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Budang, der Pirat

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright by Verlag mod. Lektüre G. m. b. H., Berlin.

 

Budang, der Pirat.

 

W. Belka.

 

„Ein unglaubliches Pech ist’s! Ich bringe den Motor trotz aller Anstrengungen nicht wieder in Ordnung …! Das widerspenstige Ding scheint zu ahnen, daß es zwei Deutsche der Heimat entgegenführen soll und streikt daher als gut englisch gesinntes Fabrikat!“

Der, der diese Sätze über das Deck des Motorkutters einem am Steuer sitzenden jungen Menschen zurief, war ein schlanker Mann in derbem Leinenanzug mit einem Bartwuchs im Gesicht, der gerade auf der Grenze zwischen überlangen Bartstoppeln und einem beginnenden Vollbart stand.

„Was tun wir da nur?“ fragte der jugendliche Steuermann des Kutters jetzt kleinlaut. „Mit unseren Notsegeln kommen wir ja so schlecht vorwärts, daß wir nicht im entferntesten daran denken dürfen, unseren ursprünglichen Plan, einen persischen Hafen anzulaufen, weiter zu verfolgen.“

„Das stimmt – leider!“ erwiderte der ältere der beiden Kutterinsassen, indem er aus dem kleinen Maschinenraum hinauskletterte und sich neben den Gefährten setzte. „Jetzt, wo wir in solchem Leichentempo über die Java-See hinschleichen, brauchen wir nur einem englischen Schiffe zu begegnen, und – ade Freiheit …!! Jetzt im Weltkriege greifen unsere Feinde jeden Deutschen auf, dessen sie nur habhaft werden können. Überhaupt ist unsere Lage ziemlich kritisch. Vom Segeln verstehen wir alle beide nicht viel. Kommt auch nur etwas stärkerer Wind auf, so kann es uns übel ergehen. Ich denke daher wir wenden und nehmen wieder Kurs auf die Insel Eden zu, die wir vor fünf Stunden so hoffnungsfreudig verlassen haben.“

„Aber dort sind doch die beiden Engländer, Herr Mörner, denen wir die heimlich angelegte Funkenstation zerstört haben …!“ meinte der hochaufgeschossene junge Bursche bedenklich.

„Natürlich sind sie da! Sollen sie auch! Wir brauchen sie ja sehr notwendig. Vergiß nicht, daß die beiden bekanntlich Marineingenieure sind und von Benzinmotoren sicher einen Haufen mehr verstehen als ich. Sie müssen uns den Kutter wieder tadellos in Ordnung bringen. Ist dies geschehen, gehen wir sofort wieder in See.“

„Ah – das ist ein Gedanke! Gut, Herr Mörner. Geben Sie dann also auf das Segel acht, wenn ich wende.“

Gleich darauf lief der Kutter in fast entgegengesetzter Richtung weiter.

Es war jetzt zehn Uhr vormittags. Mörner löste nun den Jungen am Steuer ab und bat ihn, für einen Imbiß zu sorgen. Die Arbeit an dem streikenden Motor hatte ihn hungrig gemacht.

Otto Parkwitz, der mit dem Hamburger Millionär auf recht seltsame Weise zusammengetroffen war, hatte denn auch als früherer Kajütjunge großer Überseedampfer in kurzem ein reichliches Frühstück aus den Proviantvorräten des Kutters zusammengestellt.

Beide aßen trotz der herben Enttäuschung, die sie über die schnelle Unterbrechung ihrer Reise empfanden, mit gutem Appetit. Während der Mahlzeit stiegen Mörner jedoch allerlei Bedenken auf, ob es ihnen auch glücken werde, die kleine Felseninsel wiederzufinden, auf der sie einige Zeit gehaust hatten, um dann mit dem Kutter der beiden englischen Ingenieure, die sie mit der Waffe in der Hand gefügig gemacht hatten, davonzufahren. Merkwürdige Dinge hatten sie auf dem Inselchen erlebt, bis schließlich all das Geheimnisvolle, von dem sie sich umgeben fühlten, durch das Vorhandensein der Funkenstation eine Erklärung fand.

Mörner sollte mit seinen Bedenken recht behalten.

Der Abend war da, und von der Insel, die ihrer Berechnung nach längst hätte wieder aufgetaucht sein müssen, nirgends eine Spur …

Zum so und so vielten Male nahm Otto Parkwitz, der ehemalige Kajütjunge, jetzt das Fernglas zur Hand, stieg auf das erhöhte Hinterdeck und musterte den Horizont, den bereits die Schatten der Abenddämmerung zu verkürzen begannen.

Nichts als Himmel und Wasser weit und breit. Über der See lag noch der rote Abglanz des eben verschwundenen Tagesgestirns. Auch der Himmel im Westen lohte noch wie unter dem Widerschein eines riesigen Brandes.

Enttäuscht ließ der Knabe das Glas sinken, nahm es dann aber doch wieder an die Augen. War es ihm doch so vorgekommen, als ob dort im Nordosten etwas wie ein dunklerer Fleck lag.

Otto besaß vorzügliche Augen, auf die er sich verlassen konnte. Jetzt erkannte er, daß er sich nicht getäuscht hatte. Vorhin mochte ihn der Glanz der eben untergegangenen Sonne geblendet haben. Es konnte nur Land sein, nur ihre kleine Insel …

Aber noch mehr nahm er wahr: die verschwommene Rauchfahne eines Dampfers, der sehr niedrig gebaut sein mußte, da noch nicht einmal der Schornstein über dem Horizont aufgetaucht war, obwohl die Rauchentwicklung immer stärker wurde.

Der Junge wies jetzt Mörner die Richtung mit der Hand an und teilte ihm gleichzeitig das Beobachtete mit.

Der Millionär schien durch die Anwesenheit des Dampfers, der von der Insel herzukommen schien und nordwestlichen Kurs lief, lebhaft beunruhigt.

„Wenn’s nur kein Engländer ist!“ meinte er. „Ob’s nicht besser wäre, die Segel einzuziehen? Bei diesem Licht kann man sie mit einem guten Glase sicherlich noch auf weite Entfernung erkennen.“

Der Dampfer mußte, falls er seinen Kurs beibehielt, weit ab von dem Motorboot vorüberkommen. Er war nunmehr bereits über dem Horizont aufgetaucht, und Otto äußerte sich jetzt dahin, daß es ohne Zweifel ein Kriegsschiff und zwar ein kleiner Kreuzer sei.

Die Dunkelheit nahm schnell zu. Bald konnten die beiden Deutschen erleichtert aufatmen. Der Kreuzer setzte seine Fahrt unverändert in derselben Richtung fort und war von dem Kutter aus eine Viertelstunde später überhaupt nicht mehr zu sehen.

Drei Stunden nachher, gegen elf Uhr abends, hatte man den Riffkranz erreicht, der die Insel Eden umgab. Eine geeignete Stelle zur Durchfahrt durch die Brandung zu finden war jedoch in der Dunkelheit nicht leicht. Außerdem hatte der Wind bedeutend aufgefrischt, so daß die Wellen mit donnerndem Toben sich an den Riffen brachen und weißer, leuchtender Gischt das Eiland wie ein heller Kreis umschloß. Umsonst suchten die Gefährten nach jener klippenfreien Passage, die sie auch am Morgen bei der Abfahrt benutzt hatten. Mit gerefften Segeln glitt der Kutter in vorsichtiger Entfernung an dem Brandungskreis entlang. Der Knabe stand aufrecht auf dem Vorderdeck und spähte sorgfältig umher, damit man nicht etwa auch hier auf ein tückisches Riff aufliefe.

Plötzlich erhielt der Kutter einen starken Stoß. Die Gefährten hatten nicht berücksichtigt, daß er einen erheblichen Tiefgang hatte und ihm daher selbst eine nicht allzu flache Stelle gefährlich werden konnte.

Der Stoß war so heftig, daß Otto Parkwitz das Gleichgewicht verlor und über Bord stürzte. Auf seinen gellenden Hilferuf hin warf Mörner ihm sofort einen Rettungsring zu, den der Knabe jedoch nicht mehr zu ergreifen vermochte, da ihn eine starke Strömung fortriß und gerade auf die Brandung zutrieb. In kurzem war er den Blicken seines entsetzten Gefährten entschwunden.

Mörner war von alledem wie betäubt. – Der brave Junge wahrscheinlich ein Opfer der gierigen Brandung, und das Boot dem Untergange geweiht …!! Das war ein böser Abschluß dieser verunglückten Reise …!

Eine müde Gleichgültigkeit packte ihn. Mit welchen Hoffnungen hatte er doch damals vor länger als einem Monat San Franzisko verlassen, um heimlich auf Umwegen in die deutsche Heimat zurückzukehren …! Wie sicher hatte er doch auf sein Wagnis gebaut, in einer besonders eingerichteten Klavierkiste, die angeblich ein Pianino enthielt, den Nachstellungen der Feinde zu entgehen …! – Es war anders gekommen, man hatte ihn im Laderaum des Frachtdampfers „Oktopus“ entdeckt und samt der Kiste mitten in der Java-See auf der kleinen Insel ausgesetzt, auf die auch Otto Parkwitz vor den Roheiten der englischen Besatzung desselben Schiffes geflüchtet war.

Sollte seine Lebensbahn jetzt hier vielleicht ein Ende finden?! Würde es ihm glücken, sich durch die Brandung hindurch an Land zu retten, würden seine Kräfte nicht vorher versagen und die See sein Grab werden …?!

Diese Gedanken rüttelten ihn schnell wieder auf. Er wollte nicht sterben …! Jedenfalls nicht, ohne sich bis zum letzten Atemzuge gegen den Tod gewehrt zu haben …!

Zu langem Überlegen blieb ihm keine Zeit. Er merkte, daß der Wind immer mehr an Stärke zunahm. Da hieß es, sich schleunigst den Wogen auf gut Glück anzuvertrauen, bevor die Brandung noch höher und gefährlicher wurde.

Hastig zog er zwei Rettungsringe über, schnallte sich noch eine Korkweste um den Leib und sprang dann ins Wasser. Bevor er sich noch an die Oberfläche emporgearbeitet hatte, durchzuckte ihn blitzartig der Gedanke an die beiden Schußwaffen, die er auf dem Kutter zurückgelassen hatte. Zu spät waren sie ihm eingefallen, der vorzügliche Stutzen und die Pistole, mit denen Otto Parkwitz und er noch in der vorigen Nacht die englischen Ingenieure der heimlichen Funkenstation ihren Wünschen gefügig gemacht hatten. Die Brandung zog ihn bereits mit mächtiger Kraft auf die Riffe zu, andauernd ergossen sich die durch die niedrige Felsbarriere in ihrem Lauf aufgehaltenen Wogen über seinen Kopf hinweg.

Dann ein harter Stoß gegen seine Schläfe, eine schnell verschwindende Schmerzempfindung, und Mörner verlor das Bewußtsein.

Als er wieder zu sich kam, lag er im Schatten eines dichten Gebüsches unter ein paar schlanken Kokospalmen im Grase. Unter seinen Kopf war als Kissen ein zusammengerolltes Kleidungsstück geschoben.

Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel herab. Ihre das Laubwerk durchdringenden Strahlen malten helle, in ewiger Bewegung bleibende Flecken auf den Grasboden. Ein frischer Wind fuhr durch die Palmenwipfel und das Gesträuch. In der Ferne grollte die Brandung und mischte ihr gleichmäßiges Brausen in das Rauschen der tropischen Bäume ringsum.

Mörner hatte nur für einen Moment die Lider geöffnet, nur all diese Eindrücke in ihrer Gesamtheit in sich aufgenommen und dann wieder unwillkürlich die Augen geschlossen, da gleichzeitig Stimmen an sein Ohr drangen, – englische Worte, von denen ihm besonders folgende zum Bewußtsein kamen: „… ein Deutscher, daher auch Verrat zu fürchten.“

Nun lag er ganz still. Zunächst prüfte er, ob er irgendwo Schmerzen empfand, indem er die Muskeln der Arme und Beine straffte und recht tief atmete. Da – in der linken Seite fühlte er jetzt wirklich ein unangenehmes Stechen, das aber durchaus erträglich blieb.

Dann lauschte er. Nach einer Weile unterschied er deutlich drei Stimmen, von denen die eine offenbar der tadellosen Aussprache des Englischen nach einem Vollblutbriten gehörte, während die beiden anderen Männer kaum Engländer sein konnten, da ihre Aussprache ebenso mangelhaft wie ihr Wortschatz war.

Soeben hatte der Engländer gesagt:

„Die Hauptsache ist, daß die holländische Kolonialregierung auch nicht das Geringste von den Vorbereitungen zu dem Aufstand merkt. Laßt Euch ruhig Zeit damit. Geld steht Euch in unbeschränkter Menge zur Verfügung. Gewehre, Maschinengewehre und Munition liefern wir Euch in spätestens einem halben Jahre, und zwar sämtlich deutsche Erzeugnisse, damit es nachher heißt, Deutschland hätte diesen Aufruhr angezettelt, um die Niederlande außerhalb Europas durch koloniale Unruhen zu beschäftigen.“

Was Mörner dann noch zu hören bekam, gab ihm ein klares Bild von den Absichten und Plänen der drei Leute. Es handelte sich um nichts anderes, als unter der eingeborenen Bevölkerung Javas einen großen Aufstand gegen die Holländer als die Herren der Insel anzuzetteln. Batavia, die Hauptstadt von Niederländisch-Indien, im ersten Ansturm zu nehmen und den Aufruhr dann auch auf die übrigen Sunda-Inseln hinüberzutragen.

Der Engländer wurde von den beiden anderen, die fraglos eingeborene Fürsten aus Java waren, mit solcher Hochachtung behandelt, daß er sicher eine Person von Rang war. Namen oder Titel wurden bei dieser Besprechung nicht genannt, die sich stundenlang hinzog, da alles bis ins einzelne vereinbart wurde, – wie die Waffen eingeschmuggelt werden sollten, wie man miteinander dauernd in Verbindung bleiben konnte und anderes mehr.

Dann wandte sich das Gespräch der Person Mörners zu.

„Was tun wir mit diesem Menschen, der nach den bei ihm gefundenen Papieren ein Deutscher ist?“ fragte der Engländer wohl nur aus Höflichkeit, da er sofort hinzufügte: „Ich denke, wir lassen ihn hier unter Bewachung der drei Leute zurück, die dazu bestimmt sind, auf dieser einsamen Insel ein verstecktes Arsenal anzulegen. Es wird sich wohl irgendwo ein geeigneter Ort finden, wo man den verd… Deutschen sicher einsperren kann. Jedenfalls muß gut auf ihn aufgepaßt werden. Ich habe meine besonderen Pläne mit ihm. Vielleicht spiele ich ihn später den Holländern als denjenigen Agenten in die Hände, der der Hauptmacher bei dem Aufruhr gewesen ist. Durch gefälschte Briefe könnte man die Sache recht glaubwürdig erscheinen lassen.“

Mörner hörte jetzt verschiedene Geräusche. Die drei, die bisher im Grase gesessen hatten, standen auf und einer von ihnen beugte sich dann über den scheinbar noch immer Ohnmächtigen. Es war der Engländer. Mörner vernahm ganz dicht dessen Stimme.

„Hoffentlich kommt der Mann überhaupt noch zu sich. Er muß in der Brandung einen ganz bösen Stoß erhalten haben. Ich möchte nur wissen, wie er überhaupt hier in die Nähe der Insel gelangt ist. Die einzig einleuchtende Erklärung ist wohl die, daß er von einem Schiffe, welches hier vorbeifuhr, entflohen ist, um sich auf diesem Eiland vorläufig zu verbergen. – Ich werde ihm doch noch etwas Rum einflößen. Vielleicht hilft’s!“

Mörner fühlte gleich darauf einen Becher an seinen Lippen. Scharfer Alkohol rann ihm in die Kehle und reizte ihn zum Husten. Es ging nicht anders, er mußte jetzt so tun, als ob er eben erwache.

Kaum merkte der Engländer dies, als er mit einem hastigen: „Ich verschwinde. Ich will nicht gesehen werden!“ davoneilte. Auch die beiden malaiischen Großen folgten seinem Beispiel. Und so blieb Mörner einige Minuten allein.

– – – – – – – –

Dann trat hinter dem Gebüsch ein in einen früher weiß gewesenen Leinenanzug von europäischem Schnitt gekleideter alter Mann hervor und näherte sich dem jungen Deutschen.

Es war ein Malaie, einst wohl ein sehr kräftiger Mann, jetzt aber von der Last der Jahre etwas gebeugt. Trotzdem leuchteten aber in dem braunen Gesicht ein Paar dunkle, lebhafte Augen. Und dieses Gericht, dem jede Spur von Bartwuchs fehlte, war von tiefen Falten wie von Messerschnitten durchzogen.

Der Malaie nickte Mörner kurz zu und ließ sich dann neben ihm in das Gras nieder.

„Der weiße Sahib (Herr) wird Budang erlauben, daß er seinen Körper befühlt“, sagte er höflich in ganz gutem Englisch. „Budang versteht sich auf alle Verletzungen und wird den Sahib schnell gesund machen, der ihm übergeben ist, damit er ihn bewache.“

Mörner hielt es für ratsam, den Überraschten zu spielen.

„Bewachen?! Weshalb denn? Und wer hat mich Dir übergeben, Budang?“

Der Alte schüttelte den Kopf.

„Viele Fragen auf einmal, weißer Sahib! Für keine weiß Budang eine Antwort. Er darf nicht reden.“

Dann begann er Mörner geschickt den Oberkörper zu entblößen, nachdem er die Wunde an der Schläfe kurz untersucht und für bedeutungslos erklärt hatte.

Dabei plauderte er von allem Möglichen. Er war offenbar eine sehr mitteilsame Natur; vielleicht kam es ihm auch darauf an, dem weißen Sahib zu zeigen, welch’ abenteuerliche Vergangenheit hinter ihm lag und welche Taten er vollbracht hatte.

„Budang hat schon bösere Verletzungen gesehen als diese Quetschung hier an den Rippen. Ein Kris reißt andere Wunden, und Kugeln und Kampfkeulen sind ebenfalls Waffen, die dem Körper nicht gut tun.“ Er lächelte dazu, als schwebten ihm besonders angenehme Erinnerungsbilder vor. „Budang war nicht immer der Diener eines reichen Herrn wie heute. Vor dreißig Jahren gab es in den Gewässern um die Sunda-Inseln herum einen Mann, den alles fürchtete, dessen gut ausgerüstete Prau (malaiisches Fahrzeug mit Mattensegeln) von jedem Schiffe Tribut einforderte und dessen Leute im Kampf stets siegten. Das waren schöne Zeiten, weißer Sahib. Dann aber kam eines Tages ein englischer kleiner Dampfer. Er sah wie eine Vergnügungsjacht aus, und war doch ein mit Kanonen versehenes Kriegsschiff. Im Golfe von Boni zwischen den beiden südlichen Halbinseln von Celebes begegnete meine Prau ihm. Leichte Beute schien’s zu sein. Es kam anders. Als einziger schwamm ich an Land. Meine Leute waren den Gewehren der Engländer unterlegen. Ich selbst hatte zwei Streifschüsse. Ein Missionar nahm mich auf, verbarg und pflegte mich. Ich wurde ein Christ, schwor Mohammed und die Propheten ab und lernte zur Jungfrau Maria beten. Aber das ist alles lange, lange her.“

Der Alte erhob sich jetzt wieder. „Weißer Sahib, ich werde Blätter suchen, sie zerquetschen und Dir daraus einen Verband machen. – Ich liebe die Holländer nicht. Aber man hat mir befohlen, Du solltest schnell wieder genesen. Und Budang hat gehorchen gelernt, obwohl er einst nur Allah als seinen Herrn anerkannte.“

Er ging davon. Mörner aber dachte: „Also ein früherer Piratenanführer ist dein Wächter …! Eigentlich ganz interessant. Der Mann ist jedenfalls alles andere als bösartig. Ohne Zweifel hat man ihm weisgemacht, ich sei ein Holländer. Diesen Irrtum will ich sofort aufklären.“

Als Budang mit einer Hand voll Blättern zurückkehrte, sagte Mörner daher:

„Wenn man Dir erzählt hat, daß ich aus Holland stamme, so hat man Dich grob belogen, Budang. Ich bin Deutscher. Hier in meiner Tasche stecken Papiere, die das beweisen. Kannst Du lesen? – Nun also – dann überzeuge Dich!“

Der Malaie wiegte den grauen Kopf nachdenklich hin und her, nachdem er die Papiere sich angesehen hatte. Aber er sagte nichts weiter.

Dann erschienen noch zwei Malaien, junge, kräftige Männer, die den Alten bei Seite nahmen und lebhaft mit ihm flüsterten.

Als Budang wieder zu Mörner trat, fragte er forschend:

„Weißer Sahib, bist Du allein auf diese Insel gekommen? Und, was hat Dich überhaupt hergeführt?“

Mörner mochte nicht lügen. Und so sagte er denn genau dasselbe, wie vorhin der Alte.

„Das sind zwei Fragen, Budang, auf einmal! Für keine weiß ich eine Antwort.“

Der frühere Pirat war sichtlich mißgestimmt über diese Entgegnung.

„Bali und Tungar“ – dabei wies er auf seine beiden jüngeren Stammesgenossen – „sagen, sie hätten soeben dort oben in den Felsen, wo eine Quelle entspringt, eine menschliche Gestalt bemerkt. Weißer Sahib, ich muß wissen, ob Du noch Gefährten gehabt hast. Ich habe strenge Befehle, was mit Dir geschehen soll. Vergiß das nicht!“

Mörner hatte sofort an Otto Parkwitz, den ehemaligen Kajütjungen des „Oktopus“, gedacht. – Sollte der Knabe wirklich mit dem Leben davongekommen sein?! – Heiße Freude durchströmte den jungen Millionär. Was aber sollte er dem Alten antworten?! Die Wahrheit sagen? – Damit würde er sich nur selbst schaden. Blieb Otto Parkwitz frei, so bestand die Hoffnung, daß er dafür sorgte, hier den Spieß umzudrehen und aus den jetzigen Wächtern Gefangene zu machen.

Rasch war sein Entschluß gefaßt:

„Die beiden müssen sich geirrt haben, Budang“, erwiderte er daher. „Als mich die Brandung packte und wie tot an den Strand warf, war ich allein.“

Der Alte blickte Mörner prüfend ins Gesicht.

„Bali und Tungar sind sich ihrer Sache nicht sicher“, sagte er. „Sie geben zu, sich vielleicht getäuscht zu haben. – Redest Du aber mit doppelter Zunge, weißer Sahib, so ist es Dein eigener Schade.“ – –

Bis zum Abend sorgte der Alte dafür, daß die Umschläge für die Quetschung stets erneuert wurden. Dann forderte er Mörner auf ihm zu folgen.

„Meine Leute haben im Osten der Insel eine Höhle entdeckt, in der schon einmal Menschen gewohnt haben. Dort werden wir Dich unterbringen. – Du sollst eingesperrt gehalten werden, so lautet mein Befehl“, fügte er wie entschuldigend hinzu.

Eine Höhle …? – Mörner zuckte leicht zusammen. Das konnte doch nur die Grotte sein, in der er und der Knabe gehaust hatten …! Und die sollte nun sein Gefängnis werden? Fürwahr – ein seltsames Spiel des Schicksals!

Bald hatte er Gewißheit. Man führte ihn durch das von einem Bache durchflossene Wäldchen und dann auf die einzeln stehende Gruppe von Pandanen zu, deren eine ihre Äste bis zu einer steilen Felswand vorstreckte, in der etwa sechs Meter über dem Erdboden sich die Grotte befand.

Die beiden Malaien Bali und Tungar hatten mit anerkennenswerter Schlauheit herausgefunden, auf welchem Wege man am besten in das Felsenloch gelangen konnte. Mörner tat, als sei diese Grotte wie die ganze Insel ihm völlig unbekannt, kletterte dann hinter Tungar – dies war der ältere und größere der beiden – an der Pandane empor und gelangte über die Laufplanke, die Otto Parkwitz in sehr geschickter Weise aus den Brettern der Klavierkiste gezimmert hatte, bequem in die geräumige Höhle, wo er alles noch so vorfand, wie sie es vor nunmehr zwei Tagen verlassen hatten. Da stand noch neben dem Eingange der Steinherd, da waren noch der Tisch und die Holzbank und all die anderen Gegenstände vorhanden, die sie nicht mitgenommen hatten als sie mit dem Kutter in See stachen.

Auch der alte Budang kam jetzt nach oben gestiegen, um sich die Kerkerzelle des ihm anvertrauten Gefangenen anzusehen. Bevor er diesen sich selbst überließ, sagte er noch:

„Weißer Sahib, Du wirst diese Höhle bis auf weiteres bewohnen. Wir werden aufpassen, daß Du sie nicht ohne unsere Erlaubnis verläßt.“

Inzwischen war die Dämmerung schnell von der tiefen Dunkelheit einer drückend schwülen Tropennacht verdrängt worden. Schon am Nachmittag hatte der Himmel sich bewölkt, und fernes Wetterleuchten zeigte an, daß die Luft mit Elektrizität übersättigt war und sich ein schweres Unwetter zusammenzog.

Mörner, dem die Umschläge Budangs überraschend schnell geholfen hatten, holte jetzt aus seiner Beinkleidertasche sein Feuerzeug hervor und zündete die kleine Öllaterne an, die früher zu der Ausstattung der Pianinokiste gehört hatte und für die die Gefährten sich dann, um den nötigen Brennstoff zu gewinnen, eine Ölpresse angefertigt hatten.

Der junge Millionär fühlte sich in diesem trockenen, kühlen Raum, in dem ihm alles so vertraut war, ganz heimisch. Der frühere Piratenanführer hatte ihm ein paar im Feuer geröstete Fladen aus Sagomehl sowie eine am Spieße gebratene Wildtaube, außerdem zwei geöffnete Kokosnüsse als vorläufige Nahrungsmittel zurückgelassen. Da Mörner jetzt starken Hunger empfand, setzte er sich auf die Holzbank vor den Tisch und begann mit gutem Appetit zu essen. Seine Gedanken aber waren bei dem kleinen Gefährten. Lebte dieser noch, so würde er dies sicherlich bald durch irgend ein Zeichen seinem älteren Kameraden mitteilen. Hiermit rechnete Mörner bestimmt. Und deshalb lauschte er auf jedes Geräusch, das von draußen in seine Zelle hineindrang.

Er hörte, wie ein paar heftige Windstöße durch die Kronen der Pandanen fuhren. Dann trat jene Stille ein, die zumeist einem plötzlichen Regenguß voranzugehen pflegt. Gleich darauf öffnete auch der dichtbewölkte Himmel seine Schleusen und schickte wahre Ströme von Wasser herab. Dann begann sich wenige Minuten später ein Gewitter zu entladen, wie man es nur in den Tropen in solcher Furchtbarkeit erleben kann. Es waren nicht einzelne Donnerschläge, die die Luft erschütterten, nicht einzelne Blitze, die grell aufleuchtend das dunkle Firmament zerrissen. Eine Kanonade schwerster Geschütze und ganze Flammenbündel von elektrischen Entladungen bildeten die Begleiterscheinungen dieses Naturereignisses. Für Minuten war die Nacht oft taghell erleuchtet. Die Felsen der kleinen Insel schienen unter dem Widerhall des Donners zu beben. Der wolkenbruchartige Regen setzte zeitweise aus, um gleich darauf wieder wie eine Sintflut zu beginnen.

Mörner war längst aufgestanden und hatte sich dicht vor die hochgezogene Laufplanke gestellt, zwischen deren Brettern eine gut drei Zentimeter breite Spalte ihm den Ausblick ins Freie gestattete.

Wieder schien der Himmel nur ein einziges Flammenmeer zu bilden. Und bei dieser grellen Beleuchtung bemerkte der junge Millionär jetzt drüben in den Ästen der Pandane eine Gestalt, die sich an den festgeklemmten Stützen zu schaffen machte.

Es war Otto Parkwitz. Das lange, seit Wochen nicht mehr geschorene Haar hing ihm triefend in das magere, sonnenverbrannte Gesicht. Seine Kleider klebten ihm am Körper. Aber weder das Toben der Elemente noch die Sturzbäche von Regen, die sich über ihn ergossen, störten den kräftigen Burschen.

Eine Stütze nach der anderen machte er los. Dann kroch er auf dem nach der Felswand hinüberragenden Ast entlang und schien sich auf den Felsvorsprung schwingen zu wollen, der wie ein kleiner natürlicher Balkon vor dem Grotteneingang sich befand.

Mörner benutzte einen Augenblick der Ruhe draußen, um seinem wackeren Gefährten ein freudiges Willkommen zuzurufen. Und fügte hinzu: „Warte – ich lasse die Laufplanke hinab!“

Gleich darauf befand der Knabe sich in der Höhle.

Im Überschwang seiner ehrlichen Freude schloß Mörner den kleinen Kameraden tief bewegt in seine Arme.

„Junge – lebst Du also wirklich …! Oh, nun ist mir um unsere Zukunft nicht mehr bange! Wir beide werden schon mit den Malaien fertig werden!“

Otto schüttelte lachend das Wasser aus den langen Haaren.

„Morgen brauche ich nicht zu baden, Herr Mörner, wahrhaftig nicht! Und mein Anzug ist auch gründlich gewaschen. – Doch – vorwärts nun! Nehmen Sie dort die Teller und die Konservenbüchsen. Wir packen alles in meine Jacke. Der Turmfelsen bietet uns das beste Versteck. Dort findet uns so leicht niemand.“

– – – – – – – –

Die Insel Eden hatte eine merkwürdige Gestalt, – die einer linken Hand mit ausgespreizten Fingern, der aber der kleine Finger fehlte. Die schmalen Halbinseln, die, nach Norden gerichtet, dem felsigen Eiland diese eigentümliche Form gaben, schlossen lange, enge Buchten ein. Und an der Südseite der westlichsten dieser Buchten erhob sich, herauswachsend aus zerrissenen Felsenhügeln, ein riesiger Granitblock in der Form eines viereckigen Turmes von gut fünfzehn Meter Höhe mit steilen, glatten Wänden. Am Fuße dieses von der Natur geschaffenen Bauwerkes wucherte ein Wall von Disteln und Dornengestrüpp, der undurchdringlich schien. Dennoch gab es einen Weg durch diesen stachligen Verhau und zwar in Gestalt eines Felsloches, das durch einen Abhang sich hindurchzog und dicht vor dem Turme mündete Der Zugang zu diesem Felsengange, der etwa fünf Meter lang war, wurde von einer Steinplatte unauffällig verdeckt. Und hier schlüpften die beiden Deutschen jetzt hinein, schoben hinter sich die Platte wieder vor und betraten das Innere des mächtigen Felsens durch eine niedrige, gut versteckte Tür.

Der Turmfelsen war hohl. Allerdings hatten hier Menschenhände mitgeholfen, indem eine breite, den riesigen Block von oben nach unten durchdringende Spalte sehr geschickt mit gleichfarbigen Steinen vermauert worden war. Eine Holztreppe lief im Innern bis zur Spitze empor, und zwei Balkendecken waren derart eingebaut, daß durch sie zwei Gelasse gebildet wurden, die besonderen Zwecken wie diese ganze Anlage gedient hatten.

Schon Monate vor Kriegsausbruch hatte die englische Regierung auf dieser Insel, die doch zum niederländischen Kolonialbesitz gehörte, in aller Heimlichkeit eine Station für drahtlose Telegraphie errichtet, um für den Kriegsfall schneller und sicherer Depeschen nach Australien weitergeben zu können. Mit bewundernswerter Schlauheit war in Ausnutzung der natürlichen örtlichen Verhältnisse der mächtige Felsen in eine Funkenstation umgewandelt worden, der man selbst aus nächster Nähe ihre wahre Bestimmung nicht ansehen konnte. Zwei Ingenieure hatten hier in dem Turmfelsen gehaust, als Mörner und der Knabe auf der Insel landeten.

Jetzt war der Bau leer. Davon hatte sich Otto Parkwitz bereits überzeugt, bevor er Mörner befreite. Auch die Apparate waren entfernt worden, ebenso der kleine Benzinmotor und die Dynamomaschine.

Nachdem die beiden Gefährten längere Zeit die Angelegenheit durchgesprochen hatten, kamen sie zu der Überzeugung, daß sich während ihrer mißglückten Seefahrt hier auf der Insel folgendes zugetragen haben müsse, das sich einmal auf Grund der vorliegenden Tatsachen, dann aber auch durch des ehemaligen Kajütjungen eigene Beobachtungen ergab.

Der Kreuzer, den sie von dem Kutter aus gegen Abend bemerkt hatten, war ohne Frage ein englisches Schiff gewesen und hatte sowohl die Funkeneinrichtung, als auch die beiden Ingenieure an Bord genommen. Diese mochten sich, nachdem die beiden Deutschen das Geheimnis des Felsenturmes gelüftet hatten, nicht mehr sicher genug auf dem Eiland gefühlt haben und waren daher, als das Kriegsschiff vielleicht zufällig auftauchte, mit diesem davongefahren. Was anderseits die Leute anbetraf, die die Insel Eden sich als Zusammenkunftsort ausgesucht hatten, so mußten diese beiden Parteien, von denen der einflußreiche Engländer eine kleine Dampfjacht zu seiner Verfügung gehabt hatte, während die Malaien einen schnellsegelnden Schoner besaßen, kurz nach dem Verschwinden des Kreuzers auf der Insel gelandet sein. Jedenfalls waren diese Leute bereits auf dem Eiland anwesend, als Otto Parkwitz, von der Vorsehung wunderbar behütet, ohne ernstere Verletzungen nach Überwindung der gefährlichen Brandung den Strand erreicht und in dem Wäldchen sich verborgen hatte, nachdem er gewahr geworden war, daß die Insel eine ganze Anzahl von Männern beherberge. Am Morgen war er dann von einem Versteck in den Felsenhügeln der Ostseite aus Zeuge geworden, wie man den bewußtlosen Mörner am Ufer auffand und wegtrug, ebenso hatte er auch die beiden Fahrzeuge der fremden Ankömmlinge in einer der Buchten zwischen den schmalen Landzungen erspäht. Nachher war er in dem Bestreben festzustellen, was die Leute mit Mörner vorhatten, einmal etwas unvorsichtig gewesen und von den beiden Malaien Bali und Tungar gesehen worden, ohne daß diese aber mit Sicherheit behaupten konnten, ob es sich um eine menschliche Gestalt gehandelt habe. Nach diesem Zwischenfall war der Knabe auf dem geheimen Wege in den Turm eingedrungen, wo er sofort die inzwischen eingetretenen Veränderungen bemerkte. Erst hatte er angenommen, die beiden Ingenieure könnten sich vielleicht bei den Fremden aufhalten. Von der Spitze des Turmfelsens aus konnte er jedoch bald feststellen, daß dem nicht so war. Nachher hatte er auch noch die Abfahrt der Jacht und des Schoners beobachtet. Erstere nahm ihren Kurs nach Norden, also wahrscheinlich auf den englischen Hafen Singapur (auf der Halbinsel Malakka) zu, während letzterer nach Osten zu, nach Java, davonsegelte. – Daß der Engländer, der hier mit den vornehmen Malaien alle Vereinbarungen für einen Eingeborenenaufstand getroffen hatte, von dem Bestehen der Funkenstation keine Ahnung gehabt haben konnte, unterlag keinem Zweifel. Und dies war der beste Beweis dafür, wie geheim die Marinebehörden Englands die ganze Angelegenheit behandelt hatten, so daß nicht einmal dieser gewiß doch mit den weitgehendsten Vollmachten ausgestattete Vertreter des Britenreiches den wahren Charakter des merkwürdigen Turmfelsens gekannt hatte.

Die beiden Deutschen erledigten diese Erörterung der vielfachen Fragen, die sich ihnen notwendig aufdrängen mußten, in dem oberen Raume beim Lichte ihrer Öllaterne, indem sie sich einander gegenüber an den kleinen Tisch setzten, der zwischen den Betten der nunmehr von ihrem Posten wohl für alle Zeit abgelösten Ingenieure stand.

Dieser Raum, der von den Engländern auch als Wohngemach benutzt worden war, bot den Gefährten noch größere Bequemlichkeiten als die Grotte, in der sie früher gehaust hatten.

Erst nach Mitternacht wurde es draußen ruhiger. Weiter und weiter entfernte sich das Grollen des Donners. Der Platzregen hatte schon vorher aufgehört.

Mörner und der Knabe stiegen jetzt zur Plattform des Felsens empor. Die Treppe endigte oben unter einer in einen starken Holzrahmen eingefügten Falltür. Diese ließ sich sonst leicht hochheben. Jetzt aber war sie mit irgend einem schweren Gegenstand belastet, so daß es der vereinten Kräfte der beiden Gefährten bedurfte, um sie endlich aufzudrücken.

Auf der flachen, quadratischen Spitze des Felsenturmes sah es wüst genug aus. Eine der Palmen war von einem Blitzstrahl getroffen worden und umgeknickt. Mit ihrer Krone hatte sie gerade auf der Falltür gelegen. Daher auch die Schwierigkeit, die das Öffnen der Tür plötzlich gemacht hatte.

Auch die Büsche und Sträucher, die unter den Palmen wucherten, hatten sehr gelitten. Überall standen noch auf dem Boden des verwitterten, von den Seevögeln mit ihrem Unrat gedüngten Felsens große Wasserlachen. – Und doch: wie schnell würde die warme Sonne der Tropen all diese Schäden wieder gut machen, um wieviel üppiger würden nicht die Sträucher und Gräser hochschießen nach diesem überreichen Bade, das ihnen der Himmel gespendet hatte …!

Nur im Westen stand jetzt noch eine dunkle Wolkenwand, über die hin und wieder ein heller Schein hinlief. Sonst war der Himmel sternenklar geworden. – Schweigend lehnten die beiden Deutschen eine ganze Weile an den Stamm einer der drei noch übriggebliebenen Palmen und schauten auf die Insel hinab, die tief unter ihnen im Zwielicht des ausgestirnten Firmamentes dalag. Seltsame Gedanken bewegten ihre Herzen. Und dann drängte sich ein stummes Dankgebet über ihre Lippen. Gott hatte seine schützende Hand wunderbar über sie gehalten.

Endlich stiegen sie wieder in das Turmgemach hinab und streckten sich auf den Betten der Engländer zum Schlafe aus.

Mörner erwachte als erster. Tiefe Dunkelheit ringsum. Die kleine Öllaterne war aus Mangel an Brennstoff ausgegangen, und Fenster besaß der Turmfelsen nicht.

Der junge Millionär tastete sich nach der Treppe hin, stieß aber gegen einen Stuhl, so daß auch Otto Parkwitz erwachte.

Bald war die Falltür geöffnet. Heller Sonnenschein flutete jetzt in den Turm hinein. Von der Plattform aus spähten die beiden Gefährten, hinter den Büschen Deckung suchend, nach den drei Malaien aus. Zunächst war von diesen nichts zu bemerken. Dann tauchte unter den Bäumen des Wäldchens, das die Mitte des Eilandes ausfüllte, der alte Budang auf. Er schleppte etwas hinter sich her – einen menschlichen Körper, einen Toten. Langsam brachte er seine traurige Last nach einer Felsspalte hin, in der, wie von der Höhe des Turmfelsens deutlich zu sehen war, bereits ein Leichnam lag.

„Es sind ohne Zweifel die beiden Malaien Bali und Tungar“, sagte Mörner jetzt zu dem Knaben. „Ich kann mir nur denken, daß sie in der vergangenen Nacht von einem Blitz getötet worden sind.“

Der alte Budang begann die Leichen erst mit abgebrochenen Zweigen und dann mit Steinen zu bedecken.

„Wie wär’s, Herr Mörner“, meinte Otto Parkwitz eifrig, „wenn wir diese günstige Gelegenheit benutzen und zusehen würden, ob wir uns nicht der Waffen der beiden Toten bemächtigen können. Vielleicht hat Budang sie irgendwo unter den Bäumen niedergelegt. Wir besitzen nichts als unsere Taschenmesser. Und mit denen läßt sich nicht viel anfangen, während der alte Pirat doch über einen Revolver verfügt. Die Partie wäre also etwas ungleich, wenn wir mit dem früheren Seeräuber ein ernstes Wort über unsere künftigen Beziehungen zueinander reden.“

Dieser Vorschlag fand Mörners vollste Billigung.

Eiligst verließen sie nun den Turmfelsen und schlichen nach dem Wäldchen, wo sie auch in einem Leinwandzelt, das für die drei Malaien von den Leuten des Schoners offenbar zurückgelassen worden war, zwei Revolver, zwei Dolche und eine doppelläufige, ziemlich wertlose Vorderladerflinte außer anderen Gegenständen fanden.

Der alte Budang hatte gerade die letzten Steine auf die Ruhestätte seiner Stammesgenossen geschichtet, als Mörner und der Knabe, die sich lautlos genähert hatten, ihn mit ein paar weiten Sprüngen erreichten und seine Arme packten.

Der Malaie fuhr entsetzt aus seiner gebückten Haltung empor. Ehe er noch recht zur Besinnung kam, hatte Mörner ihm bereits den Revolver und den Kris abgenommen.

Dann ließ man ihn wieder los.

Der Alte benahm sich sehr verständig.

„Allah hat es gewollt, daß ich in Deine Gewalt gerate, weißer Sahib“, sagte er gleichmütig und ganz in sein Schicksal ergeben. „Was wirst Du mit Budang anfangen? Er hat Dir kein Leid zugefügt und verspricht jetzt, allen Deinen Befehlen zu gehorchen.“

„Das heißt vernünftig reden, mein Alter!“ meinte Mörner freundlich. „Wir müssen aber sicher sein, daß Du uns keinen hinterlistigen Streich spielst. Ich könnte Dir einen Eid abverlangen, daß Du gegen uns nicht feindlich auftrittst. Aber mit Deinem Christentum scheint es leider nicht weit her zu sein. Soeben nahmst Du den Namen Allahs in den Mund, als seiest Du noch ein Bekenner Mohammeds.“

Budang schüttelte ernst den Kopf. „Du tust mir Unrecht, weißer Sahib. Ich bin Christ, obwohl meine Stammesgenossen mir das bitter nachtragen. Ob ich den Gott, an den ich glaube, Allah oder anderswie nenne, bleibt sich gleich.“

Die Art und Weise, wie der grauköpfige Malaie diese Sätze sprach, machten so sehr den Eindruck der Aufrichtigkeit, daß Mörner es unterließ, von ihm noch eine besondere Zusicherung einer friedlichen Gesinnung zu verlangen.

Budang erzählte dann, daß in der verflossenen Nacht tatsächlich ein Blitzstrahl den armen Bali und seinen Bruder Tungar getötet habe, als sie gerade in einer Regenpause aus dem Zelt ins Freie geeilt waren, um eine Kiste mit Lebensmitteln vom Strande zu holen, die man für die drei Vertrauten der vornehmen Javanesen dort zurückgelassen hatte und die unter Dach geborgen werden sollte.

Als Mörner den Alten fragte, ob dieser ihnen nicht einen Rat erteilen wolle, wie man die Insel verlassen könne, erklärte Budang jedoch kopfschüttelnd:

„Weißer Sahib, ich werde Dir ein treuer Diener sein. Aber ich habe auch meinem jetzigen Gebieter, dem Radjah von …“ – er wollte den Namen des betreffenden Fürstentums aussprechen, besann sich aber noch zur rechten Zeit und fuhr nach kurzem Stocken fort – „meinem Gebieter versprochen dafür zu sorgen, daß Du auf dem Eiland bleibst. Daher kann ich Dich auch nicht in Deinem Bestreben unterstützen, baldigst von hier fortzukommen.“

Mörner verargte diese Aufrichtigkeit dem früheren Piraten in keiner Weise. Dieser ließ sich auch darüber nicht ausforschen, wann wieder mit dem Eintreffen eines Schiffes der Verschwörer zu rechnen sei, ebensowenig wie er zugab, überhaupt etwas von dieser ganzen Sache zu wissen, obwohl er doch merken mußte, daß der weiße Sahib die Unterhandlungen des Engländers mit den vornehmen Malaien mit angehört hatte.

Die Lage der beiden Deutschen war daher alles andere als angenehm. Wenn Budang ihnen auch weiter keine Schwierigkeiten bereiten würde, so mußten sie doch jeden Tag fürchten, daß vielleicht der Schoner oder gar die Jacht des Engländers wieder auftauchte und daß der alte Malaie dann verraten würde, wie genau Mörner von den Plänen der Verschwörer unterrichtet sei. Dies aber würde für die Deutschen recht böse Folgen gehabt haben, zum mindesten die, daß man sie irgendwo gefangensetzte und scharf bewachte.

Es war nicht leicht, unter diesen Umständen sich zu entscheiden, welche Maßnahmen getroffen werden mußten um dieser drohenden Gefahr zu begegnen. Mörner befahl dem Alten jedenfalls zunächst, weiter das Zelt zu bewohnen und nicht über die Grenzen des Wäldchens hinaus zu gehen. Dann kehrte er mit dem Knaben in den Felsenturm auf einem Umwege zurück, so daß Budang darüber im unklaren blieb, wo sie ihre Behausung aufgeschlagen hatten.

Nachher setzten sie sich oben auf der Plattform des Turmes unter den Palmen nieder und berieten, was nun weiter geschehen solle. Beide befanden sich in ziemlich gedrückter Stimmung. Das Ungewisse ihrer Zukunft lastete schwer auf ihren Seelen, und ohne jede Selbsttäuschung sahen sie ein, daß ihnen nicht viel Hoffnung blieb, so wie die Dinge sich gewendet hatten der Gefangenschaft zu entgehen.

– – – – – – – –

Diese Besprechung hatte den Erfolg, daß die Gefährten beschlossen, ungesäumt an den Bau eines Bootes heranzugehen, damit sie zunächst einmal von der Insel fortkamen. Nur zu sehr sahen sie ein, wie unbequem ihnen jetzt der alte Budang war. Otto Parkwitz machte den Vorschlag, den Malaien in den Felsenturm einzusperren, falls eines der Fahrzeuge der Verschwörer die Insel anlaufen würde, bevor man mit dem Boote fertig war, zu dem ein Palmenstamm benutzt werden sollte. Hiermit war Mörner durchaus einverstanden. Und die beiden Deutschen blickten nun schon weit ruhiger in die Zukunft, nachdem sie einen bestimmten Entschluß gefaßt hatten.

In dem unteren Turmgemach hatten sie in einer Kiste schon vorher eine Anzahl von den beiden Ingenieuren als wertlos beiseite geworfener Werkzeuge entdeckt, darunter auch ein schartiges Beil, die Schneide einer Axt und noch anderes mehr. Nachdem die für ihre Arbeit wichtigsten Werkzeuge wieder in Ordnung gebracht worden waren, begannen sie noch am Vormittag mit dem Fällen einer Kokospalme, die dicht am Ufer des Baches stand. Budang wurde zum Helfen aufgefordert und beteiligte sich denn auch ohne Widerstreben bei dieser anstrengenden Beschäftigung.

Leider nahm die Arbeit nicht den gewünschten Fortgang. Die beiden Deutschen hatten sich den Bau eines Bootes doch leichter vorgestellt als es der Fall war. Drei Tage gingen hin, bevor der Palmenstamm äußerlich auch nur die ungefähre Form eines Kahnes angenommen hatte.

Mörner wollte ihn dann durch Ausbrennen aushöhlen, erlebte aber auch hierbei eine große Enttäuschung. Es war recht schwierig, die Holzfeuer auf der Oberseite des Stammes so zu verteilen, daß sie ihn gleichmäßig verkohlten. Zu allem Unheil trat dann auch noch eine längere Regenzeit ein, die die Gefährten oft genug tagelang zu unfreiwilliger Muße zwang. Erst nach zwei Wochen bekam man wieder beständiges Wetter.

Bisher war es den beiden Deutschen vollständig geglückt, Budang den Ort zu verheimlichen, wo sie ihre Behausung hatten. Der Malaie schien auch nicht im geringsten neugierig zu sein, stellte nie eine Frage und lebte zufrieden in seinem Zelt, ohne sich je in seinem ganzen Verhalten zu ändern. Er war ein Mensch, der trotz seiner gewiß recht blutigen Vergangenheit einen ehrlichen, aufrichtigen Charakter besaß und den Mörner sowohl als der Knabe von Tag zu Tag mehr schätzen lernten. Er wußte viel und interessant zu erzählen, und doch vermied er stets, seine Person dabei in den Vordergrund zu drängen. Stets sprach er von seinen Kreuzfahrten als Pirat so, als seien dies Erlebnisse, deren einzelne Begebenheiten er mit seinen heutigen Anschauungen nicht mehr rechtfertigen könne. Und doch kam bei ihm trotz der mit ihm vorgegangenen Wandlung hin und wieder seine ursprüngliche ungezügelte Veranlagung zum Durchbruch, zumal wenn er förmlich in Erinnerungen an wilde Kampfszenen schwelgte. Dann blitzten seine Augen in jugendlichem Feuer, dann straffte sich sein gebeugter Leib und sein Mund fand Worte, die deutlich bewiesen, wie sehr er einst sein gefahrvolles Piratenhandwerk geliebt hatte.

Am 23. Oktober gegen Abend gab es wieder ein schweres Gewitter, das jedoch nicht lange anhielt und auffallenderweise fast gar keinen Regen brachte, dafür den Gefährten aber ihre ganze bisherige Arbeit mit einem Schlage vernichtete.

Otto Parkwitz hatte gerade am Fuße des Turmfelsens ein paar am Tage erlegte Wildtauben gerupft und ausgenommen, als der verderbliche Blitz herniederfuhr und gleich darauf heller Feuerschein zwischen den tropischen Bäumen des Wäldchens gerade an der Stelle aufleuchtete, wo sich der Bauplatz des Bootes befand. Von einer dunklen Ahnung getrieben, lief der Knabe dem Orte des Brandes zu. Hier traf er schon den alten Malaien an, der sich die redlichste Mühe gab, mit Hilfe eines Kochkessels, den er als Feuereimer benutzte, den Brand zu löschen. Diese Mühe war überflüssig. Der Blitz hatte den zu einem Kahne umgeformten Stamm auch der Länge nach aufgespalten.

Gleich darauf fielen die ersten schweren Tropfen, so daß der frühere Kajütjunge sich beeilte in den Turmfelsen zurückzukehren.

Mörner nahm die Nachricht von dem bösen Verlust mit ziemlicher Fassung hin.

„Ich habe schon längst gemerkt“, sagte er gleichgültig, „daß das Glück uns verlassen hat, mein Junge! Wenn wir die deutsche Heimat je wieder erreichen, so geschieht es sicher erst nach Friedensschluß. Wir sind eben Pechvögel!“

Trotzdem wollten sie aber gleich am nächsten Morgen mit der Herstellung eines neuen Bootes beginnen, bei dem sie die bisher gemachten Erfahrungen gut zu verwerten gedachten, wodurch die Arbeit sicher schneller vonstatten gehen mußte.

In der Nacht schlief Otto Parkwitz sehr unruhig. Die Vernichtung des Bootes kehrte in seinen Träumen in allerlei Ausschmückungen wieder und schreckte ihn mehr wie einmal aus dem Schlafe auf. Daher erhob er sich auch bereits vor Tagesanbruch leise von seinem Lager und stieg zur Plattform hinauf, um dort frische Luft zu schöpfen und seinen benommenen Kopf von dem dumpfen Druck, der Folge der aufregenden Träume, zu befreien.

Im Osten zeigte sich schon der erste lichte Schimmer des heraufziehenden Morgens. Insel und Meer waren in jene seltsame, fahle Beleuchtung gehüllt, die den Übergang der Nacht- zur Tageszeit kennzeichnet. Die Möwen und Albatrosse, die auf den schmalen Landzungen nisteten, hatten ihr Tagewerk gleichfalls schon begonnen und strichen in Schwärmen nach Fischen haschend dicht über dem Wasser der engen Buchten hin.

Dann bemerkte der Knabe etwas anderes weit draußen in See: einen hellen Fleck, der sich schnell näherte und bald die Formen eines schlanken, mittelgroßen Dampfers annahm.

Als Otto Parkwitz’ seemännisch geschulte Augen endlich in diesem Fahrzeug die Jacht des Engländers wiedererkannt hatten, der mit den beiden Malaien hier auf der Insel einen geheimen Waffenstapelplatz anzulegen gedachte, war es bereits zu spät, um sich der Person des alten Budang zu bemächtigen.

Der frühere Pirat mußte gleichfalls die Jacht längst gesichtet haben und stand jetzt, für den Knaben deutlich zu bemerken, am Nordrande des Wäldchens auf einem von Felsen gekrönten Hügel und beobachtete regungslos das Näherkommen des hellgestrichenen Dampfers.

Mörner, den Otto nun schleunigst weckte, sah ein, daß die Entscheidungsstunde da war. Nun mußte es sich zeigen, ob Budang das Geheimnis des Turmfelsens inzwischen doch vielleicht ausspioniert hatte. War dem nicht so, dann bestand immerhin noch die Hoffnung, daß die Leute der Jacht den Schlupfwinkel der beiden Deutschen nicht entdeckten und schließlich unverrichteter Sache wieder davonfuhren. Die Aussicht auf eine solche Wendung der Dinge schien insofern nicht ganz schlecht, als der Turmfelsen an sich schon sehr schwer zugänglich war, dann aber auch noch dadurch besser versichert worden war, daß seine beiden Bewohner die Eingangstür unten an der Treppe gut maskiert hatten, indem sie dem durch den Abhang führenden Felsenloche eine künstliche Fortsetzung bis an die Turmmauer gaben und die Tür mit Steingeröll völlig verdeckten.

Eine halbe Stunde später hatte die Jacht in der mittelsten Bucht Anker geworfen und ein Boot an Land geschickt, dem drei Europäer entstiegen. Einer von diesen war der englische Aufwiegler, den Mörner bisher nicht gesehen, dessen Stimme er aber desto deutlicher vernommen hatte. Dafür erkannte aber der Knabe diesen Vertreter der edlen Britennation sofort an der außergewöhnlichen Körperlänge wieder.

Die Gefährten lagen jetzt nebeneinander oben auf der flachen Spitze des Turmfelsens und beobachteten gespannt die Vorgänge auf der Insel.

Budang war den drei Weißen entgegengeeilt und schien dem Engländer nunmehr Bericht über das inzwischen hier Vorgefallene zu erstatten. Die vier Personen standen etwa dreihundert Meter entfernt an der Südecke der Bucht, in der die Jacht ankerte, und jede ihrer Bewegungen konnte man daher vom Turme aus genau verfolgen.

Der Engländer schien durch die Mitteilungen des alten Malaien in die höchste Wut zu geraten, fuchtelte wild mit seinen langen Armen umher, holte dann plötzlich aus und versetzte Budang einen Faustschlag mitten ins Gesicht, so daß der Alte hintenüber taumelte und zu Boden fiel. Hiermit nicht genug, winkte er jetzt noch ein paar der Leute aus dem am Strande liegenden Ruderboote herbei und ließ Budang binden.

Jetzt begannen für die beiden Deutschen äußerst aufregende Stunden. Die ganze Insel wurde von den mit Gewehren und Revolvern bewaffneten Leuten der Jacht aufs sorgfältigste abgesucht. Wem diese Maßregel galt, war klar. Aber gegen Mittag schien der Engländer dann doch wohl einzusehen daß die beiden, nach denen er fahndete, sich nicht mehr auf der Insel befinden könnten.

Nun wurden aus der Jacht eine Menge Kisten an Land geschafft und in derselben Grotte verborgen, die Mörner und dem Knaben früher als Wohnung gedient hatte. Wie sich später herausstellte, hatte Budang den Leuten dieses Versteck angegeben.

Von dem alten Malaien hatten die Gefährten inzwischen nichts mehr bemerkt, nachdem er in das Wäldchen geschleppt worden war. Gegen sechs Uhr nachmittags stach die Jacht dann wieder in See. Zwei Matrosen aber, die gut bewaffnet waren, ließ der Engländer auf der Insel zurück, offenbar zum Schutz der hier ausgeschifften Kisten, die sicher allerlei Waffen enthielten.

Dann kam die Nacht. Zwischen den Bäumen sahen die Gefährten jetzt ein Feuer gerade an der Stelle aufleuchten, wo Budangs Zelt stand. Dort schienen also die beiden Wächter ebenfalls ihr Quartier aufgeschlagen zu haben.

Mörner litt es nicht länger in dem Turmfelsen. Er wollte feststellen, was mit dem alten Malaien geschehen war. An Bord der Jacht war dieser nicht gebracht worden. Ob der Engländer ihn etwa als scheinbaren Verräter kaltblütig hingemordet hatte …?! Fast fürchtete der junge Millionär es.

Die Nacht war dunkel und windig. Mit äußerster Vorsicht schlichen die beiden Deutschen auf das Wäldchen zu. Als sie die ersten Bäume erreicht hatten, krochen sie auf allen Vieren weiter. Mörner hatte die doppelläufige Flinte bei sich, Otto Parkwitz die Revolver.

Bald sahen sie das Feuer hell durch die Bäume schimmern. Die beiden Wächter lagen dicht dabei im Grase und unterhielten sich auf Englisch.

„Ich hätte den braunen Schuft einfach aufgeknüpft“, sagte der eine laut und gähnte. „Nun können wir ihn hier bewachen, bis der Radjah von Soraban ihn abholt und ihn für seine Verräterei bestraft.“

Mörner, der sich auf das Anschleichen besser als der Kajütjunge verstand, lag jetzt keine fünf Schritte entfernt hinter den Luftwurzeln einer Pandane. Und rechts von sich bemerkte er nun auch in einer kleinen Vertiefung die Gestalt des alten Malaien, der offenbar gefesselt war und den man wie ein Bündel auf die Erde geworfen hatte.

Dann die Stimme des zweiten Wächters.

„Na, der Halunke soll es gut bei uns haben! Muckst er auch nur im geringsten, so erhält er wieder eine Tracht Prügel. Ich denke aber, er wird wohl zahm geworden sein. Wir haben vorhin ganz kräftig zugeschlagen, hol’s der Teufel!“

Mörner schob sich Zentimeter für Zentimeter nach dem Malaien hin. Nun war er dicht neben ihm, flüsterte ihm ein paar Worte zu und schnitt mit dem haarscharfen Kris die Fesseln an Händen und Füßen durch.

– – – – – – – –

Das, was jetzt geschah, hatte Mörner weder beabsichtigt noch voraus gesehen.

Kaum fühlte der frühere Piratenanführer sich frei, als er auch schon seinem überraschten Befreier den Kris entriß, hochschnellte und mit ein paar weiten Sprüngen auf die beiden Engländer zuflog.

Ehe diese noch nach ihren Waffen greifen konnten, hatte er dem einen schon die scharfe Klinge mit grausiger Gewandtheit durch die Kehle gezogen und den zweiten durch einen Stich mitten ins Herz erledigt.

Dann stieß er einen schrillen Schrei aus, schwenkte den blutigen Dolch hoch in der Luft und beobachtete mit einem grimmen Lächeln die letzten Todeszuckungen seiner Opfer.

Mörner und Otto Parkwitz waren schnell hinzugeeilt, kamen aber viel zu spät, um die beiden Morde noch verhindern zu können.

Der junge Millionär war so empört über Budangs eigenmächtiges Handeln, daß er zunächst gar keine Worte fand, seiner Entrüstung Ausdruck zu verleihen. Dann aber begann er den Malaien mit den heftigsten Vorwürfen zu überhäufen.

Budang hörte eine Weile schweigend zu. Dann entblößte er ebenso wortlos seinen Rücken. Und beim Scheine des Lagerfeuers bemerkten Mörner und der Knabe jetzt, daß dieser Rücken nur noch aus einer Unmenge kreuz und querlaufender blutiger Striemen bestand.

„Der Engländer Macfarlan, der Sekretär des englischen Gouverneurs von Malakka, wollte Budang nicht glauben, daß zwei Deutsche sich auf der Insel befänden. Er verlangte von mir den einen Deutschen zurück, den ich hatte bewachen sollen. Er glaubte, ich hätte geduldet, daß Du, weißer Sahib, von hier entfliehen konntest. Da schlug er mich ins Gesicht und ließ mich von diesen beiden da peitschen. Was Dich aber betrifft, so schwur er, er werde Dich erschießen lassen als deutschen Spion, sobald er Deiner habhaft würde. – So wahr es einen Gott gibt: alles hat sich so zugetragen, wie ich es erzähle.“

Diese kurze Erklärung machte auf Mörner mehr Eindruck als eine lange Verteidigungsrede.

Die Toten wurden beiseite geschafft und beim Scheine von Kokosfaserfackeln unter einem Steinhaufen beerdigt.

Während dieser traurigen Arbeit ließ sich Budang dann auch genauer über Macfarlan und dessen Verbündete aus.

„Mein Gebieter, der Radjah von Soraban, wird mir ebensowenig glauben wie es der Engländer tat, unter dessen Einfluß er vollkommen steht. Der Tod ist mir als angeblichem Verräter genau so gewiß wie Dir, Sahib Mörner, und dem kleinen Deutschen da, Deinem Gefährten. Wir drei wissen zu viel von den Plänen der Verschwörer. Ich habe nun aus Bemerkungen Macfarlans herausgehört, daß er und die beiden Radjahs sich hier wieder in einer Woche treffen wollen. Dann wird sich uns eine Gelegenheit zur Flucht bieten.“

Über diese letzte Bemerkung konnte Mörner sein Erstaunen nicht unterdrücken.

„In Deinen Worten liegt ein seltsamer Widerspruch, Budang“, meinte er zweifelnd. „Ich denke, daß wir eher verloren sind, wenn der Schoner und die Jacht die Insel wieder anlaufen.“

Der alte Pirat lächelte rachsüchtig.

„Du irrst, Sahib. Ich weiß, was in den Kisten enthalten ist, die heute hier an Land und in die Grotte geschafft sind, die ich absichtlich als Aufbewahrungsraum dem Engländer vorschlug, damit sie nicht an einem anderen Orte versteckt wurden, den ich nicht kannte. Und ich verstehe mich nicht umsonst auf alle Schußwaffen, auch die modernsten, die es gibt – auf alle, große und kleine! – Folgt mir jetzt. Ich will Euch sofort zeigen, womit wir unsere Feinde Herr werden können.“

Die beiden Toten waren beerdigt. Ausgerüstet mit einer Anzahl schnell hergestellter Fackeln begaben die drei nunmehrigen Verbündeten sich jetzt, nachdem Mörner dem Alten noch einen Verband aus zerquetschten Blättern auf dem wunden Rücken hatte befestigen müssen, nach der Grotte.

Die Kisten besaßen verlötete Zinkeinsätze. Darin lagen wohlverpackt drei Revolverkanonen und eine Menge zugehöriger Munition. Die kleinen Geschütze besaßen Fahrgestelle und waren wohl hauptsächlich für den Gebirgskrieg bestimmt.

„Von morgen ab werden wir uns auf die Kanonen einschießen“, sagte Budang einfach. „Die Handhabung kenne ich. Die Granaten haben Aufschlagzünder. Und wenn die, die uns ans Leben wollen, hier erscheinen, so werden wir uns zu verteidigen wissen, mehr noch, werden durchsetzen, daß wir fliehen können.“

Der Plan, den er dann im einzelnen entwickelte, war so einfach, daß er kaum mißlingen konnte, wie Mörner sehr wohl einsah.

Jetzt nahmen die beiden Deutschen den Malaien mit sich in den Felsenturm. Budang bekam in der Nacht leichtes Fieber infolge der unmenschlichen Züchtigungen, die ihm widerfahren waren. Aber sein zäher Körper überwand diesen Anfall sehr bald. Schon am nächsten Nachmittag fühlte er sich kräftig genug, so daß man die Revolverkanonen zusammensetzen und nach einem vorher ausgesuchten Platze in der Nähe der Bucht schaffen konnte, in der die Fahrzeuge der Verschwörer stets vor Anker gingen.

Dieser Platz lag auf einem Felsenhügel, auf dem sich leicht eine Verschanzung aus Steinen herstellen ließ, hinter der die Geschütze postiert wurden, für die man aus den Kistenbrettern besondere Deckel anfertigte, damit der nächtliche Tau ihnen nicht schade.

Die nächsten Tage benutzten die drei Gefährten dazu, sich auf die Bedienung der Kanonen einzuüben und auch mehrere scharfe Schüsse nach Zielen abzugeben, die in einer Entfernung von der Verschanzung ausgesucht wurden, welche ungefähr derjenigen entsprach, in der die Jacht und der Schoner vom Lande aus gerechnet, vor Anker gingen.

Auch die beiden Hinterladergewehre der Engländer, die von Budangs Hand gefallen waren, wurden in der kleinen Festung aufbewahrt, und Otto Parkwitz’ Aufgabe war es, sich in der Handhabung dieser Waffen zu üben.

Daß Mörner und der Kajütjunge unter diesen Umständen dem Eintreffen der beiden Fahrzeuge mit nervöser Unruhe, aber ohne jede Ängstlichkeit, entgegensahen, ist leicht begreiflich.

Man hatte jetzt einen ständigen Beobachtungsdienst bei Tag und Nacht oben auf der Spitze des Turmfelsens eingerichtet, um das Erscheinen der Schiffe rechtzeitig zu erfahren.

Wie Budang vorausgesagt hatte, tauchten am Mittag des siebenten Tages im Westen und Norden zwei Fahrzeuge auf, die dann gemeinsam nachmittags gegen zwei Uhr in der Bucht einliefen und dicht nebeneinander vor Anker gingen.

Eine halbe Stunde später wurde das größte der beiden Rettungsboote der Jacht zu Wasser gebracht, und Macfarlan, die beiden Radjahs und noch zwei Weiße ließen sich an Land rudern.

Kaum waren sie ausgestiegen, als von der Verschanzung aus, die von dem Rettungsboot keine hundert Meter entfernt war, auf die vier Matrosen, die als Ruderer mitgenommen waren, zunächst einige Gewehrschüsse abgegeben wurden, durch die die Leute gezwungen wurden, das Boot im Stich zu lassen und, am Strande entlanglaufend den Schiffen zuzueilen. Auch die drei Weißen und die beiden vornehmen Malaien, die bereits nach dem Wäldchen unterwegs waren, kehrten schleunigst um und liefen im Bogen wieder einer der die Bucht bildenden Landzungen zu.

Bisher war des alten Seeräuberanführers Plan also tadellos geglückt. Nun kam es darauf an, auch den zweiten Teil des Programms ebenso gut zu erledigen.

Auf den beiden Fahrzeugen war jetzt alles in wilder Bewegung. Niemand wußte aber, was zu tun sei. Kopflos rannten die Leute an Bord durcheinander. Dann setzte man zwei Boote aus, um die noch an Land befindlichen Männer herüberzuholen.

Mörner stand klopfenden Herzens hinter seiner Revolverkanone, die bereits auf den Schoner eingerichtet war. Dann ein leiser Zuruf des alten Budang, und gleich darauf zerrissen zwei scharfe Knalle die Luft. Beide Granaten saßen, die eine im Hinterschiff des Schoners, die zweite in dem Funkenhäuschen der Jacht oben auf der Kommandobrücke.

Drüben auf den Schiffen erreichte die Verwirrung jetzt ihren Höhepunkt. Weitere Schüsse abzugeben war zunächst nicht nötig. In wilder Eile lichteten beide Fahrzeuge die Anker und strebten dem offenen Meere zu, indem die Jacht sich vor den Schoner spannte und ihn schleppte.

Dann aber, als sie sich bereits außerhalb des Riffgürtels befanden, begannen die Revolverkanonen abermals zu sprechen. Es kam dem Malaien darauf an, die Jacht und den Schoner derart zu beschädigen, daß sie vorläufig nicht imstande waren, einen Hafen anzulaufen, Budang wollte eben Zeit gewinnen, um sich und die beiden Deutschen in dem zurückgebliebenen großen Rettungsboote der Jacht in Sicherheit zu bringen.

Der Erfolg der Beschießung blieb denn auch nicht aus. Der vierte Schuß traf den Kessel der Jacht, ein anderer den Mast des Schoners dicht über dem Deck, so daß die gesamte Takelage über Bord ging. Außerdem erhielten die Fahrzeuge noch einige Treffer über der Wasserlinie, die nicht minder verderblich waren.

Nun erst ließ Budang das Feuer einstellen. Und eiligst wurden der bereitgehaltene Proviant und Trinkwasser in das Boot geschafft, ebenso eine der Revolverkanonen mit genügender Munition.

Das Boot war wie alle größeren Rettungsboote mit einer unter den Ruderbänken verstauten Segeleinrichtung ausgerüstet, die jetzt unter des einstigen Piraten Anleitung gebrauchsfertig gemacht wurde. Kaum eine halbe Stunde war seit dem letzten Schuß vergangen, als das Boot bereits die Bucht verließ und, dieselbe Einfahrt durch den Riffgürtel wie die beiden Schiffe benutzend, in das offene Meer hinaussteuerte.

Notwendig mußte man in unmittelbarer Nähe der halbwracken Fahrzeuge vorüber. Der Engländer Macfarlan stand auf der zertrümmerten Kommandobrücke und drohte in ohnmächtiger Wut mit der Faust hinüber. Er hätte auch sicherlich das Boot mit Gewehrkugeln überschütten lassen, wenn die Revolverkanone, die drohend ihr Mündung über den Bordrand schob, ihm nicht den nötigen Respekt eingeflößt haben würde. Aber durch irgend etwas mußte er seinem Grimme Luft machen.

„Verdammte deutsche Brut, auch Euch wird das Schicksal ereilen, genau so wie Euren Kreuzer „Emden“, den wir am 10. November bei Keeling-Islands in Grund geschossen haben, als er gerade die dortige Funkenstation zerstörte!“ brüllte er.

Die Antwort waren drei kräftige Hurras und ein letzter, von Budang abgefeuerter Gewehrschuß, der Macfarlans weiterer Laufbahn für immer ein Ziel setzte. –

Nach wochenlanger, abenteuerlicher Reise kamen die drei Gefährten wohlbehalten in dem persischen Hafen Dschask an, wo Budang sich von den Deutschen trennte, um gelegentlich nach Sumatra zurückzukehren, wo er gute Freunde besaß und in Ruhe sein wildbewegtes Dasein zu beschließen hoffte. Mörner und Otto Parkwitz aber wurden durch Vermittlung des deutschen Konsuls in Dschask auf dem Landwege durch Persien nach der türkischen Grenze gebracht und erreichten auch glücklich ihr Ziel, – das deutsche Vaterland, dem in dem schweren Kampfe zu dienen ihr sehnlichster Wunsch gewesen war.

 

Ende.

 

Das nächste Heft enthält:

Ein freiwilliger Robinson.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.