Sie sind hier

Das Geheimnis des Trappers

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

Nachdruck auch im Auszuge verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26.

 

Das Geheimnis des Trappers.

 

Von W. Belka.

 

1. Kapitel.

Hartnäckige Verfolger.

Ein ganzes Bündel von Blitzen zuckte auf und hüllte für Sekunden die in nachtschwarzer Dunkelheit daliegende Gegend in fahles Licht, ließ die bewaldeten Ufer eines jener kleinen Seen, an denen Kanada so reich ist, wie ungeheure Mauern auftauchen und mitten auf dem langgestreckten Gewässer ein Rindenkanu erkennen, in dem zwei Gestalten hockten, von denen die eine ein kleines Paddelruder handhabte, während die andere mit schußfertiger Büchse einen schnellen Blick nach rückwärts warf.

Auf die elektrischen Entladungen folgten ein ohrenbetäubender Donnerschlag und gleich darauf ein Regenguß, der die beiden Leute in dem winzigen Boote zwang, sich schleunigst ihre Decken umzuhängen, die eigentlich für die Reittiere der Kanuinsassen bestimmt waren.

Jetzt hörte der eine der beiden mit Rudern auf, beugte sich ganz dicht zu seinem Gefährten hin und sagte in deutscher Sprache:

„Der Regen kommt uns sehr gelegen, mein Junge. Wir werden den Rothäuten, die uns nun schon seit Mittag hetzen, ein Schnippchen schlagen. Selbst der Lichtschein der Blitze kann diesen Regenschleier nicht durchdringen, so daß wir es getrost wagen dürfen, an jene Stelle des südlichen Ufers zurückzukehren, wo wir das Kanu vor kaum zehn Minuten im Gebüsch versteckt gefunden haben und wo noch der zweite, größere Nachen lag, den wir leider nicht mehr so stark beschädigen konnten, daß die Huronen ihn nicht zu unserer Verfolgung benutzt haben sollten. Wenn wir uns jetzt mehr nach dem Ostufer zu halten, dürften die Roten an uns vorüberrudern. Vorsichtig müssen wir natürlich sein. Mach’ also die Augen gehörig auf, Junge!“

Abermals begann das Paddelruder nun seine Tätigkeit und trieb das Kanu schnell über den See durch die rauschenden Regenmassen nach Süden zu.

Der, den der Andere mit der vertraulichen Rede „Mein Junge“ angesprochen hatte, verdiente diese Bezeichnung mit Recht, da er kaum das fünfzehnte Lebensjahr erreicht hatte, wenn er auch für dieses Alter körperlich und geistig sehr gut entwickelt war.

Er hieß Otto Balzer und war der jüngste Sohn eines deutschen Farmers, der erst vor etwa neun Monaten im Territorium Athabaska am Murray-Fluß eine neue Ansiedlung gegründet hatte, nachdem er in der alten deutschen Heimat als Gutsbesitzer ohne seine Schuld nicht recht vorwärtsgekommen war.

Die deutschen Auswanderer hatten dann sehr bald in der Person eines in Kanada seit vielen Jahren als Trapper ansässigen Landsmannes, der allgemein nur Barbroß – eine Abkürzung von Barbarossa – seines roten Haares und Bartes wegen genannt wurde, einen treuen Freund und Berater gefunden.

Dieser Pelzjäger, eine kleine, sehnige Gestalt mit einem verwitterten, gutmütigen Gesicht, hatte den Ansiedlern zu Beginn des verflossenen Winters auch geholfen, einen Angriff einer Indianerhorde abzuschlagen, die zu einer größeren Huronenabteilung gehörte, der das Leben in ihrer Reservation am Winnipeg-See, aufgereizt durch den als Propheten sich gebärdenden Häuptling Kama Sicho, zu eintönig geworden war und die dann eines Tages im vergangenen Spätsommer mit Weibern und Kindern sich gewaltsam bis in die Cree-Prärie nordwestlich vom Fort Murray durchgeschlagen hatte, wo sie alsbald ein Schrecken der weit zerstreuten Farmen geworden war und, ihre Plünderungszüge sogar weit südlich bis an den Murray-Fluß ausdehnend, auch mit den deutschen Ansiedlern einen Strauß ausgefochten hatte. Hierbei waren sowohl Kama Sicho als auch einige weiße Buschklepper, die sich ihm angeschlossen hatten, gefangen genommen und dann später gehängt worden, während des Häuptlings siebzehnjähriger Sohn Kamacho, der die blutdürstigen Pläne seines Vaters mißbilligte, von der Familie Balzer als lieber Hausgenosse aufgenommen wurde.

Der junge Hurone befand sich jetzt seit zwei Wochen besuchsweise in der Indianerreservation am Winnipeg-See, wo er seiner Zeit in der Person eines Deutschen einen treuen Freund und Lehrer gefunden hatte, den er gern einmal wiedersehen wollte. Nachdem er die Farm verlassen hatte, war dann Barbroß der für ihn als Trapper allzu eintönigen Daseins als friedlicher Ansiedler längst überdrüssig, mit dem Vorschlag an Ottos Vater herangetreten, ihm den Knaben für einen Monat als Begleiter bei einer Jagdstreife nach den westlich des Cree-Sees gelegenen Bergen mitzugeben, wo er eine große Biberkolonie um ein paar Dutzend der wertvollen Felle dieser Tiere „erleichtern“ wollte, wie er sich ausdrückte. Acht Tage darauf waren dann Barbroß und sein junger Freund, als sie gerade am Ostufer des Cree-Flusses lagerten, der die gleichnamige Prärie im Westen begrenzt, ganz überraschend von einigen zwanzig Huronen überfallen worden, die unter Führung des Nachfolgers Kama Sichos, eines sehr listigen Roten namens Matu Schi, dort dem Fischfange obgelegen hatten. Nur mit knapper Not waren die beiden unter Zurücklassung ihrer Reittiere den Huronen entkommen, die ihnen um so eifriger nachsetzten, als es sich um einen Teil derselben Rothäute handelte, die damals den mißglückten Angriff auf die deutsche Ansiedlung unternommen hatten. Der Trapper und der Knabe hofften, nachdem sie eine Meile ostwärts in einem Bache entlang gewatet waren, die Verfolger losgeworden zu sein, mußten aber, als sie sich dann abermals in weitem Bogen nach Norden dem Cree Flusse wieder zuwandten, sehr bald erkennen, daß die Rothäute ihnen dicht auf den Fersen waren. Vom Mittag bis zum Abend dauerte diese hartnäckige Verfolgung. Dann brach das Gewitter los, und jetzt sehen wir Barbroß und seinen jungen Freund mit aller Vorsicht dem Südufer jenes kleinen Sees zurudern, wo sie mit Hilfe des starken Regens nunmehr die Huronen endgültig von ihrer Fährte abzubringen gedachten.

Otto Balzer hielt nach allen Seiten scharf Ausschau. Nach einer Weile glaubte er dann rechts von ihrem Kanu das Geräusch hastig bewegter Ruder zu hören und sah nun auch durch die Regenschleier beim Aufblitzen einer neuen elektrischen Entladung undeutlich einen dunkleren Fleck auf dem Wasser, der nur jener Nachen sein konnte, der in dem gleichen Versteck wie das Kanu wahrscheinlich von Pelzjägern verborgen worden war und der nun ohne Zweifel einen Teil der Rothäute als Insassen hatte.

Leise teilte er seine Beobachtung Barbroß mit, der darauf erwiderte: „Ach – also habe ich richtig vermutet gehabt! Ganz sicher nehmen die Huronen an, wir würden versuchen, auf dem kleinen Flüßchen, das vom Nordende dieses Sees dem Cree zuströmt, zu entwischen. Sie werden daher sämtlich jetzt dorthin eilen, der eine Teil mit dem Nachen, die übrigen am Ufer entlang zu Fuß. Somit haben wir freie Bahn nach Süden zu, und bei diesem Guß kann selbst ein indianisches Auge morgen früh bei Tageslicht unsere Spur nicht mehr erkennen, so daß wir, wenn wir das Kanu nachher versenken, uns fernerhin ganz sicher fühlen können.“

Der alte Trapper hatte sich nicht getäuscht. Das Südufer schien von den Huronen verlassen zu sein. Nachdem die beiden Pelzjäger dann ihr kleines Fahrzeug mit Steinen beschwert hatten, schlugen sie in den Boden ein paar Löcher und gaben ihm einen kräftigen Stoß, der es dann weit ab vom Ufer wegsacken ließ.

Eine halbe Stunde später hatte das Gewitter ausgetobt und auch der Regen aufgehört. Sehr bald erschien auch die volle Scheibe des Mondes am klaren Nachthimmel und tauchte die mit frischen Gräsern bestandene Savanne in ein mildes Licht, das vollauf genügte, um sich in der weiten, wellenförmigen Ebene den bequemsten Weg zu wählen. Barbroß freilich sah als Führer weniger darauf, möglichst schnell vorwärts zu kommen, wählte vielmehr stets recht dicht bewachsene Bodenstellen aus, wo das niedergedrückte, feuchte Gras sich sehr bald wieder aufrichten mußte und keine Spuren zurückbleiben würden, was auf sandigem, grasfreiem Boden weit leichter geschehen konnte.

Schweigend marschierten die beiden volle drei Stunden durch die nur von kleineren Waldstücken und Buschinseln in ihrer Eintönigkeit unterbrochene Prärie dahin. Dann näherten sie sich einem größeren Walde, und jetzt erst klärte Barbroß den Knaben darüber auf, daß er nichts anderes beabsichtige, als den fraglos am Cree-Flusse bei den Fischfanggeräten zurückgebliebenen Huronen die Reittiere wieder abzunehmen, die seiner Überzeugung nach dort sich noch befinden müßten. – „Wir werden ihnen doch Deinen braven Braunen und mein alterprobtes Maultier nicht lassen!“ fügte der Trapper mit kurzem Auflachen hinzu. „Nein, die roten Schufte sollen merken, daß wir schlauer sind als sie. Dort vor uns der Waldstreifen ist das Ufergehölz des Cree, und dort halbrechts, wo Du die einzelnen Tannen über die Baumkronen hinwegragen siehst, haben wir heute mittag gelagert und wurden von den fischenden Huronen überrascht. Jetzt heißt’s recht behutsam das Ufer nach den zurückgebliebenen Rothäuten absuchen. Ich denke, sie werden ein Feuer angezündet haben, schon der Mücken wegen, die in der Nähe des Flusses jetzt in ganzen Wolken auftreten.“

Zehn Minuten darauf blieb Barbroß plötzlich stehen. Die beiden hatten bereits die Uferwaldung erreicht, die zumeist aus Pappeln und Erlen bestand.

Der Trapper raunte jetzt dem Knaben zu, er röche den Rauch eines Feuers; Otto sollte ihn an dieser Stelle erwarten: er würde zunächst allein sich an das Feuer heranschleichen.

Er verschwand dann auch in der hier unter den Baumkronen herrschenden Dunkelheit wie ein lautlos dahingleitender Schatten und kehrte erst nach einer geraumen Weile zurück.

„So, nun können wir unsere Tiere holen,“ erklärte er jetzt trockenen Tones. „Ich habe mir erlaubt, den beiden an ihrem Feuer sitzenden Huronen mit dem Büchsenkolben klarzumachen, daß sie vorläufig uns im Wege sind. Komm’ mein Junge, wir können jetzt ganz gemütlich mit dem Braunen und meinem lieben Maultier ein Wiedersehen feiern.“

Otto war nicht weiter erstaunt darüber, daß Barbroß die Roten so kurzer Hand niedergeschlagen hatte, da er dessen Geschicklichkeit im Anschleichen und im Gebrauch der Waffen kannte.

Er fand sie sogar am Feuer schon mit ihren eigenen Lassos gebunden vor und erblickte nun auch die beiden Reittiere, die auf der kleinen Lichtung hier ein Ende abseits angepflockt waren. Keine dreißig Meter entfernt rauschten die Wasser des mit starkem Gefälle dahingleitenden Cree-Flusses, und dort am Ufer lag auch das Floß, von dem aus die Huronen mit Netzen gefischt hatten.

Barbroß nahm den Rothäuten dann ihre Decken weg, und gleich darauf ritten die Gefährten am Ufer entlang südwärts, fanden bald steinigen Boden, wo nur geringe Fährten entstehen konnten, zerschnitten hier die Decken der Huronen in kleinere Lappen und umwickelten damit die Hufe ihrer Tiere, setzten dann ihren Weg fort, indem sie sich noch eine Stunde lang auf steinigem Boden hielten, und bogen nun scharf nach Westen in die offene Savanne ab, die sich von hier zum Fuße der sogenannten Bully-Berge, ihrem Ziele, hinzog. Erst beim Morgengrauen wurden den Reittieren die lästigen Tuchlappen entfernt und zwar abermals auf steinigem Boden, der in den Prärien Kanadas keine Seltenheit ist. Nun ritten sie in scharfem Trab noch bis an einen Bach, wo sie einen Wapiti-Hirsch aus seinem Lager aufscheuchten, den der Knabe vom Sattel aus mit sicherer Kugel niederstreckte.

Als die Hinterkeule des Hirsches am Spieß über einem Feuer briet und der jetzt nach all den Anstrengungen völlig erschöpfe Knabe gegen seinen Willen neben dem Feuer fest eingeschlafen war, holte Barbroß aus dem Zipfel seines Jagdrockes ein viereckiges, etwa zwanzig Zentimeter im Quadrat messendes Stück Leder hervor, auf dem sich eine Zeichnung in grüner Farbe befand.

Es war eine grob angelegte Skizze, die etwa dem Profil eines menschlichen Kopfes glich. Barbroß betrachtete sie lange. Allerlei abenteuerliche Erinnerungen tauchten dabei in ihm auf an jenen Tag, als er bei der Verfolgung eines von ihm angeschossenen Baribals (eine Bärenart) jene Goldader entdeckte, von der er bisher nur kleine Stücke des edlen Metalles abgesprengt und verkauft hatte und die er nun zum zweite Mal aufsuchen wollte, um seinem jungen Freund dieses wertvolle Geheimnis der Goldfundstelle anzuvertrauen.

Jetzt verwahrte er die Skizze wieder im Zipfel seines Lederwamses und legte Holz nach, damit die Keule rascher gar würde.

 

2. Kapitel.

Der menschliche Kopf.

Dort, wo die Gefährten am Bache lagerten, gab es am anderen Ufer ein kleines Gehölz von amerikanischen Eichen, zwischen denen sich lange Streifen von Brombeer- und Dornengestrüpp hinzogen.

Verborgen in diesem Gestrüpp hatte bereits beim Eintreffen der Deutschen ein Mann gelegen, der ihr Tun und Treiben dann mit einer Aufmerksamkeit beobachtete, die notwendig vermuten ließ, daß die beiden Weißen ihm nicht ganz unbekannt sein könnten.

Dieser Mann machte in seinem zerfetzten städtischen Anzug einen recht verwahrlosten Eindruck. Auch sein Gesicht gehörte zu denen, die auf den ersten Blick erkennen lassen, daß man es mit einem sehr mit Vorsicht zu behandelnden Charakter zu tun hat.

Tatsächlich war der im Gestrüpp Liegende denn auch vor zwei Monaten aus dem Zuchthaus in Ottawa (Stadt am gleichnamigen Flusse, Sitz des obersten Gerichtshofs Kanadas) ausgebrochen und hatte sich bis hierher unter den größten Entbehrungen und Gefahren durchgeschlagen, geleitet von einer Hoffnung, deren Erfüllung ihn für alle Zeit aller Sorgen überhoben hätte.

Seine Augen hatten gierig aufgeleuchtet, als Barbroß die Skizze hervorholte und besichtigte, und die Worte, die ihm jetzt halb unbewußt über die Lippen kamen, bewiesen, daß der Trapper ihm wirklich kein Fremder war.

„Ah – es ist dieselbe Zeichnung offenbar, die ihm damals auf der Faktorei aus dem Rocke fiel und die ich ihm aufhob, wobei ich einen schnellen Blick darauf werfen konnte, der mir genügte, um zu erkennen, daß mitten in den grünen Strichen und Linien ein rotes Kreuz gerade dort sich befand, wo auf diesem merkwürdigen Bild eines menschlichen Kopfes etwa das Ohrläppchen lag. Eine sehr genaue Landkarte des Territoriums Athabaska verriet mir dann, daß darauf die Bully-Berge mit ihren sie umgebenden kleinen Savannen und Wäldern sowie dem Cree-See ungefähr einem Menschengesicht im Profil ähnlich sehen und daß gerade die Bully-Berge die Gestalt eines Ohres haben. Es müßte doch sonderbar zugehen, wenn ein so schlauer Bursche wie ich jetzt nicht die Goldader des alten Barbroß hiernach finden sollte. Denn tausend gegen eins wette ich, daß er mit dem Jungen dorthin unterwegs ist! Ich habe also unerhörtes Glück gehabt, werde den beiden nun heimlich folgen und so ohne Mühe ans Ziel gelangen.“ –

Am Nachmittag brachen Barbroß und Otto auf, nachdem auch der Trapper noch ein paar Stunden geschlafen hatte. Sie ritten jetzt genau nach Westen, zumeist durch wellige Savannen, in denen nur selten weite Strecken Sumpfgebiet, das dann stets dicht mit Erlen bestanden war, auftauchten. Kurz vor Dunkelwerden erschienen am Horizont bewaldete Höhen, – die Bully-Berge, wie Barbroß seinem kleinen Freunde erklärte. Doch erst gegen Mitternacht erreichten sie die Ausläufer der Höhen, machten nun halt und lagerten in einem kleinen Tale, wo es gutes Gras für die Tiere und auch eine klare Quelle gab.

Der Mann mit dem Galgenvogelgesicht, der einen elenden Klepper ritt, war stets hinter ihnen geblieben, obwohl er sein Pferd immer wieder mit den Sporen hatte antreiben müssen, um die Vorausreitenden nicht aus den Augen zu verlieren.

Als Barbroß nun am Lagerfeuer dem Knaben mitteilte, daß er weniger der Biber als vielmehr der Goldfundstelle wegen gerade diese Berge aufgesucht hätte, lag der Fremde abermals nicht weit ab in den Büschen und hörte so ziemlich alles mit an, was sie sprachen.

Der Trapper hatte dem erstaunt aufhorchenden Jungen mit kurzen Worten geschildert, wo der Eingang zu jener engen Schlucht zu finden sei, in der das Gold unter einer dünnen Schicht von Moos und Sand in einer starken Ader zu Tage trete, und fügte hinzu:

„Du weißt, daß ich Dich wie meinen eigenen Sohn lieb gewonnen habe. Ich besitze keine Angehörigen mehr. Du sollst daher auch mein Erbe sein. Aber versprich mir hier in die Hand, nicht eher die Schätze jener Schlucht zu heben, bis Du zwanzig Jahre alt geworden bist. Reichtum verführt zum Müßiggang. Du sollst erst arbeiten lernen, mein Junge. Nur die Arbeit und der Erfolg unseres Fleißes schafft uns die wahre Zufriedenheit.“

Gleich darauf streckten sie sich zum Schlafe aus, eingehüllt in ihre Decken, da die Nacht recht kühl war.

Der heimliche Lauscher entfernte sich nun ebenfalls geräuschlos und kehrte zu seinem Pferde zurück, das er in einem Dornendickicht untergebracht hatte. Gerade als er dieses Versteck wieder verlassen hatte, um in einem nahen Bache seine Feldflasche zu füllen, vernahm er Hufgetrappel und bemerkte sehr bald einige zwanzig Rothäute, die im Schritt einem der ihrigen folgten, der zu Fuß tief gebückt auf der im Mondlicht ziemlich deutlich zu erkennenden Fährte des Trappers und des Knaben entlangging.

Beim Anblick der Indianer war der Mann vor Schreck zusammengezuckt. Er wußte sofort, daß diese Roten nur ein Teil jener Huronenhorde sein konnten, die aus der Reservation am Winnipeg-See entwichen waren und mit denen er bereits einmal zusammengetroffen war, wußte auch, was ihm bevorstand, wenn sie seiner habhaft würden. Blitzschnell überlegte er sich weiter, daß, falls Barbroß und der Junge von den Rothäuten überrumpelt würden, er keine Aussicht hätte, die Goldader je zu finden. Schnell entschlossen huschte er deshalb den Huronen im Bogen voraus, eilte nach dem Tale hin, wo die beiden Deutschen lagerten und rüttelte den Trapper wach.

Der fuhr hoch, starrte den Menschen halb schlaftrunken ganz verwirrt an und rief dann:

„Verdammt noch eins, was treibt Ihr denn hier, Harry Pichon, he?“

„Laßt das Fragen,“ stieß der Zuchthäusler überstürzt hervor. „Bringt Euch in Sicherheit. Die Huronen sind keine fünfhundert Meter mehr hinter Euch!“

Dann verschwand er schleunigst wieder in den Büschen.

In wilder Hast weckte Barbroß den Knaben, warf den Reittieren die Sättel auf und raffte die Decken zusammen. Er zweifelte nicht, daß Pichons Warnung ernst gemeint war, wenn er sich auch nicht erklären konnte, warum gerade dieser Mann es zu verhindern gesucht hatte, daß sie den Roten in die Hände gerieten.

Kaum hatten der Trapper und Otto das Tal verlassen und waren in einer breiten, kanonartigen Schlucht tiefer in die Berge eingedrungen, indem sie zunächst noch ihre Tiere am Zügel führten, als auch schon Matu Schi mit seinen Huronen an dem bisherigen Lagerplatz der beiden erschien und an dem noch glimmenden Feuer erkannte, daß die Weißen vor nicht langer Zeit noch hier gewesen sein mußten. Sofort schickte er nach allen Seiten hin Späher aus, von denen einer dann sehr bald mit der Meldung zurückkehrte, die Flüchtlinge hätten sich nordwärts gewandt und soeben einen Höhenkamm überschritten, wo ihre Gestalten genau zu sehen gewesen wären.

Eine mächtige Hetzjagd begann jetzt, die nicht weniger aufregend war als die am vorvergangenen Tage, dafür aber für die Flüchtlinge insofern weit gefährlicher, als Matu Schi ihnen bald sowohl den Weg nach der offenen Prärie als auch den tiefer in die Berge hinein versperrt hatte.

Bis Mitternacht dauerte diese wilde Jagd, bei der Barbroß verschiedentlich durch Schüsse die am besten berittenen Roten zurücktreiben mußte. Das Gelände hier bot auch keinerlei Möglichkeit, unbemerkt nach der Seite hin auszubrechen. Kurz, die Lage war für die beiden Gefährten derart bedrohlich, daß der Trapper bereits entschlossen war, an einer günstigen Stelle im Vertrauen auf eine spätere bessere Möglichkeit des Entweichens Stand zu halten.

Plötzlich stolperte Ottos Brauner. Der Knabe riß ihn zwar vorn noch schnell genug hoch, um ihn vor einem Sturz zu bewahren, merkte dann aber, daß sein Pferd immer stärker lahmte. Auch Barbroß sah dies, rief dem Knaben nun zu, abzuspringen und ihm zu Fuß zu folgen. Er schwang sich dann auch selbst aus dem Sattel, nahm die Decke und die hastig losgeschnittene Satteltasche über den Arm und lief nach links auf eine Felsengruppe zu, zwischen der mehrere riesige Douglastannen eng beieinander sich erhoben, so daß die Kronen dieser gut hundert Meter hohen Stämme, zumal einige davon schräg gewachsen waren, einen einzigen ungeheuren Ballen von Ästen, Zweigen und immergrünen Nadeln bildeten.

Es war nicht leicht für die Flüchtlinge, den schroffen Felshügel zu erklimmen, auf dem die mächtigen Bäume wuchsen. Absichtlich hatte Barbroß aber gerade diesen enormen Steinblock als Zufluchtsstätte ausgewählt, da er die beste Verteidigungsmöglichkeit bot.

Oben auf der flachen, verwitterten und sogar mit Gräsern und Büschen bewachsenen Spitze angelangt, warf der Alte sich sofort nieder und feuerte beide Läufe seiner Büchse auf einige der Roten ab, die zu Pferde bis an den Fuß des Felsens vorzudringen suchten, erschoß ihnen zwei Tiere und scheuchte so die anderen zurück.

Dann schaute er sich hier genauer um, machte Otto auf die Riesenbäume aufmerksam, die ihr Wurzelwerk in erdgefüllte Spalten der fünfeckigen, etwa vierzig Quadratmeter großen Plattform gezwängt hatten, und gewahrte jetzt erst, daß mitten unter den Douglastannen eine einzige Hemlocktanne wuchs, die man auch Sprossentanne nennt, da sie kurze, dicke Äste bis zum Boden hinab besitzt, mit deren Hilfe sich dieser Baumriese unschwer erklettern läßt.

Diese eingehendere Prüfung der kleinen Festung, die Barbroß gegen die Roten verteidigen wollte, enttäuschte ihn nun insofern sehr, als er feststellte, daß keine dreißig Meter entfernt nach Norden zu ein ähnlicher Felsenhügel lag, der noch höher als dieser hier war und auf dem gleichfalls mehrere der riesigen Douglastannen ihre schlanken Stämme und Nadelkronen zum Himmel hochreckten, während noch weiter nördlich in einer Berglehne ein ganzer Wald derselben gigantischen Bäume sich anschloß.

Der Trapper erkannte sofort, daß diese Plattform von der Spitze des anderen Felsens aus bequem unter Feuer genommen werden konnte, mithin kaum zu halten war. Als er dies dem Knaben gegenüber recht kleinlaut äußerte und hinzufügte, daß es jetzt leider zu spät wäre, diesen Felsen mit dem nördlicheren zu vertauschen und daß sie jetzt in einer recht argen Patsche säßen, wies Otto stumm nach oben auf die eine einzige riesige grüne Kugel bildenden Kronen der mächtigen Stämme. Barbroß verstand ihn sofort, rief nun wieder ganz zuversichtlich:

„Hast recht, mein Junge! Dort sind wir vorläufig in Sicherheit. – Vorwärts, schnüren wir uns unser Gepäck mit unseren Lassos auf den Rücken. Dann will ich voranklettern. Die Hemlocktanne kommt uns wie gerufen. Ohne sie wär’s uns unmöglich, nach oben in die Kronen zu gelangen. es sei denn, wir hätten ein gutes Hundert eiserne Schiffsnägel hier, die man in die Douglastannen als Steigeisen einklopfen könnte. Doch jetzt hinauf auf unsere Baumfestung, ehe sich die Roten drüben auf der Plattform eingenistet haben und uns bleierne Grüße zusenden.“

 

3. Kapitel.

Das Adlernest.

Otto hatte sich das Erklettern der Sprossentanne doch leichter gedacht. Sie kamen sehr langsam höher, da Barbroß jeden der kurzen Äste erst genau prüfte, ob er auch nicht morsch wäre, und da das auf den Rücken geschnürte Bündel sowie die umgehängte Büchse recht hinderlich waren.

Die beiden Gefährten konnten auch von Glück sagen, daß hier, wo die Baumkronen das Mondlicht nicht durchließen und tiefe Schatten die Stämme einhüllten, nicht von dem anderen Felsen zu erkennen war, wie mühsam die Flüchtlinge sich emporarbeiteten. Fast fünfzig Meter hatten sie in dieser äußerst anstrengenden Weise zurückzulegen. Dann begannen die längeren Äste, die bedeutend dichter aneinander aus dem Stamm hervortraten und die Kletterarbeit ganz wesentlich vereinfachten.

In einer bequemen Astgabel mußte der Knabe sich dann zunächst, ganz behaglich dasitzend, ausruhen, während Barbroß ohne Gepäck und Büchse nochmals einige zwanzig Meter tiefer stieg und hier mit seinem Beile eine ganze Anzahl der kurzen Äste bis dicht an den Stamm abschlug, so daß in den natürlichen Sprossen der Tanne eine Lücke von fünf Meter Länge etwa entstand und es nunmehr unmöglich war, von unten die Kronen zu erreichen.

Als der Trapper dann zu Otto zurückkehrte, meinte er mit zufriedenem Lachen: „So, mein Junge, jetzt ist unsere Baumfestung nur durch Aushungern zu nehmen. Na – bis wir die Reste des von Dir erlegten Wapiti-Hirsches vertilgt haben, wird schon irgendwie Rat werden.“

Selten haben sich wohl zwei von Rothäuten verfolgte Weiße in einer so eigenartigen Lage befunden wie unsere beiden Abenteurer. Rings um sie her lagerte tiefste Dunkelheit. Nur auf das Tastgefühl ihrer Hände konnten sie sich verlassen, mußten vor jeder unvorsichtigen Bewegung sich hüten und wurden auch durch das andauernde Schwanken ihres luftigen Zufluchtsortes immer aufs neue daran erinnert, wo sie sich befanden – eben einige siebzig Meter über der Erde in der Krone einer Riesentanne.

Barbroß gebrauchte in dieser Finsternis denn auch eine geraume Weile, ehe er seine Decke dem Knaben reichen konnte, nachdem dieser ihm sein Bündel übergeben hatte.

„Wickle Dich ordentlich ein, mein Junge,“ sagte der Trapper jetzt in herzlicher Fürsorge.

Endlos langsam schlichen dem Trapper die Stunden hin. Er hatte sich unterhalb des Knaben eine ähnliche Astgabel als Sitz ausgesucht, die ihm gleichfalls eine Rückenlehne bot, hatte seine kurze Holzpfeife so und so oft frisch gestopft und durch den Tabak leichter den Schlaf verscheucht.

Dann – endlich im Osten der erste Schimmer des neuen Tages. Schneller und schneller lichtete sich das nächtliche Dunkel. Kaum war es genügend hell geworden, als Barbroß mit völlig steifen Gliedern sich noch höher in die Baumkrone hinaufzuarbeiten begann. Er tat’s, um warm zu werden. Bald konnte er feststellen, daß die mächtigen Äste der Riesenbäume überall sich kreuzten und daß man auf diesen Ästen bequem von einem Baum zum anderen gelangen konnte.

Die ersten Sonnenstrahlen, die die Kronen der Baumriesen trafen, begrüßte er mit einem tüchtigen Schluck aus seiner Flasche. Der Rum belebte ihn. Er suchte nun nach einer recht günstigen Stelle in dem Astgewirr, wo man eine Plattform einbauen konnte. Hierbei verließ er die Krone der Sprossentanne und kletterte in die der dicksten der benachbarten Douglasfichten hinüber. Es war dies ein Baumgigant von gut zweiundeinhalb Meter Stammstärke. Barbroß klomm höher und höher. Dann stutzte er plötzlich. Er hatte in der nächsten Tanne etwas tiefer einen wirren Haufen von Ästen und Zweigen bemerkt, sagte sich nun sehr bald, daß dies nur das Nest eines Steinadlers sein könnte. Sofort kam ihm ein besonderer Gedanke. Die mächtigen Raubvögel verstehen es ja, ihre Nester so sicher in Astgabeln anzulegen. daß sie sehr wohl auch das Gewicht von zwei Menschen zu tragen vermögen.

Der Trapper kletterte auf das Nest zu, prüfte die Bauart und die es stützenden Äste von unten sehr sorgfältig und war dann über die Festigkeit und Tragfähigkeit dieser Vogelbehausung durchaus beruhigt, stieg nun abermals höher und dann in das Nest hinein, das offenbar in diesem Jahre noch nicht benutzt worden war und das weich und dicht mit Gras, Moos und langen Flechtenstücken ausgepolstert war. Es maß gut zwei Meter im Durchmesser, und unschwer ließ sich darum aus abgehauenen Ästen eine Art Zaun errichten, damit jeder Gefahr des Hinausstürzens im Schlafe vorgebeugt wurde.

Barbroß rief nun seinen kleinen Freund herbei, zeigte ihm stolz seine Entdeckung und riet ihm, die versäumte Nachtruhe in diesem Adlerhorst nachzuholen. Dann fuhr er fort:

„Ich werde derweilen mir überlegen, wie wir uns hier auch eine Feuerstelle herrichten können, damit wir die Reste des Hirsches zunächst mal etwas anbraten und vor dem Verderben schützen, – ich meine vor allzu starkem Duftibus, wie man zu sagen pflegt.“

Otto wollte jedoch davon nichts wissen, daß er untätig bleiben sollte. „Ich fühle mich ganz frisch, lieber Barbroß, – tatsächlich! Außerdem macht mir dieses neue Abenteuer hier oben viel zu viel Spaß, um jetzt bei Tage an schlafen zu denken.“

„Spaß, mein Junge, – Spaß?!“ meinte der Alte, sehr ernst werdend. „Bei größter Sparsamkeit reichen wir mit dem Fleisch und unserem Hartzwieback fünf Tage. Dann – ja, – was dann?!“

„Nun – in fünf Tagen kann viel geschehen, guter Barbroß! Ich wette, bis dahin haben wir ein feines Plänchen ersonnen, wie wir den Roten abermals ein Schnippchen schlagen ähnlich wie letztens auf dem kleinen See auf unserem Kanu.“

Der Trapper zuckte die Achseln. „Erinnere mich nicht an diese letzten Tage!“ meinte er. „Wir sind höllisch unvorsichtig gewesen, haben uns zu fest darauf verlassen, daß die Huronen unsere Fährte nicht finden würden! Wenn dieser Mensch, der Harry Pichon, der ehemalige Faktoreischreiber, uns nicht gewarnt hätte, dürften wir vielleicht schon in den ewigen Jagdgründen nach Gold suchen! Überhaupt – der Pichon! Der Kerl müßte doch eigentlich im Zuchthaus sitzen! Was treibt er sich jetzt hier herum? Und – weshalb in aller Welt mag er uns noch gerade im letzten Moment geweckt haben?! Unser Freund ist er doch wahrhaftig nicht! Im Gegenteil! Uns hat er’s doch zu verdanken, daß er ins Zuchthaus wanderte als Strafe für die Teilnahme an dem Überfall auf Deines Vaters Farm. – Wo er jetzt wohl stecken mag? – Na – lassen wir Pichon – Pichon sein. Beginnen wir mit dem Zaunbau um unsere Sommerwohnung. Aber – Vorsicht, mein Junge! Nie vergessen, daß wir uns siebzig Meter über dem Erdboden befinden.“

Eine Stunde Arbeit, dann war der Rand des Nestes mit einem festen Flechtwerk von Zweigen und Ästen umgeben, in dem man nur einen schmalen Eingang freigelassen hatte. Nun saßen die beiden Gefährten wieder in dem Adlerhorst und zerbrachen sich die Köpfe, wie man es nur möglich machen könnte, hier oben irgendwie ein Feuer anzuzünden, ohne daß die Baumkronen mit in Brand gerieten. Barbroß wurde schließlich ganz ärgerlich, als ihm durchaus nichts einfallen wollte.

„Ich fürchte, unser Fleisch wird bald übel duften,“ meinte er. „Ich bin doch sonst nicht gerade auf den Kopf gefallen! Aber – aus dem Nichts kann auch ich anscheinend keine feuerfeste Unterlage für eine Bratgelegenheit schaffen! Ja, wenn wir Steine besäßen! Oder ein Stück Eisenblech! Oder noch besser gleich einen kleinen eisernen Ofen!“ Er belachte den Scherz, obwohl ihm gar nicht nach Lachen zumute war.

Nach einer Weile sagte er dann wieder:

„Nein – wir müssen diesen Gedanken aufgeben, ein Feuer hier anzünden zu können. Das einzige Mittel, das Fleisch zu konservieren, ist für uns das Dörren. Schneiden wir die Reste des Hirsches also in ganz dünne Streifen und hängen wir diese, auf lange Zweige gespießt, irgendwo ganz oben in der Krone in die Sonne. Freilich – ein Genuß ist dieses Fleisch dann nicht mehr! Doch – was hilft’s?!“

Und abermals eine Stunde später war auch diese Arbeit getan. Inzwischen hatten die Gefährten auch eine sehr bescheidene Mahlzeit gehalten. Nun wollte Barbroß, wie er sich ausdrückte, ein wenig den Kundschafter spielen. „Ich muß doch sehen, was die Huronen eigentlich treiben,“ meinte er ingrimmig. „Vielleicht kann ich einem der Burschen auch eine Kugel zum Andenken ins Bein schießen! – Doch nein, – wozu die Bande unnötig reizen?! Und wozu eine Patrone opfern?“

Otto bat, den Trapper begleiten zu dürfen. Barbroß wollte erst nichts davon wissen. Schließlich gab er aber doch nach.

Sie stiegen nun mit Hilfe der Äste bis in die am weitesten nach Norden zu stehende Douglastanne hinüber, kletterten dann so tief hinab, daß sie die Plattformen der beiden benachbarten Felsenhügel ganz bequem überblicken konnten.

Barbroß hatte sich lang auf einen sehr dicken Ast gelegt. Der Knabe aber stand über ihm, dicht an den Stamm geschmiegt.

Plötzlich von unten her ein Schuß. Der Trapper fluchte leise:

„Mein schöner Filzhut. Der rote Schuft hat mir in die Krempe ein Loch geschossen!“

Gleich darauf noch drei Schüsse. Da rief Barbroß:

„Höher hinauf mein Junge! Und schleunigst! Die Geschichte wird ernst. Wenn die Kerle auch nur klägliche Schlumpschützen sind, auch ’n blinder Hahn findet mal ’n Korn!“

Otto war eine Kugel unheimlich dicht am Kopf vorbeigegangen. Er beeilte sich daher auch, in dem Dickicht der höheren Äste zu verschwinden und kletterte bis zum Adlerhorst, wo er sich wieder setzte und auf den Alten wartete.

Wie er nun so dasaß und nach Barbroß ausspähte, gewahrte er eine große, dicke Spinne, die sich langsam von einem Zweige über ihm an ihrem Faden hinabließ und, von dem durch die Kronen streichenden Luftzuge bald in pendelnde Bewegung gesetzt, nun mit einem Male sich an einen seitwärts herausragenden Zweig anklammerte, den sie ohne die Pendelbewegung nie erreicht hätte.

In diesem Augenblick, wo die Spinne auf diese Weise eine Brücke für sich von Zweig zu Zweig gebaut hatte, kam dem Knaben ein merkwürdiger Gedanke. Nachdenklich starrte er auf den feinen Faden des Tierchens, beobachtete nun weiter, wie es an diesem schräg emporlaufenden Gespinst hochkletterte und gleich darauf in ähnlicher Weise fast parallel zu der ersten eine zweite Verbindung zwischen den beiden Zweigen schuf – abermals mit Hilfe der Pendelbewegung.

Da erschien Barbroß – schimpfend und ganz aufgeregt, weil seine Hutkrempe jetzt zwei Löcher hatte.

„Die roten Halunken schießen besser, als ich’s ihnen zugetraut habe!“ knurrte er. „Sieh’ nur, Junge, meine arme Kopfbedeckung!“

Er unterbrach sich, fragte ungeduldig: „Wozu zeigst Du denn so nachdrücklich auf das Spinnenvieh? Hast Du noch nie eine Spinne gesehen, die ihr Netz baut? He?!“

„Gewiß, guter Barbroß, gewiß,“ meinte Otto eifrig. „Doch – reden wir nicht von Spinnenvieh! Das Tierchen ist vielleicht unsere Retterin geworden. Denn es hat mich auf eine Idee gebracht, die meiner Ansicht nicht ganz schlecht ist. Darf ich mal damit herausrücken?“

„Nur zu! Da bin ich wirklich gespannt!“

Otto begann seine Idee zu entwickeln. Erst wiegte der Alte zweifelnd den Kopf hin und her. Dann aber erklärte er:

„Junge, – wir versuchen’s! Und glückt es uns, dann sage ich nie mehr in meinem Leben Spinnenvieh, trete auch keine Spinne mehr tot!“

Sofort ging man an die Vorbereitungen heran. Diese bestanden lediglich darin, daß die beiden Lassos zu einer einzigen, jetzt gegen zwanzig Meter langen Lederleine zusammengeknüpft wurden, die stark genug war, das Gewicht von zwei Menschen gut zu tragen. Ein guter, aus vier dünneren Riemen geflochtener Lasso ist ja überhaupt kaum zu zerreißen.

Dann wurde aus drei Aststücken eine Art Schaukelbrett hergestellt, auf dem die beiden jetzigen Adlernest-Bewohner nebeneinander sitzen konnten. Schließlich fertigte man noch aus zwei dünneren, recht geraden Ästen zwei Stangen an, die an einem Ende in einen Haken ausliefen und etwa vier Meter lang waren.

„So,“ meinte Barbroß, als all dies erledigt war, „nun mag der Abend und die Dunkelheit kommen. So Gott will, sind wir bald über alle Berge. – Jetzt werde ich mal die passendste Stelle für unsere Luftschaukel auswählen und nochmals prüfen, ob der Wald dort an der Berglehne auch wirklich bis an den Felsen drüben heranreicht.“

Nach einer halben Stunde kehrte er zurück.

„Alles im Lot, mein Junge!“ meldete er vergnügt. „Die geeignete Stelle ist gefunden. Wir werden uns noch vor Dunkelwerden dorthin begeben, denn das Herumklettern in den Kronen bei Nacht ist kein Vergnügen!“

Nachmittags hörten die Gefährten dann aus der Tiefe andauernd Beilschläge zu sich heraufdringen.

„Was mag die rote Bande nur vorhaben?“ meinte Barbroß. „Es scheint ja, als ob sie Holzhacker spielen. – Hm – ob sie uns etwa ausräuchern wollen? Unmöglich wär’s ja nicht! Wenn sie unten rund um einen Stamm einen Haufen Holz aufschichten und in Brand stecken, brennt der harzige Baum bald lichterloh! – Ja – ich nehme jetzt fast mit Bestimmtheit an, daß meine Vermutung zutrifft. Sie können uns anders nicht ans Leder und hoffen wohl, daß wir hübsch artig zu ihnen herabsteigen und uns gefangen nehmen lassen, wenn die Riesenfackel zu brennen beginnt. – Na – vielleicht macht Ihr auch die Rechnung ohne den Wirt, verehrte Rothäute!“

 

4. Kapitel.

In den Schluchten der Bully-Berge.

Als die Sonne untergegangen war, holte der Knabe zunächst das zum Dörren in die Sonne gehängte Fleisch herab, das nun wieder in die Decken zusammen mit den anderen Sachen verpackt wurde. Da die Lassos jetzt nicht mehr als Tragriemen für die Bündel zur Verfügung standen, mußten von jeder Decke einige Streifen abgeschnitten werden, die dann als Tragriemen benutzt wurden.

Sodann begaben sich die beiden Gefährten nach der Krone hinüber, deren äußerste Astspitzen kaum drei Meter von denen der auf dem Nachbarfelsen wachsenden Riesenbäume entfernt waren.

Hier wurde nun die Schaukel, die aus dem Sitz und den zusammengeknüpften Lassos bestand, so an einen über einer tiefen Lücke in der Krone befindlichen starken Ast festgebunden, daß es, wenn sie in weite Schwingungen versetzt wurde, den auf ihrem Sitzbrett Befindlichen mit Hilfe der Hakenstangen wohl glücken mußte, einen der Äste der Tannen des Nachbarfelsens zu erwischen und so dorthin zu gelangen.

Noch eine Stunde harrten sie auf die für ihr Vorhaben nötige Finsternis. Dann, als man tatsächlich kaum mehr die Hand vor Augen sehen konnte, ließ Barbroß die Schaukel herab und kletterte an dem Lasso als erster auf das Sitzbrett hinunter. Otto folgte ihm. Alles ging gut. Nun hockten sie nebeneinander, nun begannen sie die Schaukel in Schwung zu bringen.

Das Riesenpendel fing an, sich hin und her zu wiegen. Krampfhaft klammerte Otto sich zunächst an den Riemen fest, die die Enden des Sitzes mit dem Lasso verbanden. Sehr bald wurde er jedoch die erste Angst los. Und als nun seine Füße zum ersten Male die Zweige drüben streiften, hätte er am liebsten Hurra gerufen.

Jetzt streckten sich die Hakenstangen wie lange Fühlhörner von der Schaukel aus, die inzwischen leider auch in drehende Bewegung geraten war, so daß es noch mehrfachen Hin- und Herschwingens bedurfte, ehe es Barbroß glückte, mit seiner Stange die Schaukel drüben zu verankern und dann so weit in die Krone dieser Tanne hineinzuziehen, daß man unter sich einen tragfähigen Ast feststellen konnte, auf den nun zuerst der Knabe hinüberkletterte.

Barbroß folgte, hatte aber vorher die Schaukel von Otto festhalten lassen, damit er das Sitzbrett abschneiden konnte, das am Tage doch vielleicht von unten bemerkt worden wäre und den Fluchtplan verraten hätte.

Nachdem der Schaukelsitz zwischen den Zweigen festgeklemmt war, rutschte der Trapper voran dem Stamme zu und dann weiter von Ast zu Ast, von Stamm zu Stamm in dieser schwindelnden Höhe über die Plattform des Nachbarfelsens hinweg bis dorthin, wo der Wald begann, dessen Baumkronen mit denen dieses Felsens in eins verschmolzen.

Der Mond stand längst am Himmel, und Stunden waren verflossen, ehe die kühnen Abenteurer den gefährlichsten Teil ihres Weges durch die Baumkronen zurückgelegt hatten. Als sie sich erst im Walde befanden und nun die tieferen Astpartien aufsuchen konnten, ohne Gefahr zu laufen, sich durch Geräusche zu verraten, hatten sie dann auch bald am Rande einer kleinen Lichtung eine Hemlocktanne entdeckt die ihnen den Abstieg auf die Erde gestattete.

Kaum berührten Barbroß’ Füße das weiche Moospolster des Waldbodens, kaum stand nun auch sein kleiner Freund neben ihm, als sie beide fast gleichzeitig einen durch die Stämme schimmernden hellen Feuerschein bemerkten, der nur von einem auf dem südlicheren Felsen angefachten Riesenbrande herrühren konnte.

„Ah – dort der Beweis, daß die Roten uns wirklich ausräuchern wollen,“ flüsterte der Trapper. „Nun – wir werden Euch diese gute Absicht heimzahlen! Wartet nur. – Vorwärts, Junge, – schleichen wir uns näher heran! Ich hab’s auf die Gäule der Huronen abgesehen und natürlich auch auf unsere eigenen Reittiere, die wir uns unbedingt zurückholen müssen!“

Der Riesenscheiterhaufen, der am Fuße einer der Douglastannen des Felsenhügels lichterloh brannte und durch dessen Glut die Flammen auch bereits an dem Stamme selbst hochzulecken begannen, beleuchtete die ganze Umgebung fast taghell. Es war daher auch nicht weiter schwer, den Rothäuten auszuweichen, die den mächtigen Felsen eng umstellt hatten und die ohne Zweifel bestimmt damit rechneten, sehr bald die beiden Weißen auf der Sprossentanne auftauchen zu sehen. Barbroß fand dann auch in einem nahen Tale die von einem jüngeren Huronen bewachten Tiere. Dieser Wächter hatte sich, neugierig dem Umsichgreifen des Feuers zuschauend, weithin sichtbar auf einem Felsblock am Talrande aufgestellt, von wo der Trapper den völlig Ahnungslosen durch einen Kolbenhieb von hinten herunterholte. Er wurde schnell gebunden und geknebelt, und ebenso schnell waren dann sämtliche Indianergäule zu einer langen Schlange aneinandergekoppelt, die die beiden nun wieder im Besitz ihrer Reittiere befindlichen Gefährten zunächst im Schritt aus dem Tale hinaus- und dann in die nahe, offene Prärie brachten. Hier schlug Barbroß in gemütlichem Trab eine südliche Richtung ein. Gegen Morgen schwenkte er auf die bergigen Anhöhen ab, die man stets zur Linken gehabt hatte, gab hier die Indianerpferde frei, die durch ein paar in die Luft abgefeuerte Revolverschüsse auseinandergescheucht wurden und sich nach allen Seiten hin zerstreuten.

„So, mein Junge,“ meinte der Trapper dann, „das haben wir, schätz’ ich, fein gemacht! Wir sind jetzt auch am Ziel. Dort in jener Richtung liegen jene Schluchten, von denen eine viele Millionen an Gold enthält. – Jetzt wollen wir aber zunächst mal ein paar Stunden ruhen! Suchen wir uns einen Lagerplatz.“

Sie stiegen ab, nahmen ihre Tiere am Zügel und kletterten ein steiniges, enges Tal aufwärts, fanden darin bald ein kleines Rinnsal, an dem es auch spärliches Gras gab, und beschlossen hier zu rasten.

Gleich darauf hatten sie ein Feuer angefacht und brieten die Fleischstreifen daran gar, aßen mit gutem Appetit und in bester Laune und freuten sich schadenfroh auf die langen Gesichter der Huronen, die jetzt die Mühe hatten, sich ihre Gäule zu Fuß in der Prärie einzufangen, – falls ihnen dies überhaupt gelang. Jedenfalls war man die Verfolger auf Tage los und brauchte jetzt nicht mit einer Überraschung ähnlich der zu rechnen, wie sie Harry Pichon, der entsprungene Zuchthäusler, ihnen durch seine gutgemeinte Warnung bereitet hatte. Immerhin war Barbroß heute aber so vorsichtig, erst den Knaben etwa drei Stunden schlafen zu lassen, während er selbst den Wächter spielte, dann weckte er Otto und streckte sich selbst neben dem noch glimmenden Feuer aus, schlief auch sofort ein.

Inzwischen war die Sonne längst aufgegangen. Otto wollte jetzt zusehen, ob er den Tieren nicht in der Nähe saftigeres Gras abschneiden könnte, hängte die Büchse um und wandte sich dem nördlichen Eingang des Tales zu, gelangte bald auf ein terrassenförmig ansteigendes Gelände, fand hier nahe einer Quelle reichlich Gras und fing nun an, die abgeschnittenen Büschel auf seiner Decke zu sammeln.

Plötzlich hinter ihm eine Stimme. Er fuhr herum.

„Ich habe mir erlaubt, Deine Büchse, die Du so recht schlau beiseite gelegt hast, an mich zu nehmen,“ sagte kein anderer als Harry Pichon zu ihm voller Hohn, indem er seine einläufige Flinte halb im Anschlag hielt. „Wirf jetzt Deinen Revolver und Dein Messer weg, falls Du nicht gerade Sehnsucht nach einem länglichen Stück Blei hast. – Vorwärts – gehorche! Ich lasse nicht mit mir scherzen! Ich bin im Zuchthaus in Ottawa ein anderer geworden. Damals, als wir zusammen mit den schuftigen Huronen Eure Farm angriffen, war ich noch ein rechtes Greenhorn (Neuling), scheute mich, Blut zu vergießen. Jetzt versteh’ ich das Handwerk besser! Dort unten an Eurem Lagerplatz liegt bereits der berühmte Barbroß gebunden wie ’n wehrloser Kartoffelsack da. Nun kommst Du heran! Ich zähle bis drei. Wenn Du nicht –“

Otto hatte eingesehen, daß er nachgeben müßte. Er zog jetzt Revolver und Messer aus dem Gürtel und warf sie dem Buschklepper vor die Füße.

„So,“ meinte Pichon, „nun binde Dir diesen Riemen mit einer Doppelschlinge um die Handgelenke. Jede verdächtige Bewegung bestrafe ich mit Blei, – merk’ Dir das!“

Der Knabe gehorchte. Kaum hatte Otto die Doppelschlinge um die Handgelenke gelegt und sie fest zugezogen, als er Pichon das lose Ende zuwerfen mußte. Dieser band ihm nun die Arme so vor der Brust fest, daß er tatsächlich völlig wehrlos war. Dann mußte er voran dem Lagerplatz zugehen. – Barbroß lag lang im Grase mit auf den Rücken gebundenen Händen und ebenso eng gefesselten Füßen da, warf jetzt seinem kleinen Freunde einen halb belustigten Blick zu und meinte:

„Pichon hat uns damals vor den Roten gewarnt. Schade, daß er heute anderen Sinnes geworden ist und uns als Feinde behandelt hat. Bisher haben die noch stets schlecht abgeschnitten, die sich mit Barbroß auf Kriegsfuß stellten. Nun – jeder schläft, wie er sich bettet.“

Pichon lachte ironisch auf. „Eigentlich eine ziemliche Frechheit, eine so anmaßende Sprache zu führen, wenn man Gefangener ist. – Na, ich nehm’s Euch nicht weiter übel, wenn Ihr nur verständig genug seid, auf meine Vorschläge einzugehen.“

„Bin gespannt darauf,“ sagte der Rotbart ebenso vergnügten Tones.

„Sollt’s sofort hören. Will nur dem kleinen Burschen auch noch die Füße binden. – So, das wär’ getan! Nun liegt Ihr so bequem nebeneinander, daß wir die Verhandlungen beginnen können. – Ich weiß, daß Ihr eine Goldader entdeckt habt, Barbroß. Ihr werdet Euch besinnen, daß meine früheren Genossen und ich Euch deshalb schon einmal gehetzt haben. Wir wollten Euch fangen und dann ein wenig martern, bis Ihr Euer Geheimnis preisgegeben hättet. Leider hatten wir Pech, auch damals, als wir mit den Huronen uns verbündet hatten und die deutsche Farm am Murray nur deswegen erobern helfen wollten, um Eurer habhaft zu werden. Ihr habt damals unseren Anführer Mally mit eigener Hand erschossen.“

„Stimmt!“ warf Barbroß gelassen ein. „Aber im ehrlichen Zweikampf tat ich’s, weil ich noch eine große Rechnung mit dem Schurken abzumachen hatte, der meine Familie ermordete und meine Besitzung niederbrannte.“ (Vergl. hierzu die beiden vorhergehenden Bändchen „Die Wölfe der Parker-Insel“ und „Die Farm am Murray-Fluß“.)

„Lassen wir diese Erinnerungen,“ erklärte Pichon kurz. „Sie sind mir nicht angenehm. Die Sache damals hätte zu leicht auch mir eine Hanfkrawatte einbringen können, die einem für alle Zeiten das Niesen abgewöhnt. (Er meinte das Gehängtwerden.) Tatsache ist: Ihr kennt eine gute Goldader. Wollt Ihr nun mit mir halbpart machen? Mir die eine Hälfte des Goldes, Euch die andere? – Wir könnten dann zusammen die Ader ausbeuten. – Wie stellt Ihr Euch zu diesem Vorschlag?“

„Hm – er ließe sich hören. Leider ist die Goldader nicht mehr mein Eigentum.“

„Was heißt das? Habt Ihr sie etwa verkauft?“ rief Pichon schwer enttäuscht.

„Verkauft? – Nein! Aber dem Otto Balzer hab’ ich sie vermacht.“

Pichons Gesicht hellte sich wieder auf. „Unsinn – was will das sagen – vermacht! Der Junge wird nichts dagegen haben, daß wir –“

Da unterbrach Barbroß ihn strengen Tones. „Die Goldader gehört dem Knaben. Und er wird nie den[1] Erlös mit Euch teilen, Harry Pichon, niemals! Wir lehnen Euren Vorschlag ab. Redet kein Wort mehr darüber! Im übrigen: versucht doch mal, die Stelle ohne uns zu finden! Das dürfte Euch verteufelt schwer werden.“

Pichon stieß jetzt ein höhnisches Gelächter aus.

„Schwer werden?! Da seid Ihr sehr im Irrtum alter Barbroß – sehr! Ich werde das Gold finden, verlaßt Euch drauf! – Doch – wozu noch viele Worte machen?! Ihr seid dumm genug gewesen, mein Ansinnen zurückzuweisen. Die Folgen habt Ihr jetzt zu tragen. Ich werde mit Euch wieder in die Prärie hinausreiten und Euch dort an einer Stelle an Bäume festbinden, wo Euch die Huronen sehen müssen, die jetzt in der Savanne auf der Suche nach ihren Pferden wie Bienen umherschwärmen. Und – damit Ihr’s nur wißt: ich habe Euch damals nur vor den Rothäuten gewarnt, weil ich längst heimlich hinter Euch drein war und weil Ihr frei sein solltet, da ich sonst durch Euch nicht hätte zu der Goldfundstelle hingeführt werden können. Dies Mittel, die Ader zu erreichen, brauche ich jetzt nicht mehr anzuwenden, denn –“ und dabei schritt er auf Barbroß zu und beugte sich über ihn – „denn Ihr habt ja im Zipfel Eures Rockes die Zeichnung stecken!“

Seine Augen leuchteten vor Triumph. Doch auch in Barbroß’ Gesicht zeigte sich jetzt ein Ausdruck grimmer Schadenfreude. Und laut auflachend brüllte er dem halb erschrocken Zurückfahrenden zu:

„Was Ähnliches hatte ich gefürchtet! Und daher hab’ ich das Stück Leder dort in die Glut des Feuers geworfen. Seht nur – die zusammengeschrumpften Reste sind noch zu erkennen!“

Pichon fluchte wie ein Tobsüchtiger.

„Hund, Du lügst!“ kreischte er. „Du mußt lügen! Wie hättest Du wohl mit gebundenen Händen die Zeichnung aus dem Rockzipfel hervorholen können?!“

„Na – mit den Zähnen! Sehr einfach! Schau nur hin – mein Rock ist unten zerrissen! Wenn ich auch meine fünfzig Jahre und mehr auf dem Rücken habe – meine Zähne sind noch tadellos!“

Pichon bückte sich wieder, untersuchte den Rock, fand nichts, eilte zum Feuer, hob das verkohlte Lederstück auf und sah sofort zu seinem Schrecken und zu seiner namenlosen Wut, daß es tatsächlich die Reste der Zeichnung waren.

Abermals ergoß sich über den Trapper ein Strom von Verwünschungen und Drohungen, die in die Worte ausklangen:

„Ich werde Dich martern, Du schlauer Halunke, daß Du die Engel im Himmel singen hörst und daß Du sehr bald so gefügig wie ein Lämmchen sein sollst! Und sofort wird’s geschehen, sofort!“

Er näherte sich Barbroß abermals, bückte sich und wollte ihn zu einer nahen, kleinen Erle schleppen, um ihn dort aufrecht anzubinden.

Er wollte …

Plötzlich jedoch glitten des Trappers nur scheinbar noch auf den Rücken gefesselte Arme nach oben, legten sich um seinen Hals wie eiserne Schraubstöcke und rissen ihn vollends zu Boden, wo er dann sehr bald das Bewußtsein verlor.

Gleich darauf war Otto wieder frei. Barbroß schlug ihm derb auf die Schulter und meinte: „Junge, die Sache hier hätte übler für uns ablaufen können, wenn ich nicht dadurch, daß ich mit dem Stück Leder zwischen den Zähnen bis zum Feuer hinrutschte und es hineinwarf, auf den Gedanken gekommen wäre, ein paar glimmende Aststücke mit Hilfe eines zwischen die Zähne genommenen Zweiges so weit abseits zu scharren, daß ich meine Handfesseln auf diese glühenden Hölzer drücken konnte, wobei freilich auch meine Haut ein paar Brandwunden erhielt, was jedoch nichts ausmachte, da die Riemen wirklich so weit verkohlten, daß ich sie zerreißen konnte. Ich hatte die Hände also schon frei, als Ihr hier erschient. – Im übrigen – hab’ ich nicht recht gehabt? Wer mit Barbroß anbindet, zieht den kürzeren!“

Inzwischen war Pichon wieder zu sich gekommen.

„Die Pest über Euch,“ schrie er, noch ganz heiser. „Ihr seid schlimmer als des Teufels Großmutter, Barbroß! Ihr habt –“

„Haltet Euer Maul, Pichon!“ befahl der Trapper drohend. „Wir werden, weil Ihr doch nun einmal uns in jener Nacht vor den Huronen gewarnt habt, obwohl Ihr’s nicht gerade aus Liebe zu uns tatet, Gnade vor Recht ergehen lassen, Euch Eure Waffen zurückgeben und auch Euren Schinder von Gaul! Ihr könnt hinreiten, wohin Ihr wollt, nur nicht – tiefer in diesen Ausläufer der Bully-Berge hinein. Kommt Ihr uns nochmals in die Quere, so seid Ihr ein toter Mann – verlaßt Euch darauf!“

Nachdem er die Patronen aus Pichons Flinte und Revolver entfernt hatte, hieß er ihn sich sofort [zu][2] entfernen. Schweigend gehorchte der feige Schurke, bestieg sein Pferd und ritt das Tal nach Süden zu entlang.

 

5. Kapitel.

Die Goldader.

Als er verschwunden, rief Barbroß eifrig: „Ihm nach! Wir müssen sehen, wo er bleibt. Dem Schuft ist nicht zu trauen!“

So kam es, daß der Trapper und Otto drei Stunden später sich wieder in der kleinen Prärie befanden, die sich zwischen den Bully-Bergen und dem Cree-See hinzieht.

Pichon mochte wohl ahnen, daß die beiden ihn zunächst noch im Auge behalten würden. Er ritt jedenfalls unaufhaltsam nach Südwesten zu, wo er hoffen durfte, nicht auf die Huronen zu stoßen, die mehr nach Norden zu ihre Pferde wieder einfingen.

Kurz vor Sonnenuntergang passierte Pichon eine völlig grasarme Strecke, die glatt wie eine Tenne war und in der sich nur ganz vereinzelt dürftige Strauchinseln erhoben.

Barbroß und der Knabe hatten an der Nordgrenze dieser Sandfläche halt gemacht. Der Trapper wollte nunmehr die Verfolgung des Buschkleppers einstellen und umkehren.

Während sie, hinter ein paar Bäumen eines kleinen Wäldchens verborgen, Pichon noch nachschauten, der im Schritt dahinritt, bemerkten sie plötzlich ein Dutzend Rothäute, die aus einem Gebüsch dicht vor Pichon hervorsprengten.

„Huronen!“ rief Otto erschrocken. „Wenn sie den früheren Faktoreischreiber fangen, ist er verloren! Sie haben ihm seine damalige Verräterei nicht vergessen! Ah – einer der Roten reitet einen Schimmel! Das dürfte Matu Schi sein! Ich besinne mich, daß –“

Er schwieg. Denn dort drüben hatte Pichon jetzt seinen Gaul herumgerissen und jagte auf seinem ermüdeten Pferde in Karriere den Weg zurück.

Matu Schi, dessen Schimmel am leichtfüßigsten zu sein schien, rückte ihm jedoch schnell näher und näher. Die Jagd zog sich etwas nach links, so daß Barbroß und der Knabe nicht zu fürchten brauchten, in ihrem Wäldchen entdeckt zu werden.

Jetzt schaute Pichon zurück, jetzt riß er seinen Gaul herum, feuerte dann aus dem Sattel auf den Huronen, schoß jedoch vorbei, zog den Revolver und erwartete so den gefährlichsten seiner Feinde.

Da sprang jedoch Matu Schi schon aus dem Sattel, hob die Büchse, legte an. Zu spät jagte Pichon seinem erschöpften Tiere die Sporen in die Weichen. Ein Feuerstrahl fuhr aus der Mündung der Büchse des Huronen hervor, und der Zuchthäusler glitt seitwärts vom Pferde. Mit langen Sätzen stürmte der Rote herbei, schwang sein Messer und – schwenkte gleich darauf Pichons Skalp triumphierend über dem Kopf.

Eine Viertelstunde später waren die Huronen wieder verschwunden. Barbroß und Otto kehrten nun bei anbrechender Dunkelheit zu ihrem Lagerplatz in den Ausläufern der Bully-Berge zurück, blieben hier die Nacht und begannen dann am anderen Morgen die Suche nach der Goldader.

Jetzt ohne die Zeichnung, auf der die betreffende Schlucht besonders gekennzeichnet gewesen war, erwies sich dies als ein außerordentlich schwieriges Unternehmen, zumal durch die Frühjahrsschneeschmelze so enorme Wassermassen durch die Einschnitte in dem Felsboden ihren Weg talabwärts genommen hatten, daß die von ihnen mitgerissenen Geröllmassen das Aussehen der zahlreichen kanonartigen Vertiefungen vollständig verwandelt hatten.

Drei Tage durchforschten die Gefährten unermüdlich die verschiedenen Schluchten, räumten hier und dort das Geröll hinweg, arbeiteten im Schweiße ihres Angesichts vom Morgen bis zum Abend, fanden jedoch keine Spur von Gold.

Dann, am vierten Tage gegen Morgen, tauchte ganz überraschend auf einer entfernten Anhöhe ein Indianer zu Pferde auf, ein schlanker, junger, sehr intelligent aussehender Bursche. Es war Kamacho, der Sohn des Häuptlings Kama Sicho. Er hatte in der Reservation am Winnipeg nur noch das Grab seines inzwischen verstorbenen deutschen Lehrers und Freundes besuchen können, war daher sofort wieder nach der Farm am Murray zurückgekehrt und von hier alsbald den beiden Jägern nachgeeilt, die in den Bully-Bergen angeblich den Bibern hatten nachstellen wollen. Vor drei Tagen war er dann den Huronen Matu Schis begegnet, hatte ihr Lager beschlichen und so aus den Gesprächen seiner früheren Stammesgenossen erfahren, daß Barbroß und Otto vor kurzem den Rothäuten in der Nähe dieses Südausläufers entwischt waren. Nur so hatte er sie gerade hier jetzt angetroffen, nachdem er ihre Spuren an ihrem letzten Lagerplatz in jenem Tale gefunden.

Was Barbroß und dem Knaben nicht gelungen war, entdeckte Kamacho noch an demselben Tage auf Grund einer scharfsinnigen Überlegung, indem er davon ausging, daß die Goldader sich vielleicht in derjenigen Schlucht befinden würde, in der jetzt die geringsten neuen Geröllanhäufungen zu bemerken waren, da ja in einem den Schmelzwassern leicht zugänglichen Bodeneinschnitt im Laufe der Zeit eine solche Masse von Steinschutt hätte aufgehäuft sein müssen, daß die Ader metertief davon bedeckt gewesen und nicht so leicht freizulegen gewesen wäre, wie dies doch durch den Trapper geschehen.

Tatsächlich gab es unter den Dutzenden von kleinen, einander so ähnlich sehenden Kanons einen nach Osten zu gelegenen, wo nur wenig Geröll frisch angeschwemmt war, und hier stießen die Gefährten dann sehr bald auf die Schicht gediegenen Goldes, die mit ihren Millionenwerten bisher nur des alten Rotbarts Augen geschaut hatten. –

Hiermit endet unsere Erzählung. Barbroß erlebte es noch, daß sein junger Freund als nunmehr Zwanzigjähriger die Schätze in den Bully-Bergen heben durfte. Otto Balzer brauchte das Gold für sich und die Seinen nicht, denn die blühende Farm am Murray-Fluß hatte die deutschen Ansiedler inzwischen schon zu wohlhabenden Leuten gemacht. Fast der gesamte Erlös aus des Trappers reicher Goldmine wurde daher zum Ankauf weiterer benachbarter Ländereien verwandt, die kostenlos an andere deutsche Auswanderer abgegeben wurden, so daß heute am Murray eine ausgedehnte deutsche Kolonie zu finden ist, die dem Geheimnis des alten Barbroß ihre Entstehung verdankt.

 

Der nächste Band enthält:

Der indische Tempel.

 

Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin 26.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage ist eine Zeile doppelt.
  2. Fehlendes Wort „zu“ eingefügt.