Von W. Kabel.
(Nachdruck verboten.)
In den Tagen vor dem 24. Mai 1823 war eine Menge besonders schwerer Gewitter über der indischen Handelsmetropole Kalkutta niedergegangen, und der Kommandant der im Hafen liegenden englischen Fregatte „Atlanta“ hatte daher immer wieder gezögert, seine Pulvervorräte aus den Speichern der Ostindischen Kompagnie ergänzen zu lassen, weil er fürchtete, der Blitz könnte einen der Pulvertransporte zur Entzündung bringen und dadurch unabsehbares Unglück anrichten. Da traf am 24. Mai morgens durch einen von Ceylon kommenden Schnellsegler die Nachricht ein, dass indische Piraten abermals zwei Handelsschiffe weggenommen hätten. Die Spezialaufgabe der „Atlanta“ aber war es, dem Seeräuberunwesen in den indischen Meeren ein Ende zu machen. Nunmehr glaubte der Kommandant der Fregatte mit der Munitionsergänzung nicht länger warten zu dürfen. Das in Kisten verpackte Pulver wurde also auf Tragen geladen und unter der strengen Aufsicht von Offizieren durch Matrosen an Bord gebracht. Bereits waren drei Lasten glücklich in der Pulverkammer des Kriegsschiffes verstaut, als mit der in den Tropen gewöhnlichen Schnelligkeit ein Gewitter heraufzog. Die Arbeit wurde noch mehr beschleunigt, und eben sollten die letzten vier Pulverkisten durch die Luke in den Schiffsraum hinabgelassen werden, als ein Blitz an dem Hauptmast entlang fuhr, auf das Kompasshäuschen übersprang und von dort in die an einer Kette schwebenden Pulverkisten einschlug. Eine furchtbare Detonation erschütterte die Luft, der augenblicklich eine zweite, noch stärkere folgte: Auch die Pulverkammer mit ihrem gesamten Inhalt war explodiert. Nachdem der Rauch sich von der Wasseroberfläche verzogen hatte, konnte man erst die schrecklichen Folgen dieses Unheils überschauen. Von der „Atlanta“ ragten nur noch die Mastspitzen aus dem Wasser. Sie war in zwei Stücke gerissen worden, und auch nicht ein einziger der an Bord befindlichen Leute war mit dem Leben davongekommen. Neben der Fregatte hatten zwei Dreimaster, ein holländischer und ein französischer Kauffahrer, gelegen. Auch diese sanken nach kurzer Zeit, da ihnen die Bordwand an mehreren Stellen eingedrückt worden war. Ausserdem hatte die durch die Explosion hervorgerufene Flutwelle eine ganze Anzahl von kleineren Fahrzeugen verschlungen. Welch ungeheure Kraft die explodierenden Pulvermassen gehabt haben müssen, geht auch daraus hervor, dass die beiden Anker der „Atlanta“, von denen jeder mehrere Zentner wog, hunderte von Metern durch die Luft geschleudert wurden. Einer von diesen durchschlug im Niederfallen sämtliche Stockwerke des Zollgebäudes, tötete drei Beamte und wühlte sich noch tief in den Boden des Kellers ein. Der zweite traf den Bug einer chinesischen Dschunke, den er glatt wegriss, wodurch das schwerfällige Schiff ebenfalls zum Sinken gebracht wurde. Im ganzen wurden durch diese Katastrophe nicht weniger als 128 Personen getötet. ‒ Ein ähnlicher Unfall ereignete sich zwölf Jahre später im Hafen von Toulon. Hier war es das französische Linienschiff „Terror“, welches infolge einer durch Blitzschlag herbeigeführten Explosion der Pulverkammer in die Luft flog. Diese Katastrophe hat insofern noch besondere Bedeutung erlangt, als durch sie eine der Kanonen aus der Batterie achtzig Meter weit gegen den Hamburger Segler „Freiheit“ geschleudert wurde und diesem die Steuerbordseite einschlug. Der Schadenersatzprozess der betroffenen Hamburger Reederei gegen den französischen Staat dauerte nicht weniger als fünf Jahre und endete mit einer Abweisung der Ansprüche der deutschen Schiffseigentümer, ‒ ein Ausgang, der noch langwierige diplomatische Verwickelungen nach sich zog.
Besonders merkwürdig ist ein anderes Vorkommnis, das sich während des Krieges 1870/71 ereignete. Bei den Kämpfen um Metz in den ersten Augusttagen lag eine französische Batterie bei dem Dorfe Villeneuf in Bereitschaftsstellung. Da man jeden Augenblick einen überraschenden Angriff des Feindes erwartete, blieben die Geschütze ständig geladen. In der Nacht zum 4. August zog ein Gewitter auf, und ein Blitzstrahl traf gegen Mitternacht das mittelste Geschütz der auf einer Anhöhe eingegrabenen Batterie. Durch den Blitz wurde die Ladung des Geschützes nicht nur zur Entzündung gebracht, sondern dem Rohr auch eine von der ursprünglichen völlig abweichende Richtung gegeben, so dass die Granate in das Biwak eines französischen Infanteriebataillons einschlug, mehrere Leute tötete und die in der Umgegend lagernde französische Division alarmierte, da man anfänglich annehmen musste, dass die Deutschen einen Nachtangriff vorbereiteten. Erst nach Stunden, als keine weiteren Schüsse folgten, wurde der Irrtum aufgeklärt.
Dass Munition auf Schiessplätzen und -ständen durch Blitze zur Explosion gebracht wurde, ist schon häufig vorgekommen. Erinnert sei z. B. nur an das Unglück, welches auf diese Weise bei dem schweizerischen Bundesschiessen in Bern im Jahre 1882 passierte, wo Pulvervorräte, die zum Salutschiessen in dem Keller der Schiesshalle aufbewahrt wurden, in die Luft gingen und von dem in dem darüber liegenden Erdgeschosszimmer tagenden Ausschuss der Schützenvereine zwölf Herren töteten, ausserdem noch vier Kellner, die gerade beim Aufräumen in der nahen Restaurationshalle beschäftigt waren. Ein anderes Mal traf ein Blitz auf dem Schiessplatz Jüterbog während des Exerzierens eine Protze, die zum Glück nur Manöverkartuschen enthielt. Drei Leute von der Bedienungsmannschaft wurden getötet und den beiden hintersten Geschützpferden durch den Schlag der Deichsel die Beine gebrochen, so dass sie erschossen werden mussten.
Am 3. Mai 1909 ereignete sich auch in Wien ein Unfall, der ebenfalls recht traurige Folgen hatte. Eine Abteilung Infanterie rückte zum Schiessen nach den Schiessständen in Wiener-Neustadt aus. Auf einem kleinen Handwagen wurde ausser der Scheibe auch der mit 1500 scharfen Patronen gefüllte Patronenkasten hinter der Abteilung nachgefahren. Diese passierte gerade einen Torweg in der Vorstadt, in den sich eine Menge von Schulkindern vor dem plötzlichen Gewitterregen geflüchtet hatte, als ein Blitz in einen Ständer der elektrischen Strassenbahn hineinfuhr, auf den Wagen überglitt und die Patronen entzündete. Fünf Kinder wurden durch die herumfliegenden Geschosse schwer verwundet, kamen aber mit dem Leben davon, dagegen fanden nicht nur die beiden Soldaten, die den Wagen gezogen hatten, sondern auch ein Unteroffizier und ein Leutnant bei dieser Katastrophe den Tod. ‒ Schliesslich noch ein anderer, wegen seiner aussergewöhnlichen Umstände gleichfalls bemerkenswerter Unglücksfall. [1][2][3]In den Westbatterien des Kriegshafens von Brest exerzierte im Sommer 1902 während eines Gewitters eine Abteilung Fussartillerie an den gewaltigen Geschützen. Eben war eines der zuckerhutähnlichen Geschosse und dahinter die Pulverladung in die Ladeöffnung des rechten Flügelgeschützes geschoben worden, und der bedienende Kanonier hatte noch nicht Zeit gefunden, den Verschluss völlig zuzukurbeln, als ein Kugelblitz herabsauste, an dem Geschützrohr entlang lief und die Ladung vorzeitig zur Explosion brachte, wodurch der Verschluss abgerissen und mehrere hundert Meter nach rückwärts geschleudert wurde. Der Luftdruck, den die explodierende Pulverladung erzeugte, war derart stark, dass zwei Kanoniere getötet und drei andere schwer verletzt wurden. Das Geschoss selbst war, da die Hauptkraft der Pulvergase nach rückwärts wirkte, in der Mitte des Geschützlaufes stecken geblieben.
Anmerkungen: