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Die Insel der Feueranbeter

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Die Insel der Feueranbeter.

 

W. Belka.

 

1. Kapitel.

Eine Probefahrt.

El Makri ist ein kleiner Hafenplatz an der Nordostküste Arabiens. Von dort aus wird ein ziemlich lebhafter Handel über den Persischen Meerbusen hinüber nach dem Lande des Königs aller Könige – bekanntlich einer der bescheidenen Nebentitel des Schahs von Persien – getrieben.

Nur zwei größere Firmen gibt es in El Makri, eine englische – natürlich! – und eine holländische. Der Inhaber der ersteren, ein dürrer Brite mit einem stets hämisch grinsenden Bulldoggengesicht, war soeben mit einem Küstendampfer von Bender Abbas, dem nächsten persischen Hafen, nach dreiwöchiger Abwesenheit nach El Makri zurückgekehrt, wo sein langes Ausbleiben bereits ernste Besorgnis bei den Angestellten der Firma hervorgerufen hatte.

Gleichzeitig mit diesem Master James Haloonk war auch wieder in El Makri ein zweiter, dort ansässiger Engländer eingetroffen, und diese beiden Herren finden wir an einem heißen Märzmorgen des Jahres 1905 in Gesellschaft des Holländers van Houtens, des Konkurrenten des Master Haloonk, in lebhafter Unterhaltung auf der Anlegebrücke des kleinen Hafenortes vor, und zwar im Schatten eines langgestreckten Speichers auf ein paar leeren Kisten sitzend.

Morgens waren Haloonk und sein Freund und erster Prokurist Schooft in El Makri ganz überraschend endlich wieder aufgetaucht, und soeben hatte der dicke, gemütliche Houtens seiner Freude darüber Ausdruck gegeben, daß die Motorbootfahrt der beiden Engländer noch so glimpflich abgelaufen sei.

Haloonk erwiderte jetzt, die kurze Pfeife im Mundwinkel behaltend:

„Ja, das Motorboot ist freilich hin, ebenso wie Ihr Segelboot, die schmucke „Wilhelminje“, die Sie etwas leichtsinnig den beiden Deutschen geliehen hatten. Wir sahen die „Wilhelminje“ noch auf einem Riff einer der Benat-Inseln hängen, bevor unser eigener Benzinkahn bei demselben Sturm zum Teufel ging.“

Der Holländer horchte hoch auf.

„So – also nun erfahre ich endlich auch etwas über das Schicksal meines Bootes“, sagte er lebhafter als bisher. „Dann meinen Sie also, Haloonk, daß die Deutschen in dem Sturm umgekommen sind, wie?! – Schade um die frischen jungen Leute. Waren muntere, unternehmungslustige Burschen.“

„Trotzdem hat sie der Persische Meerbusen gefressen, – genau so wie Morris, der auch in der Brandung allzu viel Wasser schlucken mußte und von dem man wohl annehmen darf, daß er ebenfalls von der Liste der Lebenden zu streichen ist.“

Der Holländer wiegte nachdenklich den blondbärtigen Kopf hin und her.

„Merkwürdig, daß Sie gerade an derselben Insel Schiffbruch litten wie auch die Brüder Nörgaard. Welche von den Babr-el-Benat-Inseln mag’s wohl gewesen sein?“

James Haloonk schaute van Houtens prüfend an. Sollte der etwa irgendwie Verdacht geschöpft haben, daß der „Benzinkahn“ damals der „Wilhelminje“ absichtlich gefolgt war …?! – Doch nein! Houtens war dazu doch geistig zu schwerfällig …! – Und daher erwiderte der Engländer auch gelassen:

„Es war eine der nördlichen, ein ganz verwünschter, öder Steinhaufen. Eine Woche haben Schooft und ich dort als Robinsone hausen müssen, bis uns ein Dampfer, den wir auch nur durch Rauchsignale herbeirufen konnten, mitnahm. So sind’s denn schließlich drei Wochen geworden, ehe wir hier nach El Makri zurückkehrten.“ –

Bald darauf verabschiedete der Holländer sich und ließ die beiden Briten allein.

Edward Schooft sagte, als Houtens außer Hörweite war:

„James, – wie konntest Du nur so unvorsichtig sein und behaupten, das Motorboot wäre gleichfalls gescheitert …?! Wir haben doch alle Ursache anzunehmen, daß es wohlbehalten irgendwo gelandet ist. Als die Deutschen es uns raubten, um damit von der Feueranbeter-Insel zu entfliehen, war recht günstiges Wetter. Und der Sturm, der nachher aufkam, wird den Flüchtlingen kaum geschadet haben, die einmal schon selbst auf See Bescheid wissen, dann aber auch Morris an Bord haben, den Du soeben unbedachterweise schnell sterben ließest.“

Haloonk zuckte gleichmütig die Achseln.

„Ich spreche nie unüberlegt etwas hin. Wo mein Motorboot gesunken ist und zwar mit Mann und Maus, weiß ich zwar nicht; daß es gesunken, sagt mir die Tatsache, daß Morris nichts wieder von sich hat hören lassen und daß das Boot selbst ebenfalls nicht wieder aufgetaucht ist. Ich habe ja, wie Dir bekannt ist, von Bender Abbas aus sämtliche Küstenplätze in achtzig Seemeilen Umkreis telephonisch angefragt und zwar ohne jedes Ergebnis. Irgendwo hätte das Motorboot unbedingt bemerkt werden müssen! – Nein, Du kannst Dich schon beruhigen: So ganz grob habe ich Houtens nicht angelogen! Sowohl seine „Wilhelminje“ als auch mein Benzinkahn sind fraglos zum Teufel, und letzterer sicher infolge eines Unfalls an Bord. Der Motor war schon etwas klapperig, und solche ausgeleierten Dinger haben bei nicht ganz sachgemäßer Behandlung nur zu sehr die Neigung, ein wenig zu explodieren …! – Übrigens, mein lieber Edward, – diesen Verlust verschmerze ich gern. Die Entdeckung, die wir vor nunmehr etwa drei Wochen auf jenem Felseneiland gemacht haben, wird sich gut in Bargeld umwandeln lassen. Ich meine den merkwürdigen Tempel der Feueranbeter, nichts anderes! Er ist zum Teil aus einem sehr wertvollen Rotholz, zum Teil aus grauem Marmor erbaut. Schon dieses Material stellt ein hübsches Sümmchen dar, ganz abgesehen von den alten Tempelgeräten aus Kupfer, die wir in der Seitenhalle fanden. Ich beabsichtige daher auch, jetzt erst mal ein paar Wochen hingehen zu lassen, bis über unsere sogenannte Vergnügungsfahrt, die ein so unvorhergesehenes Ende fand, etwas Gras gewachsen ist, und dann die Feueranbeter-Insel regelrecht auszuplündern, das heißt den Tempel abzubrechen und alles Wertvolle hierher zu schaffen. Man muß immer Geschäftsmann sein, Edward, das bleibt die Hauptsache!“

Schooft teilte die Überzeugung des Freundes, daß das Motorboot samt den darauf befindlichen Personen endgültig verloren gegangen, keineswegs, wollte sich aber nicht auf lange Erörterungen hierüber einlassen und schwieg daher. – – –

Wenn wir eine Karte Arabiens zur Hand nehmen, werden wir an der Nordostküste im Persischen Meerbusen südwestlich dem Kap und der Straße von Ormus eine weitverstreute Inselgruppe bemerken, die den Namen Bahr-el-Benat führt.

Die mittelste und gleichzeitig die nördlichste der Benat-Inseln war an demselben Morgen, an dem wir soeben das Gespräch zwischen Haloonk und Schooft belauscht haben, der Schauplatz einer kleinen Katastrophe, wie der eine der beiden Engländer sie ungefähr angedeutet hatte.

Die Brüder Nörgaard, die lediglich zu dem Zweck von Deutschland vor Wochen nach El Makri gekommen waren, um in aller Heimlichkeit auf den Benat-Inseln einem Geheimnis nachzuspüren, über das ihres Vaters Testament genaue Angaben enthalten hatte, waren an diesem Morgen zusammen mit der persischen Prinzessin Etmeh, die sie unter den seltsamsten Umständen auf der Feueranbeter-Insel angetroffen hatten, in der einzigen, tief einschneidenden Bucht des Eilandes mit dem eigentlich Haloonk gehörigen Motorboot hin und her gefahren, um den von ihnen notdürftig ausgebesserten Motor auszuprobieren.

Der Motor setzte bald alle Augenblick aus. Jedenfalls war er so unzuverlässig, daß Arnold Nörgaard mit Recht erklärt hatte, man dürfe sich vorläufig noch nicht auf See hinauswagen, um zu versuchen, bis Bender Abbas zu gelangen.

Gleich nach dieser Bemerkung versagte der Motor wie ein halsstarriger Esel gänzlich den Dienst. Fritz, ein sehr kräftiger Junge trotz seines kaum erst begonnenen fünfzehnten Lebensjahres, glaubte, der Benzinbehälter sei bereits leer, holte daher aus dem Vorschiff eine gefüllte Blechkanne und wollte gerade deren Inhalt in den Behälter gießen, als er stolperte und ein dicker Strahl Benzin über die heißgelaufenen Teile des Motors floß.

Urplötzlich dann eine hochschießende Flamme, ein Knall und ein Schreckensruf aus drei Kehlen …

Fritz hatte sich gerade noch durch einen Sprung nach rückwärts vor den Flammen in Sicherheit bringen können. Gierig fraß das Feuer weiter, und in kaum zwei Minuten standen auch schon verschiedene Holzteile des Bootes in Brand. Die Hitze der kleinen Feuersbrunst war dabei so groß, daß Arnold die junge Perserin bat ins Wasser zu springen, damit sie das Ufer der Bucht als gute Schwimmerin ungefährdet erreichen könne.

Etmeh gehorchte, und gleich hinter ihr ließen sich auch die Brüder ins Wasser hinabgleiten. Alle drei erreichten wohlbehalten den Strand. Wenige Minuten später flog der gesamte Benzinvorrat in die Luft und zerriß dabei die eine Bordwand des Bootes derart, daß es augenblicklich wie ein Stück Blei wegsackte. Die Wasser schlossen sich über dem nassen Grabe dieses Fahrzeugs, das vorläufig die letzte Hoffnung für die drei Gefährten gewesen war, die engere Heimat der Prinzessin, die Landschaft Laristan und deren Hafenort Bender Abbas erreichen zu können.

Schweigend traten die drei nunmehr den Heimweg an, durchschritten steinige Geröllhalden, umgingen Gruppen von Felsen, passierten den im Hintergrunde der Bucht liegenden Hain tropischer Bäume, folgten dem Laufe der hier entspringenden Quelle, und kamen so auch an einem Grabe aus sauber aufgeschichteten Steinen vorüber, unter denen jener Engländer Morris ruhte, der an Bord des jetzt versunkenen Motorbootes durch die Explosion eines der Zylinder der Maschine den Tod gefunden hatte. (Die Vorgeschichte dieser Erzählung, die hier nur andeutungsweise wiedergegeben ist, wurde in einem früheren Bändchen dieser Sammlung unter dem Titel „Um Mirza Kanis Schatz“ ganz eingehend geschildert.)

 

2. Kapitel.

Wie der Schatz gefunden wurde.

In der Mitte der Feueranbeter-Insel ragte aus den Steinmassen ein enormer Felsblock empor, der auffallend einem abgestumpften Kegel glich. Seine Höhe mochte gut zwölf Meter betragen, während der Durchmesser der Grundfläche mit 15 bis 18 Meter ziemlich richtig von Fritz Nörgaard geschätzt worden war.

An seiner Westseite gab es einen Haufen wild durcheinandergeworfener Felsblöcke. Auf diese strebten die drei Gefährten zu, verschwanden zwischen den grauschwarzen Steinen und erreichten kriechend eine Öffnung in dem Riesensteinblock, die sich bald zu einem Gange erweiterte. Aus einer Felsspalte hatte Fritz Nörgaard jetzt drei Fackeln aus Baumfasern hervorgeholt und mit Hilfe eines Benzinfeuerzeugs angezündet.

Bei dieser Beleuchtung drangen die drei nun tiefer in das Innere der Erde ein. Eine Steintreppe führte in achtzig sauber ausgehauenen Stufen am Ende des Ganges steil abwärts, – hinein in eine große Höhle, die sich unter dem Kegel befand.

In diesem natürlichen Gewölbe war von Menschenhand ein Tempel errichtet worden, ein mittelgroßer, außen recht schmuckloser Bau, der sich an die eine Höhlenwand anlehnte. Über seine nähere Bestimmung gaben die Wandmalereien und die Altäre genügend Aufschluß: er war dem nicht nur in Persien, sondern auch in der Türkei recht weitverbreiteten Kulte der Feueranbetung gewidmet.

In dem Vorraum vor der eigentlichen Tempelhalle öffnete Arnold Nörgaard jetzt eine in die marmorgetäfelte Wand eingelassene Geheimtür, die den Zugang zu einer zweiten Treppe verbarg, auf der man in das hohle Innere des riesigen Felskegels gelangte. Dieser wäre von außen nur unter Benutzung sehr langer Leitern zu erklimmen gewesen. Jedenfalls bot dieser kraterähnliche Raum ein Versteck, wie es kaum besser und sicherer sein konnte. Und hier auf dem Grunde des hohlen Felsens befanden sich die aus Steinen, Holz und getrockneten Lehmziegeln errichteten Behausungen der Robinsons, eine für Etmeh, die junge Perserin, die zweite für die Brüder.

Während die Prinzessin und Arnold daran gingen, das Mittagmahl zuzubereiten, das aus einer Suppe von zarten Schößlingen der Dattelpalme und einem Fischgericht bestehen sollte, nahm Fritz das dem Engländer Morris abgenommene Jagdgewehr und kehrte nach der Bucht zurück, um auf Wildenten sich anzustellen, die hier häufig bei ihren Flügen von Insel zu Insel einfielen.

Heute jedoch wollte sich nichts Jagdbares einfinden, und Fritz gedachte schon enttäuscht den Rückweg anzutreten, als er eines jener marderähnlichen Tiere gewahrte, die als einzige Vertreter der Familie der Säugetiere auf der Insel vorkamen.

Es handelte sich hier um eine Spielart des in Indien so häufigen Ichneumons[1], auch Schlangenbeißer von den Eingeborenen genannt, da diese langschwänzigen, flinken und angriffslustigen Gesellen die gefährlichsten Feinde aller Giftschlangen sind.

Das niedrige, braunfellige Ichneumon huschte ziemlich dicht an dem Platz vorüber, wo der Knabe, gedeckt durch Büsche, auf die Enten gelauert hatte. Offenbar befand sich das scheue Tierchen selbst auf einer Jagdstreife. Wie Fritz schon mehrfach beobachtet hatte, waren die Ichneumons hier auf der Insel durchaus nicht wählerisch, was ihre Nahrung anbetraf. Selbst mit Muscheln, Schildkröten (es waren sog. Weichschildkröten, deren Panzer nur eine lederartige Beschaffenheit hat) und Fischen begnügten sie sich, wenn es ihnen eben nicht gelang, einen Seevogel aus dem Nest beim Brütgeschäft oder noch nicht flügge Junge oder auch Eier zu erbeuten. – Lautlos und behende strich das Ichneumon am Ufer der Bucht hin und her, machte hin und wieder ein Männchen und wusch sich mit den Vorderpfoten die spitze Schnauze.

Plötzlich hörte Fritz dann über sich ein merkwürdiges Rauschen in der Luft. Es war ein Seefalke, der, die Flügel dicht an den Leib gepreßt, wie ein Pfeil auf den kleinen Vierfüßer herabschoß. Ehe dieser sich noch durch einen Sprung zwischen Geröll in Sicherheit bringen konnte, hatte der Falke ihm schon die scharfen Fänge in den Rücken geschlagen. Und nun begann zwischen den beiden Vertretern dieser beiden großen Tierfamilien ein wilder Kampf, dem Fritz mit ebensolcher Spannung zuschaute. Seine Sympathie war jedoch ganz auf Seiten des Ichneumons, und wenn sich Gelegenheit zu einem sicheren Schuß geboten hätte, würde er sofort diesem Ringen ein Ende gemacht haben. Doch die Bewegungen der beiden Tiere waren so blitzschnell, daß der Knabe nicht daran denken durfte, hier sein Gewehr ein entscheidendes Wort mitsprechen zu lassen.

Der Falke versuchte immer wieder nach dem Kopfe seiner Beute mit dem Schnabel zu hacken. Jedesmal aber schnappten die weißen Zähne des Ichneumons nach seinem Halse, so daß er schleunigst mit dem Kopf zurückfuhr. Trotz der tapferen Gegenwehr des langschwänzigen Burschen wäre der Kampf wohl zum Nachteil des Vierfüßlers ausgegangen, wenn Fritz nicht schließlich sein Versteck verlassen und auf das fest ineinander gekrallte Paar zugegangen wäre.

Wie gierig der Raubvogel auf seine Beute war, zeigte sich jetzt erst so recht. Anstatt das Ichneumon fahren zu lassen und davonzustreichen, breitete er die Schwingen aus und versuchte, sich mit seinem braunen Gegner in die Lüfte zu erheben. Dessen Gewicht überstieg aber doch wohl die Kräfte des geflügelten Räubers, denn es gelang ihm nur, sich etwa vier Meter über den Erdboden zu erheben. Dann mußte er wieder in flachem Gleitfluge abwärts, verstand es aber doch, einige fünfzig Meter weiter in Richtung auf den großen Felshügel sich auf der Spitze eines hohen Steinblockes niederzulassen, wo er vor dem menschlichen Feinde vorläufig sicher war.

Über diese Hartnäckigkeit und Frechheit des Falken begann sich in Fritz nun aber auch eine leise Wut zu regen. Er lief auf den Steinblock zu und schleuderte dann ein kleineres Geröllstück nach dem Vogel, traf zwar nicht, zwang den beschwingten Räuber aber doch zu schleunigem Aufgeben seines Platzes.

Der Falke wiederholte jetzt seinen ersten Versuch. Fritz sah so recht, wie er sich alle Mühe gab, mit dem Ichneumon sich in den Äther emporzuarbeiten. Doch abermals wurden es nur wenige Meter, an die sich ein ähnlicher Gleitflug nach dem nächsten größeren Felsen anschloß.

Dieses Spiel wiederholte sich mehrmals, bis die beiden Tiere dem Felshügel ziemlich nahe gekommen waren.

Der Knabe fürchtete, daß der Raubvogel versuchen würde, sich bis zur Höhe des Hutfelsens emporzuarbeiten oder, wenn dies ihm mit der Beute in den Krallen nicht glücken sollte, vielleicht das Ichneumon nach heimtückischer Mörderart verschiedener Lufträuber auf felsigen Boden herabfallen lassen könnte, um ihm den Garaus zu machen.

Als der Falke daher dicht vor der enormen Steinmasse des Felskegels abermals von seinem erhöhten Sitze aus hochzufliegen versuchte, legte Fritz das Gewehr an, zielte sorgfältig und drückte ab. Auf den Donner des Schusses hin sanken die Schwingen des Vogels sofort wie gelähmt zusammen, und beide Tiere fielen aus kaum ein Meter Höhe auf den Felsblock zurück, wo sich dann das Ichneumon sofort durch ein paar Drehungen des geschmeidigen Körpers den Krallen des Falken entzog und halb kollernd auf den Boden hinabschlüpfte, um hier, offenbar sehr geschwächt durch die Wunden und den Blutverlust, langsam auf den Hutfelsen zuzukriechen, an dessen Westseite es unweit des unter Gerölltrümmern verborgenen Einganges zu der Höhle unter ein paar Felsplatten verschwand, die flach und in jeder Beziehung unauffällig dicht an der steilen, glatten Wand des abgestumpften Felskegels übereinander lagen.

Fritz hätte das verwundete Ichneumon nun gar zu gern eingefangen, da die Prinzessin Etmeh ihm erzählt hatte, wie leicht sich diese Tiere zähmen ließen und welch’ possierliche Hausgenossen sie dann würden.

In der Hoffnung, den kleinen Burschen unter den Steinplatten vielleicht erwischen zu können, hob der Knabe die oberste mit Aufbietung all seiner Kräfte hoch. Die vier darunter befindlichen hatten, was man erst jetzt sehen konnte, ungefähr die Form verschieden großer rechtwinkliger Dreiecke und waren mit den Spitzen der rechten Winkel ziemlich dicht aneinander geschoben. Daß dies nicht lediglich ein Spiel des Zufalls sein konnte, sagte sich Fritz sofort. Ein besonderer Gedanke durchzuckte ihn plötzlich. Ihm fiel der Schatz Mirza Kanis, des Sekretärs des Vaters Etmehs ein … Sein Herz begann erwartungsvoll schneller zu schlagen. Eilig ergriff er eines der Steindreiecke, lüftete es ein wenig und … stieß einen unterdrückten Jubelruf aus, – denn unter den vier Platten gähnte ein Loch, das sich als schräg nach unten verlaufender Schacht in das Gestein hinabzog und, wie deutlich zu erkennen war, sich sehr bald beträchtlich erweiterte, so daß dort der Anfang einer in den Fels eingehauenen Treppe sichtbar wurde.

Das Ichneumon war vergessen, obwohl doch ein paar Bluttropfen am Rande des Schachtes den Knaben an den tapferen kleinen Gesellen hätten erinnern müssen. Fritz kannte nur noch ein Streben: hinabzusteigen in die Tiefen der Erde auf diesem soeben neuentdeckten Wege, um sich zu überzeugen, ob seine Vermutung zutraf!

Im Nu waren die Platten fortgeräumt, und er zwängte sich nun in das Loch hinein, bis er mit den Füßen auf der obersten Stufe der Treppe stand.

Eine dumpfe, modrige Luft schlug ihm entgegen, so ganz anders als die in der großen Höhle, wo sich der Tempel der Feueranbeter befand. Dort herrschte stets, da die mächtige Grotte etwas wie einen Luftschacht in Gestalt des hohlen Felskegels besaß, eine durchaus angenehme Atmosphäre. Hier aber roch es wie in feuchten, nie gelüfteten Kellern, deren Wände mit Pilzen und Schimmel bedeckt sind.

Fritz wußte, daß es nicht ganz ungefährlich war, sich in derartige unterirdische Räume zu begeben, wo nur zu oft sich giftige Gase entwickeln, denen ein vorwitziger Eindringling unversehens zum Opfer fallen kann.

Er kehrte daher nochmals um und holte sich ein paar Palmfaserfackeln, die mit ausgepreßtem Pflanzenöl getränkt waren. Beim Lichte einer dieser Fackeln, – die übrigen band er sich auf dem Rücken fest, tauchte er nun keck in den dunklen Schacht unter. Er sagte sich nämlich sehr richtig, daß zum mindesten der vorderste Teil der unbekannten Hohlräume noch betretbar sein müßte, da sich ja auch das Ichneumon dort hineingeflüchtet hatte. Und dieses hatte das unterirdische Versteck sicherlich nicht zum ersten Male aufgesucht.

Die Steintreppe hatte zwanzig gut erhaltene Stufen. Dann schloß sich eine natürliche, schmale Höhle an, die recht niedrig war und sich nach Norden zu abwärts senkte.

Der Knabe zählte die Schritte, die er zurücklegte, mit. Immer weiter drang er vorwärts, immer tiefer ging es hinab. Das Aussehen des Höhlenganges blieb dasselbe: feucht schimmerndes, grauschwarzes Gestein, hier und da ekle, weißliche Schimmelpilze, und der Boden mit Geröll bedeckt, das unheimlich polterte, wenn der Fuß des Knaben es in eine der vielen Spalten stieß.

Als Fritz dann gezwungen war, eine zweite Fackel anzuzünden, wären ihm hierbei beinahe beide verlöscht. So kam es, daß er einige Minuten ängstlich darauf wartete, daß die neue Fackel ordentlich in Brand geriet. Währenddessen warf er zufällig einen Blick nach vorwärts, zuckte mit einem mal mehr überrascht als ängstlich zusammen, – denn vor ihm in der Ferne gewahrte er einen seltsamen, gelbweißen Lichtschimmer. Und dieses Licht hatte etwas so Gespenstisches, so Unheimliches an sich, daß der kleine Schatzsucher froh war, als die neue Fackel nun endlich ordentlich auflohte.

Unschlüssig blieb er eine Weile stehen. Sollte er allein sehen, welche Geheimnisse es hier noch gab …?! Die Insel war ja ohnehin ein Stück Felsgebilde, welches genug Rätsel barg! Vielleicht waren einige davon nicht ganz ungefährlich …!

Dann aber lächelte er selbst über seine Zaghaftigkeit! Was konnte ihm hier zustoßen? Menschen gab es hier nicht, die er zu fürchten brauchte. Und Geister oder dergleichen Unsinn – darüber war er längst erhaben! – Nein, wenn er nur vorsichtig war, würde ihm schon nichts geschehen …!

Abermals machte er jetzt eine Beobachtung, die ihm recht wichtig schien, – aber nur nach der angenehmen Seite hin. Der Rauch der Fackel zog nämlich deutlich nach vorwärts ab, ebenso wie auch die Flammen offenbar nach derselben Richtung züngelten. Mithin mußte hier jetzt recht kräftige Zugluft vorhanden sein, nachdem der Eingang durch das Abheben der Steinplatten freigelegt worden war.

Dies beruhigte den Knaben sehr. Vor stickigen Gasen brauchte er sich also nicht mehr in acht zu nehmen. Mit frischem Mute drang er wieder weiter Schritt für Schritt vor, sehr begierig darauf, welche Aufklärung wohl der gelbweiße Lichtschein finden würde, der jetzt in der Ferne immer deutlicher sichtbar wurde.

Dann mündete der natürliche Felsgang mit einemmal in einer Felsenhalle, deren Wände stellenweise ein ganz eigenartiges Leuchten ausstrahlten, so daß der Raum mit einem gedämpften Lichtschein wirklich fast übernatürlicher Art erfüllt zu sein schien.

Fritz dankte jetzt seinem Hamburger Physiklehrer von Herzen, der mit seinen Tertianern oft genug Ausflüge ins Freie gemacht und die Jungens dabei auf allerlei Vorgänge in der Natur aufmerksam gemacht hatte, die für den Ungebildeten einen geheimnisvollen Anstrich zu haben scheinen. So hatte er auch gelegentlich, von den Leuchtkäfern ausgehend, über ähnliche Lichtentwicklungen bei faulenden Baumstümpfen, abgehängtem Fleisch, einigen Meerestieren und verschiedenen Pflanzenarten, den Leuchtmoosen, -algen und -pilzen, gesprochen. – Fritz besann sich hierauf zur rechten Zeit, wußte nun, daß es Leuchtpilze waren, die hier die Wände der unterirdischen Halle bedeckten und alles mithin eine ganz natürliche, wissenschaftliche Erklärung hatte.

Fritz beschloß, die Halle jetzt ganz sorgfältig zu durchsuchen. Sagte er sich doch, daß, falls an der Schatzgeschichte überhaupt etwas Wahres daran sei, er sich hier fraglos auf der richtigen Fährte befinden müsse.

Und das Suchen war gar nicht so schwer, wie sich bald herausstellte. An der Westwand der Höhle hinter ein paar Felsblöcken standen zwei längliche, große Kisten, die aus einem fast schwarzen, sehr festen Holz gearbeitet und mit Bronzebeschlägen reich verziert waren.

Fritz pochte das Herz wie ein Schmiedehammer, als er die Kisten nun genauer betrachtete. Die etwas übergreifenden Deckel waren wie festgeschraubt und bewegten sich auch nicht millimeterweit. Auf der einen Längsseite waren zwei starke Scharniere zu erkennen, während doch jede Spur eines Schlosses fehlte. Dabei glichen die Kisten einander wie ein Ei dem andern. Beide trugen in der Mitte des Deckels eine eine strahlende Sonne darstellende Bronzeverzierung, ebenso an den Seitenbrettern kleinere Sonnen. Schon dies deutete auf persische Kunstarbeit hin.

Der Knabe kam schließlich auf den einzig richtigen Gedanken, daß die kunstvollen Holzbehälter Geheimverschlüsse haben müßten. So begann er denn ganz systematisch alle die verschiedenen Metallbeschläge nacheinander abzutasten, drehte, drückte, schob daran umher, so gut er es mit seinen Fingerkräften vermochte. Ihn hatte jetzt der Ehrgeiz gepackt, nicht mit einer halben Wissenschaft zu Etmeh und Arnold zurückzukehren. Er mußte den Schatz gesehen haben, bevor er den Gefährten sein neuestes Erlebnis mitteilte.

Auch jetzt hatte er Glück. Das Mittelstück der Deckelsonne, das aus einem rauhen Bronzebuckel bestand, ließ sich drehen. Und nach einigem Probieren fand der Knabe heraus, daß nach einer halben Umdrehung der Deckel sich lüftete.

Nun schlug er ihn zurück. Abermals pochte sein Herz schneller. Und doch sah er zunächst nur eine reich mit Gold gestickte Decke, die den Inhalt verbarg. Mit einer gewissen Scheu hob er sie auf. Darunter lagen fünf Ledersäcke von verschiedener Größe, die sorgfältig zugebunden und mit Wachssiegeln noch weiter verschlossen waren. Ungeduldig riß er eines der Siegel ab und knüpfte das Lederband auf. Dieser Sack enthielt zumeist goldene, altertümliche Trinkbecher in allen Größen; der zweite wieder goldenen, mit edlen Steinen verzierten Frauenschmuck, darunter viele Ringe mit seltsam geschnittenen Zeichen in den runden Platten.

So öffnete er einen Sack nach dem andern, auch die der zweiten Kiste. Daß hier ungeheure Werte an Edelmetall und kostbaren Steinen lagerten, erkannte selbst des Knaben in diesen Dingen wenig erfahrener Sinn.

Der Schatz war gefunden …!

Mirza Kanis geheimnisvolle Aufzeichnungen hatten nicht gelogen!

 

3. Kapitel.

Das wracke Boot.

Fritz verschloß die Kisten wieder und setzte seinen Weg durch diese unterirdische Wunderwelt fort.

Der Gang erweiterte sich häufig zu kleineren Höhlen, war stellenweise auch wieder so schmal, daß Fritz Mühe hatte, sich zwischen den Steinwänden hindurchzuzwängen. Er blieb stehen und horchte gespannt. Es klang wie Brandungsgeräusch. Auch die Luft kam dem kleinen Höhlenforscher hier noch frischer, wie erfüllt von dem Salzgehalt des Meeres, vor.

Eiliger als bisher strebte er vorwärts. Eine besondere Vermutung war in ihm aufgetaucht: daß der Felsengang vielleicht an irgend einem Punkte der Steilküste der Insel ins Freie mündete …!

Bald konnte er sich dann davon überführen[2], wie richtig diese Vermutung gewesen. Keine fünfzig Meter weiter gab es eine scharfe Krümmung dieses hier wieder steil ansteigenden, unterirdischen Weges, und … vor den Augen des überraschten Knaben zeigte sich ein heller, ovaler Fleck: der sonnenbestrahlte Himmel!

Gleich darauf stand er auf einem schmalen Felsvorsprung vor dem Loche der Uferfelsen, das den zweiten Ausgang zu dieser neuen Höhlenwelt der Feueranbeter-Insel bildete, und zu seinen Füßen rauschten und schäumten die Wogen des Persischen Meerbusens donnernd gegen die jäh abfallende Wand, die hier gerade gut acht Meter hoch war und in deren Mitte die verheißungsvolle Öffnung gähnte, mit deren Hilfe man hinabgelangen konnte zu den Schätzen des Mirza Kani … –

Eine Viertelstunde später betrat der Knabe ziemlich atemlos von dem eiligen Rückmarsch die kraterähnliche Aushöhlung des Kegelfelsens, wo Etmeh und Arnold Nörgaard bereits in geschwisterlicher Eintracht bei der inzwischen längst fertiggestellten Mittagsmahlzeit saßen.

Der Student empfing den Bruder mit Vorwürfen über dessen langen Ausbleiben.

„Zwei Stunden haben wir gewartet, und Etmeh hat das Essen zweimal gewärmt. Ich finde das ziemlich rücksichtslos!“ Arnold liebte es, Fritz so etwas zu erziehen, obwohl dieser schon von selbst sehr auf sich achtete und höchstens mal aus jugendlichem Übermut einen dummen Streich machte.

Fritz lachte vergnügt.

„Das Warten ist belohnt worden, lieber Arnold! Ich bringe eine Neuigkeit mit, die mehr wert ist, als Etmehs beste Muschelsuppe. – Doch – erst will ich satt werden, bevor ich mit meiner Wissenschaft herausrücke. Ihr sollt sehen, wie gut ich mich beherrschen kann, obwohl es mir unter diesen Umständen wirklich sehr schwer wird.“

Und tatsächlich: er brachte es fertig, der Mittagmahlzeit erst alle Ehre anzutun, aß sogar mit größter Seelenruhe, ohne sich durch die Fragen Arnolds stören zu lassen, der beinahe noch ärgerlicher über diese Hartnäckigkeit des Bruders wurde als vorhin über dessen Saumseligkeit.

Dann aber war der große Augenblick gekommen.

Fritz stand auf und sagte feierlich:

„Ich habe soeben den Schatz entdeckt, nach dem wir so lange umsonst gesucht haben!“

Arnold sprang auf. Er wollte gar nicht glauben, daß Fritz die Wahrheit sprach.

„Laß die faulen Witze!“ rief er. Und doch hingen seine Blicke gespannt auf dem Gesicht seines jüngeren Bruders, der Etmeh so siegesgewiß zunickte, ihr jetzt die Hand hinstreckte und erklärte:

„Prinzessin Etmeh – ich beglückwünsche Dich hiermit feierlichst zu diesen Reichtümern! – Folgt mir, – Ihr sollt mit eigenen Augen sehen, was ich als erster von Euch mit ehrfurchtsvoller Scheu betrachten durfte.“ –

Der Gang durch die Wunderwelt der unterirdischen, leuchtenden Räume und die Besichtigung des Schatzes war vorüber. Die drei Gefährten kehrten wieder an das Tageslicht zurück. Sehr sorgfältig wurde der Eingang durch die Steinplatten verschlossen, nachdem Fritz sich noch die Mühe gemacht hatte, nach dem verwundeten Ichneumon zu suchen, da er diesem doch nur, wie er betonte, die Auffindung der beiden Kisten zu verdanken hätte. Sein Suchen war nicht umsonst. Das durch den Blutverlust völlig ermattete Tierchen hatte sich in eine Felsspalte verkrochen, wohin eine feine Blutspur den Knaben gewiesen hatte. Ohne diese Fährte wäre er wohl kaum in Besitz des Ichneumons gelangt, das sich ruhig auf den Arm nehmen und nach dem Kraterkessel bringen ließ. Hier arbeitete ihm Fritz noch an demselben Tage einen Käfig, pflegte es gut, wusch die Wunden aus und erreichte so, daß der muntere braune Gesell bald ganz zahm wurde.

Arnold Nörgaard hatte jetzt abermals eine gute Gelegenheit gefunden, sein Rednertalent leuchten zu lassen. Als die Gefährten, noch ganz erfüllt von den Wundern der blinkenden Schätze, die Angelegenheit nochmals besprachen, meinte er mit feierlichem Nachdruck:

„Wir haben jetzt gesehen, daß Mirza Kani in seinen Aufzeichnungen wahrscheinlich mit dem seiner Zeichnung hinzugefügten Kreuz gar nicht den Eingang zu der Tempelhöhle, sondern vielmehr den zu den leuchtenden Grotten gemeint hat. Erst eine höhere Fügung hat uns diese Tatsache des Vorhandenseins eines zweiten Höhlensystems offenbart! Danken wir dem Schöpfer aller Dinge, daß er ein armseliges Tierchen zum Vollbringer seines Willens gemacht hat. – Und doch: müssen wir nicht auch anderseits einsehen, wie eitel alle Schätze dieser Welt sind?! Was nützen sie uns, da wir vorläufig keine Möglichkeit haben, in bewohnte Gegenden zurückzukehren …?! Nichts – nichts! Mit ein paar guten Äxten, einer Säge, Nägeln und anderen praktischen Dingen wäre uns weit mehr geholfen! Besäßen wir sie, so könnten wir daran denken, ein Fahrzeug, entweder Boot oder Floß, zu bauen, um damit das Festland zu erreichen. – Alles Gold hat nur dort einen Wert, wo man es als Tauschmittel für andere Gegenstände benutzen kann! Auf unserer einsamen Insel ist es wertlos, nicht besser als die Felsen, von denen wir hier umgeben sind!“

Fritz hielt von derartigen Äußerungen nicht viel. Jetzt aber regten sie ihn doch zu einer Bemerkung an, die ihm schon lange auf der Zunge gelegen und die er bisher nur unterdrückt hatte, um besonders Etmeh, die er wie eine Schwester liebte, nicht zu ängstigen.

„Alles sehr richtig, lieber Bruder“, sagte er daher mit seiner jugendlichen Lebendigkeit, die in so scharfem Gegensatz zu der bedächtigen Art Arnolds, des Studenten, stand. „Es ist jetzt aber auch an der Zeit, etwas anderes zu erörtern, das nicht minder wichtig für unsere Zukunft sein dürfte. – Ihr wißt, daß der Engländer Haloonk uns damals mit seinem jetzt leider gesunkenen Motorboot heimlich bis nach der Insel gefolgt ist, daß er Kenntnis von der Tempelhöhle hat und vermutet, uns müßte wohl ein anderer Grund als der, den wir angegeben haben, zu der Fahrt nach Persien bestimmt haben. Als wir dann nach unserer geglückten Flucht hier wieder landeten, fürchteten wir Haloonk und den dritten Engländer auf der Insel noch vorzufinden. Aber sie waren fort. Wie und wohin – das entzieht sich unserer Kenntnis. Wir können nur vermuten, daß es ihnen gelungen ist, ein vorüberkommendes Schiff herbeizurufen, auf dem sie dann einen Hafen erreicht haben dürften. Jedenfalls – und darauf wollte ich hinaus! – müssen wir damit rechnen, daß Haloonk eines Tages hier wieder auftaucht.“

Etmeh hatte mehrfach zustimmend genickt. Jetzt erklärte sie eifrig:

„Fritz hat wohl sehr recht mit alledem. Der Engländer wird ohne Zweifel hierher zurückkehren.“

Auch der ältere Nörgaard pflichtete dem Bruder ohne weiteres bei.

„Gut – richten wir also einen förmlichen Wachtdienst ein“, schlug er vor. „Von Haloonk haben wir kaum etwas Gutes zu erwarten, wenn er uns in seine Gewalt bekommt.“ –

Am nächsten Morgen begab sich Fritz, nachdem er von der Spitze des Felskegels aus, die man ja leicht mit Hilfe eines bereits vorgefundenen, zur Leiter umgewandelten Baumstammes von innen erreichen konnte, sich überführt hatte, daß nichts Verdächtiges auf dem Eiland zu bemerken war, wieder nach der Bucht, um zuzusehen, ob er heute als Entenjäger mehr Glück hätte.

Er erlegte denn auch drei Enten und schritt nun dem Ausgange der Bucht zu, um hier noch nach Schildkröten zu suchen.

Es war wieder ein heller, sonniger Tag, und der Knabe sog mit Behagen die köstliche, frische Seeluft ein, empfand wieder einmal mit wahrer Begeisterung, wie schön dieses Robinsondasein mit seiner Ungebundenheit und seinem Hauche von Romantik war.

Langsam schlenderte er am Südufer der Bucht hin, freute sich über die bunten, mannigfach gestalteten Fische, die der Sonnenschein dicht an die Oberfläche des Wassers gelockt hatte und an dem graziösen Flug der zahllosen Möwen und der anderen Seevögel, die auf der Insel beheimatet waren.

Dann bemerkte er plötzlich an einer Felszunge, die wie eine Nadel in die Bucht hineinragte und steil ins Wasser nach allen Seiten abfiel, unter dem Wasserspiegel einen langen dunklen Gegenstand, über dessen Natur er sich zunächst nicht recht klarwerden konnte. Die von einzelnen Windstößen dann und wann gekräuselte Oberfläche der Bucht machte ein genaues Erkennen recht schwierig. Schließlich glaubte er, daß es vielleicht ein gekentertes Boot sein könne, das da unten mit dem Boden nach aufwärts sich festgelegt hatte.

Fritz wurde ganz erregt über diese seine Vermutung. Ein Boot …! Gerade das, was ihnen fehlte, um das Eiland verlassen zu können …! – Er mußte sich sofort Gewißheit verschaffen. Schnell entledigte er sich seiner Kleider, sprang in das angenehm laue Wasser und tauchte mit offenen Augen unter. Durch Befühlen mit den Händen hatte er dann bald festgestellt, daß es tatsächlich ein Boot war. Er lag kaum ein und einviertel Meter tief. – Was Fritz aber sehr zu denken gab, war die Tatsache, daß das kleine Fahrzeug eine Schraube besaß. – Sollte es etwa das Motorboot sein? – Nein, dies erschien wohl ganz ausgeschlossen, da der schwere Motor es unfehlbar am Grunde der Bucht festgehalten hätte.

Eilends lief der Knabe nun zurück nach dem Hintergrunde der Bucht. Dort sammelten Etmeh und Arnold gerade Feigen ein, wie er wußte. Er traf sie noch an und teilte ihnen freudig seine Entdeckung mit.

Arnold hatte nach dem Hain fruchtbarer Bäume zum leichteren Erklettern der schlanken Stämme ein langes Tau mitgenommen. Dieses wurde nun, während die junge Perserin als Wachtposten auf der Kegelspitze Ausguck halten wollte, mit nach der Felszunge genommen, wo Fritz es durch abermaliges Tauchen an der Schraube des gekenterten Bootes befestigte.

Mit vereinten Kräften suchten die Brüder das kleine Fahrzeug dann nach einer flachen Uferstelle zu schleppen. Dies gelang sogar ohne größere Anstrengung. Und nun zeigte es sich, daß es wirklich das Motorboot war, welches fraglos die Strömung der Bucht bis zu der Felszunge mit fortgerissen hatte. Doch – von einem Motorboot konnte man jetzt nicht mehr gut reden. Denn die Maschine war, sicherlich durch die Explosion des Benzinvorrats losgesprengt und herausgefallen, so daß der Rumpf, in den vier umfangreiche Luftkästen eingebaut waren, sich mit Hilfe dieser halb schwimmend erhalten hatte. Nur so war es auch zu erklären, daß das Boot der Strömung hatte nachgeben können und sich schließlich dicht am Ausgange festgelegt hatte.

Die Zerstörungen an den Bordwänden waren nicht so erheblich, daß sie sich nicht wieder ausbessern ließen, zumal den Brüdern ein Handbeil zur Verfügung stand, das sie gleich nach ihrer zweiten Landung auf der Insel der Ausrüstung des Haloonkschen Fahrzeuges entnommen und nach dem Felskessel gebracht hatten. Außerdem gab es in dem Handwerkszeugkasten des jetzt wieder geborgenen Rumpfes noch mancherlei, was ihnen ihre Arbeit erleichtern mußte.

Gemeinsam machten sie sich sofort auf den Weg, um, an der Küste entlanggehend, einen geschützten Platz zu suchen, der ihren Wünschen entsprach. Aber erst an der Westseite des Eilandes, wo eine Anzahl hoher Klippen in Form spitzer Zacken dicht vor einer steil abfallenden Uferwand stand, fanden sie einen winzigen Hafen, der allen Anforderungen genügte. Und hierhin wurde noch an demselben Tage das Wrack des Bootes, nachdem man es leer geschöpft und leidlich abgedichtet hatte, zu Wasser übergeführt.

 

4. Kapitel.

Die Folgen eines Orkans.

In den nächsten vierzehn Tagen floß das Leben auf der Feueranbeter-Insel friedlich und ungestört bei meistenteils wolkenlosem Himmel dahin. Die wenigen Regengüsse, sämtlich nur kurze Zeit andauernd und von tropischer Heftigkeit, waren nötig, um der spärlichen Vegetation neue Feuchtigkeit zu spenden.

Trotzdem fühlten die drei Gefährten sich auf dem Eiland nicht mehr recht behaglich. Seit sie sich darüber klar geworden waren, daß der Engländer jeden Tag hier auftauchen und ihr Robinsonidyll in ein unangenehmes, wenn nicht gar gefährliches Abenteuer verwandeln könne, befanden sie sich dauernd in einer gewissen Spannung, die ja auch schon dadurch aufrecht erhalten wurde, daß sie es mit dem Wachtdienst sehr ernst nahmen. Dieses andauernde Beobachten des Meeres, wobei sie sich jetzt alle drei Stunden abwechselten, war wie ein ständiges Aufpeitschen ihrer Erwartung, ob denn nun endlich nicht ein Fahrzeug sichtbar würde, das den Engländer und damit die Entscheidung brachte.

Kein Wunder, daß man unter diesen Umständen mit größtem Eifer an die notwendigen Arbeiten heranging, die dadurch wesentlich erschwert wurden, daß das vorhandene Handwerkszeug doch recht ungenügend war.

Am Ende der zweiten Woche nach Beginn der Reparaturarbeiten hatte man auch die Segelausrüstung soweit in Ordnung gebracht, daß man am nächsten Tage, gerade einem Sonntag, die erste Probefahrt unternehmen wollte. Da ein Teil der Segel, die das Motorboot noch neben der Benzinmaschine geführt hatte, mitverbrannt war, hatte Etmeh mit geschickten Händen Mattensegel geflochten, die nach anfänglichen Mißerfolgen ganz nach Wunsch ausgefallen waren.

Fritz, der als Kind eines Seemannes schon in Hamburg jede freie Stunde im Segelboot auf der Elbe zugebracht hatte, wußte mit der Auftakelung eines Kutters ebenso gut Bescheid wie ein alter Bootsmannsmaat. Auf seinen Vorschlag hatte man denn auch den jungen, biegsamen Stamm einer auf der Insel in wenigen Exemplaren vorkommenden Rottannenart zu einem neuen Mast verarbeitet, der im Stande war, eine ganze Last von Segeln zu tragen. Um gegenüber dem erhöhten Segeldruck der Gefahr des Kenterns vorzubeugen, wurde das Boot mit schwerem Steinballast versehen, zumal es ohnehin nach Wegfall der Maschine sehr hoch aus dem Wasser ragte. Fritz hoffte nun zuversichtlich, daß die „Prinzessin Etmeh“, wie Arnold den neuerstandenen Kutter sehr feierlich getauft hatte, eine beträchtliche Geschwindigkeit entwickeln werde. Er war daher auch sehr begierig, wie die erste Probefahrt ausfallen würde.

Am Abend dieses Sonnabends ging die Sonne in einen Dunstschleier gehüllt unter. Das bot nicht gerade günstige Aussichten für das Wetter des nächsten Tages.

Und wirklich: um Mitternacht hatte sich über dem Ostteile des Persischen Meerbusens ein Unwetter zusammengeballt, das urplötzlich mit furchtbarer Heftigkeit losbrach. Ein Gewitter nach dem anderen, jedes begleitet von wahren Wolkenbrüchen, leitete den neuen Tag bis zum Morgengrauen ein. Vor diesen ungeheuren Wassermassen mußten die drei Gefährten schleunigst in den Felsengang und von da über die Treppe durch die Geheimtür in den Tempel flüchten. Sonst war der Regen stets durch die kleinen Spalten und Risse des Felskegels unschädlich abgeflossen. Heute verwandelte er sehr bald den Boden des Kraters in einen Teich, so daß die pudelnassen drei Bewohner nur mit Mühe und Not ihre wertvollste Habe retten konnten.

Frierend saßen sie dann in der Haupthalle des Tempels neben dem Altar mit den wunderlichen Verzierungen um ein kleines Feuer herum, dessen Rauch sich immer dichter an der Decke zusammenballte, und wünschten nur, daß endlich der Morgen käme, damit sie feststellen konnten, was aus dem Boote geworden war. Die Sorge um den Kutter verließ sie nicht eine Minute. Immer wieder kamen sie darauf zu sprechen. Hin und wieder[3] wagte sich Fritz auch mal durch den Höhlenausgang ins Freie, um zu sehen, ob das Unwetter noch immer tobte.

Gegen Morgen brachte er endlich die Nachricht, daß der Himmel sich aufzuklären beginne, daß aber der Sturm noch mit unverminderter Heftigkeit von Nordost her wehe und daß die ganze eine Hälfte der Inselküste von einer Brandung umwütet werde, wie er sie noch nicht erlebt hätte.

Man wagte sich jetzt daher wieder in den Kraterkessel hinauf. Wie aber sah es dort aus! All das, was die fleißigen Hände der drei Robinsons zu ihrer Behaglichkeit und zur Ausschmückung dieses Schlupfwinkels geschaffen hatten, war zerstört. Tagelange Arbeit mußte es kosten, hier wieder Ordnung zu schaffen.

Etmeh weinte fast. Sie hatte sich so über die zierlich ausgeschmückten beiden Behausungen, über die kleine Laube und das Beet aus bunten Muscheln und Steinen gefreut!

Fritz tröstete sie. „Ich werde das alles gleich heute wieder etwas in Ordnung bringen“, rief er der jungen Perserin zu, während er schon halb den als Leiter benutzten Baumstamm erklommen hatte, um von der Höhe des Felskegels aus einmal einen Blick über das orkangepeitschte Meer zu werfen[4].

Kaum eine Minute war er dann oben, als er Etmeh und Arnold schon in heller Aufregung, die Hände als Sprachrohr vor den Mund haltend, mitteilte, daß ein größeres Schiff auf den Ostriffen gestrandet sei, – ein Dampfer, hellgrau gestrichen, mit zwei Schornsteinen, fügte er hinzu.

Und wieder nach kurzer Zeit rief er von seinem Ausguck herab: „Ich sehe Matrosen auf der Insel, eine ganze Menge. Und der Dampfer ist fraglos ein Kreuzer, ein Kriegsschiff! Er ist ständig in eine Wolke von Gischt eingehüllt und sicher nicht mehr zu retten, liegt ganz schräg im Wasser, das Heck hoch aufgerichtet.“

Arnold klomm eiligst zu Fritz empor. Und auch Etmeh, gewandt wie ein Eichkätzchen, folgte ihm auf der schlüpfrigen Baumleiter nach oben. Nun standen sie zu dritt hinter einem ihnen Deckung gewährenden Felsblock und beobachteten die Matrosen, die in kleinen Trupps auf der Insel umherschlenderten. In der Bucht aber lagen drei Boote vor Anker, – sicherlich die, mit deren Hilfe die Besatzung das gescheiterte Schiff verlassen hatte.

„Was tun?“ meinte Arnold. „Sollen wir uns den Leuten anvertrauen? – Ich denke ja! Mit uns, die wir hier als Robinsons gehaust haben, muß ja ein jeder Mitgefühl haben! Wir stellen uns unter den Schutz des Kommandanten des Kriegsschiffes. Dann sind wir geborgen.“

Fritz wiegte zweifelnd den Kopf hin und her. Und auch Etmeh schwieg. Schließlich meinte der jüngere Nörgaard dann: „Wer weiß, von welcher Nationalität der Kreuzer ist. Sind’s Engländer, dann … Na, Du weißt ja, Arnold, wie der Vater über die Herren Briten dachte! Sie werden uns ordentlich ausfragen, werden forschen und bohren. Ob sie uns glauben, daß wir nach Persien gekommen sind, um nach einem entfernten Verwandten zu suchen, – ich bezweifle es! Haloonk hat auch nicht an dieses Märchen geglaubt! – Jedenfalls müssen wir bei unseren Angaben sehr vorsichtig sein – sehr! Und um keinen Preis ein Wort von dem Schatz – um keinen Preis!“

Arnold nickte nachdenklich. „Vielleicht ist es doch besser, wenn wir warten, bis die Leute die Insel wieder verlassen haben“, sagte er. „Lange werden sie ja nicht bleiben! – Ich teile Deine Bedenken, Fritz. Man kann nie wissen, was …“

Er kam nicht weiter.

Drei Matrosen waren mit einemmal auf einem Felsen erschienen, der im Westen des Kegels und von diesem keine fünfzig Meter entfernt lag. Einer der Seeleute brüllte jetzt herüber, und seine Stimme übertönte das Heulen des Sturmes:

„He – Ihr da oben, – kommt mal zu uns herab! Unser Kapitän möchte Euch sprechen!“

Es war ein Engländer.

Und Fritz sagte ärgerlich: „Wahrhaftig – ausgerechnet ein englisches Schiff! Wir haben Pech!“

 

5. Kapitel.

Des Ichneumons Dank.

Arnold hatte dem Matrosen zurückgerufen, sie würden der Aufforderung Folge leisten. – Was blieb ihnen jetzt auch anderes übrig?! Sie waren bemerkt worden, und die Engländer würden sich doch nicht eher zufrieden geben, bis sie die drei Bewohner des Kegels verhört hatten.

In ziemlich bedrückter Stimmung kletterten die Gefährten in den verwüsteten Krater hinab, durchschritten den Gang und stiegen die Treppe abwärts. Als Arnold als vorderster die Geheimtür öffnete, flutete ihm sofort eine blendende Helle entgegen, die einer Acetylenlaterne entstrahlte. Ein Matrose hielt sie in Händen, der mitten in der Halle des Tempels stand. Und neben diesem Manne waren noch ein paar Offiziere in weißen Tropenanzügen zu sehen.

Als die drei Robinsons so unvermutet aus der Wandtäfelung heraustraten, rief sofort einer der Schiffsoffiziere mit befriedigtem Auflachen:

„Ah – da haben wir ja die drei Herrschaften! Sieh da – auch eine Dame! – He, Master Haloonk, – kommen Sie doch mal her.“

Haloonk erschien in der Türöffnung der Haupthalle.

Wenige Minuten später fand in der Haupthalle des Tempels das Verhör mit den drei Gefangenen statt. Auf dem Altar standen zwei Laternen, deren Strahlenkegel sich auf den Gesichtern unserer armen Robinsons vereinigten. – Nur zu bald hatten die Gefährten erkennen müssen, was ihrer wartete.

James Haloonks älterer Bruder Edward war Kommandant des kleinen Auslandkreuzers „Belfast“, hatte James vor drei Tagen in El Makri besucht und ihn dann mit nach der Feueranbeter-Insel genommen. Der Orkan warf das Schiff jedoch in der vergangenen Nacht auf die Klippen, und nur ein Teil der Besatzung hatte sich retten können. Dann hatte James Haloonk vorhin, als er mit einem Fernglase von der Bucht aus den Felskegel betrachtete, die drei Gestalten oben auf der Kuppe bemerkt und ihnen eine geschickte Falle gestellt.

Nun saßen er und sein Bruder den drei Bewohnern des Kraterkessels auf Schiffsstühlen gegenüber. Sonst befand sich niemand weiter in dem Tempel. Nur der Ausgang war durch ein paar Matrosen bewacht. Es sollte eben niemand mitanhören, was die Brüder Haloonk den dreien zu sagen hatten.

Arnold berichtete jetzt eingehend, aber sehr vorsichtig die Worte abwiegend, seine und seiner Gefährten bisherige Erlebnisse. Als er damit zu Ende gekommen war, zuckte James Haloonk höhnisch die Achseln.

„Alles Schwindel, mein Bursche! Ihr habt Morris ermordet. Und dafür sollt Ihr baumeln – alle drei. Auch die Perserin dort! Wir werden mit Euch nicht viel Umstände machen! – Nur eins kann Euch retten: Sagt mir die Wahrheit, weshalb Ihr damals mit dem Segelboote des Holländers van Houtens geradewegs von El Makri hier nach dieser öden Insel gefahren seid! Aber die Wahrheit! Verstanden?!“

Arnold kniff die Lippen fest zusammen.

Wieder lachte Haloonk ironisch auf.

„Du schweigst, Bursche! – Du bist ja wohl ein Student der Gottesgelahrtheit! Da wirst Du keinen Meineid schwören. Also: ich wünsche einen Eid von Dir, daß Du uns nichts verheimlicht hast – nichts! – – Sieh, Du wirst verlegen! Ich habe Dich gefangen, mein Bursche, – habe Dich überführt! Ein anderer Zweck lockte Euch hierher! Und ich ahne jetzt, um was es sich handelt. In Bender Abbas erzählt man sich, halb als Kindermärchen, von einem Schatz, den mal die Perser hier irgendwo verborgen haben sollen, – hier, unweit der arabischen Küste. Genaues weiß niemand. Aber Ihr scheint es zu wissen! Und ich werde Euch Euer Geheimnis entreißen, so wahr ich James Haloonk heiße! Wenn Euch erst die hanfene Schlinge um den Hals liegt, werdet Ihr schon sprechen!“

Doch Arnold schüttelte nur wieder den Kopf.

„Ich lasse mir von einem Menschen keinen Schwur abzwingen!“ sagte er mit einer Festigkeit, die Fritz ihm kaum zugetraut hätte. „Wenn Sie etwas von einem Schatz gehört haben, so suchen Sie doch danach!“

„Gut!“ meinte Haloonk höhnisch. „Hunger und Durst werden Euch schon zum Reden bringen. Und als letztes Mittel bleibt uns ja … das Hängen! – Ihr werdet hier vorläufig bewacht werden. Macht’s Euch bequem! Und wenn Ihr Hunger habt, könnt Ihr ja Euer zahmes Ichneumon fressen, das da in der Ecke kauert.“

Die beiden Engländer verschwanden und nahmen eine der Laternen mit. Gleich darauf trat ein Matrose mit einem Gewehr in der Hand ein, der den drei Gefangenen bedeutete, daß er auf sie feuern würde, falls sie einen Fluchtversuch wagten. „Wir patrouillieren zu dreien in der Vorhalle auf und ab! Und tut ja keinen Schritt aus diesem Raum! Sonst knallt’s!“

Die Gefährten waren wieder allein. Keiner wagte ein Wort zu sprechen. Was sollten sie sich auch mitzuteilen haben?! Ihre Lage war mehr als verzweifelt. Trübsinnig schauten sie vor sich hin. Dort neben dem Altar lagen noch die Palmfasermatten, auf denen sie in der verflossenen Nacht an dem kleinen Feuer gesessen hatten.

Fritz ging hin und ließ sich auf eine der Matten nieder. „Setzt Euch auch“, meinte er leise. „Wir können doch nicht ewig hier stehen bleiben.“

Etmeh und Arnold folgten seinem Beispiel.

Wieder tiefe Stille. Nur von draußen klang der gleichmäßige Schritt der Wachtposten dröhnend zu den Gefangenen herein, die starr aneinander vorbeiblickten, als scheuten sie sich, die Verzweiflung in den Gesichtern der anderen zu lesen.

Das Ichneumon, das Fritz auf den Namen Peter getauft hatte, strich lautlos, unruhig in der Halle hin und her. Jetzt sprang es seinem Retter und Herrn auf den Schoß und schmiegte sich nach Katzenart an ihn. Fritz streichelte es wehmütig. Er war froh, daß die rohen Engländer es nicht aus Übermut erschossen hatten.

Dann begann Peter mit der spitzen Schnauze in der Luft herumzuschnüffeln, reckte den Hals lang und schoß mit einemmal auf den Altar zu. Dieser war aus glatt behauenen Steinen erbaut und hier und da mit geschnitzten Holzleisten verziert. Er war recht hoch und breit, überhaupt sehr plump in seinen Abmessungen. – Peter hatte sich an der Schmalseite des Altars aufgerichtet und die Schnauze in ein kleines Loch in einer der Steinplatten gesteckt. Von dort her war sicherlich irgend eine Witterung an seine feine Nase gedrungen. Jetzt ein Satz, und er verschwand in der kaum zwei Fäuste großen Öffnung.

Fritz, der etwa ein Meter entfernt saß, rückte neugierig näher und suchte in das Loch hineinzuschaun. Als das Ichneumon noch immer nicht wieder auftauchte, steckte er die rechte Hand in die Öffnung, um mit den Fingern zu schnalzen, ein Zeichen, auf das Peter bisher stets gehört hatte. Hierbei drückte er – es war ein bloßer Zufall, auf eine der Steinplatten, die größte an der Schmalseite des Altars, die gut anderthalb Meter hoch und vielleicht drei Meter breit war.

Da – die Platte bewegte sich …! Bewegte sich ein Stück nach außen, als drehe sie sich oben und unten in Zapfen. – Fritz saß wie erstarrt. Sollte die Insel noch mehr Geheimnisse bergen?! – Er faßte den Rand des flachen Steines, zog, zog …, bis die Platte wie eine Tür nach außen offenstand.

Etmeh und Arnold hatten des Gefährten Tun mit einem schnell aufblitzenden Hoffnungsschimmer in den bisher so trüben Augen beobachtet. Jetzt kroch Fritz in das Loch hinein. Von draußen konnte er nicht beobachtet werden. Diese Altarseite lag dem Eingange abgekehrt. Gleich darauf war er wieder bei den angstvoll seiner Harrenden.

„Wir sind gerettet, wenn man uns bis zur Nacht hier läßt“, flüsterte er. „Ein Gang führt unter dem Altar abwärts. Und ich wette, er mündet in die leuchtenden Grotten, wo der Schatz sich befindet. – Peter hat uns diesen Weg gewiesen! Meine Tierliebe ist belohnt!“ –

Niemand kümmerte sich um die Gefangenen. Haloonk schien sie durch Hunger und Durst erst mürbe machen zu wollen. Nur gegen zehn Uhr abends, als die Posten wieder abgelöst wurden, kam ein Matrose und brachte eine neue Laterne.

„Vorwärts!“ meinte Fritz, als der Mann verschwunden war. „Nehmt die Matten mit. Wir müssen daraus Fackeln schneiden.“ – Arnold hatte eine der kostbaren Zündholzschachteln zum Glück in der Tasche.

Die drei verschwanden unter dem Altar. Arnold zog die Steinplatte wieder zu. Dann ging es den Felsengang abwärts. Wenige Minuten später standen sie in der leuchtenden Grotte. Peter war lautlos hinter ihnen drein geschlichen. – Schon vorher hatten sie verabredet, was sie mit dem Schatze tun wollten. Sie nahmen nur einen der Ledersäcke mit, der mit Edelsteinen gefüllt war. Die Kisten stürzten sie von der Höhe der Uferwand von dem Ausgange nach dem Meere hin ins Wasser. Aus den seidenen Decken aber hatten sie einen Strick gefertigt, an dem sie sich nun in die dunkle Flut hinabließen. Der Sturm hatte sich inzwischen gelegt. Glücklich erreichten sie das nahe flache Ufer. Fritz, mit dem Ichneumon im Arm, eilte voraus. So ging’s dem Weststrande zu. Die Nacht war dunkel. Wolken zogen über den Himmel hin. Erst als die drei den kleinen Hafen erreicht hatten, begann der Mond zu scheinen.

Das Boot war unversehrt. Fritz kannte das Fahrwasser zwischen den Riffen von zahlreichen Schwimmtouren so gut, daß er die „Prinzessin Etmeh“ dann sicher durch die gefährlichen Untiefen hinaus in die offene See steuerte. Unbemerkt entfernte der Kutter sich mehr und mehr von der Insel.

Am Morgen begegneten die Flüchtlinge einem persischen Küstensegler, dessen Kapitän, kaum davon unterrichtet, wer die junge Perserin war, sofort seinen Kurs änderte und auf den Hafen von Bender Abbas zusteuerte.

Hier rief das Erscheinen der längst totgeglaubten Prinzessin das größte Aufsehen hervor. In aller Stille aber wurden dann vierzehn Tage später die beiden Kisten geholt. James Haloonk zog es vor, sich um die Sache nicht weiter zu kümmern.

Reich beschenkt von Etmeh kehrten die Brüder Nörgaard ein halbes Jahr später nach Deutschland zurück. In beiden hatte der Aufenthalt im Orient jedoch eine so große Sehnsucht nach den Wundern der Tropen geweckt, daß sie bald nach den deutschen Südsee-Inseln auswanderten und hier als Pflanzer ein erfolgreiches Leben führten. Auch Peter, das muntere Ichneumon, lernte so den Bismarck-Archipel noch kennen. Mit der Prinzessin Etmeh unterhielten sie einen lebhaften Briefwechsel. Und oft erinnerten sie sich gegenseitig in ihren Schreiben an die gemeinsamen, seltsamen Abenteuer auf der Feueranbeter-Insel.

 

Ende.

 

Der nächste Band enthält:

Die Abenteuer auf dem Wingolf.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

 

Anmerkungen:

  1. Pharaonenratte, siehe auch Wikipedia: „Ichneumon“.
  2. Sehr alte Ausdrucksweise. Hier im Sinne von: „sich von Tatsachen überzeugen“.
  3. In der Vorlage steht: „her“ – geändert auf „wieder“.
  4. In der Vorlage steht: „weefen“