Der Detektiv
Kriminalerzählungen
von
Walther Kabel.
Band: 32
Zwei Tage nach unserer Rückkehr nach Singapore kam Harst spät abends nach einem Ausgang in unser Hotel zurück und erzählte mir, daß er eine kleine Motorjacht für zwei Monate gemietet und auch bereits vier deutsche Seeleute als Besatzung angeworben hätte, darunter als Kapitän einen früheren Steuermann namens Weber, der ihm von Detektivinspektor Jobster, unserem alten Freunde, warm empfohlen worden war.
Vier Tage später, gegen 6 Uhr morgens.
Die drei anderen Landsleute, der Maschinist Jürgensen und die Matrosen Kersten und Ewald, waren jüngere Männer. Sie gaben ehrlich zu, daß sie sich für den Standard nur hatten anheuern lassen, weil sie in Gesellschaft des berühmten Liebhaberdetektivs Harald Harst so allerlei zu erleben hofften.
Jakob Weber ließ jetzt das Fernglas sinken und rief dem das Steuer bedienenden Kersten zu: „Halt’ nu genau Kurs auf jene Insel mit der einzelnen Palme auf der flachen Hügelkuppe, min Jong!“ Dann wandte er sich an Harst:
„In einer Viertelstunde können wir in die schmale Bucht einlaufen, in der damals die Piraten mit dem Kutter landeten.“
Weber hatte zu viel versprochen. Wir mußten noch zwei Stunden suchen, bevor wir die durch Riffe und Klippen verdeckte Buchteinfahrt fanden. Dann wurde der Standard an der uns bereits bekannten Landungsbrücke vertäut, die einst hier in der Weltabgeschiedenheit dieses unbewohnten Inselchens Eugenie Malcapiers Vater für seine Schmugglerbrigg gebaut hatte.
Harst, Weber und ich gingen nun an Land, durchquerten das Dickicht und gelangten durch die enge Felsenspalte in jenen schroffen Talkessel, wo der Schmugglerkapitän einst seinen Schlupfwinkel gehabt hatte. Dort standen noch die verkümmerten Kokospalmen, dort noch die beiden halb verfallenen Blockhütten.
Still und einsam lag der Talkessel da. Papageien flogen hin und her, und vor der einen Hütte sonnte sich ein Pärchen jener gelbschwarzen Rieseneidechsen, die ganz außerordentlich scheu sind und in Birma allgemein Tau-Tau genannt werden, weil sie beim Anblick eines Menschen mit einem gurgelnden Ruf, der wie Tau-Tau klingt, blitzschnell fliehen.
Harst hielt uns plötzlich mit einem leisen „Halt!“ zurück. Wir blieben stehen. Er beobachtete aufmerksam die Eidechsen, die noch immer unbeweglich dort auf jenem sandigen Fleck vor der schief in den Angeln hängenden Tür der kleineren Hütte lagen.
„Was gibt’s denn?“ fragte ich etwas ungeduldig.
„Hm – so manches zu sehen,“ meinte er gedehnt und schritt auf die Eidechsen zu. Wir folgten ihm. Er machte dicht vor den beiden Tieren halt und erklärte:
„Die Sache hat fraglos etwas zu bedeuten. Die Tau-Tau’s sind tot. Man hat sie nur durch in den Sand gebohrte Aststückchen so gestützt, daß sie von weitem wie lebende aussahen.“
Ah – er hatte recht. Und er hatte wieder einmal die besseren Augen gehabt!
Harald starrte noch immer auf die Tau-Tau’s zu seinen Füßen.
Ich muß hier notwendig näher beschreiben, wie die Tiere lagen. – Die Hütte stand in der Längsrichtung genau Nord-Süd. Die Tür zeigte nach Osten. Die eine Eidechse lag zwei Meter von der Türschwelle ab mit dem Kopf nach Nordost. Der lange Schwanz war also nach Südwest gerichtet. Die andere wieder war mit Hilfe der Aststückchen 30 Zentimeter weiter nach Osten so aufgebaut, daß der Kopf etwa nach Südost, der Schwanz aber nach Nordwest gerichtet war.
Harst stellte die Richtungen mit Hilfe seines Taschenkompasses fest, maß auch die Entfernungen und zeichnete alles genau in sein Taschenbuch ein.
Jakob Weber flüsterte mir zu: „Wozu das, Herr Schraut?“
Ich konnte nur die Achseln zucken.
Harst war jetzt mit seiner Zeichnung fertig. „Die Eidechsen bleiben unberührt,“ sagte er. „Wir müssen uns auch hüten, hier Fußspuren zu hinterlassen. Also bitte herunter mit den Schuhen.“
Dann durchsuchten wir erst die Hütten, nachher noch den ganzen Talkessel. Wir fanden nichts Besonderes. Wenigstens Weber und ich bemerkten nichts. Daß Harst etwas entdeckt hatte, erfuhren wir sehr bald.
Wir standen jetzt beisammen im Schatten einer Palme. Es war gerade um die Mittagszeit.
Harsts Gesicht hatte jenen Ausdruck, den man am besten mit „weltentrückt“ bezeichnet. Plötzlich murmelte er vor sich hin.
„Der Schmuggler Malcapier muß hier ein Versteck für seine Waren gehabt haben. Vielleicht liegen die Leute dort –“
Weber stieß mich an. Ich zuckte nur wieder die Achseln.
„Suchen wir nochmals!“ sagte Harst lebhafter. „Nicht wahr, mein Alter, ein Schmugglerschlupfwinkel ohne einen geheimen Raum zur Unterbringung des Schmugglerguts ist undenkbar.“
Ich nickte. Und dann suchten wir. Weber und ich blieben beieinander und gaben uns die redlichste Mühe, an den schroffen Felswänden des Kessels irgendwo den Eingang zu dem Versteck zu finden, mit dessen Vorhandensein Harst so bestimmt rechnete.
Harst war jetzt in der engen Felsspalte verschwunden, die den Zugang zu dem kleinen Tale bildete.
Plötzlich rief er uns zu: „Hierher – ich hab’s!“
Wir bogen um das Gestrüpp herum, das vor der Spalte wuchs. Diese glich einem niedrigen Kanon und war an der Sohle durchschnittlich 1½ Meter breit und etwa fünf Meter hoch.
Von Harst war jedoch nichts mehr zu sehen. Wir verfolgten die Spalte bis zum anderen Ende, kehrten wieder um, gingen nun Schritt für Schritt zurück. Weber packte mit einem Male meinen Arm.
„Da – da!“
Er deutete in die Höhe. Dort sprang der Fels etwa drei Meter über dem Boden weit zurück, bildete so eine Terrasse. Und auf dieser Terrasse stand Harst mit geisterbleichem Gesicht und stierte uns wild an.
„Zwölf – zwölf Leichen!“ sagte er nun mit heiserer Stimme. „Dieser Satan von Weib hat die zwölf vergiftet. Entsetzlich!“
Gleich darauf kletterten wir an einigen unauffällig in die Steinwand eingehauenen Stufen und Handgriffen zu ihm empor. Im Hintergrunde der Terrasse klaffte ein zackiges Loch. Daneben lehnte eine flache Felsplatte – der Verschluß für diesen Eingang.
Harst hatte seine Taschenlampe noch in der Hand, ging voran, leuchtete uns. Tief gebückt folgten wir. Der niedrige Gang endete nach wenigen Metern in einer natürlichen Höhle.
Weber und ich prallten zurück. Ein furchtbarer Leichengeruch schlug uns entgegen. Und dort an der gegenüberliegenden Wand lehnten in sitzender Stellung, eng aufgereiht, zwölf Farbige: die Piraten, – sieben Chinesen, vier Siamesen und am rechten Flügel jener Malaie Maukara, den ich sofort an seinen Wangen- und Stirntätowierungen erkannte.
„Kommt!“ sagte Harst.
Wir kletterten von der Terrasse herab.
„Geht nur voran nach der Jacht,“ meinte Harst. „Ich habe hier noch eine Kleinigkeit zu erledigen. – Lieber Weber, wir verlassen die Bucht dann sofort wieder. Halten Sie den Standard zur Abfahrt bereit.“ –
Harst erschien dann nach etwa zehn Minuten an Bord. Die Jacht steuerte ins offene Meer hinaus. Harst bediente das Steuerrad jetzt selbst. Der Standard lief nach Süden um das Inselchen herum und bog dann in eine flache Bucht ein, wo er in einem von Röhricht dicht bewachsenen Bache ein gutes Versteck fand.
Als wir vor Anker gegangen waren, rief Harst die ganze Besatzung zusammen und erklärte, daß wir hier vorläufig bleiben müßten. „Niemand darf etwas von unserer Anwesenheit hier ahnen. Es muß also jedes laute Wort, jeder Lärm vermieden werden. Ich verbiete, daß jemand die Jacht verläßt. So lange wir, Schraut und ich, anderswo zu tun haben, tragen Sie, lieber Weber, die Verantwortung. – Wir beide werden sofort nach dem Mittagessen aufbrechen und Proviant für mehrere Tage mitnehmen.“
Nachher beim Mittag konnte Weber seine Neugier doch nicht länger verbergen und fragte Harst, was er denn eigentlich vorhätte.
„Das hängt mit dem Eidechsen-Problem zusammen!“ erwiderte Harst. „Gedulden Sie sich nur. Sie werden schon noch zeitig genug erfahren, was ich vermute.“
Es war drei Uhr nachmittags, als wir beide, jeder mit einem Rucksack auf dem Rücken, über den noch zwei Schlafdecken geschnallt waren, zu dieser Expedition aufbrachen, deren Zweck und Ziel mir genau so unbekannt war wie dem Kapitän.
Harst machte den Führer. Die kleine Insel war außerordentlich hügelig, stellenweise von tiefen Schluchten durchzogen und hatte zumeist nur niedrigen Baumwuchs. Nach einer Stunde Marsch winkte mir Harst, stehen zu bleiben. Er verschwand, kehrte bald zurück und bog nach Süden ab. Hier schlugen wir hinter einem Felsen, der von Dornen im Halbkreise umwuchert war, unser Lager auf.
Harst sprach nur in ganz gedämpftem Tone. – Nachdem wir unsere Rucksäcke abgelegt und den Proviant in einer Spalte des Gesteins verwahrt hatten, führte er mich um das große Dornendickicht herum. Dann mußte ich auf allen Vieren hinter ihm her kriechen. Und nun – nun befand ich mich neben ihm am Rande eines steilen Abhangs; nun erblickte ich halbrechts unter mir – die beiden Blockhütten des Talkessels, weiter die verkümmerten Kokospalmen und – auch die beiden toten Tau-Tau’s mit ihren dick geschwollenen, von Verwesungsgasen gefüllten Leibern.
Wir lagen hinter einem Vorhang von hohen Gräsern. Harst flüsterte: „Mach’ es Dir nur bequem, mein Alter. Wir bleiben vorläufig hier. Sobald es dunkel wird, beziehe ich jedoch einen Beobachtungsstand unten im Tale. Ich muß wissen, für wen die beiden Eidechsen bestimmt sind.“
Jetzt begann’s bei mir zu dämmern.
„Sie sind ein Zeichen für irgend jemand, und die Malcapier hat es zurückgelassen,“ meinte ich.
„Ganz recht. Ein Zeichen. Sogar noch mehr: ein Wegweiser, ein geheimer Wink, wo etwas Bestimmtes zu suchen ist. – Die Lage der beiden Tiere fiel mir sofort auf. Weshalb hatte man sie durch Aststücke gerade in dieser Richtung zueinander aufgebaut?! – Ich überlegte mir: Wenn man die Schwänze der Tiere durch gerade Linien verlängert, so treffen sich diese Linien genau vor der Türschwelle. Vielleicht ist an diesem Ort irgend etwas versteckt worden, das ein guter Bekannter der Malcapier in Empfang nehmen soll. – Nun – ich habe, als Weber und Du nach der Jacht gingt, dort vorsichtig nachgegraben. Und – ich fand auch etwas. Rate mal, was?“
„Schwer zu raten. – Ein Schreiben?“
„Keine Spur! – Du kannst es auch nicht erraten. Ich war selbst überrascht, als ich ein nur ganz leicht mit Erde bedecktes und in ein Blatt eingewickeltes leeres – Tropffläschchen fand.“
„Wie – nichts als ein Tropffläschchen?!“
„Nichts weiter. – Ich habe das Fläschchen wieder verscharrt und will nun versuchen, den Menschen abzufassen, für den es bestimmt ist. Ich stelle mir da folgenden Zusammenhang vor: Die Malcapier hatte in Singapore, wie uns bekannt, sehr viel Verbündete. Einer von diesen steht ihr besonders nahe. Sie rechnet daher damit, daß dieser Mann, der ja aus den Zeitungsberichten ersehen hat, daß die Malcapier zuletzt hier weilte, sich hier einfinden und ihrem Schicksal nachforschen wird. Für ihn baute sie die Tau-Tau’s auf, nachdem sie die zwölf Piraten durch irgend eine Heimtücke beseitigt hatte. Wir wissen, daß die Piratenbande fünfzehn oder sechzehn Mann stark war. Mithin wird die Malcapier drei oder vier Leute geschont und auf dem Motorkutter mit sich genommen haben.“
„Sehr gut!“ meinte ich eifrig. „Du willst diesen Menschen also festnehmen und –“
„Denke gar nicht daran! Festnehmen?! Was hätte ich davon? – Nein, ich will mir nur den Kerl ansehen, damit ich ihn später wiedererkenne.“
Dies verstand ich nicht.
„Wiedererkennen? Wo denn? In Singapore?“
„Nein – anderswo! – Doch davon später.“
„Diese stets wiederkehrende Geheimniskrämerei ist unerträglich, lieber Harald,“ sagte ich gekränkt. „Anderswo? Dann muß außer dem Tropffläschchen noch etwas in der Erde vergraben gewesen sein. Oder aber das Baumblatt, worin das Fläschchen eingewickelt war, trug eingeritzte Zeichen oder Wörter.“
Harst schüttelte den Kopf. „Du irrst. Das Blatt besagte nichts. Das Fläschchen besagte alles.“
„Ein leeres Fläschchen?! – War denn auf das Glas vielleicht etwas geschrieben oder –“
„Auch das nicht. Dieses Medizinfläschchen unterschied sich in nichts von Millionen anderer. Und doch –“
Er schwieg plötzlich.
„Da – ein Chinese!“ flüsterte er dann.
Aus der Richtung des Kanons kam unten im Talkessel ein langer, dünner Chinese in schmutzigem Leinenkittel und Bastschuhen dahergeschlichen.
„Haben wir ein Glück gehabt!“ frohlockte Harst leise. „Da, schau’ Dir den Kerl genau an. Das verkniffene Spitzbubengesicht mit dem dünnen Schnurrbart vergißt man nicht so leicht! – Wie vorsichtig der Kerl ist! – Ah – nun schießt er auf die Tau-Tau’s zu! Siehst Du – er ist genau so schlau wie ich. Er visiert über die Leiber der Eidechsen hinweg. Nun hat er die Stelle gefunden, wo die über die Schwanzspitzen verlängerten Linien sich schneiden. Da – er gräbt – er hat das Fläschchen in der Hand! – Wie der Kerl zufrieden grinst! Warte, Freundchen, wir sehen uns wieder! – Er verschwindet. Die toten Eidechsen hat er mit dem Fuße ins Gebüsch geschleudert. – Bleibe hier. Ich muß feststellen, ob der lange Spitzbube –“
Harst war schon in den Gräsern untergetaucht.
Eine halbe Stunde verstrich. Dann kam er aufrecht und leise vor sich hin pfeifend zurück.
„Der Kerl war in einem einfachen Fischerboot mit Mattensegeln in der Bucht bei der Anlegebrücke gelandet,“ teilte er mir gutgelaunt mit. „Der Halunke kannte also die Bucht, die ja so schwer anzusteuern ist. Zwei andere Gelbgesichter saßen noch in dem Kahn. Sie waren also zu dreien hier. Die Malcapier ist wahrhaftig die reine Königin des ganzen chinesischen Verbrechergesindels hier an diesen Küsten.“
Er hatte sich auf einen Stein gesetzt. Sein Gesicht war ganz plötzlich wieder ernst und nachdenklich geworden.
„Mir ist da soeben etwas eingefallen, mein Alter,“ sagte er langsam und schaute über die zackigen Hügelkämme hinweg starr in den blauen Äther. „Du weißt wohl, daß kein Volk der Erde so sehr zur Bildung von Geheimgesellschaften neigt wie gerade das chinesische. Besinne Dich auf eins unserer ersten gemeinsamen Abenteuer. Es liegt Jahre zurück. Du hast es unter dem Titel „Liu Sings Geheimnis“ geschildert. Da spielte auch so eine chinesische Geheimgesellschaft eine Rolle.“
Ich nickte eifrig. Ob ich mich darauf besann!
„Ja – und jetzt dachte ich soeben an einen Artikel im Bangkok-Rekorder, den ich vor kurzem las, ohne ihm Beachtung zu schenken,“ fuhr Harst fort. „Da war gesagt, daß die Polizei einer Geheimorganisation von Verbrechern auf der Spur sei, die von Kalkutta bis Hongkong[1] „Filialen“ in allen Hafenplätzen haben und deren Leiterin eine ältere Frau sein sollte. Mir schoß schon damals durch den Kopf, ob nicht unsere Eugenie diese „ältere Frau“ vielleicht wäre. Der Artikel kam mir aber wieder aus dem Gedächtnis. Wir hatten übergenug anderes vor. Jetzt nun möchte ich mit ziemlicher Bestimmtheit behaupten, daß Eugenie Malcapier diese Frau ist. Das höhere Alter läßt sich vortäuschen!“
„Dann mußt Du doch aber irgend einen Anhalt dafür haben – und zwar jetzt hier erhalten haben!“ meinte ich gespannt. „Wie hättest Du sonst gerade jetzt auf diese Geheimgesellschaft und diese Frau kommen können.“
„Das trifft schon zu, mein Alter,“ nickte er und blickte mich an. „Es hängt dies auch mit dem Medizinfläschchen zusammen.“
Ich lachte ärgerlich auf. „Und da willst Du noch immer behaupten, daß das Fläschchen sich in nichts von anderen unterschied?“
Er antwortete nicht, stand auf und schien zu lauschen. Mir war’s jetzt ebenfalls, als ob ich Stimmen hörte. Dann tauchten unten im Talkessel vier Männer auf. Sie trugen Leinenuniformen und waren bewaffnet. Drei waren hochgewachsene Inder, einer ein Weißer.
„Ah – englische Polizei!“ flüsterte Harst. „Die Leute sind fraglos auf Ersuchen des Gouverneurs von Singapore herbeordert und wollen nach dem Verbleib der Malcapier und der Piraten forschen. Es war damit zu rechnen, daß dieser Schlupfwinkel von Beamten durchstöbert werden würde. – Drücken wir uns heimlich. Unser Geschäft hier ist ja erledigt.“
Wir holten unsere Rucksäcke und Decken und traten den Rückweg nach der Jacht an. Als wir eine der zahlreichen Schluchten passierten, wurden wir plötzlich angerufen. Hinter einem Gebüsch traten drei farbige Polizeibeamte hervor. Die Leute hatten Karabiner bei sich. Ihr ganzes Benehmen bewies, daß sie uns mißtrauten.
Harst erklärte, wir seien Touristen. Unser Boot läge drüben in einer Bucht. – Ich merkte, daß er verschweigen wollte, wer er war und was uns hergeführt hatte.
Der eine Beamte befahl uns ziemlich barschen Tones, ihnen zu folgen. Wir wurden in die Mitte genommen und nach dem Nordwestufer der Insel gebracht, wo ein großer Zollkutter in einer Bucht ankerte. Auf dem Achterdeck unter einem Sonnensegel saßen in Korbstühlen drei Männer. Einer davon war ein europäisch gekleideter Chinese. Die beiden Weißen lernten wir als den Zolldirektor von Rangun, Mr. Brookfield, und als den dortigen Detektivinspektor, Mr. Chatarsan, gleichfalls von einer recht unangenehmen Seite kennen.
Man führte uns halb wie Verbrecher vor den Tisch, an dem die drei Herren Platz genommen hatten.
Chatarsan begann sofort ein scharfes Verhör. Er schlug von vornherein einen Ton an, der Harst dazu bestimmte, diesen unhöflichen Menschen so etwas „aufzuziehen“.
Chatarsans Frage nach unseren Namen und unserer Nationalität beantwortete Harst durch die Gegenfrage, wen er denn hier vor sich hätte.
Der kleine, gallige Inspektor mit dem echt englischen, vorspringenden Gebiß brüllte hochrot seinen Namen und seine Amtsbezeichnung heraus. Nun wußten wir, mit wem wir es zu tun hatten.
Harst nannte unsere Namen dann absichtlich so undeutlich, daß Chatarsan „Bark“ und „Schrott“ verstand.
Dann ging das Verhör weiter.
„Also Rentier sind Sie, und der andere Schauspieler,“ meinte der Inspektor jetzt. „Und – als Touristen treiben Sie sich hier herum?! – He – he, wer das glaubt?! Kennen Sie vielleicht zufällig – ganz zufällig! – eine gewisse Eugenie Malcapier?“ Das war beißende Ironie! Man hielt uns fraglos für Verbündete der jetzt vielgenannten Verbrecherin.
„Malcapier?“ meinte Harst „Hm – den Namen habe ich letztens irgendwo gelesen –“
„So – so!“ grinste Chatarsan. „Gelesen! – Touristen, die ausgerechnet dieses Inselchen besuchen, das so weit ab von jedem größeren Hafen liegt, sind wir noch nie begegnet. – Haben Sie Ausweispapiere bei sich?“
„Bedauere. Die befinden sich auf unserem Boot.“
„Und wo liegt dieses?“
„Auf der anderen Seite der Insel.“
Der Inspektor brach in ein schallendes Gelächter aus.
„Master Bark, vielleicht lag es mal dort! Jetzt ist es aber mit Ihren drei chinesischen Freunden längst unterwegs.“
„Also sind sie Ihnen entwischt?“ fragte Harst schnell.
Der kleine Detektivinspektor biß sich erst ärgerlich auf die Lippen, meckerte dann wieder und meinte:
„He – he, – wollen Sie mich verhören?!“
Es war jetzt klar: dieser Chatarsan glaubte tatsächlich, daß wir zu der Malcapier in näheren Beziehungen standen und daß das Fischerboot mit den drei Chinesen uns hierher gebracht hätte. – Ich war außerordentlich gespannt darauf, wie dieses Abenteuer sich weiter entwickeln würde. Ich spielte dabei ja lediglich die Rolle des Zuschauers. Ich hatte daher auch Zeit und Gelegenheit, die beiden anderen Männer am Tisch, den Zolldirektor und den vornehmen Chinesen zu beobachten. Und ich bemerkte auch so einiges, was mir besonders an letzterem auffiel. Dieser Chinese hatte ein sehr intelligentes Gesicht, trug einen bereits leicht ergrauten Vollbart, nach chinesischer Sitte ganz schmal geschnitten, und eine goldene Brille, hinter der ein Paar farblose Augen bis auf schmale Schlitze stets zugekniffen wurden. Nur selten öffneten sich die Lider etwas. Die Blicke, mit denen dieser ehrwürdige Großkaufmann aus Rangun namens Limpo Ma (den Namen erfuhren wir ebenfalls später) Harst dauernd musterte, verrieten ganz fraglos ein außergewöhnliches Interesse. – Der Zolldirektor Brookfield wieder war ein endlos langer Herr mit einem undurchdringlichen, hochmütigen Gesicht. – Ich kann diese Einzelheiten hier nicht übergehen. Die drei Männer hatten mit uns ja sehr bald wieder zu tun. Da allerdings war die Situation für uns etwas anders. –
Auf des Detektivinspektors höhnische Frage, ob er ihn verhören wolle, hatte Harst erwidert:
„Das ist nicht mehr nötig. Ich weiß jetzt Bescheid.“
Chatarsan war einen Moment starr, rief dann dem Zolldirektor zu: „Was sagen Sie zu dieser Frechheit, Brookfield?! – Ich werde die Kerle in Eisen legen lassen. Die Geschichte ist doch sonnenklar: wir haben hier einen guten Fang gemacht.“
Chatarsan befahl uns jetzt, die Rucksäcke abzulegen und den Inhalt unserer Taschen auf dem Tische auszubreiten.
Als in den Rucksäcken nun die Konserven und all das andere zum Vorschein kamen, meckerte Chatarsan abermals:
„Touristen – Touristen! Es gibt ja auch auf dieser Insel so viel zu sehen, daß man sich für einen tagelangen Aufenthalt einrichten muß!“
Harst schwieg. – Nun legten wir unsere Clement-Repetierpistolen[2] und unsere Taschenlampen nebst je drei Ersatzbatterien auf den Tisch. Das gab Chatarsan zu einer ähnlichen Bemerkung Veranlassung.
Dann holte Harst sein Taschenbuch hervor. Aber – plötzlich riß er blitzschnell eine Seite heraus, ballte sie zusammen und schob sie in den Mund.
Der kleine Inspektor sprang zu, kam aber zu spät. Harst hatte das Blatt schon verschluckt.
Ich wußte, weshalb er es tat: weil die Zeichnung darauf stand, die er von der Lage der beiden Tau-Tau’s angefertigt hatte. – Doch – aus welchem Grunde wohl wollte er diese Zeichnung den Inspektor nicht sehen lassen?! Chatarsan wäre daraus doch nie klug geworden.
Der kleine Inspektor tobte und schimpfte jetzt wie ein Verrückter, rief dann zwei Beamte herbei, die uns festhalten mußten.
Er revidierte nun selbst unsere Taschen. Als er Harsts Taschenmesser fand, das alle möglichen Instrumente bis zur feinen Stahlsäge enthielt, jubelte er auf:
„Da haben wir’s! So ein Universalinstrument trägt nur ein Gauner mit sich herum!“
Chatarsan war so fest überzeugt, wir seien Verbündete der berüchtigten Malcapier, daß er uns jetzt Handschellen anlegen ließ. Wir wurden im Vorschiff des Kutters in eine Kammer eingeschlossen, wo wir als Sitz einen Haufen alte Segel benutzen konnten.
Die Kammer war völlig dunkel. Als ich hörte, daß der Posten, den Chatarsan vor die Tür gestellt hatte, draußen im Gange sich laut mit einem anderen Manne unterhielt, flüsterte ich Harst zu:
„Wozu das alles? Ich begreife Dich nicht!“
„Hast Du den Blick und das Lächeln gesehen?“ lautete seine Antwort. „Chatarsan glaubt einen guten Fang gemacht zu haben. Ich hoffe auf einen noch besseren! – Warte nur ab, mein Alter. In dieser Nacht noch sind wir frei. Und dann – dann werden wir unsere Eugenie samt Anhang bald am Wickel haben!“
Schritte näherten sich der Kammer. Die Tür wurde aufgeschlossen. Einer der farbigen Polizeibeamten stand mit zwei Schüsseln gedünstetem[3] Reis und etwas Fleisch im Gange und sagte wortkarg:
„Ihr sollt essen!“ – Er stellte die Schüsseln auf den Fußboden der Kammer.
„Wir werden abends essen,“ erklärte Harst ebenso kurz. – Der Mann verschwand wieder.
„Versuche zu schlafen,“ meinte Harald nach einer Weile. „Chatarsan wird uns ja fraglos nochmals vernehmen. Dann werden wir die Sieger sein.“
„Ich habe Hunger,“ sagte ich übelgelaunt. „Der Reis duftet ganz appetitlich.“
Zu meinem Erstaunen beugte Harald sich nun ganz dicht zu mir hinüber, so daß er mir das folgende ins Ohr flüstern konnte.
„Der Reis duftet zu appetitlich. Du wirst nicht einen Happen davon genießen.“
Dann nahm er seine alte Stellung wieder ein und wünschte mir laut angenehme Ruhe.
„Gift! – Vergiftet!“ flog mir blitzartig der Gedanke zu. – Es konnte nur so sein! Wie hätte Harst sonst wohl in so befehlendem, eindringlichem Tone jenen zweiten Satz mir zuflüstern können! – Nicht einen Happen genießen –! – Ja – vergiftet, – aber von wem?! Von wem?!
An Schlaf war natürlich nicht mehr zu denken. Ich saß und grübelte. Zu gern hätte ich diesmal aus mir selbst heraus all dies Unerklärliche ergründet, das in Harsts Benehmen gegenüber dem Detektivinspektor aus Rangun gelegen hatte.
So mochte meiner Schätzung nach eine Stunde verstrichen sein, als abermals schwere Schritte draußen erklangen und die Kammertür aufflog. In dem hellen Lichtschein zeichneten sich die Umrisse des kleinen, mageren Chatarsan ab. Ein Polizeibeamter trug ihm einen Klappstuhl nach. Chatarsan setzte sich dicht an die Tür, schickte den Beamten und den Posten weg und fragte sehr höflich:
„Weshalb haben Sie nicht gegessen?“ Dabei stieß er mit der Fußspitze gegen die eine volle Schüssel.
„Weshalb schickten Sie uns das Essen?“ entgegnete Harst.
Chatarsan meckerte leise. „Sie sind ein komischer Mensch, Master Bark. Zu welchem Zweck wird einem wohl Reis mit Fleisch vorgesetzt, he?! – Übrigens war es mein Freund Limpo Ma, der daran erinnerte, daß Sie beide Hunger haben könnten.“
Der Chinese! – Ich horchte auf. Ich erinnerte mich an die merkwürdigen Augen dieses Gelben.
Harst hüllte sich in Schweigen. Chatarsan sah von unseren Gesichtern nur wenig. Der durch die Tür fallende Lichtschein traf uns nur noch sehr schwach.
Chatarsan knetete nervös seine Hände, hüstelte und begann dann wieder.
„Master Bark, weshalb wollen Sie leugnen, die Malcapier zu kennen? – Ich – hm ja – ich verspreche Ihnen 100 Pfund, wenn Sie – hm ja – mir verraten, wo die Malcapier hier ihr Versteck hat. Es muß auf dieser Insel einen gut verborgenen Ort geben, den schon der Vater der –“
„Hundert Pfund und sofortige Freilassung,“ fiel Harst im kurz ins Wort.
Chatarsan krümmte sich förmlich vor Verlegenheit.
„Freilassung – hm ja?! – Das – das ist sofort nicht möglich. Aber Sie haben mein Wort, daß, wenn Sie in Rangun als Kronzeugen gegen die Malcapier und die übrigen Mitglieder der Geheimgesellschaft auftreten, Ihnen beiden volle Straffreiheit sicher ist!“
„Zweihundert Pfund,“ erklärte Harst.
„Gut, abgemacht.“ Man merkte, wie erfreut Chatarsan war. „Wir haben noch zwei Stunden bis Dunkelwerden. Ist es Ihnen recht, daß Sie mir dieses Versteck sofort zeigen?“
„Meinetwegen.“
Der kleine Inspektor stand schnell auf. „Bitte, kommen Sie. Nur zum Schein muß ich Ihnen die Handschellen belassen. Nicht einmal meine Leute dürfen merken, daß Sie zur Vernunft gelangt sind. Sonst könnte dies später in Rangun bekannt werden, und wir haben hinsichtlich der Mitglieder der Geheimgesellschaft das Nachsehen.“
Wir stiegen hinter Chatarsan an Deck. Unter dem Sonnensegel saßen noch Limpo Ma und der Zolldirektor. Der Inspektor rief ihnen zu, daß er uns in den Talkessel schaffen lassen wolle. „Ich verfolge damit ganz bestimmte Absichten,“ fügte er hinzu.
Ich bemerkte, daß über des reichen Chinesen Gesicht ein hohnvolles Grinsen hinlief.
Wir wurden über die Laufplanke an Land geführt. Nur Chatarsan und jener Europäer, den wir schon im Talkessel mit den drei farbigen Polizeibeamten gesehen hatten, begleiteten uns.
Dieser Europäer war ein Polizeikommissar aus Rangun namens Worbster, ein noch sehr junger Mensch, der vor seinem Vorgesetzten Chatarsan den größten Respekt hatte.
Der kleine Inspektor ging voraus. Dann folgte Harst, ich und Worbster. Die beiden Polizeileute hatten ihre Dienstpistolen umgeschnallt und fühlten sich offenbar ganz sicher.
Man hatte uns die Arme auf den Rücken gelegt und dann die Handschellen mit ihrem Schnappschloß zugedrückt. Wir waren also scheinbar wehrlos – scheinbar!
Plötzlich sagte Harst: „Jetzt möchte ich führen, denn der Anstieg zu der Höhle ist durch bloße Anweisungen nicht zu finden.“
Chatarsan ließ Harst den Vortritt, winkte aber gleichzeitig Worbster zu und nahm seine Pistole aus dem Futteral heraus, entsicherte sie und meinte: „Nicht wahr, Master Bark, Sie werden doch keine Dummheiten machen –“
„Die mache ich nie!“
Harst ging jetzt voran. Er geleitete den kleinen Zug an dieselbe Stelle, an der wir gelagert hatten, bog dann mehr nach dem Kanon zu ab und machte am Schluchtrande an einer Stelle halt, wo die Talwand sich in kleinen, mit Gestrüpp bewachsenen Terrassen abwärts senkte. Die erste Terrasse lag etwa vier Meter unterhalb des Schluchtrandes.
„Dort ist der Eingang,“ sagte Harst und machte eine Kopfbewegung.
„Wo?“ rief Chatarsan begierig und trat dicht an den Abhang heran.
„Nun – dort –!“ Und in demselben Moment versetzte Harst Chatarsan auch schon einen leichten Stoß, wandte sich blitzschnell um, bückte sich und rannte Worbster von der Seite an.
Ich hatte geahnt, was kommen würde. Ich stand etwas hinter Worbster. Als Harst diesen mit dem Kopf rammte, warf ich mich mit voller Wucht von der anderen Seite gegen ihn. Worbster flog so gleichfalls über den Schluchtrand hinweg.
„Nun gilt’s!“ rief Harst.
Wir begannen zu laufen. Zum Glück war das Gelände so unübersichtlich, daß wir längst in einer Schlucht verschwunden waren, als die beiden Beamten sich von der Terrasse wieder nach oben gearbeitet hatten.
Es dunkelte bereits. Wir gingen sehr bald in einen mäßigen Trab über. Eine halbe Stunde später waren wir auf der Jacht, wo wir mit unseren Handschellen berechtigtes Aufsehen erregten. Nun – wir wurden die Stahlbänder schnell los. Dann begann der Motor des Standard zu rattern. Wir gelangten glücklich in freies Fahrwasser.
„Nach Rangun!“ befahl Harst Kapitän Weber. –
Sechs Tage nach unserer etwas gewaltsamen Verabschiedung von Inspektor Chatarsan lag unsere Jacht in einem sumpfigen Seitenarme des Rangun-Flusses[4] unweit der Stadt gut verborgen vor Anker. Wir waren bei Dunkelheit in diesen Schlupfwinkel eingefahren, den uns der ortskundige Jakob Weber empfohlen hatte. Bei Morgengrauen brachen Harst und ich dann, als Inder verkleidet und wie üblich ausgerüstet, nach der Stadt auf. Weber hatte genaue Instruktionen erhalten. Harst hatte ihm erklärt, daß unsere Anwesenheit in Rangun unbedingt geheim bleiben müßte. Immerhin sollte einer der Besatzung sich stets in einem Restaurant unweit des Bahnhofs aufhalten, damit wir bequemer weitere Befehle ausgeben könnten. Unsere Leute waren natürlich Feuer und Flamme für diesen Hilfsdienst und hatten fest versprochen, sich recht schlau und unauffällig zu benehmen.
Der Seitenarm des Rangun war von einem förmlichen Urwald umgeben. Wir hatten Mühe, uns durch diese Wildnis durchzuarbeiten. Wir passierten große Reispflanzungen und einige Eingeborenendörfer. Niemand kümmerte sich um uns. Unsere Masken waren so vorzüglich, daß Jakob Weber beim ersten Anblick dieser beiden Inder gerufen hatte: „So was hätt’ ich nicht für möglich gehalten.“
Während unseres Marsches nach der Stadt hatte ich abermals den Versuch gemacht, Harst zunächst zu einer erschöpfenden Erklärung über das Medizinfläschchen zu bewegen. Erst hatte er wieder halb scherzend allerlei Ausflüchte gemacht. Schließlich meinte er dann:
„Du bist heute ja zäh wie Leder, mein Alter. Ein Weib könnte nicht neugieriger sein. Nun, Du sollst Deinen Willen haben. – Was gehört zu einem Medizintropffläschchen?“
Ich blieb die Antwort schuldig.
