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Die Katzen der Gräfin Baltholm

 

 

 

Harald Harst

Aus meinem Leben

 

Band: 71

 

Die Katzen der Gräfin Baltholm

 

Erzählt von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 36, Elisabethufer 44

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte einschließlich Verfilmungsrecht vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1922.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin

 

1. Kapitel.

Harst und ich trafen, mit dem Abendzuge von Trelleborg kommend, in Stockholm ein, wo wir im Hotel Miramare dicht am Hafen abstiegen.

Wir hatten eine weite und eilige Reise hinter uns. Der Brief Professor Söderblooms war uns nach Kalkutta in Indien nachgeschickt worden. Wir hatten hier den Fall Ralbrout soeben erledigt, den ich im vorigen Band als „Geheimnis der Insel Morton“ geschildert habe.

Ein Brief, der uns aus dem Märchenlande Indien nach Europa zurücklocken konnte, mußte schon einen ganz besonderen Inhalt haben. So war es auch. – Söderblooms Bericht über seine Beobachtungen seien hier wörtlich wiedergegeben. –

Stockholm, den 5. Mai 19…

Insel Sättra, Mälar.

Sehr geehrter Herr Harst!

Sie gestatten, daß ich Ihnen Mitteilung von einer Reihe von Geschehnissen mache, deren Gesamtheit mir völlig[1] unerklärlich ist, trotzdem aber bei mir von Tag zu Tag mehr den Eindruck verstärkt, daß es sich hier um Dinge handelt, die im Interesse der Allgemeinheit durch einen verschwiegenen und begabten Privatdetektiv zunächst ohne alles Aufsehen ergründet werden müßten. –

Ich war früher (einige Angaben über meine Person dürften notwendig sein) Professor der Chemie an der Stockholmer Hochschule, mußte mich aber infolge eines zeitweise sehr schmerzhaften Leidens (Gesichtsneuralgie) in den Ruhestand zurückziehen und erwarb die kleine Insel Sättra im Westen von Stockholm, die mitten im Mälar-Fluß liegt und auf der ein hübsches kleines Blockhaus steht, das ich nun zusammen mit meiner gleichfalls unverheirateten Schwester seit einem Jahr bewohne.

Wir halten uns keine Dienstboten, denn ich bin, obwohl Erfinder zahlreicher chemischer Präparate, ein armer Mann geblieben, weil mir eben jeder kaufmännische Sinn fehlt, was von Fabrikanten und ähnlichen Ehrenmännern stets leidlich ausgenutzt wurde.

Meine Staatspension erlaubt es mir auch nicht, mich in dieser Angelegenheit an einen Berufsdetektiv zu wenden, den ich nicht bezahlen könnte. Anderseits eignet sich das von mir Beobachtete auch nicht dazu, es der Polizei zu unterbreiten, denn es handelt sich dabei um die Gräfin Maria Baltholm, eine Witwe von etwa dreißig Jahren, die in Stockholms ersten Kreisen zu den beliebtesten Erscheinungen gehört.

Diese Gräfin Baltholm, eine geborene Miß Stickton aus Kalifornien, ist meine Inselnachbarin. Südlich von meinem Felseneiland Sättra liegt die etwas größere Insel Gröndal, auf der sich ein sehr altes, kleines Schloß erhebt, seit Jahrhunderten Eigentum der Grafen Baltholm, deren letzter Sproß, eben der Gatte der Amerikanerin, bei einem Autorennen in England vor drei Jahren den Tod fand.

Die beiden Inseln sind nur durch einen Wasserstreifen von etwa 20 Meter Breite voneinander getrennt. Trotz dieser Nähe gibt es zwischen der Gräfin und uns keinerlei nachbarliche Beziehungen. Die Gräfin zeigte sich Gunvor (das ist meine Schwester) und mir gegenüber vom ersten Tage nach unserem Einzug auf Sättra an so hochmütig, daß wir uns nicht einmal grüßen.

Merkwürdigerweise gilt die Gräfin sonst für sehr liebenswürdig und zugänglich. Nun – Gunvor und ich haben nichts davon gemerkt. Im übrigen ist meine Schwester jetzt 53 Jahre alt, ich dagegen bereits 57.

Nun noch etwas über mein Sättra-Blockhaus. Es ist zweistöckig und enthält sechs Wohnräume. Im zweiten Stock habe ich mir mein Laboratorium eingerichtet, neben dem ich in einem Zimmer nach Süden zu schlafe, weil ich die Sonnenseite liebe. Das Haus liegt recht hoch, wird aber nach Norden zu durch die kulissenartig hochstrebende Nordseite der Insel, also durch einen richtigen Felswall, gegen die eisigen Winterstürme geschützt.

Von den Fenstern meines Schlafzimmers kann ich die Insel der Gräfin, abgesehen von der Vorderfront des Schlosses, bequem übersehen, da sie nur wenig Baumwuchs hat. – Bald nach unserem Einzug machte Gunvor mich darauf aufmerksam, daß sich „drüben“, also auf Gröndal, sehr viel Katzen umhertrieben. Die Tiere wurden, wie ich selbst dann feststellte, zwar gut gefüttert, aber durchaus nicht besonders liebevoll von der Gräfin, dem Schloßkastellan und den drei Dienstboten behandelt.

Am 6. Juli des Vorjahres beobachtete ich nachts gegen halb zwölf zum ersten Male folgendes, als die Gesichtsschmerzen mich aus dem Bett und ans Fenster getrieben hatten, ohne daß ich Licht gemacht hatte. Der Kastellan Bränkyr, der zugleich Gärtner, Diener und Motorbootführer ist, denn die Gräfin soll nicht sehr vermögend sein, veranstaltete bei Mondlicht mit einer Keule eine große Katzenjagd. Die Tiere halten sich nachts zumeist in dem halb verfallenen Nebengebäude auf. Von dort vernahm ich das jämmerliche Aufkreischen der Katzen, sah auch, wie gut einige zwanzig aus dem scheunenartigen Bauwerk flüchteten. Dann erschien Bränkyr wieder draußen und schleppte in jeder Hand etwa sechs bis sieben tote Katzen, deren Köpfe auf dem Boden entlangschleiften, nach dem Seiteneingang des Schlosses.

Ich notiere mir dies in meinem Buchkalender. Es ist eine alte Angewohnheit von mir, derartige Aufzeichnungen selbst über nebensächliche Dinge zu machen. Der Kalender liegt jetzt neben mir. –

Am 2. August hatte ich wieder so eine böse Nacht und setzte mich ans offene Fenster, nachdem ich Morphium genommen hatte. Die Nächte anfangs August sind hier in Stockholm noch sehr hell, selbst ohne Mondlicht. Abermals wurde ich jetzt, bewaffnet mit meinem Fernglas, Zeuge, wie Bränkyr über ein Dutzend Katzen mordete, mit denen er wieder im Schlosse verschwand. Nach einer halben Stunde kehrte er wieder zurück. Inzwischen hatten sich die geflüchteten Tiere in dem Nebengebäude wieder eingefunden. Und abermals erschlug er eine ganze Menge.

Ich blieb, obwohl es bereits ein Uhr morgens geworden, am Fenster sitzen und richtete nun mein Glas auf die vier noch erleuchteten Erdgeschoßfenster des Schlosses. Diese Fenster gehörten zu zwei Zimmern, in denen Bränkyr und das eine Hausmädchen untergebracht sind. Dieses Hausmädchen, Ersta mit Namen, hatte die Fenster weit geöffnet und ging hin und her. Dann trat Bränkyr bei ihr ein. Sie rauchten sich, auch Ersta, eine Zigarette an und sprachen sehr lebhaft miteinander. Nach einer Weile verschwand Bränkyr, erschien an einem seiner Fenster, drehte die elektrische Lampe aus und ist dann wohl zu Bett gegangen.

Ersta, das hagere Hausmädchen, hatte sich an den Tisch gesetzt, einen Stehspiegel vor sich hin gestellt und hantierte mit kleinen Gegenständen, die ich zunächst nicht erkennen konnte. Mit einem Male merkte ich, was sie tat: sie rasierte sich! –

Am 8. September abermals Katzenjagd; am 17. September die vierte, deren Zeuge ich wurde.

Und – die Katzen wurden trotzdem nicht weniger, Herr Harst! Nein – Gunvor meint, ihre Anzahl beträgt ständig gegen dreißig.

Gunvor und ich hatten uns vorgenommen, mit niemandem über diese Dinge zu sprechen, die dadurch noch in ein besonderes Licht gerückt wurden, daß mit der Gräfin eine merkwürdige Veränderung vor sich gegangen war, worauf Gunvor mich aufmerksam machte. Frauen haben für so etwas bessere Augen. Die Gräfin, bei unserem Einzuge noch blühend und frisch, wurde immer bleicher und magerer, vermied es auch mehr denn je, sich von uns sehen zu lassen.

Den Winter hindurch konnte ich nichts beobachten, da die Nächte dunkel waren. Aber dreimal hörte ich wieder die Todesschreie der Tiere, und im Februar erspähte ich auch Bränkyrs kleine Gestalt mit einer Laterne vor dem Nebengebäude, wie er gerade in der linken Hand einige Katzen wegschleppte.

Inzwischen hatte Gunvor eine einleuchtende Erklärung für die Katzenmorde gefunden: Bränkyr handelte vielleicht mit Katzenfellen! –

Am 2. März jedoch zeigte Gunvor mir eine Notiz in der Zeitung, in der die Stockholmer öffentlich vor Katzendieben gewarnt wurden.

„Gustav,“ sagte meine Schwester bei dieser Gelegenheit, „nun ist ja auch klar, woher Bränkyr seine Katzenmenagerie immer wieder ergänzt. Er fährt täglich mehrmals in die Stadt, stets mit einem Deckelkorb. Glaube mir, er steht mit den Katzendieben in Verbindung.“ –

Das war am 2. März. Am 4. März entdeckte Gunvor in derselben Zeitung eine Anzeige der Gräfin, die in Stockholm längst nur die „Katzengräfin“ genannt wurde. Sie setzte eine Belohnung von 100 Kronen für den aus, der ihr die Diebe namhaft machen könne, die in der Nacht vom 2. zum 3. März abermals zehn Katzen gestohlen hätten, und erklärte weiter, daß sie fortan auf jeden schießen würde, der nachts unberechtigt die Insel Gröndal zu betreten wage.

Gunvor sagte zu mir: „Gustav, die Anzeige ist eine Irreführung! Die Gräfin und Bränkyr wollen nur jeden Verdacht, daß sie etwa gestohlene Katzen sich hielten, von vornherein unmöglich machen.“

Ich gab Gunvor recht. –

Unterm 8. März habe ich dann folgendes notiert:

½12 nachts. – Ersta hat sich wieder rasiert, und Bränkyr erschlug vierzehn Katzen.

Unterm 14. März:

Bränkyr und Ersta waren abends mit dem Motorboot in der Stadt und brachten einen Reisekorb mit, den sie gegen elf Uhr in den Stall trugen. Als sie mit dem Korbe wieder herauskamen, trug Ersta den Korb allein an dem einen Griff auf dem Rücken.

Daß dieser Reisekorb Katzen enthalten hat, steht für mich fest.

Unterm 8. April.

Bränkyr hat in der verflossenen Nacht dreimal auf einen Mann geschossen. Ich erwachte nach dem ersten Schuß, eilte ans offene Fenster und stellte mein Glas ein. Ich hörte noch zwei Schüsse und sah dann Bränkyr hinter einem Ufervorsprung, wie er in ein Boot stieg und auf den Fluß hinausruderte, wo er irgend etwas über Bord warf.

Am 8. April abends stand eine Notiz in der Zeitung, daß Bränkyr durch Schüsse einen Katzendieb verscheucht hätte, der dann schwimmend entkommen sei und sein Boot zurückgelassen habe. Das Boot hatte er von einem Landungssteg am Flußufer ohne Erlaubnis losgekettet. Der Besitzer holte sein Boot dann von der Insel ab.

Seit dem 9. April ist dann bis heute (5. Mai) nichts Erwähnenswertes mehr vorgefallen. – Die Gräfin sieht wie eine Schwerkranke aus. Bränkyr, der mich bisher ebenfalls nicht gegrüßt hatte, ist aber seit vorgestern sehr freundlich geworden, war zweimal bei uns und bot uns Fische billig zum Kauf an, die er geangelt hatte. Er hat sich als weitgereister Mann von vielseitiger Bildung entpuppt. Morgen will er mit mir im Motorboot nach Drottmingholm fahren. Er hat sich auch mein Laboratorium angesehen und bewies dabei überraschende chemische Kenntnisse.

Trotzdem ist er mir unsympathisch. Aber schließlich ist er mein Nachbar, und ich bringe es auch nur schwer fertig, mich ablehnend gegenüber einfacheren Leuten zu verhalten. –

Daß dieser Brief geschrieben wurde, Herr Harst, ist hauptsächlich Gunvors Werk. Sie hat den Mann nicht vergessen, auf den Bränkyr feuerte; sie hat mich Tag für Tag gebeten, Ihnen alles mitzuteilen, denn Sie würden von uns kein Honorar verlangen. – Ich schicke den Brief an Ihre Berliner Adresse, obwohl Sie ja in Indien weilen sollen. Er wird Sie hoffentlich erreichen.

Ich betone nochmals: die Einzelheiten meiner Beobachtungen erscheinen belanglos bis auf die Nacht vom 7. zum 8. April. Das Gesamtbild dagegen kommt mir, und meiner Schwester noch weit mehr, wie ein dunkler Schleier vor, hinter dem sich ernstere Dinge verbergen.

Mit aller Hochachtung
Dr. Gustav Söderbloom, Professor.

 

2. Kapitel.

Als Harald diesen Brief mir in Kalkutta vorgelesen hatte, war sein Gesicht immer nachdenklicher geworden.

Dann hatte er gesagt: „Lieber Alter, Söderblooms Schwester tat recht daran, daß sie darauf drang, mich zu Rate zu ziehen. Die Geschichte ist alles andere als harmlos. Wir reisen morgen nach Stockholm.“

Unterwegs war er dann mit keiner Silbe mehr auf die Katzengräfin zu sprechen gekommen.

Erst jetzt, als wir im Speisesaale des Hotels in Stockholm saßen, erhielt ich in den untrüglichen Beweis, daß Harald sich andauernd mit dem Fall Baltholm in Gedanken beschäftigt hatte.

Ganz unvermittelt sagte er:

„Es muß ein angesehener Kürschnermeister mit im Komplott sein. Anders läßt sich die Sache gefahrlos nicht bewerkstelligen.“

Dann schob er die Mokkatasse zurück und rief den Kellner herbei, bezahlte und meinte:

„Wir werden noch etwas durch die Stadt bummeln, wenn es Dir recht ist.“

Ich ahnte, welcher Art dieser „Spaziergang“ sein würde, dessen Vorbereitung darin bestand, daß wir uns aus unseren Koffern unsere Clementpistolen und die Taschenlampen nebst je drei Ersatzbatterien holten.

Wir waren im Miramare als Schrenk und Huber, Kaufleute aus Berlin, abgestiegen. Eine Veränderung unseres Äußeren hatte Harald für überflüssig gehalten. In Stockholm kannten uns nur ein paar Polizeibeamte, und Bilder von Harst hatten internationale Zeitschriften seit einem Jahr nicht mehr veröffentlicht.

Wir fuhren mit der Straßenbahn über die Insel Staden und am Königlichen Schloß vorüber bis zur Hornstull-Brücke in der Vorstadt Södermalm, mieteten hier ein leichtes Boot, hinterlegten 300 Kronen Pfand und langten nach einstündigem Rudern an das Nordufer der Insel Sättra, eines jener felsigen, reizlosen Eilande, wie man sie in den Mälar-Gewässern so häufig antrifft.

Wir zogen das Boot in eine Spalte des Steilufers hinein und erkletterten dann recht mühsam den Felswall, den Söderbloom in seinem Briefe erwähnt hatte.

Die Nacht war klar und still. Wir sahen kaum zwanzig Meter vor uns das Blockhaus liegen, umgeben von einem Gärtchen, weiterhin die größere Nachbarinsel Gröndal und das düstere, schmucklose Schloß der Gräfin mit zwei dicken, plumpen Ecktürmen, links davon das Nebengebäude, den Katzenstall.

Das Bild war durchaus friedlich und in gewissem Grade sogar romantisch. Die Mondsichel spiegelte sich in den dunklen Fluten des Mälar-Flusses wider, und das Wasser erschien wie punktiert vom Widerschein des ausgestirnten Firmaments.

„Unangenehm hell!“ meinte Harald leise. „Diese nordischen Sommernächte können Leuten wie uns verhängnisvoll werden. – Ah – drüben auf Gröndal verläßt jemand das Schloß. Es muß der fragwürdige Herr Bränkyr sein, denn der zweite männliche Bewohner der Insel trägt ja Weiberröcke –“

„Ersta, das Hausmädchen?“

„Wer sonst?! – Es ist der kleine Kastellan. Er kommt zum Ufer hinab. Duck’ Dich mehr zusammen, mein Alter. Es ist nicht grade nötig, daß wir bemerkt werden. – Da, jetzt steht er und schaut sich des Professors Blockhaus an. Der Mensch steht wie eine Bildsäule. Was es nur an dem Hause zu sehen gibt?! Wenn der Professor munter ist, könnte er Bränkyr einen Gruß zurufen –“

Ich hatte jetzt eine schlanke Frau in hellem Kleide wahrgenommen, die soeben aus der Pforte des linken Turmes ins Freie getreten war.

„Harald – die Gräfin!“ flüsterte ich.

Er nickte nur.

Und dann wurden wir Zeugen einer sehr sonderbaren Szene.

Die Gräfin kam langsam durch den Schloßgarten mit seinen dürftigen Sträuchern auf Bränkyr zu.

Die Gräfin stand vor ihm, hob wie flehend die Arme, sank plötzlich in die Knie, umklammerte Bränkyr.

„Ah!“ machte Harst. „Der beste Beweis, daß auf sie ein Zwang ausgeübt wird. – Armes Weib!“

Bränkyr war zurückgetreten, machte eine heftige Armbewegung, packte das linke Handgelenk der Gräfin und zog sie empor.

Ganz langsam schritt sie mit schlaff herabhängenden Armen und tief gesenktem Kopf dem Schlosse wieder zu und verschwand im Turme.

Bränkyr folgte ihr noch langsamer. Gleich darauf wurden zwei Fenster im Erdgeschoß hell, blieben etwa fünf Minuten erleuchtet und wurden wieder dunkel.

„Er ist schlafen gegangen,“ sagte Harald. „Nun können wir uns freier bewegen. – Vorwärts, kriechen wir bis an den Gartenzaun. Dann sind wir gegen Sicht gedeckt.“

„Hm – siehst Du etwas?“ meinte Harst sehr gedehnt.

Am Gartenzaun angelangt richteten wir uns auf.

„Ich wüßte nicht –“

„Würdest Du den Garten verschmachten lassen, wenn Du das Wasser so in der Nähe hast?!“

Und – da erkannte ich, worauf er hinauswollte: die Blumen waren sämtlich verwelkt, und dort die Gemüsebeete boten einen ebenso traurigen Anblick dar.

„Komm’!“ sagte Harald dann sehr energisch. „Den Geschwistern Söderbloom muß etwas zugestoßen sein.“

Wir gingen den Hauptweg hinunter auf die Hintertür des Hauses zu.

„Halt!“ meinte Harst, „Das war unvorsichtig! Der Kies nimmt die Spuren zwar nur verschwommen an, aber –!“

Und er schob mich nach links auf die verdorrte Rasenkante des Weges, bückte sich und verwischte unsere Fährten.

Wir schritten weiter. Ich fühlte bereits in allen Nervensträngen das Prickeln jener seltsamen Erregung, die mit der des leidenschaftlichen Hazardspielers oder des Jägers die meiste Ähnlichkeit hat.

Harst legte die Hand auf den Türdrücker.

„Ah – offen!“

Er schob die Tür weiter auf. Ein langer Flur durchschnitt das Gebäude. Wir sahen vorn die matten Scheiben einer Haustür verschwommen schimmern.

Harald trat ein. Seine Lampe flammte auf. Im selben Moment wandte er sich halb um.

„Riechst Du etwas!“ fragte er leise. Aber ich hörte doch, daß seine Stimme einen ganz besonderen Klang hatte.

Ich sog die Luft prüfend ein. „Ja – das – das kann Leichengeruch sein!“ stammelte ich, und ein Eiseshauch kroch mir über den Rücken.

„Es ist Leichengeruch,“ sagte er kurz und schritt schnell vorwärts.

Ich zog die Tür behutsam ins Schloß. Der Schlüssel steckte von innen. Ich wollte abschließen, aber Harald rief schon von der Treppe aus, die rechter Hand nach oben führte:

„Fräulein Gunvor ist schon gefunden!“

Und diese Nachricht ließ mich das Versperren der Tür vergessen.

Ich eilte Harst nach. Doch bei jeder Stufe, die ich erklomm, wurde mein Schritt zögernder, zumal der furchtbare Geruch sich immer mehr verstärkte.

Wer jemals eine bereits in Verwesung übergegangene Leiche gesehen hat, wird es begreiflich finden, daß ich mich der Toten, die am südlichen Flurfenster halb auf der Seite auf dem roten Plüschläufer lag, nicht allzu sehr näherte.

Ich blieb stehen. Harst kniete neben der Leiche, hielt die Taschenlampe ganz tief und ließ den Lichtkegel über die Tote gleiten.

Ich sah, daß der eine Flügel des Flurfensters weit offen stand und mit dem Haken befestigt war, sah durch das Fenster drüben das kleine, finstere Schlößchen der Baltholms trotzig und geheimnisvoll emporragen. –

Harald richtete sich auf und kam schnell auf mich zu, drängte mich an das nördliche Flurfenster und riß es auf, beugte sich hinaus und holte keuchend Atem.

„Ermordet!“ sagte er dann. „Der Kopf ist halb zertrümmert. Wir –“

Da hatte ich schon seinen Arm umklammert, hauchte:

„Ein Mann – dort – er schleicht auf die Zaunpforte zu –“

Wir beobachteten den Mann. Wir erkannten, daß er mittelgroß, schlank und wie ein Tourist gekleidet war. Seine Bewegungen waren geschmeidig; sein Verhalten deutete darauf hin, daß er genau wie wir nicht gesehen werden wollte.

„Wer mag das sein?“ flüsterte ich beunruhigt.

„Vielleicht ein – Katzendieb, lieber Schraut!“

„Katzendieb?! Wie meinst Du das?“ – Der Leichengeruch legte sich mir atembeklemmend auf die Brust; meine Nervosität wuchs.

Harald blieb stumm. – Der Fremde hatte den Garten betreten, ging nun ebenfalls auf der Rasenkante entlang.

„Merkst Du was?!“ flüsterte Harald. „Er macht’s wie wir! Er will Spuren vermeiden.“

Dann blickte er sich um. – Hier im oberen Flur standen drei große Kleiderschränke. Harst öffnete den einen. Es hingen nur wenig Sachen darin. Ein scharfer, angenehmer Geruch nach einem Mottenpulver entquoll dem Schranke.

„Hinein mit uns!“ meinte Harald.

Wir hatten sehr bequem Platz in diesem Riesenmöbel. Harst zog die Tür zu. Es war eine Flügeltür, und der Schrank hatte seinen Platz so, daß, wenn wir die Tür nur eine Handbreit öffneten, wir die Leiche drüben am Fenster sehen konnten.

Wir rührten uns nicht, obwohl die Bodenbretter dieses uralten, eichenen Schrankes nicht im geringsten knarrten.

„In Berlin würde für diesen Schrank viel Geld bezahlt werden,“ hörte ich Haralds leise Stimme. „Hast Du die Schnitzereien an den Türen gesehen? Und das alte Kunstschloß?“

Ich kämpfte bereits verzweifelt gegen einen starken, durch das Mottenpulver hervorgerufenen Hustenreiz an. Die Augen tränten mir.

Jetzt knarrte draußen eine Treppenstufe – jetzt eine Diele dicht vor uns.

Der Fremde hatte den oberen Flur erreicht. Harald drückte die Tür auf, Millimeter für Millimeter.

Wir streckten die Köpfe vor, erblickten den Mann, der neben der Leiche auf den Knien lag und sie mit einer winzigen Taschenlampe beleuchtete.

Er ließ sich Zeit, dieser Mann; er schien gegen den Pesthauch der Verwesung gefeit zu sein.

Dann richtete er sich nur halb auf und schlich der Treppe zu.

Harst hatte die Tür rasch wieder zugezogen.

Und nun – nun kam für uns der erste recht peinliche Moment dieser Nacht: die Tür wurde aufgerissen, und wir sahen uns der Mündung eines Revolvers gegenüber, der in der rechten Hand des Fremden lag, während seine Linke die kleine Taschenlampe hielt.

„Keine Bewegung!“ warnte er in englischer Sprache, und man merkte seinem Ton an, daß er nicht die Spur erregt, mithin also ein gefährlicher Gegner war. „So – strecken Sie jetzt die Arme vor und kommen Sie einzeln heraus! Machen Sie aber keine Dummheiten! Ich drücke sofort ab!“

Er trat zurück. Harst kletterte aus dem Schrank heraus.

„Hände jetzt hoch!“ befahl der Mann sogleich.

Ich folgte, stand dicht hinter Harald.

„Vorwärts – die Treppe empor!“ kommandierte der Fremde dann.

So gelangten wir in den zweiten Stock und in Söderblooms Laboratorium, dessen Fenster nach Norden zeigten. In einer Ecke des großen Raumes standen ein Plüschsofa, ein Tisch und zwei Sessel.

„Setzen Sie sich nebeneinander auf das Sofa und legen Sie die Arme auf den Tisch!“ verlangte der Mann stets mit derselben Gemütsruhe. „So – sehr verständig von Ihnen, daß Sie gehorsam sind. Sie merken wohl, daß mit mir nicht zu spaßen ist!“

Ich wunderte mich, daß Harald noch immer schwieg. Er hätte vielleicht durch ein paar Worte die Situation klären können.

„Wer sind Sie?“ fragte der Fremde dann und deutete mit dem Revolver auf Harst.

Harald blieb stumm.

„Hm – wohl schlechtes Gewissen!“ meinte der Mann mit überlegenem Hohn. „Sie beide gehören natürlich auch mit zu der feinen Gesellschaft! Wollen Sie das zugeben?“

Sein Englisch war nicht einwandfrei. Es war fraglos kein Engländer. Er war auch noch jung, etwa 28 Jahre, schätzte ich, und hatte ein schmales, bartloses, gebräuntes Gesicht.

„Wir geben nichts zu,“ brummte Harst, ebenfalls auf englisch. „Sie werden sich ’ne böse Suppe einbrocken, passen Sie nur auf!“

„So?! Meinen Sie?!“ lachte der Mann. „Sie wollen mir drohen?! Oh – ich habe mich gesichert! Mich wird man nicht verschwinden lassen wie –“

„– den Katzendieb am achten April,“ ergänzte Harst.

„Sie räumen also ein, ihn beseitigt zu haben!“ rief Fremde. „Dies Geständnis genügt!“ – Er legte die Taschenlampe so auf den Tisch, daß der Lichtkegel unsere Hände traf, zog mit der Linken zwei Paar Stahlfesseln aus der Außentasche seiner Sportjacke und klappte das eine Paar mit Hilfe der Zähne auf.

Da – Haralds leises Lachen, dann die Worte:

„Kollege, lassen Sie die Dinger stecken! Wir sind nicht die, für die Sie uns halten. Ich rate Ihnen, mich doch mal genauer anzusehen. Vielleicht haben Sie mal ein Bild von Harald Harst irgendwo in einer Zeitschrift gefunden –“

Der „Kollege“ legte die Stahlfesseln hastig auf den Tisch und leuchtete Harst ins Gesicht.

Das dauerte recht lange.

Dann ließ er die linke Hand sinken.

„Sie lügen! Sie sind nicht Harst,“ erklärte er kurz. „Harst sieht ganz anders aus, weilt zur Zeit auch in Indien!“

„So – so!“ meinte Harald. „Na – meinetwegen! Sie wollen sich den fetten Happen nicht entgehen lassen. Nur sollten Sie nicht so töricht sein, mich[2] täuschen zu wollen.“

„Maul gehalten!“ fuhr der Mann auf.

Dann schnappten die Stahlfesseln um meine Handgelenke zu. Der Fremde benahm sich dabei sehr geschickt, ließ Harst nicht einen Moment aus dem Auge.

Nun sollten Haralds Handgelenke dieselben lästigen Armbänder erhalten.

Ich war gespannt, ob er sich wirklich würde fesseln lassen. Ich lehnte mich mehr zurück.

Und er – er nahm jetzt die Hände von der Tischplatte weg, faßte mit der Rechten in die Brusttasche.

Der Fremde schnellte hoch, brüllte: „Kerl – ich schieße!“

Und Harald lachte gemütlich: „Seien Sie nicht albern, Verehrtester! Zigarette gefällig? Bitte –“

Er hielt ihm das goldene, geöffnete Etui hin.

Der Fremde stand sekundenlang regungslos. Dann lachte auch er.

„Es war eine Dummheit von mir, Herr Harst,“ sagte er in fließendem Deutsch. „Entschuldigen Sie. Sie haben mich durchschaut. Es war mir wirklich nur um die Belohnung zu tun.“

Ich saß da und freute mich, daß niemand auf mein jetzt fraglos wenig geistreiches Gesicht achtete.

 

3. Kapitel.

„Verzeihen auch Sie, Herr Schraut,“ wandte er sich nun mir zu und öffnete die Schnappfesseln, nahm sie mir ab ob schob sie in die Tasche, sagte dabei: „Mein Name ist Günther – Cäsar Günther, Privatdetektiv aus Hamburg –“

Also wirklich ein Kollege! Harald hatte wieder mal recht gehabt.

„Nehmen Sie Platz, Herr Günther,“ meinte Harst, als ob er hier der Hausherr wäre. „Wir wollen so einiges besprechen. – Bitte – bedienen Sie sich –“ Er bot ihm abermals eine Zigarette an, und Günther griff auch zu. „Daß Sie nicht schießen würden, wußte ich schon unten im Flur, und daß Sie ein Detektiv waren, merkte ich schon an Ihren Bewegungen draußen im Garten und an Ihrem Bemühen, Fußspuren zu vermeiden. Ich hätte diesem Scherz also schon vorher ein Ende machen können. Ich tat es nicht, weil ich vermutete, daß Sie hier den Kollegen suchen, der am 8. April verschwunden ist, und weil ich hierüber Gewißheit haben wollte, bevor ich die Maske lüftete. – Bitte – nach Ihnen –,“ und er reichte ihm Feuer für die Zigarette, für die echte Mirakulum, Harsts Spezialmarke, die nur für ihn von einer Pankower Zigarettenfabrik angefertigt wird und deren Name „Mirakulum“ ich unlängst sogar in jener Druckerei in Riesenbuchstaben an die Wand gemalt fand, die die Harst-Bändchen herstellt.

Auch Harald und ich hatten es uns nun auf dem Sofa bequem gemacht. Günthers Taschenlampe lag noch auf dem Tisch.

„Schalten Sie sie besser aus,“ meinte Harst. „Wir brauchen hier kein Licht.“

Cäsar Günther tat es. – „Nicht wahr,“ fuhr Harald fort, „der Mottenpulvergeruch hat Ihnen verraten, daß der Schrank soeben geöffnet worden war?“

„Ja, Herr Harst. Ich sagte mir sofort, daß in dem Schrank jemand verborgen war.“

„Sie sind nicht allein hier auf der Insel?“

„Nein. Mein Angestellter Gabert wartet am Nordufer im Boot.“

Harald rauchte ein paar Züge. Ich hatte mir eine Zigarre angezündet. Es war ein Genuß, durch den Tabak den faden Geschmack im Munde, die Folge des starken Leichengeruchs, loszuwerden.

„Es ist selbstverständlich,“ sagte Harst dann, „daß wir Ihnen als Berufsdetektiv hier nicht ins Handwerk pfuschen werden, Herr Günther. Helfen wollen wir Ihnen gern. Aber die Siegespalme bleibt Ihnen allein.“

„Ich danke Ihnen, Herr Harst. Ich bin noch ein Anfänger, bin erst anderthalb Jahre Inhaber der Hamburger Detektei „Hansa“, war früher Gerichtsreferendar und bin aus Neigung und Not Detektiv geworden, – aus Not, weil ich gern heiraten wollte und weil meine Braut es bei ihrer Tante als vermögenslose Waise sehr schlecht hatte – sehr schlecht! Ich bin nun seit einem Jahr glücklicher Ehemann und muß Geld verdienen – muß! Ich beschäftige fünf Personen, die auch leben wollen.“

„Schon gut, Herr Günther. Ich trage Ihnen Ihre Geschäftstüchtigkeit wirklich nicht nach. Sie wollten Schraut und mich halb gewaltsam als Konkurrenz ausschalten – wollten! Sie haben noch viel zu lernen. – So, nun erzählen Sie mal –“

„Gern, Herr Harst. – Am 12. März dieses Jahres erhielt ich einen Brief von einem Herrn Sigurd Bränkyr, Schloßverwalter der Gräfin Baltholm, die dort drüben auf der Insel Gröndal wohnt –“

„Oh – welche Frechheit!“ murmelte Harald.

Günther – schwieg überrascht. „Frechheit?! Inwiefern?“

„Nur weiter, Herr Günther –“

„Ja – also einen Brief in englischer Sprache. Herr Bränkyr schrieb, er habe meine Detektei in einer Stockholmer Zeitung lobend erwähnt gefunden. – Das hatte seine Richtigkeit. Ich habe hier im Januar einen Hoteldieb unschädlich gemacht. – Er schrieb weiter, daß die Gräfin eine große Katzenfreundin sei und sich auf Gröndal eine Menge Katzen halte, daß aber stets in längeren oder kürzeren Zwischenräumen zahlreiche Tiere verschwänden. Die Gräfin und er hegten nun den Verdacht, daß ihr Inselnachbar, der Professor Söderbloom, ein mürrischer Sonderling, die Tiere vergifte und wegschaffe. Um dies festzustellen, sollte ich einen meiner Leute nach Stockholm senden.“

„Unglaublich!“ brummte Harald.

„Ich schrieb zurück, daß ich jemand schicken würde, sobald ich einen Kostenvorschuß von 1000 Mark erhalten hätte. Das Geld traf auch telegraphisch ein, und Bränkyr depeschierte dazu: „Erwarte den Herrn am 5. April Hauptbahnhof mit Taschentuch in linker Hand als Erkennungszeichen.“ – Mein Angestellter und Freund Hans Bertge reiste also ab. Am 8. April bekam ich von ihm einen Brief, den er am 6. vormittags geschrieben hatte. Er teilte mir mit, daß er Bränkyr getroffen und mit diesem verabredet habe, zunächst jede Nacht das Haus des Professors zu beobachten und zwar von Söderblooms Garten aus, weiter, daß Bränkyr ihn gewarnt habe, sich nie auf Gröndal blicken zu lassen, weil der Professor offenbar noch mehrere Komplizen habe, die Bränkyr stets belauerten und das Schloß unter ständiger Bewachung hielten. – Dann erreichte mich am 15. April ein Schreiben Bränkyrs – inzwischen hatte Bertge sich nicht mehr gemeldet, – dessen Inhalt mich stark beunruhigte, weil der Schloßverwalter mir mitteilte, Bertge sei seit dem 7. April spurlos verschwunden. Er hätte ihn bei einem Bekannten in Stockholm, dem Hofkürschnermeister Ektory, untergebracht gehabt, und dort sei Bertge seit dem 7. abends nicht mehr erschienen. Er könne daher nur annehmen, daß Bertge nach Hamburg zurückgekehrt sei, da dieser sich damals am 7. abends mit seiner Reisetasche aus dem Hause des Kürschnermeisters heimlich entfernt hätte. Er finde dieses Benehmen meines Angestellten höchst merkwürdig und verzichte daher auf meine weiteren Dienste –“

Harald hatte sich weit über den Tisch gebeugt. „Und dann?“ fragte er gespannt.

„Ja – dann, Herr Harst, – dann geschah das völlig Unbegreifliche: am selben Tage nachmittags traf ein Brief Hans Bertges bei seiner Braut in Hamburg ein, einem Fräulein Else Schütte, dem einzigen Kinde eines schwerreichen Schlächtermeisters. Hans schrieb ihr, daß er die Verlobung hiermit löse, da er in Schweden sich in ein anderes Mädchen verliebt hätte und auch nie mehr nach Hamburg zurückkehren würde. – Fräulein Schütte brachte mir diesen Brief sofort. Sie ist ein sehr verständiges Mädchen. Sie sagte mir, sie glaube nie und nimmermehr, daß wirklich Hans diesen Brief geschrieben hätte. Der Brief sei eine Fälschung, Ihr Vater wünsche, daß ich die Sache aufkläre. Er würde mir 10 000 Mark dafür zahlen. Ich solle keine Kosten scheuen. – Ich untersuchte den Brief. Die Handschrift war die Bertges, aber sie erschien mir doch verändert, nicht so recht flüssig. Jedenfalls lag meines Erachtens die Möglichkeit einer Fälschung vor. – Ich erklärte Fräulein Schütte also, daß ich morgen nach Stockholm reisen würde. Aber – am nächsten Tage erhielt ich selbst dann mit der ersten Post eine Karte von Hans Bertge aus Stockholm, auf der er sich kurz von mir verabschiedete und mich bat, seine Braut zu trösten und ihn zu vergessen. – Auch die Schrift dieser Karte konnte gefälscht sein – konnte! – Ich legte Brief, Karte und Schriftstücke von Bertges dann einem Schreibsachverständigen vor. Dieser erklärte, nachdem er die Karte photographisch vergrößert hatte, daß von Fälschungen hier keine Rede sein könne. Daraufhin verzichtete Herr Schütte und seine Tochter auf alles weitere. Wir gaben Hans Bertge als Treulosen verloren.“

Günther bat sich für seine ausgegangene Zigarette Feuer aus und fuhr dann fort:

„Wir haben heute den 24. Juli. – Bis zum 20. Juli ruhte die Sache Bertge vollständig. Aber Else Schütte konnte ihren Hans nicht vergessen, wollte, nachdem die erste Empörung vorüber und ihre Gedanken wieder ruhiger, durch mich feststellen lassen, in wessen Netze ihr Hans dort in Stockholm geraten sei. Am 20. Juli kam sie dieserhalb zu mir. Ein merkwürdiger Zufall war’s, daß da gerade ein Paket aus Stockholm bei mir anlangte, in dem mir der Stockholmer Privatdetektiv Roobsal, mit dem ich in Geschäftsverbindung stehe und der auch Hans Bertge sehr gut kannte, Bertges weichen Filzhut schickte, den dieser auf der Reise nach Stockholm getragen hatte und in dessen Schweißleder der Name „Hans Bertge, Hamburg“ eingelocht war. Roobsal schrieb dazu, daß ein Freund von ihm den Hut vor drei Tagen in einer Bucht des Mälar-Flusses dicht vor der Stadt gefunden und ihm gebracht hätte, weil dieser Freund durch ihn einige Male Bertges Namen gehört hatte. Roobsal fragte weiter bei mir an, wie der Hut nach Stockholm käme und ob ich dort etwa zu tun gehabt und Bertge hingeschickt hätte. – Ich untersuchte den Hut dann. Er mußte sehr lange im Wasser gelegen haben. Das wichtigste aber war, daß er zwei Löcher im Hutkopf hatte, die nur von einer Kugel, einem Schuß, herrühren konnten. – Ich will mich kürzer fassen, Herr Harst. Schlächtermeister Schütte zahlte mir 5000 Mark Vorschuß und versprach mir weitere 20 000 Mark, wenn ich herauskäme, wer Bertge beseitigt hätte, denn daß Bertge umgebracht sei, davon war er nun überzeugt. – Daraufhin fuhren Gabert und ich am 22. 7. nach Stockholm. Wir trafen am 23. abends ein und stiegen als Ingenieure in einem kleinen Fremdenheim am Hauptbahnhof ab. Heute nun wollten wir Söderblooms Insel besuchen, weil ich jetzt eben vermutete und noch vermute, daß der Professor und dessen Genossen Hans Bertge bei Seite geschafft haben, als dieser hier auf der Insel spionierte. Wir landeten am Nordufer, und – alles weitere wissen Sie ja, Herr Harst.“

Es folgte eine lange Pause. Harald steckte sich eine frische Mirakulum an, rauchte und regte sich kaum.

Dann wandte er den Kopf zu mir hin. „Nun, mein Alter? Was sagst Du zu dieser unglaublichen Geschichte?“

Ich hüstelte. „Hm – ich möchte lieber nichts sagen. Die Sache ist mir genau so unerklärlich wie dem Kollegen Günther. Höchstens möchte ich die Vermutung aussprechen, daß Bertge vielleicht der Mann war, auf den Bränkyr in der Nacht vom 7. zum 8. dreimal geschossen hat.“

„Geschossen?! Bränkyr?!“ meinte Günther rasch. „Das kann doch nicht sein! Bränkyr soll –“

„– Bränkyr hat es getan,“ vollendete Harald. „Hören Sie mal zu, Kollege Günther. Sie werden staunen, wer uns nach Stockholm gerufen hat und was wir über die Katzen der Gräfin Baltholm wissen.“ – Er berichtete alles Nötige in seiner kurzen, übersichtlichen Art und sagte zum Schluß:

„Herr Günther, daß die Belohnung von einem Herrn Schütte ausgesetzt war, die Sie gern allein verdienen wollten, konnte ich also nicht wissen. Nein, ich glaubte, diese Belohnung hätten Ihnen ganz andere Leute versprochen – ganz andere, – keine Leute, um es genauer auszudrücken, sondern – eine Art Behörde, die Vertreter einer großen Gemeinschaft –“

Inzwischen war es draußen ziemlich hell geworden. Der Morgen graute. Die Gegenstände hier im Laboratorium traten immer deutlicher aus der verschwommenen Dämmerung heraus.

Wir drei konnten nun auch unsere Gesichtszüge erkennen. – Cäsar Günthers Augen hingen gespannt auf Haralds schmalem Antlitz.

„Eine Behörde?!“ meinte er zögernd.

„Ja. Sie werden das später verstehen. Wir sind hier einem der eigenartigsten Verbrechen auf der Spur, einer Bande von Verbrechern, die die Katzen der Gräfin Baltholm für ihre dunklen Zwecke benutzen.“

Günther schüttelte zweifelnd den Kopf. „Wenn der Professor Sie nun angelogen hätte, Herr Harst?!“

„Ausgeschlossen! Des Professors Brief enthält kein unwahres Wort. Beweis: seine tote, ermordete Schwester im Flur der ersten Etage und das, was Schraut und ich heute hier beobachteten, nämlich die Szene zwischen der Gräfin und Bränkyr. Ich behaupte, Bränkyr ist der Mörder Gunvor Söderblooms! – Vielleicht finden wir auch den Professor hier ermordet auf. Die Geschwister lebten ganz zurückgezogen, hielten keine Dienstboten. Deshalb ist noch niemandem etwas von diesen Untaten hier bekannt geworden, zumal die Inselbewohner Stockholms sich ihre Zeitungen und Postsachen selbst abholen. Ich schätze, daß die Leiche Gunvor Söderblooms etwa zehn Tage bereits dort im Flur liegt. Mag sie noch einen Tag länger unberührt bleiben. Wir drei sind jetzt Herren dieses Hauses, können uns hier frei bewegen und werden –“

 

4. Kapitel.

Harald konnte diesen Satz nicht vollenden.

Durch den Treppenflur und die geschlossene Tür des Laboratoriums kamen von unten urplötzlich zwei halb erstickte Schreie herauf, trafen unser Ohr und wurden von den nach dieser Unterredung äußerst schnell arbeitenden Hirnen sofort richtig als ein zweimaliger Hilferuf gedeutet.

Wir starrten uns gegenseitig an.

„Ihr Angestellter Gabert,“ flüsterte Harst. „Es war das deutsche Wort Hilfe. Er wird Ihnen aus irgend einem Grunde gefolgt sein. Verbergen wir uns hier, aber so, daß wir jeder Zeit zuspringen können. – Wenn sie Gabert getötet haben, kommen wir ohnedies zu spät: wenn nicht, werden wir ihn schon befreien und vielleicht feststellen können, was die, die ihn überwältigten, hier wollen –“

Wir waren aufgestanden. Günther zeigte auf einen mit Leinwand bespannten großen Rahmen, der, auf niedrigen Füßen befestigt, an der Längswand zwischen zwei Schränken stand, offenbar ein Projektionsschirm.

Harald nickte. Wir drei schlichen dorthin. Wir hatten hinter der Leinwand bequem Platz und brauchten uns nicht einmal zu bücken. Unsere Füße wieder wurden durch eine Truhe verdeckt, die ein Stück weiter auf dem Fußboden frei im Zimmer stand.

Im Nu hatten wir jeder in die Leinwand mit der Taschenmesserklinge ein kleines Loch gebohrt.

Wir waren kaum hiermit fertig, als die Tür des Laboratoriums, die in den Flur mündete und unserem Versteck schräg gegenüber lag, leise geöffnet wurde.

Ein Mann mit leicht ergrautem Vollbart, klein, hager und sonngebräunt, wurde sichtbar, blickte erst vorsichtig in das Laboratorium hinein und winkte dann nach rückwärts mit der rechten Hand, die einen Revolver umspannt hielt.

Es war Sigurd Bränkyr.

Er trat ein. Und ich dachte: „Der Kerl schleicht wie eine Katze!“ – Seine Bewegungen waren flink und geschmeidig, der Kopf argwöhnisch vorgestreckt.

Dann erschien – ein großes, hageres Weib, einfach angezogen, blondhaarig, mit groben Zügen.

Das Weib trug vor sich in den Armen einen Menschen, der bewußtlos oder tot sein mußte: Gabert – ohne Zweifel Gabert!

Bränkyr war stehen geblieben und sagte zu dem Weibe, in der ich das angebliche Hausmädchen Ersta vermutete, etwas in schwedischer Sprache, die mir nicht geläufig ist. Harald hat mir nachher die Sätze auf deutsch wiedergegeben. Außerdem war ein Teil des Inhalts von Bränkyrs Worten durch seine Gesten zu erraten.

„Legen Sie ihn nur auf den Fußboden. Wir werden ihn fesseln und knebeln –“

Ersta bückte sich und ließ Gabert auf die Dielen sinken.

Bränkyr ging an das eine Fenster und schnitt hier die Gardinenschnur los, kam zu Ersta zurück und meinte:

„Ich wette, es ist der Detektiv Günther aus Hamburg. Die Briefe haben also doch nicht genügt, seinen Argwohn zu zerstreuen. Ein Glück, daß wir vor ihm das Haus betreten hatten und ihn heranschleichen sahen.“

Er fesselte Gabert und stopfte ihm ein Taschentuch in den Mund, das er mit einem Stück Schnur im Genick befestigte. – Wir konnten genau beobachten, was er tat.

„Sie darf auf keinen Fall etwas hiervon erfahren,“ erklärte Ersta nun mit zaghafter, tiefer Stimme. „Wir müssen ihn so hinüberschaffen, daß sie es nicht sieht, Bränkyr.“

Der Schloßverwalter nickte. „Wird befolgt! – Die Geschichte hier hat ja nun ohnedies ein Ende. Der Boden wird uns zu heiß. Vielleicht hat dieser Günther dritten Leuten von seinem Argwohn etwas mitgeteilt. Jedenfalls: wir verschwinden von hier für immer! Die fertige Sendung geht ja heute ab und bringt uns so viel ein, wie das Schloß und die Insel wert sind.“

Er richtete sich wieder auf. Sie waren mit der Fesselung Gaberts fertig.

„Wär’s dann nicht am besten, ihn hier liegen zu lassen,“ meinte Ersta. „Man wird ihn ja bald finden, falls –“

„Nein. Er könnte zu früh entdeckt werden. Ein Zufall kann jemand schon heute nach der Insel führen. Dann beginnt die Polizei zu arbeiten, faßt uns vielleicht noch im letzten Moment ab!“

Ersta seufzte vernehmlich. „Wenn Sie nur das nicht getan hätten, Bränkyr! Nur das nicht!“

Bränkyr lachte brutal auf. „Oh – das Weib war kein schwachnerviges Frauenzimmer! Soll ich’s Ihnen nochmals vorhalten, daß sie mir wie eine Katze an den Hals flog! Es war Notwehr – zum Teufel – nur Notwehr!“

„Mag sein, Bränkyr. Suchen wir also nach den Chemikalien, damit wir wieder fort können. Mir ist’s unheimlich in diesem Hause! Außerdem wird es immer heller draußen, und wir können leicht gesehen werden, zumal mit dem Gefangenen.“

„Den wickeln wir in eine Matte oder dergleichen ein. – Suchen wir! Oder – halt – das hat ja jetzt keinen Zweck mehr. Wir geben das Geschäft ja auf. Allerdings – für später –, na, suchen wir!“

„Nein, nein, Bränkyr!“ rief Ersta da. „Nicht für später! Ich habe von alledem genug! Ich rühre keinen Finger mehr! Wenn Sie für sich –“

Bränkyr hatte die Achseln gezuckt, hatte aufgelacht. „Ein zartes Gewissen und Armut vertragen sich schlecht! Das sagte ich Ihnen schon vor einem Jahr! – Meinetwegen – ich werde die Chemikalien schon noch verwerten! Dort den Schrank haben wir noch nicht durchstöbert –“

Ersta schritt auf die Sofaecke zu, während Bränkyr sich dem Schrank zuwandte.

„Bränkyr!“ rief Ersta plötzlich schrill und stierte auf die Tischplatte.

In demselben Augenblick ahnte ich den Grund seines Erschreckens: die staubige Tischplatte mußte ganz frische Spuren aufweisen – die Spuren unserer Arme!

„Bränkyr – hier – der Staub ist zum Teil weggewischt!“ hatte Ersta schon hinzugefügt. –

Harst stieß mich an, flüsterte: „Los!“

Und sprang hinter dem Schirm hervor.

„Hände hoch!“

„Verdammt!“ brüllte der Kastellan.

„Peng – Peng!“ klang der blecherne Ton der Clementpistole Harsts.

Bränkyr hatte auf uns feuern wollen.

Sein Revolver fiel auf die Dielen. Er schlenkerte mit der zerschossenen rechten Hand.

Ersta war leichenblaß in den einen Plüschsessel gesunken, hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt, stöhnte qualvoll auf.

„Binden!“ befahl Harald kurz.

Die beiden wehrten sich nicht mehr. Ersta schien vor Angst mehr tot als lebendig.

Wir banden sie in den Sesseln fest, stillten auch die Blutung der zerschossenen Hand.

Wir drei standen nun vor den beiden Verbrechern. Ersta hielt die Augen geschlossen. Bränkyr starrte uns frech und tückisch an.

„Sie beide werden wohl verständig genug sein, alles einzugestehen,“ sagte Harst nun.

Bränkyr grinste. „Alles?! Was denn?! – Das könnte Ihnen so passen!“

„Ich meine die Ermordung des Detektivs Bertge,“ erklärte Harald.

