Erlebnisse einsamer Menschen
Nachdruck auch im Auszuge verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26.
Von W. Belka.
Die Ansiedler in dem Territorium Athabaska in Kanada hatten wieder einmal einen außerordentlich harten Winter zu überstehen.
Auch die neugegründete Farm des deutschen früheren Gutsbesitzers Karl Balzer, die an einer seenartigen Ausbuchtung am Südufer des Murray-Flusses lag und deren Bewohner hier den ersten Winter durchmachten, hatten sich erst an die bitterkalten, sehr oft noch recht stürmischen Tage und Nächte gewöhnen müssen, ehe sie auch dieser unangenehmen Zugabe des sonst an Bodenschätzen so reichen Landes ihre guten Seiten abzugewinnen lernten und in warme Pelzkleidung gehüllt die nur kurzen Tage allerlei notwendigen Arbeiten widmeten, die es in der kaum erst vor drei Monaten aus dem Nichts und inmitten einer echt kanadischen Wildnis geschaffenen Ansiedlung noch in Hülle und Fülle gab.
Die drei Gebäude der Farm, Wohn-, Vorratshaus und Stall, erhoben sich im Dreieck etwa fünfzig Meter vom Buchtufer entfernt auf einem von den Resten eines Kieferngehölzes bestandenen Hügel. Sie waren nichts als Blockhütten, wenn auch sauber und mit jenem Sinn für zierlichere Formen ausgeführt, der dem Deutschen ebenso sehr eigen wie das Streben nach Behaglichkeit im Innern seiner Wohnräume.
An einem windstillen Tage anfangs Dezember öffnete sich morgens gegen acht Uhr, nachdem kaum erst die Sonne aufgegangen, die schwere Haustür, und heraus traten ein älterer, kleiner, sehniger Mann mit fuchsrotem Vollbart und ein schlanker, etwa fünfzehnjähriger Knabe, beide in enganschließende Fellanzüge gehüllt und mit großen Bibermützen auf dem Kopf, beide auch ganz gleich bewaffnet, – mit Doppelbüchse, Revolver, Jagdmesser, kleinem indianischem Wurfbeil. Dazu trugen sie noch jeder eine rucksackartige Ledertasche auf dem Rücken.
„Ein Glück, daß es nicht geschneit hat,“ meinte der Rotbart, ein Trapper, der allgemein Barbroß, eine Abkürzung von Barbarossa, genannt wurde, zu seinem jüngeren Gefährten, als sie nun schnellen Schrittes dem nach Westen zu sich meilenweit erstreckenden Walde zugingen. „Sonst wäre es mit der heutigen Jagd auf Bruder Ephraim Essig gewesen, mein Junge. Hoffentlich haben wir Glück und finden das Winterlager des Grisly, der ein kapitaler Bursche der gestern entdeckten Fährte nach sein muß. Dann gibt’s feinen Bärenschinken und für Dich eine Halskette aus den zuweilen bis 13 Zentimeter langen, sehr stark gekrümmten, weißlichen Krallen.“ (Ephraim nennen die Pelzjäger (Trapper) den grauen Bären, bekanntlich das gefährlichste Mitglied dieser vielgestaltigen Tiergattung.)
Gleich darauf hatten sie den aus Tannen, Kiefern und vereinzelten Eichen bestehenden Wald erreicht, dessen stellenweise recht dichtes Unterholz im Sommer völlig unwegsame Dickichte bildete, jetzt aber doch hier und da einen Durchschlupf gewährte. –
Zu derselben Zeit lagerten in einer felsigen Schlucht etwa zwei Meilen westlich der Farm fünf Männer, die hier aus dünnen Kiefernstämmen eine primitive Hütte errichtet hatten, um darin die eisigen Nachtstunden zubringen zu können.
Jetzt hatten sie vor der Hütte ein mächtiges Feuer angezündet, über dem sie ein Hinterviertel eines Wapiti-Hirsches brieten und gleichzeitig Kaffee in einem kleinen Kessel wärmten.
Die Gesichter dieser fünf machten gerade keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck. Im Gegenteil: es waren alles die richtigen Gaunervisagen, die sich hier am Feuer wärmten und sich dabei in englischer, mit allerlei Kernflüchen gespickter Sprache unterhielten.
Einer, der von den anderen stets mit Oberst angeredet wurde und der auch offenbar der Anführer dieser kleinen Schar zu sein schien, sagte jetzt, indem er seine Büchse zu reinigen begann:
„Wir müssen abwarten, bis von den jetzt auf der Farm anwesenden vier Männern – denn auch der Junge zählt leider für voll, dieser kleine Lump! – drei wieder nach der Faktorei hinüberfahren. Dann haben wir’s nur mit einem und den Weibsbildern zu tun, und dann brennen wir die ganze Geschichte nieder, so wahr ich Tom Mally heiße und mal Oberst in der glorreichen Armee der Vereinigten Staaten gewesen bin und so wahr ich meine Rache haben will! Denn dieser Halunke, der Barbroß, und der kleine, geriebene Schuft sind daran schuld, daß wir die Beute vieler Monate verloren und noch dazu mehrere unserer Kameraden eingebüßt haben. Die Pest drüber, daß die beiden damals unser Versteck auf der Parker-Insel (vergleiche den vorigen Band „Die Wölfe der Parker-Insel“) fanden! Ich platze noch jetzt vor Wut, wenn ich daran denke, daß wir einige hundert der besten Felle so verloren haben! – Jedenfalls ist’s nötig, daß einer von uns ständig die Farm beobachtet. Und wenn’s Wochen dauert: wir harren hier aus, bis der Tag der Rache da ist!“
Einer der Buschklepper hatte sich inzwischen entfernt und war in den die Schlucht umgebenden Wald gegangen, wo er trockene Äste für das Feuer sammeln wollte.
Plötzlich stutzte er, bückte sich und musterte eine Fährte im Schnee, über deren Natur er sich nicht klar werden konnte. Daher rief er jetzt den vielerfahrenen Tom Mally herbei, der, den Spuren einige fünfzig Meter tiefer in den Wald hinein nachgehend, all seine Waldläuferkenntnisse zusammennahm, um diese merkwürdige Fährte deuten zu können, von der sich schwer sagen ließ, ob sie von Mensch oder Tier herrührte.
Nun blieb er stehen und sagte zu dem anderen:
„Harry – ich wette, es handelt sich hier um eine indianische Teufelei. Diese Spuren sind Eindrücke menschlicher Füße, die mit Moos und Lappen umwickelt waren und die der Kerl, der hier entlanggeschlichen ist, absichtlich so gesetzt hat, als sei ein vierbeiniges Geschöpf der Urheber dieser Elefantenspur. Mir gefällt diese Geschichte gar nicht! Mit der roten Bande ist nicht zu spaßen.“
Der mit Harry Angeredete, der jüngste der Banditen und vor einem halben Jahre noch Schreiber auf einer Faktorei (Handelsniederlassung) der Hudson-Kompagnie, die in Kanada hauptsächlich die Pelzgewinnung durch zahlreiche weiße und indianische Jäger betreibt, zuckte geringschätzig die Achseln.
„Rote Bande! Na – die Indianer hier im gesegneten Kanada sind doch wahrhaftig harmlos genug, sind fast sämtlich brave, arbeitsame Staatsbürger geworden und kaum so gefährlich als einer der weißen Flößer, welche die geschlagenen Stämme flußabwärts zu den Schneidemühlen schaffen und sich durch recht rauhe und gewalttätige Umgangsformen auszeichnen.“
„Stimmt schon, Greenhorn (Neuling)!“ lachte der Oberst auf. „Nur weißt Du nicht, daß in diesem Herbst gegen zweihundert Huronen mit Weib und Kind aus der Reservation am Winnipeg-See ausgekniffen sind und sich bis in die große Prärie am Cree-See nördlich von hier glücklich in der Absicht durchgeschlagen haben, dort ein Leben zu führen, wie ihre Voreltern es taten, das heißt wieder die wilden Indianer zu spielen. Ich las es unlängst in einer Zeitung, in die ich in der Store (Handelsladen, auch Kneipe) in Fort Murray zufällig reinguckte. Die Huronen sind durch so ’ne Art von Propheten dazu verführt worden, der ihnen weisgemacht hat, sie würden später einmal ein großes Volk werden und ganz Kanada den Rothäuten unterwerfen und die Weißen verjagen. Diese Bande ist bisher den ihnen nachgeschickten Truppen stets entwischt und hat ihnen sogar so blutige Verluste beigebracht, daß die Regierung die Verfolgung eingestellt hat. Kann es nun nicht ganz gut möglich sein, daß eine Abteilung der Huronen hier im Süden so etwa dasselbe vorhat wie wir – nämlich ein paar Farmen zu plündern?!“
Harry Pichon, der die Hudson-Kompagnie um einige und etliche Tausende betrogen und daher „in die Wälder“ gegangen, das heißt Buschklepper geworden war, schaute sich jetzt recht ängstlich um. Doch Tom Mally ließ ihm keine Zeit, seinen Hasenherz-Gedanken weiter nachzuhängen, sondern schickte ihn in die Schlucht zu den anderen drei mit der Botschaft, daß er und Harry der verdächtigen Fährte folgen würden, um festzustellen, ob man Ursache zu besonderen Vorsichtsmaßregeln hätte. –
Inzwischen waren Barbroß und Otto Balzer, stets den Spuren des Bruders Ephraim folgend, bis auf eine große Lichtung gelangt, in deren Mitte ein kleines Tal sich entlangzog, dessen felsiger Boden mit Gestrüpp dicht bestanden war. Hier stellte der Trapper, indem er die Bodensenkung im Kreise umschritt, sehr bald fest, daß der Grisly in dem Tale sein Winterlager haben mußte, da keine frische Bärenfährte aus der Senke herausführte.
Barbroß stellte nun den Knaben dort auf, wo die alte Spur aus dem Gestrüpp herauskam, während er selbst von der anderen Seite in das kleine Tal eindrang und durch Brüllen, Pfeifen und Revolverschüsse den Grisly aus seinem Versteck aufzuscheuchen suchte.
Otto hatte sich eng zwischen zwei Felsen geschmiegt und harrte nun, von leichtem Jagdfieber gepackt, der Dinge, die da kommen sollten. Außer einigen Wölfen und einem Luchs hatte er noch keinerlei Raubwild geschossen, jedenfalls noch kein Tier von der Gefährlichkeit des grauen Bären.
Plötzlich hörte er in der Senkung das Brechen und Knistern von Zweigen. Gleich darauf erschien über dem Gestrüpp der Kopf der riesigen Bestie von fast weißgrauer Färbung. Die Schädelbehaarung des Grisly zeichnet sich ja überhaupt durch eine auffallend helle Farbe aus, während der übrige, dunkelbraune Pelz nur an den Spitzen ins Graue spielt.
Barbroß hatte dem Jungen vorher ganz genaue Verhaltungsmaßregeln gegeben. Daher wartete Otto auch, bis der Bär dicht vor ihm war, der ihn bisher nicht bemerkt hatte, nun aber in seinem gemächlichen Trab halt machte und mit hoch erhobener Schnauze die Luft schnüffelnd einsog, weil er die menschliche Witterung in die Nase bekommen hatte.
Diesen Augenblick benutzte der Knabe, zielte sorgfältig auf das rechte Auge der Bestie, drückte ab, feuerte sofort den zweiten Lauf hinterher, auf die Herzgegend zielend, und zog sich dann ganz tief in die Spalte zwischen den beiden Felsen zurück, wohin der Bär ihm nicht folgen konnte.
So wartete er einige Minuten.
Wie es um den Grisly stand, konnte er nicht sehen. Er hatte nur noch wahrgenommen, daß dieser die erste Kugel richtig in das Auge erhalten hatte.
Jetzt wagte er sich vorsichtig so weit vor, daß er um die Kante des linken Felsens lugen konnte.
Diese Vorsicht war jedoch überflüssig. Bruder Ephraim lag regungslos im Schnee. Da stieß Otto einen jubelnden, schrillen Jagdruf aus, trat ganz dicht an das wahrhaft riesenhafte Tier heran, das gut 2¼ Meter maß und dessen Krallen, diese gefährlichen Waffen, den Schnee und die Erde im Todeskampf zu kleinen Haufen aufgewühlt hatten.
Des Knaben Jagdruf war sofort von Barbroß beantwortet worden. Nun zeigte sich auch die kleine, dürre Gestalt des Trappers zwischen den Sträuchern, nun rief er dem glücklichen Schützen zu:
„Weidmannsheil, mein Junge! Freut mich, daß ich einen so gelehrigen Schüler habe! Aus Dir wird noch ein Waldläufer werden, wie das gesegnete Kanada nicht viele hat!“
Dann stand er neben Otto, streckte ihm die Hand hin.
„Der zweite Schuß wär’ gar nicht mehr nötig gewesen, mein Junge! Das Herz hast Du nicht getroffen. Aber quer durch die Lunge ist die zweite Kugel gegangen. Sieh den blutigen Schaum vor dem Maule. Das ist stets das Zeichen für Lungenschuß. – Nun wollen wir dem Ephraim auch sofort seinen Pelz ausziehen. Dann bedecken wir den Kadaver mit Schnee und Steinen und holen uns einen Schlitten von der Farm. Deine liebe Mutter wird sich freuen. Der Bursche hier gibt zwei Tonnen vorzügliches Pökelfleisch ab, das dann geräuchert eine wahre Delikatesse ist.“
Er schnallte den Gürtel ab, legte ihn auf ein Felsstück und wollte nun gerade an der linken Hinterpranke den ersten langen Schnitt ausführen, wobei er sagte: „Wenn der Körper noch warm ist, bekommt man das Fell am leichtesten herunter!“ als aus dem nahen Gestrüpp der Schlucht eine drohende Stimme den beiden Jägern zubrüllte:
„Kein Glied gerührt, oder euch geht’s wie dem Grisly, so wahr ich Tom Mally heiße und mal Oberst der glorreichen Unionsarmee gewesen bin! Hoch die Hände, Ihr Halunken, – sofort, oder euch fliegt eine blaue Bohne zu, die Euch nicht schmecken wird!“
„Verdammt!“ knurrte der Trapper, indem er dem Befehl Folge leistete. „Eine nette Bescherung! Steh’ still, Junge! Die Kerle lassen nicht mit sich spaßen. Es sind meine alten Gegner. Du weißt ja, – dieselben, die uns in so schlechtem Andenken haben wegen der Parker-Insel!“
Jetzt tauchten Mally und der ehemalige Faktoreischreiber aus dem Gestrüpp mit angeschlagenen Büchsen auf. Ersterer lachte höhnisch, als er nun dicht vor den kleinen Rotbart hintrat und ihm zurief: „Endlich bist Du in unserer Gewalt – endlich! Jetzt sollst Du uns kennen lernen, Barbroß, jetzt gibt’s für Dich nur einen Rettungsweg: Nenn’ uns die Stelle, wo Deine Goldader liegt, die Du im Sommer entdeckt haben mußt, da Du ja nicht weniger als drei Pfund Gold in Fort Murray verkauft hast. Nenn’ uns den Ort, und Du bist frei, trotzdem wir mit Dir noch gehörig abzurechnen hätten! Auch diesen jungen Burschen lassen wir dann laufen. Natürlich mußt Du uns aber selbst nach der Goldader hinführen. Wir wollen sicher gehen. – Willst Du oder willst Du nicht? Wenn nicht, so gibt es allerlei kleine Mittel, Dich zum Reden zu bringen, – ein Feuer unter die nackten Füße und dergleichen!“
Wieder stieß er eine höhnische Lache aus, fügte hinzu: „Ich fürchte, Du wirst dumm genug sein, nicht gleich freiwillig Dein Geheimnis preiszugeben! Nun – dann mach’ Dich nur auf Foltern gefaßt, gegen die ein indianischer Marterpfahl eine Erholungskur ist.“
Barbroß schaute Mally durchdringend an.
„Ich sehe Dich heute nicht zum ersten Mal so dicht von Angesicht zu Angesicht,“ sagte er nachdenklich. „Ich bin Dir früher einmal schon begegnet, und mir ist so, als ob’s bei einer Gelegenheit war, die recht trübe Erinnerungen für mich birgt.“
Mally wechselte die Farbe unter dem forschenden Blick des Trappers, entgegnete aber trotzdem in demselben höhnenden Ton:
„Trübe Erinnerungen?! Meinst wohl die Geschichte, als wir Dich im Herbst wie ’n Wapitihirsch zu Pferde hetzten, wie? – Na – diesmal haben wir mehr Glück gehabt. Und diesmal bleibst Du unser, so wahr ich –“
Das Wort erstarrte ihm im Munde, denn Harry Pichon hatte ein warnendes: „Fort mit uns, Mally, – die Indianer!“ gerufen und war dann mit einem Satz in derselben Spalte zwischen den beiden Felsen verschwunden, wo der Knabe vorhin Schutz gesucht hatte.
Mally wollte ihm folgen. Doch schon hatten einige zwanzig Rothäute, die in ihrem Äußeren ganz den Gestalten entsprachen, wie sie in den berühmten Cooperschen Roman geschildert sind (denn Coopers „Lederstrumpf“ ist ursprünglich ein Roman gewesen und dann erst für die Jugend bearbeitet worden), die drei Weißen umzingelt, und ihr Anführer, ein wahrhaft herkulisch gebauter Indianer mit scheinbar vor Mordgier funkelnden Augen brüllte ihnen zu:
„Ergebt Euch! Oder wir schießen Euch über den Haufen!“
Barbroß lachte ganz vergnügt. „Du siehst ja, daß wir, mein kleiner Gefährte und ich, unsere Büchsen und so weiter dort niedergelegt haben. Von uns aus habt Ihr nichts zu fürchten.“
Der Rote schaute den Trapper ob dieser kecken Sprache ganz verdutzt an. Der nickte ihm aber freundlich zu und meinte: „Ich weiß, daß mein roter Bruder Kama Sicho heißt und der Prophet der Huronen der Reservation am Winnipeg-See war, jetzt aber der Häuptling der freien Huronen der Cree-Prärie ist. Ganz Kanada spricht von Kama Sicho, dem schwirrenden Pfeil. Er ist ein berühmter Krieger geworden.“
Der Hurone zog sein dick mit Kriegsfarben beschmiertes Gesicht in freundlichere Falten.
„Wer bist Du?“ fragte er Barbroß, indem er dessen kleine Gestalt etwas geringschätzig musterte.
„Man nennt mich Barbroß, den Trapper.“
„Ah – Barbroß!“ rief Kama Sicho voller Genugtuung. „Es wird unseren Ruhm vermehren, daß wir den rothaarigen Pelzjäger gefangen genommen haben. Du wirst der erste Weiße sein, den wir am Marterpfahl sterben lassen.“
„Sehr ehrenvoll für mich, Kama Sicho.“ Dabei zuckte aber um des Rotbarts Lippen schon wieder ein belustigtes Lächeln.
Otto Balzer begriff nicht, wo der Alte in dieser Lage so viel gute Laune hernahm. Er sollte sehr bald darüber aufgeklärt werden.
Inzwischen hatten die Roten auch den vor Angst zitternden Schreiber aus der Felsspalte herausgeholt, banden den Gefangenen nun die Hände mit Riemen auf dem Rücken und nahmen sie mit sich nach ihrem eine Meile weiter westlich gelegenen Lager, das mitten im Walde auf einer kleinen Blöße sich befand und aus etwa acht kegelförmigen Blockhütten bestand.
Daß Barbroß jedoch die Huronen stark unterschätzt hatte, zeigte sich nur zu bald. Schon die Art und Weise, wie die vier Gefangenen nun in der größten der Hütten an in den Boden getriebene Pflöcke lang ausgestreckt gefesselt wurden, bewies, daß die Indianer doch nicht alles verlernt hatten, was ihre wilden Voreltern einst an Grausamkeit und Weißenhaß geleistet hatten.
In der Hütte war es bitter kalt. Erst gegen Mittag erschien ein junger Roter von vielleicht siebzehn Jahren, eine tannenschlanke, geschmeidige Gestalt mit dunklen, großen Augen, und begann ein Feuer anzuzünden. Des öfteren ruhten dabei seine ernsten Blicke auf Otto Balzer, der, obwohl doch wahrscheinlich um Jahre jünger, als Sohn eines fast zwei Meter messenden Vaters nicht viel kleiner als der Indianer war.
Gleich darauf trat auch Kama Sicho ein, band zu Barbroß und des Knaben Erstaunen die beiden Buschklepper los und führte sie mit nur noch lose gefesselten Armen hinaus.
Kaum waren die drei verschwunden, als der junge Hurone in gebrochenem Deutsch zu dem Trapper sagte:
„Kamacho ist der Sohn Kama Sichos. Aber er denkt anders als sein Vater. In der Reservation am Winnipeg war einer Eurer Landsleute mein Lehrer. Ich liebe die Deutschen. Ich möchte Euch befreien, denn das Bleichgesicht mit den zwei Nasen (er meinte Tom Mally, der am linken Nasenflügel eine riesige Warze hatte) hat meinem Vater verraten, daß der Trapper Barbroß eine überreiche Goldader kennt. Nun will Kama Sicho mit den weißen Männern gemeinsame Sache machen.“
Der junge Hurone blickte den Rotbart fragend an und schien von diesem Vorschläge zu erwarten wie er die Befreiung ausführen könne, ohne daß ein Verdacht auf ihn fiele. Barbroß ahnte, was Kamacho wünschte, und erwiderte schnell:
„In meinem linken Stiefelschaft steckt ein Klappmesser in einem Ledertäschchen. Mein roter Bruder öffne die große Klinge und gebe es mir in die Finger.“
Der Hurone tat’s sofort und ging dann schweigend hinaus.
Barbroß stieß das Messer, so gut es ging, in den Boden und scharrte Moos und Erde darüber. Sehr bald kam dann ein älterer Krieger und brachte den Gefangenen ein paar Streifen frisch am Spieße gebratenes Fleisch, fütterte sie[1] höchst eigenhändig und untersuchte dann sehr sorgfältig ihre Fesseln. Bevor er verschwand, sagte er noch zu dem Trapper:
„Morgen kommst Du an den Marterpfahl.“
„Ich werde zu sterben wissen,“ meinte Barbroß schlicht. Kaum war der Hurone hinaus, als er für seinen kleinen Freund hinzufügte: „Ich werde zu sterben wissen – nur nicht morgen!“ Diesen Worten ließ er ein ganz vergnügtes halblautes Lachen folgen. Dann flüsterte er so leise, daß die Worte nur wie ein Hauch des Knaben Ohr erreichten: „Es gibt noch heute einen Schneesturm. Am östlichen Horizont stand eine schwarze Wolkenbank, von der dünnere Wolkenfetzen wie Schnüre nach oben liefen. Ich bemerkte diese untrüglichen Anzeichen eines drohenden Sturmes, als wir hierher gebracht wurden. Sobald die ersten Windstöße sich bemerkbar machen, fliehen wir. Bis dahin hoffe ich meine Riemen durchschnitten zu haben.“
Eine halbe Stunde später hörte der Knabe das Sausen des nahenden Sturmes in den Baumkronen. Barbroß hatte sich bis dahin nicht mehr gemeldet. Inzwischen war es in der Hütte ganz behaglich warm geworden. Das Feuer brannte noch, und so konnte denn Otto mit erwartungsvollem Herzklopfen beobachten, wie der Trapper sich plötzlich zu sitzender Stellung aufgerichtet hatte und er nun mit ein paar schnellen Schnitten seine eigenen Fußfesseln durchtrennte. Wenige Sekunden später war auch der Knabe frei. Dann lugte Barbroß, indem er das vor dem Eingang hängende Hirschfell etwas lüftete, hinaus, winkte sehr bald seinem kleinen Gefährten zu und eilte ihm voraus in den dichten Flockenfall hinein, der die beiden Flüchtlinge sofort in seine weißen schützenden Schleier hüllte.
Otto hatte angenommen, daß der Trapper nun unverzüglich den Weg nach der Farm einschlagen würde. Er wunderte sich daher auch, als Barbroß sehr bald im Walde halt machte und erklärte, er würde nochmals in das Lager der Huronen zurückkehren. – „Warte nur hier auf mich, mein Junge,“ setzte er hinzu. „Ich hoffe in einer halben Stunde wieder da zu sein. Bewege Dich aber, damit Du nicht zu arg frierst. Nur verlasse diese Stelle nicht, sonst finde ich Dich womöglich nicht.“
Dann verschwand er in den immer dichter herabwirbelnden Schneemengen.
Der Junge begann, um sein Blut lebhafter kreisen zu lassen, Freiübungen zu machen. Bald spürte er eine wohltätige Wärme im Körper.
Dann, etwa nach einer Viertelstunde, tauchte plötzlich Barbroß vor ihm auf, reichte ihm schweigend seine Waffen. Er selbst hatte seine Büchse umgehängt, und auch in seinem Ledergürtel steckten wieder Revolver, Messer und Wurfbeil.