„Sehr einfach: das aufgeklebte Schildchen auf dem der Inhalt verzeichnet ist und das stets ja auch den Namen der Apotheke und den Ortsnamen aufgedruckt trägt. – Das Fläschchen stammte dem Schildchen nach aus der Great Royal-Apotheke in Rangun, Spaiksstraße 16, und hatte Pfefferminztropfen enthalten. Also etwas sehr Harmloses. Als ich den Stöpsel herauszog, roch ich das Pfefferminz auch noch. – Das war aber noch nicht alles. Die Hauptsache: auf das Schildchen war mit Bleistift ein Pfeil gezeichnet, dessen Spitze auf das gedruckte Wort Rangun wies. – Ich bin also nicht etwa Freund Chatarsans wegen hierher gekommen. Nein – ich hoffe unsere Eugenie hier bestimmt zu finden. Denn – der Bleistift-Pfeil war, wie aus dem noch vorhandenen Glanz des Bleistiftstriches erkennbar, erst vor kurzem auf das Schildchen gezeichnet worden. Die Vermutung, die Malcapier könnte den Vertrauten nach Rangun bestellt haben, war also von mir, wie Du zugeben wirst, gar nicht so weit hergeholt.“
„Allerdings nicht,“ mußte ich Harald beipflichten. „Weiter war an dem Fläschchen nichts Bemerkenswertes?“
„Nein – nichts! – Da wir nun schon mal im Zuge sind, können wir ja auch gleich den Herrn Limpo Ma erledigen. – Du weißt, daß der kleine Inspektor Chatarsan, als wir vier nach dem Talkessel gingen, sich von mir so auf Umwegen herauslocken ließ, daß der chinesische Handelsherr „zu seinem Vergnügen“ die Fahrt auf dem Zollkutter nach der Andrew-Insel mitgemacht hatte. Dieser Idiot von Chatarsan und ebenso auch Zolldirektor Brookfield halten Limpo Ma offenbar für einen Ehrenmann erster Klasse. Ich für meine Person bezweifle dies sehr stark – sehr! – Als man uns beide auf das Achterdeck unter das Sonnensegel führte, bemerkte ich, daß Limpo Mas Gesicht erst Staunen und dann leises Erschrecken verriet. Auch aus seinem weiteren Benehmen ging hervor, daß er uns als Harst und Schraut erkannt hatte. Ich wollte mich nun den Beamten zunächst lediglich deshalb nicht als Harald Harst vorstellen, weil ich meine Absicht, später hierher zu kommen, dann vielleicht hätte preisgeben müssen. Nachher, als ich deutlich spürte, er wüßte, wer wir seien, da wollte ich noch mehr alles vermeiden, was dieses unser Reiseziel hätte verraten können. Ich ließ mir Chatarsans Behandlung gutgelaunt gefallen. Ich ahnte bereits, daß dieser reiche Chinese ein Wolf in Schafskleidern war –“
Hier fügte ich rasch hinzu: „Ah – ein Freund der Malcapier! – Und diese „Vergnügungsreise“ unternahm er nur, um zu sehen, was die Beamten auf der Andrew-Insel ausrichteten.“
„Ganz recht. – Weil ich diesen Verdacht sehr bald geschöpft hatte, warnte ich Dich auch vor der Reismahlzeit. – Mir kam diese Sorge um unser leibliches Wohlbefinden sofort übertrieben vor. Und doch sagte ich mir, daß Limpo Ma, der uns vielleicht in Singapore gesehen hat, ja keine bessere Gelegenheit hatte, uns aus dem Wege zu räumen, als diese. Er hätte, wenn wir an dem Reis gestorben wären, nie in Verdacht geraten können, Gift in die Speisen getan zu haben. Chatarsan hätte sicher angenommen, wir hätten uns selbst umgebracht. Nachher hörtest Du ja auch, daß uns die Mahlzeit auf des Chinesen Veranlassung gereicht worden war.“
„Wenn ich nun ahnungslos gegessen hätte!“ sagte ich so vor mich hin.
Harald lachte. „Vielleicht war der Reis auch gar nicht vergiftet. Aber – Vorsicht schadet nie etwas.“
„Es wird fraglos Gift darin gewesen sein,“ erklärte ich voller Überzeugung.
„Das ist jetzt ja auch schließlich gleichgültig. Wichtig ist, daß Limpo Ma nunmehr denkt, wir werden uns hüten, uns hier in Rangun jemals sehen zu lassen, wo doch Chatarsan und dieser Jüngling Worbster sofort racheschnaubend über uns herfallen würden. Wir können also jetzt hier in aller Ruhe uns nach unserer Eugenie umtun und werden diese Jagd damit beginnen, daß wir Limpo Mas Haus dauernd beobachten. Ich gehe jede Wette ein: der lange Spitzbube, der das Fläschchen sich holte, steht mit dem gelben Handelsherrn in Verbindung. Dieser aber ist bereits wieder in Rangun eingetroffen. Gestern nacht bemerkten wir ja den Zollkutter, der stromaufwärts fuhr.“ –
Wir fragten uns sehr leicht bis zu dem dreistöckigen, neuen Gebäude durch, das unten die Bureauräume der Firma „Limpo Ma, Barstenham u. Co.“ und oben Privatwohnungen enthielt. Es lag unweit des Zollamts dicht am Flusse. Die Hafen-Eisenbahn führte hier vorüber, und ein leerer, offener Waggon, der vor dem Hause auf einem Nebengeleise stand, bot uns einen schattigen Sitzplatz.
Limpo Ma sollte die erste Etage, seine beiden Kompagnons, zwei Engländer, die oberste bewohnen. Den Millionenreichtum der Firma sah man schon dem Prunkbau an. Linker Hand zog sich durch das Haus eine breite Einfahrt mit mächtigen Flügeltüren. Der Eingang zu den Bureaus war rechter Hand. – Wir hatten uns die Arbeit geteilt: ich beobachtete die Kontortür, Harst die Einfahrt. – Und – diese Arbeit war nicht leicht. Jetzt vormittags gab es hier ein ewiges Gehen und Kommen.
Die Stunden gingen hin. Es wurde drückend heiß. Von einem Straßenhändler kauften wir Brot und Früchte. Es gehörte Harsts Geduld dazu, hier auf eine einzelne Person zu lauern. Ich mußte dabei mithalten, ob ich wollte oder nicht.
Plötzlich – es war gegen 1 Uhr mittags – sprang Harst aus dem Waggon heraus.
„Komm’, wir haben ihn!“ sagte er nur.
Meine Müdigkeit war wie weggezaubert.
„Dort rechts geht er – der lange Kerl mit dem gelben Europäer-Leinenanzug,“ flüsterte Harst weiter.
Wir blieben etwa 20 Meter hinter dem Chinesen, der hier – einen hellgrauen Zylinder trug und damit einiges Aufsehen erregte. Einmal blieb er vor einem Schaufenster stehen. Der Kerl hatte wahrhaftig einen hellblauen Stehkragen und eine hellblaue Schleife von riesigen Abmessungen um! Kein Wunder, daß alles hinter ihm dreinlachte. – So kamen wir schließlich auf den Soolay-Platz, wo die gleichnamige Pagode steht.
Der Chinese überschritt den Platz und steuerte auf ein Haus zu, das über und über mit Riesenplakaten beklebt war. In der Höhe des ersten Stockes lief unter den Fenstern ein mächtiges Schild hin, auf dem links und rechts ein auf einer Schüssel ruhender Frauenkopf aufgemalt war. Die Inschrift des Schildes und der Plakate aber lautete in vier Sprachen:
Der sprechende Kopf.
Das größte Weltwunder!
Ein Kopf, der Fragen beantwortet!
Nur noch wenige Tage zu sehen!
In diesem Hause verschwand der Chinese und zwar in einer breiten, offenen Einfahrt, ging dann nach rechts und öffnete eine Pendeltür, die gleichfalls mit denselben Plakaten beklebt war.
Harst flüsterte jetzt: „Machen wir kehrt!“
Wir setzten uns in die Anlagen, die die Pagode umgeben, auf eine Bank. Wir hatten so das grellbunt bekleisterte Haus gerade vor uns.
Nach einer Weile hieß Harst mich warten und schritt auf das Haus zu, las die Plakate aus nächster Nähe, ging dann nach rechts den breiten Bürgersteig weiter und kam durch die Anlagen zu mir zurück.
Er nahm neben mir Platz, lehnte sich zurück und holte eine Zigarette hervor. Langsam brannte er ein Zündholz an; ebenso bedächtig tat er die ersten Züge und blies tadellose Rauchringe in die stickig heiße Luft. Dabei waren seine Augen unverwandt auf das bunte Haus gerichtet.
Harst blieb stumm. – Eine europäische Bonne setzte sich mit ihren zwei Zöglingen, Chinesenkindern, auf die Bank neben uns. Es war ein noch recht junges Mädchen, offenbar Französin. Sie sah krank und abgespannt aus. Rangun ist ja ein böses Fiebernest.
Harst begann mit den beiden europäisch herausgeputzten Kindern zu spielen. So kam er auch mit der Bonne ins Gespräch. Er radebrechte dabei das Englische wie ein waschechter, ungebildeter Inder. In kurzem war die Unterhaltung bei dem sprechenden Kopf angelangt.
Wir erfuhren so, daß der Besitzer des „Weltwunders“ ein Chinese sei, der in einem lächerlichen Kostüm herumlaufe. Die Vorstellungen hätten erst gestern nachmittag begonnen. Der Andrang dazu sei ungeheuer, da ja gerade die Birmanen derartige Schaustellungen überaus liebten. Die ganze Stadt spreche jetzt von nichts anderem als dem Geheimnis des redenden Frauenkopfes. Niemand vermöge den „Trick“ zu ergründen, der hier angewendet würde.
Dann lenkte Harst das Gespräch auf andere Dinge. Das junge Mädchen mochte sich wundern, daß ein einfacher Inder für so vielerlei Interesse hätte. Harst flocht schlau ein, wir suchten hier Arbeit.
Die Bonne war wirklich Französin. Es kam heraus, daß sie bei einem Geschäftsfreunde Limpo Mas seit zwei Jahren in Stellung war. Harst tat, als hätte er viel von Limpo Mas Reichtum gehört. Das junge Mädchen lächelte dazu und meinte, in letzter Zeit wäre Limpo Ma oft in Geldverlegenheit gewesen. Er hätte von ihrem Herrn große Summen geliehen.
Harst schwatzte immer weiter darauflos. Die Bonne erwähnte, daß nächste Woche drei hohe buddhistische Feiertage seien. Da würden alle Geschäfte geschlossen. Nur die Vergnügungslokale blieben offen. –
Ich begriff nicht recht, was Harst mit dieser sprunghaften Unterhaltung bezweckte. Ich war müde und nickte auch zuweilen ein.
Als die Bonne mit den Kindern gegangen war, rückte Harald ganz nahe an mich heran.
„Werde munter, mein Alter,“ meinte er. „Wir können jetzt befriedigt einen kühleren Ort aufsuchen. Eugenie Malcapier ist gefunden und der Zweck des sprechenden Kopfes liegt dort klar zu Tage.“
Ich fuhr förmlich herum. Mir war ein Gedanke gekommen.
„Eugenie ist der sprechende Kopf,“ sagte ich und blickte Harst forschend an.
Er bejahte mit der Einschränkung: „Wenigstens ist das sehr wahrscheinlich.“
„Und der Zweck? Dieser Zweck liegt „dort“ klar zu Tage? Dort, – wo?“
„Wo man allein suchen muß. – Vorwärts, gehen wir in die Kneipe in der Nähe des Bahnhofs. Jemand von unseren Leuten wird ja fraglos dort sein. Ich möchte Kapitän Weber einige neue Anweisungen geben.“
Das Restaurant „Buffalo Bill“ hatte Weber empfohlen. Es war eine amerikanische Gründung: Erdgeschoß für die weniger Bemittelten, die Prunkräume oben für die reiche Lebewelt Ranguns.
Wir „Armen“ gehörten ins Parterre, das gleichzeitig Kaffeehaus war. In einer Ecke des länglichen Riesenraumes saß allein an einem Tischchen unser Maschinist Jürgensen.
Jürgensen, ein blonder Holsteiner, beachtete uns nicht. Dann kam er und bat Harst um ein Streichholz für seine Zigarre. Harst flüsterte ihm zu: „Nachher draußen am Bahnhof.“
Wir tranken Eislimonade und aßen einen warmen Reispudding. Dann kamen ein blondbärtiger Engländer und eine ältere Dame die Treppe hinunter. Es mochten Touristen sein. Sie hatten Kameras bei sich und Ferngläser umgehängt.
Die grauhaarige Dame stützte sich auf einen Stock und lahmte etwas. Die würfelnden Birmanen erregten ihre Aufmerksamkeit. Sie blieb stehen und sprach mit ihrem Begleiter. Dann gingen sie hinaus.
Harst warf plötzlich Geld für die Zeche auf den Tisch. Im Nu waren wir auf der Straße.
„Ah – dort!“ meinte Harald. – Und ich sah, daß ein offenes Auto den Engländer und die Lahme entführte.
Harst stand da und starrte zu Boden.
„Was hast Du denn?“ fragte ich leicht beunruhigt.
„Ich weiß nicht recht, ob sie mich erkannt hat,“ flüsterte er. „Es war unsere Eugenie. Ihr Interesse für den Tisch der Spieler kam mir nicht ganz echt vor. Ihr Blick flog vorher über uns hin, haftete dann den Bruchteil einer Sekunde auf meinem Gesicht. Ich kann mich täuschen. Aber mir schien’s, als ob sie zusammenzuckte. Sie hat bessere Augen als Jakob Weber. Ihr traue ich’s schon zu, daß sie unsere Masken durchschaut.“
„Die Malcapier?“ meinte ich zweifelnd. „Ich bitte Dich: die alte Dame hatte doch eine dicke, rotgebrannte Nase –“
„– in der wahrscheinlich Watte die neue Form hervorrief,“ ergänzte Harald. „Jedenfalls wäre es ein verwünschtes Pech, wenn das Weib durch diese Begegnung gewarnt wäre. Am besten, wir kostümieren uns auf der Jacht um. – Gehen wir zum Bahnhof hinüber. Jürgensen wird ja sofort erscheinen. Wir schicken ihn als Wache in die Kneipe zurück. Er muß dort aufpassen, ob verdächtige Leute dort sich auffällig nach uns umsehen oder erkundigen. Dann wissen wir Bescheid. Geschieht nichts, so hat die Malcapier mich doch nicht erkannt.“
Gleich darauf trafen wir mit Jürgensen zusammen, der nachher sich wieder in das Kaffeehaus setzte. Wir beide nahmen eins der einspännigen Wägelchen und ließen uns bis außerhalb der Stadt fahren, stiegen unweit einer großen Sägemühle, von denen Rangun über fünfzig besitzt, aus und gingen zu Fuß weiter.
Um 4 Uhr nachmittags waren wir an Bord des Standard. Der Matrose Kersten, sagte uns Weber, sei schon nach der Stadt unterwegs, um Jürgensen in dem amerikanischen Restaurant abzulösen. Wir waren ihm nicht begegnet. Freilich konnte er auch eine andere Richtung eingeschlagen haben.
Nachdem wir eine kräftige Mahlzeit eingenommen hatten, machten wir uns mit größter Sorgfalt an die abermalige Verwandlung unseres Äußeren. Harst hatte sich für eine Maske als wohlhabende, ältere indische Kaufleute entschieden. Diese Arbeit nahm zwei Stunden in Anspruch. Gerade als wir aufbrechen wollten, fand sich der blonde Hüne Jürgensen ein, dessen rotblonder Spitzbart ihn sehr gut kleidete. Jürgensen berichtete, daß er noch anderthalb Stunden dort im Cafee gesessen hätte. Nichts wäre passiert – nichts. Und er hätte doch wie ein Luchs aufgepaßt.
Dann sagten wir den Landsleuten lebewohl und kämpften uns wieder durch den urwaldähnlichen Baumwuchs hindurch. Es ging diesmal schon leichter. Jürgensen und Kersten hatten sich auf unserer Spur gehalten und gleichfalls durch Abhauen von Zweigen etwas Luft gemacht.
Wir waren am Rande eines Reisfeldes entlanggegangen, bogen jetzt um eine Ecke. Und da – da wuchsen vor uns wie aus der Erde fünf – sechs chinesische Kulis heraus, sprangen zu.
Ich erhielt einen Schlag vor die Stirn, flog wie ein Klotz um.
Und kam dann in der Kajüte unserer Jacht wieder zu mir – als Gefangener von Leuten, die sämtlich Tuchlappen vor den Gesichtern trugen.
Ich lag auf dem einen Wandsofa, richtete mich nun schwerfällig auf.
Die große Lampe an der Decke brannte. Allmählich wurde ich wieder vollständig Herr meiner Sinne.
Ich schaute mich um. Ich war nicht gefesselt. Mir gegenüber auf dem anderen Sofa saß Harst, ebenfalls mit freien Gliedern.
Fünf Maskierte zählte ich, die rechts von uns an dem runden Tische Platz genommen hatten. Vor ihnen lagen griffbereit Revolver. Die Leute trugen Leinenanzüge von europäischem Schnitt. Aber ihre gelblich-schmutzigen Hände verrieten die Chinesen.
Einer von ihnen reichte mir etwas zu trinken. Ich wehrte ab. Der Kerl setzte sich wieder, begann dann:
„Master Harst, Ihr Freund ist nun bei Bewußtsein. Wollen Sie jetzt sprechen?“
„Ja – Sie wollten vorhin wissen, was wir hier in Rangun vorhätten. Ich denke, das wird Ihnen schon Kapitän Weber gesagt haben.“
„Hat er auch. Ich will es mir von Ihnen nur bestätigen lassen.“
„Das erübrigt sich. Ich rede nie unnötig.“
Der Kerl nahm seinen Revolver, zielte auf Harst.
„Wollen Sie nun oder wollen Sie nicht?! Ich zähle bis drei –“
„Zählen Sie nur. Weber hat nichts verraten, und Jürgensen und Ewald ebensowenig. Was Sie aus denen nicht herausgepreßt haben, gelingt Ihnen bei mir erst recht nicht.“
Der Mensch legte den Revolver auf den Tisch zurück, fluchte dabei leise. Ich beobachtete ihn scharf. Ich sah jetzt, daß nur dieser eine den Händen nach ein Europäer war.
Die Maskierten flüsterten untereinander. Dann versuchte der Sprecher bei mir durch die Bedrohung etwas zu erreichen. – Harst lachte auf. Ich zuckte nur die Achseln.
Die Zeit verging. Die fünf Kerle holten sich aus der Küche allerlei Konserven und auch zwei Flaschen Kognak. Dann wollte der Sprecher aus Harst durch List so allerlei herauslocken. Harst drehte den Spieß um: er erfuhr, daß diese Maskierten annahmen, wir seien nur zu fünfen auf der Jacht: Weber, Jürgensen, Ewald und wir beide! – Also hatten die Kerle von des Matrosen Kersten Existenz bisher keine Ahnung, der jetzt wahrscheinlich noch in dem Restaurant am Bahnhof saß.
Harst hatte mir unauffällig zugeblinzelt. Das hieß: Kersten ist jetzt unsere Hoffnung! –
Dieser Kersten, ein geborener Berliner mit einem sehr vorlauten Mundwerk, war mir eigentlich am wenigsten sympathisch. Der Mensch prahlte stets damit, was er schon alles erlebt hätte. – Ob er uns helfen würde? Ob er nicht bei seiner Rückkehr aus der Kneipe blindlings diesen Kerlen in die Arme laufen würde?! – Immerhin: Kersten blieb für uns ein Hoffnungsschimmer. –
Die Wanduhr in der Kajüte zeigte Mitternacht. Ich konnte die Augen kaum mehr offen halten. Worauf warteten die Banditen eigentlich?
Es wurde ½1. – Da – draußen ein besonderer Pfiff. Einer der Leute eilte hinaus. Und dann – dann trat Eugenie Malcapier ein – die grauhaarige Engländerin. Sie warf einen schnellen Blick auf uns. Sie setzte sich, lehnte sich zurück.
„Nun sind Sie mein, Harald Harst!“ sagte sie langsam. „Heute rettet nichts Sie beide vor dem Tode. Ich habe Sie im Restaurant Buffalo Bill erst erkannt, als der blondbärtige Seemann am Nebentisch mich an Singapore erinnerte. Der Mensch ist auffallend hübsch. Ich hatte ihn in Singapore mal gesehen. Wir Frauen behalten solche Gesichter im Gedächtnis. Und – an Singapore so erinnert, sah ich zwei Inder dicht dabei sitzen, sah sie mit bereits von Argwohn geschärften Augen. Und nachher saß der blonde Seemann aus Singapore noch immer dort im Kaffeehaus. Man schlich ihm nach, und – dann hatten wir Sie beide – endlich! – Sie wollen also nicht verraten, was Sie hier nach Rangun geführt hat?“
„Nein.“
„Nun, ich lege auch keinen besonderen Wert darauf. Ich brauche Ihr Spürtalent nicht mehr zu fürchten. Tote denken und handeln nicht mehr.“
Sie wandte sich an den maskierten Europäer, flüsterte mit ihm. Zwei der Kerle gingen hinaus, kamen mit Stricken wieder.
Im Nu stürzten drei sich auf Harst. Zwei lagen auf mir, rissen mir die Arme auf den Rücken.
Man führte uns auf Deck. Der fast volle Mond stand gerade über dem sumpfigen Flußarm. Der tropische Urwald, das Röhricht, die Wasserpflanzen, der schillernde, silberne Widerschein des Nachtgestirns auf den nicht verkrauteten Stellen, dazu die kleine Jacht, die Maskierten, das verkleidete junge, schöne Weib und wir, die Opfer, – all das gab ein phantastisches Bild ab.
Man stellte uns auf das Dach der Heckkajüte, dicht an die Steuerbordseite. Dort war eine große, freie Stelle im Wasser. Nur wenige Sumpfpflanzen schwammen dort. – Einer der Kerle hatte einen langen Bootshaken genommen und maß die Tiefe. Da – da erst wurde mir klar, wie wir sterben sollten. Man wollte uns – ersäufen!
Ein gurgelnder, erstickter Schrei drang aus meiner Kehle hervor. Harst wandte den Kopf nach mir hin. Ein traurig-zärtlicher, so lieber Blick traf mich.
„Leb wohl, mein Alter. Diesmal ist’s nun wirklich aus mit uns,“ sagte er leise.
Neben uns das harte Auflachen unserer Feindin.
Harst wandte sich ihr zu.
„Was gedenken Sie mit unseren drei Gefährten zu tun?“ fragte er. „Wenn Sie mir fest versprechen, ihnen das Leben zu schenken, dann will ich Ihnen mitteilen, weshalb ich nach Rangun gekommen bin.“
Die Malcapier schaute Harst eine Weile fest an. „Schade um Sie,“ sagte sie dann. „Sie sind ein so hochanständiger Charakter. – Gut denn, die drei sollen geschont werden.“
„Ich fand vor der einen Blockhütte der Andrew-Insel das Medizinfläschchen,“ erklärte Harst einfach.
„Ah – also deshalb! Sie haben die Bedeutung der Eidechsen erkannt. Wirklich – sehr schade um Sie! Die Welt wird keinen Detektiv mehr besitzen wie Sie!“
Ich beobachtete diese beiden Menschen, die Todfeinde waren und doch hier in höflichstem Tone miteinander verkehrten. Ich bemerkte, wie Harsts Augen für einen Moment sich weiteten. Auch ich hatte vom nahen Ufer her das Quaken eines Frosches gehört; und ich hatte an Fritz Kersten, den Berliner, gedacht, der oft sich als Tierstimmenimitator vor uns produziert hatte.
Mein Blick schweifte zum Ufer hin. – Da – Harst hatte mir auf den Fuß getreten! Das konnte nur „Vorsicht!“ heißen.
Die Malcapier ging und lehnte sich an den Mast der Jacht. Zwei der Maskierten kamen und banden uns jedem – mehrere schwere, eiserne Schraubenschlüssel um die Füße.
Kein Zweifel – wir sollten ertränkt werden! – Mein Herz flog; mein Hirn hatte nur noch einen Gedanken: das Quaken des Frosches, das in kurzen Zwischenräumen immer wieder erklang.
Dann – ganz unversehens erhielt Harst einen Stoß, schoß über Bord. Ich hörte noch das Platschen im Wasser. Dann – flog auch ich vom Kajütendeck herab, versank, fühlte, wie die eisernen Schraubenschlüssel mich wie Anker festhielten, wie es mir in den Ohren zu sausen begann. Ich konnte den Mund nicht länger geschlossen halten, atmete, schluckte Wasser, verlor das Bewußtsein. –
Wie aus endloser Ferne drang eine Stimme an mein Ohr. Ich begann die Empfindung zurückzuerlangen, ich spürte, daß meine Arme taktmäßig gehoben und gegen den Brustkorb gepreßt wurden.
Harst sprach. Ich verstand jedes Wort jetzt. „Das Herz schlägt kräftiger. Die Gefahr ist beseitigt. Lassen Sie mich jetzt wieder pumpen, lieber Kersten –“
Ich schlug die Augen auf und eine Stunde später war ich vollends bei Besinnung und fühlte mich nach einem Schluck Kognak sogar recht frisch – Kersten war unser Retter. Er hatte vom Ufer alles beobachtet. Aber er hatte warten müssen, bis die Maskierten und die Malcapier wieder in die Kajüte gingen. Dann war er, das offene Messer in der Rechten, in das Wasser gestiegen, hatte getaucht, hatte erst Harst losgeschnitten von dem Schraubenschlüssel-Anker und ihn an Land geschafft. Dann holte er mich. –
Wir befanden uns jetzt auf einer kleinen Lichtung des Urwaldes. Es war 3 Uhr morgens. Notdürftig brachten wir unsere Inder-Kostüme wieder in Ordnung, schritten dann der Stadt zu. Ein eingeborener Polizist wies uns nach der Wohnung Inspektor Chatarsans. Diese lag in der Nähe der Polizeidirektion. Nach einmaligem Läuten bereits öffnete uns ein birmanischer Diener. Harst befahl ihm, Master Bark in dringender Angelegenheit zu melden. Wir saßen in der Vorhalle und warteten. Dann erschien der kleine Chatarsan – mit gespanntem Revolver in der Hand. Unsere falschen Bärte waren im Wasser abgefallen. Aber unsere Kleidung und die dunkel gefärbte Haut ließ Chatarsan uns nicht sofort erkennen.
Harst erhob sich, „Master Chatarsan, mein Name ist Harald Harst. Das dort ist mein Freund Schraut, und das unser Retter, der Matrose Kersten. Auf der Andrew-Insel verstanden Sie meinen Namen falsch – als „Bark“. – Ich möchte Ihnen jetzt Eugenie Malcapier in die Hände spielen.“
Chatarsan machte kein sehr geistvolles Gesicht, wußte nicht recht, was er sagen sollte. Dann reichte er uns die Hand. „Ich freue mich sehr, meine Herren, mit Ihnen beiden nun zusammenarbeiten zu dürfen.“
„Bitte beherbergen Sie uns bis heute abend,“ erklärte Harst. „Dann werden wir uns den sprechenden Kopf ansehen. Aber Limpo Ma darf nichts davon wissen.“ –
Es war ein langgestreckter, saalartiger Raum mit einer kleinen Bühne, in dem das Weltwunder gezeigt wurde. Ein aus Klavier, zwei Geigen, Cello und Baß bestehendes Orchester sorgte für die Belebung der Stimmung des Publikums. Der Saal war wie immer bis auf den letzten Platz gefüllt. Wir saßen in der zweiten Reihe von der Bühne. Auch Chatarsan war jetzt als Inder verkleidet. Hinter uns hatte Zolldirektor Brookfield Platz genommen.
Der Vorhang ging hoch. Der lange Chinese, der sich auf den Plakaten Scheng-Pi nannte, begrüßte das Publikum, hielt eine Ansprache über das „Wunder“, zeigte dann einen Wachskopf, dessen Züge mit denen der Malcapier einige Ähnlichkeit hatten. Der Wachskopf lag mit dem Halsstumpf auf einer großen Metallschüssel. – Im Hintergrunde der Bühne stand ein vierbeiniges Tischchen. Es schien frei dazustehen, schien vier Beine zu haben. Harst flüsterte mir zu: „Uralter Witz, – die hinteren Beine sind gar nicht vorhanden, sind nur das Spiegelbild der Vorderen. Das Tischchen ist unten durch Spiegel verkleidet.“ Ich besann mich, mal als Junge in einer Jahrmarktsbude Ähnliches gesehen zu haben. – Scheng-Pi stellte jetzt die Schüssel mit dem Wachskopf auf den Tisch, daneben 2 Räucherschalen, aus denen bald dicker Qualm hochstieg. Scheng-Pi murmelte allerlei Beschwörungen. Der Qualm, der den Kopf zeitweise ganz eingehüllt hatte, wurde schwächer.
Dann – schlug der Kopf die Augen auf. – Es war Eugenie Malcapier mit einer schwarzen, hochfrisierten Perücke.
Die Musik begann zu spielen. Die Schaustellung mußte doch künstlich gereckt werden. Leute meldeten sich, die den Wunderkopf befragen wollten. Sie mußten dafür gehörig bezahlen. – Nun hörten wir den Kopf sprechen. Die Malcapier war’s – es war ihre Stimme! –
Nach einer Stunde war die Vorstellung beendet. Es sollte gleich darauf eine neue beginnen. Der Saal leerte sich. Wir blieben. Außer uns noch sechs Polizeibeamte, als Birmanen verkleidet. – Scheng-Pi stand an der Tür des Saales. Plötzlich wurde er gepackt; Handschellen schnappten zu; ein Knebel hinderte ihn am Schreien.
Harst, Chatarsan und ich stürmten auf die Bühne. Von Eugenie Malcapier keine Spur. Nur auf dem Spiegeltischchen lag ein Zettel:
„Habe Sie erkannt. Ihre Augen verrieten Sie. Wiedersehen – E. M.“
Chatarsan tobte vor Wut und Enttäuschung. Harst zuckte die Achseln: „Pech!“
Dann zeigte er in einem Zimmerchen hinter der Bühne auf ein offenes Fenster. „Diesen Weg nahm sie. Vorläufig ist sie uns entschlüpft!“
Er bückte sich, hob einen Bastteppich hoch. In den Dielen sah man Schnitte. Man hatte hier eine Falltür hergestellt.
„Nun das Hauptgeheimnis des sprechenden Kopfes,“ meinte Harst und hob die Dielenstücke heraus. „Rufen Sie Ihre Leute, Master Chatarsan.“
Unter der Falltür führte ein frisch gegrabener Tunnel nach dem Keller des rechten Nebengebäudes. Und in diesem Tunnel – arbeiteten Limpo Ma, ein Europäer und vier andere Chinesen.
Sie wurden überrumpelt, ergaben sich.
„Nebenan befindet sich die Filiale der India-Bank,“ erklärte Harst jetzt. „Dieser Tunnel war der Weg zu der Stahlkammer der Bank. In der nächsten Woche ist die Bank drei Tage der buddhistischen Feiertage wegen geschlossen. Diese drei Tage hätten genügt, die Stahlkammer zu erbrechen und auszuplündern. – Das war der Zweck, der mit diesem Weltwunder verfolgt wurde. Als ich das Firmenschild der Bank von den Anlagen vor der Pagode aus sah, wußte ich Bescheid. Limpo Ma brauchte Geld. Und die Malcapier auch. Es war ein sehr schlauer Streich, und er wäre auch wohl geglückt –“
Chatarsan vollendete: „Wenn Sie sich nicht eingemischt hätten, Master Harst. Ich danke Ihnen.“ –
Nach dem wenig befriedigenden Abschluß, den unser Abenteuer mit dem sprechenden Kopf gefunden hatte, wurde die von Harald Harst gemieteten Motorjacht Standard aus ihrem Versteck in dem sumpfigen Flußarm nach dem Zollhafen in der Nähe des Zollamtes in Rangun übergeführt.
Wir verzichteten auf eine Hotelwohnung und blieben an Bord, wo wir es mindestens ebenso behaglich hatten, außerdem aber noch den in unserer Lage nicht zu unterschätzenden Vorteil genossen, daß wir auf dem Standard vor Anschlägen unserer rücksichtslosen Feindin Eugenie Malcapier weit sicherer als in einem Hotel waren.
Ich habe mich in den letzten Seiten unseres vorigen Abenteuers („Der sprechende Kopf“) recht kurz gefaßt und alle Einzelheiten weggelassen. Ich lege ja stets das Hauptgewicht in diesen Schilderungen der von Harald Harst erledigten Probleme auf das Herausarbeiten der dabei von ihm geleisteten Geistesarbeit. Die schließliche Aufdeckung der Absichten, die die Malcapier und ihre Verbündeten mit dem Mieten jenes Saales und jener Schaustellung verfolgt hatten, brauchte ich daher nur zu streifen.
Unsere Feindin war also wieder einmal entronnen, hatte für Harst nur einen Zettel mit den Worten zurückgelassen: „Habe Sie erkannt. Ihre Augen verrieten Sie. – Wiedersehen. – E. M.“ –
Drei Tage nach jenem Abend, an dem sie uns entwischt war und wir lediglich ihre Verbündeten hatten verhaften können, saßen wir morgens auf dem Achterdeck des Standard mit unserem Kapitän Jakob Weber beim Frühstück. Der Matrose Fritz Kersten, der uns aus der Tiefe des morastigen Flußarmes herausgeholt und uns so das Leben gerettet hatte, kam von einem Ausgang nach der Stadt zurück und brachte die Morgennummer der Ranguner „Expreß Post“ mit.
„Es steht ein langer Artikel über die Malcapier drin, Herr Harst,“ sagte er und reichte diesem die Zeitung. „Ich denke, der Artikel wird Sie interessieren, vielleicht auch etwas ärgern. Man müßte eigentlich hingehen und dem Redakteur, der das Zeug abgedruckt hat, eins hinter die Löffel schlagen. Ich bin gern bereit dazu.“
Harst lachte. „Danke freundlichst für diese Art von Unterstützung, lieber Kersten. – Sehen wir mal zu, was der Artikel enthält.“
Auch der Maschinist Jürgensen und der zweite Matrose Ewald hatten sich herangeschlängelt. Bei uns an Bord gab es keine Standesunterschiede. Wir sechs lebten auf dem Standard wie gute Freunde. Waren wir doch alles Deutsche, und paßten wir doch auch vortrefflich insofern zusammen, als wir – wir fünf – für Harald Harst durchs Feuer gingen. –
Harst begann nun vorzulesen.
„Von unbekannter Seite ist uns ein Schreiben zugeschickt worden, dessen Inhalt sich ausschließlich mit der beabsichtigten Plünderung der Stahlkammer der India-Bank und der Perlen der Eugenie Malcapier beschäftigt. Dieses Schreiben bietet für unseren Leserkreis manches Neue. Wir geben es daher hier auszugsweise wieder. – Jeder Kriminalpsychologe, auch jeder sonstige Menschen- und Seelenkenner, der die Laufbahn dieses intelligenten Weibes verfolgt hat, insbesondere die von der Malcapier in der letzten Zeit begangenen oder doch versuchten, sämtlich so groß angelegten Verbrechen gleichsam studiert hat, wird sich unwillkürlich fragen, ob nicht hier außer einer krankhaften Neigung für aufregende Vorgänge auch insofern eine gleichfalls anormale weibliche Eitelkeit mitspricht, als die Malcapier vielleicht gerade dadurch zu stets neuen Schandtaten gereizt wird, daß sie den deutschen Liebhaberdetektiv Harald Harst als Verfolger hinter sich weiß und nun sozusagen einen Wettstreit mit ihm ausficht, bei dem sie eben ihre überragende Intelligenz beweisen will. Jedenfalls liegt dieser Gedanke sehr nahe. Wer weibliche Seelenregungen zu ergründen weiß, wird mir hierin recht geben. Es wäre meiner Ansicht nach besser, Harst gäbe es auf, sich mit der Malcapier auch fernerhin wie seit Wochen mit den Waffen des höheren geistigen Intellektes zu messen. Würde er dies tun, würde also dadurch für die Malcapier der Hauptanreiz für weitere „Wettstreit“-Verbrechen ausgeschaltet, dann könnte vielleicht ein kluger Polizeibeamter das schöne Weib dazu veranlassen, einige Zeit sich in eine Nervenheilanstalt zurückzuziehen, um später ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden. Harald Harst hat ja auch bei seinem Kampfe gegen die Malcapier bisher insofern wenig Glück gehabt, als sie ihm bei Gelegenheiten entschlüpfte, bei denen die kühle Umsicht eines Beamten fraglos einen vollen Erfolg erzielt hätte. Die Geschichte mit der Goldladung der „Christine“ (ich habe dieses Abenteuer unlängst unter dem Titel „Der Schatz der Christine“ veröffentlicht) ist ja noch ebenso frisch in aller Erinnerung wie dieser Anschlag auf die India-Bank mit Hilfe des sprechenden Kopfes. Beide Male hätte die Malcapier bei vorsichtigerer Handhabung des Ganzen unbedingt ergriffen werden müssen. – Wenn es ihr jetzt vielleicht einfallen würde – dies nur im Scherz gesagt! –, etwa die acht Haupthaare Buddhas aus der Schwe Dagon-Pagode[5] zu rauben, so wäre dies der beste Beweis dafür, daß hier mehr weibliche Eitelkeit als verbrecherischer Instinkt mitspricht. – Wir, die Redaktion wollen zu diesen Ausführungen nur eins bemerken. Daß Master Harst der berühmteste Detektiv der Jetztzeit ist, daß sein Scharfsinn bereits unendlich viel Gutes geleistet hat, steht außer Zweifel. Immerhin kann man, ohne Master Harst irgendwie nahetreten zu wollen, dem Schreiber obiger Zeilen insoweit beipflichten, als sich vielleicht der Versuch verlohnen dürfte, die Malcapier zunächst einmal unbehelligt zu lassen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß sie dann wirklich von weiteren Meister-Verbrechen absieht. Jedenfalls wollen wir hier nochmals betonen, und wir haben diese Ansicht ja schon wiederholt unterstrichen, daß wir an die Existenz einer geheimen, tadellos organisierten Verbrecher-Geheimgesellschaft, die in allen Häfen Indiens und Indo-Chinas vertreten sein soll, nicht glauben. Noch weniger glauben wir daran, daß die Malcapier die Leiterin dieses Geheimbundes ist und daß dieser den jetzigen Streich gegen die India-Bank vorbereitet haben soll. Die Untersuchung gegen die vor drei Tagen Verhafteten hat auch nicht die geringsten Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines so ausgedehnten Verbrecherbundes ergeben.“
Harst ließ die Zeitung sinken, schaute mit halb zugekniffenen Augen vor sich hin, faltete nach einer Weile das Blatt zusammen und sagte mit einem merkwürdig ernsten Gesicht:
„Schraut, wir werden die Redaktion der Ranguner Expreß Post sofort besuchen. – Ihnen, lieber Kersten bin ich sehr zu Dank verpflichtet, daß dieser Artikel mir so schnell zu Gesicht kam.“
Er stand auf. – Kapitän Weber murmelte halblaut:
„Der Artikel ist eine Unverschämtheit. Nur ein Idiot kann die Malcapier so eintaxieren wie dieser unbekannte Herr es tut. Aus Eitelkeit –?! Lächerlich!“
Harst lächelte plötzlich. „Regen Sie sich nicht auf. Wir werden den Lesern der Expreß Post beweisen, daß die Malcapier weder aus krankhafter Veranlagung noch aus „Eitelkeit“, und zwar durch mich „angereizt“, Millionenwerte zu stehlen sucht.“
Das Haus der Expreß Post liegt am Soolay-Platz[6]. Es war 10 Uhr vormittags, als wir uns bei dem Chefredakteur anmelden ließen. Dieser liebenswürdige, ältere Herr schickte uns zu dem Lokalredakteur, indem er erklärte, der Artikel sei ohne sein Wissen in das Blatt hineingekommen; er hätte dies nie gestattet, da der unbekannte Verfasser jener Ausführungen ungerechtfertigter Weise verschiedene gegen Harst gerichtete Spitzen miteingeflochten hätte.
Der Lokalredakteur Mr. Pongardy arbeitete in einem kleinen Zimmer, das einen direkten Zugang vom Flur hatte. Pongardy empfing uns recht verlegen, bat uns Platz zu nehmen und wußte kaum, wohin er seine kleinen listigen Äuglein richten sollte.
„Sie kommen wohl wegen des Artikels, Mr. Harst?“ begann er sofort. „Der Chef hat mich schon gehörig angefaucht, weil –“
„Oh – lassen Sie nur,“ unterbrach Harst ihn. „Der Artikel ist gut. Ich wollte deshalb auch gern wissen, wer der Verfasser ist. Kennen Sie ihn wirklich nicht, Mr. Pongardy?“
Daß Pongardy kein Engländer war, sah man ihm sofort an. Ich schätzte auf Südfranzosen oder Spanier.
Auf Harsts Frage hin erwiderte er offenbar der Wahrheit gemäß: „Nein, ich weiß es nicht!“
„Wie gelangte das Schreiben in Ihren Besitz? Kam es durch die Post? Fanden Sie es im Redaktionsbriefkasten?“
„Beides nicht, Mr. Harst. Ich hatte gestern noch spät abends zu tun. Die Kollegen waren schon nach Hause gegangen. Mir fehlte für den lokalen Teil noch irgend etwas, das so ein bißchen nach Sensation schmeckte. Das Publikum, selbst die Eingeborenen, wollen mit Sensationellem gefüttert werden. Ich zerbrach mir den Kopf, was ich nur in den noch leeren Platz einfügen könnte. Es war mittlerweile ½10 geworden. Um 12 beginnen wir mit dem Druck. – Da klopfte es plötzlich. Ich rief Herein. Es war ein junger Birmane (Bewohner Birmas, einer Provinz Indiens, deren Haupthafen Rangun ist) in gelbem Leinenanzug. Er sprach ein schauderhaftes Englisch, legte mir den Brief dort auf den Schreibtisch und sagte, ich solle ihn mal gleich lesen. – Er setzte sich dann auf jenen Stuhl neben der Tür und wartete. Der Brief enthielt das bewußte Schreiben. Da hatte ich ja etwas Sensation. Ich prüfte nicht lange, sondern fragte den Boten, von wem der Brief sei. Das dürfe er nicht sagen, erklärte er. Er habe den Befehl erhalten, den Brief wieder mitzunehmen, falls das Schreiben sich zur Veröffentlichung nicht eigne. Andernfalls solle ich davon eine Abschrift nehmen. Das Original und den Umschlag müsse er auf jeden Fall wieder zurückerhalten. – Ich habe dann den Aufsatz gekürzt abgeschrieben, gab nachher Umschlag und Inhalt dem Boten zurück, der sich sofort empfahl. – Das ist die volle Wahrheit.“
„War der Aufsatz mit Tinte geschrieben?“ fragte Harst nun, indem er sich erhob und mit gesenktem Kopf auf und ab schritt.
„Ja. Adresse und Schreiben mit Tinte in verstellter Handschrift.“
„Ah – verstellt! – Natürlich englische Sprache. Wie war der Stil?“
„Fließend.“
Harst war vor dem Bambusstuhl stehen geblieben, auf dem der Bote gesessen haben sollte. Er wandte uns den Rücken zu, sagte nun:
„Sind Sie Nichtraucher, Mr. Pongardy? – Ich vermisse auf Ihrem Schreibtisch einen Aschbecher.“
„Allerdings – fanatischer Nichtraucher,“ lächelte der Redakteur, der offenbar froh war, daß Harst einen so gemütlichen Ton anschlug.
„Gestatten Sie, daß ich rauche?“ meinte Harst und setzte sich auf den Bambusstuhl, schlug die Beine übereinander und holte dann sein Zigarettenetui hervor, als Pongardy eifrig „Aber bitte sehr!“ gerufen hatte.
Ich war jetzt aufmerksam geworden. Ich merkte, daß Harst auf ein besonderes Ziel lossteuerte. Die Frage nach „Nichtraucher“ war die Einleitung gewesen, sagte ich mir, da ich meines Freundes Arbeitsmethode ja genügend kenne.
Harst blies Rauchringe.
„Heute früh ist dieses Zimmer wohl bereits gereinigt worden?“ fragte er nach einer Weile.
Pongardy machte ein erstauntes Gesicht.
„Nein. Es wird erst mittags gereinigt,“ erklärte er dann. „Dürfte ich vielleicht wissen weshalb Sie dies interessiert, Mr. Harst?“
„Gewiß. Ich sehe da auf dem Bastteppich Zigarettenasche verstreut. Da Sie nicht rauchen, fragte ich mich, ob hier denn noch nicht ausgefegt sei. Oder – Sie haben heute schon einen rauchenden Besucher gehabt.“
Pongardys Mienen verrieten, daß er Harst für so etwas „komisch“ hielt. Er entgegnete jedoch höflich:
„Heute war noch niemand bei mir. Die Asche muß von der Zigarette des jungen Birmanen herrühren, der den Brief brachte. Der Bursche hatte eine Zigarette im Mundwinkel, als er hier eintrat.“
„Kommen wir auf den Artikel zurück,“ meinte Harst. „Ich will der Anregung des unbekannten Verfassers Folge leisten. Sie können in Ihrem Blatte veröffentlichen, daß ich mich um die Malcapier nicht weiter kümmern und morgen früh Rangun mit meiner Jacht verlassen werde. Ich bitte Sie aber im übrigen, Einzelheiten dieses meines Besuches hier bei Ihnen für sich zu behalten. Ich darf wohl hoffen, daß Sie diesem Wunsche unbedingt nachkommen.“
„Selbstverständlich, Mr. Harst. Selbst meinen Kollegen werde ich nur mitteilen, daß Sie mir die Bekanntgabe der eben erwähnten Entschließungen gestattet haben.“
Harst fiel die Zigarette auf die Dielen und rollte unter den Stuhl. Er bückte sich, kniete halb und hob sie auf, warf sie dann zum offenen Fenster hinaus, nachdem er die Glut ausgedrückt hatte.
„Wir werden dann nicht weiter stören, Mr. Pongardy,“ sagte er und reichte dem Redakteur die Hand. „Leben Sie wohl. Ich freue mich, Sie und Ihren Arbeitsraum kennen gelernt zu haben.“
Pongardy dienerte. „Es war mir eine große Ehre, Mr. Harst –“ –
Als wir dann unten auf dem Soolay-Platz standen, als Harst sich eine frische Zigarette anzündete, sagte er leise:
„Mein lieber Alter, dieser Pongardy sollte ahnen! – Ja, ja – man soll nicht mit dem Feuer spielen, wenn man ungeschickt ist. Man verbrennt sich sonst die Finger.“
Er schob seinen Arm in den meinen. Wir schritten den Anlagen zu, von denen die in der Mitte des Platzes sich erhebende Soolay-Pagode[7] umgeben ist.
„Was heißt das: Finger verbrennen?“ fragte ich. „Und weshalb Dein Interesse für die Zigarettenasche auf dem Bastteppich?“
„Hm – Besinne Dich mal: Eugenie Malcapier ist leidenschaftliche Raucherin.“
Plötzlich ging mir ein Licht auf.
„Du argwöhnst, daß die Malcapier der birmanische Bote war, der den Brief Pongardy brachte!“ sagte ich eifrig. „Leugne es nicht. Du –“
„– Ich leugne ja gar nicht! Sie ist nicht nur der Bote gewesen, sondern hat auch das Schreiben verfaßt, vermute ich.“
„Ja –, die verstellte Handschrift und die ganzen Begleitumstände!“ nickte ich zustimmend.
„Besonders der Umstand, daß der Bote das Schreiben zurückforderte und – der Inhalt!“ ergänzte Harst mit Nachdruck. „Dieser Inhalt, der doch die verschleierte Absicht darstellt, die öffentliche Meinung gegen mich mobil zu machen und mich zu zwingen, meine Tätigkeit hier einzustellen,“ fuhr er fort. „Es ist das ein sehr schlauer Schachzug, ohne Frage. Ich werde Gleiches mit Gleichem vergelten und – noch schlauer sein, nämlich abreisen und –“
„– wiederkehren!“ vollendete ich. „Ich verstehe Dich jetzt. Nur eins verstehe ich nicht: Weshalb Dein Interesse für die Zigarettenasche?“
„Weil unter dem Bambusstuhl ein Zigarettenstummel lag. Als ich ihn bemerkte, als ich sah, daß Pongardy Nichtraucher sein müßte, dachte ich: Vielleicht hat der „Bote“ geraucht, der doch dort gesessen hatte. Meine Fragen klärten die Sache völlig: der Zigarettenstummel war von dem „Boten“ zurückgelassen worden. Ich hob ihn nachher auf, als ich meine Zigarette fallen ließ. Man soll selbst derartigen Kleinigkeiten wie einem Zigarettenstummel Beachtung schenken.“
„Allerdings. Unsere früheren Erlebnisse bestätigen das. – Aber – was sollte die Redensart vom „Finger verbrennen“? Galt sie Pongardy?“
„Nein – dem Verfasser des Schreibens – oder der Verfasserin! – Doch – jetzt still davon! Da kommt Inspektor Chatarsan auf uns losgeschossen. – Morgen, Chatarsan! Na – haben Sie irgend eine Spur unseres schönen Flüchtlings Eugenie entdeckt?“
„Nichts – nichts! Leider! – Sie etwa?“
„Ich? – Ich reise morgen ab. Der Artikel in der Expreß Post hat mir die Arbeitslaune verdorben.“
Chatarsan, der kleine Ranguner Detektivinspektor, brummte: „Ja, das Geschreibsel ist eine Frechheit. – Wollen Sie mich denn wirklich im Stiche lassen? Gestern versprachen Sie –“
„Gestern! – Heute sage ich Ihnen lebewohl. Morgen früh bin ich nach Kalkutta unterwegs. Es bleibt dabei.“
Chatarsan war untröstlich. „Den Zeitungsschreibern die Pest in den Hals!“ schimpfte er. „Nun kann ich zusehen, wo und wie ich dieses Weib unschädlich mache, das längst baumeln müßte – längst!“
Um 12 Uhr waren wir wieder an Bord des Standard und setzten uns in den kleinen Salon, wo Harst nun den Zigarettenstummel aus der Tasche zog.
Es war dies der Rest einer selbstgedrehten Zigarette, wie man auf den ersten Blick sah. Der Stummel war etwa 2½ Zentimeter lang. Das zu der Zigarette benutzte Papier hatte eine gelbliche Färbung. Das Mundende des Stummels war breit gedrückt; ein paar Fasern des Tabaks ragten ein Stück heraus. Das andere, angekohlte Ende war merkwürdig platt. Als Harst jetzt mit einer Stecknadel in den schwarzen Aschenteilchen herumstocherte, löste sich ein kleines Etwas ab, das sich, nachdem es abgespült worden war, als – der Unterteil eines winzigen Druckknopfes entpuppte, wie Damen ihn für Blusen und anderes verwenden.
„Nun wissen wir ja, weswegen die Zigarette nicht aufgeraucht wurde,“ meinte Harst. „Sie ist infolge des metallnen Fremdkörpers im Tabak ausgegangen, und dann hat die Raucherin den Rest unter den Stuhl geworfen.“
Er wickelte den halben Druckknopf in ein Stückchen Papier und verwahrte ihn in seinem Taschenbuch, wobei er erklärte: „Einer Raucherin, die sich die Zigaretten selbst dreht, kann es leicht zustoßen, daß so ein halber Druckknopf in den Tabak gerät; bei einem Raucher dürfte dies seltener vorkommen. Also wieder ein kleiner Beweis, daß der birmanische Bote unsere verkleidete Eugenie gewesen sein dürfte.“
Er nahm nun sein Federmesser und schnitt das Papier des Stummels der Länge nach auf, schüttete den Tabak auf eine Zeitung und strich das Stückchen Zigarettenpapier glatt.
„Ah – ein Stempel!“ rief ich, denn ich hatte etwas derartiges auf der Innenseite des viereckigen Papierstückchens bemerkt.
„Ein Stempel – ganz recht!“ meinte Harst. „Sieh – es ist eine Kreislinie von bläulicher Farbe in der Größe eines Fünfpfennigstücks, darin das Bild zweier rechtwinklig übereinander liegender –, hm, was soll’s nun sein? Krokodile, Molche, Eidechsen? – Ich behaupte, es sind Eidechsen!“
Ich beschaute mir den Stempel ganz genau. „Die Zeichnung ist zu verschwommen,“ erklärte ich. „Es können ebenso gut Krokodile sein.“
Harst lachte. „Können sein! – Wie großzügig Du bist. Oder – wie wenig sorgfältig!“
„Was kommt es auf das Firmenzeichen der Fabrik des Zigarettenpapiers an?!“ sagte ich achselzuckend.
„Hm –!“
Dieses „Hm!“ Haralds hatte ich schon so oft gehört, stets bei wichtigen Anlässen, daß es für mich stets wie etwa: „Hast Du eine Ahnung!“ klang. Ich blickte ihn denn auch erwartungsvoll an, fragte kurz:
„Kein Firmenzeichen?“
„Wie man’s nimmt, mein Alter! – Gut, einigen wir uns auf „Firmenzeichen“. – Rufe jetzt mal Weber herbei. Er soll Proviant für die Reise nach Kalkutta besorgen.“
Die Untersuchung des Stummels schien also beendet zu sein. Ich ging an Deck, schickte Kapitän Weber zu Harst und setzte mich unter das Sonnensegel. Nach einer Weile erschien Harst und erklärte, er wolle in der Stadt noch einiges einkaufen. – Wohin ihn diese Einkäufe führten, hörte ich erst später. –
Am folgenden Morgen um 7 Uhr schwammen wir schon auf dem Rangun-Flusse. Lustig ratterten die Motoren der Jacht, und noch lustiger pfiff Matrose Kersten beim Putzen der Messingteile des Decks einen Marsch.
Es war bereits glühend heiß. Der Luftzug auf Deck milderte jedoch etwas diese echt tropische Hitze. Der Rangun-Fluß mit seinem gelbbraunen Wasser und den dicht bewaldeten Ufern ist unterhalb der Stadt stellenweise tausend Meter breit. Die Fahrrinne verläuft sehr unregelmäßig. Als wir dem Ostufer uns wieder einmal näherten, rief Kersten plötzlich:
„Dort – ein sinkendes Frachtboot! Die Leute winken!“
Harst, der neben Weber am Steuerrade stand, fügte hinzu: „Tatsächlich – das Boot liegt schon ganz schief! Ran mit uns! Es sind auch Weiber oben!“
Das Frachtboot war eines jener plumpen, großen Fahrzeuge mit Mattensegeln, wie sie den Verkehr zwischen den Dörfern am Rangun und der Stadt vermitteln. Diese Boote haben Verdeck, zwei Masten und meist ein Bambushäuschen auf dem Achterdeck. – Ich zählte fünf Personen, drei Männer und zwei Weiber. Es waren Birmanen. Die Männer trugen die übliche, abgebundene Scheitellocke, und die Weiber das straffe, schwarze Haupthaar frei herabhängend.
Das Boot sank sehr schnell. Als wir es erreichten, bespülte das Wasser schon die niedrige Backbordreling. Die Leute darauf brüllten vor Angst. Einer der Männer bat dann in miserablem Englisch, wir möchten das Boot doch schnell ans Ufer schleppen; es sei sein einziger Besitz, und er würde arm werden, wenn es mit der Ladung Ölfässer sinke.
Im Nu war dann eine Schlepptrosse angebracht, und der Standard zog das Boot nun in voller Fahrt dem nahen Ostufer zu, wo hinter einer Landzunge ein guter Platz vorhanden war, es auf Grund zu setzen. Dies gelang Kapitän Weber auch. Hier hinter der gekrümmten, bewaldeten Landzunge ereignete sich dann der Auftakt zu den späteren Geschehnissen.
Unsere Jacht lag Bord an Bord mit dem Frachtboot, das schief auf Grund festsaß. Die Matrosen Ewald und Kersten holten gerade die Schlepptrosse ein, als der Birmane, mit dem Harst sich unterhielt, diesem wie eine Katze an die Kehle sprang. Gleichzeitig warf mir eines der Weiber mit erstaunlicher Geschicklichkeit einen kurzen Bootshaken gegen die Brust. Hätte ich nicht das Fernglas vor der Brust am Riemen hängen gehabt, wäre ich vielleicht durch die eiserne Spitze für lange Zeit erledigt gewesen. So aber taumelte ich von dem Stoß nur nach rückwärts, verlor das Gleichgewicht und schlug lang hin. Ehe ich wieder hoch kam, hatten sich schon zwei, drei Kerle auf mich gestürzt. Einer preßte mir die Kehle zu, und im Nu war ich dann mit auf den Rücken gebundenen Händen unter Deck in den Wohnsalon gezerrt, wo Harst bereits von dem braunen Gesindel kunstgerecht auf einem Sessel festgeschnürt wurde. Mir erging es genau so. Nach einer Weile wurden dann auch Weber und unsere drei übrigen Leute hereingebracht und genau so auf Sesseln festgebunden.
Nicht weniger als vierzehn Birmanen zählte ich jetzt. Also war der größere Teil der Schufte in dem Bambushüttchen verborgen gewesen, und das Ganze war nichts als ein schlau berechneter Anschlag auf uns und unsere Jacht. –
Bevor ich den weiteren Verlauf dieses Flußpiratenstückchens schildere, möchte ich noch einschalten, daß die Birmanen als Buddhisten (der Buddhismus, die Verehrung des Gottes Buddha, ist neben dem Brahmanismus[8] die Hauptreligion in Indien und im ganzen östlichen Asien) überaus abergläubisch, dabei noch recht feige sind. Ihnen fehlt zum Beispiel vollständig jene tollkühne Todesverachtung, die die Malaien auszeichnet und einst zu gefährlichen Seeräubern machte. Dabei muß man die Birmanen alles in allem trotz ihrer geringen Körpergröße als hübschen Menschenschlag bezeichnen. Wenn sie geistig regsamer wären, könnten sie bei ihrer Ausdauer und Geduld in ihrem Lande eine ganz andere Rolle spielen. So aber liegt der ganze Großhandel ausschließlich in den gierigen, betrügerischen Händen von schlauen Chinesen und in denen von großzügigen Engländern und anderen Europäern. Der Birmane selbst ist lediglich Arbeitstier und vegetiert in einem dumpfen Fremdenhaß dahin wie die meisten anderen indischen, von England unterworfenen Völker.
Diesen stillen Haß bekamen wir sechs Deutschen jetzt genügend zu spüren. Unsere Überwinder benahmen sich vor Freude über den unblutigen Sieg wie die Idioten, tanzten höhnend vor uns herum, schnitten uns wie ungezogene Kinder allerlei Fratzen und beschimpften uns in einer Weise, die mehr lächerlich als verletzend wirkte.
Mich wunderte es, daß Harst sich durch diese Flut von Schimpfwörtern so in Wut bringen ließ. Dann aber merkte ich, daß er die gelbbraune Bande absichtlich noch mehr reizte. Er wollte fraglos dadurch erreichen, sie sollten in ihrer Erregung Dinge ausplaudern, die sie sonst wohl verschwiegen hätten.
Harst saß dicht neben mir. Dann kamen der Reihe nach Weber, Ewald, Jürgensen und Kersten. Wir bildeten nun um den Mitteltisch herum eine Kette, deren Enden sozusagen Harst und Kersten vorstellten. Fritz Kersten, der vielseitige, gerissene Berliner, hatte seinen Platz gerade gegenüber der zweiten Tür des Wohnsalons, die in den Gang zu den Kabinen führte. All dies ist wichtig, wie der Leser bald erkennen wird.
Der Anführer dieser Flußpiraten war offenbar derselbe alte, runzlige Kerl, der uns so flehentlich gebeten hatte, sein Boot aufs Trockene zu schleppen. Die anderen nannten ihn Pi-Mano und schienen großen Respekt vor ihm zu haben. Dieser Pi-Mano trug einen vor Jahren sauber gewesenen Anzug aus starker Leinwand und sogar eine Weste, deren Knöpfe sämtlich ungleich waren. Neben großen Zierknöpfen erblickte man da gewöhnliche Hornknöpfe; sogar eine Platte von einem Manschettenknopf hatte Herr Pi-Mano sich angenäht. Auf diesen Alten hatte Harst es mit seinen aufreizenden Entgegnungen besonders abgesehen. Wenn ein Mann von Haralds Intelligenz jemand beschimpfen will, so vermag er dies weit besser als so ein armseliger Eingeborener, der das Englische noch nicht einmal fertig spricht. So kam es denn auch, daß Herr Pi-Mano sehr bald förmliche Wutanfälle bekam. Bei einem dieser Anfälle trat er dann ganz dicht vor Harst hin, schüttelte die Fäuste und brüllte:
„Hund von einem German (Deutschen), Du wirst sehr bald in zwei Hälften zerschnitten. So hat’s die Lapo Tau-Tau beschlossen.“
Ich beobachtete Harst. Er hielt den Kopf gesenkt und starrte angestrengt auf Pi-Manos Westenknöpfe. Dann sagte er, plötzlich in gleichgültigstem Tone:
„Genug davon. Wir wollen jetzt vernünftig mit einander reden, Pi-Mano. Ich bin sehr reich. Ich werde Dir 1000 Pfund geben, wenn Du uns frei läßt. Das kann Dir die Lapo Tau-Tau nie bezahlen.“
Der Alte lachte schrill auf.
„Und wenn Du 100 000 Pfund bietest, wirst Du doch getötet. Ihr alle müßt sterben. Euer Blut wird das Holzmehl färben, und Eure Seelen werden hinabfahren zu den bösen Geistern! – Was weißt Du weißer Mörder von der Macht der Lapo Tau-Tau?! Nichts – nichts!“ Er grinste höhnisch-überlegen „Du wirst die Lapo Tau-Tau sehen, aber erst, wenn Dein Fleisch und Deine Knochen auseinanderfallen wie wie –“ Er konnte den Satz offenbar nicht recht beenden.
„Wie – die Bretter eines Baumstammes,“ sagte Harald da. „Ich kenne Rangun. Es besitzt gegen 50 Schneidemühlen, und die Lapo Tau-Tau hat uns den Tod durch ein Sägegatter zugedacht.“
Der alte Kerl riß den Mund auf.
„Woher – woher –“ stammelte er, konnte aber nicht noch mehr hinzufügen, da mit einem Male von der zweiten, der Gangtür her ein dumpfer Ruf erscholl:
„Pi-Mano! Hörst Du mich?“
Die Tür war etwa eine Handbreit offen. Sämtliche Köpfe flogen nun herum. Die Stimme hatte so unheimlich tief geklungen, hatte in der Tat etwas Unwirkliches an sich.
Der Alte stierte auf die Türspalte, fragte kurz:
„Wer ist da?“ Er benutzte seine englischen Sprachkenntnisse, da auch der Anruf auf englisch erfolgt war.
Als Antwort kam sofort ebenso dumpf zurück:
„Ich bin’s, die Lapo Tau-Tau!“
Pi-Mano spielte den Mutigen und Klügeren.
„Das ist nicht wahr. Die Lapo Tau-Tau bist Du nicht. Sie ist weit weg von hier.“ Dann ging er und stieß die Tür auf. In dem kurzen Gange, der zu jeder Seite zwei Kabinentüren und geradeaus eine niedrige Tür zur Schiffsküche hatte, war kein Mensch zu sehen.
Der Alte befahl jetzt seinen Leuten, die Kabinen zu durchsuchen. Sie taten’s, durchstöberten auch die kleine Küche und kamen mit sehr langen, ängstlichen Gesichtern in den Wohnsalon zurück.
Pi-Mano zog die Gangtür ins Schloß. Auch er war unsicher geworden, stellte sich nun wieder vor Harst hin und meinte:
„Wir warten hier nur noch auf die Simlo Tau-Tau. Dann werdet Ihr alle an Land geschafft und bis zum Abend gut verborgen. Und dann –“
Da – abermals von der Gangtür derselbe Anruf. Es mußte jemand dahinter stehen.
„Pi-Mano! Hörst Du mich?“ ertönte es noch dumpfer, aber gut verständlich.
Der Birmane war mit einem Satz an der Tür, riß sie auf.
Nichts. Keine lebende Seele!
Er schloß sie, – sehr langsam, blickte seine Genossen fragend an, sah aber nur ängstliche Gesichter und winkte die ganze Bande in eine Ecke, wo die Leute scheu miteinander flüsterten.
Schon wieder derselbe Ruf – genau dieselben Worte.
Der Alte zauderte, näherte sich der Tür und fragte:
„Bist Du es wirklich, Lapo Tau-Tau?“
„Ich bin’s! Wenn Du nicht gehorchst, werde ich Dich bestrafen. Nimm Mr. Harst sofort die Fesseln ab und schicke ihn hier zu mir. Ich habe mit ihm zu reden.“
Da erst kam mir die Erleuchtung! Da erst! – Ich schaute unauffällig zu unseren Berliner hinüber, zu Fritz Kersten mit dem krausen Vollbart und dem dicken Schnurrbart, der den Mund völlig verdeckte. Und – Kerstens Lippen bewegten sich kaum merklich. Er – er war diese geheimnisvolle Lapo Tau-Tau, von der ich noch nie etwas gehört hatte! Desto öfter hatte ich aber Fritz Kersten als – Bauchredner ehrlich angestaunt, der tatsächlich diese seltsame Kunst in der Vollendung beherrschte. –
Pi-Mano gehorchte, wenn auch zaudernd, löste Harsts Stricke und sagte dabei:
„Die Lapo Tau-Tau will es!“ Es klang so, als wollte er ausdrücken: „Ich lehne jede Verantwortung ab!“
Jedenfalls hatte Kersten sich hier wieder überaus klug gezeigt, da dieser Befehl der angeblich im Gange verborgenen Lapo Tau-Tau lediglich Harst zu ihr zu schicken, am unverdächtigsten war.
Harst verschwand hinter der Tür. Daß er den Schwindel längst durchschaut hatte, unterlag keinem Zweifel. Ich war nun außerordentlich gespannt darauf, wie er unsere Befreiung ins Werk setzen würde. Mit Gewalt war ja für ihn als einzelnen der bewaffneten Übermacht der Piraten gegenüber nichts auszurichten. Nur List konnte hier helfen.
Die Birmanen, ebenso auch wir fünf Deutschen, ließen jetzt die Tür nicht aus den Augen, hinter der Harst angeblich mit der Lapo Tau-Tau verhandelte.
Wir hörten Harst sprechen. Es klang ganz so, als ob er sich mit jemandem unterhielte. Er täuschte dieses Gespräch geradezu glänzend vor, spielte des öfteren den Erregten, steigerte dann seine Stimme, rief einige Male auch sehr laut eine energische Verneinung, bis er dann die Zeit für gekommen hielt, mit der nächsten Nummer seines Programms sozusagen zu beginnen.
Die Gangtür öffnete sich jetzt ein wenig. Harsts Kopf wurde sichtbar.
„Pi-Mano, die Lapo Tau-Tau will Dich und meinen Freund Schraut sprechen.“
Der alte Birmane beeilte sich, auch meine Fesseln zu lösen. Wir traten in den Gang ein. Harst drückte hinter uns die Tür zu. Er tat’s mit der Linken. Mit der Rechten hielt er Pi-Mano den Selbstlader vor die Stirn. Die Piraten hatten es wohl für überflüssig erachtet, uns die Waffen wegzunehmen.
„Keinen Laut!“ flüsterte er drohend. „Wenn Du nicht blindlings tust, was wir verlangen, schieße ich Dich nieder!“
Pi-Manos Gesicht wurde erdgrau vor Schreck und Angst.
„Ich werde die Tür eine Handbreit aufmachen,“ fuhr Harst fort. „Dann schickst Du Deine Leute an Land. Sie können von dem Frachtboot aus bequem über die Sandbänke ans Ufer gelangen. Befiehl ihnen, sich irgendwo zu verbergen und sich bis auf weiteres vor niemand sehen zu lassen, bis Du zu ihnen kommst. Du wirst diese Befehle in englischer Sprache erteilen, damit ich verstehe, was Du sagst. – Nun vorwärts!“
Das weitere verlief nun ohne jeden Zwischenfall. Der Alte war fraglos viel zu beschränkt dazu, uns Schwierigkeiten zu machen. Seine Leute gehorchten ohne Widerrede. Sie räumten den Salon, und wir beobachteten dann durch die Salonfenster, wie sie an Land wateten und in den Büschen verschwanden. Pi-Mano hatte ihnen als Versteck eine leere Hütte mitten in einem nahen Wäldchen angegeben.
Wir waren also wieder frei und Herren der Jacht. Unsere vier Landsleute wollten jetzt Pi-Mano so etwas mit dem Bauchrednerkunststück aufziehen, dem wir diesen schnellen Umschwung der Lage verdankten. Aber Harst rief sofort: „Bitte – kein Wort davon, Freunde! Man kann nie wissen, ob wir Kerstens Fertigkeit nicht nochmals brauchen können.“ Er hatte deutsch gesprochen, und der Alte hatte somit nichts von dieser Warnung verstanden.
Harst begann nun ein kurzes Verhör mit ihm. Als er ihn fragte, wer die Lapo Tau-Tau sei, erwiderte der Birmane ängstlich, er wisse es nicht. Jedenfalls sei es ein Mann, der große Macht besäße.
Harst drang nicht weiter in den Alten, sondern verlangte nur noch zu erfahren, wann die Simlo Tau-Tau sich hier einfinden würde.
Pi-Mano mußte erst wieder mit dem Selbstlader bedroht werden, bevor er entgegnete: „Er kann jede Minute eintreffen. Er kommt im Boot.“
„Also war zwischen Euch ganz genau vereinbart worden, daß meine Jacht das Frachtboot hierher schleppen sollte,“ meinte Harst. „Ihr habt die Stelle gut gewählt. Diese durch die Landzunge gebildete Bucht ist vom Flusse her nicht zu überschauen, und das Land ringsum scheint wenig bewohnt zu sein. – Höre nun zu, Pi-Mano. Du wirst Dich jetzt oben auf Deck aufstellen. Ich nehme meinen Platz am Fuße der Kajütentreppe und werde feuern, wenn Du auch nur eine verdächtige Fingerbewegung machst. Du wirst dem Boote der Simlo Tau-Tau zuwinken und zurufen, daß alles in bester Ordnung sei.“
„Herr, es wird mich das Leben kosten!“ jammerte der alte Spitzbube. „Die Simlo Tau-Tau ist blutgieriger als der Tiger.“
In demselben Moment rief der Matrose Ewald, der an einem der Backbordfenster stand:
„Ein kleines, offenes Motorboot biegt um die Landzunge. Drei Leute sind darin!“
„Los – an Deck, Pi-Mano!“ befahl Harst.
Der Alte hatte sich in sein Schicksal ergeben. Die Tür nach der Treppe hin blieb offen. Harst beobachtete den Birmanen scharf, obwohl wir von seiner Seite kaum etwas zu fürchten hatten.
Das kleine Motorboot legte an der Jacht an. Wir spürten die Erschütterung und hielten uns bereit. Kersten hatte eine eichene Latte wie eine Keule in der Hand.
Pi-Mano sprach mit den Leuten im Boot. Wir konnten alles verstehen. Nun kam er die Treppe hinab. Wir hatten uns hinter der Tür zusammengedrängt. Hinter dem Alten betrat ein Malaie den Salon. Es war ein baumlanger Kerl, europäisch gekleidet. Sogar einen Leinenkragen und eine Krawatte trug dieser braune Riese.
Kaum war er zwei Schritt von der Tür entfernt, als Harst sie auch schon zuschlug. Der Malaie fuhr herum. Dann – und das ging so blitzschnell, daß wir gar nicht eingreifen konnten – riß er unter der Jacke ein Messer hervor, tat einen Satz, stieß zu – dreimal.
Der alte Birmane schrie gellend auf, taumelte, sank in die Knie.
„Die beiden im Boot!“ rief Harst mahnend. Wir stürzten an Deck. Kersten als erster. Zwei Hiebe mit der schweren Latte, und die beiden Bootsinsassen knickten bewußtlos zusammen. Es waren Birmanen und noch jüngere Leute.
Da – aus dem Wohnsalon ein Pistolenschuß – noch einer! – Kapitän Weber, Jürgensen und ich rasten schon wieder die Treppe hinab. Mitten im Salon stand der Malaie mit hochgereckten Armen. Zu seinen Füßen lag der tote Pi-Mano. Des Riesen Rechte blutete stark. Das Blut lief ihm in den Ärmel. Harst hatte ihm das Messer aus der Hand schießen müssen und ihm dann noch eine Kugel durch den Oberarm gejagt. Der Bursche war anders nicht zu bewältigen gewesen. Er schäumte jetzt vor Wut. Seine schwarzen Augen waren weit aufgerissen.
„Fesselt ihn!“ befahl Harald. „Bindet ihm auch ein Tuch über das Gesicht!“
Es geschah. – Kapitän Weber holte Verbandzeug und stillte die Blutung der beiden Schußwunden.
Wir alle, Harst ausgenommen, befanden uns in hochgradiger Erregung. Die Ermordung des alten Birmanen und die Szene hier im Wohnsalon, diese wilde, haßsprühende Wut des Malaien, der blutige Teppich und all das andere hätten wohl auch den Phlegmatischsten aufgerüttelt.
Weber trocknete sich den Schweiß von der Stirn.
„Donner noch eins!“ meinte er. „Ich habe doch schon so manches erlebt. Aber in Ihrer Gesellschaft Herr Harst, – da geht’s, scheint’s, stets recht aufregend zu!“
Harst beugte sich über den Malaien, der auf einem Sessel festgebunden worden war. Ich glaubte, er würde ihn ausfragen. Aber nach ein paar Sekunden richtete er sich wieder auf und erklärte:
„Wir können die Fahrt fortsetzen. Die Leiche Pi-Manos bringen wir in die Hütte des Frachtbootes. – Jürgensen fassen Sie bitte mit an!“
Inzwischen hatte Kersten die beiden bewußtlosen Birmanen gefesselt. Als der Tote in die Bambushütte des gesunkenen Kahnes gelegt worden war, schickte Harst den Maschinisten Jürgensen auf die Jacht zurück.
„Macht nur alles zur Weiterfahrt fertig,“ sagte er. „Schraut und ich wollen uns hier nur noch genauer umsehen.“
So waren wir denn allein in dem mit Gerümpel aller Art halb gefüllten Deckhäuschen. Ich hatte Harst so manches zu fragen, und diese Gelegenheit schien mir dazu günstig. Während er neben dem Toten kniete und dessen Kleider durchsuchte, begann ich etwas zögernd, denn ich fürchtete mich mit dieser ersten Frage zu blamieren:
„Dürfte diese Lapo Tau-Tau, die ein Mann sein soll, nicht Eugenie Malcapier heißen?“
„Wie sonst? Natürlich ist’s unsere vielgestaltige Feindin. – Weißt Du, was die birmanischen Wörter Lapo und Simlo bedeuten? – Nun – Lapo bedeutet „groß“, und Simlo „klein“. Es gibt also eine „große“ und „kleine“ Tau-Tau. Was Tau-Tau ist, muß Dir bekannt sein.“
„Allerdings. Wie sollte ich auch wohl schon das Eidechsen-Problem unseres vorigen Abenteuers vergessen haben! Tau-Tau ist eine gelbschwarze Rieseneidechse.“
„Ganz recht. Mithin existiert eine große und eine kleine Eidechse; also zwei Menschen, die unter diesem „Titel“ in hiesigen Verbrecherkreisen hohes Ansehen besitzen. Und diese Verbrecherkreise dürften keine willkürliche Anzahl von Personen sein, sondern eben eine Filiale jenes Geheimbundes, dem man in den indischen und indochinesischen Hafenstädten längst auf der Spur ist, ohne ihn jedoch unschädlich machen zu können. Man könnte von einem Eidechsen-Bunde sprechen. Wenn Du Dir nun vergegenwärtigst, wie der „Firmenstempel“ des Zigarettenpapiers aussah, das wir zusammen als zu jenem Zigarettenstummel gehörig besichtigten, dann –“
„Ah – ich verstehe: den Stummel ließ die verkleidete Eugenie im Redaktionszimmer zurück. Der Stempel zeigte zwei übereinander liegende Eidechsen. Und von Pi-Mano hörten wir nun die Bezeichnungen große und kleine Eidechse, was so viel heißen kann, wie „erster“ und „zweiter“ Führer des Bundes. Also wieder stoßen wir hier auf „Eidechsen“. Da darf man wohl mit Recht sagen: wir sind der Verbrecher-Gesellschaft[9] dicht auf den Fersen.“
Harst schaute sich gerade eine Zigarette an, die der alte Birmane in einem Blechschächtelchen bei sich getragen hatte.
„Hm,“ meinte er, „es ist dasselbe gelbliche Zigarettenpapier und auch eine selbstgedrehte Zigarette! Sehr merkwürdig! Sehen wir nach, ob das Papier ebenfalls den blauen Firmenstempel trägt, den Stempel der Eidechsen-Verbrecher-Firma!“ Er war plötzlich angeregt und lebhaft. Fraglos witterte er hier eine neue Spur.
Er schnitt die Zigarette auf, schüttete mir den Tabak in die Hand.
„Wahrhaftig – der Stempel!“ rief er leise. „Und – hier stehen noch ein paar Zeichen, darunter so etwas wie eine Skizze, ein Achteck darstellend, darin acht Häkchen. – Hm – hm, dies bestätigt meine Vermutung, daß die Malcapier schon wieder einen großen Streich plant, bei dem sie es diesmal auf etwas abgesehen hat, das vielleicht, nein, ganz bestimmt, einzig in seiner Art ist.“
Ich nahm ihm das Blättchen Zigarettenpapier ab.
„Aber die Zeichen?“ fragte ich. „Was sollen die wohl bedeuten? Es sieht so aus, als ob –“
„Ja – als ob es die Umrisse dreier Buddhastandbilder sind, von denen die beiden ersten durch einen Strich –“ Ich suchte nach einem passenden Ausdruck.
„– ungültig gemacht sind,“ ergänzte Harald rasch. Ich schaute ihn an. Seine grauen Augen strahlten.
„Mein Alter,“ flüsterte er jetzt, „diesmal fangen wir sie – ganz bestimmt! Und dann wird Rangun und die ganze buddhistische Welt mich preisen, dann wird man es mir glauben, daß nur unsere Eugenie den Artikel für die Expreß Post geschrieben hat, diesen unvorsichtigen Artikel, in dem sie bereits andeutete, was – Doch, lassen wir das jetzt. Den größten Teil der Geheimnisse des Eidechsen-Bundes kennen wir schon. Wir wissen, daß die Mitglieder sich harmloser Zigaretten zur Weitergabe von Befehlen bedienen. Pi-Manos Zigarette hier ist ein solcher Befehl. Und weiter: der Tote trägt auch das Erkennungszeichen des Bundes an sich! – Da – bücke Dich, besieh Dir die Knöpfe seiner Weste! Der zweite von unten ist’s! Erkennst Du die eingravierten und vergoldeten Eidechsen auf dem runden, flachen Ding? – Nun – die blutgierige Simlo Tau-Tau trägt an der Jacke genau denselben Knopf! Das besagt genug, denke ich!“
Ich kniete schon neben der Leiche. – Was hatte Harst nur für Augen! Niemals wäre es mir eingefallen unter all den bunten, verschiedenen Westenknöpfen Pi-Manos nach einem einzelnen zu suchen, der Ähnlichkeit mit dem „Stempel“ haben könnte.
Wirklich – da war dieser Knopf, dieses Erkennungszeichen! Und – wie schlau ersonnen war es! Es fiel so gar nicht auf. Man konnte es offen tragen und brauchte doch nicht zu fürchten, daß es Verdacht erregen könnte.
„Bemerktest Du den Knopf zufällig, Harald?“ fragte ich und stand wieder auf.
„Zufällig?! – Leute wie wir sollten das Wort Zufall aus ihrem Lexikon streichen! – Ich hatte einfach wie stets die Augen überall. Ich sah den Knopf von weitem. Die Gravierung war so eigenartig. Deshalb starrte ich auch im Wohnsalon Pi-Manos Weste so interessiert an. Dann genügte ein Blick. – Gehen wir jetzt, mein Alter. Vergiß nicht, daß morgen der letzte der drei großen buddhistischen Feiertage ist, die in Rangun unter so ungeheurem Zulauf von Pilgern begangen werden. Es ist schade, daß wir uns das Treiben an der Schwe Dagon-Pagode nicht angesehen haben. Dort spielt sich der Hauptakt der drei Feiertage ab. Diese Pagode ist ja weit und breit das größte Heiligtum der Buddhisten.“
Ich wurde aufmerksam. Er hatte beide Male das „drei“ so merkwürdig betont. Wir standen jetzt auf dem vom Wasser halb bespülten Deck des gesunkenen Frachtbootes. Ich schaute Harst forschend ins Gesicht. Und er – er lächelte ein wenig.
Drei buddhistische Feiertage! Drei! Und – drei Umrisse von Buddha-Statuen enthielt das Blättchen Zigarettenpapier. Die ersten beiden waren durchstrichen, ungültig! – Ich begriff plötzlich. Ich packte Harsts Arm, drückte ihn.
„Du – die dritte Buddha-Statue, die noch „gültige“, bedeutet den dritten Feiertag, also morgen!“ erklärte ich überstürzt. „Morgen will die „große Eidechse“ etwas ausführen, – etwa eben den Streich, von dem Du sprachst!“
Er nickte nur, sagte aufmunternd: „Gut so! Und weiter?“
„Weiter?“
„Nun ja. Wogegen wird sich der Streich richten?“
Ich sann angestrengt nach.
„Denke mal an den Artikel in der Ranguner Expreß Post,“ half mir Harald nach einer Weile. „Da stand folgendes: „Wenn es ihr – der Malcapier – jetzt einfallen würde – dies nur im Scherz gesagt! – etwa die acht Haupthaare Buddhas aus der Schwe Dagon-Pagode zu rauben –“ – Dies, mein Lieber, hat doch die Malcapier bekanntlich selbst geschrieben. Und – es ist kein Scherz! Nein, ganz im Gegenteil! Schon gestern, als ich Euch den Aufsatz vorlas, stieg in mir der Verdacht auf, unsere Eugenie könnte diesen Diebstahl tatsächlich planen und wollte durch diese Sätze in dem Artikel so etwas wie einen höhnisch-überlegenen Witz, an meine Adresse gerichtet, machen. Jetzt weiß ich: sie wird tatsächlich versuchen, den goldenen Schrein zu entführen, in dem die acht Kopfhaare Buddhas aufbewahrt werden. Auf dem Zigarettenpapier-Befehl erkennt man ja ein Achteck, darin acht Häkchen. Diese Häkchen – sind die kostbaren Reliquien, sind die Haupthaare des Gottes Buddha! Pi-Mano war also fraglos in den Plan eingeweiht. Nur der Tag, an dem der Raub ausgeführt werden sollte, war noch nicht genau bestimmt, bis ihm dann das gestempelte Papier die Weisung gab, sich für den dritten Feiertag bereit zu halten.“
„Harald – Harald, – ein solcher Diebstahl – unmöglich!“ stammelte ich.
Er lachte kurz auf. „Nicht für die Malcapier, mein Alter! – Allerdings – auch mir ist noch unklar, wie sie diesen Streich glücklich zu erledigen gedenkt. Ich bin gespannt, was sie da ersonnen hat. Wir werden schon dahinter kommen.“
Wir stiegen nun auf den Standard hinüber, der dann sofort weiter der Mündung des Rangun-Flusses zulief.
Im Wohnsalon befanden sich die drei gefesselten Insassen des kleinen Motorbootes, das wir ins Schlepptau genommen hatten. Die beiden von Kersten niedergeschlagenen Birmanen waren wieder zu sich gekommen. Die Simlo Tau-Tau, der malaiische Riese saß noch mit verhülltem Gesicht gefesselt auf demselben Sessel.
Harst deutete jetzt schweigend auf den einen der Jackenknöpfe dieses „blutgierigen Tigers“, wie Pi-Mano ihn bezeichnet hatte. Ich schaute genau hin. Es war derselbe Knopf, dieselbe vergoldete Gravierung.
Harst nahm ihm nun das Tuch ab. Die jetzt vor maßloser Wut rot geäderten Augen des Malaien schienen mit ihren giftigen Blicken töten zu wollen.
„Gib mich frei, Du Hund!“ sprudelte der Mensch hervor. „Du ahnst nicht, mit wem Du es hier zu tun hast! Ich werde Dich vernichten! Ihr alle werdet den Tod erleiden, den wir Euch zugedacht hatten!“
„Ich weiß!“ nickte Harald gemütlich. „Ich weiß! Wir sollten durch eine Säge in einer Schneidemühle zerschnitten werden, nachdem man uns an einen Baumstamm gebunden hatte. Es wäre ein sehr ungemütliches Ende gewesen, ohne Frage! Aber – die Lapo Tau-Tau wird sich noch etwas gedulden müssen!“
Der Malaie konnte sein bestürztes Erstaunen kaum verhehlen.
„Du – Du phantasiert!“ sagte er unsicher. „Und – was redest Du da von einer Lapo Tau-Tau?! Hat etwa Pi-Mano auch das verraten?“
„Nichts hat er verraten – nichts! Eugenie Malcapier dürfte Dir wohl erzählt haben, daß ich so ein wenig mehr kann als andere Leute. Mir genügt es, wenn ich zwei Eidechsen-Knöpfe bemerke!“
Des Malaien Gesicht verzerrte sich. Er wurde wieder erdfahl. Aber – sein Blick suchte jetzt den Boden. –
Harst winkte Ewald und Kersten und ließ die drei Gefangenen in einen festen Verschlag tragen, nachdem er ihre Fesseln nochmals untersucht hatte.
Über die Lage und die Bauart der birmanischen Hafenstadt Rangun habe ich bereits in der vorigen Erzählung alles Nötige gesagt. Der Leser wird sich weiter auch auf den Namen Chatarsan besinnen, den ich zu Anfang dieses Abenteuers nur flüchtig erwähnen konnte. – Detektivinspektor Chatarsan war der Abschied von uns sehr schwer geworden. Dies lag wohl weniger daran, weil er uns besonders ins Herz geschlossen hatte, als vielmehr an seiner Überzeugung von seiner eigenen Unzulänglichkeit einer Gegnerin wie Eugenie Malcapier gegenüber. –
Es war abends gegen zehn Uhr an demselben Tage. In Chatarsans Arbeitszimmer in der Polizeidirektion brannte noch Licht. Der kleine Inspektor saß vor seinem Schreibtisch, rauchte eine lange, grünbraune Sumatra und zergrübelte sich den Kopf, wie und wo er Eugenie Malcapier fangen könnte. Vor ihm lag die neueste Nummer der Ranguner Expreß Post. Darin stand eine Notiz, daß Harald Harst die Verfolgung der „hochintelligenten, vielseitigen und äußerlich so sehr anziehenden“ Verbrecherin endgültig aufgegeben hätte und daß es nunmehr Sache der Behörden sei, die Frau auf irgend eine Weise unschädlich zu machen.
Der kleine Chatarsan seufzte. Diese verdammten buddhistischen Feiertage mit ihrem Pilgerzulauf! Das gab stets eine Masse Arbeit! – Nun – wenn es sich um so kostbare Weihgeschenke handelte, mußte er die Kerle wohl anhören.
Gleich darauf traten die beiden Pilger ein. Es waren keine reinblütigen Birmanen, sondern Leute aus den Bergen, – zwei ältere Männer mit grauen Bärten, bestaubten, zerrissenen Kleidern und turbanähnlichen Kopftüchern.
Der Polizist, der sie hergeführt hatte, wartete an der Tür.
„Wir möchten Dir allein unsere Sache vortragen,“ quälte der größere der beiden in fürchterlichem Englisch hervor.
Chatarsan schickte den Beamten hinaus. Er hatte die elektrische Deckenlampe eingeschaltet, lehnte am Schreibtisch mit übereinander geschlagenen Beinen und musterte die Pilger mit Detektivaugen, konnte aber nichts Auffälliges an ihnen wahrnehmen.
„Wir sind in einem offenen Motorboot heimlich nach Rangun zurückgekehrt,“ flüsterte nun derselbe Pilger in plötzlich tadellosem Englisch. „Der Standard ankert oberhalb der Stadt in einem Nebenarm des Flusses. – Bitte, keine Begrüßung, lieber Chatarsan! Wir müssen unser Geheimnis unbedingt bewahren!“
„Harst!“ murmelte der Inspektor hocherfreut. „Wirklich – Harst und Schraut! Nie hätte ich Sie beide erkannt. Ihre Masken sind tadellos.“
„Müssen es auch sein, Inspektor! Diesmal hängt alles davon ab, daß wir nicht erkannt werden. Nur Sie allein dürfen von unserer Anwesenheit Kenntnis haben – nur Sie!“
Harst näherte sich Chatarsan und flüsterte weiter:
„Es handelt sich darum, daß die Malcapier die acht Haupthaare Buddhas aus der Schwe Dagon-Pagode stehlen will. – Unterbrechen Sie mich nicht. Es ist so. Sie will es, und sie wird es versuchen, obwohl ich einige ihrer Verbündeten kalt gestellt habe. Sie verläßt sich fraglos darauf, daß mir ihr jetziger Plan unbekannt ist. Sie wird ihn ausführen, auch wenn sie merkt, daß die Simlo Tau-Tau verschwunden und der alte Pi-Mano tot ist. – Hören Sie in aller Kürze unsere Erlebnisse seit gestern –“
Chatarsan schüttelte wiederholt den Kopf und warf ein „Unglaublich!“ ein. Als Harald von dem Eidechsen-Bunde zu sprechen begann, rief der Inspektor leise:
„Himmel – dann haben wir die ganze Bande fest! Welch’ ein Glück!“
Harst entwickelte ihm dann des längeren seine Gegenmaßregeln gegen den beabsichtigten Raub des goldenen Schreines mit den Haupthaaren Buddhas. Chatarsan war mit allem einverstanden.
Dann gingen wir, taten ganz fremd miteinander. Chatarsan ließ uns durch den Polizisten auf die Straße geleiten.
Es war jetzt ½12 nachts. Der Mond stand als fast volle Scheibe am wolkenlosen Himmel. – Wir trugen Stöcke über der Schulter, an denen unsere Bündel hingen. Unsere nackten, braungefärbten, schmutzigen Füße steckten in Sandalen. Wir ließen uns Zeit und schritten gemächlich dem Bahnhof zu. Chatarsan sollte uns ja erst in aller Stille bei dem Oberpriester der Schwe Dagon-Pagode anmelden.
Als wir die Hauptstraße erreicht hatten, die nach der berühmten Wallfahrtstätte führt, gerieten wir in den Strom der Pilger, der auch nachts dem Heiligtum zuflutete. In Wolken von Staub gehüllt wanderten wir dahin. Die Nacht war drückend heiß. Stumpfsinnig, in den Augen den Glanz fanatischer Frömmigkeit, trotteten neben uns die gläubigen Buddhisten einher. Ein wahrer Völkermischmasch war’s. Selbst Singhalesen von der Insel Ceylon, schlanke, edle Gestalten, sah man in Menge vertreten, daneben Malaien, die gefürchteten Atchinesen aus Sumatra, dann wieder Tonkinesen[10] und was sonst alles noch an Asiaten Buddha als oberste Gottheit verehrt.
Die Schwe Dagon-Pagode mit ihren Nebenbaulichkeiten liegt unweit der Militärkasernen, in denen England ständig eine Truppenmacht von 15 000 Mann unterhält, und neben dem Großen Königssee mit prachtvollen Anlagen und Promenaden.
Die eigentliche Pagode, ein Bauwerk von 98 Meter Höhe, erhebt sich auf einem Hügel, der festungsartig ausgebaut ist. Als Material sind gebrannte, stark vergoldete Ziegel verwendet worden. Die Pagode ist mit einem kegelförmigen Schirm aus eisernem, ebenfalls vergoldeten Netzwerk umgeben. 1871 wurde diese Vergoldung zuletzt erneuert und kostete 1½ Millionen Mark. Die Dächer sind überall mit großen und kleinen Bronzeglocken behangen. Die größte Glocke, ein Ungetüm von 25 000 kg Schwere, befindet sich an der Ostseite. Bei mäßigem Winde schon schwingen die Glocken von selbst hin und her und sollen dann einen gehörigen Lärm machen. Uns entging dieser Ohrenschmaus, da die Nacht ganz windstill war.
Die vom bläulichen Mondlicht übergossene Pagode mit den vielen kleineren Pagoden und Gebäuden wirkte auch nachts überaus imposant. Vor dem Haupteingang brannte in riesigen Bronzebecken wohlriechendes Harz unter starker Qualmentwicklung. Buddhisten-Mönche hielten hier auf Ordnung und ließen immer nur etwa zweihundert Pilger auf einmal in die Haupthalle der Pagode ein.
Wir hatten mit Chatarsan vereinbart, daß ein Priester mit einer Bronzeschale im Arm als Erkennungszeichen uns am Eingang erwarten sollte. Der Priester war nirgends zu sehen. Wir lagerten uns also gleichfalls auf der mächtigen Freitreppe und begannen wie alles um uns her zu – essen. Unsere Bündel enthielten gedünsteten Reis und Früchte, außerdem aber auch unser übliches Handwerkszeug.
Man konnte hier Studien machen. Neben dem armseligen chinesischen Kuli hockte hier auf den Steinstufen der reiche malaiische[11] Kaufmann; neben dem edlen Gesicht der Singhalesen grinste der brutale Kopf des Atchinesen aus den Sümpfen Sumatras. – Alles unterhielt sich nur flüsternd.
Harst stieß mich plötzlich an.
„Der Priester ist da. Gehen wir –“
Unauffällig schlängelten wir uns die Stufen höher. Harst raunte dem Priester seinen Namen zu. Der fromme Birmane, dem die Gnade Buddhas einen runden Fettbauch verliehen hatte, nickte nur, watschelte uns voran und führte uns durch einen langen Gang über zwei Höfe in die Wohnung des Oberpriesters.
Wir sahen uns nun in einem halb europäisch eingerichteten Gemach einem weißhaarigen Greise von so heller Hautfarbe gegenüber, wie man sie in Indien nur bei reinblütigen Geschlechtern antrifft. – Der Oberpriester Scham Chulakawi war ein feingebildeter Weltmann. Zu unserem Erstaunen begrüßte er uns mit den deutschen Worten:
„Ich heiße Sie herzlich willkommen, meine Herren.“
Dann sprach er jedoch englisch. Sein deutscher Wortschatz reichte für eine Unterredung doch nicht hin.
Chatarsan, ebenfalls als Pilger recht gut herausgeputzt, saß in einem Korbsessel, begrüßte uns nun gleichfalls und erklärte, daß er Seine Exzellenz bereits eingeweiht habe.
Wir nahmen Platz. Ein Priester trug Erfrischungen auf, verschwand wieder. Exzellenz Scham Chulakawi nötigte uns zum Zulangen. Er schien für Harsts Person das lebhafteste Interesse zu haben, beobachtete ihn still und sagte plötzlich:
„Sie sind mir kein Fremder, Mr. Harst. Ich lese sehr viel Zeitungen.“ Er holte einen flachen Holzkasten. Darin lagen eine Menge Zeitungsausschnitte.
„Es sind dies sämtliche Berichte über Ihre Abenteuer, Mr. Harst. Ich gehöre zu Ihren glühendsten Bewunderern. Ich schätze die Intelligenz in jeder Form. Ein Detektiv muß alles kennen, wenigstens von allem das Wichtigste.“
Dann lächelte der Greis ein wenig. „Nur in diesem einen Falle täuschen Sie sich, Mr. Harst. Den goldenen Schrein zu stehlen ist einfach unmöglich. Er ist mit vier Schrauben, die an die Ecken des goldenen Kastens angenietet sind, an dem Marmorblock befestigt, auf dem er ruht. Die Schrauben gehen durch den Block hindurch und –“
„Eine Zwischenfrage,“ warf Harst ein. „Steht der Marmorblock hohl?“
„Ja. Er liegt nur mit den Rändern auf den Fliesen des Fußbodens der Haupthalle auf und zwar so, daß die Schraubenmuttern vom Kellergewölbe aus sichtbar sind.“
„Also ist die Haupthalle unterkellert,“ meinte Harst. „Wozu wird dieser Keller benutzt, und weshalb steht der Marmorblock hohl.“
„Es sind da mehrere Keller vorhanden, in denen die Weihgeschenke der Pilger aufgestapelt liegen. Die Türen der einzelnen Gelasse sind aus Eisen, und die Kunstschlösser daran vermag nur ich mit einem besonderen Schlüssel zu öffnen. Die Öffnung im Fliesenboden der Haupthalle, über der der Block und der Schrein ruht, ist eine Vorsichtsmaßregel gegen Feuersgefahr.“
„Ah – ich begreife. Block und Schrein sind versenkbar.“
Exzellenz Scham Chulakawi wurde leicht verlegen.
„Es ist das ein Geheimnis, Mr. Harst. Ich möchte darüber nicht sprechen.“
„Oh, das tut nichts. Ich weiß bereits Bescheid. – Wenn Sie, Exzellenz, von der Unmöglichkeit eines Raubes des Schreines so fest überzeugt sind, hat meine Anwesenheit hier wenig Zweck. Sie werden dann –“
„Bitte sehr, Mr. Harst,“ meinte der alte Herr eifrig. „Wenn ich auch davon überzeugt bin, so will ich doch nichts versäumen, was den Schrein schützen kann. Ich bin daher ganz einverstanden, daß Sie beide als Priester der Pagode verkleidet in der Haupthalle sozusagen Dienst tun. Die Gewänder für Sie liegen schon bereit. Auch Mr. Chatarsan will sich Ihnen anschließen. Falls Sie sich sofort umkleiden wollen – bitte!“
Wir taten’s. Dann bat Harst, Scham Chulakawi möchte uns erst einmal die Kellerräume zeigen. Wir gingen in eine der Nebenpagoden, dann eine Treppe abwärts und kamen so in einen endlosen gemauerten Gang. Der Oberpriester schritt mit einer großen Petroleumlaterne voran. Vor einer offenbar uralten Tür aus poliertem Eisen (die Schwe Dagon-Pagode soll bereits 500 Jahre v. Chr. erbaut worden sein) machte er halt, zog einen riesigen Schlüssel mit verstellbarem Doppelbart hervor, schloß auf, ließ uns durch und versperrte die Tür wieder.
„Wir befinden uns hier bereits unter der Haupthalle,“ erklärte er. „Diese Kellerräume haben nur diesen einen Zugang. Im übrigen sind die Mauern mehrere Meter dick und undurchdringbar.“
Harst hatte seine Taschenlampe eingeschaltet. „Ich will mir nur mal das Türschloß ansehen,“ meinte er und bückte sich, beleuchtete die an der Innenseite der Tür offen, ohne Schutzblech, angenieteten Riegel, Federn und anderen Schloßteile, bat sich dann den Schlüssel von dem Oberpriester aus, steckte ihn in das Schlüsselloch und ließ das komplizierte Riegelsystem spielen.
„Hm!“ machte er dann leise. „Dieses Schloß ist mit einem Nachschlüssel unlängst geöffnet worden. Chatarsan – da, sehen Sie die Reibestellen an diesen Stellen, die der richtige Schlüssel gar nicht berührt –“
Der Inspektor nickte. „Sie haben recht. Und – Sie haben Augen wie eine Nachteule!“
„Weiter!“ meinte Harst. „Ich kann mir schon denken, wie der Schrein gestohlen werden wird. Exzellenz, für gewandte Einbrecher ist ein solches Kunstschloß kein Hindernis. Paßt derselbe Schlüssel auch zu den Gelassen, in denen die Kostbarkeiten lagern?“
„Ja –“ stammelte der alte Herr ganz entgeistert.
Harst lächelte. „Dann nützen auch die dicksten Mauern nichts, Exzellenz.“
Jetzt schritt er mit seiner Taschenlampe voran. Wir kamen in einen viereckigen, niedrigen Raum, aus dem wieder rechtwinklig ein schmaler Gang abbog. Dieser Raum hatte sehr tiefe Nischen, in denen Götzenbilder, Glocken, Räucherpfannen und andere Tempelgeräte standen.
Der Lichtkegel der Lampe glitt über die Decke hin. Ich sah, daß sie aus einer Lage sehr starker, tief nachgedunkelter Balken sich zusammensetzte. Zwischen den Balken waren gebrannte Steine eingefügt. Und – ich sah nun auch das quadratische Loch in der Decke.
Harst eilte dorthin. Ich folgte. Er hielt die Taschenlampe ganz hoch. Wir konnten so durch das Loch in der Decke die Unterseite des Marmorblockes und die vier Schrauben bequem erkennen.
Harst schob mich plötzlich ein Stück zurück und rief auch dem Oberpriester und Chatarsan zu: „Bitte nicht zu nahe heran!“ Dann kniete er auf den aus Steinfliesen bestehenden Boden nieder und suchte nach irgend etwas.
Als er sich erhob, lächelte er abermals Seine Exzellenz harmlos an und erklärte: „Das Geheimnis der Vorrichtung, wie der Marmorblock samt dem Schrein versenkt werden kann, ist für mich gelöst. Es muß unter diesem Keller noch einen zweiten geben, denn hier im Fliesenboden ist ein viereckiges Stück offenbar wie ein Träger für Block und Schrein hochzuwinden und wird also auf eisernen Pfeilern ruhen –“
Ich will Harsts technische Erläuterungen hier nicht wiederholen. Jedenfalls mußte der Oberpriester zugeben, daß Harst in allen das Richtige getroffen hatte. Block und Schrein ließen sich bis in den zweiten Keller versenken, den man nur durch eine verborgene Falltür in einer der Nischen betreten konnte.
Der Oberpriester war jetzt recht nervös geworden. Er sah ein, daß Harsts Vermutung hinsichtlich eines geplanten Diebstahls nunmehr durchaus nicht unbegründet war. Es stand fest, daß ein Unbefugter sich hier Zutritt verschafft hatte. Und deshalb mußte man weiter annehmen, dieser Fremde dürfte auch das Geheimnis ergründet haben, wie man Block und Schrein aus der Halle verschwinden lassen könnte. War der Schrein aber erst hier unten angelangt, so ließ er sich leicht und schnell losschrauben und wegschaffen, bevor noch die in der Haupthalle befindlichen Priester einzugreifen vermochten.
Als Harst diese Art der Diebstahlsausführung dem Oberpriester entwickelte, konnte der alte Herr vor Aufregung kaum sprechen. Harst beruhigte ihn und bat ihn, uns hier einzuschließen, uns dann einige Lebensmittel zu bringen und uns wieder allein zu lassen.
So geschah es auch. Inspektor Chatarsan blieb bei uns. Wie setzten uns in die Nische, in der die Falltür zum zweiten Kellergeschoß sich befand. Es war jetzt 3 Uhr morgens.
„Schlafen wir abwechselnd,“ meinte Harst. „Vielleicht können wir hier bis zum Abend warten. Ich werde zuerst wachen. Um 7 Uhr wecke ich Euch beide. Streckt Euch nur lang hin und nehmt diese Götzengewänder als Decken, damit Ihr Euch nicht die Knochen wund drückt.“
Chatarsan und ich schliefen dann auch wirklich ein. Ich fand dieses Abenteuer alles in allem wenig aufregend. Ich dachte mir den Abschluß so, daß wir die Malcapier hier in aller Ruhe abfassen würden, wenn sie mit ein paar Helfershelfern den Schrein versenken und stehlen wollte. Hätte ich ahnen können, daß die Geschichte so ganz anders endete, würde ich kaum neben Chatarsan so behaglich eingeschlummert sein.
Um 7 Uhr rüttelte Harst uns beide wach. Aber – er tat es, ohne daß er seine Taschenlampe einschaltete, und raunte uns gleich sehr energisch zu, uns völlig still zu verhalten.
Wir ermunterten uns rasch. Ringsum lauerte pechfinstere Nacht. Über uns hörten wir das Trappeln vieler Füße: die Pilger, die vor dem Schrein in langer Reihe vorübergingen und seinen Deckel küßten.
„Was gibt’s denn?“ fragte Chatarsan flüsternd. „Weshalb so vorsichtig, he?“
„Weil – ich etwas gefunden habe, das sehr zu denken gibt,“ erwiderte Harst ebenso leise.
„Gefunden? Was denn?“
„Nun – wieder einen Zigarettenstummel, – einen von der bewußten Art, gelbliches Papier und Eidechsenstempel.“
„Ah! – Nun – die Malcapier wird eben schon mal hier gewesen sein! Das wissen wir ja. Sie ist der unbefugte Eindringling.“
„So so!“ meinte Harald sehr gedehnt. „Ganz schön das! Aber der Stummel lag gerade unter der Deckenöffnung!“
„Und das beunruhigt Sie?!“
„Es muß wohl. Denn um 3 Uhr morgens lag er ja noch nicht dort. Ich habe mir den Fußboden doch genau genug angesehen.“
Jetzt begriff auch ich erst die volle Bedeutung dieses Fundes, flüsterte hastig:
„Also ist jemand nach 3 Uhr morgens hier gewesen, obwohl Du wachtest!“
„Ganz richtig. Ich wachte und habe nichts gehört – nichts! Trotzdem hat jemand den Stummel dort hingeworfen.“
„Donnerwetter!“ murmelte Chatarsan. „Wer mag’s gewesen sein?“
Die Antwort kam nicht von Harsts Lippen. Es war eine helle, klare, weibliche Stimme, die irgendwoher ertönte. Der Schall verfing sich in den vielen Nischen. Die Richtung war nicht festzustellen.
„Harald Harst!“ lautete dieser Anruf. Und nach wenigen Sekunden nochmals: „Harald Harst!“
„Gefangen!“ raunte Harst uns in dieser tiefen Finsternis zu. „Gefangen! Es ist unsere Feindin, es ist Eugenie Malcapier. Vor einer Stunde etwa schlich ich nach der Deckenöffnung hin. Ich wollte sehen, ob ich nicht feststellen könnte, ob die Schrauben des Schreines bereits gelockert seien, damit die Diebe schneller mit ihrem Raube wegkämen. Ich schaltete meine Lampe nur für ein paar Sekunden ein, bemerkte den Stummel, schaltete die Lampe wieder aus und eilte lautlos nach der eisernen Tür des Ganges.“
„Weshalb das?“ fragte Chatarsan mit deutlichem Erstaunen.
„Weil ich sehen wollte, ob der Nachschlüssel inzwischen benutzt worden war. Ihr beide habt nicht darauf geachtet, daß ich die Stelle, wo der Bart des Nachschlüssels das Metall blank gescheuert hatte, mit einer Schmutzkruste von Speichel und Staub mit der Fingerspitze bedeckte. Diese Eingebung des Augenblicks erwies sich sehr nützlich. Die Stelle war noch von der feuchten Kruste überzogen. Mithin mußte die Person, die den Stummel unter die Deckenöffnung geworfen hatte, sich noch hier in diesen Räumen befinden. Und da habe ich denn das Schloß auf sehr einfache Weise unbrauchbar gemacht, indem ich ein Stückchen Stein unsichtbar zwischen die Federn klemmte. So fing ich die Person, die sich hier aufhält. Wir wissen nun, daß es die Malcapier ist. Sie kann nicht hinaus. Sie wird es vor kurzem versucht haben. Nun hat sie eingesehen, daß sie nicht mehr fort kann.“
Chatarsan bewegte sich lebhaft. „Los – nehmen wir sie fest!“ meinte er. Er war aufgesprungen.
„Halt – keine Unvorsichtigkeit!“ warnte Harst. Seine Lampe blitzte auf, irrte über die Gegenstände in der Nische hin. Da lehnte in einer Ecke auch eine eiserne Stange. Die Lampe erlosch wieder.
„Ich werde meine Taschenlampe an das eine Ende der Eisenstange binden,“ flüsterte Harald jetzt. „Der, der die Lichtquelle in der Hand tragen würde, wäre zu leicht einer heimtückischen Kugel ausgesetzt. Und die Malcapier wird –“
Abermals da der Anruf:
„Harald Harst!“
Harst meldete sich nun.
„Sie wünschen, Miß Malcapier?“
Es war eine eigentümlich-aufregende Situation. Man mochte noch so genau horchen: woher die Stimme kam, ließ sich dem Gehör nach nicht ermitteln.
„Ich möchte Ihnen nur als letztes meine Anerkennung aussprechen,“ erwiderte die helle Stimme. „Ich war zu vorwitzig. Ich wollte Ihnen den Zigarettenstummel als letzten Gruß zurücklassen und dann hier das Feld räumen. Es war mein Pech, daß Sie wenige Minuten später den Stummel entdeckten. Sie haben mir den einzigen Ausgang versperrt. Mein Nachschlüssel öffnet das Schloß nicht mehr –“
Diese seltsame Unterhaltung ging weiter. Harst hütete sich, etwas von dem Eidechsen-Bunde zu erwähnen. Nur den geplanten Raub des Schreines hielt er der Malcapier vor und teilte ihr mit, daß Pi-Mano tot und der riesige Malaie ein Gefangener sei.
Chatarsan bewegte sich wieder. Als nun eine Pause in diesem Gespräch eintrat, tastete ich umsonst mit den Händen nach dem kleinen Inspektor.
„Harald, Chatarsan hat die Nische verlassen,“ flüsterte ich schnell. „Er –“
Plötzlich tauchte ein heller Schein links von uns in dem Kellerraume auf. Dann – ein scharfer Knall, – der dumpfe Sturz eines menschlichen Körpers auf den Fliesenboden.
Wir beide standen einen Moment wie erstarrt.
Nun – zum letzten Male die helle Stimme:
„Du wolltest mich beschleichen, meine Stimme sollte Dich führen, Harald Harst! Niemandem wirst Du mehr schaden!“ Ein grausiges, hohnvoll-schmerzliches Auflachen – ein zweiter Schuß.
Harst hatte seine Lampe aufblitzen lassen. Wir liefen in den Hauptkeller. Linker Hand vor einer Nische lag regungslos Inspektor Chatarsan. Und – in der Nische, zu Füßen einer überlebensgroßen Buddha-Statue, fanden wir einen jungen, schlanken Birmanen mit einer Schußwunde in der linken Schläfe: Eugenie Malcapier, die sich selbst gerichtet hatte! – Aber – sie lebte noch, kam noch einmal zu sich. Ein Blick unauslöschlichen Hasses traf Harst.
„Sie haben den Falschen erschossen,“ sagte Harald ernst. „Inspektor Chatarsans Kopfschuß war sofort tödlich.“
„Auch Sie werden sterben!“ stieß die Malcapier mühsam hervor. „Auch Sie! Und Sie werden um Gnade winseln lernen –“
„– unter dem Sägegatter, als Gefangener des Eidechsen-Bundes!“ fügte Harst hinzu. „Sie sehen, ich kenne jetzt auch diese Geheimnisse! – Gehen Sie in sich, Miß Malcapier! Nicht lange mehr, und Sie stehen vor dem ewigen Richter!“
„Sei – sei – verflucht!“ stammelten die bleichen Lippen mit letzter Kraft. – Fürwahr – der Haß dieser Frau hatte etwas Dämonisches an sich.
Noch ein letztes Aufstöhnen. Dann war unsere Feindin verschieden. –
Harst entfernte den Stein aus dem Schloß. Wir verließen die Kellerräume. Am selben Vormittag gingen chiffrierte Depeschen nach allen Hafenstädten ab, wo man Mitglieder der geheimen Verbrecher-Gesellschaft vermutete. Eine großzügige Razzia auf den Eidechsen-Bund begann. Sie hatte jedoch keinen vollauf befriedigenden Erfolg. Dies sollten wir sehr bald am eigenen Leibe spüren. –
Als die Ranguner Expreß Post die näheren Umstände der Ermordung Chatarsans und der Selbstentleibung der Malcapier veröffentlichte, als so bekannt wurde, daß die Verbrecherin sich an den kostbarsten Reliquien der Buddhisten, an den acht Haupthaaren Buddhas, hatte vergreifen und fraglos dafür ein enormes Lösegeld hatte erpressen wollen, wurde Harst in Rangun in einer Weise gefeiert, die ihm, der von seiner Person so wenig Aufhebens macht, höchst peinlich war.
Auch die tote Feindin hatte für uns noch mancherlei Überraschungen in Bereitschaft. Hierüber im nächsten Bande, in
Das Geheimnis des Scheiterhaufens.
Anmerkungen: