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Das Geheimnis des Elefantenjägers

 

 

 

Der Detektiv

 

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

 

Band 79:

 

Das Geheimnis des Elefantenjägers

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte einschließlich Verfilmungsrecht vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1922.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin

 

1. Kapitel.

Mr. Godalper verrät sich.

Meine Notizen über den Fall Kadugawa sind etwas unvollständig. Aber gerade jene Ereignisse in Ceylon, die mit der geheimnisvollen Person des Elefantenjägers Kadugawa zusammenhängen, waren so eindrucksvoll, daß sie mir selbst heute noch mit allen Einzelheiten im Gedächtnis haften geblieben sind.

Dieses Abenteuer begann mit einer Depesche. Wir beide, Harald Harst und ich, waren am Abend des 24. September nach Erledigung des Falles der sechs leeren Briefbogen so müde und abgespannt, daß Harald gegen neun Uhr erklärte, er würde nun sofort zu Bett gehen.

Wir saßen in Harsts mit ausgesprochener Eigenart eingerichtetem Arbeitszimmer, und Harald hatte soeben, ein Gähnen unterdrückend, nochmals gesagt: „Ja – ich muß schlafen gehen! Mir sind die Augenlider wie Blei!“ – da schlug die Flurglocke an.

Ich ging öffnen. Es war ein Telegraphenbote. Ich nahm ihm die Depesche ab und – wußte, daß es mit der Nachtruhe sehr wahrscheinlich nichts sein würde! –

Harald las dann vor:

Harald Harst, Liebhaberdetektiv

Berlin-Schmargendorf

Blücherstraße 10.

Bitte Sie dringend sofort herzukommen. Leiche meines Gatten John ohne Kopf vor acht Tagen aufgefunden. Hiesige Polizei machtlos. Depeschiere von Kolombo aus, da Drohbriefe erhalten: falls gerade Ihnen Angelegenheit unterbreitet wird, sicherer Tod für mich. – Begleitumstände des Mordes an meinem Gatten höchst seltsam. Berufe mich auf Freundschaft mit Lord Wolpoore, der gerade nebst Frau unsere Gäste sind. Wolpoore läßt Sie und Herrn Schraut vielmals grüßen. – Lady Edith Barnlay, Golby-Plantage bei Kandy, Ceylon.

„Hm,“ meinte Harald, „wenn Wolpoore der Lady geraten hat, uns herbeizurufen, und das hat er fraglos getan, dann muß an diesem Morde wirklich etwas Außergewöhnliches daran sein. Ich denke, wir reisen, mein Alter.“

Eine Stunde später waren wir mit den Reisezurüstungen fertig. Das telephonisch bestellte Taxameterauto fuhr kurz vor zehn Uhr vor unserem Hause vor. Der Chauffeur holte die beiden Koffer, und Frau Auguste Harst, Haralds Mutter, umarmte ihren Einzigen zum Abschied nochmals aufs zärtlichste, als ein anderer Kraftwagen in rasender Fahrt die Blücherstraße daherkam und vor dem Taxameterauto hielt.

Ein schlanker Herr sprang heraus, rief dem Chauffeur zu: „Warten!“ und eilte über den Mittelweg des Vorgartens in förmlichen Sprüngen dahin.

Wir drei, Frau Auguste, Harald und ich, standen auf der Treppe vor der Haustür.

Der Fremde, ein blondbärtiger, tadellos gekleideter Mann, stolperte plötzlich über seinen Spazierstock, fiel hin und – blieb unter schrecklichen Zuckungen dicht vor der Treppe liegen.

Wir beide sprangen sofort zu, richteten ihn auf, blickten in ein grauenhaft verzerrtes, blasses Gesicht.

Dann lallte der Fremde in gebrochenem Deutsch:

„Master – Harst – retten – Sie – mich – Gift – Gift!“

Kaum hatte er das letzte Wort hervorgequält, als er sich mehrmals übergab und ohnmächtig wurde.

Wir trugen ihn in Haralds Arbeitszimmer auf den Diwan, wo er sich langsam wieder erholte.

Jedenfalls mußten wir darauf verzichten, noch in dieser Nacht nach Brindisi in Italien abzureisen, da Mr. Bannimoore Godalper vor Harst geradezu auf die Knie sank und flehentlich bat, ihn nicht im Stiche zu lassen. Ohne uns sei er ein Kind des Todes.

Nachdem er drei Gläschen Kognak getrunken hatte, konnte er uns, auf dem Diwan liegend, seine Leidensgeschichte erzählen.

Bannimoore Godalper war, wie er uns nun mitteilte, Engländer, Junggeselle, sehr reich und ein leidenschaftlicher Bergsteiger. Vor vier Wochen hatte er eine Fußtour durch Montenegro unternommen. Nach zweiwöchiger Wanderung geriet er in einem Dorfe mit ein paar Montenegrinern in Streit. Aus Notwehr erschoß er einen älteren Mann, der ihn angegriffen hatte. Da er wußte, daß die Blutrache in den Schwarzen Bergen noch immer Nationalunsitte war, floh er schleunigst und begab sich nach Venedig, wo man auf ihn ein Attentat versuchte. Ein vermummter Mensch wollte ihn in einem dunklen Gäßchen niederstechen.

Bannimoore Godalper brachte dieses Attentat mit seinem montenegrinischen Abenteuer in Zusammenhang und floh weiter nach der Schweiz. Auch hier hätte er in Luzern beinahe das Leben eingebüßt: man feuerte auf ihn 3 Revolverschüsse ab, als er im Garten des Hotels abends ein wenig promenierte. Dies war vorgestern geschehen.

Da verließ er Luzern und flüchtete auf Umwegen nach Berlin, wo er erst heute abend gegen acht Uhr eingetroffen war.

Gleich nach Ankunft des D-Zuges hatte er sich in den Wartesaal des Anhalter Bahnhofs begeben, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Er bestellte sie bei einem Kellner. Ein anderer Kellner (wenigstens hatte er den Mann für einen Kellner gehalten) brachte ihm das Verlangte. Kaum hatte er ein paar Schlucke getrunken, als er im Magen ein furchtbares Brennen verspürte. Da erst fiel ihm ein, daß der zweite Kellner einen dunkelgrauen Anzug getragen hatte. Er argwöhnte nun, daß es gar kein Kellner gewesen, sondern einer seiner Verfolger. Er sprang auf, griff nach seiner Reisetasche, wollte schleunigst in die nächste Apotheke, um sich ein Brechmittel geben zu lassen. Da erschien auch schon der richtige Kellner mit einem Tablett.

Godalper rannte in wilder Angst davon. Der Apotheker gab ihm Brechweinstein. Nachdem der Magen alles losgeworden war, fuhr Godalper hier zu uns. Harsts Name war ihm seit langem bekannt.

Der reiche Engländer machte auf mich einen recht sympathischen Eindruck.

Harald jedoch, der stets mißtrauische, schien aus mir unverständlichen Gründen diesem verängstigten Klienten nicht ganz zu trauen und rief die Apotheke telephonisch an, wo man Godalper das Brechmittel verabfolgt hatte.

Der Apotheker bestätigte Godalpers Schilderung.

Und doch ließ Harst es bei dieser einen Anfrage nicht bewenden, sondern verlangte noch die Nummer der Bahnhofswirtschaft des Anhalter Bahnhofs, sprach mit dem betreffenden Kellner und hörte von diesem ebenfalls genau das, was Godalper erzählt hatte: ein Fremder hatte dort den Kellner Godalper gegenüber gespielt und ihm die Tasse Kaffee gebracht, die der Unbekannte sich vom Büfett geholt hatte. –

„Mr. Godalper,“ sagte Harst nun, „Sie dürfen mir dieses Mißtrauen nicht verargen. Ihre Schilderung konnte erfunden sein, und Sie konnten womöglich den Zweck verfolgen, meinen Freund Schraut und mich hier in Berlin zurückzuhalten. Wir haben nämlich vor kaum anderthalb Stunden eine Depesche bekommen, die uns nach Ceylon ruft. Lady Barnlay, deren Absenderin, ist mit dem Tode gedroht worden, falls sie es wagen sollte, mir ihren Fall zu unterbreiten. Diese Leute, die ihr so gedroht und die auch den Mord an ihrem Gatten auf dem Gewissen haben dürften, konnten einen Komplicen hier in Berlin haben, dem sie telegraphisch Anweisung gegeben haben konnten, unsere Abreise zu verhindern. Nun bin ich meiner Sache sicher, Mr. Godalper. Wenn wir uns beeilen, erreichen wir den Nachtzug noch. Begleiten Sie uns. Ich stehe ihnen dafür ein, daß Ihnen in unserer Gesellschaft nichts zustoßen wird.“ –

So kam es, daß wir um 11 Uhr 45 Minuten im Schlafwagen eine unserer telephonisch schon vorher belegten Kabinen erster Klasse an Godalper abtraten und uns in unserer Kabine das zweite Bett herrichten ließen.

Die Verbindungstür zwischen beiden Kabinen blieb offen. Harald nahm das obere Bett. Um 12 Uhr sagten wir uns Gute Nacht.

Zehn Minuten später schwang Harst sich lautlos in der verdunkelten Kabine zu mir herab und setzte sich auf meinen Bettrand, beugte sich ganz tief über mich und flüsterte:

„Achtung – nicht schlafen! Der Godalper hat einen Fehler begangen: er hat den Wartesaal bereits eine Minute vor Ankunft des Münchener D-Zuges betreten, sagte mir der Kellner! Mithin kann Godalper nicht heute abend hier eingetroffen sein. Mithin hat er in einem Punkte bestimmt gelogen, und in den anderen sehr wahrscheinlich! Der „graue“ Kellner wird ein guter Bekannter von ihm gewesen sein. Seine Schilderung ist Bluff, und das Magenbrennen natürlich auch. Das Brechmittel sollte mich noch mehr in Sicherheit wiegen. – Nimm an, daß Lady Barnlay beobachtet wurde, als sie in Kolombo diese Depesche an mich aufgab und daß dann sofort jemand eine zweite Depesche hier an Godalper absandte. Dann kann Godalper, falls die an ihn gerichtete Depesche als „dringend“ befördert wurde, diese Komödie leicht vorbereitet haben. Ich bin überzeugt: er war nie in Montenegro! Alles ist eben Schwindel. Also – nicht schlafen, mein Alter! Es passiert bestimmt irgend etwas.“

Dann turnte er wieder nach oben auf sein eigenes Bett zurück.

Ich lag ganz still und dachte nach.

Wirklich – dieses Abenteuer fing spannend an. Wir wurden nach Ceylon gerufen, um einen Mord aufzuklären, und hier in Berlin suchte uns ein Freund der Mörder oder des Mörders Lord Barnlays Schwierigkeiten zu machen!

Nein – an Schlafen war nicht mehr zu denken. –

Eine Stunde verging.

Dann tauchte im Dämmerlicht der Kabinenverbindungstür ein Schatten auf.

Seltsam: – der Mann da konnte doch nur Godalper sein und trug jetzt – ein schwarzes Trikot, den „Arbeitsanzug“ der Hoteldiebe, dazu eine schwarze Maske.

Harst schnarchte rasselnd – zum Schein!

Godalper lauschte eine Weile. Er hatte gehört, daß wir beide todmüde waren. Er glaubte daher auch, wir schliefen fest.

Ganz sacht öffnete er nun die Gangtür seiner Kabine und huschte hinaus.

Harald war im Moment wieder auf meinem Bettrand.

„Abwarten – nichts unternehmen!“ flüsterte er und kletterte rasch auf sein Bett zurück.

 

2. Kapitel.

Der Diamantendiebstahl.

Zehn Minuten mochten verstrichen sein.

Da – Godalper war wie ein dunkler Fleck in seine Kabine geglitten und schien wieder sein Lager aufgesucht zu haben.

Eine Viertelstunde lauerte ich mit angespannten Sinnen.

Nichts – nichts –

Godalper erschien nicht wieder.

Was bedeutete das?

Schlief er wirklich? Hatte er das schwarze Trikot wieder abgelegt? Was hatte er hier im Schlafwagen in den zehn Minuten seiner Abwesenheit unternommen?

Allgemach spürte ich, daß ich über diesem fruchtlosen Grübeln wieder müde wurde.

Und – ich schlummerte ein.

Dann rüttelte mich jemand. Es war Harst. Er war fertig angezogen. Durch das Fenster schien die Sonne in die enge Kabine.

„Mr. Godalper sitzt schon im Speisewagen, mein Alter,“ sagte Harald mit einem merkwürdig zerstreuten Gesichtsausdruck.

„Ist – ist – denn nichts mehr passiert während der Nacht?“ fragte ich schuldbewußt. Ich war ja eingeschlafen, und Harald hatte ohne Zweifel gewacht.

„Nichts,“ meinte er mit einem abwesenden Blick durch das Fenster. „Ich wünschte, es wäre etwas passiert. Ich –“

Er schwieg.

Im Gange des Wagens ein Schrei.

Ein Schrei – so schrill und überlaut, daß sogar Harst zusammenzuckte.

Dann eilte er schon in den Gang hinaus. Ich begann mich anzukleiden. Selten wohl habe ich mich so schnell rasiert wie damals. Gerade als ich mir das Haar scheitelte, kehrte er zurück.

„Was gibt’s?“ fragte ich gespannt.

Sein Gesicht war noch nachdenklicher geworden. Er setzte sich auf einen unserer Koffer, holte langsam sein goldenes Zigarettenetui hervor und klopfte in einer Mirakulum mit bedächtigen Bewegungen den Tabak fest.

„Man hat einer Dame aus der Schlafkabine Nr. 11 (wir hatten Nr. 15 und 16) einen Juwelenkasten gestohlen – unter dem Kopfkissen hervor, einer Engländerin namens Lydia Glarnston, einem – ja – älteren Fräulein. Sie war es, die bei dieser Entdeckung den Schrei ausstieß –“

Er sprach das alles in einem Tone, als ob seine Gedanken durchaus nicht bei der Sache waren.

„Dann hat Godalper es getan,“ entfuhr es mir.

Harst rieb sein Feuerzeug an und rauchte ein paar Züge.

„Hüte Dich vor voreiligen Schlüssen, mein Alter, die Sache kann auch ganz anders sein.“

„Wie denn?“

„Der Diebstahl kann denselben tatsächlichen Hintergrund haben wie – die montenegrinische Blutrache.“

Ich ließ die beiden Enden meiner Krawatte, die ich gerade hatte binden wollen, fallen, so daß sie mir um den Kragen lose herabhingen.

„Wie – auch Komödie?!“ fragte ich ungläubig.

Da betrat Godalper seine Kabine, rief uns durch die offene Tür sofort zu:

„Wissen Sie schon, meine Herren? Es sind für eine Million Brillanten gestohlen worden. Die Dame, der die Steine geraubt wurden, ist eine Landsmännin von mir. Ich habe ihr gesagt, daß Sie sich hier im Zuge befinden, Mr. Harst. Miß Glarnston läßt Sie bitten, sich doch einmal ihre Kabine anzusehen.“

Harald nickte. „Das will ich gern tun.“ Er stand auf und folgte Godalper in den Gang.

Ich beeilte mich, schlüpfte in die Jacke und kam gerade hinzu, als die weinende, hagere Engländerin Harst erklärte, daß sie ihre Tür nicht nur von innen verriegelt, sondern sogar noch mit dickem Draht zugebunden gehabt hätte.

Sie stand in der Kabinentür, während Harald sich in der Kabine umschaute.

„Der Juwelenkasten lag also unter Ihrem Kopfkissen, Miß,“ meinte Harst nun. „War das Fenster geschlossen?“

„Ja. Genau so wie jetzt.“

„Und die Verbindungstür nach Kabine Nr. 12?“

„Hatte ich gleichfalls mit Draht zugebunden, Mr. Harst.“

Es war eine Kabine mit nur einem Bett, die Nr. 11, und bei den Vorsichtsmaßregeln, die Miß Glarnston getroffen hatte, erschien es völlig unerklärlich, wie jemand hier hatte eindringen können.

Harald besichtigte das Fenster, ließ sich den Draht geben, den Miß Glarnston benutzt hatte, ließ sich ferner von ihr zeigen, wie sie die Türen damit von innen befestigt hatte und meinte nun:

„Es sind Schiebetüren, und es ist ganz ausgeschlossen, daß jemand hier hineingelangt sein kann. Es bleibt nur noch eine Möglichkeit, da auch das Fenster unbeschädigt ist und nichts darauf hindeutet, daß es von außen herabgelassen und wieder geschlossen wurde. Wie sah der Kasten aus, Miß Glarnston?“

„Es war ein schwarzer, flacher Blechkasten, etwa dreißig Zentimeter lang, achtzehn breit und sieben hoch. Er war mit einem Kunstschloß versehen und innen mit Watte gefüllt. Darin lagen 112 Diamanten, alles ausgesucht schöne Exemplare.“

„Der Kasten hatte Beschläge? Vielleicht Klappgriffe an beiden Seiten?“

„Ja, Klappgriffe.“

Harst blickte zu den Ventilationsfenstern nach oben.

„Sie schlafen sehr fest, Miß?“ fragte er dann.

Sie wurde rot und verlegen.

„Ja, sehr fest.“

„Sie – sind Morphinistin, Miß –“

Das war ganz leise geflüstert, war keine Frage, sondern eine Behauptung.

„Ja –“ hauchte sie.

„Man sieht es Ihren Pupillen an, die für Licht sehr empfindlich sind. Sie hatten sich gestern abend eine Injektion gemacht?“

Da jetzt im Gange die Neugierigen sich immer mehr stauten, winkte er das vielleicht fünfundvierzig Jahre alte Fräulein in die Kabine und schob die Tür zu, so daß wir beide mit ihr nun allein waren.

„So, jetzt sprechen Sie ganz offen, Miß Glarnston,“ fügte Harald liebenswürdig hinzu. Aber diese Liebenswürdigkeit hatte etwas Bedrohliches an sich. Ich kannte diese Freundlichkeit an Harst nur zu gut. Sie war ein Gemisch von Nachsicht, überlegener Ruhe und Siegergefühl.

„Arme Miß!“ dachte ich. „Du bist schon entlarvt!“

„Meine Nerven sind sehr herunter,“ erklärte sie zögernd. „Seit zwei Monaten bin ich – dem Morphiumlaster verfallen. Gestern abend kurz nach der Abfahrt aus Berlin machte ich mir eine Einspritzung, um schlafen zu können. Dann sicherte ich die Türen durch den zu diesem Zweck mitgenommenen Draht und legte mich nieder.“

„Wodurch sind Ihre Nerven so angegriffen worden?“

Miß Lydia Glarnston schaute wie hilflos zu Boden.

„Durch – durch Aufregungen,“ stammelte sie.

Sie log natürlich.

„Welcher Art waren diese Aufregungen?“ fragte Harald unbarmherzig weiter.

Sie seufzte und blickte ihn flehend an.

„Weil – weil ich in steter Angst schwebte, die Edelsteine könnten mir gestohlen werden.“

„Sie gehören ihnen?“

„– Ja –“

Das klang so unsicher, daß es mehr wie ein Nein war.

„Hm – weshalb wollen Sie nicht die Wahrheit sagen, Miß?“ meinte Harald wie warnend. „Daß Sie der Brillanten wegen nervös geworden und daß Sie Diebe fürchteten, glaube ich. Sie haben ja den Draht mit sich geführt, um die Türen besonders gut zu sichern. Also rechneten Sie mit dem Versuch eines Raubes. Aber – daß die Steine Ihr Eigentum sind, bezweifle ich.“

Jetzt wurde die Sache noch dunkler. – Harald glaubte ihr zum Teil?! Das begriff ich nicht.

„Doch – sie sind mein Eigentum!“ beharrte sie bei ihrer Behauptung.

„Nun gut –“

Und dann kam jene Bemerkung Harsts, die auf die Dinge ein noch rätselhafteres Licht warf.

„Nun gut. – Weshalb, Miß Glarnston, waren Sie gestern abend in der Blücherstraße vor meinem Hause, als Schraut und ich nach dem Bahnhof fahren wollten und als das zweite Auto dann erschien?“

Sie war jetzt wie mit Glut übergossen. Ihre Lippen bebten nervös. Ihre Finger spielten am Schloß ihrer Lackledertasche, knipsten es auf und zu. Ihr Gesicht war noch hilfloser als vorhin.

„Ich – ich kenne die Blücherstraße gar nicht,“ stotterte sie.

Haralds Antlitz wurde streng.

„Miß Glarnston, Sie waren dort! Sie trugen denselben gestreiften Ulster mit hellem Pelzbesatz, der dort hängt, auch denselben Lederhut. Und Ihr Auto hielt 150 Meter weiter links von meinem Hause. Sie vergessen, daß Sie mit Harst sprechen. Ich habe nun einmal die Eigentümlichkeit, mehr zu sehen als andere. Es kostet mich ein Wort, und man verhaftet Sie.“

„Oh – nur das nicht!“ Sie lehnte sich wie in einem Anfall von Schwäche an die Tür. „Nur das nicht. Dann – dann wäre der – der Erfolg gerade –“ – Sie schwieg. Plötzlich war ein Zug verzweifelter Energie in ihrem Gesicht erschienen.

„Die Steine gehören mir!“ rief sie. „Ich kann es beweisen. Ich habe sie vor einem halben Jahr in Indien gekauft! Hier – hier ist die Quittung des Verkäufers!“

Sie kramte in ihrer großen Lacklederhandtasche und hielt Harst nun ein Papier hin.

Ich sah, wie Haralds Gesicht beim Lesen erst einen erstaunten, dann einen stark nachdenklichen Zug annahmen.

Er reichte mir das Blatt, eine richtige Quittung. Sie war englisch geschrieben.

Kolombo, den 2. März 19…

Schon da stutzte auch ich.

Kolombo! Also Ceylon – also der Haupthafen der paradiesischen Insel, dieses südlichen Anhängsel von Vorderindien!

Merkwürdig – Ceylon! Und der Fall Barnlay sollte uns gleichfalls nach Ceylon führen!

Kolombo, den 2. März 19…

Der Elefantenjäger Kadugawa, des Schreibens unkundig, erklärt vor mir als Distriktsbeamten, das er von Miß Lydia Glarnston, Musiklehrerin in Kolombo, für 112 Diamanten insgesamt 2000 Pfund Sterling als Kaufpreis heute richtig erhalten hat und daß die drei untenstehenden Kreuze als seine Unterschrift gelten sollen.

Dienstsiegel

† † †
Edward Palling,
Distriktsbeamter, Kolombo.

Musiklehrerin! Hm – seltsam! Eine Musiklehrerin, die für 2000 Pfund Edelsteine kauft! –

Ich gab Miß Glarnston die Quittung zurück.

„Sind Sie nun überzeugt, Mr. Harst?“ fragte sie.

„Nein. Sie waren in der Blücherstraße – ohne Zweifel! Was wollten Sie dort?“

„Ich – ich wollte mir Ihr Haus ansehen, tatsächlich! Blücherstraße Nr. 10 ist doch berühmt geworden – wie Sie, Mr. Harst.“

Harald lächelte nachsichtig.

„Miß Glarnston, Sie werden ja doch mit der Wahrheit herausrücken müssen! – Etwas anderes: was taten Sie in Berlin und wohin wollten Sie reisen?“

„Ich wohnte in Berlin seit dem 4. April dieses Jahres. Jetzt wollte ich Freunde in Kolombo besuchen.“

Harst und ich zuckten in gleicher Weise zusammen.

Wieder Kolombo!

„Ein merkwürdiger Zufall!“ murmelte Harald. Dann lauter:

„Sie fürchteten für Ihre Diamanten, Miß. Sind denn bereits Versuche gemacht worden, Ihnen die Edelsteine zu rauben? Wußte jemand, daß Sie ein Vermögen in Brillanten besaßen?“

„Man – man hat es täglich versucht.“

„Wer?“

„Das kann ich nicht sagen. Ich wurde dauernd beobachtet. Daher wechselte ich auch beständig die Hotels und Pensionate. Die beiden Leute, die stets hinter mir her waren, sahen jeden Tag anders aus.“

„Also wußten diese beiden, daß Sie Edelsteine mit sich führten. Weshalb wandten Sie sich nicht an die Polizei?“

„Oh – die Leute belästigten mich ja nicht geradezu. Nein, sie behielten mich nur im Auge.“

„Hatten Sie den Juwelenkasten stets bei sich?“

„Nein. Es lag bis gestern nachmittag im Tresor der Deutschen Bank!“

Harst blickte Miß Glarnston jetzt durchdringend an und sagte:

„Gestern erhielten Sie eine Depesche, nicht wahr?“

Sie schüttelte den Kopf, wurde jedoch wieder sehr rot und schwieg, wohl in der Erkenntnis, daß Harst ihr doch nicht glauben würde.

„Miß Glarnston, Sie erhielten eine Depesche!“ wiederholte Harald streng. „Eine Depesche aus Kolombo. Und dieser Depesche wegen holten Sie den Kasten von der Bank und – kamen nach der Blücherstraße! Leugnen Sie doch nicht.“

Sie preßte die Lippen fester zusammen. Sie wollte nichts zugeben.

Harald winkte mir heimlich mit den Augen zu und deutete auf Miß Glarnstons Lackledertasche.

Dann – griff er danach, riß ihr die Tasche aus der Hand und meinte, während ich ihr rasch den Weg vertrat:

„Sie gestatten, daß ich die Depesche herausnehme, die ich vorhin bemerkte, als Sie nach der Quittung suchten.“

Sie begann zu weinen, rührte sich aber nicht.

Harst fand das Telegramm. Es war wirklich in Kolombo aufgegeben und gestern in Berlin nachmittags fünf Uhr eingetroffen.

Es lautete:

Miß Lydia Glarnston, Berlin, Deutschland,

Motzstraße 32

Pension Färber.

Erwarte Dich hier mit Gepäck. Habe mich an ihn gewandt. Die halbe Wahrheit soll an den Tag kommen. – Herzlichst Edlay.

Harst gab Miß Lydia die Depesche zurück.

„Ich bin jetzt so ziemlich im Bilde, Miß,“ sagte er. „Die Sache ist, was Ihre Person betrifft, harmlos. Der Juwelenkasten ist geangelt worden – mit Hilfe eines langen starken Eisendrahtes dort durch die offene Luftscheibe. Sie haben sehr fest geschlafen, und der Dieb schob den Haken unter das Kopfkissen in einen der Bügel. Es kann nur so sein. Sprechen Sie aber zu niemandem hierüber. Vielleicht erhalten Sie die Steine sehr bald wieder. Wir müssen sofort in München sein. Unterbrechen Sie dort die Fahrt. Kümmern Sie sich aber weiter nicht um uns. Ich werde so tun, als hätte ich hier nichts ausgerichtet. Sie hören noch von uns. Steigen Sie im Hotel Wittelsbach am Bahnhof ab. Auf Wiedersehen, Miß Glarnston.“

Wahrhaftig – er gab ihr ganz freundschaftlich die Hand!

Jetzt wußte ist schon gar nicht mehr, was ich von alledem denken sollte!

 

3. Kapitel.

Stuart Baßly, ein neuer Mitspieler.

Wir traten wieder in den Gang des Schlafwagens. Die Neugierigen hatten sich zerstreut.

Nur der Zugführer erwartete uns.

„Haben Sie etwas ermittelt, Herr Harst?“ fragte er.

„Wahrscheinlich war das Fenster nicht ganz geschlossen,“ meinte Harald. „Der Dieb dürfte diesen Weg gewählt haben.“

„Jedenfalls müssen alle Reisenden bei Ankunft in München durchsucht werden, nicht wahr?“

„Das wäre zwecklos. Der Zug hat doch mehrmals gehalten. Der Diebstahl kann vor einer Station begangen worden sein. Der Dieb ist sicherlich nicht mehr im Zuge.“

Als wir dann in unsere Kabine kamen, deren Tür jemand zugeschoben hatte, saß Mr. Bannimoore Godalper auf meinem Bett, hielt einen Revolver in der Rechten und stierte uns wie zwei Gespenster an.

„Da – da!“ rief er, und sein Gesicht war wie eine Maske wildester Angst, „– da – das hat man mir in – in den Hals schießen wollen!“

Er zeigte auf einen Blasrohrpfeil, der auf dem Tischchen vor dem Bett lag.

„An der Spitze ist – ist etwas Braunes – natürlich Gift,“ fügte er hinzu. „Als ich im Gange stand, flog mir dieser Pfeil in den Stehkragen. Hier – hier ist noch das Löchlein! Ein Zufall war’s, daß er nicht in den Hals drang!“

Harald nahm den Pfeil.

„Allerdings, das scheint Gift zu sein,“ nickte er. „Haben Sie denn nicht feststellen können, wer und wie man den Pfeil abschoß?“

„Es stand ja eine Mauer von Neugierigen um die Tür von Nr. 11 herum, Mr. Harst. Aber – etwas ist mir doch aufgefallen. Da war ein Herr mit einer sehr langen Zigarrenspitze. Vielleicht wurde die als Blasrohr benutzt.“

„Wie sah der Herr aus?“

„Er trug blaue Brille, dunkelblonden Vollbart und hatte eine gelbrote scheußliche Krawatte.“

„Die er jetzt längst weggeworfen haben wird, genau so wie die Brille und den Vollbart. Wir würden also umsonst nach dem Menschen suchen. – Mr. Godalper, Sie tun mir aufrichtig leid. Am besten ist, Sie steigen mit uns zusammen in München im Hotel d’Angleterre am Bahnhof ab und nehmen ein Zimmer neben uns. Wir dürften Ihre Verfolger bald ermitteln und festnehmen lassen. Ich will gern meine Reise nach Ceylon ein paar Tage verschieben.“

„Ja, tun Sie es, Mr. Harst. Ich bin wieder mehr tot als lebendig vor Angst. – Wie steht’s mit Miß Glarnstons Diamanten?“

„Weg – gestohlen! Der Dieb muß durch das Fenster eingestiegen sein. Ich habe jetzt nicht Zeit, mich mit diesem Diebstahl zu beschäftigten. Außerdem scheint Miß Glarnston nicht gerade viel Gewicht darauf zu legen, daß ich mich für sie bemühe.“

„Wie das, Mr. Harst?“ Und Godalpers Gesicht war jetzt gespanntestes Interesse. Seine Angst war merkwürdig schnell verflogen. Der Mann war ohne Frage ein guter, aber kein erstklassiger Komödiant.

„Sie suchte mich, glaube ich, zu belügen. Doch – lassen wird die Miß in Ruhe. Sie ist mir herzlich uninteressant. – Wir sind auch sofort angelangt. Beim Aussteigen nehmen wir Sie in die Mitte, Mr. Godalper. Im Hotel bleiben Sie besser auf Ihrem Zimmer oder gehen doch jedenfalls nur in unserer Begleitung aus.“ –

Das kleine Hotel d’Angleterre in München hatte noch genügend Zimmer frei. Wir wohnten im ersten Stock auf Nr. 18 und 19, während Godalper Nr. 17 belegt hatte.

Nachmittag gegen fünf Uhr kehrte Harald von einem Spaziergang zurück. Ich hatte mit Godalper eine Partie Schach gespielt. Leider war ich bisher nicht in der Lage gewesen, mit Harst mich über die Ereignisse im D-Zuge auszusprechen. Ich tappte also noch immer völlig im Dunkeln, was den Diebstahl und das Telegramm an Miß Glarnston betraf. Nur eins wußte ich: das Giftpfeilattentat war natürlich Schwindel! Ich argwöhnte, daß Godalper es nur erfunden hatte, um einen Anlaß zu haben, weiter noch mit uns als schutzbedürftiger Verfolgter zusammenbleiben zu können.

Harald hatte also angeklopft und Godalpers Zimmer betreten. Er war etwa drei Stunden weggewesen.

„Der Mann ist verhaftet,“ sagte er, nachdem er uns kurz begrüßt hatte.

Godalper fuhr empor. Ich sehe noch sein entsetztes Gesicht vor mir. Er stierte Harald an, merkte dann wohl, daß er doch eigentlich erfreut sein müßte, brachte ein verzerrtes Lächeln zustande und fragte unglaublich töricht:

„Wer?! Der Dieb?!“

Man stelle sich vor: er, dessen Leben angeblich jede Minute in Gefahr war, fragte nach dem Diebe und nicht nach einem der Attentäter!

Harald stand da, beide Hände in den Manteltaschen, und lächelte jetzt Godalper seinerseits an.

„Ganz recht: Stuart Baßly, der Dieb! Master Godalper. Gleichzeitig auch der falsche Kellner aus dem Wartesaal des Anhalter Bahnhofs, der Ihnen den – vergifteten Kaffee brachte.“

Godalpers Unterkiefer fiel vor Schreck herab. Ein Röcheln kam aus seiner Kehle.

„Gleichzeitig auch der Insasse der Kabine Nr. 14 aus unserem Schlafwagen,“ fügte Harald hinzu. „Der Mann hat bereits ein Geständnis abgelegt. Und Sie täten gut, dasselbe zu –“

Ah – jetzt zeigte sich, daß Bannimoore Godalpers Entsetzen ebenfalls nur erheuchelt gewesen. Der Kerl war weit gefährlicher, als wir beide, auch Harald also, ihn eingeschätzt hatten – weit gefährlicher.

Der Boxhieb, den Harst jetzt von dem eleganten Godalper gegen die Herzgrube erhielt, hätte einen Riesen niedergestreckt.

Harald sank zur Seite um, und Godalper hielt mir im selben Moment einen Revolver vor die Stirn.

„Bleiben Sie sitzen!“ fauchte er mich an. „Heben Sie die Arme hoch. – So, nun Mund auf!“

Er faßte mit der Linken in die Westentasche, brachte ein Fläschchen zum Vorschein, zog den Glasstöpsel mit den Zähnen heraus.

„Sie werden 24 Stunden nach diesen Tropfen wie ein Toter schlafen. Das ist alles!“ erklärte er. „24 Stunden Vorsprung genügen uns vollauf. Wenn Sie die Tropfen nicht schlucken, drücke ich ab!“

Dieser Schurke hatte vielleicht Gift in dem Fläschchen. Und – er würde sich hüten zu schießen. Das ganze Hotel wäre lebendig geworden.

Ich wagte viel, als ich die Arme sinken ließ und mit einem blitzschnellen Schlag von unten her den Revolver und Godalpers rechte Hand zu treffen suchte.

Doch – er war schneller. Er ließ die Waffe fallen und – derselbe Boxhieb streckte mich zu Boden.

Später stellte sich dann heraus, daß Godalper uns tatsächlich einen Schlaftrunk eingeflößt hatte. Man fand uns erst nach vierzehn Stunden in Godalpers verschlossenem Zimmer. Unsere Abwesenheit war aufgefallen, da der Münchener Kriminalinspektor Lodlermayer wiederholt nach uns gefragt hatte. So wurde denn am folgenden Morgen um sieben Uhr Godalpers Zimmer gewaltsam geöffnet. Ich lag auf dem Diwan, Harald auf dem Bett.

Aber erst gegen drei Uhr nachmittags gelang es den Ärzten, uns wieder ins Bewußtsein zurückzurufen. Starker Kaffee machte uns sehr bald vernehmungsfähig.

Lodlermayers erste Frage an Harald lautete:

„Waren Sie’s oder waren Sie’s nicht, der gestern abend um acht Uhr verkleidet bei mir erschien und bat, ihm den verhafteten Stuart Baßly mitzugeben, da Sie ihn zur Überführung Godalpers brauchten?“

„Ich war es nicht!“ sagte Harald dumpf. „Ich habe mich diesmal – blamiert! Nun sind sie beide entwischt!“

„Ja, das sind sie,“ nickte Lodlermayer verärgert. „Ich habe keine Schuld daran. Godalper hatte sich so tadellos verkleidet, daß ich unter der Maske eines behäbigen alten Herrn Sie tatsächlich wiederzuerkennen glaubte, Herr Harst. Ich zögerte nicht, Stuart Baßly ihm anzuvertrauen.“

Harald sagte gar nichts mehr. Ich merkte, wie sehr er sich über diesen Streich Godalpers innerlich erregte.

Dann ging er in die Telephonzelle des Hotels und kam nach wenigen Minuten zurück.

„Miß Glarnston ist heute früh weitergereist,“ erklärte er. „Auch wir verlassen München sofort. Sie hören noch von mir, Herr Lodlermayer. Auf Wiedersehen.“ –

Harald schritt im Zimmer unruhig hin und her und rauchte bereits die dritte Mirakulum.

„Was ist denn aus den Edelsteinen geworden?“ fragte ich aus meinem Sessel heraus, da Harst stumm blieb.

Er machte vor mir halt.

„Die habe ich Miß Glarnston zurückgegeben, nachdem ich sie dem angeblichen Stuart Baßly abgenommen hatte.“

„Richtig!“ und ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn. „Richtig – wie hast Du sie ihm abgenommen? Wie kamst Du auf diesen Mann? Warst Du schon vorher auf ihn aufmerksam geworden?“

Er blickte mich kopfschüttelnd an. „Lieber Alter, manchmal bist Du von einer verblüffenden Gedankenträgheit! Dieser angebliche Baßly – Gott weiß, wie er richtig heißen mag! – war doch der Mann im schwarzen Trikot! Du allerdings glaubtest, es sei Godalper. Das stimmte nicht. Der Mann im Trikot hatte Godalpers Kabine durch das Fenster betreten. Ich hörte, wie jemand dort bei Godalper an die Scheibe pochte, hörte dann das Herablassen des Fensters. Nachdem der Mann im Trikot nach dem Gange zu die Kabine wieder verlassen hatte, nachdem er dann zehn Minuten später dorthin zurückgekehrt und offenbar durch das Fenster hinausgestiegen war, hattest Du Dich vom Schlafe übermannen lassen und schliefst sogar so fest, daß ich unser Fenster öffnen und gleichfalls hinausklettern konnte. Ich stellte fest, daß nur noch in einer Kabine unseres Wagens die Lampe unverhüllt brannte: in Nr. 14! Ein winziger Spalt zwischen Vorhangrand und Fensterleiste ließ mich einen Mann erkennen, der sich gerade einen schwarzen Spitzbart vorklebte. Ich hatte genug gesehen. Ich machte mich auf den Rückweg und habe dann bis zum Morgen gut geschlafen. Dann kam die Entdeckung des Diebstahls der Edelsteine. Ich wußte, wer sie gestohlen hatte: der Mann im Trikot! Und das mußte der Mann aus Nr. 14 sein. So war es denn nicht weiter schwer, ihn, als ich angeblich spazieren gegangen war, mit Hilfe der Polizei in einer Pension hier ganz in der Nähe aufzustöbern. Der Kasten mit den Edelsteinen lag in einem Geheimfach seines Koffers. Der Mann hatte sich als Stuart Baßly ins Fremdenbuch eingetragen. Aber – ich habe Godalper nachher getäuscht, als ich behauptete, Baßly hätte ein Geständnis abgelegt! Nein, das ist nicht der Fall gewesen. Baßly hat hartnäckig geschwiegen. Da er keinerlei Papiere bei sich hatte, konnten wir ihm nicht nachweisen, wer er wirklich war. Dann trug ich den Kasten mit den Diamanten zu Miß Glarnston hin, die mir vor Dankbarkeit beinahe um den Hals fiel. Ich riet ihr, noch in München zu bleiben. Ich wollte ihr am nächsten Tage Bescheid geben, wann wir beide weiterreisen würden. Da dieser Bescheid von meiner Seite nicht erfolgte, ist sie eben abgedampft. – Noch eine Frage?“

„Ja. – Was hältst Du eigentlich von Godalper, Baßly und Miß Glarnston?“

„Das werde ich Dir in Kolombo sagen, lieber Alter. Jedenfalls: der Elefantenjäger Kadugawa ist die Hauptperson bei alledem!“

Jetzt saß ich mit einem fraglos sehr wenig geistvollen Gesicht da. Der Elefantenjäger Kadugawa sollte die Hauptperson sein –?! Das – das mochte ein anderer verstehen! Kadugawa war doch der Verkäufer der Edelsteine. Und dieser Eingeborene, der seinen Namen durch drei Kreuze gemalt hatte, sollte –

Da fügte Harald hinzu:

„Miß Glarnston hat mir nämlich vorgestern gegen vier Uhr, als ich ihr die Edelsteine gebracht hatte, etwas bestätigen müssen, was ich bereits ahnte: daß sie eine intime Bekannte Lady Edith Barnlays ist!“

„Wie?!“ rief ich. „Lady Barnlays?! Die Dir die Depesche aus Ceylon schickte?“

„Ja – und die vorher an Miß Glarnston ebenfalls eine Depesche gesandt hatte, nämlich die, von deren Inhalt wir uns halb gewaltsam Kenntnis verschafften –“

„Ah – die Depesche, die mit Edlay unterzeichnet war.“

„Ja – Ed – lay – Edith Barnlay!“

Ich sprang auf.

„Oh – ich begreife verschiedenes, Harald! „Erwarte Dich hier mit Gepäck“ – das hieß: mit den Edelsteinen! Und: „Habe mich an ihn gewandt“ hieß: an Harst! Und –“

Da – stoppte ich ab, sagte langsamer: „Hm – und dann „die halbe Wahrheit soll an den Tag kommen,“ – nein, das verstehe ich nicht!“

„Du wirst es verstehen – wenn wir in Kolombo sind! – Weiter hat Miß Glarnston noch zugegeben, daß der Elefantenjäger Kadugawa ein Vertrauter Lady Barnlays ist. Als ich sie dann fragte, ob sie bereits eingehender über den Mord an dem Gatten der Lady unterrichtet sei, verstummte sie völlig, weinte und erklärte nur schluchzend: „Quälen Sie mich nicht, Mr. Harst! Ich darf nicht sprechen!“ – Das ist alles, was ich Dir noch zu berichten hatte, mein Alter. – So, jetzt wollen wir unsere Koffer packen. Abends elf Uhr geht unser Zug. Bis Kolombo bitte ich mich weder an Lady Barnlay noch an Lydia Glarnston noch an Godalper-Baßly zu erinnern – mit keiner Silbe!“

 

4. Kapitel.

Zwei, die sich als Kollegen entpuppen.

In der deutschen Heimat hatten wir den Winter vor der Tür gehabt. Im Indischen Ozean erlebten wir 40 Grad Wärme. Und längst hatten wir unsere leichtesten Touristenanzüge angelegt.

Als der Dampfer im Hafen festgemacht hatte, als wir vor unseren gepackten Koffern in der Kabine standen, da schaute Harald mich augenzwinkernd an und meinte:

„So – angelangt! Zu – fünfen!“

„Zu fünfen?! Dann befinden sich Miß Glarnston und Godalper-Baßly gleichfalls an Bord!“

„Gewiß. Aber – sie benutzten nicht die erste, sondern die billigere zweite Kajüte. Im übrigen werden Godalper und Baßly hier sehr fürsorglich empfangen werden. Ich habe gestern abend an unseren hiesigen Freund Biberston, den wackeren Detektivinspektor Kolombos, eine längere drahtlose Depesche vorausgeschickt. Man wird Godalper und Baßly, die übrigens als älteres Ehepaar reisen, nicht aus den Augen lassen. Sie ahnen nicht, daß ich bereits Bescheid weiß, wer Mr. Morris Tocker nebst Gattin ist. Sie –“

Im selben Moment flog die Kabinentüre auf, ohne daß vorher angeklopft worden war.

Zwei elegante Europäer traten ein.

Die Tür flog zu.

Zwei vernickelte Revolver blitzten. Zwei Revolvermündungen waren auf uns gerichtet.

Einer der bartlosen Europäer sagte leise:

„Mr. Harst, die Depesche an Inspektor Biberston hätten Sie sich schenken können! – Wenn Sie jetzt auch nur mit der Wimper zucken, schießen wir Sie nieder. Die Nebenkabinen sind leer. Auf dem Deck ist ein solcher Höllenlärm, das kein Mensch auf zwei Schüsse achten wird. Sie tun also gut, verständig zu sein. Freund Baßly wird Sie beide fesseln. Daß ich Bannimoore Godalper bin, verrät Ihnen wohl meine Stimme.“

„Allerdings, Mr. Godalper.“

„Stuart,“ wandte Godalper sich an seinen Freund, „binde erst Harst. Und sei ohne Sorge! Ich habe den Finger am Drücker!“

Der Kerl scherzte nicht! Nein, man sah ihm an, daß er geschossen hätte.

Es blieb uns nichts anderes übrig als still zu halten. Wir bekamen auch Knebel in den Mund.

Dann – geschah das Tollste: die Schufte horchten in den Kabinengang hinaus und schleppten uns dann rasch nach der Kammer des ersten Stewards, wo sie uns auf dem Bett nebeneinander festbanden und mit den Decken zudeckten.

Es war anzunehmen, daß[1] der Steward nicht vor Abend seine Kammer betreten würde. Er hatte ja an Deck übergenug zu tun.

So lagen wir denn nun gefesselt, geknebelt und verhüllt auf dem schmalen Bett, während Godalper und Baßly in aller Ruhe verduften konnten. Inspektor Biberston würde umsonst nach dem alten Ehepaar Tocker Ausschau halten! –

Harald jedoch hatte den Knebel sehr bald herausgestoßen und holte keuchend Luft. Auch ich war schon fast dem Ersticken nahe.

„Sie sollen sich wundern!“ flüsterte er dann.

Und – seine Zähne rissen auch meinen Knebel heraus; seine Zähne waren es, die meine Handfesseln lösten; seine Zähne und seine schlangengleiche Gewandtheit befreiten uns in kaum fünf Minuten.

Wir stürmten in den Gang – nach unserer Kabine.

Sie war verschlossen.

Der Schlüssel aber war mit einem Bindfaden an den Türknopf gebunden.

Und als wir eintraten, saß da auf einem der Rohrsessel Miß Lydia Glarnston, – Miß Glarnston in einer tadellos gelungenen Verkleidung als mindestens siebzigjährige Greisin.

Saß und – weinte.

Saß und hatte einen Knebel im Munde, war an dem Rohrsessel festgebunden! –

„Die Diamanten!“ heulte sie auf, als Harald den Knebel entfernt hatte.

„Gestohlen, Miß?“

„Ja – ja – geraubt! Hohnlachend geraubt von eleganten Schurken!“

Wir banden Miß Lydia los.

„Kennen Sie die Diebe von früher her?“ fragte Harald.

„Nein – wirklich nicht! Ich habe sie nie gesehen. Sie sind mir –“

„Schon gut. – Eine andere Frage, Miß: Was sagten die Gauner, als sie Ihnen den Juwelenkasten gewaltsam wegnahmen?“

„Ja – das war eigentlich sehr merkwürdig, Mr. Harst. Der größere sagte: „Grüßen Sie Harst und Schraut, Miß! Wir sind bei Kadugawa zu finden.““

„Wo wohnt der Elefantenjäger?“

„Unweit von Kolombo im Dorfe Palemkima. Man fährt keine halbe Stunde dorthin.“

„Treffen Sie sich mit Lady Barnlay hier, Miß Glarnston?“

„Ja. Die Lady besitzt hier ein Sommerhaus.“

„Dann bestellen Sie ihr bitte, daß sie uns noch heute erwarten möge. Es ist jetzt drei Uhr nachmittags. Sagen wir um acht Uhr abends im Sommerhause der Lady.“

„Oh – werden Sie die Diamanten mitbringen, Mr. Harst?“

„Vielleicht. Aber – ich werde dann von der Lady verlangen, daß sie die ganze Wahrheit enthüllt!“

Miß Glarnstons Augen weiteten sich vor Schreck.

„Das – das tut sie nie!“ rief sie dann händeringend.

„Was sehr töricht wäre, Miß, zumal ich drei Viertel der Wahrheit bereits kenne!“

„Unmöglich, Mr. Harst!“

Da faßte Harald in die Tasche und holte drei Zeitungen hervor.

„Es sind dies recht alte Blätter, Miß,“ sagte er. „Recht alte! Nämlich vom März dieses Jahres. Ich fand sie beim Schiffszahlmeister, der zum Glück die Nummern des Kolomboer New Herald gesammelt hatte. Und in diesen Zeitungen sind die Artikel über einen Diamantendiebstahl enthalten. – Ah – Sie werden blaß, Miß Glarnston! Ja, als Detektiv sucht man eben überall nach Spuren. – Wäre es nicht besser, wenn Sie endlich die Wahrheit sagten?“

Lydia Glarnston saß leise schluchzend im Korbsessel.

Ich stand wie ein blinder Tor dabei. Wenn ich doch nur etwas von alledem begriffen hätte.

„Ich – ich darf nicht!“ stöhnte die Miß kläglich. „Quälen Sie mich doch nicht wieder, Mr. Harst! Ich darf wirklich nicht!“

„Geben Sie zu, daß zwischen Ihnen und Lady Barnlay schon vorher schriftlich vereinbart war, daß Sie mit mir zugleich nach Kolombo reisen sollten? Geben Sie zu, daß Sie in die Blücherstraße kamen, um sich zu überzeugen, ob ich auf Lady Barnlays Depesche hin abreisen würde, und daß Sie in meiner Gesellschaft die Fahrt antreten sollten, um mich jeder Zeit als Schutz bei der Hand zu haben?“

Sie senkte den Kopf und schwieg.

Das war genau so gut wie ein Ja! Genau so gut!

„Auf Wiedersehen also, Miß Lydia,“ fügte Harald hinzu. „Ich bin auf Kadugawa sehr gespannt – sehr!“

Wir verließen die Kabine, sagten auf Deck dem ersten Steward, daß unser Gepäck nach dem Hotel Imperial geschafft werden sollte und bestiegen am Hafen einen der federleichten Ponywagen.

„Nach Palemkima!“ rief Harst dem braunen Kutscher zu.

Da – ein blondbärtiges dünnes Kerlchen drängte sich an den Wagen heran, rief, mit den Armen fuchtelnd:

„Halt – halt – Mr. Harst, erkennen Sie mich denn nicht?! Ich bin doch Charley Biberston!“

„Allerdings – Sie sind Biberston! Wie geht’s? – Steigen Sie ein. So – Nun erzählen Sie mal, wie Lord Barnlay ermordet wurde.“

Biberston holte tief Atem.

„Sie lassen einen ja gar nicht zu Worte kommen, Mr. Harst! Zunächst: wo ist denn das signalisierte alte Ehepaar?“

„Zunächst, lieber Biberston: wo und wie wurde John Barnlay ermordet?“

Der kleine Inspektor seufzte.

„Das ist ein ganz aussichtsloser Fall, Mr. Harst. Wirklich. Der Lord wurde hier im Garten seines Sommerhauses tot, aber ohne Kopf, aufgefunden, und zwar früh morgens am 12. September. Die Lady erklärte, es sei ihr Gatte, obwohl der Kopf fehlte. Auch die Dienerschaft und zwei Freunde des Lords versicherten, es handele sich um den Lord. Ich selbst hegte ebenfalls keinerlei Zweifel. Lord Barnlay fehlte an der linken Hand der kleine Finger. Außerdem – wer sollte die kopflose Leiche sonst wohl sein?!“

Der Wagen rollte durch saubere, breite Straßen. Mir war Kolombo nicht fremd. Und doch packte es mich wieder wie ein Rausch beim Anblick der Riesenfächerpalmen, der ganzen wundervollen tropischen Pflanzenwelt.

„Ist der Kopf also nicht gefunden worden?“ fragte Harald.

„Nein.“

„Und weshalb dieser Mord?“

Biberston zuckte die Achseln. „Keine Ahnung!“

„Die Täter?“

„Erst recht keine Ahnung –“

„Ist Ihnen nie der Verdacht gekommen, daß – Lord John Barnlay nur – spurlos verschwinden wollte, daß also der Kopf dem Toten abgeschnitten wurde, damit die Täuschung möglich würde?!“

„Gewiß, Mr. Harst. Aber – dieser Verdacht ist haltlos. Barnlay ist ein angesehener Mann, wenn auch ein – Spieler. Im Klub hier in Kolombo sind schon Millionen dem Spielteufel geopfert worden.“

„Etwas anderes, Biberston. Im März dieses Jahres wurden einem chinesischen Diamantenhändler hier eine Menge kostbarer Steine gestohlen. Nach den[2] Zeitungsnotizen hat ein Einbrecher den Händler mit einer Pistole bedroht und ihn gezwungen, die Diamanten herauszugeben. Der Chinese hat ausgesagt, der Räuber sei ein vermummter Eingeborener gewesen. Er hat dann zwei Detektive aus Bombay beauftragt, die Steine wieder herbeizuschaffen, die einen Wert von etwa 40 000 Pfund Sterling haben sollen.“ –

Jetzt vergaß ich die Schönheit der Landschaft, des neuen Europäerviertels; jetzt lauschte ich auf jedes Wort dieser Unterhaltung.

„Stimmt alles, Mr. Harst,“ nickte Biberston. „Nur – nur es gibt viele Leute, die dem Chinesen Ming Fo nicht recht trauen und behaupten, Ming Fo habe den Raub nur erfunden, um die Versicherungssumme von der Bombayer Diebstahlsversicherungsgesellschaft zu erhalten.“

„Haben denn die Detektive nichts ausgerichtet?“

Biberston lächelte geringschätzig. „Denken Sie, die beiden Helden trafen vorhin mit demselben Dampfer wie Sie hier ein. Ich kenne sie. Einer von ihnen sprach mich an und meinte, ich würde noch heute eine nette Überraschung erleben.“

„Heißt der Mann vielleicht Bannimoore Godalper?“

Biberston schaute Harald scharf an. „Ja. Haben Sie seine Bekanntschaft gemacht, Mr. Harst?“

„Gewiß. Wir sind sogar sehr intim geworden, haben geboxt und uns unsere Revolver gezeigt –“

Biberston riß den Mund auf.

„Ist das wahr, Mr. Harst?“

„Tatsache! Ich habe sogar die Diamanten Ming Fos gesehen –“

„Nicht möglich!“

„Doch, lieber Biberston. Dieser Godalper und sein Kollege Baßly hatten die Spur der Diamanten bis Berlin verfolgt –“

„Donnerwetter – bis Berlin!“

„Ja – bis zum Tresor der dortigen Deutschen Bank. Und hier in Kolombo hat Ming Fo den Anhang des Räubers im Auge behalten.“

„Anhang?“

„Ja, dessen Verwandte, meine ich –“

„Hm – und weiter?“

„Nun wollen Godalper und Baßly, die ich zunächst etwas falsch eingeschätzt hatte, weil der Fall sehr verwickelt liegt, den einen Helfershelfer des Räubers zu einem Geständnis zwingen –“

„Ah – und das wäre?“

„Ein Elefantenjäger namens Kadugawa –“

„Wie?! Kadugawa?! Der berühmteste Elefantenjäger Ceylons?! Ein ehrwürdiger Greis von siebzig Jahren – ausgeschlossen! Ganz ausgeschlossen!“

„Sagen Sie das nicht, Biberston! Ist Kadugawa nicht mit Lady Barnlay befreundet?“

„Befreundet ist zu wenig, Mr. Harst. Kadugawa war Diener bei Lady Barnlays Vater. Er liebt die Lady wie sein Kind. Er ist ein sehr wohlhabender Mann, wenn er auch in einer ärmlichen Hütte haust.“

„Wir fahren jetzt zu ihm –“

„Ah – und dort – und dann?“

„Werden Sie miterleben, was geschieht. Lady Barnlay hat mich telegraphisch hergebeten, damit ich den Mord an ihrem Gatten aufkläre. Sie hat aber vorher ihrer Vertrauten depeschiert, daß nur die halbe Wahrheit an den Tag kommen solle. Sie hoffte, die andere Hälfte würde für mich Geheimnis bleiben. Sie irrte sich: jetzt weiß ich alles, und jetzt weiß ich das Richtige!“

„Oh – Sie können einen neugierig machen, Mr. Harst –“

„Mit Recht. Der Fall Barnlay ist nicht alltäglich.“

Auch mir war jetzt ein Licht aufgegangen.

Eigentlich war es recht scherzhaft, daß Godalper als Detektiv uns teilweise so kräftig geleimt hatte! Nur – er hätte weniger gewalttätig vorgehen können. –

Alle weiteren Fragen Biberstons beantwortete Harald sehr ausweichend. Er wollte seine Karten eben nicht zu früh aufdecken.

 

5. Kapitel.

Kadugawas Tod.

Das Dorf Palemkima war erreicht.

Wir stiegen aus. Biberston führte uns an einem Bache entlang in einen Wald. Eine Schar neugieriger Singhalesenkinder wollte sich uns anschließen. Harst warf ihnen Geld zu und jagte sie weg.

„Wenn wir uns Kadugawas Hütte nähern, bleiben Sie zurück, lieber Biberston,“ bat Harald. „Dann schleichen Sie im Bogen an die Hütte heran.“

„Gut, wird gemacht. – Ist Kadugawa wirklich der Edelsteinräuber?“

„Habe ich dies irgendwie angedeutet?“ meinte Harst. „Sie müssen sich darauf gefaßt machen, Biberston, daß –“

Da – vor uns ein dünner Knall.

„Das war ein Revolverschuß,“ flüsterte Biberston. „Wir müssen die Hütte gleich sehen –“

„Dann bleiben Sie zurück!“ Harald begann zu laufen. Ich hielt mich dicht hinter ihm.

Noch ein paar Buschstreifen.

Nun linker Hand am Rande einer Lichtung eine Bambushütte.

Nun Kadugawa auf einem mächtigen, zahmen Elefanten.

Der berühmte Elefantenjäger mußte soeben erst auf dem Halse des riesigen Dickhäuters Platz genommen haben, mußte in aller Eile haben fliehen wollen.

Aber – der Elefant war mit dem rechten Fuß noch angekettet.

Jetzt rief Kadugawa dem Tiere einen Befehl zu.

Ohne Zweifel hätte der graue Koloß den Pfahl, an den er gekettet war, ausgerissen.

Da sprang Harald zu.

Die Clement fuhr empor, die kleine neunschüssige Repetierpistole.

„Halt!“ befahl Harst. „Halt Kadugawa! Ich habe mit Dir zu reden!“

Doch der graubärtige Singhalese achtete nicht auf den Zuruf, wiederholte den Befehl an den Elefanten, der denn auch Miene machte, davonzurennen.

Harald wollte jetzt mit einem Satz den Arm Kadugawas packen und den Greis von dem Tiere herabzerren.

Wollte.

Der Elefant hatte schon mit dem Rüssel ausgeholt und – hätte der Schlag getroffen, wäre Harald wohl erledigt gewesen.

Harst warf sich lang hin.

Der Rüssel sauste über ihn weg.

Wieder ein Sprung – ein Griff.

Kadugawa flog ins Gras, wo ich ihn sofort in Empfang nahm.

Ein Blick aus den dunklen Augen des Farbigen traf mich, als ob er mich morden wollte. Aber ich hielt trotzdem seine Arme fest, bis Harst und der inzwischen ebenfalls erschienene Biberston den alten Singhalesen aufrichteten und auch nicht wieder losließen, obwohl der Elefantenjäger sich verzweifelt wehrte.

Schließlich gab er dann den Widerstand auf und sagte in recht fließendem Englisch zu dem ihm von Ansehen recht gut bekannten Detektivinspektor:

„Biberston, Ihr behandelt mich wie einen Mörder! Wessen beschuldigt man mich?“ – Er gab sich jetzt völlig als gebildeter Mensch. In seinem ganzen Auftreten lagen Würde und eine gewisse natürliche Vornehmheit.

„Das wird Dir Mr. Harst vorhalten, Kadugawa,“ erklärte der Inspektor.

Die klaren, kühnen Augen des Elefantenjägers ruhten seltsam durchdringend auf Haralds von der Tropensonne bereits wieder leicht gebräuntem Gesicht.

„Ah – also Ihr seid wirklich der berühmte Mann, dem, wie man behauptet, kein Geheimnis verborgen bleibt,“ sagte er nun zu meinem Freunde. „Ich habe viel von Euch gehört, Mr. Harst, sehr viel – Gutes. Ihr sollt die Verfehlungen der Menschen anders beurteilen als die meisten, die sich ein Urteil über andere erlauben dürfen; Ihr sollt die Unschuld schützen und den Verbrecher, der sich aus Not verging, dem Arm der alles gleich beurteilenden indischen Gerechtigkeit entziehen. – Haltet mir vor, Mr. Harst, was ich getan haben soll.“

Die einleitenden Worte zu diesem Schlußsatz verrieten schon, daß Kadugawa auf Haralds Nachsicht rechnete. Jedenfalls machte dieser alte Singhalese einen außerordentlich sympathischen Eindruck auf mich. Ich war daher auf den Ausgang dieses Abenteuers noch gespannter als vorhin.

Harald schien es nicht angenehm zu sein, daß Biberston Zeuge dieses Gesprächs war. Er zögerte etwas, fragte dann:

„Wir hörten einen Schuß, als wir uns Deiner Hütte näherten. Wer hat den Schuß abgefeuert?“

„Ich.“ Und der Elefantenjäger zog einen Revolver aus seinem losen Obergewand. „Es war etwas an der Waffe in Unordnung. Ich wollte sie ausprobieren. Ich hatte sie gerade ausgebessert.“

„Zwei Europäer wollten Dich besuchen, Kadugawa. Haben sie sich bereits wieder entfernt?“

„So ist es, Sahib –“ – Der Singhalese gebrauchte plötzlich die unterwürfigere Anrede „Sahib“ (Herr, Gebieter). Mir schien es, als ob er es aus Dankbarkeit tat, weil Harst ihm die Antwort gleich in den Mund gelegt hatte, was die beiden Detektive betraf.

Harald nahm uns, Biberston und mich, jetzt bei Seite und flüsterte dem Inspektor hastig zu:

„Sie könnten mir einen Gefallen tun, Biberston. Fahren Sie doch nach Kolombo zurück und stellen Sie fest, wo Godalper und Baßly abgestiegen sind. Sagen Sie ihnen bitte, ich würde gegen neun Uhr abends zu ihnen kommen. Hier wird ja von Kadugawa kaum etwas zu erfahren sein. Der Alte macht ganz den Eindruck, daß er nichts aus sich herauslocken läßt. – Übrigens eine Frage, Biberston: hier in Kolombo gehen wohl allerhand Gerüchte um, die für Lady Barnlay wenig schmeichelhaft sind? Ich denke, man wird ihr insgeheim die Schuld an dem Tode ihres Mannes beimessen. Das Ehepaar dürfte nicht sehr glücklich gelebt haben –“

Biberston nickte.

„Das stimmt, Mr. Harst. Man munkelt hier allerlei. Natürlich barer Unsinn alles!“

„Dann hat Lady Barnlay mich herbeigerufen, damit dieses Gerede aufhört, damit ich beweise, daß auch nicht eine Spur von Schuld ihr zuzumessen ist. – Auf Wiedersehen, lieber Biberston. Es wird für Sie vielleicht nicht ganz einfach sein, Godalper und Baßly zu finden. Möglich, daß sie sich zu Lady Barnlay begeben haben.“

Der arglose Inspektor war viel zu diensteifrig, um zu merken, daß Harst ihn nur los sein wollte. Er verabschiedete sich und winkte uns noch von weitem freundlich zu.

Nun waren wir mit Kadugawa auf der Waldlichtung allein. Der Elefantenjäger war an den riesigen zahmen Dickhäuter herangetreten und streichelte ihm den Rüssel.

„Kadugawa,“ sagte Harald ernst, „wir wollen jetzt ehrlich zueinander sein. Dort an Deiner linken Schulter ist Dein Gewand durchlöchert. Eine Kugel hat den Stoff durchbohrt. Man hat vorhin auf Dich geschossen, als wir den Knall hörten. Wo sind die Detektive Godalper und Baßly? Einer von ihnen feuerte auf Dich.“

Der Elefantenjäger schwieg und blickte durch die Baumkronen nach Westen zu, wo die Sonne sich anschickte, im Meere zu versinken. Kadugawas Blick hatte dabei etwas seltsam Überirdisches.

„Ich will Dir sagen, was sich zugetragen hat,“ fuhr Harald fort. „Lord John Barnlay, ein Spieler, war in Geldverlegenheit und beraubte den Händler Ming Fo. Seine Gattin erfuhr dies, nahm ihm die Edelsteine ab und brachte sie zu Dir. In ihrer Angst, daß ihr Mann als Dieb bloßgestellt werden könnte, wagte sie es nicht, dem Bestohlenen die Diamanten wieder zurückzugeben. Du rietest ihr, daß ihre Freundin Lydia Glarnston mit den Steinen nach Europa reisen sollte, bis hier Gras über die Geschichte gewachsen wäre und man Ming Fo irgendwie die Diamanten wieder aushändigen könnte, ohne daß auf Barnlay Verdacht fiele. So reiste denn Lydia Glarnston nach Berlin – angeblich mit Edelsteinen, die Du ihr verkauft hattest. Sie sollte sich eben nötigenfalls über den Erwerb der Diamanten ausweisen können. Dann aber merktet Ihr hier, nämlich Du und die Lady, daß Godalper und Baßly die Wahrheit halb enthüllt hatten. Also war John Barnlay in Gefahr, trotz allem noch verhaftet zu werden. Damit er diesem Schicksal entginge, brachtet Ihr einen fremden Toten, einen Europäer, dem gleichfalls der kleine linke Finger fehlte, in den Garten des Barnlayschen Sommerhauses. Der Lord selbst hat sich anderswohin begeben, hat sich eben für immer von seiner Frau getrennt, der einzig und allein daran lag, von dem Namen Barnlay Schimpf und Schande abzuwehren. – Sag mir jetzt: was hast Du mit Godalper und Baßly getan, Kadugawa? Sage die Wahrheit!“

Da wandte der alte Singhalese sein von den rötlichen Strahlen der untergehenden Sonne bestrahltes Antlitz Harald voll zu und erwiderte:

„Sahib, Lady Edith Barnlay hat mir dreimal auf der Jagd das Leben gerettet. Ich habe sie auf meinen Knien als Kind geschaukelt. Und – ich gelobte ihr Stillschweigen! Ich halte dieses Versprechen. Ob das, was Du soeben sprachst, Sahib, richtig oder falsch ist, mag Dir Dein eigener Verstand sagen. – Ich habe lange genug gelebt. Ich nehme viele Geheimnisse mit in Brahmas Himmel hinüber. Ich werde wieder auferstehen in dem Leibe des klügsten aller Tiere, des Elefanten –“

Er hatte dem zahmen Dickhäuter einen kurzen Befehl zugerufen, ließ sich durch den Rüssel auf den Nacken des Tieres heben und – jagte sich hier eine Revolverkugel in die Stirn, glitt sterbend herab, ward von Harald aufgefangen und ins Gras gelegt.

Noch ein schwaches Zucken lief durch den Leib Kadugawas. Dann war er tot.

Die letzten Ereignisse hatten sich so blitzschnell abgespielt, daß ich erst wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, als Harald sagte:

„Ich wußte, daß Kadugawa die Hauptperson dieses Dramas war. Ich weiß auch, daß meine Kombinationen, was den Raub der Diamanten und den angeblichen Mord betrifft, richtig sind. Ich weiß jedoch nicht, wer der Tote war, den man für John Barnlay ausgab, wo Barnlay, Godalper und Baßly geblieben sind und auf welche Geheimnisse der alte Singhalese in seinen letzten Worten anspielte. Wir haben hier also noch genug Arbeit. Fahren wir zu Lady Barnlay, nachdem wir Kadugawas Hütte durchsucht haben!“ –

Was wir in dieser Hütte fanden –?

Der Leser mag umblättern. Es beginnt die merkwürdige Geschichte des Auslegerbootes.

 

 

Das Auslegerboot.

 

1. Kapitel.

Was wir fanden.

Der Leser mag den Schluß des vorigen Abenteuers etwas unbefriedigend gefunden haben.

Und doch: sollte ich den Tatsachen Gewalt antun und in anderer Reihenfolge schildern, nur um dem ersten Teil dieser beiden Probleme ein wirkungsvolleres Ende zu geben?! –

Das Geheimnis des Elefantenjägers geht weiter. Der Diamantenraub, der Mord und die Rolle, die Kadugawa bei beiden spielte, sind in der Hauptsache erledigt. Es beginnt die Fortsetzung. Und sie beginnt in des Elefantenjägers ärmlicher, aber sauberer Bambushütte, die durch Querwände in zwei Wohnräume und eine Küche zerlegt war.

Wir hatten diese drei Räume mit jener Genauigkeit untersucht, die bei unserem Beruf schließlich selbstverständlich wird. Wir hatten festgestellt, daß die Hütte sich auf einer mit einer dünnen Schicht fruchtbaren Erde bedeckten Felsplatte erhob, hatten dann auch den kleinen Garten, den Stall und das angrenzende Feld in Augenschein genommen, hatten mit wachsender Enttäuschung die Sonne immer mehr sinken sehen und dachten bereits an den Rückweg, als Harald unvermittelt sagte:

„Ich bleibe dabei! Er hat sie irgendwo verschwinden lassen!“

„Godalper und Baßly?“

„Wen sonst?! – Weshalb erschoß er sich wohl? – Es war die letzte Folge seines der Lady geleisteten Versprechens. Godalper und Baßly kamen her und sagten ihm auf den Kopf zu: „Du, Kadugawa weißt, daß der Lord die Diamanten raubte! Du hast der Lady geholfen, den Sachverhalt zu verschleiern. Damit ist es nun aus! Wir werden Dich festnehmen, und die Behörden werden die Wahrheit aus Dir herauspressen!“ – Da hat Kadugawa eingesehen, daß das große Geheimnis nur bewahrt bleiben könnte, wenn Godalper und Baßly verschwänden, da hat er sie eben verschwinden lassen, hat die Kugel als Quittung erhalten und glaubte: „Nun hast Du Deinen Schwur beherzigt! Nun wird alles ein Geheimnis bleiben!“ – Dann tauchten wir auf, dann fiel mein Name, dann sah Kadugawa den Mann vor sich, den Lady Edith zu Hilfe gerufen hatte, damit die Lästerzungen hier zum Schweigen gebracht würden. Und da erkannte er, daß nun doch nichts mehr zu retten war, daß er reden müsse, und – lieber erschoß er sich, als etwas zu verraten. Du wirst zugeben, mein Alter: in diesem Kadugawa steckte ein gut Teil Heroismus! Es war der blinde Heroismus des halben Wilden des von der Kultur teilweise Angekränkelten. – Wo ließ er Godalper und Baßly verschwinden? Und – wie und wann?“

Wir standen jetzt vor der Hintertür der Bambushütte, vor der Tür, die in die kleine Küche führte.

Über uns wisperten und rauschten tropische Bäume mit seltsamem Blätterschmuck; über uns turnten graugrüne Affen in den Zweigen, halb zahm, daher frech und anmaßend, schnatternd und wild erregt über die fremden Gesichter.

„Wann?“ wiederholte Harald die sich selbst gestellte Frage. „Nun – jedenfalls kurz vor unserem Anlangen hier. Wir hörten ja noch den Schuß – die Quittung auf Kadugawas Gewalttat. – Und wo? – Nun, ich denke, es wird in der Hütte gewesen sein. Der Schuß klang gedämpft. Er fiel nicht im Freien. – Deshalb durchsuchten wir die Hütte, sahen, daß der Boden aus festgestampftem Lehm besteht und daß diese Lehmschicht nichts von geheimen Türen oder dergleichen enthalten kann. – Und doch: irgendwo muß es in der Hütte etwas derartiges geben – muß! Wo sind Godalper und Baßly sonst geblieben?!“

Er schaute jetzt in den Küchenverschlag hinein, schaute mit jenem abwesenden, zerstreuten Blick auf den aus Lehmziegeln etwa nach europäischer Art errichteten Herd, daß ich genau wußte: er sieht jetzt gar nicht den Herd, er sieht etwas ganz anderes – irgend ein Bild, das er sich in Gedanken konstruiert hat. –

Ich täuschte mich.

Wieder ganz unvermittelt fügte er hinzu:

„Der Herd ist auf Brettern aufgemauert!“

„Ja – auf einer Unterlage von Brettern –“

„– Die auf drei runden Pfählen ruht – vielleicht, damit man den ganzen Lehmherd von der Wand bequem wegrollen kann. Versuchen wir es. Der Lehmboden vor dem Herde verrät, daß die Holzwalzen noch vor kurzem darüber hinweggeglitten sind. Siehst Du die breitgedrückte Spinne dort? Ihr Körper ist eine feuchte, glatte Masse geworden. Nur die Beine bewegen sich noch. Es sind Muskelzuckungen, keine Lebensäußerungen mehr. Jedenfalls: das Tierchen hat noch vor einer halben Stunde gelebt!“

Haralds scharfe Augen hatten wieder einmal mehr erspäht als die meinen.

Wirklich: da war außer der Spinne auf dem Lehmboden noch etwas wie eine breite, glatte Schramme zu bemerken, die sich bis zu der vordersten Walze fortsetzte!

Harst packte den Herd an den Vorderecken.

Ein Ruck – noch einer.

Und der Herd rollte von der Wand ab und gab ein quadratisches Loch im Boden frei, ein Loch in der Felsplatte, auf der die Hütte stand.

Haralds Taschenlampe blitzte auf. Der Lichtkegel tauchte in die Öffnung ein, zeigte eine Bambusleiter und einen Schacht mit zackigen Wänden von gut acht Meter Tiefe.

„Eine primitive Geheimtür,“ meinte Harald. „Der bewegliche Herd entspricht dem Bildungsgrade und der natürlichen Klugheit Kadugawas. – Steigen wir hinab –“

Harst kletterte voran. Eine Bambusleiter ist nicht gerade für zwei Europäer berechnet.

„Warte oben,“ rief Harald mir zu. „Diese Leiter scheint wenig fest zu sein –“

Ich wartete also, hatte auch meine Taschenlampe eingeschaltet und beobachtete Harst, der sehr vorsichtig hinabstieg.

Nun war er unten, meldete sich wieder:

„Hier geht es rechts weiter in die Tiefe; hier ist eine zweite Leiter in einem neuen natürlichen Schacht. Fürwahr – das reine Bergwerk! Freilich, das Dorf Palemkima liegt sehr hoch. – Du kannst mir nun folgen, mein Alter.“

Ich tat es. – Ich stand gleich darauf neben Harald auf der Sohle des zweiten Schachtes, der sich nach Süden hin als breiter Felsgang fortsetzte.

Harald bückte sich und hob ein Zündholz auf, besser: den winzigen Rest eines weißen Zündhölzchens, das bis auf ein einen Zentimeter langes Stück abgebrannt war.

Harst roch daran.

„Es liegt hier erst kurze Zeit. Ich glaube, Godalper oder Baßly haben es als Leuchte benutzt.“

Er trat in den Felsgang ein, schritt weiter, fand ein zweites Zündholz.

„Wir sind auf ihrer Fährte,“ sagte er nur.

Wir kamen in eine niedrige Grotte, die in vielfachen Windungen sich anscheinend in westlicher Hauptrichtung weiter erstreckte.

Wieder ein Zündholz – abermals eins.

Nun waren es schon 24. Ich hatte mitgezählt.

„Wenn die Grotte diese Richtung beibehält, gelangen wir in die Nähe der Küste,“ erklärte Harald und bückte sich nach dem 25. Zündholzrest. „Ich habe noch in keinem einzigen Buche über Ceylon diese Höhle erwähnt gefunden. Sie muß also Kadugawas alleiniges Geheimnis sein – eins seiner Geheimnisse!“

„Mir ist nun auch klar, wie er die beiden Detektive verschwinden ließ,“ fuhr Harald fort. „Er hat sie in den Schacht gelockt und die erste Leiter dann hochgezogen. Da schoß einer der beiden auf ihn, und in dem Schacht verstärkte sich der Knall des Schusses zu einer solchen Detonation, daß auch wir sie hörten.“

„So stelle ich mir den Hergang ebenfalls vor,“ nickte ich. „Findest Du nicht, daß die Luft jetzt wärmer wird?“

„Ja, wir nähern uns dem Ausgang.“

Harst wollte offenbar noch etwas hinzufügen.

Aber – es ereignete sich ganz plötzlich etwas höchst Seltsames: ein Mann kam in wilden Sätzen die Grotte entlang uns entgegengestürmt, hinter ihm drein ein mächtiger Hund, ein prachtvolles Exemplar von einem russischen Windhund!

Der Mann war ein Eingeborener.

Jetzt – kaum zehn Schritte vor uns – erreichte er, sich plötzlich zur Seite werfend, in kräftigem Satz einen Vorsprung an der linken Grottenwand, schien sich dort niederzuwerfen und war im Moment verschwunden.

Auch der Hund hatte halt gemacht, knurrte dumpf und beäugte uns.

Harst rief ihn an, sprach zu ihm.

Die buschige Rute des Tieres begann freundlich hin und her zu pendeln.

So kam er näher, ließ sich den Kopf streicheln und richtete sich dann an der Wand hoch, indem er ein merkwürdiges Winseln hören ließ.

Harst wandte sich halb um und meinte, während er den Hund im Auge behielt:

„Ich werde ebenfalls den Vorsprung erklimmen. Es muß dahinter eine Öffnung geben.“

Seine Vermutung traf zu. Es war da ein schräger Schacht vorhanden, der in eine Seitengrotte führte. Aber umsonst suchten wir in dieser kleinen Nebenhöhle nach einem Ausgang.

Wir kehrten daher in die Hauptgrotte zurück. Der Hund aber war nicht mehr da.

Und wieder nach zehn Minuten hörten wir das Branden des Meeres, traten aus einer schmalen Felsspalte in das zerklüftete Gestade einer breiten Meeresbucht hinaus, die durch ein paar Felseilande nach der See hin abgegrenzt war.

Ein frischer Wind jagte uns den Gischt der Brandung ins Gesicht.

Noch war es nicht völlig dunkel.

Und wir beide erblickten nun gleichzeitig jenseits des weißen Brandungsstreifens ein sogenanntes Auslegerboot, das heißt einen Nachen der Eingeborenen, an dem, um das Kippen zu verhindern, noch ein Pfahl befestigt war, gleichsam ein zweiter Bootskörper.

In diesem Nachen saß ein Mensch – ob Mann oder Weib, war nicht mehr zu erkennen – und gebrauchte geschickt ein Paddelruder, während vorn im Boote ein Tier hockte: der Windhund, dessen weißes Fell durch die Dämmerung leuchtete wie Brandungsschaum.

Wir standen und schauten dem entschwindenden Boote nach.

„Vielleicht Kadugawas zweites Geheimnis,“ meinte Harald. „Wichtiger ist zunächst: wo sind die Kollegen Godalper und Baßly?“

Das Auslegerboot verschwand in der rasch zunehmenden Dunkelheit.

Jenseits der kahlen Felseilande flammte der Horizont noch in feurigem Rot.

Und Haralds Gesicht hatte bei dieser Beleuchtung einen förmlichen Bronceton erhalten. Ich blickte ihn fragend an. Ich glaubte, er hätte dasselbe gesehen, was ich soeben sah: Miß Lydia Glarnston, die rechts von uns hinter ein paar Palmen aufgetaucht war.

„Die Glarnston!“ flüsterte ich.

„Hinwerfen – nicht sehen lassen!“

Wir lagen zwischen feuchten Steinen, schmiegten uns zwischen sie, und Harald kroch langsam auf Miß Lydia zu.

Sie hatte sich an eine der Palmen auf der Uferhöhe gelehnt und – weinte!

Oh – sie hatte sehr viel geweint, seit wir sie kennen gelernt hatten. Sie hatte ähnlich wie Kadugawa für Edith Barnlay gekämpft und ihre Geheimnisse verteidigt.

Und abermals schoß es mir jetzt durch den Kopf:

„Was muß diese Edith Barnlay doch für eine besondere Frau sein, daß diese Menschen so treu zu ihr stehen!“

Ja – ich war gespannt auf Lady Edith – sehr gespannt! –

Harst richtete es so ein, daß wir hinter die Palme gelangten.

Wir erhoben uns lautlos. Lydia Glarnston schluchzte, trocknete wiederholt die Tränen und rief klagenden Tones:

„O mein Gott – nun sind sie da!“

 

2. Kapitel.

In Erpresserhänden.

Harald machte mir ein Zeichen. Wir entfernten uns wieder, krochen hinter ein paar Büsche, erhoben uns und gingen weiter landeinwärts bis zu einem einzelnen hohen Baume, dessen Äste fast bis zum Boden hinabreichten.

Wir erkletterten den Baum und hatten nun Lydia Glarnston etwa zwanzig Meter vor uns.

„Sie hat das Auslegerboot beobachtet,“ sagte Harst, als wir oben auf einem Ast hockten. „Sie wartet, daß es zurückkehren soll. Und – „nun sind sie da“ – das ging auf Godalper und Baßly, wette ich.“

Es wurde immer dunkler. Aber die nahende Tropennacht brachte auch das Heer der Sterne herbei, ließ den Himmel funkeln und sprühen und zeigte uns weiter Lydia Glarnstons schmächtige Gestalt.

Es war jetzt etwa neun Uhr abends. Miß Glarnston wartete geduldig bis halb zehn. Dann ging sie davon. Sie ging wie jemand, der jeden Fußbreit Boden kennt, der diesen Weg auch im Dunkeln häufig zurückgelegt hat.

Wir blieben hinter ihr. Und nach zehn Minuten kamen wir an eine weißgestrichene Parkmauer, an ein Pförtchen, durch das Lydia Glarnston verschwunden war.

„Der Barnlaysche Garten,“ meinte Harald leise. „Klettern wir über die Mauer. Die Pforte hat ein Sicherheitsschloß.“

Der Barnlaysche Garten?! Ob das wohl zutraf? – Allerdings, es sprach ja sehr viel für diese Annahme.

Ich sagte nichts weiter. Wir schwangen uns oben auf die Mauer. Ein paar weit überhängende Zweige schützten uns gegen Sicht.

Wir saßen so eine Weile nebeneinander und spähten in den Park hinab.

„Wenn Hunde da sind, kann die Sache mißlich werden,“ flüsterte Harst. „Trotzdem – es muß sein! Ich werde zuerst hinabspringen.“

Seine Sorge war überflüssig gewesen. Wir erreichten das weiße, langgestreckte Sommerhaus, einen sogenannten Bungalow mit überdachter, breiter Veranda, ohne jeden Zwischenfall.

Vier Fenster nach vorn heraus waren erleuchtet. Sie lagen nebeneinander. Als wir uns auf die Veranda geschlichen hatten, als wir uns nun unter dem ersten Fenster aufrichteten, sahen wir Godalper und Baßly an einem Sofatisch in Rohrsesseln sitzen und auf dem Sofa unseren alten Bekannten Lord Edward Wolpoore, auf den sich Lady Barnlay in ihrer Depesche an Harst berufen hatte.

Die Vorhänge waren nicht zugezogen. Wir konnten die Drei in aller Ruhe beobachten. Da außerdem der eine untere Fensterflügel nur mit Drahtgaze bespannt war, hörten wir auch jedes Wort ebenso genau, ab ob wir im Zimmer gesessen hätten.

Bannimoore Godalper sagte jetzt gerade zu Wolpoore:

„Mylord, wir sind keine Beamten. Wären wir es, würden wir hier ganz anders auftreten. Wir sind Privatdetektive, die von einem Privatmann den Auftrag erhielten, ihm seine Diamanten wieder zu beschaffen. Dies haben wir getan. Wir kennen daher auch die ganzen Zusammenhänge, wie ich schon betonte, und wir sind in der Lage zu beweisen, daß Lord John Barnlay die Edelsteine Ming Fo geraubt und daß Miß Glarnston sie mit Hilfe Lady Ediths und des Elefantenjägers nach Berlin brachte.“

Lord Wolpoores hageres, vornehmes Gesicht blieb kühl und ablehnend.

„Ming Fo verlangt jetzt also eine Million Schweigegeld,“ meinte er. „Wissen Sie auch, daß dies glatte Erpressung ist?“

„Sie irren, Mylord,“ sagte der kleine Baßly recht anmaßenden Tones. „Ming Fo hätte die Diamanten im März dieses Jahres weit günstiger als heute verkaufen können. Er fordert nichts als den Ersatz des ihm entgangenen Gewinnes.“

„Eine feine Umschreibung,“ erklärte Wolpoore mit deutlicher Verachtung: „Nun, wir werden ja sehen, wie Lady Edith sich dazu stellt. Sie muß sehr bald von ihrem Spaziergang zurückkehren. Miß Glarnston ist ihr nachgeeilt.“

„Vielleicht ist Lady Barnlay bei Kadugawa,“ meinte Baßly spöttisch. „Bei dem berühmten Elefantenjäger, der uns in den Schacht hinabstieß, dieser – heimtückische Halunke! Nun, die Beulen, die wir uns geschlagen haben, wird er teuer bezahlen müssen!“

„Wohl auch mit einer Million,“ warf Wolpoore trocken hin.

Da brauste Godalper auf:

„Mylord, wir sind keine Erpresser! Ich verbitte mir diese Anzüglichkeiten. Wir handeln im Auftrage des Chinesen – nichts weiter. Wenn Lady Barnlay nicht in einer halben Stunde hier ist, werden wir den ganzen Sachverhalt Inspektor Biberston unterbreiten, und Ming Fo wird seine Schadenersatzansprüche im Wege der Zivilklage geltend machen.“

„Sie vergessen, daß Lord John tot ist und daß er selbst nichts besaß. Alles, was Barnlayscher Besitz ist, gehört seiner Gattin. Lord John hat als leidenschaftlicher Spieler sogar einen Teil des Barvermögens seiner Frau verbraucht. Das ist alles hier in Kolombo öffentliches Geheimnis.“

„Ja – und noch mehr als das!“ höhnte Baßly in bissiger Ironie.

„Oh, Sie spielen auf das alberne Gerede an, daß Lady Edith ganz unschuldig an Lord Johns Tod sein soll,“ sagte Wolpoore nun mit so eisiger Verachtung, daß die beiden Kollegen da drinnen vor Wut die Hände zu Fäusten zusammenkrampften. „Wir wissen, daß Harald Harst hier ist. Er wird beweisen, was – Sie nicht beweisen können!“ fügte unser Freund Edward mit erhobener Stimme hinzu.

„Harst – Harst! Die internationale Berühmtheit!“ rief Baßly. „Na – uns kann er nicht imponieren. Auch ihm wird es nicht gelingen, die Wahrheit zu vertuschen.“

Wolpoore machte eine unnachahmlich hochmütige Handbewegung.

„Ich verzichte auf die Fortsetzung dieses Gesprächs,“ sagte er. „Handeln Sie, wie Sie wollen. Lady Edith wird ja allerdings wohl die Million bezahlen, um die Ehre des Namens Barnlay zu retten.“

Er erhob sich und schritt der Tür zu.

„Aha – wird bezahlen!“ höhnte der frechere Baßly wieder.

Und auch Godalper meinte: „Natürlich wird sie bezahlen! Sonst könnte Kadugawa gezwungen werden auszusagen, wo er sich in der Nacht befand, als Lord John ermordet wurde und als man ihm den Kopf abschnitt, um dem Verbrechen einen noch geheimnisvolleren Anstrich zu geben –“

Wolpoore hatte die Tür zum Nebenzimmer hinter sich bereits geschlossen.

Baßly und Godalper rückten jetzt mit ihren Sesseln näher aneinander und flüsterten eifrig.

Harald kroch auf allen Vieren dem nächsten Fenster zu, kroch weiter bis zum dritten Fenster, das zu dem Nebenzimmer gehörte.

Ich folgte ihm. Auch hier waren die Vorhänge offen. Und hier saß Lydia Glarnston in einem Seidensessel und schaute zu Wolpoore empor, der vor ihr stand und ihr Mut zuzusprechen schien.

Er hatte ihre beiden Hände in die seinen genommen und nickte ihr aufmunternd zu.

Was er sagte, war nicht zu verstehen. Nur in den kurzen Antworten Miß Lydias kam zweimal Harsts Name vor.

Dann sprach Miß Glarnston leise ein paar Sätze, worauf Lord Edward anscheinend aufs unangenehmste überrascht zurücktrat und jetzt lauter erklärte:

„Unter diesen Umständen werde ich meiner Frau folgen, die bereits auf meine Jacht Najade übergesiedelt ist. Empfehlen Sie mich bitte Lady Edith, Miß Glarnston. Ich werde das Haus sofort verlassen. Mein Gepäck wird abgeholt werden.“

Er verneigte sich sehr knapp und ging durch die zweite Tür, die in den Flur führte, hinaus.

Miß Lydia rannen die Tränen reichlich über die Wangen. Sie bot ein Bild trostlosester Verzweiflung dar.

Und abermals dachte ich:

„Was muß doch diese Lady Edith für eine berückende Persönlichkeit sein, daß Lydia Glarnston all dies ihretwegen auf sich nimmt!“

Diese Gedanken wurden jedoch schnell durch die weit wichtigere Frage verdrängt: „Was mochte die Glarnston Lord Edward anvertraut haben? Was trieb ihn jetzt aus dem Hause?“ –

Harald zupfte mich am Ärmel.

„Wir müssen uns dort hinter den Palmenkübeln verbergen,“ flüsterte er. „Wenn Wolpoore das Haus verläßt, können wir bemerkt werden. Wolpoore wird uns später das Nötige schon mitteilen. Es ist mir sehr lieb, daß seine Jacht Najade hier im Hafen liegt.“

Wir schlüpften hinter die auf der Veranda stehenden riesigen Kübel und warteten, bis der Lord, von einem braunen Diener begleitet, die Veranda überschritten hatte, und auf dem Hauptwege nach der Parkpforte zu verschwunden war.

Der Diener kehrte sehr bald zurück.

Nun durften wir unseren Lauscherposten unter dem Fenster des Zimmers, wo Baßly und Godalper saßen, wieder beziehen.

Wir brauchten nicht lange auf Lady Ediths Erscheinen zu harren.

Die Flurtür des großen Gemachs tat sich auf, und eine schlanke Frau, ganz in fließende schwarze Seide gekleidet, trat ein.

Ich gebe zu: So imponierend, so berückend schön hatte ich sie mir nicht vorgestellt!

Sie war noch jung; etwa fünfundzwanzig Jahre schätzte ich. Sie hatte wundervolles aschblondes Haar, große dunkle langbewimperte Augen und ebenso starke dunkle Brauen.

Die Marmorblässe ihres Gesichts wurde durch das schwarze Kleid mit dem hohen Spitzenkragen noch stärker unterstrichen.

Godalper und Baßly waren bei ihrem Eintritt rasch aufgestanden.

Sie neigte zur Begrüßung kaum merklich das blonde Haupt, schritt auf einen dritten Sessel zu, schob ihn lässig näher an den Tisch heran und setzte sich.

„Sie verlangen also eine Million,“ begann sie sofort. „Wir wollen die Angelegenheit schnell erledigen. Sie sollen das Geld haben. Ich werde Ihnen einen Scheck für die India Bank in Bombay geben.“

„Noch einen Augenblick, Mylady,“ sagte Godalper da. „Lord Wolpoore nannte uns Erpresser. Wir sind alles andere als das. Wir –“

„Das alles interessiert mich nicht. Ming Fo hat die Diamanten zurückerhalten und bekommt noch eine Million dazu. Ihnen beiden werde ich fünftausend Pfund Sterling als – Schmerzensgeld für den Sturz in den Schacht geben.“

Baßlys grinsendes Gesicht hätte jetzt mit Ohrfeigen bepflastert werden müssen.

„Mylady,“ sagte er mit scheinbarer Höflichkeit, „wir gestatten uns, Sie darauf aufmerksam machen, daß wir unseren Freund Godweller hier in Kolombo zurückgelassen hatten, damit er hier beobachtete, was die – die beteiligten Personen taten.“

Das wirkte. Lady Edith zuckte merklich zusammen.

„Jedenfalls hat unser Freund und Kollege Godweller folgendes am 12. September nachts ein Uhr gesehen. Kadugawa verließ seine Hütte mit einem Sack auf dem Rücken, in dem offenbar ein menschlicher Körper sich befand. Er trug den Sack auf Umwegen hierher – also hier in den Garten. Als Godweller dann auch seinerseits die Gartenmauer überklettert hatte, standen Sie, Mylady, vor der Veranda mit Kadugawa unter einem Baume in erregtem Gespräch. Sie hielten Ihren großen russischen Windhund am Halsband. Dann kehrten Sie ins Haus zurück, während der Elefantenjäger den Hund nahm und den Garten durchstreifte, um lästige Zeugen, die vielleicht anwesend sein könnten, aufzustöbern. So mußte denn auch Godweller den Garten schleunigst verlassen, damit der Hund ihn nicht witterte. Am Morgen wurde Ihres Gatten Leiche ohne Kopf im tiefsten Winkel des Parkes an der Ostmauer entdeckt.“

Lady Edith hatte das blonde Haupt in die Linke gestützt und die Augen bedeckt. Man sah deutlich, daß immer wieder ein Zittern ihren Körper überflog.

Nun hob sie den Kopf und sagte tonlos:

„Ich – ich werde auch Ihnen beiden einen Scheck über eine Million ausstellen. Mein Guthaben auf der India Bank beträgt genau zwei Millionen. Dann – dann behalte ich nichts als die Golby-Plantage und dieses Haus. Sind Sie zufrieden?“

Godalper und Baßly regten sich nicht. Sie wollten ja angeblich nichts erpressen, diese Halunken! Sie schwiegen, damit der Schein bewahrt bliebe.

Lady Edith ging zum Schreibtisch, schaltete hier die Lampe ein und füllte zwei Scheckformulare aus.

Wortlos reichte sie dieselben nun Godalper und deutete dann auf die Tür.

Die beiden Ehrenmänner prüften erst sehr umständlich die Schecks, bevor sie triumphierend davongingen.

 

3. Kapitel.

Auf der Motorpinasse.

Noch vor ihnen hatten wir den Garten verlassen. Wir standen auf der Straße gegenüber der Hauptpforte und warteten im Schatten der Bäume, bis Godalper und Baßly vorüber waren.

Dann läutete Harald nach einer Weile an der Pforte.

Ein Diener erschien und führte uns in die Vorhalle des Bungalow. Er sollte uns Lady Edith melden, kehrte nun mit folgendem Bescheid zurück:

„Mylady bedauert, die Herren nicht empfangen zu können, und sendet Mr. Harst diesen Brief.“ –

Wir schlugen den Weg nach der Stadt ein, nachdem der Diener uns bis zur Hauptpforte geleitet hatte.

Harald blieb dann stehen. Der Mond war längst aufgegangen.

Er las den Brief, reichte ihn mir dann.

Sehr geehrter Mr. Harst!

Besondere Umstände zwingen mich, Ihnen gegenüber geradezu undankbar zu erscheinen. Ich bitte Sie herzlich, diese ganze Angelegenheit ruhen zu lassen. Ich könnte Ihnen keine Frage beantworten, die Sie an mich richten würden. Ich werde mein Sommerhaus und meine Plantage verkaufen und mir eine neue Heimat suchen. Mag man in Kolombo auch annehmen, daß ich mit schuld an dem Tode meines Gatten sei: mir ist dies Gerede recht gleichgültig! Der treue Kadugawa ist tot, und, wenn ich Sie noch um eins bitten dürfte, so sorgen Sie dafür, daß an sein freiwilliges Ende nicht Vermutungen geknüpft werden, die mir Weiterungen verursachen könnten. Ich weiß, daß Sie als reicher Mann jede Erstattung Ihrer Reisekosten ablehnen würden. Ich werde deshalb dem Waisenhause in Kolombo dreitausend Pfund als Spende zugehen lassen.

Seien Sie überzeugt, daß ich Ihrer stets in Dankbarkeit mich erinnern werde.

Ihre Edith Barnlay.

Nachdem ich den Brief gelesen hatte, rieb Harald sein Feuerzeug an und verbrannte ihn bis auf den letzten Rest.

„Nun zur Najade!“ meinte er. „Wolpoore dürfte wach sein. Ich muß ihn sprechen.“

Wir trafen einen Wagen, der uns bis zum Hafen brachte. Ein Boot setzte uns nach der Jacht über.

Lord Wolpoores neue Motoryacht Najade war eines der elegantesten Lustfahrzeuge, das ich je betreten habe. Der Lord und seine Gattin Geraldine saßen noch im Salon. Als die Deckwache uns angemeldet hatte, kam Wolpoore uns die Treppe empor entgegengeeilt, schloß Harald in seine Arme und führte uns hocherfreut in den Salon, wo Lady Geraldine uns nicht minder herzlich begrüßte.

Dann ließ der Lord schnell für uns einen Imbiß herrichten. Die Lady entschuldigte sich bald und zog sich zurück. Sie merkte wohl, daß Harald ihren Gatten allein sprechen wollte.

„Wolpoore, eine Frage,“ begann Harst denn auch sofort. „Weshalb verließen Sie so plötzlich den Bungalow Edith Barnlays?“

„Ah – Sie haben mich und Miß Glarnston beobachtet?“

„Ja, Wolpoore.“

„Nun, Miß Lydia sagte zu mir, als ich sie tröstete, denn ich war ja von Lady Edith als Johns alter Freund in alles eingeweiht worden: „Mylord,“ sagte sie mit zuckenden Lippen, „trösten Sie nicht! Hier gibt es keinen Trost! Hier gibt es weit mehr Geheimnisse, als Sie und ich ahnen! Edith – hat uns belogen, glaube ich! Sie weiß mehr über den Tod Johns, als sie selbst mir verraten hat!“ Dabei blickte Lydia Glarnston mich mit Augen an, in denen ein förmliches Grauen lag, lieber Harst! Ich las in diesen Augen eine furchtbare Anklage gegen Edith.“

Harald schüttelte langsam den Kopf.

„Lieber Wolpoore, Sie vermuten hier etwas völlig Falsches. Es ist gut, daß ich jetzt darüber unterrichtet bin, daß Lady Edith selbst Lydia Glarnston nicht in alles eingeweiht hat. Lord John Barnlay ist – gar nicht tot!“

Wolpoore starrte Harst ungläubig an.

Harald schilderte dann, wie er allmählich auf die Vermutung gekommen sei, daß Lady Edith hier nur mit Hilfe Kadugawas einen Mord vorgetäuscht habe.

„Aber – aber John – Lord Barnlay?! Ob dieser unselige Mensch, dieser durch den Spielteufel völlig Entgleiste, damit einverstanden gewesen ist?“

„Das ist freilich eine noch offene Frage, lieber Wolpoore.“

„Inwiefern?“

„Weil die Möglichkeit vorliegt, daß man ihn auch gewaltsam aus Kolombo entfernt hat.“

„Also Edith und Kadugawa?“

„Ja – die beiden.“

„Hm – und der Tote ohne Kopf?“

„Auch dessen Persönlichkeit wird zu ermitteln sein. Ich möchte von Ihnen, Wolpoore, nun einiges über die Barnlaysche Ehe erfahren.“

„Bitte. Was ich weiß – gern! Lady Edith ist die einzige Tochter des verstorbenen Plantagenbesitzers Reffield, der sehr reich war. Sie hat Barnlay aus Liebe geheiratet. Er selbst besaß nur seinen Lordtitel und sein hübsches Gesicht und seine alle Welt bezaubernden Umgangsformen. Die Ehe war zuerst überaus glücklich. Dann gewöhnte John sich das Spielen an. Da war’s mit dem Glück aus. Er soll von Lady Ediths Vermögen drei bis vier Millionen verjeut haben. Wir, Geraldine und ich, ahnten hiervon nichts. John hatte uns schon längst eingeladen, und am 9. September trafen wir hier ein, fanden aber sehr ungemütliche Verhältnisse in dem Barnlayschen Bungalow vor.“

„Glauben Sie, daß Lady Edith ihren Mann noch liebt?“

„Ohne Zweifel!“

„Dann – dann leihen Sie uns wohl für diese Nacht Ihre Motorpinasse, lieber Wolpoore.“

„Motorpinasse? – Gewiß!“ – Er mochte nicht fragen, wozu Harst sie gebrauchte. Aber man sah ihm an, daß die Frage ihm auf der Zunge brannte.

Harald erzählte jetzt unser Abenteuer in der Grotte, die sich von Kadugawas Hütte bis zu jener Meeresbucht hinzog.

„Ich dachte zuerst, daß der Hund den Mann verfolgte, der in der Grotte auf uns zulief,“ fuhr Harald nun fort. „Das stimmte nicht. Mann und Hund waren gut Freund. Der Mann ist dann durch die Nebengrotte irgendwie in die Haupthöhle zurückgelangt, hat den Hund mitgenommen und kehrte zum Strande der Bucht zurück, woher er auch gekommen war.“

Jetzt meldete ich mich.

„Dann war es auch derselbe Mensch, der nachher im Auslegerboot saß,“ meinte ich rasch.

„Er muß es wohl gewesen sein,“ nickte Harald. „Dieses Auslegerboot, lieber Wolpoore, steuerte auf die kahlen Felseilande zu, von denen die Bucht nach der offenen See zu begrenzt wird. So kam es uns aus den Augen.“

„Und nun wollen Sie mit der Motorpinasse die Inseln besuchen?“

„Ja, Wolpoore. Ich möchte genau wissen, wer der Mann im Auslegerboot war. Es gibt da zwei Möglichkeiten. Erstens: es war Lord John Barnlay, als Eingeborener verkleidet. – Zweitens: es kann auch Lady Edith gewesen sein, ebenfalls verkleidet und mit einer braunen, völlig hautähnlichen Gazemaske vor dem Gesicht. Solche Masken gibt es bekanntlich. Daß es die Lady gewesen sein kann, dafür spricht der Umstand, daß Lydia Glarnston nachher am Buchtgestade erschien. Ihr sogenannter Spaziergang so spät abends muß doch wohl ganz bestimmte Gründe gehabt haben. Kadugawa sprach von Geheimnissen. Ich glaube, daß das seltsamste Geheimnis, welches mit der Person des Elefantenjägers und den Ereignissen vorher zusammenhängt, uns noch völlig verborgen ist.“

Haralds scharfgeschnittenes, energisches Gesicht hatte wieder jenen geistesabwesenden Ausdruck angenommen, als ob er nicht mit den Gehörorganen, sondern mit seinen nimmermüden Gedanken in weite Fernen hineinhorchte. –

„Harst, tun Sie mir einen Gefallen,“ bat er. „Nehmen Sie mich mit!“

„Gern, Wolpoore. Aber sonst niemand. Nur wir drei. Wer weiß, was wir finden, wer – weiß –!“

Das klang ebenso düster wie geheimnisvoll.

Wolpoore ging seiner Gattin Bescheid sagen, daß er uns begleiten wolle, und auch Befehl geben, daß die Pinasse mit genügend Benzin versehen würde.

Gleich darauf machte die schlanke Pinasse knatternd von der Jacht los.

Harald steuerte. Wolpoore bediente den Motor. Das elegante Boot hatte vorn eine kleine Kajüte und war aus dunkel poliertem Mahagoniholz gebaut.

Ein Hafenpolizeikutter hielt uns an der Molenspitze an. Es wird in Kolombo recht viel geschmuggelt. Wolpoores Name genügte. Wir durften weiter.

Die Nacht war nicht mehr so hell als vorhin. Der Himmel hatte sich leicht bewölkt. Eine drückende Schwüle lagerte über der nur leicht bewegten See. Von Westen her zog eine schwarze Wolkenbank auf.

Ich lehnte neben Harald am Steuer und blickte über das finstere, grauschwarz erscheinende Wasser hin. Auch Wolpoore kam nach achtern und meinte:

„Der Motor arbeitet tadellos. Es gibt ein Unwetter.“ Er deutete nach Westen.

„Ein Gewitter,“ nickte Harst.

Da flog auch schon das erste grelle Leuchten über die Wolkenwand hin, in deren Mitte für den Bruchteil einer Sekunde die Zickzacklinie eines Blitzes zu sehen war.

„Wir[3] haben es nicht weit,“ meinte Harald. „Wenn wir die Halbinsel dort umrundet haben, müssen wir die Felseneilande bereits bemerken. – Wolpoore, löschen Sie bitte die Positionslaternen aus und schließen Sie die Tür des Maschinenkastens. Wir wollen auch noch Decken darüber legen, damit das Arbeiten des Motors nicht so stark und weit gehört wird.“

Die in der Luft lastende elektrische Spannung und die Aussicht auf ein Abenteuer besonderer Art erzeugten bei mir jene schwer zu unterdrückende Erregung, von der nur Harst bei solchen Gelegenheiten nie etwas verspürt.

Auch Wolpoore, dem ich beim Bedecken des Motorkastens half, sagte zu mir:

„Wissen Sie, Schraut, diese Nacht prickelt wieder so angenehm die Nerven wie – wie –“ – Er fand nicht so schnell einen richtigen Vergleich.

Dann auch schon Harsts Stimme:

„Stoppen – sofort stoppen!“

Wolpoore bückte sich und riß den Hebel hoch. Der Motor verstummte.

„Zum Teufel, was gibt’s?“ fragte der Lord.

Harst hatte ein Nachtglas vor den Augen. Die Pinasse war soeben um die Spitze der bewaldeten Halbinsel Gontaratschi herumgeglitten.

Rechts von uns, etwa tausend Meter entfernt, erblickten wir jetzt beim Aufzucken eines neuen Blitzes die Reihe der kahlen, zerklüfteten Eilande vor der tief ins Land einschneidenden Bucht.

Das Licht des fernen Blitzes hatte aber auch genügt, mir ein Fahrzeug zu zeigen, das vor dem mittelsten Eiland lag – ein Schiff mit zwei Masten. –

Harald erwiderte jetzt auf Wolpoores Frage:

„Der Schoner dort vor dem Eiland signalisiert mit einer grünen Laterne –“

„Ah – jetzt sehe ich’s auch!“ meinte der Lord. „Es werden Schmuggler sein.“

„Hm – vielleicht,“ murmelte Harst. „Werfen Sie den Motor wieder an, Wolpoore. Wir werden uns mit der Pinasse hier dicht am Nordufer der Halbinsel entlangschleichen, in die Bucht einlaufen und das Eiland von der der offenen See abgekehrten Seite betreten.“

„Also das Eiland, vor dem der Schoner ankert? Was geht uns das Schiff an?“

„Vielleicht sehr viel –“

Der Lord ließ den Motor an. Ich war neben Harald geblieben.

„Es ist dasselbe Eiland, auf das der Auslegernachen zusteuerte,“ sagte Harald kurz.

Ich verstand: er brachte bereits den Schoner, das Eiland und das Auslegerboot nebst Insassen miteinander in Verbindung.

„Der Schoner dürfte ein Bestandteil von Kadugawas größtem Geheimnis sein,“ fügte er hinzu.

Ich blickte in die finstere Nacht hinaus.

Da – drüben auf dem Schoner erschien wieder ein grelles grünes Licht, das hin und her geschwenkt wurde.

Harald drückte die Pinasse dicht am Ufer der Halbinsel entlang.

„Werft noch die Notsegel über den Motorkasten,“ sagte er. „Sonst verrät das Knattern uns zu früh.“

Ein neuer Blitz verriet uns, daß der Schoner vor dem aufziehenden Unwetter seinen Ankerplatz wechselte und um das Eiland herum das Innere der Bucht aufsuchte.

„Es wird einen gehörigen Platzregen geben,“ meinte Wolpoore, als wir nun sogar den Teppich aus der Kajüte über den Motorkasten legten. Nur die Abzuglöcher für die Dämpfe ließen wir frei.

Dann mußte einer von uns nach vorn, um besser Ausschau halten zu können. Die Finsternis lastete um uns her wie schwarze Schleier. Der Lord stand an der Spitze der Pinasse und rief mir die Weisungen halblaut zu, die ich an Harst weitergab. Wir fuhren nur noch mit halber Kraft. Und auch das war bei dieser Dunkelheit beinahe Leichtsinn.

Ein heulender Windstoß fegte jetzt über die See hin. Ein Bündel von Blitzen zuckte auf.

Das war dicht vor uns das südlichste der Eilande. Harald steuerte zwischen ihm und der Halbinsel hindurch. Bange Minuten folgten. Wenn es hier Riffe gab, wenn wir auf ein solches Riff aufliefen, war die Pinasse verloren.

Nichts geschah.

Wieder ein paar Blitze. Wir waren im Inneren der Bucht.

Und dort links lag jetzt der Schoner dicht am Ufer des Eilandes; dort blinkten ein paar Laternen. Huschende Lichter eilten hierhin und dorthin.

Ein ohrbetäubender Donnerschlag jetzt.

Und Harald packte meinen Arm, deutete nach rechts – nach der Mitte der Bucht zu.

Ich sah das Auslegerboot. Und darin saß – nur der prachtvolle, langhaarige, riesige russische Windhund.

Auch Wolpoore hatte das Boot bemerkt.

„Harst – dort – dort!“

„Schon gut. Wir werden es holen –“

Im Nu hatte er die Oberkleider und Schuhe abgestreift, ließ sich ins Wasser gleiten, befahl nur noch: „Legt am nächsten Eiland im Schutze des Steilufers an!“

Kaum war er im Wasser, als es zu regnen begann. Es war eine Sintflut, ein richtiger tropischer Platzregen. Es schüttete wie aus Eimern herab.

Ich steuerte jetzt. Wolpoore hatte den Motor auf schwächste Fahrt gestellt. Fast lautlos glitt die Pinasse durch das Toben des Unwetters dem Eilande zu. Selbst die Blitze durchdrangen mit ihrer Lichtflut diese Vorhänge der stürzenden Wassermassen nicht mehr. Nur noch ein ganz unmerklicher Lichtschein gestattete uns die Orientierung.

Der Lord stand mit dem Bootshaken ganz vorn und wollte einen Anprall gegen das Steilufer verhüten.

Dann ein leichter Ruck.

Ich sprang zu, stellte den Motor ab.

Wir hatten den sicheren Liegeplatz erreicht, hatten über uns die steil aus dem Meere aufsteigende Felswand, die sich leicht wölbte. Wir hörten den Gewittersturm in den Klüften des Eilandes heulen. Wir waren geborgen, vertäuten die Pinasse an ein paar Vorsprüngen und gingen in die Kajüte, wo wir die Fensterläden und die Vorhänge dicht schlossen und dann erst Licht machten.

Ich sah nach der Uhr.

Es war zwei Uhr morgens.

 

4. Kapitel.

Im Buddhatempel.

Lord Wolpoore zog den nassen Gummimantel aus. Auch ich warf den Ölrock ab, den ich zu Beginn des Regens übergestreift hatte.

„Harst hat sich in den zwei Jahren, seit ich ihn zum letzten Male sah, auch nicht die Spur verändert,“ meinte der Lord und nahm auf dem Wandsofa Platz. „Er ist, scheint’s, noch jünger und beweglicher geworden. – Wenn er nur erst mit dem Auslegerboot wieder hier wäre,“ fügte er etwas besorgt hinzu. „Die Haie lieben ja diese abgeschiedenen Buchten nicht, obwohl –“

Da – die Pinasse schwankte.

Es mußte jemand sich an der Reling hochgezogen haben.

Ich öffnete die Tür ein wenig.

Und – sah fünf – sechs braune Kerle, wollte die Tür wieder zudrücken, wurde von einem riesigen Inder mit großem Turban beiseite gestoßen.

Die Angreifer waren bewaffnet, fuchtelten mit Revolvern umher, bedrohten uns mit ihren dolchähnlichen Messern und machten doch ganz den Eindruck, als ob ihnen ihre Rolle als Banditen, Schmuggler oder dergleichen nicht recht lag.

Es waren im ganzen sechs von diesen aufgeregten, schnatternden Burschen, die jetzt alle auf einmal uns mit Fragen bestürmten.

Wolpoore war mit echt britischem Phlegma auf dem Wandsofa sitzen geblieben, lächelte die Bande an und rauchte friedlich seine Zigarre weiter.

Mir kam es ganz so vor, als ob die sechs vor uns weit mehr Angst hatten als wir vor ihnen. Schließlich, nachdem ich neben Wolpoore Platz genommen hatte, pflanzte sich der riesige Kerl mit dem schmierigen roten Turban vor uns auf und sagte in recht fließendem Englisch:

„Wer seid Ihr?“

Das hatten wir ihnen nun bereits einige Male erklärt: Leute aus Kolombo, die vor dem Unwetter mit der Motorpinasse hierher geflüchtet seien!

Ich wiederholte es also nochmals.

Der Riese beugte sich vor.

„Ihr seid Polizeibeamte! Ihr habt ihn verhaftet und wollt uns auflauern!“

Ich wurde stutzig.

„Ihn“ verhaftet – „ihn“?! Was hieß das?!

Ich mußte an Haralds Worte denken, daß John Barnlay vielleicht einen neuen Streich geplant und daß Lady Edith dieses Vorhaben vielleicht verhindert hätte.

Sollten diese braunen Burschen Verbündete Barnlays sein, die vielleicht von der Küste Vorderindiens mit dem Schoner herübergekommen waren?! –

Da antwortete Wolpoore schon:

„Wir sind nicht Polizeibeamte! Was ich sage, ist die Wahrheit.“

Seine ganze Art machte auf den Riesen offenbar Eindruck.

Die sechs berieten sich leise.

Dann sagte der Lange wieder:

„Wir müssen Euch fesseln und mitnehmen. Nachher werdet Ihr wieder freigelassen. Aber der, den wir eben schon gefangen haben, ist ein Polizeibeamter. Ihn werden wir ersäufen. Es ist ein Spion. Ihr werdet schwören, daß Ihr uns nicht verratet.“

Der andere?! Etwa Harald?!

Deshalb fragte ich scheinbar gleichgültig:

„Das ist wohl der mit dem Hunde?“

„Ah – Ihr kennt ihn?“

„Wir sahen vorhin einen Mann in einem Auslegerboot, in dem auch ein Hund saß.“

Der Riese nickte. „Ja, das ist der Spion. Er hatte seinen Hund mit –“ Er betonte das „seinen“ recht merklich.

Nun wußte ich es ja: Barnlay hatte mit diesen braunen Piraten tatsächlich gemeinsame Sache gemacht! Und Harald befand sich in der Gewalt dieser Kerle, befand sich wahrscheinlich auf dem Schoner!

Nichts konnte mir lieber sein, als wenn die Halunken uns gleichfalls dorthin brachten.

Ich streckte also meine Hände aus und sagte:

„Da – fesselt mich! Wir sind keine Beamten!“

Auch Wolpoore faßte die Situation durchaus humoristisch auf und meinte:

„Bitte – auch meine Handgelenke stehen zur Verfügung!“

Die Kerle hatten im Fesseln ohne Zweifel einige Übung.

Und – als wir nun wirklich wehrlos waren und als der lange Bursche in meiner Brieftasche, die er sehr rasch nach irgend etwas durchsuchte, meinen Ausweis nebst Lichtbild und den vielen Stempeln gefunden hatte, da war’s mit dem Humor vorbei.

Er hielt mir den Ausweis unter die Nase und brüllte, während ein neuer Donner die Kajütenfenster klirren machte:

„Doch ein Polizist – ein Detektiv! Ah – Ihr habt gelogen! Ihr habt uns doch aufgelauert!“

Sein Gesicht verzerrte sich plötzlich vor jäh auflodernder Wut.

Er setzte mir den Dolch, ein Prachtstück von altertümlicher Waffe, auf die Kehle, drückte mich gegen die Rücklehne des Sofas und brüllte noch lauter:

„Weißer Hund, elender Giaur (Ungläubiger), wo haltet Ihr ihn gefangen? Sprich – oder ich stoße zu!“

Der Kerl war jetzt gefährlich.

„Ich werde Dir es auf dem Schoner sagen,“ erklärte ich rasch. „Es ist ein großes Geheimnis. Kadugawa ist tot, und –“

Ich hatte mehr auf gut Glück den Namen des Elefantenjägers erwähnt.

Aber – die Wirkung war stärker, als ich es je vermutet hätte.

Der lange Bursche prallte zurück.

„Tot?!“ murmelte er, als ob er sich erst besinnen müßte, was das Wort bedeutete.

„Ja. Er hat sich selbst erschossen,“ sagte ich sehr bestimmt.

Der Riese starrte mich an.

„Lügst Du auch nicht?“ meinte er zögernd.

„Nein. Er erschoß sich, weil – weil er nichts verraten wollte.“

Da schüttelte der braune Goliath den Kopf, winkte den anderen fünf und trat mit ihnen auf die Treppe hinaus, wo sie eifrig flüsterten.

Dann nahmen uns je zwei der Banditen in die Mitte und brachten uns in ein an der Pinasse vertäutes Ruderboot.

Das Boot schoß nur so dahin, erreichte bald das mittelste Eiland und bog hier unweit des Liegeplatzes des Schoners bei noch immer strömendem Regen in eine ganz enge Einfahrt ein, die wie ein Kanon mit hohen steilen Wänden in mehrfachen Krümmungen sich bis zur Mitte der Felseninsel fortsetzte.

Hier legte das Boot an einer Steinplatte an. Zu unserem Staunen schimmerte über der Steinplatte ein großer, etwa halbkreisförmiger Fleck: die erleuchtete Öffnung eines in das Gestein sich hineinziehenden Ganges.

Man half uns auf die Steinplatte und weiter in den Gang, der etwa zwei Meter hoch und stellenweise ausgemauert war. Nach vielleicht zwanzig Meter erweiterte sich der Gang zu einer kreisrunden Halle. Die grell bemalten Götzenstatuen, die plumpen Reliefbilder und anderes verrieten uns, daß wir uns in einem Höhlentempel befanden.

Und – hier – saß, vom Lichte mehrerer Schiffslaternen beschienen, auf einer großen Holzkiste an Armen und Beinen vielfach gefesselt Harald Harst in triefenden Unterkleidern. Und dicht neben ihm saß – der prachtvolle, riesige russische Windhund.

Hier befanden sich aber außerdem noch vier andere Leute, darunter zwei Europäer in Seemannstracht. Diese beiden lehnten in einer Ecke am Sockel einer Buddhafigur und rauchten als stille Beobachter pomadig ihre kurzen Pfeifen.

Der lange Kerl trat jetzt vor Harst hin und fuhr ihn an:

„Weißer Hund, Du hast gelogen! Du warst nicht allein! Da sind die beiden anderen! – Wo habt Ihr ihn eingesperrt – wo?! Ich werde Dir die Füße rösten, wenn Du nicht die Wahrheit sagst!“

Harald wandte den Kopf. Ich nickte ihm zu. Ich hatte bereits dem Riesen gegenüber halb und halb zugegeben, daß wir wüßten, wer „er“ war.

„Wenn Du Lord John Barnlay meinst,“ sagte Harst sehr gelassen, „so kann ich Dir nicht verraten, wo er sich befindet, da ich es selbst nicht weiß. Wann habt Ihr ihn zum letzten Mal gesprochen?“

„Vor sechs Wochen. Heute wollte er hier sein – heute in dieser Nacht. Ihr habt ihn gefangen genommen!“

Der Kerl sprach jetzt mit so unheimlicher Ruhe und in so verbissener Wut, daß man jeden Moment mit einer Gewalttat rechnen konnte.

Auch Harald schätzte die Stimmung dieses langen braunen Banditen richtig ein, denn er erklärte nun in freundschaftlich überredendem Tone:

„Du kannst uns glauben. Wir wissen nicht, wo er ist. Er soll ermordet worden sein. Liest Du keine Zeitungen? Es hat in allen Blättern gestanden.“

Jetzt näherten sich die beiden weißen Seeleute, kräftige, bärtige Männer mit verschlagenen Gesichtern.

Der eine sagte, ohne die Pfeife aus dem Mundwinkel zu nehmen:

„Uns geht die Geschichte hier nichts an. Wir sind mit unserem Schoner für eine Frachtfahrt verpflichtet worden. Aber, hör’ mal, Makuro,“ wandte er sich an den Langen, „was dieser Master da behauptet, stimmt: in der Zeitung stand, daß Lord John Barnlay ermordet worden ist! Und zwar vor reichlich drei Wochen. Du kannst wahrscheinlich nicht lesen, Makuro. Daher hast Du von Lord Barnlays Tod auch keine Ahnung. Diese drei Herren können ihn also gar nicht gefangen genommen haben.“

Makuro blickte Harald nachdenklich an.

„Auch Kadugawa soll tot sein,“ meinte er. „Und – es war doch Kadugawas Geheimnis, behauptete der Lord.“

Dann schwieg er wieder. Seine braunen Untergebenen (er war ja zweifellos der Anführer) drängten sich um ihn. In ihren Mienen las man nichts als schwere Enttäuschung.

Auch Makuro schien jetzt Ähnliches zu empfinden und war außerordentlich unsicher und verlegen, wie er sich nun uns gegenüber benehmen sollte, die wir doch offenbar uns an Barnlay nicht vergriffen hatten, da er ja ermordet worden war.

Dann fragte er Harald in ganz anderem Tone:

„Sahib, wer ermordete den Lord?“

Die Antwort kam nicht von Harst.

Nein – sie kam aus dem Felsengange.

 

5. Kapitel.

Die drei Kollegen blamieren sich.

Und diese Antwort war der scharfe Befehl:

„Hände hoch!“

Unsere Köpfe flogen herum.

Dort standen Godalper, Baßly, Inspektor Biberston und ein vierter Europäer, jeder mit einem Revolver in der erhobenen Rechten.

„Hände hoch!“ befahl Biberston nochmals.

Der Detektivinspektor trat gleichzeitig ein paar Schritte vor und zielte auf Makuros Kopf.

Die Inder gehorchten. Nur der eine Seemann sagte maulfaul:

„Verdammt – mich schert das alles gar nichts! Ich bin Kapitän Bronbyl, und dieser Gentleman hier ist mein alter Steuermann Tom Smut. Makuro hat meinen Schoner Albatros gemietet, und alles andere ist uns beiden schnuppe!“

„Das wird sich herausstellen!“ meinte Biberston würdevoll.

Dann wandte er sich an Harst:

„So leid es mir tut, Mr. Harst: ich muß Sie und Schraut verhaften. Sie haben den alten Kadugawa erschossen. Mr. Godalper und Mr. Baßly haben es beobachtet. Wir haben Kadugawas Leiche nach der Polizeidirektion geschafft.“

Wolpoore lachte kurz auf. „Mr. Biberston, Sie kennen mich. Ich bürge für die beiden Herren. Nehmen Sie uns zunächst die Fesseln ab.“

Der Inspektor verneigte sich. „Gewiß, Mylord. Ich weiß ja, daß Mr. Harst und Mr. Schraut nicht fliehen werden.“

Er knotete erst Wolpoores Stricke auf und dieser befreite dann Harst und löste auch mir die Fesseln.

Harald blieb auf der Kiste sitzen.

„Schade, es fehlen hier nur noch Lady Edith, Lord John und Miß Lydia Glarnston,“ sagte er zu Biberston. „Dann könnten wir die Sache so im Ramsch erledigen.“

Dabei faßte er unter die Sportmütze, die er sich ganz fest über den Kopf gezogen hatte, und holte seine Clementpistole hervor, schob die Sicherung zurück, warf Wolpoore und mir einen kurzen Blick zu, der uns ebenfalls nach unseren Schußwaffen greifen ließ, und wandte sich an Godalper, Baßly und den dritten, der doch offenbar der dritte Kollege Godweller war.

„Legen Sie Ihre Revolver weg,“ befahl er gleichmütig. „Sie werden uns begleiten. Aber – gefesselt, wie es elenden Erpressern zukommt. Schraut und ich haben mit angehört, wie Sie Lady Edith die beiden Schecks über je eine Million abzwangen. – Biberston, nehmen Sie Godalper mal die Brieftasche ab. Dort hinein steckte er die Schecks. Und Schraut und mir wollten die drei Herren jetzt durch falsche Beschuldigung, Kadugawa erschossen zu haben, nur Ungelegenheiten bereiten, damit wir nicht etwa hinter diese Scheckgeschichte kämen und die Einkassierung verhinderten.“

Biberston zauderte. Da trat Wolpoore rasch auf Godalper zu, schlug ihm den Revolver aus der Hand und riß ihm die Jacke auf.

Godalper sprang zurück, rief mit gut gespielter Empörung:

„Das – das alles ist frech gelogen, Mr. Biberston! Ich verlange, daß Sie uns schützen!“

Edward Wolpoore bewies jetzt, daß er durchaus nicht „eingerostet“ war.

Ein Sprung von ihm – ein Fausthieb – und Godalper flog hintenüber.

Der Lord schwenkte die Brieftasche und meinte, indem er nun die beiden Schecks herausnahm und sie Biberston gab:

„Bitte – geht Ihnen jetzt ein Licht auf?“

Der Inspektor schob die Schecks in die Tasche.

„Was soll geschehen, Mr. Harst?“ fragte er kurz.

Wir hatten gesiegt. Die drei Kollegen waren die Blamierten, wurden nun tatsächlich unter steter Bedrohung unserer Clement von Biberston, Kapitän Bronbyl und Steuermann Smut gefesselt, wobei sie freilich in allen Tonarten fluchten, und mußten hinab ins Boot.

Der lange Makuro nebst Anhang spielte nur noch eine Nebenrolle. Bronbyl und Smut versprachen dafür zu sorgen, daß keiner von ihnen den Höhlentempel verließe.

Dann ruderten wir – Biberston, Wolpoore, Harst und ich – mit den drei Kollegen über die Bucht nach dem Höhleneingang. Der Hund saß mit im Boot.

Das Gewitter war vorüber. Im Osten zeigte sich bereits der erste schwache Schimmer des heraufziehenden neuen Tages.

Wir landeten trotz der starken Brandung ohne Unfall. Unterwegs hatte Biberston uns erzählt, daß Godalper ihm mitgeteilt hätte, wie Kadugawa ihn und Baßly in den Schacht hinabgestoßen hätte, wie sie dann durch die Höhle an die Bucht gelangt wären und hier in der Ferne ein Auslegerboot bemerkt hätten, das gerade von dem mittelsten Eiland abstieß, jedoch sehr bald umkehrte und wieder verschwand. Da ihnen das Verhalten des Bootsinsassen, der einen Hund bei sich hatte, verdächtig vorgekommen war, hatte Godalper Biberston aufgefordert, das Eiland nachts zu durchsuchen. So waren sie uns in dem Höhlentempel gerade in die Arme gelaufen. –

Wir landeten also, zogen das Boot aufs Trockene und wurden nun durch Harst auf das kleine Auslegerboot aufmerksam gemacht, das keine fünfzehn Schritt weiter rechts zwischen Geröll unbeschädigt verborgen war.

„Es hat jemand mit dem Auslegerboot das Eiland erreichen wollen,“ meinte Harald. „Bei dem Unwetter trieb das Boot jedoch ab, als der Insasse kaum ausgestiegen war, und Hund und Nachen sahen wir daher führerlos mitten in der Bucht schwimmen. Ich holte das Auslegerboot, kam im Dunkeln aus der Richtung und geriet neben den Schoner, wo die Inder über mich herfielen. Das Boot befestigten sie an dem Schoner, wo der Besitzer, der ja auf dem Eiland war, es sich zurückholte. Ohne den Hund würden wir jetzt nichts ausrichten.“

„Ihren sprunghaften Gedankengängen zu folgen, ist sehr schwer,“ sagte Biberston kopfschüttelnd. „Was soll uns der Hund nützen, Mr. Harst, und – was haben Sie überhaupt vor?!“

„Ich will einen Toten lebendig machen, will eine Lebende überzeugen, daß das Eingeständnis der Wahrheit hier das Richtigste ist, will Kadugawas größtes Geheimnis enthüllen und ebenso klarstellen, was der Schoner hier wollte. – Gehen wir!“

Er schritt voran.

So betraten wir die Höhle. Unsere Taschenlampen und die beiden Schiffslaternen leuchteten uns.

Neben Harald trottete der Windhund einher. Sie hatten Freundschaft geschlossen.

Nun hatten wir die Stelle erreicht, wo der Vorsprung der Höhlenwand das dahinter liegende Loch, den Zugang zu der Nebengrotte, verbarg; nun mußten wir, auch der Hund, in die Nebengrotte hinüber.

Sie war, wie ich bereits erwähnt habe, bedeutend kleiner, besaß aber zahlreiche Abzweigungen.

Harst streichelte dem Hunde den Kopf.

„Such’ Frauchen – such’ Frauchen!“ forderte er das kluge Tier auf.

Der Hund drängte nach links, drängte dann in eine Nebengrotte hinein, machte vor der rechten Wand halt und richtete sich auf den Hinterbeinen auf.

Die Felswand sprang oben weit vor. Als Harald mir nun auf die Schulter stieg, als er sich auf den balkonartigen Felsteil geschwungen hatte, erschienen droben plötzlich neben ihm zwei Köpfe.

„John – John!“ rief Wolpoore.

Und „Lord Barnlay!“ rief Biberston.

Es war das Ehepaar Barnlay, das jetzt mit Harst flüsternd sich besprach.

Dann sagte Harald zu Biberston: „Bewachen Sie bitte die drei Erpresser, Biberston. – Wolpoore, Schraut – empor mit Euch!“

Auch hier gab es eine breite Öffnung, die von oben in eine kleine Seitenhöhle führte. Und diese Höhle war ein Tempel – wie auf der Insel drüben, war jedoch ein Hindutempel, ein dem Gotte Brahma geweihtes Heiligtum.

Und – hier sahen wir neben vier Statuen Brahmas eine Unmenge goldener Tempelgerätschaften stehen, hier sagte nun Harald zu Lord Barnlay:

„Mylord, Kadugawa kannte allein diesen Ort. Sie sind ihm einmal heimlich gefolgt. Sie wollten dann diese goldenen Gerätschaften mit Hilfe Makuros fortschaffen. Ihre Gattin und Kadugawa kamen dahinter und zwangen Sie, auf die Ausführung dieses Vorhabens zu verzichten. Ihre Gattin lies Sie scheinbar sterben – durch Mord, wollte Sie so für alle Zeit –“

Barnlay unterbrach Harst, indem er Lady Edith sanft an sich zog:

„Ja – sie zwang mich, für immer zu verschwinden. Sie wollte dann mit mir vereint anderswo ein neues Leben beginnen. Ihre Liebe fand das einzige Mittel, meine wahnwitzige Spielleidenschaft zu heilen: sie bewies mir, daß ich entehrt sei, daß der Raub der Diamanten entdeckt werden würde – meine Täterschaft! Ein Deserteur von einem Handelsschiff, ein Mann wie ich ohne linken kleinen Finger, starb in Kadugawas Hütte an Typhus. Kadugawa trug den Toten in unseren Garten. Und Edith –“

„Das wissen wir alles, Mylord. Ihre Gattin war der Mann im Auslegerboot, wollte feststellen, ob Makuro heute nacht mit dem Schoner erscheinen würde, wollte ihn wegschicken. Sie werden die Strafe für den Diamantenraub tragen, Mylord. Und die Liebe Ihrer Gattin wird Ihnen über alles Schwere hinweghelfen, bis für Sie beide wieder glücklichere Zeiten kommen.“ –

Ich habe nicht mehr viel hinzuzufügen.

Das Kollegen-Kleeblatt wanderte ins Gefängnis wegen Erpressung. John Barnlay wurde zu einem Jahr Zwangsarbeit verurteilt, die er auch verbüßt hat. Er lebt jetzt mit seiner Frau unter anderem Namen in Australien.

Kadugawas Goldschätze stehen im Museum in Kolombo, wo sie jeder besichtigen kann.

Das Auslegerboot hat Lord Wolpoore als Andenken mitgenommen. Lydia Glarnston ist Frau Biberston geworden. –

Und wir beide?!

Wir blieben noch acht Tage in Kolombo. Dann ging es weiter nach Bombay, wo wir uns mit dem Testament Lady Myntors beschäftigten.

 

Nächster Band:

Lady Myntors letzter Wunsch.

 

 

Verlagswerbung:

Der Detektiv

Eine Reihe höchst spannender Detektivabenteuer. Bisher sind folgende Bände erschienen:

 

Band
































1–6:
7:
8:
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11:
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13:
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20:
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27:
28:
29:
30:
31:
32:
33:
34:
35:
36:
37:
38:
39:

vergriffen.
Zwei Taschentücher.
Die Jagd auf einen Namen.
Die Augen der Jolante.
Der Fluch eines Geschlechts.
Die verschwundene Million.
Die Festung des Ali Azzim.
Die tote Lady Rockwell.
Der Fakir von Nagpur.
Der blinde Brahmane.
Das Auge der Prinzessin Singawatha.
Das Löschblatt von Amritsar.
Die leuchtende Fratze.
Schattenbilder.
Der Löwe von Flandern.
Der ewige Jude.
Das Armband der Lady Mellville.
Die Rätselbrücke.
Der Einsiedler von Tristan da Cunha.
Das Siegellacktröpfchen.
Die Gesellschaft der roten Karten.
Die Uhrkette des Bill Hamilton.
Der Tempel der Kali.
Nur ein Tintenfleck.
Der Stern von Siam.
Eine leere Streichholzschachtel.
Der sprechende Kopf.
Das Geheimnis des Scheiterhaufens.
Die Gefangene von Trawalkor.
Die Eishöhle in Nepal.
Der Mord im Warenhause.
Der Spielklub W W.
Ein gefährlicher Auftrag.
Der sterbende Fechter.

– Preis pro Band 20 Pf. –

Zu beziehen durch jede Buchhandlung oder vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26,

Elisabeth-Ufer 44.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „das“.
  2. In der Vorlage steht: „dem“.
  3. In der Vorlage steht: „Wie“.