„Kama Sicho hat alles in seiner Hütte liegen, was uns gehörte,“ erklärte er kurz. „Er war total betrunken, als ich mich zu ihm hineinschlich. An diesem Laster geht die rote Nation zu Grunde, wenigstens alle die, denen es an der nötigen Anpassungsfähigkeit an zivilisierte Zustände fehlt, das heißt, die nicht von den Weißen das Arbeiten lernen.“
Dann schritt er voran nach Osten zu. Mit einer Sicherheit wählte er den Weg, als wäre ihm hier jeder Fußbreit Boden bekannt. Otto hielt sich dicht hinter ihm. Jetzt bog Barbroß nach links ab, und zu des Knaben höchstem Erstaunen blieb er nun stehen und sagte, indem er sich bückte und in einer Schneeanhäufung mit den Händen herumtastete:
„Hier liegt Dein Grisly, mein Junge. Die Huronen haben ihn nicht angerührt. Sie sind nur äußerlich zum Christentum übergetreten, besonders Kama Sicho und seine Bande, die fraglos aus den schlechtesten Elementen der Reservation am Winnipeg zusammengesetzt ist. Sie haben eine heilige Scheu vor jedem von fremder Hand erlegten grauen Bären, da sie annehmen, daß in jedem dieser gefährlichen Raubtiere die Seele eines berühmten roten Kriegers wohnt. Erlegen sie selbst einen Grisly, so glauben sie, daß die Seele des indianischen Helden ehrenvoll in die ewigen Jagdgründe Manitus einzieht, während in einem von einem Weißen niedergestreckten, die Seele bis zur völligen Verwesung des Kadavers gebannt bleibt. Aus diesem Grunde haben sie auch diesen Bruder Ephraim hier ruhig liegen lassen. Ich werde ihm nun schnell die Krallen abschneiden, damit Du baldigst zu Deinem Halsschmuck kommst.“
Anderthalb Stunden später pochten sie an die Tür des Wohnhauses der Farm.
Dort war man ihres langen Ausbleibens wegen schon sehr in Sorge gewesen, zumal der Schneesturm, bereits seit Stunden wütend, den Jägern ein Zurechtfinden im Walde noch mehr erschweren mußte. Desto freudiger war jetzt die Begrüßung der Heimkehrenden in dem großen, traulichen Wohngemach, in dem an der Decke eine Petroleumlampe brannte und ein kaminartiger Ofen aus selbstgefertigten Tonziegeln angenehme Wärme spendete.
Hier hatte der Farmer Karl Balzer, ein hünenhafter Mann mit ernsten, aber vertrauenerweckenden Zügen, mit den Seinen bisher um den roh gezimmerten Tisch herum gesessen. Jedes der Familienmitglieder war mit irgend einer Arbeit beschäftigt gewesen. Frau Balzer, eine mittelgroße, bereits leicht ergraute Blondine, und die beiden erwachsenen Töchter hatten allerlei Wäschestücke genäht, während Wilhelm, der älteste Sohn, und der Farmer Angelgeräte zum Winterfang auf dem Murray herstellten.
Wilhelm Balzer, der trotz seiner achtzehn Jahre körperlich etwas zurückgeblieben war, eignete sich von den vier Kindern des früheren deutschen Gutsbesitzers am wenigsten für dieses einsame entbehrungs- und arbeitsreiche Leben in der kanadischen Wildnis. Sein Sinn stand nur nach künstlerischen Dingen. Besonders das Geigenspiel pflegte er auch hier weit mehr als es zu einem Farmersohne paßte.
Auch jetzt, als Barbroß die Abenteuer des verflossenen Tages schilderte und hinzufügte, man müsse bestimmt mit einem Angriff durch die mit den weißen Buschkleppern jetzt verbündeten Huronen rechnen, erklärte er sofort, unter diesen Umständen wäre es doch das richtigste, unverzüglich die Pferde vor die beiden Arbeitsschlitten zu spannen und mit dem wertvollsten Teile der Habe nach der zwanzig deutsche Meilen entfernten Faktorei zu flüchten.
Barbroß, der nicht gerade des weichlichen älteren Balzers Freund war, lachte ärgerlich auf und meinte, einen solchen Vorschlag könnte nur jemand machen, der mit den hiesigen Verhältnissen gar nicht vertraut wäre, denn es sei ja ganz ausgeschlossen, während oder kurz nach einem solchen Schneesturm mit einem Schlitten auch nur eine Meile in einer völlig weglosen Gegend zurückzulegen.
„Nein!“ erklärte er weiter, „niemals dürfen wir die Farm ohne Kampf preisgeben! Ich glaube vielmehr, daß die Huronen schleunigst abziehen werden, wenn wir ihnen erst einen tüchtigen Denkzettel aus Blei verabreicht haben.“
Darauf entwickelte er einen Plan, wie man die Farm am leichtesten und wirksamsten verteidigen könnte, wobei er hervorhob, daß man doch sieben Büchsen zur Verfügung hätte, da die Frauen doch gleichfalls sehr gut mit Schußwaffen umzugehen wüßten.
Die anfängliche bange Angst, die Frau Balzer und die beiden Töchter beherrscht hatte, die sie aber wortlos unterdrückt und verheimlicht hatten, schwank schnell bei des Trappers und treuen Freundes zuversichtlichen Worten.
Da dieser annahm, daß die Rothäute schon in dieser Nacht nach Entdeckung der Flucht ihrer beiden Gefangenen einen Angriff wagen könnten, wurden sofort alle nötigen Vorbereitungen zu ihrem Empfang getroffen.
Die Nacht verging jedoch ohne jeden Zwischenfall. Am Morgen hatte dann der Schneesturm ausgetobt. Klar und freundlich ging die Sonne auf. Von den Huronen war nirgends etwas zu bemerken. Trotzdem traute Barbroß dem[2] Frieden nicht. Er rechnete mit irgend einer indianischen Teufelei. Aber selbst das Füttern des Viehs und der Pferde in dem etwa zwanzig Meter von dem Wohnhause abliegenden Stalle konnte ohne Störung erledigt werden.
Gegen zehn Uhr vormittags entschloß der Trapper sich dann, die Umgebung der Farm nach verdächtigen Spuren abzusuchen. Gerade als er aufbrechen wollte, wurde am östlichen Waldrand ein Indianer sichtbar, der scheinbar unbewaffnet auf die Gebäude zuschritt. Sehr bald erkannte Otto Balzer in ihm Kamacho, den Sohn des Häuptlings Kama Sicho.
Der junge Hurone war von seinem Vater als Unterhändler ausgeschickt worden. Kama Sicho verlangte die Übergabe der Farm und die Auslieferung des Trappers. Dann sollten die deutschen Ansiedler unbehelligt abziehen dürfen.
Kamacho gab diese Erklärung gesenkten Hauptes mit leiser Stimme ab. Er schämte sich offenbar, daß er diesen Auftrag ausführen mußte. Er hatte sich wieder der deutschen Sprache bedient, und sein ganzes Auftreten brachte ihm schnell die herzliche Zuneigung der Ansiedler ein, besonders da er ja auch als der Retter und Befreier des Pelzjägers und Ottos zu betrachten war.
Als der Farmer ihm nun erwiderte, er solle seinem Vater ausrichten, daß weder Barbroß ausgeliefert noch die Farm übergeben werden würde, schüttelte der junge Hurone traurig den Kopf und meinte, er könne nur dringend zum Eingehen auf die gestellten Bedingungen raten, da seine Stammesgenossen, um Verluste zu vermeiden, die Farm auszuhungern entschlossen seien.
Doch der ihm erteilte Bescheid blieb derselbe. Langsam ging er wieder davon.
Sehr bald nach dem Weggange Kamachos konnte man vom Dache des Wohnhauses aus beobachten, wie die Rothäute in einer Bodensenkung östlich der Farm außerhalb Büchsenschußweite ihr Lager aufschlugen, Hütten aus dünnen Stämmen bauten und als Schutz gegen Schneeverwehungen hohe Reisigwände rings um jede der achtzehn Hütten errichteten. Man sah also deutlich, daß sie sich zu längerem Bleiben anschickten, und aus ihren weiteren Maßnahmen zur Umzingelung der Farm ging nach Barbroß’ Überzeugung deutlich hervor, daß ihnen hierbei Tom Mally wertvolle Ratschläge erteilt haben müßte.
Gleichzeitig mit dem Bau der Hütten hatten die Rothäute nämlich in ziemlich engem Kreise um die Farm in Abständen von kaum dreißig Meter zehn Beobachtungsposten hinter Schutzwänden aufgestellt. Diese aus dicken Stammenden gefertigten Wände waren mit Schießscharten versehen, so daß es den in dem Wohnhause Eingeschlossenen nunmehr unmöglich war, auch nur einen Schritt ins Freie zu tun, da ihnen sonst mehr als eine Kugel drohte. Es handelte sich mithin um eine regelrechte Belagerung, die von den Feinden über Erwarten schlau eingeleitet wurde.
