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Das Geheimnis des Pater Eusebius

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Das Geheimnis des Pater Eusebius.

 

W. Belka.

 

Das Wohnhaus der Heinrich-Plantage lag etwas vom Flüßchen ab mitten in einem natürlichen Park, in dem man nur ein paar Wege hatte anzulegen brauchen, um aus diesem Stück lichten, tropischen Urwaldes einen Garten Eden zu schaffen, wie er schöner und reichhaltiger an seltenen Bäumen und wunderbar bunt blühenden Sträuchern und Blumen kaum gedacht werden kann.

Näher dem Flusse zu standen die drei Wirtschaftsgebäude. Alles machte ringsum einen sauberen, gepflegten Eindruck. Man merkte sofort, daß der Besitzer dieser Pflanzung, auf der hauptsächlich Kaffee und Tabak gebaut wurde, großen Sinn für Ordnung und Behaglichkeit besaß.

Heinrich-Plantage hatten die Eingeborenen diese einsame Niederlassung, die nun schon über acht Jahre bestand, getauft. Der Eigentümer war ein nach den Philippinen ausgewanderter deutscher Gärtner namens Heinrich Sprut. Dieses letztere Wort auszusprechen bereitete der an weichere Laute gewöhnten Zunge der Tagalen, die hauptsächlich die Luzon-Gruppe bewohnen, zu viel Schwierigkeiten. Deshalb griffen sie auf den besser klingenden Vornamen zurück und nannten die Pflanzung Heinrich-Plantage, wie diese dann bald im ganzen nördlichen Teil des riesigen Philippinen-Archipels hieß.

Heinrich Sprut war heute, an diesem sonnigen Junimorgen des Jahres 1901, wie immer mit Tagesanbruch aufgestanden, hatte erst den farbigen Arbeitern in den Feldern ihre Beschäftigung angewiesen und war dann gerade zur rechten Zeit wieder nach dem Wohnhause zurückgekehrt, um an dem Frühstücktisch, der auf der großen Veranda gedeckt war, gleichzeitig mit seiner Familie Platz zu nehmen. Diese bestand nur aus vier Köpfen, den früheren Gärtner mit eingerechnet, da das Ehepaar nur zwei Kinder im Alter von dreizehn und fünfzehn Jahren, ein hübsches Mädelchen und einen großen, schlanken Jungen, sein eigen nannte.

Die beiden Geschwister hörten jetzt mit lebhafter Teilnahme zu, wie der Vater von dem vortrefflichen Gedeihen der Tabakstauden berichtete und dabei wieder einmal die Hoffnung aussprach, daß fünf weitere gute Erntejahre es ihnen ermöglichen würden, als wohlhabende Leute nach der deutschen Heimat in Pommern zurückzukehren, auf die die Kinder sich freilich gar nicht besinnen konnten, da sie noch zu klein gewesen waren, als die Eltern in die Fremde zogen, um dort für ihre Arbeitsfreudigkeit ein ersprießlicheres Feld der Tätigkeit zu suchen.

Dieses Gespräch wurde durch das Auftauchen eines Bootes auf dem Flüßchen unterbrochen. Das von sechs Tagalen geruderte lange, schmale Fahrzeug legte vor dem großen Vorratsspeicher an, und gleich darauf kam ein dicker Chinese den Weg nach dem Wohngebäude keuchend entlanggewatschelt, wobei der ihm entgegenwehende Wind seine weiten Gewänder tüchtig aufbauschte und ihn noch unförmiger erscheinen ließ, als er es in Wirklichkeit war.

Tschan-Li besaß in Lallo, dem bedeutendsten Hafenort an der Nordostküste Luzons, ein ausgedehntes Geschäft, handelte mit allem, womit nur Geld zu verdienen war, wie ja überhaupt die Chinesen auch heute noch auf den Philippinen den größten Teil der Kaufleute bilden. Seit Jahren unterhielt er mit der Heinrich-Plantage rege Beziehungen, und zwischen ihm und dem Deutschen hatte sich mit der Zeit so etwas wie Freundschaft entwickelt, obwohl Heinrich Sprut sehr gut wußte, daß Tschan-Li ein keineswegs einwandfreier Charakter, vielmehr gewissenlos und selbstsüchtig wie dieses ganze bezopfte Volk war.

Der Chinese brachte nach der kleinen Insel, auf der die Plantage lag, wieder eine ganze Menge Neuigkeiten mit. Bald merkte Sprut jedoch, daß den reichen Geschäftsmann heute ein ganz besonderer Grund hergeführt haben müsse. Lediglich um zu plaudern hatte Tschan-Li sicher nicht die neun Stunden in seinem Boot gesessen, die selbst bei günstigstem Winde zu der Überfahrt von Lallo nach der Insel nötig waren. Der Pflanzer gab daher seiner Frau und den Kindern bald einen Wink, ihn mit dem dicken Handelsherrn allein zu lassen. Jetzt fragte er gerade heraus:

„Du wirst mir doch nicht etwa einreden wollen, Tschan-Li, daß Du ohne bestimmte Absicht heute hergekommen bist?! – Keine Weitschweifigkeiten! Du weißt, ich liebe das nicht.“

Das fettig glänzende Gesicht des Chinesen blieb undurchdringlich. Und gleichmütig erwiderte er:

„Dieselbe Absicht, die dieses Mal der Grund meines Besuches bei Dir ist, hat mich schon öfters zu Dir geleitet. – Verkaufe mir die Insel, die Du damals als Ganzes von der spanischen Kolonialregierung erwarbst, um hier Tabak und Kaffee zu bauen. Ich biete Dir heute trotz der unsicheren politischen Verhältnisse auf den Philippinen sogar noch 10 000 Mark nach Eurem Gelde mehr.“

Heinrich Sprut, ein kräftiger, blondbärtiger Mann in den besten Jahren, schüttelte den Kopf. Und so sehr der Chinese auch in ihn drang, er blieb fest.

„Die Pflanzung hier habe ich aus dem Nichts geschaffen, das weißt Du, Tschan-Li. Sie ist das doppelte von dem wert, was Du mir geben willst. Zahle 120 000 Mark, und sie ist Dein. Das habe ich Dir letztens auch wieder erklärt.“

So sprach er, und daran änderte sich nichts, sehr zum offensichtlichen Ärger des Chinesen, der durch den Eifer, mit dem er um die Insel nebst allem Zubehör feilschte, deutlich verriet, wieviel ihm an deren Besitz gelegen war.

Die beiden Männer, die noch an dem gedeckten Kaffeetisch auf der Veranda saßen, ahnten nicht, daß Karl Sprut, der fünfzehnjährige Sohn des Pflanzers, ihre ganze Unterhaltung durch eines der offenen Fenster des Hauses, die auf die Veranda mündeten, mitanhörte. Er würde sich nie zum geheimen Lauscher herabgewürdigt haben, wenn er nicht gegen Tschan-Li ein tiefeingewurzeltes Mißtrauen empfunden hätte, welches in dem für seine Jahre auch geistig sehr reifen Knaben zur Entstehung gelangt war, ohne daß er vor sich selbst den Grund hierfür anzugeben vermochte. Durch Zufall war er in das Zimmer gekommen, in dem die Fenster nach der Veranda hin halb geöffnet waren, als der Chinese gerade dem Pflanzer das Kaufangebot machte. –

Tschan-Li hatte auf die Ablehnung des Deutschen hin eine Weile geschwiegen. Dann meinte er leise, indem er sich vorsichtig umschaute, als ob er fürchte, daß seine Worte von einem Dritten gehört werden könnten:

„Du erinnerst Dich doch, daß Aguinaldo vor etwa drei Monaten durch Verrat gefangen genommen wurde, nicht wahr? – Nun – die Filipinos haben allen denen, die ihren obersten Führer den Amerikanern in die Hände gespielt haben, furchtbare Rache geschworen.“

Heinrich Sprut zuckte die Achseln.

„Was soll das nun wieder, Tschan-Li?! – Was geht mich Aguinaldo an?! Ich habe mich von der Politik stets ferngehalten, wie Dir bekannt sein dürfte.“

Der Chinese lächelte rätselhaft. Nach einer kurzen Pause erklärte er dann:

„Niemand, der sich in die hiesigen politischen Zustände mischt, wird dies einem Dritten anvertrauen. Im Hauptquartier der Filipinos jedenfalls stehst Du leider, ob zu Recht oder zu Unrecht, entzieht sich meiner Beurteilung, mit auf der schwarzen Liste – eben als einer derjenigen, die Aguinaldo verraten haben. Du wirst daher darauf gefaßt sein müssen, daß in kurzem hier eine Strafexpedition erscheint, die … – Doch das, was die Filipinos tun werden, brauche ich Dir nicht näher zu schildern.“

Der blonde deutsche Pflanzer saß wie versteinert da. Zunächst vermochte er kein Wort hervorzubringen. Dann aber wetterte er los. Das Bewußtsein, tatsächlich nicht das geringste mit dieser ganzen Angelegenheit zu tun zu haben, gab seiner Empörung den überzeugenden Anschein der Aufrichtigkeit. – –

Es ist nötig, hier ganz kurz auf die neuere Geschichte der Philippinen, jener aus nicht weniger als 3141 größeren und kleineren Inseln bestehenden, nördlichsten Gruppe des Indischen Archipels einzugehen. Diese zieht sich südlich der Halbinsel Formosa bis nach den Sundainseln hin und ist ebenso reich an edlen Metallen wie an anderen Naturerzeugnissen. – Im Jahre 1569 nahmen die Spanier von den Inseln Besitz, die 1521 bereits von dem berühmten Seefahrer Magelhaes[1] entdeckt worden waren. Sie wurden nach dem spanischen König Philipp 2. Philippinen getauft. Viel Freude haben die Eigentümer an dieser Kolonialerwerbung nie erlebt. Die Bewohner der Gruppe, die zu dem malaiischen Volke gehören und in die Stämme der Tagalen, Visayas, Igorroten und andere unwichtigere Völkerschaften zerfallen, sind äußerst kriegerisch gesinnt und stellten der Eroberung ihres Landes bedeutende Schwierigkeiten in den Weg, zumal die Filipinos, so nennt sich die Gesamtheit der ursprünglichen Herren der Gruppe, auch über gute geistige Fähigkeiten verfügen und bald gebildete Führer erstanden, die in steten Kämpfen den Spaniern diesen Kolonialbesitz recht stark verleideten. Besonders seit 1876 nahmen die Aufstände an Umfang zu. 1897 sah jedoch der leitende General der Freiheitskämpfer, Aguinaldo, ein, daß er ohne fremde Hilfe die Inseln nicht werde vom spanischen Joch erlösen können. Er schloß daher mit Amerika einen Vertrag, daß er dieses in einem Kriege gegen Spanien unterstützen werde. April l898 brach zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien ein kurzer, für letzteres wenig ruhmreicher Feldzug aus. Bereits am 13. August mußte Manila, die Hauptstadt der Philippinen, sich ergeben, und vier Monate später traten die Besiegten gegen eine Entschädigung von 20 Millionen Dollar die ganze Gruppe an Amerika ab. Die Hoffnung der Filipinos, durch diesen Krieg ein selbständiges Staatswesen erreichen zu können, ging schnell in Trümmer. Die Vereinigten Staaten betrachteten die Inseln völlig als ihr Eigentum, so daß sich nun der betrogene Aguinaldo gegen seine bisherigen Verbündeten wandte. April 1901 wurde er jedoch durch Verrat von den Amerikanern ergriffen, wodurch die Kämpfe wesentlich abgekürzt wurden, da die Filipinos keinen Mann in ihrer Mitte hatten, der Aguinaldo hätte voll ersetzen können. Es sei hier gleich gesagt, daß auch die Vereinigten Staaten bald merkten, wie ungeheuer schwierig die Schätze des Landes zu verwerten waren. 1905 versuchten sie die Philippinen wieder durch Verkauf loszuschlagen, es fand sich aber kein Abnehmer für diesen Hexenkessel, in dem auch heute noch keine geordneten Verhältnisse eingetreten sind. – –

Nach dieser Abschweifung zurück nach der Veranda des Wohnhauses der Heinrich-Plantage.

Tschan-Li ließ den Deutschen sich erst das Herz freireden und erklärte dann kalt:

„Es wird Dir, fürchte ich, nicht gelingen, die Filipinos von Deiner Schuldlosigkeit zu überzeugen, und ich gebe Dir daher den guten Rat, mein Angebot anzunehmen. Mein Boot wird Dich und die Deinen in Sicherheit bringen. Den Kaufpreis zahle ich Dir sofort in guten Wechseln auf eine Bank in Manila. Ich bleibe hier, stelle mich dem Anführer der Strafexpedition als neuen Eigentümer vor und werde das Niederbrennen der Gebäude und das Verwüsten der Felder schon verhüten. – Überlege Dir die Sache. Dein und Deiner Familie Leben steht auf dem Spiel. Vergiß das nicht. In zwölf Stunden sind die Filipinos ohne Zweifel hier.“

Aber der Deutsche, der vielleicht bei dem Chinesen lediglich ein unlauteres Manöver argwöhnte, blieb bei seiner Weigerung, so daß Tschan-Li mit kühlem Abschiedsgruß bereits eine Stunde später wieder davonfuhr.

* * *

Am nächsten Tage um dieselbe Zeit bildete die Plantage nur noch eine rauchende Trümmerstätte. Die ergrimmten Filipinos hatten keinen Stein auf dem andern gelassen. Nachmittags bestiegen sie wieder ihren großen, schnellsegelnden Schoner, den sie in der buchtartig erweiterten Flußmündung verankert hatten, und steuerten nach Osten auf die nördlichste Spitze von Luzon, auf Kap Engano, zu.

Leicht war es nicht, von der vielleicht zwei Quadratmeilen großen, etwa eiförmig sich von Norden nach Süden zu erstreckenden Insel wegzukommen. Weit außer Sicht von Kap Engano gelegen, wurde sie von einem Kranz von Riffen umschlossen, um die zwei sich begegnende Meeresströmungen herumliefen, die selbst bei ruhiger See dem des Fahrwassers Unkundigen eine Landung so gut wie unmöglich machten. Damals, als Heinrich Sprut sich auf den Philippinen hatte ankaufen wollen, war ihm die Insel von der spanischen Kolonialverwaltung eigentlich nur aufgeschwatzt worden. Unbewohnt, unzugänglich und weit ab von jedem Schiffsverkehr gelegen, bot man sie ihm für eine kleine Anzahlung unter sonst sehr günstigen Bedingungen an. Er griff zu, ohne das Eiland gesehen zu haben, und hatte dann auch das Glück, eine leidlich bequeme Durchfahrt durch die Klippen zu finden, so daß der Verkehr mit dem etwa eine Tagereise entfernen Hafenort Lallo keine erheblichen Schwierigkeiten bereitete und sein erster Ärger über die vorschnelle Erwerbung sehr bald dem Bewußtsein wich, ein recht gutes Geschäft gemacht zu haben. –

Die Filipinos nahmen auch die Tagalen, die auf der Heinrich-Plantage gearbeitet hatten, mit sich, so daß die Insel nun wieder völlig verödet dalag und nur die qualmenden Gebäudereste Kunde davon ablegten, daß hier einmal Menschen gehaust hatten. Auch das zahme Geflügel und die wenigen Stücke Vieh, die der Pflanzer sich angeschafft hatte, waren im Schiffsraum verladen worden. Nur einen vierbeinigen Hausgenossen hatten sie dagelassen, – den Hund Packan, ein kräftiges Tier jener chinesischen Rasse, die einen auffallend langen, aber sehr kurzbeinigen Körper und eine schmutziggelbe Farbe hat, so daß sie der Gestalt nach unseren freilich bedeutend kleineren Teckeln gleicht, in der Färbung aber den Bewohnern des Riesenreiches China sich scheinbar angepaßt zu haben scheint. Packan, der wütend auf die Filipinos losgefahren war, als er seinen Herrn bedrängt sah, war von einem der angetrunkenen Leute durch einen Schuß niedergestreckt worden und lag jetzt leise vor Schmerzen winselnd in einem Gebüsch des großen Gartens, wohin er sich mit letzter Kraft geschleppt hatte. – –

Zwei Stunden waren seit der Abfahrt des Schoners verflossen. Die Sonne neigte sich bereits dem westlichen Horizonte zu, als Karl Sprut, der Sohn des Pflanzers, sich von Norden her mit aller Vorsicht der Brandstätte näherte. Die Sorge um das Schicksal der Eltern, die er seit den Morgenstunden nicht mehr gesehen hatte, war ihm schließlich so drückend auf die Seele gefallen, daß er sein Schwesterchen in dem Versteck in den nördlichen Bergen, wohin der Vater beim Nahen des Schoners die Kinder geschickt hatte, zurückließ, um zu versuchen, etwas über das Ergehen der Eltern in Erfahrung zu bringen. Schon von weitem sah er den weißlichen Qualm der noch glimmenden Balken und Bretter über den Baumwipfeln hochsteigen. Tränen waren ihm da in die Augen getreten. Zugleich aber hatte den kräftigen Jungen auch ein maßloser Grimm gepackt. Er wußte ja nur zu gut, daß sein Vater völlig schuldlos und nicht im geringsten an dem an dem[2] Insurgentenführer Aguinaldo verübten Verrat beteiligt war. Hier mußte irgend ein gemeiner Schurkenstreich vorliegen. Anders war die Sache nicht zu erklären. Sicherlich hatte ein seinem Vater übelgesinnter Mensch den Filipinos die scheinbaren Beweise für die Teilnahme des deutschen Pflanzers an jener schändlichen Überrumpelung des selbst bei den Amerikanern hochgeachteten Aguinaldo beigebracht. Karl, von Natur zu leichtem Aufbrausen neigend und in seinen Entschlüssen nur zu oft vorschnell und unüberlegt, gab sich allerlei zügellosen Rachegedanken hin, während er jetzt die Wege des Gartens entlangschlich, dabei fest die kurze Kugelbüchse umklammert haltend, mit der er schon seit zwei Jahren besser fast als sein Vater umzugehen wußte und die er auch heute nebst einem Dutzend Patronen zum Schutze für sich und seine Schwester hatte mitnehmen müssen.

Die um die rauchenden Ruinen herrschende Stille belehrte ihn bald, daß die Brandstifter die Insel bereits verlassen haben mußten. Eiliger schritt er dahin, mit bang klopfendem Herzen, in dem eine Befürchtung die andere ablöste. – Was mochte aus den Eltern geworden sein, die tapfer in dem Wohnhause zurückgeblieben waren, da sie die nahenden Aufständischen von der völligen Schuldlosigkeit des Vaters überzeugen zu können hofften?! Waren sie etwa ermordet worden, würde er ihre entseelten Körper irgendwo zwischen den Trümmern dieser Stätte deutschen Fleißes finden?

Je mehr er sich dem zerstörten Hause näherte, desto zögernder wurde sein Fuß. Dann rechts im Gebüsch ein klägliches Winseln, gleich darauf ein halblautes Aufbellen.

Das konnte nur Packan sein, der vergnügte vierbeinige Freund, den die Kinder erst als Spielgefährten und später als treuen Wächter lieben gelernt hatten. Sofort drang Karl in das Gebüsch ein, wo er den Hund in einer Blutlache liegend vorfand. Der große Junge kniete neben dem anhänglichen Tiere nieder und untersuchte dessen Wunde. Er, der in innigem Zusammenhange mit der Natur aufgewachsen war und der in dem praktisch veranlagten Vater den besten Lehrmeister gehabt hatte, verstand auch von Wunden so viel, um bald die tröstende Überzeugung zu gewinnen, daß Packan bei sorgfältiger Pflege sehr wohl gerettet werden könne. Die Kugel war durch das Muskelfleisch des linken Hinterschenkels hindurchgegangen und hatte auch die Haut des Bauches ein Stück aufgerissen, ohne jedoch in den Leib eingedrungen zu sein.

Hastig trennte Karl sein Taschentuch auseinander und verband damit, so gut es sich in der Eile machen ließ, die beiden Verletzungen Packans, der dabei ganz still hielt und nur noch ganz leise winselte. Lange durfte der Knabe sich nicht mit dem Hunde beschäftigen. Der Abend nahte, und wenn er vor Eintritt der Nacht wieder das Versteck in den Bergen erreichen wollte, mußte er sich nachher ohnehin sehr beeilen.

Zunächst ließ er Packan also an derselben Stelle zurück und eilte weiter nach der Brandstätte hin. Aber umsonst suchte er hier die nähere und weitere Umgebung ab. Von den Eltern fand er nicht die geringste Spur. Als er dann, schon ganz mutlos geworden, wieder den Rückweg antreten und den armen Packan natürlich mitnehmen wollte, entdeckte er zu seiner hellen Freude und großen Beruhigung am Flußufer eine schriftliche Benachrichtigung von seinem Vater und zwar in Gestalt eines Zettels, der oben in einem Riß des dicken Pfahles steckte, an dem der zu der Plantage gehörige Kutter „Bertha“ sonst gewöhnlich vertäut war.

Der Zettel war mit flüchtigen Bleistiftzeilen bedeckt und hatte folgenden Inhalt:

„Augenblicklich beobachtet man uns weniger scharf. Ich benutze daher die Gelegenheit, um Dir, lieber Sohn, noch schnell Aufschluß über das hier Vorgefallene sowie auch einige Verhaltungsmaßregeln zu geben. Erst wollte man mich kurzer Hand erschießen. Aber der alte Maru Satu, unser Vorarbeiter, bat den Anführer der Filipinos so dringend, meine Angelegenheit nochmals genau untersuchen zu lassen, daß man mich schonte. Leider hatten die Aufständischen inzwischen bereits das Werk der Verwüstung vollendet, so daß von dem, was meiner Hände Fleiß hier geschaffen, nur noch rauchende Reste übrig waren. Maru Satu, dessen Einfluß auf die Tagalen – und unter den Teilnehmern an dieser ungerechten Strafexpedition gehören weit über die Hälfte diesem Stamme an – wir ja schon des öfteren kennen gelernt haben, erreichte dann auch, daß man nicht weiter nach Euch beiden suchte. Er erzählte dem Anführer, ich hätte Euch am Abend vorher auf einem an unserer Insel vorüberkommenden Dampfer nach Manila geschickt, da mir die Zustände hier jetzt zu ungeordnet erschienen wären, um Euch weiter auf unserer einsamen Pflanzung allen Zufälligkeiten des nach Aguinaldos Gefangennahme mit erneuter Heftigkeit losgebrochenen Krieges auszusetzen. Leicht war es nicht, den Anführer hiervon zu überzeugen. Der Mann hatte bestimmte Befehle, was mit uns geschehen sollte. Jedenfalls solltet Ihr und die Mutter nach dem Hauptquartier der Filipinos gebracht und dort bis auf weiteres festgehalten werden. Mir selbst waren als einem angeblich für Geld erkauften Verräter ein paar Kugeln zugedacht gewesen. – Vorläufig bin ich nun jedenfalls gerettet. Und Gott da droben wird schon dafür sorgen, daß meine Schuldlosigkeit ans Tageslicht kommt. Du aber, mein lieber Junge, sei jetzt Deiner Schwester ein treuer Beschützer. Bleibt zunächst auf der Insel und in Eurem Versteck. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß die Filipinos nach einiger Zeit den Verdacht schöpfen, Maru Satu habe sie belogen. Auch Euch möchten sie gerne in ihre Gewalt bekommen, und deshalb könnten sie vielleicht zurückkehren und Euch nachspüren. Sie hoffen, wie mir schon klar geworden ist, von uns, wenn nicht anders durch lange Einkerkerung, auch die Namen der übrigen Verräter zu erfahren, durch die Aguinaldo den Yankees in die Hände gespielt wurde. Seid also äußerst vorsichtig. – Ich habe außerdem noch einen zweiten Grund, weshalb ich wünsche, daß Ihr auf der Insel so lange ausharrt, bis wir – Eure Mutter und ich – uns entweder wieder bei Euch einfinden oder aber besondere Umstände eintreten, die Euch von hier vertreiben. Diesem Papier diese Gründe ebenfalls anzuvertrauen, wage ich nicht. Soviel aber sei gesagt, mein lieber Sohn, daß ich dem Chinesen unser Eiland deshalb hauptsächlich nicht verkaufen wollte, weil … Dieses „weil“ findest Du näher erläutert in demselben Baume, aus dessen Krone Du vor einem halben Jahre etwa den prächtigen Adler mit einer Kugel herunter holtest. Beachte diesen letzten Satz besonders – und verkaufe, falls ich früher oder später sterben sollte, die Insel nicht eher, als bis Du sicher bist, daß der Baum nicht lügt. Vielleicht findest Du den Weg, den ich auf einsamen Wanderungen oft genug, von frohen Hoffnungen erfüllt, gesucht habe. – Im übrigen könnt Ihr Euch ziemlich sicher fühlen, da nur Maru Satu Euer Versteck kennt. Und der verrät nichts. – Nun lebt wohl. Wir küssen Euch herzlich zum Abschied. Gott mit Euch. – In Liebe – Eure Eltern.“

* * *

Nachdem Karl Sprut den Zettel – es war die leere Seite eines großen Geschäftsbriefes – überflogen hatte, steckte er ihn in die Tasche seines grauleinenen Anzuges und eilte dann nach dem Gebüsch, in das der arme Packan sich geflüchtet hatte. Dieser konnte nur ganz wenig aus Freude über das Wiedererscheinen seines jüngeren Herrn mit dem Schweife wedeln, ließ sich dann geduldig trotz seiner Schmerzen forttragen und leckte dankbar die braungebrannte Hand seines Retters, der mit der nicht ganz leichten Last im Arm langen Schrittes den Bergen zustrebte, die den nördlichen Teil der Insel zu einer ziemlich unwirtlichen, zerklüfteten Einöde machten.

Die kleineren Eilande, die zu den Philippinen gehören, sind zumeist vulkanischen Ursprungs, das heißt durch Hebung des Meeresbodens infolge von Erdbeben entstanden. Diese Gruppe hat ja überhaupt eine große Anzahl teils erloschener, teils noch tätiger Vulkane aufzuweisen. So ist z. B. die Hauptstadt Manila, an der Ostküste von Luzon gelegen, von drei Vulkanen umgeben und hat wiederholt durch Ausbrüche dieser stark gelitten.

Auch das Heinrich-Eiland (so war es erst nach der Erwerbung durch den eingewanderten Deutschen von den Behörden benannt und auch in die Seekarten eingetragen worden) verriet im Norden durch Lavaanhäufungen, daß es einst ebenfalls einen tätigen Vulkan besessen habe. Und gerade diese Gegend, wo nichts als kahle Felsen, schroffe Abhänge und glatte Lavafelder einen trostlos düsteren Eindruck selbst bei hellem Tageslicht hervorriefen, war es, der der starke Junge jetzt rüstig zuwanderte. Wohlvertraut mit jeder Waldblöße, jedem Palmenhain und den Grenzen der hochragenden Urwälder, schritt Karl auf dem kürzesten Wege von dem in der Mitte der Westküste in die See einmündenden Flusse den steinigen Höhenzügen zu.

Immer dunkler wurde es um ihn her. Schon umflatterten Riesenfledermäuse die Bäume auf der Jagd nach schwärmenden Insekten, schon glühte hier und da das weiße Licht großer Leuchtkäfer auf, schon zogen der auf den Philippinen heimische Rollmarder und die Zibetkatze als einzige hiesige Vertreter der Raubtiere auf Beute aus, und noch immer hatte der Knabe gerade den beschwerlichsten Teil des Marsches vor sich. Öfters mußte er haltmachen und den oft genug schmerzlich aufstöhnenden Packan auf den Boden niederlegen, um sich ein wenig auszuruhen. – Nun hatte er die bewaldete Region der Insel hinter sich und erklomm durch ein schmales Felsental die erste größere Anhöhe. Die Kletterei in dieser halben Dunkelheit mit dem schweren Hund im Arm verlangte von dem Jungen die größte Aufmerksamkeit und die Hergabe aller Kräfte. Als er dann endlich abermals ein ansteigendes Lavafeld überquerend, sich dem Versteck näherte, wo er sein Schwesterchen zurückgelassen hatte, sah er schon von weitem in der Ferne der kleinen Gertrud helles Kleid durch die Dunkelheit schimmern. Leise stieß er einen ihr wohlbekannten Pfiff aus, und gleich darauf war sie auch schon neben ihm, überschüttete ihn mit unzähligen Fragen und streichelte zwischenein den treuen Packan, dessen Blut Karls Anzug ganz und gar beschmutzt hatte.

Die Stelle, wo die Geschwister sich jetzt befanden, lag auf den nördlichen Abhängen der einige 300 Meter hohen Bergkette, die sich mit ihren südlichen Ausläufern in weitem Bogen auch noch ein Stück am Weststrande entlang erstreckte. Das Lavafeld fand hier in seinem oberen Teile einen Abschluß durch eine senkrechte, lange Felswand, die bei ihrer Höhe von gut 8 Meter völlig unersteigbar schien, da sie zumeist vollkommen glatt war und nur hier und da einige enge Spalten und Felsnasen besaß.

Und doch konnte der, der hier gut Bescheid wußte, sie ohne große Mühe mit Hilfe einer breiteren Spalte erklimmen, die, zwei Meter über dem Boden beginnend, schnell sich nach dem Innern des Felsmassivs zu verbreiterte und in Windungen allmählich wie eine Treppe mit unregelmäßigen Stufen anstieg.

Eine Herde von Schopfpavianen war es gewesen, die vor vier Jahren bereits den deutschen Pflanzer diesen Felsenriß und damit den Zugang zu einer recht merkwürdigen Örtlichkeit hatte finden lassen. Die Affen, die des öfteren Streifereien durch die Berge unternahmen, waren beim Näherkommen Heinrich Spruts urplötzlich sämtlich in der Spalte verschwunden, um dann wenige Minuten später oben auf der Höhe der steilen Wand kreischend und scheltend zu erscheinen und mit Felsstückchen ein Bombardement auf den Pflanzer zu eröffnen, der sich dadurch jedoch nicht stören ließ, bis zu dem Anfang der Felskluft sich emporarbeitete und gleich darauf den Ort entdeckt hatte, den er sofort zu einer Zufluchtstätte für Tage der Not umzuwandeln beschloß. Der Pflanzer war eben ein vorsichtiger Mann, der, durch den ständigen Krieg auf der nahen Insel Luzon gewarnt, sich sagte, daß die Wechselfälle dieses erbitterten Kampfes auch ihn einmal irgendwie in Ungelegenheiten bringen könnten, die ihn vielleicht dazu zwingen würden, mit den Seinen außerhalb der Gebäude der Plantage für längere Zeit Schutz zu suchen.

Als erste kletterte jetzt die kleine Gertrud, ein recht zartes Kind, mit Hilfe der unauffällig eingehauenen Stützpunkte die zwei Meter zu der Spalte empor und half dann den vierbeinigen Verwundeten ebenfalls nach oben schaffen. Hierauf erstieg auch Karl die Wand, drängte sich in die Kluft hinein und nahm Packan wieder in die Arme.

In der tiefen Spalte war es stockfinster. Doch bald hatte das Mädelchen eine Harzfackel angezündet, die zusammen mit einem Haufen Brennholz in einer grottenartigen Vertiefung der einen Spaltwand aufbewahrt gewesen war. Langsam stiegen die beiden nun höher und höher, bis sie auf die flache Höhe hinaustraten, die eine Ebene von einigen hundert Quadratmetern Grundfläche darstellte und an drei Seiten schroff abfiel, während nach Westen zu eine Bergkuppe aus ihr herauswuchs, die auf den ersten Blick ebenso unzugänglich schien wie die Grenzwand des Lavafeldes. Aber auch dieser Berg besaß insofern sein wertvolles Geheimnis, als nach der nahen Küste hin ein Felsgrat von der kleinen Hochebene um ihn herumführte und in einem engen Tale endigte, das, vollständig unerreichbar auf einem anderen Wege, eigentlich nichts anderes als eine riesige, keilförmige Kluft darstellte, die die Faust eines Giganten in die Kuppe eingehauen zu haben schien. Nur eine Seite dieses Tales öffnete sich als etwas vorspringende Terrasse nach der See hin, deren Brandungsgeräusch bei der geringen Entfernung von kaum dreihundert Schritt ganz deutlich bis hierher hinauf drang.

In diesem Felsenkessel hatte der deutsche Pflanzer in aller Heimlichkeit nur mit Hilfe und Wissen seiner Familie und des Vorarbeiters Maru Satu eine kleine Bretterhütte errichtet und mit den notwendigsten Gegenständen ausgestattet. Und so verfügte er denn über einen Schlupfwinkel, der so gut wie unauffindbar war und der außerdem noch den Vorteil bot, daß gerade unterhalb der vorspringenden Terrasse, von der aus man einen weiten Rundblick über das Meer nach Norden zu hatte, vier heiße Quellen dem Gestein entsprangen, die sich schnell zu einem Bache vereinten. Dieser erweiterte sich späterhin, in großem, nach Süden zu ausholendem Bogen noch mehrere ähnliche Zuflüsse empfangend, zu dem Flüßchen, an dessen Mündung und nördlichem Ufer Heinrich Sprut die Baulichkeiten seiner Plantage errichtet hatte. Um Trinkwasser zu erlangen, brauchte man hier also nur einen an einem langen Strick befestigten Eimer an der Wand der Terrasse herabzulassen und gefüllt wieder hochzuziehen.

Dies tat Karl jetzt auch, nachdem er Packan in der Hütte ein Lager hergerichtet und die kleine Schwester die einfache Petroleumlampe angezündet hatte. Sorgfältig wurden des Hundes Wunden ausgewaschen und verbunden. Erst nach dieser Samaritertätigkeit dachten die Geschwister, die den ganzen Tag über vor Aufregung nichts genossen hatten, auch an sich selbst und machten sich über die Vorräte her, die ihnen die vorsorgliche Mutter am Morgen mitgegeben hatte, als sie nach dem Versteck aufbrachen. Während der Mahlzeit besprachen sie dann den Inhalt der Mitteilung ihres bedauernswerten Vaters, der durch die schändlichen Umtriebe eines heimlichen Feindes mitten aus seiner erfolgreichen Arbeit herausgerissen worden war und untätig hatte mitansehen müssen, wie eine rachgierige, verblendete Schar von Filipinos sein Hab und Gut vernichtete.

Später, als sein Schwesterchen bereits auf einem der einfachen Kastenbetten fest schlief, nahm der große Junge den Zettel nochmals vor und las immer wieder Wort für Wort den letzten Teil dieser eilig von seinem Vater verfaßten Benachrichtigung. Allmählich wurde ihm klar, daß hier irgend ein ihm unbekanntes Geheimnis mitspiele.

Der Baum, der da erwähnt war, ein uralter Brotfruchtbaum, stand im Ostteile der Insel unweit der Stelle, wo der Fluß aus den hier bereits bewaldeten Ausläufern der Bergkette heraustrat. Etwas Besonderes hatte Karl weder damals, als er den Adler schoß, noch bei einigen anderen Besuchen in jener Gegend an dem dicken Baumriesen wahrgenommen. Und doch mußte dieser irgend eine Eigenschaft besitzen, die ihn von seinesgleichen unterschied. Wie hätte sonst der Vater wohl geschrieben: „… daß der Baum nicht lügt.“

Umsonst zergrübelte der Knabe sich jetzt den Kopf darüber, was mit diesem Satz wohl gemeint sein könne. – Lügen kann doch nur der, der irgend eine Erklärung abgibt, der etwas behauptet. Dies vermag aber doch nur ein mit Vernunft und Sprache begabtes Wesen, eben ein Mensch. Und über diesen Widerspruch, daß eine Sache, der dicke Brotbaum, in des Vaters Mitteilung mit dem höchstentwickelten Wesen der Schöpfung auf eine Stufe gestellt war, kam Karl nicht hinweg.

Schließlich suchte auch er müde und traurig über die plötzliche Veränderung seiner und der geliebten Eltern gesamten Lebensverhältnisse sein Lager auf, nachdem er nochmals Packans Verband angefeuchtet und dann die Lampe ausgelöscht hatte. – –

Am nächsten Morgen erwachte er erst ziemlich spät. Die kleine Gertrud schlief noch fest. Auch der Hund war vor Erschöpfung eingeschlummert. Nachdem dann die Wunden Packans nachgesehen waren und die Geschwister das von dem kleinen Mädchen zubereitete Frühstück verzehrt hatten, schlug Karl einen Gang nach ihrer jetzt zerstörten Heimstätte vor, wo sie in den Trümmern nach Gegenständen suchen wollten, die für sie noch von Wert waren.

Auch heute näherten die Kinder sich mit großer Vorsicht den Gebäuderesten. Aber nirgends zeigte sich etwas Verdächtiges. Aus dem Küchenanbau konnten sie dann noch einige Teller und Kochtöpfe, die die Feuersbrunst leidlich gut überstanden hatten, herausholen, ebenso aus dem ganz unversehrten, unter der Vorratskammer gelegenen Keller eine Menge von Nahrungsmitteln aller Art. Freilich – auch ohne diese hätten sie kaum Not gelitten, da die Insel in ihrem Südteil, der besonders fruchtbar war, sehr viele Bäume und Sträucher beherbergte, die eßbare Früchte und Bestandteile lieferten, so Bananen, Ananas, Kokosnüsse, Sagopalmmehl und anderes mehr. In dem Keller hatte der Pflanzer auch stets seine Gewehrmunition, Pulver, Blei, Kugelformen und fertige Patronen, aufbewahrt, da in dem Holzgebäude mit der Gefahr eines Brandes, der schnell um sich griff, immerhin gerechnet werden mußte.

Alle gefundenen Sachen wurden von den Geschwistern zunächst in eine einige hundert Meter von den Gebäuden inmitten eines Haines von Kokospalmen stehende abgestorbene und größtenteils ausgefaulte Pandane versteckt, von wo man sie allmählich nach der Hütte schaffen wollte. Hierauf wanderten die Kinder, deren ernste, trübe Stimmung der Anblick der noch immer qualmenden Trümmer ihres früheren Elternhauses noch vergrößert hatte, schweigend am Nordufer des Flüßchens entlang, das nur in der Nähe der Mündung eine Breite von etwa 10 Meter besaß und sehr bald zu einem sanft dahinfließenden Bach zusammenschrumpfte, der allerdings weithin eine Tiefe aufzuweisen hatte, die ihn für größere Boote etwa eine halbe Meile weit schiffbar machte. Absichtlich hatte Karl diesen Weg eingeschlagen, um sich zu überzeugen, ob der Kutter, der ein volles Deck und zu Fahrten nach Lallo gedient hatte, noch in dem Seitenarm des Flüßchens liege, wohin der Vater ihn noch schnell beim Nahen des verdächtigen Schoners gebracht hatte, da das Segelboot für die Ansiedler die einzige Möglichkeit darstellte, die Heinrich-Insel nötigenfalls zu verlassen.

Der Seitenarm des Baches, der mitten in einen Urwald wie eine kleine Bucht sich hineinzog, hatte nur einen ganz schmalen, von einem Vorhang von Schlingpflanzen und dichtbelaubten Zweigen vollständig verdeckten Eingang. Vom Lande her war er wieder durch das undurchdringliche Gestrüpp so gut geschützt, daß nur ein Eingeweihter in dieses stille Becken einzudringen vermochte.

Der Kutter war noch da. Mit umgelegtem Mast lag er an der Westseite der Bucht unter überhängenden, bis auf den Wasserspiegel herabreichenden Ästen. Die Kinder waren bis zu seinem Ankerplatz auf einem schmalen, als Pfad kaum erkennbaren Fußsteig hingelangt, der sich in unzähligen Windungen, die fast wie die irreführenden Gänge eines Irrgartens von dem Pflanzer ausgehauen waren, durch das Dickicht schlängelte.

Eine Viertelstunde später standen die Geschwister dann vor dem mächtigen Brotbaum, den der Pflanzer in der Mitteilung an seine Kinder in so geheimnisvoller Weise erwähnt hatte. Es war ein Exemplar des sog. indischen Brotfruchtbaumes mit kurzen, dicken Ästen, großen lederartigen Blättern und fleischigen, bis zu 15 Kilogramm schweren Früchten, die oft die Zweige bis zur Erde herabziehen, unreif ein weißes, mehliges Mark enthalten und auch in reifem Zustande gern genossen werden. Die unreife Frucht liefert, im Feuer geröstet, eine brotähnlich schmeckende Speise. So überaus nützlich dieser Baum nun auch ist, so hat es doch der Natur gefallen einen Vertreter derselben Gattung zu schaffen, dessen Milchsaft, den die Eingeborenen durch Einschnitte in die Rinde gewinnen, ein vielbenutztes Pfeilgift liefert. Dieses wirkt, sobald es in das Blut gelangt, ähnlich wie das unter dem Namen Curare bekannte Pfeilgift der südamerikanischen Indianer, indem es die Bewegungsnerven sehr bald lähmt. Doch wird diese Wirkung, besonders von schlecht unterrichteten Schriftstellern, in Erzählungen zumeist stark übertrieben, da Menschen, die von einem solchen Pfeil getroffen sind, durch künstliche Atmung leicht gerettet werden können. Diese Pflanzengifte haben nämlich im Gegensatz zum Gifte der Schlangen die Eigentümlichkeit, daß sie schnell wieder aus dem Körper ausgeschieden werden, wenn man die unterbrochene Tätigkeit der Lungen künstlich wieder aufnimmt.

Der Brotfruchtbaum, den die Kinder jetzt mit reger Neugierde betrachteten, hatte eine rissige Rinde, die stellenweise in breiten Streifen sich losgelöst hatte und herabhing. Im übrigen vermochten die Geschwister jedoch nichts Besonderes an ihm zu entdecken. Schon wollten sie enttäuscht ihren Weg fortsetzen, als eine dieser Rindenstücke sich plötzlich bewegte, etwas angehoben wurde und darunter der spitze, braungelbe und weißgefleckte Kopf einer Zibetkatze erschien, die mit schnellem Sprunge dann auf den Boden setzte und wie ein Blitz in einem nahen Gebüsch untertauchte.

Die Zibetkatzen sondern bekanntlich in einer Drüse am Hinterleib eine stark riechende, salbenartige Flüssigkeit ab, den Zibet, welcher im Orient als Wohlgeruch, Arzneimittel und von Anglern als Fischwitterung benutzt wird. Man kennt vier Arten dieser zu den Schleichkatzen gehörigen, etwa 70 Zentimeter langen, sehr verschieden gefärbten Raubtiere. Recht lehrreich ist es, daß eine dieser Arten, die in Spanien und Südfrankreich heimische Ginsterkatze, ein gelblichgraues, schwarz geflecktes Tier mit weiß geringeltem Schwanz, sich mit der Zeit bis in den Schwarzwald verbreitet hat und bald ganz Deutschland unsicher machen dürfte. Es ist keine angenehme Bereicherung unserer heimischen Tierwelt, da die Ginsterkatze ein weit gefährlicherer Räuber als der Fuchs ist. Freilich liefert ihr Fell auch ein sehr gesuchtes Pelzwerk. – –

Kaum hatte die Zibetkatze, wie alle diese Tiere eine scharfe Ausdünstung zurücklassend, das Weite gesucht, als Karl auch schon hinzusprang, das Rindenstück hochhob und … einen leisen Ruf der Überraschung ausstieß. Jetzt wurde nämlich eine in den Baum tief eingewachsene Steinplatte sichtbar, die mit vier großen, von Rost vollständig zerfressenen Eisennägeln befestigt und auf der noch deutlich eine Anzahl von eingemeißelten Worten sowie eine Art Zeichnung darunter zu erkennen war. Nach einiger Mühe entzifferte der Knabe folgendes:

Plumbum in insula est, quod habeas, homine, si recte legere potes.

Unter diesen Sätzen war die einfache Zeichnung in den Stein eingegraben, die aus einer einen engen, langen Bogen bildenden Linie bestand, weiter aus einem kleinen Kreuz, das neben dem rechten Bogenast etwa in der Mitte seiner Länge an der Innenseite lag, und schließlich aus einer graden Linie, die von diesem Kreuz schräg nach rechts oben zu einem zweiten, ebensolchen Kreuz hinführte. –

Der deutsche Pflanzer hatte nun seine Kinder regelmäßig mit Hilfe von geeigneten Lehrbüchern selbst unterrichtet, was ihm nicht schwer fiel, da er eine recht gute Schulbildung besaß und da er sein Wissen durch Selbststudium wesentlich erweitert hatte. Unter anderem hatte er seinen Sohn auch ein wenig Latein gelehrt, eine Sprache, für die er als Kunstgärtner insofern besondere Neigung fühlte, als weitaus die meisten wissenschaftlichen Pflanzennamen aus dem Lateinischen stammen.

Daher hatte Karl mit einigem Stolz dem Schwesterchen auch sehr bald die Inschrift der Steintafel übersetzen können:

„Blei gibt es auf der Insel, das Du haben sollst, o Mensch, wenn Du richtig lesen kannst."

Die kleine Gertrud machte ein ziemlich enttäuschtes Gesicht.

„Nur Blei?!“ meinte sie. „Wenn es doch Gold wäre, Karl! – Blei ist sehr schwer“, fügte sie wichtig hinzu.

„Und durchaus nicht billig“, ergänzte er. „Auch an diesem Metall kann man Millionen verdienen. Der Vater erzählte noch letztens, daß unlängst auf Mindanao, der nächst Luzon größten Insel der Philippinen, Bleierzlager entdeckt sind, die den Besitzer des betreffenden Bodens sofort zum reichen Manne gemacht haben, da eine amerikanische Gesellschaft die Lager schleunigst ankaufte. Jetzt, nachdem wir diese merkwürdige Steintafel gefunden haben, nehme ich beinahe an, daß der Vater diese Bemerkung nur aus dem Grunde gemacht hat, weil er sich, seit er diese Tafel gesehen und entziffert hatte aufs lebhafteste in seinen Gedanken gerade mit diesem Metall beschäftigt hat, welches auch hier vorkommen soll und sicherlich in größeren Mengen, denn einer Kleinigkeit wegen hätte sich der, der diese verheißungsvollen Worte in den Stein eingrub, sicherlich nicht die Mühe gemacht, der Nachwelt sein Geheimnis auf diese eigentümliche Art zu hinterlassen.“

Das kleine Mädchen hatte schon eine neue Frage auf den Lippen.

„Und wer mag es wohl gewesen sein, der die Tafel angefertigt hat?“ plapperte sie leicht hin, als sei es selbstverständlich, daß der kluge Karl auch diesen Punkt aufklären könne.

Der schlanke, blonde Junge zuckte die Achseln. Und erst nach einem Augenblick angestrengten Nachdenkens erwiderte er:

„Da der Mann Latein gekonnt hat, möchte ich fast annehmen, daß es ein Mönch gewesen ist, der vielleicht vor mehr als hundert Jahren nach den Philippinen kam, um als Missionar zu wirken. Dies erscheint mir als die einfachste Erklärung. Jedenfalls ist ein langer Zeitraum seit dem Tage verstrichen, als die Tafel hier an dem Brotbaum befestigt wurde. Die Rinde und das Holz haben ja vollständig die Ränder der Steinplatte überwuchert, so daß diese fast wie in einem Kasten liegt. Doch das ist ja alles ziemlich gleichgültig, kleine Traud! Die Hauptsache bleibt die Zeichnung. Und über deren Bedeutung hat sich auch der Vater bisher vergeblich den Kopf zerbrochen, wie aus seiner Benachrichtigung an uns hervorgeht, – oder besser gesagt, er vermochte an Hand der Zeichnung nicht den Ort zu finden, wo die Bleierzlager zu suchen sind. Dabei sieht die Skizze so einfach aus, als könnte man gar nicht fehlgehen, wenn man erst weiß, was mit den Linien und den Kreuzen gemeint ist.“

Mit sehr ernstem Gesichtchen schaute sich nun auch das Mädelchen die Zeichnung an. Aber eine Lösung des „Bilderrätsels“, wie Karl die Steinplatte halb scherzend nannte, brachten sie nicht zustande. Da es inzwischen Zeit wurde, nach der Hütte zurückzukehren und nach dem Befinden ihres vierbeinigen Freundes zu sehen, ließen sie das Rindenstück wieder über die Tafel fallen und waren dann eine halbe Stunde später bereits wohlbehalten in ihrem sicheren Schlupfwinkel angelangt. – –

In der nächsten Woche ereignete sich nicht das geringste, was die friedliche Ruhe der kleinen Insel gestört hätte. Packans Befinden besserte sich bei guter Pflege zusehends, und bald vermochte er, auf drei Beinen humpelnd, die Geschwister bei ihren Ausflügen zu begleiten. Dann trat eine längere Regenzeit ein, die die Kinder zwang, in ihrer Hütte zu bleiben. Diese stürzenden Wassermassen wollten und wollten nicht vergehen. Zum ersten Mal lernten die Geschwister das Schädliche der Langeweile gründlich kennen. Da sie nichts hatten, womit sie sich beschäftigen konnten, wurden sie bald mürrisch, hingen auch trüben Gedanken nach und machten sich gegenseitig das Leben schwer. Besonders Gertrud vermißte ihr Spielzeug sehr, bis Karl ihr dann aus dem weichen Marke eines Baumes allerlei Puppen, Tiere und niedliche Möbel zu schnitzen begann. Da wurde es wieder etwas fröhlicher in der engen Hütte, auf deren Dach ununterbrochen der Regen herabtrommelte. Nachdem das Schwesterchen mit Spielzeug versorgt war, fertigte der große Junge sich für die Büchse neue Munition an, um irgend etwas zu tun. Ebenso zeichnete er aus dem Gedächtnis auf die Innenseite der Hüttentür mit Kreide eine Skizze, die der auf der Steinplatte recht ähnlich geriet. Oft stand der Knabe vor dieser Zeichnung und überlegte hin und her, was wohl die Kreuze, die gerade Linie, die beide verband, und die verbogene Linie zu bedeuten haben könnten. Doch alles Kopfzerbrechen half nichts.

Dann klärte das Wetter sich wieder auf. Gleich den ersten schönen Vormittag benutzte Karl, um in der Flußmündung, die sehr reich an eßbaren Fischen war, zu angeln. Die Kleine blieb mit Packan als Schutz zu Hause, da sie sich nicht der nach dem anhaltenden Regen über der Insel lagernden feuchtwarmen Luft, die nur zu leicht böses Fieber erzeugte, aussetzen sollte.

Der Knabe hatte bereits eine ganze Anzahl Fische in dem aus biegsamen Zweigen selbstgeflochtenen Korbe liegen, als er zufällig nach der offenen See hinblickte, von der ihm allerdings die hohe Brandung ein weites Stück verdeckte. Daher hatte er auch das sich nähernde Boot recht spät bemerkt. Erschreckt zuckte er zusammen, als er das langgestreckte Fahrzeug jetzt die Einfahrt zwischen den Riffen überwinden sah. Schleunigst nahm er Korb und Angelgeräte auf und zog sich in ein dichtes Gebüsch des Gartens zurück, von dem aus er die Stelle, wo gewöhnlich ankommende Boote anlegten, gut überschauen konnte. Die Angelstöcke, die er sich aus dem Kutter geholt hatte, zog er schnell wieder auseinander und band die einzelnen Bambusstücke, die zum Zusammenschieben eingerichtet waren, aneinander. Dann hörte er auch schon taktmäßige Ruderschläge, und gleich darauf tauchte das Boot hinter der am Ufer sich entlangerstreckenden Baumkulisse auf.

Zu seinem nicht geringen Erstaunen erkannte er jetzt Tschan-Li’s seetüchtiges Fahrzeug, das heute jedoch nicht wie sonst von sechs Tagalen, sondern von chinesischen Kulis gerudert wurde. Auf dem vertieften Steuersitz hinter dem Kajütaufbau saßen der dicke Chinese und ein in einen weißen Leinenanzug gekleideter, älterer Weißer. Kaum hatte das Fahrzeug am Ufer festgemacht, als Tschan-Li und der Europäer ausstiegen, jeder mit einer Spitzhacke in der Hand, wie auch die Goldgräber sie zum Losschlagen und Untersuchen des Gesteins benutzen. Der Chinese rief den Kulis noch einige Befehle zu, und dann näherten die beiden sich den Ruinen des Wohngebäudes.

Tschan-Li blieb dicht neben den Resten des Hauses, in dem er so oft Gastfreundschaft genossen hatte, stehen. Ein häßliches Lächeln lag auf seinem fettig glänzenden, gelben Gesicht. Ganz deutlich sah Karl dieses triumphierende Grinsen. Aber was die beiden sprachen, konnte er nicht verstehen.

Nachher zeigte der Chinese seinem Bekannten den Garten, deutete auch auf die Felder hin und lächelte abermals höhnisch. Die Männer ließen sich dann in einer schattigen Laube nieder, bis zu deren Rückwand heranzuschleichen dem geweckten Jungen keinerlei Schwierigkeiten bereitete.

Sie sprachen Englisch. Und nun entging dem heimlichen Lauscher nicht ein einziges Wort, nachdem er nahe genug gekommen war.

Tschan-Li sagte soeben:

„Gewiß – erschossen haben die Filipinos den Pflanzer nicht. Aber trotzdem wird er uns nicht unbequem werden. Die Freiheit sieht er sicherlich nicht wieder. Ich weiß aus ganz zuverlässigem Munde, daß General Malvar, der jetzt nach Aguinaldos Gefangennahme die Aufständischen befehligt, lediglich deswegen nicht das Todesurteil über den Deutschen ausgesprochen hat, weil dieser alte Tagalen-Schuft, der Maru Satu, bekundete, daß Sprut seit mehr als einem halben Jahre nie Besuch von Weißen hier auf seiner Plantage erhalten hat und weil es Malvar mithin doch zweifelhaft erschien, ob er dem Zeugnis meines Geschäftsfreundes Schilulong Glauben schenken konnte.“

Der Europäer mit dem grauen Kinnbart sagte daraufhin seinerseits:

„So – also Schilulong trat als Ankläger auf?! Auch ein etwas dunkler Ehrenmann!! – Tschan-Li, mir gegenüber kannst Du ja ehrlich sein: hast Du bei dieser ganzen Geschichte nicht so etwas die Hände im Spiel? Diese Vermutung liegt so sehr nahe. Du wolltest doch die Insel gern erwerben, der Deutsche aber lehnte ab. Was liegt wohl näher, als daß Du ein wenig nachgeholfen hast, den Mann von hier fortzubekommen.“

Der Chinese spielte den Empörten. Nie hätte er als guter Freund des Pflanzers derartiges getan – nie! – Freilich – jetzt wolle er natürlich die Gelegenheit benutzen, die Insel womöglich zu erwerben.

„Ich kenne General Malvar recht gut“, fuhr er fort. „Er wird mir schon eine Unterredung mit Heinrich Sprut gestatten. Dann werde ich diesem nochmals mein Kaufangebot unterbreiten und ihm zugleich versprechen, für seine Freilassung Sorge zu tragen, wenn er seinen Besitz an mich abtritt. Natürlich hängt dies alles davon ab, ob wir tatsächlich hier so reiche Bleierzlager finden, wie wir hoffen. – Wenn wir gefrühstückt haben, können wir aufbrechen. Mein Diener wird uns das Essen gleich bringen. – Alles liegt nun also bei Ihnen, Bourker. Wenn Sie wirklich von Erzlagern und Erdkunde soviel verstehen, wie man Ihnen nachrühmt, so muß es Ihnen ein leichtes sein, auch hier mit Erfolg zu suchen.“

Bourker, der in seiner Aussprache den geborenen Engländer deutlich verriet, hatte sich inzwischen seine kurze Pfeife gestopft, und der süßliche Rauch des schweren englischen Tabaks drang sogar in das Gebüsch bis zu dem aufmerksamen und von den seltsamsten Empfindungen bestürmten Knaben hin. – Der Graubärtige entgegnete jetzt gelassen:

„Ohne weiteres vermag auch ich dem Gestein nicht anzusehen, ob darunter Erzgänge verborgen sind. Du wirst also schon mir gegenüber notwendig etwas offener sein müssen, Tschan-Li. – Wie hast Du Kenntnis von den Bleierzlagern erlangt und wo ungefähr liegen sie?“

Der dicke Chinese zögerte mit der Antwort. Dann sah er aber doch wohl ein, daß er sich dem früheren Miner anvertrauen müsse, wenn ihr Unternehmen Erfolg haben sollte. Daher erzählte er nunmehr folgendes.

Vor einem Jahre hatte er sich im Krankenhause Manila, das in einem alten Kloster eingerichtet war, einer Operation unterziehen müssen. Als Genesender hatte er dann in den Räumen des weitläufigen Gebäudes auch eine Bibliothek entdeckt, deren Bücherschätze er aus Langeweile durchblätterte. Dabei war er auch auf ein Buch gestoßen, in dem ein Missionar namens Pater Eusebius seine Erlebnisse von 1803 bis 1814 im nördlichsten Teile Luzons niedergeschrieben und zu dem achtzig Jahre später ein anderer Missionar eine englische Übersetzung geliefert hatte. In diesem umfangreichen Werke entdeckte der Chinese eine Zeichnung, die ohne Frage das Kap Engano und die nördlich davon liegende Heinrich-Insel darstellen sollte. Unter dieser Zeichnung war ein Teil eines Baumstammes abgebildet, an den eine Tafel befestigt war. Die Inschrift der Tafel besagte, daß derjenige, dem es glücken würde, die unter der Inschrift stehende Skizze richtig zu lesen, auf „Plumbum“, also Bleierze, stoßen werde. – Tschan-Li hatte diesen merkwürdigen Hinweis auf Mineralschätze, dem der Übersetzer des Buches keinerlei Wert beigemessen zu haben schien, sofort ihrer ganzen Bedeutung nach eingeschätzt und danach auch gehandelt. An der Plantage des Deutschen lag ihm nichts. Er wollte nur gleichzeitig auch die Bleierzlager in seinen Besitz bringen, an deren Vorhandensein er keinen Augenblick zweifelte. – –

Mit welchen Gefühlen der in dem Gebüsch hinter der Laube versteckte Knabe all dies mit anhörte, ist schwer zu schildern. Karl war es plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen, als der Engländer den Verdacht offen aussprach, der Pflanzer könnte lediglich ein Opfer der heimtückischen Umtriebe des Chinesen geworden sein. – Sicherlich war es auch so. Was wollte es besagen, daß Tschan-Li leugnete und den Entrüsteten spielte?! Natürlich wollte er eine solche Schändlichkeit nicht zugeben.

Der kräftige Junge mit dem leicht erregbaren Gemüt wurde plötzlich wieder von einem so wilden Grimm gepackt, daß er am liebsten aufgesprungen und sich an dem hinterlistigen Gelben vergriffen hätte. Aber die Klugheit siegte auch jetzt. Außerdem hatte auch das Gespräch zwischen den Männern eine Wendung genommen, die seine ganze Aufmerksamkeit wachrief und alle seine Gedanken auf die zwischen den beiden gewechselten Worte vereinigte.

Bourker hatte Tschan-Li soeben gefragt, ob dieser auch so vorsichtig gewesen wäre, sich einen genauen Abklatsch des Baumstammes anzufertigen, was jener beantwortete, indem er gleichzeitig in die Innentasche seines faltigen Gewandes griff und ein Stück Pergament vor den Engländer hinlegte.

„Ich bin sogar noch vorsichtiger gewesen“, meinte er. „Dies hier ist die Zeichnung, die der Pater Eusebius selbst angefertigt hat. Ich habe sie aus dem alten Buche einfach herausgeschnitten. Und es müßte doch ein mehr als böses Pech sein, wenn wir beide nicht herausbekommen würden, was diese Skizze bedeutet.“

Nach einer geraumen Weile vernahm der Knabe dann wieder Bourkers Stimme.

„Natürlich ist die Skizze auf der Tafel nichts weiter als der Lageplan der Bleierzader, während die Zeichnung des Baumstückes für die Auffindung der betreffenden Stelle einen weiteren Anhaltspunkt geben soll. Man sieht, der Baum soll ein Brotfruchtbaum sein. Die rissige Rinde ist dem Pater ganz gut geglückt. Zunächst hätten wir hier also einen solchen Baum zu suchen, an dem eine Tafel mit vier Nägeln befestigt ist. Hm – sieh her, Tschan-Li, über der Zeichnung des[3] Stückes Stamm steht ein liegendes Kreuz. Und die Skizze enthält auch zwei liegende Kreuze. Da ist es nicht ausgeschlossen, daß jedes Kreuz einen Brotbaum vorstellen soll. Nun gibt es aber auf der Skizze außer der die beiden Kreuze verbindenden geraden Linie noch eine zweite, stark gekrümmte. Hast Du Dir schon überlegt, was diese zu bedeuten haben könnte?“

Der Chinese verneinte erst, fügte dann aber eifrig hinzu:

„Hallo – ich hab’s!! Das Flüßchen ist’s, ohne Frage! Es beschreibt ja tatsächlich einen weiten Bogen nach Süden, fließt wieder nordwärts und ergießt sich nach Westen zu in die See.“

Bourker schlug sich vor Freude schallend auf den Schenkel.

„Tschan-Li – das hast Du fein gemacht, sogar sehr fein! Bist doch wahrhaftig ein geriebener Fuchs“, meinte er anerkennend. „Natürlich wird’s das Flüßchen sein, natürlich! Und einer der Brotbäume steht hart am rechten Ufer des Wasserlaufes, während der zweite weit nordöstlicher zu suchen ist. Und sicherlich handelt es sich um vereinzelt stehende Bäume, die jetzt, wo wir den Kernpunkt der Skizze auf der Tafel glücklich herausgefunden haben, unschwer zu entdecken sein dürften.“ –

Der Knabe in seinem Versteck hatte gierig jedes einzelne Wort verfolgt. Ein lähmender Schreck befiel ihn jetzt. Er sah nur zu gut ein, daß diese beiden Männer, die ein seinem Vater als Besitzer der Insel zustehendes wertvolles Eigentum an sich bringen wollten, mit ihren Ausführungen über die Enträtselung der Skizze nur zu sehr recht hatten. Das, was ihm trotz stunden- und tagelangen Grübelns nicht gelungen war, hatten diese habgierigen, gewissenlosen Abenteurer fast im Handumdrehen herausbekommen. Und sicherlich würden sie nun in kurzem sowohl die beiden Brotfruchtbäume als auch gleichzeitig mit diesen die Bleierzader auffinden, würden nachher diese abbauen und den Reichtum einheimsen, der nur seinem Vater allein zustand.

Gab es denn nun kein Mittel, den beiden Männern ihr Vorhaben unmöglich zu machen? Konnte er nicht auf irgend eine Weise ihre Pläne durchkreuzen?

Plötzlich schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Ja – wenn der sich verwirklichen ließe!! Wenn ihm das gelingen würde …!! – Nun, jedenfalls versuchen wollte er es.

Und so verließ er denn ganz leise seinen Lauscherposten, wand sich wie eine Schlange durch das Gebüsch und eilte, sich stets hinter Bäumen gegen Sicht vom Flusse her deckend, jener hohlen Pandane zu, in der von den damals aufgeschichteten Gegenständen nur noch drei Blechbüchsen guten Schwarzpulvers sich befanden, die Karl absichtlich hier gelassen hatte, um sie nicht in der Holzhütte in dem Felskessel der Gefahr einer für sein Schwesterchen und ihn verderblichen Explosion auszusetzen.

Und wieder eine Viertelstunde später stand er atemlos von dem eiligen Lauf neben dem Brotbaum mit der zerfetzten Rinde, die die Steintafel so gut verhüllte, daß der Knabe diese nie bemerkt haben würde, wenn nicht die Zibetkatze, die in dem innen ausgefaulten Stamm ihre Wohnung hatte, unter dem Rindenvorhang hervorgeschlüpft wäre.

Dicht über einer etwas aus der Erde hervorragenden Wurzel des Brotbaumes fand er dann in dem Stamm ein Loch, das für seine Zwecke vorzüglich geeignet war. In dieses Loch schob er ganz tief zwei der pulvergefüllten Blechbüchsen hinein, deren Deckel er ein wenig aufgeschnitten hatte. Die Pulverbehälter lagen so, daß ihr Inhalt gleichzeitig explodieren mußte, wenn er trockenes Gras davor aufhäufte und anzündete. Dann würde ihm noch immer so viel Zeit bleiben, um sich selbst in Sicherheit bringen zu können, bevor das Pulver aufflog.

Der Erfolg dieser Sprengung war bedeutender, als der Knabe vermuten konnte. Jetzt erst zeigte sich, wie sehr der Brotbaum im Innern von der Trockenfäule bereits zerstört war. Mit dumpfem Krach flog der ganze untere Teil des Stammes auseinander, so daß der Urwaldriese polternd umstürzte. Eine mächtige Wolke gelben Staubes, von den verfaulten Teilen herrührend, wirbelte auf und legte sich nachher in dicker Schicht über die frischen Bruchstellen.

Aus fünfzig Meter Entfernung hatte der Knabe, verborgen hinter einer Kokospalme, die Explosion beobachtet. Als er sich dann den geopferten Brotbaum näher betrachtete, war er den gelben Staubteilchen von ganzem Herzen dankbar, da sie eine so gleichmäßige Decke über die Bruchstellen ausgebreitet hatten, daß es so aussah, als ob der Stamm schon vor einigen Tagen vom Winde umgeknickt war.

Auch die Steintafel war zusammen mit einem großen Stück des Holzes herausgerissen und zur Seite geschlendert worden. Mühsam schleppte Karl beides nach dem nahen Flüßchen hin und warf sie an einer tiefen, dunklen Stelle ins Wasser. Dann entfernte er sich eine Strecke von dem zerstörten Baume, kroch in ein Dickicht und wartete auf das Erscheinen Bourkers und Tschan-Li’s. Aber gut eine Stunde verging noch, ehe er Stimmen hörte, die näher und näher kamen.

Der umgestürzte Brotbaum entging den scharfen Augen des alten Engländers nicht. Deutlich vernahm der Knabe des Alten ärgerliche Stimme.

„Hier liegt wieder so ein alleinstehender Bursche …! Ein Sturm hat ihn umgefegt. Untersuchen wir die einzelnen Stammstücke, ob wir an einem die Tafel entdecken können. Nur derjenige ist der richtige Baum, an dem sich die Steinplatte befindet. Und dieser Baum muß in der Nähe des Flüßchens stehen, da nur er, nicht etwa der zweite, ebenfalls durch ein Kreuz bezeichnete, sich mit Hilfe der Angabe des nahen Baches auffinden läßt, während der andere sozusagen in der freien Luft hängt und nie als Ausgangspunkt der Nachforschungen gelten kann, die man nach der Skizze anzustellen hat.“

Nach einer Weile mußten die beiden Männer auch diesen Brotbaum unverrichteter Sache verlassen, da sie die Tafel natürlich nicht fanden. Ebenso war es ihnen schon bei drei anderen ergangen, die auch einzeln und unweit des Bachufers sich erhoben. Sichtlich recht mißgestimmt entfernten sie sich, während der Sohn des Pflanzers ihnen triumphierend in einiger Entfernung nachschlich, um festzustellen, was sie weiter tun würden.

Alles wäre auch sicherlich nach Karls Wunsch abgelaufen, wenn nicht plötzlich etwas sich ereignet haben würde, das die ganze Lage für den kühnen Jungen erheblich verschlechterte.

Plötzlich hörte er nämlich hinter sich Packans lustiges Kläffen, und als er entsetzt herumfuhr, gewahrte er dann auch die kleine Schwester, die aus Sorge wegen seines langen Fortbleibens sich aufgemacht hatte, um ihn zu suchen. Auf dem Wege nach den Brandruinen hatte der Hund dann die frische Fährte seines Herrn, die von der hohlen Pandane nach Osten zu führte, gewittert und seine Herrin so zu deren Bruder hingeleitet, ohne zu ahnen, daß er dadurch und besonders jetzt durch seine lauten Freudenbezeigungen das größte Unheil anrichtete.

Auch Bourker und Tschan-Li, die das Kläffen Packans gehört hatten, kamen nun, argwöhnisch geworden, zurück. Karl blieb noch immer in dem schützenden Gebüsch, indem er dem Schwesterchen durch Zeichen mit der Hand klarzumachen suchte, daß sie schleunigst fliehen und nach der Hütte zurückkehren solle. Leider verstand das Mädelchen ihn jedoch nicht, und so kam es, daß die beiden Männer die Geschwister sehr bald zu Gesicht bekamen und gestellt hatten.

Auf des Chinesen erstaunte Frage, ob sie denn nicht in Manila gewesen wären, wie man sich in Lallo erzählte, erwiderte der schlanke Junge unfreundlich, das gehe Tschan-Li gar nichts an. Dieser, der die Gegnerschaft des Knaben schon früher herausgefühlt hatte, stieß eine laute Verwünschung aus, trat auf Karl zu und wollte ihm die Büchse entreißen. Doch bevor er noch ordentlich hatte zufassen können, war er von dem Jungen schon kräftig zurückgestoßen worden, der der Schwester dann leise etwas zuraunte und sein Gewehr schußfertig machte, indem er nun auch den Männern, vor innerer Erregung ganz blaß im Gesicht, drohend zurief sich nicht vom Platze zu rühren, sonst würde er sie einfach niederschießen, wie es gemeine Spitzbuben nicht anders verdienten.

Der feige Tschan-Li blieb wirklich unbeweglich stehen. Anders der Engländer, der verächtlich lächelnd auf Karl jetzt zuschritt und ebenso spöttisch sagte: „Die Frechheit wollen wir Dir schnell abgewöhnen, mein Boy! Eine gehörige Tracht Prügel bekommst Du, wenn Du nicht augenblicklich Deinen Schießprügel wegwirfst!“

Bourker sollte jedoch sehr bald merken, daß mit diesem Boy durchaus nicht zu spaßen war. Langsam zurückweichend hob Karl die Büchse, rief dem Alten nochmals eine Warnung zu und feuerte dann ganz plötzlich, als der Engländer ihm weiter auf den Leib rückte. Die Kugel riß Bourker ein Stück der Hutkrempe weg und ließ ihn vor Schreck etwas zurücktaumeln. Blitzschnell schob der Junge eine frische Patrone in den Lauf und richtete dann abermals die doppelte Mündung seiner Waffe auf die beiden Verbündeten, die eine geraume Weile wie erstarrt stumm dastanden, nun aber wütend zu schimpfen begannen. Inzwischen war das kleine Mädchen mit dem Hunde längst verschwunden, und auch der Knabe hielt es nun für angebracht schleunigst zu entfliehen, wobei er jedoch aus Vorsicht zunächst die Richtung nach Süden einschlug. Doch Bourker blieb ihm stets ziemlich dicht auf den Fersen, so daß Karl schließlich alle Versuche, den trotz seiner Jahre sehr gelenkigen und gewandten Alten durch List loszuwerden, aufgab und gerade auf das Lavafeld zustrebte, das von der steilen Felswand begrenzt wurde, in der sich die ansteigende, treppenähnliche Spalte hineinzog. Es gelang ihm dann auch, ungesehen hineinzuschlüpfen und zu verschwinden, so daß der keuchende und schweißtriefende Bourker nachher nicht wußte, wo der Junge geblieben war. Nach halbstündigem vergeblichen Suchen begab er sich nach den Häuserruinen am Flüßchen zurück, wo er mit Tschan-Li wieder zusammentraf. Beide waren sich einig darüber, daß man sich der Geschwister notwendig bemächtigen müsse, bevor man die Suche nach den Bleierzlagern fortsetzte.

So kam es, daß Karl und das kleine Mädchen sich aus ihrem Schlupfwinkel so bald nicht wieder herauswagen durften. Über die ganze Insel hin schwärmten die chinesischen Kulis wie eifrige Spürhunde, um die Kinder aufzustöbern. Die Belohnung, die Tschan-Li seinen Leuten zugesichert hatte, spornte ihren Eifer mehr als genügend an.

Ein Tag um den andern verging, und die Geschwister lebten noch immer wie Belagerte in einer Festung. Nachts freilich wagte sich Karl regelmäßig heraus, um allerlei Früchte zu sammeln, die ihnen zur Nahrung dienen mußten. Hierbei bewegte sich der Junge mit größter Vorsicht, wurde schließlich aber doch einmal von dem listigen Bourker beinahe erwischt. Dieser war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, daß die Kinder in den kahlen Felshöhlen irgendwo ein Versteck besitzen müßten, das seiner Ansicht nach in der Nähe jenes Lavafeldes lag, wo der Junge damals sich seinen Blicken so plötzlich entzogen hatte. Er legte sich daher nach Eintritt der Dunkelheit auf die Lauer und zwar an einer Stelle, von wo aus er das ganze Lavafeld bequem übersehen konnte, sobald Mond und Sterne erst das nötige Licht spendeten. Tatsächlich bemerkte er dann gegen Mitternacht den Knaben, der tief gebückt nach Süden zu davonschlich, in einer Hand ein korbähnliches Geflecht, in der anderen seine Büchse tragend. Was er aber nicht sah, war die Gestalt des lahmenden Hundes, den Karl stets als besten Warner vor einer drohenden Gefahr bei diesen Ausflügen mitnahm. Und nur Packan war es dann, der seinen jungen Herrn rettete. Er witterte den sich nähernden Engländer so rechtzeitig, daß der Knabe, der gerade Bananen pflückte, noch eben in einem Gebüsch verschwinden konnte und dank seiner besseren Ortskenntnis schneller das Lavafeld als der Alte erreichte, der insofern jedoch ein wenig Glück hatte, als er heute deutlich sah, wie der von ihm Verfolgte in der Spalte der steilen Wand untertauchte. Doch auch Karl war es nicht entgangen, daß Bourker den Zugang zu ihrem Schlupfwinkel entdeckt habe. Als er feststellte, daß der Alte sich nach der Flußmündung zu entfernte, wahrscheinlich um den dicken Chinesen und die Kulis herbeizuholen, flüchtete er mit seinem Schwesterchen und dem Hunde eiligst nach dem Versteck des Kutters, den er in dem schwer auffindbaren Wasserarm noch anzutreffen hoffte. Er hatte sich nicht getäuscht. Das Boot lag noch unberührt in dem kleinen Urwaldhafen. Kaum hatte er hier Gertrud in Sicherheit gebracht, als er auch schon nach den Ruinen der Gebäude aufbrach, um zuzusehen, ob die beiden Männer mit den Kulis ihr hier aufgeschlagenes Lager verlassen hätten. Seine Vermutung traf zu. Nur auf dem Fahrzeug Tschan-Li’s war ein Mann als Wache zurückgeblieben, der rauchend auf dem Steuersitz hockte.

Karls Entschluß war schnell gefaßt. Und eine halbe Stunde später hatte er mit vieler Mühe den Kutter aus dem toten Seitenarm des Flüßchens herausgebracht und lenkte ihn nun mit Hilfe des langen Bootshakens, von der Strömung langsam dahingetrieben, der Mündung zu. Ein Schuß trieb den Kuli auf Tschan-Li’s Fahrzeug schnell an Land, und, mit diesem Boot im Schlepptau steuerte der Knabe nun bei eben anbrechender Morgendämmerung, beim Setzen der Segel von dem kleinen Mädchen unterstützt, der Durchfahrt durch die Klippen zu. Da er mit der Führung des Kutters wohlvertraut war, außerdem ein leidlich günstiger Wind herrschte, gewann er glücklich die hohe See und lief nun mit südwestlichem Kurse auf den ihm wohlbekannten Hafen von Lallo zu.

Kaum war es aber hell geworden, als am östlichen Horizont ein Kriegsschiff auftauchte, das sich bald als ein amerikanischer Kreuzer entpuppte, der hier an der Küste Wache hielt, um den Waffenschmuggel zu gunsten der Aufständischen zu verhindern. Karl teilte dem Kommandanten gerade nur das Notwendigste mit. Von der Absicht des Chinesen, die Bleierzlager für sich auszubeuten, schwieg er, erwähnte diese Sache überhaupt mit keiner Silbe und gab als Grund für Tschan-Li’s feindseliges Verhalten lediglich das eine an, daß dieser es seit langem auf die Plantage abgesehen und nun die günstige Gelegenheit der Gefangennahme des Besitzers dazu benutzt hätte, sich der Insel einfach zu bemächtigen.

Der Kreuzer kehrte sofort um, schickte einen Trupp Matrosen nach der Insel und brachte dann sowohl die Geschwister wie den Chinesen, Bourker und die Kulis nach Manila. Hier wurden Karl und seine Schwester vorläufig bei einer deutschen Familie untergebracht. Tschan-Li log sich recht geschickt heraus, und man mußte ihn auch, da er den Geschwistern ja bisher nichts Böses zugefügt hatte, laufen lassen, ebenso den Engländer, den die amerikanischen Behörden ohnehin mit großer Rücksicht behandelten. Jedenfalls ahnte außer den zunächst Beteiligten in Manila niemand, daß hinter dieser ganzen Geschichte noch ein wertvolles Geheimnis stecke.

Tschan-Li ereilte dann jedoch sehr bald nach seiner Rückkehr nach Lallo die wohlverdiente Strafe. Mittlerweile hatte nämlich Maru Satu, der alte Tagale, der die rechtliche Denkungsart des deutschen Pflanzers längst erkannt und für diesen sich bei den Filipinos immer aufs neue verwandt hatte, genügend Beweise dafür gesammelt, daß Tschan-Li’s Freund, der Chinese Schilulong, Heinrich Sprut völlig zu unrecht der Anteilnahme an dem an Aguinaldo verübten Verrat beschuldigt und lediglich im Auftrage des dicken Chinesen dieses schändliche Spiel ins Werk gesetzt habe. Eines Nachts wurden daher sowohl Tschan-Li als auch Schilulong von verkleideten Filipinos gewaltsam aus Lallo nach dem Hauptquartier der Rebellen geschafft. Was dort mit ihnen geschah, ist nie an die Öffentlichkeit gedrungen. Niemand sah sie wieder, und die Annahme, daß General Malvar sie hat erschießen lassen, ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen.

Das Ehepaar Sprut wurde sofort freigelassen, und der jetzige Oberanführer der Filipinos ersetzte dem Pflanzer auch den ganzen Schaden, den dieser erlitten hatte.

Nachdem die Familie auf der Heinrich-Insel wieder glücklich vereint war, wurde sofort mit dem Neubau der Gebäude begonnen. Gleichzeitig setzten Vater und Sohn die Nachforschungen nach den Bleierzlagern gemeinsam weiter fort. Da der eine Baum, den der Pater Eusebius auf seiner Skizze mit einem Kreuz bezeichnet hatte, ohne Zweifel der von Karl gesprengte Brotbaum war, so brauchte man nur von diesem in nordöstlicher Richtung, eben nach dort, wohin die gerade Linie auf der Zeichnung wies, den zweiten zu suchen. Bald hatte man ihn auch gefunden. Er stand dicht am Rande einer Schlucht, in der nachher eine Stelle entdeckt wurde, an der Bleierz in Form von Bleiglanz, der gegen 80 Prozent Blei und 20 Prozent Schwefel enthielt, zu Tage trat. Weitere Untersuchungen des umliegenden Gesteins zeigten, daß es sich um ein Bleierzlager von solcher Mächtigkeit handelte, daß der Abbau mehr als lohnend sein mußte.

Der Pflanzer war dann klug genug, das Erzlager an einen Amerikaner zu verkaufen, der gleichzeitig die ganze Insel erwarb.

Ein halbes Jahr später führte ein Dampfer von Manila die Familie Sprut nach der deutschen Heinrat zurück. Das Geheimnis des Pater Eusebius hatte den strebsamen deutschen Kunstgärtner zum reichen Manne gemacht.

 

Ende.

 

Der nächste Band enthält:

Der Schatz auf dem Meeresboden.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin

 

 

Verlagswerbung:

 

Erlebnisse einsamer Menschen.

Von der Sammlung „Erlebnisse einsamer Menschen“,
sind bisher folgende Bände erschienen:

 

1. Das Eiland der schwarzen Diamanten.

2. Die Insel im Sargassomeer.

3. Das weiße Eiland.

4. Die Zauberinsel.

5. Kapitän Merling und seine Familie.

6. Die Überlebenden der „Skandinavia“.

7. Die Pirateninsel.

8. C. 15.

9. Unter dem Meeresboden.

10. Die Perleninsel.

11. Die Piraten des Mississippideltas.

12. Das Geheimnis der Sunda-See.

13. Der „Zyklop“ auf der Katzeninsel.

14. Das Kastell im Stillen Ozean.

15. Die Gespensterbrigg.

16. Die Gold-Insel.

17. Der Leuchtturm von Aldeburgh.

18. Die Flüchtlinge auf Bischur-ada.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „Magalhaes“.
  2. Eine etwas unglückliche, aber trotzdem korrekte Formulierung. – Gemeint ist hiermit: „… an dem [an dem Insurgentenführer Aguinaldo] verübten Verrat …“
  3. In der Vorlage steht: „der“.