Da riß Ersta die Augen auf. „Er ist nicht tot! Er –“

„– Er wird von Ihnen gefangen gehalten,“ vollendet Harst schnell. „Das wußte ich, wollte es nur bestätigt haben. Erledigen wir Hans Bertge zunächst. Ihnen war Professor Söderbloom lästig geworden. Sie ahnten, daß er die nächtlichen Katzenjagden beobachtet hatte, wollten ihm einen Aufpasser geben, der feststellen sollte, ob Söderbloom Ihnen etwa nachspionierte. Deshalb verschrieben Sie sich Bertge. Aber dieser hat dann wohl Verdacht geschöpft und handelte anders, als Sie es wünschten, landete auf Gröndal in jener Nacht, anstatt hier auf Sättra und geriet mit Bränkyr zusammen, der auf ihn schoß und ihn verwundet haben mag. – Sie zwangen ihn dann, den Brief und die Karte zu schreiben, damit sein Chef Günther nicht weiter nach ihm forschte. Seine Schrift war infolge der Verwundung und der ganzen Umstände nicht so flüssig wie gewöhnlich. Aber Bertges Hut hatten Sie vergessen, den in den Fluß gefallenen Hut, und der wurde zum Verräter. Wahrscheinlich hat Bertge einen Streifschuß auf dem Scheitel, den Kugellöchern im Hute nach zu schließen. – Was Sie, Bränkyr, damals im Fluß versenkten, wird Bertges Reisetasche gewesen sein, die er mitgenommen hatte, vielleicht, weil es ihm im Hause des Hofkürschnermeisters nicht behagte. – So, das wäre Hans Bertge. Haben Sie hier zu etwas zu bemerken?“

Bränkyr schwieg trotzig. Ersta nickte schwach, worauf der Kastellan ihn anfuhr: „Seien Sie vorsichtig!“

Harst blickte den Kastellan fest an. „Hier nützt alle Vorsicht nichts mehr! Das werden Sie bald einsehen. Ich weiß alles!“

„So?!“ grinste Bränkyr. „Da bin ich neugierig!“

„Und ich bin Harald Harst. Vielleicht ist Ihnen der Name bekannt –“

Bränkyr war deutlich zusammengezuckt. Ersta hatte die Augen wieder geschlossen.

„Nun zu den Söderblooms,“ fuhr Harald fort. „Der Professor hat am 5. Mai, also etwa vier Wochen nach dem Vorfall „Bertge“ an mich geschrieben und mir seine Beobachtungen mitgeteilt, so auch die Tatsache, daß Sie, Bränkyr, sich mit ihm anzufreunden suchten. Natürlich beabsichtigten Sie hiermit zweierlei: erstens wollten Sie feststellen, ob der Professor etwa allzu viel in der Nacht vom 7. zum 8. April gesehen hätte, und zweitens wollten Sie das Haus und das Laboratorium kennenlernen, weil Sie Chemikalien brauchten – vielleicht zum Gerben der Katzenfelle –“

„Das stimmt,“ sagte der Verwalter hastig. „Zum Gerben!“

„Nun – möglich ist das! Jedenfalls wollten Sie die Chemikalien, die Sie nicht zu kaufen wagten, hier stehlen, und da mag Fräulein Gunvor den Dieb nachts überrascht haben –“

„Ja, so war’s,“ erklärte Bränkyr. „Sie sprang mir an den Hals, und –“

„Das ist nebensächlich. – Was taten Sie mit dem Professor? Ich denke, er wird gleichfalls drüben gefangen gehalten –“

„Auch das stimmt,“ sagte der Verwalter. „Ich habe damals vor neun Tagen unten alles durchgewühlt und einen Einbruch vorgetäuscht. Söderbloom zwang ich, mich zu begleiten. Er wird zusammen mit Bertge im Keller gefangen gehalten.“

„Dann bliebe also nur noch die Frage zu erörtern, weshalb Sie den Katzenfellhandel so heimlich betrieben,“ meinte Harst.

„Sehr einfach – weil wir die Katzen in der Stadt stahlen. Das gebe ich ruhig zu.“

„Sie geben jetzt plötzlich merkwürdig viel zu, Bränkyr. Das macht fast den Eindruck, als ob Sie mich auf eine falsche Fährte lenken wollen.“

„Inwiefern?!“ sagte der Verwalter mit leichter Unruhe. „Hier gibt es keine falsche Fährte. Die Gräfin ist arm, und da habe ich als früherer Chauffeur und Vertrauter ihres Gatten vor etwa vierzehn Monaten sie veranlaßt, sich Katzen zu halten, damit, falls unser Fellhandel bekannt würde, die Ausrede möglich war, es seien Felle von unseren Katzen.“

„So – so! – Hat denn das Geschäft wirklich so viel eingebracht, daß es lohnte?“

„Es ging –“

„Hm – vorhin sagten Sie doch hier, Bränkyr, daß die Sendung, die heute abgehen sollte, so viel wert sei wie Insel und Schloß zusammen.“

„Das – das war ein Scherz –“

„Sie haben also drüben Katzenfelle bereit liegen zum Versand?“

„Nein –“ Bränkyr hüstelte. „Nein. Ich wollte jetzt morgens vierzehn Katzen töten, abziehen und die Felle ungegerbt wegschicken.“

„So – so! – Hat Ihnen Ihr Bekannter, der Hofkürschner Ektory, vielleicht einen Abnehmer für die Felle namhaft gemacht in dem guten Glauben, daß es sich nicht um die Pelze gestohlener Tiere handle?“

„Nein. – Ich kenne Ektory auch nur wenig. Es ist ein so angesehener Mann, daß er seine Freunde nicht gerade in den Kreisen einfacher Leute sucht.“

„Und doch hat er Bertge bei sich aufgenommen?“

„Das tat er der Frau Gräfin zu Liebe.“

„So – so!“

Für mich, der mit Haralds Art seit Jahren vertraut ist, war dieses Verhör ebenso genußreich wie vielsagend. Wenn Harald sein scheinbar zustimmendes, scheinbar so uninteressiertes „So – so!“ einer Bemerkung vorausschickte, wußte ich stets, daß die Gegenpartei soeben gelogen hatte.

Anderseits aber zerbrach ich mir auch umsonst den Kopf darüber, welch tiefere Bedeutung dieser Fellhandel wohl haben könnte. Daß dahinter mehr steckte, als Bränkyr offenbaren wollte, erschien mir gewiß. Doch – was steckte dahinter, was nur?! –

Da hatte Harst nach kurzer Pause schon Ersta sich zugewandt.

„Wer sind Sie denn nun eigentlich? – Sie sind ein verkleideter Mann, nennen sich als Weib Ersta und waren so unvorsichtig, sich bei offenen Fenstern zu rasieren –“

Ersta, noch immer fahl wie eine[3] Leiche und mit einem schmerzlich gramvollen Zug um den Mund, öffnete matt die Augenlider. Ein todestrauriger, flehender Blick traf Harsts schmales, geistvolles Gesicht.

Bränkyr war’s, der an seiner Stelle antwortete:

„Ein Freund von mir ist’s, ein Engländer namens Sampson –“

Harald nickte zerstreut und beobachtete Ersta weiter, der die Augen wieder geschlossen hatte.

„Es sind noch zwei Dienstboten drüben im Schloß,“ sagte er langsam. „Sind die ebenfalls eingeweiht?“

„Ja,“ erklärte Bränkyr. „Die Köchin ist in Wahrheit meine Frau, und die Zofe meine Tochter.“

Harald drehte sich nach Bränkyr um. „Weshalb sank heute nacht die Gräfin dort am Ufer vor Ihnen in die Knie?“ fragte er ohne jede Schärfe. „Es machte auf mich den Eindruck, als ob die Gräfin Sie anflehte, den Fellhandel aufzugeben.“

„Das ist richtig. Seit dem Vorfall mit Bertge und der Gefangennahme Söderblooms, den wir zum Schweigen bringen mußten, indem wir ihn von der Öffentlichkeit absperrten, litt die Gräfin an Gewissensbissen. Ich habe ihr heute versprochen, daß wir Schweden nach sechs Wochen für immer verlassen wollten. Dann sollten Bertge und der Professor wieder frei sein. – Man kann uns jetzt nicht viel anhaben. Fräulein Söderbloom erschlug ich in der Notwehr, und auch das Andere nehme ich auf meine Kappe – die Katzendiebstähle, die Freiheitsberaubung und Bertges Verwundung, die übrigens nicht einmal schwer war.“

Harst schwieg und beschaute seine tadellos gepflegten Nägel.

„Bränkyr,“ meinte er nach einer Weile. „Sie haben doch fraglos schon so manches über mich in den Zeitungen gelesen, nicht wahr?“

„Allerdings, Herr Harst –“ – Wie unsicher und beunruhigt das klang.

„Nun, dann hätten Sie lieber alles zugeben sollen! Ich sagte Ihnen ja schon: ich weiß alles!“ Und er blickte jetzt den Schloßkastellan durchdringend an.

Der hob die Schultern. „Tut mir leid. Dann wissen Sie mehr als ich!“

„Wie Sie wollen!“ –

Wir hatten Gabert vorhin auf das Sofa gelegt, und der Detektiv war inzwischen wieder zu sich gekommen.

„Herr Gabert,“ fragte Harst, „fühlen Sie sich frisch genug, diese beiden Männer hier zwei bis drei Stunden zu bewachen?“

„Gewiß. Sie können sich auf mich verlassen, Herr Harst.“

Gabert hatte sich aufrecht gesetzt und legte seinen Revolver vor sich auf den Tisch.

Wir drei sagten ihm Lebewohl und schritten in den verpesteten Flur hinaus, eilten rasch die Treppen hinab und holten im Garten tief Atem.

„Nach dem Schlosse!“ meinte Harald. „Bränkyrs Boot wird noch an der Holzbrücke dort unten liegen.“

 

5. Kapitel.

Es war jetzt fünf Uhr morgens. Ein frischer Wind wehte über die Insel und den Fluß hin.

Als wir in das Boot stiegen, fragte Günther bescheiden:

„Herr Harst, diese Katzengeschichte ist mir noch völlig unklar. Würden Sie mir nicht wenigstens andeuten, was hier –“

Harald kettete das Boot los und griff nach den Rudern, erwiderte:

„– hier handelt es sich um das, was seit acht Monaten in englischen Zeitungen immer wieder erörtert wird, was die dortige Geschäftswelt beunruhigt und was ich auf der Fahrt nach Stockholm gestern nachmittag abermals in einer Zeitung fand. Schon in Kalkutta ahnte ich etwas Ähnliches. Warten Sie nur ab, Hofkürschner Ektory wird Ihnen weitere Aufschlüsse geben.“

Mit ein paar Ruderschlägen waren wir drüben auf Gröndal.

Wir schritten dem Schlosse zu, kamen an dem Nebengebäude vorüber, wo ein paar Katzen sich vor der Tür in der Morgensonne den Pelz leckten.

„Sie ahnen nicht, diese Viecher, wozu man sie benutzen wollte!“ meinte Harald ernst. „Der Fall Baltholm ist nicht alltäglich. Schade nur, daß Fräulein Gunvor dabei das Leben verlor.“

Vor dem Mittelbau des Schlosses führte eine breite Freitreppe zu hohen Glastüren empor. Links neben dem Eingang befand sich ein Glockengriff. Günther zog verschiedentlich sehr kräftig daran. Niemand kam. So vergingen zehn Minuten. Harst umkreiste das Schloß nun nach links, verschwand hinter dem dicken Turm, erschien wieder und winkte uns.

Die Turmtür war unverschlossen gewesen. Wir durchsuchten die Räume flüchtig. Es war kein Mensch hier anwesend. Im Boudoir der Gräfin waren aus dem zierlichen Schreibtisch alle Schubladen herausgerissen.

„Geflohen!“ meinte Harst, der plötzlich sehr lebendig wurde. „Nun gilt’s! – Günther, Sie müssen Bertge und Söderbloom aus dem Keller befreien. Schraut und ich haben in Stockholm zu tun. Sonst haben wir dort das Nachsehen!“

Wir beide liefen der Bootsbrücke zu. Das Motorboot war in Ordnung. Wir zerschlugen die Kette, erbrachen den Motorverschlag.

Das Boot ratterte den Mälar hinab.

Wir legten im Stadtteil Kungsholmen gegenüber dem Garnisonlazarett an, nahmen ein Auto und fuhren nach dem Polizeipräsidium, wo der Kommissar vom Nachtdienst erst unsere Legitimationen sehr genau prüfte und dann erklärte: „Ich soll Sie zu Herrn Ektory begleiten, weil dieser Ihrer Meinung nach mit Bränkyr gemeinsame Sache gemacht hat?! Herr Harst, Ektory ist ein so angesehener Mann, daß ich –“

„Sie wollen also nicht?!“ unterbrach Harald ihn. „Gut, dann werden Sie kaum noch lange im Dienst sein! Wenn ich behaupte, daß Ektory ein Verbrecher gefährlichster Sorte ist, dann habe ich auch die Beweise dafür. Schraut und ich werden also allein –“

„Bitte – ich komme ja schon!“ – Und der noch recht jugendliche Herr nahm seinen Hut und folgte uns in das wartende Auto. –

Ektorys Geschäft und Haus lag in der Drottninggatan, der Hauptstraße, wo sich Laden an Laden befindet, – die Stockholmer „Friedrichstraße“, würde der Berliner mit Recht sagen.

Es war ein halb acht Uhr geworden. Die Angestellten strömten bereits den Geschäften zu. – Unser Auto hielt. Ektorys Wohnung, im ersten Stock gelegen, verriet den Reichtum des Hofkürschners. – Wir hatten uns durch das Mädchen, das uns eingelassen hatte, als englische Händler melden lassen, saßen nun in Ektorys Herrenzimmer und warteten.

Dann erschien der stattliche, blondbärtige Mann, offenbar ganz ahnungslos. Er war also durch die Gräfin noch nicht gewarnt worden. Er begrüßte uns zwanglos, stutzte jedoch, als er den Kommissar nun schärfer ins Auge faßte, der sich absichtlich mehr im Hintergrund gehalten hatte. Er schien ihn von Ansehen zu kennen. Sein mißtrauischer Blick flog über Harst und mich nochmals prüfend hin.

Harald ging zur Tür, lehnte sich dagegen. Und Ektory erbleichte jäh.

„Mein Name ist Harald Harst,“ begann mein Freund, indem er jede Bewegung Ektorys überwachte. „Vor einem Jahr etwa stand es mit Ihrem Geschäft sehr schlecht, Herr Ektory, wie der Herr Kommissar uns soeben im Auto mitgeteilt hat. Sie sind außerdem Junggeselle und als fröhlicher Lebemann bekannt, sollen auch den Karten nicht abhold sein. Vielleicht haben Sie sich nun infolge pekuniärer Schwierigkeiten mit Sigurd Bränkyr auf den Katzenfellhandel eingelassen –“

Ektory hatte mit beiden Händen eine Stuhllehne umklammert. Seine Stirn glänzte vor feinen Schweißperlen.

„Leider,“ sagte er kühl. „Es war mehr eine Gefälligkeit von mir.“

„Hm – Sie haben doch aber auch den Versand übernommen –“

„Ja –“ – Das klang sehr zögernd.

„Auch heute sollte eine Sendung abgehen –“

„– Ja –“

„Sind die Felle bereits verpackt?“

„Gestern abend schon –“

„In einer Kiste?“

„Ja –“

„Dürfte ich die Kiste sehen?“

Da überlief Ektorys Gestalt ein Zittern.

„Bitte!“ quälte er hervor. „Dem steht nichts im Wege.“ – Er suchte seine Verstörtheit mühsam zu verbergen.

„Wir werden Sie in die Mitte nehmen. – Wo befindet sich die Kiste?“

„Nebenan in meinem Schlafzimmer –“ – Ektory war das Blut plötzlich in starker Welle ins Gesicht geschossen. – „Bitte, dort hinein!“ fügte er hinzu.

Ich ging voran. Dann kam der Kommissar, dann Ektory, zuletzt Harst. –

Die Kiste war etwa ¾ Meter hoch und ebenso lang und breit. Der Deckel war aufgenagelt. Außerdem war er mit eisernen Bändern befestigt. Die Adresse auf dem Deckel lautete:

Kürschnermeister Bränkyr

London

Strand 18.

„Die Kiste ist ja bereits zugenagelt,“ meinte Harst. „Prüft denn die hiesige Zollbehörde den Inhalt nicht noch?“

„Nein. Ich bin als reell bekannt,“ sagte Ektory fast stolz. „Ich hintergehe keinen Zoll.“

„Und in London wird der Inhalt auch nicht mehr revidiert,“ bemerkte Harald scheinbar enttäuscht.

Ektory lächelte. „Katzenfelle sind dort zollfrei, weil sie viel für Krankenzwecke benutzt werden.“

„Ich möchte die Kiste mal öffnen,“ erklärte Harst gleichmütig.

„Wozu das?!“ rief Ektory, und sein Gesicht verlor wieder alle Farbe.

„Weil die Katzenfelle nur die Scheinfracht sind! Die Kiste enthält – falsche Zehnpfundnoten, mit denen England seit einem Jahr überschwemmt wird, – falsche Banknoten in so tadelloser Ausführung, daß –“

Eine Sekunde zu spät sprang ich zu.

Ektory hatte Harst einen Stoß vor die Brust versetzt, hatte einen Revolver herausgerissen, drückte auf seine Schläfe ab.

Ich fing nur noch einen Sterbenden auf. Ektory hatte sich dem irdischen Richter entzogen. –

Die Kiste wurde geöffnet. Sie enthielt 18 Katzenfelle, und zwischen diesen in schichtweise angeordneten Päckchen für zwei Millionen Zehnpfundnoten. –

Der Kommissar bat Harald um Aufklärung über die Art und Weise, wie dieser den Fälschern auf die Spur gekommen sei.

„Schon in Kalkutta vermutete ich, daß die Katzenfelle als für England zollfreie Ware zum Einschmuggeln andrer Dinge benutzt werden könnten,“ sagte Harst hastig. „Außerdem fiel mir in Söderblooms Brief Bränkyrs Interesse für das Laboratorium auf. Dann las ich hier abermals in einer englischen Zeitung von den falschen Zehnpfundnoten, von der Aufregung in der englischen Geschäftswelt und von der Belohnung von 5000 Pfund, die die Londoner Polizei für die Entdeckung der Falschmünzer ausgesetzt hatte. – So, nun entschuldigen Sie uns. Ich möchte nach Gröndal zurück. Es beunruhigt mich, daß die Gräfin und Bränkyrs Frau und Tochter, die durch irgend etwas gewarnt worden sein müssen, entflohen sind.“ –

Wir fuhren mit dem Motorboot den Mälar hinauf. Die beiden Inseln kamen in Sicht. Wir bogen in den Kanal ein. Am Ufer von Sättra standen vier Männer: Günther, Gabert, der Professor und Bertge.

Wir legten an. Und Günther rief uns entgegen:

„Die drei Weiber hatten Gabert überwältigt, haben die Gefangenen befreit, und die ganze Gesellschaft ist im Boot entflohen. Soeben erst haben wir drei Gabert im Laboratorium gefesselt aufgefunden und losgeschnitten!“

Harald zuckte die Achseln. „Pech! Aber wir werden sie fangen!“

Dann begrüßten wir Söderbloom und Hans Bertge, dann kam der große Moment, wo Harald die Schleier des „Katzen-Falles“ restlos lüftete.

„Unglaublich,“ meinte Cäsar Günther. „An Banknotenfälscher hätte ich nie gedacht!“

„Suchen wir die Werkstatt der Falschmünzer drüben im Schoß,“ schlug Harst vor. „Wir werden es dabei nicht leicht haben, denke ich –“

Wir setzten nach Gröndal über.

Und – entdeckten die ganze Falschmünzerausstattung in der kleinen Kammer neben dem Schlafzimmer der Gräfin in einem Schranke schon nach einer Viertelstunde.

Ich betone: schon nach einer Viertelstunde!

Der Leser mag sich dies merken.

Es ist wichtig für den zweiten Teil des Katzen-Falles!

 

 

Der Kater der Gräfin Baltholm

 

1. Kapitel.

Wir saßen auf dem Achterdeck der schlanken Motorbarkasse, an deren Heck die Polizeiflagge wehte.

Wir waren unserer vier: der ernste Kriminalinspektor Löngaard, der übernervöse, kleine Redakteur Jakoobsen, Harst und ich.

Die Polizeibarkasse kam von Homnäs, einem Dorfe am Mälar weit oberhalb von Stockholm. Wir waren auf eine Anzeige hin nach Homnäs gefahren, hofften dort die fünf Flüchtlinge zu finden und fanden fünf Engländer, die sich als leidenschaftliche Angler in Homnäs einquartiert hatten.

Löngaard, der Inspektor, war verstimmt. Jakoobsen machte faule Witze über die Gerissenheit der ausgekniffenen Falschmünzer und unsere Unfähigkeit, die Bande aufzustöbern. Unter anderem sagte er: „Welchen Unterschied gibt es zwischen Bränkyr und Harst?“ und beantwortete die Frage sofort selbst: „Bränkyr hat den Katzen bereits das Fell über die Ohren gezogen; Harst aber möchte erst Bränkyr das Fell über die Ohren ziehen!“

Worauf Harald meinte: „Wenn Ihre Scherze nicht geistvoller ausfallen, Jakoobsen, schmeiße ich Sie über Bord.“

„Kein Kunststück – ich wiege nur 102 Pfund, bester Harst,“ lachte der zappelige Redakteur der größten schwedischen Zeitung. „Übrigens – die Gräfin war wirklich Katzenfreundin. Sie besaß einen pechschwarzen, großen Kater namens Kribbi. Wer weiß, was aus Kribbi geworden ist.“

„Getötet sehr wahrscheinlich – wie all die Katzen von Gröndal,“ warf Inspektor Löngaard ein. „Mit Gas schmerzlos getötet. Was sollte man mit all den Viechern machen?! Etwa ein Katzenheim für sie errichten?!“

„Lieber Freund, Sie werden die Gelbsucht vor Ärger kriegen!“ kicherte Jakoobsen. „Und das wäre schade. So ein schöner Mann wie Sie! – Trösten Sie sich, Löngaard: ich werde einen Artikel bringen und die Polizei darin in Schutz nehmen. Man soll einsehen, daß Sie keine Schuld haben, daß die Fälscher noch immer frei in der Welt umhergondeln.“

Harst warf den Stummel seiner Mirakulum über Bord.

„Löngaard, haben Sie die Schlüssel von Schloß Gröndal bei sich?“ fragte er und steckte eine frische Zigarette an.

„Ja –“

„Dann leihen Sie sie mir bitte –“

Der Inspektor blickte Harst scharf an.

„Was wollen Sie damit?“

„Morgen früh das Schlößchen in Ruhe besichtigen. Es enthält recht alte Möbel und eine ganz nette kleine Kupferstichsammlung.“ – Harald sagte das so recht gleichgültig, hatte die Zigarette dabei im linken Mundwinkel und hüllte sein Denkerhaupt in feine, allerdings schnell verwehende Wölkchen ein.

Löngaard reichte Harst einen Ring mit vier plumpen Schlüsseln. „Bitte!“ – Er schien beruhigt. Er hatte wohl geglaubt, Harald hätte etwas besonderes vor.

Der Motor der Barkasse ratterte gleichmäßig; über dem Mälar lag der rötliche Glanz der Abendröte.

Stockholm tauchte auf. Und um 8 Uhr waren wir beide in unserem Fremdenheim.

Wir aßen in unserem gemeinsamen Salon. Als das Mädchen den Tisch abräumte, sagte Harst zu ihr:

„Ich habe Ihnen hier allerlei aufgeschrieben, was Sie mir sofort besorgen sollen. Hier ist Geld. Lassen Sie die Lebensmittel in einen Pappkarton packen und diesen gut verschnüren.“

Das Mädchen ging hinaus.

„Also eine Sommerfrische in Schloß Gröndal?“ meinte ich. „Das dachte ich mir, Harald. Hoffst Du dort eine Spur zu finden?“

„Ich habe sie bereits gefunden, mein Alter. – Wir werden um zehn aufbrechen und der Pensionsinhaberin mitteilen, daß wir einen dreitägigen Ausflug nach Saltsjöbaden, dem bekannten Seebad, machten.“

„Saltsjöbaden ist für uns Schloß Gröndal,“ nickte ich. „Meinetwegen! Wenn wir nur etwas dort erreichen.“ – Dies war eine Anzapfung. Ich hoffte, Harald würde sich über die Spur äußern, die er gefunden hatte. Ich hoffte umsonst. Er begann im Salon auf und ab zu gehen und hielt mir einen Vortrag über Anhänglichkeit von Tieren an ihre Herren und über die Tatsache, daß Katzen in den seltensten Fällen an der Person, sondern nur am Hause hängen, in dem sie gehalten werden.

„Eine rühmliche Ausnahme beim Katzengeschlecht machen merkwürdigerweise die Kater in dieser Beziehung,“ fuhr er fort.

Und – da ging mir ein Licht auf. – „Kribbi?!“ fragte ich mit besonderer Betonung.

„Ja. Und noch etwas anderes. Doch davon später. Jetzt packe bitte zwei Strolchkostüme in unsere Handtasche.“

Aha: Kostümfest! – Die Sache konnte interessant werden!

Ich packte das Nötige ein und überlegte mir folgendes: Harald setzt seine Hoffnung auf Kribbi! Also muß er wissen, daß Kribbi noch lebt. Woher aber weiß er das?

Diese Frage ließ mir keine Ruhe. Schließlich stellte ich sie daher laut und erhielt auch die Antwort: „Wir fuhren doch heute nachmittag ein Uhr mit der Barkasse an Gröndal vorbei. Ich schaute mit dem Feldstecher nach dem Schlosse hinüber. Da saß eine schwarze Katze auf einem Fenster hinter den Scheiben, auf einem Fenster im ersten Stock des Mittelbaus.“

„Und diese schwarze Katze fiel Dir ein, als Jakoobsen Kribbi erwähnte –“

„Ja. Aber mir fiel noch etwas anderes ein, woran wir beide bisher nicht gedacht haben.“

Da kam das Mädchen mit dem Lebensmittelkarton.

Um ¼11 saßen wir in einem kleinen Motorboot und fuhren zu Professor Söderbloom nach Sättra. Um elf Uhr landeten wir an der Nordwestseite des Inselchens, bezahlten den Motorbootsbesitzer und schritten dem Hause zu.

Im Garten stand ein kleiner Stall. Er war unverschlossen und enthielt nur Gartengeräte.

„Wir werden Söderblooms Ruhe nicht stören,“ meinte Harald leise. „Zum Umkleiden genügt der Stall.“

Um ¾12 waren wir etwas abgerissene, bärtige Kerle, denen niemand gern im Dunkeln begegnet wäre.

Dann setzten wir mit des Professors Boot nach Gröndal über. Die Reisetasche hatten wir im Stall versteckt. Das Boot brachte Harald nach Sättra zurück, indem er es an die winzige Jolle der Gräfin befestigte und so wieder auf Gröndal landen konnte.

Wir näherten uns langsam im Schutz der Büsche der Freitreppe. Düster und unheimlich lag das alte Schlößchen da, dessen dicke Ecktürme noch aus dem 13. Jahrhundert stammen sollten.

Es war keine freundliche Nacht, in der dieses unser Abenteuer mit seinen mannigfachen, verwickelten Zwischenfällen begann. Die Abendröte hatte einen klaren Sternhimmel versprochen. Doch der launische Wettergott wollte es anders. Gerade jetzt entlud eine schwarze Wolke einen Platzregen, der uns zwang, schleunigst die Tür aufzuschließen und in die Vorhalle einzutreten.

Harald schloß hinter uns ab und steckte den Schlüssel in die Tasche.

Draußen plätscherte der Regen. Ein Windstoß umheulte das alte Gebäude.

Und als dieser Windstoß sein schauriges Konzert eingestellt hatte, als Harst mir zuraunte:

„Wir werden Kribbi suchen –“,

da erschien auf der breiten, flachen Treppe im Hintergrunde der Vorhalle ein matter Lichtschein, den wir beide gleichzeitig bemerkten.

Wir standen im Dunkeln. Wir hatten unsere Taschenlampen in der Hand, aber nicht eingeschaltet. Ich trug unter dem linken Arm den Karton mit den Eßwaren.

Der Lichtschein wogte hin und her, veränderte dauernd die Form, dehnte sich zu einer Säule, schrumpfte zum Kreise, zog sich in die Breite.

Dann schien er sich zu verdichten, nahm eine bestimmte Gestalt an, wurde zu dem schemenhaften Bilde einer Frau mit verhülltem Gesicht und wallenden Gewändern.

Längst hatten sich meine Finger um Haralds Arm gekrampft.

Leute wie Harst und mich schreckt man nicht mit solchen Späßen – mit einer Laterna magica! Nein! Da muß man solche Scherze schon feiner inszenieren!

Und doch – ich fühlte ein seltsames Unbehagen, als jetzt ein noch stärkerer Windstoß draußen aufheulte, als die Frauengestalt sich langsam auf dem Treppenabsatz umwandte und die Stufen nach oben schritt, wobei sie immer undeutlicher wurde.

Harst riß sich los. Harst hatte wie ich Schuhe mit Gummisohlen an. Harst sprang die Treppe empor, die jetzt wieder, wo der Lichtschein erloschen war, mit der dichten Finsternis in eins zerfloß.

Ich sah nichts, ich hörte nichts.

Regen und Wind schwiegen.

Dann von oben etwas wie ein gurgelndes Ächzen.

Ich eilte vorwärts – im Dunkeln, fand die erste Treppenstufe, die zweite – die dritte.

Und rannte gegen jemand an, der von oben kam.

Ich fiel nach hinten, so stark war der Stoß gewesen. Ich hätte mir vielleicht den Schädel gespalten, wenn ich schon höher gestanden hätte.

So kam ich mit einem schwachen Dröhnen im Hinterkopf weg, rappelte mich auf und tastete nach dem Paket und meiner Taschenlampe, die mir entfallen waren.

Dann neben mir der weiße Strich von Haralds Lampe.

„Ich habe ihn!“ flüsterte er. „Der Geist war ein Mann –“

Ich sah, daß er einen Menschen in den Armen trug, der bewußtlos zu sein schien.

Er knipste seine Lampe wieder aus. „Geh’ voran,“ meinte er. „Dort links ist die Tür zu dem kleinen Empfangssalon. Öffne sie und laß mich hindurch. Schalte Deine Lampe ein, aber nur einen Moment.“

Ich schaltete die Lampe nicht ein.

Der Bewußtlose in Haralds Armen hatte ein meckerndes Lachen ausgestoßen – ein vorsichtiges Lachen, nicht allzu laut.

„Jakoobsen!“ stieß Harst hervor. „Teufel, was treiben Sie Tintenkuli hier?! Wenn ich Ihnen nun die Halsklarinette zu stark zugedrückt hätte?!“

„– Lassen Sie mich gefälligst zunächst aus dieser Babylage auf meine ehrlichen Gehstelzen gleiten,“ flüsterte Gunnar Jakoobsen. „So. Danke! – Na, die Überraschung wäre mir also geglückt. Ich ahnte, daß Sie nicht Kupferstiche sich ansehen wollten, sondern ganz was anderes und auch nicht am Tage. Kribbi, der Kater, hat sie hergelockt. Weshalb, weiß ich nicht. Aber kaum hatte ich von Kribbi gesprochen, da baten Sie schon Freund Löngaard um die Schlüssel. Ich bin seit zehn Minuten hier – per Dietrich!“

Wir drei standen dann in dem kleinen Salon. Harst leuchtete den Raum ab. Die dicken Damastvorhänge waren vorgezogen. Er schaltete daher die elektrische Krone ein.

Wir blinzelten uns in der plötzlichen Helle mit zugekniffenen Augen an.

„Weshalb ranntest Du so wild die Treppe hinab?“ fragte ich Harald. „Ich flog hintenüber. Es hätte den Schädel kosten können!“

 

2. Kapitel.

„Ich?! – Ich rannte nicht!“ meinte er erstaunt.

„Doch. Du ranntest! Der Stoß war nicht schlecht!“

„Unsinn! Was redest Du da, mein Alter. Ich müßte es doch wissen, wenn wir karamboliert hätten –“ –

„Gestatte: es kam jemand von oben herabgestürzt – genau so schnell wie ich nach oben wollte!“

Harald pfiff leise durch die Zähne.

„Also Nr. drei!“ sagte er sehr gedehnt.

Jakoobsen nickte. „Stimmt! Dann Nr. drei! Zuerst sahen Sie die Gestalt, die ich vom oberen Flur gleichfalls sah und die nach links zu verschwand oder in der Dunkelheit zerfloß. Ich wollte ihr nach. Da packten Sie mich beim Genick, Harst. Also bin ich Nr. zwei. Und der oder die oder das Wesen, das Schraut anrempelte, war eben Nr. drei. – Ich scheide als bereits bekannte Größe aus. Mithin bleiben zwei: ein Schloßgespenst und ein rücksichtsloser Patron, der auf Schrauts mangelhafte Gleichgewichtsverhältnisse keine Rücksicht nahm.“

Harald schritt auf einen Sessel zu und setzte sich.

Zwischen uns stand nun ein sehr alter, kleiner, runder Marmortisch, auf dem ein paar Bücher lagen. Harst saß still und blickte auf den stark abgetretenen Perserteppich hinab.

Ich legte für Jakoobsen den Finger auf den Mund. Das hieß, er solle seine Beredsamkeit jetzt vorläufig eindämmen.

Haralds Linke faßte mit einer eckigen, automatenhaften Bewegung in die Brusttasche, holte das Päckchen Mirakulum hervor und öffnete es.

Dann schien er zu erwachen, steckte die Zigaretten wieder in die Tasche und sagte:

„Die fünf haben uns fein genasführt. Sie befinden sich hier im Schloß. Als Jakoobsen von Kribbi sprach, fiel mir ein, wie schnell wir damals die Falschmünzerwerkzeuge im Schranke der Kammer entdeckten. – Würden Sie als Banknotenfälscher dies Versteck für diese Dinge gewählt haben, Jakoobsen?“

„Niemals!“

„Ich auch nicht. Und der Schrank sollte auch gar kein Versteck sein. Die Sachen sollten schnell gefunden werden, damit wir das Schloß nicht zu gründlich durchsuchten.“

Er schwieg plötzlich.

Auch ich hatte irgendwo hier im Salon ein Geräusch gehört, ein schwaches Geräusch, etwa so, als wenn der schwerseidene Kleiderrock einer Frau an einem Möbel entlangstreift.

Selbst Jakoobsen machte große Augen und blickte beunruhigt um sich. – Wir drei saßen völlig regungslos. Nicht ganz regungslos. Es war, als ob unsere rechten Hände von demselben Zwange jetzt vorsichtig in die Außentasche unserer Jacken geschoben würden. Und die Hände kamen mit zwei Clementpistolen und einem Revolver zum Vorschein.

Da – abermals dasselbe Geräusch – in nächster Nähe.

Unsere Augen suchten, schickten spähende Blicke hin und her.

Zum dritten Male dasselbe Geräusch.

Dann glitt über Haralds Gesicht ein unmerkliches Lächeln. Er steckte die Waffe ein.

„Gehörtäuschung!“ flüsterte er. „Ihr erlaubt, daß ich Kribbi einlasse, der draußen an der Tür seinen Rücken reibt –“

Er stand auf, schaltete das Licht bis auf die Mittelbirne aus und öffnete die Tür nach der Vorhalle.

Sofort drängte sich mit steif hochgerecktem Schwanz ein prächtiger schwarzer Kater herein. Daß es ein Kater sein mußte, verrieten schon die Kopfform und der robuste Gliederbau.

Harst drückte die Tür wieder lautlos ins Schloß.

Nein – er wollte sie zudrücken, öffnete sie wieder.

Der Lichtschein fiel draußen auf den Parkettboden der Vorhalle. Harald streckte mit einem Male den Arm rasch aus, drehte am Lichtschalter, und tiefe Dunkelheit umgab uns.

Dann seine mehr gehauchten als geflüsterten Worte:

„Kribbi muß irgendwo in der Nähe in Blut getreten sein. Das Parkett zeigt drei schwache rötliche Pfotenabdrücke. Oder Kribbi müßten die Pfoten bluten! Sehen wir nach!“

Der weiße Lichtfinger von Harsts Taschenlampe schoß in die Dunkelheit hinein.

In demselben Moment ein leises Poltern im Zimmer. – Auch ich schaltete die Lampe ein.

Wir suchten Kribbi umsonst. Er war verschwunden.

„Wo steckt das Vieh?“ knurrte der zappelige Jakoobsen. „Vielleicht ist er wieder zur Tür hinaus –“

„Nein,“ erklärte Harst. „Das Poltern soeben kam von jenem Glasschränkchen, auf dem die drei Figuren stehen. Kribbi ist auf das Schränkchen gesprungen.“

„Und hat sich in eine Porzellanschäferin verwandelt,“ meinte Gunnar Jakoobsen ironisch, indem er auf einen Stuhl stieg und den Lichtkegel seiner Lampe über den Aufsatz des Schränkchens gleiten ließ. „Weg – verduftet!“ meldete er. „Nur in der Staubschicht sehe ich acht Fährten der Katerpfoten – aber ohne Blut, ganz trocken.“

„Kommen Sie vom Stuhl herab, Jakoobsen,“ sagte Harald etwas ungeduldig. „Was gibt es dort noch zu sehen?“

Der kleine Redakteur hatte den kahlen Schädel und die Hakennase ganz tief gebeugt.

„Zu sehen gibt’s hier nichts. Nur zu riechen. Es riecht sehr gut. Für Parfüm habe ich ein feines Näschen. Dies ist Ylang-Ylang von Roger u. Gallet aus Paris. Wollen wir wetten?“

„Steht denn ein Fläschchen dort?“ fragte Harst. „Vorhin war mir’s auch so, als röche ich Parfüm, wie ich die Tür geöffnet hatte –“

„Nur die drei scheußlichen Porzellanfiguren stehen hier.“

„Dann kommen Sie, Jakoobsen. Wir müssen feststellen, von wo das Blut an Kribbis Pfoten herrührt. Er muß doch offenbar in eine tüchtige Lache hineingetappt sein.“

Jakoobsen stieg vom Stuhl herab.

Ich aber dachte: „Du wirst das, was Du über den Parfümgeruch denkst, vorläufig für Dich behalten!“

Mir war nämlich dieserhalb etwas eingefallen – etwas, das sehr nahe lag! –

Dann gingen wir drei im Gänsemarsch, Harald voran, in die Vorhalle. Haralds Lampe war von der Hand halb bedeckt und ließ von dem Lichtkegel nur einen dünnen Strahl zwischen den Fingern durch.

In der Vorhalle lagen zwei Perser. Zwischen diesen und der linken Wand, also der Wand des Salons, war ein anderthalb Meter breiter Streifen frei. Auf diesem Parkettstreifen ließen sich die Pfotenabdrücke bis dorthin verfolgen, wo rechts neben der Treppe der Mittelflur abbog.

Daß der Kater in langen Sätzen hier dahingejagt war, mußte selbst ein Laie an den Fährten erkennen.

Nun schwenkten wir drei nach rechts in den Flur ab. Hier hörten die Spuren auf. Allerdings lag in der Mitte ein dunkelroter Plüschläufer, auf dem sich so schwache rötliche Fährten kaum abzeichnen konnten.

Harald ging auf dem Läufer entlang. Der dünne Lichtstrahl tanzte vor uns auf diesen abgetretenen Läufer, bis wir drei nach etwa acht Schritten ganz von selbst stehen blieben.

Rechts an der Wand lag ein Mann, das Gesicht nach unten, die Arme gekrümmt vorgestreckt. Eine frische Blutlache reichte bis zum Läufer hin. Blutspritzer waren an der getäfelten Wand zu sehen, ebenso auf dem Läufer, selbst auf der anderen Seite neben dem Läufer.

Jakoobsen hatte sich dichter an mich gedrängt. „Furchtbar!“ flüsterte er. – Ihm verging hier das Witzemachen.

Harst beugte sich herab und ergriff die linke Hand des Mannes, die am Halse ruhte.

„Noch warm, aber kein Pulsschlag mehr,“ sagte er und bückte sich noch tiefer. Nach einer Weile richtete er sich auf.

„Die rechte Schlagader ist durchschnitten,“ erklärte er. „Wir dürfen hier nichts anrühren. Das ist Sache der Polizei! Aber – wir können mit der Meldung dieses Fundes warten, bis –“

Er führte den Satz nicht zu Ende.

Hinter uns eine Stimme, eine bekannte, ruhige, tiefe Stimme: „Die Polizei ist schon zur Stelle. Guten Abend, meine Herren!“

Es war Inspektor Löngaard.

„Dachte ich mir doch,“ fügte er hinzu, „daß Sie es weniger auf die Besichtigung des Schlosses als auf einen nächtlichen Ausflug abgesehen hätten, Herr Harst, als Sie sich die Schlüssel ausbaten.“

„Sind Sie allein hier?“ fragte Harald rasch.

„Nein – fünf Beamte habe ich um das Schloß postiert. Wir beide, Herr Harst, scheinen auf denselben Gedanken gekommen zu sein, ich allerdings erst nach Ihnen und angeregt durch Ihre Bitte um die Schlüssel, – auf den Gedanken, daß die Gräfin mit ihrem Anhang hier im Schlosse sich verborgen hält.“ Dann beugte Löngaard sich über den Toten, fragte: „Wer mag der Mann sein?“ – Gleichzeitig drehte er die Leiche etwas, so daß man das Gesicht deutlicher sehen konnte.

„Ich kenne ihn nicht,“ erwiderte Harst. „Ich weiß nur so viel, daß der Mann vorhin Schraut auf der Treppe überrannte und vor irgend etwas flüchtete. Er kam aus dem oberen Flur, huschte unbemerkt an mir vorbei und karambolierte mit Schraut. Außerdem sahen wir vorher noch eine Art Schloßgespenst, dem ich nacheilte. Ich erwischte leider Jakoobsen anstatt des Geistes. Das Gespenst wäre mir als Fang lieber gewesen.“

Löngaard bat um Einzelheiten. Harald schilderte alles recht eingehend. Dann meinte der Inspektor: „Was soll man nun hieraus machen?! – Dieser Tote ist auch mir unbekannt. Er ist klein, bartlos, grauhaarig, gut angezogen und etwa vierzig Jahre alt. Er sieht nicht nach einem Diebe oder Einbrecher aus. Was tat er hier? Und wer ermordete ihn?“

Der Inspektor hatte inzwischen schon seinen Gummimantel aufgeknöpft, der förmlich von Wasser triefte. Unter dem Mantel trug er eine flache, große Azetylenlaterne, von der wir bisher nichts wahrgenommen hatten, obwohl sie brannte. Ihr breiter blendender Lichtschein erhellte jetzt mit einem Schlage den ganzen Flur.

Löngaard schaute Harst nach dieser kurzen Beurteilung des unbekannten Toten fragend an.

Harald hatte sich wieder gebückt und sagte, indem er die Schulter der Leiche berührte: „Ich darf sie wohl ganz auf den Rücken legen, Inspektor?“

„Gewiß –“

Harald tat es. So kam denn ein langes Dolchmesser zum Vorschein, das unter dem Toten bisher verborgen gewesen war. Es lag ebenfalls in einer Blutlache.

„Der Mann ist nicht ermordet worden,“ erklärte Harald nun. „Es handelt sich um einen Unfall. Der Mann glitt aus, stolperte, fiel und fiel in seine eigene Waffe –“

„Das ist unmöglich!“ meinte Löngaard sofort. „Es wäre nur möglich, wenn der Mann das Dolchmesser in der rechten Hand, die Spitze nach oben, gehalten hätte.“

Harst beleuchtete jetzt die Wandtäfelung und deutete auf einen bogenförmigen Kratzer hin, der etwa in Brusthöhe sich befand und nach unten zu verlief.

„Der Mann stolperte in der Hast der Flucht über die eigenen Füße oder glitt auf dem Parkett aus,“ sagte er sehr bestimmt. „Unwillkürlich suchte er mit der rechten Hand, die den Dolch hielt, irgendwo einen Halt, streifte so die Täfelung mit der Dolchspitze, bog die Hand nach auswärts und stürzte so mit der rechten Halsseite an der Schneide entlang. – Bitte, Sie sehen ja, Inspektor, es ist kein Dolchstoß, sondern ein Schnitt!“

„Allerdings,“ bestätigte Löngaard zögernd. „Was kann den Mann aber im oberen Flur so in Angst versetzt haben, daß er blindlings die Treppe hinabraste und hier den Flur entlangstürmte?“

„Mir scheint eine andere Frage wichtiger, lieber Löngaard,“ meinte Harald mit einem geistesabwesenden Blick, der in eine unendlicher Ferne gerichtet zu sein schien, „nämlich die, wie es möglich war, daß dieser Mann im Dunkeln es wagen durfte, die Treppe derart schnell hinabzuhasten, und wie er, ebenfalls im Dunkeln, in diese Abzweigung des Flurs sofort einbog, – sofort, ohne Zögern, denn sein Unfall und Schrauts Sturz von der Treppe müssen so kurz hintereinander erfolgt sein, daß meinem Freunde das Geräusch entging, welches der Umsinkende doch fraglos hervorrief.“

„Sie haben recht,“ nickte der Inspektor.

„Der Mann war nicht sofort tot,“ fügte Harald hinzu. „Aber der Schreck über die Verwundung, über das hervorspritzende Blut erzeugten bei ihm eine blitzartige Lähmung des Nervensystems. Er lag still und verblutete. Daß er sich hier im Dunkeln zurechtfand, beweist seine Ortskenntnis. Ihm ist eben Schloß Gröndal nicht fremd gewesen. Und diese Tatsache wird es uns erleichtern, seine Persönlichkeit festzustellen, falls er nicht gerade Papiere bei sich trägt, was ich aber nicht glaube.“

Der Inspektor durchsuchte die Taschen des Toten. Sie enthielten nur Kleinigkeiten, die nichts besagten. Aus dem Anzug war sogar das Firmenschildchen des Schneiders an der inneren Kragenseite und über der Schnalle der Beinkleider herausgetrennt worden. Auch die Monogramme in der Wäsche waren herausgeschnitten.

 

3. Kapitel.

„Was sollen wir nun tun, Herr Harst?“ wandte Löngaard sich mit jener respektvollen Verbindlichkeit an Harald, die er nur selten vergaß. „Die Annahme eines Mordes habe ich nämlich fallen lassen. Wollen wir das Schloß –“

Harald hatte ihm hastig einen Wink gegeben.

„Hier können die Wände Ohren haben,“ flüsterte er. „Ja, wir werden das Schloß durchsuchen. Wir werden jedoch nichts finden.“

„Oho!“ meinte der Inspektor. „Wir suchen so lange, bis wir etwas gefunden haben, entweder das „Schloßgespenst“ oder die fünf Falschmünzer!“

„Möglich, daß wir den Geist aufstöbern, lieber Löngaard. Mehr sicher nicht! Das Versteck der Flüchtlinge wird fraglos so tadellos angelegt sein, daß es mit den gewöhnlichen Mitteln nicht zu entdecken ist. Sie müßten denn gerade das Schloß zerstören, es also vom Dache an abbrechen.“

„Daß der „Geist“ noch hier ist, halten Sie für wahrscheinlich?“

„Ja. Sie werden ja wohl schon einige Zeit draußen im Regen mit Ihren Leuten gestanden haben.“

„Das stimmt. Es konnte niemand seit einer halben Stunde hinaus.“

„Gut. Gehen wir also, Inspektor.“ –

Löngaard rief noch zwei von seinen Leuten herein. Wir waren also unserer sechs, die sich der Mühe unterzogen, jeden Zollbreit Fußboden und Wand selbst im Keller nach einer Geheimtür abzuklopfen.

Erst gegen fünf Uhr morgens gaben wir die Sache auf. Der Inspektor sah das Zwecklose dieses Unterfangens ein.

Wir sechs standen in der Vorhalle. Der Morgen dämmerte herauf. Es goß noch immer in Strömen. Löngaard war etwas niedergeschlagen. Jakoobsen gähnte.

Wir bildeten einen zwanglosen Kreis um Harst, der jetzt in die Tasche faßte und ein zusammengefaltetes Stück Papier hervorholte.

Er öffnete es vorsichtig. Ein braunes Pulver lag darin, etwas grobkörnig.

„Riechen Sie mal,“ meinte er zu Jakoobsen. „Sie rühmten ja Ihre feine Nase.“

Der kleine Redakteur beschnupperte das Pulver.

„Gemahlener Kaffee!“ erklärte er. „Sogar noch recht scharf duftend.“

„Ja – recht scharf,“ meinte Harst. „Also ist dieser Kaffee erst kürzlich gemahlen worden, denn er hätte bei längerem Liegen auf dem Küchentisch, wo diese Wenigkeit verschüttet war und wo ich sie bemerkte, an Duft eingebüßt haben müssen, was bei Kaffee schnell geschieht. Es hat also jemand hier in der Küche des Schlosses dort unten im linken Turm Kaffee gemahlen – kürzlich, höchstens vorgestern. Und da war das Schloß schon – scheinbar – unbewohnt und polizeilich gesperrt. Also haben wir hier einen weiteren Beweis der Anwesenheit der Flüchtlinge.“

„Tadellos!“ lobte Jakoobsen begeistert. „Ich werde das in einem Artikel erwähnen.“

„Weil die fünf Leute also bestimmt hier sind und weil sie sich am Tage, wo sie nicht überrascht werden können, da sie ja jeden dem Schlosse sich Nähernden leicht bemerken müssen, aus ihrem Versteck herauswagen,“ – seine Stimme wurde immer leiser – „schlage ich vor, daß Sie, Inspektor, jetzt mit der Leiche und Jakoobsen und Ihren Leuten das Schloß und die Insel verlassen. Es wird draußen hell, so daß Ihr Abzug von den fünfen vielleicht beobachtet wird. Die fünf werden – vielleicht – annehmen, hier wieder allein zu sein und so Schraut und mir – in die Arme laufen. Einen besseren Rat weiß ich nicht. Wie viel Leute hier gewesen, können die Flüchtlinge kaum festgestellt haben. Sie mögen also glauben, daß niemand hier zurückgeblieben ist und daß die Polizei die Vermutung, das Schloß enthielte ein Versteck, als unzutreffend verworfen hat.“

Löngaard war einverstanden, warnte uns nur, doch ja recht vorsichtig zu sein.

„Daran soll es nicht fehlen,“ versicherte Harald. „Um die fünf noch sicherer zu machen, könnten wir meinen Plan dahin abändern, daß Sie zwei Ihrer Leute in dem Nebengebäude als Wache zurücklassen und diese Leute vormittags abgelöst werden. Das würde auf die fünf den Eindruck machen, als befände sich hier im Schloß niemand.“

Löngaard fand diese Idee vorzüglich.

Nach einer Viertelstunde verschloß er den Haupteingang von außen und entfernte sich so als letzter.

Wir waren allein, schauten dem Inspektor und Jakoobsen durch das eine Fenster der Vorhalle nach und bedauerten den kleinen Redakteur, der ohne Mantel und Schirm bei dieser Sintflut dem Strande zuwaten mußte.

„Er wird bis auf die Haut naß!“ flüsterte Harald nicht allzu leise, denn Wind und Regen erzeugten so viel Lärm, daß wir nicht zu fürchten brauchten, unsere Anwesenheit durch Sprechen zu verraten.

Und nun – nun geschah etwas, das selbst Harst nicht geahnt hatte, – etwas, das die Situation mit einem Schlage änderte – zu unseren Ungunsten!

Wir standen dicht nebeneinander, die Gesichter gegen die nassen Scheiben gedrückt.

Eine Schlinge – die Schlinge eines dünnen, gut eingefetteten Stricks flog uns von hinten über die Köpfe, wurde sofort so kräftig zugezogen, daß wir nach rückwärts umsanken und mit den Köpfen und den Schultern gegen den Polstersitz einer altertümlichen, freistehenden Bank prallten. Auf diese Weise glitten wir langsamer zu Boden, als der oder die Angreifer es berechnet haben mochten.

Jedenfalls – wir saßen auf einem der Perserteppiche, hörten auch schon eine Stimme, die auf englisch halblaut sagte:

„Ich habe eine der Hellebarden aus dem Waffenarangement des oberen Flurs in der Hand und stoße zu, sobald einer von Ihnen auch nur muckst!“

Dann nach kurzer Pause: „Bränkyr, fessele erst mal Schraut! – Frau Gräfin, halten Sie Ihren Revolver auf Harsts Hinterkopf –“

Ich vernahm Geräusche. Sehen konnte ich nichts. Die Leute bewegten sich in unserem Rücken.

Ich gebe zu, daß der Schreck mich außerdem derart jedes klaren Gedankens beraubt hatte, als ob man mir bereits einen kräftigen Schädelhieb versetzt hätte.

Nur ein einziger Gedanke war’s, der in meinem Hirn kreiste: daß wir beide jetzt in der Gewalt der Leute uns befanden, die uns als ihre gefährlichsten Gegner sicher nicht schonen würden!

Bränkyr und Ersta, der verkleidete Mann, wußten ja, wer wir waren! Und Harsts Name, Harsts Berühmtheit konnte uns jetzt nur nachteilig sein. Einen Durchschnittsdetektiv hätten die fünf vielleicht am Leben gelassen! Nicht aber einen Harst! –

Dann – ein neuer Gedanke, wachgerufen durch – Kribbi, den prächtigen Kater der Gräfin, der plötzlich von links her auftauchte und auf das Fensterbrett sprang.

„Stehen Sie auf, Herr Schraut!“ befahl der Mann hinter uns da, und gleichzeitig wurde die Schlinge entfernt, die, weil stark gefettet, von selbst sich so weit wieder aufgezogen hatte, daß wir nicht gewürgt worden waren.

Ich gehorchte.

„Arme nach hinten legen!“

Ich gehorchte wieder.

Und fühlte, daß man mir die Handgelenke mit einem Strick umschlang.

Ich stand ganz still. Mein Blick wanderte halblinks abwärts zu Harald, der, die Hände im Schoß, auf dem Teppich saß.

Man zog den Strick fester an.

Und – Harst schnellte empor. Harst hatte schon die Clement in der Hand.

„Freundchen – Sie waren sehr dumm!“ sagte er eisig. „Rühren Sie sich nicht!“

Ich drehte mich um.

Und ich sah nur einen einzigen Mann, einen hageren, langen Menschen im „Pfeffer und Salz“-Sportanzug mit weicher Mütze und einem faltigen, knochigen, bartlosen Gesicht.

Und – der Mann lächelte trübe, lächelte Harald an, verbeugte sich wortlos, als wollte er Harst seine Anerkennung auf diese Weise ausdrücken.

„Sie haben eins nicht beachtet,“ fuhr Harald fort und schob mit dem Daumen jetzt erst die Sicherung der Clement herum. „Als der Kater auf den Fensterkopf sprang, wurde ich gewahr, daß die feuchten Scheiben das Innere der Vorhalle matt widerspiegelten und daß hinter uns kein Bränkyr und keine Gräfin, sondern nur Sie sich befanden. – Wer sind Sie?“

Ich begann die Schlingen meiner Handgelenke zu lockern.

Der Mann aber schwieg.

„Sie sind etwas lang geraten,“ meinte Harald jetzt weit gemütlicheren Tones. „Lang genug für eine Gespensterrolle. Waren Sie der Geist?“

Der Mann nickte.

Haralds Blick glitt zu den braunen Schnürschuhen des Fremden hinab, glitt wieder hoch.

„Ihre Schuhe und Ihr Anzug, Ihr Gesicht und die Mütze sind typisch englisch,“ sagte er. „Am meisten interessiert mich aber Ihre Gesichtshaut. Leute, die sich öfters schminken bekommen eine ganz besondere Art von Teint. Da Sie wohl kaum Schauspieler sein dürften, vermute ich hier etwas Ähnliches wie vor sechs Tagen drüben im Hause des Professors. Damals war es Cäsar Günther, unser Landsmann aus Hamburg, der uns zu Gefangenen machte, weil er des Fleischermeisters Belohnung für sich allein ergattern wollte. Heute scheint es ein englischer Kollege zu sein, der nach Günthers Vorbild verfährt. – Habe ich recht? Sind Sie Detektiv?“

„Leider!“ sagte der Lange da. „Ein blamierter Detektiv. Wenn ich Ihnen meinen Namen nenne, Mr. Harst, werden Sie begreifen, daß mir dieser Reinfall scheußlich peinlich ist.“

„Hm – dann sind Sie Robinson Blubb, der in einem Jahr durch seine Erfolge alle anderen englischen Detektive aus dem Feld geschlagen hat –“

„Zu dienen: Robinson Blubb!“ – Er verbeugte sich wieder.

Harald steckte die Clement in die Tasche.

„Gehen wir dort in den Salon,“ sagte er nun, noch immer sehr kühl. „Ich habe Sie einiges zu fragen. Der Salon erscheint mir am sichersten.“

Wir schlichen über den Teppich, betraten den Salon, wo unser Lebensmittelkarton noch auf einem Stuhle stand, Kribbi, der Kater, folgte uns.

Harald ließ die Tür nach der Vorhalle offen. An den Salon schloß sich ein Bibliothekszimmer und ein – offenbar unbenutzt gewesenes – einfach möbliertes Schlafzimmer an.

Ich verspürte jetzt einen Hunger, der mich veranlaßte, daß Eßpaket sehnsüchtig zu mustern, nachdem wir um den kleinen Tisch Platz genommen hatten.

Harald schlug bequem die Beine übereinander, legte die entsicherte Pistole in den Schoß und fragte Robinson Blubb:

„Waren Sie hier im Salon?“

„Nein. Ich war –“

„– Später, Mr. Blubb!“ – Harald schaute auf den Kater, der im Salon hin und her strich, dann plötzlich mit einem Satz auf das Schränkchen sprang, auf dem die drei Figuren standen, und – mit einem zweiten sich bis zu einer Ventilationsöffnung hochschnellte, deren Schutzblech kaum auffiel und das Mauerloch fast unsichtbar machte, da es in der Farbe und dem Muster der Tapete gestrichen war. Es hing am oberen Rande in Scharnieren, konnte freihängend auch nach innen pendeln und wurde von dem Kater zurückgedrückt, so daß er in das Loch hineinschlüpfen konnte.

Das, was ich hier nun am Tage mit beobachtete, war genau das, was ich mir schon in der Nacht über Kribbis Verschwinden im Geiste zurecht gelegt hatte.

Harald hatte dem Kater nachgeblickt.

„Merkwürdig, daß Jakoobsen nicht herausfand, weshalb es dort auf dem Schrank so stark nach Ylang Ylang roch,“ sagte er zu mir. „Nur ein Ventilationsrohr, das in den Mauern entlangläuft, konnte den Geruch irgend woher hier in den Salon leiten. Als Kribbi in der Nacht dort oben sich unsichtbar gemacht hatte, ließ das bewegliche Schutzblech eben stärkere Duftmengen hindurch.“

Robinson Blubb lächelte etwas selbstgefällig. „Ylang Ylang ist der Gräfin Lieblingsparfüm –“

„Das weiß ich, Mr. Blubb, – schon seit fünf Tagen, als ich der Gräfin Schlafzimmer hier zum ersten Male mir ansah.“ – Dann stand er auf, legte die Clement auf den Tisch und holte den Karton.

„Ich kann Deine gierigen Blicke nicht länger ertragen,“ sagte er. „Ich werde Dir etwas von unseren Schätzen zukommen lassen, lieber Alter.“

„Wenn ich ebenfalls bitten dürfte,“ meldete Blubb sich. „Seit gestern abend sieben Uhr habe ich nichts genossen.“

Harald hielt den Karton auf dem Schoß.

„Hm – warten wir noch mit dem Frühstück,“ meinte er langsam und spielte mit dem Bindfadenenden der Verschnürung des Kartons. „Besprechen wir erst das, was besprochen werden muß, denn – erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“

Ich fand die Anwendung dieses Sprichworts in diesem Falle sehr überflüssig.

Harald fuhr fort: „Wann sind Sie hier eingedrungen, Mr. Blubb?“

„Gestern abend zehn Uhr mit Nachschlüssel.“

„Haben Sie das Gespenst zu einem besonderen Zweck gemimt?“

„Ja. Ich hielt Sie beide für Einbrecher und wollte Sie verscheuchen.“

„Erzählen Sie mal –“ – Er nahm eine Zigarette aus dem Päckchen und zündete sie an.

„Viel zu erzählen gibt es nicht. Als ich glücklich in das Schloß hineingelangt war, schlich ich in den ersten Stock und stellte mich hinter die Portieren des großen Flurfensters. Dort blieb ich, bis die Sache mir zu langweilig wurde. Ich ging also lautlos bis zur Treppe, die in den zweiten Stock führt. Da hörte ich, daß jemand die andere Treppe von der Vorhalle aus emporkam. Zwei Stufen knarrten.“

„Das war Jakoobsen,“ warf Harst ein.

„Ich glaubte, es mit einem der fünf Falschmünzer zu tun zu haben, drückte mich in eine Ecke zwischen Schrank und Treppe und lauschte. Alles blieb still. Mir war’s jedoch so, als wäre jemand den Flur nach links hinabgehuscht. Dann blitzte ein Lichtschein auf, und ich bemerkte einen Menschen, der braune Segeltuchschuhe anhatte. Ich war abends um neun noch bei Mr. Jakoobsen in der Redaktion gewesen. Wir kennen uns von London her. Und Jakoobsen hatte in seinem Büro ebenfalls braune Seglerschuhe an und trug gleichfalls grünbraune, geringelte Sportstrümpfe. Ich wußte also: es ist Jakoobsen! – Er schlich nun nach rechts hinunter und betrat den Speisesaal. Ich aber nahm meinen Platz hinter der Portiere des Flurfensters wieder ein, drehte mich zufällig um, blickte auf die Freitreppe draußen hinab und bemerkte zwei verdächtig aussehende Leute: Sie beide!“

„Dann haben Sie wahrscheinlich die weißen Sonnenvorhänge des Fensters abgeschnitten und –“

Blubb unterbrach Harst. „Nein. Auf dem einen Schrank des oberen Flurs lag ein Bündel schmutzige Wäsche. Ich fand darin zwei Spitzenmorgenröcke der Gräfin, die ich mir umhing. Sie waren sehr lang und weit. Ich krempelte am rechten Fuß den Sportstrumpf mehrmals um, so daß ich zwischen Strumpf und Fuß eine meiner Taschenlampen stecken konnte, die ich eingeschaltet hatte und die nun meine Gewänder von unten bestrahlte. Die zweite nahm ich in die Hand.“

Harald lächelte. „Daher auch die merkwürdige Lichterscheinung!“

„Ja – daher! – So wollte ich Sie beide verscheuchen. Aber – Sie kniffen nicht aus, und da hielt ich es für ratsam, mich zurückzuziehen. Ich entkam Ihnen, und – Jakoobsen lief Ihnen in die Arme, Mr. Harst.“

„Und der dritte Mann – der unbekannte Tote? Bemerkten Sie den oben im Flur, als Sie vor mir zurückwichen?“

„Nein. Es war ja stockdunkel. – Als Sie dann mit Jakoobsen im Salon saßen, kroch ich unter das Sofa in der Vorhalle. Nachher hörte ich, daß der Inspektor das Schloß betrat und daß Sie dort eine Leiche gefunden hatten. Ich wagte mich einmal hervor und lugte um die Ecke, gerade als Löngaard den Toten umdrehte.“

„Da erkannten Sie ihn, nicht wahr? Ich vermute nämlich, daß der Tote Sigurd Bränkyrs Bruder ist, der Londoner Komplize der Fälscher. Ich vermute dies deshalb, weil er im Schloß Gröndal gut Bescheid gewußt haben muß.“

„Es ist Olaf Bränkyr, Mr. Harst. Löngaard hatte nach London depeschiert, daß Olaf verhaftet werden solle, aber Olaf war schon durch ein anderes Telegramm gewarnt worden und entfloh. Detektivinspektor Robbing, mein Freund, sollte die Verhaftung vornehmen und hatte mich gebeten, ihn zu begleiten. Als wir das Nest leer fanden, riet ich ihm, eine Spur zu verfolgen, die nach Holland wies. Es schien wirklich, als hätte Olaf sich dorthin gewandt. Ich selbst fuhr hier nach Stockholm, um mich insgeheim an der Jagd nach den fünfen zu beteiligen. Ich hatte in London ein Bild Olaf Bränkyrs zu mir gesteckt. Kurz: ich erkannte den Toten!“

„Mithin ist hier noch ein Mitglied der Fälscherbande in Stockholm in Freiheit,“ meinte Harald nachdenklich. „Dieser Mensch hat eben Olaf Bränkyr die Warnung geschickt.“

Robinson Blubb lächelte wieder etwas eitel. „Diesen Menschen habe ich schon ermittelt. Es ist Herr Prong, der Buchhalter des Hofkürschners Ektory.“

„Auf einen von Ektorys Angestellten mußte mit ziemlicher Sicherheit der Verdacht fallen,“ nickte Harald. „Ich denke, wir –“

 

4. Kapitel.

Wir drei fuhren erschrocken zusammen, und Harsts „wir“ blieb lediglich der Anfang eines Satzes.

Kribbi war schuld daran: Kribbi, der mit elegantem Satz aus dem Ventilationsloch auf den Schrank und auf den Fußboden sprang, dann auf einen Sessel hüpfte und offenbar empört seinen buschigen Katerschweif sich ansah, an dem etwas Weißes hing – ein Stück Papier!

Harald stand auf und schritt auf Kribbis Ruheplatz zu, streichelte den Kater und streifte das Papier ab, daß mit einem Faden an Kribbis prachtvollem Schwanz befestigt war.

Blubb sprang auf. „Oh – eine Nachricht?!“ meinte er neugierig.

„Ja – an mich adressiert,“ sagte Harst wieder so eisig kühl, daß Blubbs Neugier schnell gedämpft wurde und er wieder Platz nahm.

Harst faltete den Zettel auseinander.

„Von einem der Leute der Wache im Nebengebäude,“ erklärte er dann. „Hier steht:

„Der Kater ist hier soeben aufgetaucht. Fanden ein enges Loch im Boden und schicken Kater mit Zettel zurück, da hoffen, daß Zettel von Ihnen gefunden wird, Herr Harst.“

Eine große Unvorsichtigkeit!“ rügte Harald diese Dummheit der Beamten scharfen Tones und las weiter:

„Haben auf dem Fluß in verankertem Boot nördlich verdächtigen Angler bemerkt. Beobachten ihn. Bitte dasselbe zu tun. – Lyngstra, Kriminalanwärter.“

Harst schob den Zettel in die Tasche. –

Ich bitte recht genau das zu beachten, was Harald vorgelesen hatte. Auf das Wie kommt es weniger an.

„Mr. Blubb,“ sagte er jetzt, „das wäre etwas für Sie. Wollen Sie nicht diese Beobachtung des Anglers übernehmen, vielleicht von einem Bodenfenster aus?“

„Oh – sehr gern!“ meinte Blubb eifrig. „Sehr gern! Nur bitte ich vorher nochmals um einen Imbiß!“

„Den sollen Sie haben.“ Und er begann die Verschnürung des Kartons zu lösen.

In diesem befand sich auch eine Flasche mit einem Patentverschluß. Sie enthielt kalten Tee mit etwas Rum.

Blubb aß gierig und bekam auch zwei kleine Becher Tee.

Blubb erhob sich dann. „Ich werde mich dann nach oben schleichen –“

Harald trat in die offene Tür und blickte ihm nach, wandte sich nach einer Weile um, und – riß mir den Becher aus der Hand – so heftig, daß der Tee, den ich mir soeben eingeschenkt hatte, auf den Teppich spritzte.

„Du – da hättest Du beinahe etwas Schönes angerichtet,“ meinte er.

Ich schaute ihn äußerst verblüfft an. Sofort kam mir aber auch die Erleuchtung.

„Etwa – etwa Gift?!“ stotterte ich.

„Gift?! Würde ich Blubb morden wollen?! Ich ließ ihn doch trinken!“

„Also – ein Betäubungsmittel?“

„Ja – das stimmt.“ – Er faßte in die Tasche und gab mir den Zettel.

„Lies mal. Ich habe mir erlaubt, die Sache stark abzuändern. Blubb als Berufsdetektiv würde uns hinderlich gewesen sein. Er hat sich uns gegenüber so ruppig benommen, daß wir ihm den Streich ruhig spielen konnten.“

„Flasche in Karton – starkes Betäubungsmittel von Bränkyr. Vorsicht! Retten Sie mich und Ersta vor diesem Satan. Wir sind in seiner Hand. Gräfin Baltholm.“

„Donnerwetter!“ entfuhr es mir. „Ein Glück, daß die Warnung rechtzeitig kam!“

„Oh – sie war überflüssig, lieber Alter,“ lächelte Harald. „Als ich den Karton auf dem Schoß hatte und mit den Bindfadenenden spielte, hatte ich bereits bemerkt, daß die Verschnürung anders geknotet war, als vordem.“

„Mithin war Bränkyr hier?“

„Gewiß. Es ist ja klar, daß das Versteck der fünf nicht weit entfernt sein kann. Dort duftet es stark nach der Gräfin Ylang Ylang, und von dort kommt durch die Ventilationsröhre der Luftstrom hierher. Ich denke, das Versteck wird zwischen dem unbenutzten Schlafzimmer und dem Turme in der Mauer liegen, deren Dicke infolge der besonderen Bauart sich nicht feststellen ließ.“

„Ich glaube Deine Absichten zu erraten: wir beide werden die Betäubten spielen!“

„Ganz recht. Und zwar sofort, aber mit Vorsicht! Wir legen uns in recht natürlicher Schlafstellung in unseren Sesseln zurecht und nehmen die entsicherten Pistolen unter den einen Schenkel, stets griffbereit. Das weitere ergibt sich von selbst. Bränkyr wird sehr bald spionieren kommen. – Dort durch das Schlüsselloch der Tür des Bibliothekszimmers.“

Ich aß noch schnell ein paar Bissen, während Harald den Inhalt der Flasche in den Kachelofen goß.

Dann begann die Komödie, begann aber auch eine Geduldsprobe von endloser Dauer.

Bränkyr ließ sich Zeit. Leider! Denn regungslos in einem Sessel etwa zwei Stunden einen Schlafenden, Betäubten markieren, das war schlimmer als ein bis zwei Stunden Dauerlauf machen.

„Jede Qual hat ein Ende mal,“ heißt es in einem Studentenliede. So auch diese.

Ich hörte ein Geräusch – abermals eins.

Bränkyr nahte. –

Wie fein hatte Harald diese Sache hier doch eingeleitet, und wie anders – so ganz anders kam alles!

Jemand – doch nur Bränkyr, dachte ich – rüttelte mich bei der Schulter.

Rüttelte immer kräftiger.

Dann eine Stimme, etwa so laut wie in erstauntem Selbstgespräch:

„Himmel – was ist hier geschehen?! Das ist doch kein natürlicher Schlaf!“

Die Stimme – das war der kleine Gunnar Jakoobsen!

Dann schon eine andere, wütend, leise:

„Mensch, Sie sind ein Esel! Sie haben uns die Geschichte hier total verdorben!“

Ich öffnete die Augen. Jakoobsen stand da mit einem meterlangen Armesündergesicht.

„Weshalb?!“ fragte er entgeistert. „Weshalb verdorben?! Weshalb Esel?! Ich bin schon drei Stunden hier, war dort in der Bibliothek verborgen. Ich hatte das eine Fenster des rechten Turmes ausgehakt, stieg dort noch bei tollstem Regen ein und –“

„Es wäre besser, Sie lägen daheim im Bett!“ seufzte Harald, der den Ärger schon überwunden hatte.

Dann richtete er sich mit einer ruckartigen Bewegung höher auf.

„Vor drei Stunden?“ fragte er. „Also gleich, nachdem Sie mit Löngaard sich empfohlen hatten! Wo hatten Sie sich in der Bibliothek verborgen?“

„Ich saß im Klubsessel in der rechten Fensterecke halb hinter dem japanischen Wandschirm.“

„Und – haben Sie etwas wahrgenommen?“

„Nein – nur verschiedenes gehört. Ich saß kaum 2 Minuten in meinem Klubsessel und trank gerade einen Schluck Kognak aus meinem Aluminiumfläschchen, als die Tür da“ – er zeigte auf die der Bibliothek – „geöffnet und geschlossen wurde. Dann geschah dasselbe mit der zweiten Tür des Bibliothekszimmers, die in das unbenutzte Schlafgemach führt.“

„Ah – das war Bränkyr, der den Karton aufgeschnürt hatte, als wir die kleine Auseinandersetzung mit Blubb in der Vorhalle hatten –“

„Blubb? Robinson Blubb?! Ist der etwa hier?“

„Ja. Erzählen Sie weiter –“

„Es gibt nicht mehr viel zu erzählen. Ich hörte Sie dann hier im Salon flüstern und sich bewegen, wurde müde und schlief ein –“

„Sie sind ein Mordskerl, Jakoobsen! Geschlafen! Ob Sie jemand von den fünfen bemerkt haben kann, als Sie sich hier einschlichen?“

„Unmöglich. Ich kam durch den Turm und den Flur und das unbenutzte Schlafzimmer, ging Schritt für Schritt, meist ohne die Lampe einzuschalten. Wenn ich sie einschaltete, ließ ich nur einen schmalen Strahl für den Bruchteil einer Sekunde durch die Finger hindurch. Nein – ich bewegte mich völlig lautlos. Keine Diele, keine Tür knarrte, nichts verriet mich –“

„Hm, wenn ich dessen nur sicher wäre, Jakoobsen! Dann wäre das Unheil, das Sie angerichtet haben, noch nicht so groß. – Probieren wir’s! Verbergen Sie sich in der Vorhalle unter dem Sofa! Los doch! Verschwinden Sie! Und keinen Laut, bis ich rufe!“

Der kleine Redakteur eilte hinaus und zog die Tür hinter sich zu.

„Dann also von neuem bewußtlos werden, mein Alter!“ meinte Harald. „Obwohl ich dazu nicht mehr viel Vertrauen habe!“

 

5. Kapitel.

Es war jetzt ½8 Uhr morgens, wie mir ein Blick auf meine Taschenuhr verriet. Seufzend fügte ich mich in das Unvermeidliche, setzte mich diesmal aber bequemer hin, streckte die Beine von mir und – war vor Übermüdung bald regelrecht eingeschlafen.

Dann rüttelte Harst mich wach.

„Zehn Uhr!“ meinte er. „Wir können die Sache aufgeben, mein Alter. Übrigens habe ich Dich beneidet. Du schliefst wie eine Ratte und hast zuweilen durchaus echt geschnarcht.“

Er trat in die Vorhalle.

Ich blickte ihm gähnend nach.

Da – er blieb stehen, drehte sich nach mir um.

„Die Eingangstür ist weit offen!“ rief er. „Was bedeutet das?!“

Ich war im Augenblick neben ihm. –

„Jakoobsen!“

„Herr Harst! Sofort!“ Und der kleine Zappelige kroch unter dem Sofa hervor.

„Wer hat die Tür aufgeschlossen, Jakoobsen?“ fragte Harald mit merkwürdig gespanntem Gesichtsausdruck.

Jakoobsen riß den Mund auf, klappte ihn wieder zu.

„Das waren Sie beide doch!“ meinte er kopfschüttelnd.

„Wir – wir?! Mann, wie kommen Sie darauf?“

„Wer sollte es sonst gewesen sein? Ich sah doch nur zwei Paar Männerstiefel und ein Stück der ausgefransten Beinkleider, wie Sie sie als Strolche tragen –“

„Und – die beiden kehrten nicht zurück?“

„Nein. Ich glaubte, Sie wären durch den Seiteneingang –“

Harst lief schon hinaus. Wir folgten. Er lief auf das Nebengebäude zu.

Und – hier lagen die beiden Polizisten gefesselt und geknebelt!

Wir befreiten sie.

„Los – Bericht!“ sagte Harald hastig.

Der eine erklärte: „Wir mußten annehmen, daß die beiden Leute, die das Schloß durch den Haupteingang verließen, Sie und Herr Schraut wären, Herr Harst. Wir hatten Sie in der Nacht in Ihren Masken doch nur flüchtig gesehen.“

„Schon gut. – Weiter wissen Sie nichts?“

„Nein, nichts!“

Harst lief unten zur Anlegestelle der Insel. Das Motorboot fehlte.

„Entflohen!“ sagte er dumpf zu Jakoobsen und mir. „Sie fühlen sich hier nicht mehr sicher, die fünf! Und sind entwichen, obwohl Jakoobsen in der Vorhalle sich befand und wir nebenbei im Salon! – Hätten Sie nur die Tür nicht hinter sich geschlossen, Jakoobsen, als Sie Ihr Versteck unter dem Sofa bezogen. Ich achtete nicht darauf. Und als ich’s merkte, schien es mir gleichgültig! Himmel – haben wir uns blamiert! Das wird Robinson Blubb freuen! Er wird –“

Der Satz wurde nicht vollendet. Haralds Gesicht leuchtete förmlich auf.

„Ich bin heute geistig nicht auf der Höhe!“ meinte er lebhaft. „Ich habe Kribbi ganz vergessen, Kribbi und den Zettel. Kommen Sie!“

Und er zog den kleinen Redakteur und mich mit sich fort nach dem linken Turmeingang.

Der Regen hatte den Kiesboden aufgeweicht. Vor der Turmtür lief eine einzelne Spur im Bogen nach der Anlegestelle hin. Es war fraglos die Spur eines Weibes mit kleinen schmalen Füßen.

„Nur Bränkyr und die Seinen, angeblich Frau und Tochter, sind also entwischt,“ erklärte Harald. „Jakoobsen, Sie rudern jetzt sofort mit den beiden Polizisten drüben ans Ufer und telephonieren Löngaard von der nächsten Telephonstelle das Vorgefallene. Dann fahren Sie drei nach Stockholm. Löngaard soll auf zwei Männer und ein Weib fahnden lassen. Die drei können noch nicht weit sein. – Vorwärts – hier ist jede Minute kostbar!“

Gleich darauf waren wir beide auf der Insel Gröndal allein.

„So,“ meinte Harald, „nun werden wir das Versteck suchen, mein Alter! Wir werden dort die Gräfin und Ersta finden – fraglos gefesselt! Bränkyr hat wie ein Schuft an ihnen gehandelt. Mir ist jetzt auch ein Gedanke gekommen, wer dieser Ersta ist. Nach Blubb sehen wir später. Er wird oben auf dem Boden schlafen.“

Wir kehrten ins Schloß zurück, gingen sofort in das unbenutzte Schlafzimmer.

Harst kletterte auf das Schränkchen im Salon und hob den Deckel der Ventilationsklappe, hielt das Gesicht an das Mauerloch.

„Man spürt den Ylang-Ylangduft ganz deutlich,“ meinte er. „Die Gräfin muß in der Nähe sein.“

Dann brüllte er in die Röhre hinein, die zwischen den Deckenbalken weiterlief und fraglos so durch das Bibliothekszimmer führte:

„Frau Gräfin – hier Harald Harst! Melden Sie sich!“ Keine Antwort.

Dann kletterte er herab.

Kribbi, der Kater, lag noch zusammengerollt im Sessel und blinzelte uns behaglich an.

Harald streichelte ihn.

„Du würdest, wenn Du Menschenverstand hättest, Deiner Herrin helfen können, Kribbi!“ sagte er versonnen.

Er richtete sich auf, schlug mir leicht auf die Schulter, strahlte förmlich.

„Eine Idee, mein Alter! Wir werden an Kribbis Schwanz mein Taschenmesser sicher befestigen und den Kater dort oben in die Röhre setzen!“

Armer Kribbi! – Alles Wehren, alles Kratzen half ihm nichts. Er wurde in eine Decke gehüllt, so daß seine Krallen nichts mehr ausrichteten. Harald band das Messer so gut fest, daß es nicht verloren gehen, anderseits leicht gelöst werden konnte.

Dann wurde der Kater in die Röhre geschoben. Kribbi war im Moment verschwunden.

Wir gingen in das unbenutzte Schlafzimmer hinüber, wo die Türen nach dem Flur und der Bibliothek weit offen standen.

Wir warteten den Erfolg von Haralds Idee mit wachsender Ungeduld ab.

Zehn Minuten waren verstrichen. Dann ein Geräusch, – dann sahen wir, wie die breite Türschwelle der Flurtür sich langsam senkte, nach links herunterklappte und so einen Schacht öffnete, aus dem jetzt Ersta – Ersta in Männerkleidern hervorkroch. Ihm folgte Kribbi; als letzte die Gräfin.

Wir empfanden Mitleid mit dem armen Weibe, deren bleiches, verstörtes Gesicht Angst und tiefe Seelenqualen verriet.

Sie trat schnell auf Harald zu.

„Sie sind Herr Harst. Ich beschwöre Sie: retten Sie uns! Der Herr dort ist –“

„– Ihr angeblich toter Gatte, Frau Gräfin –“

„Ja – es ist mein Mann. Sie sollen alles erfahren. – Balder, mein Gatte, war früher leidenschaftlicher Spieler. Vor drei Jahren verlor er in einem Klub in London Unsummen. Es wurde unbar gespielt. Er sollte das Geld, nahezu eine Million, in drei Tagen aufbringen. Er kam ganz verzweifelt damals zu mir ins Hotel. Unser Chauffeur Bränkyr, den wir erst vor kurzem eingestellt hatten, belauschte uns. Balder wollte sich erschießen, um mir wenigstens Schloß Gröndal zu hinterlassen. Ich brauchte ja für seine Spielschulden nicht aufkommen. Da war es Bränkyr, der uns überredete, Balder solle einen tödlichen Unfall beim Autorennen, das am folgenden Tage stattfand, vortäuschen. Die Rennstrecke führte durch die Berge Schottlands und an Abgründen vorüber, in denen Wildwasser schäumten. Bränkyr kam uns wie ein Retter vor. So wurde denn der Betrug ausgeführt. Das Auto sauste in den Abgrund. Balder verbarg sich in den Bergen und Bränkyr behauptete, nur er hätte noch im letzten Moment abspringen können. – Wir lebten dann hier in Schloß Gröndal, Balder als Magd Ersta. Zwei Jahre gingen hin. Dann – inzwischen hatte Bränkyr einen seiner Freunde aus England nach Gröndal kommen lassen und auch dessen Frau – merkten wir, daß Bränkyr und Walbourne, der verkleidet als Bränkyrs Frau galt, dort in dem Turmversteck, das Balder ihm gezeigt hatte, eine Fälscherwerkstatt eingerichtet hatten. Wir waren ihm gegenüber machtlos. Wir beschworen ihn immer wieder, doch nicht uns alle zu verderben. Balder und ich haben nicht den geringsten Vorteil von diesem Treiben gehabt, lehnten Geld ab, hatten heftige Auftritte mit Bränkyr, der jedoch stets drohte, Balders Betrug an die Öffentlichkeit zu bringen. Dann kam für uns das furchtbarste: die Entdeckung drohte durch den Detektiv Hans Bertge! – Nun folgten die Ereignisse Schlag auf Schlag. Heute bewies Bränkyr endlich seine ganze Niedertracht: er sah Kribbi im letzten Moment mit dem Zettel in der Ventilationsröhre, die das Versteck mit frischer Luft versorgte, verschwinden. Er und Walbourne überwältigten uns. Die drei Verbrecher flohen. Wir wären vielleicht elend verhungert, wenn nicht Kribbi mit dem Messer –“

Harald machte eine kurze Handbewegung.

„Das genügt, Frau Gräfin. – Noch eine Frage: Olaf Bränkyr hat hier den Tod gefunden. Wissen Sie das?“

„Ja – ja!“ stöhnte sie auf. „Er war ja hier zu uns geflüchtet. Er wollte aus der Speisenkammer im anderen Turm Lebensmittel holen, kehrte nicht zurück. Da hat sein Bruder –“

„Danke, Frau Gräfin. – Ich gebe Ihnen einen guten Rat: stellen Sie beide sich der Polizei! Man wird mit Ihnen nicht zu strenge ins Gericht gehen! Fliehen können Sie nicht, denn – dort kommt Inspektor Löngaard bereits.“

Er deutete zum Fenster hinaus.

„Sie haben recht, Herr Harst,“ erklärte Graf Baltholm. „Ich habe gefehlt – ich will die Strafe auf mich nehmen.“ –

Über den Fall „Kater Kribbi“ ist nur noch das zu bemerken, daß die drei Verbrecher verhaftet wurden, als sie sich nach Kopenhagen übersetzen lassen wollten.

 

Der nächste Band enthält:

Der Tote im Fahrstuhl.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „völlich“.
  2. In der Vorlage steht: „mit“.
  3. In der Vorlage steht: „ein“.