Die Stimmung der Farmbewohner war daher auch recht gedrückt. Alles ging mit ernsten, besorgten Gesichtern umher, und selbst das Familienoberhaupt machte jetzt kein Hehl daraus, daß ihm die Lage recht verzweifelt dünkte. Nur der alte Trapper blieb zuversichtlich, und ihm gelang es denn auch, wenigstens seinen jungen Freund ein wenig aufzumuntern, der ja überhaupt zu Barbroß’ Findigkeit ein unbeschränktes Vertrauen hatte. Um zu erproben, ob die Roten von ihren Büchsen wirklich rücksichtslos Gebrauch machen würden, ersann der Trapper eine sehr einfache List, indem er eine Puppe herstellen ließ, die man von weitem wohl für einen Mann halten konnte. Diese ausgestopfte Puppe wurde nach Eintritt der Dämmerung mit Hilfe einer Stange so aus der Haustür am Boden entlanggeschoben, als ob ein Mensch durch den Schnee auf den Stall zukrieche. Die List gelang. Plötzlich knallten zwei Schüsse, und als man die Puppe nun rückwärts ins Haus zog, blitzten abermals zwei Schüsse hinter den Balkenwänden auf, von denen der Hof der Farm am besten zu übersehen war. Der ausgestopfte Mann hatte denn auch einen Treffer erhalten, was Barbroß zu der Bemerkung veranlaßte, die Kerle schössen wie die Sonntagsjäger. Aber man wußte nun jedenfalls, woran man mit den Huronen war und daß man sie nicht zu schonen brauchte.
In der Nacht wurde abwechselnd gewacht. Es ereignete sich jedoch nichts. Nur konnte Otto während seiner Wache nach Mondaufgang feststellen, daß die Indianer jetzt auch in den Stall und das Vorratsgebäude sich Zutritt verschafft und darin eingenistet hatten, was für die Belagerten recht unangenehm war, da diese großen Blockhäuser den Rothäuten noch bessere Deckung als die Schutzwände boten.
Barbroß sagte sich, daß die Lage nunmehr wirklich kritisch geworden. Er zergrübelte sich jetzt fortgesetzt den Kopf, wie man wohl auf die Huronen durch irgend etwas einen Druck ausüben könnte, diese Umzingelung aufzugeben. Zunächst fiel ihm jedoch nichts ein, und erst am Spätnachmittag nahm er dann den kleinen Grislytöter heimlich bei Seite und entwickelte ihm einen recht tollkühn erscheinenden Plan, zu dessen Ausführung er unbedingt der Hilfe eines gewandten und entschlossenen Gefährten bedurfte.
Otto Balzer war sofort für diese Idee, die, falls sie glückte, sicheren Erfolg versprach, so begeistert, daß er mit allem Eifer aufs genaueste die Anweisungen des Trappers befolgte, die fürs erste nur den Zweck hatten, genau festzustellen, wann und wie oft die Beobachtungsposten hinter den Schutzwänden abgelöst wurden.
Dies geschah am Tage, was unschwer herauszubringen war, alle drei Stunden. Nachts dagegen – um dies mit Sicherheit zu erkunden, brauchte Barbroß drei weitere Tage – verblieben die Wachen immer nur etwa anderthalb Stunden der Kälte wegen auf ihren Plätzen.
Als dies einwandfrei feststand, vereinbarte Barbroß mit Otto in der kommenden Nacht, sofern der leichte Schneefall anhalten sollte, die Ausführung des gefährlichen Streiches. Hierzu mußte jedoch notwendig noch eine dritte Person eingeweiht werden, die die Seitenpforte des Hauses, an der die nicht gefällten Bäume ziemlich dicht standen, hinter den beiden wieder verriegelte. Der Knabe schlug vor, die älteste Schwester, ein energisches, mutiges Mädchen, zu bitten, im Interesse aller diese Aufgabe zu übernehmen. Sie willigte auch nach anfänglichem Zögern schließlich in alles ein, besorgte auch zwei große Leinentücher, die bei des Trappers Plan eine wesentliche Rolle spielten.
Da das schwache Schneetreiben bis Mitternacht andauerte und wahrscheinlich auch noch länger währte, verließen Barbroß und Otto kurz nach halb ein Uhr morgens das Haus durch die Seitenpforte, die die älteste Tochter dann sofort wieder abschloß.
In die weißen Tücher gehüllt, schoben sich der Trapper und der Knabe dicht hintereinander über den Schnee hin, dessen Oberschichten, durch die Sonne gestern zum Tauen gebracht und dann wieder gefroren, das Gewicht eines nicht allzu schweren Menschen wie eine dünne Eisdecke trugen.
Barbroß schlängelte sich zunächst im Bogen von hinten an den einen Beobachtungsposten heran, der gerade der Seitenpforte gegenüber hinter der Schutzwand mit der Büchse im Arm dastand und nicht ahnte, daß das Verderben ihm so nahe war.
Der Trapper gelangte denn auch, zumal der frisch gefallene, lockere Schnee ein Anschleichen sehr erleichterte, so nahe hinter den Huronen, daß er sich aufrichten und diesem blitzschnell mit den Händen die Kehle zuschnüren konnte. Der Rote versuchte zwar, sich zur Wehr zu setzen, verlor jedoch sehr bald das Bewußtsein und wurde nun sorgfältig mit den mitgebrachten Riemen und Leinwandfetzen gebunden und geknebelt.
Dann ging’s wieder im Bogen auf den nächsten Posten nach links zu. Hier nun erlebten Barbroß und Otto insofern eine Überraschung, als gerade Harry Pichon, der Faktoreischreiber, an dieser Stelle stand. Auch er wurde – noch schneller und leichter als der Hurone – vorläufig unschädlich gemacht und gab dann auch auf eine Frage des Trappers durch Kopfnicken zu, daß die Wachen soeben erst neu besetzt worden wären, worauf Barbroß auch gerechnet hatte.
Jetzt wollte man noch den Posten rechts von dem zuerst überwältigten Huronen für einige Zeit stumm machen. Gerade als Barbroß und Otto jedoch dem Manne sich wieder von rückwärts näherten, tauchte vor dem voranschleichenden Trapper ein einzelner Roter auf, dessen Benehmen so seltsam war, daß selbst der schlaue Pelzjäger daraus keinerlei Schlüsse auf die eigentlichen Absichten dieses Indianers ziehen konnte, der jetzt plötzlich sich lang in den Schnee gelegt hatte, und nun mit aller Vorsicht auf das Farmhaus zuzukriechen begann.
Dann schob sich der Knabe schnell neben den bejahrten Freund und flüsterte ihm zu: „Es ist Kamacho. Ich erkenne ihn ganz deutlich.“
Barbroß sah jetzt mit einem Male völlig klar: Der junge Hurone wollte zweifellos den Eingeschlossenen heimlich irgend eine wichtige Mitteilung zutragen.
Daher beeilte er sich nun auch, Kamacho einzuholen, berührte dessen Fuß und hob den Zipfel des Leinentuches so weit hoch, daß der schlanke Indianer sein Gesicht sehen konnte. Dieser verriet in keiner Weise, daß die unerwartete Begegnung mit dem Trapper ihn überrasche, raunte ihm jetzt hastig zu, daß in der nächsten Nacht die Farm gestürmt werden solle, und schlich dann auf demselben Weg in das Lager zurück.
Nach diesem Aufenthalt wurde der dritte Posten ebenso geräuschlos beseitigt. Nunmehr durften Barbroß und Otto es ruhig wagen, aufrecht nach dem Lager hinüberzugehen, da ja gerade die drei diesem am nächsten stehenden Wachen nicht weiter zu fürchten waren.
Der Trapper hatte an den Tagen vorher scharf darauf achtgegeben, welche der Hütten Tom Mally und der Häuptling benutzten, die jetzt schier unzertrennliche Freunde waren. Sein Plan ging nämlich auf nichts anderes hinaus, als diese beiden im Schlaf zu überwältigen und als Geiseln nach dem Wohngebäude mitzunehmen.
Die Hütte Kama Sichos war eine der mittleren. Trotzdem gelangten Barbroß und der Knabe ohne Zwischenfall bis an den Eingang. Vor diesem hingen ein paar Pferdedecken. Während der Trapper nun lautlos Zentimeter für Zentimeter sich in die Hütte hineinschob, mußte Otto draußen Wache halten.
Des Trappers Aufgabe, zwei in demselben engen Raume befindliche Männer so zu überrumpeln, daß keiner von ihnen dazu kam, einen Schrei auszustoßen, war ebenso schwer wie in diesem Falle auch verantwortungsvoll. Doch Barbroß hatte in seinem abenteuerlichen Leben als kanadischer Pelzjäger, daß er nun bereits fast zwanzig Jahre lang führte, schon Schwierigeres bewältigt.
