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Harald Harsts zweite Liebe

 

 

 

Der Detektiv

 

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

 

Band 136:

 

Harald Harsts zweite Liebe.

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1925 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Der Haifisch in Ölleinwand.

Die Sonne war erst vor einer Stunde aufgegangen. Ihre blendenden Strahlen ließen den Brandungsgischt wie silbernen Schaum aufleuchten.

Und diese grelle Tropensonne, die wieder einen glutheißen Tag versprach, beleuchtete an der Steilküste der Nordseite von Groß-Coco, der nördlichsten der Andamanen-Inseln, eine Gruppe von Menschen, unter denen das ehrwürdige Antlitz des arabischen Kaufmanns Ali Mansur besonders auffiel.

Neben Harald Harst aber stand die blonde Ellen Dagnaar, die dem Leser aus dem vorigen Band wohl bekannt sein dürfte. Ich selbst, Max Schraut, kniete am Fuße einer der Palmen, die hier unweit des Abhanges wuchsen, und prüfte die Befestigung der Strickleiter, an der Harald nun zum zweiten Male bis zu der Felszacke, dem Totenkopf und der Stahltrosse hinabsteigen wollte. –

Der freundliche Leser merkt, daß ich jetzt hier die Lösung des Problems bringen werde, von dem ich im vorigen Band die eine Frage offen ließ: Was war an der Stahltrosse, die in die Brandung hinabreichte, festgebunden?

Und mit dieser Frage hängt ganz eng eine zweite zusammen: Weshalb trachtete Jupp Palling seinem früheren Freunde Hektor Randell nach dem Leben, weshalb vergiftete er ihn schließlich? –

Harst stieg nun an der Strickleiter abwärts …

Und Ellen Dagnaar rief ihm noch nach:

„Seien Sie doch nur vorsichtig! Ein Sturz in die Brandung wäre sicherer Tod!“

Harald bog den Kopf zurück …

„Miß Dagnaar, ich bin Ihretwegen weit mehr in Sorge!“ meinte er mit seiner klaren Stimme, die selbst das Brausen der brechenden Wogen übertönte. „Bereiten Sie sich darauf vor, daß Sie Trauriges erblicken werden …! Falls das zutrifft, was ich vermute, so dürfte ich jetzt nicht nur die Leiche Ihres Vaters, des Kapitäns Dagnaar, sondern noch – anderes bergen …“

Und er packte die Stahltrosse, nachdem er auf der Felszacke im Reitsitz Platz genommen hatte, und zog mit aller Kraft, zog so aus dem brodelnden Hexenkessel dort unten ein fast vier Meter langes Bündel hervor, das sorgfältig angeseilt war und dessen äußere Hülle aus geteerter Segelleinwand bestand.

Die Araber warfen ihm jetzt ein Tau zu. Er hatte die Trosse um die Spitze der Felszacke geschlungen, band nun das Tau um das langgestreckte Bündel und winkte uns.

Wir hißten es hoch, legten es auf den kahlen Fels … Und im Nu war Harald bei uns, wandte sich wiederum an die blonde Ellen:

„Miß Dagnaar, – bitte, gehen Sie besser ein wenig abseits … Lassen Sie uns erst einmal nachsehen, was die Ölleinwand enthält …“

Ellen entgegnete fest: „Ich bin auf alles gefaßt … Ich habe gute Nerven!“

Harald ließ sich von Ali Mansur einen Dolch geben … Schnitt die mit geteertem Bindfaden zugenähte Leinwand auf und rollte sie auseinander …

Ein furchtbarer Verwesungsgeruch quoll uns entgegen.

Da lag nun auf der nassen Leinwand neben größeren Steinen ein spindelförmiger Hai von dreieinhalb Meter Länge … Ein Riesenhai … Und in dem gewaltigen Rachen steckten die Reste eines menschlichen Leichnams – eines älteren Europäers, den der Hai gerade in der Mitte des Leibes gepackt hatte …

Der Tote war – Kapitän Dagnaar, Ellens Vater! –

Noch mehr sahen wir an diesem unheimlichen Bilde …

Da war dem Haifisch dicht hinter dem Kopfe mit verzinntem starken Draht eine versiegelte dickwandige Flasche um den Leib gebunden. Und diese Flasche zerschellte jetzt, von Harald gegen einen Stein geworfen, mit hellem Splittern und gab ein zusammengebundenes Papierröllchen frei.

Dieses Papier war das Schuldbekenntnis der beiden Freunde Palling und Randell und gleichzeitig auch die Erklärung der letzten noch dunklen Fragen.

Mit Tinte sauber geschrieben stand da folgendes:

„Zwei Europäer, die im Juli des vergangenen Jahres vor einem heraufziehenden Orkan in die Bucht westwärts dieser Steilküste mit ihrer Jacht flüchteten, fanden drüben in den Büschen die Leichen von vier Arabern, die fraglos zu der auf den Klippen draußen gescheiterten Dschau Fatima gehört hatten. Außerdem aber fanden sie noch zwischen Felsgeröll unten am Gestade diesen toten Hai, der noch die Leiche eines Mannes im Rachen hatte. – Der Haifisch wies am Schädel vier Schußwunden auf. Es lag nahe anzunehmen, daß der Europäer, als er von dem gescheiterten Fahrzeug zur Küste schwamm, von dem Hai angegriffen wurde und daß er dem Untier noch ein paar Revolverschüsse beibrachte. Hai und Mann büßten so gemeinsam ihr Leben ein. – Einer von uns beiden durchwühlte die Taschen des Toten und fand so eine Brieftasche, in der sowohl die Papiere des Kapitän Dagnaar, zuletzt Führer der Dschau, als auch ein Los der Londoner Jubiläumslotterie lagen. Dieses Los erkannte der Europäer dann als dasjenige an der merkwürdigen Nummer wieder, das mit dem Hauptgewinn bereits gezogen war. Er wußte seinen Freund zu bestimmen, diesen Leichenfund zu verschweigen und das Los sich anzueignen. Der Freund verlangte jedoch, daß die Leiche und der Hai, die nur mit Gewalt zu trennen gewesen wären, auf die Art versenkt würden, wie es dann auch geschah. – Während die Freunde dann den Hai und den Toten mühsam auf einem alten Segel nach oben auf das Steilufer schafften, verschob sich die zerfetzte Kleidung des Toten, und ich, der Schreiber dieser Zeilen, bemerkte unter dem Hemde auf der Brust einen Lederbeutel. Wir öffneten ihn. Er enthielt Perlen. Dieser Perlen wegen, die ich unbedingt dem Toten lassen wollte, da sie ja als Unglücksbringer, als die versteinerten Tränen irgendeiner Gottheit weit und breit berüchtigt sind, – dieser Perlen wegen kam es zwischen uns zu einem ernsten Streit. Ich setzte meinen Willen durch. Mein bisheriger Freund mußte mir schwören, daß auch er die Perlen nicht anrühren würde und daß es mit dem Diebstahl des Loses genug sein sollte. – Ich vermutete, daß die arabische Dschau von dem fernen Eigentümer gesucht werden würde. Deshalb auch dort an der Steilwand der Totenkopf und die Stahltrosse: Der Hai, der Tote und die Perlen sollten gefunden werden! – Während mein Begleiter von unserer Jacht Bindfaden holte, damit wir die Ölleinwand zunähen könnten, habe ich diese heimlich vorbereitete Flasche dem Hai und dem Toten mitgegeben. Schon jetzt betone ich, daß ich meinem Gefährten versprach, das Los uns anzueignen und den Gewinn einzuziehen. Ich werde an dem Gelde niemals Freude haben. Und wenn etwas mein Gewissen beruhigt, so ist es vielleicht nur das eine, daß die Perlen der Leiche mit in die Tiefe gegeben werden. – Wer wir beide sind, wird nie entdeckt werden. Dieser Küstenstrich dürfte kaum je besucht werden. Und der Eigentümer der gescheiterten Dschau mag, falls er diese Flasche findet, aus Dank gegen mich hierüber schweigen.“ …

So lautete Hektor Randells merkwürdiges Bekenntnis. Und nun wußten wir auch, warum Jupp Palling ihn vergiftet hatte und weshalb dieser hierher unterwegs gewesen: Palling hatte die Perlen holen wollen! – Und – – Palling war im Orkan ertrunken, wie Ellen Dagnaar uns mitgeteilt hatte. – –

Wenn der Leser des vorigen Bandes nun vielleicht einwenden sollte, daß es ihm aus dem Inhalt des Abenteuers „Der Kokain-Klub“ doch unmöglich gewesen, die Art der an der Stahltrosse befestigten Last zu erraten oder herauszuklügeln, so halte ich ihm hier freundlichst einige Punkte vor, die das Gegenteil beweisen:

  1. Es wurde zum Schluß des vorigen Bandes erwähnt, daß Palling und Randell das Los bei Kapitän Dagnaar gefunden hätten. Mithin mußte dessen Leiche ebenfalls gefunden worden sein.
  2. Diese Leiche ist dort jedoch nicht erwähnt worden, sondern nur die vier Skelette der Araber, eins davon ohne Kopf. Also ist der Leser gleichsam darauf gestoßen worden, daß Kapitän Dagnaars sterbliche Reste an der Trosse versenkt worden seien.
  3. Von den toten Arabern wurde gesagt, daß sie sich nur schwer verletzt aus der Brandung ans Ufer und ins Dickicht geschleppt und eine Hütte aus Zweigen errichtet, dann aber infolge ihrer Verwundungen doch den Tod gefunden hätten. Mithin war anzunehmen, auch Kapitän Dagnaar müsse in ähnlicher Weise umgekommen sein. Die Art seines Todes, als er sich zu retten suchte, konnte man nun allerdings lediglich auf Grund der Tatsache des Haifischreichtums der Küsten der Andamanen-Inseln erraten.
  4. Auch die Perlen sind zum Schluß des vorigen Bandes als wieder vorhanden erwähnt. Also mußten auch sie bei der Leiche des Kapitäns gelegen haben oder an seinem Körper versteckt gewesen sein.
  5. Daß Hektor Randell eine Art schriftlicher Beichte verfaßt und dem Toten mitgegeben hatte, ließ sich ebenfalls aus den ganzen letzten Angaben im „Kokain-Klub“ schließen. Ebenso, daß Jupp Palling um dieser Perlen willen nach Groß-Coco wollte. –

Wenn also bei dem Problem eine Schwierigkeit zu überwinden war, so kann’s nur die eine sein: die Art des Todes Kapitän Dagnaars. – Alles übrige war unschwer zu ergründen. – Und diese eine Schwierigkeit, meine verehrten Leser, haben Sie wohl sämtlich vorausgeahnt. Ohne diese eine „böse Nuß“ wäre das Problem eben – kein Problem gewesen.

Hiermit endet der Fall „Kokain-Klub“ nun endgültig. Ich bin gespannt, inwieweit die Leser der Wahrheit bei ihren Lösungsversuchen nahegekommen sind. Auch dem, der nur einigermaßen das Richtige kombiniert hat, will ich meinen Dank für das Interesse an uns und unseren Abenteuern nicht vorenthalten.

 

2. Kapitel.

Die Flagge mit dem Halbmond.

Des ehrwürdigen Ali Mansur kleiner Dampfer lag nun in der Ostbucht von Groß-Coco neben unserer Jacht.

Wir hatten soeben die sterblichen Überreste Kapitän Dagnaars der Erde übergeben und über dem Grabe einen Hügel aus Felsstücken aufgehäuft. John Trolby, Ellens Freund und Begleiter, hatte sogar noch einen Felsblock, der ungefähr Kreuzform besaß, zu Häupten des Grabes aufgestellt.

Wir anderen, nämlich Doktor James Treeburn, Trolby und wir beide, waren sodann zur Jacht Singrada zurückgekehrt. Ellen blieb noch am Grabhügel im stillen Gebet.

Es war mittlerweile zwölf Uhr geworden. Eine sengende Hitze lastete auf der kleinen Bucht, deren hohe Felsenufer jeden Luftzug abschlossen.

Die Araber rüsteten zur Abfahrt. Nach sehr herzlichem Abschied fuhren sie gegen ein Uhr davon.

Inzwischen hatte sich auch Ellen wieder auf der Singrada eingefunden. Die Jacht war an einer terrassenartigen Abdachung der Nordwand vertäut.

Doktor Treeburn, den wir gründlich von seiner Kokainsucht befreit hatten, schien an Ellen Dagnaar viel Gefallen zu finden und widmete sich ihr mit einem Eifer, der unschwer auf rasch aufkeimende Liebe schließen ließ. Die beiden saßen nun auf dem Achterdeck unter dem Sonnensegel und sprachen ernst und vertraulich wie gute Freunde miteinander.

John Trolby, ehemals Dampfermaschinist, Harald und ich flickten die Schäden aus, die der Orkan auf der Singrada angerichtet hatte. Erst nachmittags fünf Uhr machten wir drei uns dann auf den Weg nach der drei Kilometer entfernten anderen Bucht, wo Trolby und Ellen die Segeljacht Atlantis, mit der sie von Kalkutta nach Groß-Coco gekommen, zurückgelassen hatten. Wir wollten die Atlantis jetzt ebenfalls nach unserer Bucht bringen.

Wir fanden die Jacht auch genau so vor, wie Trolby und Ellen sie hier vertäut hatten. Mit dem kleinen Hilfsmotor der Atlantis gewannen wir rasch die offene See und erreichten auch bald den schmalen Eingang zu unserer Bucht. Da diese sich in vielfachen Windungen dahinzog, konnte man uns von der Motorjacht Singrada aus noch nicht bemerkt haben.

Plötzlich stellte der wortkarge kleine Trolby den Motor ab, ergriff einen Bootshaken und zog die Singrada neben eine flache Uferstelle, wo eine einzelne Palme wuchs. Hier sprang er an Land und schlang ein Tau um die Palme, winkte uns und setzte sich dicht an die Uferwand auf einen Stein in den Schatten.

