Wind wie kriechende Gespenster in losen Hüllen gerade dorthin … Sengende Hitze mit ihnen …

Und als ich den eisernen Türdrücker berühren wollte, schreckte die unvorsichtige Hand rechtzeitig zurück.

Mita, dicht neben mir, die Augen zugekniffen, das Gesicht mit der Mütze halb bedeckend, zog mich noch weiter nach rechts …

„Wasser!“ flüsterte sie … „Die Schlauchleitung für das …“

Ich verstand den Rest nicht.

Da war hinter der Seitenfront ein Rohr im Boden, ein starker Wasserhahn aus Messing daran, ein Schlauchende angeschraubt, der Schlauch zur Schlange sauber gerollt … Das Strahlrohr war lang und hatte vier Zentimeter lichte Weite, und als ich es packte und den Schlauch hinter mir her zog, trieb der Druck des Wassers einer abgefangenen Quelle ihn mit der Stärke der Leibesmuskeln einer Boa Konstriktor mit mir vorwärts: Mita hatte den Hahn aufgedreht.

Knatternd, zischend schoß das Naß in schimmerndem Strahl gegen die glühenden, brennenden Wände der nächsten hölzernen Hütte … Noch nie hatte ich mich in der Rolle versucht. Und der Kampf der beiden feindlichen Elemente begann, – Feuer wehrte sich gegen Wasser, Wasser besiegte das Feuer, so kräftig kam der Strahl, daß die Bretterwände sich neigten, daß ein Maschinengewehr seine Saat auszuspeien schien …

Weißer Dampf flog empor, schwarze Trümmer begannen zu triefen, Feuerzungen verkrochen sich ängstlich, – ein Spiel, das meinen Eifer anspornte.

Diese Hütte da war abgelöscht, war Ruine …

Ich selbst troff vor Nässe … Der Schlauch war undicht …

Ich selbst war schwarz und naß wie die Ruine, – – aber die Freude am Siege überwog, ich hatte gesiegt … Die Wellblechbaracke, mochte sie auch nur im Innern ausbrennen können, war gerettet.

Ich lenkte meinen Strahl dorthin, mir taten die freundlichen Schlinggewächse leid, und der Sprühregen würde ihnen die Dürre und den Tod vertreiben.

Im Bogen fuhr das Wasser von oben nun rauschend hernieder, mehr Fontäne als Spritze, – feine Perlen, leuchtend im feurigen Rot der noch brennenden Schuppen, bestäubten das grüne Haus, – vielleicht lächelte ich damals zufrieden über diesen nassen Segen, den ich den Kindern einer üppigen, fröhlichen Flora erteilen durfte.

Wo war Mita?!

Urplötzlich die Frage, auflebend wie ein vorwurfsvolles Erinnern …

Wo?!

Wie lange war es, daß ich in meinem Eifer sie nicht beachtet?!

Ich wandte den Kopf …

Umschau halten …

Nur den Kopf …

Und starrte in das blondbärtige Gesicht des kleinen Mannes, des kleineren Wächters …

In das schwarze verhängnisvolle Loch, das Feuer speit …

Sah noch mehr: Den größeren Kerl, der Mita wie ein Bündel zum Falken schleifte …

„Hände hoch, Abelsen!“ sagte der Kleine kalt. „Weg mit dem Strahlrohr – – Hände hoch!“

Meine Augen überflogen seine Unscheinbarkeit.

Ich drehte mich ihm vollends zu, das Strahlrohr sank, meine Hände gehorchten, aber das linke Bein fing das Messingrohr auf, und eine jähe Bewegung bewirkte, daß dieser Wasserstrahl, hart, fest auf die kurze Entfernung wie ein Knüttel, ihm gegen die Brust klatschte.

Armer Narr, – so fängt man mich nicht!

… Er lag dann ganz still, hingemäht durch eine Faust, die er verfluchen würde, wenn er wieder zu sich kam …

Ganz still …

Und drüben der lange Schlagetot, der mit Mita Mac Barny verfuhr wie mit einem nassen armseligen Sack, schickte sich gerade an, die Frau in das Innere des Vogels zu befördern, hatte die gewölbte Tür an der Brust der gefiederten Falken aufgerissen, eine schmale Leiter herabgeklappt, glaubte wohl, sein Kumpan würde schon mit mir fertig werden.

Wir waren ja auch fertig miteinander. Ich hatte noch keinen gesehen, der vor einer halben Stunde nach meinem Kinnhaken Lust zu weiteren Auseinandersetzungen verspürt hätte.

Aber der Lange da war fix, beängstigend fix, und hockte er erst einmal im Innern des Vogels, konnte ich ihm nachpfeifen, – der Geisteradler würde die Fittiche entfalten und …

… Ein graues Etwas kam da durch das hohe Gras gehüpft wie ein verstümmeltes Känguruh.

Ein Etwas, lang wie ein Sofa, gelb wie Stroh, stichelhaarig wie ein Igel, mit Boxerschnauze, mit langem wehendem Schweif …

Taito!!

Hurra – Herr Taito!!

Und …:

„Taito, – pack’ an!!“

Nochmals: „Taito, – – faß’!!“

Taito schoß vor wie eine Walze, – er sah nur ein einziges Opfer für seine Hauer …

Der Lange hatte das linke Bein noch draußen.

Schade …

Dieses Bein erhielt Gewicht …

Wo Taito zupackt, läßt er nicht mehr los, und Taitos Reißzähne können eine Wade sehr ernstlich beschädigen.

Immerhin – etwas aufregend, etwas bedrohlich für meine Musterkollektion von Hunderassen, da der Lange in grimmer Wut seine Pistole jetzt nach unten richtete.

Und … schoß …

Nicht traf, denn Mita Mac Barny hatte die bewaffnete Hand zur Seite geschlagen.

Taito zerrte, zog, – ich rannte hinüber, wollte eingreifen, – – nicht nötig mehr, – aus dem Grase erhob sich die prachtvolle, sehnige Gestalt Freund Tikkus, und der Finnländer verzichtete vorerst auf weitere Einwendungen gegen Tikkus primitive Methode, einen Gegner außer Gefecht zu setzen.

Der Lange hieß übrigens Niels Helsinggam, und sein Schädel hatte eine dicke Beule.

Insoweit war nun alles in Ordnung. Wir waren Herren der Lage, nur nicht Herren der blonden Elsie, die wie ein Wirbelwind herbeifegte und nur nach John Burr fragte und aus ihren Gefühlen gar kein Hehl machte …

Nur John Burr galt ihr etwas, – nur John Burr sollte gesucht werden, – nur John Burr sollte leben … leben …

Elsie verlangte Unmögliches von mir.

„Olaf, Sie müssen ihn finden, er kann nicht tot sein, so hart ist das Schicksal nicht, …“ – und Weinen und Befehlen, Bitten und Flehen und Tränen wechselten wie Aprilwetter.

Um Mita kümmerte Elsie sich nicht.

Mita – für sie nur Halbblut, Halbindianerin, Farbige, Nebenfigur.

Die erhabene Selbstherrlichkeit des englischen Vollblutes, hier Elsie Bellegard genannt, feierte Triumphe.

„Und Ihr Vater, Elsie?!“

Da erst schämte sie sich dieser unerquicklichen Szene.

Mita Mac Barny lehnte als kühle Zuschauerin am seltsamen Fahrgestell des Braunen Falken. Um ihre vollen Lippen, die weit feiner geschwungen als Elsies eigenwilliger Mund, lag ein kaum merkliches nachsichtiges Lächeln. – Diese beiden Frauen würden sich nie verstehen, sie entstammten zwei grundverschiedenen Welten, die Fundamente ihrer Seelen waren andere, und keine Brücke gab es, so schien es mir, die die Gegensätze dieser Lebensanschauungen auf sicheren Pfeilern überwinden könnte. – Zuweilen täuscht man sich.

„Mein Vater …“ sagte Elsie stockend. „Ich nehme an, er ist gerettet, Sie werden doch sicherlich zuallererst nach ihm gesehen haben,“ – so parierte sie meinen Hieb in nicht ganz ungeschickter Art.

Mita Malcolms tiefdunkle Augen begegneten dem unverhohlen hochmütigen Blick Elsies. „Miß Bellegard, Abelsen hatte hier zunächst dringenderes zu erledigen. So weit mir bekannt, hat Ihr Vater als Korrespondent der „Little Times“ lediglich die Interessen seines Zeitungskonzerns wahrzunehmen. Mr. Abelsens Interessensphäre ist wohl ausgedehnter, selbstloser, uneigennütziger. Aber machen Sie sich keine Sorgen … Drüben im Stollen, der bereits abgebaut ist und keine Edelsteine mehr enthält, hat man ein Gefängnis eingerichtet. Ich will Ihnen den Eingang zeigen …“

Sie schritt sehr selbstsicher über die halb versengte Wiese, sie hinkte noch ganz wenig, aber unnachahmlich stolz trug sie den Kopf, unnachahmlich federnd war ihr Gang, und wenn je ein Weib schon allein durch ihre Haltung ihr geistiges und körperliches Übergewicht zum Ausdruck bringen konnte, – die Frau konnte es bestimmt.

Elsie mußte ihr folgen, – eine kleine heilsame Lehre, dachte ich mir.

Auch ich schloß mich an, während Freund Tikku die beiden Gefangenen versorgte. Vorläufig waren sie Gefangene, ihr Schicksal würde sich später entscheiden.

Noch immer brannten die Reste der Holzschuppen, die ohne Zweifel früher an anderer Stelle gestanden hatten, dort, wo Mac sie damals erblickt hatte. Als ich von Mita hierüber Aufschluß erbat, erwiderte sie nur: „Das trifft zu, Mr. Abelsen … Professor Burr, der hier die Kolonie leitete, übrigens ein älterer Mann von ausgesprochen rücksichtslosem Charakter und Vater des jungen John Burr, der …“

Elsie Bellegard rief schneidend dazwischen:

„Ihr Urteil ist wirklich nicht maßgebend, Frau Malcolm … Ich …“

Mita sprach unbeirrt weiter: „… der zum Glück ganz anderen Schlages ist, obwohl man auch den Professor kaum verurteilen kann, denn seine Handlungen wurden nicht durch persönliche Motive bestimmt, er arbeitete lediglich für sein Vaterland, dessen Wohlstand er, wenn auch mit nicht ganz gesetzlichen Mitteln, zu heben trachtete … Wie gesagt, John Burr war ein sehr liebenswürdiger, gütiger Mensch, und ich würde mich herzlich freuen, wenn er dieser Katastrophe hier entronnen wäre, worauf ich mit einiger Bestimmtheit rechne, da ich …“ – sie war vor der steilen Talwand stehen geblieben – „hier vor der Tür zum Stollen seine Mütze bemerke, die er seit einer gewissen Nacht und seit seiner raschen Genesung mit einem winzigen Batisttüchlein zu schmücken pflegte, – hier, sehen Sie, Miß Elsie … – wohl Ihr Tüchlein, glaube ich …“

Und dieses liebe, nachsichtig-verständnisvolle Lächeln dieser Frau, die selbst soviel Leid erduldet und die gerade deshalb für Liebe und Liebeshoffnung ein so großes, offenes Herz besaß, schlug nun doch jene Brücke, die ich niemals in Gedanken mir hatte vorstellen können.

Elsie stand mit heißem Gesichtchen da, hob dann impulsiv die Arme, umfing Mita Malcolm und flüsterte ihr irgend etwas zu, das ich, diskret beiseite tretend, nicht hören konnte.

Ich beschaute mir das graue rissige Gestein, – ich suchte nach der Stollentür, die Mütze sah ich im Grase liegen, – nichts mehr …

Ich täuschte mich. Es gab eine Tür … Und ein Teil des Gesteins schob sich nun wie von selbst nach außen, heraus trat barhäuptig, stoppelbärtig und etwas bleich Lord Mansfield Bellegard mit seiner ungebeugten Reckenfigur … Auch seine herrische scharfe Stimme war unverändert … Er blinzelte erst wie geblendet in den rötlichen Flammenschein, musterte flüchtig die beiden Frauen – Elsie kehrte ihm den Rücken zu –, erkannte mich dann, reichte mir beide Hände …

„Abelsen, – Sie?! Wirklich – – Sie?! Wie kommen Sie hierher?!“

Das klang nicht eben sehr erfreut. Irgend etwas an dieser Begrüßung mißfiel mir gründlich.

„… Na, macht nichts, – wir werden schon einig werden, alter Freund,“ fügte er etwas dunkel hinzu. „Die Hauptsache: Wir haben den jungen Burr dingfest, und die anderen scheint ja glücklich der Teufel geholt zu haben … Die Benzinexplosion kam uns wie gerufen … Weshalb mußte dieser Professor auch beständig mit brennender Zigarre umherlaufen. – Hallo, – – Mädel, du …?! Her mit dir, – an mein Herz, Elsie, – jetzt erst bin ich der Riesenbeute so recht froh! Mädel, du ahnst ja nicht, welche Unmenge von Smaragden die Leute hier aus den Felsen gewühlt haben!“

Hinter ihm tauchte der Mischling Jazinto auf, über dem Rücken einen Ledersack, der gut einen halben Zentner wiegen mochte. Ihm folgten Wumbo und der an den Händen gefesselte, barhäuptige blonde John, dessen Gesicht deutlich schwarze, halb blutrünstige Brandwunden zeigte.

Bellegards kurze Sätze hatten mir genügend die Augen geöffnet.

Ein Zuruf lockte den stolzen Lamsi an meine Seite.

„Tikku, nimm Mr. Burr die Riemen ab,“ befahl ich harmlos. „Und du, Jazinto, der du anscheinend die sogenannte Beute trägst, die Mr. Burr wohl vor den Flammen im Stollen in Sicherheit bringen wollte, lege den Ledersack dorthin. Er gehört Mr. Burr … – Sie verstehen mich wohl, Lord Bellegard. Ich habe mit Banditen noch nie gemeinsame Sache gemacht – hier schon gar nicht!“

Bellegards Hünenfigur beugte sich vor.

„Herr, – sind Sie verrückt!“ Und diese gewaltige Stimme schien mich umblasen zu wollen. „Jazinto, du behältst den Beutel …! Abelsen hat hier gar nichts zu bestimmen … Ich bin kein Narr, ich gebe ein Millionenvermögen nicht mehr aus den Händen, und die Steine da sind viele Millionen wert …!“

Kläglich, unsagbar kläglich diese bewußte Verschiebung, Verdrehung der Tatsachen!

Jazintos frech grinsendes Gesicht trieb mir das heiße Blut zum Hirn.

„Runter mit dem Sack, Schurke …! Du kennst mich! Runter damit – ins Gras!!“

Meine Stimme versuchte sich nicht im Übermaß unbeherrschter Kraft, – ich hatte es nur leise, nur mit jenem bedenklichen Unterton gesagt, der am besten durch die Mündung einer Repetierpistole unterstrichen wird …

Bellegards Fäuste flogen hoch.

„Sie … Sie, – wollen Sie hier etwa …“

Er brach jäh ab, denn nach dem harten blechernen Knall war Jazinto ihm direkt vor die Füße gekollert. Die Frauen schrien gellend auf, – Elsie vor Schreck, Mita aus anderem Grunde …

„Bravo, John Burr! Bisher hielt ich Sie stets für etwas weichlich – – bravo! Ich ahne den Zusammenhang: Ihr Vater flüchtete mit Ihnen in den Stollen, und …“

„… Der Schurke erwürgte ihn,“ rief John Burr heiser und hielt Bellegard die Pistole vor die Stirn. „Wollen Sie noch immer Anspruch auf das erheben, was wir hier in drei Jahren mühseliger Arbeit dem Schoße der Erde abrangen?! Sagen Sie ja, und … Sie sind ein toter Mann wie Ihr Kumpan dort zu Ihren Füßen!“

Das letzte Gebälk der Hütten brach in sich zusammen … Neuer Funkenregen sprühte zum Himmel empor … Aber über diesem stahlblauen Gewölbe des Firmaments lag bereits der Schein des neuen Tages, der Glanz der aufgehenden Sonne.

Bellegard wischte sich mit verkniffener Miene den Schweiß von der Stirn …

„Wir … wir reden später darüber,“ murmelte er bissig und wollte sich entfernen.

Elsie vertrat ihm den Weg …

Sie sprach kein Wort, sie blickte ihn nur lange, starr und mahnend an. Langsam senkte er den Kopf, seufzte, – seines einzigen Kindes Arme rankten sich flehend um seinen Hals, und dieser Recke von Mensch mit dem wetterwendischen Herzen zog Elsie ganz fest an sich …

„Ich … ließ mich blenden …“ – er stammelte nur … „Ich wollte den Mord nicht … Jazinto hatte als einziger von uns die Hände frei. Nein, ich wollte den Mord nicht, – – bestätigen Sie mir das, John Burr …“

„Es ist so,“ erklärte der blonde Sohn der tausend Seen mit Nachdruck. „Sie haben mich geschützt, aber – die Smaragde wollten Sie sich aneignen, und das wäre Raub gewesen. – Mr. Abelsen, entscheiden Sie, was mit ihm und dem Neger geschehen soll.“

Wumbo beeilte sich zu versichern, daß er sich wie stets durchaus neutral verhalten habe. Sein Redeschwall gab mir die gute Laune zurück.

„Unter diesen Umständen mag Lord Bellegard sich als ungern gesehener Gast betrachten,“ – und ich bückte mich, schulterte den Ledersack und winkte John Burr.

Wir schritten davon.

Eine halbe Stunde darauf wußten nur wir beide, wo die Millionenwerte verborgen waren.

 

8. Kapitel.

Abschiedssouper mit Beilage.

… Die Sonne scheint … Vier Stunden Schlaf haben mir genügt. Ich bin leise aufgestanden und an das Fenster der Wellblechbaracke getreten.

Wellblech?! – Nein, Aluminiumblech ist es, von derselben Stärke wie das zum Bau des Braunen Falken benutzte, geliefert von einer Firma in Schanghai, sagte mir John Burr.

Vor mir liegt das Wiesental des Smaragd-Landes, des unseligen Landes, das in der verflossenen Nacht acht Menschen im Feuer fraß.

Von den zwölf Finnländern, die vor drei Jahren die Heimat verließen, um im fernen Osten, hier auf Formosa, die von Professor Burr vermuteten Mineralschätze zu heben und die dann – ein Zufall – auf diese Insel im Sumpfgürtel gerieten und die ersten Smaragde offen im Rinnsal eines Baches umherliegen sahen, – von diesem Dutzend kühner wilder Abenteurer lebten nur noch drei, und einer ist darunter, den Elsie liebt.

Ich blicke über das ausgedehnte Tal hin und staune erneut den Riesenleib des Braunen Falken an, der dort drüben im Grase, phantastisches Vogeluntier, zu sitzen scheint: Auch des Professors Erzeugnis, – auch dem Hirn dieses genialen Mannes entsprungen, der hier die kleine Kolonie in aller Stille zur technischen Werkstatt höchster Vollkommenheit ausbaute.

Ich weiß nun alles über diese Kolonie, über ihre geheimen Geschäftsverbindungen, über ihre vertrauten Mittelsmänner in den Hafenstädten, über die Konstruktion des Schwingenfliegers, über den glücklichen Zufall der Errettung Mita Malcolms aus den Wogen des Ozeans beim ersten längeren Probeflug des Braunen Falken.

Alles weiß ich. Mir hat man nichts verheimlicht, auch Mita nicht … Und Mita ist glücklich. Sie hatte nie geglaubt, daß in des alten Sven Burrs mächtiger Brust und kühlem Hirn auch das Fünkchen „Mitgefühl“ Nahrung finden könnte.

Es war so. Es war längst beschlossen, Mitas Gatten und damit auch der Besatzung des Dreimasters „Eisvogel“ im südlichen Polargebiet Hilfe zu bringen, nachdem man hier die kaum verständlichen Morsezeichen des Senders der von Eis und Schnee eingeschlossenen kanadischen Expedition des Doktors Vandermar aufgefangen hatte. Das war vor drei Monaten gewesen.

Sven Burr hatte nur noch gewartet, bis die Edelsteinmine nichts mehr zu Tage förderte. Deshalb auch der mir unverständliche Inhalt des Gesprächs an der Kampferbaumhütte, deshalb der Inhalt des Zettels …

Auch das war nun geklärt. – Mita Malcolm war hoffnungsfreudig. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten wir Formosa schon heute verlassen. Wenn es nach Elsie gegangen wäre, hätte sie John Burr schon heute geheiratet. Richtige Liebesleute kennen kein Abwarten.

Liebesleute …

Woher kommt es, daß da plötzlich auch in mein Herz die Weichheit der Sehnsucht sich einschleicht?! Woher kommt es, daß ich plötzlich an ein fernes Grab denke, das die Ebbe auftauchen läßt und das die Flut wieder verschlingt?!

Und … Ingrid?! Auch ein Weib, das meinen Weg kreuzte und das sich an mich schmiegte und das mir versprach: Ich komme wieder! – Ingrid wird kommen, und dann wird sie auf der höchsten Kuppe der Wand der Goßli, die gekentert ist, jene Blechbüchse und den Zettel finden – einen Abschiedsgruß! Vielleicht wird Ingrid ein paar Tränen vergießen und … mich doch verstehen: Ein Löwe im Käfig bleibt stets ein gefangener Löwe, mag er noch so prächtig anzuschauen sein! –

Hinter mir reckt sich Taito, knurrt sanft und mahnt mich, daß selbst er, freies Geschöpf der Wildnis, mein Hund nur aus Dankbarkeit, die frische Luft stets der Enge dieses Stübchens der Baracke vorzieht.