In der Hütte war ein deutlicher Geruch nach Spirituosen zu spüren. Barbroß hoffte daher, daß zum mindesten Kama Sicho halb berauscht in bleiernem Schlafe daliegen würde. Durch äußerst behutsames Betasten der Köpfe des einen der in Decken gehüllten Männer stellte er fest, daß er Tom Mally vor sich habe. Das war ihm gerade recht. Wenn ihm dann dessen geräuschlose Betäubung so gut gelang, so hatte er dies hauptsächlich dem Umstand zuzuschreiben, daß Mally sich ganz eng in seine Decken eingewickelt hatte und kaum Widerstand leisten konnte.
Auch Kama Sicho, der an Körperkräften dem Trapper weit überlegen war, gereichte derselbe Umstand zum Unheil. Barbroß würgte ihn und warf sich gleichzeitig mit dem vollen Körpergewicht auf ihn. Ehe der Häuptling noch die Arme aus den Decken frei bekam, schwand ihm schon das Bewußtsein.
Alles weitere war nun für die beiden kühnen Wagehälse ein Kinderspiel im Vergleich zu dem ersten Teile ihrer Aufgabe. Barbroß lud sich Kama Sicho auf den Rücken und trug ihn nach dem Wohngebäude, holte auch Mally ab, den der Knabe inzwischen gleichfalls gebunden und geknebelt hatte.
Sodann kamen die Wachen heran, die genau so in das Wohnhaus geschafft wurden, wo nun die fünf Geiseln in eine Kammer gelegt und sorgfältig bewacht wurden.
Am Morgen zeigte sich dann, wie vorzüglich der Gedanke des Trappers gewesen, auf diese Weise dem Feinde die beiden Anführer zu rauben. Gleich nach Sonnenaufgang nahte sich Kamacho, einen Tannenzweig schwingend. Er überbrachte von dem Unterhäuptling der Abteilung Vorschläge für eine friedliche Einigung: Die Huronen wollten die Farm unbehelligt lassen und abziehen, wenn man die Gefangenen herausgeben würde.
Kamacho fügte dann jedoch aus eigenem Antriebe hinzu:
„Ich warne meine weißen Brüder vor der Hinterlist Matu Schi’s, des weißen Fuchses. Er redet stets mit zwei Zungen. Ich werde ihm bestellen, daß ihr zwei Stunden Bedenkzeit wünscht.“
Dann nickte er den Ansiedlern und dem Trapper freundlich zu und verließ gemessenen Schrittes die Farm.
Barbroß erklärte nun bei dem Kriegsrat, der jetzt infolge der Warnung des jungen Huronen zwecks Besprechung der Matu Schi später zu erteilenden Antwort abgehalten wurde, man solle auf jeden Fall den Roten zunächst die Bedingung stellen, sich aus der Nähe der Farm zurückzuziehen, bevor weiter verhandelt würde. Dann aber müßte unbedingt ein Bote nach der Faktorei geschickt werden, der jetzt, nachdem die oberen Schneeschichten das Gewicht eines Menschen trügen, ganz bequem in zwei Tagen auf Schneeschuhen dorthin gelangen und Hilfe erbitten könnte, bis zu deren Eintreffen man die Verhandlungen hinziehen solle.
Sofort bat Otto den Vater, ihn nach der Faktorei zu senden. Er sei der Einzige außer Barbroß, der das Schneeschuhlaufen bereits eifrig gepflegt und es darin auch zu einiger Gewandtheit und Ausdauer gebracht habe.
Da der Trapper sich jetzt hier mit Recht unentbehrlich glaubte, redete er Balzer zu, den Jungen mit diesem immerhin gefahrvollen Auftrage zu betrauen. So kam es, daß Otto an demselben Tage nach Dunkelwerden, abermals in ein Leinentuch gehüllt, das Wohnhaus verließ und zunächst auf allen Vieren bis zum westlichen Waldrande kroch, von wo er dann auf Schneeschuhen, sehr bald die glatte Schneeebene des zugefrorenen Flusses benutzend, der Faktorei zueilte.
Vorher hatte man Kamacho, der genau nach zwei Stunden wieder erschienen war, für Matu Schi die Antwort mitgegeben, dieser möchte sich am nächsten Mittag selbst auf der Farm zu den Verhandlungen einfinden. Falls bis dahin die Huronen nicht das Stall- und das Vorratsgebäude geräumt und die Wachen sämtlich zurückgezogen haben würden, wollten die Ansiedler sich jedoch auf Verhandlungen überhaupt nicht mehr einlassen. Bei einem Angriff aber würden die Gefangenen sofort erschossen werden. – Kamacho nickte zu diesem Bescheide sehr befriedigt, obwohl die letzte Drohung sich doch gegen seinen eigenen Vater richtete. Nachdem er eine Stunde fortgeblieben war, kam er abermals und überbrachte die Zusicherung von Matu Schi, daß dieser die Vorschläge annehme und auch unbewaffnet am folgenden Mittag mit den Belagerten das weitere besprechen würde.
Barbroß hatte geringschätzig aufgelacht, als der junge Hurone dies ausrichtete. – „Sie sehen, Landsmann,“ hatte er zu dem Farmer gesagt, „wie richtig mein Urteil im großen ganzen über diese halbzivilisierte Bande war, die jetzt plötzlich wieder die wilden Indianer spielen will. Die Kerle möchten uns wohl an den Kragen, fürchten aber unsere Kugeln. Ich begreif’s noch heute nicht, wie sie’s fertiggebracht haben, dem Militär, das sie bis in die Cree-Prärie verfolgt hat, verschiedene Schlappen zuzufügen.“
Die Huronen ahnten nicht, daß dann einer der Eingeschlossenen die Farm verließ, um nach der Faktorei zu eilen, wo jetzt im Winter in dem Unterkunftshause stets eine ganze Anzahl der im Dienste der Hudson-Kompagnie stehenden Pelzjäger wohnte.
Am folgenden Morgen konnten die Eingeschlossenen dann zum ersten Mal nach sieben Tagen wieder die Nebengebäude der Farm betreten. In den Ställen war alles in Ordnung, aber aus dem Vorratshause hatten die Huronen das Wertvollste weggeschleppt, so daß Barbroß sofort dem Farmer vorschlug, nicht eher mit Matu Schi zu verhandeln, bis auch das letzte gestohlene Stück wieder zurückgegeben sei.
Der Unterhäuptling, ein älterer Roter mit einem Gesicht, das zu seinem Namen „weißer Fuchs“, was die Tierbezeichnung anbetraf, sehr gut paßte, spielte zuerst den völlig Harmlosen und tat so, als wüßte er nichts von der Plünderung des Vorratshauses. Als der Farmer dann jedoch energisch wurde, versprach er, daß alles wieder herbeigeschafft werden solle. Er war in Begleitung Kamachos gekommen, der nachher, als über die Auslieferung der Gefangenen gesprochen wurde, dem Trapper heimlich ein Zeichen gab, das dieser so deutete, als ob die Ansiedler sehr auf ihrer Hut sein sollten.
Matu Schi verlangte, die Gefangenen sollten erst freigelassen werden, und dann würden die Huronen die Gegend verlassen und wieder nordwärts ziehen.
Der Trapper, den der Farmer gebeten hatte, für ihn das Wort zu führen, erklärte jedoch (und er hätte dies auch ohne Kamachos warnenden Wink getan), man könne auf diesen Vorschlag nur in der abgeänderten Form eingehen, daß die Roten sich erst bis an die Westspitze des Chilfon-Sees entfernt haben müßten, bevor man Kama Sicho und die anderen Geiseln laufen lassen würde. Sobald die Huronen jene Stelle des zwei gute Tagemärsche im Norden gelegenen Sees erreicht hätten (und hiervon wollte er sich selbst heimlich überzeugen) wären die Gefangenen frei – früher nicht!
Matu Schi überlegte sehr lange. Dann war er jedoch mit allem einverstanden. Die getroffenen Abmachungen wurden nun feierlich von beiden Parteien beschworen, denn Matu Schi hatte sehr oft bei dieser Aussprache beteuert, er sei ein guter Christ und werde einen Eid nicht brechen. Hierauf verließ er mit Kamacho die Farm. Der junge Hurone hatte während dieser volle drei Stunden währenden Verhandlungen kein Wort gesprochen.
Am Nachmittag brachten dann drei Huronen die gestohlenen Gegenstände zurück. Und am anderen Morgen zogen die Roten auch wirklich ab.
Barbroß war klug genug gewesen, schon in der Nacht aus dem Wohnhause nach dem Walde zu schleichen. Hier verbarg er sich, bis die Huronen sich in Marsch gesetzt hatten und blieb dann in den Wäldern stets auf einer Höhe mit dem Trupp, der im Gänsemarsch bis zum Abend ohne Aufenthalt seinen Weg nach Norden fortsetzte und erst kurz vor Dunkelwerden in einem Winkel eines tiefen Tales das Lager aufschlug, das heißt, schnell wieder Hütten errichtete, ohne die bei dieser Kälte ein Übernachten unmöglich war.
Der Trapper entfernte sich jetzt weiter nach Westen und suchte auch für sich eine geschützte Stelle inmitten eines Dickichts zum Lagern aus, hieb mit dem Beile dünne Stämme ab und belegte sie mit Moosstücken und Schnee, nachdem er sie auf den umgestürzten Riesenstamm einer Silbertanne gestützt hatte, die neben der Oregon- und der Douglastanne zu den gewaltigsten Bäumen des wald- und seenreichen Kanadas gehört. In diesem durch ein Feuer mäßig erwärmten Unterschlupf brachte er die Nacht zu. Gegen seinen Willen schlief er bis nach Sonnenaufgang und mußte sich nun sehr beeilen, die Huronen wieder einzuholen, die, wie er in ihrem verlassenen Lager feststellte, schon vor Tagesanbruch weitergezogen waren.
Sein Vorhaben, die Rothäute bis an den Chilfon-See zu verfolgen, war ihm jetzt deshalb außerordentlich erschwert, weil er damit rechnen mußte, daß die Huronen, die sehr wahrscheinlich vermuten würden, auf ihrem Marsche durch einen der Weißen beobachtet zu werden, alles daransetzen würden, diesen Späher in ihre Gewalt zu bekommen. Gestern nun, wo er sich stets seitwärts von ihnen gehalten hatte, konnte er die Gefahr, bemerkt und durch die Übermacht gefangengenommen zu werden, leicht vermeiden. Jetzt aber, wo er sie aus den Augen verloren hatte, war die Sachlage für ihn weit bedrohlicher und erforderte die allergrößte Vorsicht.
Er schnallte daher jetzt die mitgenommenen Schneeschuhe an und eilte, ohne den Spuren der Roten zu folgen, weit rechts der Fährte nach Norden zu weiter, in der Absicht, gegen Mittag durch eine Schwenkung nach links sich davon zu überzeugen, ob die Huronen auch wirklich ihren Marsch nach dem See fortgesetzt oder ob sie nicht etwa inzwischen kehrtgemacht hätten. Nachdem er zwei Stunden auf diese Weise vorgedrungen war, stieß er auf eine tief ausgetretene Fährte, die er für die von etwa sechs bis acht Indianern hielt. Er folgte ihr, von einem unbestimmten Mißtrauen erfaßt, und stand sehr bald vor einem frisch aufgehäuften Schneehügel, über dessen Bedeutung er zuerst sich nicht klarwerden konnte. Als er ihn nun aber mit dem Büchsenkolben auseinanderwarf, legte er sehr bald eine Schicht frisch abgehauener Äste frei, unter denen ein menschlicher Körper lag.
Zu des Trappers trauriger Überraschung war dieser Schneehügel nichts anderes als das Grab Kamachos, desselben jungen Huronen, der doch offenbar nur gezwungen und gegen seine bessere Überzeugung seinem Vater in die Wildnis gefolgt war. Barbroß sah, daß Kamacho eine Stichwunde in der Brust hatte, und er zweifelte jetzt nicht mehr daran, daß hier ein Mord vorlag, durch den wahrscheinlich Matu Schi den ihm unbequemen Häuptlingssohn hatte beseitigen lassen.
Seine anfängliche Trauer über den Tod des jungen, intelligenten und mit den besten Charaktereigenschaften ausgestatteten Indianers verwandelte sich jedoch sehr bald in freudigen Samaritereifer, als er bemerkte, daß der Puls noch leise schlug, der Hurone also, wenn auch nur ganz schwach, noch lebte.
Unter diesen Umständen hielt er es für ratsam, umzukehren und den Schwerverwundeten schleunigst auf der Farm der Pflege der Frauen anzuvertrauen. Nachdem er Kamacho dann verbunden, in eine Decke gehüllt und auf eine aus Tannenästen hergestellte Schleife gelegt hatte, beeilte er sich, die Ansiedlung ohne Aufenthalt zu erreichen.
Otto Balzer hatte unermüdlich bis zum Mittag seinen Weg fortgesetzt. Die gute Schneeschuhbahn auf dem vereisten und verschneiten Flusse erlaubte ihm mit einer großen Geschwindigkeit ohne besondere Anstrengung dahinzueilen.
Nach einer Rast von einigen Stunden in einer ihm von früher her bekannten verlassenen Blockhütte am Ufer nahm er den Marsch neu gestärkt wieder auf. Gegen Abend bemerkte er dann die Spuren eines Segelschlittens, der an dieser Stelle gewendet und wieder nach Nordwest zu dem Flußlaufe gefolgt war. Er wußte, daß die Faktorei am Murray, die sein Ziel war, über ein paar Segelschlitten verfügte und sagte sich, daß vielleicht hier in der Nähe ein paar der Pelzjäger der Hudson-Kompagnie Fallen aufgestellt haben könnten. Diese seine Vermutung traf auch zu. Da die mondhelle Nacht ihn die Schlittenspuren deutlich wahrnehmen ließ, sah er etwa gegen Mitternacht, daß die breiten Striche der Schlittenkufen plötzlich nach rechts in eine jener seeartigen Ausbuchtungen des Murray abbogen, die zumeist dicht vor größeren Stromschnellen sich befinden. Am Westufer dieser Bucht hatten fünf Jäger der Kompagnie sich nun tatsächlich für einen längeren Aufenthalt häuslich eingerichtet und eine ganz bequeme Blockhütte hergestellt. Der Schneeschlitten stand dicht daneben mit seinem bootsähnlichen Kasten und dem hohen Mast. Als der Knabe sich der Hütte näherte, kamen ihm mit wütendem Kläffen drei jener starken, gelbgrauen Hunde entgegen, wie sie in Kanada als Mischrasse zwischen Polarhund und englischem Schäferhund so häufig sind. Gleich darauf trat auch einer der Trapper vor die Tür und spähte nach der Ursache des lauten Lärmens der vierbeinigen Wächter aus.
Der Junge wurde dann sehr freundlich aufgenommen und mußte ganz eingehend die Belagerung der Farm schildern, worauf die Pelzjäger nach kurzer Beratung erklärten, sie würden den einen von ihnen nach der Faktorei senden, um die Leute dort von dem Auftauchen der Roten in dieser Gegend zu benachrichtigen, während die anderen vier sofort mit dem Segelschlitten nach der Farm aufbrechen wollten, wobei sie auf den ziemlich regelmäßig gegen Morgen sich erhebenden Wind rechneten. Dieser stellte sich jedoch erst im Laufe des Vormittags ein. Dann aber glitt der Schlitten unter dem Druck seiner beiden prall gefüllten Segel mit einer Geschwindigkeit flußabwärts, die der eines Schnellzuges nicht viel nachstand. Als die Dunkelheit gegen vier Uhr nachmittags anbrach, war man der Farm bis auf zwei Meilen nahegekommen. Man hätte sie längst erreicht gehabt, wenn nicht der Wind in den letzten Stunden immer mehr abgeflaut wäre.
Auf des Knaben Bitte hin ließ man den Schlitten nun am Ufer in einem Versteck zurück, um den Rest des Weges zu Fuß zu machen, denn der Junge wurde die Angst nicht los, daß den Seinen inzwischen etwas zugestoßen sein könnte. Bei völliger Dunkelheit näherte man sich den Gebäuden. Der Knabe eilte ein Stück voraus. Da gewahrte er auf dem Hofe vor dem Wohnhause ein paar Gestalten, die er sofort als Huronen erkannte, sah auch weiter noch, daß vor dem Stallgebäude zwei bespannte, hoch beladene Lastschlitten standen.
Zum Glück war er noch nicht bemerkt worden. Er hatte sich sofort der Länge nach in den Schnee sinken lassen und kroch nun auf allen Vieren schleunigst zurück und den Pelzjägern entgegen. –
Was mochte sich inzwischen auf der Farm ereignet haben?
Nun – weit Schlimmeres, als die Bewohner vermutet hätten.
Matu Schi, der weiße Fuchs, hatte sehr wohl gesehen, wie Kamacho dem Trapper warnend bei den Verhandlungen zugewinkt hatte. In seinen Augen war Kamacho daher ein Verräter, der den Tod verdiente. Er ließ sich jedoch nichts merken und verfolgte seine heimtückischen Pläne mit größter Schlauheit weiter.
Kurz vor dem durch die mit dem Farmer getroffenen Vereinbarungen notwendig gewordenen Abmarsch nahm er seine Krieger und auch die weißen Buschklepper zusammen und erklärte, daß er allerdings zum Schein die Farm verlassen und nach jenem See marschieren würde, daß jedoch fünfzehn Leute des Trupps unterwegs einzeln an geeigneten Stellen sich absondern und zunächst sich verborgen halten sollten, bis der Späher, der ihnen sicher folgen und ihren Abzug überwachen würde, an ihnen vorüber wäre. Dann erst sollten diese fünfzehn Leute, zu deren Anführer er einen der Buschklepper ernannte, sich wieder vereinigen und in der nächsten Nacht oder, falls die Gelegenheit günstig, noch früher die Farm überrumpeln, wo er mit der Hauptabteilung sich dann in kurzem auch wieder einfinden würde.
Matu Schi’s Plan war klug erdacht. Tatsächlich entging es Barbroß ja auch vollständig, daß die einzelnen Leute des Trupps zurück blieben und daß sehr bald nur noch ein Teil der Feinde den Weg nach Norden zu fortsetzte, während fünfzehn von ihnen doch bereits wieder am Rande der Wälder auf der Lauer lagen, um bei guter Gelegenheit die Farm anzugreifen. Diese bot sich jedoch erst am Spätnachmittag, als die in dem Wohnhause Zurückgebliebenen in verfrühtem Sicherheitsgefühl und im Vertrauen darauf, daß Barbroß ja hinter den Roten her sei, schnell ihre gewohnte Tätigkeit wieder aufgenommen hatten. Als der Farmer und sein ältester Sohn gerade das Vieh zur Nacht fütterten, stürmten ganz plötzlich etwa 8 Huronen in den Stall und überwältigten die beiden Weißen ohne jede Mühe. Gleich darauf waren sie Herren der Farm, befreiten die Gefangenen und sperrten die fünf Mitglieder der deutschen Ansiedlerfamilie in denselben Raum vorläufig ein.
Sowohl Kama Sicho als auch Tom Mally schworen den Deutschen jetzt blutige Rache. Besonders dieser konnte sich in seinem schadenfrohen Triumph gar nicht genugtun mit den gemeinsten Beschimpfungen der Ansiedler und nicht minder mit allerlei Drohungen.
Bei der Vorliebe Kama Sichos für alkoholische Getränke konnte es nicht ausbleiben, daß er, die Buschklepper und mehrere andere Rote sehr bald mit den in dem Keller des Wohnhauses vorgefundenen Rumvorräten ein Siegesfest zu feiern begannen, das bald in ein wüstes Trinkgelage ausartete.
Die trunkene Bande begrüßte dann natürlich den Vorschlag Tom Mallys, den Farmer zur Erhöhung der allgemeinen Ausgelassenheit ein wenig zu martern, mit brüllendem Geheul. Man schleppte Balzer in das große Wohngemach und fesselte ihn an die eine Tür. Mally feuerte die sechs Schüsse seines Revolvers als erster auf den Wehrlosen ab. Die Kugeln schlugen sämtlich dicht am Kopfe des Farmers in die Türbalken. Dann wollte Kama Sicho seine Geschicklichkeit im Messerwerfen beweisen. Doch der Alkohol hatte seine Hand unsicher gemacht. Anstatt dicht am Halse des Deutschen vorbeizugehen, traf das Messer dessen linkes Ohr und spießte es an die Tür.
Das Hohngelächter seiner Stammesgenossen brachte den Häuptling um den Rest seiner Vernunft. Er riß das Wurfbeil aus dem Gürtel, schwang es ein paarmal um den Kopf und wollte es gerade der Hand entgleiten und in die Tür über dem Kopfe des Gefesselten fahren lassen, als von der zweiten kurz vorher leise von draußen geöffneten Tür ein Büchsenschuß ertönte und eine Kugel die um den Beilstiel geballte Hand des Huronen traf. Kaum war der Donner des Schusses verhallt, als auch schon einer der drei neben Otto Balzer in der Tür stehenden Pelzjäger der betrunkenen Bande zurief: „Hände hoch – keinen Widerstand! Wir sind gerade zur rechten Zeit gekommen, um Euch Schuften gehörig eins auszuwischen.“
Vor den drohend auf sie gerichteten Büchsen und Revolvern gaben die plötzlich nüchtern gewordenen klein bei, ließen sich einzeln binden und wurden zu den schon vorher auf dem Hofe überwältigten Roten in das Vorratsgebäude eingeschlossen. Die Freude der Geretteten, besonders der Frauen, war unbeschreiblich. Als einer der Pelzjäger dann jedoch von Harry Pichon, der als ausgesprochener Feigling durch Verrat sein Leben auf jede Weise zu retten suchte, erfahren hatte, daß der Haupttrupp der Huronen vielleicht sehr bald hier erscheinen könne, wurde schleunigst das Wohnhaus erneut in Verteidigungszustand gesetzt. Die Nacht verlief ruhig. Gegen Abend tauchte dann Barbroß, die Schleife mit dem bereits in heftigem Wundfieber daliegenden Kamacho hinter sich herziehend, vom Flusse her auf. Der junge Hurone wurde nun sofort sorgsam gebettet und von den dankbaren Frauen liebevoll betreut.
Jetzt hatte der alte Trapper auch endlich Zeit und Gelegenheit sich näher mit der Person Mallys zu beschäftigen. Als er diesen auszuforschen suchte, wo er mit ihm früher einmal bereits zusammengetroffen sei, mischte sich abermals Harry Pichon ein und rief Barbroß zu:
„Er ist ja gar nicht Tom Mally! Sein wahrer Name ist Charles Breswell.“
„Charles Breswell!“ murmelte Barbroß, und sein Gesicht verzerrte sich dabei bis zur Unkenntlichkeit. „Charles Breswell also, der – Mörder meines Weibes, meiner zwei unmündigen Kinder! Über zwanzig Jahre liegt das alles zurück. Damals besaß ich eine kleine Schneidemühle an den Wasserfällen des Nelson-Flusses nördlich vom Winnipeg-See. In meiner Abwesenheit mordeten Buschklepper mein Weib, meine Kinder, steckten die Gebäude in Brand! Über zwanzig Jahre habe ich Dich, Charles Breswell, den damaligen Anführer jener Räuberhorde, überall hier in Kanada gesucht. Jetzt soll Gott zwischen uns richten! Da – ich schneide Deine Fesseln entzwei. Nimm Deinen Revolver. Auf dem Hofe soll sich entscheiden, wer von uns sterben muß – sofort! Zwanzig Schritt genügen als Entfernung, und jeder von uns kann gleichzeitig feuern.“
Der Mörder weigerte sich. Da schleppte man ihn gewaltsam ins Freie. Die Vorsehung war gerecht. Gleich die erste Kugel des alten Trappers traf den Schurken ins Herz. –
Die von Matu Schi vorausgeschickten Späher hatten gerade beobachten können, wie Mally auf diese Weise gerichtet wurde, meldeten ihrem Anführer, daß die Bewohner der Farm Verstärkung erhalten hätten, worauf der Haupttrupp der Roten schleunigst abzog und in die Cree-Prärie zurückkehrte, wo die Huronen unter Matu Schi’s Anführung noch ein volles Jahr den Schrecken der verstreut liegenden Ansiedlungen bildeten, bis es einem größeren Militäraufgebot gelang, sie einzukreisen und für alle Zeit unschädlich zu machen.
Kama Sicho und die weißen Buschklepper wurden später zum Tode verurteilt und durch den Strang hingerichtet. Nur Harry Pichon wanderte auf Lebenszeit ins Zuchthaus.
Kamacho aber fand auf der deutschen Farm am Murray eine neue Heimat und half getreulich mit, den Wohlstand der fleißigen Ansiedler zu mehren, für die es stets ein Freudentag[3] war, wenn der alte Barbroß auf seinen Jagdstreifen auf der Farm wieder einmal vorsprach. Durch ihn wurde auch Otto Balzer schon in jungen Jahren einer der erfolgreichsten Pelzjäger.
Was aus der von Barbroß entdeckten Goldader geworden, die hier nur eine nebensächliche Rolle gespielt hat, sei im nächsten Bändchen erzählt.
Der nächste Band enthält:
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin 26.
Anmerkungen: