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Die Erdölpiraten

 

 

Olaf K. Abelsen

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

Die Erdölpiraten

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a. d.

Schwedischen von

M. Schraut

 

– Band 24 –

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1929 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.

 

1. Kapitel.

Die Jacht Medusa.

Wenn Kaptain Rucks uns im Salon, Größe vier mal vier Meter, olle Kamellen erzählte, wobei er unweigerlich von dem schmalen Pfad der Wahrheit mit seinen kurzen X-Beinen häufig abglitt und in die Gefilde phantastischen Seemannsgarns sich verirrte, war der Grogkonsum seinerseits einfach verblüffend.

Als wir die amerikanische Pacifik-Hafenstadt Seattle kaum verlassen hatten, natürlich ohne einen Tropfen Feuerwasser an Bord, hatte Rucks sofort nördlichen Kurs genommen, denn ein steifer Grog gehörte genau so zu Peter Rucks wie seine X-Beine, seine Leuchtturmnase und sein altmodischer Schifferbart, von den schwarzen Zahnstummeln ganz abgesehen. In einem kanadischen Hafennest nahmen wir dann genügend feuchten Proviant über, Rucks strahlte, abends war er in jenem seligen Stadium, in dem selbst dem übelsten Pessimisten der Himmel voller Geigen hängt, und die Unterhaltung bei Tisch leitete er mit einem ellenlangen Fluch über die verrückte Titulatur unserer schönen Jacht ein, deren Gallionsfigur allerdings eine Geschmacklosigkeit ersten Ranges war: Ein abscheulicher Weiberkopf mit züngelnden Schlangen als Haaren!

„Mr. Taskamore“, meinte Rucks mit seinem Teertonnenbaß an diesem sechsten Abend nach der heimlichen Abreise von Seattle, „– Gott verdamm mich, – aber wenn ein Mann wie Sie nun all die Tage mit ’nem Gesicht rumstelzt wie ein Ungewitter, dann ist es für die Dauer für die Begleitung kein sehr erhebender Eindruck … Da – saufen Sie doch auch mal so eine Pinte Rum mit wenig Wasser und Zucker und nehmen Sie vor dem Schlafengehen ein Abführmittel … Raus mit all dem Zeug, das in so einem famosen Kadaver, wie Sie ihn auf geraden Beinen durch die schöne Welt tragen“, – er schielte auf seine krummen Beine und riesigen Stiebel – „nischt zu suchen hat. Wenn Ihnen in drei Deibels Namen der Abschied von Miß Milleret so schwer wurde, weshalb ließen Sie es denn nicht zu, daß Ihre Braut …“

Taskamore schaute den vorlauten, wenig taktvollen, aber im übrigen kreuzbraven Käpten mit einem Blick an, der vollkommen genügte. Rucks stoppte ab, hustete, grunzte etwas von „Nur gut gemeint … pardon …“ und füllte sich sein Halbliterglas aufs neue.

Wir saßen hier zu Vieren im „Salon“ der Schonerjacht Medusa, die nun mit südlichem Kurs den fernen Gestaden des äußersten Südamerika zusteuerte.

Die Medusa war ein Prachtschifflein. Als Izana Milleret sie für uns gekauft hatte, war sie auch bei der Auswahl der fünfköpfigen Besatzung genau so klug und vorsichtig gewesen. Rucks galt von San Franzisco[1] bis nach Alaska hinauf als der tüchtigste Seemann, obwohl seine Vergangenheit bunt wie eine Malerpalette und nicht ganz einwandfrei wie das Dasein eines Großschiebers war. Das störte uns nicht.

Natürlich hatte er, was Taskamores Stimmung betraf, vollkommen recht. Der Abschied von Izana Milleret war meinem Freunde und Bruder, in dessen Adern das Mischblut verwegener weißer und roter Ahnen rollte, sehr nahe gegangen. Er hielt jedoch hartnäckig an dem einmal gefaßten Plane fest, zunächst die Stätten zu besuchen, wo sein Verwandter Coy Cala gelebt und gestorben und feierlich bestattet war. Nach vier Monaten, so war es verabredet worden, sollten wir uns dann mit den in Seattle zurückgebliebenen Freunden, also auch mit Harold Ranks und seiner jungen Gattin in Valparaiso treffen. Die engen Bande, die uns gerade mit dem allzeit fidelen Ranks verknüpften, waren aus den geheimnisvollen Fäden des „Geisers der Träume“ gesponnen und daher unzerreißbar. Gemeinsam überstandene Gefahren sind der festeste Kitt zwischen kraftvollen Naturen.

Die verlegene Pause, die an unserem Tische entstanden war, wurde durch Chester Brys bewährte Feinfühligkeit unterbrochen. Chester Bry, Zahnarzt, gebildeter Neger mit angenehmen Zügen, die seine Abstammung von den stolzen Somali-Negern Afrikas verrieten, meinte versöhnlich: „Wir sollten unsere Gedanken den Augenblickssorgen zuwenden. Die Meldung des Funkgastes ist ernst genug. Ich zweifele nicht daran, daß wir verfolgt werden. Diese chiffrierten Funksprüche werden sich mit der Medusa beschäftigen. Wir sind noch lange nicht in Sicherheit.“

Rucks nahm einen Schluck, der das Glas halb leerte. Er war für eindeutige Ausdrucksweise.

„Quatsch!! Bei dem Nebel!! Und so geräuschlos, wie unsere Motoren laufen!“

Wir befanden uns jetzt etwa auf der Höhe von Monterey, bereits weit südlich von San Franzisco.

„Und dann“, fuhr Rucks sehr stolz fort, „wenn der Kahn auch Medusa heißt, und die Medusa mal ein ekliges Frauenzimmer in der Heidenzeit war: Ihre fünfundzwanzig Knoten macht uns keiner nach, höchstens die Torpedobootzerstörer, und die wird man unseretwegen kaum auf die Jagd schicken! Sie sehen zu schwarz, Mr. Bry, Sie müssen nicht in einen Spiegel kieken, dann wird Ihnen ganz schwarz vor Augen – entschuldigen Sie!“

Die Salontür fliegt auf. Es war der Funker Jim Olden, ein junger strammer blonder Kerl mit einem Gesicht wie ein Habicht. Auch seine Vergangenheit hatte sicherlich mit Alkoholschmuggel allerlei zu tun, aber eine ehrliche Haut war er trotzdem, und nicht nur sein Name deutete auf germanische Abstammung hin.

„Mr. Taskamore, die Sache wird brenzlich“, meldete er dem Besitzer der Medusa. „Irgendwo funkt da ein Schiff ganz in unserer Nähe und erhält von allen Seiten Antwort. Ich will nicht vorunken, Mr. Taskamore, aber es macht ganz den Eindruck, als seien wir eingekreist.“

Rucks glotzte den helläugigen Funkgast erst eine Weile ungläubig an. Dann kippte er den Rest seines halben Liters hinter die Binde und war mit einem Schlage ein anderer.

Er stand auf, zog sich seine Jacke glatt, die stets überreich mit allerlei Flecken besät war, griff nach seiner Mütze und sagte zu meinem Freunde: „Die Kerle sollen sich wundern!! Den Rucks hat noch keiner abgefangen!“

Breitbeinig stelzte er davon, ließ die Tür zum Kabinengang offen und deutete damit an, daß wir mit an Deck kommen sollten.

Auch Roger Tounens-Taskamore, Sproß kampffroher Ahnen mit einem wie aus heller Bronze gemeißelten Gesicht, hatte die gleiche Veränderung in Haltung und Gesichtsausdruck erkennen lassen. Dieser Mann, der da jahrelang in der Wildnis ein geheimnisvolles Doppeldasein geführt hatte, konnte sich in Sekunden innerlich vollständig umstellen.

„Es wird Ernst“, sagte er kurz und scharf. „Obwohl ich nicht begreife, wie die Verfolger, mit denen ich stets rechnete, die Medusa gefunden haben können. El Gento, Bry, – nach oben! Sehen wir selbst, wie die Dinge stehen!“

Der Funker war noch geblieben.

„Mr. Taskamore“, meinte Jim Olden leise, „wir haben einen Verräter an Bord. Bisher habe ich geschwiegen. Nun geht es uns an den Kragen. Da muß man auskramen, was man denkt.“

Taskamore betrachtete ihn gespannt. Das frische, braune Raubvogelgesicht Oldens zeigte eine verbissene, stille Wut.

„… Einen Verräter!“, stieß er hervor. „Aber wer ist es?! Wir sind hier nur insgesamt acht an Bord: Sie, Mr. Abelsen, Mr. Bry, dann die Besatzung: Der Käpten, der Steuermann Jarwys, die Matrosen Schimmel und Groth und ich! – Für jeden möchte ich die Hand ins Feuer legen, trotzdem … einer treibt ein Doppelspiel! Einer muß vorhin, als ich mal zwei Stunden schlief, unseren Sender bedient haben! Der Satan fahre dem Schuft in die Gedärme! Wer ist es?!“

Taskamore nickte leicht. „Ein neunter an Bord, ein blinder Passagier … Wer sonst?! Durchsuchen wir die Medusa!“

Als wir an Deck kamen, war kaum die Hand vor Augen zu sehen. Der Seenebel lag bei völliger Flaute dick wie Brei über dem trägen Ozean.

Wir fuhren halbe Fahrt. Das Surren der Motoren war kaum zu hören. Alle Lichter waren gelöscht. Nur am Heck brannte über dem Kompaß eine verhüllte Lampe, so daß nur gerade die Kompaßscheibe und die Nadel zu erkennen waren.

Rucks sprach gedämpft mit Steuermann Jarwys, der die enormen Pranken an den Radspeichen hatte und die Piep im linken Mundwinkel.

Als wir hinzutraten, ließ Rucks die Maschine stoppen, ergriff ein Nebelhorn, drückte das Mundstück an sein linkes Ohr, und gab uns ein Zeichen, ganz still zu sein.

Mit derselben Plötzlichkeit, die soeben im Salon uns aufgerüttelt hatte, beschlich uns alle das unklare Gefühl einer nahen Gefahr.

Der dicke Nebel verstärkte noch diese Empfindung der Unsicherheit, die nichts mit Angst zu tun hatte. Wenn jedoch hier an Bord zwei Männer sich befanden, die so gut wie vogelfrei waren, hinter denen her die papiernen Paragraphen menschlichen, allzu menschlichen Rechtsempfindens dahintrabten wie ein Rudel Wölfe, denen der grimme Frost die Hartnäckigkeit der Verfolgung einer Beute aufgezwungen hat, dann war es zu begreifen, daß auch die für uns zittern, auf deren Treue wir bauen konnten.

Peter Rucks nahm den Trichter vom Ohr und spuckte wütend über die Reling. Von seinen Gesichtszügen war nichts zu erkennen, man verlor auch nicht viel dabei, denn der alte Käpten war nicht schön, milde ausgedrückt.

„Schweinerei!“, brummte er. „Da ist so ein Biest von Kanonenwindhund wahrhaftig hinter uns her!! Ich kann das Stampfen der Maschinen hören. Auch Turbinen laufen nicht geräuschlos, und auf meine Horcher ist Verlaß! – Jarwys, halbe Kraft und scharf nach Backbord abfallen, nur ein paar Minuten!“

Die Jacht schwenkte herum, schlingerte etwas in der kurzen Dünung und stoppte wieder.

Abermals benutzte Rucks den Trichter.

Dann lachte er leise …

„Da, kieken Sie mal …“

Hinter uns zog sich durch die Nebelschwaden ein fahler Strich.

„Scheinwerfer!!“

Doch Peter Rucks’ Grinsen ward durch einen Fluch abgelöst.

Der Scheinwerfer schwenkte herum und glitt über uns hinweg wie ein matter Sonnenstrahl bei eilig ziehendem Gewölk.

„Pest!!“, fluchte der Alte. „Hölle und Pest, – – Steuermann, – volle Kraft voraus!! Das geht nicht mit rechten Dingen zu!“

Unsere Motoren setzten mit ihrem gleichmäßigen Brummen und Rattern ein, und die Medusa jagte vorwärts.

Rucks schob den Steuermann bei Seite.

„Durchsucht den verdammten Kahn …! Hier ist eine böse Teufelei im Gange! Schnell, beeilt euch …!!“

Eine kühle Schnauze drängte sich in meine schlaff herabhängende Hand.

Kain!!

„Den Schuft werden wir bald haben, – mein Hündchen riecht jede Maus! Wo sollen wir anfangen, Käpten?“

„Hier achtern … Und seht nach, wie es mit den Öltanks bestellt ist!“

„Öltanks?!“ Ich pfiff plötzlich durch die Zähne. „Ach so – ruhige See, Käpten, und …“

„Los doch!“, – der Alte wurde ungeduldig.

Wir zogen los. Zu vieren, Kain voran an der Leine, und Kain ist ein Wolf, ein echter rechter Kanadawolf, einer von der großen Sorte, – dressiert, ja, gehorsam, ja, – aber als Schoßhündchen wie gesagt wenig geeignet, da er jeden anknurrt, der in seine Nähe kommt, und mag es auch Taskamore sein.

Und so kamen Taskamore, Bry und ich vor eine Kammer, in der die Reserveankerketten und sonstige Dinge aufbewahrt wurden. Die Tür war nur angelehnt.

Ein Fußstoß, – unsere Laternen überfluteten das Innere mit grellen Strahlen, wir sahen die sauber geölten Ketten auf ihren Holzzylindern, wir sahen Tauwerk, einen Reserveanker, manches andere, und ganz hinten, wo das spitz zulaufende Heck die Kammer ebenfalls einengte, stand auf einer Kiste eine große Ölkanne …

Mit zwei Sätzen war ich neben ihr, schlug das Bleirohr mit der Faust aus dem dicht unter dem Boden der Kanne gebohrten Loch und kippte die Kanne zur Seite, um ein Auslaufen des Schmieröles zu verhüten.

Taskamore und Bry, die im Vergleich zu mir absolute Schiffslaien waren, begriffen noch immer nicht, weshalb ich so grimmig fluchte.

In die Eisenwand der Jacht war gleichfalls ein Loch gebohrt, das Bleirohr hatte also das Öl in die See fließen lassen, wenn auch nur in dünnem Strahl, aber diese Ölfährte hält sich bei ruhiger See stundenlang und ist genau so gut, als ob dieser Schuft, der uns den Streich gespielt hatte, einen Scheinwerfer achtern hatte brennen lassen – noch schlimmer!

Deshalb war uns also der Zerstörer trotz des Nebels so dicht auf die Hacken gerückt, deshalb die merkwürdige Tatsache, daß der Zerstörer, als wir den Kurs änderten, dasselbe tat!

Mit wenigen Worten erklärte ich Freund Kamo und Chester Bry den Zusammenhang, mit wenigen Sätzen waren wir, jetzt dem wie toll an der Leine zerrenden Kain folgend, im Kabinengang, auf der Achtertreppe, Kain immer die Nase dicht am Boden, – dann die Treppe empor zum Deck, zum Mittelschiff, zur Reling, wo zwei der gleichmäßig verteilten Korkwesten fehlten und ein Tau im Wasser nachschleifte.

Der Lump war entflohen.

Wo hatte er gesteckt?!

Auch Käpten Rucks kam jetzt langsam herbeigeschlurft, überlegte sich die Geschichte eine geraume Weile und ließ seinen Priem dabei unaufhörlich von der einen Backe nach der anderen gleiten, schnäuzte sich einmal in sein geblümtes Riesentaschentuch, Format Notflagge, und sagte schließlich mit größter Bestimmtheit: „Der verfluchte Kerl wird in der Kabine logiert haben, die Miß Milleret sich für später reservieren ließ und die stets verschlossen gehalten wurde. Keiner von uns ist seit der Abfahrt von Seattle drin gewesen, der Schlüssel hängt in meiner Kabine. Wir werden ja sehen …“

Und wir sahen auch, daß er recht hatte: Das lauschige, elegante Nestchen, das Izana aus der Kabine durch Seidenbespannung, raffinierte Beleuchtung und ein wundervolles Prunkbett mit Baldachin hatte herrichten lassen, enthielten in den Wandschränken sowohl Proviant als auch einen elektrischen Kocher, einen Herrenanzug, Herrenunterwäsche und zwei Kisten Zigarren, von denen die eine halb geleert war. Das Kochgeschirr war benutzt worden, die leeren Konservenbüchsen hatte der Unbekannte zum Fenster hinausgeworfen, hatte auch sonst die Kabine tadellos sauber gehalten und zum Schlafen nicht das Bett, sondern den mit Wolldecken belegten Platz unter dem Bett benutzt.

Rucks triumphierte.

„Na, – habe ich es nicht gesagt!! Ein schlauer Satan, – nur …“

Der Rest des Satzes blieb in seinem Schifferbart hängen.

„Was wollten Sie noch hinzufügen?“, fragte Taskamore etwas schroff.

Peter Rucks wandte sich wie ein Aal.

„Hm – nur eins begreife ich nicht: Wenn der Schuft wußte, daß die Jacht für die Herrens bestimmt war, wenn der Kerl sich die Zeit nahm, hier so allerlei zu verstecken, was er für die Reise brauchte, wenn er dann nicht nur den Sender benutzte, sondern auch das Öl ausfließen ließ, weshalb hat er nicht besser gleich die Polizei in Seattle verständigt und Denunziant gespielt, – – he?!“

Rucks wässerige Äuglein glitten von Taskamores unbeweglichem Gesicht zu mir hinüber. Wir hatten wieder Laternen an Deck angezündet, denn den Verfolger waren wir nach Abstoppen der Ölzufuhr glücklich losgeworden.

Dieselben Erwägungen hatte auch ich bereits angestellt.

„Dafür gibt es nur eine Erklärung“, meinte ich aus vollster Überzeugung heraus. „Der Mann fürchtet die Polizei, der Mann hat ein Interesse an uns, das sich auf ganz andere Dinge bezieht, und das Schiff, das uns verfolgte und bereits so nahe aufgerückt war, ist kein amerikanischer Torpedojäger, sondern ein sehr schnelles Fahrzeug mit einer Besatzung, die es auf uns eben aus anderen Gründen abgesehen hatte.“

Rucks schnäuzte sich abermals. „Hm – und diese Gründe für ein so kostspieliges Interesse, – kostspielig, weil ein noch schnelleres Schiff wie unsere Medusa doch verdammt viel Geld kostet …?!“

Ein gelinder Stoß erschütterte die Medusa. Er genügte, uns durcheinander zu werfen. Peter Rucks flog mir in die Arme, sein nicht gerade angenehm duftendes Lippenpaar hatte ich in allernächster Nähe, und Taskamore und Chester Bry waren gegen die Reling getaumelt.

Steuermann Jarwys schriller Diskant meldete sich vom Heck:

„Die Jacht sitzt fest …!! Wir sind irgendwo aufgerannt!“

In dem matten Licht der hellen Laterne, die über dem Wasserspiegel gegen die Nebelschleier ohne viel Erfolg mit ihrer Leuchtkraft ankämpfte, erkannten wir ein rundes Etwas, das über und über mit Seemuscheln, Seepflanzen und Seetang bewachsen war.

Es konnte nur ein Schiffswrack sein, das bereits lange Jahre durch die Ozeane strolchte, ein Spielball der Winde und der Strömungen, eine stete Gefahr für die Schifffahrt.

Taskamore hatte sich über Bord geschwungen.

Sprang hinab … glitt aus, klammerte sich an den triefenden Pflanzen fest …

Gleichzeitig liefen die Schrauben der Medusa mit voller Kraft rückwärts. Der Bug der Jacht, der das Wrack herabgedrückt hatte, kam frei …

Auch ich schwang mich über Bord. Taskamores linker Arm fing mich auf, wir lagen kniend nebeneinander, der Nebel verschluckte die Jacht, die baumelnde Laterne war nur noch ein milchiger Mond, der immer mehr verblaßte, Rucks Kommandorufe klangen wie aus unendlicher Entfernung, und in die wütenden Befehle mischte sich jäh das Knallen von Schüssen, Geschrei, neue Schüsse, – – all das wie ein Spuk, der schnell verhallte, leiser wurde, bis um uns her nichts mehr war als die Trostlosigkeit der feuchten, undurchsichtigen Schwaden und der gurgelnde, murmelnde, plätschernde Ozean, über dem der Nebel wie ein schmieriges Sacktuch lagerte.

Taskamores Voreiligkeit hatte uns der Willkür der trägen Wogen preisgegeben, während unsere Medusa zweifellos gegen einen Überfall der in Booten heranschleichenden unbekannten Piraten kämpfte.

 

2. Kapitel.

Die Herrin und ihr Hüter.

Inzwischen hatte ich das runde Ding bereits näher befühlt. Jetzt, wo es frei und unbelastet von dem Druck der Jacht behaglich sich wiegend weitertrieb, ragte es gut anderthalb Meter aus dem Wasser.

Es war bestimmt der Turm eines großen U-Bootes, wie sie in dem letzten Jahr des Weltkrieges als U-Kreuzer gebaut wurden. Das Fahrzeug mußte während des Krieges irgendwie verlorengegangen sein und seitdem durch die Weltmeere wandern. Der Überzug von Muscheln, Pflanzen und Seetang war so dicht, daß wir wie auf einem Jahrzehnte nicht gereinigten Schiffsboden kauerten.

Wir waren ohne Waffen. Wir trugen blaue, derbe Bordanzüge und Mützen, das einzige Genußmittel waren vorläufig die Zigarren, die ich in der Brusttasche hatte.

„Taskamore“, sagte ich, als wir an den Handgriffen der Turmluke besseren Halt gefunden, „ich will dich nicht weiter darüber im Unklaren lassen, daß dieses eiserne Floß hier der Mittelturm eines U-Kreuzers ist und daß in dem U-Boot unten sicherlich das Grauen herrscht. Nur eine Explosion im Innern und die Entwicklung giftiger Gase kann die Besatzung betäubt und getötet haben. Gelänge es uns, die Luke zu öffnen, so würden wir garnichts gewonnen haben. Dieser U-Kreuzer ist ein schwimmender, verpesteter Eisensarg mit mehr Leichen darin, als gesunde Nerven vertragen.“

Ich fror, daß mir die Zähne klapperten, und meine weiteren Bemerkungen über unsere Lage waren trüber gefärbt, als ich es zunächst tun wollte.

Ein böseres, tückischeres Raubtier als Ozean und Menschengesetz griff mit eisigen Pranken nach uns: Die Winterkälte! – Wir hatten hier auf der Höhe von Monterey noch nicht die südliche Wintergrenze erreicht, die begann erst in den mexikanischen Gewässern. In dieser Nacht waren es vielleicht zwei Grad Wärme, und was das bei vollständig durchweichten Kleidern und einem feuchten Sitz und gelegentlichen Wellenspritzern bedeutet, kann sich jeder selbst leicht ausmalen.

Taskamore saß mit der ehernen Ruhe seiner roten Ahnen neben mir. Er äußerte sich nicht, sein Kopf war etwas zur Seite geneigt …

Er horchte …

„Kain kommt geschwommen“, erklärte er einfach. „Ich höre sein Japsen. Seine feine Nase leitet ihn. Er sprang dir nach, als wir von der Jacht abtrieben.“

Braver, treuer Kain, echter Kanadawolf, erzogen von einem greisen Sioux-Indianer, entlaufen, von mir wieder eingefangen, mein Freund und Gefährte seit Monaten.

Armer Kain, du wirst auf diesem Eisensarg genau so jämmerlich frieren und matt und krank werden wie wir!

„Hallo – Kain!“

Gedämpft fuhr der Lockruf durch die scheußlichen, eisigen Schwaden.

Da war er schon, – – ein kurzes Aufheulen, – ich beugte mich hinab, packte ihn beim Genick, und er schüttelte sich, ein Tropfenregen besprengte uns, ich mußte ihn am Halsband festhalten, und schwer keuchend tat er sich neben uns nieder.

Nicht lange.

Kaum wieder etwas bei Kräften, setzte er sich breitbeinig aufrecht, senkte den Kopf, schnüffelte laut und begann wie ein Toller zu kratzen, daß Muscheln und Pflanzen nur so flogen.

„Er wittert die Toten“, meinte Taskamore gleichgültig.

„Ein U-Boot schließt luftdicht“, entgegnete ich …

Trotzdem befühlte ich den Lukenrand. Ich hatte es schon vorhin getan – oberflächlicher.

Ein heißer Strom rann mir durch die Adern. Das Kältegefühl war verschwunden.

„Rücke mehr zur Seite, Taskamore … – So, – nun packe mit zu … Hoch mit dem Deckel, hier sind die Scharniere … – hoch damit!“

Der Deckel, der nicht völlig geschlossen gewesen, hob sich, klappte zurück.

Wir beugten uns vor und starrten in die Finsternis hinab.

Keine Spur von Verwesungsgeruch oder Gasen – keine Spur! Nur etwas nach Öl und Benzin dunstete das Dunkel da unten.

Ich hatte die Beine in die Luke geschwungen, fand die Eisenleiter, stieg vorsichtig abwärts. Taskamore hielt Kain, der mir allzu ungestüm folgen wollte.

Ich rieb mein Feuerzeug an.

Das dünne Flämmchen beleuchtete die Steuerhebel, die Schalttafel und … einen Leuchter mit einer Stearinkerze.

Der Docht der Kerze roch noch brenzlich, obwohl er völlig hart war.

Die Kerze hatte vor nicht allzu langer Zeit gebrannt.

Diese Feststellung warnte mich.

Als die Kerze flackerte und mehr Licht spendete, gab ich Taskamore einen Wink. Er nahm Kain in den Arm und kletterte ebenfalls in den Turm. – Die Schottentür zum Hauptgang war nur angelehnt, die Luft auch hier im Gang rein und ohne giftige Beimischungen. Als wir ein paar Meter nach rechts uns vorwärtsgewagt hatten, stießen wir auf eine halb offene Kammertür. Kain knurrte dumpf, so, wie Wölfe knurren: Ein dumpfes Grollen aus tiefer Brust.

Taskamore schob mich bei Seite. Als ich dann in die Kammer (es war die des Kommandanten) hineinleuchtete, sahen wir auf dem schmalen Klappbett ein mit einer sauber bezogenen Decke bis zum Hals eingehülltes Mädchen, dessen junge Brust sich in tiefen Atemzügen regelmäßig hob und senkte.

Keine Weiße, keine Europäerin …

Die leicht gelbbraune Gesichtsfarbe verriet die Mischrasse, das blauschwarze, gelöste lange Haar und die langen Wimpern deuteten zusammen mit dem schmalen Antlitz und den feinen Lippen auf eine Kreolin oder Mexikanerin hin.

Das Mädchen war schön, sehr jung, und die Glieder, die sich unter der Decke abzeichneten, besaßen vollendetes Ebenmaß.

Sie schlief so fest, daß nicht einmal der Lichtschein der Kerze auch nur das geringste Zucken auf ihren friedlichen Zügen hervorrief.

Ich schloß ganz leise die Tür, und dann setzten wir die Durchsuchung des Schiffes fort.

Nirgends ein Toter … Nirgends Verwesungsgeruch …

Das seltsame Abenteuer wurde zum Rätsel.

Wir wandten uns der anderen Hälfte des Ganges zu, nach dem Vorschiff hin, – auch hier Einzelkammern, Räume für die verschwundenen Matrosen, jeder Raum tadellos sauber, gut durchlüftet, – – bis wir vor eine Tür gelangten, hinter der wir allerlei Geräusche vernahmen.

Kain duckte sich zusammen. Taskamore hob den rechten Arm …

Wir waren nicht mehr ohne Waffen, wir wußten auch bereits, daß es sich um den japanischen U-Kreuzer Mindato handelte. In der Kabine des ersten Offiziers hatten wir Papiere gefunden, und so gering auch meine Kenntnisse des Japanischen und der japanischen Schriftzeichen waren: Den Namen Mindato hatte ich doch entziffern können.

Geräusche …

Also war das Mädchen doch nicht allein in dieser eisernen Riesenzigarre!

Wir lauschten.

Kochtöpfe klapperten … Dann erscholl das Schnurren einer Kaffeemühle, eine Stimme begann zu singen, – was man so Gesang nennt:

„Ja, am Rhein, da möcht’ ich leben …
Und am Rheine glücklich sein …“

Taskamore lächelte mich an.

Dann öffnete er die Tür …

Bei drei Stearinkerzen stand an dem Herdtisch ein stämmiger Mann in Matrosentracht, sang ruhig weiter, kehrte uns den Rücken zu, schob eine Bratpfanne bei Seite …

Und … fuhr herum, schlug das Aluminiumding Taskamore gegen die Stirn, verabfolgte mir einen Fußtritt gegen den Leib, hätte uns beide schachmatt gesetzt, – hatte nicht mit Wölflein Kain gerechnet.

Kain flog wie ein losgeschnellter Pfeil dem grimmen Recken, der sich eine Küchenschürze über seine Matrosenkluft gebunden hatte, an die ungeschützte Kehle, Taskamore, nur halb betäubt, konnte unser Hündchen gerade noch zurückreißen.

Der flachshaarige Angreifer grinste sehr betreten in eine Pistolenmündung hinein.

Seine ersten Worte waren klassisch:

„Herr Jott, es war doch nich so jemeint, meine Herrens … Immer jemütlich, immer jemütlich …!“

Ob ihm auf dem Fußboden angesichts von Pistole und Wolfsgebiß so ganz gemütlich zumute war, möchte ich bezweifeln.

Der Mann hatte ein sehr mageres, kantiges Gesicht, das nur infolge der geradezu ungeheuerlichen Haartolle etwas lächerlich wirkte. Wenn sich ein Scharlatan von neumodischem Gelehrten einen derartigen Haarwust wachsen läßt und das ehrliche Barbiergewerbe schädigt, nimmt man derartige Geschmacksverirrungen mit sanft ironischem Lächeln hin und sagt sich, das Stroh wuchert über die Schädeldecke hinaus. Wenn aber ein Kerl mit einer so großartig kraftvollen Visage, wie dieser leicht berlinernde Mindato-Koch hier, seine charaktervollen und charakterfesten Züge auf solche Weise verschandelt, ist man versucht, sofort eine Schere zu ergreifen.

Der Herr Koch schwächte sein sanftes Grinsen zu einem friedlichen Schmunzeln ab und beäugte uns drei mit einer gewissen kühlen Kritik. Von Angst oder nur leiser Besorgnis angesichts Kains geifernden Lefzen war ihm nichts anzumerken.

Ich hatte inzwischen den Fußtritt (zum Glück hatte der blonde Struwelpeter Halbschuhe mit Gummisohlen an) leidlich verschmerzt und betrachtete den am Boden Sitzenden genauer. Da er deutsch gesprochen hatte, fragte ich ihn ebenfalls auf deutsch: „Wer sind Sie?“

„Korl Blech aus Berlin …“, erklärte er prompt und nieste kräftig, wobei sein Gesicht sich in sehr viele Falten, Fältchen und Querfältchen legte.

Also nicht Korl, sondern Karl Blech. – Gerade kein sehr imponierender Name. Der paßte höchstens zu der Oberkünstlertolle.

Blechs Riechorgan war entschieden nicht aus Blech, denn ein metallener Nasenersatz hat keine Schleimhäute, die regbar sind.

Korl zog die Nase und die umliegende Gegend wieder in allerlei Wülste und trompetete zum zweiten Mal in die freie Luft, was Kain derart erboste, daß er beinahe wieder zugeschnappt hätte.

Worauf Korl ein seidenes Taschentüchlein, Größe halber Bogen, hervorzog und seinen Gesichtserker gründlich putzte.

Dieser Blech gefiel mir.

Sein glattrasiertes Gesicht, Kinnpartie, kecke Nase, blanke Augen, Stirnansatz, – das war Rasse!

Bevor er noch sein Tüchlein, das sicherlich der Signorina drüben in der anderen Kabine gehörte, wieder wegsteckte, ertönte hinter uns beiden vom Gange her in allerschärfstem Tone der Befehl:

„Hände hoch, sonst knallt es!!“

Englisch … und unverkennbar amerikanischer Akzent.

Wir standen leichtfertiger Weise mit dem Rücken dorthin.

„Nicht umdrehen!! Hände hoch!!“

Mit dem Burschen da war nicht zu spaßen.

Es gibt so gewisse Klangfärbungen in der Stimme, bei denen man geradezu zu sehen glaubt, wie der Zeigefinger sich um den Drücker einer Pistole krümmt.

Taskamore und mir war der Befehl nicht neu. Ich hatte ihn sehr oft in den verschiedensten abgelegenen Unkulturwinkeln unserer Mutter Erde vernommen, und Freund Kamo als Grenzpostreiter war gleichfalls häufiger von liebenswürdigen Herrschaften angehalten worden, die sich für den Inhalt der Postsäcke interessierten, später jedoch ebenso regelmäßig hatten einsehen müssen, daß der berühmte Taskamore unweigerlich die Kugel zwei Finger über die Nasenwurzel plaziert, – dann war es allerdings für Kamos lebende Zielscheiben allemal ein zu eiliges Tempo, derartige Überlegungen noch irgendwie nutzbringend zu verwerten.

Kamo gehorchte, ich gehorchte.

Daß Kamo dabei Kains Halsband losließ, war, so glaube ich, Karl Blechs persönliches Pech.

Karl nieste nochmals, und wie ein großer haariger Gummiball flog Kain natürlich auf ihn zu.

Was weiter geschah, läßt sich schwer schildern.

Es ging zu schnell.

Kain bekam einen Hieb unter das Kinn, der ihn aufheulend gegen den Herdtisch fliegen ließ, – Herr Blech war wie ein Blitz draußen im Gang, die Tür flog zu – nein, knallte zu, und wir drei Schiffbrüchigen saßen fest – genau so, als ob man uns in eine Zelle aus Eisen gesperrt hätte, denn der Brandgefahr wegen war die kleine Küche allseits gepanzert.

Taskamore ließ die Arme sinken.

Seine dunklen Augen hatten einen Ausdruck, der mich auflachen ließ.

„Das haben wir fein gemacht!!“

Kamo nickte.

„El Gento und ich waren wie die Knaben“, sagte er zu mir, setzte sich auf den Schemel, nahm die Kaffeemühle und betrachtete den Inhalt der Schieblade.

„Guter Kaffee … Auch das Wasser kocht schon.“

Das war entschieden eine durchaus beherzigenswerte Auffassung der Dinge.

Der Spirituskocher wurde ausgelöscht, ich besorgte das Aufbrühen, Taskamore fand eine Büchse mit Hartzwieback, Kain fand leider keinen saftigen Schenkelknochen nebst Zubehör, sondern lediglich einen einzigen seiner Vorderzähne, den ihm dieser Wüterich Karl Blech ausgeschlagen hatte. Er beschnüffelte ihn, schlackert noch immer etwas benommen den Kopf und begnügt sich schließlich auch mit dem Hartzwieback.

Während der Kaffee in der Kanne noch „zog“, begann Kamo seine nassen Kleider abzustreifen, zündete alle drei Flammen des Patentkochers wieder an und trocknete seine Sachen.

Wie gesagt: Taskamores Auffassung der Gesamtlage war mustergültig.

Ich folgte seinem Beispiel.

Ob wir uns dann an dem Küchentisch des U-Kreuzers Mindato gerade sehr heldenhaft ausgenommen haben, – – Im Hemd ist selbst der Präsident von Uruguay oder so ähnlich nur eine mäßige Erscheinung.

Kamo trank trotzdem seinen Kaffee mit den Bewegungen des Gentlemans. Seine zweite Natur trat sofort hervor, wenn er sich in kultivierter Umgebung befand. Und ein U-Kreuzer ist unbedingt Kulturerzeugnis.

„Der Mann hieß nicht so, El Gento“, meinte er, nachdem ich ihm den Namen Karl Blech ins Englische übersetzt hatte.

Er erklärte das mit überraschender Bestimmtheit.

Ich kaute an dem steinharten Zwieback.

Über dem Kocher dunsteten auf zwei dicken Bindfäden unsere durchweichten Sachen.

„Woher weißt du das, Kamo?“

Seine Hand wies auf ein längliches Stück Blech, das über dem Tische in den Rahmen für die Kochlöffel und Näpfe eingeklemmt war.

In dieses Zinkblechstück, das ein Loch mit einer zugebundenen Lederschlinge hatte, waren die Worte

22. V. – 12. III.

grob eingestanzt.

Ich nahm diese Totenmarke herunter und besichtigte sie. Auf der anderen Seite standen noch folgende Zahlen:

22. 5. – 12. 3.

Taskamore meinte dazu:

„Bergwerksarbeiter, El Gento. In Nordmexiko und Niederkalifornien sah ich solche Erkennungsmarken.“

Ich blickte überrascht auf.

„Du warst in Mexiko?!“

„Ja.“ – Nur Taskamore konnte in diese knappe Bestätigung soviel Selbstverständlichkeit, die jede weitere Frage eigentlich ausschloß, hineinlegen.

Ich fragte nichts mehr. – Daß er wiederholt weite Ritte unternommen hatte, wußte ich. Seine Jugend war abenteuerlicher und buntbewegter gewesen, als man dies bei einem Menschen von so gründlicher Bildung vermuten konnte. Er war in gewissem Sinne seinen roten Ahnen und ihren Überlieferungen hartnäckig treu geblieben, andererseits hatte er keine Gelegenheit versäumt, sein Wissen und seine Umgangsformen modernen Ansprüchen vollauf anzupassen.

Mit einer gewissen Wehmut, die seinem toten Großvater Ret Hand galt, fügte er hinzu: „Ret Hil wird der Name sein, unter dem der Deutsche besser bekannt ist als R. Hiller. Es gibt zum Beispiel in Niederkalifornien, dieser großen Halbinsel zwischen dem Golf von Kalifornien und dem Stillen Ozean, so entlegene Bergwerke, daß die Leute dort sehr bald verwildern und sich um die mexikanische Regierung keinen Deut scheren. Wer kennt denn dieses gewaltige Gebiet?! Niemand! Wer hat sich je die Mühe gegeben, die Steinwüsten dieser Halbinsel, die ein Reich für sich ist, zu erforschen?! Ich habe noch unlängst gelesen, daß es auf der Erde eigentlich nur noch drei Landstriche gibt, die man als „unerforscht“ bezeichnen könnte: Das tiefste Innere Australiens, dann die nordkanadische Wildnis und die Hochebenen Nieder-Kaliforniens. – Ich möchte behaupten, Ret Hil ist von dorther gekommen, und die junge Schläferin ist sein Schützling.“

Ich war in diesem Augenblick für uferlose Vermutungen nicht zu haben. „Mag sein. – Was wird aus uns?!“

„Ret Hil wird sich mit uns verständigen. Möglich, daß der zweite Mann, der uns vom Gang her bedrohte, ihm übergeordnet ist. Wir werden sehen.“

Taskamores unerschütterliche Ruhe hat ihr Gutes. Zu Zeiten wird man jedoch nervös dabei.

„Wenn ein Dampfer den U-Kreuzer im Nebel rammt, ersaufen wir wie die Mäuse im Eimer“, meinte ich etwas mißgelaunt.

Von der Tür her, die sich lautlos eine Handbreit geöffnet hatte, dieselbe scharfe, gebieterische Stimme wie vorhin:

„Liefern Sie Ihre Pistolen ab! Sie haben jeder zwei zu sich gesteckt. Sofort!!“

Taskamore hatte sich von seinem Schemel vorwärtsgeschnellt und flog mit der Schulter gegen die kleine Eisentür. Es gab lediglich einen dumpfen Krach, – die Tür regte sich nicht. Sie schlug nach außen und war von außen irgendwie sicher abgestützt worden.

Dieselbe Stimme, leicht spöttisch:

„Bemühen Sie sich nicht umsonst …! Falls Sie nicht gehorchen, werfe ich eine Rauchbombe in die Küche, und Sie ersticken.“

Taskamore packte den Schemel, schob die Holzbeine in die Türritze und winkte mir, die Lichter auszulöschen.

Die drei Kerzen knisterten zwischen meinen angefeuchteten Fingerspitzen, und es wurde dunkel.

Stille folgte.

Dann hörte ich draußen einen Schuß, – – ein Fluch war die Antwort, noch ein Schuß, noch einer …

„Licht!“, rief Kamo ebenso plötzlich.

Ich hielt das Feuerzeug schon bereit. Aber ich zündete nur eine Kerze an.

Ich sah, daß Taskamore die linke Hand durch die Türspalte gesteckt hatte. Er hatte geschossen.

„Der Mann ist weggelaufen“, sagte er mit unendlicher Geringschätzung. „Brich die Beine von deinem Schemel ab … Gib mir eins. Ich werde die zwei Stangen wegschlagen, die der Mann als Stützen benutzte.“

Kamo sollte dieses Vorhaben niemals ausführen. Jetzt krachte draußen im Gang ein Schuß – weiter von links, und als Kamo seinen Unterarm hereinzog, hatte er quer über den Muskeln einen blauroten Streifen von gut zehn Zentimeter Länge, die stellenweise feine Bluttröpfchen zeigte: Streifschuß!

Er beschaute den Strich, ging zum Tisch und setzte sich auf den dritten und letzten der leichten Holzschemel. Sein dunkelgetöntes Gesicht verriet in keiner Weise Groll oder Enttäuschung. Er griff nach seiner Kaffeetasse, trank und sagte lediglich: „Wir werden sehen …“ – Es war das seine ständige Redensart. Gab er jedoch eine Sache verloren, wandte er den Spruch nie an.

Merkwürdig: Der Mann draußen und sein Gehilfe Ret Hil meldeten sich nicht mehr.

Ich überlegte mir, wie wir durch andere Maßnahmen die Freiheit zurückerlangen könnten. Es war doch ausgeschlossen, daß Kamo, ich und Kain uns hier von vielleicht zwei an sich recht tüchtigen Burschen einsperren ließen.

Taskamore betrachtete mich forschend.

„Sie haben uns fest, El Gento … Wir werden sehen.“

Das hieß: Gib dir keine Mühe. Zunächst läßt sich nichts ändern.

Mir mißfiel das alles gründlich.

Ein Geräusch an der Tür ließ mich aufblicken.

Durch die Spalte wurde ein flaches Paket geschoben, fiel in die Küche: Es war Unterwäsche, Seide, leicht gelbliche Seide, auch Socken und Hosenträger. Noch zwei ähnliche Gaben folgten: Anzüge!

„Danke!“, rief Taskamore höflich.

Der angebliche Karl Blech erwiderte von draußen ebenso höflich:

„Gern geschehen …“ Und als Nachsatz: „Wenn Sie sich angezogen haben, wünscht die Herrin Sie zu sprechen. Ihr Untier binden Sie an.“ Eine dünne Kette flog rasselnd durch die Türritze. „Ihre Pistolen werfen Sie wohl inzwischen hier auf den Gang hinaus, damit Mr. Ret Hil nicht böse wird. Es hat mich viele begütigende Worte gekostet, Ihnen die Rauchbomben zu ersparen.“ Karl Blech war also nicht Ret Hil, und sein jetziges Englisch klang genau wie Blech.

Dann wurde es draußen wieder still, Taskamore streifte wortlos auch die letzte feuchte Hülle ab, schlüpfte in das seidene Unterhemd, zog das seidene Sporthemd mit weichem Kragen darüber und war in kurzem ganz auf neu blau eingekleidet. Der Anzug paßte nicht ganz, aber zur Not konnte er sich darin sehen lassen. Ich auch. Nur einer war übler Laune: Kain! Als ich ihm die Kette umlegte und sie an einen Wandhaken kurz befestigte, knurrte er dumpf und schaute mich strafend an. Ich streichelte ihm den Kopf, was er stets nur ungern litt und derweil hatte Taskamore unsere Pistolen durch die Tür geschoben. Sofort war eine Hand erschienen, die die Waffen entfernte.

Jetzt war es nicht mehr Karl Blechs ganz angenehme Stimme, die uns einige Vorschriften für den Besuch bei der „Herrin“ erteilte, sondern wieder das harte, brutal-gewalttätige Organ.

„Sie wissen, wo sich die Herrin befindet. Sie gehen vor uns her, treten ein und setzen sich auf die beiden Schemel. Jeder Ungehorsam kostet eine Kugel.“

„Wir werden sehen …“, erwiderte Freund Kamo nur.

Draußen blinkte eine grelle Lichtflut auf, die Tür öffnete sich, und rechts stand ein Mann in einer Seemannsuniform mit dunklem Bart und dunklem Scheitel. Vor seiner Brust hing eine Karbidlaterne, in den erhobenen Händen hielt er je eine Pistole.

Taskamore schritt voran, bog links ab, ich blieb dicht hinter ihm, die Tür der Kabine der Herrin war weit offen, und wir setzten uns auf die bereitgestellten Schemel.

Uns gegenüber auf dem kleinen Wandsofa hinter einem Tischchen saß das junge, blutjunge Geschöpf, das wir vorhin im Schlaf hatten bewundern dürfen.

Sie trug jetzt einen äußerst kostbaren Kimono, in dem hoch aufgesteckten Haar lange goldene Pfeile, ihre Wangen und Lippen waren getuscht, die Augenbrauen durch Farbstriche etwas schräg verlängert: Ein überaus reizendes Puppenköpfchen, nur keine Japanerin!

Mr. Ret Hil, der unangenehme Knabe, hatte seine Knallbüchsen auf uns gerichtet und beobachtete uns aus böse zusammengekniffenen Lidern.

Die Herrin begann zu sprechen.

Es war ein süßes, weiches Stimmchen, überraschend modulationsfähig trotzdem, und das ganze niedliche Persönchen gewann für mich immer mehr den Eindruck von etwas Unwirklichem, Rätselhaftem.

Die Umstände, die Umgebung trugen das ihrige dazu bei.

„Wer sind Sie, meine Herren?“

Sie schaute Taskamore dabei an, der vor mir entschieden die Jugend voraus hatte. Meine grauen Fäden an den Schläfen sind die sichtbaren Andenken der weiten Wege abseits vom Alltag.

Taskamore verneigte sich leicht.

„Ich heiße Roger Tounens, Miß, man nennt mich jedoch Taskamore. Beide Namen werden Ihnen nicht viel erklären. Es ist eine lange Geschichte.“

Des Mädchens dunkle Nixenaugen verengerten sich unmerklich.

„Man sucht Sie“, meinte sie jedoch ebenso weich.

„Ja, uns beide, Miß … Aber zu unrecht. Wir sind …“

„Wie hieß die Jacht, von der Sie beide kamen?“

„Medusa …“

„Aus Seattle?“

„Ja.“

Es war ein Verhör, das seine Reize hatte.

Die Herrin schien über uns recht gut unterrichtet zu sein. Sie senkte den Blick und dachte nach. Ich fühlte, daß sie sich jetzt entscheiden würde, ob wir hier an Bord weiter als Gefangene behandelt werden sollten. – Ich griff ein.

„Miß, wer Sie auch sein mögen, Sie haben von uns nichts zu fürchten …“, erklärte ich höflich, aber bestimmt. „Falls wir Ihnen irgendwie helfen können, werden wir unsere Freiheit niemals dazu benutzen, irgendwie in Ihre Geheimnisse einzudringen. Ich vermute, Sie sind selbst durch einen Schiffbruch hier an Bord geraten und haben bisher keine Möglichkeit gefunden, dorthin zu gelangen, wohin Sie ursprünglich wollten. Daraus, daß Sie keinen Dampfer angerufen haben, entnehme ich weiter, daß Sie es vermeiden möchten, ausgefragt zu werden. Dies werden wir nicht tun. – Ich bin Ingenieur und vielleicht imstande, das U-Boot wieder in Fahrt zu bringen. Haben Sie Vertrauen zu uns! Mehr kann ich nicht sagen.“

Sie hatte reglos zugehört.

Sie erwiderte nach einer Weile zögernd:

„Wenn Sie mir versprechen, sich dann, wenn es mir nötig erscheint, für einige Zeit wieder einschließen zu lassen, will ich Ihr Angebot annehmen. Ihre Vermutungen, Mr. Abelsen, der Sie El Gento genannt werden, treffen zu. Als wir dieses U-Boot schwimmend erreichten, fanden wir Gräßliches vor: Vierunddreißig Tote, zu Mumien vertrocknet, – der ganze Schiffsraum mit giftigen Schwaden gefüllt, … es war entsetzlich. Drei Wochen leben wir nun hier, ein Spielball der Strömungen und Stürme. Vielleicht war es eine gnädige Schicksalsfügung, daß Sie beide an Bord kamen. – Werden Sie Ihr Versprechen halten?“

„Ja …!“

Und Taskamore erklärte genau so feierlich:

„Ja! – und dann … werden wir sehen …“

„Wie meinen Sie das, Mr. Tounens?“

„Ach, nennen Sie mich bitte Taskamore … – Ich meine damit, daß wir jede Gefahr von Ihnen fernhalten werden – stets überall!“

Sie lächelte plötzlich ganz kindlich.

„Überall?! – Das wird kaum nötig sein.“ Ein gewisses Selbstbewußtsein meldete sich bei ihr. „Ich bin … mächtiger, als Sie glauben … – – Gut also, meine Herren: Es bleibt dabei. Ret Hil wird Ihnen nach Möglichkeit behilflich sein.“

„Und Karl Blech, der Koch?!“

Jetzt kicherte sie so vergnügt, daß es geradezu ansteckend wirkte.

„Es … es gibt gar keinen Karl Blech, Mr. Abelsen …! Ich bin Richard Hiller!!“

Aus dem Gang ertönte ein gutmütiges Gelächter. „War ja alles Schwindel …! Alles!! Bitte, folgen Sie mir, Sie sollen selbst sehen und staunen.“

Die Audienz bei der Herrin war beendet.

Ein Kopfnicken verabschiedete uns. Dieses junge Mädel, mochte sie nun Mexikanerin oder Südamerikanerin sein, besaß bei aller Lieblichkeit doch eine bestimmte Würde, die ich auf ein sehr reiches Elternhaus und auf eine sorgfältige Erziehung zurückführte. –

Der „tote“ Karl Blech, der also wirklich Richard Hiller hieß, hatte seine Pistolen eingesteckt, seinen wundervollen Bart aus schwarz gefärbtem Werg abgenommen und schritt uns voran, öffnete neben der Küche eine Kammertür, leuchtete hinein und deutete stumm auf den Fußboden, wo die Struwelpetertolle im Halbkreis um einen Schemel verstreut lag. Vor dem Schemel stand ein Tischchen, darauf ein Spiegel, daneben eine Papierschere.

„Ich sage Ihnen“, erklärte Hiller wehmütig, „es war ein böser Kampf gegen den Haarwald! Und den Scheitel mit japanischer Bartwichse festzukleben und mit Holzkohlenstaub zu schwärzen …! Mein Lebtag habe ich solche Experimente nicht versucht!“

Taskamore legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Ret Hil ist ein Bauchredner, deshalb die drohende Stimme aus dem Flur. Ret Hil ist schlau.“

Der nickt. „Es geht … Die Schlauheit langt gerade für den Hausgebrauch. Und was meinen Bauch betrifft, der hat mich vor zehn Jahren ernährt. Ich war mit fünfundzwanzig eine große Nummer. Aber das Publikum findet an derlei harmlosen Scherzen keinen Geschmack mehr. – Wollen Sie mal die Maschinen ansehen, Mister Abelsen?“

Ich will. Taskamore kommt mit. Es sind tadellose Motoren. Nach zwei Stunden laufen sie. Doch an die sonstigen Finessen des U-Kreuzers wage ich mich nicht heran. Der Versuch, etwa die Ballasttanks leer zu drücken und den Mindato etwas mehr aus dem Wasser zu heben, könnte böse ausgehen.

Wir belegten dann die Kammern der Matrosen für uns, füttern Kain mit Konserven und legen uns nieder – todmüde. Krause Gedanken gehen mir durch den Kopf. Hiller schauspielert. Sein zuweilen albernes Getue ist Maske. Der wahre Hiller war der, dessen Stimme wie eine schrille Trompete klang. Und das war die Stimme eines Menschen, der sehr genau weiß, was er will, der den Teufel nicht fürchtet und der drei Schwiegermütter im Hause haben könnte. Wir haben an diesen Ret Hil keinerlei Fragen gerichtet. Er selbst hat über seine Person nichts weiter geäußert, gar nichts. Über die „Herrin“ erst recht nicht. Also ein Versteckspiel.

Taskamore wirft sich ruhelos auf seinem Lager hin und her, und Kain, der neben meinem Lager angekettet liegt, rasselt zuweilen mit der verhaßten Kette und sehnt sich zweifellos nach einer Steppe oder einem Walde, wo er seinen Gefühlen allerseits freien Lauf lassen kann. Armer Kerl, er ist beinahe stubenrein, – – was mag er aushalten! Auch die Bedenken quälen mich.

Auf dem Tische, wo einst die wackeren japanischen Jungen ihren Reis und Dörrfleisch gegessen haben, bevor die Selbstentzündung der Chemikalien die grünen Stichflammen und die Giftdämpfe hochtrieben und alles Lebende hier erstickten (auch die Ursache dieser Katastrophe habe ich festgestellt), brennt eine Kerze. Freund Kamo erhebt sich.

„Ich kann nicht schlafen! Was wurde aus unserer Jacht, Olaf?!“

„Darüber zerbreche ich mir auch gerade den Kopf, Taskamore.“

Wir sitzen auf dem Bettrand, und das trübe Schweigen ringsum beschwört Gespenster herauf.

Kamos kühnes, schönes Gesicht hat Falten.

„Olaf, woher wußte das Mädchen über uns so gut Bescheid?“

„Der Mindato hat Sender und Empfänger, Hiller wird Funksprüche aufgefangen haben, anders läßt es sich nicht erklären. Daß die beiden bereits drei Wochen an Bord sein müssen, beweist die Sauberkeit im Innern hier und die gute Durchlüftung. Gerade Verwesungsgeruch hält sich sehr lange. Das Mädchen besitzt bei aller fraulichen Weichheit eiserne Nerven. Male dir einmal aus, was es bedeutet, in solch einem pesthaucherfüllten Eisensarg hinabzusteigen.“

Freund Kamo wirft zweifelnd ein: „Sender und Empfänger verlangen elektrischen Strom. Die Akkumulatoren müssen in all den Jahren längst erschöpft gewesen sein.“

„Stimmt, aber die kleine Dynamomaschine zum Aufladen war in Ordnung. Daß Hiller und sein Schützling sich mit Kerzen begnügte, ist Bluff.“

Ich recke die Hand zum Schalter, und das elektrische Licht flammt auf.

„Da, – du siehst, Kamo, daß hier vieles noch zu erörtern wäre. Aber die „Herrin“ verlangt Schweigen. Von mir aus – meinetwegen!“ Ich schaltete das Licht wieder aus.

Das leise Knacken des Schalters wird übertönt durch einen Schuß – noch einen – einen hellen Schrei. Taskamore fliegt zur Tür …

Versperrt! Von außen verriegelt.

Kain grollt, – wir stehen da und lauschen. Wir spüren das gewisse Vibrieren in den Nerven.

Noch ein rasch verklingender Schrei …

Kamo winkt … Sein Gesicht ist finster … In den Augen liegt etwas von der blutigen Wildheit seiner kampfesfrohen Ahnen.

Wir packen den Tisch …

Ein Rammstoß gegen die Tür …

Noch einer …

Und wenn zwei Kerle wie wir rammen, dann muß eine Tür schon sehr fest sein.

Das Schloß gibt nach, wir stürzen mit den Pistolen in der Hand in den Achtergang. Da liegt des Mädchens Kimono, – ihre Tür weit offen, Kabine leer, Tischchen umgefallen, Unordnung überall …

Weiter – empor zum Turm … Luke offen, – – und am Fuße der Eisenleiter so ein Ding mit kurzer Zündschnur: Sprengpatrone, reichlich ein Pfund Dynamit, – kenne den Zylinder aus Bergwerken, von Tunnelarbeiten her.

Ein Griff – ins Wasser mit dem satanischen Mordgebilde!!

Und draußen?!

Nebel … Nebel …

Eine unheimliche kalte, feuchte Dämmerung.

Wir horchen …

Und hören nichts, nichts!

Dann bleibt Kamo oben als Wache, und ich durchsuche das ganze Schiff.

Hiller und das Mädchen sind entführt worden. Von wem?!

Taskamore blickt noch finsterer. „Wir werden sie finden, El Gento …! Sieh zu, daß wir schnellere Fahrt machen …“

Elf Uhr vormittags wage ich das Äußerste. Die Ballasttanks werden leer gedrückt, der Mindato mit seinen grünen Bärten und Muschelbänken hebt sich aus dem Ozean, wir laufen jetzt zwölf Knoten … –

Vier Tage darauf kommt abends bei klarem Wetter und farbenprächtigem Sonnenuntergang die Cedros-Insel in Sicht. Nach Dunkelwerden schleichen wir uns in die San Sebastian-Bai hinein und suchen die Ostküste der Insel ab. In einer Bucht stehen armselige Hütten … Offene Feuer brennen …Und die schlanken Masten eines Schoners ragen stolz in den nächtlichen Himmel.

„Medusa“, sagte Taskamore und nimmt das Nachtglas von den Augen.

Von Land her weht ein Dunst herüber, den ich kenne …:

Petroleum …!

„Ich werde hinüberschwimmen“, erkläre ich nur, „wir können noch näher heran.“

Ein Anker gleitet herab, der Mindato schwenkt herum, und die laue See durchschneidet ein Mann mit stillen Schwimmstößen.

Es ist der Auftakt zu alledem, was später kam. Und wenn mir einer damals vorausgesagt hätte, was sich ereignen würde, hätte ich ihn ausgelacht.

 

3. Kapitel.

Das Kakteennest.

Als der große Abenteurer Cortez, dessen Habgier nach den Schätzen der indianischen Ureinwohner mindestens ebenso schrankenlos war wie sein persönlicher Mut, im Jahre 1535 auf einem seiner Beutezüge in der Bai von La Paz im Südwinkel der niederkalifornischen Halbinsel landete, erlebte er eine bittere Enttäuschung. Er hatte hier reiche Städte, eine goldstrotzende Kultur, kostbare Tempel und ähnliches vorzufinden gehofft: Was er fand, waren Einöden, kahle Gebirge, vorsichtige, nomadisierende Indianer von bedenklicher Anspruchslosigkeit. Nicht einmal im Tauschverkehr ließen sie sich mit den Fremdlingen ein, trieben ihre Schafherden ins Innere und blieben fernerhin unsichtbar. Cortez segelte davon, und diese große, schon mehr riesige Halbinsel wurde von Seefahrern und Entdeckern kaum mehr beachtet. Die Gerüchte, die über dieses öde Land sich in Europa, dem aufblühenden Amerika und dem gleichfalls emporstrebenden Mexiko verbreiteten, entflammten niemanden zu kostspieligen Forschungsreisen. So sehr die erfolgreiche Missionsarbeit der Jesuiten auch Nordmexiko und Südkalifornien nützten, um Niederkalifornien und seine spärlichen Bewohner kümmerte sich niemand. Mit der Vertreibung der Jesuiten 1833 begann auch für das unbeachtete weite Gebiet zwischen Golf und Stillem Ozean insofern eine rein äußerliche Periode politischer Umgestaltung, als die Freiheitskämpfe in Oberkalifornien damit endeten, daß Mexiko auf das „Goldland“ verzichtete und nur Niederkalifornien behielt, ein sehr magerer Brocken, da das 151 000 Quadratkilometer große Gebiet noch heute auf einen Quadratkilometer Raum einen Bewohner zählt. Lediglich schmale Küstenstriche, so das fruchtbare Tal von La Paz, und einige ganz bescheidene Industriezentren kann man als Kulturland ansprechen. Gerade die Mitte der Halbinsel südöstlich der Bai von San Sebastian ist ein endloses, von Gestrüpp bedecktes Hochland, durch dessen Täler und Savannen wie einst der scheue, friedfertige Indianer mit Lederzelten, Schafherden und jämmerlichen Gäulen dahinzieht – ein vergessenes Land, könnte man sagen, völlig vergessen, wenn nicht fremde Elemente in den Küstengebirgen hier und dort Kupfergruben, Quecksilbergruben und wenig lohnende Goldwäschereien angelegt hätten. Die Ausfuhr von Kupfer stellt noch den größten Wertfaktor der Provinz Niederkalifornien dar, nebenher Quecksilber und Schafwolle.

Ich schicke diese knappen Angaben über ein Land, dessen ungeheure Ausdehnung von Norden nach Süden, dessen fischreiche Buchten und Mineralschätze im Grunde unbenutzt bleiben, dem voraus, was diesen meinen neuesten Weg abseits vom Alltag gleichsam als kennzeichnenden Geruch umgibt: Petroleum – – Erdöl!

Ich habe über die Erdölreichtümer Nordkanadas bereits so manches zu sagen gewußt, ich kenne die Erdölgebiete des Kaukasus von einer Zeit her, als ich noch ungehindert durch ein Fehlurteil mit seinen wechselvollen Folgen meinem Berufe als Ingenieur in den verschiedensten Weltteilen nachgehen durfte.

Und hier nun in dieser Ostbucht der kaum bewohnten Insel Cedros, die immerhin halb so groß wie die Schweiz sein dürfte, wehte dem einsamen Schwimmer, der seine Waffen in einem um den Kopf geschlungenen Öltuch auf dem Kopfe trug, gerade dieser penetrante Geruch immer stärker entgegen.

Je näher ich kam, desto deutlicher erkannte ich unsere Medusa. Merkwürdig, daß unsere Verfolger die Jacht gerade hierher gebracht hatten.

Aber all das war vorläufig gleichgültig.

Mochte die Brandung an der Küste auch noch so böse toben, ich fühlte mich hier in meinem Element, das leichte seidene Unterzeug behinderte mich in keiner Weise, und nach einigem Ringen gegen die rückflutenden Brandungswellen watete ich an Land. Die Hütten und die drei lodernden Feuer lagen links von mir.

Der kahle Strandstreifen ging in dichten Busch über, dahinter erhob sich ein Gehölz jener Bäume, denen diese mexikanische Insel ihren Namen verdankt.

Cedros erinnert an Zeder; also an jene Koniferenart, die in Nordindien und am Libanon durch ihre gigantische Größe Berühmtheit erlangt haben.

Der Zedrobaum[2] ist jedoch ein völlig anders geartetes Naturerzeugnis dieser immergrünen Bäume, uns allen von … Zigarrenkisten her vertraut, sein leichtes, rötliches, gut spaltbares Holz wird auch für Möbel gern benutzt. In Westindien und Guyana trifft man sehr stattliche Exemplare an. – Deshalb also Cedros-Insel: seine kleinere Spielart der Ceduela (Zedrobaum) bedeckt die Abhänge in endlosen Wäldern, und dieser Wald hier, der sich bis zu den Hütten hinzog, kam mir sehr gelegen.

Mit der Pistole in der Hand, von Baum zu Baum schlüpfend, erreichte ich die erste Hütte, ein jammervolles Bauwerk aus Ästen, Moosstücken und Zweigen. Acht solcher Prachtbauten gab es. Nirgends war eine lebende Seele zu bemerken. Aber der Petroleumgeruch war hier so intensiv, daß ich sofort auf den Verdacht kam, in den Hütten lägen Petroleumfässer aufgestapelt. Und noch eines fiel mir auf, ein langer, schwarzer Strich im hügeligen Ufergelände vor diesen recht liederlichen Baracken, zweifellos ein Brandstreifen. Es mußten dort dichte Büsche gestanden haben, die von der See her jeden Blick auf die Hütten versperrt hatten. Der Buschstreifen war niedergebrannt und wahrscheinlich durch unvorsichtiges Hantieren mit einem Petroleumfaß, dessen Inhalt erst die grünen Sträucher in Asche verwandelt hatte.

Die Ruhe ringsum warnte mich, zumal auch auf der Jacht sich nichts rührte. Und dann kam noch hinzu, daß die vier vor den Hütten lodernden Feuer meinen Argwohn verstärken mußten. Diese Feuer aus dicken Scheiten brannten kaum länger als eine halbe Stunde, berechnete ich aus alter Erfahrung heraus. Wer hatte sie angezündet, zu welchem Zweck …?!

Ich habe gegen ein derart verdächtiges Schweigen, das unbedingt dunkle Teufeleien birgt, ein nachsichtiges Lächeln und verdoppelte Vorsicht ins Feld geführt.

Mit solchen Scherzen fängt man El Gento nicht! Falls hier mexikanische oder sonstige Halsabschneider irgendwie im Hinterhalt lagen, würden sie unliebsame Bekanntschaft mit zwei neunschüssigen Repetierpistolen aus den Militärwaffenfabriken in Bahia machen.

Ich blickte mich um. Ich musterte jeden Baum, jeden Busch. Das Mondlicht ruhte wie helle Streifen von Läufern zwischen den licht stehenden Bäumen. Im engen Bogen, dann im weiteren Bogen suchte ich den Wald ab. Keine verschlafene Vogelstimme störte die lastende Stille, kein Tier begegnete mir. Nicht einmal Möwen belebten die Ufer, und diese Vagabunden der Meere sind doch überall anzutreffen.

Die Situation war höchst ungemütlich. Ich hätte doch mein Wölflein Kain mitnehmen sollen. Nur die Brandung hatte mich davon abgehalten. Kain ist kein Parforceschwimmer.

Was für ein undurchsichtiges Spiel wurde hier nun gespielt? Sollte unser Nahen mit unserem famosen U-Kreuzer mit seinem Behang von Muscheln und Seepflanzen, die ihn zum Wrack stempelten, bemerkt worden sein? Ich hielt das für ausgeschlossen.

Inzwischen hatte ich mich den Hütten wieder genähert und besichtigte nochmals das Vorgelände. Eins der Feuer war derweil wie eine Schlange rückwärtsgekrochen. Und diese Feuerzunge, die jetzt auf eine der schäbigen Hütten zulief, gab mir endlich Gewißheit: die Feuer sollten die Hütten nach einer bestimmten Zeit einäschern!

Ich tat das einzig Richtige und trat den Rückzug an. Es war auch zu gefährlich, die Hütten in solcher Nähe zu haben. Petroleumfässer, gefüllt, brauchten als Gegner nicht durch Schüsse bekämpft werden. Ich enteilte durch den Wald nach einer Anhöhe, warf mich nieder, wartete …

Da ging schon die erste große Bude wie eine Fackel in Flammen auf …

Die zweite folgte.

Im Nu war die Mondnacht von der roten Lohe eines großen Brandes unheimlich hell erleuchtet. Und dann geschah das, was von vornherein, wie ich nun wußte, für uns bestimmt gewesen:

Ein paar donnerähnliche Explosionen, deren Luftdruck sogar die ersten Baumreihen des Waldes niedermähte, eine Fontäne von brennenden Ästen, emporsteigendem brennenden Petroleum, – – – und die Ursache bestimmt ein paar Dynamitpatronen.

Ich dachte an das gefährliche Andenken derselben Art, das die Entführer der „Herrin“ und Ret Hils im Turm damals zurückgelassen hatten, um den Mindato samt seiner Besatzung, Kamo, ich, Kain, in die Tiefe zu schicken.

Der Anschlag war mißglückt.

Dieser auch.

Also: dieselben Herrschaften waren hier beteiligt, das stand nun fest.

Dieselben Leute, die die Medusa schon verfolgt und einen der ihrigen an Bord geschmuggelt hatten, waren auch die Schachspieler dieser neuen Partie!

Immerhin: Ein Vorzug, wenn man orientiert ist!

Meine Aufmerksamkeit, in den letzten Sekunden durch das große Brillantfeuerwerk dort am Strande abgelenkt, wandte sich wieder der offenen See zu.

Ein einziger Blick …

Wie Erstarrung befiel es mich …

Ich stierte dorthin, wo kaum erkennbar der Turm der Mindato über die Dünung hinausragte.

Ein kräftiger Fluch, – zwecklos …!

Die Medusa jagte mit voller Geschwindigkeit auf den U-Kreuzer zu …

Dann ein dumpfer Krach, der bis hierher in die Stille des Uferwaldes drang, – – als die Jacht nach Süden drehte, war von der Mindato nichts mehr zu erkennen!

Und Taskamore – und Kain?

Die zwei, an denen mein Herz hing?!

Etwa ertrunken, etwa überrascht durch den Rammstoß, etwa im Innern des Mindato brutal ersäuft wie Ratten in einem jäh überflutenden Abflußrohr?!

Der ungeheure Grimm gegen die hinterhältigen Schurken, die dort mit unserer Medusa gen Süden jagten und rasch in der milchigen Ferne der Mondnacht verschwanden, trieb mir das Blut mit solcher Kraft zu Kopfe, daß vor meinen Augen blutige Nebel aufstiegen.

Wer, fragte ich mich, als ich ruhiger geworden, wer steckte als unsichtbarer Regisseur hinter diesen Begebnissen, die nicht allein uns betrafen, sondern auch das Mädchen mit dem weichen Organ und den Traumaugen und ihren Gefährten Richard Hiller?

Wer?

Wo waren die Fäden, die von Seattle südwärts liefen hier bis zur Cedros-Insel und der großen Halbinsel Kalifornien? Sie waren da, und so gewiß ich wieder einmal ganz allein auf mich angewiesen war: Ich würde diese Dinge aufdecken, würde strafen, würde nicht ruhen noch rasten, bis die Schuldigen ihren Lohn erhalten hatten!

Taskamore mir zu rauben, der bereits ein Teil meiner selbst geworden, – Kain mir zu nehmen, der, nur ein Wolf und rauh von Natur und um so treuer, viele Monate mir Gefährte ferner Pfade und ferner Wildnis gewesen!

Der wilde Groll, dieses Aufschäumen einer zwecklosen Wut, die nun einmal nach solchen Ereignissen, denen man vorläufig machtlos gegenübersteht, nicht zu unterdrücken ist, die hochschießt wie eine Stichflamme und dann wieder zurückkriecht in das kühle Hirn, das bereits andere Möglichkeiten, andere Wege zum Ziele der Vergeltung prüft, – das war überwunden.

Kühler Kopf überlegt …

Und das Herz meldet sich mit leiser Hoffnung.

Vielleicht, flüstert es, – – vielleicht …!!

Hinter mir erstirbt der Brand …

Von den Hütten nur noch qualmende Reste …

Als Zeichen der Explosion nur noch die niedergemähten Stämme …

Und ich schreite dahin, ein einsam Gewordener, – schreite dorthin, wo ich gelandet war als sicherer Schwimmer.

Taskamore war nur ein mäßiger Künstler in diesem feuchten Spezialfach. Und die Brandung dort vor der Küste, der weiße, breite Gischtstreifen, in dem die langen Wogen die Kämme neigen und brausend sterben und wieder geboren werden und abermals sterben, – der Streifen da ist nichts für Taskamores Muskeln! Kraft allein hilft dort wenig. Erfahrung ist alles. Auf einem Pferderücken kommt keiner meinem Bruder Kamo gleich, diesem Ebenbilde des unvergeßlichen Coy, – doch der Ritt auf Wogenkämmen will gelernt sein, besonders wenn Riffreihen ihre blanken Zähne jede Sekunde bereit halten, um den dahinschießenden Leib wie billigen Plunder zu zerfetzen.

Das hoffende Herz schweigt. Zu gering sind die Aussichten, daß Taskamore noch am Leben. Weshalb sich selbst betrügen?!

Und dann der Strandstreifen, – auslaufende Wellen, dort links das Gerippe eines Walfisches, gebleichte Riesenknochen wie das Gerüst zu irgend einem weißen Bauwerk …

Ein Walfisch – – hier?!

… Was erzählte doch der schweigsame Ret Hil, dieser Mann mit dem scharfen Habichtsgesicht, der uns zunächst so fein zu täuschen wußte? … Er erzählte von dem Reichtum an Riesenfischen in den Gewässern Niederkaliforniens, von den Walen, die dort in den stillen Buchten sich tummelten. Es hatte so unglaubwürdig geklungen und entsprach doch der Wahrheit. Vielleicht sind jene Gestade der einzige Hochzeitsplatz an den endlosen Küstenlinien der wärmeren Gegenden von Nord-, Mittel- und Südamerika, Hochzeitsgefilde von altersher, im Instinkt der riesigen Seesäugetiere als ererbtes Wissen, ererbte Sehnsucht verankert, nach diesen warmen, fischreichen Gründen, in denen neben Wal und Hai und Scharen von Delphinen auch jene Abart von Thunfischen vertreten ist, die in der Ostsee vier bis fünf Meter, oft jedoch[3] bis acht Meter lang werden und mit ihrem schwarzen behaarten Fell und ihrem Schweinsrüssel die Bezeichnung „Schweinsfische“ vollauf verdienen.

Es war ein Walskelett, Seevögel hatten es sauber benagt, Wind, Wetter und Sonne hatten die riesigen Knochen gebleicht, sogar der Schädel leuchtete wie ein phantastisches Gebilde in blenden[dem Weiß, jetzt umflossen vom sanften Licht des][4] Mondes.

Gerade dort drüben zog sich ein breiter Streifen fahler Kakteen, anzuschauen wie unzählige bleiche, magere, in die Luft greifende Arme, fast bis zur Flutlinie des Strandes hinab.

Meine Augen haften starr an einem Gegenstand zwischen Kakteen und Walschädel. Es liegt am Strande ein Etwas, das ein schlafender Seehund sein könnte, ein Etwas, das jetzt ein mattes klagendes Heulen ausstößt.

Meine Beine bekommen Flügel.

„Kain!!“

Der arme Kerl hebt kaum den Kopf. Aus einem scharfen Riß an der Brust, der den Knochen freigelegt hat, der die Haut als Lappen herunterhängen läßt, fließt das Blut.

„Kain!!“

Ich, Mann in seidener nasser Unterwäsche, mit Schuhen mit Gummisohlen, sonst mit nichts am Leibe, hebe den vierbeinigen Freund empor, trage ihn in den Wald, reiße das Hemd vom Leibe, verbinde die Wunde, reiße die Unterhosen herab, und nackt wie ein altgriechischer Arenakämpfer renne ich zum Strand, tauche die Hose ein, will erst einmal die Wunde gründlich säubern. Seewasser ist immer noch das einfachste Mittel, eine Eiterung zu verhindern.

Renne zurück … Kain rührt sich nicht. Schreck packt mich, Angst, – nur ein Wolf, würden viele sagen, die nie empfanden, was es bedeutet, die Treue der Tiere als Ausgleich gegen die gehässige Niedertracht der Menschen beglückt preisen zu dürfen.

Er lebt … Er lebt, das Herz schlägt, – Kain ist kein verzärteltes Kulturgeschöpf, Kain ist Kanada-Wolf reinen Blutes.

Ich beschaue die Verletzung. Hätte ich Nadel und Zwirn, – ein leichtes wäre die Befestigung des Hautlappens.

Not lehrt alles.

Not stand neben mir soundso oft. Not machte das Unmögliche möglich.

Ich hatte mein Jagdmesser, Andenken an Taskamore, vielleicht das echteste Siouxmesser, das je verschenkt ward. Lange Klinge, Büffelhorn am Griff, Kupfernägel als Verzierungen.

Ich habe die seidene Unterwäsche. Schneide schmale Streifen.

Primitiver ward nie eine handgroße Wunde vernäht. Eiliger wurde nie ein Verband darüber geschlungen, denn die Hoffnung war wieder erwacht, Freund Kamo könnte noch am Leben sein und irgendwo am Strande liegen – hilflos wie das Wölflein.

Ich wende mich der See wieder zu, das weiße Walgerippe grinst mich an, und der Gedanke, den Schädel als Auslug zu benutzen, wird zur Tat …

Doch nicht.

Soll Tat werden. Mein Fuß stockt …

In dem nassen Ufersand sehe ich Spuren – – neben den meinen, kleine schmale Schuhfährten.

Hallo – ein Weib – hier?!

Und ich denke an meine Nacktheit, greife in einen Haufen Seetang, schlinge einen Schurz um die Lenden, folge den schmalen, scharf umrissenen Eindrücken und stelle fest, daß sie dort aufhören, wo mein nahes Ziel, der Walschädel, ruht.

Weib oder nicht Weib, – – – eine innere Stimme mahnt zur Vorsicht.

Und ein Blick zu dem seltsamen Gebilde empor veranlaßt mich, einen Satz vorwärts zu tun, mich dann anzuschmiegen an den meterhohen Skelettkopf und wieder mißtrauisch emporzuäugen nach den schwarzen Löchern, in denen einst das lebende Riesengeschöpf die Augäpfel rollen ließ und ausspähte nach Feinden und doch der Harpunengranate nicht entging.

In der linken leeren Augenhöhle hatte ich etwas wie einen Schatten zu bemerken geglaubt.

Weshalb sollte nicht der leere Schädelraum des toten Kolosses einen Menschen bergen?! Ein gutes Versteck vielleicht, trocken und luftig, groß genug für ein Lager, für ein Dasein in der Verborgenheit.

Ein leises Lächeln zuckt um meinen Mund. So kleine Füßchen hatte die „Herrin“, hatte die schwarze Nixe mit den Märchenaugen.

Ist sie es?!

Ich lasse es darauf ankommen. Rufe.

„Hallo, hier El Gento, Miß …!“

Aber die Pistole liegt im Anschlag.

Dieser El Gento läßt sich nicht abknallen.

Ich warte.

Wenn’s ein Mädchen ist, dann kann ich es begreifen, daß vielleicht das Schamgefühl ihr den Mund verschließt.

„Hallo, melden Sie sich doch!!“

Antwort ertönt – zaghaft, weich:

„Ich werfe Ihnen etwas hinab, Mr. Abelsen.“

Durch das Augenloch fliegt ein Bündel, – eine blaue Hose …

Flattert durch die Luft, die Hosenbeine wehen wie Fahnen, und dann sinkt es in den Sand und liegt still da.

Die Hose, die blaue Hose, dunkles Leinen, von einem Heizeranzug.

Immerhin: besser als der Schurz ist diese Hose doch, wenn sie auch wohl für eine kleine Pagenfigur bestimmt gewesen.

„Kommen Sie!“, sage ich höflich. „Ich freue mich, daß ich Sie wiedergefunden habe …“

Zum Schädelfenster klettert da ein Persönchen heraus, dessen zierliche Glieder einen ähnlichen Kimono wie damals tragen.

Ich helfe, und sie steht vor mir …

Ein schmales feines Gesichtchen senkt sich, eine müde Stimme spricht mit bitterem Zagen:

„Ich habe Entsetzliches durchgemacht … Drei Tage und drei Nächte bot mir der Kopf des Walskelettes Schirm und Schutz. Ich bin dem Verhungern und Verdursten nahe. Und dazu die immerwährende Angst, hier wieder entdeckt zu werden und …“ – sie erschauerte, schluchzte leise, fand ihre Selbstbeherrschung schnell zurück und schloß mit der flammenden Anklage: „Mr. Abelsen, es sind Menschen ohne jedes Gefühl, es sind Bestien an Verworfenheit, Teufel an Habgier! Aber ich werde mich rächen, so wahr ich eine Tochter der Mixtecas bin.“

Ich fragte nichts. Und hätte sie viel zu fragen. Ich hatte jetzt für zwei zu sorgen, und die zweite war fast ebenso hinfällig wie mein Kain. In den Armen trug ich sie, wie vorhin Kain, in den Wald und bat sie, neben dem schwer keuchenden Tiere zu warten. Die Freundespflicht ging doch noch über die andere, die diesem Mädchen galt und meinem vierbeinigen Gefährten.

Ich suchte das Ufer nach Taskamore ab. Ich fand ihn nicht. Ich fand nur im Norden eine schmale Bucht mit einem freundlichen Tale. Dorthin führte ich meine Schützlinge. Dort waren wir sicherer als in einer Festung, denn die flachen Talwände waren ein einziges Feld großer, dichter Stachelkakteen. Mitten hinein zu einem kleinen Wäldchen und ein paar Felsen biegt ein enger Naturpfad, der sich leicht verschließen ließ. Der Boden war mit Geröll bedeckt und nahm keine Spuren an.

Zwei Hütten entstanden, nachdem eine Kugel noch weiter nördlich ein Wildschaf niedergestreckt hatte.

So begann unser einsames Leben an der Ostküste der großen Cedros-Insel und die Zeit der Vorbereitungen für die Fahrt über die weite San Sebastian-Bai hinüber zum Festlande der Halbinsel Niederkalifornien, die doch ein Land für sich ist, ohne Eisenbahnen, ohne große Städte, ohne Kultur, ein vergessenes Land, das dann doch seine mannigfachen Schönheiten und Reize einer unberührten Natur ein paar wilden verwegenen Reitern enthüllte und uns das schenkte, was ich überall suche und finde ganz fern den zivilisierten Städten der Menschen: das Abenteuer abseits vom Alltag mit einem schicksalsgerechten, kraftvollen Ausklang!

 

4. Kapitel.

Ich lerne Blech und einen Thunfisch kennen.

Juanita heißt sie. Das weiß ich nun. Das ist aber auch so ziemlich alles.

Ich nenne sie Juana. Es klingt zarter. Es paßt mehr zu ihr, obwohl diese Juana durchaus nicht so mädchenhaft weich und so lebensfremd und so unerfahren ist, wie es scheinen könnte.

Juanas Vergangenheit und Zukunft versperrt ein Vorhang gegenseitigen Schweigens. Man könnte es als stille Übereinkunft bezeichnen. Unsere Gespräche weichen diesen gewesenen Dingen aus. Nicht einmal über das, was gemeinsames Erleben ist, mag Juana alle Schleier lüften.

Die, von denen sie und Richard Hiller entführt wurden, nennt sie „die Leute“.

Die, von denen sie hier auf der Cedros-Insel gefangen gehalten wurde, sind auch „die Leute“.

Sie entfloh, verbarg sich …

Über Ret Hils Schicksal weiß sie nichts. Einmal tippte ich vorsichtig an, ob sie vielleicht Chester Bry und Käpten Peter Rucks gesehen hätte. – Nein, die Namen waren ihr fremd.

Jetzt scheint die Sonne, wir stehen zwischen den Bäumen unseres Verstecks, es ist der dritte Tag, seit wir Gefährten sind, und Juana schabt mit scharfem Stein die Fleischfasern von einem Schaffell und spricht über Kain.

Kain ist für sie unerschöpfliches Thema, nachdem er ihr gestern, als sie ihn fütterte, dankbar die Hand geleckt und jenes behagliche Grollen ausgestoßen hat, das bei ihm Beweis der Liebe sein soll.

„Wenn Kain nur erst wieder auf den Beinen wäre …!“

„Nachher werde ich Kain Brühe kochen …“

„Kains Verband muß gewechselt werden …“

In der Tonart geht’s heute schon eine Stunde lang, seit wir hier Gerber spielen und die noch weichen, mit dem Messer geschorenen Felle sofort über das Gerüst des Bootes spannen, das ich aus Ästen und Riemen nach Eskimoart hergestellt hatte.

Arbeit haben wir übergenug. –

Ein Schatten fällt neben uns auf den sandigen Boden, – eine spitze Schnauze, aufrechte Wolfsohren und ein dickes Wolfsgenick.

„Hallo – – Kain!!“

Juana jubelt …

Olaf ist vergessen.

Es ist Kains erster freiwilliger Ausgang von seinem Krankenlager bis hierher in die Südecke unseres Lagers.

Kain steht breitbeinig da, schwankt etwas, setzt sich, gähnt, zeigt die gefährlichen Reißzähne und tut sich nieder.

Juana kniet schon neben ihm, streichelt ihn, als ich, sein Herr und Gebieter, sanft an die Tagesarbeit erinnere.

Dann liegt Kain als Tugendwächter in der Sonne, kaut an einer Schafkeule, blinzelt behaglich, Juana näht die Felle des Bootes zusammen mit der Ersatznadel, die ich aus einem Stück Blech, in den Brandruinen gefunden, hergestellt habe, näht mit gedrehtem Schafdarm, zeigt sich auch dabei verblüffend anstellig, und ich berechne zufrieden, daß das Boot nach weiteren vier Tagen fertig sein wird.

Wir schweigen wieder.

Ich eile hin und her, verstärke das Bootsgerüst, bringe Sitzbretter an, und meine Gedanken gleiten sprunghaft hierhin und dorthin.

Taskamore!!

Dann stoppen sie.

Undenkbar, daß Taskamore tot sein sollte. Der Wind kam damals nachts von Osten auf die Inselküste zu, und wenn Kain sich gerettet hat, muß auch Taskamore vor dem Rammstoß ins Wasser gesprungen sein.

Die Küste habe ich auf viele Meilen abgesucht: Keine Leiche …!

Taskamore muß leben. So hart wäre das Schicksal auch nie gewesen, mir Coys Ebenbild wieder zu rauben, bevor wir noch den großen Plan, Coys Heimat am fernen Gallegos[5] zu besuchen, hätten ausführen können.

Juana trällert ganz leise ein Lied. Es klingt schwermütig, – vielleicht eine mexikanische Volksweise.

Der Seewind streicht durch das Tal, die harten, hohen Kakteen reiben sich aneinander, das gibt ein seltsames Geräusch, – die Bäume wispern, und drunten am Strande brüllt die Brandung.

„Schluß, Juana, – – Mittagpause!!“

An der Quelle säubern wir uns gründlich die Hände mit feinem Sand, dann schmort der Schafrücken über dem Feuer, Juana begießt den Braten, ich hole noch schnell einen Korb voll Melonenkakteen, die drüben in der Ebene wie Butterblumen gedeihen, und so genießen wir nachher das vierte gemeinsame Mittagessen auf dem Platz zwischen unseren grünen Hütten, deren Vorhänge aus Fellen jetzt offen stehen und erst abends niederfallen und die trennende Wand bilden zwischen Jugend und reifem Mannestum.

Eine Stunde Ruhe noch.

Ich breche wieder zur Schafjagd auf. Juana behält die eine Pistole, und wie immer schärfe ich ihr höchste Wachsamkeit ein.

Es ist ein anderes Land, das sich vor mir dehnt in welliger Weite, es ist die Heimat jener Pflanzenart, von der wir in Europa nur kümmerliche Nachkommen zu züchten vermögen.

Die Kaktee ist die ausgesprochene Pflanze Mexikos, Arizonas und damit Amerikas. Hier allein trifft man sie bodenständig an, hier nur entwickelt sie die Pracht ihrer Formen und Farben und die Niedertracht ihrer gespickten Dickichte.

Die Cedros-Insel kenne ich jetzt. Da ist ein Berg, etwa drei Meilen von unserem Tale nach Westen zu, der mit seinen grünen Abhängen und Schluchten nicht nur der Tummelplatz der Bergschafe und einer kleineren, sehr scheuen Hirschart ist, sondern von seiner Spitze auch einen Überblick über das gesamte Inselgebiet gestattet.

Gestern habe ich fünf Schafe dort erlegt, heute müssen es wieder fünf werden, dann reichen die Felle für das Boot und ein Segel. So habe ich’s berechnet.

Im gewohnten gleichmäßigen Trab eile ich dahin, zwischen Kakteenfeldern entlang, an Kakteensäulen vorüber, an Waldstücken, durch Bäche und seichte Flüßchen, – nackt den Oberleib, von der Sonne verbrannt, leichtfüßig wie seit Jahren nicht, die Muskeln spielen, der Körper freut sich seiner Frische, die Luft ist rein und würzig, und ein Jammer ist es, daß ich ausziehe, um andere Geschöpfe zu morden.

Es muß sein.

Juana will es.

So ist es.

Viermal hätten wir vorübersegelnde Schiffe durch Rauchsignale in diesen Tagen herbeirufen können. Vielleicht waren es Walfänger oder Thunfänger. Juana hat den Kopf geschüttelt: „Nein! – Wenn Sie mir helfen wollen, Olaf, dann genügen wir beide!“

Genügen – wozu?!

Hinüber nach Niederkalifornien will sie, hinein in eine der tiefeinschneidenden Buchten.

Wozu?!

Wen sucht sie, was sucht sie?! –

Und dann, wie ich hier in den Kakteensteppen von Cedros gerade vor einem noch blühenden Exemplar der berühmten Kaktee „Königin der Nacht“ andächtig Halt gemacht habe (weshalb die Bezeichnung für eine Pflanze mit weißen Wunderblüten, werde ich nie begreifen!), da erspähe ich in der Ferne zum ersten Mal einen Fremden, einen Mann mit einem kurzen Karabiner im Arm, der sehr verdächtig den Kopf gesenkt hat und zweifellos meine Spur von gestern rückwärts verfolgt.

Der Mann trägt einen derben Anzug aus Englischleder, einen Schlapphut, um den Hals ein Seidentuch, – unter seiner Jacke sehe ich noch zwei Pistolen, und unter dem Hutrand ein bärtiges, blaurotes Gesicht und eine Nase, die mit Käpten Rucks’ Leuchtturm jederzeit konkurrieren könnte.

Seemann schätze ich.

Ich liege längst nach drei geduckten Sätzen hinter einem Gestrüpp, schleiche mich in guter Deckung weiter vor, daß ich den Kommenden seitwärts habe.

Zweifellos, er sucht meine Fährte …!

Dann sackt er jäh zusammen, ist verschwunden, und so plump und stiernackig er auch erschien, so flink waren seine Bewegungen, so scharf hatte er beobachtet.

Kein übler Gegner.

Ich entsichere die Pistole. Hinter mir senkt sich das Gelände in eines der Vortäler des Berges, ich krieche dort hinab, laufe wieder, klettere den Anhang hoch, und … habe den Mann gerade vor mir.

Gut gemacht, – aber auch er weiß Bescheid.

Abermals wirft er sich nieder, ein dünner Knall, haarscharf an meinem Ohr, surrt das Blei ins Weite, und der Schütze, der mich hat hochschnellen und rückwärts niederfallen sehen, kommt behutsam näher … –

Freundchen, – – etwas früher aufstehen, wenn man El Gento an den Kragen will! Der hat Kerle anderen Kalibers niedergeboxt, der wird …

„Hände hoch!“, brüllt’s da. „Lump du, denkst den ollen Blech zu überlisten!! Hände hoch, aufstehen, Pistole fallen lassen – – etwas fix!!“

Komisch: Der Grobian spricht deutsch, nennt sich selbst „den ollen Blech“ und gibt meinem Selbstgefühl ein Stößlein, das mich wirklich hochjagt.

Eine Karabinerkugel – – heute schon?! Nein, ich wollte doch noch einige Tage leben.

Grinsend nähert er sich.

Bleibt stehen, betrachtet mich.

„Hm, – – nette Gaunervisage, die du dir da zugelegt hast, du verdammter Ölpirat, Du!! Ihr dachtet wohl, auch ich wäre damals Hops gegangen, als ihr unsere kleine Juana so gemein in den Bauch stießet, ihr Halunken!! Hat sich was!! – Übrigens, verstehst du deutsch, du infamer Schlingel?“

Er glotzt mich groß an.

„Junge, Junge“, poltert er mit verfänglicher Freundlichkeit heraus, „wenn du etwa ein Deutscher bist, dann bezahle nur schleunigst deine Schulden, bestelle dir einen Pfarrer, läute eigenhändig dein Armesünderglöcklein und telegraphiere an deinen zukünftigen Herbergsvater Beelzebub Satanas um einen recht schön angeheizten Schmorkessel. Der Karl Blech trifft immer, Jungchen, und eine Kugel hast du redlich verdient. Daß ein Deutscher sich mit diesen Gurgelabschneidern und …“

Mir war etwas eingefallen. Wozu sollte dieser Wüterich, der alle Kniffe der Wildnis kannte, seine Zunge noch mehr anstrengen?!

„Richard Hiller läßt grüßen“, warf ich so beiläufig ein.

Die Wirkung war prompt.

Er klappte geräuschvoll den Mund zu und blinzelte verwirrt.

„Hiller?!“

„Ja – und Juanita ebenfalls, Sie alter Grobian.“ Man soll die Ausdrucksweise möglichst der der Gegenpartei anpassen. „Die eine Juanita liegt auf dem Meeresgrund, die andere schabt Felle und ist sehr munter.“

Karl Blech, und daß dies der „echte“ Blech war bezweifelte ich nicht, behielt trotzdem die Büchse im Anschlag, ließ aber durch einen kurzen Grunzton erkennen, daß er außerordentlich erfreut sei.

„Also sie lebt wirklich?“, fragte er nur. „Und wer sind Sie, Mister?“

„Schwede, Herr Blech … Reden Sie nur getrost weiter Ihr Kerndeutsch.“

Da senkte sich der Karabinerlauf.

„Schwede?! Ist Ihnen vielleicht ein Taskamore mal über den Weg gelaufen?“

„So etwas … Taskamore oder Roger Tounens und seinen Freund El Gento könnte ich unschwer mit mir selbst verwechseln. Zu den Ölpiraten, übrigens eine Bezeichnung, die mir ganz neu ist, hatte ich keinerlei Beziehungen, es sei denn, daß Sie die Leute damit meinen, die drüben am Oststrand unweit des Walskeletts einige Baracken als Ölschuppen hergerichtet hatten und in die Luft fliegen ließen, um mir ein nettes Feuerwerk zu zeigen.“

Blech schlackerte den verwitterten Kopf.

„Erzählen Sie Märchen?! – Mann, aus alledem werde der Deubel schlau. Wo ist die kleine Herrin?“

„In Sicherheit bei mir und meinem Wolf … Kain heißt er.“

Karl Blechs Augen wurden blanke Glaskugeln.

„Sind Sie selbst El Gento?“

„Allerdings.“

„Weshalb sagen Sie das nicht gleich?“

„Ließen Sie mir Zeit dazu?! – Und gerade mit der Zeit bin ich sehr knapp daran, ich habe Eile. Fünf Schaffelle fehlen noch, dann können wir die Bai überqueren im Lederboot. Wenn Sie meiner Fährte gen Osten folgen, werden Sie an eine Bucht und ein Kakteental gelangen. Dort rufen Sie nur. Juanita wird sich melden, falls sie Ihre Stimme kennt. Falls nicht, wird sie sich auch melden – mit einer Kugel. Und jetzt machen Sie, was Sie wollen, Blech, – – Wiedersehen oder Nichtwiedersehen! Sind Sie ein Spion, so …“

Der Mann in Englischleder erklärte einfach:

„Ich begleite Sie! Los denn! Fünf Schafe haben wir in einer Stunde! Es treiben sich hier sogar Schafböcke umher, die sich einbilden, Karl Blech überlisten zu können. Ist ein Irrtum, schwerer Irrtum. Wenn ich gewollt hätte, wären Sie mausetot! Ich knalle nie ein Loch in die Natur, nie, – nie! – Gehen wir.“

Für Austausch von diplomatischen Höflichkeiten war dieser Kerl nicht zu haben. Im Gegenteil. Seine rauhe Natur verzichtete auf jeden Phrasenfirlefanz.

„Erzählen Sie!“, sagt er nachdenklich.

Ich tat’s.

„Doll … einfach doll!“, warf er manchmal ein.

Nachher hielt er mir die Flosse hin. Sie paßte zu seiner gedrungenen Gestalt. Wo die Faust hinschlug, wuchsen keine Zähne mehr.

„El Gento, auf gute Kameradschaft!“

Also doch! Das Eis um sein biederes Herz war eitel Butter geworden.

Als ich dann aber so sachte antippte, was es nun eigentlich mit Juana und den Ölpiraten auf sich hätte, grunzte er ablehnend:

„Später …! Juanita hat da zu reden, nicht ich.“

Dabei blieb’s.

Die Schafe mußten daran glauben, wir zogen ihnen die Röcke aus, nahmen nur ein Jungtier als Proviant mit und marschierten eiligst heimwärts.

Karl Blech war kein sehr unterhaltsamer Gefährte. Er ließ lediglich durchblicken, daß er Niederkalifornien genau kenne, daß sein Beruf die Jagd sei, daß er seit dem Untergang der schwimmenden Juanita an der Westküste der Cedros-Insel einsam gehaust habe und erst gestern meine Schüsse vernommen und mich daher heute gesucht habe.

Als wir das Kakteental erreichten, als ich die losen Kakteenbüsche, die den Eingang verschlossen, entfernt hatte, ertönte aus dem Wäldchen ein heller Schrei, eine Gestalt flog leichtfüßig über den Sand und die Steine und Karl Blech gerade in die Arme.

Beneidenswerter Kerl!!

Juana weinte vor Freuden.

Karl kullerten die Tränen in den Urwald von Bart …

Und dann kam Kain angeschlichen, betrachtete die Gruppe mißgünstig – genau wie ich, wir trollten uns, bei diesem Wiedersehen waren wir überflüssig. –

Jetzt ist „Karl“ Hauptperson im Lager.

Juana macht von Karl so viel Aufhebens, als ob er der Kaiser von Abessinien wäre.

Ich bin kaltgestellt.

Kain auch.

So sind die Frauen.

Ein bitterer Stachel im Herzen wollte mir die Laune verderben.

Da nahm ich Karls verrosteten Karabiner und verließ unser Kakteental und wandte mich den niedergebrannten Hütten zu.

Man sagt, den Mörder zwinge irgend etwas, immer wieder den Schauplatz seiner Untat aufzusuchen. Vielleicht ging es den Ölpiraten ebenso.

Ölpiraten?!

Das war wieder eine dunkle Frage. War Juana etwa die Tochter eines Ölmagnaten, dessen Tankdampfer von modernen Flibustiern gekapert wurden?! – Gegen diese Annahme sprach verschiedenes. Wenn auch im Gelben Meer die Herren Chinesen noch heute in aller Unbefangenheit dem blutigen Gewerbe der Seeräuberei nachgehen, so bilden sie doch eine Ausnahme. Hier in diesen Gewässern, wo die Vereinigten Staaten mit ihrer Kriegsflotte sich den Teufel was um mexikanische Hoheitsrechte scheren würden, falls Piraten sich mausig machen sollten, genügten ein paar Granaten, solchem Gelichter das Handwerk zu legen. Ein solches Treiben hätte nie verborgen bleiben können, mithin konnte von wahrer Piraterei garnicht die Rede sein.

Wovon sonst?!

Es war derweil dämmerig geworden, die Sonne war verschwunden, und über den Wäldern und Kakteenfeldern von Cedros lag der zarte, rötliche Hauch des Wiederscheins des wie in Flammen getauchten, westlichen Horizontes. Der Ozean hatte den feurigen Ball verschluckt, der Ozean schimmerte in allen Farben, die Abendbrise hatte die Brandung verstärkt, es war um die Zeit der Flut, und der Walfisch, das weiße riesige Knochengerüst, wurde von den Wassern umspült.

Ich stand hinter einem dicken immergrünen Zedrobaum, äugte die Ufer entlang, beachtete jeden Gegenstand, der mir irgendwie auffiel. Mückenschwärme hatten sich in der Bucht wieder eingefunden, die hohen Berge faulenden Seetangs waren weiß punktiert von den ruhenden Vögeln, nur in der Gegend des Walskelettes kreisten sie noch aufgeregt in der Luft und schimpften und schrien über irgendeinen fremden Störenfried.

Der Walschädel lockte mich.

Es war zu auffällig, daß gerade dort diese kleinen Strolche der Weltmeere so scheu umherflatterten.

Und dann erlebte ich ein Schauspiel, das mir neu war.

Etwa hundert Meter vom Lande ab, noch innerhalb des stillen Wassers, also diesseits der Brandung, schnellte sich plötzlich ein Thunfisch von gut sechs Meter Länge hoch empor, schwebte eine Weile über dem Wasserspiegel, den Schweinskopf senkrecht emporgerichtet, wütend mit dem Schwanze schlagend, fiel klatschend wieder zurück, blieb verschwunden, arbeitete jedoch weiter mit grimmen Bewegungen dicht unter der Oberfläche, tauchte abermals auf, jetzt mindestens zwanzig Meter näher dem Lande, ermattete sichtlich, mußte verwundet sein, so glaubte ich, – – war ein Irrtum.

Ich sah mit einem Male die dünne Stahltrosse, die genau in das linke Augenloch des Walschädels hineinlief …

Und schwang mich, nachdem ich durch das Wasser gewatet war, leise bis zum Schädelloch empor, wußte längst, daß er ein Granatloch hatte – Harpunengranate –, spähte hinein und erblickte in Juanas einstigem Versteck einen schlanken jungen Burschen in Ledertracht mit blauschwarzem Haar, das ihm bis zu den Schultern fiel, – und der halbe Knabe war’s, der hier den Riesenfisch allmählich an Land zog, indem er die dünne Trosse durch zwei starke Äste, die er als Hebel zugespitzt hatte, in immer neuen Schlingen langsam einzog – ein Spiel, das größte Geschicklichkeit und Kraft erforderte.

Als ich den Jüngling einmal im Profil vor mir hatte, erkannte ich, daß es ein Mädchen war, eine hellhäutige Indianerin mit klaren, reinen Zügen, die entfernt an Juanas besonderen Liebreiz erinnerten.

Zufall dann?

Schicksalsfügung?

Das Mädchen hatte den richtigen Moment verpaßt, – sie hatte zwar eine neue Schlinge herstellen können, als der Thunfisch ihr wieder Ruhe gönnte, aber den Hebel konnte sie nicht mehr durch die Schlinge stecken, ihr Handgelenk geriet in den Draht, sie schrie auf, wurde nach dem Augenloch gerissen, – es gab nur ein Mittel, sie zu retten, ihr den Arm und die Hand zu erhalten …

Schüsse, Kugeln …

Drei genügten, die Trosse wurde getroffen, zerriß, und blutüberströmt fiel die Fremde in dem Schädelversteck in die Knie.

Die Trosse hatte ihr das linke Handgelenk bis auf den Knochen zerschnitten.

 

5. Kapitel.

Die andere Insel.

Nun haben wir zwei Patienten im Lager, eine junge Yuma-Indianerin mit dem poetischen Namen Mi Moa, aus dem ich schleunigst Mimosa gemacht hatte, und Kain, das Wölflein.

Wir sind mithin eine kleine Kolonie geworden, zwei Mädchen, zwei Männer, ein echter Wolf, der jeden Tag kräftiger wird.

Auch Mimosa geht es leidlich.

Dieser rauhe Naturbursche Karl Blech kann was. Im ärztlichen Staatsexamen würde er vor hoher Kommission durchfallen, als Wundarzt ist er erstklassig. Ich hätte es mir nie zugetraut, Mi Moas geschundene Hand auszuheilen. Er brachte das Kunststück fertig.

Und diese Patientin selbst?!

Lohengrin, weiblicher Lohengrin: Nie sollst du mich befragen …!

Sie hüllte sich genau wie Blech und Juana in die dicksten Falten ihrer Geheimnisse ein, die natürlich ganz anderer Art sein mußten, als die des Paares Karl-Juana.

Keine angenehmen Gefährten, ehrlich gesagt! Wenn man so als Außenseiter mit ansehen muß, wie jeder der kleinen Gemeinschaft seine eigenen Gedanken verbirgt, wird die Geschichte langweilig oder aufreizend. Es fehlt die Aufrichtigkeit, es fehlt jene feine Harmonie, die abends am Lagerfeuer die Seelen öffnen und die Zungen beredt machen würde.

Und „Stimmung“ ist alles für mich! Ich liebe diese Abende mit dem romantischen Reiz der knallenden, brennenden Scheite, des brozelnden Bratens am Holzspieß, von dem das Fett zischend in die Glut fällt …

Romantik der Einsamkeit, des primitiven, kraftvollen Lebens, jener sternenklaren Nächte, in denen mir das Firmament mit seinen fernen Welten näher zu rücken scheint und die Rätsel des Weltalls die schöpferische Macht irgendeines Lenkers des Menschendaseins uns im Raunen und Flüstern der Gräser, Kakteen und Bäume offenbart.

Unsere gemeinsamen Abende haben keine Stimmung.

Das Gespenst der Geheimnisse geht um, und zumeist schlendere ich dann allein mit Kain noch zum Strande hinab und setze mich oben auf den Walschädel und grübele vor mich hin.

Karl Blech ist ein guter Kerl. Juana und er ist die eine Partei. Die zweite wird durch Mi Moa, die Yuma-Indianerin, dargestellt. Wie sie hierher gelangte, was sie auf Cedros-Insel wollte. Niemand weiß es!

Und dann Kain und ich, immer mehr auf uns angewiesen, immer enger uns zusammenfindend, seit Juana den alten Karl Blech uns vorzieht. Kain, nur Wolf, scheint unter dieser Vernachlässigung zu leiden. Er liebt den etwas polterigen Kerl durchaus nicht, obwohl diese Abneigung unberechtigt ist, denn der alte wackere Bursche mit der Grognase ist unfehlbar das, was man „Charakter“ nennt. –

… Vier Tage sind dahin, seit der Thunfisch Mi Moa beinahe den Arm ausgerissen hätte.

Wieder ist es Abend geworden, wieder kommt die kühle Nacht heraufgezogen und wieder sitze ich so einsam auf dem gebleichten Riesenschädel, Kain liegt neben mir, und mein Blick versenkt sich draußen jenseits der Brandung in den einen Fleck, wo damals der Mindato gerammt wurde und unterging, wo vielleicht Taskamore in der Tiefe für ewig schlummert und nie mehr auftauchen wird, um mir Freund und Bruder zu sein und Izana Milleret ein stolzer und liebender Gatte.

Kain hebt den Kopf von den Vorderpfoten, windet, legt ihn wieder behaglich auf die Läufe und grollt leise und zärtlich.

Seine Liebe hat sich Mimosa zugewandt. Mimosa füttert ihn, spricht mit ihm, streichelt ihn, kraut ihm die Kehle. – Es ist wunderbar, wie der harte Geselle Kain sich all das gefallen läßt.

Mimosa erscheint neben mir mit der Lautlosigkeit eines scheuen Rehes.

Setzt sich.

Ihre englischen Sprachkenntnisse sind mäßig.

Sie legt die verletzte, verbundene Hand in den Schoß und sagt mit ihrer bescheidenen, etwas tief gefärbten Stimme: „Mein Bruder El Gento hat das Boot aus Fellen fertig gemacht. Er mag es Juana und der Rotnase lassen. Wir haben ein anderes. Taskamore wartet. Wenn er stirbt, wird er um die Zeit des Mondwechsels sterben, meinte der alte Doktor aus Fort Yuma, und er irrt sich nie.“

Mimosas schmale, braune Hand, die gesunde rechte Hand, hatte sich zwischen meine starren Finger gestohlen in scheuer Kameradschaft.

Nie hatte sie mich vor Juana oder Karl Blech so vertraulich angeredet. Nie hatte sie irgendwie außer stiller Dankbarkeit im Blick allzuviel Anteilnahme für mich gezeigt. Nun merkte ich: Das, was sie Kain Liebes getan, hatte mir mit gegolten.

Aber von alledem ganz abgesehen: Geradezu sprachlos war ich und blieb ich einige Sekunden über ihre geheime, beunruhigende Nachricht.

Taskamore lebte also.

Lebte noch, war schwer krank, kämpfte mit dem Tode.

Wo?

Und „Wo?“ fragte ich und drückte dieses halbe Kind im Übermaß des Ansturms von widerstreitenden Empfindungen fest an mich.

„Wo, Mimosa?“

„Im Süden auf Natividad-Insel, mein Bruder. – Folge mir … Wir werden unser Boot holen und meine Waffen.“

Sie machte sich frei und erhob sich. Mir war’s, als hätte ihre Stimme leicht gezittert.

Flink kletterte sie an dem weißen Schädel abwärts, ich folgte ihr, Kain im Arm, schnell schritt sie gen Süden, den Brandruinen zu, mir stets einige Meter voraus, als wollte sie absichtlich zwischen uns einen Abstand legen.

Ich war wie benommen.

Ich war ganz still, als sie dann unweit der Ruinen, der noch immer nach Erdöl stinkenden Baracken halb den Kopf wandte und sagte:

„Mi Moa hat die Gebüsche der schlechten Leute niedergebrannt. Und dann geschah das andere, El Gento.“

Ohne Aufenthalt legten wir am Strande gut zwei Meilen zurück.

Die junge Yuma-Indianerin, die in ihrer zierlich gearbeiteten Lederkleidung und mit dem Jagdmesser im breiten, gestickten Gurt durchaus dem Ideal einer Knabenphantasie entsprach, die von Trappergeschichten erfüllt ist, war beinahe besser zu Fuß als ich. Trotz ihres Bestrebens, mich von weiteren Fragen zurückzuhalten, machte ich dieser ungeklärten Lage schließlich doch ein Ende.

„Meine Schwester möge mir sagen“, und ich trabte neben sie und hielt sie zurück – „wie Taskamore auf die kleine Insel geriet.“

Daß die Cedros-Insel nicht das einzige, dem Golf von San Sebastian vorgelagerte Eiland war, wußte ich. Die Natividad-Insel im Süden ließ sich mit Cedros nicht vergleichen. Es war nur ein kahles Inselchen mit einzelnen Wäldern und Felskuppen.

„Er entfloh“, erwiderte sie scheu.

„Wie?“

„Er schwamm, obwohl er schwer verwundet war … Wir fanden ihn am Strande in einer Korkweste.“

„Weshalb sprichst du so zögernd von alledem?“

Sie blickte mich an, und der gerade aufsteigende Mond machte ihre Frauenzüge noch weicher.

„Du solltest dich nicht zu sehr um ihn sorgen, El Gento. Jetzt ist meine Hand halb gesund, und wir werden das Kanu flott machen und hinübersegeln. Der Wind ist günstig. In drei Stunden werden wir den alten Doktor aus Fort Yuma sprechen, und er wird …“

„Ist Taskamore so schwer krank?“, stieß ich beklommen hervor.

„Er erkennt niemand mehr. Das Fieber ist in ihm. – Hilf mir …“

Da war eine Bucht, da war ein fast mannshohes Kakteenfeld, meist sogenannte Armleuchterkakteen mit breiten Spitzen, die leicht gewölbt sind.

„Sei vorsichtig“, warnte das Mädchen. „Es sind Giftkakteen! …“

Sie zog rasch ihre kurze Lederjacke aus und benutzte sie als Handschuh, bog ein paar Stauden beiseite, packte ein Lasso, warf mir das lose Ende zu, und gemeinsam schleppten wir ein langes Rindenkanu zum Wasser.

Darin lagen eine Büchse, zwei Pistolen und ein kleines, zierliches Beil und ein Ledersack mit Lebensmitteln.

„El Gento mag die Spuren verwischen“, meinte sie, den kleinen Mast aufrichtend.

Ein braunes Leinensegel flatterte im Winde … knallte lustig, und ein abgestorbener Kakteenbusch diente mir als Harke. Ich eilte fünfhundert Meter zurück, und als ich dann, im Wasser dahinwatend, in das Kanu stieg, hatte es sich Kain bereits neben dem Yuma-Mädchen behaglich gemacht.

Der Wind füllte das Segel, und die kritischen Minuten in der Brandung waren schnell überstanden, wir glitten im freien Wasser dahin, und das hochbordige Kanu erwies sich als glänzender Segler.

Wenn ich nun die Augen schloß und das Auf- und Abwiegen des Rindenbootes spürte, und das Plätschern der Wellen vernahm, und mir die Ereignisse der letzten Tage vergegenwärtigte, erschien mir alles wie ein Traum.

Es lag so viel Unwirkliches über diesen Tagen, so viel Widerspruchvolles. Und – war doch Wirklichkeit.

Mi Moa, die Blaue Taube der Yumas, die dort droben an der Grenze von Mexiko, Arizona und Südkalifornien wohnen, handhabte das Steuer mit der überlegenen Ruhe der altgewohnten Seefahrerin. Mi Moa deutete auf den Ledersack.

„Mein Bruder findet dort auch Zigaretten.“

Man bleibt Sklave des Tabaks, und meine Hände suchten und fanden.

Es waren vier Päckchen mexikanischer Zigaretten in runden Blechschachteln mit buntem Aufdruck.

„Auch du, Mi Moa?“

Ich scheute mich plötzlich, das verunstaltete Mi Moa, das mir bis dahin geläufigere Mimosa, zu benutzen.

„Bitte …“

Wir rauchen mit Behagen, und von selbst sprach sie, das Gesicht immer in der Fahrtrichtung:

„Als wir Taskamore fanden, El Gento, hatte er zwei Schüsse in der Brust. Wir erkannten ihn sofort. Er war uns kein Fremder, denn viermal war er bereits bei uns in den weiten Ebenen Niederkaliforniens, wo die Reste meines freien Volkes und einige seines Volkes zu einem neuen Stamme verschmolzen sind.“

Ich horchte auf.

Darüber hatte Kamo nie gesprochen.

„Wir liebten ihn, El Gento, er ist ein großer Jäger und Wohltäter. In seinen Adern fließt das ruhelose Blut unser Vorväter. Er brachte uns das, was uns nottat: Gute Pferde!“

… Die er natürlich gekauft hatte, denn arm war Taskamore nie gewesen. Wohltäter! hatte sie gesagt. Ich wußte das am besten. Ich hatte die blühende friedliche Musterkolonie der Sioux droben an der kanadischen Grenze gesehen, wo er ebenfalls für seine Stammesgenossen Helfer, Berater und Abgott gewesen. Wollte ich den Namen jenes Dorfes hier nennen, könnte ich auch mit Bildern aus amerikanischen Zeitschriften dienen, die des Lobes voll waren über den Fleiß und die schwer errungene Wohlhabenheit der einstigen blutigen Rothäute. Ich habe meine Gründe gehabt, den Namen der Kolonie, die nur eine von vielen ist, zu verheimlichen. Taskamores „Kriegszug“ gegen John Millerets Banditen war, als es um den Geiser der Träume ging, nur durch die verschwiegene Hilfe der Männer der Siedlung ermöglicht worden. Daß dieser abenteuerliche Zug, wie in vergangenen Zeiten, mit einem Gemetzel endigte, lag nicht an uns. Und doch war Taskamore dadurch heimatlos geworden, ein Flüchtling wie ich, – nur deshalb die stille Ausreise mit der Medusa von Seattle und all das andere, das später hinzukam, – später, bis zu diesem vorläufigen Abschluß meiner Ungewißheit über des Freundes Schicksal.

Zwei Kugeln, hatte Mi Moa betont. Zwei Brustschüsse …! Und dann schweres Fieber, Bewußtlosigkeit, Ringen mit dem Tode! Und ich hatte auf der Cedros-Insel derweil ahnungslos dahingelebt, hatte Juanas Märchenaugen bewundert und nicht gefühlt, daß da keine dreißig Meilen nach Süden auf entlegenem Inselchen der Mann gegen Wundfieber und Tod sich wehrte, der neben Coy meinem Herzen am nächsten stand.

Und doch: die Unruhe hatte mich ja nie ganz verlassen, was aus Taskamore geworden, meine Seele hatte sich dagegen gesträubt, ihn für ausgeschaltet aus der Reihe der Lebenden zu halten, ein leiser Hoffnungsschimmer war nie ganz in mir erstorben, und der Grund hierfür …?! Nur ein Grund: Jenes feine, allerfeinste Schwingen der Sympathie, das sich über endlose Entfernungen fortpflanzt, jene unterbewußte Hoffnung oder Verzweiflung, Beklommenheit oder Freude, die unsichtbar zwischen verwandten, eng verbundenen Seelen bei drohendem Glück oder Unheil des anderen Teiles sich spürbar macht.

Taskamore lebte!

Mir war dies Quelle der Gewißheit: Er würde am Leben bleiben!

Einen Taskamore bezwingt das Wundfieber nicht, ein so gesunder Leib trotzt dem Ansturm des vergifteten, brennenden Blutes und hilft sich selbst.

„Meine Schwester Mi Moa möge mir sagen, weshalb sie nach der kleinen Insel Natividad kam?“, setzte ich die Aussprache nach einigen stillen Zügen ans meiner Zigarette fort.

Die junge Gefährtin kraust unmerklich die Stirn.

„El Gento kennt wenig von den Gebräuchen der Urväter des roten Volkes“, meinte sie sinnend. „Es gab eine Zeit, mein weißer Bruder, wo in Nordmexiko die frommen Väter wahrhaft Gutes taten und selten nur jene Habgier bewiesen, die den Europäern gewöhnlich eigen ist. Ein paar der guten Patres flüchteten nach der Vertreibung aus Mexiko nach Natividad. Nur der jüngste von ihnen lebt noch und ist inzwischen so alt geworden, daß seine Augen erblindeten. Die Yumas haben ihn nicht vergessen. Einige von uns sind immer bei ihm, und da er krank wurde, fuhren wir mit dem alten Doktor aus Fort Yuma, der längst einer der Unsrigen geworden, zu ihm. Deshalb fanden wir Taskamore, als zwei von uns am Strande jagten.“

So schlicht diese Erklärung war, sie barg doch wieder dunkle Fragen, die für mich allergrößtes Interesse hatten. Sollte es wirklich möglich sein, fragte ich mich zweifelnd, daß noch einer jener Jesuitenpatres am Leben sei, die doch bereits im Jahre 1833 das Land hatten verlassen müssen?! Dann hätte dieser Pater weit über hundert Jahre alt sein müssen!! Undenkbar erschien das.

Und die zweite Persönlichkeit, die offenbar bei den Yumas von Niederkalifornien eine bedeutende Rolle spielte: Der alte Doktor aus Fort Yuma?!

Ein Fort Yuma, hart an der mexikanischen Grenze, gibt es. Auf jeder Karte ist es verzeichnet. Karl Blech, der Jäger, hatte mir manches darüber berichtet. Auch er kannte es. Und doch: Mi Moa war ihm fremd! – Er kannte Niederkalifornien, hatte er betont: Von einem Mischstamm zwischen Yumas und Sioux wußte er nichts, auch der „Doktor“ war ihm eine unbekannte Persönlichkeit.

Rechnete man zu all den ungelösten Fragen noch die nach den „Erdölpiraten“ hinzu, so ergab das einen schwer lösbaren Knoten. Wo war hier Freund, wo Feind?! Wo stießen die heimlichen Wünsche und Interessen all dieser Menschen in hartem Gegensatz aufeinander?!

… Still glitt das Kanu durch das mondhelle Meer …

Träumerisch war das Schweigen zwischen Mi Moa und mir. Traumbefangen schien das leichte Boot unter dem Druck des braunen Leinensegels seinen Weg von selbst zu suchen. Es fuhr dahin durch eines jener endlosen Heere von Leuchtquallen, die dicht unter der Oberfläche dahintreiben, wie ungezählte schillernde flache Glocken, einige davon so groß, daß sie elektrischen Ampeln glichen, andere winzig wie Pünktchen …

Mondschein lag noch dazu in den Wellentälern, ließ die flachen Schaumkämme noch weißer aufblinken.

Das Meer lebte.

Der Stille Ozean sandte von fernher seine bescheidenen schleimigen Bewohner, Tiere niederster Gattung mit einfachen Schlauchorganen, trotzdem Wunder der Schöpfung in ihrer leuchtenden Funkenpracht und den verschiedenen Sternmustern auf der Oberseite.

Und mitten durch diesen Heerbann der Quallen zogen dunklere, mattere Schatten in Spindelform: Haifische!

Hyänen des Meeres, Bestien, die hier in unserem Kanu Beute witterten, die unter uns hinwegschossen, daß mir zuweilen der Atem stockte.

Unser Boot, federleicht, dünnste Bordwand, aus Platanenrinde, abgedichtet durch Tang und Moos, – – und Ungeheuer, deren Länge von fünf, sechs Meter eine Stoßkraft des Kopfes verbürgten, die die Kanuwandung wie Pappe durchlöchern mußte.

Das Meer lebte. Die Nacht war frisch. Die Spritzer, die über Bord kamen, waren lau, denn der Ozean in diesen Breiten spottet der Winterkälte.

Nächte wie diese vergißt man nicht.

Eine Fahrt durch farbige Ströme, – das war’s.

Und im Herzen dazu das Traumland der Geheimnisse, die hinter mir und vor mir lagen. Spukhafte Gestalten hatte die schlichte Rede Mi Moas heraufbeschworen … Und diese Gespenster, die nur Hüllen blieben, bis ich sie sehen würde, quälten meinen Geist.

Leise sprach das bronzefarbene, schöne Kind.

„Der Pater Sebastian hat einst den Yumas soundso oft beigestanden im Kampf gegen die nördlichen, kriegerischen Indianer. Der Pater war ein Jüngling damals, aber seine Kraft und Klugheit waren die eines weisen, gütigen Kriegers. Er hat viel gelitten, Bruder El Gento. Krieger meines Volkes bauten ihm auf dem Inselchen insgeheim die Kapelle, in der er noch heute zu seinem Gott betet. Noch heute geht er, obwohl blind, mit seinem Stecken über die ganze Insel, kreuz und quer. Man sagt, er sei weit über hundertdreißig Jahre alt. Sein Gesicht ist wie das einer Mumie, aber seine Stimme klingt tief und warm wie das Geläut der Glocke in seinem steinernen Heim. Du wirst es sehen.“

Ich fragte nichts mehr.

Ich wollte diese Stimmung nicht zerstören, die über mir hing wie ein Zaubermantel.

Stunden verstrichen.

Kain lag und schlief.

Der Mond sank tiefer, verblaßte, und das Morgengrauen frischte den Wind auf.

Auch das Mädchen schlief.

Neben Kain.

Den Kopf auf den Arm gestützt, den Körper etwas gekrümmt, und ich starrte gen Natividad.

Die Insel tauchte auf, erst nur ein Fleck, dann Einzelheiten. – Auf der Südseite sollten wir landen, hatte Mi Moa gesagt. Ich hatte die Nordseite vor mir, und ich hielt es für richtiger, hier irgendwo das Ufer zu betreten. Ich dachte an die gekaperte Medusa, an das Piratenschiff. Ich hatte stets Vorsicht walten lassen.

Als die Brandung uns hin und her warf, erwachte Mi Moa.

Bleigraue Helle lastete über See und Land. Dunststreifen überzogen das Meer und verschleierten Teile der Insel.

Das Mädchen lugte scharf hinüber.

Ein fragender Blick.

„Das ist nicht die Südküste, El Gento.“

„Nein. Aber es ist besser so.“

Eine schmale Bucht nahm uns auf, Felsen wuchsen aus sanft gurgelnder Flut, breite Sandstreifen, bedeckt mit Kakteen, bilden den äußersten Buchtwinkel.

Wir schleppen das Kanu in das stachelige Gestrüpp und beginnen die Wanderung.

Kain trabt hierhin und dorthin, seine Wunde bereitet ihm kaum noch Beschwerden. Kain war fröhlich, als er einen feisten Hamster erwischte. Er blieb zurück, fraß, und Mi Moa und ich genossen das Dörrfleisch aus des Mädchens Proviantsack, dazu Maiskuchen, die allerbeste Zähne und einen erstklassigen Magen erfordern.

Mi Moa lachte girrend.

„Hart?! Zu hart?!“

Ihr frohes Gesicht, über dem ein Schimmer versteckter Zärtlichkeit ruhte, war mir zugewandt.

Vor uns irgendwo ertönte ein Schuß, – der Wind trug den kurzen Knall herüber, und Mi Moa stand wie eine Bildsäule.

Ihr Antlitz hatte harte Linien, die Haut über den Backenknochen war straff gespannt.

Das Lachen war weggewischt.

„Ein Schuß, El Gento …!“

„Ich hörte … Ein Schuß aus einer modernen Repetierbüchse.“

Sie nickte schwach.

„Ja, – und von uns besitzt keiner eine solche Büchse, mein Bruder, keiner.“

Hinter uns Kains leichtes Traben und Keuchen.

Ich packte Wölflein, legte ihn an die Leine.

Wir schlichen weiter.

Wir beide wußten, daß da irgendwie eine Büberei verübt war …

Wir beide krochen den Abhang empor, blickten hinab – über die See, in das Strandtal …

Das Meer zeigte uns die Medusa, die mit voller Fahrt gen Osten lief, und das Felsental zeigte uns vor der kleinen Kapelle die stillen Körper zweier Männer.

Mi Moa wollte hinter dem Busch hervor.

„Bleib’!“

Ich hielt sie fest.

„Willst du die Leute zurücklocken?! Mit dem Fernglas sehen sie alles … – Folge mir!“

Wir schoben uns rückwärts, und nach kurzem Umweg erreichten wir gut gedeckt das steinige Tal mit der Kapelle, dem Steinhäuschen daneben und dem gepflegten Gärtchen.

Eine Einsiedelei in der Wildnis, – auch wie ein Traum …

Aber die brutale Wirklichkeit hieß hier Mord, fünffacher Mord.

Mi Moa flog auf den einen Toten zu, der draußen vor der Kapelle lag.

„Mein Vater!!“

Mi Moa flog in die Kapelle.

Dort lagen noch drei Yuma-Krieger, auch erschossen …

Mi Moa rannte in das Häuschen, und auf einem Mooslager ruhte Taskamore, mein Bruder, und die Verbände von seiner Brust waren abgerissen, und aus den Wunden sickerte das Blut.

Seine Augen, weit offen, zeigten nicht mehr den irren Glanz des Fiebers, sondern die starre Ruhe eines großen Entschlusses.

Seine Augen leuchteten freundlicher, als ich zu ihm trat.

Da erst erkannte er mich. –

„Du?!“

Und ein mattes Lächeln spielte um den harten, stolzen Mund.

„Und ich!“, sagte da eine Stimme, die aus dem Keller zu kommen schien.

Unter dem Kastenbett aus Ästen kroch Doktor Sullivan Hadilgo hervor.

Ein kleines, verschrumpeltes Kerlchen, ganz in Leder, – aber blutbesudelt bis zu den derben Mokassins von einem Streifschuß über der linken Kopfseite.

„Sullivan Hadilgo …“, – seine Verbeugung wirkte grotesk. „Generalarzt der Yumas der Scammon-Prärien. – Sie sind El Gento?“

Taskamore sagte schroff und befehlend:

„Sucht nach Pater Sebastian …!“

Doktor Hadilgo schrumpfte noch mehr in sich zusammen.

„Sie haben ihn mitgenommen, die Schurken, großer Häuptling!“

Sullivan Hadilgos Gesicht erbleichte vor Grauen und ward aschgrau.

Noch nie sah ich in den verzerrten Zügen eines betagten Mannes so wilden Haß.

Er duckte sich noch kleiner.

Er glich einer bösen Katze, die zuspringen will.

„Taskamore, großer Häuptling, du weißt, weshalb sie ihn mitnahmen … Es sind Ungeheuer, Bestien, Kanaillen!! Und Juana Raparo ist ihre Anführerin!“ Seine Worte kamen nur als Zischen über seine bebenden Lippen.

Taskamore meinte noch schroffer:

„Du bist ein Narr, Sullivan! Geht, sucht den Pater … Und – falls er mit ihnen mußte, dann … werden wir schneller sein … – Geht, geht, – – ich warte …“ –

Pater Sebastian war verschwunden.

Zwei Stunden später stach von Natividad-Insel ein Motorboot in See, das einem Multimillionär alle Ehre gemacht hätte. Das große Boot hatte abseits in einer von Kakteen völlig überwucherten Felsspalte gelegen. Es war Eigentum des Vaters Mi Moas, der bisher oberster Häuptling der Yumas der Scammon-Prärien gewesen.

Eigentum kraft Gesetz der Wildnis: Diebstahl ist erlaubt dem Feinde gegenüber. –

In dem dahinsausenden Kutter hörte ich zum ersten Male Näheres über die Erdölpiraten.

 

6. Kapitel.

Die Transiederei des Sennor Scarpa.

Das Lederzelt, in dem wir wohnen, steht am Steilhang der Hochsteppe. Wenn ich morgens erwache, wenn ich den Vorhang lüfte, überschaue ich eine der Savannen des vergessenen Landes Niederkalifornien.

In diesem großen, luftigen Zelt, das auch so trefflich die Kälte fernhält, in dem es auch abends so behaglich warm sein kann, falls einer der rauhen Nordoststürme sogar leichtes Schneegestöber von den fernen Gebirgen des Festlandes herüberweht, – hier habe ich all das gefunden, was mir das Leben wert und angenehm macht: Jene Stunden der inneren Einkehr, der geistigen Sammlung, die mich ein neues Tagebuch beginnen ließen.

Die Savanne vor uns ist leicht gewellt, ist die Heimat niederen Gestrüpps, endloser Kakteenfelder, einzelner Baumgruppen und all jener Tiere, die auch drüben in Kalifornien, Mexiko und Arizona das Landschaftsbild belebten oder noch beleben. – Der Zustand der Halbkultur, in dem wir hier hausen, wird bereits eine halbe Meile jenseits des großen Lagers meiner roten Freunde wohltuend verwischt, die unverfälschte Wildnis beginnt dort, eine andere, wie es die endlosen Wälder des hohen Nordens von Kanada waren.

Auch Niederkalifornien hat seine Reize. Seine Einöden könnte man das Reich der Naturstraßen nennen, denn Gestrüppfelder und Kakteendickichte sind undurchdringlich und zwingen Reiter und Fußgänger, jene freien Stellen zu benutzen, in denen das graue, rotbraune oder gelbliche Gestein und der helle Sand schon von weitem scharf gegen die Umgebung abstechen. Das sind die Pocas, die Pfade, wie die Eingeborenen sagen, – doch es sind häufig irreführende Pfade, denen man sich stets mit dem Gefühl anvertraut, ob sie nicht doch in einer Sackgasse enden und zu weiten Umwegen zwingen. Für den Kundigen gibt es nur ein Mittel, den echten „Poca“ vom „blinden“ Poca zu unterscheiden: die Häufigkeit der Tierfährten!

Scammon-Ebene nennt man den mittleren Teil Niederkaliforniens nach jener Riesenlagune, die da an der Westküste im Südwinkel der San Sebastian-Bai tief in das Land einschneidet.

Hier also hausen wir. Die Romantik verklungener Zeiten ist erwacht, in den Zeltgassen bewegen sich rote Männer mit scharfen Gesichtern, die meisten in Leder gekleidet, Weiber gehen den vielfachen Arbeiten nach in grellbunten, lose verschlungenen Gewändern, offenem Haar und elastischem Schritt. Kinder treiben sich umher, Hunde bellen, Schafe blöken, Pferde wiehern, – – und mein Kain ist unbeschränkter Herr des allzu lärmenden Teiles der Lagerbewohner, wo er erscheint, stieben Kinder und Hunde auseinander, obwohl er bisher lediglich ein paar struppige Köter zerzaust hat.