Ich stecke die Pistolen zu mir, und ganz leise schleichen wir hinaus und begegnen dem Massai-Neger Wumbo, der bereits hier draußen etwas aufgeräumt hat. Vieles war zu begraben, was der Erde angehörte: Zu Staub sollst du werden, der du aus Staub geboren bist.

„Jazinto habe ich drüben verscharrt …“ erklärt der Schwarze gleichmütig. „Die verbrannten Leichen und die Leichenteile ruhen dort …“ – er zeigt stolz auf einen hohen Steinhügel, auf dem ein Holzkreuz steht aus rauchgeschwärzten Balken.

„Wer half dir?“ Allein kann er das alles nicht geschafft haben.

„Mylord,“ erwidert er achselzuckend und beißt ein frisches Stück Kautabak ab.

„Und wo steckt der?!“ Ich bin noch immer argwöhnisch. Bellegard scheint sehr wenig geschlafen zu haben.

„Er sitzt mit Mr. Burr im Braunen Falken,“ – und Wumbo grinst und zeigt die mächtigen Hauer.

Der neutrale Wumbo, glaube ich, freut sich über die Versöhnung der Parteien.

Ich auch.

Langsam wandere ich dem Schwingenflieger zu. Rumpf und Kopf sind mit Ölfarbe fast künstlerisch geschickt gestrichen. Die Imitation des Federkleides ist ebenso gut gelungen wie bei den Schwingen, deren große Schwungfedern durch leichte Brettchen nachgeahmt sind, und ein Stück eines solchen abgesplitterten Brettchens habe ich in der Hand gehabt – früher einmal – – bei dem Kampferbaum.

Ich als Fachmann stehe abermals staunend vor diesem genialen Werk von Menschenhand. Täuschender hat wohl kein Konstrukteur jemals die Vogelform eines Flugzeuges gewahrt, genialer ist nie die Frage gelöst worden, ob eine Maschine, die schwerer als die Luft ist, mehr durch Propellerantrieb oder durch „Flügelschlag“ leistet.

Sven Burr war ein Genie.

Wie alle großen Geister kannte er keine Hemmungen. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, für sein Vaterland Millionen zu erringen, – er errang und starb unter den schmierigen Händen eines schmierigen Mischlings.

Ich betrachte den Braunen Falken, den Geisteradler …

Vorn die „Brusttür“ steht offen … Die Augen glänzen im Sonnenlicht … Es sind die Fenster für den Führer. Und vorn, ganz vorn im Hakenschnabel ragt unmerklich eine blanke Stahlwelle hervor mit zwei Schrauben. – Auch daran hat der Professor gedacht: Ein kleiner Propeller ist rasch befestigt, und John Burr versicherte mir, daß der Falke dann seine 180 Kilometer spielend schafft. – Ich glaube es …

Ich weiß auch, daß man diesen Propeller zum Abflug von glatten Flächen braucht, nachher jedoch entfernen kann, – von geneigten Flächen erhebt der Falke sich ohne diese Nachhilfe nach kurzem Anlauf.

Die zur „Brusttür“ führende Leiter ist herabgeklappt, und ich steige die Sprossen empor. In der geräumigen Kabine sitzen Mansfield Bellegard und John Burr und Freund Tikku, der Häuptlingssohn eines verfetteten Lamsi-Vaters.

Durch die Seitenfenster aus gewölbtem Glase, das gleichfalls Farbstriche zeigt und nur wenig Licht durchläßt, jedoch immerhin Ausblick gestattet, fällt ein verirrter Sonnenstrahl auf Lord Bellegards frisch rasiertes, müdes Gesicht.

Ich begrüße die drei und strecke auch ihm die Hand hin. Er ist befangen, schuldbewußt, und als John Burr davon redet, daß wir mittags zu dreien nach dem geheimen Benzindepot an der Westküste fliegen wollen, um genügend Brennstoff für die lange Fahrt gen Süden zu haben, meint der Lord bitter:

„Nehmt mich nur mit … Es ist besser so. Ich traue mir selbst nicht mehr …“

Burr, der blonde Erbe des Smaragd-Landes, zerstreut Bellegards feige Gedanken mit einem braven Lächeln.

„… Sie sind jetzt mein Schwiegervater, Mylord, und wir gehören zusammen … – Nein, Sie bleiben besser hier, nur Frau Malcolm und Abelsen und Tikku begleiten mich … So war es doch abgemacht.“ Seine Hand sucht die Bellegards, und der stämmige Recke mit dem fragwürdigen, schwachen Charakter bekommt feuchte Augen.

„… Abelsen muß es lernen, den Falken zu steuern,“ fährt John rasch fort. „Er wird es lernen. Der Falke liegt so sicher in der Luft wie ein lebender Adler im Äther schwebt …“

Das weiß ich, denn das sah ich.

Wir sprechen noch über dieses und jenes, – John Burr wird mit seinen beiden Landsleuten und den beiden Bellegards und Wumbo heute abend den Marsch zur Küste antreten, und wir anderen drei werden zur selben Stunde den abenteuerlichen Flug in das Polarland beginnen. – Es gibt noch vieles zu erörtern … Sollten wir Thomas Malcolm finden (was ich bezweifele), oder sollten wir ihn nicht finden und irgendwo Brennstoff erneuern müssen, soll der Falke nur nachts in der Nähe bewohnter Orte landen …

„… Die Konstruktionspläne meines Vaters sind mit verbrannt,“ betont John nochmals. „Ich vertraue Ihnen sehr viel an, Mr. Abelsen, wenn ich Ihnen den Falken überlasse. Er hat nicht seinesgleichen.“

Wir beugten uns über die Seekarten und neueste, allerneueste Karten des Südpolargebietes, die Sven Burr aus Tokio beschaffte.

„… Sie sehen hier den Antarktischen Kontinent,“ erläutert John eifrig und tippt mit einem Bleistift auf eine bestimmte Stelle. „Dies hier ist der große Eiswall, der der Südostküste vorgelagert ist, – – dies etwa der Punkt, wo der „Eisvogel“ in genau südlicher Linie von Neu-Seeland und nordwestlich von Tasmanien im Packeise liegt und nicht mehr freikommt, wenn die Angaben des Funkspruches richtig sind …“

Antarktis!!

Wer weiß etwas darüber?! – Ich schaue die Karte mit den Blicken des Neulings an …

Ich bin erstaunt, daß zum Beispiel die äußerste Spitze von Südamerika, Kap Hoorn, nur durch die verhältnismäßig enge Drake-Straße von den südlichen Shetland-Inseln, den weitesten Ausläufern der Antarktis, getrennt ist. Ich bin noch erstaunter über Johns Kenntnisse, was die Südpolargebiete betrifft. Namen umrauschen mein Ohr, die einen großen Klang besitzen, berühmte Forscher: Roß, Scott, v. Drygalski, – viele andere noch. – Sie alle versuchten den Pol zu erreichen, keinem gelang es, keinem … Der Südpol ist störrischer als sein Freund im Norden, der sich wenigstens durch Flugzeuge überfliegen ließ …

John redete sich förmlich in Begeisterung hinein …

„… Hier also, unweit des Reynold-Berges, der auf tausend Meter Höhe geschätzt wurde, soll die Große Eisbarriere[9] im Südwesten einige freie, offene Stellen haben, hier scheint Doktor Vandermar mit dem „Eisvogel“ in den inneren Packeisgürtel eingedrungen zu sein …

Er kramt in Papieren und sucht ein Blatt heraus.

„Ein Glück, daß diese Karten und Notizen meines Vaters sich hier im Falken befanden …! – Dies ist die Funkdepesche, die wir auffingen – verstümmelt, – mein Vater hat sie zu ergänzen versucht … Hören Sie genau hin, denn Sie wissen noch nicht alles, ich habe die Hauptsache vor Frau Malcolm verschwiegen …“

Selbst der am wenigsten interessierte Lamsi, der bisher wohl kaum eine rechte Vorstellung vom Südpol oder Nordpol gehabt hatte, blickte den stattlichen, braven John erwartungsvoll an.

„Hier Motordreimaster Eisvogel, Expeditionsschiff der Kanadischen Südpolexpedition unter Leitung Doktor Vandermars. – Sender wieder notdürftig repariert. Liegen im Packeis hinter Großer Eisbarriere etwa fünf Meilen nordwestlich von Reynold-Berg, Wilkes-Land. Lebensmittel, insbesondere Hülsenfrüchte, verbraucht. Schlittenhunde an Seuche eingegangen. Keine Möglichkeit zur Rückkehr. Erbitten Hilfe durch Flugzeuge. Berg brennt, Feuer frißt weiter. Besatzung bis auf vier Leute an Skorbut tot. Hilfe eilt. Können höchstens noch vier Monate durchhalten. – Doktor Lincoln Vandermar.“

Nachdem wir eine Weile hin und her geraten hatten, was der Satz „Berg brennt“ bedeuten könnte, erbat ich mir von John die verstümmelte Originaldepesche aus. – Professor Burrs Ergänzungen waren zweifellos richtig oder kamen doch zumindest der Wahrheit sehr nahe.

Bellegard, der als Reporter auch über die Ergebnisse der jüngsten Südpolarforschungen genau unterrichtet war, betonte wiederholt, daß die vorjährige Expedition seines Landsmannes Sir Burton, die doch mit zwei Wasserflugzeugen ausgestattet gewesen, ebenfalls an der Großen Eisbarriere entlanggefahren sei, jedoch nichts von dem Dreimaster entdeckt habe, den man für längst verloren halte, nachdem auch andere englische und kanadische Hilfsexpeditionen ergebnislos hätten umkehren müssen.

„Andrerseits,“ schloß er mit allem Nachdruck und mit einer warmen Teilnahme, die ihn mir wieder sympathischer machten, „halte ich diese Radiodepesche niemals für eine grobe Mystifikation. Ich bin wie Sie, lieber John, überzeugt, daß noch einige Leute vom Eisvogel am Leben sind und daß Ihr Entschluß …“ – er wandte sich mir zu – „ebenso tapfer wie hochherzig ist, Mr. Abelsen. Wenn Sie aus dem Vorratskeller der Kolonie hier sämtliche Konserven mitnehmen, wenn Sie unterwegs die nötigen Fellanzüge aus dem hier noch unversehrten Pelzlager anfertigen und der Braune Falke das leistet, was John ihm zutraut, können Sie den Südwestteil des antarktischen Kontinents meiner Schätzung nach in vier Tagen erreichen.“

Ich nickte nur zustimmend, denn ich war bereits dabei, mir eine flüchtige Skizze der Antarktis für alle Fälle auf einem Stück festen Papiers zu entwerfen.

Die anderen ließen mich dann bei meiner Arbeit allein und bereiteten die Bestattung Professor Burrs vor, der mit aller Feierlichkeit beigesetzt werden sollte.

Ich überflog auch nochmals Professor Burrs Aufzeichnungen und Dispositionen für den schon von ihm geplanten Flug zum „Eisvogel“, fand darin sehr viel Beherzigenswertes und überlegte genau, was wir alles im „Falken“, der außer uns drei Menschen und Taito noch rund vier bis fünf Zentner zu tragen vermochte, am praktischsten verstauen könnten. Ich notierte jede Kleinigkeit, damit nichts vergessen würde, und riß mich erst von dieser Arbeit los, als Tikku mir meldete, daß alles für das Begräbnis bereit sei.

Ich übergehe hier in meinen Aufzeichnungen diese ernste Feier, will auch nur ganz kurz andeuten, daß unser Flug zu dem Benzindepot an der Westküste bei der Schnelligkeit des Schwingenfliegers kaum vier Stunden in Anspruch nahm, daß ich sehr rasch mit der Steuerung des Falken vertraut wurde und daß wir so viel Brennstoff mitbrachten, daß er unbedingt für mindestens sechs Tage reichen mußte.

Nachmittags sechs Uhr waren wir wieder auf der Smaragd-Insel gelandet, nachdem wir beim Rückflug aus großer Höhe mit Ferngläsern auf der Goßli-Insel im Biba-Schoni-See deutlich etwa ein Dutzend Menschen erkannt hatten, darunter zwei Frauen, also ohne Zweifel auch Ingrid, Major Sakomo und Helga.

Mir wurde es doch recht schwer ums Herz, als ich die treuen Gefährten von einst tief unter mir auf dem gekenterten Eiland erblickte, doppelt schwer, weil da all jene poetischen Stunden in mir wieder lebendig wurden, deren, stilles Glück „Ingrid“ hieß: Die Flußfahrt durch die schweigenden Walddome, Ingrids Zärtlichkeiten, so manche freudige Episode, – – es war einmal!

Ich mußte all das aus meinem Gedächtnis streichen, ich hatte Mac Barny in die erkaltende Hand gelobt, seinem Kinde beizustehen, und seine Mita bangte um das Leben des Gatten und wollte Gewißheit haben.

Das, was Sven Burr ihr verschwiegen (und er tat recht daran, sie zu schonen), war die traurige Tatsache, daß von der ganzen Vandermar-Expedition nur noch vier Leute am Leben [waren][10]. Ob Thomas Malcolm mit unter diesen vier Widerstandsfähigen sich befand, ob inzwischen nicht diese vier noch weiter zusammengeschmolzen waren, – wer wußte es! – Ich wollte gleich Mita die Hoffnung nicht aufgeben. Ich war überzeugt, daß wir den Reynold-Berg erreichen würden, denn der Falke hatte sich auf diesem Fluge zur Küste zum Teil inmitten schwerster Gewitterstürme glänzend bewährt. Ich freute mich auf diese Luftreise, das alte Abenteurerblut pochte lebendiger denn je in meinen Adern, und die vielversprechende Aussicht, nun auch einmal Gebiete in der Antarktis, die bestimmt noch keines Menschen Fuß betreten hatte, aus allernächster Nähe kennen zu lernen, – schließlich doch als Wichtigstes die frohe Genugtuung, einer so prächtigen Frau wie Mita Malcolm helfen zu können, versetzten mich in jene gehobene Stimmung, in der Geist und Körper doppeltes und dreifaches leisten.

Alle, alle griffen mit zu, als nun der Falke mit seiner vielfachen Fracht versehen wurde, deren Gewicht genau nach Professor Burrs Angaben verteilt werden mußte.

Daß John uns nicht begleitete, daß John seine Hauptpflicht darin sah, die Edelsteine ihrer uneigennützigen Bestimmung persönlich zuzuführen und auf kürzestem Wege seine ferne Heimat, das Land der tausend Seen, zu erreichen, konnte ihm niemand verargen, zumal auch Elsie Bellegard hierbei als besorgte Braut ein entscheidendes Wort mitzureden hatte.

Mein wackerer Tikku war inzwischen durch die Grotte wieder in die Wälder geeilt und hatte auch glücklich die beiden Reitochsen noch erwischt, die das Gepäck der kleinen Karawane sowie die zarte Elsie, wie schon einmal, tragen sollten. Der umsichtige Lamsi hatte gleichzeitig auch im Urwalde nach Fährten der feindlichen Chis sich umgetan, jedoch nichts Verdächtiges gefunden.

Daß selbst mir nicht der Gedanke kam, der weithin sichtbare Feuerschein des nächtlichen Brandes müsse unbedingt von irgendeiner auf der Jagd befindlichen Abteilung der Wildnisbewohner bemerkt worden sein, – daß auch ich nicht daran dachte, die Ausgänge des unterirdischen Höhlenpfades irgendwie zu sichern, mochte wohl daran liegen, daß wir hier auf der Smaragd-Insel so vollkommen von anderen Dingen in Anspruch genommen waren.

Diese Unterlassungssünde sollte sich ausgerechnet in dieser Minute bitter rächen.

Um acht Uhr war der Falke startbereit. Der Propeller war befestigt, die Ablaufbahn in Ordnung, und zum letzten Male vereinte uns nun ein reichliches Abendessen in dem größten Raume der Wellblechbaracke.

Kein Festessen war es, im Gegenteil, die Stimmung war recht gedrückt. Es galt ja in kurzem Abschied zu nehmen – vielleicht für immer. Auch Bellegard, der neben mir saß, schien wortkarger als bisher, und das wenige, was er zu mir sprach, betraf zumeist ihn selbst und seine moralischen Verirrungen, die er bitter bereute. Er war ein Hüne mit dem Herzen eines unmündigen, begehrlichen Kindes. Wir hatten uns jetzt völlig ausgesöhnt, nichts trübte mehr diese ernste Stunde … John Burr hatte vorhin noch schnell mit Elsie das Grab seines Vaters und den zweiten großen Steinhügel mit blühenden Sträuchern bepflanzt, er saß zumeist Hand in Hand mit Elsie da, und er machte kein Hehl daraus, wie schwer es ihm wurde, diese phantastische Insel inmitten der Sümpfe zu verlassen, auf der er volle drei Jahre in harter Arbeit zusammen mit seinem Vater und seinen opferfreudigen Landsleuten zugebracht hatte.

Neger Wumbo spielte bei Tisch den Diener. Seine Kochkunst hatte wieder einmal wahre Triumphe gefeiert, aber zu seiner Enttäuschung wurden die erlesenen Gerichte, hier in der Wildnis fast ein Schlemmermahl, nicht recht gewürdigt.

Wumbo und Freund Tikku waren entschieden die seelisch am wenigsten Beschwerten. Der Lamsi machte sich über die Gefahren und Mühsale des weiten Fluges keinerlei Gedanken. Ihm blieb die Hauptsache, daß er sich nicht von mir zu trennen brauchte. Seine Anhänglichkeit übertraf noch die des Musterhundes Taito, der nunmehr, weil seine Freundin Elsie einen besseren Freund gefunden, reuevoll sich nur noch mir widmete.

Das Wetter war schön geblieben. Weniger schön war der kräftige Wind, der zwischen den Bergketten von Norden her ziemlich kühl entlangblies und vielleicht den Start des Falken behindern konnte. Die untergehende Sonne blinkte rosenrot durch die kleinen Fenster, der Wind säuselte draußen in den Büschen, die Fenster standen offen, und gerade als Bellegard seinen ernsten, herzlichen Trinkspruch auf uns drei Passagiere des Falken und auf einen glücklichen Erfolg ausbrachte und betonte, der Schwingenflieger des Professors würde hoffentlich recht bald wieder bewohnte Gegenden erreichen und dann für Sven Burrs geliebte Heimat eine neue Epoche des Flugzeugbaus bedeuten, – in dem Augenblick, als er diesen Satz vollendet hatte, schnellte Mita Malcolm von ihrem Schemel hoch und riß blitzschnell beide Pistolen aus ihrem Gürtel und feuerte über unsere Köpfe hinweg in die eine nahe Buschinsel hinein …

„Alles niederwerfen – – hinlegen!“ – ihre Stimme übertönte noch den blechernen Knall der hastigen Schüsse …

„Niederwerfen!!“ – brüllte auch Bellegard, war mit einem Satz in der Ecke und griff nach seiner Büchse …

Ein Hagel von Giftpfeilen fegte durch die Fenster über den Tisch hinweg …

Wumbos feine Hirschkeule, am Spieße gebraten und ebenso fein garniert, erhielt einen Pfeil und kollerte auf den Fußboden. Flaschen stürzten um, – Sekunden heilloser Verwirrung folgten …

Ein Zuruf genügte, – Tikku ergriff mit mir den plumpen Tisch an den Füßen, wir kippten ihn um, schoben ihn vor die Fenster, und die ärgste Gefahr war beseitigt.

Aber draußen wimmelte die Lichtung von heulenden, kreischenden, halbnackten Chis, die jedoch schlau genug waren, stets in Deckung zu bleiben.

Es mußten an die hundert sein, – wir waren regelrecht umzingelt, – wir kamen kaum zum Schuß, und das ärgste war, daß die braunen Strolche dort drüben auch dem Falken wenig angenehme Beachtung schenkten. Wir hatten die „Brusttür“ offen gelassen, auch die Leiter war herabgekippt, bequemer konnten die Kerle es kaum haben!

Ich schielte hinaus. Bei Gott – da schleppten die Halunken schon die Gewehre ins Freie …! Es kribbelte um den Schwingenflieger wie um einen Ameisenhaufen, unglücklicherweise verdeckten ein paar Felsen das Schußfeld, und die Lage für uns wurde noch heikler, als nun auch ein paar Büchsenkugeln glatt die dünnen Aluminiumwände durchschlugen.

Freund Tikku, der gemütsruhig eine von Lord Bellegards Zigarren köpfte und anzündete, lehnte an der Tür, die in den Flur führte. Auch im Flur hörten wir tappende Schritte, und Mita Malcolm feuerte rücksichtslos dicht an Tikku vorüber durch die Brettertür, Tikku zog nur mißbilligend die Stirn kraus, im Flur aber ertönten ein paar vielsagende Schreie.

Das Übelste blieben jedoch die Giftpfeile. Die geringste Streifwunde bedeutete sicheren Tod, denn die Medizinkästen lagen natürlich draußen beim Falken oder bei dem großen Gepäck, das für den Reitochsen bestimmt war.

Seit dem ersten Pfeilregen waren kaum drei Minuten verflossen. Elsie und John kauerten in der geschützten Ecke auf dem Fußboden, John hatte Elsie zärtlich an sich gedrückt, Wumbo kroch auf den rohen Dielen umher und suchte überflüssigerweise von der Mahlzeit zu retten, was noch zu retten war, wir anderen kauerten hinter der Tischbarrikade und gaben uns die redlichste Mühe, einen Schuß anzubringen …

Die Stube glich einer Stätte wüsten Gelages. Aber wir alle waren nur zu nüchtern, keiner redete viel, ein geflüstertes Wort dann und wann, – – ein Schuß, ein schwirrender Pfeil, neue Kugeln durch die Wände …: eine klägliche Falle für uns!

Was mich am meisten beunruhigte, war das Schicksal des Braunen Falken. All unsere Pläne wurden zu Wasser, wenn die Chis die Motoren demolierten oder sonstwie den Flieger beschädigten.

Aber gerade aus dieser Sorge um das uns so wertvolle Flugzeug erwuchs auch bei mir ein waghalsiger Plan, bei dem ich mit der abergläubischen Furcht der Chis einerseits, anderseits mit dem kleinen Maschinengewehr des Falken rechnete.

Tikkus dunkle Augen suchten jetzt die meinen, er hatte die Zigarre im Mundwinkel hängen, er sagte nichts, deutete nur nach rückwärts, wo die Baracke sich dicht an die Steilwand lehnte.

Seine Hand beschrieb einen Bogen, der etwa am Standort des Schwingenfliegers endete, – dann zuckte er die Achseln, tippte sich auf die Stirn und nickte mir mehrmals energisch zu.

Ich verstand ihn.

Unsere Gedanken waren dieselben gewesen, – aber den Plan konnte nur ich ausführen.

Ich füllte die Pistolen mit frischen Ladestreifen, füllte ebenso die zuverlässige Winchester, und wortlos schlüpfte ich in den Flur, – die Tür hatte mir Freund Lamsi geöffnet.

Ich sprang zur Außentür, riß sie zu, schob den Riegel vor, und gleich darauf kroch ich zwischen Rückwand der Baracke und Felsabhang durch das Gestrüpp den Brandruinen entgegen, fand den Weg frei, schlängelte mich dicht am Boden weiter und gelangte unbemerkt in die durch Feuer vernichteten Schuppenreste hinein, hatte hier noch bessere Deckung und sah schließlich die glatte Ablaufbahn und den Falken zwanzig Meter vor mir.

Es half nicht, – ich durfte hier keine Kugel sparen, und schon nach den ersten neun Schüssen war die räuberische Bande, die zum Glück noch nicht allzu viel aus dem Rumpf des Riesenvogels herausgeschleppt hatte, in langen Sprüngen spurlos in die nächsten Buschinseln verduftet, freilich nicht ohne Verluste, aber viel Kopfschmerzen werden die sieben Chis da nicht mehr gehabt haben.

Ein flinker Galopp brachte mich bis zum Falken, – im Nu war ich die Leiter empor, – ein Pfeil saust noch haarscharf an meiner Schulter vorüber, und ein Schuß und ein Fußtritt beförderten auch diesen letzten Burschen aus dem Innenraum ins Freie.

Ich bückte mich, – Leiter empor, – da fliegt eine schlanke Gestalt mit wehendem Braunhaar über das freie Gelände, gefolgt von einem lustig kläffenden dummen treuen Vierfüßler, der sich der Bezeichnung „Hund“ schämen müßte und der mir doch so sehr ans Herz gewachsen ist.

Pfeile schwirren, Kugeln pfeifen, – ich reiße Mita nach oben, ich packe dann Taito beim Genick, – – schlage die Metalltür zu, – hin zum Schaltbrett, drücke den Hebel, weiß, daß der Falke die Schwingen ausbreitet, – ein Dankgebet, der Motor springt an, der zweite auch, der Propeller surrt, pfeift, …

Und draußen ein einziger infernalischer Schrei.

Massenpanik …

Grauenhafte Angst der Wilden vor dem rollenden Ungetüm, das sich leicht vom Boden hebt … schwebt … kreist …

Massenpanik …!!

Alles werfen sie von sich, stürzen der Steintreppe zu, drängen sich zu brüllenden Haufen, kollern übereinander …

Und der Falke kreist, – enge Kreise zieht er, bis der letzte verschwunden.

Daß die Brüder nicht wiederkehren, jeden Eid leiste ich darauf!

 

9. Kapitel.

Die zweite auf dem „Eisvogel“.

„Das dort in der Tiefe kann Tasmanien sein“, sagt Mita Malcolm und beugt sich über meine Schulter und blickt hinab auf die Insel im blaugrünen Ozean …

„Es ist Tasmanien,“ – ich sitze vor dem Schaltbrett auf dem bequemen kleinen Sessel und vergleiche die Umrisse der größeren Nachbarinsel mit dem Bilde einer guten Reliefkarte Australiens. „Und das da, Frau Mita, ist die Stadt Melbourne – schauen Sie nur genau hin, – Melbourne, Australien, – sehen Sie links davon den Gebirgszug?“

Wir fliegen in tausend Meter Höhe, und mit dem Fernglas muß Mita die Großstadt, den prächtigen Hafen mit der weiten Bucht leicht erkennen.

„Dann hätten wir also drei Viertel des Weges hinter uns,“ sagt sie wieder nach einer Weile und behält ihre Haltung bei. Ihre losen köstlichen kupferbraunen Haare, die stets so widerspenstig sind, wenn sie morgens Toilette macht, scheinen meinen Nacken zu streicheln. Und dieses Haar duftet noch köstlicher, hat den zarten feinen Geruch eines Frauenleibes, der sich beim Erwachen unter sanften unschweren seidenen Decken behaglich dehnt und streckt.

Ein kühner Vergleich für die immerhin primitiven Unterkunftsverhältnisse des Falken! Seidene Decken?! … Märchenträume hier …!

… Ich weiß nicht, seit ich mit Mita und Taito hier im Falken allein bin, so allein, daß wir fast zu allein sind, hat sich manches geändert, denn unsere harmlose Kameradschaft, mit der wir anfänglich so selbstsicher prunkten, erlitt allzu viele arge Abbröckelungen … Auch jetzt frage ich mich als Mann stark beunruhigt: „Ist es nötig, daß Mita sich so vertraulich an mich lehnt, noch immer an mich lehnt und angeblich hinausblickt, obwohl es unten in der Tiefe nichts mehr zu sehen gibt, als die endlose Fläche des Ozeans?! Ist das wirklich nötig?! Ist Mita Malcolm aus der ernsten, zielbewußten Frau, die voller Sehnsucht den Gatten sucht, zum koketten Weibchen geworden?!

Jetzt hat sie sich aufgerichtet.

Im Spiegel treffen sich unsere Blicke. Sie sieht mich, ich sehe sie, wir lächeln uns an, nicken uns zu, und sie sagt mit jener Entschiedenheit, die mir so sehr an ihr gefällt:

„Ablösung, Olaf …! – Das Frühstück wartet auf Sie …“

Ich erhebe mich, wir nicken uns nochmals zu, und der faule fette Taito begrüßt mich von seinem Lager mit lebhaftem Wedeln. – Taito hat es hier an Bord am schlechtesten. Wäre er ein Salonhündchen gewesen, das an Stubenreinheit gewöhnt, hätte ich gewisse Sorgen mit ihm gehabt. Ein Wildling wie er paßt sich leichter den Verhältnissen an und verschwindet zu bestimmten Zwecken nicht einmal hinter dem Vorhang, den wir vor den Schwanzteil des Falken gezogen haben.

Nein, dieser Schwingenflieger, mit primitiven Mitteln in weltabgeschiedener Einsamkeit erbaut, ist keine moderne Lufttaxe mit allem Komfort. Im Kopfteil liegen Motoren, Zahnradgetriebe, rollende surrende Kurbeln, die nicht einmal irgendwie geschützt waren und die eine beständige Bedrohung heiler Gliedmaßen bildeten, – vorn im Rumpf an den Wänden das komplizierte Hebel- und Antriebswerk der mächtigen Flügel, – dann ein Fußboden aus rohen Brettern, drei einfache Klappbetten an den Wänden, ein ebensolcher Tisch, selbstgefertigte Rohrsessel, – weiter hinten die Ladung, die Benzinbehälter, vielerlei Kleinigkeiten … – von Bequemlichkeit keine Spur, alles nur nach rein praktischen Gesichtspunkten hergestellt, wie dies unter den einfachen Verhältnissen auf der Smaragd-Insel gar nicht anders herzustellen gewesen war, trotzdem ein Wunderwerk das Ganze, erstaunlich jede Einzelheit, wenn man sie dem Gesamteindruck hervorragender Leistungsfähigkeit einreihte.

… Und nun sitze ich an diesem Tisch, habe links das eine Seitenfenster neben mir, habe mein Frühstück beendet und meinen flachen, verrosteten, verschlossenen Blechkasten mit meinen Aufzeichnungen hervorgeholt und schreibe … Habe noch vieles nachzuholen, was die letzten Vorgänge nach der Flucht der braunen Chi-Horde betrifft. – Den Abschied von den Gefährten hatten wir uns anders gedacht, wir hatten wieder landen und Freund Tikku aufnehmen wollen. Es blieb bei dem guten Willen, die Elemente wollten uns beweisen, daß mit einem jähen Gewittersturm zwischen den beiden Bergketten nicht zu spaßen ist. Dieser Sturm war so urplötzlich losgebrochen, so blitzschnell hatte sich das schwarze Gewölk zusammengezogen, daß es im Handumdrehen pechfinster und eine Landung schon aus dem Grunde unmöglich wurde. Außerdem fauchte der Orkan mit so beängstigender Kraft gegen die Schwingen des Falken, daß ich es für ratsam hielt, möglichst schnell aufzusteigen. Es wurde kein Aufsteigen, es war ein gefährliches, tolles Jagen durch Regen und Blitze, durch rollenden Donner und betäubende Explosionen der elektrisch übersättigten Wolken. Kein Glück verheißender Fahrtbeginn war es, die ganze große Insel Formosa schien an jenem Abend von schwersten Gewittern heimgesucht zu werden, und als wir dann, immer nach Südwest flüchtend, in klare Luftschichten gelangten, befanden wir uns längst über dem freien Ozean, und meine Uhr zeigte Mitternacht. – Umkehren?! – Ich befragte Mita, die bei all dem drohenden Toben der Elemente und bei all den wilden, unfreiwilligen Gleitstürzen des Falken niemals die kühle Ruhe verloren hatte. Sie verneinte kurz … „Es hieße nur unser kostbares Benzin verschwenden, Olaf …!“ –

Blicke ich von meiner Schreiberei auf, dann kann ich im Spiegel vor mir mit Mita Malcolm ein freundliches Kopfnicken austauschen. Nur das. Eine Verständigung von Mund zu Mund ist bei dem Lärm der Motoren nur aus nächster Nähe möglich.

Meine Zigarre wird noch einige Minuten durchhalten, – ich krame also wieder einmal in Professor Burrs Papieren, überfliege nochmals die Radiodepesche, die Mita nun längst vollständig kennt, und grübele über die Bedeutung der Sätze „Berg brennt, Feuer frißt weiter“ nach.

Es kann doch nur der Reynold-Berg gemeint sein, und der liegt wie die gesamte Antarktis beständig unter Eis und Schnee begraben, da die Kälte am Südpol bedeutend größer ist als in den sogenannten arktischen Ländern. Gewiß, im Viktorialand ist ein tätiger Vulkan von rund 4000 Meter Höhe entdeckt worden, der Erebus, und verschiedene Südseepolarforscher behaupten, an den Abhängen dieses Bergriesen in mittlerer Höhenlage Grünflächen bemerkt zu haben. Betreten hat sie noch niemand. Sollten sie vorhanden sein, kann es sich nur um Moose und Flechten handeln, die auf schneefreien Felsen (infolge der Erwärmung der Gesteinmassen durch die unterirdischen Feuer) gedeihen. Daß aber der Reynold-Berg etwa plötzlich ein Vulkan geworden sein könnte, ist doch kaum anzunehmen, – so schreibt auch Sven Burr in seinen Notizen.

Diese seltsame Frage läßt mir jedenfalls keine Ruhe. Mita zeigt sich in diesem Punkte weit gleichgültiger, – überhaupt habe ich beinahe den Eindruck gewonnen, daß ihre Sehnsucht nach Thomas Malcolm bedenklich gesunken ist. Sogar die Mitteilung, daß von der ganzen Expedition nur noch vier Mann am Leben seien, hat sie im Grunde recht kalt gelassen. Sie spricht überhaupt ungern über ihren Gatten, und ich weiß über Malcolm recht wenig, – Kaufmann, Pelzhändler, Seemann, Spritschmuggler soll er gewesen sein, wohl auch so eine ruhelose Abenteurernatur mit etwas fragwürdigem Einschlag, scheint mir. Andrerseits – hätte Doktor Lincoln Vandermar, ein anerkannter kanadischer Gelehrter, wohl einen Menschen zweifelhaften Rufes als Ersten Steuermann für den Dreimaster angeworben?! Wohl kaum! Freunde sollen sie gewesen sein, und wenn ich weiterhin berücksichtige, was dieser Malcolm aus dem einfachen Mädchen gemacht hat – eine vollendete Dame, dann gewinne ich wieder ein ganz anderes Bild von diesem zweifellos kühnen und klugen Manne, der doch auch sein Weib sehr geliebt haben muß, da er sonst wohl kaum Doktor Vandermar die Bedingung gestellt hätte, Mita mit auf die lange Reise nehmen zu dürfen, die insgesamt zwei Jahre einschließlich zweier Überwinterungen dauern sollte.

– Ich packte meine Schreiberei beiseite, ich wollte mich niederlegen … Den Zigarrenstummel habe ich hinab ins Meer geworfen …

Wollte … Und da winkte sie, kurz und herrisch fast, mit so seltsam entschlossenem Gesicht, daß es mir unbehaglich zu Mute wurde.

„Olaf,“ – ich stehe hinter ihr und beuge mich vor, und ihre Stimme klingt mir fremd wie nie, „Olaf, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß sich auf dem Motordreimaster Eisvogel außer mir noch eine Frau befand?“

Was soll die eigentümliche Frage?!

„Nein, davon weiß ich nichts …“

„Doktor Vandermar ist fünfzig Jahre alt und Witwer,“ sagt sie noch feindseliger, noch schroffer. „Er hat ein einziges Kind, eine … junge Dame, sehr verzogen, sehr eigenwillig, sehr pikant, Olaf, … sehr reich … auch das. Man behauptet, Vandermar besäße fünfzig Millionen. Wie er sie verdient hat, eine andere Sache. In Kanada verdient man leicht und schnell, wenn man Beziehungen hat … zu Spritschmugglern. Jedenfalls ist Thora Vandermar mir nie sehr gewogen gewesen. Das war es, was ich Ihnen schon gestern mitteilen wollte, so halb als Vorbereitung, Olaf … Sollte Thora noch leben, so nehmen Sie sich vor ihr in acht. Hören Sie auf meine Warnung, mein Freund. Und nun – – gehen Sie schlafen … – gute Nacht!“

Und ich versinke in einen unruhigen, traumbefangenen Schlummer, träume ungereimtes Zeug, – daß wir vom Eisvogel aus beschossen werden, daß ein Mädchen mit pikanten Zügen höhnisch und grausam die Waffe gerade auf mein Herz richtet.

 

10. Kapitel.

Vor der Fackel des Südpols.

Um drei Uhr nachmittags erwache ich. Sofort spüre ich auch, daß durch die Ritzen der Fenster eisige Zugluft hereindringt, und im Augenblick bin ich völlig munter. Sofort fällt mir auch mein letztes Gespräch mit Mita wieder ein, – es war kein Gespräch, sie sprach allein, und ich hörte beklommen zu. Diese Beklemmung empfinde ich auch jetzt, als ich eilends wie üblich für Mita das Essen herrichte, mich um Taitos störende Andenken an mangelnde Bewegung im Freien kümmere und auch hinter dem Vorhang verschwinde.

Die Motoren surren, schnurren, – der Falke schwebt recht hoch über graublauer Flut, die Sonne steht ganz tief, und ich habe ehrliches Verlangen nach heißem Tee oder Kaffee.

Mita hat mir nur zugenickt, und als ich sie nun ablöse und ihren Platz einnehme und mit ihr ein paar gleichgültige Worte tausche, sagt sie mit einem mühevollen Lächeln:

„Vergessen Sie Thora nicht, Olaf!!“

Da beschlagen zum ersten Male die Augen des Falken, feiner Dampf setzt sich auf den Fenstern fest, es wird bitterkalt, und nur die Nähe der Motoren spendet noch einige Wärme.

Ich winke der Gefährtin …

„Mita, bitte – – Putzlappen und das feine Öl … Wir müssen die Fenster einreiben … Ich sehe nichts mehr.“

Sie bringt das Gewünschte, sie arbeitet flink, aber durch das Fenster, mag es nur Sekunden offen bleiben, trifft mich ein so eisiger Luftstrom, daß mir der Atem wegbleibt.

Mita verharrt neben mir …

Und jetzt – es ist keine Täuschung – erblicken wir in der Ferne weiße, schneeweiße Wolkenberge … Nein, keine Wolken, – – die Eisküste der Antarktis ist es, und unwillkürlich rufe ich, alles andere vergessend:

„Mita, – das Südpolargebiet, vielleicht schon die Große Eisbarriere …!!“

Ihre Hand ruht auf meiner Schulter …

Der Druck dieser Hand wird stärker …

„Ja, Olaf, – – Südpol!! Und meine Heimat waren die Wälder am Gegenpol, am Nordpol … Dort war ich glücklich … Der Süden hat mir kein Glück gebracht … Ich wünschte, die Entscheidung wäre bereits gefallen!“

„Welche?!“

Unsere Augen begegnen sich im Spiegel.

„Die, die fallen muß!“ erwidert sie hart, und um ihren blühenden Mund graben sich tiefe Fältchen ein.

Sie wendet sich ab, und ich beobachte, wie sie mit ihrer Pelzausrüstung hinter dem Vorhang verschwindet.

Das Thermometer zeigt, unter dem Spiegel angebracht, fünf Grad Kälte, und die Quecksilbersäule sinkt immer mehr.

Wärmte Taito mir nicht die Füße, würde auch ich zu den Pelzgewändern greifen.

Ich lasse den Falken im Gleitflug tiefer gehen – bis auf dreihundert Meter, – und wieder packt uns da der Sturm, wieder schießen wir dahin, daß ich getrost die Schwingen drosseln kann, es genügt, sie ein wenig schräg zu stellen, trotzdem jagen wir mit mindestens 150 Kilometer gen Südwest …

Eine kleine Insel blinkt schneebedeckt wie ein Fleck auf dem Ozean, – es kann nur die Emerald-Insel sein, neben deren Namen die Seekarten zumeist ein (?) sehen lassen. Man bezweifelt ihr Vorhandensein, aber sie ist da, – ich sehe sie, sehe mit dem Glase das vereiste Innere, sehe dünne schwarze Küstenlinien – Gestein …

Antarktischer Kontinent, Gegenpol zur nördlichen Arktis, – gänzlich verschieden von dieser, ohne Landtiere, ohne Eisbären, Füchse, Wölfe, nur an den Küsten bewohnt von Vogelscharen und der vielgestaltigen Gattung der Wassersäugetiere: Blauwal, Finnwal, Robben, See-Elefanten und ihren Spielarten, nur belebt von ganzen Herden kältefester Pinguine, nie betreten von jenen uns aus Reiseschilderungen liebgewordenen Landvierfüßlern! Noch kein Forscher entdeckte dort einen Schneehasen, einen zottigen Eisbär, – diese Schneewüsten spotteten auch der mehrfachen Versuche, dort Vierfüßler anzusiedeln. Man hat Polarhunde dort zurückgelassen, man hoffte, sie würden sich vermehren, fortleben. Sie verschwanden spurlos, kamen um, vielleicht – niemand weiß es. Niemand hat bisher einen vollen Überblick über die Antarktis gewonnen. Sie ist zu groß, wehrt sich gegen Eindringlinge …

Uns schien sie mit offenen Armen aufnehmen zu wollen, uns schickte sie den Rückenwind, und schneller als je geahnt hatten wir den südlichen Polarkreis hinter uns, erblickten treibende Eisschollen, ganze Eisfelder, sahen wieder offenes Meer … –

Mita schläft in ihrer Pelzkleidung. Die Nacht ist da. Mita hat mich vorhin für kurze Zeit abgelöst am Steuer, damit ich meine durchfrorenen Glieder gleichfalls in die weichen Felle der großen Affen der großen Insel Formosa einhüllen könnte. Wir haben auch dem Südpol unseren Gruß entboten mit einem bisher sorgsam geschonten Schluck Whisky.

Es ist Nacht und doch nicht Nacht, es ist das Zwielicht des ewigen Eises, wenn der Sonnenball dicht unter dem Horizont bleibt. Die Augen gewöhnen sich schnell an diese ungewisse Beleuchtung. Der Falke stürmt weiter dahin als Riesenvogel, der sein Nest sucht. Der Falke sucht ein großes Schiff mit starken Motoren, auf dem dreißig Männer und zwei Frauen in kühnem Wagen gen Süden fuhren. Was blieb von ihnen?! Schlittenhunde tot, Skorbut zerfraß die Menschen, – vier sollen noch leben, vier, … sollen!

Wer? – Lebt Malcolm noch, lebt jene Thora Vandermar noch, eleganter Weibsteufel ohne Gewissen mit unbeherrschten Begierden?

Und wir?!

Läßt der Sturm nicht nach, dann ist an Landen nicht zu denken. Der Falke würde zerschellen. Wohin wird uns der Orkan treiben? Werden wir der Kälte widerstehen, die schon jetzt die Brust einschnürt und Ohrensausen hervorruft?! Hat nicht der kluge, neutrale Professor Burr warnend notiert: „Sehr dünne Luft – Vorsicht!“ – Ich fühle es, auf meinen Trommelfellen lastet ein starker Druck, ich höre das berüchtigte Glockenläuten, mein Herz arbeitet mühsamer, Müdigkeit schleicht herbei, ein Traumzustand im Wachen erfordert höchste Energie der Abwehr.

So hatte ich mir unsere Ankunft am Ziel nie gedacht. Erst jetzt wird mir bewußt, daß unser Falke für diese Kältegrade – das Thermometer zeigt minus 12 R[11] – eine klägliche, eisige Blechkiste ist. Tollkühn haben wir uns in dieses Abenteuer gestürzt, das wenig Chancen auf guten Ausgang bietet. Meine Glieder erstarren langsam, – ich lechze nach heißem Tee, – dort lehnt die angebrauchte Whiskyflasche in Griffnähe, ich konnte mir trügerisches Wärmegefühl verschaffen … könnte. Ich hüte mich. Ich ringe gegen die Schlafsucht wie gegen ein heimtückisches Gespenst … Noch siege ich … Reiße die Augen weiter auf, beiße mir auf die Lippen …

Traum nur?!

Dort rechts ganz fern steigt es empor in roter Lohe – eine gigantische Fackel, eine Fontäne von Flammen, überwölbt von einem ebenso gigantischen Rauchschirm … schwarzem Qualm, der fest und starr in der Luft hängt, von unten grell beleuchtet, so daß diese Unterseite wie Kupfer schimmert, fast wie Mitas Haar …

Staunen, Schreck lassen mein Herz jagen. Haben wir uns so versteuert, daß das am Ende der Vulkan Erebus ist?! – – Unmöglich! Der Erebus mit fast viertausend Meter Höhe – – niemals!

Und noch anderes bedrückt die schwer keuchende Brust: Ein Blick in die Tiefe, – nur noch Eis – – Eis, ein Eiswall von phantastischen Maßen, endlos sich dehnend, hohe Zacken, matt schillernde Gletscher …

Die Große Eisbarriere also – kein Zweifel!!

Wieder ein Blick auf die Riesenfackel, ein zweiter auf den bewußten Zeiger hinter Glas: Der Falke fliegt langsamer, zu langsam, – wir sind aus dem Gebiet des Sturmes heraus, – fünfzig Kilometer nur … es genügt, – und die Last von meiner Brust weicht, – ich bin wieder Herr der Lage, ich kann den Falken lenken, wohin ich will.

In weiter Ferne steht jenseits des Eiswalles, den wir sofort überfliegen werden, flammend rot die Fackel, über ihr das Dach von Rauch.

Das Hämmern in den Ohren läßt nach, mein gesunder Organismus hat sich an die dünne Luft gewöhnt. Ich höre den Propeller, die Motoren, – ich möchte Mita wecken …

Dieses grandiose Bild der gigantischen Flammensäule müßte auch sie genießen. Sie schläft, und vielleicht ist es besser so … Ich will hier bestimmen, regieren, unser Schicksal meistern … Frauenhand, Frauenverstand gehorcht zu leicht der Eingebung des Augenblicks. Und daß zwischen Mita und ihrem Gatten die Liebe erstorben, das weiß ich, – ich weiß, Mita hat nur geheuchelt auf der Smaragd-Insel … Hätte sie ehrlich erklärt: Ich will abrechnen mit denen, die mich betrogen haben, nur das will ich, – niemals hätte Sven Burr ihr den Falken überlassen, ihr geholfen beim Werke der Vergeltung, – – auch ich hätte es nicht getan! Aber sie schob das heilige Gefühl der Liebe vor, und sie warb um Mitleid und fand es, während doch nur unbändiger Haß ihre Seele zermürbte.

Eins ist gewiß: Thomas Malcolm muß schändlich an dieser Frau gehandelt haben! So schändlich, daß ich Mita alles verzeihe, auch das trügerische Spiel von Liebe und Sehnsucht.

Und gerade jetzt, wo diese Gedanken mich völlig gefangen nehmen, regt sich der schlafende Fettwanst Taito zu meinen Füßen und … wedelt …

Wedelt Mita entgegen, die hinter mir steht, die sich an mich lehnt und starr durch das rechte Auge des Falken hinausblickt in die Eisgefilde des Südpols …

Starr staunt sie mit großen klaren Augen das Wundergemälde an:

Die Fackel des Südpols!!

Flammensäule, Riesenfanal, – vielleicht eine brennende Gasquelle, fährt es mir durch den Sinn. – Wie unrichtig das war!

Dann senkt sich ihr Kopf, ihre Pelzkappe schmiegt sich an die meine, ihre Wange berührt mein heißes Gesicht …

„Da, Olaf – da, schauen Sie hinab … Dort liegt der Dreimaster, das Schiff des Fluches, denn – ich habe es verflucht, ich, als in jener Orkannacht im Chinesischen Meer mein Gatte mich über die Reling schleuderte und hinter mir her Thora Vandermars Hohnlachen erklang!! So war es, Olaf, – – Mord, kaltblütiger Mord! – Begreifen Sie nun, daß ich vor euch allen heucheln mußte, daß ich mich rächen wollte, um jeden Preis! Denn ich bin Mac Barnys, des Fallenstellers, und meiner heißblütigen indianischen Mutter echtes Kind! Kein Püppchen, das man, des Spieles überdrüssig, für ein reicher geputztes wegwirft! Mord war es, – und ich werde richten, falls sie noch leben!“

„Arme Mita!“

Da lacht sie … „Nicht mehr arm, Olaf, denn arm ist nur der, der in sich die Urinstinkte erstickte … – Dort ist der Dreimaster, mein Fluch hielt ihn hier fest, seine Besatzung starb, – – daß die beiden leben, ich weiß es!!“

Die Fackel ist nähergerückt … Der Eiswall liegt hinter uns … Und so blendend ist das Licht der ungeheuren Flammensäule, die da aus dem schwarzen Gestein eines mäßigen Berges hervorschießt, daß die Takelage des Seglers rot betupft erscheint, daß der „Eisvogel“ zu brennen scheint …

Er brennt nicht, er ruht eingebettet in rosige, hochgetürmte Schollen, – eingefroren, übergossen vom Fackellicht der Feuersäule drüben zwischen den Gletschern der Antarktis …

 

11. Kapitel.

Die Gasfabrik der Antarktis.

Noch näher kommen wir … der Braune Falke senkt sich tiefer, die Dämmernacht der Antarktis wird zum Flammenbad der Fackel des Südpols, Einzelheiten sehen wir, erkennen die Segel des Dreimasters, zum Teil zerfetzt, im Winde flatternd, rot bestrahlt die Fetzen wie Feuerzungen …: Ein Bild, das nur der Zeichenstift eines Künstlers wiedergeben wird, ein unvergeßlicher Anblick, sich einfressend ins Hirn wie Brandnarben.

Noch tiefer schwebt der treue Falke …

Kreist gehorsam um das tote Schiff, das vom Eise nur halb begraben ward.

Zweimal umkreisen wir den Eisvogel, – nichts regt sich an Deck, aber in den Schanzen von Schnee bemerke ich geschaufelte Pfade, sehe die freie Treppe in die Heckräume, noch überragt von einem Bretterdach.

Ganz niedrig fliegen wir, so niedrig, daß wir jedes Gesicht dort unten erkennen würden …

Mita lehnt an meiner Schulter, weit vorgeneigt, – späht, sucht …

„… Wenn auch sie tot wären …! – und ich höre die Enttäuschung dieser leisen Worte und wünsche, daß dem so wäre, daß nichts mehr lebte hier in dem Flammenlicht der Riesenfackel.

Finger krallen sich in meinen Arm …

„Olaf – – Olaf, sie … leben!“ Die Stimme schrillt jetzt …

Auf der Treppe des Hecks zwei Gestalten, tief vermummt …

Zwei, die zu uns emporstieren, die winken, rufen, … zwei, Mann und Weib, Arm in Arm, toll vor Freude, toll vor Hoffnung!

Arme Irre, verblendete Mörder, – – das eine Fenster reißt Mita auf, beugt sich hinaus … reißt die Pelzkappe herab, ihr Kupferhaar weht, und die da unten werden Stein, reglose Gestalten des Entsetzens …

„Malcolm,“ schrillt Mitas Stimme, „die Rache naht …! Malcolm, dein Weib warfst du in die See einer Dirne wegen …“

Sie hören es nicht, denn der Falke hat in kurzem Bogen den Bug erreicht, und die vereisten Segel versperren Auge und Schall den Weg.

Weiter kreist der Adler der Rache, naht wieder dem Heck, – es ist leer …

Jählings umfliegen uns Splitter geborstenen Glases, – man feuert auf uns, – Taito heult auf, – durch den Boden fuhr ein Geschoß, streift ihm die Schnauze …

Ich lasse im Nu den Falken steigen, – wir sind Flüchtlinge, fliegen gen Himmel, und in der Tiefe auf den rosigen Eisfeldern hasten zwei Menschen dem Berge und der Riesenfackel zu – – fliehen ebenfalls, zwei, Mann und Weib, verbrecherisches Paar, das hier in der Eiswüste auf Rettung harrte und von den Freuden träumte, die ihnen die Millionen Doktor Vandermars bescheren könnten … könnten, wenn ein Retter käme …

Retter?!

Rächer!! – Nur das! Sie haben es verdient, daß sie jetzt schuldbeladen vor der vom Tode wieder Auferstandenen dahineilen zum schwarzen rissigen Bergmassiv, von dessen Hängen Schnee und Eis längst wegschmolzen durch die ungeheure Hitze der Fackel des Südpols …

Hoffen sie nun dort in den dunklen Klüften des harten Granitständers der Flammenden Fackel irgendwie, irgendwo auf leichtes Entkommen?! Soll der brennende Gipfel des Berges sie schützen?! – Niemals! Das, was sie Mita angetan, soll Vergeltung finden, aber nicht hier, nicht durch unsere Hände … Wir werden sie fangen, mitnehmen, in Australien, in Melbourne den Behörden ausliefern.

Durch das zerschossene linke Auge des Falken streicht die Eisluft der Antarktis. Aber ich habe bereits gewendet, bin tiefer gegangen, wir fliegen der Riesenfackel entgegen, und wir spüren den warmen Hauch dieser gewaltigen Feuersbrunst, die dort in der schwarzen Bergkuppe wütet und ihre Flammenzungen zum Firmament emporsendet.

Die Flüchtlinge sind verschwunden … Ein Trümmerfeld von Eiszacken umgibt den Fuß der dunklen Höhe, und in diesem Labyrinth von geborstenen Gletschern, von Schneehalden und Eisschluchten suchte das elende, gewissenlose Paar vor dem Adler der Vergeltung zwecklosen Schutz.

Denke ich …

Und irre mich abermals …

Sie tauchen wieder auf, sie erklettern die eisfreien Hänge, sie erreichen eine breite Steinterrasse, in deren Rückwand ein Loch gähnt …

Kisten, Fässer, stehen dort umher …

Ich ahne, daß die Höhle dort trocken und warm ist, geheizt durch die Glut des brennenden Berges …

Ich muß den Falken herumreißen, denn Malcolms Arme heben die Büchse …

Wieder ein paar Kugeln … wieder flüchten wir gen Norden, kehren zurück, sehen abermals die hell beschienene Felsterrasse, – dort nach Osten zu sehe ich glatte Schneeflächen, eine breite, ebene Tenne, den Landungsplatz. Ich bin dieses Spieles überdrüssig, ich werde …

Werde – – will?! Nur Menschenpläne.

Die Natur greift ein …

Der brennende Berg, gefüllt mit kochender Glut, sucht ein neues Ventil …

Mita schreit gellend auf …

Mir stockt der Herzschlag …

Aus dem Grotteneingang dort schießt eine Stichflamme hervor, glühende Lohe eines Flammenwerfers der Zyklopen, – – und fegt die beiden hinweg, wirbelt sie wie armselige Papierknäuel durch die Luft, schleudert hinter ihnen drein Fässer, Kisten, Steine, – – wirft all das aus fünfzig Meter Höhe zwischen die Eisklüfte – – in Sekunden.

Aber Sekunden, die auch uns den Rest geben.

Der Luftstoß dieser gewaltigen Explosion, der das unheimliche Krachen zusammenbrechender Bergesmassen folgt, so daß die Riesenfackel ebenfalls für Sekunden zu erlöschen droht, dann jedoch in alter Stärke wieder emporfährt und rote Gluthelle von neuem über die Polarlandschaft verbreitet, – dieser Luftstoß trifft auf den Falken, er bäumt sich hoch, die eine Schwinge löst sich, der Falke, todwund, überkugelt sich, sinkt, fällt, prallt auf, – und aus dem Trümmerhaufen reiße ich mit letzter Kraft Mita ins Freie, dann Taito, schleudere sie auf die Schneewand, sehe sie im Pulverschnee abwärtsrutschen, höre in den Trümmern den dumpfen Knall hochgehenden Benzins, rutsche selbst hinterdrein, bin in eine Wolke von Schnee gehüllt, bremse mit den Füßen, kralle mich fest …

Und erblicke dann vier Meter unter mir den Eisschlund, erblicke nichts anderes mehr als die Fackel des Südpols, den lodernden Falken, in dem das brennende Benzin allerletzte Zerstörungsarbeit verrichtet, krieche bis zum Rande der Kluft, starre hinab in die blinkende Finsternis, schreie, rufe, – – niemand antwortet …

Mita und Taito liegen dort im eisigen Grabe.

Und ich bin allein …

So allein, wie selten … – –

Stunden sind über alledem verstrichen.

Ich sitze in der warmen Kajüte des Dreimasters, und müde gleitet die Feder über das Papier …

Ich muß mich ablenken.

Der Wahnsinn greift mit dürren Armen nach mir in dieser Welt von Eis und Schnee und vollkommener Leere …

Deshalb schreibe ich.

Ich habe die verbrannten Leichen Malcolms[12] und Thoras vorhin gefunden und in eine Spalte versenkt und Schnee darüber geschaufelt.

[Ich ging dann zu den Überresten des Falken und][13] ich habe abermals vor dem Eisschlund gekniet und gerufen und gefleht und schließlich eine Leine mit einer Laterne hinabgelassen …

Der Schlund gibt nichts mehr her. In seinen Tiefen rauscht es drohend, – vielleicht ein Gletscherbach, warmes Wasser, das sich, vom brennenden Berge erwärmt, durch die Eismassen hindurchgefressen hat.

Ich bin dann auch wie im Traum den Berg hinangestiegen – so weit, bis mir die Hitze der flammenden Fackel Halt gebot – und die Dünste, deren Geruch ich kenne.

Ich weiß nun, daß in diesem Berge ein Kohlenflöz in Brand geraten ist, daß es kein Vulkan ist, der diese Fackel des Südpols speist. Nur Steinkohlen und deren Gase – also eine Gasfabrik der Natur, der Antarktis, wo kein Vierfüßler, kein Eskimo, kein flinker Eisfuchs die Einöde der Schneefelder belebt.

Ich weiß auch, daß ich hier mein Leben beschließen werde, wenn nicht ein Zufall mir Gelegenheit zur Rückkehr in frohere Länder bietet.

Ich werde von Robbenfleisch und Tran und Schmelzwasser leben, – – und schließlich wird doch einmal die Stunde kommen, wo der Irrsinn mich überwältigt, weil kein Mensch den Gedanken zu ertragen vermag, nie mehr andere Menschen und grüne Bäume und grüne Matten und blühende Blumen zu Gesicht [zu][14] bekommen …

… Ich spiele mit dem Gedanken, ob es nicht am besten sei, nochmals die tiefe Kluft aufzusuchen und am Rande zu knien und eine kalte Pistolenmündung an die Stirn zu drücken und … Schluß zu machen.

Ich spiele mit der Feigheit, fühle ich, weil meine Nerven versagen …

Ist es ein Wunder?!

Ich wollte Mita und Taito retten, ich schleuderte sie in den Abgrund … gerade ich! Ich bürdete mir diese Last der völligen Einsamkeit inmitten der Leere ewigen Eises auf …

Wenn Mita noch lebte, wenn Taito noch lebte …!!

Und dann entfällt mir die Feder, die einst Vandermars Finger hielten, wenn er die Eintragungen im Schiffstagebuch machte. Ich habe es überflogen. Das Letzte schrieb Malcolm, und seine Dirne schrieb darunter frech, höhnend:

Wir sind dem Skorbut entgangen, weil wir rechtzeitig die Konserven verbargen und heimlich Gemüsekost aßen … Wir lieben uns.

Also deshalb überlebten die beiden das große Sterben – – und starben dann als Flammenbündel.

Die Feder entfiel mir …

Ich horchte …

Draußen im Gang zwischen den Kabinen ein Schleifen und Tappen, Stöhnen, Winseln …

Ich springe empor, reiße die Tür auf …

„Taito!!“

Packe ihn, drücke ihn an mich …

„Taito, du lebst?!“

Nun, mit dem Leben war es schlecht bestellt, aber nach zwei Stunden wedelte er bereits und blinzelte mich an und … winselte …

„Taito, noch immer Schmerzen?!“

Er kriecht zur Tür …

Jäh wie der Blitz leuchtet da andere Hoffnung in mir auf … Ich wickele Taito in Decken, nehme Taue mit, Laternen, zwei Bootshaken …

Draußen empfängt uns der rote Schein der Fackel des Südpols …

Fackel der Hoffnung …

Sie trog nicht.

Jetzt liegt Mita dort drüben und schläft …

Wir haben sie herausgeholt aus dem Schlund, wir werden sie gesund pflegen, und die Antarktis wird vielleicht Dauerbewohner erhalten und ein Geschlecht kraftvoller Menschen, die in dieser weißen Wildnis ihre Heimat sehen und denen die lodernde Fackel des schwarzen Berges ein Symbol ist:

Glaube, Hoffnung, Stärke!

Vielleicht wird das alles so werden …

Vielleicht erobern wir uns auch den Weg zurück zu sonnigen Gefilden.

Mein Weg war ja nie die gebahnte Straße des Alltags …

Ich will den Weg zu bahnen versuchen …

Ich will – – und ich werde!

 

 

Anmerkungen:

  1. Im weiteren Text finden sich verschiedene Schreibweisen von „Biba Schoni“ bzw. „Biba Schoni See“ oder auch „Biba-Schoni-See“ – Bandübergreifend und einheitlich auf „Biba-Schoni“ sowie „Biba-Schoni-See“ geändert.
  2. Siehe Wikipedia: Henry Rider Haggard.
  3. Der hier angesprochene Roman erschien unter mehreren Titeln: „Das unerforschte Land“ / „Unerforschtes Land“ / „Allan Quatermain“, 1912. Siehe auch Wikipedia: Allan Quatermain.
  4. „Macs“ / „Mac’s“ – beide Schreibweisen vorhanden, alles auf „Macs“ geändert.
  5. „Smaragd-Leute“ / „Smaragdleute“, „Smaragd-Land“ / „Smaragdland“ usw. – es sind jeweils beide Schreibweisen vorhanden. Das betrifft alle Worte, die mit „Smaragd…“ beginnen. Darum alles einheitlich auf „Smaragd-“ (Schreibweise mit Bindestrich) geändert.
  6. „Geisteradler“ (13 Mal) / „Geister-Adler“ (1 Mal) – beide Schreibweisen vorhanden, alles auf „Geisteradler“ gesetzt.
  7. „Braune(n) Falke(n)“ / „braune(n) Falke(n)“ – beide Schreibweisen vorhanden. Da dieser Begriff als Eigenname verwendet wird, wurde alles auf „Braune(n) Falke(n)“ gesetzt.
  8. In der Vorlage: „ich hätte diesem sinnlosen Tempo steuern sollen,“
  9. „große Eisbarriere“ / „Große Eisbarriere“ – Da es ein Eigenname ist, alles auf „Große Eisbarriere“ geändert.
  10. In der Vorlage fehlendes Wort „waren“ ergänzt.
  11. „R“ – gemeint ist damit die Temperaturmessung nach Réaumur, die damals sehr verbreitet war. Minus 12° R entsprechen Minus 15° Celsius. Siehe auch Wikipedia: René-Antoine Ferchault de Réaumur.
  12. Diese Zeile ist doppelt (drei Zeilen tiefer), dafür fehlt eine andere.
  13. Diese Zeile fehlt in der Vorlage und wurde sinngemäß ergänzt.
  14. In der Vorlage fehlendes Wort „zu“ ergänzt.
  15. Hierbei handelt es sich um den Original-Text dieser Geschichte.