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Der Geiser der Träume

 

 

Olaf K. Abelsen

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

Der Geiser der Träume

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a. d.

Schwedischen von

M. Schraut

 

– Band 23 –

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1930 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.

 

1. Kapitel.

Die Armbänder des Brance.

Das Felsennest, in dem Jörn Haskielt und ich damals in den Horn-Bergen als Gäste des uralten Sioux-Häuptlings wohnten, wurde in jener stillen Nacht des nahenden Herbstes Schauplatz meiner tiefsten Demütigung.

Wen Kain da in der jäh herabsinkenden Finsternis der Wohngrotte, in der ich schreibend noch verweilt, angesprungen hatte, konnte ich nicht im entferntesten ahnen.

Fremde hier in den öden Horn-Bergen, in denen nicht einmal ein kanadischer Fallensteller vorübergehend sein Lager aufschlagen würde?!

Fremde – hier?!

Lauschend stand ich in der Dunkelheit und vernahm nur das röchelnde, wütende Knurren meines zahmen Wolfes, der – das Bild konnte ich mir unschwer ausmalen – den Mann hintenübergeworfen und nun das furchtbare Gebiß an seiner Kehle hatte.

Abwarten.

… Bis aus der tiefen Schwärze des Nichts der lichtlosen Finsternis ein breiter Blitz sich löst und wie eine lautlose Welle mit grellweißer Schaumkrone mich umflutet.

„Hände hoch!!“

Eine Stimme, die hart und rauh ist gleich dem Gestein dieser Grotten, selbstbewußt und herrisch dazu, gewöhnt an Befehle, die unbedingt Beachtung heischen.

Ich blinzele in den Brennpunkt der strahlenden Glaslinse da vor mir, und ein Gefühl der Hilflosigkeit lähmt mir Geist und Glieder.

Das Licht bannt mich.

Was hinter diesem gleißenden Vorhang steckt, weiß ich nicht.

Eines weiß ich: Der Mann, den mein Freund Kain niederwarf, hat mir dieses kurze, scharfe „Hände hoch!“, diese eindeutigste aller Aufforderungen, nicht zugerufen.

Zwei sind es bestimmt.

Und deshalb – – gehorche ich.

Kains Leben ist bedroht …

Eine tückische Kugel, und das Tier verröchelt. Und das darf nicht sein.

„Töten Sie den Wolf nicht, – er ist zahm!“, sage ich überhastig und rühre mich nicht. „Kain – hierher!!“

Das dumpfe, grollende Knurren erstickt, und mit hängender buschiger Rute schleicht widerwillig durch die schimmernde Lichtbahn der Wolf vor meine Füße und tut sich nieder.

Eine Männergestalt folgt, hält sich außerhalb des Bereiches des blinkenden, blendenden Kegels und schiebt sich zwischen Wand und Tisch hinter mich.

Eine kalte Pistolenmündung berührt mein Genick, – inzwischen habe ich bereits erkannt, welcher Art die Angreifer sind.

„Hände nach hinten – keine Dummheiten!!“

… Mit einem Pistolenlauf am obersten Rückgrat denkt man nicht an Dummheiten.

Meine Arme senken sich, und die taschenspielerhafte Gewandtheit listigen Tuns befördert mit nachhelfendem Zeigefinger die im Ärmel steckende Waffe noch höher.

Stahlschellen knackten …

Gefangen …!

Wut, Grimm wollen hochquellen und den kühlen Verstand überfluten.

„Da hätten wir Sie ja, Abelsen!“, sagte Inspektor Brance fast freundlich. „Schade um Sie! Hörte viel Gutes von Ihnen. Haben sich droben bei Fort Maupherson sehr anständig gezeigt, aber Dienst ist Dienst, und hinter Ihnen her rennt so ein gedruckter Wisch seit Jahren: Steckbrief! Tut mir leid … – Setzen Sie sich.“

Der andere mit der Karbidlaterne kommt näher, und Brance zeigte mir ordnungsgemäß Haftbefehl und Ausweis und meint:

„Hoffte, Sie hätten sich längst wieder von hier entfernt, Abelsen. Wäre mir angenehmer gewesen. Mußten doch wissen, daß drüben am Fluß seit langem das Gerede ging, Sie steckten hier bei der alten Rothaut. War leichtsinnig von Ihnen, Mann.“

Er zündete die Lampe an und setzte sich mir gegenüber, betrachtete mich, und in den großen, grauen Augen des tiefgebräunten Gesichts flackert ein Etwas, das die biederen Worte widerlegen will.

Man kennt Menschen.

Dieser Brance redet mit gespaltener Zunge.

Der andere hält sich fern, lehnt an der Wand, und der breitkrempige Hut beschattet sein Gesicht bis zum Kinn. Aus dem Schatten glühen Augen, die mir auch nicht behagen, und der geringe Argwohn, daß hier irgend etwas nicht in Ordnung, verstärkt sich und macht mich zum kritischen Beobachter.

Inspektor Brance hat die breiten Flossen und die Unterarme auf den Tisch gelegt und läßt das Schloß seiner Zigarrentasche auf und zu schnappen, überlegt, nimmt eine Zigarre und schneidet ihr umständlich die Spitze ab.

„Wo stecken Ret Hand und dieser Riese Jörn?“, fragt er so nebenbei.

„Karibujagd – nein Hirschjagd …, – sind unterwegs, Inspektor.“

Wenn der hagere Brance nur nicht diese schmierigen, muskulösen Hände mit den abgebrochenen Nägeln hätte, die vor Schmutz starren: Trauerränder! – Ich kenne doch die kanadischen Berittenen von Fort Maupherson her, und all die feinen Kerle da hielten etwas auf ihr Äußeres.

„Seit wann?“, fragte Brance kurz angebunden.

Sein mageres Gesicht ist frisch rasiert, aber das Messer muß verdammt stumpf gewesen sein: Kratzer an Kratzer!

„Seit heute …“

„Und wie lange?“

„Sie nahmen den Hundeschlitten mit, wir brauchen Proviant … Werden übermorgen zurück sein, schätze ich.“

Brance reibt ein Zündholz an, und dabei sehe ich, wie kurz ihm die Ärmel der Uniformbluse sind.

Zu kurz …

„Dann …“, sagte er und schielte nach Kain, der aufrecht sitzt und dem der Geifer über die Lefzen tropft … „… dann wäre das ja so weit in Ordnung. Mein Befehl geht nämlich auch dahin, Abelsen, Ret Hand und Ihren Freund Jörn mitzubringen.“

Er qualmt, und seine dünnen Lippen lutschen an der Zigarre wie beim Genuß einer lang entbehrten Anregung.

„Sergeant, – – die Stricke!!“

Der andere wirft ihm zwei Stricke zu.

„Wollen uns hier mal genauer umsehen, Abelsen … Werden Sie so etwas an den Tisch binden. Werden nichts dagegen haben, – Dienst bleibt Dienst …“

Als er sich erhebt, knurrt Kain und sträubt das dicke Genickhaar.

„Unangenehmes Vieh“, – Brance spielte mit seiner Pistole, und mich überläuft es heiß und kalt.

„Schonen Sie das Tier!“, bitte ich, obwohl mir die Zunge steif ist vor Widerwillen.

Die beiden Vertreter der hohen Obrigkeit sind anderen Schlages als die da droben am Mackenzie-Delta. Möglich, daß der Dienst in dem elenden Nest Patamak sie verbauern ließ.

Brance zaudert.

Die Pistole – es ist eine Dienstpistole, und mein Verdacht von vorhin flaut ab und war im Grunde wohl auch unsinnig – behält spielerisch die Richtung bei – nach Kains schönem, glattem Kopf …

Mein Herz schlägt rascher.

„Inspektor, mir ist das Tier ein Freund … Es wäre eine Roheit[1], …“

Brance bindet mich fest, und ich … spreche zu Kain, damit er ruhig bleibt, sich niedertut. Seine feurigen Augen hängen an meinem Gesicht, und ich lächele ihm zu, als wäre all dies hier durchaus nichts Bedrohliches.

„Jarley, mitkommen!“, befiehlt Brance, nachdem er die Fesseln nochmals geprüft hat.

Also Sergeant Jarley heißt der Lichtscheue. Ist nur ein kleiner, dicker Kerl, der Jarley, und seine Bluse sitzt prall wie ein Trikot. Der Uniformvorrat in Patamak muß kläglich sein, oder der Schneider ein Pfuscher.

Brance nimmt die Laterne, und sie verschwinden dort im Seitengang, der das Loch im Boden enthält: Schlupfloch zu Ret Hands tieferer Etage! – Der alte Sioux haust dort für sich allein mit seinen blutigen Erinnerungen, die über mehr als siebzig Jahre zurückgreifen, bis in die Zeiten des Vernichtungskampfes gegen die rote Rasse. Ret Hand war es, der den Rest der Dakota-Sioux hierher führte in die Einsamkeit nach wochenlangem Ritt. Ret Hand ist der letzte, allerletzte … Was jung und kräftig und fähig zum Aufbau des Nachwuchses, fegte ein Tornado gen Himmel und warf zerfetzte Leiber wieder hinab in das breite Felsental da draußen. Drüben in der Nebengrotte hockten fünfzehn Indianermumien mit gefletschten Zähnen und leeren Augenhöhlen: Ret Hands Stammesbrüder! –

Kain schiebt sich näher und legt mir die Schnauze auf das Knie.

Für seine dürftigen Beweise von Zärtlichkeit habe ich im Augenblick wenig Sinn.

Das, was für Minuten hinabgedrängt war vor dem Gebot des Zwanges, schäumt in mir wieder empor und brandet zum Kopfe mit betäubender Kraft: Frei sein – – fliehen!!

Ich – ich vielleicht in Patamak einziehen als Schaustück für Flößer, Siedler, Kinder, Weiber, – ich hinein in irgend eine Zelle – – ich?!

Lächerlich, mich hier an diesen Tisch zu fesseln, der doch nur ein Gestell aus Ästen, überzogen mit einer Hirschhaut, ist! Lächerlich dies Riemenzeug, das Inspektor Brance da ziemlich oberflächlich um meine Füße, Brust und Nacken und besagten Tisch schlang!

… Die rauschende Welle flutet zurück, das Klingen in den Ohren verstummt, – ein freier Kopf gebiert die Gedanken an Freiheit, und die Ruhe der bewußten Tat schärft alle meine Sinne. Ich horche … Höre … Tropfen fallen drüben hinab in den tiefen Schacht – so gleichmäßig wie das Ticken einer Uhr: Sickerwasser, das durch die Mauern des Gebirges schleicht und sich sammelt und die feinsten Ritzen zum weiteren Wege nach abwärts sucht.

Das ist alles: Tropfen! Fallende, klingende Tropfen.

In diesen Grotten herrscht die Stille der Ewigkeit, des Todes.

Und dann – ein langsames Anziehen der ausgestreckten Füße, – Holz splittert, der Tisch biegt sich, die Lederhaut wird schlaff, – noch ein paar scharfe Knacke brechender trockener Äste, und der Tisch ist nur noch ein Knäul von Holz, Leder, Riemen …

Möglich, daß Brance mir die Kräfte nicht zutraute. Möglich, daß er dem Holzgestell des Tisches eine Festigkeit beimaß, die es nicht besitzt, – – was ich jetzt mit Fußtritten von mir streife, sind die Reste dieses Tisches, an dem ich so manche Stunde gesessen und geschrieben habe.

Schlaff gewordene Riemenschlingen fallen von mir ab wie lästiges Unkraut. Gewiß, die Lampe, die Brance angezündet hatte, ist in den Falten der Hirschhaut versunken, brennt noch, – Petroleumgestank verbreitet sich, ich arbeite in halber Finsternis, bis das ausgeflossene Petroleum und das ölgetränkte Fell Feuer fangen.

Wie ein Aal winde ich mich schließlich aus den Trümmern heraus und entledige mich als nächstes der Handschellen, indem ich die gefesselten Arme – auch nur Übungssache und Muskelbändergeschmeidigkeit! – nach vorn vor den Leib schwinge und mit geballten Fäusten die Bewegungen mache, als ob man ein Wäschestück auswringt. Daß dabei Hautfetzen, etwas Fleisch und reichlich Blut mit verloren gehen, hat nichts zu besagen. Die Knochen bleiben heil, die Handschellen nicht, und um jedes Handgelenk trage ich nun vorläufig eine Armspange, die ehrlicher verdient ist als mancher andere Schmuck.

Ich könnte jetzt, wenn ich es wollte, mit Brance und Jarley ein wunderbares Stücklein spielen, bei dem ich die allgemeine Regie hätte und meine gute Snidersbüchse dort in der Ecke der Taktstock wäre. Die Klugheit verbietet dies. Immerhin sind es Beamte, und ich verspüre nicht die geringste Lust, mich mit der kanadischen Polizei ernsthaft zu veruneinigen. Der Klügere gibt nach, und bepackt mit einem Bündel und begleitet von Kain husche ich wie ein Schatten in den westlichen langen Felsengang hinein, der allmählich aufwärts bis zu jener Öffnung in der Bergkuppe verläuft, von der aus ich freies Gelände – frei für mich – vor mir habe.

Mann und Wolf stiegen den Steilabhang hinab in das Paralleltal und tauchten in der kühlen Finsternis einer schmalen Schlucht unter.

Mann und Wolf wandten sich nach Norden, wo die von Bergausläufern begrenzte Prärie lag mit ihrem herbstlichen Blumenteppich, ihren Buschinseln und Buchenhainen, Felsgruppen und murmelnden Quellen, – ein Gebiet von vielleicht sechs Quadratmeilen, ein Paradies, in Stein gebettet, das nur nach Norden zu mit der großen kanadischen Wildnis ungehemmte Verbindung hatte und in sie überging.

Mückenprärie nannte der alte Ret Hand dieses Paradies, das von den Pelzjägern gemieden wurde der Stechmücken wegen.

Dieser Prärie strebten Mann und Wolf in eiligem Marsche zu. Die Mondsichel stand dicht über den östlichen Bergkuppen, das Heer der Sterne flimmerte wie in eisiger, klarer Winternacht, die ozonreiche Luft dieser Berge und schweigenden Waldstücke erfrischte und feuerte an, und die erste Quelle spendete mir reichliches Naß, die Wunden an meinen Handgelenken zu säubern und saubere Leinenstreifen, mit Hirschtalg bestrichen, über die zerfetzte Haut zu wickeln.

Eine Quelle war es, die ich bisher nicht kannte. In fröhlichem Bogen entsprang sie einer Steilwand, versickerte in dicken Moospolstern und bildete weiter unten in diesem engen Tale einen kleinen Weiher, auf dessen blankem Spiegel das ganze Firmament samt der Mondsichel zu sehen waren.

Ich hatte mich niedergesetzt, Kain strolchte lautlos umher, schon vorhin hatte er ein armes Kaninchen als Nachtspeise zum längst genossenen Abendbrot verzehrt, aber ein Wolf bleibt ein Wolf, und die Gefräßigkeit liegt ihm ebenso im Blute wie die erstaunliche Fähigkeit zu tagelangem Fasten.

Ich vergegenwärtigte mir die letzten Ereignisse nochmals. Ich sah das harte, kantige, magere Gesicht des langen Inspektors Brance mit den grauen, etwas frech-scheuen Augen, ich hörte die herrische, knarrende Stimme und dieses leise Lachen – dieses Lachen, als ich von „Roheit“ gesprochen und um Kains Leben beinahe gebettelt hatte.

Wie anders schätzt man doch Geschehnisse ein, wenn auch nur die Spanne zweier Stunden wie hier zwischen Gegenwart und Vergangenheit liegt!

Nichts ist trügerischer als der Augenblickseindruck – selbst die äußerste Ruhe der Nerven und die sachlichste, kühlste Beobachtungsgabe wird dem „Augenblick“ nie gerecht.

Erst der gewisse Abstand von Menschen und Dingen zeigt uns das wahre Bild des Gewesenen.

Urplötzlich war der Argwohn meiner Seele wieder erwacht. Brance und Jarley konnten niemals, davon war ich nun überzeugt, Beamte aus Patamak sein. In so schlecht sitzenden Uniformen stecken keine kanadischen Berittenen, so ungepflegte Hände hat kein oberer Beamter einer auserwählten Truppe! Und der Haftbefehl, der Ausweis?!

Ein neuer Gedanke trieb mich hoch … Und der Gedanke entsprang den haltlosen Gerüchten, Ret Hand habe in seinen Grotten ungeheuere Schätze verborgen – – Gold, Nuggets[2], Goldkieseln!!

„Kain, hierher …!“

Ich hatte plötzlich Eile.

Die Prärie, die Gefährten waren vergessen.

Und Mann und Wolf trabten den Weg zurück, den sie gekommen, bogen schließlich nach Osten ab, erreichten das breite, lange Tal, in dessen westlicher Steilwand Ret Hands Höhlenwohnung wie ein Fuchsbau sich ausdehnte, und schlichen zuletzt wie Gespenster im Dunkel der verstreuten Felsen dahin, bis … bis Kains spitze Wolfsschnauze mich in die Seite stieß und mir Gefahr meldete.

Im Nu die Büchse im Anschlag …

Im Nu Finger am Drücker …

Und dann … lächelte ich still vor mich hin …

Dort vor uns pendelte in leichtem Nachtwind, der durch das Tal strich, ein heller, gestreifter Mantel hin und her, den jemand an den oberen Ast einer verkrüppelten Kiefer gehängt hatte.

Ich drückte Kain sanft zu Boden, legte meinen schweren Rucksack neben ihn, huschte allein weiter. Noch waren es hundert Meter bis zum Eingang der Höhlen, und gerade hier lagen verstreut die gigantischen, bemoosten Blöcke, hinter denen ich vor Tagen Schutz gesucht, als zwei Schurken ihre Patronen an mir vergeudeten.

Zuletzt schob ich mich kriechend hinein in den engen Hof dieser Bergestrümmer, – und in den Hexenduft mengte sich der scharfe Dunst von warmen Pferdeleibern. Ein Schnauben, Scharren noch, – – ich hob den geduckten Kopf, und ich sah Gaby Mills zum ersten Male.

 

2. Kapitel.

Der Geiser meldet sich.

Ich sah ein junges Weib in praktischem, derbem, trotzdem kleidsamem Sportkostüm mit grünem Filzhut und hochgezogenem Mückenschleier, unter dem ein paar übergroße, hochmütige Augen hinabschauten auf die seltsamen Begleiter dieses vielleicht schönen, vielleicht sogar liebreizenden Mädchens.

In diesem Moment war ihr regelmäßiges, schmales Gesicht mit der kühnen, dünnen Nase und den vollen, roten Lippen entstellt durch einen klaren Ausdruck hohnvoller Verachtung.

Sie saß etwas erhöht auf einem flachen Stein, ihre Hände ruhten auf den Knien, und diese Hände hielten zwei spielerisch kleine Pistolen.

Zu ihren Füßen kauerten, zwei Meter entfernt, drei Burschen, wie ich sie in solcher Abgerissenheit und Verwilderung hier im endlosen Nordlande noch nie angetroffen hatte.

Strolche, Tramps, Ritter der Landstraße, – aber ein merkwürdiges Kleeblatt: Ein Neger, ein Weißer in der Mitte, links ein Japaner.

Das Mädchen belauerte jede ihrer Bewegungen, aber hinter dem fast anmaßenden Hohn in ihren Zügen lag doch ein Schimmer versteckter Furcht und Unruhe.

Die drei da vor ihr verrieten in ihrem Verhalten die Charaktermerkmale ihrer Rasse. Der Schwarze grinste töricht, der Weiße, dem ein Stoppelbart von Wochen die Wangen verunzierte, spitzte den Mund, als wollte er zu diesem Bilde eine passende Melodie pfeifen, der kleine Japaner starrte mit stoischer Ruhe auf die Reste seiner Stiefel und die vorwitzigen Zehen, die sich durch die Löcher drängten.

Wie gesagt: Viel hatten die Kerle nicht an, und was sie noch am Leibe trugen, waren Lumpen.

Als Beleuchtung der Szene diente eine große Karbidlaterne, die rechts in die Ritze eines Felsens eingeklemmt und deren Doppelblende so geschlossen war, daß die Lichtquelle nur eine schmale Bahn über die nächste Umgebung streute.

Neben dem Mädchen auf einem flachen Stein standen Aluminiumteller, eine Thermosflasche, ein Becher und zwei geöffnete Konservenbüchsen. Ein Buch war anscheinend von ihrem Schoß herabgerutscht und lag aufgeschlagen vor den Schuhfragmenten des stoppelbärtigen Europäers, dessen Gesicht um so komischer wirkte, weil er seinen dunkelblonden Haarwald sauber gescheitelt hatte und vor dem rechten Auge ein Einglas an einer dünnen Lederstrippe trug.

Er schien jetzt die richtige Melodie gefunden zu haben und pfiff pianissimo die Anfangstakte des bekannten mexikanischen Walzers „Sobra las Olas“, „Über den Wellen“.

Sofort fuhr das Mädchen dazwischen.

„Lassen Sie das!! Oder …!!“ – Sie hob die rechte Hand …

„Pardon“, sagte der Strolch höflich. „Ich glaubte, das Pfeifen sei erlaubt, nachdem Sie uns das Sprechen verboten haben.“

„Sie können nachher reden, wenn mein …“ – aber sie hielt es wohl für ratsamer, den Satz anders zu formen. „… wenn meine Freunde zurück sind.“

Ich blickte flüchtig nach den Pferden hinüber – drei, davon eins mit verziertem Zaumzeug.

Da hob der Japaner langsam den Kopf und erklärte in tadellosem Englisch – genau wie der Blonde:

„Miß, entschuldigen Sie, – ich wiederhole: Ich hörte zwei Schüsse vorhin, als …“

Die Miß warf ihm einen unaussprechlich hochmütigen Blick zu …

„Schweigen Sie!“

Ich merkte, daß der Ton ihrer Stimme nicht mehr so selbstbewußt klang. Ich sah auch, daß ihr überlegenes, höhnisches Lächeln wie eingefroren auf ihren Zügen lag.

Sie fürchtete sich.

Der Blonde hatte sein Monokel durch Hochziehen der rechten Augenbraue in die flache Hand fallen lassen und begann es mit einem Taschentuch zu putzen, das zwar sauber, aber nur noch ein kläglicher Rest vergangener Größe und Schönheit war.

Ich hielt den Mann für einen Engländer. Er hatte starke, etwas vorstehende Vorderzähne und ein längliches Gesicht, eine freie, gut gebaute Stirn und eine kräftig entwickelte Kinnpartie.

Seine eifrige Putzarbeit an dem runden Glasscherben schien das Mißfallen des Mädchens zu erregen.

„Sie sind ein … alberner Komödiant!“, stieß sie ärgerlich hervor.

Der in so schroffer Form Gemaßregelte verneigte sich, klemmte das blanke Ding wieder ein und erklärte mit liebenswürdiger Unverfrorenheit: „An einen solchen Umgangston bin ich nicht gewöhnt, – im Gegenteil, wir wurden in Edmonton mit ausgesuchtester Höflichkeit behandelt, die sogar so weit ging, daß man jedem von uns ein eigenes Zimmer anwies und aufs allerbeste für unsere persönliche Sicherheit sorgte, indem man die sehr festen Türen, die ein Guckloch besaßen, stets verschlossen hielt. Trotzdem verabschiedeten wir uns schon nach wenigen Stunden und setzten unsere Forschungsreise fort und gerieten, wie erwähnt, einer Räuberbande in die Hände, die uns bis aufs … pardon – bis auf diese Lumpen ausplünderte. Finden Sie es sehr menschenfreundlich, Miß, drei sehr bekannte Forscher, wie wir es sind, mit der Waffe zu bedrohen, anstatt ihnen etwas von Ihrem Überfluß an Lebensmitteln abzugeben, um die wir äußerst respektvoll baten, da wir seit zwei Tagen lediglich von einem Kaninchenschinken und rohen Pilzen vegetiert haben?!“

Der Neger fiel ein: „Doktor, Sie vergessen die Taube, die ich mit einem Stein erlegte.“

„Ganz recht, Chester Bry, die Taube unterschlug ich. – Also, Miß …?!“

Die Miß hatte auf ihre Armbanduhr geschaut. Es war unschwer zu erkennen, daß das lange Ausbleiben ihrer Freunde und des Japaners Erwähnung der beiden Schüsse sie immer stärker erregte. Das Lächeln wurde zur Grimasse, und des Blonden rücksichtsvolle Frage, ob sie ihre Nachtmahlzeit nicht fortsetzen wolle, ward nicht wieder durch die kaum ernst zu nehmende Drohung mit den kleinen Pistolen beantwortet. Das Lächeln schwand vollends, und drei scharfe Falten erschienen auf der Stirn, eine vierte und fünfte um die Mundwinkel. Ihre Augen begegneten denen des Blonden, und nach kurzem Kampf fragte sie hastig:

„Wer sind Sie nun eigentlich?“

„Entsprungene Zuchthäusler“, entgegnete der Gentleman ganz schlicht.

Die Miß schrak zusammen.

„Zuchthäusler?!“

„Ja, – aus dem bekannten Hafenort und Ausgangspunkt der nordpazifischen Bahn, aus der Stadt Seattle, deren neues Zuchthaus von unserer Gilde außerordentlich bevorzugt wird, da die Fluchtmöglichkeiten für einigermaßen intelligente Leute geradezu glänzend sind.“

Das Mädchen starrte ihn sprachlos an.

„Und … und da haben Sie drei sich bis hierher durchgeschlagen?“, fragte sie ungläubig.

„Gewiß … Wir hatten Freifahrscheine für alle Eisenbahnlinien. In Edmonton allerdings erkannte man die Scheine nicht an, da es nur Straßenbahnkarten aus San Franzisco waren.“

Der Neger Chester Bry warf mit trockenem Humor ein: „Straßenbahnkarten vom vorigen Jahr, Miß. Doktor Ranks drückt sich ungenau aus. Wir wollen streng bei der Wahrheit bleiben, obwohl man damit nicht weit kommt. Wir sind sehr weit hergekommen, Miß, – bis Seattle sind es mehr Meilen, als Doktor Siwura, unser Freund, Haare auf dem Kopf hat.“

Der Japaner hielt sich hiernach für verpflichtet seine sogenannte Mütze zu lüften.

Er war völlig kahl. Sein Schädel war blank wie eine neue Billardkugel.

Das Mädchen machte zu alledem ein Gesicht, als säße sie plötzlich in einem Theater, in dem an Stelle des angegebenen Dramas eine Posse gegeben wurde.

„Ach – Sie … schwindeln ja“, meinte sie mit einem hilflosen Achselzucken.

Der Mann, der Ranks hieß, schob seinen linken Ärmel hoch, deutete auf ein blutrotes Brandmal und erklärte sehr bestimmt:

„Bitte, – das Zeichen für Lebenslängliche, Miß …! Auch Chester und Siwura wurden „gebrannt“. Wir hatten das Unglück, bei einer Forschungsreise in die Villa des Millionärs Milleret Seattle, von dem Wächter abgefaßt zu werden und dieser Wächter vertrug wegen allzu zarter Gesundheit keine Bleipillen. Die Gesetze sind in solchem Falle sehr streng, und wir wurden zu Zuchthaus auf Lebenszeit verurteilt, erlaubten uns jedoch auszubrechen. – Bitte …“

Nach dieser höflichen Aufforderung, sein Tun genauer zu beobachten, zog er aus seinem Haarwust, Scheitel, linke Seite, zwei feine, gebogene Stahlsägen hervor. „Dies, Miß, öffnete uns die Fenster des Polizeigefängnisses in Edmonton, und seitdem sind etwa fünf eifrige Beamte hinter uns her. Sie dürften jedoch unsere Spur längst verloren haben, und …“

Da erst begriff ich das feine Ablenkungsmanöver dieser Kerle.

Das Mädchen, durch die Schilderung des Blonden unachtsam geworden, fand nicht mehr die Zeit, ihre Pistolen zu benutzen, als der Neger sich wie ein Blitz vorschnellte und ihre Handgelenke packte.

„Keinen Laut!“, drohte er … „Ranks, nehmen Sie ihr die Waffen ab …!“

Mr. Ranks hätte sich mehr beeilen sollen.

Für mich war es an der Zeit, hier ein Wort mitzureden.

Ich blieb liegen, schob nur die Büchse vor …

„Hände hoch!!“

Meine Stimme kann lauter sein. In diesem Falle genügte die mildere Tonstärke.

Drei Köpfe flogen herum …

„Hände hoch!!“

Diesmal fortissimo …

Und doch waren diese Kerle mit allen Wässerchen gewaschen.

Der Neger riß das Mädchen hoch, hielt sie als Schutzschild an den Leib gepreßt, – ein blitze schneller Steinwurf des Japaners ließ die Blenden der Laterne zuklappen, und dann lag auch schon Mr. Ranks über mir und suchte nach meiner Kehle …

Mr. Ranks hatte sich verrechnet … –

Meine Faust fuhr ihm unter das Kinn, er flog zur Seite, – ein Sprung nach rückwärts brachte mich in den Schutz des Felsens, und fünf lange Sätze ließen mich im Rücken des Negers erscheinen, der auf den Fausthieb kaum vorbereitet war.

Dies spielte sich bei sehr spärlichem Licht ab.

Zu meinem grenzenlosen Erstaunen sagte da der Japaner mit seiner dünnen Stimme:

„Chester, Ranks, – keine Rauferei! Es ist ein völlig Fremder.“

Mr. Ranks hielt sich das Kinn und kam etwas taumelnd näher. Der Schwarze gab das Mädchen frei, wandte den Kopf und meinte mit geradezu weltmännischer Höflichkeit:

„Verzeihung, Mister, – ein Irrtum Ihrerseits und unsererseits … – Sie haben nichts zu fürchten, wir sind nur hungrig.“

Es gibt Dinge, die einen völlig entwaffnen. Ich habe robuste Nerven. Die drei Strolche hatten noch bessere.

Der Japaner hatte derweil die Blenden der Laterne wieder geöffnet und half dem Mädchen, auf dem mit einer Satteldecke belegten Stein wieder Platz zu nehmen, wobei er sich in blumenreichsten Entschuldigungen über seines Freundes Chester etwas rauhen Angriff erging.

Ich war zurückgetreten, hatte die Büchse halb im Anschlag und versuchte, mich in diese neue Situation hineinzufinden.

Daß die drei Strolche gebildete Leute waren, die hier vor dem Mädchen mit ihrem Geschwätz nur Komödie gespielt hatten, war mir bereits klar geworden. Aber der Prozentsatz der Verbrecher aus gebildeten Kreisen ist zu hoch, um von vornherein Leuten Glauben schenken zu können, die unter so eigentümlichen Umständen meine Bekanntschaft machen.

Es kam noch besser.

Ranks schaute flüchtig auf.

„Ja, Miß, Sie hätten uns getrost glauben dürfen … Seit der Bohnensuppe im Polizeigefängnis in Edmonton haben wir nur von rohem Fleisch, Brombeeren und Pilzen gelebt, – auf die Dauer eine etwas einseitige Kost.“

Und Siwura erklärte mit noch größerem Nachdruck: „Wo wir doch vom Zuchthaus her einfache, aber gute Kost gewöhnt waren.“

Worauf der Neger mit dem Käsenamen (Chester Bry) hinzufügte: „Diese drei Wochen waren die entbehrungsreichste Zeit meines Lebens.“

Ich sah ein, daß die Geschichte so ungereimt nicht fortgehen dürfe.

„Mr. Ranks“, bat ich den Blonden, „ich muß mein ferneres Verhalten nach Ihren Antworten einrichten. – Wer sind Sie drei und wie kommen Sie in dieser unglaublichen Verfassung hierher?!“

Ranks legte Messer und Gabel auf den Teller, schluckte den Happen hinunter und erwiderte in bedauerndem Tone:

„Über uns können wir leider keine Auskünfte geben. Was hülfe Ihnen das auch?! Entweder halten Sie uns für Gesindel oder für anständige Kerle, – und das müssen Sie selbst beurteilen können, falls Sie ein wenig Menschenkenntnis besitzen. Ich wiederhole nur: Sie haben von uns nichts zu befürchten, nachdem wir jetzt Ihr Gesicht gesehen haben. Ich bin Doktor Harold Ranks, und meine Freunde sind, was sie angaben: Chester Bry, Zahnarzt mit einst hervorragender Praxis in San Franzisco, – Doktor Siwura, Spezialarzt für Nervenkrankheiten, auch aus San Franzisco. Das muß Ihnen genügen. Ich könnte noch andeuten, daß unser ganzes Unglück einem sehr schönen Geiser zuzuschreiben ist, aber das würden Sie doch nicht verstehen.“

Nein, das verstand ich nicht.

Aber die blonde Miß schien durch das Wort Geiser in höchste Bestürzung zu geraten.

Sie war aufgesprungen.

„Geiser?!“, flüsterte sie, und ihre Wangen verloren jede Farbe.

Doktor Siwuras dünne Stimme sagte schroff:

„Das war nur ein dummer Scherz von Ranks!“

Ranks bestätigte sofort: „Allerdings, ein törichter Scherz. – Wie lange warten Sie hier schon auf Ihre Begleiter, Miß?“, lenkte er das Gespräch in andere Bahnen.

„Etwa … etwa … zwölf Stunden“, flüsterte das Mädchen, setzte sich verstört und starrte gedankenverloren ins Leere. –

Ich bin überzeugt, die Horn-Berge werden noch nie eine so seltsame Gesellschaft beieinander gesehen haben wie uns fünf.

 

3. Kapitel.

Ernte des Todes.

Doktor Siwura war gesättigt.

Japaner sind mäßige Esser.

Er hielt es für angebracht, unsere Gefährtin ihrer Versunkenheit zu entreißen.

„Verzeihen Sie, Miß, – ich möchte nochmals betonen, daß wir zwei Schüsse hörten, bevor wir Sie hier fanden und Sie baten, uns liebenswürdigst etwas von Ihren Vorräten abzugeben. Da ich aus der Zahl der hier verborgenen Pferde schließe, daß Sie in Begleitung von zwei Gentlemen sind, enthalten die von uns deutlich vernommenen Schüsse eine vielleicht ernste Mahnung, sich nach Ihren Freunden umzutun, es sei denn, daß der Herr dort (das war ich) vielleicht erklären kann, ob …“

Siwuras langatmiges Gerede fiel mir auf die Nerven.

Ich habe nicht geschossen, und ich habe auch zunächst an meine persönlichen Angelegenheiten zu denken. Ich bin in kurzem zurück. Bleiben Sie so lange hier, denn – ganz im Vertrauen – die Luft ist hier nicht ganz rein …“

Ich verließ die kleine Lichtung zwischen den Felsen und wandte mich dem Platze zu, wo ich Kain und meinen Rucksack zurückgelassen hatte. Mich trieb etwas von dannen, das ich vor den vier Zurückbleibenden unmöglich hatte erörtern können, am allerwenigsten vor dem Mädchen, denn sie war genau so geheimnisvoll wie ihre Begleiter, die angeblich bereits zwölf Stunden mit unbekanntem Ziel unterwegs waren.

Darüber machte ich mir so meine besonderen Gedanken, und die sprachen nicht gerade für die Redlichkeit der Freunde der Blonden.

Nun – wir würden ja sehen … –

Die Mondsichel war derweil unter die Bergzacken gerutscht, der Nachtwind war noch kühler und erfrischender geworden und lüftete mir mein etwas überhitztes Hirn gründlich aus. Was die drei Strolche und Exzuchthäusler da vorhin in so liebenswürdig-ironischer Form über sich selbst ausgeplaudert hatten, war durchaus geeignet, in dem gesündesten Kopf einige Verwirrung anzurichten. Ich mußte dieses Kleeblatt mit allem Drum und Dran zunächst ausschalten. Inspektor Brance und Sergeant Jarley waren mir wichtiger.

Kain lag neben dem Rucksack, den Kopf auf die Vorderläufe gestützt. Hier war also alles in Ordnung.

Die Nacht und die Dunkelheit sollen keines Menschen Freund sein, – heute hätte es für mein Vorhaben noch dunkler sein können, denn das Eindringen in die Grotten würde sicherlich nicht ohne Zwischenfälle ablaufen, falls nicht …

Ich gab den Riemen Kains fünf Meter lang frei, deutete dem treuen Tiere die Richtung an und wollte mich in schräger Linie über die Sohle des Tales auf den unteren Grotteneingang zuschleichen.

Kain stoppte schon nach wenigen Schritten, warf den Kopf scharf nach rechts und sog windend die Luft ein. Ich näherte mich ihm, beugte mich der Dunkelheit wegen herab, sah sein Nackenhaar steigen, – die dicke Genickhaarschicht wurde zur hohen Bürste, und Kains Körper streckte sich lang.

Ich kannte das. Er witterte Fremde.

Und das waren das Mädchen und die drei seltsamen Geister aus San Franzisco oder Seattle, – genau ließ sich dies nicht feststellen, in ihren Aussprüchen zeigten sich allerlei Ungereimtheiten.

„Freunde!“, flüsterte ich Kain zu und streichelte ihn.

Diesmal half das wenig.

Kain grollte dumpf – jenes Knurren war es, das aus tiefster Brust kam.

Wieder blickte ich ihn prüfend an.

Kains Schnauze hatte doch nicht die Richtung nach jener hohen, großen Felsgruppe, über der ganz schwach der Lichtglanz der in den Felsen brennenden Laterne schwebte.

Im Nu stellte auch ich mich innerlich und äußerlich völlig um. Was Kain da witterte, war nicht die kleine Gesellschaft und die drei Pferde in dem Hofe der Gebirgsbrocken …

Im Nu lag ich am Boden … Deckung genug gab es hier. Ich kroch vorwärts, – ein doppelter Ruck an dem Riemen hatte auch den Wolf in dieselbe vorsichtige, tiefe Körperhaltung gezwungen, – bei diesem spärlichen Licht verschmolzen wir mit der Umgebung zu formlosen Flecken, die sich freilich rasch vorwärtsschoben – jetzt auf die hohen Steintrümmer zu, mithin waren dorthin Leute geschlichen, die soeben noch weiter links von Kain aufgespürt worden waren.

Eine innere Stimme mahnte mich zur Eile. Hier war irgend eine Teufelei im Gange, – auch Kain zerrte an der Leine wie toll, schleifte mich halb über den Boden, bis die ersten zackigen Brocken vor uns aus dem fahlen Zwielicht sich herausschälten und … jäh ein Schuß die Stille zerriß, in den Steilwänden des Tales rollend widerhallte und von einem zweiten abgelöst wurde, der bestimmt dem Klange nach aus derselben Büchse kam und dessen grollende Echos noch nicht verhallt waren, als ich auch schon vorwärtsflog und den Südausgang dieses Felsenhofes erreichte, – gerade rechtzeitig, um dem hervorbrechenden Reiter, einem Kerl in Trappertracht mit wildem Barte, die schreiende und sich wehrende Miß vom Sattel zu reißen, nachdem ein Kolbenhieb den Kerl fast die Bügel verlieren ließ. Der Gaul preschte mit ihm davon, auch rechts an der Felswand des Tales vernahm ich harten Hufschlag, sah einen großen Schatten, dahinter einen kleineren, schmaleren, und dieser Schatten spie in kurzen Zwischenräumen kurze Blitze, – acht Pistolenschüsse, deren dünner Ton in dem weiten Felskessel sich schneller verlor als die rauhe Stimme einer Büchse.

Ich mit dem jungen Weibe im Arm, mit dem immer toller an dem Riemen zerrenden Kain hörte aus den Granitblöcken hervor die tiefe dunkle Stimme des Negers, der überlaut nach Harold Ranks rief.

Da kam der kleine, schmale Schatten aus der Finsternis der überhängenden Talwand herbeigeschlüpft, – Lumpen umflatterten die schlanke Figur, – es war Ranks, der sich für einen Zuchthäusler ausgegeben hatte.

Er erkannte mich, – sein Atem ging ruhig, Aufregung und körperliche Anstrengung schienen seinen Puls kaum beschleunigt zu haben.

„Gut so, Mister …“, sagte er mit einer Gleichgültigkeit, die mir gekünstelt erschien. „Das hätte noch gefehlt, daß die Schufte das Mädchen entführten. – Miß, es ist keine Gefahr mehr … Die beiden Buschklepper werden nicht zurückkehren, unser Freund Siwura aber ist in seinen Himmel emporgestiegen, – ich weiß nicht recht, wie die Japaner sich den Himmel vorstellen, für religiöse Fragen haben wir nie viel Interesse gehabt.“

Ich hatte das Mädchen auf die Füße gestellt. Sie rückte sich den Hut zurecht, strich verwirrt ihren Reitrock glatt und tat dies alles in solcher Geistesabwesenheit, daß Harold Ranks besorgt fragte:

„Hat der Schreck Sie so mitgenommen, Miß? – Hier – – trinken Sie …“ Und er holte aus seinen Fetzen eine kleine Feldflasche mit aufgeschraubtem Deckel hervor, füllte diesen und erklärte liebenswürdig-ironisch:

„Für die Sauberkeit des Bechers stehe ich ein!“

Sie trank wirklich. Ihre Hand zitterte dabei, aber sie riß sich zusammen.

Ich enthielt mich jeder Äußerung. Ich hatte sehr triftige Gründe dafür.

Ranks schritt dann voran. Als wir die Lichtung inmitten der Felsbrocken erreichten, hatte Chester Bry bereits ein Feuer angezündet und über Siwuras stille Gestalt eine Decke gebreitet. Das Feuer aus harzigen Ästen schoß in roter Lohe gen Himmel und zeigte mir am Boden zwischen den Gräsern die zerschmetterte Laterne. Zwei Pferde fehlten. Ich hatte nichts mehr zu fragen, ich konnte mir den Hergang unschwer zusammenreimen.

Das Mädchen setzte sich wieder auf ihren erhöhten Platz, Ranks flüsterte mit dem Neger, und ich stand da, auf meine Büchse gelehnt, meinen Kain zu meinen Füßen, und überdachte nochmals das Geschehene.

Ranks trat zu mir. Er hatte den festen, elastischen Schritt jener Kraftnaturen, die ohne Überschätzung des eigenen Ichs genau wissen, was sie wert sind. Seine ungezwungene, aufrechte Haltung entsprach diesem meinem Urteil über ihn.

„Mister, ich denke, wir wollen gute Kameradschaft halten, nachdem uns der Wind des Lebens hier in diesem Erdenwinkel wie Papierfetzen zusammengeweht hat.“ Er blickte mit unmerklichem Lächeln an seiner schäbigen Kluft hinab. „Der Wind hatte es bei uns leicht, wir bestehen nur aus Lumpen, Ihr Lederhabit wirkt hier wie ein Frack. Es wird nachher manches zu besprechen geben.“

Er hatte mir freimütig die Hand hingestreckt.

„Da – schlagen Sie zunächst ein … Oder stoßen Sie sich an der nicht wegzuleugnenden Tatsache der … Exzuchthäusler?“

„Kaum. Wir sind Kollegen – in diesem Spezialfach, Mr. Ranks.“

Ein erstaunter Blick.

„Wie?! Sie hatten auch mal das Pech, in …“

„Ich hatte es, – es ist lange her, nur der Steckbrief sucht mich noch, und letztens war es nahe daran, daß man mich wieder mitnahm – – mit dem da!“

Und ich hob die Arme, und ich ließ die Armbänder Inspektor Brances nach vorne rutschen.

„Ah so, – die Dinger fielen mir schon vorhin auf … – Ihr Name?“

„Smith – Oskar Smith, ein sehr schöner Name, weil er so nichtssagend ist … Natürlich nicht mein richtiger.“

Seine Hand schmiegte sich um die meine.

„Sie können kein schlechter Kerl sein, Smith. Also – – gute Kameradschaft. – Anscheinend sind Sie in der Wildnis leidlich daheim. Wie steht es mit dem Reiten?“

„Es geht …“

„Trauen Sie es sich zu, mit Ihrem Schoßhündchen da die beiden Buschklepper einzuholen? Sie können ja das Pferd der blonden Miß nehmen … Chester Bry und ich sind für Parforceritte nicht recht in Kluft, außerdem …“ – kurze Pause – „außerdem gibt es hier für uns noch einiges zu erledigen … – Wollen Sie also?!“

Ich mußte innerlich lächeln. Schon allein die Frage, ob ich reiten könnte, hatte mich köstlich amüsiert. Nicht minder jetzt die Art, wie man meine geistige Regsamkeit einschätzte. Mein lieber Harold Ranks, mit solchen Mätzchen muß man einen Abelsen nicht einzuwickeln suchen! Dieser Abelsen begann seine Abenteuerlaufbahn unter dem Ehrentitel El Gento, der Gentleman, – aber in diesem Titel steckte noch mehr, mein guter Ranks, und wenn du mich neben dem schneidigsten aller Reiter und besten aller wilden Jäger über die Pampas hättest hinfegen sehen, dann wäre dir, der du wohl mehr zu den Schreibsesselreitern gehörst, ein verdammt anderes Licht aufgegangen!

Gut, daß dem nicht so war.

Eine Maske tragen hat auch Vorteile.

„Wenn die Miß mir den Gaul leiht, – warum nicht? Dann breche ich sofort auf.“ Das war meine abschließende Antwort, und weil die Miß nach kurzem Zögern zustimmte (ich betone das Zögern), verabschiedete ich mich höflich, führte den Braunen ins Freie, prüfte Sattel und Zaumzeug, stellte die Steigbügel richtig, befühlte die Fesseln des Tieres, fand, daß die Muskulatur für einen Kanada-Gaul hervorragend war, band meinen Rucksack an Stelle der Satteltaschen hinten auf und schwang mich seit langer, langer Zeit wieder einmal in den Sattel.

Der Dunst des warmen Pferdeleibes, dazu das Hochgefühl, eine prächtige vierbeinige Stute zwischen den Schenkeln zu haben, erzeugte bei mir einen förmlichen Rausch.

Ich trabte an – sehr vorsichtig, denn der Braune war an des Mädchens leichte Last gewöhnt und tänzelte und bockte, – dann bekam er Schenkeldruck zu spüren, und mit einem keuchenden Schnauben parierte er auch ohne Zügel, wandte sich nach rechts und erkannte mich fortan gehorsam als seinen neuen Herren an. Gewiß, die Nähe Kains, der sich dicht neben uns hielt, machte den Braunen zunächst noch etwas angriffslustig, mitunter keilte er gehörig aus, denn Raubtier bleibt Raubtier, und die Raubtierwitterung warnte ihn, war ererbte Warnung von seinen wilden Voreltern her, die sich in ganzen Herden einst in den Prärien Nordamerikas als verwilderte Nachkömmlinge der Streitrosse des großen Goldräubers und Edelbanditen Ferdinand Cortez umhergetummelt hatten. –

Mein Plan war längst fertig.

Wenn Mr. Harold Ranks sich einbildete, ich würde mich hier ausschalten lassen, kannte er El Gento schlecht. Die beiden feinen Buschräuber hatten Zeit. Kains vorzügliche Nase fand die Fährte auch noch nach Stunden.

Im Galopp ging es nach Süden …

Nur zehn Minuten. Das genügte.

Pferd und Wolf fanden in einem Seitental sicheres Versteck, mein Rucksack verschwand unter Geröll, und versehen mit einer Laterne, meinen Waffen und einem wahren Heißhunger, diese dunklen Dinge zu klären, trabte ich zu Fuß denselben Weg zurück, gelangte schließlich an die wohlbekannte Strickleiter an der Westwand des Tales, kletterte empor, horchte eine Weile, zündete die Laterne an, entsicherte die Pistole und betrat Ret Hands, des uralten Siouxhäuptlings, ureigenstes Reich: Die untere Etage des Grottengebietes.

Ich war bisher nur zweimal hier in diesen weitverzweigten Höhlen gewesen, ich kannte sie nur zum Teil, Ret Hand war ein Einsiedler und schätzte Gesellschaft nicht sehr.

Unter allen nur möglichen Vorsichtsmaßregeln durchstreifte ich dieses dunkle kahle Labyrinth, horchte immer wieder, obwohl mir längst klar geworden, daß ich den trefflichen Inspektor Brance und seinen lichtscheuen Sergeanten hier kaum mehr antreffen würde.

So kam ich schließlich auch bei diesem behutsamen Rundgang in die Nähe des sogenannten „Brunnens“, jener tiefen Kluft, in die die Wassertropfen klingend hinabfielen.

Die Grotte hier war Ret Hands Wohn- und Schlafgemach. Sie besaß zwei schmale Naturfenster nach dem großen Tale zu, die Einrichtung war dürftig, an den Wänden freilich hingen indianische Waffen in Unmenge, und so manche dieser reichverzierten Streitäxte hätte mich wohl zu einer Bitte an den Greis um eine solche Gabe verlockt, wenn ich nicht gewußt hätte, wie eifersüchtig der Häuptling gerade diese Schätze einer blutigen, aber ruhmvollen Vergangenheit hütete.

Vielleicht das einzige Möbelstück in dieser Höhle, das auf die Bezeichnung „Möbel“ Anspruch erheben konnte, war seltsamerweise ein kleiner, reichgeschnitzter, vielfach reparierter und auf der Platte mit Elfenbeineinlagen versehener Damenschreibtisch, halb Rokoko, halb Phantasie. Niemals hatte der Häuptling über die Herkunft dieses vielleicht wertvollen Stückes gesprochen, und nur angedeutet, daß er bereits Eigentum seines Vaters gewesen, der in den Freiheitskämpfen der roten Rasse um die Mitte des vorigen Jahrhunderts an erster Stelle gestanden hatte.

Dieses ängstlich vor Schaden bewahrte Möbel, das den Rückzug der letzten Reste des Stammes in die kanadische Wildnis mitgemacht, war jetzt umgeworfen, zertrümmert, wenigstens die Rückwand. Auf dem mit Weidenmatten belegten Steinboden lagen weit umhergestreut allerlei Dinge, die ich nie in Ret Hands Besitz vermutet hätte: Zeitungen, Zeitungsausschnitte, Photographien, Briefe, goldene Schmucksachen bescheidener Art, dazu billige Talmi-Erzeugnisse – vieles andere.

Was hatten Brance und der lichtscheue dicke Sergeant, denen die Uniformen so miserabel gepaßt hatten, hier gesucht?!

Schwierige Frage …!

Wußten sie von der Existenz dieses Schreibtisches?!

… Meiner Laterne scharf umrissener Lichtkegel glitt über Ret Hands verstreute Andenken.

Und – hielt an, heftete sich auf eine große, verblichene Photographie …

Ich bückte mich hastig, hob sie empor …

Wie ein Blitz schlug da die Erinnerung an Ranks kurze Erwähnung des Geisers in mein Hirn ein.

Das Bild hier: Ein Geiser, im Hintergrund eine kahle Felswand, vorn unklar das dampfende Geiserbecken!

Und weiter: War nicht das Mädchen auffallend bestürzt gewesen, als dieser Strolch mit dem Monokel an der Lederstrippe den Geiser als die Ursache seines und seiner Gefährten Unheil bezeichnet hatte?!

Ich drehte das Bild um.

Ich hatte auf eine Inschrift gehofft …

Nichts!

Nur eins sah ich in dem Pappkarton: Die klaren Eindrücke von Absatznägeln, die etwas hervorstehen aus dem Leder und wie ein Stempel wirken können.

Achtlos, so überlegte ich mir, mußte hier einer der beiden Beamten auf die Rückseite des Bildes getreten sein!

Ich steckte es zu mir.

Sinnend betrat ich nun den Gang, in dem das Loch in der Decke den Verkehr mit dem oberen Höhlenstockwerk ermöglichte.

Ein langer Gang …

Vor mir her lief der Lichtkegel …

Und der grelle Kegel trifft zwei Gestalten …

Ich stürze vorwärts.

Das Blut stockt mir …

Ein Brausen rauscht mir in den Ohren auf, und meine mahlenden Kiefer knirschen vor Grimm die Zähne gegeneinander.

Ret Hand und mein blonder Freund Jörn liegen hier steif und kalt, jeder mit einem Blutfleck auf der Stirn.

Erschossen!

Also das waren die beiden Schüsse, die der Japaner gehört hatte!

Mord – zwei Morde!!

Und das siedende Blut steigt mir in brennender Glut bis zum Scheitel …

Was geschah hier?!

Weshalb diese brutale Tat, – feige Tat, denn ein Jörn Haskielt und ein Ret Hand hätten sich in ehrlichem Kampf nie so niederknallen lassen!

Was geschah hier?!

… Das Blut flutet zum Herzen zurück, und ich, El Gento, Freund eines roten Königssprossen der freien Pampas, zwinge mich zu kalter Ruhe.

– Es tut nicht gut, in der Wildnis sich von Gefühlen beeinflussen zu lassen. Schmerz und Wut hatten mich taub gemacht, das rasende Blut hatte in den Ohren gebrandet wie das Brausen und Zischen des großen Ozeans.

Ich hätte an die anderen denken sollen.

Es war zu spät …

Ranks Stimme hinter mir, – jener Ranks wieder, der schon wußte, was er wollte:

„Weg mit der Waffe!! Fallen lassen die Büchse!! Hände empor, Smith, – oder beim Himmel: Sie klatschen neben Ihre Opfer nieder, Sie Spießgeselle von Wegelagerern!“

Ich drehte den Kopf …

Nur den Kopf …

Ein Schuß knallte, und warm tropft es mir von der gestreiften Stirn.

Büchse und Laterne fallen …

Aber – – El Gento ist kein Schreibsesselreiter, kein Gelegenheitsabenteurer …

Und ich schnelle zur Seite …

Bin um die Ecke des Ganges …

Kugeln zerstieben am Felsen …

Blei spritzt …

Wie damals, als mich hier Morrison und Fifo jagten, gleite ich lautlos davon, kehre zurück zum Hauptgang, turne am Tau nach oben, bin im oberen Stockwerk, eile auf die Terrasse hinaus, löse auch hier das Tau, lasse es in die Tiefe gleiten und rutsche hinab in das dunkle weite Tal und jage dem Lagerplatz des Mädchens zu.

Ich weiß schon, was ich will.

Ich habe das immer gewußt, wenn die zischenden Kugeln meine Muskeln anfeuerten.

Und – heimlich nahe ich …

Mir ist zumute wie einem Sieger.

Nur dieses blonde Mädel kann Aufschluß geben, nur sie kann die Schlüssel liefern zu dem Geheimnis des Geisers.

Und ich erreiche die Felsen, schlüpfe hinein.

Da brennt das Feuer …

Da sitzt das Mädel, den Kopf in die Hand gestützt …

Und … weint … weint …

Ist allein …

Und weint.

Ich ahne den Grund.

Und sie kennt ihn …

Ich trete näher …

Mein blutbesudeltes Gesicht läßt sie emporfahren … Die Hände preßt sie auf die Brust.

„Ihr Name?“, frage ich kurz.

Das Mädchen zittert …

„Ihr Name, heraus damit!!“

Meine Augen sehen noch die Leichengesichter Jörns und Ret Hands … Und meine Stimme paßt sich dem Bilde an und klingt drohend, mehr noch Rechenschaft heischend.

„Ihr Name?!“

Ich packte ihre Handgelenke …

Ihre verängstigten Augen sind nicht mehr die der hochmütigen Miß von vorhin, die drei Strolche mit zwei Pistolen in Schach hielt.

„Gaby Mills“, sagt sie leise … „Ich heiße Gaby Mills …“

„Woher?“

„Aus San Franzisco … Das ist jedoch nicht meine Heimat …“

Ich belauere ihre Züge. Ihre plötzliche Nachgiebigkeit kommt mir verfänglich vor. Trotzdem gebe ich ihre Hand frei.

Und in demselben Moment zuckt ihre andere Hand hoch, eine blanke Klinge blitzt rötlich funkelnd im Widerschein des qualmenden, knisternden Lagerfeuers. – Die Hand senkt sich nicht …

„Schämen Sie sich!“, habe ich nur gesagt. „Wollen Sie sich zur Helferin zweier Schurken machen?!“

Gaby Mills Augen halten den meinen nicht stand. Die Lider schließen sich, die langen, dunklen Wimpern, die diesen großen leuchtenden Augensternen erst die Märchentiefe des Frauenblickes verleihen, werden zur gebogenen Linie, und ein müder, trostloser Zug tritt scharf ausgeprägt in das feine, bleiche Antlitz.

„Kommen Sie!“, befehle ich milderen Tones. „Drei Morde verlangen Aufklärung. Sie können vieles klären, behaupte ich … Wir werden anderswo diese Unterhaltung fortsetzen.“

Sie schaut mich wieder groß an.

„Ich … kann nichts erklären, nichts“, meint sie, leicht den Kopf zurückwerfend, und ich fühle, daß der Teufel überzüchteten Hochmuts wieder Besitz von ihr ergreift.

„… So – nichts?! Und – der … Geiser?!“

Gaby Mills prallt zurück, als ob meine Faust sie getroffen hätte.

Ihre Augen nehmen einen Ausdruck an, als hätte sie ein grauenvolles Gespenst vor sich.

„Der … Geiser … der Träume …“, – es ist nur wie ein Hauch, aber es ist immerhin ein Geständnis.

„Also doch!“, sage ich fast traurig. „Schade um Sie! Sie versuchten zu lügen, und Lüge ist Feigheit, und … vielleicht paßt die Feigheit zu Ihnen genau so wie der grenzenlose Hochmut, mit dem Sie hier noch vor einer Stunde prunkten! Ein billiger Prunk, Miß Mills, denn … Dummheit ist bekanntlich die am leichtesten verkäufliche Ware, – entschuldigen Sie meine Ehrlichkeit, aber ich habe es stets mit den anderen Extremen der Feigheit gehalten, und ich bin damit ziemlich weit umher gekommen.“

Ihre Züge werden schlaff, die Schultern sinken, die kleinen weißen Zähne pressen sich in die volle Unterlippe, und ein Blick trifft mich – wie der eines verwundeten, hilflosen Tieres.

„Sie … sind sehr hart: Was haben Sie mit mir vor?!“

Ihre demütige Haltung und Sprache sind nicht erheuchelt. Ihr Mienenspiel verrät, daß irgend ein schmerzhaft nagender, bohrender Gedanke sie beschäftigt.

„Sie sollen mir lediglich an einem Orte, wo wir ungestört sind, über diesen Geiser der Träume all das mitteilen, was Sie wissen dürften …“ lautete meine Antwort. „Brechen wir auf, bevor Ranks und der Neger zurückkehren.“

Ich blicke umher: Der tote Japaner ist verschwunden.

Gaby Mills folgt mir ohne Widerrede, hilft mir sogar einiges von dem in einem Winkel aufgeschichteten Proviant mitzunehmen. Unbemerkt erreichen wir jenes Seitental, in dem ich das Pferd und Kain untergebracht habe. In kurzem ist alles zum Aufbruch bereit. Als ich dem Mädchen in den Sattel helfe, warne ich sie vor jedem Fluchtversuch. Zu meiner Überraschung erwidert sie bitter: „Mir liegt genau so viel daran, diese Morde zu sühnen wie Ihnen, Mr. Smith. Nur begreife ich nicht, weshalb Sie sich derart zu einem längeren Marsche rüsten.“

„In fünf Stunden können wir im Paradiese sein, Miß, – – oder in der Hölle!“

Sie weiß nichts von der Prärie dort im Norden, wo die Stechmücken zu Millionen hausen. Nur von dort kann ich den Faden rückwärts verfolgen, der jene dunklen Knoten besitzt, die ich lösen will: Fragen, die in meinem Hirn längst klar umrissen hervorgetreten sind.

 

4. Kapitel.

Die große Treibjagd.

Der nächste Weg durch diese Prärie führt durch dieses Seitental, biegt dann nach Norden ab und läuft durch Schluchten und düstere Tannenwälder, überschäumende Wildbäche und steinige Hochebenen. – Die Nacht ist im Schwinden begriffen, und mit der Morgendämmerung nimmt die herbstliche Kühle noch zu, die Sterne verblassen, die Konturen des Gebirges schälen sich aus dem Dunkel sacht hervor, und in dem Zwielicht der Morgenstunde erkenne ich deutlich die Spur des Radschlittens, der hier, von unseren braven Hunden gezogen, über Geröll, Moospolster, eingetrocknete lehmige Pfützen und sandige Stellen mit seinen beiden Begleitern gen Norden strebte.

Ich habe Eile. Miß Gaby darf getrost weite Strecken traben, Kain und ich sind ausdauernde Läufer, und wenn ich auch darauf bedacht bin, meine Kräfte zu schonen, so darf ich es doch nicht darauf ankommen lassen, daß die Witterung sich etwa ändert und ein Regenguß mir die Fährten der beiden Mörder verwischt. Als die Sonne aus leichtem Dunst über die Bergränder steigt, haben wir bereits die Hälfte des Weges hinter uns. Treffen meine Berechnungen zu, so muß sehr bald die Radschlittenspur von einer anderen gekreuzt werden. Ich lasse die Augen nicht von dieser Fährte, und der schweigsame Marsch kennt keine Langeweile.

Bisher habe ich das Mädchen nicht mit Fragen gequält. Auch das ist Absicht. Es werden Minuten kommen, in denen jede Widerstandskraft in ihr erlischt und ich zum Ankläger werden darf angesichts eines unumstößlichen Beweismaterials.

Wir haben soeben eine steile Schlucht passiert und dringen in eine schmale Zunge Mischwald ein.

Kain, einige Meter ohne Leine voraus, bleibt stehen, windet, schnüffelt, hebt die rechte Pfote, geht weiter, biegt scharf nach rechts ab, und seine hochgestellten Genickhaare und sein geiferndes Maul deuten auf das hin, was ich zu finden hoffte.

Die Bäume stehen ganz dicht, ein paar verspätete Wildtauben, die noch nicht den Flug gen Süden angetreten haben, gurren zärtlich und unsichtbar in den Wipfeln, vor dem ausgefaulten Loch einer Rotbuche sitzt in geraumer Höhe eine große Eule und blinzelt tagblind zu uns herab, das taufrische Moos und die Stämme duften herb, und der tiefe Frieden der Wildnis scheint freudvoll diese Einsamkeit zu behüten.

Ein trügerischer Frieden, denn Kain duckt sich tiefer, kriecht fast, schleicht weiter, bis zu unseren Füßen eine Senkung sich auftut, ein Garten der Brombeeren, der mit schwarzen großen Früchten betupften stacheligen Zweige. Mitten darin eine freie Stelle, – – Gras, Steine, eine verkrüppelte Eiche, und um diese herum unsere Hunde, alle angeseilt, daneben der Schlitten, unweit davon die spärlichen Reste eines Hirsches.

Faul und dickgefressen liegen die prächtigen Wolfshunde da, schlafen, rekeln sich, – – bis einer jäh den Kopf hebt, Witterung bekommt, emporschnellt und ein langgezogenes Begrüßungsgeheul anstimmt. Im Nu sind sie alle wach, richten die blanken Augen nach unserem Platz und zerren und reißen an den Riemen, – – Begrüßung für mich, den sie stets als ihren alleinigen Herrn anerkannt haben.

„Steigen Sie ab, Miß!“

Meine Stimme mag etwas gepreßt geklungen haben.

Gaby Mills streift mich mit prüfendem Blick.

„Ihre Hunde, Mr. Smith?“

„Ja …“

Ich helfe ihr aus dem Sattel, und als sie dabei einen Augenblick sich an mich lehnt, fliegt ihr heiße Röte in die Wangen.

„Eigentlich waren Sie doch sehr unvorsichtig“, meint sie überstürzt, um ihre Verlegenheit zu bemänteln, „Sie haben mir meine Waffen belassen, gewiß ein Zeichen großen Vertrauens, – – ich danke Ihnen!“

Und ich schweige dazu, nehme das Pferd am Zügel und suche den Eingang zu der Mulde, aus der kein Tier bei dieser Stärke der stacheligen Dickichte herauskönnte. Von Westen her sind Jörn und Ret Hand eingedrungen, ich finde da ein künstliches Verhau aus Dornen, einen schmalen Pfad, den ich freilege, und unter dem vielstimmigen Konzert meiner vierbeinigen Freunde, dieser bissigen, halbwilden und ganz treuen Raufbolde, betreten wir die Blöße das Talkessels und sehen beide, Gaby und ich, gleichzeitig die länglichen, aufgeschichteten Steinhügel dort links und daneben die Reste eines großen Feuers, einen schwarzen, runden Fleck.

„Setzen Sie sich und frühstücken Sie“, bedeute ich dem Mädchen und führe sie in die Nordecke der Lichtung, wo sie kaum sehen kann, was ich unter den schweren Steinen hervorholen werde. – Kain muß sich neben ihr niedertun, und den Braunen pflocke ich in meiner Nähe an. – Das Fieber der Ungewißheit rinnt mir durch das Blut, mit hastigen Händen räume ich die Steine weg, finde darunter einen kurzen, neuen Spaten, beginne zu graben und stoße in geringer Tiefe auf zwei Tote, die nur noch das Unterzeug tragen, säubere die erdigen Gesichter, sehe die Schußwunden und … zaudere.

Soll ich Gaby Mills wirklich hierher bringen und ihr ins Gesicht schreien: „Das hier sind Inspektor Brance und Sergeant Jarley aus Patamak, und Ihre Freunde, Miß, erschossen die beiden – – also fünf Tote, Miß, – – fünf!“ – Soll ich ihren Nerven die Probe zumuten?!

Nein!

El Gento, Bruder eines freien Araukanerhäuptlings, wird sich nicht selbst erniedrigen. Solche Methoden mögen andere anwenden. Mir genügt dies hier: Meine Vermutungen stimmen! Ich weiß nun, was sich in der verflossenen Nacht, in den verflossenen Abendstunden abgespielt hat! Zwölf Stunden hatten Gabys „Freunde“ sie in dem Versteck im großen Tale zurückgelassen, in diesen zwölf Stunden suchten sie Ret Hands Grotten und suchten sie anderswo und stießen auf die beiden Beamten, schossen sie nieder, nahmen die Uniformen und spielten nachher vor mir die Jammerkomödie mit einem Haftbefehl, der allerdings mir galt!

Und weiter?!

Jörn und der greise Häuptling mußten vorschnell die Jagd abgebrochen haben. Wahrscheinlich waren sie schon hier in der Nähe auf Hirsche gestoßen und hatten genügend Fleisch gemacht und waren umgekehrt und fanden die beiden Leichen.

Nur so konnte es gewesen sein.

Sorge um mich trieb sie dann eilends nach den Grotten, sie ahnten, daß hier Banditen in der Nähe, Ret Hand wird wohl geahnt haben, weshalb seine Höhlen wie ein Magnet auf dunkles Gelichter wirkten.

Und wie mir all das durch den Sinn fliegt in plastischen Bildern, höre ich hinter mir einen schnell verröchelnden Schrei, kann gerade noch zuspringen fange die Umsinkende auf und schaue in ein Antlitz, das genau so leichenhaft wirkt wie die verzerrten Gesichter der stillen Schläfer.

Gaby Mills liegt im Grase, ich knie neben ihr, allmählich kommt sie zu sich, und derweil habe ich rasch die Erdlöcher gefüllt und die Steine aufgehäuft.

Das Mädchen blickt mit starren Augen und ausdrucksloser Miene zum klaren Herbsthimmel empor. Ihr Mund zuckt, aber von den Mundwinkeln ziehen sich harte Falten zum Kinn, und das feine Antlitz erscheint alt, verfallen und ohne Hoffnung.

Seltsam genug: Sie beginnt angesichts der beiden Gräber der Wildnis von selbst zu reden. Sie hat nicht gelogen: Sie will die Wahrheit hören und sie will sühnen helfen, was hier geschehen.

„Wer sind die Toten?“

Ihre Stimme ist farblos, müde.

„Wer sind die Toten? – Mr. Smith, ich bitte Sie, mich nicht zu schonen. Auch an mir scheint ein ungeheuerlicher Betrug verübt zu sein. Ich bin keine Gefährtin feiger Mordbuben …!“

Kain hat sich herbeigeschlichen, beschnüffelt die Gräber, wendet sich seitwärts, scharrt und kratzt unter überhängenden Ranken und das faulende Laub und Moosstücke fliegen zur Seite.

So legt Kain, der Wolf, zwei in eine Wolldecke gehüllte Büchsen modernster Konstruktion und zwei Pistolen und andere Kleinigkeiten frei.

Gaby Mills schaut zu, wie ich die Waffen gründlich besichtige.

Als ich mich umwende, ist die Blässe ihres Gesichts noch erschreckender geworden. Trotzdem bleibt der harte Zug um ihren Mund wie eingefroren, und in den großen Augen schillert ein Flimmern, das vielleicht einen mir unbequemen Entschluß andeutet.

Gänzlich verändert klingt auch die erneute Frage:

„Wer sind die Toten, Mr. Smith?“

Diese Stimme hat jetzt Klang und Schärfe.

„Zwei Polizeibeamte aus Patamak am Mackenzie.“

Auf ihrer Stirn zeigen sich strenge Falten.

„Und – wo wollten die Beamten hin?“

„Mich verhaften.“

Sie stutzt, – ein langer Blick gleitet über mich hin.

Neue Überraschung: „Sie heißen wirklich Smith?!“

Abermals mustert sie mich.

Die Rollen sind vertauscht. Gaby Mills spielt Richter.

„Und Ihr wirklicher Name? Ihr Vergehen?“

„Mein Name … – ja, – vielleicht El Gento, Miß, und mein Verbrechen – – vielleicht ein Justizirrtum. Das muß Ihnen schon genügen. Und jetzt – bitte: Wer waren Ihre Begleiter? Was wollten Sie drei hier in der Wildnis? Woher kamen Sie?“

Gaby Mills schüttelt energisch den Kopf. „Es tut mir leid, Mr. El Gento … Aber ich werde nicht antworten. Bemühen Sie sich nicht weiter, denn … ich werde diese Rechnung persönlich tilgen! Ich verstehe jetzt alles. Sie sollen mit mir zufrieden sein, und das Blut Ihrer Freunde bleibt auf keinen Fall ungesühnt.“

Vielleicht hätte ein anderer die Taktik geändert. – Was dieses Mädchen plante, war für sie allein undurchführbar. Ich würde nicht von ihrer Seite weichen, und die Zeit würde für mich arbeiten.

„Wie Sie wollen, Miß …“ Ich blieb ganz ruhig.

Ich sehe das erwachende Mißtrauen in ihren Zügen. Mein Gleichmut mißfällt ihr.

„Unter diesen Umständen freilich …“ – meine Stimme hebt sich – „muß ich Sie bitten, mir Ihr Messer und Ihre Pistole auszuhändigen.“

Sie tritt schnell zurück.

„Niemals!“

Ein leises Lächeln stiehlt sich um meinen Mund.

„Miß Mills, wünschen Sie, daß ich Gewalt anwende?! Im Grunde sollten wir Freunde werden … Wir verfolgen dasselbe Ziel. Die Stunde wird kommen, wo Sie freiwillig sprechen werden, glauben Sie mir.“

Zögernd läßt sie die Waffen ins Gras fallen, wendet sich ab und …

„Bitte!! – Ich möchte, daß Sie dort auf den untersten Eichenast klettern … Ich will die Hunde losmachen und dann die Pferde der beiden Beamten suchen. Die Hunde sind sehr bissig.“

Sie gehorcht wortlos. Ich helfe ihr hinauf, besteige den Braunen, rufe Kain herbei, schließe hinter mir den Eingang der Mulde und mache mich auf die Suche. Die Hunde sind über die Reste des Hirsches hergefallen und ihr Gezänke und Kläffen begleitet mich auf dem einsamen Weg durch die kanadische Wildnis. Die Sonne lugt durch verfärbtes Laub, ein Häher schreit irgendwo, und der Dunst des Pferdeleibes, das Glücksgefühl, im Sattel dahinzutraben, quillt mir abermals berauschend zum Herzen.

Die Spuren der beiden Polizeigäule führen gen Westen … Eine Stunde verrinnt, noch eine … Bis die Fährten der Tiere links abschwenken, bis ein sanft geneigtes Plateau mir die Nähe des großen Tales kündet, in dem Ret Hand mit den Seinen letzten Unterschlupf fand.

Eine scharfe Biegung um eine Felsgruppe – ein Ruck an den Zügeln: Fünfzig Meter vor mir halten zwei Reiter, – – die Büchse des einen fliegt hoch, ich krümme mich zusammen, das Blei pfeift, und ich reiße den Braunen herum …

Was für Gesellen sind das nun wieder, die hier so einfache Wild-West-Gebräuche anwenden und sofort schießen?!

Aber – – mögen Sie nur!

Eine frisch-fröhliche Hatz kommt mir gerade recht …

Der Braune leistet etwas, er reckt sich im Galopp lang wie eine Katze, wir fliegen dahin, wir erreichen das erste Waldstück, unter den Bäumen geht es hindurch wie bei einem Hindernisrennen, dann eine Blöße, kahles Gestein, scharf nach links, wieder nach links, und zehn Minuten später habe ich die beiden Helden genasführt und bin dicht hinter ihnen.

Sie kehren mir den Rücken zu, suchen nach meiner Fährte.

Jetzt schaue ich sie genauer an.

Fallensteller?!

Aber berittene Trapper hier in dieser schönen Gegend, wo die Gäule so rar sind wie Kinotheater?!

… Beide in Leder gekleidet, beide mit Lederschlapphüten …

Und dann dreht sich der kleinere, stämmigere … Unter der Hutkrempe ein schwarzes Gesicht …

Also die sind es!!

„Hände hoch – – etwas schnell!!“ – und zur Warnung folgt eine Kugel, die dem Langen den Hut wegreißt und einen blonden Scheitel freilegt …: Harold Ranks!!

Ranks Monokel fällt …

Sie sitzen auf ihren Gäulen mit artig hochgereckten Armen, und ihre Gesichter verraten grimme, sehr überflüssige Wut.

Ich trabe näher.

„Morgen allerseits … Wollten Sie mich nochmals totschießen, Mr. Ranks?!“

Er ist tadellos sauber rasiert, das Haar ist verschnitten, wenn auch nicht sehr kunstgerecht, und die Anzüge, die die beiden tragen, stammen aus unseren Vorräten.

Auch mein Rasierzeug dürfte Ranks Stoppeln entfernt haben.

Ranks macht Augen wie ein angeschweißter Panther.

„Wo haben Sie das Mädchen gelassen?!“ faucht er mich an. „Sind Sie gemein genug gewesen, Ihre Buschkleppermanieren auch …“

„Sachte, sachte!! Wollen uns den nahe bevorstehenden Friedensschluß nicht verärgern, Mr. Ranks. Sie befinden sich da in einem Wust von Irrtümern, – glauben Sie zum Beispiel etwa, daß hier in der kanadischen Wildnis gesattelte Pferde wie die da, die Sie jetzt reiten, wie die Stechmücken umherschwärmen?! Das sind Dienstpferde, Mr. Ranks, und die beiden Polizeibeamten, die vor Ihnen in den Sätteln saßen, liegen vier Meilen nach Osten zu unter dem Rasen und haben ein Ende gefunden, das nicht auf mein Konto kommt, ebensowenig wie Ret Hands und meines Freundes Jörn jäher Tod. Unter uns: Miß Gaby Mills sogenannte Freunde schossen sowohl die Beamten als auch meine Gefährten und Ihren japanischen Kameraden nieder. Das hatte ich sehr bald heraus, und wenn Sie beide nun mal geduldig zuhören wollen, werde ich Ihnen das Nötige mitteilen. Die Schramme hier an der Stirn trage ich Ihnen nicht weiter nach. Irren ist menschlich. Was wissen wir denn groß voreinander?! So gut wie nichts. Miß Gaby Mills hüllt sich ängstlich in den Mantel ihrer kleinen Geheimnisse ein, Sie und Chester Bry desgleichen, und ich nicht minder. Etwas drastisch ausgedrückt: Wir machten uns gegenseitig blauen Dunst vor, und nicht zu knapp! Das muß anders werden, – – der Geiser der Träume verlangt das wohl!“

Geiser der Träume!

Es war von mir nur wieder derselbe bescheidene Trick, den ich bereits gegenüber Gaby Mills angewandt hatte.

Und – es war merkwürdigerweise auch genau derselbe Erfolg, den ich damit erzielte.

Aha – – Geiser der Träume, – das schlug ein, das war für sie Anlaß zu unverhohlenem Entsetzen, anders kann ich es nicht bezeichnen.

Ranks, der jetzt in seiner Lederkluft jedem Salon Ehre gemacht hätte, war noch bestürzter als der schwarze Gentleman mit dem Käsenamen Chester Bry.

Aber beide – und das war das hervorstechende – hatten sich auch verblüffend gut in der Gewalt, und der Ausdruck ihrer Gesichter und der Blick ihrer Augen sowie dieses jähe, erschreckte Heben der Köpfe waren als Zeichen ihrer Bestürzung im nächsten Moment wieder restlos weggewischt.

Beide zuckten leicht die Achseln, beide lächelten ablehnend-verständnislos.

„Bedauere“, sagte Ranks kühl, „Ihre Geister der Träume schrecken uns nicht, – nicht wahr, es hieß doch Geister der Träume?!“

Kein unübler Versuch, den schlechten Eindruck zu bemänteln!

„Vielleicht …!“, erwiderte ich nur. „Vielleicht auch anders …“

Ich blickte flüchtig zu Kain hinüber.

Der stämmige Wolf war bis zum Südrande dieser einsamen, von Geröll umrahmten Anhöhe gelaufen, und sein dumpfes Grollen klang uns mahnend in die Ohren.

„Da ist etwas nicht in Ordnung“, rief ich schnell. „Bitte – die Wahrheit: Werden Sie verfolgt, Ranks?“

Ein kurzes hartes Auflachen.

„Verfolgt?! Sagen Sie getrost gehetzt, das ist richtiger. Und wie gehetzt – – seit vielen Wochen! Die Sippe, die da hinter uns her ist, hat ein paar sehr unangenehm erlogene, verlogene Papierchen in der Tasche und besteht aus …“

Ich ließ ihm nicht Zeit, den Satz zu beenden. Im Nu war ich aus dem Sattel, lief tief geduckt hinüber zu Kain und lugte durch die Ritzen der Felsblöcke in das Tal hinab.

Was ich sah, benahm mir den Atem.

Ein Reitertrupp, zu langer Schlange zum Teil gereckt, kam da in schärfstem Trabe das Tal entlang, und die meisten dieser gut berittenen Männer glichen in ihrer Tracht entweder wilden Cowboygestalten oder etwas modernisierten Indianern.

Ich zählte …

Es waren genau zweiundzwanzig …

Und was am peinlichsten: Der Führer vorn hatte eine Koppel von sechs echten großen Bluthunden an der Leine!

Ich schob mich rückwärts …

Ich stand dicht vor Ranks und Chester, die mir gefolgt waren und gleichfalls den Reitertrupp gesehen hatten.

Ranks lächelte mich an.

„Das sind sie! Feine Garde!! Nun begreifen Sie wohl, warum wir wie die Strolche aussahen! Zweimal hatten sie uns schon eingekreist, zweimal durchschwammen wir den reißenden Patamak-Fluß, verloren dabei alles – alles, fraßen Pilze, Beeren, rohe Kaninchen …“

In seinen Augen glomm ein unheilvolles Licht auf. „Aber – die Abrechnung kommt, denn jetzt haben wir Waffen, und daß wir sie zu gebrauchen wissen, sollen Sie schon merken, falls Sie wirklich auch einer der Geächteten sind, wie mir es scheint!“

„Fort von hier – ich reite voran!“, – das war meine Antwort, und darin lag alles: Bündnis, Kameradschaft!

Wir jagten gen Norden.

Gesegnet die Jagdausflüge, die mich diesen Teil der Horn-Berge so genau kennen lernen ließen, gesegnet die brave Stute, die gutes Blut in den Adern hatte.

Eine Kletterpartie kam, bei der wir die Pferde am Zügel hielten, bei der die Gäule ausrutschten auf dem überspülten Gestein, bei dem aber auch die Gewißheit vorhanden, daß keine noch so feine Hundenase uns auch hier aufspüren konnte.

Dann droben eine schmale, bewaldete Berglehne, keine zehn Meter breit, nur erreichbar durch diese rauschende Schlucht, – bestanden mit uralten Tannen, deren unterste Äste abgestorben waren.

Ranks rief leise:

„Wunderbar!! Das bekommt man nicht einmal im Felsengebirge zu sehen!“

Und er hatte recht.

Was die Natur hier in einer ihrer bizarren Launen geschaffen hatte, das war Panorama von einer Fülle der Schönheiten, wie die Bergwildnis sie selten aufweist.

Schnurgerade nach Norden verlief dieser Felsgrat mit steilen Abhängen, gekrönt von dem ernsten Dunkelgrün der Nadelbäume – ein schmaler Strich, unten eingefaßt von den blanken Spiegeln zweier Bergseen, während in der bläulichen Ferne die Berghäupter sich öffneten und die wellige, große Prärie mit ihren Bauminseln und Blumenfeldern erkennen ließen: Das Paradies, die Paradies-Prärie!

Und dies hier war der zweite Weg dorthin, der unbequemere, der gefährlichere! Der andere ging im Osten entlang, und den hatten vor Stunden Gaby Mills und ich benutzt.

„Absteigen!“, befahl ich …

Nur eine kurze Strecke hatten wir im Sattel und im Schritt uns ausruhen können. Unsere Tiere keuchten, wir keuchten … Wir hatten keinen trockenen Faden am Leibe.

Hinein ging es in das Dämmerlicht der Tannen. Jörns Bärenstärke hatte hier mit dem Beil eine Gasse vor Tagen gehauen. Anders gab es kein Durchkommen. Die Schnittflächen der abgehauenen Äste leuchteten noch weiß, Harz war hervorgequollen, Harzgeruch umgab uns.

Hundert Meter Schritt für Schritt, – dann eine breitere Stelle, eine kleine Lichtung.

Ich hielt an.

„Ranks, Sie beide warten hier. Ich hole Gaby Mills …“

Ich schaute mir ihre Pferde an.

Dasjenige von Ranks war das bessere, es zeigte wenig Flankenschweiß.

„Im Notfall …“ – ich nahm den Gaul am Zügel – „darf es auch knallen, denn lebend lasse ich mich nicht wieder einsperren – und Sie beide wohl auch!“

Ranks nickte nur.

Chester hielt eine längere Erklärung für angebracht.

„Es wird knallen, denn die da hinter uns, das ist der auf neu abgestempelte Abschaum aus den Viehfarmen bei …“

Den Namen verschluckte er.

Ich schritt davon.

Seit langem hatte mir das Blut nicht mehr so frisch die Adern durchpulst wie jetzt.

Die Luft der Berge war Champagner, das Abenteuer selbst war das holde Weib, mit dem der süße Rausch der Kraft ausgekostet wurde.

Und dazu noch das Bewußtsein, daß ich zwei Männer zu Gefährten hatte, die so etwa aus dem gleichen Holze geschnitzt waren wie ich …

Dazu noch die nächste Zukunft wie eine verhüllte Bühne, vor der erst der Vorhang sich öffnen soll zu unbekannten, nervenpeitschenden Dingen!

Leben – – Erleben – – und frei sein – – das erst ist des Daseins höchste Freude! Erleben ist Geschenk der Götter …

Alles andere – – ist kläglicher Kitsch!

Ich schritt davon, beeilte mich. Neben mir trabte Kain … Und Kain, der Wolf, war auch nicht der öde Alltag, war reinblütiger Wolf, war gezähmte Bestie …

Paßte zu mir, dieser Kain, der seinen Bruder Abel fraß.

Stimmt schon. Tat er wirklich.

Bruder den Bruder …

Die Natur hat ihre schlichten Triebe. Hunger und Liebe! Alles andere haben die Federfuchser hinzugedichtet, die da im Samtrock ihr Geplärr dem Fräulein Sekretärin in den huschenden Bleistift diktieren, und bei jedem dritten Wort nachgrübeln, daß ja nicht etwa eine Zeile zustande käme, die nicht vor Geist derart triefe, daß sie sofort verständlich wäre.

Gewäsch, saftlos, kraftlos, nur gelesen von Snobs gleicher Art, nur gedruckt hingelegt auf Salontischchen von dekadenten Weibern, die alles mitmachen müssen – – nur nicht das Einfache, Natürliche: Die Freude an starker Männlichkeit, die die Faust ballt und auch zuschlägt!

Die beiden da hinter mir, dieser Ranks und dieser schwarze Gentleman, die würden zuhauen und den Finger krümmen und sich ihrer Haut wehren! Das waren Leute meiner Sippe, und meine Sippe wohnt ganz fern am Gallegos[3], am Rande der Pampas, in einer zweiten, wahren Heimat!

… Im Trab nun hinab in die Täler, jede weiche Stelle meidend, Bäche durchquerend, – schließlich im Galopp dorthin, wo das Mädchen meiner wartete auf hartem Baumast, belagert von Hunden, die meine Hunde waren und die nicht dulden würden, daß meine Gefangene sich entfernte.

Kain war zurückgeblieben, ein fettes Kaninchen konnte ich ihm schon gönnen, er hatte den Geschwindmarsch so wacker mitgemacht, ich selbst verspürte nagenden Hunger, aber mir lief keine gebratene Rehkeule in den Weg, ich ließ mir kaum Zeit, ein paar Brombeeren abzustreifen, die lediglich den Magen betrogen und meine ohnehin nicht ganz sauberen Finger bräunlich färbten.

Die letzte bewaldete Anhöhe dann, – drüben mußte der Talkessel liegen, mein Brauner schnaubte, seine Flanken waren naß, und das Polizeipferd warf weiße Flocken. Vielleicht hatte er uns bei diesem Parforceritt doch zu viel zugemutet.

Durch Buchen und Eichen wanden wir uns hindurch, – jetzt war das Blickfeld frei für das friedliche Bild, das ich hier anzutreffen hoffte. Die Büchse hatte ich quer über dem Sattel liegen, die Rechte am Schloß – wie immer … Diese Berge hier waren nicht mehr so sicher und ungefährlich wie einst, die zweiundzwanzig Reiter und Bluthunde drüben im Westen, die nun nach unseren Spuren suchten, hatten mich genügend gewarnt.

Freier Blick …

Ich sehe die verkrüppelte Eiche, das Brombeertal, die Steingräber, die Reste des Hirsches …

Aber Gaby Mills sehe ich nicht, auch nicht die Hunde.

Eisiger Schreck greift nach meinem Herzen.

Wo ist das Mädchen?!

Und dann …

Ein dünnes Pfeifen, mehr ein Surren, – von rückwärts gleitet mir eine Schlinge über Hut und Kopf, ein furchtbarer Ruck reißt mich aus dem Sattel, ich rutsche bis zur Kruppe des Braunen, haue ihm trotzdem die Hacken gegen die Schenkel, – klammere mich an den Sattel, lasse die Zügel des Polizeipferdes fallen, und mein Gaul springt, – ich weiß, daß der Ruck sich wiederholen wird, – hier handelt es sich lediglich um brutale Kraft, um die Frage, wer stärker ist: Der Lasso oder ich!

Und der Ruck kommt, preßt mir die Oberarme an den Leib wie mit Eisenklammern, beengt die Brust, droht mir den Lederrock zu zerschneiden.

Zähne zusammengebissen, – es geht um Sekunden, – – entweder ich oder die, die da hinter mir jetzt wie toll zu feuern beginnen …

Armer braver Fuchs, armer Polizeigaul, du wurdest mir Schild und Kugelfang, dein stöhnender Aufschrei verrät es, – – und die unerhörte Spannung des niederträchtigen Wurfriemens läßt urplötzlich nach, der Braune jagt die Böschung hinab, unten reiße ich ihn herum, bin wieder unter grünen Baumzweigen, bin in freiem Gelände …

Hinter mir … die Hölle!!

Das ist, als ob die Teufel um eine arme Seele betrogen wären, das ist, als ob die wilden Sioux wieder aufgelebt seien und ihre Kehlen gründlich vorbereitet hätten für dieses infernalische Geheul!

Zurückschauen?!

Ich hüte mich …!

Ich habe mit mir und dem halb erschöpften Braunen genug zu tun.

Aber trotz alledem: Einmal schließe ich die Augen, und dann – in einer Sekunde – sehe ich mich neben dem Unvergeßlichen über die südamerikanische Steppe fegen, hinter uns her auch der Tod …

Einmal tue ich es …

Und aus diesem flüchtigen Moment der Erinnerung fließt mir der Glaube zu an das, was ich leisten kann, leisten muß … Und dieser Glaube wirkt Wunder – wie stets! Das ist nicht Hoffnung, nicht Wünschen, – das ist Urquell ureigenster Stärke, das ist die Höchstkonzentration von geistiger und körperlicher Spannkraft, das ist das Hinauswachsen über sich selbst im Moment der Gefahr!

Und Gefahr war hinter mir.

Tod war neben mir.

Das häßliche Zischen der Kugeln, das Bellen der Schüsse, – – das war Spiel mit dem Tode, – das ist ein angespanntes, nervenkitzelndes Warten, ob nicht vielleicht die nächste Kugel doch trifft, ob nicht der keuchende Braune unter mir verhängnisvoll zusammenzuckt.

Dann einige Felsen auf öder, steiniger Hochsteppe, – hinein in die Felsen, hinunter vom Sattel, – drei Klimmzüge, – hinauf auf den dunklen Granitblock, der oben drei dürftige kleine Tannen ernährt.

Acht Kerle jagen herbei …

Mit Abständen …

Vorn als erster eine Sorte Gentleman, die hier sehr putzig wirkt: Frisch aus einem Sportgeschäft bezogen.

Ich ziele gemächlich, hole tief Luft …

Nochmals …

Es flimmert mir etwas vor den Augen …

Dann drücke ich ab …

Arme Kreaturen, arme Pferde …

Scheußlich das!!

Der feine Gentleman fliegt im Bogen vom zusammenbrechenden Pferd, – der zweite, der dritte tun es ihm nach, die anderen möchten dem Verderben entgehen, aber eine Büchse hat genau acht Patronen im Rahmen, und die Helden drüben mögen sich verdammt gewundert haben, daß es hier in Südostkanada veritable Kunstschützen gibt.

Selbstverständlich, daß die vier, die nach dem Sturz noch ihre fünf Sinne leidlich beieinander haben, entwischen möchten.

Aber eine Stimme, die in solchen Fällen kein säuselndes Pianissimo kennt, und zwei warnende Kugeln durch hohe Lederschäfte vertreiben so unziemliche Gedanken.

Die Burschen mir anzusehen, dazu habe ich keine Zeit …

Stehe schon vor ihnen.

„Bindet, die da umherliegen, – etwas flink!“

Mir scheint, diese wetterharten Kerle kennen noch den einfachen Komment vom Wildwest.

Gehorchen.

Und vollziehen schließlich die Prozedur an sich selbst, bis nur einer noch frei und aufrecht dasteht, ein rotbrauner junger Kerl von famoser Figur, den das blaue Wollhemd und das lose geknotete Halstuch kokett herausgeputzt haben.

Eigentümlich ruhige, klare, dunkle Augen hat dieser sonngebräunte, mittelgroße Präriedandy.

Augen, die in einem ebenso klaren, schmalen Antlitz über einer kühnen Nase liegen …

„Arme nach hinten, Bursche!!“

Inzwischen ist mir ein Helfer erschienen: Kain, das Maul blutbefleckt, zwischen den Zähnen noch einen Fetzen Stoff …

Ich binde auch den letzten, und als ich die Trense eines toten Gaules um die Handgelenke schlinge, fällt mir die Kleinheit und Zartheit der Hände auf. Ich schaue genauer hin: Der Kerl hat weiß Gott manikürte Fingernägel, und die Hände sind wohlgepflegt und weiß, kein Sonnenstrahl traf sie, ich kann mir leicht vorstellen, daß diese Händchen durch Wildlederhandschuhe geschützt wurden.

Und noch eins: da umweht mich ein schwacher, schwacher Duft …

Man ist – – Mann, – – und dieser Kerl ist nicht Kerl … ist ein Weib, jung, blühend, kraftvoll …

Ich drehe sie herum, schaue ihr nochmals ins Gesicht.

„Wie heißen Sie?!“

„Izana“, sagt sie.

„Und weiter?“

„Izana Milleret aus Seattle, U. S. A.“

Milleret?!

Milleret?!

Der Name – wo hörte ich ihn?!

Mein Gedächtnis gehorcht, schaltet sich ein.

War es nicht Ranks, der von einem Einbruch bei einem Millionär Milleret gesprochen hatte?

Ich muß Gewißheit haben.

„Sagen Sie mal, Miß, ist in das Haus Ihres Vaters nicht vor einiger Zeit eingebrochen worden?!“

Die dunklen Augen, die mich irgendwie an jemand anders erinnern, schließen sich halb. Der Kopf hebt sich, und in das schöne Gesicht tritt ein Ausdruck unendlichen Hochmuts.

„Ich erteile Banditen keine Audienzen! – Sie werden aufgeknüpft werden!!“

Mein schallendes Gelächter verwirrt sie.

„Verehrteste Miß, zunächst werde ich mir mal überlegen, ob ich Sie nicht aufknüpfe! – Wo ist Gaby Mills?“

Das gebräunte Antlitz läuft aschgrau an, die Lippen zittern, die Augenlider zwinkern …

„Ich kenne niemand dieses Namens“, erklärt sie mit gänzlich veränderter Stimme.

„Sie … lügen …!!“

– So lernte ich Izana Milleret kennen.

Diese Minuten auf der steinigen Steppe unter dem strahlenden, glasklaren Herbsthimmel werden mir unvergeßlich bleiben.

 

5. Kapitel.

John Milleret aus Seattle.

Ich ahnungsloser Engel hatte meinen Braunen vorhin zwischen den Felsen stehen lassen und nahm auch weiter keine Notiz davon, daß er jetzt langsam, hier und dort ein paar magere Gräser rupfend und seinen erschossenen Artgenossen im Bogen ausweichend, auf uns zugeschlendert kam.

Freund Kain hatte sich ebenfalls bei der Prüfung der Pferdekadaver auf ihre Tauglichkeit zu reichlichem Mittagsmahl ein Stück entfernt, nachdem er sowohl die auf dem Boden liegenden sieben Gefangenen als auch Izana Milleret feindselig mit einigen grollenden Tönen bedroht hatte.

Mein harter Vorwurf „Sie … lügen!“ trieb Izana Milleret die flammende Röte des Zornes ins Gesicht.

Sie wich vor mir zurück, und ihre Antwort war lediglich ein unaussprechlich hochmütiger Blick und ein drohendes Auflachen.

Dann kehrte sie mir den Rücken zu.

Nun – auch El Gento kann in gewissen Fällen den Gentleman abstreifen müssen. Hier ging es nicht um kindliche Klatschereien und Intrigen innerhalb eines feudalen Millionärzirkels, sondern um sehr ernste, sehr blutige Dinge, denen ich um jeden Preis auf den Grund kommen wollte.

Abermals trat ich vor sie hin.

„Miß, Sie verkennen die Sachlage und mich … gründlichst!!“

Ich war Luft für sie.

Sie hatte jene unangenehme Art über Menschen hinwegzuschauen, als ob sie auf weiter Flur einzig und allein vorhanden wäre.

„Es sind hier in der Nähe, Miß, in wenigen Stunden fünf Menschen erschossen worden, darunter zwei Freunde von mir, ferner zwei Polizeibeamte und ein gebildeter Japaner …“

Der zur Seite gewendete schöne Kopf meiner Feindin flog herum.

Izana schaute mich an. „Wie hieß der Japaner?“

„Den Namen wissen Sie selbst am besten“, sagte ich leichthin. „Der größere Teil Ihrer … Freunde bemüht sich zur Zeit, die übrig gebliebenen zwei Mitwisser der dunklen Geschichte des Geisers der Träume einzukreisen, im übrigen ein zweckloses Unterfangen, Miß, da …“

Es war wieder ein Schuß ins Schwarze gewesen. Ich hatte bisher schon mit der Bezeichnung „Geiser der Träume“, die für mich doch vorläufig leerer Schall war, sehr glücklich operiert. Hier Izana Milleret gegenüber war die Wirkung noch eindrucksvoller.

„Ah – – also auch Sie einer der … Ausbrecher!“, zischte sie mich bleichen Gesichtes an. „Dann weiß ich wenigstens, wie weit ich gehen darf … so weit …“

Und ehe ich mich es versah, hatte sie das rechte Bein hochgeschnellt, sprang vor, traf mich mit dem Absatz ihres Reitstiefels gegen die linke Brust, daß ich sofort hintenüberflog, war mit drei Sätzen neben dem Braunen, schnellte sich trotz der gefesselten Hände in den Sattel und jagte davon.

Der Stoß, der mich umgeworfen hatte, benahm mir für Sekunden den Atem. Ich war verblüfft über diese Energie des reizenden Mädels, und als ich mich aufrichtete und nach der Büchse griff, schaltete ich den Gedanken, ihr etwa das Pferd unter dem Leibe zu erschießen, sofort wieder aus.

Izana verschwand nach Süden zu in Richtung auf das Brombeertal.

Daran ließ sich nun nichts ändern, ich war höchst unzufrieden mit mir, und mich bedrückten auch noch andere Sorgen. Das Verschwinden Gaby Mills und der Hunde mußte schleunigst aufgeklärt werden. Ich war hier ganz allein auf mich angewiesen, ich hatte die sieben Herren da drüben sicher unterzubringen – – wo nur?

Felslöcher gab es hier genug, und meine Ortskenntnis kam mir auch jetzt recht zustatten. Ich schritt zu dem ganz feinen Gentleman hin, der ohne Zweifel hier den General der feindlichen Armee markierte. Er hatte sich von dem Sturz inzwischen erholt, saß aufrecht da, und sein finsteres, hartes, gesundes Gesicht sowie sein bartloser, noch härterer Mund gehörten einem Menschen, den ich vom ersten Augenblick an richtig einschätzte.

Bevor ich noch sprechen konnte, sagte er mit erheblicher Anmaßung: „Nehmen Sie mir sofort die Fesseln ab, oder Sie werden es bereuen!“

„Hm … Abnehmen will ich Ihnen etwas …!“ Und ich zog aus seinem feinen Jagdrock eine Brieftasche hervor.

Das erste Papier, das mir in die Hände geriet, war ein Paß für Mr. John Milleret, Seattle, U. S. A.

Ich pfiff durch die Zähne.

„Wohl der Papa der jungen Dame?“

Der Mann hätte mich in dem Moment niedergeschossen. Aber das konnte er nicht. Und seine Gesichtsverrenkungen störten mich auch nicht.

Ich schob das wertvolle Beutestück in meinen Rock, packte zu, lud mir den Millionär auf die Schultern, nahm drei Lassos mit (seine Garde war reichlich damit versehen) und lief hundert Meter gen Westen, wo eine kurze tiefe Felsspalte mit glatten Wänden Mr. Milleret und Konsorten vorläufig beherbergen sollte.

Als er an dem Lasso abwärts schwebte, sprach er noch immer kein Wort. So schweigsame Naturen, die die Wut nach innen hinabwürgen, sind die übelsten Kunden.

Die sechs anderen trieb ich als kleine Herde ebendorthin, und in wenigen Minuten hatte Mr. Milleret nicht mehr über Einsamkeit zu klagen. Seltsamerweise verbissen sich auch seine Leute den Grimm, und außer wenigen Kolbenstößen als Aufmunterung wickelte sich die Einkerkerung ganz nach Wunsch ab.

Daß Miß Izana mich nicht beobachtet hatte und somit keine Gelegenheit finden würde, ihren Papa nebst Anhang zu befreien, wußte ich ganz genau, da Kain dem Braunen und dem Mädchen sofort nachgestürmt war und Izana mithin alle Ursache hatte, ihre Flucht nicht zu unterbrechen.

Um ganz sicher zu gehen, hatte ich den sieben sämtliche Waffen abgenommen, die ich nun schleunigst anderswo verbarg. Ein ungewisses Gefühl, daß dort im Brombeertal nicht alles in Ordnung sei, ließ mich im Eiltrab gen Süden verschwinden, obwohl meine körperliche Leistungsfähigkeit nach dieser etwas aufregenden Nacht stark nachzulassen begann.

Als das kleine, waldumgebene Tal in Sicht kam, wurde ich vorsichtiger. Aber ein grüner Filzhut mit weißem Mückenschleier, der dort vor mir eifrig geschwenkt wurde, überhob mich jeder weiteren Sorge um Gaby Mills Ergehen.

Mehr noch: Auch um Izana Milleret brauchte ich mir weiter keine Gedanken zu machen, sie war fast zu gut aufgehoben, auch der Braune graste friedlich in dem Talkessel, und Freund Kain beschäftigte sich mit einem großen Hirschknochen.

Gaby kam mir entgegen. Ihr Gesicht gefiel mir nicht, noch weniger die Büchse, die sie in der Hand hatte.

„Legen Sie bitte den Schießprügel weg“, sagte ich sehr bestimmt. „Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit den Leuten vom Geiser der Träume sind mir Bleikugeln zu billig geworden, man verschwendet sie geradezu.“

Gaby zuckte die Achseln. „Unsinn! Wir sind Verbündete, Mr. El Gento … Hätte ich sonst das Mädchen da an die Eiche gebunden, nachdem Ihr Kain sie fast zerrissen hätte?!“

„Gut denn – Hand her, Gaby …! Also Verbündete mit einem vollgerüttelten Maß von Geheimnissen.“ Ich lachte gutmütig. „Wie in der hohen Politik, Gaby …! Bündnisse mit Hintertüren, – aber in unserem Falle dürfen diese „Notausgänge“ niemals in feindliche Lager führen, Gaby! Sie verstehen mich!“

„Ich verstehe Sie, Smith, obwohl ich eigentlich verletzt sein sollte. – Wie verlief denn die Hetzjagd vorhin? Ich konnte Ihnen nicht helfen, ich hockte da droben in der Eiche und war froh, daß man mich nicht erwischte.“

Trotz ihrer sehr ernsten Miene ging etwas Frisches, Belebendes von ihr aus. Es machte ganz den Eindruck, als ob sie glücklich irgend eine sehr bedeutende Frage gelöst hätte, die bisher ihren inneren Schneid gelähmt hatte.

„Die Hetzjagd, Gaby?! Nun ja, ganz nach Wunsch ausgefallen, nach meinem Wunsch. Sieben Gentlemen stecken in einem Felsloch, die achte steht dort am Baum. – Kennen Sie Izana Milleret?“

Gaby blickte zur Seite.

„Ich möchte nicht lügen, Smith …“

„Also kennen Sie sie … – Und Izana kennt auch den Geiser, – was ist das nun eigentlich für ein Ding?! Geiser der Träume?! Soweit mir bekannt, hat U. S. A. nur im Nationalpark droben im Felsengebirge sehr schöne Springquellen …“

Es war nur ein Fühler, den ich ausgestreckt hatte.

Gaby drehte sich rasch um und zeigte mir die Kehrseite.

„Hm, nicht sehr höflich, Gaby … – Also dann zu Izana …!“

Das half. Sie fuhr herum.

„Die wird auch nichts verraten, – – es ist eine schmutzige Geschichte, El Gento!“

„Glaube ich unbesehen, liebe Freundin. Im Nationalpark oder Yellowstone-Park[4], dessen Entdeckungsgeschichte ein Abenteuerroman für sich ist, springen ja auch Schlammgeiser.“

Gaby kniff die Augen klein.

„Wollen Sie Izana irgendwie zu einem Geständnis zwingen?“

„Nein, im Gegenteil, ich will sie nur dorthin mitnehmen, wo Ranks und Chester Bry uns erwarten. Ich vermute, das Wiedersehen mit Ranks und dem Neger wird Izana Milleret etwas … aufregen.“

Gabys Gesicht wurde nachdenklich. „Dann … dann wüßte sie mehr als ich, El Gento, weit mehr! Mich hat man belogen. Ich kannte Ranks nicht, ebensowenig Chester und den Japaner.“

Sie sprach jetzt unbedingt die Wahrheit.

Die Sache wurde immer geheimnisvoller.

Um das Thema zu wechseln, fügte Gaby wieder sehr lebendig hinzu: „Dort im Walde stehen noch vier Packpferde … Wir können reiten, – ich möchte fort von hier …“

„Ich auch, kleine Freundin … Holen Sie die Gäule. Es hat Eile, man kann nie voraussehen, ob Mr. John Millerets Menschenfänger mit ihren Bluthunden nicht doch meine Fährte gefunden haben.“

Gaby lief durch das enge Schlupfloch der Brombeerwildnis in den Wald hinein, während ich mich nach der Eiche begab und Izana begrüßte. Ihre Bluse war zerrissen, sie hatte auch einige blutige Kratzer am Halse.

Ich war wieder Luft für sie.

„Miß Milleret“, sagte ich höflich, „Sie gestatten wohl, daß ich Ihnen meine Anerkennung ausspreche. Ihr Fußtritt war ein Meisterstück, und der Sprung auf das Pferd nicht minder.“

Ich band sie los, ließ ihr aber die Hände gefesselt. Diese schlanke, ranke, dunkeläugige, dunkelhaarige Pantherin war sehr mit Vorsicht zu genießen.

Sie wandte sich schroff ab und setzte sich auf einen Stein. Ich sah ihr Profil, und im Geiste verglich ich es mit dem Gabys. Es war dasselbe Profil, es waren dieselben Augen, nur daß Izana unweigerlich die pikantere, rassigere Schönheit blieb.

Schwestern etwa?!

Nein, das konnte kaum sein …

Hinter mir das Dröhnen und Stampfen von Hufen, – Gaby kam mit den Packpferden, die Ballen trugen.

„Schnell aufschnüren, Gaby … Den Inhalt prüfen. Was wir brauchen können, nehmen wir mit.“

„Diebesgesindel“, rief Izana wegwerfend.

Gaby blickte sie lange an, sehr lange, und die andere schaute schließlich zur Seite.

Zehn Minuten später brachen wir auf. Wir hatten zwei Packpferde beladen, zwei zum Reiten gesattelt, ich hatte Sättel und Zaumzeug von den toten Tieren geholt, und im Trab ging es gen Nordost, ich voran, hinter mir Izana, als Nachhut Gaby mit den Packpferden.

Ich vermied es, etwa denselben Weg einzuschlagen, den ich beim Herritt gewählt hatte. Kain war stets einige dreißig Meter voraus und schützte uns vor Überraschungen.

Die Sonne stand klar und glänzend am Himmel, es war warm geworden, die leichten Nebelschwaden der Nacht hatten sich verzogen, und das Gebirge mit all seinen Schönheiten lag in berauschender Schlichtheit der Einsamkeit wie ein Gemälde da und zeigte uns von jeder Kuppe neue reizvolle Bildausschnitte, obwohl wir uns zumeist in Tälern und Schluchten und Waldstücken hielten und allen Stellen mit weichem Boden auswichen. Daß Izana anfänglich versuchte, ihr Pferd ausgerechnet dorthin zu drängen, wo die Hufe tiefe Eindrücke hervorrufen mußten, war ihr ja weiter nicht zu verargen. Gaby merkte es und rief ihr schroff zu: „Unterlassen Sie das!! Oder El Gento nimmt Ihren Gaul an die Leine!!“ Zum ersten Mal war es, daß Gaby die andere anredete. Ihre Stimme klang dabei unverhohlen feindselig und drohend.

Wir mochten etwa zwei Drittel des Weges hinter uns haben, als Freund Kain auf einer buschreichen Berglehne plötzlich halt machte und den Kopf nach links drehte.

„Stopp!!“

Ich horchte, und ich vernahm auch wirklich fernes heiseres Kläffen. Es konnten nur die Bluthunde des zweiten Trupps sein, den wir vor Stunden glücklich abgeschüttelt hatten. Wahrscheinlich hatten die Burschen sich jetzt geteilt und durchstreiften zu mehreren unter Führung der Spürhunde das Gebirge. – Die Gefahr, abermals in eine Schießerei verwickelt zu werden, lag sehr nahe. Ein weiteres Vorrücken schien bedenklich, denn gerade diesen Teil der Berge zwischen den beiden Wegen nach der Paradies-Prärie kannte ich sehr wenig. Ich hielt es daher für ratsamer, zunächst einmal abzuwarten, ob das Hundegekläff sich nicht wieder entfernte.

Gerade vor uns lag in einem flacheren Tale einer der kleinen Bergseen, die zumeist mit winzigen, bewaldeten Inselchen geschmückt sind. – Mein Entschluß war rasch gefaßt. Wir konnten rechter Hand ein Bachbett, das sich zum See hinabzog, zum Abstieg benutzen und unschwer eine der Inseln erreichen. Die Pferde würden schon hinüberschwimmen, – es waren alles starke Tiere, denen man schon etwas zumuten durfte.

Wir gelangten auch wohlbehalten auf die Insel, verbargen die Tiere, die wir gut trocken gerieben hatten, und konnten sehr zufrieden sein, dies Versteck gefunden zu haben, da wenige Minuten später am Seeufer mehrere Reiter erschienen, die drei der Bluthunde bei sich hatten.

Gaby Mills bewachte Izana, ich lag im Gestrüpp an der Südseite des Inselchens, und neben mir kauerte, zitternd und geifernd vor Erregung, mein prächtiger Kain. Bienen und dicke Hummeln umsummten mich, – – ich hatte das Ausruhen wahrhaftig nötig. Aber mit so krausen, spürenden Gedanken im Kopf wird die körperliche Entspannung niemals zu wahrer Erholung. Was ich da drüben am Ufer umherschleichen sah, war Feind, – und was für ein Feind! Das waren Kerle wie aus Muskeln geknetet, mit verwegenen, dunklen Gesichtern, – da waren auch zwei Rothäute dabei, lange, hagere Burschen, die wohl zu einem der halbwilden Stämme gehörten, denen die Schluchten der Rocky Mountains als Jagdheimat belassen waren.

Sechs Kerle drüben …

Was schnüffelten sie nur so ausdauernd umher, obwohl sie unsere Fährten in dem Bachbett unmöglich gefunden haben konnten?!

Bis zum Ufer waren es kaum hundert Meter. Wenn sie zuweilen einander etwas zuriefen, verstand ich zuweilen einzelne Worte.

Und jetzt, – ja, das war der Name „Ranks“ gewesen, ganz deutlich!

Der, der die Hunde an der Leine hatte, schien irgend etwas entdeckt zu haben, winkte den anderen, sie steckten die Köpfe zusammen und beugten sich in ein Gestrüpp hinab.

Ebenso plötzlich gaben die starken Rüden Laut und drängten die Tallehne hinan.

War etwa Ranks hier am See gewesen?!

Weshalb hatte er das Versteck weiter ostwärts verlassen?!

Die sechs und die Hunde tauchten im Walde unter.

Mit einem Male fuhr Kain wie ein Blitz herum, – – ich auch …

Eine unmögliche Gestalt stand vor uns, – ein Mann, dessen Jagdanzug in Fetzen herabhing, dessen Haut von Blut gerötet war, der kaum eine gesunde Stelle an Körper zu haben schien.

Blutwasser floß von Fetzen herab … Das blonde Haar hing ihm triefend ins Gesicht …

Er strich es zurück … und lächelte mich durch sein Monokel fast übermütig an.

„Feine Aufmachung, Smith, nicht wahr?! Da konnte mein erstes Stromerhabit noch als Smoking gelten! – Dja, – mit Bluthunden sich herumbalgen und mit Messer und Pistolen gekitzelt werden – – üble Sache, Smith!“ Er sprach leise und äugte immer wieder nach dem Ufer hinüber. „Waren mir auch jetzt wieder verdammt dicht auf den Fersen, die tüchtigen Kerle, – der Ranks ist allemal schlauer! Ich bin nun hier soeben an der anderen Seite gelandet, – – ist hier vielleicht ein Konfektionsgeschäft in der Nähe? Ich bedarf dringend eines Hemdes, eines Anzuges und sonstiger Dinge, denn Sie werden ja wohl Miß Gaby hierhergebracht haben, und ein unleidlicher Charakterfehler meinerseits ist die Eitelkeit. Sogar im Zuchthaus habe ich den Scheitel stets durch einen Kohlestrich zum Ärger der Wärter markiert. Die Leute hatten für derartige Lebensnotwendigkeiten keinerlei Verständnis.“ Er hatte sich langsam niedergesetzt, und ich merkte, welche Schmerzen er dabei ausstand. Aber er behielt sein überlegen-humorvolles Lächeln bei und beschloß die Frage nach der „Konfektion“ mit einem schlichten: „Na, eine Wolldecke tut es schließlich auch! Holen Sie mir so einen Ersatzpaletot, Smith!“

Diesen Ranks hatte ich auch unterschätzt. Allerhand Achtung, – so zugerichtet zu sein und dann noch Witze machen!!

Er nickte mir vertraulich zu. „Smith, bei mir müssen Sie sich schon an die verschiedenen Tonarten gewöhnen und über nichts wundern! Unkraut vergeht nicht.“

Ich drückte ihm herzlich die Hand. „Ranks, Sie sollen alles haben, was Sie wollen … Wir verfügen jetzt sogar über eine Reiseapotheke, und ich werde Sie gründlich zusammenflicken, Sie sind ja zerbissen wie …“

„… ein geklopftes Beafsteak – – so ähnlich! Und sollte auch etwa in Ihrem Laden eine Flasche Spiritus vorhanden sein für innerliche Einreibungen, – – auch her damit!“

Ich eilte davon, denn Ranks Gesichtsfarbe spielte ins Grünliche.

Stimmte auch: Als ich hochbepackt zurückkehrte, lag er auf der Seite, bewußtlos, Augen verdreht … –

Noch nie bin ich ein so eifriger Medizinmann gewesen wie damals. In einer halben Stunde hatte ich acht Bißwunden gereinigt, vernäht, verbunden und fünf leichtere mit Jodtinktur behandelt.

Als Ranks zu sich kam, lag er auf einer Decke, hatte Mr. John Millerets pikfeinen Reserveanzug an und griff als erstes nach seinem Monokel.

„Wo haben Sie es, Smith? Ohne das Ding bin ich blind … Mein linkes Okulum ist nämlich aus Glas … Es heißt doch „Okulum“ – Auge?! Meine Sprachkenntnisse haben im Zuchthaus sehr gelitten …“

„Und Sie wollen Arzt sein?!“, konnte ich mich nicht enthalten, ihm vorzuwerfen. „Da haben Sie Ihren Scherben. Ein Arzt ohne Lateinkenntnisse ist ein Unding – selbst in den Vereinigten Staaten!“

Er beschaute sich kritisch. „Der reine Modeengel!! Wie sind Sie denn zu all den Herrlichkeiten gekommen?! Der Kragen ist mir freilich zwei Nummern zu weit. Ich kenne nur einen Mann, der zu einem sonst normalen Körper – Geist und Charakter scheiden aus – einen solchen Speckhals besitzt.“

Er blinzelte mich mißtrauisch an. „Hm – gehören diese Dinge etwa zu den Vorräten eines gewissen Mr. Milleret, John Milleret, den ich mit einiger Berechtigung hier in allernächster Nähe vermute?! Wenn ja, dann müßte ich das Zeug schleunigst wieder ausziehen, denn kein anständiger Mensch trägt die Sachen eines Pestkranken …“ Und so, wie er das letzte Wort betonte, war nur Haß und Verachtung herauszulesen, und das berührte mich sehr sonderbar an einem Manne von Ranks unübertroffener Selbstbeherrschung und fast zynischer Selbstverspottung.

„Sie sind ganz neu, die Sachen, – alles“, erklärte ich[5], um zu verhindern, daß er sich wirklich alles wieder vom Leibe streifte. Zuzutrauen war ihm das.

„Bestimmt neu?!“

„Dort liegen noch die eingehefteten Firmenzettel – bitte …“

„Das ändert die Geschichte zwar wenig, denn Pest bleibt Pest, und die Pest von Izana-Garden ist die allerschlimmste, – so heißt nämlich des feinen Herrn Riesenfarm, Farm kann man das nicht mehr nennen, Smith, das ist ein Gebiet, wie es kein zweiter Mensch auf Erden besitzen dürfte, es reicht bis tief nach Kanada hinein, und weil Milleret mit den südostkanadischen Behörden auf du und du steht, kann er sich eben alles leisten, auch so einen kleinen Privatfeldzug gegen drei arme Schächer von Ausbrechern, die ihm freilich verdammt unbequem werden können. – – Heiliger Moses, der Athabaska!!“

Wie ein Geist war neben uns ein dritter Mann aufgetaucht, der lautlos wie eine Schlange sich durch das Gestrüpp gewunden haben mußte. Daß selbst Kain, der doch nur wenige Schritte entfernt vor einem Rattenloch kauerte, ihn weder gewittert noch gehört hatte, war das unbegreiflichste bei alledem.

Und doch trat auch dies gegenüber einer Wahrnehmung zurück, die mir alles Blut zum Kopfe trieb. Wenn je eine Ähnlichkeit zwischen zwei Menschen geeignet gewesen, mich aufs tiefste zu erschüttern, so hier diese schier unfaßbare Gleichheit der Gesichtszüge, der Gestalt, der nachlässig-gestrafften Haltung …

Der Mann, den Ranks als „den Athabaska“ bezeichnet hatte, glich Zug um Zug meinem toten Freunde Coy Cala, dem Königssproß der Araukaner, dem schlichten Jäger und Fischer und doch – – ein Königssproß, Nachkomme eines großen französischen Abenteurers, der einst in Südamerika ein Indianerreich gegründet hatte.

Genau wie bei Coy Cala die Merkmale europäischer Blutmischung klar zu erkennen waren, ebenso bei diesem Manne hier, der stolz und zwanglos vor uns stand, ein unmerkliches Lächeln um die Lippen.

„Mein Freund Ranks wird es sich nie abgewöhnen können, mich als Athabaska zu bezeichnen, obwohl er genau weiß, daß meine Mutter eine Siouxindianerin und mein Vater ebenfalls ein Halbblut war.“ Er sagte das in gutmütig-nachsichtigem Ton, und ich starrte ihn weiter an wie eine Erscheinung aus dem Jenseits und trank förmlich diese Worte in mich hinein, denn – – hätte ich die Augen geschlossen und hätte ich drei Jahre wegstreichen können aus jüngster Vergangenheit: Ich würde darauf geschworen haben, es sei Coys Stimme!

Der schlanke Fremde in der etwas abgeschabten Ledertracht ließ seine klaren, ruhigen Augen jetzt unverwandt mein Gesicht umspielen und fügte etwas lauter hinzu:

„Ich bin Taskamore, meine Freunde nennen mich Kamo.“

So, wie er dies sagte, konnte sich nur eine Weltberühmtheit vorstellen, die ohne Überhebung annimmt, daß der Name in aller Munde ist.

Wieder stahl sich das unmerkliche Lächeln um seinen Mund.

„Taskamore, der Grenzpostreiter von Izana-Garden, hat bereits eine Weile im Gestrüpp gelegen und gehört, daß sein Freund Ranks den Mann El Gento mit Smith anredete“, sagte er wärmsten Tones. „Mein Freund Ranks weiß nicht, daß am Großen Flusse drüben die Jäger, Siedler und Flößer von den Taten eines Weißen erfüllt sind, der die Gerechtigkeit liebt, die Gefahr mißachtet und die Schuldlosen schützt. Sein wahrer Name lautet Abelsen, seine Freunde weit drunten in der Pampas nannten ihn aber El Gento. Taskamore, der die Tapferen liebt und die Schwätzer und Feigen verachtet, begrüßt hier mit Freude den großen Jäger El Gento.“

Er nickte mir leicht zu, – er streckte mir nicht die Hand hin, – für ihn war dies nun erledigt.

Unwillkürlich ward seine Stimme schärfer, als er hinzufügte: „Ich bin den Leuten Millerets heimlich gefolgt, nachdem ich erfahren hatte, daß ihr drei aus Seattle entflohen seid. Ich habe auch El Gento gesehen, wie er acht Pferde erschoß und Izana Milleret nachher von dem Wolfe niedergeworfen wurde. Mein Freund Ranks soll dieses Mädchen vergessen lernen, die jetzt hier mit uns auf der kleinen Insel ist. Der Geiser der Träume wird heiß umkämpft von drei verschiedenen Parteien, aber das Recht steht allein auf seiten der vierten Partei.“

Er wandte sich um, tauchte in den Büschen unter, und wenig später trieben zwei entwurzelte Bäume wie zufällig mit ihren dicken grünen Kronen über den See, stießen drüben ans Ufer, und aus dem Blatt- und Astgewirr schnellte sich wie ein Pfeil die schlanke Gestalt Kamos, des Postreiters, hinter die schützenden Tannen.

 

6. Kapitel.

Taskamore und ich.

… Es war wie ein Traum gewesen.

Ranks merkte es mir an, welchen Eindruck das Mischblut auf mich gemacht hatte. Aber auch er war verstört und in Gedanken versunken, bis er ehrlich begeistert meinte: „Von Edmonton bis hinab zum Nationalpark kennt man Taskamore … Wollte ich Ihnen erzählen, wie dieser erst Dreißigjährige zu dieser Berühmtheit in einer Zeit gelangte, die doch weiß Gott keine Heldenverehrung mehr aufkommen läßt und in ödester Geschäftemacherei erstickt, dann brauchte ich Stunden dazu. Vielleicht findet sich ein andermal die Gelegenheit dazu. Eins jedenfalls steht fest: Taskamore ist für die Grenzgebiete im Osten zwischen U. S. A. und Kanada ein Halbgott – – Tatsache! Dem Namen nach ist er Postreiter für die verstreuten Siedlungen auf Millerets ungeheuren Ländereien, ohne von diesem etwa abhängig zu sein – im Gegenteil: Wenn Milleret einen Menschen fürchtet und haßt, ist es Taskamore. Und daß diese verkörperte Pest von Izana-Garden, dieser rote John, sich an Kamo nicht heranwagt, daraus ersehen Sie schon, was für ein Format dieses Mischblut hat: Einzig in seiner Art!! Milleret hat es versucht, auch Taskamore ins Zuchthaus zu bringen, wie Chester, Siwura und mich, – niemals klappte die Sache nach Wunsch, denn Millerets bestochene Zeugen wurden von anständigen Siedlern widerlegt, und es wäre zum Aufruhr gekommen, wenn diese Prozesse gegen Taskamore nicht schleunigst abgeblasen worden wären. Wie gesagt: Ein ganzer Kerl!! – Weiß der Himmel, Sie und er passen zusammen wie zwei gute Augen in einen Kopf, – was bei mir als Vergleich nicht anzuwenden wäre, da mein linkes Okulum allerfeinste Glasmacherkunst ist.“ Er legte mir die Hand schwer auf die Hüfte und rüttelte mich etwas. „Mann, woran denken Sie?!“

„An einen Toten …“

Und ich erklärte ihm kurz, was mich so tief bewegte.

„Verständlich, Abelsen … sehr verständlich! In der Tat ein Wunder, diese Ähnlichkeit … Ob da doch nicht irgendwie dunkle Zusammenhänge mitspielen mögen, die das Wunder später sehr natürlich deuten?! – Und noch etwas, – etwas sehr Bezeichnendes für Taskamore … Sie waren ja hier soeben Zeuge, wie er in seiner Bescheidenheit erklärte, er hätte von unserer Flucht aus dem Zuchthaus erfahren, … „erfahren“, sagte er, und dabei war er es, der die ganze Geschichte befingert hat … Natürlich so, daß ihm nichts am Zeuge zu flicken war …“

Er hätte wohl noch etwas hinzugefügt, wenn nicht in der Ferne irgendwo in den Schluchten nach Süden zu ein wütendes Geknalle sich erhoben hätte.

Ich war deshalb in Unruhe … Ich sah drüben am Seeufer die beiden Bäume wieder davontreiben, – irgend eine Strömung führte sie auf die Insel zu.

„Ranks, ich muß sehen, was dort vorging“, entschied ich mich sehr bestimmt. „Dieser Taskamore steht meinem Herzen bereits näher, als Sie ahnen können … Irgend etwas regt sich in meiner Seele, das mir zuraunt, diese Ähnlichkeit zwischen Kamo und Coy müsse sehr einfache Ursachen haben. – Gehen Sie hinüber zu den beiden Mädchen … Ich will zu Fuß drüben an Land … – Kain behalten Sie hier. Ich lege ihn an den Lasso und er wird Ihnen gehorchen.“

Kaum stießen die treibenden Stämme gegen die Insel, als ich mich hinüberschwang und im Astgewirr der Kronen auch das primitive Ruder fand, das Kamo benutzt hatte.

Eine halbe Stunde darauf war ich wieder auf der Fährte unserer Gegner, kam in die Nähe eines bewaldeten Tales und sah Rauch aufsteigen.

Ich hatte das Lager Millerets vor mir, und John Milleret war längst wieder frei und saß rauchend vor seinem braunen Leinenzelt und verriet schon durch seinen Gesichtsausdruck, wie es in seinem Herzen ausschaute.

Ich schob mich immer näher heran, – es war keine Kunst, das ganze Lager zu übersehen und nahe heranzuschleichen.

Und ich sah, was ich befürchtet hatte: Im Grase lag Chester Bry, der Neger, und neben ihm Taskamore!

Es war Taskamore.

Diesmal hatte John Milleret doch endlich den Feind erwischt.

Wirklich erwischt?! – Ich kannte Taskamore erst so kurze Zeit, aber es schien mir undenkbar, daß ein Mann wie er, aus dessen wie in lichtbraunes Erz gemeißelten Züge für den Menschenkenner sofort die edelsten Charaktermerkmale hervorleuchteten, sich von ein paar miserablen Gurgelabschneidern hatte abfangen lassen sollen.

Mr. John Milleret auf seinem Klappstuhl vor dem Zelteingang rauchte aus Zerstreuung kalt. Die Zigarre in seinem Mundwinkel wippte auf und ab, und das nervöse Spiel der Hände verriet die Gedankenjagd des um sein Kind und um die Durchführbarkeit seiner Pläne besorgten Vaters. Ich gönnte ihm diese Nervenpein. Was ich bisher über ihn bruchstückweise vernommen, hatte mir ihn als kaltherzigen Dollarjäger größten Formats gezeigt. Persönlich konnte ich mir durch unser allzu kurzes Beisammensein über ihn kein Urteil bilden oder doch nur das eine: Schamloser Egoist modernsten Schlages! Seine Brieftasche steckte noch gut verwahrt in meinem Rock. Daß seine Leute ihn mit Hilfe der Hunde in dem Felsenloch auffinden würden, hatte ich von vornherein angenommen.

Das Stillliegen hier in den stacheligen Ranken, die ich zum Teil mit dem Messer weggeschlagen hatte, tat mir gut. Meine Glieder waren doch so etwas wie gerädert. Über vierundzwanzig Stunden auf Schlaf verzichten müssen und von einer Sensation in die andere gehetzt zu werden, frißt Kräfte.

Die Zeit verrann.

Im Lager dieses erlesenen Banditen gab es ein dauerndes Gehen und Kommen. Man suchte noch immer nach Izana. Es sprach sehr für die Findigkeit dieser Milleret-Armee, daß sie Ranks und Chester Bry droben auf dem Bergsattel aufgestöbert und den Neger ergriffen hatten. Zu unterschätzen waren diese Viehhirten und Mischlinge und halb zivilisierten Indianer dort unten keineswegs.

In diesen Breiten hier am Patamak-Fluß, der keine zehn Meilen weiter südlich dem großen Mackenzie zuströmt, wird es um die Zeit des Indianersommers, des Frühherbstes, bereits um halb sechs etwa dunkel. Die Kerle im Lager trafen denn auch rechtzeitig ihre Vorbereitungen für das Nachtmahl und die Nacht. Zwei ausgeweidete Hirsche und ein Hirschkalb hingen drüben an jungen Tannen und wurden nun zerlegt. Lagerfeuer flammten auf, Zweighütten entstanden, wurden dick mit Moospolstern belegt, und schon war die Dämmerung da.

John Millerets Reitknecht und Diener, ein Weißer mit einer aalglatten Mausschnauze, brachte aus dem Zelt ein Tischchen ins Freie, klappte es auf und stellte als erstes eine Flasche Brandy, ein Glas und eine Karbidlampe bereit.

Zunächst rührte sich der finstere Milleret nicht. Dann griff er nach dem gefüllten Glase und goß den Inhalt hinab.

Die Speisen, die der unsympathische Bursche für ihn auftrug, rührte er nicht an. Er brütete weiter vor sich hin, und sein von dem kalten weißen Licht der Lampe einseitig beleuchtetes Gesicht zuckte mitunter wie im Krampf.

Der Mann haderte mit dem Geschick, das ihm endlich einmal die Kehrseite zugewandt hatte und diesen skrupellosen, brutalen Menschen all das durchkosten ließ, was die Angst vor Aufklärung seiner Frevel in seinem Hirn in Flammen setzte. Es genügte schon das, was ich nun zweifelsfrei wußte, diese Angst begründet erscheinen zu lassen. Ranks, Chester Bry und der Japaner waren seine Zuchthausopfer gewesen. Weshalb hatte er sie für immer hinter Kerkermauern begraben wollen?! Des Geisers wegen?! Und was bedeutete Taskamores scharfer Ausspruch, daß er allein als vierte Partei Anrecht auf den Geiser hätte?!

Ich war wieder munter geworden. Zwei Stunden Halbschlaf hatten mich erquickt, und mein Geist spürte ruhelos den alten Fragen nach. Wer waren die beiden Schurken gewesen, die mir zunächst als Brance und Jarley, als Beamte aus Patamak, gegenübergetreten waren?! Ihr Konto war am schwersten belastet: Zwei Polizeibeamte, dann Jörn und Ret Hand, schließlich der Japaner, – das waren ihre Opfer. Fünf Menschenleben ausgelöscht – – weshalb?!

… Mein Blick streift wieder John Millerets Gesicht.

Gewiß, ich habe den größeren der beiden Schufte, als sie mir den Haftbefehl vorwiesen, sehr genau mir angesehen, aber seine Züge sind trotzdem scheinbar in meinem Gedächtnis schnell verblaßt.

Oder?!

Hat das einen anderen Grund?

Blitzartig kommt mir die Lösung: Milleret und der angebliche Brance, der Mörder, zeigen dieselben Züge, sehen sich so ähnlich, daß ich jetzt nicht recht begreife, wie mir dies nicht sofort bei der Begegnung mit Milleret auffallen konnte. Freilich, auf jenem Plateau, wo die armen Gäule schmerzlos starben und ihre Reiter abwarfen, wo dann diese kleine Pantherin Izana mir so gründlich gegen die Rippen stieß, daß die Stelle noch jetzt schmerzte, war ich in einem Zustande, den die Herren Barettgelehrten vielleicht als Unzurechnungsfähigkeit gewertet hätten. Es war reichlich viel gewesen für einen einzelnen, mit acht dieser Helden fertig zu werden, nachdem man kaum den Lassoüberfall überwunden hatte.

Also Milleret und der andere?

Brüder etwa?!

Ja, sagte ich mir, – Brüder, von denen der eine dem anderen hier in Ret Hands Wohngrotten zuvorkommen wollte?!

Um was zu suchen oder zu holen oder zu erreichen? Was?!

Hatte Ret Hand den Schlüssel des Geheimnisses des Geisers besessen?!

Und wenn dem so war (was ich bereits als sicher unterstellte), dann mußte Taskamore, das Mischblut, ein naher Verwandter Ret Hands sein!

… Weg mit alledem! – Das Grübeln ist leere Schale, nur die Tat ist der Kern, und die Tat winkte.

Milleret hatte sich erhoben, rief drei Leute herbei, deutete auf die beiden Gefangenen und ließ die Pferde satteln.

Ich überlegte blitzschnell. Und kroch rückwärts, wandte mich nach Süden und war in einer Stunde in dem großen Tale, das nun bereits Zeuge einer zweiten Tragödie geworden.

Ich wußte, daß Milleret seine beiden Gefangenen in die Grotten schaffen würde, um hier ohne Zeugen mit ihnen zu verhandeln oder vielleicht Gewalt anzuwenden, damit zumindest Kamo-Taskamore sein Wissen preisgebe.

Ich würde als erster zur Stelle sein, und so außer Atem ich auch nach dem Dauerlauf war, der mir einen Vorsprung vor den Reitern geben sollte, zauderte ich nicht, die Strickleiter emporzuklimmen.

Diesmal hatte ich keine Laterne bei mir. Aber einige harzige Äste als Fackeln würden genügen. Meine Absicht war, mich in Ret Hands Wohngrotte zu verbergen und Zeuge des Verhörs zu werden.

Wieder betrat ich also diesen unteren Teil des weiten Höhlengebietes, wieder lauschte ich, bevor das Feuerzeug die Fackel auflohen ließ, und mit entsicherter Büchse und Pistole huschte ich lautlos durch die kühle, starre Einsamkeit der Grotten.

In Ret Hands Gemach fand ich alles unverändert, nur der umgekippte alte Schreibtisch mit der zertrümmerten Rückseite schien mir anders zu liegen als vordem. Ich hielt mich hier nicht auf, – ich ahnte ja, daß auch Taskamore hier gewesen, und ich war gespannt, ob er Jörn und den greisen Häuptling droben im Felsgang unberührt hatte liegen lassen.

Die Leichen waren nicht mehr da.

Ich entdeckte sie in der Mumienkammer neben den fünfzehn Siouxtoten, aber Ret Hand hatte einen Ehrenplatz erhalten, saß still und steif in einem der Lederstühle, die Jörn seinerzeit für uns angefertigt hatte.

Eine flüchtige Untersuchung zeigte mir weiter, daß Taskamore sowohl Jörn als auch den Häuptling mit kundiger Hand gegen Verwesung geschützt hatte. Die Innenorgane waren entfernt, die Schnitte grob vernäht, und die Leiber mit Pflanzen, Harz und Lehm ausgefüllt. Außerdem waren beider Gesichter gefärbt, um die Leichenfarbe zu verdecken. Taskamore hatte hier also wohl mehrere Stunden allein zugebracht. – Daß auch Milleret bereits hier gewesen, bewiesen mir frische Zigarrenreste.

Wichtig war die Tatsache, daß Taskamore die Toten in seiner Art geehrt hatte. Sowohl Ret Hand als der blonde Riese Jörn trugen ihre Waffen. Ihre Büchsen lagen ihnen quer über den Knien.

Ich eile in Ret Hands Grotte zurück. Die Höhlendecke hatte hier, wie überall, tiefe Risse und Spalten, und nach kurzer Umschau entschied ich mich für eine Spalte gerade über dem Teile der Wand, wo die Waffen und Trophäen des Häuptlings an Pflöcken hingen.

Ich wollte gerade an diesen starken Pflöcken emporklettern, als eine Hand meine Schulter leicht berührte.

Es war Taskamore.

Mit seinen Waffen stand er vor mir, den Lederhut aus der Stirn geschoben.

Es war Coy Calas gutmütig-ironisches Weisheitslächeln, das seine Lippen umspielte, als er gedämpft erklärte:

„Mein Bruder El Gento mag seine Absicht nur ausführen. Milleret wird sofort hier sein.“

Wieder überkam mich das eigentümliche Gefühl wie vorhin auf der kleinen Insel. Taskamore hatte „Mein Bruder“ gesagt, und das entsprach durchaus den Empfindungen, die ich ihm entgegenbrachte.

Irgend etwas, das stärker war als die kritische Vernunft, die nur an einer zufälligen Ähnlichkeit zwischen ihm und Coy festhalten wollte, trieb mich zu der hastigen Frage:

„Kanntest du Coy Cala, den Häuptling der Araukaner am Gallegos?“

Er nickte sehr ernst. „Nicht persönlich, aber von Bildern in argentinischen Zeitschriften. Wir werden später darüber reden, El Gento. Klettere in dein Versteck, und du wirst …“

Er horchte auf, riß mir die Fackel aus der Hand, warf sie in eine Seitenspalte und raunte mir zu: „Schnell – sie kommen!! Die Zugluft wird den Qualm entfernen, bevor sie hier sind.“

Im Finstern klomm ich an den Pflöcken hoch.

Dabei berührte ich eins der reichverzierten Schlachtbeile. Längst sehnte ich mich nach einer solchen Waffe. War es Eingebung des Augenblicks, daß ich sie in den Gürtel schob?!

Ich gehorchte. Und was ich damit diesmal gerade erreichte, sollte später Offenbarung werden.

Dann schmiegte ich mich in die Kluft hinein, schob mich höher, fand Raum genug und stieß dabei an irgend etwas, das ich erst abtasten mußte, um seine Natur festzustellen.

Es war anscheinend ein Götzenbild, eine Darstellung Manitus, des Gottes der Roten, die niemals wirklich Götzendienst getrieben haben. Ihre Religion war aufgebaut auf starkem Mannestum, Heldenverehrung und Kampfgeist. Wie Gott Wotan in der germanischen Göttersage ein streitbarer Beherrscher Walhalls war, ähnlich dachten sich die Indianer der nordamerikanischen Prärie ihren Manitu.

Aber selbst dieser Fund hier konnte meine Gedanken nicht losreißen von Taskamores kargen Andeutungen. Im Grunde hatte Taskamore bereits zugegeben, daß er und mein Coy doch trotz der Entfernung von Tausenden von Meilen zwischen den nordöstlichen Prärien der Vereinigten Staaten und der südlichsten Pampas Südamerikas durch die Bande des Blutes miteinander verknüpft waren. Denn – wie kam er dazu, mich so überraschend als „Bruder“ anzureden?!

… Ich vernahm Stimmen.

Unter mir lag alles in schwärzester Finsternis.

Dann ein Lichtschein, – Laternen, drei Männer …

Und ein vierter Mann saß regungslos in dem primitiven Sessel, den der greise Ret Hand hier als Luxus neben dem alten Schreibtisch sich gestattet hatte.

Taskamore, das Mischblut.

Mitten zwischen den wüst umhergestreuten toten Dingen des toten Ret Hand saß er, die Büchse im Arm, die Linke auf den Kolben seiner Pistole im Gürtel gestützt, – zwanglos, trotzdem stolz und aufmerksam saß er da, und John Milleret wich zurück.

„Ah – – Taskamore, – – hier?!“

Taskamore erwiderte nichts.

„Hände hoch!“, – Wut flammte in Millerets harten Zügen.

Doch dieser Edelbandit modernsten Formats schämte sich sofort der jähen Aufwallung.

„Hingins“, wandte er sich an seinen Diener, der den gefesselten Chester Bry am Kragen gepackt hielt, „du schießt, sobald der Bursche sich bewegt. Das genügt.“

Das Mischblut schaute Milleret ruhig an.

„Schicke den Schurken weg, John Milleret“, sagte er so gelassen, als ob Hingins Büchse ein Besenstiel wäre. „Schicke ihn weg … Vielleicht rettest du dein Leben noch.“

John Milleret, die Laterne in der Linken, von hinten beleuchtet durch die zweite Laterne, die Hingins vor der Brust trug, verfärbte sich.

„Unverschämter Bursche, – ich werde dir zeigen, was es heißt, mich als deinesgleichen zu betrachten und …“

Was dann folgte, war bezeichnend für Taskamore …

Er schnellte vorwärts, – zwei blitzartige Hiebe mit dem Pistolenkolben, und Milleret und Hingins brachen bewußtlos zusammen.

Taskamore fesselte den Diener, nachdem er rasch Chester Brys Stricke zerschnitten hatte, und schob ihm einen Stofffetzen in den Mund. Er hatte den Hieb, den er Milleret zugedacht, so gut berechnet, daß der Millionär sehr bald wieder zu sich kam. Chester Bry hob ohne weitere Aufforderung Hingins Büchse auf, steckte auch dessen Pistole zu sich und entfernte sich, um vom Grottenausgang die beiden im Tale verbliebenen Begleiter Millerets zu beobachten. Als seine Schritte verklungen waren, trat eine geraume Weile völlige Ruhe ein. Milleret lehnte sitzend an der Wand und blickte mit glasigen Augen um sich, Taskamore hatte seinen Platz wieder eingenommen, und ich schob den Kopf weiter vor, um die Dinge, die sich nun abspielen würden, genau verfolgen zu können.

Ein Blick nach links, wo der lange Felsengang abzweigte, riß mich förmlich hoch. Im Moment erkannte ich die Gefahr, – ich hatte dort eine Gruppe stiller Schatten bemerkt, und so spärlich das Licht auch bis dorthin drang: Die Gefahr war anderer Art, war nicht mit Kugeln abzuwehren, die auf einen hutgeschmückten Menschenkopf abgefeuert wurden.

Ich war meines Schusses sicher …

Die Pistole genügte …

Zwei harte blecherne, wiederhallende Peng … Peng …

Und beide Laternen waren tot …

Jähe Finsternis sank herab …

In das Dunkel hinein eine überlaute befehlende Stimme:

„Keiner rührt sich, – – hier kanadische Polizei!“

Ein greller Kegel flog aus der Finsternis in die Grotte …

Taskamores Sessel war leer.

„Ah – – Kaptain Welmer, – Sie kommen wie gerufen!“, meldete sich Milleret mit schwacher Stimme. „Knallen Sie den roten Schuft nieder …! Er muß …“

Vom Tale her drang durch die Fenster der donnernde Galopp von Pferden herein und dann ein langgezogener schriller Jagdruf – – wie Hohn, aber auch wie ein Messer, das in die Ohren sticht.

„Das … war … er …“, sagte Milleret mit schwerer Zunge:

„Wer?“, fragte Kapitän Welmer schroff.

„Taskamore, der Grenzpostreiter von Izana-Garden“, erwiderte Milleret widerwillig.

„Taskamore?!“ Der schlanke, tadellos angezogene Chef des Süddistrikts musterte den Millionär ebenso ungläubig wie unfreundlich. „Wirklich Taskamore?! Schade, den Prachtkerl hätte ich gern einmal persönlich kennengelernt. – Hatten Sie mit ihm hier … gewisse Differenzen, Mister Milleret?“

„Wenn Sie einen brutalen Überfall auf mich und Hingins da Differenzen nennen, dann stimmt es“, meinte Milleret gereizt. „Der Bursche ist nun endlich reif zum Aufgeknüpftwerden – endlich! – Wie kommen Sie hierher, Kapitän?“ Das leise Mißtrauen in seiner Stimme war deutlich zu spüren.

Welmer erklärte leichthin: „Dasselbe könnte ich Sie fragen. Wir jedenfalls suchen zwei Beamte, die einen gewissen Abelsen verhaften sollten, der sich hier bei Ret Hand aufhielt. Wir haben unsere Kollegen leider auch gefunden – tot, ausgeplündert, erschossen. Sie werden mir daher einige Fragen beantworten müssen, Mr. Milleret, denn Ihre etwas selbstherrlichen Methoden bei gewissen Unternehmungen sind mir bekannt und vielleicht drüben in U. S. A anwendbar, nicht hier auf britisch-kanadischem Gebiet, selbst wenn Sie hier noch so weite Ländereien besitzen.“

Milleret hatte sich schwerfällig aufgerichtet.

Er blickte Welmer voll ins Gesicht. Sein Mund verzog sich hochmütig.

„Kapitän, meine Methoden hier sind durch diesen Befehl des Gouverneurs im Voraus gebilligt worden … Da, lesen Sie! Und dann kümmern Sie sich um Ihre Sachen und ich um die meinen. Ich wünsche keine Einmischung!“

Der straffe Kapitän rührte die ihm gereichten Papiere nicht an.

„Ich kenne die Grenzen meiner Pflicht. – Wer erschoß meinen Inspektor Brance und den Sergeanten Jarley?!“

Milleret lachte schrill.

„Das finden Sie gefälligst selbst heraus! Der Befehl Ihres höchsten Vorgesetzten lautet dahin, daß …“

Hinter Welmer standen vier Beamte in derselben schlichten, kleidsamen Uniform.

Der eine hatte sich allzu sorgfältig umgeschaut, rief:

„Dort oben ist ein Mann versteckt, Kapitän!! Dort …, – leuchtet mal, Markin …!“

Ich hatte den Kopf bereits zurückgezogen … Ich spürte eine Hand an meinem Fuß, und eine Stimme raunte überstürzt:

„Mein Bruder möge mir folgen … Ich bin Taskamore.“

 

7. Kapitel.

Mein Einzug in Patamak.

… Nun haben sie mich doch gefangen.

Patamak, Mackenzie-Fluß, Ostufer, Zelle Nr. 4, Polizeigefängnis. – Das Auslieferungsverfahren kann noch Wochen dauern, und dann werde ich die weite Reise antreten über den Kontinent, über den großen Teich und zurück in die Heimat, die mich nicht mit offenen Armen, sondern mit offenen Handschellen empfangen wird.

Brances Handschellen, die ich auseinanderbrach, wurden mein Unglück. Die Einzelarmbänder hingen mir noch an den Gelenken, und bevor noch Gaby eingreifen und noch Zeugnis für mich ablegen konnte, war die Geschichte derart verfahren, daß der großzügige Kapitän Welmer keine Möglichkeit mehr sah, mich heimlich laufen zu lassen, was wohl sehr seinem innersten Wunsche entsprochen hätte.

Man behandelte mich hier in Zelle 4 ausgezeichnet, aber Welmer ist anderseits nicht der Mann, etwa den Vorwurf hinzunehmen, mir die Flucht erleichtert zu haben.

Man bewacht mich Tag und Nacht, und mein Wärter, Sergeant Roß, erzählte mir gestern, in Patamak sei die Stimmung völlig zu meinen Gunsten umgeschlagen und es würden in den Kneipen zahllose Wetten getätigt, wann und ob ich auskneifen würde …

„… Was doch unmöglich ist“, grinste er hinter seinem grauen Urwald hervor, den er jeden Morgen sehr fein mit Stangenpomade herrichtet, die leider schon ranzig riecht. Da Roß jedoch dauernd Pfeife raucht, merkt er das nicht, nur ich merke es, weil er mir so oft Gesellschaft leistet und dann staunend auf den Tisch blickt, wo die beschriebenen Bogen sich immer höher häufen. –

Drei Tage bin ich nun hier.

El Gento – – das war einmal!

Und ich säße nicht hier, wenn nicht ein Mädel mit überschäumendem Temperament ausgerechnet Liebe und Tod für dieselbe Stunde im eigenwilligen Köpfchen festgesetzt haben würde. Frauen verderben die schönsten Situationen, obwohl sie auch die allerschönsten ausschenken. Ich trage Gaby nichts nach.

Im übrigen: Zelle Nr. 4 beherbergt zwei Gefangene, und Nr. 1, eine Frauenabteilung, auch von William Roß betreut, der bei seinen urkundlich erwiesenen sechsundsiebzig Jahren über den Verdacht geheimen, trauten Einverständnisses mit weiblichen Häftlingen hoch erhaben ist, obwohl er einst den Ehrentitel „Das wilde Roß“ trug und die Fama erzählt, die Hälfte aller Mischlinge kämen auf sein Konto. Einer Erörterung dieser Frage geht er aus dem Wege.

Zelle 4: Ich und Kain.

Kain wird jeden Tag fünfmal mit eisernem Maulkorb zur Verrichtung laufender Geschäfte in den Garten geführt, wo ich ihn beobachten kann. Der Garten ist ein Mittelding zwischen Tattersall, Urwald, Hundeauslauf und Mary-Heim. – Was heißt Mary-Heim, nicht wahr?!

Das heißt: Freiluftgarage für die „Marys“ von Patamak. In Patamak und weiter südlich, wo Kanada Steinwüste wird, sagt keine Seele „Auto“. Denkt keiner daran. So ein Benzinkasten ist „Mary“, abgemacht, und die Gelehrten mögen sich darüber die Köpfe zerbrechen, wie diese Bezeichnung so populär werden konnte.

Also das ist der Garten. Und darin tummelt sich Kain, und zweimal am Tage je zwei Stunden kann ich dort auch Gaby Mills mit den Blicken verfolgen, wenn sie die Erlaubnis hat, sich draußen im Freien zu bewegen. Ernst und stolz schreitet sie dahin, nickt mir, nur mit einem halben Lächeln, zu, in dem sich Verlegenheit und Freude unklar widerspiegeln. Wenn ich dann am Fenster stehe und mir die jüngste Vergangenheit zurückrufe, die einen so trostlosen Abschluß fand und die doch durch Taskamores Eingreifen endlich die Lösung all der dunklen Zusammenhänge bringen zu wollen schien, bäumt sich in mir der kraftvolle Widerstandsgeist gegen dies tückische Spiel der Zufälle mächtig auf, und der Wille zur Freiheit, zur Niederwerfung dieser blinden Laune eines mißgünstigen Geschicks, preßt mir das Blut zu Kopfe und gebiert zunächst das eine, was niemals erlöschen dürfte: Hoffnung, und neben ihr das andere, Gewaltigere: Die eherne, kalte, zielbewußte Energie!

Ich bin ein Gefangener, – aber ich werde zu fliehen versuchen, und wenn mir Kapitän Welmer, diese vornehme Natur, auch warnend Tag für Tag einhämmert, Flucht sei unmöglich und ich setze mein Leben dabei aufs Spiel!!

Und Gaby Mills?! – Nichts konnte mich, und das ist mir in diesen Tagen zur Gewißheit geworden, so eng an sie schmieden wie dieses gemeinsame Schicksal, mag auch ein geringer Teil der Schuld, daß es so gekommen, ihr zur Last fallen. –

… Es ist rasch dunkel geworden, die schlichte Lampe brennt, und sehr bald wird der alte Wächter Roß erscheinen und mir ein Nachtmahl auftragen, das viel zu reichhaltig ist für meine Genügsamkeit. Bis dahin werde ich in dieser meiner schwedischen Heimatsprache, die hier für ganz Patamak unverständlich bleibt, auch das in diesen Blättern nachholen, was noch über das tückische Spiel der Zufälle zu sagen wäre. – –

Die Hand, die mich durch die Finsternis meines Verstecks emporzog in mir unbekannte Schlünde, war die des besten, treuesten Freundes, den ich außer Coy gehabt habe.

Diese Hand drängte mich zur Seite, ich vernahm das Knirschen einer sich in den Fugen einklemmenden Steinplatte, und dann wurde es ringsum hell.

Der Neger Chester hatte die Blende von einer Karbidlaterne gezogen, und es war eine Polizeilaterne, die er hoch emporhielt.

Taskamore flüsterte nur: „Die Polizei ist mit fünfzehn Leuten hier. Mein Bruder El Gento mag mir folgen.“

Er hatte im linken Arm eine Statue aus blankem Metall, und zu meinem Erstaunen gewahrte ich auch hier in dieser geräumigen Grotte eine Anzahl ähnlicher Gebilde in ausgehauenen Nischen.

Taskamore stellte den Götzen, den er an sich gedrückt hatte, in eine der Nischen und nahm dann dem Neger die Laterne ab.

Wortlos klommen wir einen engen schrägen Schacht empor, der sehr bald scharf nach Norden abbog und als schmale Grotte sich endlos weit fortsetzte. Der Boden war mit feinen Kieseln bedeckt, hier mußte einmal ein unterirdischer Wasserlauf dahingeflossen sein. Wahrscheinlich hatten Ret Hand und die Seinen ihn abgeleitet, sagte ich mir, und als wir dann durch Gestrüpp und Geröll ins Freie gelangten, fand ich diese Annahme bestätigt.

Taskamore wandte sich sofort nach links und begann, nachdem er die Laterne gelöscht hatte, über schmale Vorsprünge hinabzuklettern. Hier waren in kurzen Zwischenräumen Holzpflöcke als Handgriffe in das Gestein getrieben, und der Abstieg ging schneller vonstatten, als ein Uneingeweihter es ahnen konnte. Unten angelangt, sah ich die Umrisse von drei Pferden, die sich vor dem ohrenbetäubenden Brausen der herabstürzenden Wasser ängstlich in eine flache Einbuchtung der Steinwand gedrängt hatten. Zwei der Tiere gehörten zweifellos Millerets Leuten, das dritte war ein weit zierlicherer Fuchs mit langem, dunklem Schweif: Taskamores Lieblingspferd.

Abermals machte Taskamore den Führer. Es war mir längst klar geworden, daß er hier in den Horn-Bergen weit besser Bescheid wußte als ich. Er hatte fraglos zu Ret Hand in allerengsten Beziehungen gestanden, war sicherlich auch mehrmals in jedem Jahre bei dem greisen Häuptling gewesen und mußte daher dessen Geheimnisse und somit auch das des Geisers der Träume restlos kennen. Müßte! Oder besser: hätte all das kennen müssen, was mit dem Geiser zusammenhing. Dies schien doch nun so uneingeschränkt nicht der Fall zu sein.

„Aufsitzen!“, sagte Taskamore kurz.

Nach anderthalb Stunden waren wir auf weiten Umwegen bis in die Nähe jenes Bergsees gelangt, wo wir Ranks und die beiden Mädchen zurückgelassen hatten.

Wir hielten in einer Waldzunge am nördlichen Seeufer, und Taskamore lauschte lange und reglos und ließ die Augen immer wieder mißtrauisch umherschweifen.

Es war totenstill ringsum.

Die klare Herbstnacht hatte die Täler noch nicht mit jenen feinen dünnen Nebelschwaden gefüllt, die erst gegen Morgen, wenn der Wärmeunterschied zwischen Tag und Nacht am stärksten, wie Geister dem Boden entsteigen würden.

Es war noch nicht einmal ein Luftzug zu spüren. Die Natur schlief.

Der See glänzte von gleißenden Pünktchen, die Mondsichel stand tief, aber ihr Widerschein auf dem Spiegel des Bergsees glich doch einer schwachen Silberbahn.

Nicht ein Vogelschrei war zu vernehmen.

Dieses feierliche Schweigen der Wildnis rührte an das Herz mit den zarten Händen der Mahnung an das ewige Weltgeschehen.

Selbst unsere Pferde rührten sich nicht.

Taskamore, dieser stille Kamerad, drehte abermals den Kopf nach links, wo am Ufer helle Birken und vor ihnen ein langer Streifen Röhricht sichtbar war.

„Wildenten sind fort“, flüsterte Kamo, das Mischblut, wie warnend.

Es stimmte schon: Wildenten hatten dort im Rohr gelärmt, und jetzt erscholl nicht ein einziges Mal ihr verschlafener Schrei.

Taskamore glitt lautlos aus dem Sattel. Sein prächtiger Fuchs, der alle Kennzeichen edlen Blutes trug, hob plötzlich den feinen Kopf und schnaubte kaum hörbar.

„Mein Bruder El Gento möge nach rechts um den See schleichen“, flüsterte Taskamore von neuem. „Chester bleibt hier. Es ist nicht alles so, wie es sein soll. El Gento wird vorsichtig sein.“

Ich stieg gleichfalls ab, entsicherte die Büchse und huschte zwischen den Tannen und Erlen hindurch bis zum freien Uferstreifen. Die Berge traten nur bis auf hundert Meter an den See heran, das Zwischengelände war mit Felstrümmern und einzelnen Sträuchern und Ginster- und Thymianstauden bedeckt, daher sehr unübersichtlich und sehr gefährlich. Hätte ich Kain bei mir gehabt, wäre dieser Kundschaftergang ein leichtes gewesen, seine Nase übertraf die des besten Spürhundes, und die geringe Dressur, die ich ihm beigebracht, wurde restlos durch Klugheit und natürlichen Instinkt ersetzt.

Ich war allein, und Taskamores Warnung wäre im Grunde überflüssig gewesen.

Vergangene Zeiten erstanden als Gegenwart, – schon das Bewußtsein, meines unvergeßlichen Coy getreues Ebenbild in meiner Nähe zu haben, verliehen mir jene Frische, Gelenkigkeit und Tatfreudigkeit, die das Herz höher schlagen lassen.

Die grelle, bunte Romantik meiner vielen Monate als Pampasreiter am fernen, fernen Gallegos-Fluß ward neu geboren. Jahre versanken, und ich ward wie einst, als Coy und ich über die Berge zogen zum hohen Eisdom der Kordillerenausläufer[6], wo die goldenen Schätze der Araukaner unberührt neben einem großen, edlen Sohne dieses Stammes ruhten.

Von Fels zu Fels ein Gleiten und Kriechen, ein Horchen und Spähen, ein immerwährendes Lauern auf einen Angriff …

Und in den Nerven das köstliche Prickeln gesunder Erregung, im Herzen das Bewußtsein, hier seinen Mann stehen zu können, falls Millerets Banditen doch irgendwie das Inselversteck aufgespürt haben sollten und uns hier abfangen wollten.

Waren schon Gegner von Schneid, diese Burschen, waren Landsknechte der Savanne, Söldner eines Millionärs, der ihre Taten mit seinem Namen deckte.

Mochten sie!

Hatten hier einen Gegner, der auch nicht zögern würde, das Blei fliegen zu lassen …

Mochten sie!

Hatten es mit El Gento zu tun, und der war noch nicht eingerostet trotz der grauen Fäden an den Schläfen! Hatte kein Bäuchlein und kein Speckgenick, keine Hängebacken und Triefaugen … Hatte kein Lot Fleisch zu viel auf dem Knochengerüst … Und eine Hand, die so eiskalt zielte, als wäre die Büchse in einem Ständer angeschraubt zum Einschießen. –

Und – was ich vermutete, kam auch.

Ich stand an einen großen Felsbrocken geschmiegt, hatte mich soeben erst aufgerichtet. Lugte durch einen Riß, sah plötzlich vor mir über einem Busch eine hellere Halbkugel sich emporheben: Filzhut, Schlapphut!

Also doch!

Na – – wartet, Brüderlein …! Bin schon zur Stelle … Werde euch den Hinterhalt einpfeffern, daß ihr euch wundern werdet!

Noch vorsichtiger im Bogen an den Busch heran, – dauerte seine Zeit … Hatte ja Zeit …

Der Tod kommt noch früh genug.

Und schob die Ginsterstauden auseinander …

War da eine Vertiefung, feines Versteck, knieten da drei Kerle, zwei Mischlinge und ein langer, junger Riese …

Stutzte …

Ein Bündel?! Wolldecken?!

… Ein Kopf ragt heraus: Gaby Mills, – Knebel im Munde!!

Aha – – die Partie wird gespielt, – fehlt der vierte Mann zum Skat, ihr Herren!

Bin schon da …

Visitenkarte: Drei Kolbenhiebe mit der Pistole, – waren zufrieden, die Partner, verneigten sich bis zur Erde und lagen still.

Flink das Mädel aus den Decken … – Roheit das, die feine, hübsche Gaby so einzuschnüren …

Raus mit dem Knebel …

Und dann – – ein Rascheln hinter mir, – herum mit dem Körper, zusammengeduckt, ein Gewehrkolben pfeift nach meiner Hutkrempe, aber die Faust fährt dem roten Bruder unter das Kinn, und ein Fußtritt spielt Fangball mit dem Bürschlein …

Also waren es doch vier, – – ob es nicht noch mehr sind?!

„Gaby, wie viel von der Sorte?!“

„Weiß nicht, El Gento …“

Das Stimmchen ist dünn, und ein trockenes Schluchzen kommt aus der mißhandelten Kehle.

„Gaby, was tat man Ihnen?“

Ich beugte mich herab, und – so wahr mir das Mädel als Weib bisher nichts bedeutet hatte, – dieses zügellose Temperament, dieses freiwillige Spenden von Zärtlichkeit überrumpelt mich.

Gaby hängt an meinem Halse, brennende Lippen ersticken mich, ein junger Leib schmiegt sich mir in der Hilflosigkeit und Hingabe überstandener Schrecken entgegen, und die Rebellion überreizter Nerven eines blühenden Geschöpfes wird zu einem in dieser Art erschütternden Geständnis jäher Leidenschaft.

Männer der Wildnis, des großen Schweigens, der ewigen Einsamkeit werden scheu und herb wie vereinsamte Kinder mit starkem Innenleben.

Was tun mit dieser haltlos Schluchzenden, die bei mir mehr sucht als nur Schutz und Hilfe?!

Trösten, beruhigen?!

Ist dies Gestammel junger, reiner Lippen nicht unendlich süß in seiner Urwüchsigkeit geläuterten Triebes?! Ist diese Gaby Mills nicht berauschend wie der Blick in ein fernes Land der Verheißung?!

„Olaf, – – ich weiß, wer Sie sind … Jetzt weiß ich es … Geahnt habe ich es sofort … Sie sind ja dort in San Franzisco, wo ich fern der Heimat all die Jahre in strenger Hut gehalten wurde, mein Abgott geworden … Zeitungen, Magazine aus allen Erdenwinkeln flatterten mir auf den Tisch … Bilder fand ich, Berichte, wieder Bilder … Hier nannte man Sie so, anderswo wieder anders, aber es war immer derselbe Mann – – Sie!! Photographien von den Resten Ihres versunkenen Paradieses Malmotta hatte ein Berichterstatter veröffentlicht, war auch auf Pierres Insel gewesen, schrieb dazu die sagenhafte, berückende Novelle des Eilandes, das alle zwanzig Jahre dem Meeresboden für kurze Zeit wieder entstieg … Ich habe Malmotta, das Unbekannte, nie vergessen können …“

Überstürzt kamen die Worte über leidenschaftlich fiebernde Lippen.

Wie sollte ich, um Gabys Gefühle nicht zu verletzen und um nicht roh zu erscheinen, mich aus ihren Armen lösen und nur an das denken, was hier Pflicht auch gegen sie war?!

„Kind, über all diese Dinge müssen wir später bei besserer Gelegenheit sprechen, nicht jetzt, wo hier ringsum vielleicht der Tod lauert!“ Und ein Kuß auf die Stirn, ein mehr väterliches Streicheln der tränenfeuchten Wangen, – ganz sacht schob ich sie von mir, noch halb betäubt von diesem jähen Ausbruch einer schwärmerischen Leidenschaft, die etwas – sagen wir „Backfischhaftes“ in sich trug. Ich – – ihr Abgott?! Eine Liebe, die sich auf Bildern und Zeitungsberichten aufbaute. Das glich jener unreifen, nie in die Tiefe der Seele gehenden Leidenschaft, wie vielleicht einsame junge Wesen oder verschrobene Gemüter sie für Filmhelden und -heldinnen empfinden!

Mit unendlichem Zartgefühl, das Gaby beanspruchen durfte, trat ich so den Rückzug an als Mann!

Für den Abenteurer kam es zu spät.

Zu unpassenderer Zeit hätte dieses Mondscheinidyll sich kaum abspielen können.

Die toten Felsen und schweigenden Büsche ringsum belebten sich. Gestalten wuchsen aus dem Boden, – nicht drei oder vier, die hätte ich noch abschießen können, und ich hätte es getan!

Aber das waren mehr als ein Dutzend, und unter ihnen erkannte ich einige Kanadareiter, Beamte.

„Taskamore!!“, fuhr es durch mein Hirn.

Ein Stoß zwang Gaby flach auf den Boden, und dann warf ich mich selbst nieder, feuerte drei Alarmschüsse in die Luft, schnellte mich vorwärts, dicht über dem Boden, Kugelsaat fegte dicht hinter mir her, ein Schlag traf meinen rechten Fuß, vor mir einer von Millerets Leuten, die Pistole im Anschlag …

„Halt!“

Halt?!

Mein Söhnchen, mit solchen Mätzchen mußt du mir nicht kommen!

Der Büchsenkolben flog wie eine Keule von unten her gegen die drohende Hand, ein Feuerstrahl sengte mir fast die Wange, ein Fausthieb warf den Burschen zwischen das Geröll, und ich schlüpfte in die hohen Ginsterstauden, ich hatte den Ring der Gegner durchbrochen, ich wandte mich sofort nach rechts, dem See zu, – wieder Kugeln wie bissige Wespen, dazu eine grollende, klare Stimme, Kapitän Welmer: „Zum Teufel – nicht schießen!!“

Das mag mir damals das Leben gerettet haben, das gab mir karge Frist, mich ins Wasser zu werfen …!

Eitle Hoffnung: Der See war flach wie ein Tümpel, und bevor ich recht zur Besinnung kam, schwirrte ein Lasso eines der Cowboys durch die Luft, – ein Künstler war der Kerl – – ein Ruck, ein Gleiten nach rückwärts, und halb erwürgt schleiften sie mich an Land, fielen über mich her, – Welmer selbst war es, der mir das Messer aus der Hand drehte …

„Machen Sie keine Geschichten, Abelsen … Das Spiel ist aus!“

Es war aus.

Triefend, die Haare im Gesicht, zitternd vor ohnmächtigem Grimm mußte ich begreifen lernen, daß nun doch das eingetreten war, was niemals hätte geschehen dürfen! Ich war ein Gefangener, ich war reif für die Auslieferung dorthin, wo auf mich wieder die verwanzte Zelle und der Tod der grauen Kerkermauern lauerte.

Um mich herum die atemlose, feixende Horde Millerets und die anständigen, zurückhaltenden Beamten …, – Welmer vor mir stehend, mich eindringlich musternd, mir die Schlinge vom Halse lösend …

„Also das ist Abelsen!“, sagte er nur. „Mann, Sie wagten viel … An Ihrem Leben liegt Ihnen anscheinend sehr wenig. Ich freue mich, daß die Kugeln vorbeigingen.“

Vornehm, gütig, der ganze prächtige Mensch, – einer jener Besten, die Kanada an die Spitze eines allerbesten Polizeikorps stellte.

Und zu dem buntgemischten anderen Pack der Milleret-Söldner:

„Schert euch zum Teufel! Kehrt in euer Lager zurück! Mit John Milleret, bestellt ihm das, setze ich mich noch auseinander.“

Die Kerle duckten sich, murrten, traten zurück. Da war es, daß hinter den Steinen ein Schatten wie ein Blitz hervorschoß, leichtfüßig, windschnell, lautlos, – ein paar flache Kolbenhiebe, – eine Hand riß mir das indianische Schlachtbeil aus Ret Hands Grotte aus dem Gürtel, – – und Taskamore verschwindet wie ein Gespenst, zwei Schüsse knallen, ein schriller Ruf antwortet, eine ganze Meute stürmt hinterdrein.

Taskamore und den Neger fingen sie nicht. –

Mit größter Höflichkeit behandelt Kapitän Welmer die blasse Gaby und mich.

„Wer sind Sie, Miß?!“

Gaby zaudert.

Und dann – scharf und gereizt, eine verblüffende Antwort:

„Gaby Mills, John Millerets Stieftochter!“

Welmer schaut sie sprachlos an.

„Seine … Stieftochter?! Ich hörte nie von Ihnen!“

„Kein Wunder …! Milleret hat mich aus Seattle verbannt und meine Mutter duldete es … und starb. In Frisco hielt er mich fest, – – Erziehungsheim nannte sich das Institut, war sein Erziehungsheim, seine Kreaturen bewachten mich, meinen Vormund bestach er, meine Mutter besaß als junge Witwe Millionen … Ein Kind war ich, als er mich von ihr trennte, – und wie sie starb, ich weiß es nicht! Sie kennen ja die Bestechlichkeit von Richtern und Zeugen und Ärzten …!“

Ihr verzerrtes Gesicht funkelte Haß, ihre Augen sprühten Haß, aber der vor Erregung bebende Mund blieb fernerhin still.

Da mochte Welmer noch so eindringlich fragen, wie Gaby hierher gelangt, wer ihr Begleiter gewesen.

Ein Stein konnte nicht schweigsamer sein. –

Wir brachen auf, und als wir in Millerets Lager erschienen, saß der Millionär und Besitzer phantastisch großer Ländereien finster vor seinem Zelt und warf Gaby einen einzigen Blick zu …

Drohend, warnend, – – und genau so haßerfüllt, wie sie voller Verachtung auf ihn herabblickte.

Wir vier – Welmer, Gaby, Milleret und ich – waren allein. Die Laternen vor dem Zelt, die knisternde Lohe des Lagerfeuers umspielten in scharfen Schatten unsere Gesichter, ließen die Züge mit ihrem ungleichen Licht starr und entstellt erscheinen, blinkten in verkniffenen Augen, hinter denen sich die Fülle der geheimen Gedanken und Leidenschaften verkroch.

Welmer sagte schroff:

„Wußten Sie, daß Ihre Stieftochter hier in Kanada war?“

Milleret – ebenso schroff:

„Nein! Wie sollte ich?!“

„Und wer erschoß meinen Inspektor Brance und den Sergeanten?!“

„Ich etwa?! Da – meine Leute sind Zeugen: Wir haben Ihre Untergebenen nie zu Gesicht bekommen. Wollen Sie wirklich Ihre Stellung aufs Spiel setzen?!“

„Lassen Sie die … Drohungen.“ Welmer wurde unheimlich ruhig. „Und weshalb dieser merkwürdige Ausflug hier in die Horn-Berge?!“

„Weil dieser Lump von Taskamore mich bestohlen hat …! Das ist es! Da liegen die goldenen uralten Statuen …! Manitu-Darstellungen, Heiligtümer des Sioux-Stammes. Ich erwarb sie rechtmäßig, und …“

„Von wem?!“

„Von einem Händler, einem Manne, der inzwischen gestorben ist.“ Milleret war nie um eine Antwort verlegen.

„Und Zeugen haben Sie natürlich dafür auch wieder“, sagte der Kapitän eisig. „Ich werde die Dinge prüfen lassen. – Ich weiß, daß Miß Gaby mit zwei Begleitern hier als erste in den Horn-Bergen erschien, daß einer der Schufte den Japaner Siwura erschoß, vorher schon Ret Hand und den blonden Riesen Jörn. Miß Gaby bleibt in Haft, bis sie sich zum Geständnis bequemt.“

Milleret lächelte …

„Da tun Sie recht, Kapitän …“ – Triumph und Hohn war es.

Welmer fügte noch eisiger hinzu.

„Sie aber und Ihre … Bande werden sofort diese Berge verlassen. Der Bericht, den ich an den Gouverneur einreichen werde, wird mich decken. Sie verstehen mich, Mr. Milleret: Sofortiger Aufbruch!! Verschwinden Sie schleunigst, sonst könnte ich mir die Sache anders überlegen. Das Polizeigefängnis in Patamak hat zehn feste Zellen, und … ich bin in meinem Distrikt dafür bekannt, daß ich unter Umständen verdammt kurzen Prozeß mache, so mancher Baumast ward zum Galgen, ehe ein Schurke noch Zeit fand, sich herauszulügen …! – Fort mit Ihnen und Ihrer Sippe …! Meine Leute stehen da schußfertig, und Ihre Kerle haben leere Patronenrahmen, damit Sie auch das wissen. Hier in Kanada, hier in meinem Distrikt verfängt Bestechung nicht!!“

Milleret war aufgesprungen. Sein stierer Blick flog hinüber zu den Mooshütten der Seinen.

Ich werde … werde …“

Aber diese keuchenden, zischenden Worte sollten nur Beginn leerer Drohung bleiben.

Hinter ihm lüftete sich der Zeltvorhang.

Izana Milleret stand dort, erschreckend bleich.

„Du … wirst nichts tun!“, erklärte dieses wunderbare Mädchen mit einer kraftvollen Handbewegung. „Du wirst gehorchen! Ich denke, auch wir verstehen uns!!“

Der Vorhang sank, und Milleret glotzte stier die leere Stelle an.

Er fühlte es, wir fühlten es: Izana Milleret hatte sich losgesagt von ihrem leiblichen Vater, hatte angedeutet, daß sie für ihre Person diese schmutzige Angelegenheit fernerhin von sich wies.

John Millerets Gesicht überlief ein Zucken. Was in der Seele dieses harten, brutalen Mannes vorging, konnten wir aus seinen düsteren Zügen ablesen.

Sein Kopf sank ihm langsam auf die Brust.

Etwas Hilfloses kam in seine bisher so anmaßende, hochmütige, freche Haltung.

„Gut, Kapitän Welmer, – wir verlassen die Horn-Berge. Das weitere wird sich finden …“

„Ja – Sie werden zwölf meiner Leute hinter sich finden, bis Sie Ihre Ländereien erreicht haben. Das werden Sie finden!“ –

Am folgenden Nachmittag hielt ich meinen Einzug in Patamak.

Gerüchte waren uns vorausgeeilt. Die Bewohner des Ortes drohten mir, man schrie nach Richter Lynch … Ich sollte Brance und Jarley getötet haben. Heulende, kreischende Stimmen, – – Steine flogen, bis Welmer die Pistole herausriß …

Der Haufen zog ab.

Und Gaby und ich lernten die Zellen von Patamak kennen und hatten uns nicht zu beklagen.

Welmer war ein anständiger Charakter durch und durch. – –

… Der alte Will Roß bringt das Abendbrot.

„Hm … was ich sagen wollte, Mister Abelsen, – morgen verlassen Sie uns … Schade, sehr schade. Unsere Plauderstunden werde ich sehr vermissen …“

„Wohin?“, frage ich etwas bestürzt.

„Nach Edmonton mit dem Polizeidampfer.“

„Und … Kain, – mein Kain? Und Gaby Mills?!“

„Sind mit von der Partie … Der Kapitän hat es so befohlen …“

… Dampfer?! Flußreise bis Edmonton?!

Eine unklare Hoffnung steigt in mir auf.

Nicht einmal diesen Blättern habe ich es bisher anzuvertrauen gewagt, daß ich in diesen Tagen zweimal im Morgendämmer draußen zwischen den Bäumen eine schlanke, sehnige Gestalt bemerkt hatte: Coys Ebenbild!

 

8. Kapitel.

Die Flößer vom Mackenzie.

Die Flußufer des breiten, mächtigen Mackenzie prunkten in der Scheinpracht der bunten Farben des Herbstes. Mit schütternden Schrauben bahnte sich der kleine Dampfer gegen die Strömung seinen Weg gen Süden. Das lehmige Wasser war belebt von Scharen von Wildvögeln, die in der lauen Wärme einer matten Sonne freudig sich austobten und ihre kleinen Kämpfe miteinander ausfochten. Nicht lange mehr, und der Fluß würde zu Eis erstarren, Schneestürme würden die Uferwälder ihres welken Blattschmuckes berauben, und Monate dauerte es dann, endlose Monate, bis dieses wunderbare, weite, widerspruchsvolle Nordland abermals erwachte zu kurzer Sommerherrlichkeit.

Wir waren seit vierzehn Stunden unterwegs. Kapitän Welmer hatte mir gestattet, mich vier Stunden am Tage frei zu bewegen. Für Gaby Mills war das Achterdeck bestimmt, und wir konnten uns so wenigstens einen Gruß zuwinken.

An Bord befanden sich außer fünf Mann Besatzung und uns beiden Gefangenen noch vier Polizeibeamte, Kapitän Welmer und zwei höhere Zivilbeamte, die mir mit derselben Höflichkeit begegneten. Aber Welmer hatte mich auch anderseits darüber keine Minute im Zweifel gelassen, daß jeder Fluchtversuch mir das Leben kosten würde. Ich wurde sehr streng bewacht. Welmer wußte, mit wem er es zu tun hatte. Sein Ersuchen, ihm durch Handschlag zu versprechen, auf jede Fluchtmöglichkeit zu verzichten, hatte ich abgelehnt.

Es war um die Mittagszeit, und ich stand an der Reling, eine Zigarre rauchend, Kain zu meinen Füßen, – hinter mir zwei Beamte mit entsicherten Büchsen, meine liebenswürdige Ehrengarde.

Man machte doch hier an Bord ein gewaltiges Aufheben um diesen vertrackten Abelsen!!

Ich beobachtete ein vorübergleitendes Riesenfloß von mächtigen Stämmen, freute mich der kernigen Burschen, die diese Holzmengen, geschleppt von einem lärmenden, stinkenden, großen Motorboot, gen Süden schafften.

Derartige Floßzüge bildeten eigentlich die einzige Abwechslung, da die Ufer nur spärliche Siedlungen aufwiesen und Wasservögel und kleine Flußinseln und bescheidene Stromschnellen sehr bald jedes Interesse für mich verloren.

Und diese Floßzüge gewannen für mich, der beständig mit Fluchtplänen umging, noch eine weit wichtigere Bedeutung.

Wenn Kapitän Welmer glaubte, zwei entsicherte Büchsen könnten mich davon abhalten, einmal bei passender Gelegenheit über Bord zu springen und zunächst Schutz unter einem solchen Riesenfloß zu suchen, irrte er sich.

Lebend würde Edmonton mich nicht sehen, das war beschlossene Sache.

Ich spielte den Gleichgültigen, in sein Schicksal Ergebenen ohne Übertreibung. Ich war ablehnend kühl gegenüber Welmer, – alles nur Berechnung.

Mein Herz schrie nach Freiheit.

Jeder Pulsschlag war eine aufmunternde Fanfare. „Es muß gelingen – irgendwie!!“

Ich ließ mir Zeit.

Im stillen hoffte ich auf Taskamore, aber ich stellte ihn niemals mit in meine Rechnung ein. Ich würde mir auch allein helfen. –

Eine Glocke läutete, aus der kleinen Kombüse waren schon vorher verlockende Düfte aufgestiegen: Mittag!

Die beiden Wachen führten mich in meine Kammer zurück, die kein Fenster, aber eine eiserne Tür und elektrisches Licht hatte und mancherlei Bequemlichkeiten bot. – Die Wächter waren ältere Leute aus Edmonton, dieser Stadt am Rande der Wildnis, – schon etwas bequeme Leute, die manch freundliches Wort für mich fanden. Meine Erlebnisse droben bei Fort Maupherson, insbesondere mein selbstloses Eintreten für den schwerverwundeten Sergeanten damals, waren überall bekannt geworden.

Nach dem Essen las ich wieder in einem der abgegriffenen Bücher, die Kapitän Welmer mir zur Verfügung gestellt hatte. Mein Manuskript trug ich übrigens in einer wasserdichten Hirschblase auf der Brust.

Eines der Bücher enthielt eine Schilderung der Entdeckungsgeschichte der wundervollen Riesengeiser im Felsengebirge, also jenes Gebietes, das heute Nationalpark oder Yellowstone-Park genannt wird. Es stammte aus der Feder eines Colonel Britge, eines kalifornischen Pioniers, der mit den örtlichen Verhältnissen und insbesondere mit den näheren Umständen dieser Erdenfleckchen aufs beste vertraut war.

Als ich diese alte Schwarte, deren Papier, Druck, Umschlag und Stil schon die Herkunft aus den siebziger Jahren des vorigen Säkulums verriet, zum ersten Male in die Hand bekam und den schwülstigen Titel überflog:

Wahrhaftige Schilderung der Auffindung der vulkanischen Schluchten und Berge in den Rocky Mountains, heute Yellowstone-Nationalpark genannt, durch den Franzosen Roger Tounens und dem Kapitän

De Lacy

kam mir eine Offenbarung, wie sie überraschender und eindrucksvoller mir nie beschert wurde.

Ich habe dieses Buch, eine blutrünstige Indianergeschichte, das sich trotzdem in seinen historischen Daten und Namen als einwandfrei wahrheitsgetreu erwiesen, damals eifriger studiert als das wertvollste Werk, das etwa in mein Fach als Tiefbauingenieur hineingehörte.

Kein Wunder: Schon allein der Name Tounens[*1] mußte in mein Hirn einschlagen wie ein Feuerbrand. Der französische abenteuernde Advokat Tounens war es gewesen, der 1861 das stolze Reitervolk der Araukaner zum Königtum erhob und jahrelang gegen Chile Krieg führte, um sich von dieser Mulattenrepublik unabhängig zu machen.

Und hier nun wieder ein Tounens als historische Persönlichkeit im engsten Zusammenhang mit jenen jüngsten Ereignissen, die mir so unendlich viel Rätsel aufgegeben hatten! Entdecker des Yellowstone-Parkes, Gefangener eines Sioux-Stammes, schließlich dessen berüchtigter „Medizinmann“, also Ratgeber des Häuptlings, – und dazu der Geiser der Träume, der immer wieder in diesen letzten Tagen wie ein Phantom sich hineingedrängt hatte in die Flut von Erleben und Leben und Sterben!

Taskamore – – Coy Cala!!

Tausende von Meilen zwischen dem Yellowstone-Fluß und dem Gallegos-Flüßchen am Ende der Welt! Trotzdem geheimnisvolle Fäden, die diese Entfernung überbrückten und die bei kühler Kritik nur auf eine einzige Lösung des Rätsels dieser frappanten Ähnlichkeit zwischen zwei Männern gänzlich verschiedener Völker hinwiesen!

Ich danke dem Schicksal und mit ihm Kapitän Welmer, daß ich hier auf diesen alten eisernen Schraubendampfer geraten war und daß mir gerade dieses Buch in die Hände gleiten mußte wie durch eine gütige Feenhand. Vielleicht hätte ich die Zusammenhänge sonst niemals herausgefunden, vielleicht wäre ich abgeknallt worden, ohne diesen Dingen auf die längst verwehte Spur zu kommen.

Vielleicht … –

Ich lege das Buch wieder weg. Das, was mir daraus wichtig, konnte ich auswendig, und mein Gedächtnis vergißt derartiges nie mehr.

Die Tür ging auf, – – die Wächter.

„Mr. Abelsen, ein kleiner Aufenthalt … Wenn Sie wieder an Deck wollen … bitte. Ein ganz interessanter Zwischenfall … Ja, diese Stromschnellen und diese trinkfreudigen Flößer!!“

Ahnungslos schritt ich voraus.

Der Dampfer hatte den Buganker fallen lassen und lag ruhig mitten in der Fahrrinne.

Ein einziger Blick zeigte mir, der es so gewöhnt war, Situationen im Moment zu erfassen und abzuschätzen, die wunderbarste Gelegenheit zur Verwirklichung meiner Fluchtpläne.

Der Mackenzie machte hier nach Süden zu einen Bogen, und gerade in der Krümmung gab es abermals jene ungefährlichen Stromschnellen, die für ein flachgehendes Schiff oder für Flöße immer noch genügend breite und freie Passage freilassen.

Die Berge traten hier schroff, steil und zerklüftet bis dicht an die mit dichtestem Buschwerk und Bäumen bedeckten Ufer heran.

Weiße lange Schaumstreifen bezeichneten die Stellen, wo die im Flußbett ruhenden Felsen die Strömung behinderten und gefahrdrohende Riffe darstellten.

Gurgelnde Wirbel, worin Äste, Zweige, Grasbüschel und Borkenstücke kreisten, zeigten die saugenden Strudel an, aus denen es für den besten Schwimmer kein Entrinnen gab.

Und quer vor den beiden Durchfahrten dieser Stromschnellen lag drüben ein Floß von gut vierzig Meter Länge, das von dem Druck des polarwärts fließenden Wassers fest gegen zwei Felseninselchen mitten in den Schnellen gedrückt worden war.

Arme Teufel von halb zivilisierten Indianern in schäbigen Hosen, Wollhemden und Wasserstiefeln hatten dieses Floß gen Süden bringen wollen, hatten nicht die Mittel besessen, einen Schlepper zu mieten, und lediglich durch zwei Ruderboote dieses Ungetüm von Holzmassen irgendwohin als billige, aber schweißkostende Verdienstmöglichkeit in endlos langsamer Fahrt bringen wollen.

Arme Teufel, denen die selbstgeflochtenen Rinderseile zerrissen waren, die nun hin- und herrannten und keinen Ausweg fanden aus dieser Klemme, die in Wahrheit eine „Klemme“ war, denn die Kraft der Strömung spottete ihren Bemühungen, durch die Boote und die geflickten Schleppseile die Spitze des Floßes hinwegzuziehen von der westlichen Insel und stilles Fahrwasser zu gewinnen.

Welmer, der ärgerlich diesem Treiben zuschaute, kam zu mir geschlendert.

„Die Kerle müssen verrückt sein, Abelsen! Sahen Sie je hier auf dem alten Mackenzie ein so liederliches Floß wie dieses? Kaum daß die Äste sauber von den Stämmen weggeschlagen worden sind! Und dann die Verbindung der Stämme untereinander: Nur Weidenruten!! Und das allertollste: Zwei uralte Kähne als Schlepper!! Ich begreife nicht, wie die Burschen überhaupt auf die Weise auch nur ein paar Meter vorwärtsgekommen sind!! Falls die Geschichte noch lange dauert, lasse ich diesen alten Kasten von Dampfer in die eine Durchfahrt einlaufen und die ganze Geschichte durch Dampfdruck beiseite schieben! Wobei wohl das Floß zum Teufel gehen wird.“

Wir lagen etwa hundert Meter nördlich von dem Hindernis. Unsere Matrosen fluchten und wetterten, unser Kapitän tobte förmlich, bis Welmer ihn grob anfauchte.

Und ich?!

Ich hätte Welmer jetzt unschwer einige Erläuterungen zu diesem Aufenthalt liefern können.

Ein Glück, daß er mein Gesicht nicht beobachtet hatte …!

Eine heiße Blutwelle war mir zu Kopfe gestiegen, mein Herz raste, beruhigte sich wieder, aber all meine Sinne blieben bis aufs äußerste angespannt.

In dem einen Flößer, der einen schäbigen Filz bis auf die Nase gedrückt hatte und dazu noch ein Wolltuch wie eine Bandage bis zu den Ohren trug, hatte ich Taskamore erkannt!

Unter der Hutkrempe war ein einziges Mal ein Paar glänzender Augen den meinen begegnet, und die geheime Verständigung war hergestellt.

Taskamore, habe Dank!!

Taskamore, ich weiß, wo dieses Floß gebaut ist, – nicht diesseits der Stromschnellen, sondern drüben, wo ihr jetzt die Scheinmanöver ausführt, ihr Braven, und nur darauf wartet, daß Welmer die Geduld verliert und mit dem Dampfer sich ganz nahe heranwagt.

Und dann?!

Kitzlich bleibt die Geschichte auf alle Fälle …

Ohne Gaby und Kain flüchte ich nicht!! Das ist Ehrensache!

Wenn nur die beiden Wächter nicht wären!! Nur die stören mich. Eine Kugel ist ein so verdammt unberechenbares Ding, da sind Weiberlaunen ein Nichts und Flöhe eine gefügige Herde Schäflein!

Wie schaffte ich die braven Kerle weg?!

Niederschlagen, – das widerstrebte mir!

Und ein anderes Mittel – – welches?

Mein Hirn fiebert.

Äußerlich bin ich Eis.

„Peinlich, die Sache“, sage ich gelangweilt zu Welmer.

Welmer murmelt einen saftigen Spruch, der nicht in der Bibel zu finden ist.

Ich suche krampfhaft Gabys Aufmerksamkeit zu erregen …

Endlich erhasche ich einen Blick, blinzele ihr zu, – eine Handbewegung, – – sie nickt.

Sie ist nicht auf den Kopf gefallen, das Mädel! Sie hat Schneid, wenn sie auch nicht an Izana Milleret heranreicht. Sie ist weicher, die blonde Gaby, und die dunkle Izana hat ein Teufelchen im gertenschlanken Leibe.

Ich beobachte Gaby.

Ihre Augen sind funkelnde Sterne, die Wangen haben sich gerötet, der Körper hat sich gestrafft.

Sie ist bereit.

Und die Wächter hinter mir, die da so hartnäckig auf dem Lukendeckel sitzen, die Büchsen über den Knien?!

… Einer der beiden Zivilbeamten schlendert zu uns, baut sich vor uns auf, schimpft natürlich … Sein grauer Schnurrbart zeigt die verräterische Verfärbung der Schnupfer unter den Nasenlöchern. Diese Nase ist mehr Gurke als Nase, und der Gentleman verbreitet allzeit einen zarten Duft von Brandy um sich.

Gesegnet sei seine feine geschnitzte Tabakdose.

„Prise gefällig, Mr. Abelsen?“

Er hält mir das bis oben gefüllte Ding hin.

– „Einfälle“ sind richtige Einfälle in die verzweigten Kammern des Hirns …

„Gern …“, sage ich … „danke … – da – – die ungeschickten Burschen, wieder ist das Seil zerrissen …!“

Es stimmt zwar nicht, aber der Gentleman schaut hinüber, und die Prise, die ich mit dem Daumen und Zeigefinger herausgefischt habe, ist unverschämt groß. Ich markiere das Füllen der Nase mit dem braunen Pulver und behalte Daumen und Zeigefinger geschlossen. Welmer meint ärgerlich: „Irrtum, – sie flicken erst wieder ihre Strippe! Jetzt beginnt mich die Sache gründlich zu langweilen – gründlich!!“

Und er ruft dem Dampferkapitän in der blumenreichen Ausdrucksweise hinterwäldischer Umgangsformen zu: „Los denn, – helfen Sie den Kerlen, und wenn die Streichholzschachtel dabei zum Teufel geht! Anker hoch!“

Der säbelbeinige Alte droben auf der Brücke des vorsintflutlichen Dampfwales spuckt erst mal gründlich über Bord und brüllt dann in das ebenso vorsintflutliche Sprachrohr hinein: „Langsam vorwärts …!“ – Vorn bei uns strafft sich unter den Drehungen der Winde die Ankerkette, wird wieder schlaff, rollt auf, und der Anker pendelt empor. Der Dampfer schiebt sich vorwärts, kommt zwischen die drohenden Schaumlinien, prallt dann leicht gegen die Mitte des Floßes.

„Volldampf!!“, brüllt der Kapitän wieder …

Ich fiebere noch stärker …

Ich schiele zu Gaby hinüber. Niemand kümmert sich um sie, und mit einem tiefen Aufatmen sehe ich, wie sie sich kühn über die Reling schwingt.

In demselben Moment hebt der Mann mit dem dicken bunten Wollschal den Hut und winkt nach Westen zu, stülpt ihn sofort wieder auf, und ich drehe mich um, trete wie von ungefähr zwei Schritte zurück, und aus der vorgestreckten Hand weht die leichte Brise den feinen beizenden Staub auf den Lukendeckel zu, wo die arglosen netten Burschen so treuherzig hocken …

Alles an mir ist jetzt unerhörteste Anspannung.

Ich berechne den Sprung …

Ich muß das Floß erreichen, ich werde …

„Verrat – meine Augen!!“, kreischt der eine Wächter.

Da gibt es kein Besinnen mehr …

Ein Satz auf die Reling, ein Panthersprung ins Leere …

Ich erreiche das Floß, gleite aus, rappele mich hoch, renne nach rechts …

„Halt …!!“

Welmers Stimme bellt noch lauter als seine Pistole …

Mag er schießen …

Neben uns jagt Kain dahin …

Daß er mir folgen würde, wußte ich …

Dort die Insel, – Felsen, Gestrüpp …

Wäre ich erst dort!!

Wettlauf mit dem Tode …

Eine Kugel zischt mir am Gesicht vorüber …

Das war verdammt nahe …

Und eine zweite, … ein heißes Stechen im rechten Arm …

Weiter nur!!

Die Stämme sind naß, zu naß, – ich rutsche aus, rutsche halb ins Wasser … Rappele mich hoch, – – ein letzter Satz, – – Erlenzweige schlagen hinter mir zusammen, ich ducke mich, krieche zur Seite, – ein Blick nach links zeigt mir das Floß, aufgelöst in fünf Teile, die Durchfahrt noch mehr blockierend, zeigt mir die Boote, die mit den roten Flößern auf das Westufer zuhalten.

Wo ist Gaby?!

Kain bei mir …

Wo ist Gaby?! – Und die Angst um das Mädel hält mich an meinem Platz, obwohl Welmer und zwei Beamte gleichfalls auf das Floß hinabgesprungen sind.

Wo ist Gaby?!

Die Strudel fallen mir ein, – sie ließ sich vom Heck ins Wasser gleiten, sie war mit nassen, voll gesogenen Kleidern niemals imstande, diesen saugenden Wirbeln zu entgehen.

Von diesem Platze aus, wo ich jetzt lag, hatte ich nun freien Ausblick stromaufwärts. Wenn Gaby oben um ihr Leben kämpfte, dann geschah es jenseits der Stromschnellen – dort, wo die heimtückischen Wasser um tiefliegende Felsen wie in einem Trichter kreisten, – dorthin mußte ich!

Und daß ich jetzt eilends um den steilen Felsblock, der die Mitte des Inselchens bildete, herumkroch und hinter mir her der aalglatte, geschmeidige Kain, – daß ich so einem jäh vom Dampfer herüberprasselnden Geschoßhagel nicht eine Sekunde zu früh auswich und außerdem noch Zeuge ward, wie ein halbnackter Schwimmer die anscheinend bereits bewußtlose Gaby Mills zum Westufer trug, – es war Wink eines gnädigen Schicksals!

Ich hatte nur noch an Kain und mich zu denken, – und allerhöchste Zeit war es, nun selbst den doppelten Kampf aufzunehmen gegen die schäumenden, gurgelnden, dahinschießenden Wasser und gegen die erbarmungslosen Gegner, die – wer konnte es Welmer verdenken! – mich um jeden Preis durch das fauchende Blei vom rettenden Strande fernhalten wollten.

Ein halb im Wasser liegender Tannenstamm bot mir fürs erste Deckung. Ich tauchte … Und rannte mit den vorgestreckten Händen sofort an eine spitze Klippe, packte sie unter Wasser, stieß mich ab, arbeitete mich weiter, die Luft wurde mir knapp, die Lungen spannten sich, – ich mußte für Sekunden nach oben.

Ich schoß empor, – dicht neben mir tauchte Kains spitze Schnauze auf, seine blanken milden treuen Augen suchten meinen Blick, die Strömung trug uns davon, der weiße Gischt seifte mein Gesicht ein, – dann ein schwerer Stoß in die Hüfte, wieder solch ein verdammtes Steinstück, mir ward es schwarz vor Augen, ich fühlte, daß meine Beine tiefer sanken und von einer furchtbaren Gewalt gepackt im Kreise schwangen, förmlich zu Bleiklumpen wurden und mich hinabzerrten in die lehmige Tiefe des wirbelnden Strudels.

Einen Augenblick gab ich mich verloren. Ein lähmendes Gefühl der Hilflosigkeit ließ meine Arme erschlaffen, Wasser drang mir in Mund und Kehle, Hustenreiz quälte mich, und dann siegte doch wieder der Lebenstrieb, die Energie erwachte, Geist besiegte den schlaffen Körper, und mit zusammengebissenen Zähnen arbeitete ich mich empor, fühlte die Kraft des Strudels schwinden, schwamm in freiem Wasser, riß die Augen auf, – – neben mir trieben zwei Balken des Flosses, die sich losgelöst haben mußten, Weidenruten waren noch in mehrfacher Lage um die Bäume geschlungen, boten den Händen einen Halt, und gedeckt durch diese Balken glitt ich mit dem unverwüstlichen Kain vollends aus den Stromschnellen heraus und … war gerettet – – durch Taskamores schlaue List.

Urplötzlich erschien neben uns ein dritter Kopf, Taskamores dunkle Augen glühten mich triumphierend an, und sein hastiges Flüstern galt nur der einzuschlagenden Richtung. Wir lenkten die Stämme, mit den Füßen kräftig ausstoßend, zum Westufer, – ich sah, daß das ganze Floß sich aufgelöst hatte, daß überall diese schirmenden Bäume dahintrieben, und jetzt erst erkannte ich, wie sorgfältig Taskamore den Befreiungsplan bis ins einzelne vorbereitet hatte.

Unter einem Wurzelstock einer halb unterspülten Kiefer krochen wir aufs Trockene, hinein in das Ufergestrüpp, eilten geduckt unter dichten Erlen entlang, bogen rechts in eine Schlucht ein und erreichten in kurzem eine steinige, kahle Ebene. Hier hatten sich derweil auch Taskamores Freunde eingefunden, hier fand ich Chester Bry, den Neger, und den triefenden Harold Ranks vor, der neben Gaby Mills kniete und der soeben Erwachten Brandy einflößte. Er hatte Gaby gerettet, sein braunes, männliches Gesicht strahlte das Mädchen an, und er empfing ein liebes, zartes Lächeln als stummen Dank.

Auch Pferde standen hier, gesattelt, frisch, – Taskamore mahnte zum Aufbruch, Ranks nahm Gaby in die Arme, er hielt sie vor sich im Sattel, während wir, eine stumme eilige Schar, gen Süden am Rande der Uferberge dahintrabten.

Taskamore war ein Stück voraus, ich holte ihn ein, drängte meinen Gaul neben den seinen, streckte ihm die Hand hin und sagte nur:

„Coy Cala, dessen Großvater der weiße König Orelio Tounens der Araukaner war, und du, mein Bruder Taskamore, der du ein Enkel von Roger Tounens, dem ersten Entdecker der Yellowstone-Wunder, bist, – ich danke dir!“

Ein heller Freudenschein überflog sein hellgetöntes Mischblutgesicht.

„Mein Bruder El Gento kennt meine Herkunft, – es ist so: Der weiße König der Araukaner und mein Großvater Roger Tounens waren Brüder, Zwillingsbrüder, und meine Züge gleichen denen Coy Calas, des letzten stolzen freien Araukaners!!“ –

Unsere Augen ruhten ineinander, unsere Hände schmiegten sich in eins, und – – ich hatte Coys Wiedergeburt, Coys Auferstehung soeben erlebt, und meine Seele gehörte dem, der hier neben mir über die steinige Prärie trabte.

 

9. Kapitel.

Die Wunder des Yellowstone.

Wie die Anden oder Kordilleren das nach der Westküste hin verschobene Rückgrat Südamerikas bilden, genau so kann man den zumeist von Nord nach Süd verlaufenden Gebirgszug der Rocky Mountains, des nordamerikanischen Felsengebirges, als das seitlich verlagerte Rückgrat der Vereinigten Staaten bezeichnen. Dort, wo die Staaten Wyoming, Montana und Idaho zusammenstoßen, liegt in einer Durchschnittshöhe von 2400 Metern (die etwa der des Großen St. Bernhard entspricht) ein felsiges, zum Teil dicht mit Nadelbäumen und Gestrüpp bedecktes Terrassengebiet, das bei einer Länge von hundert und einer Breite von achtzig Kilometer in der Tertiärperiode der Erde der Schauplatz einer gewaltigen vulkanischen Tätigkeit gewesen ist, von der als noch lebende Zeugen sowohl Geiser wie Schlammvulkane, heiße Quellen und Krateröffnungen, Obsidianfelsen, versteinerte Bäume und Hügel aus reinem Schwefel übriggeblieben sind.

Bereits in den Jahren 1850–60 drangen unsichere Gerüchte über dieses Wunderland, von tapferen Fallenstellern verbreitet, bis zur Regierung nach Washington. Da jedoch zu jener Zeit die Indianer noch unbeschränkte Herren der Zugangswege zu diesem Paradiese waren, ließen sich diese Nachrichten nicht durch die Behörden nachprüfen. Erst folgendes Ereignis lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf das mit Naturschönheiten überreich gesegnete Hochland am Yellowstone-Fluß.

Eine Goldgräbergesellschaft hatte sich von Kalifornien her in die unbekannte Gebirgswelt hineingewagt und lagerte eines Abends im Herbst 1859 in den dichten Waldungen nördlich des heutigen Nationalparks. Urplötzlich erschien ein Europäer in Indianertracht, der dem Führer der Schar einige beschriebene Blätter in die Hand drückte und sofort wieder verschwand.

Die Aufzeichnungen waren in französischer Sprache abgefaßt, und da unter den Goldgräbern sich auch zwei Franzosen befanden, übersetzten diese den Kameraden die erste genaue Beschreibung des vulkanischen Märchenlandes. Unterzeichnet waren die Blätter mit Roger Tounens, und aus dem Inhalt ergab sich, daß dieser Tounens bereits vor einem Jahr von dem Unterstamm der großen Sioux-Nation, den Ogellallahs, gefangen genommen und schließlich bei ihnen Medizinmann geworden war und die Tochter des Häuptlings zum Weibe genommen hatte.

Die Goldgräber beschlossen, das Märchenland zu besuchen. Sie fanden es, aber der Zugang von Norden war schwierig, da das Terrassengebiet von Bergen bis 3600 Meter Höhe eingerahmt ist. Sie erreichten eine Stelle, von der aus sie einen Einblick in diese abgeschlossene Welt der springenden Geiser und dampfenden Quellen und rauchenden Felsspalten gewannen. Aber gleich darauf wurden sie von Indianern überfallen, die hier seit Jahrhunderten den roten Ton für die Köpfe ihrer Pfeife holten. In dem blutigen Kampf wurden sie bis auf vier Mann aufgerieben, die mit ihren Pferden nach Osten flüchten konnten und nach unendlichen Strapazen die Stadt St. Louis erreichten. Tounens Aufzeichnungen waren verloren gegangen, doch die mündlichen Berichte der Überlebenden führten dazu, daß der Kapitän de Lacy, ein Abenteurer und Savannenläufer großen Stils, mehrfach versuchte, ebenfalls jenes Paradies der Urgewalten der Erde zu erforschen. Erst 1863 gelangen diese Vorstöße in das Indianerland, de Lacy meldete das Geschaute, neue Expeditionen wurden nun von der Regierung ausgerüstet, der Vernichtungskrieg gegen die Indianer hatte auch die Gefahren der weiten Reise herabgemindert, Gelehrte kamen, sahen hier am Yellowstone ihre Erwartungen noch übertroffen, und bereits am 1. März 1872 wurde durch Kongreßbeschluß das gesamte Gebiet als Nationalpark für das amerikanische Volk erklärt, strengste Gesetze wurden erlassen, um die Unberührtheit dieser Wunder zu schützen, die Jagd wurde hier verboten, starke Kavalleriepatrouillen sorgten für die Beachtung dieser Bestimmungen, und – – das erste, noch sehr bescheidene Hotel wurde erbaut. Andere folgten, aber die strenge Verwaltung sorgte dafür, daß diese Bauten das Gesamtbild nicht störten.

Heute führt von der Stadt Livingston eine Eisenbahn im Tale des Yellowstone entlang bis zum Riesenhotel Mammoth Hot Springs, der „Park“, den man besser Naturschutzgebiet nennen müßte und der auf der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat, besitzt eine richtige „Saison“, die vom Juni bis September währt, und nichts spricht so sehr für die strengen Schutzbestimmungen wie die Tatsache, daß in diesem Gebiet der hundert Geiser, der Wasserfälle, der Seen, Schluchten und düsteren Wälder und grünen Matten die letzte Büffelherde Amerikas, gegen 800 Stück, frei und unbeschränkt lebt, daß Hirsche in ganzen Rudeln, ebenfalls längst zahm geworden, das bizarre Landschaftsbild ergänzen und daß neben kleinerem Raubzeug graue, braune und schwarze Bären in den Felsklüften hausen und samt ihrem Nachwuchs bei den Hotels erscheinen, um Futter betteln und sogar auf den Zufahrtsstraßen zu den Hauptsehenswürdigkeiten die lagernden Touristen bescheiden um eine Schnitte Brot angehen. Neben dem Mammoth Hot Springs-Hotel liegt übrigens das einstige Fort Yellowstone, das seinerzeit der Rothäute wegen errichtet werden mußte.

Die meisten Geiser sind periodische Springquellen mit verschieden langen Ruhepausen. So spritzt zum Beispiel der Constant-Geiser nur jede Minute mit erheblichem Getöse in die Lüfte, andere haben noch längere Ruhepausen, der gewaltigste bleibt der Great Fountain Geiser, der seine heißen Strahlen bis 45 Meter Höhe emporschleudert. Sämtliche Springquellen sind von einem breiten Rand von Kalksteinen oder Kieselsinter umgeben, das heißt von den verkrusteten Niederschlägen des Wassers, – ein bescheidener Vergleich wäre der Kesselstein unserer Kochtöpfe. – –

Und nun zurück zu unserem eiligen Reitertrupp, der unter Taskamores Führung sehr bald nach Südwest abgeschwenkt war und erst nach stundenlangem Ritt in einem Walde sein Lager aufschlug.

Taskamore hatte sich bisher sehr schweigsam verhalten. Während des ganzen Weges hatte ich ihm angemerkt, daß ihn nach der so überaus herzlichen kurzen Verständigung zwischen uns beiden sehr ernste Dinge beschäftigten. Wir waren insgesamt dreiundzwanzig Reiter, Gaby eingerechnet, außer Taskamore, Gaby, Ranks und mir sämtlich reinblütige Indianer, die inzwischen längst ihre etwas schäbige Flößertracht abgelegt hatten und in lederne Jagdanzüge geschlüpft waren.

Zwei Lagerfeuer brannten, im Nu war für Gaby eine Mooshütte errichtet, Taskamore teilte die Wachen ein, und zu meinem Erstaunen schickte er auch drei seiner Getreuen als Späher aus, um die Nachbarschaft abzusuchen.

Zweierlei war mir bereits aufgefallen: der große Respekt, mit dem die Indianer Taskamore begegneten, und dann das Benehmen und das perfekte Englisch dieser seiner Vertrauten. Es waren Sioux, alles kräftige Gestalten mit freiem Blick, alle aber auch über den Durchschnitt hinaus gebildet, höflich und … schweigsam. – Daß Taskamore diese seine Stammesgenossen bis mit in die Nähe der Horn-Berge gebracht hatte, daß er mit ihnen irgendwie in ständiger Verbindung gestanden hatte, unterlag keinem Zweifel. Wie hätte er sonst so rasch und gründlich sein schlaues Befreiungswerk vorbereiten und an den Stromschnellen vollenden können?! Ich war auch überzeugt, daß er rechtzeitig von John Millerets groß angelegtem Streifzug gegen Ret Hands Grotten Kenntnis erhalten und nur wenige Stunden zu spät dort eingetroffen war, sonst würden die Ereignisse wohl eine andere Wendung genommen haben.

An unserem Feuer saßen beim Nachtmahl nur wir Weißen, Taskamore und Chester Bry zusammen. Auch jetzt wurde nicht viel gesprochen. Gaby war übermüdet und zog sich sehr bald in ihre Mooshütte zurück, auch Ranks und Chester gähnten, wickelten sich in ihre Wolldecken und schliefen ein.

Taskamore und ich hockten nebeneinander.

„Ich warte, El Gento“, sagte er dann und stopfte seine Pfeife mit aller Bedächtigkeit.

Fragen stellen?!

Ich dachte an Coy. Auch er hatte Geheimnisse vor mir, die er mir erst dann freiwillig enthüllte, als wir zum Eisdom der Anden emporstiegen.

„Ich habe Zeit, Taskamore“, erwiderte ich.

Er nickte. „Du wirst dir selbst vieles bereits erklärt haben. Kennst du den Yellowstone-Park?“

„Bisher nicht. Nur aus Beschreibungen.“

„Du wirst ihn sehen. Dann wird der Schnee bereits jene Hochlandterrassen bedecken, dann werden die Hotels geschlossen sein und die Parkwärter sich nur um das Füttern der Bären kümmern. Und das ist gut so. Es werden noch Wochen vergehen, bevor wir am Ziele sind. Ich kenne dort in den Bergen und Wäldern und Schluchten und Kanons jeden Fußbreit Boden. Ich suchte. Mein Großvater Ret Hand war ein allzu verschwiegener Mann. Ich trachte nicht nach Gold, aber meines Bleibens ist hier nicht länger. Die kanadische Polizei wird mir den Streich, den ich ihr spielte, nie vergessen. Kapitän Welmer ist ein harter, gerechter Mann. Er tat nur seine Pflicht. Ich handelte so, wie mir mein Herz es befahl, und das gehörte dir, El Gento. Ich habe nie einen wahren Freund gehabt, denn ich traute niemandem. Der Hunger nach Gold verpestet die Seelen.“ Er machte eine kurze Pause, und sein ruhiger, tiefer Blick, der aus einer reich begnadeten Seele aufstieg, hing mit dem Ausdruck stiller Freude an meinem vom Licht der huschenden Flammen umspielten Gesicht. „Ich weiß, daß Coy Cala dir den Königsschatz der Araukaner zeigte, daß in deinem Herzen die Stimme der Geldgier nie aufleben wird. Längst war mir bekannt, daß dort weit im Süden, wo bereits das Vorland des Südpols beginnt, ein Häuptling gelebt hatte, der dasselbe Blut in den Adern trug wie ich, das Blut jener Zwillingsbrüder Tounens, das stark genug war, meine Züge denen deines Bruders Coy anzugleichen. – Mein Leben hier, El Gento, trägt ein doppeltes Gesicht. Für die Grenzbewohner dort im Südwesten, wo Kanada und die Vereinigten Staaten und der stille Ozean sich berühren, bin ich der Postreiter, gleichzeitig der Helfer der Bedrängten, der Feind der Bösen. Mein zweites Leben in den spärlichen Tagen der Ruhe gehört denen da …“ Er deutete hinüber zu den lagernden Sioux. „Ich war allzeit stolz auf meine indianischen Ahnen, im Herzen bin ich eine Rothaut geblieben, und die ferne schöne Siedlung meiner wie ich längst zivilisierten Stammesgenossen dankt mir ihr Aufblühen. Du wirst sie kennen lernen. Trotzdem habe ich für mich und die dort drüben eins stets bewahrt: Die Erinnerung der einstigen Größe der roten Nation, an ihre wilde Tapferkeit, ihre Sitten und Gebräuche. So sind wir einerseits mit der Zivilisation mitgegangen, anderseits in veredeltem Sinne geblieben, was unsere Ahnen waren: Jäger, Pfadfinder, Kämpfer! – Kapitän Welmer weiß, daß ich dich befreite. Meine Helfer kennt er nicht und darf er nicht kennen. Dort im fernen Siouxdorfe bin ich scheinbar immer nur Gast. Es liegt auf John Millerets Gebiet dicht an der Grenze, und meine Stammesgenossen, die mich hierher begleiteten, als Milleret gen Norden gezogen war, sollen nicht darunter leiden, daß sie mich unterstützten. Wir werden sehr vorsichtig sein müssen. Wir wissen nicht, welche Richtung Milleret mit seinen Leuten eingeschlagen hat, und – – er ist schlau, er kennt die Wildnis, genau wie sein Bruder sie kennt, James Milleret, ein Schurke wie er, vielleicht der schlimmere von beiden.“

Taskamore warf mir einen prüfenden Blick zu. Ich las ihm die Gedanken von der Stirne ab.

„Also war James Milleret einer der Begleiter von Gaby Mills“, sagte ich bedächtig. „Und der andere?“

„Heißt Austin Portano, ein mexikanischer Betrüger, der in Seattle eine Hafenkneipe besitzt. Die beiden erschossen die Beamten Brance und Jarley, den Japaner und Ret Hand und Jörn Haskielt. Sie werden sterben nach dem Gesetz der Wildnis. Vier von meinen Stammesbrüdern sind auf ihrer Fährte, und dieser Fährte folgen wir. Du wirst dich gewundert haben, daß ich so schweigsam war. Die kaum mehr erkennbaren Spuren erforderten meine größte Aufmerksamkeit.“

Irgendwo im Walde schrie krächzend eine jagende Eule.

Taskamore beugte sich lauschend vor. Seine Gesichtsmuskeln spannten sich, und die Lider schlossen sich halb, während seine rechte Hand nach der Büchse griff.

Dann zerriß ein scharfer kurzer Knall die fast lähmend gewordene Stille, – Taskamore schnellte hoch, von seinem linken Ohrläppchen tropfte Blut, und mit zwei Sprüngen war er hinter einem dicken, bemoosten Baumstumpf, rief mir zu:

„Hinwerfen, – – Kain losmachen!“

Kain hatte neben mir gelegen.

Ich streifte ihm den Riemen trotzdem nicht vom Halse, schnellte mich nur zur Seite, riß Kain mit, und die zweite Kugel zerfetzte mir nur den Ärmel.

Im Lager war alles munter geworden. Stimmen schrillten, – Ranks richtete sich schlaftrunken auf, – kein Schuß folgte mehr, Taskamore und ich pflockten unsere Pferde los, – noch ein paar Befehle, und wir tauchten im Dunkel des Waldes unter. Die Pferde liefen von selbst hinterdrein, Kain zerrte mächtig an dem Lasso und strebte mit aller Hast der Stelle zu, woher die Schüsse gekommen waren.

Taskamore hielt mich zurück. „Mein Bruder El Gento mag die Vorsicht dem Wagemut vorziehen. Der Wald lebt … Der heimtückische Schütze ist nicht der einzige, der hier umherschleicht.“ Seine gedämpfte Stimme hatte das letzte Wort kaum vollendet, als abermals derselbe Eulenschrei erklang, aber mehr von links – wie vorhin.

Taskamores Hand ruhte noch auf meinem Arm. Er lachte leise, ein ganz besonderes Lachen war es …

„Die Nachtblume von Seattle meldet sich als Warnerin“, flüsterte er wieder.

Dann knallte hinter dem Hügel ein Schuß, wir vernahmen den flüchtigen Galopp eines Pferdes über felsigen Boden, die Hufschläge verstummten, und die Totenstille der Wildnis senkte sich abermals mit finsteren Drohungen über uns herab.

Taskamore schwang sich in den Sattel.

„Milleret!!“, sagte er finster, und sein Gaul setzte über die Lichtung hinweg, – Kain und ich hinterdrein, und im Nu waren wir jenseits des Hügels, wo Taskamore neben einem Toten kniete.

Es war einer der Späher, den er ausgeschickt hatte.

„Bisher hat Milleret stets andere für sich morden lassen“, meinte Freund Kamo ohne merkbare Erregung. „Diesmal, wo er mich auf seiner Fährte weiß, hat er selbst zur Waffe gegriffen. Auch er wird sterben.“

Er richtete sich auf.

„Suchen wir die Nachtblume von Seattle“, – mit einem leichten Satz war er im Sattel und sprengte voran gen Süden, wo eine weite Lichtung ihre hellen Birkenbestände wie weiße Striche im Mondlicht geistern ließ.

Nachtblume von Seattle! – Das klang genau so geheimnisvoll-poetisch wie das andere Wichtigere: Geiser der Träume! – Wir waren noch keine fünfzig Meter in die Lichtung eingedrungen, als sich von einem dunklen Dornengestrüpp eine Gestalt löste, sich erhob und den verschlafenen Schrei eines Adlers glänzend nachahmte. Taskamore hielt an, der zweite Späher, neben dem sein Pferd reglos im Grase lag, wechselte mit Kamo einige hastige Sätze, Kamo zeigte dorthin, wo der Tote neben dem Hügel ruhte, und wir sprengten weiter.

Mein Bruder Taskamore hatte sich ganz weit über den Hals des Pferdes hinabgebeugt und musterte den Boden mit scharfem Blick. Ich verließ mich mehr auf Kains feine Nase. Die Schüsse und der Blutgeruch des toten Spähers hatten Kain in jenes Jagdfieber versetzt, das sich bei ihm stets durch die träufelnden Lefzen und das steil aufgerichtete Genickhaar bemerkbar machte. Taskamore riß plötzlich seinen Braunen zurück. In demselben Moment hatte auch Kain fast im Sprunge haltgemacht und sich herumgeworfen und schnüffelte in der dünnen, fleckigen Grasnarbe. – Der Siouxsproß glitt aus dem Sattel.

„Nur die Hinfährte“, sagte ich leise. – Zwei Hufeindrücke, deren Leerseite nach Westen zeigte, hatten mir die Richtung verraten.

„El Gento ist Coys gelehriger Schüler gewesen“, meinte Kamo und saß wieder auf. – Wir trabten weiter, gelangten an eine baumfreie Waldprärie und erblickten rechts von uns einen Reiter, der im gestreckten Galopp nach Westen davonjagte.

Taskamore lachte wieder.

„Izana Milleret wünscht keinen Dank von dem Mischblut …“, – es klang merkwürdig bitter und schroff. „Sie wird ihren Vater nicht wiedersehen. Es ist besser so.“

Dann – so plötzlich, daß ich leicht zusammenfuhr – stieß er den schrillen, langgezogenen Jagdruf seines Volkes aus, und sein Brauner setzte zum Sprunge an, – das Wettrennen begann. Izana hatte zweihundert Meter Vorsprung, ein Nichts für unsere Tiere, die sicherlich die besten des Grenzlandes waren. Mein Fuchs wieherte leise, wir hatten uns bereits miteinander befreundet, ich machte ihm das Galoppieren leicht, hielt ihn trotzdem kurz am Zügel, um rechtzeitig jedes Hindernis nehmen zu können. Wir flogen wie losgeschnellte Pfeile dahin, wir tauchten in den Wald ein, die Bäume, meist Eichen, standen weit auseinander, und Izanas Schatten glitt vor uns her wie ein Gespenst. Sie hatte sich ganz tief an den Hals ihres Pferdes geschmiegt, sie mußte wissen, wer hinter ihr war, – zum zweiten Male ließ Taskamore den schrillen Schrei ertönen, aber seine Hoffnung, das Mädchen würde das Spiel aufgeben, war trügerisch.

Eine ungewisse Ahnung, daß es sich hier zwischen Taskamore und Millerets Tochter um mehr als nur eine hartnäckige Verfolgung handelte, ward allmählich zu unumstößlicher Gewißheit. Als Izanas Pferd einmal stolperte und zu stürzen drohte, hörte ich über meines Bruders Kamo bisher fest verkniffenen Lippen einen leisen Angstschrei dringen. Izanas Rotschimmel, ein sehr hochbeiniges Tier, war ermüdet, abermals stolperte es, und da zudem noch dicht vor uns ein breiter Bach mit starkem Gefälle und brausenden, schäumenden Wassern auftauchte, während zu beiden Seiten undurchdringliche Waldstreifen die Prärie einengten, gab das Mädchen die weitere Flucht endgültig auf und warf den Rotschimmel herum und zeigte uns ihr durch das Halbdunkel der Sternennacht krankhaft bleich beleuchtetes schmales Gesicht.

Dieses Mädel, in Seattle ohne Frage große Dame, hier in der Wildnis nur kerniges Grenzerkind voll ungezügelter Kraft und heißblütigem Temperament, hatte durchaus nicht die Absicht, sich uns wehrlos in die Hände zu liefern, obwohl ihre warnenden Eulenrufe vorhin bewiesen, daß sie sich innerlich vollständig von ihrem Vater losgesagt hatte.

Sie riß ihre Büchse hoch – daß Milleret sich inzwischen irgendwo Patronen besorgt hatte, war bei seinen Beziehungen zu kanadischen Siedlungen kein Wunder –, – ihre helle klare Stimme gebot uns feindselig ein drohendes Halt, und damit wir ja nicht über ihre Entschlossenheit, ihre Freiheit bis aufs äußerste zu verteidigen, im Ungewissen blieben, feuerte sie rasch hintereinander zwei Kugeln in den steinigen Boden.

Taskamore ließ seinen Braunen in Schritt fallen und hielt nun kaum zwanzig Meter von ihr.

Ich drängte meinen Fuchs mehr zur Seite und war aufmerksamer Zuschauer dessen, was sich nun hier in der schweigenden Nacht in packenden Szenen als urwüchsiges Teilbild des großen Gemäldes „Geiser der Träume“ abspielte.

 

10. Kapitel.

Die Nachtblume von Seattle.

Izana Milleret war der Filzhut bei der wilden Jagd ins Genick gerutscht. Der Mond schien ihr voll in das bleiche Gesicht. Ihre großen dunklen Augen waren wie schwarze, matt schillernde Löcher, das Haar hing ihr über Stirn und Ohren, aber ihre Haltung im Sattel, ihre schußbereite Büchse, ihr regungsloses Tier, sie ebenso ohne merkliche Bewegung, waren eine einzige ernste Drohung.

Taskamore betrachtete sie eine Weile.

Sie warf hochmütig den Kopf zurück, – noch hochmütiger klang ihr Zuruf:

„Wie dürfen Sie es wagen, mich hier wie eine Banditin zu hetzen?! Entfernen Sie sich, – Sie wissen, wer ich bin!“

Taskamore schwieg.

Vielleicht war es gerade dieses vielsagende Schweigen, das Izana noch mehr reizte.

„Also – was wollen Sie eigentlich, Taskamore? Ich denke, wir sind nun fertig miteinander, Ihre Aufdringlichkeit verbitte ich mir!“

Taskamore schwieg.

Und die Nachtblume von Seattle, bis zum äußersten aufgebracht aus Gründen, die ich nur ahnen konnte, jagte ihrem Rotschimmel die Sporen in die Weichen und war mit vier rasenden Galoppsprüngen dicht vor uns.

„Bastard, sind Sie stumm geworden?!“, schrie sie ihm völlig von Sinnen in das unbewegte, eherne Gesicht. „Welche Frechheit von einem elenden Mischblut, mir nicht einmal zu antworten!! Kehren Sie um mit Ihrem sauberen Kumpan, der wohl auch …“

Ihr Blick streifte mein Gesicht, sie erkannte mich, sie hob sich mit einem Ruck im Sattel …

„Abelsen – – Sie?!“

„Ja, El Gento“, erwiderte ich ernst. „El Gento, Taskamores Freund und Bruder. El Gento nennen mich meine Araukanerfreunde, – wie ich Sie nennen soll, weiß ich nicht recht, denn was Sie soeben Taskamore ins Gesicht schleuderten, erinnerte mehr an zügellose Furien aus qualmerfüllten Hafenkneipen … Ein Mädchen, das anscheinend Taskamore zu großem Dank verpflichtet war und nun glaubt, diesen Dank durch zwei warnende Eulenrufe abgestattet zu haben, benimmt sich nicht so!“

Die Worte mußten sie wie Ohrfeigen treffen und sollten es auch. Izana hatte diese Abfuhr verdient. Ich merkte es Taskamores Gesicht an, wie schwer ihn diese beleidigenden Anwürfe bis ins Innerste verletzt hatten.

Er hatte den Kopf etwas gesenkt und streichelte zerstreut den schweißfeuchten Hals seines Pferdes.

Kain war kaum mehr am Lasso zu halten. Hätte ich ihn freigegeben, würde er Izana an die Kehle geflogen sein.

Und Izana?

Sekundenlang verhielt sie sich wie erstarrt. Ihre Züge erschienen noch bleicher. Ihre Augen waren seitwärts ins Leere gerichtet.

Dann entfiel ihren Händen die Büchse, glitt ins Gras, und Izana schlug diese in Wildleder mit Stulpen steckenden Hände gegen das Gesicht und sank im Sattel kraftlos zusammen. Ein dünnes, gequältes Schluchzen kam aus ihrer Kehle, ihr Leib zitterte unter dem Ansturm mir noch unklarer Empfindungen, und wieder nach Sekunden kam es wie ein bebendes Flehen zwischen den schützenden Händen hervor:

„Verzeihen Sie mir, Taskamore, – – ich bitte Sie, – – verzeihen Sie mir!“

Taskamore richtete sich straff auf.

„An der Meinung eines Bastards über Sie wird Ihnen kaum viel liegen, Miß Milleret.“ Eisiger, hochmütiger hätte selbst dieses jetzt so tief gedemütigte Mädchen nicht sprechen können. „Sie haben recht, – wir sind jetzt fertig miteinander … für alle Zeit. – Mein Bruder El Gento möge mir folgen. Es gilt eine andere Fährte zu finden und einen feigen Schützen, der nebenbei ein großer Verbrecher ist, den Gerichten auszuliefern.“

Er ließ seinen Braunen antraben, lenkte nach Norden ein und hatte für das Mädchen, das ihm jetzt mit schlaff herabhängenden Armen und tränenfeuchten Wangen nachstarrte, auch nicht einen einzigen Blick mehr.

Irgend etwas, das stärker war als meine Empörung gegen dieses anmaßende junge Weib, hielt mich noch auf dem Platze zurück.

„Wie konnten Sie nur, Miß Milleret, – das vergißt er Ihnen nie!“, sagte ich leise und bereits mit einigem Mitgefühl. „Ich kenne Ihre bisherigen Beziehungen zu Taskamore nicht, – das eine wissen Sie vielleicht besser als ich: Wenn ein Mann in den Grenzlanden so verehrt wird wie er, wenn dieser Mann mehr weißes als indianisches Blut in den Adern hat und …“

„Taskamore!!“

Sie hatte wohl kaum auf meine Worte hingehört, sie war aus ihrer Erstarrung erwacht, und dieser verzweifelte, sehnsüchtige, flehende Ruf, der von ihren Lippen über die stille nächtliche Wildnis flog, bedeutete mehr als nur Reue! Das war Liebe, Leidenschaft, die irgendwie in die Irre gegangen war, – das war allerletztes Hoffen auf Versöhnung, auf Mitleid …

Und nochmals erklang dieses „Taskamore!!“, – aber schwächer, trostloser, denn der, dem es galt, tauchte bereits im Baumschatten unter.

Ich wandte mich weg. Izana Milleret hatte ihre Arme um den Hals des Pferdes geschlungen und das Gesicht in die Mähne gedrückt.

Ich flüchtete vor Frauentränen … Ich konnte ihr nicht helfen, ihm erst recht nicht. Ich durfte es nicht einmal wagen, das soeben Erlebte vor Taskamore irgendwie zu erwähnen. Ein Mann seines Schlages macht solche Dinge ganz allein mit sich ab.

Als ich ihn eingeholt hatte, hing er seltsam müde im Sattel. Er sprach nichts, ich sprach nichts, und erst als wir auf John Millerets Fährte stießen und Kain die Spur sofort annahm, sagte er hart und erbarmungslos:

„Galopp, El Gento!! Der Schurke muß die Kugel spüren, bevor er das Lager seiner Leute wieder erreicht!“

Milleret hatte einen vielleicht allzu großen Vorsprung – – hoffte ich! Ich war mit einer so strengen Abrechnung, wie Taskamore sie beabsichtigte, keineswegs einverstanden. Nicht deshalb, weil ich das eiserne, uralte Gesetz der Wildnis, dieses Gesetz der Starken und Gesunden, das da heißt „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, nicht anerkannte. Wenn es aber zutraf, daß Milleret sowohl Harold Ranks als auch Chester Bry und den Japaner Siwura ins Zuchthaus gebracht hatte, wenn dieser Schurke noch mehr Schandtaten auf dem Gewissen hatte, dann war für ihn der rasche Tod durch eine Kugel keine genügende Strafe.

Taskamore mußte abermals erraten haben, was meine Gedanken beschäftigte. Seine Körperhaltung, sein Gesichtsausdruck bewiesen, daß er Izana Milleret und die Szenen von vorhin aus seinem Gedächtnis bereits gestrichen hatte.

„Mein Bruder mag zuhören“, begann er, während wir über eine offene, wellige Prärie dahinflogen. „Ein uralter Siouxindianer vom Stamme der Ogellallahs wurde nach dem Niedergange seines Volkes irgendwie nach San Franzisco verschlagen, wo er den Fremden selbstgeschnitzte Messer und anderen Tand anbot. Als er eines Tages im Munde heftige Schmerzen verspürte, begab er sich zu dem als sehr menschenfreundlich bekannten Zahnarzt Chester Bry, der wieder bei schwierigen Kieferkrankheiten mit jenem japanischen Arzt Doktor Siwura zusammenarbeitete. Siwura seinerseits war mit Doktor Ranks befreundet, der zunächst auch in San Franzisco sich aufhielt, dann jedoch die Irrenabteilung des Zuchthauses in Seattle übernahm. – Mein uralter Stammesgenosse mußte operiert werden, Doktor Siwura machte die Narkose, und im Chloroformrausch gab der Greis unwissentlich ein Geheimnis preis, von dem nur wenige Leute des Siouxvolkes etwas ahnten. Es handelte sich um den „Geiser der Träume“, wie er von den Eingeweihten genannt wurde. Der Greis verstarb kurz nach der Operation an Herzschwäche, Chester Bry und der Japaner beschlossen, während einer Erholungsreise Harold Ranks mit ins Vertrauen zu ziehen und dem Geheimnis weiter nachzuspüren. Als sie in Seattle anlangten, besprachen sie in Ranks Wohnung die dunkle, aber verheißungsvolle Angelegenheit, ohne dabei genügend Vorsicht zu beobachten. Ranks’ Diener, der bereits Siwuras Briefe heimlich gelesen hatte, belauschte die drei, eilte zu Milleret und bot den Brüdern Milleret das wertvolle, bisher unbekannte und ungelöste Rätsel zum Kaufe an. – Dies habe ich durch meine Leute einwandfrei feststellen lassen. – Jener Diener ward nie mehr gesehen, zweifellos ist er ermordet worden. Zwei Tage später richtete es Milleret so ein, daß er Ranks, den Neger und Siwura heimlich nachts zu einer Besprechung in seine Villa lockte, indem er am Telephon andeutete, auch er sei über den Geiser der Träume recht gut unterrichtet. Das Ganze war eine Falle. Millerets Einfluß genügte, einen versuchten Einbruch in die Villa zu konstruieren, bei dem – angeblich von den drei Ertappten – ein Beamter erschossen und einer schwer verletzt wurde. Die drei kamen vor Gericht, übersahen die Zusammenhänge nicht recht, mochten auch das Geheimnis nicht preisgeben und wanderten für Lebenszeit ins Zuchthaus. – Als ich weit später hiervon Kunde erhielt, begannen meine Nachforschungen, da doch so einiges über die Wahrheit an die Öffentlichkeit gedrungen war. Es gelang mir, die drei schuldlos Verurteilten durch Bestechung einiger Wärter zu befreien. Das dazu nötige Geld verschaffte ich mir dadurch, daß ich vier der goldenen Manitu-Statuen, die Ret Hand mir überließ, an John Milleret durch einen Mittelsmann verkaufte, und dies in doppelter Absicht: Einmal wollte ich die drei befreien, dann aber auch John Millerets Habgier erregen und ihn zu Unvorsichtigkeiten verführen, denn in Seattle selbst war er für mich unangreifbar. Mein Mittelsmann hatte angedeutet, woher die Statuen stammten und daß wahrscheinlich noch weit mehr davon vorhanden seien. Dies und das ungelöste Geheimnis des Geisers der Träume genügten, John Milleret in die Horn-Berge zu locken. Er hatte seine Vorbereitungen so in aller Stille getroffen, daß ich etwas zu spät davon erfuhr. – Inzwischen hatten noch zwei andere Parteien, denen das Geheimnis des Geisers keine Ruhe ließ, sich schon vorher dort nach den Horn-Bergen aufgemacht. Die Befreiung Ranks’, Chester Brys und Siwuras war doch nicht ganz nach Wunsch verlaufen. Ich hatte geplant, die drei mit Geldmitteln zu versehen und ins Ausland zu schicken. Die Flucht wurde zu früh bemerkt, die drei konnten meinen Beauftragten nicht erwarten und kämpften sich schließlich doch bis zu den Horn-Bergen durch. Sie waren die ersten, die in Ret Hands Grottental eintrafen. Als nächste erschienen dort James Milleret, der sich mit seinem Bruder entzweit hatte, und der Mexikaner Portano sowie Gaby Mills, die der schlaue James in aller Stille aus San Franzisco zu sich bestellt hatte. Er gedachte sie, die von John Milleret um ihr mütterliches Erbe betrogen worden war, nötigenfalls gegen seinen Bruder auszuspielen. Gaby ahnte nichts von den wahren Absichten ihrer Begleiter, hörte nur gelegentlich in deren leiser Unterhaltung den Ausdruck „Geiser der Träume“ und schöpfte allmählich Verdacht, daß es sich nicht lediglich um angeblich gestohlene goldene Statuen handele. – Was James im Sinne hatte, ist unschwer zu erraten: Genau dasselbe wie sein Bruder John, nämlich Ret Hand durch höllische Martern zu zwingen, die Lösung des Geheimnisses des Geisers [zu][7] verraten! Alles weitere ist meinem Bruder El Gento bekannt. Ich brauche nichts mehr hinzuzufügen. Nur das eine: Dir verdanke ich es, daß ich jetzt alles weiß, nur dir!“

„Mir?!“

Unsere Pferde waren plötzlich in Schritt gefallen, standen still. Aber desto toller zog Kain an der Lederleine, desto wilder keuchte er, aus seiner Brust kam das tiefe, warnende, gereizte Grollen, das ich an ihm längst kannte.

Taskamore hob sich in den Bügeln, schaute vorwärts, drängte seinen Braunen noch drei Meter weiter, und ich tat es ihm nach. Da erst konnten wir über das Gestrüpp der hier fast senkrecht abfallenden Steinwand hinabschauen in die kahle, von fünf Feuern mäßig erhellten Schlucht, konnten die um die Feuer lagernden Gestalten erkennen und sahen, daß wir Millerets Leute vor uns hatten. Es ging recht lebhaft zu dort in der Tiefe, mehr oder weniger schienen die ganzen Banditen betrunken zu sein, gröhlende Stimmen drangen zu uns empor, einige Kerle tanzten, die schrille Musik von selbstgeschnittenen Weidenflöten klang wild und aufreizend durch das feierliche Schweigen der großen Einsamkeit, die auch hier noch keinen Siedler, keinen Farmer duldet. Nur die Nähe des großen Stromes des Nordlandes, des Mackenzie, bietet in diesen unendlichen Wildnissen einen bequemen Verkehrsweg. Und der Mackenzie lag bereits weit hinter uns.

Taskamore beobachtete schweigend das tolle Treiben und knickte dann am nächsten Busch einige Zweige, die er in besonderer Art ineinander verflocht. „Mein Bruder El Gento“, sagte er gedämpft, „denkt jetzt an das Mädchen, das mich einen Bastard nannte. Izana Milleret unter dieser betrunkenen Horde wäre schutzlos. Ihr Vater hat seine Leute im Stich gelassen und ist weiter geflüchtet. Da – schaue deinen Wolf an, er drängt nach links, Millerets Fährte verläuft weiter nach Südost. Nicht einmal auf sein Kind hat er Rücksicht genommen. Aber drei meiner Stammesgenossen werden in kurzem hier sein, und diese Zweige befehlen ihnen, das Mädchen abzufangen. – Reiten wir weiter …“

Abermals trabten wir dahin durch die kühle Nacht. Abermals sprach Kamo mit seiner tiefen, klaren Stimme:

„El Gento wundert sich … Und doch ist es so: Dir verdanke ich die Lösung eines Rätsels, die mir Ret Hand stets verweigerte. Er betonte stets, ich hätte übergenug an Reichtümern durch die uralten, heiligen Statuen. Und auch Roger Tounens Wunsch sei es gewesen, den Geiser nie mehr springen zu lassen. Du nahmst – ein Zufall, und doch Schicksalsfügung – von Ret Hands Grottenwand das alte, reich verzierte Schlachtbeil. Du stecktest es in deinen Gürtel, El Gento, und beobachtetest nicht die Schnitzereien des hölzernen Stiels, die blauen und roten Figuren und andere Kerben. Diese indianischen Schriftzeichen, El Gento, lieferten mir die Lösung, – so ist es, und wir beide, mein Bruder und Freund, werden den Geiser der Träume springen lassen, und deine Augen sollen schauen, was bisher nur wenige schauten und als erster Roger Tounens, mein Ahn!“

Kain, der drei Meter weit schräg vor mir war, machte plötzlich mitten im Sprunge einen Buckel, ließ sich auf die Füße fallen und reckte den Kopf weit vor.

Wir rissen die Pferde zurück, glitten aus den Sätteln, lagen zwischen Steinen und Grasbüscheln.

Taskamore sog die Luft prüfend ein.

„Holzfeuer, El Gento … Pferdegeruch …“

Vor uns senkte sich der Boden, dichtes Gestrüpp schien hier eine Mulde zu umrahmen.

Ich kroch behutsam nach links, Taskamore nach rechts. Aber Kain sträubte sich, bis ein paar scharfe Rucke ihn zur Vernunft brachten. Widerwillig schlich er hinter mir drein.

Sollte etwa John Milleret so leichtsinnig gewesen sein, hier zu lagern?! Oder waren es Fallensteller, die dort in den Büschen steckten?! – Minuten später standen Taskamore und ich vor zwei Toten, die noch halb in ihre Wolldecken gehüllt waren. Jemand hatte sie im Schlaf überrascht und mit einem Beil erschlagen. Das Lagerfeuer qualmte nur noch schwach, abseits waren zwei Pferde angepflockt, die mit hängenden Köpfen uns gleichgültig anstarrten.

Die Toten waren James Milleret und der Mexikaner Austin Portano, der als „Sergeant Jarley“ so überaus lichtscheu gewesen.

„Brudermord!“, sagte Taskamore leise.

Dann bedeckte er die Toten mit Steinen und Zweigen, ich half ihm dabei, und Kain saß daneben und murrte dumpf.

Bevor wir aufbrachen, schritt ich noch zu den Pferden hinüber. Beide trugen Wolldecken, aber das eine war noch schweißfeucht, es war Millerets Tier, das er hier gegen eines der ausgeruhten Pferde seiner Opfer vertauscht hatte.

Taskamore stand abwartend da. Als ich ihm meine Beobachtung mitteilte, meinte er nur: „Mein Bruder El Gento ist klug. Wir werden noch bis zum Ufer des Gattyl-Creek reiten und dort ruhen. Ich fürchte, John Milleret entgeht diesmal der Kugel noch. Unsere Tiere sind ermüdet, das seine frisch. Wir finden ihn später …“

 

11. Kapitel.

Kampf im Nebel.

… In einer versteckten, schwer zugänglichen Schlucht der wilden Teton-Berge, die den Nationalpark nach Süden begrenzen, steht eine Blockhütte zwischen hohen Tannen. Schnee und Eis umlagern die Hütte, die ganze Bergwelt ist in Winterschlaf versunken, Stürme umheulen diese höchste Kuppe der Teton-Berge, Windstöße verirren sich bis in unseren Kamin hinab und lassen das Feuer in zischenden Flammen zur Seite schießen.

Ich kenne jetzt den Geiser der Träume, aber wir besuchen ihn nie mehr. Was er uns spendete, liegt wohlverwahrt unter den Dielen der Hütte in einem Versteck, und sobald uns Meldung zugeht, daß die Jagd nach Taskamore und Abelsen von der Polizei eingestellt ist, werden wir dieses Land für immer verlassen. Taskamores Vertraute halten in Seattle die Schonerjacht bereit, mit der wir neue Pfade abseits vom Alltag aufsuchen werden – irgendwo, irgendwohin …

Dieses wunderliche, geheime Dasein mit all seinen Vorsichtsmaßregeln, seinen Streifzügen, seinen Besuchen der großen Wunder der vulkanischen Gewalten im Yellowstone-Park hat auch seine Reize. Das große Gebiet des Naturschutzparkes hält Winterrast. Meterhoch liegt der Schnee über Bergen und Terrassen, nur die Geiser und Schlammvulkane lassen sich durch die Kälte nicht bändigen, in weitem Umkreis schmilzt der Schnee durch die Hitze der Springquellen hinweg, und vielleicht wirken diese Riesenfontänen, die da in Unterbrechungen aufsteigen und dichteste Dampfwolken erzeugen, zur Winterzeit noch überwältigender.

Taskamore ist immer still und ernst. Ich weiß, was an seinem Herzen nagt, aber wir berühren dieses Thema niemals. – –

„Wir finden ihn später“, hatte Freund Kamo gesagt, als er einsah, daß Milleret mit dem frischen Pferde uns entkommen mußte. Dann waren wir der Fährte bis zum Gattyl-Creek gefolgt, überzeugten uns, daß Milleret die Flucht wirklich fortgesetzt hatte, und gönnten uns und den Tieren endlich Ruhe. Unser Lagerplatz war eine Lichtung am felsigen Südufer, ein Felsenhof mit nur einem Zugang, den wir durch Dornen verschlossen und durch Kain bewachen ließen. Hohe alte Eichen, Blutbuchen und Tannen umgaben die bemoosten Felsen, in deren Ritzen sich Dornen und Brombeeren und Gräser eingenistet hatten.

Taskamore streckte sich sofort nach der kurzen Nachtmahlzeit neben dem Feuer zum Schlafe nieder. Wie alle Menschen, die als halbe Naturkinder leben, schlief er auch sofort ein. Ich selbst hatte gegen diesen Lagerplatz so manches einzuwenden, und der Gedanke, daß da hinter uns nach Osten zu Millerets Bande die Nacht im Trunk durchjubelte, bereitete mir Unbehagen. Die Leute waren sämtlich auserwählte Cowboys, also tadellose Reiter und Schützen, vertraut mit der Wildnis und erfüllt von Haß und Feindseligkeiten gegen uns, denen sie das Mißlingen des großen Beutezuges zuschrieben.

Sinnend betrachtete ich, noch am Feuer sitzend und an einer Zigarre saugend, die an sich recht malerische Umgebung.

Ich wurde immer munterer … Ich betrachtete nochmals die gewaltigen Bäume, die ihre schenkeldicken Äste über die Felsen hinwegreckten. Ich hätte doch dagegen Einspruch erheben sollen, diesen Platz zu wählen. Wir konnten hier abgeschossen werden wie armselige Kaninchen!

Und wiederum musterte ich die Baumkronen. Sie gefielen mir am allerwenigsten. Sie rauschten im Nachtwind mit dem ganz nahen Fluß um die Wette, aber diese Geräusche übertönten auch leider jeden verdächtigen Laut.

Taskamore schlief. Vielleicht hatte er sich seit Tagen keine Ruhe gegönnt meiner Befreiung wegen, – welche unerhörte Arbeit mußte es schon gewesen sein, in so kurzer Zeit die Stämme für das Floß zu fällen und den feinen Plan dort an den Stromschnellen vorzubereiten! Ich dagegen hatte in meiner Zelle und auf dem Dampfer mich gründlich ausgeschlafen. Meine Pflicht war es daher, hier für unsere Sicherheit zu sorgen. Ich erhob mich lautlos, nahm die Büchse und schlich zur Ostseite der Felsen, warf noch einen Blick zu Kain hinüber, der friedlich mich anblinzelte, reckte mich hoch, erwischte einen Buchenast und zog mich empor, kletterte durch die Krone, bis ich freien Ausblick nach Osten hatte, und sah … nichts, nichts als feine, graue Herbstnebelschwaden, die irgendwoher aus sumpfigen Niederungen mit dem Winde über die einsame Prärie schwebten. Zuweilen lichteten sich diese feuchtkalten Gebilde, dann erschienen für Sekunden Baum- und Strauchgruppen, Felsstücke und fahle Grasstreifen. Ich strengte die Augen über Gebühr an, – – und ich glaubte etwas zu sehen, das nicht in das Landschaftsbild hineinpaßte, einen fernen, beweglichen Fleck, – dann schlossen sich die grauen Vorhänge abermals, und die Nebelwand klebte nun auch hier zwischen den Baumkronen und spottete aller Bemühungen, nochmals jenen beweglichen Punkt mit den Augen zu erhaschen.

Ein Reiter?! Oder nur ein Hirsch oder ein Elch? – Es war schwer zu sagen … – Ich horchte, – doch der Nebel fängt Geräusche ab, dämpft sie, täuscht das Ohr …

Bis ein Schuß, im nächsten Baume abgefeuert, die bedrückende Ungewißheit sprengte, und der gellende Aufschrei eines Menschen und der schwere Fall eines Körpers sowie Kains grollendes Heulen mir bewiesen, daß mein Verdacht doch nicht grundlos gewesen.

Taskamores Stimme kam gedämpft aus dem nahen Astgewirr: „Hallo, El Gento, – zurück, – – Deckung nehmen!“

Die zischende Bleisaat, die an mir vorüberfegte, hätte mich vielleicht erwischt, wenn ich nicht sofort bis zum Stamm des Baumes zurückgerutscht wäre.

Kampf im Nebel … Unsichtbare Gegner, – Schüsse hier, Schüsse dort, – und sonst kein Laut als das Rauschen der bunten, welken Blätter und der immergrünen Tannen und das Stöhnen der Verwundeten, die da irgendwo am Boden lagen, dazu Kains wütende langgezogene Heultöne, die mit ihrem schrillen Mißklang noch stärker an den Nerven zerrten wie diese ganze ungemütliche, spukhafte Situation.

Millerets Banditen wollten uns hier um jeden Preis erledigen. Sie hatten uns eingekreist, ihren Späher hatte Taskamore aus einer Baumkrone herabgeholt, aber auch hinter uns knallte es, fahle Blitze zuckten im Nebel auf, – ein stiller, erbitterter, letzter Kampf, dessen Ausgang kaum zweifelhaft sein konnte.

Noch immer lehnte ich an dem feuchten, bemoosten, runden Buchenstamm, die Büchse im Anschlag, – Rindenstücke flogen umher, sobald ich durch einen Schuß meine Stellung verraten hatte.

Ich kletterte zwei Astgabelungen tiefer, hielt die Büchse am kurz geschnallten Riemen zwischen den Zähnen, tastete mit dem rechten Fuß nach unten, ließ den Körper schlaff herabhängen und hörte einen kurzen, fauchenden Laut, spürte einen Ruck am rechten Bein, dazu einen Schmerz in den Zehen, als ob diese in eine Raubtierfalle geraten wären. Ebenso jäh hängte sich an denselben Fuß ein schweres Gewicht, meine Hände glitten an der nassen Rinde entlang, fanden keinen Halt mehr, ich rutschte, – ich wußte, was an meinem Fuße hing, die scharfe Ausdünstung sagte es mir, – und ich fuhr hinab in den hohlen Baum, in die Wochenstube einer Panthermutter, ließ die Büchse fallen, riß das Messer heraus, riß mit der Linken den Hut vom Kopfe, um ihn als bescheidenen Schild zu benutzen, stieß mit dem linken Fuß gegen etwas, das jämmerlich aufkreischte, und stach im Dunkeln blindlings zu, – doch nicht ganz blindlings, denn die grüngelben Lichter der Bestie waren dicht unter mir.

Aber – – sie erloschen, der Panther fiel zurück, schnellte nochmals hoch, stieß mich gegen den morschesten Teil der Baumwandung, mit mattem Splittern gab die Rinde nach und ich kollerte ins Freie, spürte am Gesicht etwas Kaltes, den Lauf meiner Büchse, sprang empor, – – und aus dem tückischen Nebel drang eine Stimme, die mir den Herzschlag stocken ließ …:

„Taskamore – – zu Hilfe, – – Taskamore, hier ist …“

Ein Schuß, ein Schrei …

Über mich hinweg fliegt ein Mann, der wie ein Schatten in der Richtung des Schreies verschwindet, ein Mann, der das Schlachtbeil des greisen Ret Hand in der Hand schwingt, ein Mann, den ich dann in der Ekstase des Blutrausches seiner kriegerischen Ahnen neben mir kämpfen sah – – im Nebel, in diesem häßlichen, kalten Gebräu des Herbstes, das die Menschen zu Riesen oder Zwergen verändert, das trotzdem die fünf betrunkenen Schufte nicht schützte, die hier in der kahlen Mulde über Izana Milleret hergefallen sind …

Pistolenschüsse knallen, Taskamores gellender Kampfschrei ist verwirrende Begleitmusik zu vernichtenden Beilhieben, – als ich dort erscheine, kann ich gerade dem letzten noch den Fangschuß geben, das Mädchen an mich reißen und zurücklaufen zu der hohlen Buche, in der das Pantherjunge kläglich winselt. Kugeln spritzen wie Hagelschlossen, – schwer liegt die Bewußtlose mir in den Armen, ich lasse sie zu Boden gleiten, trete auf den toten Panther, zerre den Kadaver ins Freie …

„Taskamore, hierher …!!“

Nur der Schrei des Adlers antwortet rechts von mir, – dann dort ein Feuerstrahl, noch einer, – – und irgendwo Harold Ranks unverkennbare Stimme, spöttisch-überlegen:

„Teufel auch, suchen Sie sich ein anderes Ziel, Taskamore!!“

Abermals bricht die Hölle über uns herein, – – ein vielstimmiger Chor brüllt den Schlachtruf der Siouxindianer, der Nebel deckt mildtätig die Stätte einer blutigen Abrechnung, und als der frische Morgenwind die Schwaden zerreißt und die bleigraue Dämmerung beginnt, tragen Taskamores Leute still und finster die Toten nach einem nahen Sumpf …

Nicht einer ist entkommen, durfte nicht entkommen, – nicht einer der Stammesgenossen Taskamores ist verletzt …

Und dort in unserem Lager steht Izana Milleret mit zerrissener Bluse, zerkratztem Gesicht wiederum Taskamore gegenüber.

Nur ich bin Zeuge, nur Kain …

Was Izana spricht, höre ich nicht. Nur ihre Körperhaltung, ihre Gesten, ihre Tränen verraten, daß sie abermals um Verzeihung fleht.

Ich sehe Taskamores steinernes Gesicht, seine Antwort verstehe ich:

„Miß Milleret, ich trage Ihnen nichts nach, ich bin nur ein armer Mischling, der nicht anmaßend genug ist, eine junge Dame bitten zu lassen … – Wir sind fertig miteinander – für immer!“

Eine knappe Verbeugung, und er schreitet davon. –

Während der zwei Wochen, die wir dann, jede Siedlung meidend, unserem Ziele zustrebten, hat Taskamore das Mädchen, das er liebt, mit eisiger Höflichkeit behandelt – – wie eine Wildfremde.

 

12. Kapitel.

Der Dom des Geisers.

Taskamores Leute hatten sich von uns noch an demselben Tage getrennt, an dem mehr Tote, als mir und meinem in solchen Fällen recht robusten Gewissen lieb war, in dem unergründlichen Sumpfe verschwanden. Ich ahnte Unannehmlichkeiten voraus, die notwendig durch diese berechtigte, aber in ihrem Endergebnis doch allzu blutige Abrechnung hervorgerufen werden mußten. Deshalb auch hatte Taskamore die Seinen heimgeschickt, er allein wollte die Verantwortung tragen, seine Leute konnten sich ganz unauffällig wie von einem längeren Jagdzug kommend in ihrem Dorfe wieder einfinden. Absichtlich wählten wir anderen dann auch eine nördlichere Richtung, beeilten uns nicht sonderlich, hielten gute Kameradschaft, fanden reichlich jagdbares Wild und litten nur ein wenig unter der unbeständigen Witterung.

Zwischen Izana und ihrer Stiefschwester Gaby Mills war sehr bald eine völlige Aussöhnung zustande gekommen, die hauptsächlich der Vermittlung von Harold Ranks zu danken war. Daß der famose Ranks mich jetzt als Lebensretter Gabys bei dem niedlichen Persönchen völlig ausgestochen hatte, tat mir nicht weiter weh. Gewiß, in den ersten Tagen war die temperamentvolle Gaby wohl noch etwas befangen und wich mir aus, doch ein paar liebe Worte unter vier Augen schufen hier wieder Klarheit.

Es war am elften Reisetage, als wir endlich die kleine versteckte Hütte in den Teton-Bergen erreichten, in der wir noch jetzt hausen. Taskamore hatte sich sofort wieder unauffällig entfernt. Wohin, das wußte nicht einmal ich.

Wir alle standen unter dem seelischen Druck dessen, was unser nach Dunkelwerden wartete. Spukhaft hatte der Geiser der Träume immer wieder in der Hochflut von Ereignissen der letzten Wochen eine geheimnisvolle Rolle gespielt. Worin seine Besonderheit, sein immer wieder unklar betonter materieller Wert bestand, ahnten wir nicht. Nachher am Kaminfeuer der Hütte ergingen wir uns in allerlei Vermutungen, bis bei Einbruch der frühen Dämmerung Taskamore eintrat, den Schnee von den Stiefeln stampfte, uns zwanglos-herzlich begrüßte und sich zu uns setzte.

„Ich habe alles so vorgefunden, wie ich es zuletzt gesehen“, erklärte er mit einer gewissen Feierlichkeit. „Der erste, der dies Wunder schaute, der den Namen „Geiser der Träume“ mit der romantischen Veranlagung des reinblütigen Franzosen prägte, war mein Großvater Roger Tounens, Zwillingsbruder des Königs der Araukaner. Er fand das Wunder bei seinem Besuche des Parkes durch einen Zufall, dieser Besuch war auch gleichzeitig die Entdeckung dieses vulkanischen Paradieses und dessen Erschließung für die amerikanische Nation. Nachdem Tounens sich bei den Sioux eingelebt hatte, die hier ihre Lanzenspitzen holten, denn die eigentlichen Herren dieser Berge waren die Schoschonen, vertraute er sein Geheimnis den obersten Häuptlingen an, die den Beschluß faßten, den Geiser der Träume für alle Zeit zum Schweigen zu bringen. Sie, meine Freunde, werden das nachher erst richtig verstehen. Als ich achtzehn Jahre geworden, weihte Ret Hand mich bis zu einem gewissen Grade ein. Seitdem habe ich jedes Jahr einmal diese Einsamkeit aufgesucht und mich überzeugt, daß kein Fremder an dem Geheimnis gerührt hatte. Die Umstände, die den Geiser der Träume wieder in den Vordergrund des Interesses gewisser habgieriger Naturen rückten, kennen Sie. Mir wäre es nun niemals möglich gewesen, die allerletzten Aufschlüsse über den „Tod“ des Geisers und die Möglichkeiten, ihn wieder ins Leben zu rufen, zu erlangen, wenn nicht mein Bruder El Gento nach Ret Hands Ermordung ein Schlachtbeil an sich genommen hätte, dessen Schnitzereien am Stiel die Lösung des Rätsels gaben. Heute, als ich Sie, meine Freunde, hier allein ließ, habe ich die Angaben der Runenschrift nachgeprüft. Roger Tounens, mein Ahn, muß ein vollendeter Ingenieur gewesen sein.“

Wir brachen auf. Kain war empört, daß er zurückbleiben mußte. Armer Kerl, sein leises Heulen drang mir noch in die Ohren, als wir bereits das steile Ostende der Schlucht erklettert hatten und nach Umgehung eines Wasserfalles, der mit unheimlicher Kraft in die Tiefe stürzte, in einem Tannengehölz vor einem freigelegten Felsloche standen. – Wir setzten die Laternen in Brand, und als wir einige flache Terrassen abwärtsgestiegen waren, erkannten wir, daß dieser ganze Berg, zu dem auch diese Schlucht gehörte, hohl war, ein ungeheurer Dom, dessen mit Felsen bedeckte und von Nebengrotten durchzogenen Grundfläche etwa in einer Höhe mit dem Yellowstone-Park lag.

Eine angenehme Wärme herrschte hier. Und mitten im Steinboden der gewaltigen Grotte, gegen deren Ausdehnung das Licht unserer Laternen umsonst ankämpfte, gab es einen weiten weißen Kreis, der eine Krateröffnung wie einen Wall umschloß. Die weiße Masse war Kieselsinter, durchzogen von farbigen Streifen.

In diesem warmen Felsendom war noch etwas sehr eigentümlich: Wir vernahmen in Abständen von wenigen Minuten irgendwoher ein überlautes Zischen und Brausen, das vielleicht drei Minuten anhielt und dann wieder erstarb.

Taskamore erklärte ebenso wortkarg, der Geiser betätige sich jetzt durch einen zweiten Auspuff in einer in sich abgeschlossenen Nebenhöhle. Dann geleitete er uns in eine Nebengrotte, deren schmaler Zugang bisher offenbar von Menschenhand sorgsam und unauffällig verbaut gewesen war. Nach wenigen Schritten sahen wir aus einem Riß des Bodens einen sauber gehauenen Balken hervorragen, der durch eingekittete Eisenstäbe gestützt und auch durch eine eiserne Achse gehalten wurde.

Taskamore berührte den Balken mit den Fingerspitzen. „Dieser starke Hebel muß unten irgendwo eine Steinplatte bewegen, die stark genug ist, den Geiser abzulenken, also den Krater, den wir sahen, tot zu machen.“

Der Balken stand nicht senkrecht, sondern stark nach Norden geneigt.

„Mein Bruder El Gento möge mir helfen, die Kraft eines Mannes genügt nicht.“

Die Geräusche der in der abgeschlossenen Nebenhöhle spritzenden Springquelle verstummten gerade.

„Schnell!“, rief Taskamore, und seine Augen glühten auf, „dies ist der richtige Zeitpunkt!“

Auch Ranks packte mit zu.

Wir drei mußten alle Kraft anwenden, den Hebel nach Süden herabzudrücken.

„Kommt!“, – Taskamore eilte voran.

Wir standen nun in zwölf Meter Entfernung vor der Krateröffnung.

Noch eine Minute, und aus dem Loche quollen leichte Dämpfe empor, ein Zischen und Fauchen folgte, daß uns die Ohren dröhnten, dann schoß eine Wassersäule unter noch stärkerer Dampfentwicklung wohl vierzig Meter hoch, eine gewaltige Fontäne, deren ungeheure Stoßkraft sich nicht nur in dem sie begleitenden Lärm, sondern auch in dem Regen von Felsstücken äußerte, die irgendwo in der Tiefe losgerissen, mit emporgeschleudert und von der heißen Wassersäule ausgespien wurden. Das seltsamste aber war, daß die Wassersäule farbig leuchtete in einem matten, bunten Licht, daß auch die wirbelnden Dampfmassen Lichtreflexe zeigten und so zu phantastischen Gebilden wurden, in denen man allerlei sonderbare Köpfe, Figuren, Landschaften erkennen konnte.

Wir regten uns nicht.

Der Geiser der Träume berauschte uns.

Und noch keine halbe Minute hatte er unter ohrenbetäubendem Lärmen seine Schönheiten enthüllt, als Izana Milleret einen wahnwitzigen Schrei ausstieß.

Ein menschlicher Körper war dicht vor uns, triefend, entstellt, verbrüht, aus der Höhe des Geisers auf den Felsboden aufgeschlagen[8]: John Milleret!!

Izana sank mir bewußtlos in die Arme, – ich hatte im Augenblick die Zusammenhänge durchschaut: Milleret war heute Taskamore nachgeschlichen, Milleret war in den leeren Krater hinabgestiegen, und die Riesenfontäne hatte ihn bei seinem schäbigen Goldraub überrascht.

Denn das war der Wert des Geisers: Nicht Felsblöcke hatte er emporgeschleudert, nicht Steinbrocken, sondern Goldkiesel, eingebettet in dieses vulkanische Gestein!

Taskamore hatte uns einige der Steine gezeigt: Sie bestanden zur Hälfte aus reinem Golde!

Dann sank die dampfende Fontäne wieder zurück, Taskamore, Ranks und Chester liefen hin und drückten den Hebel herum, – – der Geiser war wieder tot.

Ich trug Izana rasch zur Hütte. Ich war mit ihr und Kain allein, sie kam wieder zu sich, und ihre ersten Worte waren:

„Begrabt ihn in der Grotte …!“

Still lag sie da, ohne Tränen.

Und als die anderen erschienen, als Taskamore ihr zartfühlend mitteilte, John Milleret habe ein ehrliches Grab in dem Riesendom erhalten, da erst schluchzte sie wie ein Kind, wir überließen sie Gabys Fürsorge und traten vor die Hütte. Hier lagen drei prall gefüllte Rucksäcke: Gold, – – für Ranks und Chester, Taskamores großmütiges Geschenk.

Nachher rief Gaby uns herein. Izana war wieder vollkommen gefaßt. „Ich habe die schriftlichen Beweise für Ranks und Chesters Schuldlosigkeit. Ich werde dafür sorgen, daß euch beiden nichts geschieht, daß eure Ehre wieder hergestellt wird. Meine Macht als die der reichsten Erbin von Seattle ist groß genug, euch zu schützen. Vielleicht könnte ich auch Taskamore und Abelsen vor …“

Taskamore wehrte ab. „Bemühen Sie sich nicht, Miß Milleret, mein Bruder El Gento und ich verlassen dieses Land, sobald meine Leute mir insgeheim eine seetüchtige Jacht besorgt haben. Der Seeweg ist der sicherste … Ich danke Ihnen für Ihre guten Absichten!“

Bereits zwei Stunden später waren wir beide mit Kain allein in der Schlucht. Der Abschied war still, ohne viel Worte, aber die Händedrücke und die Sprache der Augen bezeugten, wie nahe uns allen dieses Scheiden ging.

An diesem Abend hatte Taskamore dann kein Wort mehr gesprochen – –

Und an diesem Abend, jetzt nach Wochen, klopfte es zaghaft gegen die Hüttentür.

Izana Milleret trat ein, blieb verlegen stehen, und langsam erhob sich Taskamore von seinem Schemel am Kamin und starrte sie groß an.

Izana kämpfte mit Tränen.

„Ich … ich habe die Jacht besorgt“, flüsterte sie stockend. „Alles ist zur Abreise vorbereitet. Ich bitte Sie herzlich, Taskamore, nehmen Sie dieses Geschenk von mir an – – der großen Liebe wegen, die ich Ihnen, im Herzen eine Bettlerin, entgegenbringe.“

El Gento, Zuschauer und Hoffender, tat in diesem Falle das einzig Richtige. Er nahm seinen Kain an die Leine und schlich leise hinaus in die sternenklare Winternacht, suchte einen Platz auf, von dem man Ausblick in das Wunderland des Yellowstone hat, und … hoffte auf ein Wunder.

Das Wunder kam.

Kam Arm in Arm, eng umschlungen …

Der Vollmond beleuchtete zwei strahlende Gesichter, und in Izanas Augen lag der Zauberglanz endlich errungenen, traumhaften Glücks wie der Schimmer der milden Farbenpracht des Geisers der Träume …

 

Nächster Band:

Die Erdölpiraten.

 

 

Anmerkung des Verlages:

  1. ↑* Vergleiche hierzu die historischen Angaben in Abelsen, Band 3, über den König Orelio Antonio I. von Araukanien[9].

 

 

Anmerkungen:

  1. „Rohheit“ / „Roheit“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Bandübergreifend und einheitlich auf „Roheit“ geändert. Die Schreibweise Roheit ist erst seit der Rechtschreibereform von 1996 nicht mehr korrekt.
  2. In der Vorlage steht: „Nuggetts“.
  3. In der Vorlage steht: „Galegos“ – Einheitlich und bandübergreifend auf „Gallegos“ geändert.
  4. „Yellowstonepark“ / „Yellowstone-Park“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Bandübergreifend und einheitlich auf „Yellowstone-Park“ geändert.
  5. In der Vorlage steht: „er“.
  6. „Kordilleren…“ / „Cordilleren“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Bandübergreifend und einheitlich auf „Kordilleren“ geändert.
  7. Fehlendes Wort „zu“ ergänzt.
  8. In der Vorlage steht: „aufschlagen“.
  9. Man findet gleich zwei Fehler in der Anmerkung des Verlages. Dort steht: „Vergleiche hierzu die historischen Angaben in Abelsen, Band 1, über den König Aurelio Antonio I. von Araukanien.“, tatsächlich ist es aber Band 3 und der König wurde dort „Orelio“ geschrieben. Die korrekte Schreibweise wäre Orélie Antoine de Tounens, im Spanischen kann Orélie aber auch als Orelio oder Aurelio übersetzt werden. Daher bandübergreifend und einheitlich auf „Orelio“ geändert.