Wir sprangen gleichfalls auf den dürren Boden hinüber, und Harald sagte nun zu meinem Erstaunen:

„Lieber Trolby, daß Sie etwas Besonderes auf dem Herzen haben, spürte ich schon an Ihren Blicken, die in den letzten Stunden so häufig und so nachdenklich auf mir ruhten. Nicht wahr – auch Sie glauben nicht recht, daß der Kaufmann Ali Mansur aus Maskat stammt?“

John Trolby nickte … Er war trotzdem sichtlich überrascht – genau wie ich. Und ich platzte denn auch heraus:

„Weshalb soll er gelogen haben, Harald?!“

„Lieber Alter, lassen wir Trolby zunächst einmal reden. Also – schießen Sie los, Freund John!“

Der kleine Trolby, jetzt seit Jahren in Kalkutta als bescheidener Händler ansässig und intimster Freund Kapitän Dagnaars, stopfte umständlich seine Seemannspiep und erwiderte:

„Mir fiel eins auf, Herr Harst … Als Sie Ali Mansur gegenüber zum ersten Male Dagnaars Namen erwähnten, fuhr er geradezu zusammen …“

„Stimmt! Das tat er. Ich behaupte, Ihr Freund Dagnaar hat sich Ali Mansur als Kapitän für die Dschau unter anderem Namen angeboten.“

„Ganz recht … Davon bin auch ich überzeugt. Und ich als früherer Seemann möchte Ihnen nun noch etwas vorhalten: Welcher englische Kapitän wird sich so weit erniedrigen und Dienst auf einem elenden arabischen Schoner nehmen?! Das hatte Dagnaar nicht nötig … Seit Jahren hat Dagnaar sich stets freilich in arabischen Gewässern mit Vorliebe herumgedrückt … Seit drei Jahren …“

„Also hat er sich absichtlich bei Ali Mansur unter fremdem Namen eingeführt und mithin auch durch die Übernahme dieses Kapitänpostens etwas Besonderes erreichen wollen.“

Trolby paffte dicke Wolken, meinte versonnen:

„Wissen Sie, daß Ellen Dagnaar noch eine Schwester besaß?“

„Nein …“

„Eine Zwillingsschwester, Herr Harst … Mary hieß das Mädchen … Sie – verschwand …“

„Verschwand?“

„Ja – vor drei Jahren – in Aden am Roten Meer – im Hafen von Aden. Damals führte Dagnaar einen großen Frachtdampfer, und er hatte seine beiden Töchter mit an Bord … Als der Dampfer in Aden einen Teil seiner Ladung löschte, war Mary nach einer Gewitternacht nicht mehr zu finden. Zuletzt hatte ein Matrose sie um elf Uhr abends am Heck lehnen sehen … Dann – – war sie eben spurlos verschwunden. Man glaubte, sie sei vom Blitz getroffen und ins Wasser geschleudert worden, denn ein Blitz traf das Heck des Dampfers … – Mein Freund Dagnaar hat nun mir gegenüber zuweilen allerlei Andeutungen gemacht, daß er an diesen Tod seiner Mary nicht glaube …“

Wieder paffte er dicke Wolken …

Fügte hinzu: „Ich behaupte, er ist nur deshalb in Ali Mansurs Dienste getreten, weil er – Mary suchte, weil er eben annahm, daß sie damals geraubt wurde … Mary war eine Schönheit, damals noch ein halbes Kind …“

Harald hatte eine Mirakulum angezündet …

„Lieber Trolby, wenn wir nun berücksichtigen, daß Ali Mansurs Zusammenfahren beim Namen Dagnaar geradezu als Erschrecken gedeutet werden kann, wenn wir ferner meine zweite Beobachtung mit in Betracht ziehen: daß Ali Mansurs Dampfer außer der englischen Flagge noch eine andere mir unbekannte führte und daß diese zweite Flagge plötzlich entfernt wurde, dann – könnte man vermuten, diese Flagge wäre geeignet gewesen, den wahren Heimathafen der gescheiterten Dschau und ihres Eigentümers zu verraten …“

Trolby nickte – lebhafter als bisher.

„Ja – genau so kalkuliere auch ich, Herr Harst … Nur schade, daß ich von der Flagge zu wenig gesehen habe. Jedenfalls war’s blauer Grund mit einem roten Viereck darum und einem Halbmond darauf – außerdem noch anderes, was ich nicht unterscheiden konnte …“

„Sie irren, lieber Trolby. In der Mitte war ein dunkelgrüner Kreis … Die Farbe war nur sehr verschossen. Aber ein rotes Viereck und Halbmond stimmt …“

„Nun ja … – Ob wir mal Miß Ellen fragen, ob sie nichts Näheres über die Absichten ihres Vaters weiß? – Deshalb wollte ich in Ruhe mit Ihnen reden, Herr Harst. – Ellen hat ihre Zwillingsschwester über alles geliebt. Zwillinge sollen ja stets sehr aneinander hängen. Wir dürfen also keinerlei Hoffnungen in Ellen wecken …“

„Wir fragen eben sehr vorsichtig, lieber Trolby. Ich werde das besorgen …“ –

Es geschah an demselben Abend. Harald konnte jedoch von Ellen nur erfahren, daß ihr Vater lediglich einmal die Bemerkung gemacht habe, es zöge ihn deshalb so häufig nach Aden und nach den Häfen des Roten Meeres, weil er dort noch mit „Jemand“ abzurechnen hätte. – Mehr wußte sie nicht.

Gegen elf Uhr verließen dann beide Jachten die Bucht und nahmen bei hellem Mondschein Kurs auf Kalkutta, das wir nach zwei Tagen erreichten. Hier kaufte Harald Ellen Dagnaar die Jacht Atlantis ab, und schon am Morgen darauf gingen wir wieder in See. John Trolby war mit an Bord. Inzwischen hatte Harald nämlich in Kalkutta ermittelt, daß die Flagge, die doch offenbar auf Befehl des ehrwürdigen Ali Mansur so plötzlich eingezogen worden war, die des Sultans von Sokotra gewesen: dunkelgrüner Kreis, rote Borte und Halbmond und zwei Schwerter darin!

Diese Flagge also war’s, die uns nach den Sokotra-Inseln lockte …

Diese Flagge leitete Harald Harsts zweite Liebe ein …

 

3. Kapitel.

Der Geist des Dschebel Hagier.

Die drei zum Sultanat Sokotra gehörigen Inseln liegen zwischen der Ostspitze Afrikas (Kap Guardafui) und Arabien. Die Hauptinsel Sokotra sowie die benachbarten Eilande Darsa und Samha stehen unter britischer Oberhoheit. Der Sultan erfreut sich jedoch großer Selbständigkeit, da sein Reich zu abgelegen ist, um für die Engländer als Kolonie in Betracht zu kommen. –

Nach diesen kurzen Vorbemerkungen zurück an Bord unserer schmucken, seetüchtigen Atlantis …

Wir hatten außer John Trolby noch zwei malaiische Matrosen mitgenommen, junge, fixe Kerle, die uns in Kalkutta warm empfohlen worden.

Sikiri und Atiru waren Brüder. Die Malaien sind als tadellose Seeleute sehr begehrt. Sie sind nüchtern, zuverlässig und anstellig. All ihre Vorfahren waren Piraten, und noch heute gibt es an den entlegenen Küsten Borneos Malaiendörfer, die heimlich Seeraub treiben. –

Wir fünf verstanden uns sehr gut. Sikiri und Atiru waren rasch für Harald derart begeistert, daß wir ihnen völlig trauen konnten. Doch erst am fünften Reisetage erfuhren sie, wohin wir unterwegs waren.

Harst hatte in Kalkutta mit einiger Mühe eine genaue Karte des Sultanats Sokotra aufgetrieben. Unser Ziel war die Ostküste der Hauptinsel Sokotra, wo wir irgendwo insgeheim vor Anker gehen wollten.

Am neunten Abend nach unserer Ausreise erreichten wir das Vorgebirge Tamaska mit seinen buchtenreichen benachbarten Küstenstrichen. Dieser gebirgige und völlig unfruchtbare kleine Inselteil ist unbewohnt. Sokotra hat bei 3500 Quadratkilometer Größe rund zehntausend Einwohner, ist also sehr dünn besiedelt.

Bereits bei Dunkelheit steuerten wir auf gut Glück in eine der Buchten hinein und warfen in deren äußerstem Winkel Anker.

Wir hatten es insofern gut getroffen, als hier in den Monaten April bis Oktober der Nordostmonsun trockenes und kühleres Wetter bringt. Sokotra ist zur Regenzeit außerordentlich ungesund. Jetzt im Mai fanden wir es in der stillen Bucht recht angenehm, fanden auch ringsum eine Bergszenerie, deren stellenweiser tropischer Baumschmuck im Mondenlicht die Felswildnis erfreulich belebte.

Gegen Mitternacht hatte Sikiri, der nebenbei auch den Koch spielte, das Abendessen fertig. Am liebsten hätten wir ja auf Deck soupiert, da wir aber unbemerkt bleiben wollten, speisten wir in der kleinen Kajüte bei dicht verhängten Fenstern. Sikiri und Atiru aßen zumeist gleich in der Kombüse.

Während wir drei Europäer so dem schmackhaften Fischgericht (Sikiri hatte mit echter Malaiengeschicklichkeit schon während der Einfahrt in die Bucht Angeln ausgeworfen und auch einen meterlangen eßbaren Fisch erbeutet) mit allem Behagen zusprachen, erörterten wir nochmals unsere Pläne für die kommenden Tage.

Am Morgen wollten Harald und ich verkleidet zu Fuß nach Tamrida, dem Haupthafen und der Hauptstadt Sokotras, wandern und dort nach Ali Mansur Erkundigungen einziehen. Die Atlantis sollte derweil unter Trolbys und der Malaien Obhut hier in der Bucht bleiben, wo wir die Jacht bei Tagesanbruch noch besser verbergen wollten.

Trolby hatte sich dann gerade seine Pfeife angezündet, und Harald hatte soeben die drei Likörgläser gefüllt, als irgendwoher von Land ein merkwürdig lauter und doch schwer bestimmbarer Schrei bis zu uns in die kleine Kajüte drang. Die Tür nach dem Treppenniedergang stand weit offen, und der Treppenschacht wirkte gleichsam als Schallverstärker …

Der Schrei setzte ganz leise ein, schwoll an, behielt sekundenlang dieselbe Tonstärke und verklang in einem ganz merkwürdigen Gurgeln.

Wir drei schauten uns überrascht an …

Da kamen auch schon die beiden Malaien die Treppe hinabgeflitzt …

Beide angstschlotternd …

Beide vor unglaublicher Furcht fast von Sinnen …

Atiru, der ältere, fiel fast vor Harald auf die Knie.

„Tuwan (Herr), wir müssen fliehen!“ stammelte er … „Tuwan, mein Bruder und ich sind nicht zum ersten Male auf Sokotra … Tuwan, wir waren zwei Wochen in Tamrida … Alle Sokotraer fürchten den Herrn des Dschebel Hagier (höchster Berg der Insel, war in der Ferne nach Süden zu im Mondlicht zu erkennen) … Wenn der Herr des Dschebel Hagier durch die Insel fliegt, verkriecht sich alles … Damals vor einem Jahr hat er dicht bei Tamrida zehn Menschen getötet … Und da haben wir bis zum Hafen hinab sein Heulen gehört … Da erzählten uns die Leute, was es mit dem Herrn des Dschebel Hagier auf sich hat … Es ist ein böser Geist, Tuwan … Noch niemand hat ihn gesehen … Aber seine Stimme ist meilenweit zu hören …“

Er wollte noch mehr hinzufügen, der brave, abergläubische Bursche … Doch schon von neuem setzte jener merkwürdige Ton ein … Und jetzt horchte ich genauer hin: Es klang in der Tat wie ein Schrei aus der Kehle eines Riesen – wie ein Wutgebrüll … Und doch war auch etwas Unheimliches, Unirdisches dabei, besonders wenn die Töne leise vibrierten und so ganz allmählich erstarben.

Harald war längst an Deck.

Schon als die seltsamen Laute begannen, eilte er die Treppe hinan …

Und als nun wieder alles still geworden, folgte ich ihm.

Er lehnte an der Backbordreling … Unsere Jacht lag genau in der Mitte des hier etwa zehn Meter breiten Buchtwinkels vor Anker.

Zu beiden Seiten reckten sich die Steilufer in unregelmäßigen Terrassen wohl hundert Meter hoch dem Firmament entgegen.

„Was hältst Du davon, Harald?“ fragte ich leise.

Und da – begann diese Folge unheimlicher Töne von neuem … Und jetzt merkte ich, daß sie aus unendlicher Ferne kamen, daß der Wind sie uns vom Dschebel Hagier zutrug und daß sie doch eine ungeheure Kraft hatten.

Wir lauschten regungslos.

„Diesmal dauerte das Geheul genau zwölf Sekunden,“ meinte Harald dann. „Nur halb so lange als vorhin … – Was ich davon halte, mein Alter?! Es ist – ein Blasinstrument, behaupte ich …“

Mein erstaunter Blick machte ihn lächeln …

„Natürlich ein Blasinstrument von ungeheuren Abmessungen,“ ergänzte er.

„Hm – und wer soll die nötige Lungenkraft haben, es zu blasen?!“

„Deine Ironie ist hier nicht am Platze,“ erklärte er ernst. „Du hörtest ja von Atiru, daß diese Töne stets den Tod von Menschen im Gefolge haben. Also liegt hier irgendeine Schurkerei vor …“

Ich schwieg … Diese Deutung erschien mir denn doch zu gewagt.

„Von hier bis Tamrida, die Hauptstadt, sind’s etwa fünf Meilen,“ fügte Harald wieder hinzu. „Der Wind steht so, daß der Schall recht gut bis dorthin getragen werden kann. Bei dieser fabelhaften Tonstärke wird dieses rätselhafte Instrument unglaubliche Entfernungen überbrücken …“

Ich verzog das Gesicht …

„Entschuldige, Harald: Wer sollte hier ein solches Instrument von diesen Dimensionen aufbauen und vielleicht durch Dampfkraft oder durch elektrische Kraft zum Tönen bringen – hier in diesem halbzivilisierten Sultanat?!“

„Du meinst, die technische Anlage würde bald entdeckt werden, weil Sokotra doch schließlich nicht allzu ausgedehnt ist und weil der englische Resident in Tamrida sich längst der Sache angenommen hätte?! – Nun, wir werden morgen in Tamrida sein, und wir haben nun auch einen guten Grund, Lord Teepool, den Residenten, in aller Stille zu besuchen …“ –

John Trolby war neben uns erschienen …

„Na, wie steht’s mit dem Geist des Dschebel Hagier?!“ Und auch er lachte geringschätzig. „Unsere Malaien sind noch halb krank vor Angst … Ich habe jedem zwei Schnäpse eingeflößt … Auch das hat nichts geholfen!“

Harald schaute zum fernen Gipfel des 1400 Meter hohen Berges hinüber.

Sagte sinnend: „Gehen wir wieder hinab in die Kajüte. Atiru soll erzählen, was es mit den zehn Toten auf sich hat.“

Die Malaien schienen sich jetzt doch ihrer Feigheit zu schämen.

Atiru berichtete ganz verständig folgendes:

Er und sein Bruder waren damals vor einem Jahr Matrosen auf einem englischen Dampfer, der in Tamrida einen Teil seiner Ladung gelöscht und dafür Landesprodukte an Bord genommen hatte. Auch damals waren die seltsamen Töne nach Mitternacht erklungen und auch nur dreimal kurz hintereinander. Am Morgen hatte man vor der Stadt zehn tote Araber neben einem Steinhügel gefunden, denen sämtlich die Schädel eingeschlagen worden waren. Die Hafenkulis hatten der Besatzung des Dampfers erzählt, daß der Herr des Dschebel Hagier sich selten meldet, daß stets jedoch nach einer solchen Nacht irgendwo Tote gefunden würden.

Mehr wußte auch Atiru nicht.

Immerhin hatte dieses „Nachtkonzert“ die Folge, daß Harald zwischen uns fünf die Wachen ausloste, während er vorher nur bestimmt hatte, die beiden Malaien sollten abwechselnd an Deck bleiben – bis zum Morgengrauen. Da es gegen vier Uhr hell wurde, sollten immer zwei von uns je anderthalb Stunden wachen. Atiru und ich erwischten die erste Nummer. Die anderen gingen schlafen.

Der Malaie und ich lehnten uns nebeneinander an die Backbordreling und blickten eine Weile schweigend zum Bergmassiv des Dschebel Hagier hinüber.

„Tuwan Schraut,“ sagte Atiru dann leise, „Du solltest Tuwan Harst abraten, nach Tamrida zu gehen … Ihr werdet dort erkannt werden, und ein Giaur (Ungläubiger) ist dort nie seines Lebens sicher. Die Araber sind fanatische Mohammedaner, und …“

„Still – – ein Boot … Dort drüben …“

Ich drückte des Malaien Arm … Unsere Jacht lag bereits im Schatten … Der Mond stand tief … Aber dort, hundert Meter nach Osten zu, wo die Bucht weit breiter war, beleuchtete der Vollmond noch die Hälfte der Wasserfläche.

Und aus dieser hellen Dämmerung glitt ein kleines Boot in das Dunkel hinein … Eine Frau handhabte aufrecht stehend ein Ruder, bald Backbord, bald Steuerbord es eintauchend … eine Europäerin … Blond, schlank, hell gekleidet …

Dann war das Boot schon hinter einem Felsvorsprung im Schatten verschwunden …

„Sie hat uns nicht bemerkt,“ flüsterte der Malaie. „Wollen wir nicht Tuwan Harst wecken? Es ist hier nicht geheuer …“

Ich überlegte …

Das Auftauchen des kleinen Bootes machte auch mich stutzig. Doch – deshalb Harald die Nachtruhe rauben?! Nein – ich plante anderes … –

Und sagte zu Atiru: „Der Mond wird bald vollständig hinter den Anhöhen versinken. Dann werde ich unser Beiboot nehmen und vorsichtig der Frau folgen …“

Der Malaie beschwor mich geradezu, dieses Wagnis zu unterlassen. Ich blieb bei meinem Entschluß. Und schon zehn Minuten später hatten wir das leichte Beiboot, eine Nußschale, zu Wasser gebracht und die Ruder hineingelegt.

Ich stieß von der Atlantis ab, hatte meine gespannte und entsicherte Clement in die rechte Jackentasche gesteckt und eine brennende, mit einem Tuche bedeckte Laterne vor mich auf die andere Ruderbank gestellt.

Mit möglichst leisen Schlägen trieb ich das Boot jenem Felsvorsprung zu.

Hätte ich ahnen können, was meiner wartete, so wäre ich – bestimmt an Bord der Jacht geblieben – bestimmt!

 

4. Kapitel.

Ein Höhlenabenteuer.

Das kleine Vorgebirge hier an der Südseite der Bucht bildete ein Horn, das zwischen seiner Spitze und dem Ufer nur eine Einfahrt von etwa fünf Meter Breite freiließ. Mit allergrößter Vorsicht drückte ich das Boot in diesen engen Kanal hinein. Es war hier so finster, daß nur der Widerschein des Sternenhimmels aus dem Wasser spärliches Licht spendete.

Zu meinem Erstaunen merkte ich bald, daß der Kanal in die Uferberge hineinführte, daß hier also eine mit Wasser gefüllte Höhle sich öffnete.

Vor mir nun allerschwärzeste Finsternis. Es war nicht einmal die Hand vor Augen zu sehen.

Wenn ich damals Harald bei mir gehabt hätte, wäre er wohl weniger vertrauensselig in diese unheimliche totenstille Höhle eingedrungen als ich. Er hätte sich schon früher als ich gesagt, daß der Eingang der Höhle, den ich soeben passiert hatte, immerhin so hell sich abzeichnete, daß mein Boot vom Innern der Grotte aus notwendig bemerkt werden mußte.

Und ich?! – Ich bildete mir ein, hier in diesem lautlosen Schweigen, hier in dieser pechschwarzen Dunkelheit könnten doch unmöglich Menschen sich aufhalten … Ich vermutete, die Höhle würde sehr bald nach ein paar Biegungen mir ihre wahren Geheimnisse verraten, die doch fraglos mit der blonden Europäerin zusammenhingen! Ein Weib, das bei Nacht hier auftaucht im kleinen Boot, kann ja nur Wege wandeln, die ebenso dunkel und undurchdringlich sind wie diese ganze seltsame Umgebung.

Und ich trieb mein Boot jetzt noch lautloser vorwärts. Zum Glück waren die Ruderdollen gut geölt. Sie kreischten nicht. Ganz langsam kam ich[1] weiter und weiter in diese unbekannte Höhlenwelt hinein …

Als ich mich einmal umschaute, sah ich den bogenförmigen Eingang hinter mir wie einen verschwommenen Fleck undeutlich schimmern.

Und wieder wagte ich zwei bedächtige Ruderschläge …

Bis die Spitze meines Bootes an irgendeinem Gegenstand entlangschrammte.

Und dann drei, vier Fäuste mich packten …

Fäuste, die unsichtbar nach mir griffen – wie Gespensterhände …

Die ich nicht sah, nur fühlte …

Fäuste, deren Kraft mein lähmender Schreck fast überflüssig machte, denn ich – wehrte mich nicht. Ich war sekundenlang nur ein willenloses Bündel …

Wurde emporgerissen, auf den Boden des Bootes gedrückt, und etwas Kaltes legte sich mit scharfem Druck auf meine Kehle: eine Messerklinge …

Eine Stimme dicht über mir – heiser flüsternd, in englischer Sprache:

„Gib Antwort … Lüge nicht … Wenn Du lügst, ist es Dein Tod! – Wer bist Du?“

Und wie stets, wenn die Lebensgefahr gleichsam ihren Höhepunkt erreicht, schwand auch das lähmende Entsetzen über diesen so völlig unerwarteten Angriff.

Mein Hirn wurde klar … Mein Hirn arbeitete mit jener Promptheit, die in solchen Momenten geradezu erstaunlich ist.

Ich hatte im Nu mir alles überlegt, was ich sagen durfte und was ich verschweigen müßte … Wenn ich meinen richtigen Namen angegeben hätte, so wäre ich – verloren gewesen … Diese Leute hier würden bei ihrem dunkeln Treiben einen Detektiv als gefährlichsten Feind stets stumm machen …

Also …:

„Doktor Martin Schrott heiße ich, bin Gelehrter, Privatdozent an der Universität Berlin …“

„Was tust Du hier?“

„Ein Kollege und ich sind mit einer Jacht von Aden herübergekommen, um die Pflanzen- und Tierwelt Sokotras zu studieren … Unsere Jacht ankert draußen in der Bucht. Ich sah ein Boot mit einer einzelnen Frau hier in die Grotte hineinsteuern und wurde neugierig …“

Eine Weile nichts …

Es waren mindestens drei Kerle, die mich festhielten, und dem Geruch nach waren es fraglos Neger. Wer viel mit Farbigen zu tun gehabt hat, lernt die typischen Körperausdünstungen unterscheiden. Ein Neger „riecht“ anders als etwa ein Inder oder Chinese. Jede Rasse hatte in dieser Beziehung ihre Verschiedenheiten.

Und dann wieder das heisere Flüstern – eine verstellte Stimme, vielleicht sogar die der blonden Frau:

„Wie heißt Eure Jacht?“

Rasch entschlossen, in unbewußtem Mißtrauen, daß diese Leute irgendwie zu Ali Mansur in Beziehungen stehen könnten, erwiderte ich:

„Allania … Wir haben nur noch drei farbige Matrosen an Bord, sind also zu fünfen … – Ich bitte Sie, mich wieder freizugeben … Wir sind harmlose Gelehrte und erst abends hier in der Bucht vor Anker gegangen.“ – Ich spielte den Ängstlichen.

Und wieder die heisere Stimme.

„Wenn Sie Deutscher sind, so werden Sie mir auch deutsch antworten können.“ Und – nun in meiner Muttersprache: „Wie lange bleiben Sie hier in der Bucht?“ – Das Deutsch des Unsichtbaren hatte etwas Hartes, Abgehacktes, so, als ob der Betreffende Russe oder Pole sei. (Falls es eben nicht doch die Frau war!)

„Wir wollten morgen abend weiter nach Süden,“ erwiderte ich. „Die Pflanzenwelt des Dschebel Hagier soll mancherlei seltene Arten aufweisen …“

Und ängstlich und flehend fügte ich hinzu:

„Bitte – lassen Sie mich frei … Mein Freund und Kollege wird meinetwegen sehr in Sorge sein, wenn –“

„Der Name Ihres Freundes?“ unterbrach der Unsichtbare mich.

„Professor Hermann Hirt …“

„Ich merke es Ihrem deutsch an: Sie sind Deutscher! – Verzeihen Sie, daß ich Sie so unliebenswürdig hier empfing. Geben Sie mir Ihr Wort zu schweigen, und Sie können zu Ihrer Jacht zurückkehren …“

„Oh, mit Freuden gebe ich es – mit Freuden! Was gehen uns hier Ihre Angelegenheiten an?!“

„Nun denn: Wir sind Schmuggler, Herr Doktor … Wir haben nichts dagegen, daß Sie bis zum Abend in der Bucht bleiben, verlangen nur, daß Sie und Ihr Freund dieses Abenteuer niemandem erzählen, auch Ihren Matrosen nicht …“

„Das hätte ich ohnedies nicht getan … Die Leute wären sonst noch frecher geworden. Vor Gelehrten haben sie wenig Respekt!“

Die Stimme sagte nun etwas in einer mir unbekannten Sprache …

Die Fäuste ließen mich los …

„Leben Sie wohl, Herr Doktor!“

Und dann bekam mein Boot einen kräftigen Stoß …

Ich richtete mich auf, rief noch:

„Ich danke Ihnen … danke Ihnen vielmals …“

Griff zu den Rudern … Und trieb mein Boot schleunigst dem hellen Fleck des Einganges zu – ins Freie …

Atmete erst auf, als ich dicht bei der Atlantis war …

Und fühlte, daß mir die Kleider förmlich am Körper klebten, daß ich unglaublich – geschwitzt hatte – vor Aufregung!

Glück hatte ich gehabt …! Wenn die Kerle dort in der Grotte meine unter der Decke verborgene Laterne oder meine gespannte und entsicherte Pistole bemerkt hätten, ob sie dann wohl noch dem Doktor Schrott getraut haben würden?! –

Atiru rief mich jetzt an …

„Tuwan, unsere Wache ist vorüber … Hast Du die Frau gefunden?“

„Nein …“ – Ich stieg an Deck. Wir holten das Beiboot ein … Mit einem Male stand Harald neben uns – nur in seinen leichten seidenen Unterkleidern, triefend, als käme er soeben aus dem Wasser.

„Geh schlafen, Atiru … Du brauchst Deinen Bruder nicht zu wecken. Ich übernehme allein die Wache,“ sagte er kurz.

Der Malaie beugte sich vor und musterte ihn erstaunt, wollte noch etwas fragen …

„Geh schlafen!“ befahl Harald wieder.

Atiru verschwand …

Und ich – ebenso erstaunt:

„Harald, wo warst Du?!“

„Ebenfalls in der Grotte, mein Alter … – Ich konnte nicht einschlafen. Der Herr des Dschebel Hagier beschäftigte mich allzu lebhaft. Ich kam gerade in diesem Aufzug an Deck, als das Boot mit der Frau durch den Mondschein glitt. Ihr beide saht mich nicht. Ich ließ mich ins Wasser hinab und schwamm drüben am Ufer entlang … War also vor Dir in der Höhle, konnte jedoch nichts entdecken. Dann kam Dein Boot. Dann der Überfall auf Dich. Ich war in nächster Nähe, hörte alles mit an –“

„Und – was hältst Du davon?“

„Schwer zu sagen … Deine Angreifer waren jedenfalls Neger, und die Frau verhandelte mit Dir …“

„Konntest Du die Leute denn nicht belauschen, als ich mich entfernt hatte?“

„Nein … Ich hörte nur flüsternde Stimmen. Mit einem Male war alles still … Ich schwamm noch ein Stück vorwärts – stieß auf steinigen Boden, auf einen Felsblock mitten im Wasser. Die Leute waren nicht mehr da …“

Er sprach so, als ob er in Gedanken noch immer in der Grotte weilte …

„Wir werden jetzt John Trolby wecken,“ fügte er ebenso geistesabwesend hinzu. „Trolby mag hier wachen. Wir müssen die Grotte durchsuchen. Das blonde Weib interessiert mich … Ich wette, daß die Frau mit dem Geheimnis der Riesentrompete, des Geistes des Hagier-Berges, irgend etwas zu tun hat …“

„Hm – der Beweis hierfür? Oder ist’s nur eine Art instinktiven Fühlens?“

„Beweis?! Beweise?! Nein …! Der Instinkt sagt es mir. – Ich werde Trolby holen …“ –

Nach zehn Minuten ruderten wir, zwei brennende Laternen im Boot, in die Grotte hinein.

John Trolby aber bewachte unsere Atlantis.

 

5. Kapitel.

Die zweite große Liebe …

Jetzt bei Laternenlicht bot die Grotte nichts Besonderes. Sie war etwa zehn Meter breit, und das Wasser reichte etwa zwanzig Meter weit hinein. Dort, wo der Höhlenboden anstieg und frei von Wasser war, lag etwa drei Meter vom Uferstreifen entfernt ein gewaltiger Felsblock mit rissiger Oberfläche. Das Wasser umspülte ihn, und seine Seitenwände ragten etwa zwei Meter hoch empor. Er hatte die Form eines unregelmäßigen Würfels, und die Oberseite war gut neun Quadratmeter groß.

Harald, jetzt wieder in trockenen Sachen, sprach absichtlich ganz laut über Höhlenmolche, Höhlensalamander und anderes Getier, das im Dunkeln zu leben pflegt. Er tat so, als ob wir lediglich aus Forscherdrang hierher gekommen wären.

Und doch fand er immer wieder Gelegenheit, mir irgend etwas zuzuraunen …

„Wir müssen weiter in die Grotte eindringen,“ flüsterte er. „Spürst Du nicht die Zugluft? Sie hat einen zweiten Ausgang …“

Dann folgten streng wissenschaftliche Bemerkungen über Höhlenflora. Er riß eine an dem Felsen angewachsene Alge ab – ein ganzes Pflanzenbüschel …

Hielt Vortrag …

Wer uns beobachtete, mußte glauben, wir seien weltfremde Gelehrte, die nur für ihre Spezialwissenschaft Interesse hatten. Wir rechneten auch damit, beobachtet zu werden. Die an den Seiten stark zerklüftete Grotte bot übergenug Verstecke.

Und abermals flüsterte Harst: „Sie haben das Boot der Frau weggeschafft … Oder verborgen …“

Er schwang sich jetzt auf den Felsblock hinauf …

„Gib mir eine der Laternen …“

Ich reichte sie ihm … Und er beleuchtete das Gestein.

„Das ist Quarz … Viele Glimmerablagerungen darin …“

Und leise: „Der Stein ist hohl … Hier unter meinen Füßen bewegt sich ein Teil der Oberschicht … Ein Deckel aus Fels …“

Dann – wieder Komödie:

„Doktor, der Fels wackelt …! Was bedeutet das?!“

Er kniete … Seine Hände tasteten … Und plötzlich hob er wirklich eine große rauhe Platte empor, die tadellos in eine Öffnung paßte …

„Ah – ein mächtiges Loch, Doktor … Und – ein Boot liegt darin … Ein Zinkboot, ein winziges Ding … auch ein Ruder …“

Er stieg plötzlich hinab, bückte sich, kam wieder zum Vorschein …

Lachte: „Wirklich ein Boot! Und ein Ruder … Sonst nichts! – Doktor, wir erleben hier merkwürdige Dinge! Das Boot gehört wohl den Schmugglern … – Nun – mag es!!“ Und er legte den Deckel wieder auf. „Wir wollen jetzt dort weiterhin nach Molchen suchen, Doktor … Diese Alge gehört zu einer mir bisher unbekannten Art … Wenn wir nur Glück hätten und etwas Besonderes fänden. Es müßte hier doch tropische Arten von Höhlensalamandern geben, zum Beispiel den dreißig Zentimeter langen Baduba, der äußerst giftig ist und Giftzähne wie die Schlangen im Maule hat …“

Inzwischen hatten wir unser Boot bereits an Land gezogen. Es galt nun, den anderen Ausgang der Grotte zu finden. Und dieses Suchen mußte so unauffällig geschehen, als ob lediglich der Zufall uns diesen Ausgang entdecken ließ. Wir nahmen eben immer noch an, daß wir beobachtet wurden.

Ich will mich hier nicht weiter mit Einzelheiten aufhalten, in welcher Weise wir unseren Zweck erreichten und doch tadellos die salamandergierigen Gelehrten spielten. Jedenfalls: nach zehn Minuten hatten wir die immer enger werdende Grotte durchquert und standen nun im Freien auf einem Felsbalkon, unter dem ein Abhang senkrecht und wohl dreißig Meter tief in einer Schlucht sich verlor.

Jenseits dieser Schlucht erkannten wir Bergwälder mit eingestreuten grünen Matten: die Ostabhänge des Dschebel Hagier!

Der neue Tag dämmerte schon herauf. Im Morgenzwielicht genossen wir von diesem Felsbalkon eine Aussicht, wie man sie wohl selten finden wird. Ganz links schnitt das Meer in breiter Bucht tief ins Land hinein. Halb links lag das Bergmassiv des Dschebel Hagier. Geradeaus tropische Urwälder, noch eine steinige, endlose Hochebene …

Und dort rechts erblickten wir inmitten dieser Hochebene einen grünen Fleck: Bäume und Buschreihen, dazwischen aber ein merkwürdiges Bauwerk, eine uralte Burg scheinbar.

Immer heller wurde es jetzt. Immer deutlicher gewahrten wir die Umrisse des fernen massigen Gebäudes.

Und da sagte Harald mit einem Male:

„In der englischen Übersetzung des Buches unseres berühmten Landsmannes Schweinfurth über Sokotra – er bereiste und durchforschte die drei Inseln im Jahre 1881 – ist auch ein portugiesisches Kastell an der Ostküste erwähnt. Die Portugiesen waren ja die ersten Herren der Inselgruppe. Jenes Bauwerk drüben muß das Kastell sein. Es heißt im übrigen Castello Santa Virgo, also die Burg der Heiligen Jungfrau …“

Dann nahm er sein Fernglas aus dem Lederetui und stellte es auf die Burg ein …

Schaute lange und angestrengt hin und murmelte mehr für sich:

„Der linke Eckturm … Sonderbar … Da ist doch ein Gesicht hinter den Eisenstäben des einen Fensters …“

Er gab mir das Glas …

„Sieh doch einmal zu, mein Alter, ob Du dort etwas bemerkst …“

Nun – mit meinen Augen ist es leider nur mäßig bestellt. Immerhin, auch ich glaubte hinter den Stäben eines der Turmfenster einen hellen Fleck zu erkennen, der sehr wohl ein Gesicht sein konnte.

Dann meinte Harald:

„Kehren wir jetzt um … Wir werden uns all diese Erlebnisse den Tag über durch den Kopf gehen lassen … Und abends werden wir das Castello Santa Virgo besuchen. Es – interessiert mich …“

„Des Gesichts wegen?“

„Ja …“

Und wir traten wieder in die Grotte zurück, wo wir unsere Laternen auf einen Stein gestellt hatten. Sie waren noch da …

Und als wir nun unten den mit Wasser gefüllten Teil der Höhle erreicht hatten, da – war etwas anderes – nicht mehr vorhanden …

Nämlich …

Der freundliche Leser mag raten … Unser Boot – ja, das lag noch, wo und wie wir es aufs Trockene gezogen hatten … –

Vielleicht – – war der mächtige hohle Felswürfel im Wasser verschwunden?

Nein – auch das nicht!

Und doch – etwas fehlte, etwas das ich in der Nacht verschwommen als hellen Fleck wahrgenommen: der Grotteneingang …!!

Der fehlte …!! – Und wir beide standen und starrten geradeaus …

Starrten dorthin, wo noch vor einer knappen Stunde der bogenförmige Eingang unser Boot hindurchgelassen hatte.

Nichts mehr davon zu sehen – nichts! Keinerlei Öffnung mehr – nur Gestein – überall!

Wie durch einen Zauberspruch war der Eingang verschwunden. Und niemals konnten hier Menschenhände am Werke gewesen sein. Das war unmöglich. Nur Naturgewalten hatten hier eingegriffen …

„Rasch ins Boot,“ meinte Harald … „Ein Einsturz ist erfolgt … Die Umgegend des Dschebel Hagier zeigt noch heute stellenweise vulkanischen Charakter. Schweinfurth fand heiße Quellen, starke Gasquellen und ein paar Schlammgeiser … Nur eine Erschütterung aus dem Erdinnern kann hier Gesteinsmassen zum Einbruch gebracht haben.“

Wir schoben das kleine Beiboot ins Wasser … Ruderten dorthin, wo jetzt im Lichte der Laternen immer deutlicher die Größe dieser Katastrophe hervortrat. Eine mächtige Halde von Steinblöcken lag an jener Stelle, wo der Eingang sich befunden hatte. Geradezu ungeheure Blöcke waren hier wirr übereinander geworfen. Nirgends schimmerte Tageslicht hindurch …

Und als wir nun ganz nahe heran waren, da – streckte ich den rechten Arm aus …

„Harald – – zwei … Leichen … Zwei Araber – halb verschüttet …!“

Harst schwang sich schon auf einen der Blöcke, kletterte höher … Ich folgte. Ich hatte das Boot rasch an eine Steinzacke gebunden …

Und nun – die Toten …

Beide bis zum Leibe mit Geröll bedeckt … Beide unten völlig zerquetscht. Und – – beide mit furchtbaren Schädelwunden … Beide mit zertrümmerten Schädeldecken.

Dabei waren die Leichen völlig frisch … So frisch, daß der Tod erst vor Stunden eingetreten sein konnte. Jedenfalls aber nicht erst bei Gelegenheit dieser Einsturzkatastrophe …

Harald kniete – untersuchte die Wunden … Richtete sich auf …

„Keulenhiebe – dergleichen,“ erklärte er. – Und leiser: „Erinnere Dich, was der Malaie erzählte: Wenn der Geist des Dschebel Hagier seine Stimme ertönen läßt, findet man nachher stets Araber mit eingeschlagenem Schädel … Stets!! Und hier – wieder zwei Opfer des seltsamen Geistes … Hier in der Höhle … Zwei Araber. Und gerade Araber bilden die Hauptmasse der hiesigen Bevölkerung. Außerdem gibt es im Westen der Insel noch Dörfer von Somali-Negern und im Innern Beduinen-Niederlassungen. So steht’s in Schweinfurths Reisewerk …“

Abermals kniete er da nieder … Befühlte die aus feinster Schafwolle gewebten Mäntel der Toten …

Und – holte aus dem zur Tasche umgearbeiteten Zipfel des einen Mantels ein Elfenbeinplättchen hervor, auf dem beiderseits arabische Buchstaben in Schwarz tief eingeritzt waren …

„Das Ding sieht fast wie eine Spielmarke aus …“ meinte er kopfschüttelnd. „Leuchte mal … – Ah – tatsächlich: beiderseits steht „zehn“ und dazu noch etwas wie ein Namenszug … Ich möchte behaupten: Es ist eine Spielmarke! Alle Völker huldigen dem Spiel, selbst die unkultiviertesten. Und gerade die Araber sind von jeher Erfinder sehr komplizierter Würfelspiele gewesen …“

Abermals betastete er die Mäntel da … Und – fand so wirklich auch bei der anderen Leiche ein ähnliches Elfenbeinplättchen – nur mit „fünfzehn“ beiderseits – aber mit demselben verschnörkelten Namenszug … –

Er steckte die beiden Elfenbeinmarken zu sich. Dann ruderten wir wieder hinüber, zogen das Beiboot aufs Trockene und schulterten es auf. Wir mußten es mitnehmen. Die Atlantis hatte nur dieses Rettungsboot. Keuchend und schwitzend schleppten wir es bis hinauf auf den Felsbalkon, von dem nach rechts hin ein breiter Felsgrat wie ein Pfad nach unten in die Schlucht lief.

Hier in der Schlucht ließen wir das Boot zurück und erklommen die Uferhöhen der Bucht, sahen nun zu unserer Beruhigung die Atlantis noch am selben Fleck ankern und an Deck unseren Freund Trolby im Gespräch mit den Malaien.

Eine Viertelstunde später waren wir an Bord …

Trolby drückte uns die Hände …

„Ich fürchtete schon, Sie beide wären mit verschüttet worden,“ meinte er sehr ernst. „Dort an der Wand drüben begann plötzlich das Gestein zu rutschen, nachdem das Wasser der Bucht mit einem Male sehr unruhig geworden war … So allmählich senkten sich die Gesteinsmassen, daß nur wenig Lärm entstand …“

Und dann – holte er aus der Tasche – einen Zettel hervor …

„Herr Harst, dieser Wisch lag auf der Achtertreppe … Wie er dorthin gekommen, weiß ich nicht. Mir war’s einmal so, als ob ein Schatten über das Deck glitt … Es muß sich also jemand der Jacht schwimmend genähert haben. Die Schriftzeichen auf dem Zettel sind mir fremd …“

Harald entfaltete das Papier. Es war ein halber Bogen sehr teuren Leinenpapiers …

„Das sind arabische Buchstaben, lieber Trolby,“ sagte Harald sehr gedehnt. „Und hier steht:

„Herr Harst, retten Sie mich! Ich liebe Sie! Ich bin Ihre zweite große Liebe …““

Der brave Trolby machte ein unglaubliches Gesicht …

„Eine Frechheit!“ brummte er …

Und Harald ergänzte:

„Vielleicht etwas ganz anderes als eine Frechheit … – Meine zweite große Liebe!! Woher weiß die Schreiberin dieser Zeilen, daß Harald Harst hier an Bord der Jacht ist?! Und woher weiß sie, daß ich einst die Braut durch einen Mord verlor?! Und – dieser Mord an dem Liebsten[*1], das ich damals besaß, ließ mich ja Detektiv werden. Sehr seltsam ist das alles …“ –

Hiermit schließe ich den ersten Teil unserer Abenteuer im Sultanat Sokotra … Der zweite enthält eine Reihe raffinierter Verbrechen, bei denen der Geist des Hagier, das Kastell der Santa Virgo und noch manches andere eine wichtige Rolle spielten.

 

 

Castello Santa Virgo.

 

1. Kapitel.

Der Stein auf dem Sonnendeck.

Sikiri und Atiru hatten den Frühstückstisch unter dem Sonnensegel auf dem Achterdeck hergerichtet.

Trolby und wir beide saßen nun recht behaglich in bequemen Klappstühlen und sorgten für unseren sterblichen Leib. Auch das Geistige kam nicht zu kurz, denn der gute Trolby fragte Harald immer wieder nach diesem und jenem. Besonders interessierte es ihn, wer die Absenderin des Zettels wohl sein mochte.

Harald war ausnahmsweise redselig. Freilich – seine Antworten für den braven John glichen denen eines Orakels, waren also zumeist doppelsinnig und ließen sich so und so deuten.

Trolby murrte schließlich: „Das nützt mir alles nichts, werter Harst … Sie reden wie die Katz um den heißen Brei herum … Äußern Sie sich genauer …“

Harst lächelte gutmütig. „Dann sagen Sie mir mal erst: Wann etwa bemerkten Sie die über das Deck huschende Gestalt?“

„Na – wie’s noch ganz dunkel war. Sie beide hatten die Jacht kaum erst eine Viertelstunde verlassen …“

„Das ist alles sehr rätselhaft, lieber Trolby. Die Frau, die sich meine zweite große Liebe nennt, bittet mich, sie zu befreien. – Von wo denn? Wer ist’s?“

„Das habe ich schon dreimal gefragt,“ brummte der kleine Trolby …

Die Sonne kam jetzt langsam über die Uferberge empor. Das Wasser der Bucht gleißte und schillerte …

„Und dreimal habe ich angedeutet, daß ich Ihnen leider keine bestimmte Antwort geben kann,“ erwiderte Harald. „Sie verlangen zu viel von mir … Ich bin auch nur ein Mensch!“

Trolby stopfte sich seine Pfeife. „Ein Detektiv muß doch an einem am Tatort gefundenen Streichholz herausfinden, wer der Täter ist … So kann man’s bei Sherlock Holmes lesen …“

„Das Leben und die Wirklichkeit bestätigen zum Teil die Holmessche Art der Detektivarbeit, lieber Trolby. Hier haben wir zum Beispiel den halben Bogen Leinenpapier, der mit Tinte, arabische Schrift, beschrieben ist. Mag Schraut Ihnen erklären, was der halbe Briefbogen verrät. Er hat ihn ja vorhin von allen Seiten betrachtet – auch die Fingerabdrücke, die fraglos von den schweißfeuchten Fingern des Überbringers herrühren …“

Oh – ich wollte mein Lichtlein nicht unter den Scheffel stellen … Sagte prompt:

„Das Briefpapier stammt aus London. Man erkennt das Wasserzeichen im Papier und den Namen der Firma: Knorx, London. – Außerdem aber sieht man an dem Schmutzstreifen zu beiden Seiten des Mittelkniffs des Papiers, daß der halbe Bogen unbenutzt sehr lange in einer Brieftasche gelegen hat …“

„Bravo!“ nickte Harald.

„Schließlich ist das Papier mit Tinte beschrieben, einer sehr guten Tinte. Mithin hat die Person, die befreit werden will, gute Tinte zur Verfügung. Ihr Kerker kann also nur milder Art sein.“

„Bravo …!“

„Und zu allerletzt: Die arabischen Buchstaben verraten keine ausgeprägte Handschrift, und doch möchte ich der ganzen Art nach, wie sie gemalt sind, auf einen sehr energischen Charakter schließen und … auch bezweifeln, daß es sich hier um eine Farbige, also um eine Araberin handelt …“

Jetzt folgte kein Bravo! von Haralds Seite … Und als ich ihn fragend anschaute, blickte er zum Himmel empor.

Trolby rief: „Das alles ist ebenfalls für die Katz …! Ich hätte mir Detektivarbeit ganz anderes vorgestellt … Ich meine: die allerfeinste Detektivarbeit, so mit viel Witz und Geistesreichtum!“

Freund Harst lachte. „Wenn ich jetzt Schrauts Angaben ergänzen wollte, lieber John, dann würden Sie bestimmt annehmen, ich wollte Sie ein wenig aufziehen …“

„Oh – nur los …!! Ich vertrage schon einen Puff!“

„Die Absenderin raucht mit Vorliebe englische scharf parfümierte Zigaretten und trägt diese zum Teil in der Brieftasche … Wenn Sie die Rückseite des Papiers genau betrachten, erkennen Sie drei gelbliche Striche … Und die rühren von Zigaretten her, die eng an das Papier gedrückt in der Brieftasche längere Zeit lagen. Und wenn Sie den halben Bogen an die Nase führen, riechen Sie auch den Zigarettentabak, dessen Duft dem Papier anhaftet …“

Trolby beschnupperte den halben Bogen …

„Stimmt! – Nur weiter …“

„Und die Absenderin ist gar keine „in“, sondern ein „er“, ein Absender … Denn zunächst: eine Frau trägt kaum eine Brieftasche bei sich, und zweitens: die Schrift hat etwas Männliches …“

„Davon verstehe ich nichts,“ meinte Trolby ehrlich. „Aber – mag sein …!“

„Und der Schreiber dieser Zeilen und der Überbringer sind ein und dieselbe Person, ein Mann, der fraglos uns in der Nacht hier an Deck belauscht hat, der also zur Atlantis hinüberschwamm, um zu spionieren. So nur kann er gehört haben, daß Sie, lieber John, mich mit Harst anredeten, und da er Harald Harst dem Namen nach kennt, wußte er sofort Bescheid …“

Trolby schlug sich knallend auf den Schenkel …

„Verdammt! Wozu brachte er denn aber den Wisch an Bord?! Wozu der Unsinn von Harald Harsts zweiter Liebe?! Und …“

„Gestatten Sie, lieber John: der Mann bezweckt damit etwas ganz Bestimmtes.“

„So?!“

„Ja … Er ahnt wahrscheinlich, daß wir lediglich Mary Dagnaars wegen nach Sokotra kamen …“

„Wie soll er das ahnen?!“

„Nun – er wird doch Zeitungen lesen. Und auch hier in der Hauptstadt Tamrida gibt es Zeitungen, die der Tourendampfer aus Aden mitbringt. Die neuesten Depeschen haben sicherlich über unser Abenteuer auf Groß-Coco berichtet, also auch Ellen Dagnaar erwähnt. Nehmen wir nun weiter an, daß Kapitän Dagnaar diesen Mann hier kennengelernt hat und daß er ihm hinsichtlich seiner verschwundenen Tochter sein Leid geklagt hat, so haben Sie eine tadellose Verbindungsbrücke dieser Personen und Ereignisse …“

„Sie meinen also, er will Sie auf Mary Dagnaar hinweisen?“ fragte John Trolby nachdenklich …

„Ja, das meine ich …“

„Hm – eine merkwürdige Art, jemand auf …“

„… auf eine Gefangene aufmerksam zu machen … – Und gerade weil dieser Zettel so ungenau ist, werden wohl noch weitere folgen …“

Ein Zufall wohl, daß gerade im selben Moment etwas oben auf das Sonnensegel klatschte …

Wir blickten empor … Ein Stein schien’s zu sein … Er rollte noch ein wenig zur Seite, blieb dann liegen …

„Atiru!“ rief Harald, sprang auf und trat an die Steuerbordreling, schaute zum fünf Meter entfernten Steilufer empor …

Ich trat neben ihn …

„Der Stein rollte so, daß der Werfer nur dort stecken kann,“ meinte Harst.

Atiru hatte schon mit einem Bootshaken den flachen, handgroßen Stein geangelt …

„Ein Papier!“ brüllte er …

„Also die zweite Botschaft der – zweiten Liebe!“ lächelte Harald …

Diesmal war’s nur die aus einem Notizbuch herausgerissene Seite, auf der, wieder mit Tinte und arabischen Buchstaben, geschrieben stand:

Herr Harst, ich werde im Westturm des Kastells gefangen gehalten … Retten Sie mich! Mary Dagnaar.

„Jetzt wird auch mir die Sache rätselhaft,“ meinte Harald. „Der Mann kann nur ein Beauftragter Marys sein, oder …“ – Lange Pause … Und dann: „Atiru, Sikiri – rasch dort an Land! Durchsucht alle Risse und Spalten!“

Bevor die Malaien sich noch ins Wasser werfen konnten (das Beiboot lag noch in der Schlucht), erschien drüben an der Steilwand ein – kleiner Neger in schmierigem Leinenanzug …

Aus einem Gestrüpp tauchte er auf, kletterte jetzt gewandt wie ein Affe höher und höher und kroch in einen der Felskamine hinein, die das Gestein nach oben zu durchzogen. Dort verschwand er …

Wir fünf starrten ihm nach …

„Das war der Werfer des Steines, an dem das Papier festgebunden war,“ nickte Harald …

„Ein Nigger!“ brummte Trolby verächtlich …

„Oh – die Neger hier auf Sokotra sind sämtlich Somalis, sind Mohammedaner und sehr stolz …“

„So ’n Knirps! Der Kerl sah wie ein Junge aus … Und der soll die Zettel geschrieben haben?! – Lieber Harst, das glaube ich nie im Leben! Ein Neger auf Sokotra kann kaum seinen Namen malen, geschweige denn …“

„Bitte – der Neger hat einen Schönheitsfleck …!“

Trolby blickte Harst mißtrauisch an.

„Schönheitsfleck?! Soll das ein Witz sein?!“

„Nein, mein voller Ernst … Der Neger hat tatsächlich einen solchen Fleck, und …“

„Ein Kutter!!“ brüllte der Malaie Atiru da … „Ein großer Motorkutter!“

Unsere Köpfe flogen herum.

Soeben bog ein hellgrauer Kutter um die nächste Biegung der Bucht …

Am Heck wehte die Flagge des Sultans von Sokotra, darunter die englische …

Und dort am Heck standen drei Europäer in weißen Anzügen und mit Tropenhelmen … Neben ihnen ein schlanker Araber in blendend grünem Überwurf, um den Hals einen Orden an goldener Kette …

Das war Seine Hoheit der Sultan Azil Darba von Sokotra …

 

2. Kapitel.

Die Besitzerin des Kastells.

„Was mögen die Herrschaften wollen?“ fragte John Trolby etwas beunruhigt. „Sie kommen doch fraglos unseretwegen her … Die Europäer sind wahrscheinlich Beamte des englischen Residenten aus Tamrida …“

„Vielleicht hat der Neger unsere Anwesenheit hier gemeldet,“ meinte Harald gleichmütig. „Vielleicht will man mich bitten, dem Geist des Dschebel Hagier so ein wenig nachzuspüren …“

Inzwischen war der Motorkutter schon dicht heran …

Die drei Europäer grüßten. Der Sultan verneigte sich etwas.

Dann saßen die vier unter unserem Sonnensegel: Seine Hoheit Azil Darba, sein Privatsekretär Sir Manfred Field, drittens der Vertreter des Residenten, Mr. Jongard, viertens der Polizeidirektor von Tamrida Albert Bastingear.

Mr. Bastingear machte den Sprecher …

„Ihre Vermutung trifft zu,“ wandte er sich nun an Harald. „Ich erhielt vor drei Stunden durch einen Somali, der sich sofort wieder entfernte, einen Zettel, auf dem mir ein Ungenannter mitteilte, daß die Jacht Atlantis mit den deutschen Detektiven Harst und Schraut hier in dieser Bucht ankere.“

„Könnte ich den Zettel sehen?“ warf Harald ein.

„Bitte!“

Ich saß neben Harst. Ich sah auf den ersten Blick, daß der Zettel die andere Hälfte des Briefbogens war, der mit den Zigaretten so innig vereint in einer Brieftasche gelegen haben mußte.

Die Aufschrift war englisch, die Handschrift verstellt …

Harald reichte dem Polizeidirektor den Zettel zurück.

Und Bastingear fuhr fort: „Ich meldete dies sofort dem Vertreter Seiner Exzellenz des Residenten. Exzellenz selbst weilt auf Urlaub in London. Mr. Jongard wieder setzte sich mit Sir Field in Verbindung. Wir beschlossen, Sie aufzusuchen …“

„Des Geistes des Hagier wegen …“ nickte Harald.

Die Herren stutzten. Der Sultan stierte Harst noch durchdringender an.

„Der Geist hat sich in der vergangenen Nacht wieder gemeldet,“ fügte Harald hinzu. „Ich bin über dieses Schreckgespenst Sokotras bereits durch unsere malaiischen Matrosen unterrichtet. Wir hörten hier die Stimme des Geistes. – Sind wieder Tote gefunden worden?“

„Nur drei,“ erklärte der Polizeidirektor. „Sie lagen wieder außerhalb der Stadt – mit eingeschlagenen Schädeln.“

„Araber?“

„Zwei Araber und ein Perser, Kaufleute aus Aden, die seit einer Woche in Tamrida weilten.“

„Wie oft meldet sich der Geist?“

„Sehr unregelmäßig. Oft vergehen viele Wochen, ohne daß etwas geschieht.“

„Und seit wann meldet er sich?“

„Oh – die Sage von dem Herrn des Dschebel Hagier lebt seit Jahrhunderten in der hiesigen Bevölkerung auf. Die Stimme des Geistes war früher nur weit schwächer, und – die Todesopfer fehlten. Seit anderthalb Jahren erst geschehen diese unheimlichen Dinge. Unsere Versuche, all dem auf die Spur zu kommen, sind erfolglos geblieben. Seine Hoheit der Sultan hatte schon vor einem halben Jahr drei Londoner Detektivbeamte erbeten. Die drei konnten nichts ausrichten und reisten nach vier Monaten wieder ab. Wir stehen hier vor einem Rätsel. Daß es sich um Verbrecher handelt, wissen wir. Die Toten sind stets völlig ausgeplündert. – Würden Sie den Fall übernehmen?“

Harald erwiderte prompt:

„Zu meinem Bedauern habe ich dazu keine Zeit. Ich befinde mich auf einer Vergnügungstour mit meiner Jacht und werde schon heute abend nach Aden weitersegeln. Immerhin könnte ich später hierher zurückkehren. Deshalb gestatten Sie einige Fragen …“

„Bitte – sehr gern …“ Der Polizeidirektor und auch die anderen Herren machten enttäuschte Gesichter.

Harst fragte:

„Hat man denn nicht wenigstens ermitteln können, wo diese überlauten Töne ihren Ursprung haben?“

„Nein. Wahrscheinlich an den Nordostabhängen des Dschebel Hagier.“

„Ist die Gegend dort bewohnt?“

„Sie war bewohnt. Die Leute sind sämtlich aus Angst anderswohin übergesiedelt. Lediglich ein für die Geschichte Sokotras recht interessantes Bauwerk, das Castello Santa Virgo, dessen Besitzerin eine englische Malerin ist, beherbergt noch außer Miß Ethel Boeter einige Menschen, ihre Dienerschaft.“

„Seit wann wohnt die Malerin dort in der Einsamkeit?“

„Seit zwei Jahren … Miß Boeter ist sehr menschenscheu.“

„Merkwürdig, daß eine Malerin sich dort in der Einöde wohlfühlt …“

Der Polizeidirektor lächelte. „Wohl so ein kleiner Spleen oder Ekel vor der Überkultur … Jedenfalls ist Miß Boeter, diejenige, die noch immer den Verbrechern nachspürt …“

„Ohne Erfolg?“

„Bisher ja …“ –

Seine Hoheit der Sultan, übrigens ein Mann von recht imponierendem Äußeren, hatte sich bisher völlig ausgeschwiegen. Jetzt machte er eine recht energische Handbewegung und erklärte in tadellosem Englisch:

„Herr Harst, diese Sache mit dem Geist des Hagier muß ein Ende haben. Ich biete Ihnen dreitausend Pfund, wenn Sie mein Land von dieser Plage befreien.“

Harald verbeugte sich. „Ich nehme Ihr Anerbieten an, Hoheit. Ich werde nach zwei Wochen spätestens mich in Tamrida melden. Ich hoffe, die Summe verdienen zu können.“

Hiermit war der hohe Besuch beendet. Die Herren fuhren wieder davon.

Als ihr Kutter verschwunden war, meinte unser John Trolby grinsend:

„Der Geist ist also eine Verbrecherbande, und ich will drei Liter Wasser saufen, wenn diese Miß Ethel Boeter nicht die Blonde von der verflossenen Nacht und bei alledem die Hauptmacherin ist …“

Harald hob die Schultern. „Freund Trolby, man soll nichts für gewiß annehmen. Diese Dinge sind von so unendlich viel dunklem Beiwerk umgeben, daß man sich hüten muß, ohne bestimmte Beweise einen Verdacht auszusprechen. Jedenfalls ist es doch schon sehr merkwürdig, daß der Neger unsere Anwesenheit hier nach Tamrida gemeldet hat. Noch merkwürdiger, daß der durch den Stein beförderte zweite Zettel Mary Dagnaars Namen als Unterschrift trägt. Ich sehe da noch nicht völlig klar …“

„Oho! Noch nicht völlig klar!! – Was heißt das?! Also – etwas ahnen Sie doch schon?“

„Gewiß, lieber Trolby … Und deshalb werde ich mit Schraut jetzt sofort in aller Öffentlichkeit Miß Boeter einen Besuch abstatten …“

„Wie – – was?! Nach dem Kastell wollen Sie? Da komme ich mit …“

„Das geht nicht, bester John. Sie müssen die Atlantis bewachen … – Schneiden Sie kein so wütendes Gesicht … Bedenken Sie, daß unsere Malaien doch das Beiboot noch aus der Schlucht holen müssen. Das wird Stunden beanspruchen. Soll die Atlantis derweil ganz ohne Schutz sein?!“

Trolby fügte sich. Und gegen zehn Uhr vormittags brachen wir beide auf.

Wie Harald diese Visite bei Miß Boeter nach der Gefahrenseite hin einschätzte, merkte ich an seinen Vorbereitungen. Nicht nur, daß er mir riet, mehrere Ersatzbatterien für meine Taschenlampe und in dem Umschlag der Sportstrümpfe ein kleines Federmesser mitzunehmen, nein, er selbst zog noch jenes Paar brauner Schnürschuhe an, deren beide Absätze hohl waren und die sich auch durch einen Druck auf einen unauffälligen Knopf im Leder leicht ablösen ließen. Die Höhlungen dieser Absätze enthielten seit Jahren stets dieselben Dinge: eine erstklassige Stahlfeile, die sich aus drei Stücken zusammenschrauben ließ, weiter einen Griff dazu, dann drei Bohrer von verschiedener Größe nebst Griff, schließlich noch ein Fläschchen mit Öl und ein zweites, das mit einer bestimmten Phosphormischung gefüllt war und als Laterne dienen konnte, – alles in Miniaturformat.

So ausgerüstet, die Clementpistolen nicht etwa in der Tasche, sondern unten in dem Bausch der Kniehosen, sprangen wir an Land, nachdem die Jacht durch die Malaien mit Bootshaken näher an das Ufer gebracht worden war.

Der Anstieg zur Uferhöhle war die reine Entfettungskur. Die Sonne brannte so unbarmherzig, daß selbst der trainierte magere Harald manches Tröpflein Schweiß vergoß.

Trotzdem waren wir beide bester Laune. Der Gedanke, endlich einmal wieder unsere Kräfte mit einer fraglos überaus intelligenten Verbrecherin messen zu können, ließ uns geradezu aufleben.

Der Abstieg zu der steinigen Hochebene, in deren Mitte das Kastell, in Grün eingebettet, uns entgegenwinkte, war nicht minder anstrengend. An eine Unterhaltung war erst zu denken, als wir nun endlich zwischen den Geröllmassen und verstreuten Felsgruppen des Plateaus hindurchwanderten. Und hier nun sagte Harald als Einleitung eines längeren Gesprächs:

„Ethel Boeter betreibt insgeheim eine Spielhölle …“

Man kann sich unschwer vorstellen, wie diese Worte auf mich wirkten. Mein erstauntes Gesicht änderte jedoch ebenso rasch den Ausdruck. Mir fielen die beiden Spielmarken ein, die Harald den Toten in der Grotte abgenommen hatte. Und als ich nun Harsts Behauptung in Gedanken näher prüfte, erschien mir die Spielhölle durchaus wahrscheinlich.

„Sie läßt also durch Schlepper reiche Kaufleute nach dem Kastell locken …“ meinte ich.

„Ja … Du hörtest, mein Alter, daß sie ein Auto besitzt – eins der wenigen hier auf Sokotra … Das Auto kann das Kastell von Tamrida in einer Stunde erreichen, kann auch die Toten wieder dorthin schaffen …“

„Allerdings … – Aber – weswegen hält die Boeter Mary Dagnaar gefangen?“

„Weiß ich nicht …“

„Und – der Neger mit … dem Schönheitsfleck?“

Einer Antwort wurde Harald durch einen besonderen Vorfall überhoben.

Von einer hohen Felsgruppe rechter Hand rollte plötzlich ein Stein herab – uns vor die Füße …

Und um den Stein war mit Bindfaden ein Zettel gebunden …

„Ah – der Neger!“ meinte Harald, hob rasch den Stein auf und – lief um die Felsen herum …

Ich hinterher … Wir sahen gerade noch, wie der Schwarze im schmierigen Leinenanzug in einem breiten Streifen von Krüppelgebüsch verschwand.

Harst lachte …

„Mag er jetzt entwischen. Wir kriegen ihn schon noch …“

Dann blickte er nach dem Kastell hinüber …

„Wir können hier beobachtet werden …“

Und er trat wieder hinter die Felsen … löste den Zettel ab …

Da stand – englisch:

Ich warne Sie! Das Weib wird Sie beide umbringen. Gehen Sie auf keinen Fall in das Gebäude hinein …!

Mary Dagnaar.

„Die Tinte ist ganz frisch,“ sagte Harald. „Der Neger besitzt einen Füllfederhalter und hat diese Warnung soeben erst geschrieben …“

Dann nahm er sein Feuerzeug, verbrannte den Zettel …

So begann unsere Visite bei Ethel Boeter – recht vielversprechend.

Eine Viertelstunde später hatten wir das uralte Bauwerk dicht vor uns. – Mächtige, wenn auch verfallene Steinmauern umgaben das Kastell. Die Mauerwinkel wurden durch plumpe, runde Türme gebildet. Von dem Hause selbst war infolge der hohen Bäume wenig zu sehen.

Die Umgebung des Kastells war eine kahle Steinwildnis. Eine Art Weg führte von fern her zur nordwestlichen Mauer. Dort befand sich auch der Eingang, ein mächtiges, verwittertes Holztor.

Wir standen nun vor diesem Portal, über dem eine Holzstatue der Santa Virgo angebracht war. Ein Glockenzug war links neben dem Tor befestigt.

Bevor Harald jedoch die Glocke in Bewegung setzte, sagte er leise:

„Sahst Du hinter den Gittern des einen Fensters des westlichen Eckturmes die blonde Frau? Sie rührte sich nicht. Eine sehr verdächtige Unbeweglichkeit …“

Und ich erwiderte: „Es ist dasselbe Fenster, das wir heute morgen beobachteten …“

Da hatte Harst auch schon die Glocke gezogen.

Wir hörten nichts … Der Draht lief offenbar bis in das Kastell hinein …

Und wie wir so noch warteten, daß uns geöffnet würde, ertönte plötzlich hinter uns flüchtiger Hufschlag …

Wir drehten uns um …

Eine schwarzhaarige Frau im Herrensportanzug kam da auf einem prächtigen Reitdromedar herangetrabt …

Ein Weib mit gebräuntem Gesicht, das von einem großen Panama beschattet wurde …

Dicht vor uns zügelte sie das hochbeinige Tier … Ein Paar graue Augen musterten uns durchdringend …

„Sie wünschen, meine Herrn?“ fragte sie dann auf englisch …

Wir grüßten. Harst erklärte …

„Nicht wahr, ich habe die Ehre, Miß Boeter vor mir zu sehen …? – Der Polizeidirektor aus Tamrida und einige andere Herren …“

„Ich weiß, Herr Harst …“ unterbrach sie Harald mit einem liebenswürdigen Lächeln. „Ich komme aus Tamrida. Man hat mir alles berichtet …“

„Sie sollen dem sogenannten Geist des Dschebel Hagier nachspüren, Miß Boeter … ich will später dasselbe tun.“

„Ich weiß … – Und Sie möchten mich mancherlei fragen, Herr Harst … Bitte, läuten Sie nochmals …“

Sie ließ das Dromedar niederknien und glitt aus dem Sattel …

Jetzt öffnete ein alter grauhaariger Somali das Tor.

Miß Boeter winkte …

„Bitte – Sie sind mir herzlich willkommen, meine Herren …“

Als das schwere alte Balkentor hinter uns zuschlug, da war es mir genau so, als ob es die Tür eines – Hinrichtungsraumes gewesen … –

Der Neger führte das Dromedar. Miß Boeter ging zwischen uns – einen gut gepflegten Weg hinab, bis ein Rasenplatz sich vor uns dehnte, mitten darin das plumpe Viereck des Kastells, ein aus Steinquadern ausgeführter Bau mit Ecktürmen und Zinnen …

Der Haupteingang lag fünf Stufen hoch. Die Fenster waren sämtlich vergittert …

 

3. Kapitel.

Das Ölgemälde.

Harald blieb stehen …

„Wenn es Ihnen recht ist, Miß Boeter, könnten wir dort in jener schattigen Laube Platz nehmen. Meine knappe Zeit gestattet mir nicht, Ihre Gastfreundschaft voll zu …“

„Oh – wie Sie wünschen …“ Sie wandte sich an den alten Neger und sprach etwas zu ihm in einer mir völlig fremden Mundart.

Ich konnte sie jetzt in Ruhe mir ansehen. Sie war schlank und tadellos gewachsen. Ihr Profil hatte die reinen klassischen Linien altgriechischer Statuen.

Und ihre Stimme?! War es wirklich die der „Blonden“ aus der Grotte?! Hatte jenes heisere Flüstern auch nur die entfernteste Ähnlichkeit mit dieser vollen melodischen Altstimme?!

Da gewahrte ich, sie noch immer musternd, an dem linken Ärmel ihres hellgrauen Reitanzuges einen bräunlichen talergroßen Fleck …

Und dieser Fleck war mir jetzt wichtiger als alles andere.

Die Farbe des Fleckes deutete auf getrocknetes Blut hin. Wie kam Blut an diesen eleganten Anzug?!

Meine Gedanken mußten da notwendig eine andere Richtung nehmen. Ethel Boeter hatte sich uns wieder zugewandt. Der Schwarze führte das Dromedar weiter um das Kastell herum.

„Bitte, gehen wir also in die Laube,“ meinte sie mit demselben liebenswürdigen Lächeln wie vorhin.

Sie war ganz große Dame. Sie hatte die Sicherheit des Auftretens einer reifen Frau von Energie und natürlichem Takt.

Die Laube wurde durch die künstlich tief gezogenen Äste eines mächtigen Balsambaumes gebildet. Vier Stämme der tonnenförmigen Gurkenbäume bildeten die dicken Pfosten dieses schattigen Plätzchens. Ein Rohrsofa und vier Rohrsessel standen um einen plumpen Steintisch herum, dessen Granitplatte oben eine Unmenge von eingemeißelten Figuren und arabischen Buchstaben zeigte.

Miß Boeter hatte sich auf das Sofa gesetzt. Wir ihr gegenüber in Korbsessel.

Seltsam: sie lächelte noch immer. Aber dieses Lächeln erschien mir jetzt rätselvoll und fast verträumt. Ihre Augen ruhten fest auf Harald …

Und dann sagte sie leise:

„Sie tun mir sehr unrecht, Herr Harst … Ich weiß, daß Sie mich beargwöhnen …“

Selbst Harald war im ersten Moment verwirrt.

Er erwiderte zögernd: „Wenn Sie mein Mißtrauen spüren, so haben Sie es ja in der Hand, es zu zerstreuen. Ich – – suche Mary Dagnaar …“

Sie war ernst geworden. „Mary Dagnaar?“ wiederholte sie nachdenklich. „Wer ist das?!“

Harald stützte die Hände auf den Steintisch, beugte sich vor …

„Das ist die Frau, die im Westturm gefangengehalten wird, Miß Boeter …“

„Wie – hier im Kastell?!“ Und dann – lachte sie hell auf. „Oh, nun begreife ich … Sie haben das Gemälde dort am Turmfenster gesehen! Sie haben es für ein blondes Mädchen gehalten … – Kommen Sie, kommen Sie … Ihr Verdacht wird schwinden …“

Sie sprang auf, eilte voran – durch den prächtigen Garten zur dicken plumpen Balkentür des Westturmes, riß sie auf … ging die Steintreppe empor – bis in den ersten Stock …

Und hier – – ein Atelier, ein Wunder von Geschmack, ein Museum kostbarster arabischer Altertümer …

Fünf Staffeleien standen umher, hell beleuchtet durch das nach dem Garten zu in die Mauer neu eingefügte Riesenfenster …

Und dicht vor einem der alten vergitterten Fensterchen die sechste Staffelei – ganz dicht davor …

Mit einem Ruck schob Miß Boeter sie mehr zur Seite …

Und wir sahen das Ölgemälde eines blonden jungen Mädchens von überraschendem Liebreiz, mit dunklen, schwermütigen Augen. Oberkörper und Hals waren in Schleier gehüllt …

Die Farben des Gemäldes waren ungemein leuchtend und fast aufdringlich. Der Kopf schien fast plastisch aus dem graugrünen, wolkenartigen Hintergrund herauszuwachsen.

„Bitte!“ sagte die Malerin nur …

Nichts weiter …

Und rückte die Staffelei wieder vor das Fenster.

Harald verneigte sich leicht.

„Miß Boeter, wir erblickten drüben von dem Abhang her diesen Frauenkopf – heute morgen, als wir in der Grotte waren …“

Er betonte das Wort Grotte …

„Ja – ich kenne die Grotte,“ nickte die Malerin gleichgültig. „Ich wohne lange genug hier, um die ganze Insel zu kennen …“

Und ich, Max Schraut, war jetzt überzeugt, daß Ethel Boeter niemals die Blonde von der vergangenen Nacht gewesen …

Nein – das war ausgeschlossen! –

Harst verneigte sich abermals …

„Verzeihen Sie, Miß Boeter, – wenn Sie alles hier kennen, ist Ihnen vielleicht auch der Kaufmann Ali Mansur kein Fremder?“

„Dem Namen nach ist er mir bekannt, gewiß …“

„Schade … Ali Mansur dürfte über Mary Dagnaar mehr wissen als Sie …“

Ethel Boeter trat mit einem Male dicht vor Harald hin.

„Herr Harst, sehen Sie das Unsinnige Ihres Verdachtes denn noch nicht ein?! Was wollen Sie?! Weshalb fragten Sie den Polizeidirektor nach mir aus?! Weshalb scheuten Sie sich, das Kastell zu betreten?! Glauben Sie etwa, daß ich der Geist des Dschebel Hagier bin?!“

Harald schüttelte den Kopf.

„Miß Boeter, ich verstehe Sie nicht ganz … Sie der Geist des Hagier?! Der Polizeidirektor muß nicht ganz zurechnungsfähig sein, wenn er Ihnen etwa erklärt hat, daß …“

„Nein, nein – er nicht, er nicht …! Nur – mein Gefühl sagte mir, daß Sie …“

Harald lächelte humorvoll. „Sie scheinen hier in der Einsamkeit allen Glauben an die Menschheit verloren zu haben …“

Da ging mit einem Schlage eine auffallende Veränderung mit ihr vor …

Ihr Gesicht verfärbte sich … Ihre Wimpern wurden feucht … eine verstohlene Träne erschien im Augenwinkel.

Und mit leicht vibrierender Stimme erwiderte sie:

„Herr Harst, ich habe mehr verloren als den Glauben an die Menschen … Vor drei Jahren wurde mein Verlobter in Aden ermordet … Und mein Verlobter galt mir alles – alles!“

Sie wandte sich langsam um, ging an das Atelierfenster, stand dort still und starr, uns den Rücken zukehrend …

Die schmerzzerwühlte Stimme schien noch im Atelier in seinen Trauerakkorden nachzuklingen …

Und wir beide schauten uns an … Harst hatte auf der Stirn die bekannten drei senkrechten Falten … Doch diese Falten schwanden wieder. Nur seine Augen behielten den weltentrückten Blick tiefsten Nachdenkens …

Dann sagte er nach Miß Boeter hin:

„Gestatten Sie, daß wir uns verabschieden … Wir möchten Sie nicht länger stören.“

Sie drehte sich uns zu. Ihr Gesicht war wieder wie vorhin … Die Liebenswürdigkeit der großen Dame hatte wieder alles andere weggewischt …

„Gehen wir … Ich hätte Ihnen gern eine Erfrischung angeboten …“

Wir waren nun wieder in dem schattigen Garten … schritten dem Tore zu. Harald sprach über gleichgültige Dinge …

Und als ich einmal nach rechts in die Büsche schaute, da war es mir, als ständen dort zwei Neger mit Gewehren in der Hand …

Genau konnte ich Einzelheiten nicht erkennen … Vielleicht hatte ich mich auch getäuscht …

Das Tor ging auf. Wir traten ins Freie …

„Glückliche Reise!“ sagte Miß Boeter …

Sie reichte uns die Hand.

„In vierzehn Tagen etwa auf Wiedersehen!“ meinte Harald.

Miß Boeter blickte ihn an.

„Gut – in vierzehn Tagen … Bis dahin werde ich den Geist des Hagier vielleicht auch schon … zur Strecke gebracht haben …“ –

So schieden wir …

Und wanderten wieder über die Hochebene … Schweigend …

Bis ich nicht länger an mich halten konnte …

„Harald, eine Frage …“

„Sprich!“

„Was denkst Du nun über Ethel Boeter?“

„Daß der Tod dort im Kastell stets neben uns lauerte. Hätte dieses Weib auch nur im geringsten gemerkt, daß ich sie trotz allem für eine ganz gefährliche Verbrecherin halte, dann – würden wir das Kastell lebend nicht mehr verlassen haben, dann hätte sie auch Trolby und unsere Malaien und die Jacht verschwinden lassen, was ihr ein leichtes gewesen.“

Kurze Pause … „Mary Dagnaar befindet sich im Kastell … Das Gemälde stellt Mary dar … Diese Boeter ist eine Künstlerin – als Malerin und … Mörderin …“

Mir lief es kalt über den Rücken – trotz der sengenden Hitze hier auf dem felsigen Plateau …

Und wieder fügte Harald hinzu: „Die Frage ist nur: Weshalb wurde diese seltsame Frau zur Verbrecherin? Vielleicht bin ich auch in dieser Beziehung der Wahrheit auf der Spur – – vielleicht …“

Und – vielleicht hätte er noch mehr gesagt, wenn nicht jetzt vor uns ein kleiner Europäer mit Tropenhelm erschienen wäre, ganz in Weiß, eine mächtige Botanisiertrommel auf dem Rücken, in der Linken ein Schmetterlingsnetz … Und auf dem Tropenhelm hatte er mit langen dünnen Stecknadeln allerlei Falter und Käfer gespießt, so daß diese Haupteszier recht merkwürdig ausschaute …

Ein kleines, sonngebräuntes Männchen war’s, bartlos, faltig, mit einer lächerlichen Stupsnase und einer Riesenhornbrille vor den wässerigen Äuglein …

Blieb vor uns stehen, krähte:

„Grüße Sie, meine Herren … Endlich mal wieder Europäer! – Professor Garbatter mein Name – Steward Garbatter von der Universität London …“

Harald drehte sich um …

Eine Felsengruppe verdeckte die Aussicht nach dem Kastell. Und wandte sich Garbatter wieder zu …

„Nun, wer wir sind, wissen Sie ja, Herr Professor –“

„Ich?! Keine Ahnung …!“

„Vielleicht borgen Sie mir mal Ihren Füllfederhalter, Kollege!“ lachte Harald. „Vielleicht schreiben Sie mir noch mehr Liebeserklärungen …! Sie duften geradezu nach englischen Zigaretten, Sie … Neger mit dem Schönheitsfleck! Als Sie heute früh die Ufersteilwand hochkletterten, verschob sich Ihr rechter Ärmel bis zum Ellbogen … Und da kam der Schönheitsfleck zum Vorschein – die weiße Haut … Sie hatten Hand und Handgelenk nicht weit genug gefärbt, Kollege … – Sie sind Detektivinspektor Steward Garbatter aus London …!“

Da lachte auch der kleine Herr, gab Harald die Hand …

„Verdammt, ich wollte eigentlich auch Ihnen gegenüber mein Inkognito noch bewahren …! Verdammt – haben Sie Augen!!“

„Und aushorchen wollten Sie uns, was wir im Kastell erlebt haben, Kollege …! Na, nun können wir ja zu dreien Miß Boeter den Krieg erklären …“

 

4. Kapitel.

Die Stimme des Geistes.

Der Kollege Garbatter hatte sich auf Haralds Rat sofort wieder von uns getrennt, da Harst bestimmt annahm, daß wir von den Leuten der Kastellbesitzerin heimlich beobachtet würden. Wir wollten uns mit Garbatter abends elf Uhr an einer bestimmten Küstenstelle weit südlich wieder treffen. Er hatte uns nur noch mitgeteilt, daß er in Tamrida als Professor seit sechs Wochen wohne und daß niemand ahne, wer er in Wirklichkeit sei. Die Regierung in London hatte ihn in aller Stille hierher geschickt, um endlich der Mörderbande das Handwerk zu legen. –

Wir kehrten zur Atlantis zurück. Um fünf Uhr nachmittags verließen wir die Bucht und nahmen Kurs auf Aden. Als die Insel Sokotra unter dem Horizont verschwunden war, als weit und breit nur noch Wasser und Himmel, da wendeten wir und segelten nach Südost. Gegen zehn Uhr näherten wir uns der Südostküste Sokotras, und um elf landete die Jacht in einer anderen Bucht, deren Einfahrt uns Garbatter genau beschrieben hatte.

Der Detektivinspektor erwartete uns schon. Er trug jetzt wieder sein Negerkostüm. Wir nahmen Proviant für zwei Tage mit und wanderten dann unter Garbatters Führung um das Bergmassiv des Dschebel Hagier herum nach dem Kastell.

Jetzt hatten wir Zeit, den Kollegen gründlich auszufragen. Leider enttäuschten uns seine Angaben nur zu sehr …

„Das einzige, was ich genau weiß,“ erklärte er, „ist das, daß Mary Dagnaar sich im Kastell befindet. Daß es Mary Dagnaar ist, erfuhr ich erst durch Sie, meine Herren, als ich Sie in der vorigen Nacht auf der Atlantis belauschte –“

„Und wann sahen Sie das junge Mädchen?“ fragte Harald.

„Nur ein einziges Mal am Fenster des Westturmes … Ich habe das Kastell fast jede Nacht umschlichen …“

„Hm – kann’s nicht ein Bild gewesen sein, das Sie hinter dem Gitter erblickten?“

„Ausgeschlossen …! Der Mond beschien das kleine Fenster … Die Blonde bewegte sich … Und Ihnen ließ ich dann nur die Zettel zukommen, Herr Harst, um Sie auf das Kastell aufmerksam zu machen …“

„Was ich ahnte,“ nickte Harst. „Eine andere Frage, Kollege. Haben Sie der Vergangenheit Miß Ethel Boeters nachgespürt?“

„Und ob – und ob!! Sie ist reich, Waise, sechsundzwanzig, war mit Lord Cecil Habarne verlobt, der in Aden bei einem Aufstand der sogenannten Bikri-Leute ermordet wurde.“

„Bikri?“

„Ja – eine geheime Gesellschaft in Südarabien, sehr europäerfeindlich, will Arabien allein für die Araber haben. Alles Fremde soll beseitigt werden … So eine Art politischer Klub, der bis Persien und bis in die Türkei hin Mitglieder hat, jetzt angeblich aufgelöst – angeblich …“

„So – so! – Und wie denken Sie über die Morde des Hagier-Geistes und dessen gewaltige Stimme?“

„Ich denke, daß Miß Ethel Boeter an diesen Dingen keinen Teil hat, daß nur ihre Neger die Mörder sind …“

„Hm!! Und – – Mary Dagnaar? Weshalb hält die Boeter das Mädchen gefangen?“

„Ja – wenn ich das wüßte! Ich weiß nicht einmal, wie diese unheimlichen Töne entstehen. Nur gehört habe ich sie – aus nächster Nähe …“

„Wirklich? Wo denn?“

„Südlich des Kastells, wo das Plateau von den steilen Wänden der Abhänge des Hagier begrenzt wird … – Es war vor drei Wochen … Ein Zufall führte mich nachts dorthin … Und mit einem Male begann über mir diese grausige Musik … Und doch: ich habe bis heute nichts darüber feststellen können. Es gibt dort nur eine senkrechte Felswand von etwa hundert Meter Höhe. Dicht darüber eine zweite. Und die zwischen beiden liegende Terrasse ist vollkommen unzugänglich.“

„Wohl nur scheinbar unzugänglich …“

„Oh – ich habe es versucht, die Terrasse zu erreichen. Ich habe dort oben noch die Taue liegen, an denen ich hinabkletterte … Sie waren zu kurz. Außerdem: die Terrasse ist leer! Das sieht man von oben.“

„Dann bringen Sie uns jetzt dorthin, wo Ihre Taue liegen, Kollege … Ich werde hinabsteigen – ich und Schraut …“

„Ausgeschlossen …! Bester Harst, die obere Wand ist achtzig Meter hoch. Die Taue zusammengeknotet nur vierzig Meter …“

„Schadet nichts …!“ –

Und nach anderthalb Stunden, gegen halb eins, waren wir an Ort und Stelle – oben am Rande der Steilwände – unter uns die drohende Tiefe, und drüben auf dem Plateau – – das Kastell!

Garbatter suchte unter einem Steinhaufen seine Stricke hervor. Es waren geteerte Hanfleinen von bester Arbeit.

Der Mond leuchtete uns, wie wir nun hier oben gleich Gespenstern hin und her huschten, nach Möglichkeit uns zusammenduckend, damit wir von unten aus dem Kastell nicht etwa bemerkt würden. Freilich – die Entfernung betrug bis dorthin wohl gut dreitausend Meter.

Harst prüfte die Taue sehr sorgfältig.

„Es wäre ja möglich, daß jemand sie zur Hälfte durchschnitten hätte …“

Dann knotete er sie zusammen und gab dem Kollegen und mir genaue Anweisungen. Nachher legte er sich an verschiedenen Stellen der Länge nach am Rande der Steilwand nieder und prüfte, wo er am leichtesten auf die von ihm geplante Art zu der Terrasse hinab könnte.

Als er hiermit fertig, wurde ein Ende der Taue um einen in eine Felsritze tief eingekeilten großen Stein geschlungen.

Haralds Abstieg begann. Als er das Ende der Taue unten erreicht hatte, konnte er unschwer in eine enge Spalte hineinkriechen. Dreimal ruckte er an den Tauen. Wir hier oben wußten Bescheid. Nun kletterte ich hinab. Harst half mir in die Spalte hinein, ruckte abermals. Das war das Zeichen für Garbatter, das obere Ende loszubinden. Die Taue fielen herab. Inzwischen hatte Harald das bisher untere Ende hier in der Felsspalte sicher befestigt. Jetzt reichten die Taue bis zur Terrasse, und ohne Mühe gelangten wir so ans Ziel. – Die Terrasse war etwa drei Meter breit und fünfzehn Meter lang. Die Rückwand war zum Teil bewachsen. Harst sagte mit aller Gewißheit, daß wir fraglos den gut verdeckten Eingang zu einer besonderen Art von Höhle finden würden.

Er suchte mit größter Umsicht, beklopfte die Rückwand und – winkte mir …

„Bitte – horche …!“

Da war ein handbreiter Riß im Gestein … Und aus dieser Öffnung kam ein scharfes pfeifendes Geräusch …

„Es stimmt schon, was ich vermutete,“ meinte er. „Die Höhle enthält eine vulkanische Gasquelle, und die unter ungeheurem Druck herausströmenden Gase sind die Lunge der Stimme des Geistes …“

Ein Griff in die Ritze hinein … ein Zupacken, – und er hatte eine flache Steinplatte herausgehoben … die erste! Noch fünf solcher Platten waren hier aufeinandergestellt. Nun – war der Eingang frei …

Wir traten ein … Unsere Taschenlampen leuchteten.

Und das erste, was wir erblickten, war ein riesiger Trichter aus Zinkblech, wohl vier Meter lang, mit einer Öffnung von etwa anderthalb Meter. Das dünne Ende des Trichters enthielt eine aus Bambus hergestellte Pfeife, dazu einen dicken Gummiring, der unten aufgenietet war und durch den Klemmschrauben hindurchgingen.

Ich war so sprachlos, daß ich zunächst stumm blieb … Erst Haralds energischer Ruf trieb mich vorwärts, entlockte mir auch ein berechtigtes: „Unglaublich!!“

Harst stand vor einem Loche im Felsboden, das oben eine Tülle aus Zement und einen Gummiring[2] hatte …

Aus diesem Loche drang mit unheimlichem Sausen ein geruchloses Gas hervor und entwich nach oben durch eine Spalte der Decke …

„Bitte – der Geist!“ sagte Harald ernst. „Ein erfinderisches Menschenhirn hat hier diese Naturkräfte ausgenutzt. – Hilf mir, den Trichter auf dieses Loch schrauben … Der Geist soll sich melden …“

„Harald!“

„Was denn?! – Du denkst, wir warnen Ethel Boeter auf diese Weise?! Ja – Sie soll gewarnt werden … Die Frau ist zu schade für den Galgen …“

Ich leuchtete ihm ins Gesicht …

„Harald!“

Und er schaute mich seltsam an.

„Verbrecherin – gewiß, mein Alter, gewiß … Und doch nur eine verirrte Seele … – Hilf mir!“

Wir hoben den Trichter empor, drückten den Gummiring auf die Tülle des Gasloches – mit aller Gewalt, und Harst zog die Schrauben fest …

Sofort hatte auch der heulende Ton begonnen …

Ein Getöse, daß uns die Ohren gellten …

Kein Wunder, daß diese Töne meilenweit vom Winde fortgetragen wurden … –

Harst zog mich mit sich fort … Die Höhle dehnte sich schräg ansteigend viele hundert Meter aus, öffnete sich schließlich als enge Spalte inmitten einer Geröllhalde des Plateaus, das nach Osten zu von den Steilwänden begrenzt wurde …

Wir eilten vorwärts, fanden Garbatter am Rande des Abhangs auf dem Bauche liegend …

Und unaufhörlich dröhnte die Stimme des Geistes des Hagier-Berges durch die stille Nacht …

Unaufhörlich …

Unten im Kastell leuchteten helle Fenster …

Garbatter sagte, nein, brüllte, um sich verständlich zu machen:

„Die schöne Miß wird jetzt wohl ahnen, daß es ihr an den Kragen geht!“

Dann verließen wir die Anhöhe, wandten uns abwärts – dem Kastell zu …

 

5. Kapitel.

Die Doppelseele einer Frau.

Und wieder einmal ein Teil Indianerromantik … Wieder ein Anschleichen, das selbst ein berühmter Komanchenhäuptling nicht besser hätte machen können …

Und über uns, die wir uns durch das Geröll auf den Westturm vorwärtsschoben, immer noch die gewaltige Stimme des Geistes – wie eine Fanfare des Himmels – wie etwas Unirdisches …

Näher und näher kamen wir der hohen Mauer … Der kleine Kollege Garbatter fluchte … Seine Hände und Knie empfanden die Härte des Bodens nicht angenehm …

Noch fünfzig Meter …

Da flüsterte Harald: „Bleiben Sie hier zurück, Garbatter …“

„Mit Freuden!“

Wir beide weiter, noch enger an den Boden gedrückt, bis der Schatten eines über die Mauer hinabreichenden Baumastes uns deckte. Wir erhoben uns.

Harsts Stimme raunte: „Ich klettere Dir auf die Schultern …“

Schon war er oben, schwang sich auf die Mauerkrone, zog mich empor …

Die Stimme der Riesentrompete tobte ohne Unterlaß … Schallwellen erfüllten die Luft …

Heiß war die Nacht … Heißer Odem strich über das Plateau hin …

Die Stimme schwieg nicht …

Und wir oben auf der Mauer Schritt für Schritt vorwärts … Schritt für Schritt …

Dem einen Turmfenster zu …

Schritt für Schritt …

Und hörten im Garten am Kastell die belfernden Kehllaute der Neger Miß Ethels in wilder Erregung …

Sahen nichts, hörten nur …

Sahen doch etwas: da vor uns ein Gesicht unter den Eisenstäben … einen blonden Mädchenkopf …

Mary Dagnaar, – – glaubten wir …!!

Weiter – – Schritt für Schritt …

Ahnungslos, daß rechts von uns in der Krone eines Baumes der Tod lauerte … daß zwei Augenpaare uns verfolgten …

Dann war Harald am Gitter des Fensters … Das Gesicht – war nicht mehr da …

Aber die Stimme des Geistes blieb uns Begleitmusik … – Eine Nacht war das, wie selbst wir sie noch nie erlebt … Über uns der wunderbare überreiche Tropenhimmel – dazu der abnehmende Mond – dazu der Zauberduft aus dem Garten des Kastells mit den vielfachen tropischen Pflanzen, die nur nach Sonnenuntergang ihre Blütenkelche öffneten … Und scheinbar aus dem Nichts hervortönend die gewaltigen, an- und abschwellenden Töne, diese überlaute Posaune der Vergeltung …

Harald hatte das Gitter gepackt. Das Fenster dahinter war offen … Rüttelte daran, rief leise durch die Stäbe: „Miß Dagnaar, sind Sie im Atelier? Miß Dagnaar, wir wollen Sie befreien …!“ – Und – hielt das ganze Gitter plötzlich in den Händen … Ebenso plötzlich war dort im Rahmen des Fensters Ethel Boeter erschienen – ebenso plötzlich flammte drinnen Licht auf …

„Ich habe Sie erwartet,“ sagte die Malerin, und ihre schöne Altstimme war noch dunkler gefärbt. Wie ein schwermütiger, unendlich trauriger Unterton klang’s in dieser Stimme mit. „Sie haben einen Teil meiner Geheimnisse entdeckt, Herr Harst … Ich höre den Geist des Dschebel Hagier, meinen Geist … – Bitte, kommen Sie … Fürchten Sie nichts … Wenn ich Sie und Garbatter sowie die Atlantis hätte verschwinden lassen wollen, wäre dies mir ein leichtes gewesen – auch jetzt noch … Eines Zeichens von mir nur hätte es bedurft, und meine beiden schwarzen Getreuen dort in der Baumkrone würden Sie mit ihren nie fehlenden Speeren durchbohrt haben. Alle Somalis sind noch heute glänzende Speerwerfer … – Kommen Sie … Auch Mary erwartet Sie …“

Harald zögerte nicht länger … Das kleine Fenster war gerade weit genug, uns hindurchzulassen …

So sahen wir denn das Atelier der Miß Boeter nun zum zweiten Male … Und sahen Mary Dagnaar ebenfalls zum zweiten Male: jetzt lebend in all ihrer lieblichen Schönheit! Gestern vormittag nur als Gemälde …

Sie saß in einem altertümlichen Sessel und – weinte … weinte still in sich hinein … Uns beachtete sie kaum, Ihre Augen, tränenfeucht und verschleiert, hingen mit seltsamem Ausdruck an Ethel Boeters klassisch reinen Zügen.

„Nehmen Sie bitte Platz,“ sagte die Malerin dann … „Ich habe Ihnen einiges zu erklären … Ich will mein Tun nicht zu rechtfertigen suchen … Nein, ich möchte Ihnen nur einen Einblick in die kranke Seele einer Frau gewähren, die an einer großen Liebe zugrunde ging …“

Harst stand dicht vor ihr.

„Miß Boeter,“ meinte er merkwürdig weich und zart, „Ihr Verlobter wurde von dem Bikri-Bunde ermordet. Sie haben ihn gerächt … Die Opfer des Geistes des Hagier waren Bikri-Leute …“

Die Malerin schien überrascht …

Und Harald sprach weiter: „Sie ließen all diese Mitglieder des Geheimbundes hierher locken … Sie wußten die Spielwut der Farbigen auszunutzen … Die Liebe trieb Sie zu unerhörten Verbrechen …“

Ethel Boeter nickte nur …

„Und Miß Mary Dagnaar?“ fragte Harald dann ebenso zart. „Haben Sie Miß Mary etwa durch Ali Mansur rauben[3] lassen?“

„Ja … – Mein Verlobter Lord Habarne hatte Mary in Aden kennengelernt – war häufig mit ihr zusammen. Man trug es mir zu … Meine Eifersucht war ebenso blind wie später meine Rache … Hier erst merkte ich, daß Mary, damals noch ein halbes Kind, für Cecil nichts als Freundschaft empfunden hatte … Und ein Wunder geschah: Mary und ich lernten einander lieben wie Schwestern!“

Aus dem Sessel erklang jetzt herzzerreißendes Schluchzen.

Ethel wandte sich um. „Weine nicht, Mary … Ich werde in kurzem alles gesühnt haben … Ich … muß sterben … Ich werde einschlafen und nie mehr erwachen, das gütige Gift der Kapraua-Pflanze, das die Somalis den Trank des Todes nennen, löscht das Leben eines Weibes aus, das … vor sich selbst Grauen empfindet …“

Harst war plötzlich aschfahl geworden. Ich verstand die Blicke nicht, mit denen er Ethels schlanke Gestalt umfing …

Seltsam farblos war seine Stimme, als er jetzt leise sagte:

„Sie sind krank, Miß Boeter … Ihre Rache ging über das Maß eines gesunden Geistes weit hinaus … Nur eine kranke Phantasie konnte all das ersinnen … Sie sollen nicht sterben … Ich werde …“

Sie schaute ihn an, lächelte schmerzlich …

„Jede Hilfe käme zu spät …“ Und ging müden Schrittes zu dem kleinen Fenster, rief ein paar Worte in der Somali-Sprache hinaus …

Harst flüsterte mir zu: „Geh mit Mary in den Garten hinab … Geh!“ Und zu Mary Dagnaar: „Lassen Sie mich mit Miß Boeter allein … Ich war’s, der sie in den Tod zwang. Ich habe die Pflicht, ihr …“

Mary erhob sich schon. Aufweinend umarmte sie die Freundin …

Dann standen wir beide vor dem Turme im Mondschein. Und hier sagte die Wiedergefundene: „Herr Schraut, Ethel ist wirklich krank … Ethel ist die Liebe und Güte selbst und dann wieder … eine erbarmungslose Rächerin … – Oh, was alles habe ich versucht, sie umzustimmen … Nur deshalb blieb ich bei ihr, weil ich sie vor sich selber retten wollte …“ –

Eine Stunde später trat Harald zu uns, erklärte leise:

„Sie ist tot …“

Nichts weiter … Nur die drei Worte …

Schweigend grüßte er Mary Dagnaar, schweigend winkte er mir …

Das Tor der Mauer stand offen. Garbatter bestürmte uns mit Fragen …

„Gehen Sie und sorgen Sie für Mary Dagnaar,“ bat Harald geistesabwesend.

Dann schritt er weiter … Ich neben ihm … Stundenlang – bis zur Atlantis … Die Jacht ging in See … Harst sprach kein Wort mehr über das Kastell. Acht Tage kreuzten wir im Indischen Ozean …

Was damals im Atelier Miß Boeters zwischen Harald und der Malerin sich abgespielt hat, weiß ich bis heute nicht. Das Zartgefühl verbietet mir, mich in Vermutungen zu ergehen.

Später erfuhr ich aus den Zeitungen, daß Miß Boeters Neger sämtlich entflohen waren und daß Mary Dagnaar zu ihrer Schwester nach Kalkutta zurückgekehrt ist. Ethel Boeter aber wurde im Garten des Kastells begraben.

 

Nächster Band:

Baron Tissanders Schaukel.

 

 

Verlagswerbung:

Der Goldschatz der Azoren.

Der Inhalt des ersten Bandes, den wir den Lesern des Detektiv in einem Anhange zu den Heften 127 und 128 brachten, dürfte wohl bekannt sein. Wir wissen, daß die Sphinx, dieses Wunderwerk moderner Flugtechnik, von Lomatz geraubt wurde, doch Viktor v. Gaupenberg nahm unter Beihilfe seines Freundes Hartwich mit einem Doppeldecker die Verfolgung auf. An Bord der Sphinx befinden sich der alte Knorz und Agnes als Gefangene. Agnes Sanden hatte den alten Einsiedler Dr. Falz kennengelernt, einen geheimnisvollen Mann, der tief in die Geheimnisse der Natur eingedrungen ist und der sich geheimnisvoller Naturkräfte bedient.

Lomatz landet mit der Sphinx in der Nähe von Lissabon zu dem Zwecke, sich hier Helfer zur Gewinnung des Goldschatzes zu werben. Agnes aber verkauft er in öffentliches Haus, und dem alten Knorz gelingt es zu entfliehen. Inzwischen aber sind Gaupenberg und Hartwich, denen sich Mafalda angeschlossen hat, ebenfalls in der Nähe von Lissabon gelandet, wo Hartwich seinen alten Freund, den Taucher Oretto besucht und ihn zur Teilnahme an der Bergung des Schatzes verpflichtet. Es gelingt den beiden, Agnes zu befreien, und der Doppeldecker steigt wieder auf. Agnes aber befindet sich jetzt als junger Gehilfe Orettos verkleidet mit an Bord.

Soweit der kurze Inhalt der Fortsetzung des Romanes. Die Handlung hat sich so interessant gestaltet, daß wir unseren Lesern nur dringend raten können, sich die Fortsetzung bei ihrem Buchhändler zum Preise von 30 Pf. pro Band zu bestellen. Sollte derselbe die Bestellung nicht übernehmen, schreibe man an den

Verlag moderner Lektüre, Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44.

 

 

Der Detektiv

Eine Reihe höchst spannender Detektivabenteuer. Bisher sind folgende Bände erschienen:

 

Band
































40:
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71:
72:
73:

Die Gespenster-Rikscha.
Eine Löwenjagd im Sinai.
Der Afghan-Teppich.
Der Acht-Grad-Kanal.
Der leere Koffer.
Acht Stunden Frist.
Der Klub der Zwölf.
Die Bajadere Mola Pur.
Der goldene Gonggong.
Die Kugel aus dem Nichts.
Der Piratenschoner.
Die Büchse der Pandora.
Der Tintenlöscher des Sahdi Ahmed.
Auf des Messers Schneide.
Strandkorb Nr. 121.
Das Lichtbild ohne Kopf.
Das Haus in der Wildnis.
Das Geheimnis des Brasilianers.
Die Spielhölle in Hongkong.
Das Rätsel von Paragwana.
Ein amerikanisches Duell.
Die Ganges-Piraten.
Eine Wettfahrt ums Leben.
Die Bärenjagd in Kaschmir.
Das Licht in der Lehmhütte.
Der chinesische Messerwerfer.
Die leere Tonne.
Die Gauklergesellschaft Shingra Mao.
Der Klub der Zuchthäusler.
Lord Ralleys Schreckensnächte.
Das Geheimnis der Insel Morton.
Die Katzen der Gräfin Baltholm.
Der Tote im Fahrstuhl.
Die Höllenmaschine Doktor Blucks.

– Preis pro Band 20 Pf. –

Zu beziehen durch jede Buchhandlung oder vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26,

Elisabeth-Ufer 44.

 

 

Anmerkung des Verlages:

  1. ↑* Vergleiche hierzu den ersten Band der Harald-Harst-Serie: „Zwei Taschentücher“.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „ist“.
  2. In der Vorlage steht: „Grmmiring“.
  3. In der Vorlage steht: „ruben“.