In Doktor Sullivan Hadilgos Zelt fand ich, was ich brauchte: Papier, Tinte, Federhalter, etwas verrostete Federn. Hadilgo überließ mir alles mit freudiger Bereitwilligkeit, die durchaus ehrlich gemeint ist. Dieser alte, reinblütige Mexikaner (natürlich mit einem starken Schuß Indianerblut in den Adern) besitzt das Temperament eines heißblütigen Jünglings, die etwas gezierte Höflichkeit eines spanischen Granden und die Tollkühnheit eines Tigers. Im Lager heißt er nur „der Doktor“, und nach Taskamore spielt er die erste Geige. Taskamore ist hier Nachfolger des Vaters Mi Moas geworden, – ohne Volksabstimmung, ohne Beratung, aus einer Selbstverständlichkeit heraus, die dem Tüchtigsten die Führung überläßt. –

Zehn Tage genieße ich bereits dieses Leben, das in so vielem an die glücklichsten Monate am Gallegos im fernen Pampaslande erinnert.

Aber – mit den Erdölpiraten haben wir immer noch nicht abgerechnet. Sie sind für uns verschwunden. Verschwunden ist die Medusa. Man trieb mit uns ein schändliches Spiel, und wir mußten schweigen und … abwarten.

„Wir werden ja sehen …“, hatte Freund Kamo zu dem aufgeblasenen Mexikaner gesagt, der sich da Kapitano schimpfen ließ und dreißig wohl sortierte, gut bewaffnete Galgenvögel kommandierte, die sich anmaßend „Kavallerie“ nennen.

Doch eins nach dem anderen. – –

Als ich im dahinjagenden Motorboot zum ersten Male den Namen Juanita Raparo im Zusammenhang mit der Mörderbande der Erdölpiraten nennen hörte, war mir das Blut siedend heiß zu Kopfe gestiegen.

Grimmig hatte ich den kleinen, verschrumpelten, haßerfüllten Doktor angefahren.

„Das muß ein Irrtum sein!! Ich kenne Juanita und Ret Hil und den grobkörnigen Karl Blech!“

Hadilgo mit seinem grauen Hängeschnurrbart und den blanken Augen fuhr mir fast an die Kehle.

„Sehen geht vor sagen, El Gento! Wenn das Frauenzimmer Ihnen den Kopf verdreht hat – Ihre Sache! Juanitas Vater brachte vor einem Jahr das Lumpenpack hier an die Küste!“

Taskamore vermittelte ernst.

„Wir werden prüfen! Kein Zank, Hadilgo!“

Der kleine Feuerfresser lachte schrill.

„Prüfen?! – War’s nicht das reine Theater, das dies Weibsbild da vor Ihnen mit der angeblichen Entführung von dem japanischen verkrauteten Unterwasserkahn aufgeführt hat!! Natürlich Theater!! War’s nicht der gemeinste Schwindel, daß Juanita dort im Walschädel vier Tage sich versteckt hielt!! Spionieren wollte sie, nichts weiter, sich vor Ihnen reinwaschen, das Unschuldslämmchen herauskehren!! El Gento, Taskamore, seid Ihr so kurzsichtig?!“

Freund Kamo sagte nur: „Kein Wort mehr!!“ Aber der Blick, der den Doktor traf, hätte eine Klapperschlange verscheucht.

Hadilgo hüstelte wütend. „Nun gut, – also später!! Es bleibt die Tatsache immer bestehen, daß José Raparo, diese Spottgeburt von Weisheit und Verlogenheit, uns bestohlen hat, bestiehlt, – uns Yumas! Wir fanden die Ölquelle, wir hätten sie …“

Taskamore blickte ihn nochmals an, und der Doktor spukte fluchend seinen Zigarettenrest über Bord.

Stille trat ein.

Das Motorboot steuerte genau Südost. Sehr bald tauchte die weit vorgeschobene Spitze der Halbinsel Eugenia mit dem gleichnamigen Berg vor uns auf. Hohe, kahle Felsmassen wuchsen aus dem Meere empor, wir ließen die Küste rechter Hand liegen und kürzten den Weg ab. Nach fünf Stunden sahen wir die weite Einfahrt in die Scammon-Lagune, abermals zwei Stunden, und eine zweite Bucht öffnete sich in den felsigen Ufern und hohe Rauchsäulen am Nordstrand, flackernde Feuer, Wellblechbaracken, drei dort ankernde, schäbige Dampfer und eine Menge Volks deuteten auf eine europäische Niederlassung hin.

Ein Landungssteg war in die Bucht hinausgeschoben, und etwa fünfzig Kerle, davon gut die Hälfte in zerlumpten Uniformen, rannten auf die Holzbrücke und begrüßten uns mit wildem Johlen, aus dem sich allmählich saftige Schimpfworte herausschälten.

„… Diebsgesindel!! Rotes Lumpenpack!! Aufhängen …!!“

Ganz vorn stand ein baumlanger Gentleman mit sehr dekorativem Schleppsäbel, Goldlitzen, Goldschnüren, Käppi und gelber Eulenschnauze.

Das war Seine Herrlichkeit Kapitano Ramon d’Astria, Chef der Schutzwache der harmlosen Transiederei des sehr ehrenwerten Sennor Benito Scarpa.

Als wir angelegt hatten, legten auch seine tüchtigen Untergebenen an, aber auf uns. Dreißig geladene Karabiner in Händen von Burschen solchen Schlages, die infolge mangelnder Besoldung auf Nebengeschäfte angewiesen sind, hätten uns nun eigentlich, die wir nur drei Männer, ein Mädchen und ein Wolf waren, sehr zahm machen müssen.

Irrtum.

Der erste, der auf die Brücke sprang, war Sullivan Hadilgo, Doktor der Medizin. Sein Temperament ging wieder einmal mit ihm durch.

So, wie er sich da vor den doppelt so großen Kapitano aufpflanzte und ihn anbrüllte: „Wo habt ihr Schufte den greisen Pater gelassen?!“ war’s unbedingt eine Frechheit und ein kühnes Stücklein.

Seine Erhabenheit Ramon d’Astria grinste und zeigte grün angelaufene Goldplomben und Walroßhauer.

„Ah, Doktor Hadilgo, – – sehr erfreut! Kenne Sie schon!“

Hadilgo schnauzte grob: „Für mich wahrlich keine Ehre! – Wo ist der Pater Sebastian?“

Der Kapitano markierte ein maßloses Erstaunen.

„Ich kenne keinen …“

„Lügner!!“, kreischte der Doktor. „Die Sache wird Ihnen teuer zu stehen kommen!! Sie wissen genau, daß …“

Taskamore, noch viel zu schwach, um persönlich eingreifen zu können, gab mir einen Wink.

Ich turnte neben Hadilgo, schob ihn beiseite und sagte sehr ruhig zu dem goldflimmernden Offizier: „Sennor, ich soll Ihnen folgendes im Namen des Yuma-Häuptlings erklären. Durch Vertrag mit Ihrer Regierung ist diese Bucht, sowie vierzig Meilen Land im Umkreis den Yumas zugesprochen worden. Vor etwa einem Jahr ließen sich hier unerlaubter Weise der Sennor Benito Scarpa mit einigen zwanzig Arbeitern nieder und begannen zum Schein den Walfang und Thunfischfang im großen. Dort stehen zehn Kessel über zehn Riesenfeuern, der Speck wird ausgeschmolzen, aber die Fässer dort riechen trotz des Trangestankes nach Petroleum. Sennor Scarpa betreibt die Transiederei nur zum Schein, in Wahrheit hat er hier Erdölquellen ausgeplündert, die den Yumas gehören. Eine Abordnung der Yumas war in La Paz und hat beim Gouverneur Beschwerde eingelegt. Der Gouverneur jagte die Yumas aus der Stadt und glaubt, infolge der politischen Wirren in der Hauptstadt den alten Vertrag nicht beachten zu brauchen. Im Namen der Yumas, als Eigentümer dieses Grund und Bodens und aller Naturschätze, fordere ich Sie auf, den Sennor Benito Scarpa von hier zu entfernen und die rechtmäßigen Zustände wiederherzustellen. – Das wäre alles.“

Taskamore hatte mich genau instruiert. Ich hatte kein Wort zu viel oder zu wenig gesagt.

Der Kapitano musterte mich geringschätzig.

„Sie sind verrückt, Mann!“

Das war seine Antwort.

Meine Antwort war noch kürzer.

Ein Hieb, ein Griff, noch ein Griff, und der zusammengeklappte Kapitano lag in meinem linken Arm, und eine Pistolenmündung streichelte ihm unsanft die Schläfe.

„Ins Boot! Hadilgo, ins Boot!!“

Der Doktor lachte unheimlich.

Und sprang vor, schlug zwei Karabiner beiseite, bekam einen sehr patenten Gentleman bei der Kehle zu packen, zog ihn hinter sich her und schleuderte ihn in den Kutter, wo die sanfte Mi Moa, die seit den Vorfällen auf Natividad-Insel garnicht mehr sanft war, dem Sennor Benito Scarpa ebenfalls eine Pistole auf die Stirn drückte.

Das Gesindel auf der Brücke war starr.

Der Kapitano kam neben seinen Freund Scarpa zu liegen, und wir warfen die Trossen los, die Schraube sprang an, der Kutter lief rückwärts, und nach einigen Minuten hatten wir hinter einem der ankernden Dampfer gute Deckung.

Scarpa zeterte und fluchte, der Kapitano rang noch immer nach Atem, und nur seine blutunterlaufenen Augen verrieten, was in seinem Hirn vorging.

„Binden!“, befahl Taskamore.

Das war schnell erledigt.

Da auf dem alten verrosteten eisernen Dampfer keine Menschenseele sich befand, vertäuten wir unser Boot, kletterten an Bord und betrachteten, durch die Reling geschützt, die feine Bande auf dem Landungssteg.

Die Herrschaften, von uns etwa hundert Meter entfernt, beratschlagten, schrien, brüllten, drohten und rannten schließlich, als der blutdürstige Doktor einige Kugeln über ihre Köpfe hinwegschickte, im Sturmschritt in die Baracken.

Hadilgos Schüsse waren eine kapitale Dummheit gewesen, denn sie gaben denen drüben nur das Signal zu einem sinnlosen Schnellfeuer.

Taskamore wies den alten Hitzkopf scharf zurecht.

Unsere Lage war durchaus nicht rosig. Im Gegenteil.

Ob die Kerle drüben viel darauf geben würden, daß wir ihre beiden Chefs als Geiseln bei uns hatten, blieb sehr fraglich. Ein Auslaufen aus der Bucht war mithin unmöglich, wenigstens jetzt nicht, und bis zum Anbruch der Dunkelheit konnten noch vier Stunden vergehen.

Doktor Hadilgo sah das ein, und seine Wut wandte sich in recht bedrohlicher Form gegen den Kapitano und Sennor Scarpa, einen mageren Kerl mit schwarzem Spitzbart und verkniffenen Zügen. Was die beiden zu hören bekamen, änderte auch nicht viel an der Sachlage, obwohl Hadilgos übereifrig geschwenkte Pistole den Kavalleriehäuptling doch zu einigem Nachgeben veranlaßte.

„Lassen Sie uns beide frei, und Sie sollen ungehindert zu Fuß verduften können!“, erklärte er mit unverkennbarem Hohn. „Lebend kommen Sie hier jedenfalls nicht mehr weg, und ob wir beide dabei mit zum Teufel gehen, ist mir sehr gleichgültig. Also …!!“

Er hatte sich an Taskamore gewendet, der in seinen Decken hinter dem Heckaufbau lag.

Feige war dieser Ölpirat nicht, und auch der Kapitano machte ganz den Eindruck, als ob er zu jener Sorte von zweifelhaften Abenteurern gehörte, die jederzeit mit einer Kugel rechnen und nichts mehr zu gewinnen oder zu verlieren haben.

Taskamore, durch die Krankheit bis zur Unkenntlichkeit abgemagert, erwiderte mit merklicher Schärfe:

„Der Tag der Abrechnung wird kommen, Sennor Scarpa. Bisher sind die Yumas den Weg des Rechts gegangen. Jetzt werden sie Unrecht gegen Unrecht setzen. Der Stamm der Yumas in den Scammon-Ebenen zählt dreihundert Krieger. Ich warne Sie. Ich bin Taskamore, der Grenzreiter, jetzt Taskamore, der Oberhäuptling.“

Scarpa und der Kapitano zuckten deutlich zusammen. Aber der goldbetreßte Gockel von Kapitano fand schnell sein unverschämtes Grinsen zurück.

„Ah, – – der steckbrieflich verfolgte Taskamore, sieh an!! Also der!! Ihre Yuma-Krieger werden sich hier verdammt blutige Köpfe holen, denn ganz im Vertrauen: Unsere Harpunengeschütze spucken auch andere unangenehme Dinge!! – Laßt uns augenblicklich frei!!“

Schon vorher war eine schwere Dunstwolke über die Bucht und den Dampfer hinweggezogen. Ein paar der Kessel am Strande waren übergekocht, der stinkende Qualm wurde immer dichter.

Mi Moa, die die Wellblechbaracken im Auge behielt, rief warnend:

„Sie laufen zu den Booten …!!“

Ich eilte zu ihr. Leider war den Kerlen jedoch nicht beizukommen. Der Qualm wurde immer stärker. In dieser Einnebelung lag zweifellos System. Die Kessel sollten überschäumen, möglich auch, daß die Kerle einige Kessel umgeworfen hatten. Zu sehen war nichts, nur gelbbrauner, dicker, zäher Rauch, den der Wind langsam über die Bucht ausbreitete, wo die hohen Randberge ihn festhielten und so eine Rauchschicht schufen, gegen die es kein Abwehrmittel gab.

Taskamore ordnete an, den Kutter wieder zu besteigen.

„Laßt die beiden liegen“, meinte er mit einem schnellen Aufblitzen seiner ausdrucksvollen Augen. „Sie sind uns nur unbequem …!“

Ich nahm ihn wieder in die Arme, – der Kutter kam in Fahrt, und Mi Moa steuerte ganz von selbst tiefer in die Bucht hinein.

Die Herrschaften drüben hatten wohl das Motorgeräusch gehört. Eine unsinnige Knallerei begann, bis ein scharfer, kurzer Krach, dem fast sofort ein schwächerer und ein wütendes Gebrüll der Ölschmarotzer folgte, die Karabiner und Büchsen verstummen ließ.

„Heiliger José“, japste der kleine Doktor sprachlos, „das war ein Harpunengeschütz, aber die Harpune krepierte am Strande, mitten zwischen dem Lumpenpack.“

Er hatte schon recht.

Man sah es an dem Loch, das der Luftdruck des Schusses in die schwarze Qualmwand gerissen hatte.

Die eigentümliche Erscheinung, daß nun von dem Dampfer aus, den wir soeben verlassen hatten, sich wie ein gewaltiger Trichter ein Raum ziemlich klarer Luft bis zum Strande hinzog, konnten wir noch genau beobachten. Wir sahen auch den Mann am Bug des Dampfers, der soeben eine zweite Harpunengranate in das Geschützrohr schob, den Verschluß zuklappte, kurz zielte und abdrückte.

Dieser zweite Schuß traf eins der großen Walboote, und die Sprengstücke machten der Bande noch eiligere Beine.

Der Mann am Geschütz war blond, nur mit Lumpen bekleidet, aber das überkühne Profil war unverkennbar.

„Ret Hil!!“ brüllte ich … Und nochmals mit voller Lungenkraft:

„Ret Hil!!“

Er hörte es, drehte den Kopf und winkte … Und dann lief er nach achtern, wo der Kapitano und Sennor Benito Scarpa hinter dem Deckhäuschen lagen, bückte sich, packte jeden beim Kragen und schleifte sie zum Geschütz.

Wir sahen das alles so, als ob man nicht ein Kinobild im verdunkelten Theater sieht, sondern eine Szene inmitten des Lichtkegels, der dem Objektiv der Kamera entströmt.

Ret Hil, der rote Hil, kümmerte sich den Teufel was um die Schüsse, die jetzt auf ihn abgegeben wurden. Er hatte den Kapitano beim Wickel, band ihn mit einem Tau über das Geschützrohr, packte auch Scarpa, befestigte den wie unsinnig Kreischenden auf dem Rücken des Kapitano, schob die dritte Granate ins Rohr, schlug den Verschluß zu, und … die Schüsse verstummten.

Auch unser Motor.

Wir hatten nur Augen für das furchtbare Strafgericht, das dort einer jener Männer vorbereitete, die der kleine Yuma-Doktor fälschlich eines Bündnisses mit den Ölpiraten beschuldigt hatte.

Ret Hil ließ sich Zeit.

Die Schwaden des Qualmes begannen sich bereits wieder in den freien Raum zu ergießen und das Bild zu verwischen.

Sogar Taskamore war aufgestanden. Ich stützte ihn.

Ret Hils wilde Reckengestalt sprang plötzlich auf die Reling.

Und dieselbe Stimme war es nun, die wir bereits von den ersten Vorfällen auf dem Mindato kannten, die mit ehernem Ton den Kerlen am Strande zu drohen begann.

„Lumpenpack, – falls ihr das Motorboot dort nicht ungehindert ziehen laßt, drücke ich ab, und eure beiden Oberhalunken kriegen ganz unvorschriftsmäßige Löcher in die Bäuche, und ihr kriegt den Rest der Granaten zu schmecken!! – Verschwindet in eure Baracken! Und falls nur einer von euch die verfl… Gurke raussteckt, schieße ich auch die vollen Petroleumkannen dort in Brand!!“

Leider war der Qualm jetzt fast genau so dicht und gleichmäßig wie bisher.

Wir konnten nichts mehr sehen.

Aber wir hörten auch keinen Schuß, hörten nichts mehr.

Sollten wir diesen famosen Burschen da, der Nerven, Muskeln und Stimme aus Eisen hatte, im Stiche lassen?!

Wieder rief ich hinüber.

„Hallo, Ret Hil, wir holen Sie!!“

Antwort?!

Ja …

„Ich danke, El Gento … Jetzt haben wir Oberwasser, und die Herrin wünscht keine Gemeinschaft mit Ihnen, entschuldigen Sie schon!“

Die Herrin?

Juana etwa auch hier?

… Da kam schon eine hellere Stimme, und ich fühlte, wie Taskamore zusammenzuckte:

„Kehren Sie heim zum Yuma-Lager, Taskamore! Hier habe ich die besseren Rechte!!“

Was bedeutete das nun wieder?!

Juana wies uns fort?!

Sogleich kreischte denn auch der hitzköpfige Doktor:

„Könnte Ihnen so passen!! Wo ist der Pater? Heraus mit ihm!!“

Er hustete …

Der Qualm stank entsetzlich und beizte die Kehle wie alte schwelende Lumpen.

Ret Hils Bariton schickte die Entgegnung:

„Sorgt euch nicht um den Pater! Es ist alles so, wie es sein soll … und …“

Aber das letzte ward übertönt von dem bellenden Geknatter von Pistolenschüssen.

Ret Hils grimmes Fluchen war das schnell verklingende, letzte Anzeichen einer bösen Wendung der Dinge, und da auch über unser Boot eine Kugelsaat hinwegpfiff, war es höchste Zeit, vor dieser Übermacht den weiseren Teil der Tapferkeit zu wählen.

Die Qualmschwaden verdichteten sich, wir sahen kaum die Hand vor Augen, hörten nur Doktor Hadilgos kurzen Aufschrei, ein Platschen im Wasser, und des kleinen wackeren Yuma-Doktors Platz am Heck war leer. – Alles Rufen blieb umsonst, wir mußten weiter, wir fuhren immer tiefer in die Bucht hinein, die erst genau ostwärts, dann in scharfem Knick nach Norden verlief. Der stinkende Dunst lichtete sich, wir sahen wieder die steilen Uferwände, die tief einschneidenden Schluchten, die auf dem Wasser schwimmenden großen Ölflecken, die im Licht der sinkenden Sonne opalisierten.

Mi Moa steuerte in eine Seitenbucht hinein, ein schmaler Fluß nahm uns auf, hohes Buschwerk wuchs an den Rändern. Vor uns irgendwo donnerte ein Wasserfall.

Der Kutter legte an. Rasch war für Taskamore eine Tragbahre hergestellt, Mi Moa und ich spielten Träger und Kain wanderte voraus.

Nicht ein überflüssiges Wort wurde gesprochen.

Auf steilen Naturpfaden ging es Abhänge hinan, bis wir einen Berg erreichten, von dem aus wir freien Einblick in ein westliches fernes Tal hatten.

Drei Bohrtürme standen dort. Daneben Wellblechbaracken. Dahinter aber türmte sich das Randgebirge zu gewaltigen schroffen Wänden auf, deren rötliches Gestein an den berühmten Rosengarten in den Dolomiten erinnerte.

Wir setzten die Bahre nieder.

Taskamore schüttelte die Faust gegen das Tal hin …:

„Diebe – – Piraten!!“

Mi Moa, umflossen vom rötlichen Abendglanz, sagte hart und feindselig:

„Diebe sind es, aber das Beste werden sie uns nie stehlen – – nie!!“

Damals glaubte ich, das prächtige Mädchen meinte moralische Werte mit diesem „Besten“.

Ich irrte mich. – –

Unsere Flucht vor des Kapitanos gut berittenen Leute glückte, da Mi Moa das Gelände besser kannte.

Nach fünf anstrengenden Tagesmärschen erreichten wir das Lager.

 

7. Kapitel.

Die verkehrten Reiter.

„Ich will erst ganz gesund werden“, sagte Taskamore, als wir über die Steppe im Schritt dahinritten. „Dann werden wir zurückkehren und diesem Treiben da an der Bucht ein Ende bereiten. Es gibt hier nur ein Gesetz, El Gento, und danach werden wir richten.“

Seine Stimme hatte längst wieder die frühere Klarheit und Schärfe zurückgewonnen.

Es war dies sein erster Ritt in die Savanne hinein, und wir mußten fortwährend die dunkelbraunen Mustangs zügeln, die für einen Genesenden und seinen Begleiter allzu viel Feuer besaßen.

Kain trabte nebenher, lief voran, blieb zurück. Es gab übergenug Wildkaninchen hier, obwohl wir noch nicht einmal die äußere Postenkette des Lagers hinter uns hatten.

Taskamores Gemütsstimmung schien mir nicht ganz dem raschen Fortschritt seiner Wiedergesundung zu entsprechen. Es war etwas Unausgeglichenes, Zerfahrenes in seinem Wesen, und ich gewann auch jetzt den Eindruck, daß ihm doch nicht allzu viel daran lag, Juanita Raparo, den Pater und die anderen zu befreien, die doch zweifellos nach kurzer, schlecht ausgenutzter Freiheit den Kerlen dort am Öltale wieder in die Hände geraten waren.

Wir ritten gen Westen. Die Sonne hatte die dünne Schneedecke, die nachts gefallen war, längst wieder aufgesogen. Es war angenehm warm, der Wind kam von der Seite, die Kakteenfelder wogten träge, das grüne, niedere Gestrüpp raschelte mit harten, glänzenden Blättern, auf denen der Niederschlag der salzhaltigen Bodenausdünstung wie eine zarte Glasur lag. – Salzkraut nennt man diese bescheidenen Sträucher, die hier dem sandigen oder steinigen Boden doch genügend Nahrung entziehen, um sich zu förmlichen Wällen zu vereinigen.

Vor uns auf einer Anhöhe standen vier einzelne Riesentannen als Wahrzeichen der Umgebung, – seltene, ungeheure Bäume, in deren Schatten sich Wacholderstauden, kleinere Yuccabäume[6] und Kreosotsträucher angesiedelt hatten. Und in der Krone eines dieser Baumgiganten waren Tag und Nacht zwei Wächter postiert, die meilenweit Ausschau halten konnten und so den zweiten Zugang zum Lager schützten. Der andere lag nach Osten zu und wurde durch eine flache Schlucht gebildet.

Mochte das Lager mit seinen Weideplätzen auch noch so ausgedehnt sein: Es gab keine Möglichkeit, unbemerkt hineinzugelangen. Überall zogen die Kakteenfelder einen ununterbrochenen lebenden Zaun, und wo noch Lücken vorhanden gewesen, waren sie längst ausgefüllt worden.

Wir hielten.

Unten am Fuß der einen Tanne war ein kleines verstecktes Zelt errichtet, davor saß ein breitschultriger Yuma-Krieger und rauchte gelassen seine Pfeife.

„Taskamore kann getrost die Steppe durchqueren“, sagte der Yuma. „Die Leute des Kapitano werden sich hüten, bis hierher vorzudringen. Ich war soeben noch droben im Baume. Ich sah nichts Verdächtiges.“

Der Mann hieß Kulo, Eiche, und sein Brustkorb und seine Muskeln mochten dem Namen wohl entsprechen, aber sein Gesicht war entsetzlich entstellt durch einige Narben, die von den Bissen eines Puma herrührten, so daß Kulo eigentlich recht abstoßend wirkte. Trotzdem war er mit der angesehenste Mann des Stammes und Nachfolger von Mi Moas Vater, also Häuptling, wenn er auch auf diese Würde jetzt keinerlei Anspruch erhob.

Taskamore blickte zerstreut in die Ferne.

„Wann können die beiden Boten von Fort Yuma zurück sein?“, fragte er Kulo mit einer gewissen Befangenheit, die wohl nur darauf zurückzuführen war, daß er ungern die Tatsache erwähnte, an Izana Milleret von Fort Yuma eine Depesche gesandt zu haben, in der er sie gebeten hatte, vorläufig in Seattle zu bleiben.

Kulo zählte an den Fingern ab. „Vor neun Tagen ritten die Boten gen Norden, – vier Tage brauchen sie bis zum Fort, wenn sie sich beeilen, dann ein Tag Rast, und fünf Tage zurück, – morgen werden sie hier wieder eintreffen, Taskamore.“ Auch Kulo sprach mit Freund Kamo nur im Tone größten Respektes.

„Wir werden sehen …“, – Taskamore ritt weiter.

Als wir den Hügel hinter uns hatten, bog er nach Norden ab.

War die Sehnsucht nach Izana bei ihm wirklich so groß, daß er vielleicht hoffte, den beiden Boten jetzt schon zu begegnen und von ihnen bestätigt zu erhalten, daß die Depesche richtig abgegangen sei?!

Von Norden her mußten die Reiter kommen, und bei dieser klaren Luft und dem sanft hügeligen Gelände hätten wir sie auf Meilen erkennen müssen. – Die wenigen Forscher, die sich je mit Niederkalifornien beschäftigt haben (so der Engländer Scammon, der drei Jahre hier in der Einsamkeit als gebildeter Trapper, Photograph und besonders als Geologe lebte), betonen stets die außerordentlich gesunde Luft der riesigen Halbinsel und die stets gleichmäßig klare Fernsicht. In der Tat täuscht man sich, was Längenmaße betrifft, nirgends so sehr, wie in den Kakteenwüsten des Inneren dieses halbvergessenen Gebietes. Eigentümliche Verzerrungen des Landschaftsbildes sind ebenfalls nur eine Folge der dünnen Luft, in der jede Temperaturschwankung, etwa durch plötzliche strichweise kältere Winde, diese Erscheinung hervorruft. Es kann vorkommen, daß durch die schiefe Brechung der Lichtstrahlen sich etwa folgende seltsame Beobachtung machen läßt: Ein Baum erscheint seiner Krone beraubt, die Krone aber schwebt anscheinend dicht daneben frei in der Luft. Oder ein Reiter schwebt in ähnlicher Weise mit dem Oberkörper neben seinem Pferde. – Es sind das Phänomene, die etwa einer Fata Morgana gleichen, und gerade diese Fata Morgana, also eine Luftspiegelung von ganz weit entfernten Landschaften und Gegenständen, zeigt in Niederkalifornien, Nordmexiko und den Wüsten Arizonas eine oft erschreckende Vollkommenheit.

Ich füge dies hier ein, um nicht später, wenn ich zu diesem unserem wichtigsten Vormittagserlebnis gelange, das Thema der Brechung der Lichtstrahlen mitten in den Gang der Handlung einzwängen zu müssen. –

Taskamore sprach über alles mögliche, nur nicht über Izana. Mein Gefühl sagte mir, daß in seinem Herzen irgendeine Wandlung vor sich gegangen sein müsse, und der untrügliche Instinkt des erfahrenen Wanderers abseits vom Alltag verriet mir, Juanita Raparo sei an dieser seelischen Unausgeglichenheit meines Freundes nicht ganz schuldlos.

„Wir wollen umkehren“, schlug ich vor, als Taskamore bereits recht matt im Sattel hing.

„Ausruhen“, sagte er kurz, deutete nach vorwärts auf ein paar kahle Felsen, neben denen ein ganzer Wald von Säulenkakteen wucherte, und fügte leiser hinzu:

„Ich muß mit dir reden, El Gento. Ich kann Izana nicht heiraten.“

Wir ritten bis zu den Felsen, legten uns auf unsere Satteldecken, ich rauchte eine Zigarette, und Taskamore beobachtete still eine große Klapperschlange, die vor uns in die Kakteen geflüchtet war und dort nun halb zusammengeringelt uns anstarrte. – Die Annahme, daß die Klapperschlange lediglich auf Nordamerika beschränkt ist, trifft nicht zu. Zwei der größten Arten leben in Mexiko und Südkalifornien, und diese dunkel gesprenkelte Viper dort war ein Riesentier.

Taskamore, auf dem Bauche liegend und sich auf den linken Arm stützend, faßte in den Gürtel und zog sein Jagdmesser hervor, während Kain mit eingekniffenem Schwanz die Klapperschlange wütend anfauchte, sich aber vorsichtig abseits hielt.

Taskamore nahm wie spielend das Messer zwischen Zeigefinger und Daumen, bog den Arm rückwärts, und wie ein Blitz fuhr das Messer auf sein Ziel los und – – traf nicht.

Die Otter hatte immerhin den Luftzug verspürt, rasselte wütend und stellte sich ganz steil auf.

Mein Wurf gelang besser.

Die breite Klinge fuhr dem Reptil in den Kopf und spießte es an dem nächsten Säulenkaktus fest.

Taskamore sagte feierlich:

„Hätte ich getroffen, El Gento, so würde ich es als Vorbedeutung dafür hingenommen haben, daß ich Izana nicht freigeben dürfe. – Ich gebe sie frei. Ihr Vater war ein Schurke, er starb, wie er gelebt hat: Als Schurke!! Und sein Tod ist schließlich meine Schuld. Er würde stets als Gespenst zwischen mir und Izana stehen. Begreifst du das?“

Ich konnte nur bejahen. „Sie wird schwer darunter leiden“, meinte ich ebenso ehrlich.

Die Schlange, die noch lebte, wand sich in verzweifelten Zuckungen und spießte sich dabei immer mehr Kakteenstacheln in den Leib.

Ich erhob mich, schlug mit dem Büchsenkolben eine Gasse und holte Taskamores und mein Messer. Die Klapper des Reptils und den Kopf brachte ich mit.

„El Gento hat ein Herz für Tiere und für Izana“, sagte Taskamore merklich bedrückt. „Ich wünschte, ich wüßte einen Ausweg …“

Er starrte auf den Schlangenkopf, dessen Augen noch genau so heimtückisch funkelten wie bisher, packte dann zu und riß die Kiefer auseinander, so daß man die gebogenen Giftzähne mit den Giftdrüsen genau betrachten konnte.

„Ein gefährliches Spiel!“, warnte ich etwas schroffen Tones.

Taskamore lächelte müde. „Nicht gefährlicher, als sich an ein Weib zu hängen, El Gento. Ich habe mich von einem Augenblicksrausch überrumpeln lassen. Ich glaubte, Izana sei genau so, wie sie sich zunächst zeigte, aber – – sie ist nicht so. Und vielleicht spricht das für ihren Charakter. Sie wird nie vergessen können.“

„Lege den Schlangenkopf weg …! – Wann kam die Erkenntnis, daß Izana nicht zu dir passe?“

Er nahm sein Messer und schnitt den Oberkiefer des Reptils dicht über den Giftzähnen ab. „Das bringe ich Freund Hadilgo … Er als Arzt liebt das Gift.“

Und dann erst antwortete er auf meine Frage – ganz offen, aber wieder mit sichtlicher Zerfahrenheit:

„Wann?! Vielleicht damals, als ich die andere sah, die wie ich gemischtes Blut in den Adern hat. – El Gento, ich trage schwer daran.“

So, wie er das aussprach, öffnete er mir seine Seele.

Er tat mir unendlich leid.

Er war kein Geschöpf der Halbheiten, er war Mensch aus einem Guß, er war durch eine harte Lebensschule gegangen, und war weit über sich selbst hinausgewachsen.

Daß einem Manne wie ihm diese innere Zerrissenheit besonders nahe gehen mußte, war nur zu begreiflich.

Kain, der sich für Minuten empfohlen hatte, kehrte mit einem jungen Katzenfrett im Maule zurück, ließ das tote Tierchen fallen, leckte das Blut seiner Beute und fuhr dann wie ein Blitz herum.

Ein kurzer Kampf mit dem schwer gereizten Muttertier folgte, bei dem Kain vielleicht den Kürzeren gezogen hätte, denn diese kleinen, blutdürstigen Räuber, die überall in Nordmexiko anzutreffen sind, haben Zähne wie Stecknadeln und eine ungeheure Beweglichkeit.

Taskamore schlug mit dem Messer zu, das Katzenfrett wurde regelrecht halbiert, aber die Zähne aus Kains Nackenmuskeln loszumachen, dauerte geraume Zeit.

Zufällig blickte ich, Taskamores Bemühungen um Kain beobachtend, zur Seite, wo eine Lücke in den Säulenkakteen Fernsicht über ein flaches Tal bot, das von dunklen kahlen Hügeln im Norden begrenzt war.

Ich starrte hin.

Starrte nochmals hin …

Das Bild blieb das gleiche …:

An den Hügeln entlang galoppierten drei Reiter, aber Kopf nach unten, und sie galoppierten über eine fast kahle, gleichfalls als Fata Morgana in der Luft schwebende Sandebene.

„Taskamore, – – dort!!“

Er blickte hin, erhob sich sofort, und seine Züge drückten eine gewisse Unruhe aus.

Inzwischen waren die drei Reiter in wildester Hast weitergesprengt, das Bild verwischte sich etwas, die Reiter verschwanden, aber von links, woher sie aufgetaucht, erschienen jetzt in langgezogener Kette mindestens neun andere Reiter. Leider verschwamm das Ganze dann urplötzlich, und das Spiegelbild zerrann in Nichts.

„Taskamore, was bedeutete das?!“

Es war eine jener Fragen, auf die man kaum eine Antwort erwartet.

„Verfolgung …!“, fügte ich etwas erregt hinzu.

Bruder Kamo sagte lediglich:

„Nimm auch meine Büchse mit, El Gento … Reite immer nach Norden … – Wie Izana es fertig gebracht hat, so schnell nach Fort Yuma zu gelangen, ist mir unverständlich, aber sie war es, sie und die beiden Boten, und die Leute hinter ihnen waren der Kapitano und seine Kavalleristen. – Beeile dich! Ich kann nicht mit. Ich würde dich nur aufhalten.“

Ein Händedruck …

Ich fühlte Taskamores bittenden Blick.

„Soll ich Izana vorbereiten?“

Er nickte nur.

Ich jagte davon, ich wußte, daß der Kapitano Ramon d’Astria jeden fetten Bissen mit dem feinen Geruch der Hyänen der Menschheit witterte.

Ich würde ihnen die Mahlzeit mit Blei versalzen!

 

8. Kapitel.

Die beiden Rivalinnen.

Aus welchem Anlaß der zweifelhafte Anführer einer Abteilung Kavallerie mit seinen Kerlen hier so weit nach Norden gelangt war, blieb mir unklar. Einen Überfall auf das Lager hätte er kaum gewagt, die Chancen standen zu schlecht. Der Yuma-Stamm, schon vor vierzig Jahren durch kleine Trupps versprengter Sioux, Apachen[7] und auch Mixtecas verstärkt und mit diesen längst zu einer neuen Gemeinschaft verschmolzen, zählte mindestens vierhundert Krieger und hatte sich mit den anderen niederkalifornischen Rothäuten, deren Gesamtzahl heute vielleicht fünfzehntausend betragen mag (von denen gut die Hälfte Minenarbeiter geworden sind), stets auf friedlichen Fuß gestellt, konnte sogar bestimmt auf die Unterstützung der noch nomadisierenden Artgenossen rechnen.

Dies war die eine offene Frage: Was suchte Sennor d’Astria hier?! – Und die zweite beschäftigte mich noch weit mehr. Wenn Izana Milleret und die beiden nach Fort Yuma geschickten Boten die Verfolgten waren, wie sollte ich in diesem mir gänzlich unbekannten Gebiet es so einrichten, daß ich ihnen irgendwie helfen könnte?!

Hinzu kam noch die bereits von mir erwähnte Schwierigkeit der Unpassierbarkeit des Geländes. Die Kakteenfelder und die breiten Gestrüppstreifen sind wie die Zwischenwände eines äußerst raffiniert angelegten Labyrinths. Es bleibt das reinste Zufallsspiel, ob man die richtige „Gasse“ trifft. Selbst auf die Wildfährten ist wenig Verlaß, da sowohl die hier vorkommende Hirschart, ferner die Wildschafe und die kleinen Wildschweine selbst dort durchschlüpfen, wo dies für einen Reiter unmöglich ist.

Ich gab recht scharf auf diese Wildfährten acht. Von den Yuma-Kriegern, besonders aber von der äußerst schneidigen Reiterin und Jägerin Mi Moa, die bisher täglich mit mir lange Ritte meist nach Süden und Südwest unternommen hatte, wußte ich so mancherlei, was mir jetzt zugute kam. Ich hätte gewünscht, meine kleine Freundin Mi Moa wäre gerade jetzt zur Stelle gewesen. Kain half mir hier wenig. Jede frische Wildspur lockte ihn, und letzten Endes war ich hier ganz allein auf mich angewiesen.

Da die Luftspiegelung die Reiter von links, also von Westen hatte erscheinen lassen, mußte sich die Verfolgung gerade umgekehrt, also von Ost nach West, hingezogen haben. Ich mußte mich also unbedingt mehr nach Westen halten, gelangte in völlig kahle, steinige Täler und dann wieder auf eine große Steppe. Inzwischen mochte eine Stunde verstrichen sein.

Kain war plötzlich weit voraus, eine Herde Wildschweine, die in einem Sumpfloch gelegen hatte, war in wilder Flucht in das Gestrüpp eingebrochen, und Freund Kain hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun gehabt, als den grauschwarzen, gestreiften, quiekenden Peccaris[8] nachzufolgen.

Von einer mit immergrünen Eichen bestandenen Kuppe hielt ich Ausschau. Das Steppenbild zeigte hier insofern einige Abweichung von den südlichen Savannen, als der Baumwuchs üppiger war, was auf einen Fluß hindeutete, – was sich hier so Fluß nennt: Ein breites Bett, ein dünnes Rinnsal und viele morastige Stellen! Nur im August und September, zur Zeit der schweren Gewitter und Regengüsse füllen sich diese Flußtäler zu reißenden Strömen – – für Stunden! Dann ist die ganze Herrlichkeit wieder versickert.

Ich konnte nichts entdecken, was die Nähe von Menschen verriet. Der sicherste Beweis für Anwesenheit von Reitern bleibt stets das Verhalten der Vögel. Niederkalifornien beherbergt Schwärme von Wildtauben, Wildstaren und rabenähnlichen Vögeln. Das unruhige Kreisen der Vögel warnt den aufmerksamen Beobachter nicht nur hier, der Vogel ist in jeder Wildnis ein guter Bundesgenosse.

Unschlüssig wartete ich noch eine Weile. Die Steppe hatte in endloser Ferne als Abschluß einen kahlen Höhenzug, und einzelne der Berge schienen mir denen zu gleichen, die uns die Luftspiegelung gezeigt hatte.

Meine Taktik, nichts zu übereilen, erwies sich als richtig.

Ich habe stets gute Augen gehabt, und als ich genau im Norden hinter einem größeren Waldstreifen plötzlich einen Schwarm Wildtauben hochgehen sah, jagte ich weiter.

Aber ich hatte die Entfernung unterschätzt. Zehn Minuten – – der Wald rückte kaum näher! Die Tauben kreisten noch immer.

Noch fünf Minuten …

Da vernahm ich den dünnen Knall eines Schusses.

Also doch!

Im Karriere ging es vorwärts.

Ein ausgetrocknetes Bachbett kam mir gerade recht. Hier brauchte ich nicht zu fürchten, in eine Sackgasse zu geraten.

Wieder Schüsse …

Mein Gaul begann zu keuchen, zu stolpern. Ich verhielt ihn. Mit abgehetztem Pferde durfte ich mich nicht einmischen.

Ich kam um eine scharfe Biegung, erblickte vor mir einen einzelnen Reiter auf einem Rotschimmel mit prächtigem Schweif.

Der Rotschimmel hatte Mi Moas Vater gehört, der nun auf der Natividad-Insel begraben lag. Mi Moa benutzte das Pferd jetzt regelmäßig.

Sie war es.

Sie hatte den Hufschlag hinter sich gehört, drehte sich um, hatte schon die Büchse im Anschlag.

Schneid besaß dieses Mädel. Und was sie mir so sehr sympathisch machte, war ihre große Tierliebe. Der halbwilde Indianer sieht in jedem Tier nur Zweckgeschöpf. Das Pferd pflegt er, weil er es braucht. Die Schafherden bewacht er vor Puma und Panther, weil sie seinen Reichtum bilden.

Mi Moa war anders. Sie besaß ein paar Hunde, die sie verzärtelte, sie liebte ihre Pferde, sie duldete keine Roheiten beim Schlachten.

Ich hielt dicht vor ihr.

„Wie kommt meine Schwester hierher?“, fragte ich hastig.

Sie wurde rot und verlegen. – Ich begriff alles, sie war Taskamore und mir nicht gefolgt, sondern hatte sich stets seitwärts von uns gehalten. Ich wußte, daß ihre Freundschaft für mich wohl doch einer heißeren Quelle entsprang.

„Mi Moa hat die Luftspiegelung gesehen?“, fügte ich ebenso rasch hinzu, um ihr eine Antwort zu ersparen.

Sie nickte nur und wies nach vorwärts.

„Es wird gekämpft, El Gento … Wenn mein Bruder nach links abbiegt und ich nach rechts, werden wir denen am besten helfen, die dort in Not sind. Der Wald ist leicht zu durchqueren. Jenseits liegt eine lange Grasprärie mit kahlen Felsen.“

Ohne ein weiteres Wort trabte sie davon.

Der Wald nahm mich auf. Die Schüsse klangen nur noch vereinzelt. Kain war noch immer nicht zurück, ich band das Pferd an, machte beide Büchsen schußfertig und lief zu Fuß von Baum zu Baum.

Wieder ein Schuß, – – ein Aufschrei folgte, dann eine Stimme, die ich sofort erkannte: Ret Hil, der rote Hil, der Mann mit den Eisenmuskeln!

Ich war mehr als erstaunt. Ret Hil hier und im Kampf mit Sennor d’Astrias uniformierten Strolchen?!

Was er gerufen, hatte ich nicht verstanden.

Noch vierzig Meter, und die Steinebene lag vor mir.

Ich erblickte niemand. Es war totenstill geworden.

Ich kroch weiter, erhob mich hinter den ersten Felsen, lugte nach vorn und schlüpfte bis zur nächsten Steingruppe.

Als ich von hier Ausschau hielt, gewahrte ich auf einer freien Fläche, die nur einzelne Streifen Kakteen zeigte, kaum zehn Schritt vor mir ein totes Pferd und daneben einen Yuma-Krieger, der die Hand gegen die Lende gepreßt hatte und dessen Gesichtsausdruck die Schatten des nahenden Todes zeigten.

Ein Knall dicht hinter mir und das Zischen einer Kugel bewies mir, daß ich doch nicht behutsam genug gewesen. Ich warf mich nieder, schnellte mich zwischen die Steine und … sah eine Karabinermündung gerade auf mich gerichtet.

„Hände hoch!“, – es war der Kapitano selbst. Sein gelbes Paviangesicht leuchtete vor Hohn.

Er war nicht allein. Ich hatte eben Pech gehabt. Gerade in diese Felsgruppe hatte er sich mit vier von seinen Gurgelabschneidern eingenistet.

Der Tod war mir näher denn je.

Ich hob die Arme.

Was blieb mir anderes übrig?!

„Ah, – also der Mr. El Gento …“, krähte der lange Wicht ebenso leise. „Feiner Fang!! Fünfhundert Dollar Belohnung sind in Seattle ausgeschrieben!“

Diese Hyäne kannte nur eins: Geldgier!

In dieser gelben Visage standen alle Laster eingekerbt.

Aber selbst diese fünf Halunken sollten sich etwas zu früh gefreut haben.

Meine hochgereckten Hände berührten eben eine Felskante. Es war ein hoher, schlanker, rissiger Stein. Links davon kauerte der Kapitano mit einem seiner Getreuen, rechts die drei anderen. Viel Bewegungsfreiheit hatten sie nicht. Ich selbst hockte noch in Kniebeuge. Meine Finger betasteten die Felskante, und gerade als Sennor d’Astria einen Lasso fertig machte, mit dem er mich binden wollte, schnellte ich wie ein Blitz hoch …

Vier Schüsse …

Schade um meine neuen Lederhosen!

Zwei Löcher!

Das war alles.

Und dann ein Sprung abwärts, dem goldbetreßten Edeljüngling gerade auf den Kopf, – zwei Hiebe mit dem Pistolenkolben, vor denen sogar der härteste Schafsschädel gestreikt hätte, – auch nebenan wurde es lebhaft. Die drei Herren dort brüllten, kreischten, ein Schuß knallte, – ich hinüber, – Kain war bei der Arbeit, und den Rest erledigte ich.

Endergebnis: Ein Toter, denn ein Wolfsbiß ins Genick läßt sich nicht flicken, und vier vorläufig Kampfunfähige.

Der harte Peitschenschlag von drei Schüssen und Ret Hils greller Warnungsruf vermischten sich mit dem schrillen Wehgeschrei eines Getroffenen.

Ich lugte nach links …

Also dort steckten die Kerle – in einer Felsspalte hinter Kakteenkulissen!

Von dort blitzte es auf. Die Kugel zerstiebte am Gestein, und mein ohnedies nicht salonfähiger Filz bekam Luftlöcherchen. Ein paar Bleispritzer ritzten mir das Kinn.

Ich baute mir aus Steinen eine Brustwehr. Die Burschen feuerten wieder, aber von rechts antwortete man, und die Kugeln saßen besser.

Kampfpause.

Ich war etwas außer Atem.

Dann brüllte ich nach rechts hinüber:

„Hallo, – – Ret Hil! Ist Miß Milleret bei Ihnen?!“

„Und ob!! Auch Juanita! – Wie viele haben Sie dort kaltgemacht, El Gento?“

„Nur einen, aber vier andere dürften für einige Zeit am Kopfweh leiden!“

„Donnerwetter!! Zwölf waren es im ganzen, die Juana und mich verfolgten. Dann sind es nur noch drei, schätze ich!“

Drüben über den Kakteen erschien ein heller Filzhut, wurde hin und her geschwungen.

Langsam folgte eine schlanke Gestalt: Meine kleine Freundin Mi Moa!

Sie winkte, setzte sich dann nieder und säuberte ihren Büchsenkolben mit einem Grasbüschel.

Ich eilte zu ihr, warf einen Blick in den tiefen Kanon, der hier den Steinboden durchzog.

Was ich für eine Felsspalte gehalten hatte, war eine mindestens acht Meter tiefe Schlucht, deren Südseite schmale natürliche Terrassen hatte. Dieser Kanon verlief nach Osten und Westen in vielfachen Windungen. Unten standen zwei Pferde, abseits Mi Moas Rotschimmel, dann lagen da noch einige stille Gestalten.

Mi Moa sagte nur: „Zwei habe ich gefesselt, El Gento … – Dort kommen deine Freunde, mein Bruder.“

Das Wiedersehen mit Izana, Juana und Ret Hil wäre vielleicht etwas weniger herzlich ausgefallen, wenn nicht Ret Hils übergroße Redseligkeit mir die Befangenheit genommen hätte.

Der Gedanke, jetzt vor Taskamore mit den beiden Rivalinnen aufzutauchen, die den Widerstreit der Empfindungen in seiner Brust hervorgerufen, war mir alles andere als angenehm.

 

9. Kapitel.

Ret Hil als Erzieher.

„Wie geht es Kamo?“, fragte Izana und nahm mich beiseite. „Er ist verwundet worden? – Aus den Angaben der beiden Yumas war so schwer ein richtiges Bild zu gewinnen.“

Izana Milleret in ihrem tadellosen Sportkostüm mit Reithosen und halbhohen gelben Stiefeln wirkte hier so etwa wie ein Wesen aus einer fremden Welt.

Sie war hübscher, reizvoller denn je, aber jener hochmütige, verschlossene Zug um den Mund, der sich während des damaligen Ringens um den Geiser der Träume allmählich verloren hatte, war wieder schärfer hervorgetreten, und selbst die Stimme schien mir leicht anmaßend und herrschsüchtig wie einst.

Die Untugenden dieses jungen Weibes, das über ungezählte Millionen verfügte und über Ländereien von phantastischem Ausmaß, lagen in ihrer Erziehung, ihrer Umwelt und in dem Heer von Schmarotzern begründet, die ihrer Eitelkeit von Kindheit an geschmeichelt hatten. Die stürmische Leidenschaft für Taskamore, der ihr im Vergleich zu den Schwätzern ihrer Gesellschaftskreise wie ein Halbgott erscheinen mußte, mochte wohl für kurze Zeit ihre hochmütige Selbstherrlichkeit zurückgedrängt haben.

Jedenfalls: Die Izana, die uns in Seattle in finsterer Nacht schluchzend Lebewohl gesagt hatte, war es nicht mehr.

Sie ließ mich auch gar nicht zu Worte kommen, sondern fuhr in merklich gereiztem Tone fort:

„Man hat mich in Seattle gesellschaftlich boykottiert, – natürlich war es sehr übereilt von mir gewesen, meinen Vater derart bloßzustellen. Ich empfinde das jetzt als bitteres Unrecht an einem Toten. Ich reiste nach San Franzisco, und dort las [ich][9] in amtlichen Berichten, daß die Jacht Medusa verfolgt, aber entkommen sei. Eine Auskunftei versorgte mich noch mit genaueren Einzelheiten, die Leute hatten überallhin Beziehungen, ein Küstensegler hatte die Medusa in der San Sebastian-Bai gesehen, so entschloß ich mich denn, auf kürzestem Wege Fort Yuma aufzusuchen.“

„Weshalb gerade Fort Yuma?“ flocht ich etwas mißtrauisch ein. Unwillkürlich dachte ich an den blinden Passagier auf der Medusa, der uns die Verfolger durch die Ölspur auf den Fersen gehalten hatte. Ich hatte das Gefühl, daß Izana mir etwas verschwieg.

Mein forschender Blick wurde mit kalter Ablehnung gestraft.

„Das werde ich Kamo mitteilen“, erklärte sie vielleicht noch gereizter. „Zuweilen werden Tote wieder lebendig, Abelsen, und diese Toten sind dann meist sehr ehrliche Berichterstatter.“

Ihre Augen streiften die ferne Gruppe meiner Gefährten, die gerade die überlebenden Mexikaner fesselten.

„Was ist das für ein Mädchen, diese … diese Juanita, mit der Sie und Kamo da auf dem U-Boot-Wrack zusammen waren?“

„Eine … Dame“, sagte ich nur. „Ebenso Dame wie Sie, Miß Milleret. – Taskamore geht es gut, Sie werden ihn sehen. Ich habe augenblicklich Wichtigeres vor …“

Ihr kurzes, hartes Auflachen vertiefte nur noch die Entfremdung zwischen uns. Ich ließ sie einfach stehen und schritt zu den anderen hinüber, die in bester Laune und unberührt durch die etwas blutigen Vorgänge den schleunigen Aufbruch in das Yuma-Lager vorbereiteten. Daß einer der Yuma-Krieger bei dem Kampf gefallen, konnte diese in der Wildnis hart gewordenen Naturen kaum weiter beeinflussen. Das ganze Abenteuer war noch glimpflich abgelaufen, und als Izana jetzt ebenfalls nähertrat, meinte der sehr offenherzige Ret Hil mit gut gespielter Verwunderung:

„Entschuldigen Sie, Miß, – aber Ihr Gesichtsausdruck entspricht sehr wenig den gegebenen Umständen. Sie und die beiden Yuma-Krieger waren bereits eingekreist, als Juanita und ich Ihnen etwas Luft machten. Und dann erschien El Gento und die Sache wurde eine ziemlich glatte Rechnung. Sind Sie unzufrieden? Womit?!“

Richard Hiller, gleich mir zur besseren Sorte der Weltentramps gehörig, hatte die letzte Frage in recht scharfer Form gestellt.

Er war jetzt nicht mehr der abgerissene Strolch, als der er auf dem verrosteten Walfängerdampfer das Harpunengeschütz mit so imponierender Kaltblütigkeit bedient hatte. Woher er sein Lederhabit hatte, war gleichgültig, er trug es wie den prächtigsten Galarock, und seine kraftstrotzende Erscheinung und seine verwegenen braunen Züge waren ganz dazu angetan, selbst einer übersättigten Millionenerbin einiges Interesse abzunötigen.

Möglich, daß Izana Milleret im Verlauf der raschen, wilden Szenen der letzten Stunde diesen ehernen Burschen, der bei all seiner Kraftfülle niemals roh oder brutal wirkte, nicht genügend beachtet hatte. Die schroffe Rüge, die er ihr soeben erteilt hatte, würde sie vielleicht nicht so verdutzt hingenommen haben, wenn seine harten Augen sie nicht geradezu im Zaum gehalten hätten. Es lag unfehlbar etwas bewußt Herausforderndes, Zwingendes in seinem Blick, und das unmerkliche Lächeln um seinen gut geschnittenen Mund konnte kaum überlegener sein als Izanas nur zu wohlbekanntes hochmütiges Schürzen der Lippen.

Für diese Umgebung hier war es gewiß eine seltene, seltsame Szene.

„Verlangen Sie Dank?“ fragte Izana und mühte sich umsonst, recht unnahbar zu wirken.

Ret Hil erwiderte kühl: „Dank muß man empfinden. Undankbare Menschen sind keinen Schuß Pulver wert. Was ich verlange, ist Einordnung in unseren Kreis, Miß, also ein selbstverständliches Sichanpassen!“

Dann drehte er sich nach leichter Verbeugung um und winkte mir und dem überlebenden Yuma-Krieger.

Wir bedeckten die Toten mit Steinen, holten die Pferde aus dem Kanon, banden die Gefangenen auf die Gäule und traten den Rückzug an.

Ich ritt mit Ret Hil voraus. Hinter uns folgten der sehr stille Kapitano mit dem übel zugerichteten Schädel und die anderen fünf noch lebenden Kavalleristen. Dann schlossen sich Juana und Mi Moa an, in einigem Abstand der Yuma-Krieger, und ganz hinten trabte verbittert und verärgert die schöne Miß Milleret.

„Der tat ein Dämpfer not!“ sagte Ret Hil schmunzelnd. „Juana und ich hatten die Bande bereits gründlich an der Nase herumgeführt und waren hinter der schneidigen Kavallerie, als dieser edle Wicht Sennor d’Astria die feine Miß und die beiden Yumas bemerkte … Da ging die Hetze los … – Eine sehr eigentümliche Miß, diese geborene Milleret. Der fehlt so ein wenig das, was man Knute nennt, natürlich bildlich gesprochen!“ Ret Hil war ehrlich empört. Ich äußerte mich nicht weiter. Mir lag anderes weit mehr am Herzen, denn eine bessere Gelegenheit, endlich einmal die unklaren Fragen zu lösen, die gerade die sympathische Juana Raparo betrafen, gab es kaum.

„Freund Ret Hil“, bat ich ohne Umschweife, „was hat Juana mit den Petroleumquellen zu tun? Lüften Sie doch endlich die Schleier.“

Er klopfte seinem Pferde den Hals. „Bedauere, Abelsen. Mich bindet ein Versprechen. Andererseits wundere ich mich, daß Sie die Zusammenhänge nicht längst überschaut haben.“

Er wandte den Kopf und blickte mich an. „Der Name Raparo ist nicht ganz unbekannt in Mexiko“, fügte er bedeutungsvoll hinzu. „Fast berühmt … Freilich eine andere Art Ruhm, wie ihn Sennor d’Astria als Rebell und Fahnenflüchtiger genießt. Der edle Herr war einmal Kavalleriekapitän. Jetzt ist er vogelfrei. Sogar der Herr Gouverneur von Niederkalifornien, der übrigens in kurzem auch den Fußtritt ohne Pension erhalten dürfte, hat den Burschen nebst Anhang jetzt fallen lassen. Aber wie gesagt: Mexiko ist groß, die Präsidenten wechseln jedes Jahr, und wer sich hier, so fern von der Hauptstadt, nicht selbst sein Recht verschafft, kann besser Lämmlein hüten gehen.“

Damit war dieses Thema offenbar für ihn erledigt. Nur über Juanas und seine eigene Flucht vor acht Tagen machte er noch einige mir wertvolle Andeutungen. Natürlich wieder in seinem „Stil“, der durchaus zu seiner Persönlichkeit paßte. „Die Banditen dort an der Petroleum-Bucht, auf den Karten heißt sie sehr romantisch und historisch „Eugenie-Bucht“, wahrscheinlich nach der Exkaiserin Eugenie von Frankreich, deren Herr Gemahl ruhig duldete, daß man den Erzherzog Maximilian erschoß, – – also das Lumpenpack da hatte mich nach der kleinen Kanonade damals, Sie wissen ja, aufknüpfen wollen. Der Kapitano, der schwarzbärtige Schuft Benito Scarpa und ein dritter ähnlicher Ehrenmann, den sie immer nur James nannten, und der andauernd scheußlich hustete und sicherlich mal einen Messerstich in die Lunge abgekriegt hat …“

Schon hier unterbrach ich Ret Hil. „Beschreiben Sie ihn mir! War er hager, groß, scharfe Züge?“

„Stimmt genau … Und dazu ein paar freche, hinterlistige Augen …“

Das Bild jenes James Milleret stieg vor mir auf, des Bruders John Millerets, – – und mit einem Schlage verstand ich Izanas Andeutungen über Tote, die wieder lebendig werden.

„Wissen Sie, wer dieser James ist, Ret Hil?! Das ist ein vielfacher Mörder, ein jämmerlicher, totgeglaubter Schurke, den Taskamore und ich droben in Kanada flüchtig einbuddelten. Der eigene Bruder knallte ihn nieder … – Doch weiter nur … Was wurde mit Ihnen?“

„Kettensträfling!! Mich aufzuknüpfen, dazu hatten die Herrschaften keine Courage mehr. Ich mußte die Bohrtürme in Ordnung halten. Drei Tage … Dann hatte sich die ganze Sippe wieder derart vollgesogen, daß ich in aller Ruhe meine Fußeisen durchfeilen und Juana befreien und davonreiten konnte. Es wäre weiter kein Kunststück gewesen, auch die anderen Gefangenen mitzunehmen, aber – – das hatte ja noch Zeit. Außer dem Pater Sebastian stecken dort noch im Dampfer der alte ehrliche Karl Blech, der Kapitän Rucks und die anderen Leute der Medusa sowie Sennor Doktor José Raparo, Juanas Vater …“

Ich starrte Ret Hil sprachlos an.

Er lachte nur gutmütig „Stimmt alles, Abelsen … Stimmt ganz genau. Und noch eins: Das Pack dort an der Eugenie-Bucht hat naturgemäß eine Heidenangst vor euch und den Yumas und hat das schwer zugängliche Petroleumtal zur Festung ausgebaut. Anfänglich suchten diese Ölpiraten nach außen hin den Eindruck harmloser Transieder zu erwecken, – jetzt gehen sie aufs Ganze, die Erdölquellen liefern täglich etwa zweitausend Liter, Sennor Scarpa hat Tankdampfer beschafft, hat noch ein halbes Hundert Galgenvögel angeworben, und das Geschäft blüht … Noch ein Jahr und die Kerle sind Millionäre, denn Erdöl und Erdöl ist ein Unterschied, das werden Sie als Ingenieur am besten wissen.“

„Und – – Doktor José Raparo?!“, fragte ich nochmals.

Ret Hil zögerte.

„Fragen Sie Juana, Abelsen … Mir scheint, Juana und Mi Moa haben sich bereits verständigt.“

Ich hielt meinen Gaul zurück.

Als der Kapitano an mir vorüberritt, zischte er mich giftig an: „Das sollen Sie büßen, Sie … Sie …“

Welchen Ehrentitel er bereit hatte, erfuhr ich nicht.

Kain verstand eine gewisse Handbewegung und ein gewisses Schnalzen mit der Zunge. Die Faust war für d’Astria zu schade. Kains Zähne genügten. Der Kapitano brüllte wie am Spieß, als Wölflein ihm wie eine überreife Traube am Unterschenkel hing.

„Kain, – – hierher!“, – und ich gelangte zwischen die beiden eifrig plaudernden Mädchen, von denen jede Indianerblut in den Adern hatte.

„Juana, eine Frage …“

Sie lächelte mild. „Etwa nach Doktor José Raparo, Freund El Gento?“

„Ja …“

Auch Mi Moa, die blaue Taube, zeigte ein sanftes Zucken um die Mundwinkel. Und Mi Moa war es, die mir entgegnete:

„Bruder El Gento, all die Dinge sind nun geklärt, – zum Glück! Es ist bekannt, daß wir Yumas das Gebiet um die Eugenie-Bucht seit vielen Jahren mit allen Rechten erworben haben. Als Doktor José Raparo nun, der hiervon nichts wußte, zusammen mit Ret Hil und Karl Blech die Küstengebiete auf das Vorkommen von Erzen untersuchte, entdeckte er in jenem schroffen Tale unweit der Bucht im Sande ölige Flecken. Als Fachmann, er ist Chemiker und Geologe, begriff er sofort den Wert dieses Fundes, begab sich mit seiner kleinen Motorjacht nach La Paz zum Gouverneur von Niederkalifornien und erwarb gutgläubig einen Landstreifen an der Bucht und zahlte dem Gouverneur auch eine hohe Summe für die Erlaubnis, sofort mit Bohrungen beginnen zu können. Der Gouverneur verschwieg ihm, daß wir Yumas dort ältere verbriefte Rechte besäßen, riet ihm auch, zunächst in aller Stille das Ergebnis der Bohrversuche abzuwarten. Hierdurch wurde sowohl Doktor Raparo als auch mein Stamm betrogen. Inzwischen hatte einer der Matrosen der Motorjacht das Geheimnis an Benito Scarpa verschachert, einen Menschen, der überall seine Hände im Spiel hat und der mit einem Amerikaner zusammenarbeitete, der immer nur Mr. James genannt wurde. Scarpa rüstete zwei Dampfer aus, überfiel die neue kleine Niederlassung Doktor Raparos, nahm diesen gefangen und bemächtigte sich des Öltales. Während des Kampfes gelang es jedoch Juana, Ret Hil und Karl Blech zu entkommen und im offenen Segelboot auf das Meer zu flüchten, wo sie nach Tagen Schiffbruch erlitten und ertrunken wären, wenn Juana und Ret Hil sich nicht auf das halbwracke U-Boot hätten retten können. Karl Blech erging es schlimmer, er erreichte, nur mit einer Korkweste versehen, die Westküste von Natividad-Insel, fand dort das angespülte, zertrümmerte Segelboot und traf später mit Juana und dir zusammen. – Alles übrige wird wohl Ret Hil bereits erzählt haben“, schloß Mi Moa ihre knappe, klare Schilderung, der dann Juana nur noch eins hinzufügte: Die nochmalige Versicherung, daß ihr Vater durchaus im guten Glauben gehandelt habe und daß Benito Scarpa mit seinen Leuten und den Deserteuren des Kapitano ihr schlechtes Gewissen schon durch die Scheingründung einer Transiederei genugsam bewiesen hätten.

Es hätte dieser Versicherung Juanas gar nicht mehr bedurft. Ich überschaute die Dinge jetzt vollkommen – bis auf einen einzigen Punkt. Hierüber wollte ich jedoch besser einmal mit Mi Moa, meiner kleinen Freundin, allein ohne Zeugen sprechen. Ich hatte ihre merkwürdige Äußerung über „die größten Werte, die man den Yumas nicht rauben könnte“ (so ähnlich hatte sie sich ausgedrückt), keineswegs vergessen, und ihre damaligen Worte erschienen mir nun in ganz besonderem Lichte, zumal sie sich bemühte, das Thema der Ölquellen nicht weiter zu erörtern, sondern sofort dazu überging, Pläne zu schmieden, wie man Scarpas Banditen am leichtesten von der Bucht vertreiben und die Gefangenen befreien könnte.

Juanita Raparo, die im Sattel noch liebreizender sich ausnahm und mit ihrer gertenschlanken Figur und dem weichen, frischen Antlitz in ihrer schlichten Tracht sogar John Millerets Tochter ausstach, betonte jetzt dasselbe, worauf schon Ret Hil hingewiesen hatte: Daß Scarpa und „James“ über etwa achtzig Leute und ein Dutzend Harpunengeschütze verfügten und freiwillig niemals den Platz räumen würden.

Ich winkte beruhigend ab.

„Sobald Taskamore völlig bei Kräften ist, haben die Ölpiraten endgültig ausgespielt!“

Das war auch meine feste Überzeugung. Mochten die Kerle dort das Öltal auch noch so stark befestigt haben, wir würden immer Mittel und Wege finden, ohne viel Blutvergießen dort gründlich aufzuräumen.

Jedenfalls war die eine große Sorge jetzt von mir genommen, daß Juana, Ret Hil und der alte Nußknacker Karl Blech irgendwie in unsaubere Geschichten mit verwickelt seien.

Ich verabschiedete mich von den beiden Mädchen und blieb abermals zurück, bis die für diese Kakteensteppe denn doch allzu modisch gekleidete Izana neben mir war.

„Ah, kümmern Sie sich wirklich noch um mich, Abelsen?!“, begrüßte sie mich ziemlich unfreundlich. „Ich komme mir hier wie eine Fremde vor … Die beiden … jungen farbigen Damen da vorn sind mir denn doch etwas zu primitiv, und …“

„… und zu ehrlich!“, unterbrach ich sie mit deutscher Ironie.

„Ehrlich?!“

Ihr fragender Blick wurde unsicher.

„Ja – zu ehrlich!“, wiederholte ich mit noch schärferer Betonung.

Sie schaute schnell zur Seite.

„Ich verstehe Sie nicht ganz …“ Das klang wenig selbstbewußt.

Wir näherten uns bereits der Stelle, wo ich Taskamore zurückgelassen hatte.

Ich wollte Klarheit haben.

„Hat sich Ihr Onkel James mit Ihrer Hilfe in Seattle auf die Medusa eingeschlichen, Miß Milleret?“, fragte ich kurz.

Sie erbleichte. Dann schoß ihr das Blut bis zur Stirn, sie senkte den Kopf, preßte die Lippen trotzig zusammen und stieß dann heftig hervor:

„Ja! Er wollte in dem kanadischen Hafen, wo die Medusa Branntwein an Bord nehmen wollte, die Jacht wieder verlassen.“

Ich lachte bitter.

„Das haben Sie niemals geglaubt, oder aber Sie kennen Ihren Oheim sehr schlecht. Ein Verbrecher wie er …“

„… Ich verbitte mir diese Herabsetzung des Bruders meines Vaters!!“ Und ein Blick traf mich, der übergenug besagte. Es hätte garnicht der halb erhobenen Reitgerte bedurft.

Armer Taskamore!

Ich beneidete ihn nicht um dies Wiedersehen!

Wortlos hatte ich meinem Pferde die Sporen gegeben und jagte an unserem kleinen Trupp vorüber.

Mit frohen Sätzen sauste Wölflein Kain neben mir her. Aber das trotz aller Eintönigkeit der Farben so reizvolle Landschaftsbild der endlosen Einöden Niederkaliforniens erschien mir selbst bei diesem strahlenden Mittagssonnenschein wie von einer finsteren Wolke verdunkelt.

Armer Bruder Taskamore!

Ob ihm die Nachrichten, die ich ihm nicht vorenthalten durfte, nicht doch schmerzlich ans Herz greifen würden?! Ob er sich wirklich schon innerlich so sehr von Izana losgesagt hatte, daß dieser schnöde Verrat, den John Millerets Tochter durch die Begünstigung ihres Onkels erst ermöglicht hatte, ihn nicht weiter berühren würde?!

Es war ein lyrisches, zugleich tragisches Intermezzo in diesem starken, neuartigen Erleben, das mir hier beschert worden war. Ich hätte es sehr gern vollständig gestrichen.

Ich durfte nicht.

Dort lag Taskamore auf seiner Decke, rauchte gelassen eine Zigarette und winkte mir einen Gruß entgegen.

Ich sprang aus dem Sattel.

„Mein Bruder El Gento hat gekämpft“, sagte Taskamore und blickte auf meine Blutspritzer am Kinn und auf den durchlöcherten Hutrand.

Seine Augen glitten an mir herab.

Auch die Kugellöcher in der Lederhose entgingen ihm nicht.

„Es hat Tote gegeben“, fügte er hinzu. „El Gento bringt schlechte Nachricht. Ist Izana verwundet?“

Ich setzte mich neben ihn.

Der Kiefer der Klapperschlange lag auf einem grünen großen Blatt.

„Sie ist verwundet“, erwiderte ich sehr ernst. „Jedoch durch keine Kugel, kein Messer. Sie hat das Gift von früher wieder in den Adern, und die Schlange, von der sie gebissen wurde, trägt zwei Namen: Hochmut und James Milleret.“

Taskamore warf mir einen prüfenden Blick zu.

„Du sagst mir nichts Neues“, meinte er leise. „Ich scheute mich, diesen Verdacht vor dir zu äußern. James Milleret war der Mann an Bord der Medusa, und Izana hat es ihm gestattet, sich in ihre Kabine einzuschleichen, obwohl sie ihn kannte und wissen mußte, daß er unser Todfeind war.“

Er sprach das ohne besondere Erregung.

Und dann folgte der so kennzeichnende Nachsatz:

„Es ist gekommen, wie ich es ahnte. Diese kurze Liebe war ein Traum, geboren aus dem Geiser der Träume. Das Erwachen schmerzt mich nicht mehr. – Reite Izana entgegen … Ich will sie nur in deiner Gegenwart sprechen.“

Ich zauderte. Ich kannte Izanas zügelloses Temperament.

Dann bestieg ich doch mein Pferd, galoppierte zurück und fand jetzt Izana neben Ret Hil ganz vorn an der Spitze des Zuges.

Ihre Augen funkelten mich bösartig an.

„Wo waren Sie?“, fragte sie in dem unerhört anmaßenden Tone, der mir in den ersten Tagen unserer abenteuerlichen Bekanntschaft so manches belustigte Lächeln entlockt hatte.

„Donnerwetter!“, meinte Ret Hil kopfschüttelnd. „Donner noch eins, Miß, – El Gento ist wohl Ihr Schuhputzer?“

„Nein, – ein Denunziant ist er!“, fuhr sie mich ohne jede Selbstbeherrschung an. „Vorausgeritten war er, um Taskamore gegen mich aufzuhetzen …!“

Und ehe ich es hindern konnte, hob sie die Hand mit der Reitgerte und …

… Schrie gellend auf.

Ret Hil hatte zugepackt, hielt sie am Handgelenk, riß sie aus dem Sattel und warf sie quer über den Hals seines tänzelnden Gaules.

Leichenblaß war sie geworden.

Ret Hil blickte sie an, lachte …

„Katze, – so zieht man Krallen aus!!“

Dann ein Satz seines Pferdes, und im wildesten Galopp jagte er mit seiner Last davon, – ich hinterdrein, – bis dicht vor Taskamores Platz. Da erst ließ er sie herabgleiten, behielt jedoch die Reitgerte, zerbrach sie und warf sie ihr vor die Füße und trabte davon.

 

10. Kapitel.

Die brennende Burg.

Izana Milleret, vielfache Millionärin, verwöhnt, umgeben von allem erdenklichen Luxus, trotzdem eine vorzügliche Reiterin und sichere Schützin, stand sekundenlang wie gelähmt da.

Ihre Augen waren weit aufgerissen, die fast unnatürliche Blässe ihres Gesichtes, die zuckenden Lippen, – alles deutete darauf hin, daß diese Demütigung sie bis ins Innerste getroffen hatte.

Dann eine blitzschnelle Handbewegung, – die lange Coldpistole lag im Anschlag …

Und da … drehte Ret Hil sich um.

Hielt an, kam im Schritt zurück …

Und … lächelte gutmütig – überlegen.

Kein aufreizendes Lächeln …

Nein, in seinen Augen war ein warmer Glanz.

Ich wollte mich einmischen.

Taskamores gebieterischer Wink machte mich wieder zum Zuschauer.

Ret Hil war noch zehn Schritt entfernt.

Und … lächelte …

Blickte Izana unausgesetzt an …

Es war, als ob sein Wille siegte.

Das, was ich nie vermutet, geschah: Izana senkte die Waffe …

Wurde rot, verlegen … Suchte ihre Hilflosigkeit zu bemänteln …

„Wenn … wenn ich nun geschossen hätte?!“, sagte sie stockend …

„Wenn!!“ Er nickte ihr freundlich zu. „Sie hätten eben nicht geschossen. Sie wilde Katze!! Ich glaube, ich habe hier die richtige Art Dressur angewandt! Zum ersten Mal – – bei einem Weibe! Weiber gelten mir nichts, wenn sie bereits zahm sind!“

Er grüßte leicht, trabte wieder davon.

Izana Milleret wendete sich weg und … begann zu weinen.

Taskamores steinernes Gesicht verriet durch kein Zucken, was ihm bei dieser Szene als Verlobtem Izanas durch den Sinn gegangen sein mochte.

Ich selbst?!

Meine Gedanken umspielten ferne Möglichkeiten. Dieser Dresseur Ret Hil hatte ganz das Zeug dazu, mit Izanas Hochmut fertig zu werden.

Taskamore räusperte sich.

„Ich möchte dich etwas fragen, Nachtblume von Seattle.“

Das war Izanas Name in Seattle gewesen – ihrer tollen nächtlichen Autofahrten wegen, in denen sich ihr Temperament ausgetobt hatte.

Sie drehte sich langsam um.

Taskamore hatte das grüne Blatt mit dem Oberkieferstück der Klapperschlange emporgehoben. Daneben lag jetzt der Platinring, den Izana ihm in Seattle geschenkt hatte. Er hatte ihn immer nur an einer Schnur um den Hals getragen.

Izana blickte hin und schrak leicht zusammen. Sie hatte die Giftzähne und die dicken Giftdrüsen erkannt, – – daneben ihren Ring.

Sinnfälliger wie hier konnte wohl nie ein Verlöbnis gelöst worden sein.

Ihre Augen hoben sich und begegneten denen Taskamores.

„Izana, wir wollen Freunde bleiben“, sagte er etwas müden Tones. „Von meiner Seite wird es eine ehrliche Freundschaft sein. Ich bitte dich darum, Izana, ich, Taskamore, der Grenzreiter …“

Sie zögerte. Sie preßte die Zähne an die Unterlippe. Ein finsterer Schatten glitt über ihr Gesicht hin.

„Du hast mich schnell vergessen“, meinte sie spöttisch. „Sehr schnell … Und daß du mir hier meinen Ring zusammen mit … Giftzähnen darreichst, ist eine … gehässige Beleidigung. Vielleicht hast du dafür wenig Verständnis. Vielleicht gehört dazu mehr Taktgefühl, als man …“

„Izana!!“

Das war der herrische Ton, mit dem er sie einst gemeistert hatte.

„… Als du mir den Ring schenktest, muß James Milleret bereits mit deinem Einverständnis an Bord der Medusa gewesen sein, mein Todfeind, Izana! Und du wußtest das. Handeltest du etwa ehrlich?!“

Er erhob sich langsam, nahm mit der Linken den Ring und legte seine Hand so auf ihre Schulter.

„Ich habe dich in den Armen gehalten und geküßt, – es war ein schöner Traum. Aus keinem Traum darf Haß hervorblühen … So, wie ich jetzt das Gift des Reptils in die Kakteen schleudere, genau so streife du die Feindseligkeiten ab …“

Mehr habe ich nicht gehört.

Ich schlich mich still von dannen, mein Pferd und Kain folgten mir. –

Als Taskamore und Izana eine Stunde darauf im Lager erschienen, schritten sie Hand in Hand auf unser Zelt zu, vor dem ich gerade meine Büchse reinigte.

Taskamore lächelte zufrieden. „Gebt auch ihr euch die Hände … Bleiben wir Freunde, wir haben zu viel miteinander erlebt, als daß wir einander fremd werden könnten.“ –

Izana bekam ihr eigenes Zelt unweit des unsrigen angewiesen. Dicht daneben hauste Ret Hil. Er hatte eine wunderbare Art, den Unbefangenen zu spielen, und als es Abend ward, sahen wir ihn an Izanas Seite hinüberschlendern zu der Schlucht, die gen Osten den zweiten Lagerausgang bildete.

Mi Moa saß bei uns. Ihr junges Gesichtchen hatte einen spitzbübischen Ausdruck. Sie schaute dem Paare nach, und dann wanderte ihr Blick dorthin, wo Juanita Raparo einsam vor dem hohen Familienzelt der jetzt verwitweten Mutter Mi Moas stand und ein paar Hunde streichelte, die wohl fühlen mochten, daß auch in Juanas Herzen die Liebe für die Tiere einen starken Klang hatte.

„Sie scheut sich, zu uns zu kommen“, erklärte meine kleine Freundin mit leiser Zärtlichkeit. „Sie ist bedrückt, weil mein berühmter Bruder Izana Milleret freigegeben hat.“

„Hole sie!“, bestimmte Taskamore ernst. „Wir hätten noch vieles zu besprechen.“

Die Dunkelheit senkte sich immer schneller herab über die weiten Steppen, der kühle Nachtwind kam, die Lagerfeuer flammten höher auf, Qualmsäulen zerflatterten im Winde, das Firmament entzündete seine Millionen von Lämpchen, und Bratendünste durchwehten die Lagergassen und lockten die Hunde näher zu den brozelnden Lammkeulen.

Juanas schmales Gesicht mit den stillen Märchenaugen blieb gesenkt, während Taskamore auch ihr mahnend erklärte, es sei besser, daß Izana vorläufig nichts davon erfahre, daß James Milleret sich gleichfalls an der Eugenia-Bucht befände. „Die anderen sind bereits gewarnt, Miß Raparo. Ret Hil wird ein scharfes Auge auf die Mexikaner haben. Der Kapitano darf mit Izana auf keinen Fall sprechen.“ Seine Stimme hatte bei den letzten Sätzen einen schärferen Klang, und zu meinem Bedauern erkannte ich nun erst, daß sein Mißtrauen gegen John Millerets Tochter nicht völlig beseitigt war. „Nach fünf Tagen“, fügte er gleichgültiger hinzu, „werde ich mich genügend erholt haben, um den Ritt bis zur Bucht mitmachen zu können.“

Fröstelnd zog er seine Wolldecke enger um die Schultern. „Dieser Tag hat mich angestrengt. Ich werde mich niederlegen.“ Er nickte uns zu, stand auf und verschwand im Zelte.

Auch die beiden Mädchen entfernten sich, dann brachte mir Kulos Weib das Abendessen auf sauberem Blechteller, nachher erschien der stiernackige Kulo selbst und hockte sich neben mich nieder. „El Gento, Taskamore schläft?“

„Er schläft, Häuptling.“

Kulo sog an seiner Pfeife.

„El Gento, bist du damit einverstanden, daß die gefangenen Mexikaner ungefesselt bleiben?“

„Wie sollten sie flüchten können, Kulo?! Die Wachen an den Lagerausgängen sind verstärkt, und die Kakteenfelder lassen niemand hindurch.“

Er schwieg erst. „Taskamore weiß, was er tut …“, meinte er dann mit unmerklichem Achselzucken. „Taskamore ist ein halber Sioux, und ich bin es auch, nur meine Mutter war eine Yumafrau. Es ist gut.“

Er hatte doch noch etwas auf dem Herzen.

„Gehen wir durch das Lager“, schlug ich vor. „Kain bedarf noch seines Abendausganges.“

Wir wandten uns nach Westen. Hier außerhalb der Zeltgassen zogen sich die Weideplätze hin. Das gezähmte Wildschaf ist eins der genügsamsten Tiere. Zwischen den Herden waren große Grasschober, mit Lederdecken belegt, überall aufgestellt. Kulo betonte, daß er hier bereits mehrere Winter erlebt habe, in denen der Schnee tagelang liegengeblieben sei. Aber über das, was ihm hauptsächlich durch den Sinn ging, sprach Kulo nicht.

Kain, den ich der Junglämmer wegen an die Leine genommen hatte, wurde dann freigemacht. Vor uns lag der Hügel mit den Riesenfichten, der westliche Ausgang des Lagers, das als Ganzes gut eine Meile im Geviert einnahm. Hier blieb der Häuptling stehen, stopfte seine Pfeife und deutete gen Osten über das Lager hin. „El Gento, mein Sohn wird uns die Pferde heimlich bringen … auch die Waffen. Ich wollte Taskamore nicht beunruhigen. Es ist hier nicht alles so, wie es sein soll. Der eine Wächter …“ – er zeigte auf die Riesentannen – „meldete mir vorhin, daß die Wildtauben drüben nicht zur Ruhe kämen –. Drüben, nach Norden zu, im Walde, El Gento.“ Und noch ernster fuhr er fort: „Der Wind kommt dorther, El Gento, und wenn Kakteenfelder erst einmal brennen, flammen sie auf wie trockenes Gras.“

Ich verstand.

„Du denkst an einen Überfall durch die Leute Scarpas …!“

„Nicht Überfall … Aber Feuer, Brand … Wir haben das schon einmal erlebt, El Gento … Um diese Jahreszeit ist der Boden dürrer denn je, die Kakteen haben wenig Saft, viele Stauden sind abgestorben. Du bist ein großer Jäger, ich weiß es, und du sollst uns führen.“

Vom Lager her nahten fünf Reiter und zwei ledige Pferde.

Häuptling Kulo sagte noch schnell: „El Gento, die fremde Miß mit dem stolzen Gesicht hat mit Ret Hil das Lager durch die Schlucht verlassen … Auch das gefällt mir nicht. Sie sind noch nicht zurück, und es ist bereits Nacht geworden. Glaubst du, daß diese Miß eine Beleidigung je vergessen könnte?! Ich weiß alles. Taskamore denkt zu gut von ihr.“

Die Reiter hatten vor uns Halt gemacht. Zu meinem Erstaunen waren auch Juana und Mi Moa mitgekommen.

Kulo meinte kurz: „Die Mädchen teilen meinen Verdacht, El Gento … – Brechen wir auf.“

So trabten wir denn in die Nacht hinaus, meine kleine Freundin Mi Moa hielt sich dicht neben mir, und hinter uns in geringem Abstand ritten die anderen. Das Mädchen, die Büchse quer über dem Sattel, machte jetzt aus ihrer Besorgnis keinerlei Hehl. „Wir mußten Taskamore schonen“, erklärte sie halblaut. „Er ist müde und erschöpft. Wüßte er, was wir fürchten, würde er mitgekommen sein. – Dort ist der Wald, El Gento.“

Wir waren etwa eine Viertelstunde unterwegs und hatten uns stets in Tälern gehalten, um nicht frühzeitig bemerkt zu werden. Der Mond war inzwischen aufgestiegen, der Wind fauchte in bösen Stößen über die Gestrüppfelder hin und wirbelte den Sand auf den freien Stellen hoch.

„Wartet hier!“, – Diese Begleitung war mir nur hinderlich. „Ich werde mit Kain den Wald zu Fuß absuchen.“

Sie hatte diese Bevorzugung verdient. Dieses halbe Kind, trotzdem reifes junges Weib, war mir lieb geworden wie eine Schwester. Sie würde sich niemals zu einer Unvorsichtigkeit hinreißen lassen, und ich konnte bei diesem Gange nur eine Begleiterin brauchen, auf die blindlings Verlaß war.

Wir erklommen mit Kain die Talwand und schlichen dicht am Rande der Kakteenfelder dahin. Nach wenigen Minuten erreichten wir den Wald, dessen immergrüne Eichen, vermischt mit niederen Yuccabäumen, nicht allzu eng standen.

… Kain steht, legt die Ohren nach vorn …

Wir sind am Nordostrand des Waldes …

Vor uns im Mondlicht die fahle unruhige Fläche einer vielleicht hundert Meter breiten Zunge des großen Kakteenfeldes.

Ich prüfe die Luft …

Petroleum!

Und neben mir flüstert das Mädchen, das mich liebt und verehrt:

„Petroleum!!“

Kain sträubt das dicke Nackenhaar …

Ich weiß Bescheid.

„Behalte Kain bei dir, Mi Moa …!“

Sie nickt nur.

Ich schiebe mich dicht am Boden hin, eine kurze, kahle Sandstrecke trennt mich von den ersten Kakteenstauden.

Meine Augen suchen, finden nichts Verdächtiges … Unangefochten erreiche ich die ersten Büsche, krieche weiter …

Wenn nur dieser Lärm nicht wäre!! Gerade hier fährt der Wind mit voller Kraft gegen das endlose, stachelige Feld, Sandwolken stieben empor, ich muß das Schloß des Karabiners mit der Hand bedecken, damit sich nachher keine Ladehemmung vielleicht gerade in kritischer Minute einstellt.

Ich höre nichts – nur dieses eigentümliche an- und abschwellende Knistern der Kakteen … wie elektrische Entladungen.

Der Erdölgeruch wird intensiver, – ich habe jetzt die äußerste nördliche Ecke des Feldes erreicht, – ein paar kahle Felsen stehen dort, daneben ragen Baumkronen empor. Der Boden muß dort jäh zu einer Schlucht abfallen, in der die Bäume stehen.

Noch zehn Meter …

Und hier – – also doch! – – hier triefen die Sträucher, stinken, trockenes Gras ist zu langem Wall aufgehäuft …

Ich recke den Kopf etwas höher …

An dem einen Felsen lehnt ein hagerer Bursche, neben ihm – – und ich traue meinen Augen nicht! – lehnt … Izana Milleret!

„Kanaille, Schlange!!“, fährt es mir glühend heiß durch das Hirn.

Der lange Kerl mit dem schäbigen, goldbetreßten Livreerock ist wahrhaftig der Kapitano Ramon d’Astria!

Wie kommt der hierher?!

Und – wo ist Ret Hil?!

Ist Ret Hil Verräter?!

Meine Gedanken jagen, überstürzen sich …

Plötzlich fällt mir ein, daß Häuptling Kulo den Puma erwähnte, der zwei Schafe zerriß!

Es muß einen Wildpfad durch die Kakteen geben, es muß, – wie käme sonst der Puma in das Lager?! – Und die Gefangenen sind in einem Zelt nach Südwesten zu untergebracht … Das Zelt steht abseits am Rande der Kakteenwildnis. Sollte ein Zufall dem Kapitano geholfen haben, den unbekannten Pfad zu finden?!

Es kann nur so sein, nur so! –

Ramon d’Astria flüstert mit Izana und wendet dann den Kopf zurück.

Drei Kerle tauchen auf, Grasfackeln in den Händen …

Mein Herz pocht lauter, beruhigt sich.

Ich schiebe die Sicherung zurück, ziele …

Menschenleben schonen?!

Schonte dieser Deserteur uns?! Hätte er uns nicht längst umgebracht, wenn es in seiner Macht gelegen hätte!

Ich ziele …

Erst den Kapitano …

Und dann …

Aber der um den Abzug sich krümmende Zeigefinger streckt sich gerade …

Schreie aus der Tiefe der Schlucht …

Zwei Schüsse …

Und dann schattengleich zwei Gestalten, aus deren Händen das Mündungsfeuer fährt …

Dünne Knalle, taumelnde, hinsinkende Menschen …

Wie ein Blitz ist der Kapitano vorwärtsgeschnellt … liegt auf dem Graswall …

Ein Flämmchen eines Feuerzeugs leckt hoch …

Ich drücke ab …

Sekunden zu spät …

Ramon d’Astria zuckt empor, wirft die Arme in die Luft …

Aber das Flämmchen wird Flamme, wird zu tanzenden spielenden Feuerzungen …

Im Nu loht der Graswall hoch, im Nu färbt roter Feuerschein das düstere Bild.

Und ich erkenne die beiden, die jetzt ihre Jacken über die Glut werfen – – zwecklos …

Erkenne Taskamore und Ret Hil, starr lehnt Izana Milleret zwischen den Toten am Felsen, die Augen wie vom Irrsinn durchglüht.

Bis eine schlaffe Hand sich regt und nach dem Gürtel tastet …

Ich springe zu …

Ich wäre nicht rechtzeitig neben ihr gewesen, um die Pistole hochzuschlagen.

Doch die Waffe senkt sich von selbst, haltlos, verzweifelt, verstört und beschämt drückt Izana die Hände vor das verzerrte Gesicht.

Ich kann nicht anders, – ich packe zu, rüttele sie …

„Heuchlerin – – Schlange!!“

Vor uns prasselt das Feuer, fliegt weiter, fliegt mit dem Winde gen Süden …

Das Knallen der brennenden Büsche klingt wie das Fastnachtspiel mit kindischen Knallerbsen und ist doch bitterster Ernst!

Izanas Hände gleiten herab …

Sie stiert mich an …

Haß funkelt mir entgegen.

„Mörder!!“, kreischt sie … „Mörder, – – auch der da Mörder!! Ihr habt gewußt, daß mein Vater im Geiser-Schacht …“

Weiter kommt sie nicht. Taskamores Stimme fegt ihr die Worte von den Lippen. Er hat mich beiseite gedrängt, er beugt sich vor …

„Glaubst du dem da mehr als mir?!“ Seine Hand deutet auf des Kapitano verkrümmte Leiche. „Glaubst du, ich hätte je deine Liebe begehrt, wenn eine solche Schuld auf mir lastete?! – Izana, ich bedauere dich! Du bist jeder hinterlistigen Einflüsterung zugänglich, wie ein unreifes Kind! Oder wie ein Weib, dessen Hochmut es nicht ertragen kann, wenn ein Mann sie freigibt – ein Mann, Izana!“

Er wendet sich weg, – doch nur, um einem anderen Platz zu machen: Ret Hil!!

Ret Hil sieht in seiner jetzigen Verfassung nicht eben schön aus. Ohne Hut, das blonde Haar halb verklebt von Blut, Stirn und Wangen von Blutfäden durchkreuzt.

Izana fürchtet ihn. Duckt sich scheu zusammen.

Sein kurzes Auflachen ist wie ein Peitschenhieb.

„Ich hatte gehofft, Sie noch zurechtstauchen zu können“, sagt er eisig. „Was taten Sie?! Mit dem Lump dort ließen Sie sich ein, heuchelten, lockten mich zum Lager hinaus, ließen mich hinterrücks niederschlagen und fesseln! Wäre Taskamore nicht erschienen, hätten die Schufte mich abgekehlt! – Verschwinden Sie – schleunigst! Nehmen Sie sich einen der Mexikanergäule und reiten Sie zu Ihrem Onkel James, – zu der Gesellschaft passen Sie! Reiten immer nach Südwest, und Sie werden dem entgehen, was Ihnen gebührt: Ein Strick mit einer Schlinge! – Da – – schauen Sie sich das Werk dieses Teufels an! Die Flammen mögen Ihnen für immer das Hirn versengen!“

Dann ein Griff, noch einer, und er schiebt ein hilfloses Bündel vor sich her – – ein Stoß, und Izana Milleret kollert den sandigen Abhang hinab, rollt über zwei tote Strolche hinweg, rollt den unruhigen Pferden, die durch den Brandgeruch leicht verängstigt sind, vor die Beine, erhebt sich, steigt in den Sattel, – – und die nächste Krümmung der Schlucht entzieht sie unseren Blicken.

 

11. Kapitel.

Die weiße Heimat.

Der Kakteenwall ist ein einziges Flammenmeer …

Von dem felsigen Höhenzuge im Osten bis weit gen Westen frißt sich die lohende Glut begierig gen Süden.

Kommt ein schärferer Windstoß, dann schlagen Feuerzungen haushoch empor, sinken wieder in sich zusammen, lecken abermals hoch – eine feurige Brandung, über der der helle Qualm wirbelt und die glühende Röte eines Sonnenunterganges lagert.

Taskamore steht regungslos da und beobachtet. Ret Hil holt die Mexikanergäule nach oben.

Taskamore fühlt meine Frage.

„Mein Bruder El Gento kann unbesorgt sein“, meint er mit steinerner Ruhe. „Ich schlief nicht, als Kulo dich holen kam. Ich wäre Izana und Ret Hil ohnedies heimlich gefolgt. Izana schlenderte durch das Lager und sprach mit dem Kapitano, – das sah ich. Es genügte. – Die Yumas wissen, wie sie ihre Herden und Zelte retten. Sie werden ein Gegenfeuer anlegen. Ich habe es drei Kriegern befohlen, falls das eintreten sollte, was ich vermutete.“

„Du rechnetest mit dem Brande?“ – Meine Stimme verriet ihm mein Erstaunen.

„Ja. – Die Piraten dort an der Eugenia-Bucht hatten nur dies Mittel, uns zu vernichten. Aber sie haben es sehr töricht angefangen, – reiten wir zurück.“

Als wir dann in die Nähe des Westausganges an den Riesenfichten-Hügel gelangten, sahen wir weit draußen nach Norden die Schafherden, sahen Reiter, die hinter sich an Lassos schwere Ballen über den Boden schleiften.

Juanas Augen suchen jetzt Taskamore, stille Bewunderung und noch mehr liebevolle Sorge um sein Wohlergehen sprachen aus ihnen und fanden auch den Weg zu Freund Kamos edlem Herzen. Er winkte ihr leicht zu, er redete sie nicht wieder so förmlich mit Miß Raparo an, sondern benutzte das zarte, versteckt zärtliche Juana, in dem all die Weichheit lag, die dieses bescheidene, schöne Wesen so vorteilhaft auszeichnete.

„Juana, Sie fürchten, ich könnte mich überanstrengt haben … Ich werde jetzt ein ganz gehorsamer Patient sein und mich sofort niederlegen.“

Er lächelte dazu. Seiner Stimme war nichts von Übermüdung anzumerken, aber er kannte wohl selbst die Grenzen seiner Widerstandskraft am allerbesten. Er war ein Genesender, und als kaum zehn Minuten darauf unweit der Riesenfichten sich ein Zelt erhob, saß Juana Raparo neben dem flackernden Feuer und neben Taskamores Lager und sang ihm als Schlummerlied die getragene, schwermütige Melodie, die wir von ihr schon früher gehört hatten: Ein mexikanisches Volkslied, dessen Worte mir und meiner kleinen Freundin Mi Moa unverständlich blieben. Wir standen unter einem der Riesenbäume im Schatten, wir blickten hinüber zu den letzten aufflammenden Resten des Kakteenfeuers, unsere Herzen waren froh und weit, und da wir hier ganz allein blieben, machte sich des lieben, süßen Kindes ehrliche Seele jetzt so verspätet frei von der bangen Sorge um mein Leben …

„El Gento“, sagte sie, und es klang inniger als das Gurren der Wildtauben im Waldeshalbdunkel, „als ich die Schüsse hörte, als Kain dann an der Leine riß und ich nicht wußte, ob nicht dir die Kugeln galten, da habe ich erst geweint und dann mich doch zur Ruhe gezwungen, um nicht ungehorsam zu sein, – ich sollte ja bleiben, wo du mich zurückgelassen hattest.“

Sie hatte sich sanft gegen meine Schulter gelehnt, sie bog den Kopf empor und … wartete.

In solchen Momenten nur die abwägende Vernunft sprechen lassen und sich selbst etwa vorzuhalten, daß fast Jahrzehnte uns trennten und ich für sie doch nur das empfände, was ein guter Kamerad zu verschenken hat: In solchen Augenblicken wäre das eine Roheit gewesen, ein feiges Zurückschrecken vor dem großen hehren Rufe der Natur, die die Leidenschaft schuf, um sich selbst zu ergänzen.

Ich legte den Arm um das Mädchen und küßte es.

Ich wußte, diese Lippen hatten bisher sich jeder Zärtlichkeit verschlossen.

Was ich nicht wußte, – daß diese Lippen so betörend weich und so aufregend heiß und so … unersättlich waren.

Und nachher nahm ich meine trunkene, selige kleine Mi Moa bei der Hand und schritt mit ihr hinein in die dunkle Weite des früheren Lagers, das nun ein Feld feiner hellgrauer Asche geworden, als ob ein Vulkan irgendwo in der Nähe seinen unendlichen Aschenregen über die Landschaft ausgeschüttet hätte.

Der noch immer wütend fauchende Wind trieb diese Überreste des wütenden Brandes spielend vor sich her, häufte sie zu kleinen Schanzen auf und wirbelte sie in wandernden Fontänen in die Lüfte.

Nichts von ihrem Eigentum hatten die Yumas eingebüßt, – Taskamores Befehle hatten die Krieger wachgehalten, und als drüben im Norden der erste Flammenstrich hochsprang, waren auch schon Hunderte von Händen bereit, das Feuer mit seinen eigenen Waffen zu bekämpfen, die Herden gen Norden zu treiben und alles Hab und Gut zu bergen.

Kain war bei uns. Nur Kain. Und als wir die Stelle erreicht hatten, wo das Zelt der Mexikaner an der südlichen Grenze der Kakteenfelder gestanden, denen der Brand und die flüchtige Hitze nichts hatten antun können, fanden wir unter dünner Aschenschicht ein paar stille Gestalten.

Mi Moa wollte hastig vorüber.

„Die Erschossenen …“, sagte sie scheu … So scheu, daß ich deutlich heraushörte, dieser Anblick sollte ihr nicht die glückliche Stimmung verderben.

„Warte …!“

Sie wandte sich ab … Ich rief Kain herbei, und sehr bald hatten wir das gefunden, was des Kapitano Entweichen völlig klärte: Ein kaum erkennbares Schlupfloch in den dichten Stauden, das sich sehr bald erweiterte und tatsächlich einen tunnelartigen Wildpfad mitten durch die stachelige, undurchdringliche Wildnis dieser bescheidenen, mannigfachen Pflanzen war.

Daß Ramon d’Astria seine Leute hier heimtückisch zurückgelassen hatte, zeigte nur wieder, welch ein jämmerlicher Lump er gewesen.

Wir machten kehrt …

Mi Moa half mir dann, zwei kleinere Zelte neben dem Taskamores zu errichten. Ein Blick in Taskamores Zelt zeigte mir zwei friedlich schlummernde Menschen. Das Feuer war fast erloschen. Juana hatte sich ein Lager aus Decken bereitet und den Kopf auf einen Sattel gelegt. Ein Lächeln lag um den halbgeöffneten Mund … Vielleicht das Lächeln einer großen Hoffnung.

Wenn Träume je zu reinen Linien in hartem Marmor erstarren könnten, würden Kunstwerke entstehen, gegenüber denen die antike Kunst der Griechen mit ihren wundervollen allegorischen Darstellungen als Stümperarbeit erscheinen müßte. Vielleicht würde dann erst die lebenswahre Gruppe geschaffen werden, die den Begriff „Liebe“ völlig ausfüllt. –

Der kalte Mond stieß in mein Zelt, und der Ledervorhang klatschte hin und her. Draußen war die Dunkelheit noch tiefer geworden. Der eisige Nord hatte schwarzes Gewölk heraufgeführt, – ein Hagelschauer knatterte herab, Kain grollte dumpf, und durch den Vorhang schlüpfte eine zarte, schlanke Gestalt, deren Erscheinen Freund Kain nicht weiter störte.

Mi Moa umschlang mich … Ihr Geflüster war Liebe, Sehnsucht …

Draußen jagten die Schneeböen über die Steppe …

In unseren Herzen blühte der Frühling.

Und als der Morgen dämmerte, als das holde Kind sich wieder in die bunte Wolldecke hüllte und nach einem letzten süßen Kuß davonhuschte, hatte ich meine grauen Schläfen vergessen und fühlte nur das eine, das uns emporhebt über uns selbst, – das eine, das immer noch stärkstes, erschütterndstes Erleben ist: Liebe und Glück der reinen Liebe, Dankbarkeit und Hingabe, und aus alledem die wundervolle Erkenntnis, doch noch im Herzen jung geblieben zu sein, – kein müder Wanderer abseits vom Alltag, – nein, noch immer der, der ich einst war, als zwei schwankende Drähte, in denen der Tod floß, mich hinausführten über den Abgrund der Finsternis in das Feenreich der Abenteuer!

Und dann ein tiefer, stundenlanger Schlaf …

Vor Taskamores Zelt saßen wir dann und kochten Tee und aßen Maiskuchen und Fleischschnitten und sprachen mit Juana und Mi Moa und dem etwas finsteren, stiernackigen Häuptling Kulo und mit dem allzeit fidelen Ret Hil über den großen Kriegszug gegen die Erdölpiraten.

Ein paar Yuma-Krieger, die dort im Norden in der Schlucht den Kapitano und die anderen Toten verscharrt und deren Waffen geholt hatten, waren noch weiter nach Nordosten zu auf Fährten gestoßen, die deutlich bewiesen, daß noch vier Reiter in der Nähe gewesen und mit Izana Milleret dann eiligst gen Südwest verschwunden waren.

Taskamore pflichtete mir bei, daß die Gefahr bestände, die Banditen dort an der Eugenia-Bucht könnten die Gefangenen nach diesen Ereignissen aus dem Dampfer nach dem Öltal überführen und sie gegen uns als Geiseln benutzen.

Wieder eine Stunde darauf brachen Ret Hil, Mi Moa, ich und zehn Yuma-Krieger mit allerbesten Pferden zum Eilritt nach der Bucht auf. – Alles war genau vereinbart. Taskamore und Kulo sollten uns mit hundert Kriegern in kurzen Tagesritten folgen. Als Treffpunkt war ein Tal im Süden der Eugenia-Bucht verabredet worden. Bis zum Erscheinen Taskamores sollten wir die Gefangenen befreit haben. –

Am vierten Tage morgens wandte sich Mi Moa scharf nach Süden. Hohe Berge tauchten auf, sehr bald spürte ich auch den Salzhauch des Meeres.

Wir wurden vorsichtiger. Kain wurde an die Leine genommen und im Schutz immergrüner Eichenwaldungen näherten wir uns, abermals nach Norden abbiegend, den zerklüfteten Bergen, hinter denen sich die Eugenia-Bucht tief ins Land hinein erstreckte.

Daß Mi Moa diesen Parforceritt so glänzend ausgehalten hatte, setzte mich in Erstaunen. Lachend sprang sie vom Pferde, als wir einen schmalen Wildpfad emporklommen, lachend ließ sie mir an einer Ecke den Vortritt: Und ich sah das Meer zur Linken, gerade vor uns aber die Bucht, die Mastspitzen der Dampfer und die Qualmsäulen der noch immer brennenden Feuer unter den Trankesseln!

Dann Abstieg ins Tal, zwei Stunden Ruhe, und wir schlichen zu Fuß weiter.

Es mochte zehn Uhr vormittags sein, als wir in einem dichten Gebüsch am Südufer der Bucht lagen.

Vier Dampfer ankerten jetzt hier, der eine offenbar zur Ausfahrt bereit. Drüben am Strande herrschte regstes Leben, Petroleumfässer rollten in die Schiffsbäuche, eine dicke Schlauchleitung füllte den einen Tankdampfer. – Aber wir sahen noch mehr: Die Wachen, die überall auf den Höhen ausgestellt waren, Kerle mit Ferngläsern!!

Das waren schlechte Aussichten für uns.

Daß die Gefangenen nicht mehr in dem Dampfer steckten, unterlag keinem Zweifel.

Alle Dampfer wurden beladen.

Also – wo befanden sich die Gefangenen?!

… Scharfer Erdöldunst lagerte über der Bucht. Boote fuhren hin und her … Dampfkräne rasselten …

„Kleine Freundin“, flüsterte ich, „unsere ganze Mühe ist zwecklos gewesen! Wie sollen wir herausfinden, wo die Kerle die Gefangenen gelassen haben! Ich …“

… Ja, ich konnte gerade noch zupacken und Kain mit eisernem Griff das Maul zuhalten.

Links von uns war unten am Strande eine Wache aufgetaucht, ein kleiner, säbelbeiniger Kerl mit einem ungeheuren, roten Schnapszinken im Gesicht, und noch ungeheureren Stiefeln an den Füßen. Den Karabiner hatte dieses Paradestück von Bandit an den Arm gehängt und schlenderte gemütlich heran.

Kritische Minuten …

Aber es kam anders.

Der Bursche schwenkte nach rechts ab und kletterte in einer engen Schlucht empor.

Besseres hätte ich mir gar nicht wünschen können! Der kam mir gerade recht!!

„Bleib’ Mi Moa …! Halte Kain!!“

Mein Vordermann, der Säbelbeinige, sollte offenbar hier am Südufer einen Ausguck beziehen. Alle Hochachtung vor dem Lärm, den er beim Klettern machte!! Mehr als Hochachtung! Ich würde ihm nachher dankbarst die Hände quetschen!

Wie er eine buschreiche Terrasse erklommen hatte, stärkte er sich. Die Schnapsflasche war neu und sauber, und im Grunde tat es mir ja leid, diesen Wicht zu stören.

Bevor er noch den Verschluß der Flasche losgeschraubt hatte, kam ihm etwas Fremdes an die Kehle, nicht in die Kehle, und das war eine Hand, die so mächtig die Gurgel drückte, daß der kleine Halsabschneider in die Knie sackte, und als ich ihm einige liebenswürdige Ermahnungen zugeflüstert hatte, die durch ein blankes Messer unterstützt wurden, gab er die Partie halb verloren.

„Wo befinden sich die Gefangenen, Sennor?“ fragte ich verdächtig höflich.

„Wer … sind … Sie?!“

„Wo befinden sich die Gefangenen?!“

Der Ton fiel ihm doch auf die Nerven.

„In dem Motorboot – in der Nebenbucht …“

„Wo – welche Nebenbucht …?“

„Die nach Süden zu – – dort!“

„Wie viel Wächter sind auf dem Boot?“

„Vier …“

Ich fesselte ihn. Sogar den Knebel nahm er ruhig hin.

 

12. Kapitel.

Das Tal des Grauens.

Wir lagen wieder im Gestrüpp … Zehn Meter unter uns das Motorboot, über dem man ein Sonnensegel angebracht hatte.

Ich beobachtete …

Zwei Wächter saßen am Ufer und würfelten … um Geld.

Die beiden anderen hockten vorn auf dem Bootrand, und vor ihnen stand auf einem flachen Stein ein Petroleumkocher

Immerhin – es waren vier Mann!

„Mi Moa, ich schwimme von hinten an das Boot heran“, raunte ich der kleinen Freundin zu. „Wirst du die beiden dort am Ufer mit Steinen treffen?“

„Bestimmt, Olaf …“

„Gut … Sobald ich die beiden Kochkünstler ins Wasser reiße, schleuderst du die Steine!“

Ich wußte, ich konnte mich auf sie verlassen.

Das Programm war einfach, ein Fehlschlag fast unmöglich.

– Man soll nie den Tag vor dem Abend loben!!

Ruderschläge …

Ein Blick nach links …

Ein Boot kommt um eine kleine Felszunge, ein kleines Boot mit einem Ruderer …

„Izana!!“, haucht meine Freundin erschrocken.

Es ist Izana, sie rudert stehend, sie hat neben sich einen Karabiner liegen, auf der vorderen Bank zwei Pistolen.

Die Wachen werden aufmerksam.

Der eine Würfler ruft gleichgültig:

„Nur die Miß, die heute früh im Lager eintraf! Miß, Sie wünschen?“

Er schwenkt den Filz, dienert, kratzfußt, benimmt sich wie ein Gockel.

„Befehl von Sennor Scarpa“, ruft Izana zurück. „Alle Mann werden gebraucht … Ihr sollt zum Landungssteg … Da, nehmt das Boot!“

Der überaus galante Sennor hüstelt.

„Hm, – verzeihen Sie, Miß, aber wir haben ganz bestimmte Anweisungen erhalten, die …“

„Wollen Sie gehorchen oder nicht?!“

Der galante Gockel lacht plötzlich.

„Wissen Sie, Miß, der Ton verfängt bei uns nicht! Sennor Scarpa hat mir erklärt, ich dürfe nur einem schriftlichen, von ihm unterzeichneten Befehl Folge leisten, und Scarpas Unterschrift kenne ich, sowohl die echte, wie die andere, denn er schreibt mal so, mal so, und weil er mal unter einen Scheck versehentlich einen fremden Namen malte, – – aber das interessiert Sie kaum … – Also bitte, wo ist der Befehl?!“

Ich kenne Izana von den Horn-Bergen in Kanada her, und wir haben da zunächst auch nur mit Pulver und Blei uns unterhalten.

Die Falten auf der Stirn sprachen Bände!

„Lumpenpack!“ sagt sie, bückt sich und … der Gockel hat ausgekräht.

Wenn ich Izana schießen sah, schoß sie nie daneben, und eine lange Coldpistole holt in sicherer Hand auf dreißig Schritt eine Walnuß herab.

„Hände hoch!!“

Drei Armpaare fliegen prompt in die Luft.

„Hinlegen!!“

Izana versteht auch das Gewerbe.

Vom Vater her … Später erst mag John Milleret Börsenschieber geworden sein.

Die drei Helden liegen neben dem Toten.

Izana klettert ans Ufer, gibt dem einen einen Fußtritt.

Bisher begreife ich nicht recht, was sie eigentlich vorhat. – Jetzt begreife ich.

„Bindet die Gefangenen los – schnell!! Oder …!!“

Nun, die drei sind genügend im Bilde. Sie wissen, daß dies Spiel blaue Bohnen kosten kann.

Der mit dem Fußtritt beeilt sich …

Vertraute Gesichter erscheinen am Ufer … Als letzter, gestützt von unserem Medusa-Funker Jim Olden, ein zitteriger, ehrwürdiger Greis, der mühsam auf einen Stein gesetzt wird.

Peter Rucks bekiekt sich den Toten, nickt anerkennend und feixt sündhaft gleichgültig …

„Miß Milleret, da haben Sie gerade den schlimmsten Schuft erwischt! Was der Kerl uns gepeinigt hat! Nicht mal ein Stück Priem gönnte er mir. Haben Sie vielleicht so eine kleine Backenladung Priem bei sich?“

Er belacht den billigen Witz und winkt Jim Olden.

„Binden wir die Schurken!! – Hm, – aber wo kommen Sie eigentlich her, Miß Milleret?!“

„Später …“, weicht sie aus. „Macht schnell, bringt auch den Toten ins Motorboot … Diese Seitenbucht soll mit der Scammon-Lagune in Verbindung stehen. – Beeilt euch, flieht! Ich kann nicht mehr für euch tun, ich muß hierbleiben, ich …“

Karl Blech hat die Miß schon eine Weile äußerst mißtrauisch betrachtet.

„Hol mal din Mull“, sagt er zu Käpten Rucks. „Jetzt red’ ich …“

Aber Izana fährt ihn grob an. „Wenn Sie Ihre Freiheit und mein Leben aufs Spiel setzen wollen, dann können Sie dies am besten, indem Sie hier noch länger verweilen! – Flieht, nehmt die Kerle und den Toten mit!“

Sie springt in ihr Boot, wendet sich nochmals zurück und ruft: „Ich habe Scarpa vorgelogen, ich wollte auf die Jagd gehen … Aber der Schuß kann irgendeine Wache herbeilocken. Tut, was Ihr wollt!“

Dann wirft sie Rucks noch einen Lederbeutel zu.

„Geld!! – Beeilt euch!“

„Da werd’ der Düwel daraus schlau!!“knurrt Karl Blech. „Aber die Sache stimmt nicht, darauf freß ich einen Frosch ungebraten!“

Izana ist mit kraftvollen Ruderschlägen längst um die Biegung verschwunden.

Es wurde Zeit für mich.

Aber Spaß muß sein, – Peter Rucks soll seinen Priem haben. Als ich vorhin dem Wächter auf der Terrasse die Taschen leerte, fand ich ein ganzes Röllchen feinsten Kautabak … Und das fliegt nun Käpten Rucks mitten auf die schiefe, zerknitterte Mütze und rollt ihm vor die Beine.

Rucks schielt hin … Dann packt er wie ein Geier zu.

„Gesegnetes Land. – Hier regnet es Priem!“

Die dann folgende Begrüßungsszene ließe sich nur in Filmbildern richtig wiedergeben. Rucks drückt mich an seinen Brustkasten, – ich muß Gewalt anwenden … „Käpten, wir haben keine Zeit! Ich muß noch zwei Herren holen, die droben auf einem Baumstumpf stehen und die Ameisen beobachten, die an dem Stumpf ihre Freßzangen probieren …“

Ich hole die beiden Schnapphähne von dem Baumstumpf. – Arme Teufel, daran habe ich nicht gedacht: Die Ameisen zwacken sie …! Ameisen laufen über ihre Gesichter.

„Vorwärts!“

Sie torkeln vor mir her – dann stößt der Kutter ab, der Motor springt an, und das Boot gleitet in den äußersten Winkel dieser Nebenbucht hinein, wo ein schmaler Kanal weiter nach Süden läuft.

„Stoppen, Rucks!! Wir landen hier!“

„Nanu?!“

„Anlegen, Käpten!! Dort rechts …!“

Als alle Mann am Ufer sind, nehme ich einen Stein von etwa zwei Zentner, – ein Krach …, – der Kutter sackte weg, und dort, wo er liegt, schwimmt nur ein öliger Fleck.

Der Pater wird getragen, Mi Moa führt, und nach einer Stunde sind wir in dem versteckten Tale, wo uns Ret Hil treffen will. Das Tal hat nur einen Zugang, Felsstürze haben die Eichen und Fichten der Wände halb entwurzelt, sodaß sie wie halbe Dächer über den Talgrund hängen. – Ich bringe unsere Pferde, alle Spuren werden draußen sorgfältig verwischt, der Eingang wird mit Kakteen künstlich verbaut, und endlich finde ich in einem stillen Eckchen nach all den Fragen, Antworten, Zwischenfragen die ersehnte Ruhe.

Ich habe nur einen Wunsch: Schlafen!

Und Mi Moa ergeht es genau so …

Wir schlafen …

Wir haben es verdient.

Aber in meine Träume schleicht aus dem Unterbewußtsein neue Sorge, sodaß ich bald wieder wach bin. Ich ahne, daß die Banditen uns suchen.

Ich habe genau vier Stunden geschlafen. Sie genügen mir. Ganz leise erhebe ich mich. Ich hole mir den alten Karl Blech, den Waldläufer, bespreche mit ihm, was mich bedrückt, und wir beide schleichen hinaus zum Tale, schärfen Rucks nochmals größte Wachsamkeit ein und beginnen den gefährlichsten Kundschaftergang, den wir je erlebten.

Soundso oft entgingen wir nur durch Kains Patentnase einem jähen Zusammenstoß, der nie ohne Schießerei abgegangen wäre. Die Kerle waren nämlich schlau, schlichen wie die Raubkatzen umher und verständigten sich nur durch recht gut imitierte Vogelrufe.

Bei dieser kritischen Gelegenheit war mir der alte Karl Blech ein glänzender Gefährte. Er hatte nicht übertrieben, als er mal behauptet hatte, er sei der letzte Pfadfinder der mexikanischen Wildnis.

Alles kam darauf an, die gesamte Bande nach Süden zu locken, da wir Ret Hil von Norden her erwarten mußten. Die Dinge gestalteten sich aber immer mehr zu einem Kesseltreiben, und die armen Häslein waren wir. Wir hatten keine Bewegungsfreiheit mehr, wir waren bemerkt worden, wir spürten es deutlich an den häufigeren Signalen, und schließlich blieb uns doch nur ein Durchbruch nach Norden übrig. Zum Glück kannte Karl Blech die Gegend hier ganz genau.

Kriechend, springend, schleichend erreichten wir die Nordausläufer der Berge, befanden uns gerade in einer steilen Schlucht, als ringsum die Hölle losbrach.

Wären die Piraten nüchtern gewesen – und nur halbe Trunkenheit schafft solche Kunstschützen, – wären wir niemals mit dem Leben davongekommen. Wir wollten umkehren, uns irgendwo einnisten und das Feuer erwidern – ausgeschlossen!, – also vorwärts. Die Schluchtwände waren besetzt, wir schlüpften von Stein zu Stein, wir hatten jeder schon leichte Denkzettel abbekommen, auch Kain blutete und hinkte, und dann vor uns einer jener niederträchtigen Abgründe, die Steilwände dick mit Kakteen gepolstert, – – wir saßen fest!

Atemlos kriechen wir in das stachelige Gestrüpp, hieben mit den Messern dicke Stauden um, aber selbst der beste Stahl wird stumpf, wenn es um die glasharten Kakteenstengel geht.

Karl Blech rutscht plötzlich mit einer breiten, lockeren Steinschicht in die Tiefe, – ich presse die Unterarme vor das Gesicht, rolle hinterdrein, – mag jetzt werden was da will, – dies bleibt letzter Ausweg. Zerschunden, halb betäubt lande ich neben einem dünnen Wasserlauf, Kain kollert über mich hinweg.

Blech deutet nach Westen … Wir rennen, wir stolpern, fallen, rappeln uns hoch, die Felsspalte macht eine Biegung, – vor uns ein sanfter, sandiger Abhang, Buschwerk, Bäume und drei Gäule, die hier festgebunden sind, dem weichen Zaumzeug nach Paradepferde der Herren Obergauner.

Und die Reiter?

Oben in einer Eiche stecken sie …

Einen Augenblick wird Scarpas Halunkenvisage sichtbar, im nächsten Moment schießt der Blitz aus Karl Blechs Karabiner, droben ein Schrei … das Krachen von Ästen – – und Sennor Scarpa hat die allerletzte Reise hinter sich, hängt über dem untersten Ast und rührt sich nicht mehr.

Die Pferde scheuen, – wir hinauf, das dritte nehmen wir mit, hinein in die Ebene, und hinein in die Steppe, bis von rechts so einige zwanzig brüllende Reiter Attacke markieren. Das Gebrüll war noch das Beste daran.

Da ist rechts ein Waldstück, – ich erkenne es, dort sind Mi Moa und ich vorübergekommen, von dort blitzt es auf, bei uns knallt es, die feindliche Welle flutet zurück, und im Karriere verschwinden wir im Wäldchen, Ret Hil winkt, lacht, sein verwegenes Gesicht glüht förmlich, zu langer Begrüßung bleibt keine Zeit, die Berge speien Banditen aus, es sind immer noch übergenug, uns böse zuzusetzen. Im Trab geht es gen Norden, wieder schiebt sich uns ein kahler Bergrücken in den Weg, wieder halten wir, weil aus einem Engpaß eine kleine Kavalkade vorsichtig, fast feierlich ins Freie strebt, nur im Schritt, – – und … „Mi Moa!!“ brülle ich hinüber, meine Stimme überschlägt sich, wir sind bei ihnen, – alle sind es. Mexikanergäule haben sie erwischt wie wir, und meine kleine Freundin hat sich wacker wie immer gezeigt.

Mi Moa führt, wir schlagen die Richtung nach den Randbergen des Öltales ein, hinter uns her preschen etwa vierzig Berittene, noch ein schmaler Paß, eine Salve scheucht sie zurück, wir verlieren uns in der öden, schauerlichen Bergwildnis, eine Stunde mühseligsten Kletterns, – ein dichter Wald, und meine kleine Freundin springt aus dem Sattel, hilft den Pater ins Moos betten, leitet uns dann um einen hohen Felsenrand und … vor uns in der Tiefe liegt das Öltal, stehen die drei Bohrtürme fast senkrecht unter uns. Diese steile Felswand, die uns verbirgt, ist die Ostseite des Tales, linker Hand sehen wir den schmalen Zugang, sehen die Schlauchleitung für das Erdöl, hören das Stampfen der Druckpumpen, sehen durch den Eingang die Piraten in wilder Hast hereinfluten, vernehmen fernher Schüsse, die wir uns nicht erklären können, grollender Donner mischt sich ein, und mit einem Male steht … Taskamore mitten unter uns, sagt unbewegt:

„Die Sorge trieb mich her … Dort ist Juana … Die Krieger sind noch drei Meilen zurück.“

Taskamore beobachtet. Zieht das Messer, ruft den Yumaleuten etwas zu, schneidet einen schlanken Schößling ab …

Im Nu haben die Yumas Brandpfeile geschnitzt, – Taskamores primitiver Bogen schickt das erste lodernde Geschoß in die Tiefe.

Jetzt hat man uns von unten bemerkt, auch von drüben, von den Seiten …

Bleihagel aus Harpunengeschützen pfeift durch die Bäume, das Echo der Kanonen verfängt sich in den Bergen, verstärkt sich …

Der zweite Brandpfeil trifft …

Trifft den dicken Schlauch …

Ein dritter fliegt …

Der zweite genügte schon …

Eine qualmende Feuersäule springt empor …

 

13. Kapitel.

Ein Weib in Flammen.

Im Tale rennen die Piraten ziel- und zwecklos umher, feuern, verkriechen sich hinter den Wellblechbaracken …

Aber die feurige Schlange, die dort am Boden entlangkriecht, hat bereits den ersten Bohrturm erreicht …

Ein unheimlicher Knall …

Eine Rauchwolke, umherfliegende Trümmer …

Das Öl ist frei …

Leckt mit glühenden Zungen nach allen Seiten.

Nicht genug damit: Gerade unter uns, wo das grauschwarze Gestein senkrecht abfällt, löst sich plötzlich mit donnerndem Krachen ein Teil der Wand, prasselt herab …

Ein Loch, – metergroß …

Und aus diesem Ausflußrohr eines gigantischen Kessels stürzt eine sprudelnde Woge in die Tiefe, überflutet das Tal – – Erdöl …!!

Ergießt sich in breitem Strom auf die brennenden Quellen zu … –

Eine Erkenntnis dämmert mir. Was hatte Mi Moa doch gesagt: „Das Wertvollste können sie uns nicht rauben!“

Ich begreife jetzt.

Hier unter uns der Berg ist hohl, ist gefüllt mit Petroleum …

Gefüllt gewesen …

Ein Petroleumsee in einer Grotte, – nichts Besonderes, man hat in amerikanischen und kanadischen Ölgebieten genug ähnliche Reservoire gefunden.

Hier ist es Vernichtung …

Und hier ist es mehr als das: Hier ist es das Grauen!!

Menschen flüchten dort unten dem Talausgang zu, aber die schwarzen Qualmschwaden und die feurigen Bäche jagen diese Ärmsten blindlings hierhin, dorthin.

Eine einzige Gestalt entflieht dem Verderben nach Norden zu, wo es noch freiere Luft gibt …

Eine einzige …

Ein Weib: Izana Milleret!

Ret Hil kreischt den Namen:

Izana!

Ret Hil stürmt davon …

Und der steinerne Petroleumtank spie weiter seine öligen Wogen hinab in das schroffe Tal …

Schwarzer, dicker Rauch liegt über der Stätte des Unheils wie eine Gewitterwolke, aus der Blitze nach oben, nicht nach unten züngeln …

Brausender Lärm der knatternden Flammen erfüllt die Luft …

Izana schaut sich um …

Izana versucht an der nördlichen Wand emporzuklimmen.

Wir sehen es …

Wir sehen, wie das brennende Öl sich ausbreitet …

Izana kennt die Gefahr …

An Büschen und Ranken zieht sie sich empor, bis über ihr das Gestein sich vorwölbt, bis unter ihr der Flammentod lauert und über ihr das unbarmherzige Gestein keinen Halt mehr bietet.

An den Fels geschmiegt, steht sie da …

Rauchnebel hüllen sie ein …

Zerflattern …

Und wenn der Sonnenschein wieder einmal ihr Gesicht umspielt, erkennen wir die geisterhafte Blässe, die aufgerissenen Augen …

Näher kriecht die lohende Brandung, auch dorthin …

Mi Moas Schluchzen dringt durch den Lärm an mein Ohr …

„Olaf, – – das wollte ich nicht!! Olaf, der Pater zeigte mir, wo man die Zündschnur finden könnte … Er fand einst den Petroleumsee … Er legte die Pulvermine und ich wußte nur, daß …“

Sie zittert …

Ein Windstoß verirrt sich in den Kessel …

Izana wird wieder sichtbar …

Ein Lasso pendelt herab …

Über ihr Ret Hil …

Und Izana greift nach dem rettenden Lederriemen …

Neue Flammenzungen – haushoch …

Ein neuer Windstoß …

Izana schwebt empor … Ihr Gesicht ist schwarz, das Haar versengt …

Ret Hil schafft es …

Reißt sie in die Arme …

Wir alle hier trocknen uns die schweißigen Gesichter.

Unsere Nerven streiken … Wir werfen uns zwischen die Bäume – Taskamore allein steht am Rande der Steilwand, neben ihm Juana Raparo.

Juanas erste Frage hatte ihrem Vater gegolten.

Was sollte ich antworten?

Unter den befreiten Gefangenen hatte er sich nicht befunden.

Und Karl Blech, der seine junge Herrin so sehr liebt, hat sich mit verzerrtem Gesicht abgewandt.

Doktor José Raparo ist tot. Juana weiß es. Und weil sie es weiß, steht sie neben dem Manne, dem ihr Herz ganz gehört, und vernimmt aus der wogenden schwarzen, feuerdurchflackerten Tiefe die grellen Schreie derer, die das Petroleum frißt, weil sie des Erdöls wegen mordeten.

Taskamore wendet sich uns zu.

„Der Berg speit kein Öl mehr … In einer Stunde werden nur noch die drei Quellen brennen … – Mi Moa mag uns dorthin führen, wo der Grotteneingang ist.“

Wir sind froh, diese verpestete Luft meiden zu können. Wir steigen abwärts, hinein in einen Abgrund, in dessen Westwand unmerkliche Stufen gehauen sind.

Vor einer engen Spalte, neben der bemooste Steine ragen, liegt Pater Sebastian, die Hände gefaltet, in den Händen den abgegriffenen Rosenkranz. Sein Kopf ist nach hinten gesunken, sein Mund steht halb offen, über den uralten welken Zügen liegt der Frieden des Todes.

Arme kleine Mi Moa!

Sie weint herzzerbrechend, ich streichele ihr das Haar, und dann folge ich den anderen in die dunkle Grotte … Drüben gähnt das Loch … Unten in der Tiefe schimmert der Spiegel der Reste des Ölsees.

Und dieser Spiegel wird hochgetrieben, die Grotte wird zur Hälfte wieder gefüllt werden, – man erkennt an den ölglänzenden Wänden genau, wie hoch das Petroleum reichte – so hoch, daß es dann wieder abfließt durch Spalten und Risse in unbekannte Tiefen. –

Die Stunde ist um, und wie Taskamore voraussagte, brennen im Tale nur noch die drei Quellen.

Das Tal selbst, schwarz, Stätte des Grauens, – – so sah ich einst die Uferwände eines Flusses im hohen Norden …

Klägliche Gestalten liegen umher.

Einst Menschen …

Jetzt entsetzliche, verkohlte Überreste.

Inzwischen ist Ret Hil mit Izana aufgetaucht, nicht mehr die stolze, schöne Izana, – ein wimmerndes Kind, das Gesicht, Hals, Hände voller Brandblasen, das reiche Haar eine stinkende Masse.

Aber Ret Hil liebt sie auch so. Ret Hil und Taskamore spielen Arzt … Die Yumas spenden Schaftalg, und Izana schläft auf ihrer Bahre ein.

Anderes geschah noch.

Im Taleingang erschienen fremde Gestalten in Uniform, – Offiziere, Matrosen …

Auch das Rätsel löst sich: Die mexikanische Regierung hat den betrügerischen Gouverneur abgesetzt und ein Kanonenboot geschickt, damit die Eugenia-Bucht von dem Gesindel gesäubert werde.

Als Taskamore und ich Stunden später den Kommandanten sprachen, als wir alle nun am Südufer der Bucht neben den unversehrten Baracken versammelt sind und der Schiffsarzt Izana in Pflege genommen hat, erklärte uns der höfliche Offizier, daß Ret Hils und Juanas Proteste bei der Regierung dem bestechlichen Gouverneur ins Zuchthaus verholfen haben.

 

14. Kapitel.

Das Glück der Steppe

… Meine kleine Freundin kommt und nimmt mir sehr energisch den Federhalter aus der Hand.

„Olaf, – – das Mittagessen steht bereit … Schluß mit deiner Arbeit!“

Das Stübchen in der einen Wohnbaracke an der Eugenia-Bucht hat ein Fenster, das jetzt offen steht und mir die Bucht, die ankernden Schiffe, darunter auch unsere Medusa und drüben die grünen Abhänge zeigt.

Die Tischrunde ist ein äußerst vergnügtes Völkchen. Für Gelächter sorgt schon Peter Rucks. Ob er oder Karl Blech mehr Schnaps vertilgt, wird sich nie feststellen lassen.

Aber auch ernste Reden fliegen hin und her.

Die drei brennenden Quellen sind gelöscht, zwischen Juana Raparo und den Yumas ist ein Übereinkommen dahin getroffen, daß das Erdöl nun auf gemeinsame Rechnung fernerhin verwertet werden soll. Die Arbeiter stellen die Yumas, deshalb ist der ganze Stamm auch bereits nach der Bucht unterwegs und wird hier in der Nähe ein Lager beziehen.

Ret Hil als Direktor der Eugenia-Ölquellen dürfte sehr bald Schwung in die Sache bringen. –

Die große Tragödie des Erdöls ist verklungen … Die Liebe geht um … Herzen haben sich zueinander gefunden, und wunderbare Tage und Nächte kommen und vergehen …

Bis eine Walfischjagd auch das alles hinabwarf in den dunklen Riesenbecher der Vergangenheit …

 

Der nächste Band:

Heimkehr zu dem Toten.

 

 

Anmerkungen:

  1. „San Franzisco“ / „San Franzisko“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „San Franzisco“ geändert.
  2. „Zedrobaum“ / „Cedro-Baum“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Zedrobaum“ geändert.
  3. Hier steht eine Textzeile, die hier nicht hingehört.
  4. Textzeile aus Anm. 3 hier eingefügt.
  5. In der Vorlage steht: „Galegos“ – Beide Vorkommen einheitlich und bandübergreifend auf „Gallegos“ geändert.
  6. „Yuccabäume“ / „Yukkabäume(n)“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Yuccabäume(n)“ geändert.
  7. In der Vorlage steht: „Apatschen“.
  8. Peccari ist die englische Schreibweise für Pekari. Siehe auch Wikipedia: Nabelschweine.
  9. Fehlendes Wort „ich“ ergänzt.