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Der Kokain-Klub

 

 

Der Detektiv

 

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

 

Band 135:

 

Der Kokain-Klub.

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1925 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Während meines Nachmittagsschlafes …

Die verehrten Leser gestatten, daß ich hier gleich zu Anfang dieses neuen Harst-Bandes nochmals auf das Problem des toten Tümmlers (Band Nr. 127) zu sprechen komme. Ich hatte damals denjenigen eifrigen Harst-Freunden, die dieses Problem selbständig lösen würden, unser Bild nebst Unterschriften zugesagt.

Eine ganze Menge von Briefen und Postkarten sind dieserhalb an mich gelangt. Leider haben die meisten Absender sich die Sache denn doch allzu leicht gemacht. Die bloße Behauptung oder auch die nur ungenau bewiesene Behauptung, das Problem richtig durchschaut zu haben, konnte doch nicht recht genügen. Das wird sich jeder, wenn er ehrlich ist, selbst eingestehen. Einige der freundlichen Briefschreiber haben diesen Beweis in klaren Ausführungen erbracht und daher auch die Bilder erhalten. All den anderen, die etwas flüchtig zu Werke gegangen sind, biete ich heute hier eine neue Gelegenheit, sich selbst einmal als Detektiv zu versuchen.

Dieses heutige Problem ist nun ganz anderer Art als das des toten Tümmlers. Anders will ich auch die Preisverteilung erledigen. Die richtige Lösung bringe ich in Band 136, der den Titel „Harald Harsts zweite Liebe“ trägt. Die verehrten Leser haben also etwa zehn Tage Zeit, das Problem zu ergründen. Die Lösungen müssen dem Verlag vor Ausgabe des Bandes zugegangen sein.

Also – frisch ans Werk! Langsam und sorgfältig und immer wieder diesen Band 135 durchstudieren! Das Problem ist verblüffend einfach, wenn es auch mit einem bunten Kranz seltsamster Geschehnisse umgeben ist. – –

Und nun – – hinein in den Kokain-Klub …

Schauplatz der Handlung Indien – – Kalkutta … Wenigstens Schauplatz der ersten Akte …

Die Sache begann so:

Es war einer jener glutheißen Tage, an denen man am besten bis sechs Uhr nachmittags im Hotelzimmer bleibt.

Und das hatte ich, Max Schraut, auch getan, hatte nach dem Diner mich auf den Diwan gelegt, war eingeschlafen und erwachte erst gegen halb sieben Uhr.

Gähnend richtete ich mich auf. Mein verschlafener Blick glitt über unseren gemeinsamen Wohnsalon hin …

Der Ventilator dort oben in der Wand surrte, und die Vorhänge vor den offenen Balkontüren wehten leicht hin und her …

Diese Vorhänge machten mich stutzig. Denn – wer hatte die Balkontüren geöffnet, wer hatte so der Backofenglut von draußen Zutritt gewährt?!

In dem großen Raume herrschte halbe Dämmerung, da die Stabjalousien der Fenster herabgelassen waren. Außerdem hatte ich meine Brille vor dem Einschlafen auf das Rauchtischchen neben dem Diwan gelegt, und ohne Brille bin ich verraten und verkauft: hühnerblind!

So konnte ich nicht recht erkennen, was da inmitten des Zimmers auf dem hellen Bastteppich lag, dessen dunkle geschmackvolle Muster zudem noch die Umrisse dieses Etwas völlig verwischten.

Ich starrte hin …

Ich wurde immer munterer …

Griff nach der Brille, setzte sie auf – – und schnellte vom Diwan – – wie ein Gummiball …

Harst lag da …

Harst halb auf der Seite – völlig zusammengekrümmt und zum Teil mit der Jacke seines blauseidenen Schlafanzugs bedeckt.

Ich kniete neben ihm …

Mein Herz rumorte … Meine Gedanken waren wie ein Mückenschwarm bei Gewitterschwüle …

Ich hob seinen Kopf empor …

Und er – – zwinkerte mir zu – lächelnd –, flüsterte hastig:

„Trage mich ins Bett … Rufe den Hotelarzt … Fix!!“

Da merkte ich denn, daß ich offenbar höchst merkwürdige Dinge verschlafen haben mußte, daß hier etwas geschehen, wovon ich auch nicht die leiseste Ahnung hatte.

Ohne an Harald Fragen zu richten, die er mir wahrscheinlich nicht beantwortet hätte, schleppte ich ihn nach nebenan in unser gemeinsames Schlafzimmer.

Als ich ihn auf das Bett legte, flüsterte er wieder:

„Der Kerl hat mir einen Dolchstich versetzt … – Rufe den Arzt …“

Ich telephonierte ins Bureau hinunter …

In meinem Schädel muß es damals recht wüst ausgeschaut haben. Hundert Fragen stiegen auf … Und keine konnte ich mir enträtseln … Dolchstoß?! Kerl?! Welcher Kerl?! – Wir hatten zurzeit doch hier in Kalkutta nichts zu fürchten … Unsere heimlichen Gegner waren bestimmt nicht hier … –

Der Arzt kam im Nu …

Ein Engländer, netter Mensch … Nur stets so – so zerstreut und fahrig. Harald hatte behauptet, Doktor Treeburn sei Morphinist.

Also Doktor Treeburn trat ein – in den Salon …

„Doktor, Harst hat von einem Kerl einen Dolchstoß erhalten,“ sagte ich geheimnisvoll.

Mehr konnte ich nicht sagen, denn ich wußte nicht mehr.

James Treeburn stierte mich entsetzt an.

„Sie scherzen?!“

„Im Gegenteil!“

„Oh – das Pech! Und vorhin war doch eine Dame bei mir, die … Doch – zunächst der Patient!“

Wir eilten ins Schlafzimmer …

Harald winkte Treeburn mit der Hand zu …

„’n Tag, Doktor … Machen Sie ein anderes Gesicht! Der Dolch ist ja an meinem Feuerzeug, das in der oberen linken Westentasche steckte, abgeglitten … Nichts als eine Fleischwunde ist’s … Das heißt: Sie müssen so tun, als läge ich hier auf den Tod danieder …“

James Treeburns stets so fahlgelbes Gesicht wurde zu einer Fratze totaler Verblödung. Er verstand Harsts Wünsche nicht.

Und Harald erklärte daher:

„Doktor, nehmen Sie Ihr Besteck und nähen Sie mir den Fleischriß zusammen, machen Sie mir aber einen Verband, als ob ich zwei Zoll kaltes Eisen in der Brust gehabt hätte … – Begreifen Sie denn nicht?! Der Kerl, der mich überfiel, soll annehmen, ich ringe hier mit dem Tode. Und dasselbe soll das ganze Hotel glauben …“

Endlich ging Treeburn ein Licht auf.

„Ah, so!!“ meinte er. „Also – – kleine Komödie!“

„Nein – große Komödie! Und wenn Sie auch nur ein Sterbenswörtlein von der Ungefährlichkeit meiner Verletzung verlauten lassen, schneide ich Ihnen die Zunge ab oder – entziehe Ihnen das Morphium!“

Der Doktor fuhr leicht zurück …

Stotterte …

„Wie – wie kommen Sie auf Morphium, Herr Harst? Ich versichere: ich bin nicht Morphinist.“

„Dann – sind Sie der modernsten Seuche verfallen: sie schnupfen Kokain!“

Treeburn wurde wahrhaftig rot, wandte sich schnell um und ging zum Waschtisch – wortlos … –

Eine Viertelstunde später duftete das Schlafzimmer nach Lysol, Jodoform …

Und im Bett lag der leichenblasse Harst, einen Eisbeutel auf der – gesunden Brust. Und die Leichenblässe hatte ich ihm mit Schminke beigebracht, ebenso die dunklen Ränder um die Augen …

Soeben war der Hoteldirektor bei dem Schwerkranken gewesen … Nur für Sekunden …

Jetzt erschien unser alter Bekannter, Detektivinspektor Gorlay …

Auch er sah sich den mit geschlossenen Augen Daliegenden nur flüchtig und voller Mitleid an. Ich zog ihn in den Salon, wiederholte hier:

„Lieber Gorlay, ich weiß nichts – gar nichts … Ich fand Harst hier auf dem Teppich liegen. Er flüsterte, ein Kerl habe ihn niedergestochen. Dann wurde er wieder ohnmächtig. Die Balkontüren dort standen offen … Vielleicht ist der Attentäter dort hinaus entschlüpft.“

Gorlay trat auf den Balkon hinaus. Ich mit ihm.

Vor uns dehnte sich der abendliche prächtige Hotelpark.

Unsere Zimmer befanden sich im ersten Stock. Bis zum Erdboden waren’s etwa neun Meter.

„Der Schuft kann hinabgesprungen sein,“ meinte der Inspektor. „Dort – auf den weichen Grasboden … Ich werde mal in den Park hinabgehen … – Morgen früh frage ich mal wieder nach.“

Er drückte mir die Hand, und hinter ihm verriegelte ich die Salontür, kehrte ins Schlafzimmer zurück.

Treeburn saß neben Haralds Bett. Die Fenstervorhänge waren dicht geschlossen, die Stabjalousien ebenso.

Harst flüsterte: „Setz Dich zu uns, mein Alter … Ich will erzählen … – Hast Du die Salontür verriegelt?“

„Ja.“

„Gut, dann dürften wir sicher sein. – Also nun hört mal zu …“

Seine strahlenden Augen paßten sehr wenig zu dem bleichen Krankengesicht.

„Die Geschichte spielte sich folgendermaßen ab … – Schraut hatte sich um halb fünf auf den Diwan gelegt. Ich saß im Korbsessel an der anderen Wand und blätterte in der Kalkutta-Post. Da stand auch ein Artikel über die Nachforschungen der Polizei nach den Kokain-Händlern, die hier das Gift den oberen Zehntausend besorgen …“ – Er blickte Treeburn an … „Doktor, Sie sind Kokain-Schnupfer. Sie werden wohl wissen, wo man Kokain erhält … – Entsetzlich ist diese neueste Pest … Paris gebar diese gräßliche Leidenschaft, die schlimmer als Morphiumsucht ist … Und jetzt hat das Kokain auch hier im Lande des Opiumrausches Eingang gefunden. – Doktor, Sie als Arzt wissen doch am besten, wie sehr diese Kokainschnupferei das Nervensystem zerstört, und Sie sollten …“

Treeburn hatte plötzlich beide Hände vor das Gesicht gedrückt, stöhnte:

„Ich – kann nicht mehr entsagen … Ich – – bin verloren!“

„Oh – darüber sprechen wir schon noch, lieber Treeburn. Um einen Mann wie Sie ist es schade. Mit dreißig Jahren liegt das Leben noch vor Ihnen. – Ich saß also und las … Da ging mit einem Male ganz leise die Flurtür des Salons auf … Und – herein schlüpfte ein graubärtiger alter Jan Maat – ein Mensch im Matrosenanzug, mit blauroter Säufernase, entzündeten wässerigen Schweinsaugen und einer kurzen Tabakpfeife zwischen den Zähnen … Der Kerl – – sprang mich sofort an … Und obwohl ich dem Stoße auswich, hochschnellte und einen Fausthieb anzubringen suchte, traf mich doch der zweite Stoß … Da gab ich der Sache auf meine Art eine andere Wendung, sank langsam zu Boden, krümmte mich, japste nach Luft und lag still. Der Kerl schien überzeugt, daß er mich erledigt hätte, wollte in den Flur zurück, eilte dann jedoch zur Balkontür und verschwand … – Alles andere wissen Sie, Doktor … Und Du, mein Alter, wieder weißt genau, daß Du beim Diner fünf Glas Rotwein getrunken hast und daß Du nach Rotwein stets wie ein Murmeltier schläfst. Man wollte mich ermorden, und … Max Schraut schnarchte dort auf dem Diwan wie eine Sägemühle! Schäme Dich, Max Schraut!“

Doktor Treeburn meinte:

„Vielleicht war der Matrose einer von Sennor Trimaldos Freunden, der Ihnen einen Denkzettel geben wollte, Herr Harst …“

Harald schüttelte den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Trimaldo kommt später an die Reihe … Der Matrose – war ein verkleidetes Weib.“

Wir beide, Treeburn und ich, beugten uns vor …

„Weib?!“ fragte Treeburn, als ob er sich verhört hätte.

„Ja, bestimmt,“ nickte unser Patient mit seltsam hartem Blick. „Ein Weib, das nicht zum ersten Male eine Maske trug, das die Kunst des Verkleidens beherrscht … Nur ihre Hände und Füße verrieten die Frau … Winzige Hände und winzige Füße auch, die in zerlumpten Segeltuchschuhen steckten. Die Hände waren schmutzig und braun gefärbt. Das Weib treibt viel Sport oder ist Athletin, Varieteekünstlerin. Ihre Kräfte waren erstaunlich!“

Eine Weile Schweigen …

Jeder hing seinen Gedanken nach …

Von unten aus dem Speisesaal drang verschwommen Musik herauf. Natürlich Jazzbandkapelle. Auch die Pest hatte hier bereits Einzug gehalten … –

Ich erörterte eifrig im Geiste die Frage, ob James Treeburn doch nicht vielleicht recht hätte und ob es sich hier nicht doch um eine Freundin des Verbrechers Trimaldo handelte, dem wir so gründlich gestern das Handwerk gelegt hatten. Der Leser wird sich auf den vorigen Band, auf die Photographien des Sennor Trimaldo noch besinnen.

Und dann sagte Treeburn leise:

„Herr Harst, übrigens hat mich heute die Witwe eines hiesigen Kollegen um meine Fürsprache bei Ihnen gebeten. Frau Doktor Randell besuchte mich gegen sechs Uhr ihres Sohnes wegen …“

Harst blickte auf, blickte Treeburn merkwürdig gespannt an und fragte:

„Um sechs Uhr? Hier im Hotel?“

„Ja – ich wohne doch hier im Seitenflügel …“

Und da wandte Harald sich langsam mir zu – wandte langsam den Kopf und meinte – ebenso merkwürdig gespannt:

„Genau um ein Viertel sieben erschien der Matrose …! Gib mir eine Mirakulum, mein Alter … Die Sache ist eine Zigarette wert …“

Er rauchte drei Züge. Drei tadellose Rauchringe schwebten empor …

„Was hat Frau Doktor Randell auf dem Herzen?“ wandte er sich nun wieder an den Kokainisten …

 

2. Kapitel.

Hektors Seelenwandlung.

Treeburn hatte sich plötzlich in seinem Rohrsessel zusammengekrümmt, als ob er Leibweh hätte. Sein fahles Gesicht war grüngelb geworden. Die Gesichtsmuskeln zuckten … Dicke Schweißperlen standen ihm auf der Stirn … Die Augen waren wie erloschen … Der Atem flog … Und lallend keuchte er:

„Ich – ich – muß – wieder – wieder …“

„… Kokain schnupfen!“ vollendete Harald. „Man sieht es Ihnen an, daß die unheimliche stimulierende Wirkung des Giftes vorüber ist und nun der übliche Schwächezustand eintritt … – Schnupfen Sie – aber mit Maß!“

Treeburns flatternde Hände öffneten ein silbernes Büchschen. Es war mit dem weißen, kristallisch glänzenden Kokainpulver gefüllt …

Er … schnupfte – mit Gier … –

Der arme Kerl tat mir leid …

Die Wirkung der verhängnisvollen Droge trat schon nach wenigen Minuten ein. Treeburn lebte wieder auf. Die Augen schillerten unnatürlich. Die Pupillen waren geweitet.

Er seufzte …

„Entsetzlich ist dieser Schwächezustand … Viel schlimmer als nach Morphium und Opium …“

Harald nahm eine neue Mirakulum …

„Und Frau Randells Sohn?“ meinte er … „Schnupft der auch Kokain?“

„Ja …“

„So, – dann erzählen Sie …“

„Hektor Randell ist fünfundzwanzig Jahre alt und hier in Kalkutta geboren, einziges Kind dazu, trat in ein hiesiges Bankhaus ein, weil sein Vater, stets kränklich, nicht die Mittel besaß, den Sohn studieren zu lassen … Vor drei Jahren starb dann Doktor Randell, und Mutter und Sohn lebten nun allein und noch bescheidener in der kleinen Villa in der Garden-Street. Hektor war solide, fleißig und hatte nur eine Leidenschaft: den Segelsport! Zusammen mit seinem Freunde Jobbfield baute er sich auf dem Hofe der Villa, deren Garten sich bis zum Gangesufer hinzieht, eine Segeljacht. Man denke: zwei Bankbeamte, die ohne jede Vorkenntnis sich an diese Arbeit wagten! – Und das Werk gelang. Im vorigen April war die Neun-Meter-Jacht fertig, wurde allseitig angestaunt – mit Recht! Sogar einen kleinen Hilfsmotor hatten die Freunde eingebaut. Und als sie dann ihren Urlaub bekamen, unternahmen sie für drei Wochen eine Seereise bis nach Singapore hinab. – Leider aber hat Hektor Randell sich nun völlig geändert. Er ist – Nichtstuer geworden. Ein Lotteriegewinn setzte ihn in den Stand, seinen Beruf aufzugeben.“

„Wann war das, Doktor?“ warf Harald ein.

Treeburn überlegte …

„Hm – ja, richtig – am ersten August vorigen Jahres trat Hektor aus der Bank aus …“

„Danke … Weiter!“

„Frau Doktor Randell ist nun sehr unglücklich darüber, daß ihr Sohn jetzt so völlig verbummelt ist …“

„Er segelt wohl nur noch?“

„Nein, das ist ja gerade das Merkwürdige: seit jener Kreuzfahrt mit der Jacht Atlantis segelt er nicht mehr …! Er spielt, trinkt, hat eine Geliebte und – ist Kokainist …“

„Und wie soll ich der armen Mutter da helfen, Doktor?!“

„Oh – die Hauptsache kommt erst noch. Seit einem Monat hat Frau Randell festgestellt, daß ihr Sohn dauernd von zwei Leuten verfolgt wird, die freilich stets wechseln. Aber stets sind es zwei, die sich in der Garden-Street herumdrücken und die Villa beobachten, Hektor folgen, wenn er ausgeht, und stets hinter ihm bleiben. Betritt er das Klubgebäude – er gehört hier dem Orientklub an –, so passen die beiden Spione draußen auf. – Gestern hat nun Frau Randell ihren Sohn gefragt, ob er denn wisse, daß man dauernd hinter ihm her sei. Da soll er sehr verlegen und dann – sehr grob geworden sein, wie er ja überhaupt seine Mutter jetzt sehr lieblos behandelt. Nur mit Geld versorgt er sie überreichlich …“

„Er wohnt noch in der Villa, dieser Hektor …!“ murmelte Harald da.

Und Doktor Treeburn und ich schauten uns an. Wir wußten mit dieser Bemerkung Haralds nichts anzufangen.

„Allerdings wohnt er noch dort,“ meinte der Doktor unsicher. „Ich sagte ja, daß die Spione …“

„Schon gut … – Hat der junge Mann zu seiner Sicherheit irgendwelche Vorkehrungen getroffen?“

„Ja, ja … Und das sollte ich Ihnen besonders eingehend berichten, Herr Harst. So bat Frau Randell. Hektor hat zwei große Bulldoggen angeschafft, die sehr scharf sind und die nachts vor seinem Schlafstubenfenster an langen Leinen angebunden werden. Außerdem hat er vor den Fenstern dieses Zimmers eiserne Laden anbringen lassen, auch die Türen durch Patentschlösser und Stahlblechbenagelung geschützt. Er trägt auch stets eine kleine Browningpistole bei sich.“

„Das genügt mir … – Inwiefern wurde er seiner Mutter gegenüber grob?“

„Oh – er geriet förmlich in Raserei … Frau Randell solle sich gefälligst nicht um seine Angelegenheiten kümmern. Er sei kein Kind mehr … – Und dann schmetterte er die Tür zu und ging davon …“

„Ja – weil er nicht zugeben wollte, daß die Spione seine Spione waren, daß er sich eben zu seinem Schutz Leute engagiert hat, die ihn vor Angriffen schützen sollen – das ist’s!“

Der Doktor rief sofort: „Herr Gott – Sie haben recht, Herr Harst! So wird es sein …! Und die arme Frau Randell fürchtet, daß die beiden Leute ihrem Sohn ans Leben wollen! Deshalb war sie ja hier bei mir! Deshalb sollten Sie eingreifen, Herr Harst!“

Harald nahm die dritte Zigarette …

Schaute James Treeburn lange an …

Sagte: „Doktor, nun mal ehrlich: in der Kalkutta-Post ist in dem Artikel angedeutet, daß die Polizei hier die Existenz eines Kokain-Klubs vermutet, das heißt, eine geheime Vereinigung aller Kokainisten zum Zwecke gefahrloser und billiger Beschaffung des gefährlichen Giftes! – Der Klub existiert?“

Treeburn senkte den Kopf …

„Ich – bin zum Schweigen verpflichtet,“ flüsterte er.

Harst lachte leise auf. Das Lachen war drohend und unerbittlich …

„Schraut, reiche mir meine Clement!“ befahl er kurz.

Ich holte die Pistole … Die Erregung zuckte mir in allen Nerven … Ich ahnte ungefähr, was kommen würde …

Treeburn war aufgestanden …

Ratlos und verlegen beobachtete er, wie Harald nun die Sicherung zurückschob …

„Doktor Treeburn,“ sagte Harst sehr bestimmt, „ich lasse Sie sofort durch Inspektor Gorlay wegen Begünstigung unerlaubten Handels mit Giften verhaften, wenn Sie nicht jede meiner Fragen wahrheitsgetreu beantworten. – Setzen Sie sich …! Und – sollten Sie etwa fliehen wollen, so – schieße ich!“

Treeburn dachte nicht an Flucht, und die Pistole sollte hier fraglos nur als Schreckmittel dienen.

Der Doktor nahm seufzend wieder Platz …

„Sie gehen scharf ins Zeug, Herr Harst,“ meinte er kläglich … „Fragen Sie! Ich betone: ich rede unter Zwang!“

„Wenn Sie überhaupt nur reden! – Also – es gibt einen Kokain-Klub?“

„Ja …“

„Hektor Randell ist Mitglied wie Sie?“

„Ja …“

„Wo tagt der Klub und wann?“

„Jeden Abend von zehn Uhr wird man eingelassen … Das Haus liegt dicht am Hafen und hat einen zweiten Zugang durch einen Kirchhof – einen mohammedanischen Friedhof. Oben im Hause befindet sich eine Hafenspelunke. In drei elegant eingerichteten Kellerräumen versammeln sich die Kokainisten.“

Der Doktor beschrieb uns dann genau, wie man auf ein geheimes Zeichen eingelassen würde, wie ein Teil der Mitglieder, meist Damen, tief verschleiert kämen und auf welche Weise man das Kokain in großen Mengen aus der Schweiz bezöge.

All diese Einzelheiten waren geradezu phantastisch. Jedenfalls hatte der Klub sich vor Verrat tadellos geschützt.

„Wer hat ihn gegründet?“ wollte Harald nun wissen.

„Ich glaube Jupp Palling, der Freund Hektors …“

„Der ebenfalls Bankbeamter ist …“

„War – war, Herr Harst … Palling hat sich selbständig gemacht und ein kleines Bankgeschäft eröffnet – zusammen mit zwei reichen Chinesen, die ja auch hier die Großspekulanten sind, wie überall in Ostasien …“

„Palling ist mithin nicht verbummelt[1]?“

„Nein … Im Gegenteil! Er ist der, dem Frau Doktor Randell schon oft ihr Leid geklagt hat … Palling hat jedoch leider gar keinen Einfluß mehr auf Hektor.“

„Und Frau Randell ahnt nicht, wovor ihr Sohn sich fürchtet?“

„Nein, – nur das weiß sie, daß diese Furcht ihn förmlich auffrißt … Jeden Abend trinkt er Unmengen Alkohol, um nur ja schlafen zu können …“

„Ich danke Ihnen, Doktor …“ Und Harald legte die Pistole weg und reichte ihm die Hand. „Glauben Sie mir, Treeburn, hier handelt es sich um sehr gefährliche Dinge – sehr gefährliche! – Nun lassen Sie uns allein. Morgen früh acht Uhr können Sie wieder nach mir sehen kommen.“

Ich ließ Treeburn hinaus und verriegelte die Salontür wieder.

Harald saß aufrecht im Bett, als ich zu ihm zurückkehrte.

„Telephoniere sofort an Gorlay, daß er umgehend einen als Kellner verkleideten Beamten vor unsere Tür beordert,“ sagte er überaus lebhaft. „Und dann werden wir nach zehn Uhr als verschleierte Damen den Kokain-Klub besuchen … Es ist ja klar, daß das verkleidete Weib mich nur deshalb zu ermorden suchte, weil Frau Doktor Randell hier ins Hotel zu Treeburn gekommen war. Um sechs war sie bei ihm, um ein Viertel sieben war der Matrose bei mir. Das ist kein Zufall. Ich sollte sterben, damit ich mich nicht mit Hektor beschäftige. – Nun telephoniere …“

Während ich den Inspektor anrief, überlegte ich mir die Vorgänge dieses Abends nochmals, fand aber nirgends einen Hinweis darauf, was Hektor Randell wohl verbrochen haben könnte, um solche Furcht für sein Leben hegen zu müssen …

Nein – ich sah in diesen Dingen nichts als ein völlig zerzaustes Gewebe, bestehend aus den Fäden: Segelsport, Reise, Lotteriegewinn, Kokain und Mordanschlag auf Harald! –

Eine Stunde drauf gab ich dem Beamten im Flur heimlich den Schlüssel zu unserer Salontür …

„Sie sollen alle fünf Minuten die Zimmer betreten,“ flüsterte ich …

Der Mann nickte.

„Wird geschehen … – Der Inspektor läßt noch bestellen, daß er unten auf dem Rasen Eindrücke von großen, derben Stiefeln gefunden hat – tiefe Eindrücke, die nur von einem Absprung herrühren können …“ –

Nun – diese Eindrücke erklärte Harald für völlig bedeutungslos …

„Das Weib hatte winzige Hände und Füße,“ betonte er nochmals. „Ihre Segeltuchschuhe waren wie die von Kindern … Und –“

Und – – da schwieg er … Machte ein merkwürdiges Gesicht – so, als ob ihm soeben etwas Besonderes eingefallen wäre …

Schwieg jedoch … – Um halb zehn begannen wir mit unserer Toilette. – –

Wenn der Leser einigermaßen aufmerksam gewesen ist, muß er jetzt schon gegen eine bestimmte Person Verdacht geschöpft haben.

 

3. Kapitel.

Die Prise Kokain.

Es war kurz nach zehn Uhr, als wir beide vorsichtig den Salon verließen.

Der Flur war leer. Nur der als Kellner verkleidete Beamte schlenderte auf und ab. Ich nickte ihm zu … Er lächelte verblüfft. – Kein Wunder …! Harst und Schraut waren zwei elegante Europäerinnen geworden. Unser Koffer Nr. 2 enthält auch Damengarderobe – bis ins einzelne.

Schade nur, daß diese beiden Damen in den Taschen der Sportröcke Clementpistolen und manches andere stecken hatten, was holde Vertreterinnen des schwächeren Geschlechts nicht gerade oft bei sich führen …! –

Nun – wir wanderten denn auch sehr sicher in unseren tadellosen Masken durch das Riesenhotel – an dem grüßenden Portier vorüber, auf die Straße – und weiter bis zum Hafenviertel, bis zu jenem Gewirr älterer und neuerer Bauten, Lagerplätzen und düsteren Kneipen, das eigentlich in jeder tropischen Seestadt dasselbe ist.

Wir fanden leicht jenen alten kleinen Friedhof, dessen Bäume und Büsche sich über längst eingesunkene Gräber und schiefe Gedenksteine neigten. Wir durchquerten den mit Unkraut überwucherten Hauptweg und standen nun vor der Mauerpforte, die in den Hof der Hafenspelunke Zutritt gewährte.

Harst befolgte Doktor Treeburns Anweisungen aufs genaueste …

Er hustete dreimal, sprach dann halblaut das Wort

Koka!

Die Brettertür ging auf.

An einem schlitzäugigen alten Chinesen, dem Türhüter, vorüber gingen wir durch den schmalen, langgestreckten Hof. Rechts und links befanden sich halb verfallene Stallungen. Geradeaus blinkten ein paar helle Fenster.

Mitten in der Rückfront der Spelunke lief eine überdachte Treppe in den Keller hinab. Die Tür dieses Kellerhauses war neu und roch noch nach Ölfarbe.

Harald hustete jetzt viermal, sagte dann zweimal das Erkennungswort Koka.

Auch diese Tür tat sich auf. Wieder war’s ein Chinese, der hier den Wächter spielte.

Er leuchtete uns wortlos mit einer Blendlaterne die Ziegelstufen hinab – bis vor eine dritte Tür.

Harst hustete hier zweimal, sprach dreimal: Koka!

Der Chinese schloß dann erst auf.

Wir traten ein. Durch einen Vorhang schimmerte Licht. Harst schlug den dünnen Stoff zur Seite …

Ein viereckiger Raum, durch Kerzen erhellt – ein Mädchenzimmer, könnte man sagen …

Wände und Decke mit hellgelber Seide bespannt … Kostbare Leuchter überall … Und an Wänden Diwan an Diwan, jeder mit einem Baldachin aus lichtgrüner Seide, in jeder dieser Diwankabinen eine Lampe mit mattroter Glocke, in Ketten hängend.

Der Fußboden bedeckt mit den kostbarsten Teppichen. In der Mitte ein Marmorbassin, in dem ein Springbrunnen plätscherte, dessen Wasser sehr scharf parfümiert war. Außerdem standen neben dem Springbrunnen noch vier altindische goldene Räuchergefäße, aus denen zartblauer duftender Qualm hochstieg: Ambra!

Die Luft hier war schwer und schwül. Das Gemach hatte etwas seltsam Traumhaftes, Unwirkliches an sich.

Fünf der Lagerstätten waren besetzt: mit Damen, – die Vorhänge halb zugezogen.

Steif und starr lagen sie da, die Augen unnatürlich groß, die Gesichter verzerrt unter dem Eindruck der wilden Halluzinationen, die ein starker Kokainrausch hervorruft. –

Dem Eingang gegenüber ein zweiter Vorhang …

Wir trauten uns nicht recht weiter, denn dies hier schien der Damensalon zu sein … Leider hatte Doktor Treeburn uns hierüber keinen Aufschluß gegeben.

Während wir noch vor dem Springbrunnen unschlüssig verharrten, wurde der zweite Vorhang gelüftet, und eine schlanke Frau kam heraus – mit einem dichten schwarzen Schleier vor dem Gesicht – wie wir …

Sie nickte uns nur zu und verließ die Klubräume. –

Wenn ich ehrlich sein soll: mir war hier etwas bänglich zumute! Wurden wir erkannt, so konnte dieses Abenteuer vielleicht blutig enden …!

Harst flüsterte:

„Weiter! Gemach Nummer zwei …“

Er ging voran …

Und hier – genau dieselbe Ausstattung … Nur noch ein paar Tischchen und Korbsessel, und an der einen Wand ein Marmortisch mit einer kleinen Messingwage und mehreren Büchsen aus Silber. Hinter diesem Tisch stand ein Chinese: der Kokainverkäufer!

Im übrigen waren in diesem zweiten Raum nur vier Herren und eine Dame. Drei lagen auf den Ruhebetten, die anderen saßen.

Harst schritt zum Verkaufstisch und flüsterte:

„Zweimal fünf Gramm …“

Legte eine größere indische Goldmünze hin.

Der Chinese wog das weiße Kokainpulver auf weißen Seidenstückchen ab, machte daraus kleine Beutel, umschnürte sie leicht und reichte sie uns hin …

Wir erhielten Geld zurück und wandten uns nun dem dritten Raume zu – auf gut Glück …

Bevor Harald aber hier den Vorhang hochschlagen konnte, stürmte eine Dame heraus und rief schrill und in hellem Entsetzen:

„Randell ist soeben tot vom Diwan gesunken …“

Ein Herr trat nun ebenso hastig ein – auch ein Engländer …

„Was tun wir nur, Palling?!“ wandte er sich an einen der Sitzenden … „Randell ist tatsächlich tot … Doktor Treeburn hat ihn untersucht …“

Und der mit Palling angeredete, ein schlanker Herr mit gebräuntem Gesicht, eilte jetzt, von den anderen gefolgt, in den dritten Raum.

Nur die Dame blieb zurück, flüsterte uns zu:

„Man tut gut, einen gehörigen Vorrat einzukaufen und vorläufig hier nicht mehr zu erscheinen …“

Damit trat sie an den Marmortisch. Wir aber lüfteten den Vorhang und waren nun in dem dritten Gemach …

Es war der größte Raum … Die Ausstattung wieder dieselbe, nur noch mehr Tische und Sessel und rechts ein elegantes Büfett mit hohem Verkaufstisch – wie in einer Bar …

Hier befanden sich jetzt etwa achtzehn Personen. Sie bildeten einen Kreis um eine am Boden liegende Männergestalt: Hektor Randell!

Ich sah das Gesicht …

Mir graute …

Ein entsetzlich ausgemergeltes, hageres, faltiges Gesicht.

Die Augen verdreht …

Mir graute …

Und neben Randell knieten unser Doktor und Palling.

Palling rief gerade leise:

„Es ist ja unmöglich, daß er tot ist …! Treeburn, wir sollen künstliche Atmung einleiten … Wir wollen –“

„Er ist tot,“ sagte Treeburn merkwürdig brutal. „Herzschlag wahrscheinlich …“

Und einer der Umstehenden meinte achselzuckend:

„Randell hat täglich zwanzig Gramm geschnupft …!! Welcher Körper hält das aus?!“

Palling erhob sich …

Starrte auf die Leiche …

„Wir – müssen ihn fortschaffen … Er muß anderswo gefunden werden,“ flüsterte er traurig. „Der arme Kerl wird es uns nicht verargen, wenn wir an unsere Sicherheit denken …“

Man beriet …

Niemand kümmerte sich um uns …

Es kamen noch mehr Klubmitglieder hinzu – die meisten Europäer, nur ein paar vornehme Inder und zwei Japaner.

Man nahm schließlich Treeburns Vorschlag an, daß der Tote in dem Auto eines der Anwesenden nach den Anlagen am Hauptbahnhof geschafft und dort auf eine Bank gelegt werden sollte.

Da – – verließen wir diesen unheimlichen Verein armseliger Kreaturen, die alle den Stempel des furchtbaren Lasters in den Gesichtern trugen …

Und dicht hinter uns kam James Treeburn, unser Doktor.

In dem Hauptweg des dunklen Friedhofs sprach Harald ihn an …

„’n Abend, Doktor!“

„Teufel, – – sind Sie’s wirklich?!“

„Ja – wir beide … Kommen Sie nur … Wir wollen zu Inspektor Gorlay auf die Polizeidirektion … Fürchten Sie nicht, daß ich den Klub verrate … Ich will nur Hektor Randells Leiche sehen …“ –

Gorlay hat Dienstwohnung in dem schmucken Gebäude. Er saß gerade beim Abendessen, war soeben erst vom Golfplatz zurückgekehrt, wo man bei Scheinwerferlicht gespielt hatte.

Der sehnige Inspektor lachte, als wir unsere Schleier hochschlugen und unsere rosig geschminkten Gesichter zeigten.

„Nehmen Sie Platz … nehmen Sie Platz … Damen sehe ich selten bei mir!“ meinte er heiter.

Harald meinte sehr ernst:

„Lieber Gorlay, schicken Sie zwei Beamte nach den Anlagen am Hauptbahnhof. Dort liegt auf einer Bank ein Toter: Hektor Randell! Wir haben ihn dort soeben zufällig gefunden. Die Bank kann ich Ihnen nicht näher beschreiben … Jedenfalls steht sie auf der dem Bahnhof abgekehrten Seite …“

Gorlay wurde in keiner Weise argwöhnisch … –

Und kaum zwanzig Minuten später war der arme Hektor unten im Keller vorläufig aufgebahrt.

Wir standen um den Toten herum. Harald wandte sich an Treeburn.

„Doktor, Sie sind Arzt … Wie denken Sie über die Todesursache?“

„Gift!“ sagte Treeburn kurz. „Die Augen verraten es …“ –

Wir verabschiedeten uns nun von Gorlay. Harald schützte Müdigkeit vor …

„Morgen reden wir weiter, Inspektor … Gute Nacht!“

Und wir drei schritten durch die jetzt stillen, breiten Straßen Kalkuttas, das in seinen neueren Vierteln vollkommen einer europäischen Großstadt gleicht.

Treeburn ging zwischen uns. Wir schwiegen …

Bis Harald unvermittelt fragte:

„Weshalb sagten Sie vorhin im Klub in so grobem Tone, daß Randell tot ist?!“

Der Doktor zögerte …

„Hm, – weil – weil ich mich innerlich ärgerte, daß Hektor nun doch – umgebracht worden war …!“

„Ja – im Klub!! – Und das Gift, Doktor, das hat man ihm vielleicht in einer Prise Kokain beigebracht …“

„Bestimmt sogar …“

„Es fragt sich also: Wer bot ihm eine Prise Kokain an?“

Treeburn blieb stumm …

„Tat es vielleicht Palling?“ meinte Harald.

Der Doktor stand still, stierte Harst in das geistvolle Gesicht, das der Schleier nur noch halb bedeckte …

„Wie kommen Sie auf Palling?“

„Weil Jupp Palling so ungeheuer gesund aussieht, weil er der einzige ist, der – – nicht Kokain schnupft, wie sein Aussehen verrät, und – – weil gerade er den Klub gegründet hat …“

Treeburn brummte:

„Das – das sind keine Beweise, Harst!“

„Bitte – wer bot Randell eine Prise an?“

„Palling … Ich sah es … Und fünf Minuten drauf sank Randell aus dem Sessel …“

„Hat Palling eine Geliebte?“

„Ja …“

„Eine Europäerin?“

„Nein, eine Eurasierin …“

„Sie kennen dieses Weib?“

„Gewiß … Palling gibt oft Herrensoupers … Dann tanzt Omahla uns stets etwas vor … Omahla heißt das Mädchen … Sie war früher Akrobatin …“

„Aha – – Akrobatin! – Hat sie sehr zierliche Hände und Füße?“

„Wie eine Puppe …“

„Also stimmt auch das … – Wollen Sie Omahla noch dieser Nacht begrüßen, Doktor?“

„Sie – scherzen wohl …?!“

„Durchaus nicht … Da ist schon unser Hotel … Kommen Sie nur mit auf unsere Zimmer …“

 

4. Kapitel.

Striche auf dem Kopfkissen.

Oben im Flur trafen wir den als Kellner verkleideten Beamten. Der Mann meldete, daß nichts geschehen sei. „Ich war alle fünf Minuten wie befohlen in den Zimmern. Ich wollte gerade wieder hineingehen.“

Er reichte Harald den Türschlüssel. Wir traten ein. Ich schaltete sofort im Salon das Licht ein. Freund Harst schaute sich sehr mißtrauisch um, ging zu den Fenstern und zur Balkontür und prüfte, ob sie noch geschlossen seien.

„Fürchten Sie denn, daß jemand eingedrungen ist?“ fragte der Doktor verwundert.

Harald nickte nur.

Die Tür zum Schlafzimmer stand offen. Er griff um die Türfüllung herum und drehte den Lichtschalter. Die Deckenlampen flammten nun auch dort auf. Und ich sah, daß Harst in der Linken die Clement hielt, erkannte so, daß er mit einem neuen Attentat rechnete.

Unschlüssig war er in der Türfüllung stehengeblieben.

Doktor Treeburn meinte: „Das Schlafzimmer ist doch leer …! Vorwärts!“

Harald wandte den Kopf …

„Ja – leer … Und doch war jemand hier …“

„Der Beamte – natürlich!“

„Nein, noch jemand … Ich sehe etwas!“

Treeburn und ich drängten uns dicht hinter ihm. Wir – sahen nichts.

Harald schritt nun auch hier zunächst auf die Fenster zu. Sie waren geschlossen, und auch die Stabjalousien waren in Ordnung.

„Es ist ja gar nicht möglich, daß jemand hier eingedrungen sein kann,“ meinte Treeburn leise zu mir.

Harst war zu seinem Bett gegangen und deutete auf einen etwas zerknitterten Zettel, der auf dem Kopfkissen lag …

„Da – bitte …!!“

Dann nahm er den Zettel …

Mit Bleistift stand da in sorgfältig verstellter Schrift:

Sie werden doch daran glauben müssen!!

Trimaldos Rächer.

„Schwindel!“ lachte Harst ironisch. „Trimaldos Rächer! Kein Gedanke daran!“

Treeburn schüttelte den Kopf. „Lieber Harst, wie mag der Zettel hierher gelangt sein?! Ahnen Sie es?!“

„Vorläufig nicht … Jedenfalls hat ihn aber Jupp Pallings Geliebte Omahla hier niedergelegt.“

„Hm – und wie?!“ – Der gute Doktor brannte vor Ungeduld, hierüber Aufschluß zu erlangen.

Harst untersuchte das Kopfkissen, dann nochmals den Zettel.

Das Papier hatte zwei kleine Löcher mit leicht geschwärzten Rändern.

„Vielleicht hat man einen dünnen biegsamen Draht durch das Papier gesteckt,“ meinte Harald sinnend. „Vielleicht ist jemand im Ventilatorschacht gewesen und hat so mit Hilfe des Drahtes das Papier auf dem Kopfkissen deponiert. – Bitte – hier sind auf dem weißen Bezug des Kissens ein paar feine Schmutzstriche … Der Draht war eben nicht sauber. Und diese Striche zeigen sämtlich dorthin …“ – Er deutete auf den Ventilator, der rechts unter der Decke sich befand und der vom Bett etwa sechs Meter entfernt war. „Ja – der Draht war schmutzig …“ fügte er hinzu. „Und bei den Versuchen, das auf den Draht aufgespießte Papier abzustreifen, sind diese Striche entstanden.“

Treeburn rief da triumphierend: „Nein, bester Harst, all das stimmt aus dem sehr einfachen Grunde nicht, weil – der Ventilatorschacht viel zu eng ist, um einen Menschen durchzulassen. Nicht einmal ein Kind hätte dort Platz …!“

Harst drehte sich um und legte dem Doktor leicht die Rechte auf die Schulter. „Lieber Treeburn, es ist schon so, wie ich’s sagte: Der Zettel war auf einen Draht gespießt! Und – dieser Zettel hat mir Gewißheit gegeben.“

„Worüber?!“

„Über Jupp Pallings Helfershelferin, die Omahla … – Soll ich Ihnen dies näher erklären, Doktor? Vielleicht kann auch Schraut das tun … Ich glaube, er denkt genau dasselbe wie ich …“

Unsere Augen begegneten sich. Ich schaute dann zur Zimmerdecke empor, und Harald nickte …

Da begann ich: „Jupp Palling ist offenbar seit langem Hektor Randells Feind gewesen, ohne daß Randell dies ahnte …“

„Und der Grund der Feindschaft?“ warf Treeburn ein. „Sie waren doch die besten Freunde, die beiden … Ich begreife diesen Mord nicht …“

„Den Grund kennen wir noch nicht,“ erklärte ich kühl. „Aber wir werden ihn ermitteln. Jedenfalls hat Palling seinem einstigen Freunde nach dem Leben getrachtet. Hektor Randell wieder fühlte sich von Unbekannten bedroht und war sehr vorsichtig geworden. – So lagen die Dinge, als Harst und ich hier im Astor-Hotel Trimaldos wegen abstiegen und die Zeitungen dann meldeten, daß wir in Kalkutta seien. Da packte Jupp Palling die Angst, Hektor könnte sich an uns wenden … Palling ließ uns also beobachten – durch seine Geliebte Omahla, einstige Akrobatin. Heute unternahm sie den Mordanschlag auf Harst. Weshalb – das wissen Sie bereits, Doktor: weil Frau Randell Sie besuchte. – Der Matrose floh nach dem Anschlag anscheinend in den Park, sprang vom Balkon. Gorlay hat im Rasen tiefe Spuren gefunden. Diese Spuren aber sind – Kunst, Betrug, sind nur absichtlich hergestellt worden. In Wahrheit floh Omahla – nach oben …! Sie wohnt hier im Hotel über uns!!“

„Bravo!“ meinte Harald …

„Sie wird einen Strick oben an ihr Fenster geknotet gehabt haben … Als Akrobatin klettert sie sicher wie eine Katze …“

„Na ja – mag sein!“ sagte Treeburn nachdenklich. „Aber – wie kam der Zettel hierher?!“

Ich erwiderte ehrlich: „Das weiß ich nicht …!“

Harald lächelte …

„Vielleicht fragst Du mal den Doktor, der ja Pallings Geliebte genauer kennt, ob Omahla ein zahmes … Äffchen besitzt …“

Treeburn machte ein verdutztes Gesicht …

„Wahrhaftig: Omahla hat ein Ceylon-Äffchen, einen kleinen graugrünen Kerl, der geradezu unheimlich schlau ist …“

„Und im Ventilatorschacht Platz hat,“ nickte Harst … „Ich habe gleich an einen Affen gedacht. Jedenfalls: der Zettel war eine ungeheure Dummheit! – Ich werde Gorlay Bescheid sagen. Palling muß verhaftet werden, ebenso die Eurasierin.“

„Und – – der Kokain-Klub?!“ rief Treeburn bestürzt.

„Ja – der wird auffliegen, Doktor … Den hat Palling, der Schurke, nur gegründet, um Hektor Randell durch Kokain langsam zu entnerven …“

„Unmöglich!!“ Der Doktor schnappte förmlich nach Luft. „Glauben Sie das wirklich, Harst?! Das wäre ja eine so ungeheure Gemeinheit, daß –“

„Oh – Palling wird auch in den anderen Dingen Hektors Verführer gewesen sein. Er wollte ihn beseitigen – allmählich. Jetzt schritt er, nachdem Randell so vorsichtig geworden, auch nur zum Äußersten, zum Morde, weil er mich fürchtete und weil er durch Omahla erfahren hatte, daß ich eine schwere Verwundung nur vortäuschte … Omahla muß uns vom Balkon beobachtet haben … Vielleicht sah sie sogar, daß wir verkleidet fortgingen. – Ich werde den Inspektor anrufen …“

Er ging in den Salon …

Wir hörten, wie er telefonierte …

Treeburn besichtigte das Kopfkissen und meinte leise:

„Weiß der Himmel, Harst hat Augen …!! Diese feinen Schmutzstriche hätte ich nie bemerkt – nie!“

 

5. Kapitel.

Der Lotteriegewinn.

Wir warteten dann auf Gorlay. Nach einer Viertelstunde war er zur Stelle. Er brachte das Fremdenbuch des Hotels mit in den Salon. Wir stellten fest, daß gerade über uns seit drei Tagen eine Frau Mary Oglar, angeblich aus Bombay, wohnte. Der Hoteldirektor, den Harst hatte wecken lassen, bestätigte, daß die elegante Dame eine Eurasierin sei.

Drei Beamte Gorlays wurden auf unserem Balkon postiert. Der Inspektor selbst, der Doktor und wir beide gingen dann in den zweiten Stock empor.

Die angebliche Frau Oglar hatte gleichfalls zwei Zimmer inne – genau die über den unsrigen. – Gorlay klopfte an – sehr derb …

Nach einer Weile eine Frauenstimme:

„Wer ist denn dort?“

„Der Nachtportier … Eine Depesche für Sie, Frau Oglar … Ich reiche sie Ihnen durch die Türspalte …“

Wir standen bereit …

Packten zu, als die Tür sich fingerbreit öffnete … rissen sie auf …

Gorlay hielt der völlig Überraschten seinen Browning vor die Brust …

Das Weib trug einen eleganten lilaseidenen Schlafanzug. Sie war zurückgetaumelt … Sie war so fassungslos, daß sie sich zitternd die Handschellen anlegen ließ.

Wir traten in den Salon ein …

Harst ging sofort ins Schlafzimmer. Dort hockte auf den Koffern – ein Äffchen. Und in einem der beiden Koffer fanden wir dann den Matrosenanzug, den Dolch und … den langen zusammengewickelten Draht.

Der Dolch hatte an der Spitze eine tiefe Scharte, – infolge des Stoßes gegen das Nickelfeuerzeug.

Als Harald dem Weibe all diese belastenden Dinge zeigte, lachte sie uns frech an. Sie schwieg im übrigen. Nur Doktor Treeburn hatte sie haßerfüllt angerufen: „Sie haben sich da ja feine Freunde ausgesucht!“ – Worauf James Treeburn verächtlich erwiderte:

„Zum Glück! Auf Pallings Freundschaft kann man wirklich nicht stolz sein!“ –

Gorlay gab das Verhör mit Omahla denn auch bald auf. Und gerade als er sie wegbringen lassen wollte, erschien sein Kollege Barton, der Jupp Palling hatte verhaften sollen.

Palling – war nicht zu finden. In seiner Villa hatte Barton festgestellt, daß Palling in größter Hast verschiedene Papiere verbrannt und mit einem großen Koffer vor etwa einer Stunde in einem Mietauto davongefahren war.

Diese Meldung, die Omahla mit anhörte, zeigte der Verbrecherin, daß ihr Freund sie einfach im Stiche gelassen hatte.

Harst sagte zu ihr – in freundlich überredendem Tone:

„Sie sehen nun, was Sie von Palling zu halten haben. Er hätte Sie noch warnen können …“

Omahlas Gesichtsausdruck hatte sich jäh verändert …

„Ich – ich weiß nichts von der Ermordung Hektor Randells,“ stieß sie hervor. „Bei Gott – ich weiß nichts davon! Palling ist – ein Lump!“

Und jetzt wurde sie gesprächig. Jetzt gab sie alles zu.

Palling hatte den Kokain-Klub erst gegründet, als drei Mordanschläge auf Randell mißglückt waren. Durch Kokain wollte er ihn nun langsam ins Grab bringen … Auch zum Spielen und zu anderen Ausschweifungen hatte er ihn schlau verführt, hatte dabei aber stets mit teuflischer Schlauheit den wohlmeinenden Freund herausgekehrt und sogar Frau Randell getäuscht.

„Und weshalb all das?“ fragte Harald gespannt.

Wir anderen umstanden Omahlas Sessel …

Jetzt mußte ja endlich das Wichtigste an den Tag kommen …

Wir – irrten uns.

Omahla versicherte hoch und heilig, daß sie den Grund dieser fanatischen Umtriebe Pallings nicht kenne.

„… Ich habe nicht einmal die geringste Ahnung, weshalb Randell sterben sollte. Palling war in dieser Beziehung so verschlossen, daß er mich stets grob anfuhr, wenn ich auf diese Dinge zu sprechen kam. Dies ist die volle Wahrheit, Herr Harst. Ich würde Palling jetzt nicht mehr schonen. Er hat mich schändlich verraten, nachdem er mich zu dem Attentat gegen Sie angestiftet hatte … Damit Sie sehen, daß ich nichts verschweige: er hat mir zehntausend Pfund gegeben, bevor er mir heute nachmittag hier in diesem Zimmer seinen Entschluß mitteilte, daß Sie sterben müßten, weil Frau Randell jetzt bei Doktor Treeburn sei und weil sie sich fraglos durch Treeburn mit Ihnen in Verbindung setzen würde …“

„Zehntausend Pfund,“ meinte Harald mit leisem Kopfschütteln. „Das sind zweimalhunderttausend Mark – – ein Vermögen! – Gab er sie Ihnen in bar?“

„Ja – in hohen Banknoten … – Ich habe das Geld dort in jener Vase versteckt …“

„Vor Pallings Augen?“

„Ja …“ – Sie wurde stutzig.

Harst schritt schon zu der großen Japanvase hin, in der oben ein Strauß der seltsamen Telpia-Blüten steckte, die nie welken, eine Art Strohblumen von wunderbarer Farbenpracht. – Er hob die Vase von der Säule und zog den Strauß langsam heraus …

„Leer!“ sagte er nur …

Das Weib schrie auf. Eine Wut ohnegleichen verzerrte ihr Gesicht …

„Ach – der Schuft hat mich also deshalb nachmittags in mein Schlafzimmer geschickt … Ein Pulver sollte ich ihm bringen und ein Glas Wasser … Er habe Kopfschmerzen. – Gestohlen hat er das Geld … Und ich – ich bin ihm in die Falle gegangen …!!“

Sie keuchte – kreischte … Ein Haß loderte in ihren Augen, der unersättlich schien. –

Harst stellte die Vase an ihren Platz zurück, wandte sich an Gorlay:

„Wir wollen jetzt zu Frau Randell fahren. Ich habe die Dame einiges zu fragen …“

Gorlays Dienstauto stand in der Nähe des Hotels. Sehr bald waren wir in der stillen Garden-Street.

Als wir an der Gartenpforte läuteten, schlugen drinnen die Bulldoggen heiser an. Nach mehreren Minuten erst kam eine eingeborene Dienerin und ließ uns ein.

Dann sahen wir Frau Randell, eine jener Engländerinnen, die unter der heißen Sonne Indiens frühzeitig zu Mumien zusammentrocknen.

Die Dame konnte höchstens fünfzig sein und sah wie achtzig aus.

Harst übernahm es, die Unterhaltung so zu lenken, wie es ihm für unsere Zwecke geeignet schien. Er verschwieg zunächst Hektors Ermordung und erklärte nur, Treeburn habe ihm alles Nötige mitgeteilt …

„Es sind nun Dinge geschehen, Frau Randell, die mich zwangen, sofort einige Fragen an Sie zu richten … – Ihr Sohn hat einen größeren Lotteriegewinn gemacht? Wann?“

„Nach seiner Rückkehr von der Kreuzfahrt mit seiner Jacht … Er besaß ein Los der Londoner Jubiläumslotterie … Der Hauptgewinn betrug 100 000 Pfund – zwei Millionen Mark nach deutschem Gelde …“

„Ah – und die gewann er?“

„Ja – zusammen mit seinem Freunde Jupp Palling. Die beiden spielten das Los gemeinsam. Sie haben die Höhe dieses Gewinnes stets sorgfältig geheim gehalten … Nur mir sagte Hektor die Wahrheit. – Übrigens ist Hektor noch immer nicht zurückgekehrt …“ Sie seufzte, und ihre müden Augen wurden feucht. „Dabei ist’s doch bereits drei Uhr morgens … Palling war übrigens um ein Uhr hier … Er sollte für Hektor etwas holen … aus dessen Zimmer … Er war allein dort … Ich weiß nicht – er war so aufgeregt, so ganz anders als sonst …“

„Dürfte ich das Zimmer Ihres Sohnes einmal sehen, Frau Randell?“ bat Harald, indem er sich erhob …

„Oh – Palling hat ja die Schlüssel wieder mitgenommen … Sie können nicht hinein, Herr Harst … Die Tür ist sehr fest, und die Schlösser sind …“

„… sind zu öffnen, Frau Randell.“ Er trat auf sie zu, nahm ihre welke Hand … „Frau Randell, ich muß Ihnen leider noch etwas sehr Trauriges mitteilen …“

Sie sank halb zurück … „Hektor – ist tot …?“ rief sie klagend.

„Ja, Frau Randell. Er ist – ermordet worden – durch Palling …“

Eine wohltätige Ohnmacht ließ die Ärmste völlig zusammensinken.

Während Gorlay und die Dienerin sich um Frau Randell bemühten, drangen wir mit Hilfe des Patentdietrichs in Hektors Wohnzimmer ein.

Was wir hier fanden?!

Nun – ein wüstes Bild … Der Schreibtisch, alle anderen Fächer und Schiebladen waren durchsucht worden. Auf dem Teppich lagen Papiere und anderes …

Ein Bild war von der Wand genommen … Dahinter war ein kleines Stahlsafe eingemauert. Die Tapetentür stand offen. Der Stahlkasten war leer …

Und während wir noch mitten im Zimmer verharrten und uns suchend umschauten, als müßten wir hier noch etwas finden, sagte Harald leise:

„Lieber Alter, glaubst Du an den Lotteriegewinn?! Ich – – nicht! Ich behaupte, daß Palling und Randell während ihrer Kreuzfahrt durch … ein Verbrechen große Summen erbeutet haben …“

Ich nickte nur …

Harst bückte sich dann …

Gerade vor ihm hatte halb unter einem zerknitterten Briefe eine Photographie gelegen, ein Amateurerzeugnis, unaufgezogen …

Eine sehr merkwürdige Aufnahme war’s … –

Und mit ihr beginnt der zweite Teil dieses Abenteuers.

 

 

Der Totenkopf.

 

1. Kapitel.

Das Bild mit dem Totenkopf.

Und hier bringe ich nun nach dieser Einleitung, die den Titel „Kokain-Klub“ trägt, jenes Problem, das der freundliche Leser enträtseln soll. –

Ich muß die nächsten Ereignisse ganz kurz zusammenfassen, da ich sonst das wirklich Abenteuerliche nachher zu flüchtig nur streifen könnte.

Die arme Frau Doktor Randell konnte sich zunächst vor Schmerz kaum fassen. Nachdem sie erwacht war, blieben wir beide noch eine Stunde bei ihr.

Harald versteht vortrefflich zu trösten. Und hier tat er es um so herzlicher, weil dies kleine, zierliche, mumienhafte Weiblein offenbar die wahre Mutterliebe für den dahingeschiedenen Sohn empfand.

Selten habe ich eine Dame der sogenannten gebildeten Stände angetroffen, die für die Schwächen und Fehler ihres Kindes so viel vornehmes Verständnis und so viele wahre Entschuldigungsgründe hatte.

Als Harald ihr allmählich beibrachte, daß Jupp Palling als falscher Freund ihren Sohn ganz systematisch verdorben hatte, da meinte sie traurig:

„Ja, das habe ich mir längst gedacht, daß all dies Schlechte unmöglich einzig und allein aus Hektors Seele herauswachsen könnte … Da mußte jemand sein, der ihn verführte … Ich wußte nur nicht, wer …“

Im übrigen war sie jedoch so wenig in Hektors Angelegenheiten eingeweiht, daß wir von ihr nichts Wichtiges erfuhren. Nur eins konnte sie uns angeben: wo ihr Sohn seine Geliebte untergebracht hatte. – Und auch über dieses Liebesverhältnis sprach sie mit äußerster Nachsicht.

Dann holte Harald die Photographie aus der Tasche hervor, dieses unaufgezogene Amateurbild einer Felsenküste, gegen die das Meer brandet …

„Kennen Sie diese Photographie, Frau Randell?“ fragte er mit einiger Spannung …

„Oh – – ein Totenkopf! Wie seltsam! Und ein Tau, das unten in die Brandung läuft!“ Sie rief’s mit unverhohlenem Erstaunen.

„Nein, nein, dieses Bild kenne ich nicht,“ fügte sie hinzu. „Hektor hat ja von seiner damaligen Seefahrt zahllose Photographien mitgebracht … Er war leidenschaftlicher Amateur … Diese Photographie ist mir jedoch fremd!“ –

Und nun möchte ich an dieser Stelle das Bild recht genau beschreiben. Es war sehr scharf und offenbar bei grellem Sonnenlicht als Momentaufnahme von der Jacht aus geknipst. Man sah links eine sehr hohe zerklüftete Felswand, die sich nach rechts hin im scharfen Winkel weiterzog. Oben standen ein paar Palmen. Die Brandung am Fuße der Felswand warf den Gischt hoch empor – fast bis zu einer dicken spitzen Felszacke, auf die ein – Totenschädel aufgespießt war. Dieser helle Totenkopf zeichnete sich von dem schwarzen Gestein außerordentlich deutlich ab. – Und dann das Merkwürdigste: aus dem Munde des Schädels, also aus den Kiefern, kam ein Tau hervor und führte straff gespannt schräg in die Brandung hinab. Sah man genau hin, so erkannte man, daß es kein Tau, sondern eine Stahltrosse war.

Diese Photographie spielte nun im weiteren Verlauf der Dinge eine sehr wichtige Rolle.

Nachdem Frau Randell nochmals betont hatte, daß sie das Bild noch nie gesehen habe, fragte Harald, ob sie uns wohl die anderen Photographien von der Seereise aushändigen würde.

„Gern … Hektor hat sie alle der Reihe nach in ein Album geklebt und auch kurze Notizen darunter geschrieben. Ich hole das Album sofort.“

Als Harald es eingepackt hatte, meinte er in seiner schonenden Art:

„Noch zwei Fragen, Frau Randell … Erstens: Befanden sich Ihr Sohn und Jupp Palling während der Kreuzfahrt allein an Bord?“

„Ja …“

„Und Zweitens: Hatte Hektor in seinem Wohnzimmer größere Summen Geldes verwahrt?“

„Nein, bestimmt nicht … Sein Vermögen wird von der India-Bank verwaltet. Wieviel er besitzt, weiß ich nicht.“

Wir verabschiedeten uns nun, gingen nach der Polizeidirektion.

Inzwischen hatte Inspektor Gorlay mit seinen Beamten den Klub der Kokainisten ausheben wollen, hatte jedoch nur leere öde Kellerräume vorgefunden. Wie durch Zauberhand war die ganze Ausstattung entfernt worden. Der Wirt der Hafenspelunke hatte den Harmlosen gespielt, hatte erklärt, er habe die Keller an einen Chinesen als Lagerräume vermietet und sich nie darum weiter gekümmert. – So war denn der Kokain-Klub wie eine Seifenblase zerplatzt, und die Polizei hatte das Nachsehen.

Da es mittlerweile hell geworden, machten wir beide uns nach der Goodnar-Street auf, wo in Nr. 16 Hektors Geliebte wohnen sollte.

Es war dies ein sehr altes Gebäude, das fraglos einst ein Mohammedaner erbaut hatte. Die Fenster gingen nämlich sämtlich nach dem Hofe hinaus, waren vergittert, und das Ganze wirkte wie ein Gefängnis.

In dem Hause wohnten zumeist indische Tänzerinnen, die unter der poetischen Bezeichnung Bajaderen schon in der uralten indischen Dichtkunst eine große Rolle spielen … Der Pförtner führte uns über wahre Hühnerleitern von Treppen in den linken Flügel …

„Miß Dagnaar wird schon auf sein,“ meinte er. „Sie ist sehr fleißig.“

Und an Ellen Dagnaars Tür fanden wir auch die nähere Bezeichnung dieses Fleißes, ein Pappschild:

Ellen Dagnaar,
Modistin.

Harst setzte den ehrwürdigen Türklopfer in Bewegung. Ein blondes junges Weib öffnete, musterte uns erstaunt, fragte kühl, was wir wünschten …

„Wir kommen Hektor Randells wegen, Miß Dagnaar,“ erklärte Harald höflich.

Sie erbleichte, noch während er sprach …

„Er – ist nun doch tot …!“ flüsterte sie scheu. „Oh – sagen Sie mir die Wahrheit … Ich bin auf alles gefaßt.“

Harst nickte. „Ja, Randell wurde – vergiftet …“

Sie lehnte mit schlaff herabhängenden Armen an der Tür.

Sie war schön, diese Ellen. Sie hatte seltsam tiefe graugrüne Augen.

„Kommen Sie … Treten Sie näher,“ sagte sie tonlos und völlig geistesabwesend.

Ein winziges, behagliches Stübchen nahm uns auf. Links stand ein großer Zuschneidetisch, unter dem einen der Fenster eine Nähmaschine.

Wir setzten uns. – Ellen Dagnaar hatte sich wieder gefaßt.

„Erzählen Sie mir alles,“ bat sie mit fast unnatürlicher Ruhe. „Ich – habe nämlich einen bestimmten Verdacht, wer Hektor getötet haben kann …“

„Palling?“

„Ah – – auch Sie, Herr Harst …?! – Hektor hat nie glauben wollen, daß Palling ihm nachstellte. Er sagte immer, Palling hätte doch keinerlei Nutzen von seinem Tode …“

Harst schaute sie ungläubig an. „So?! Sagte er das wirklich?!“

„Des öfteren sogar …“

„Und – wissen Sie, woher Hektors Reichtum stammt?“

„Ein Lotteriegewinn, behauptete er … Mich ging das ja auch nichts an, denn außer kleinen Geschenken habe ich nie etwas von ihm angenommen … Als wir uns im Oktober des vorigen Jahres kennenlernten, lebte meine Mutter noch. Palling hatte uns zusammengebracht. Er ließ für seine Geliebte bei mir allerhand arbeiten …“ –

Ich war geradezu betroffen von der stillen Größe dieser Mädchenseele. Ihr ganzes Benehmen war so schlicht und vornehm, daß ich Hochachtung vor ihr empfand – wie vor einer makellosen Dame der Gesellschaft.

Sie sprach weiter – eigentümlich leidenschaftslos:

„Palling hat mir nie gefallen … Er wollte, daß ich sein Werkzeug gegen Hektor würde. Ich fühlte das unklar, denn er war sehr vorsichtig …“

Plötzlich begann sie nun doch zu weinen …

„Ich habe Hektor sehr lieb gehabt … Er war ein guter Mensch … Nur als die unselige Kokainsucht ihn befallen hatte, trat eine Entfremdung zwischen uns ein … – Nur Palling hat ihn den Kokaingenuß gelehrt – nur Palling!“

Ihre tränenfeuchten Augen wurden mit einem Male dunkel vor Erregung.

„Palling – – soll es mir büßen!“ stieß sie hervor … „Palling mag flüchten, wohin er will … Ich werde ihn finden …“

Sie war vollkommen verändert …

Sie hatte sich jäh erhoben und war ans Fenster getreten …

Und hier, mit dem Rücken nach uns hin, fügte sie hinzu:

„Ich behaupte, daß Palling doch ein Interesse an Hektors Tod hatte … Ohne Grund ermordet man niemand …“ –

Haralds weitere Fragen konnte sie ebensowenig beantworten wie Frau Randell. Es blieb vollkommen unklar, weshalb Palling Hektor beseitigt hatte. –

Wir verließen Ellen Dagnaar. Harald meinte noch beim Abschied: „Unternehmen Sie nichts ohne uns, Miß Dagnaar …“

Sie nickte nur.

Und unten auf der Straße sagte Harst:

„Sie verheimlicht etwas … Sie weiß etwas … Wir werden sie beobachten lassen.“

Abermals suchten wir Gorlay auf. Der hatte inzwischen nach London ein Funktelegramm an die Direktion der Jubiläumslotterie gesandt – auf Haralds Wunsch. Jetzt schickte er drei Beamte nach der Goodnar-Street, damit sie Ellen nicht aus den Augen ließen.

Um sieben Uhr waren wir wieder im Hotel, legten uns schlafen und standen um ein Uhr wieder auf. Um halb zwei kam Gorlay mit der Antwortdepesche aus London und mit einer Meldung über Ellen Dagnaar.

Die Depesche:

Hauptgewinnlos Nr. 161 318 wurde hier in London von Unbekanntem bei dem Zigarrenhändler Grieg, Bakerstreet, im Mai des Vorjahres gekauft und nach der Ziehung, aber erst im August, von Jupp Palling, Kalkutta, durch Vermittlung der India-Bank mit der Bitte um Diskretion vorgelegt und ihm Gewinn überwiesen, alles völlig ordnungsmäßig.

Notar Sheffron, London,

Coulmay-Street 2.

Die Meldung:

Ellen Dagnaar hatte das Haus um zehn Uhr vormittags verlassen – durch einen Hofausgang – mit einem kleinen Koffer, ohne von den Beamten bemerkt zu werden. Dem Pförtner hatte sie erklärt, daß sie für längere Zeit verreise. Sie hatte ihm Geld gegeben, damit er auf ihre Wohnung achte und ihren Kundinnen Bescheid sage. – Von dem Pförtner erfuhr dies einer der Beamten erst um zwölf Uhr. Die Nachforschungen nach Ellens Verbleib hatten bisher keinen Erfolg gehabt.

„Was werden Sie nun tun, lieber Harst?“ fragte der Inspektor, der bereits den ganzen Polizeiapparat zur Festnahme Pallings in Bewegung gesetzt hatte.

„Das muß ich mir erst überlegen, Gorlay …“

„Weshalb ließen Sie sich das Album von Frau Randell geben?“

„Weil ich nochmals betonen muß: ich glaube an diesen Lotteriegewinn nicht! Palling und Randell haben während ihrer Kreuzfahrt ein Verbrechen begangen!“

Der Inspektor lachte. „Aber bester Harst, – die Depesche aus London …!!“

„Bitte – war denn Palling im Mai des Vorjahres in London?! Nein! – Also – woher das Los?!“

„Er kann es doch hier gekauft haben … Die Lose waren überall ausgelegt.“

„So?! Und – wurde das Gewinnlos nicht in London bei einem Zigarrenhändler von einem Unbekannten gekauft?! Dieser Mann müßte es also hier an Palling weitergegeben haben!“

„… Was doch durchaus möglich ist – vor der Ziehung!“

„Nun – und ich sage Ihnen: Palling und Randell haben das Los – geraubt, während sie mit ihrer Jacht unterwegs irgendwo in einem Hafen ankerten …“

Gorlay zuckte die Achseln. „Mit Ihnen ist nicht zu reden, Harst! Sie haben sich da in eine phantastische Geschichte verrannt, die …“

Harald hatte in die Tasche gegriffen, hielt dem Inspektor nun die Totenkopf-Photographie hin …

„Kenne ich schon!“ brummte Gorlay …

„Und ich werde Ihnen beweisen, lieber Gorlay, daß dieses Bild mit dem Lotteriegewinn eng zusammenhängt,“ erklärte Harst fast feierlich …

„So?! Darauf bin ich gespannt!! Wollen Sie etwa die ganzen Küstenstriche bis hinab nach Singapore nach dieser Felswand absuchen?! Das dürfte drei Jahre dauern, lieber Harst.“

„Vielleicht auch nicht.“

„Nun – viel Glück! – Ich werde Palling hetzen und auch festnehmen. Das ist mir wichtiger als … derartigen zwecklosen Problemen nachzujagen! Nichts für ungut, lieber Harst …“

Und Gorlay verabschiedete sich.

 

2. Kapitel.

Als Treeburn schnupfte …

Von jetzt an, verehrter Leser, wirst Du Dir vielleicht alle Mühe geben müssen, wirklich sorgfältig Zeile für Zeile geistig zu verarbeiten, denn das, was man Spannung nennt, wird nun in kurzen Sprüngen das Höchstmaß erreichen. –

Um drei Uhr sitzen wir im Speisesaal des Hotels beim Diner …

Die Kapelle spielt … Ich erwähnte schon: Jazzband – moderner Irrsinn!

Harald macht bissige Bemerkungen über diese sogenannte Musik …

Trotzdem schmeckt ihm das Fischgericht vorzüglich. Zwischenein blättert er in Hektor Randells Photographiealbum …

Da kommt ein brauner Hotelboy und überreicht ihm auf silberner Platte einen Brief.

Adresse:

Mr. Harald Harst,

Kalkutta.

Und innen:

Fahren Sie nach Gr. Coco, Andamanen. Seien Sie vorsichtig!

E. D.

Also – – Ellen Dagnaar …!

Ich lese nochmals, und Harald meint: „Das wäre nicht nötig gewesen …“

„Was?“ frage ich.

„Diese Ortsangabe. Ich wußte es schon“ …

Ich – sprachlos: „Was wußtest Du?“

„Daß die Steilküste mit dem Totenkopf auf der Insel Groß-Coco, die zu den Andamanen gehört, zu suchen ist!“

Ich – noch sprachloser: „Woher wußtest Du es?“

„Durch dieses Album. Die Bilder sind der Reihe nach eingeklebt. Man kann also an Hand der Photographien den Weg der Jacht genau verfolgen. Außerdem sind die Bilder auch numeriert, und gerade die Nummer 48 fehlt. – Bitte, sieh her … – Hier ist Bild Nr. 46. Darunter steht: „Hafen von Cocolargo auf Gr. Coco.“ – Dann folgt Nr. 47: „Fischerdorf an der Westküste von Gr. Coco.“ – Nr. 48 fehlt, und Nr. 49 trägt die Unterschrift: „Eine Fischerflotte von Gr. Coco beim Fischfang an der Ostküste der Insel.“ – Da nun aber die Nordküste von Gr. Coco als steil und unzugänglich bekannt ist, gehörte meinerseits nicht viel Genie dazu, mir zu sagen, daß das fehlende Bild Nr. 48 einen Teil dieser Nordküste darstellt.“

„Hm …!!“

„Du bist ja der reine Gorlay, mein Alter!“ lächelte Harald. „Zweifelst Du?! – Nun, dann will ich Dir noch etwas verraten: Jupp Palling hat bei Hektor Randell nach dieser Photographie gesucht, die – wir nicht finden sollten! In seiner Hast übersah er sie … – Einen zweiten Abzug des Bildes wird Ellen Dagnaar besitzen …“

Ich schaute mir die Bilder von Nr. 46 nochmals an, und mit einem Male machte ich nun eine besondere Entdeckung: die mit Tinte geschriebenen Nummern 46, 47, 49 waren entschieden kräftiger, dicker geschrieben als die anderen.

Als ich Harald darauf aufmerksam machte, meinte er nur:

„Natürlich – es sind eben die Bilder von Gr. Coco … Und Gr. Coco beherbergt das – große Geheimnis des Reichtums der beiden Freunde, von denen der eine dann den anderen umbrachte – – weshalb?!“

Ich war jetzt ebenfalls überzeugt, daß wir nur an der Nordküste von Gr. Coco den Totenkopf und die Stahltrosse finden würden. Und der Gedanke an diese bevorstehende kurze Seereise regte mich nicht wenig auf.

„Wann – fahren wir?“ platzte ich heraus.

„Sobald Gorlay uns eine flinke Motorjacht besorgt hat.“

„Du hast sie schon bestellt?“

„Ja – vorhin … Gorlay will um sechs Uhr Bescheid geben!“

Dann kam Doktor Treeburn angeschwankt.

Geschwankt …!! Ein lebender Leichnam, entsetzlich anzusehen! – Matt fiel er in einen Stuhl …

„Ich – habe – kein Kokain – mehr,“ stotterte er. „Selbst in der Apotheke hat man es mir verweigert – mir als Arzt … Ich – gehe zugrunde, wenn ich …“

Harst schob ihm eins der Seidenbeutelchen von gestern abend hin …

„Da – nehmen Sie, Treeburn … – Ich habe schon mit dem Hoteldirektor gesprochen. Er gibt Ihnen acht Tage Urlaub. Sie begleiten uns!“

Treeburn schnupfte hastig.

„Begleiten? Wohin?“ meinte er tief aufatmend …

„Das werden Sie schon sehen, Doktor … Jedenfalls wird Ihnen die Reise zur Gesundheit verhelfen … Ich werde Ihnen das Kokain abgewöhnen …“

Treeburn lächelte schmerzlich. „Oh, wenn das so leicht wäre …! Es ist aber sehr, sehr schwer …“

Er wollte weitersprechen …

Krallte seine Hand um Harsts Arm …

Seine Gesichtsfarbe spielte ins Grünliche …

Lallend stieß er hervor: „Harst, – – das Kokain ist – vergiftet … Mein Kopf – verbrennt … Mein Hirn steht in Flammen …“

Harald sprang auf. Unbekümmert um die Gäste nahm er Treeburn in die Arme und lief mit ihm durch den Saal ins Bureau des Direktors.

Ich hinterdrein. – Und im Bureau schüttete er Treeburn aus dem Pfefferbüchschen, das er von unserem Tische mitgenommen, ein wenig in die Nase …

Der Doktor nieste andauernd, obwohl er schon halb ohne Bewußtsein war. Diese Radikalkur rettete ihm das Leben, da er noch die größere Menge des dem Kokain beigemischten Giftes so wieder hinausbefördern konnte.

Nach einer Stunde war jede Gefahr vorüber. Treeburn lag auf dem Diwan, und wir beide saßen dicht dabei und beobachteten, wie er allmählich immer lebhafter wurde.

Matt reichte er Harst jetzt die Hand …

„Ich – danke Ihnen … Ich –“

„Keine Ursache, Doktor … Dieser Mordanschlag galt nämlich uns … Es war ja das Kokain, das wir gestern nacht im Klub kauften … Und der Chinese, der Verkäufer, war mithin von Palling bestochen und unterrichtet, daß zwei Damen erscheinen würden. Es stimmt also, daß Omahla uns an Palling verraten, daß sie uns beobachtet hat. Ich vergaß, sie hiernach zu fragen, und auch sie wird daran nicht mehr gedacht haben … Palling wird damit gerechnet haben, wir würden wenigstens eine Kleinigkeit schnupfen … – Nun – ein Beweis mehr, daß dieser Mensch ein außerordentlich gefährlicher Bursche ist …“ –

Als Gorlay um sechs Uhr unseren Salon betrat, fand er dort weder Harst, noch Schraut, noch Treeburn vor …

Nein – nur drei bessere indische Kulis in Leinenanzügen saßen um den Tisch herum und rauchten Harstsche Zigaretten …

Unsere Masken waren so naturgetreu, daß der Inspektor wirklich stutzte … Dann lachte er …

„Ah – verstehe: Sie wollen heimlich an Bord …! Nun gut, um zehn Uhr liegt die Jacht Singrada des Bankdirektors Wilkins am dritten Kai bereit. Wilkins hat sie mir für zehn Tage zur Verfügung gestellt. Die Besatzung besteht aus vier Mann, alles Malaien, also tadellose Seeleute …“

„Gut – danke Gorlay … Unsere Koffer lassen Sie wohl ganz unauffällig an Bord bringen. – Weiß der Bankdirektor, was wir vorhaben?“

„Bewahre! Er ist auch verschwiegen. Ich sagte ihm nur, daß Harst und Schraut in aller Stille eine kurze Seereise unternehmen möchten …“

„Gorlay, auch das war überflüssig!“ erklärte Harald da sehr ernst. „Glauben Sie denn, daß Palling uns nicht beobachten läßt?!“

Der Inspektor winkte ab. „Palling ist in Patna auf dem Bahnhof gesehen worden … Vielleicht ist er jetzt schon verhaftet …“

Harst lächelte …

„Und ich sage Ihnen: er ist hier! Ich habe ihn gesehen – ich …!!“

Wir drei anderen schnellten förmlich hoch …

„Gesehen?! – Wo – wann …?!“

„Im Speisesaal unten, als ich Treeburn ins Bureau trug … Da saß ein einzelner schwarzbärtiger Herr … Und der – grinste mich in einer Art an, wie dies nur Palling getan hätte … stand auf und verschwand nach dem Palmengarten hin. Es ging um Treeburns Leben. Da mußte ich den Mörder laufen lassen …“

 

3. Kapitel.

Die Jacht Singrada.

Um halb zehn verließen wir drei das Hotel durch einen Nebenausgang – einzeln, um jeden Verdacht zu vermeiden. In Abständen von zehn Schritt gingen wir durch stille Seitenstraßen dem Hafen zu. Harst war voran, Treeburn in der Mitte, ich als letzter …

Und Harald und ich hatten die Augen überall … Wir fürchteten einen neuen Satansstreich Jupp Pallings … Wir musterten jeden Menschen … Wir hatten in den Taschen der schmierigen Kulijacken unsere entsicherten Pistolen …

Am Hafen blieb Harst im Schatten eines Kistenstapels stehen.

Eine Bogenlampe schwankte im Abendwind … Der Lichtschein machte alle Gegenstände ringsum in gespenstischer Weise lebendig.

Harald winkte. Treeburn und ich kamen näher …

„Alles sicher,“ meinte Harst. „Gefolgt ist uns niemand. Und hier müßten wir jeden bemerken, der uns auf den Fersen blieb …“

Wir gingen weiter … Vorbei an Dampfern, die jetzt nachts kohlten, vorbei an Seglern, deren Ladekräne ebenso scheußlich quietschten …

Dann ein stilles Stück Wasserrampe … Hier lagen die kleinen Passagierdampfer für den Flußverkehr in großen Zwischenräumen … Und hier sahen wir dann auch eine weiße Jacht am Bollwerk vertäut. Eine Laufplanke führte zum Deck hinüber, und neben der Planke lehnte ein Matrose am Laternenpfahl, ein brauner Seemann, ein Malaie.

Harst fragte: „Ist’s die Singrada?“

„Yes, Sir … Singrada …“

Er schaute uns prüfend an.

„Weshalb redest Du mich mit Sir an?“ meinte Harald wieder auf Englisch …

„Ich erwarte drei Herren …“

Harald flüsterte: „Harst …!!“

„Danke, Sir … Das genügt …“ Und er machte eine einladende Handbewegung. –

Wenn der Leser nun vielleicht annimmt, daß man uns hier etwa auf eine falsche Jacht gelockt hatte und daß Palling uns nun vielleicht mit einer Leibgarde von Chinesen in der Kajüte empfing, so – stimmt das nicht.

Nein, der Kapitän der Jacht, ebenfalls Malaie, war sofort auf einen Pfiff des Matrosen hin an Deck gekommen und hatte sich uns in aller Form vorgestellt.

„Kapitän Kai Ranga … Ich heiße die Herren im Namen Direktor Wilkins’ willkommen. – Sollen wir sofort abfahren?“

„Sofort!“ nickte Harst.

Unten in der Kajüte wartete unser ein sauber gedeckter Abendbrottisch. Bevor wir uns jedoch niedersetzten, sahen wir uns die vier Kabinen an. Harald und ich belegten die größte, Treeburn die rechts neben uns.

Die Einrichtung der Jacht war nicht übermäßig elegant, aber behaglich.

Inzwischen hatten die Motoren der Singrada (auf Deutsch: „Nachtschwalbe“) längst zu arbeiten begonnen. Und als wir uns dann gegen halb zwölf von Tisch erhoben, schaukelte die Jacht bereits auf den Wogen des Golfes von Bengalen.

Wir gingen an Deck. Dem armen Doktor war hundeelend zumute. Das Kokain fehlte ihm. In kurzem war er denn auch derart seekrank, daß einer der Matrosen ihn in seine Kabine brachte. –

Kapitän Kai Ranga stand neben uns auf der kleinen Kommandobrücke …

„Sir, welchen Kurs?“ fragte er nun erst Harald. Er kannte das Fahrtziel bisher nicht.

„Insel Groß-Coco … Nordküste!“

„Yes, Sir … Groß-Coco … Kenne ich, Sir … Früher Pirateninsel …“ Er lächelte. „Freilich, auch meine weniger zivilisierten Landsleute sind noch heute als Piraten gefürchtet …“

Der Mond schob sich langsam hinter einer Wolkenwand hervor …

Kapitän Kai Ranga fragte abermals sehr bescheiden:

„Dürfte ich erfahren, Sir, was Sie gerade an der Nordküste von Groß-Coco vorhaben? Die ist nämlich ganz unbewohnt …“

„Ich – suche nach einem Schiffbrüchigen,“ erwiderte Harald.

Log er?! Gebrauchte er nur Ausflüchte?!

Da fügte er schon hinzu: „Scheitern zuweilen Schiffe an der Nordküste, Kapitän?“

Der gebildete Kai Ranga blies den Rauch seiner Seemannspiep zur Seite.

„Selten, Sir … Ich wüßte nicht einen Fall … Allerdings hat ein Kollege, der einen Frachtschoner führt, mir im vergangenen Herbst erzählt, daß auf den Klippen vor dem Lanced-Pick im Norden der Insel ein Wrack hängen solle … Er meinte, es sei ein arabisches Schiff, eine sogenannte Dschau …“

„Also ein plumper Zweimastschoner …“

„Yes, Sir … Jedenfalls war das Wrack im Dezember nicht mehr vorhanden, denn da bin ich mit der Jacht dort vorübergekommen …“

Kai Ranga stopfte sich seine Pfeife aufs neue und meinte zögernd:

„Sir, der Inspektor Gorlay hat mich so nachdrücklich gewarnt, doch ja keinen Fremden an Bord zu nehmen – etwa aus Gefälligkeit … – Ich will ehrlich sein: es hat sich jemand hier in die Jacht eingeschlichen. Steuermann Katmindu hat den Fremden erst vor einer halben Stunde entdeckt. Ich habe den Mann nun vorn in die Segelkammer eingesperrt …“

Wie diese Nachricht auf uns wirkte, wird jeder begreifen …

Mein erster Gedanke war: Jupp Palling!! – Doch – den verwarf ich wieder …

Und da sprach’s Harald schon aus:

„Ellen Dagnaar …!“

„No, Sir, – ein schwarzbärtiger Mann,“ verbesserte Kai Ranga …

„Gehen wir! Den muß ich mir ansehen!“

Und Harst eilte voran … –

Wir hätten es nicht so eilig haben sollen, den Schwarzbärtigen ins Gebet zu nehmen. Wir hätten uns – und diesmal versagte auch Harald! – vorhalten müssen, daß Jupp Palling doch niemals so tollkühn gewesen wäre, sich hier allein an Bord zu wagen. Wir waren eben viel zu unbefangen, viel zu sicher geworden durch die behagliche Aufnahme hier auf der Singrada …

So kletterten wir denn die winzige Treppe im Vorschiff hinab. Harst voran, ich als zweiter und Kai Ranga als dritter …

In dem kurzen Schiffsgang hier brannte Licht. Vier Türen waren zu erkennen. Und vor der rechter Hand am Ende des Ganges machte der Kapitän halt, drehte den von außen im Schloß steckenden Schlüssel um und zog die Tür ein wenig auf, trat zur Seite, meinte noch – merkwürdig laut:

„Wir haben dem Fremden für alle Fälle die Hände gefesselt, Sir …“

Trotzdem hatte Harald bereits seine Clement in der Hand …

Und – dann geschah etwas, das mir wieder einmal zeigte, wie leicht ich doch noch immer meinen Freund unterschätze …

Er – warf die Tür mit dem Fuße wieder ins Schloß.

Drehte sich um … Und mit der Linken versetzte er dem Kapitän einen Fausthieb gegen die Herzgrube, daß Kai Ranga sofort japsend zusammenknickte …

Meine Überraschung hatte nur eine Sekunde gedauert. Ich war sofort im Bilde, drehte den Schlüssel zweimal um …

Und – gerade noch im letzten Moment sperrte ich den Kerlen, die jetzt da drinnen mit einem Wutgebrüll sich gegen das krachende Holz warfen, den Ausgang und verhütete noch Schlimmeres …

Denn – schlimm genug kam es nun …

Das Geheul der Rotte dort in der Kammer war von den beiden Matrosen und dem Maschinisten gehört worden.

Auch diese drei konnten ja niemals die wirkliche Besatzung der Jacht sein, ebensowenig wie Kai Ranga, der Kapitän, ein Anrecht auf diesen Namen und Titel hatte …

Während die in der Kammer nun eingeschlossenen Kerle sich zum zweiten Male mit aller Kraft gegen die Tür warfen, die zum Glück dem Anprall widerstand, kamen schon der Maschinist und die Matrosen polternd die Treppe hinab …

Der Maschinist war den anderen voraus … Die Absichten der drei waren offensichtlich. Der Maschinist hatte einen klobigen Revolver in der Hand, wollte feuern …

Wollte …!! – Harald drückte zwei Sekunden früher ab … Der Malaie – es war ein kleiner Mensch mit tückischen Augen – schnellte empor, schlug nach rückwärts um … Und das zu unserem Heil, denn nur so geschah’s, daß der Matrose hinter ihm (es war der, der uns am Bollwerk erwartet hatte) den Arm nicht emporheben konnte …

Abermals feuerte Harald …

Und in den blechernen harten Knall der Clement mischten sich weitere dumpfe Schüsse …

Die Kerle in der Kammer jagten blindlings Kugeln durch die Tür … hofften uns zu treffen …

Trafen nicht … Nur meine Sportmütze wirbelte mir vom Kopf, klatschte gegen die Wand.

Dann schon Harsts dritter Schuß …

Und ein Blick in Haralds Gesicht zeigte mir, daß er hier niemand zu schonen gedachte. Selten habe ich dieses schmale Gesicht so finster und so erbarmungslos gesehen …

Auch der zweite Matrose war mit Kopfschuß zusammengebrochen …

Auch ich hatte mich längst nach hinten geworfen – heraus aus dem Bereich der unsinnigen Kugeln …

Harald winkte …

Mit drei – vier Sprüngen war ich über die Toten hinweg – hinter Harst her – an Deck …

Er warf die Tür des Treppenniedergangs zu …

„Du bleibst hier!“ befahl er …

Er keuchte …

Und dann schon – von der Brücke her ein scharfes Peng – peng – peng …

Da war der letzte der Besatzung, der angebliche Steuermann Katmindu …

Der Schuft feuerte auf uns …

Plötzlich erschien an Haralds linker Wange ein halbfingerlanger blutiger Strich: Streifschuß!

Das war aber auch Katmindus letzter Schuß …

Haralds Clement knallte zweimal …

Und droben auf der kleinen Brücke warf der Malaie, vom Monde und den Positionslaternen klar beschienen, die Arme hoch und sank dann mit dem Oberkörper über das Geländer.

„Hole Treeburn nach oben!“ brüllte Harst … „Bringe Patronen mit!“

Ich stürmte zum Achterdeck …

Hörte noch, wie Harald die Treppe drohend hinabrief:

„Bleibt unten! Ich schieße!“

Die Kerle hatten also doch die Kammertür gesprengt …

Wie viele mochten es sein?! Und – war Jupp Palling wirklich mit dabei?! –

Treeburn war trotz Seekrankheit und Kokainkaters im Moment auf den Beinen. Er hatte in Kleidern auf dem Bett gelegen …

„Eilen Sie Harst zu Hilfe, Doktor …“ – und meine Stimme schnappte über vor Erregung …

Er hetzte nach oben … Ich in unsere Kabine … Koffer auf – Patronenschachteln heraus …

Und als ich in den Gang zurücksprang – wieder nach oben wollte, da – flog die Verbindungstür des Ganges nach dem Maschinenraum hin auf …

Zwei – drei Chinesen sah ich …

Revolver blinkten …

Schüsse knallten … Die Schufte zielten kaum … Und meine Clement bewährte sich besser … Nicht einer kam in den Gang … – Tür zu – verschlossen … – und nach oben …

Alles eine so wilde Jagd von Geschehnissen, daß ich kaum recht wußte, ob ich nur Zuschauer oder selbst Mithandelnder sei …

Die Tür des Niederganges der Achtertreppe verschloß ich ebenfalls … Nun waren wir vorläufig sicher … Nun sah ich oben auf der Brücke Treeburn am Steuerrad …

Sah Harst neben dem Treppenaufbau des Vorderdecks kauern …

Lief zu ihm …

„Patronen!!“

Und im Nu hatte er den frischen Laderahmen in die Clement geschoben – atmete auf …

„Gott sei Dank – ich hatte nicht mehr einen einzigen Schuß, mein Alter …!“

Sein Gesicht blutete … Aber er lachte jetzt …

„Wir haben allen Grund dazu!“ meinte er, und mit einem Male war seine Stimme ganz gelassen … „Allen Grund! Hätte der angebliche Kai Ranga nicht die Dummheit begangen und vorhin vor der Kammertür so überlaut uns angemeldet, dann … schwämmen wir längst als Leichen im Meerbusen von Bengalen …! – Chinesen stecken da unten, mein Alter … Pallings Garde aus dem Kokain-Klub …“

„Zwei sind erledigt …“ Und auch ich zwang mich zur Ruhe. „Sie wollten ins Achterschiff, durch den Maschinenraum …“

„Gut – bewache die Achtertreppe … Keine Schonung! Und sei vorsichtig … Das Gesindel darf auf keinen Fall an Deck … Fünf sind’s mindestens noch …“ –

Nun kauerte ich ebenfalls neben einem Treppenaufbau – achtern …

Nun hörte ich Harst dem Doktor zurufen:

„Treeburn – – wenden …!! Zurück nach Kalkutta!“

„Nach Kalkutta … sofort …!“

Und die Singrada beschrieb einen kurzen Bogen.

 

4. Kapitel.

Im Orkan.

Hatte noch nicht völlig gewendet, als der Doktor brüllte:

„Ein Segel gerade voraus …! Eine Jacht …!“

„Halten Sie darauf zu, Treeburn,“ befahl Harst.

Fünf Minuten später waren wir neben der Jacht …

Eine neue Überraschung: es war die Atlantis, es war die Jacht, deren Erbauer und Besitzer einst Freunde gewesen und dann … das große Los gewonnen hatten …

Und es war Ellen Dagnaars helle Stimme, die uns nun zurief:

„Ich habe vier Mann an Bord … Drei schicke ich Ihnen hinüber …“

Drei junge Inder waren’s, die uns jetzt halfen, die Horde da unten zur Übergabe zu zwingen …

Harst brüllte die Vordertreppe hinab: „Ergebt Euch! Wir haben Hilfe erhalten! Kommt einzeln an Deck!“

Inzwischen waren die beiden Jachten bereits wieder ein weites Stück auseinander gekommen. Wir hatten mit der blonden Ellen Dagnaar von Bord zu Bord nur wenige Sätze gewechselt. Uns standen also fraglos noch allerhand überraschende Neuigkeiten bevor. –

Die Chinesen unten meldeten sich nicht. Alles blieb still.

Nochmals forderte Harald die schlitzäugige Gesellschaft zur Übergabe auf …

Wir fürchteten schon, daß die Bande vielleicht doch noch einen Gewaltstreich wagen würde und hielten uns bereit. Ellens drei junge Seeleute – es waren stellungslose Flußdampfermatrosen – erzählten mittlerweile, daß die Miß sie gestern abend angeworben habe und daß die Jacht Atlantis Eigentum der Miß sei. Der vierte, an Bord der Atlantis verbliebene Mann sei ein Europäer, ein früherer Obermaschinist.

Da die gelbe Horde auch jetzt hartnäckig blieb, beschloß Harald energischer durchzugreifen.

Noch immer fuhren die beiden Jachten mit etwa achtzig Meter Zwischenraum im Schneckentempo gen Norden – nach Kalkutta zurück …

Das Gewölk am Himmel, zuerst nur ziehende Fetzen, hatte sich mehr zusammengeballt. Mir kam es vor, als ob der bisher recht flaue Wind merklich auffrischte. Der Mond verschwand immer häufiger, und die dann herrschende Dunkelheit war in unserer Lage nicht gerade angenehm.

In den beiden kleinen Kammern unterhalb der Brücke waren allerlei Schiffsutensilien verstaut, so auch Reservelaternen, Blechtonnen voll Brennstoff und anderes.

Als Harald nun einem der indischen Matrosen befahl, eine der Blechtonnen nach vorn zu schaffen, meinte der hagere junge Mensch sehr respektvoll:

„Sir, es kommt ein Unwetter auf … Wir sollten uns beeilen, den Hafen wieder zu erreichen …“

Harst nickte. Er, der so oft auf den Planken eines Schiffes die verschiedensten Meere durchkreuzt hatte, wußte die bedrohlichen Anzeichen des nahenden Orkans besser zu deuten als ich.

„Gerade deshalb müssen wir schleunigst vollständig Herren der Jacht werden,“ entgegnete er dem Matrosen. „Gießen wir das Petroleum die Vordertreppe hinab und drohen wir den Gelben, sie auszuräuchern … Es muß sein! Sonst kommen sie uns doch noch über den …“

Und da – schnellte er jäh herum …

Wir alle hatten plötzlich Schüsse gehört …

Und leider verschwand auch im selben Moment noch das Nachtgestirn …

Finsternis deckte die langen Wogen, die Wellentäler …

„Die Schüsse fielen auf der Atlantis,“ meinte Harald seltsam gepreßt … „Sollten die Gelben etwa – schwimmend die andere Jacht – angegriffen haben?“

Von der Atlantis war nichts mehr zu sehen – gar nichts.

Ein dünner lauer Regen begann zu fallen …

Harst war mit langen Sprüngen die Treppe hinab – setzte über die Leichen hinweg …

Und ich ihm nach …

Leer die Räume … An der Tür zum Achterschiff zwei tote Chinesen … Und in der großen Kajüte, deren zwei runde große Fenster in der Heckwand lagen, die eine messinggefaßte Scheibe offen … Hier war die Bande entschlüpft, war wirklich zur Atlantis hinübergeschwommen … –

Wir beide wieder an Deck … Zwei der Inder mußten in den Maschinenraum. Die Motoren ratterten … Harst auf der Brücke, die Hände an den Speichen des Steuerrades. Ich neben ihm …

„Wir werden die Atlantis finden,“ meinte er grimmig. „Laß die Toten über Bord werfen … Räume ihnen aber die Taschen aus. Vielleicht haben sie etwas bei sich, das uns über ihre Beziehungen zu Palling Aufschluß gibt.“

Ich wieder hinab …

Doktor Treeburn half. Seekrankheit und Kokainkater waren ihm vergangen – – gründlich sogar!

Schade, daß uns der angebliche Kapitän Kai Ranga mit entkommen war! Und schade, daß dieser gebildete Malaie schon vorher so schlau gewesen, seinen toten Helfershelfern die Taschen zu leeren …

Wir fanden nichts. – Als die erste Leiche über die Reling flog, war der Wind völlig eingeschlafen und die siedende Schwüle noch ärger geworden … Im Nordwesten lief andauernd heller Schein über das schwarze Gewölk. Der Gewitterorkan nahte mit unheimlicher Schnelle …

Und als der letzte Tote ins Wasser klatschte, brach das Unwetter los …

So jäh, daß der erste heulende Sturmstoß den Doktor gegen den Vordermast schleuderte.

Bündelweise fuhren die grellen Blitze herab. Es war die tollste Himmelskanonade, die ich je erlebt habe. Gegen unsere deutschen Gewitter ist solch ein tropisches mit diesem Namen kaum mehr zu bezeichnen …

Die „Nachtschwalbe“ bewährte sich …

Harald steuerte nach Südost, so daß wir den Orkan stets im Rücken hatten. Und Haralds seemännische Kenntnisse bewährten sich noch besser … Zwei kleine Segel hatte er schnell hissen lassen – gerade genug Angriffsfläche für den Sturm, um die Jacht mit verwirrender Geschwindigkeit vorwärtszutreiben. Auch die Motoren arbeiteten … Schwere Brecher bekamen wir über Bord … Das Deck schwamm. Augenblicke gab es, wo hinter uns ein Wellenberg auftauchte, der unser winziges Schifflein zu verschlingen drohte …

Und doch entrannen wir dem Orkan, überholten ihn gleichsam … Immer mehr steuerte Harst direkt nach Süden … Drei Stunden später war alles vorüber …

Der Morgen graute … Wir waren erschöpft, bis auf die Haut durchnäßt. Doktor Treeburn lag halbtot in seiner Kabine … Die Seekrankheit hatte ihn abermals gepackt.

Die ersten Sonnenstrahlen glitten über die endlose Wasserwüste hin … Ich stand neben Harst auf der Brücke. Der Himmel war nur noch im Nordwesten bewölkt …

„Diese Nacht war nicht schlecht,“ meinte Harald gähnend.

„Die Jacht hat die Feuerprobe ausgehalten … Ich wollte Dich nicht bange machen, mein Alter … Aber – wir waren dem Ertrinken zuweilen recht nahe …“

Die See war noch sehr bewegt. Ich mußte mich gut am Brückengeländer festhalten, als ich nun auf Haralds Geheiß mit dem Glase den Horizont absuchte. Außer einem großen Frachtdampfer war nichts zu bemerken …

„Arme Atlantis, arme Ellen Dagnaar!“ sagte Harald nach einer Weile. „Ich fürchte, die Atlantis wird dem Gewittersturm nicht getrotzt haben …“

Der indische Matrose, der uns schon nachts mitgeteilt hatte, daß Ellen Dagnaar sich als Eigentümerin der Atlantis ausgegeben habe, trat zu uns.

„Wenn die Herren ein paar Stunden schlafen wollen, – ich werde das Steuer übernehmen,“ meinte er bescheiden. Sein Englisch war fast fehlerfrei, und er selbst machte einen guten Eindruck mit seinem unbewegten, verschlossenen Gesicht, das wie bei so vielen Indern einen etwas hochmütigen Zug hatte.

„Ein paar Fragen …“ erwiderte Harald. „Wie heißt Du?“

„Schamar Dangu, Sir …“

„Die Atlantis gehört wirklich der Miß?“

„Yes, Sir … Die Miß ist auf dem Hafenamt als Eigentümerin der Jacht eingetragen. Sie hat die Atlantis zum Geschenk erhalten …“

„Wie heißt der Europäer, den die Miß mit Euch zugleich angeworben hat?“

„John Trolby ist’s, Sir, – der Zigarrenhändler vom dritten Kai, früherer Maschinist und ein Freund des Vaters der Miß … Nur deshalb begleitete er sie … Der alte Dagnaar war ebenfalls Seemann, zuletzt sogar Kapitän. Er ist verschollen …“

„Verschollen? Wann?“

„Im vorigen Jahre, Sir … Im Juli, glaube ich!“

„John Trolby ist also in Kalkutta gleichsam eine stadtbekannte Persönlichkeit?“

„Jeder Seemann kennt ihn … Er hat nur noch ein Auge und trägt ein künstliches aus Glas, das aber viel zu groß ist …“

„Ihr wolltet mit der Atlantis nach Groß-Coco?“

Schamar Dangu schaute Harald ob dieser Frage erstaunt an …

„Yes, Sir … Nach Groß-Coco … Aber das sollte geheim bleiben!“

„Du kannst mich dann also hier am Steuer ablösen, Schamar … Wir werden uns niederlegen. Sollte irgend etwas geschehen, so wecke mich …“ –

Es geschah nichts …

Nach anderthalb Tagen, abends gegen neun Uhr, bekamen wir die Nordküste von Groß-Coco in Sicht …

Und ganz langsam fuhr unsere Jacht jetzt an den Felsgestaden entlang. Harald und ich hatten Ferngläser zur Hand. Andauernd spähten wir die schroffen Ufer nach ein paar schlanken Palmen ab. Gewiß – wir bemerkten verschiedene Palmengruppen … Doch die Örtlichkeit paßte dann nie zu dem Bilde, das wir in der Villa Randell gefunden hatten …

Im feurigen Abendrot lohten die Felszacken, und der Brandungsgischt war wie eine Wolke von rosa Schleiern.

Dann – ein leiser Ausruf Haralds:

„Der – – Totenkopf …!“

Ja – da waren Palmen oben an schroffer Küstenwand. Und – da blinkte in der Mitte der Wand ein weißlicher Fleck …

Ich stellte das Glas schärfer ein …

Wahrhaftig: der Totenkopf! – Wir waren am Ziel …

Und – – neben uns nun auch Doktor Treeburns Stimme:

„Der Totenkopf …!!“ –

Harst steuerte die Jacht in eine schmale Bucht etwa fünfhundert Meter westlich der Palmen hinein …

Und als wir so an einer Reihe von Außenriffen vorüberkamen, machte Schamar, der Inder, uns auf die Reste eines Wracks aufmerksam, die, kaum mehr sichtbar, auf einer der Klippen hingen … –

Die Bucht hatte steile Ufer, erweiterte sich dann zu einem seeartigen Becken. Hier warfen wir Anker.

 

5. Kapitel.

Das Problem.

Von elf Uhr abends an übernahmen Harald und ich die Wache. Unsere braven Inder sollten sich einmal gründlich ausschlafen. Doktor Treeburn ebenfalls … Nun – dem hatte diese Seereise wieder völlig auf die Beine geholfen. Die frische Salzluft, Sonne, Wind und nicht zumindest die Seekrankheit hatten Wunder gewirkt: der Kokainist war geheilt!

So lehnten wir beiden Freunde denn an der Reling und sahen den Mond über die Ränder der Uferwand hochsteigen.

Totenstill war’s in der Bucht. Fern grollte die Brandung … kreischten Seevögel …

Silberglanz breitete sich über das Wasserbecken … Und in der Tiefe der klaren Bucht schwammen Leuchtquallen gleich runden elektrischen Laternen.

„Stimmung!!“ meinte Harald leise …

Und nach Minuten: „Nun sind wir also am Ziel, mein Alter … Wenn diese Nacht vor dem heraufdämmernden Morgen weicht, werden wir beide hinüber zum Strande eilen, wo die Felszacke den Totenschädel trägt und die Stahltrosse aus den Kiefern des Schädels in dem Brandungsgischt verschwindet …“

„Was werden wir unten an der Trosse finden?“ fragte ich zögernd …

„Ich weiß es nicht … Wirklich, ich weiß es nicht! Es gibt so viele Möglichkeiten … Und alle diese Möglichkeiten, die ich in Gedanken aufgebaut habe, scheitern an der Tatsache, daß dieser Totenkopf und diese Trosse, falls eben Randell und Jupp Palling beides in der Art hergerichtet haben, doch derart auffällig sind, daß auch Fremde dadurch angelockt werden könnten und nachsehen würden, was an der Trosse befestigt ist …“

„Hm – da gebe ich Dir allerdings recht … Sehr auffällig ist das beides … Und jetzt, wo Du hierauf hingewiesen hast, muß ich auch meine Theorie über den Zweck des Schädels und der Trosse als unrichtig vollkommen ausschalten. Diese Theorie war: Palling und Randell haben hier an der Küste irgendwie Reichtümer erlangt – ganz gleich, was – haben aber nur einen Teil davon mit nach Kalkutta genommen und den Rest an der Trosse in der Brandung versenkt …“

Haralds Feuerzeug flackerte auf. Er rauchte eine Mirakulum an … Erwiderte nur:

„Zum Teil mag das trotzdem richtig sein, mein Alter. Jedenfalls: das Gewinnlos haben sie dem wahren Besitzer, der es in London kaufte, abgenommen – gestohlen! Davon bin ich überzeugt. Als sie im Juni ihre Kreuzfahrt unternahmen, war die Ziehung schon vorüber, und die Nummern der Hauptgewinne standen in allen Zeitungen. Mithin können sie vielleicht hier bei einem Schiffbrüchigen oder bei der Leiche eines Ertrunkenen das Los gefunden und festgestellt haben, daß es Millionen wert war … – Das ist ihr Verbrechen. Das Los gehörte ihnen nicht. Und wenn Du nun daran denkst, was der angebliche Kapitän Kai Ranga über den Schiffbruch der arabischen Dschau erzählte – und da log er nicht! –, wenn Du Dich an die Reste des Wracks erinnerst, das draußen auf den Klippen liegt, so wirst Du vielleicht meine Vermutung, einer der Besatzung der Dschau könnte Besitzer des Loses gewesen sein, nicht so sehr weit hergeholt finden.“

„Allerdings nicht … – Und nun: der Totenkopf und die Trosse?“

„Das hieße fundamentlose Phantasien zum besten geben, lieber Alter! Sehen geht hier vor Sagen … Warte bis halb vier Uhr morgens … Dann wird es hell, dann nehmen wir das kleine Beiboot und rudern drüben an Land, wo die Schlucht die Buchtwand durchbricht …“ –

Und – auch diese Nacht verging … Endlos schlichen zwar die Stunden; aber schließlich ward es doch hell. Da weckten wir die Inder … Da mußte der eine uns hinüberrudern und das Beiboot wieder mitnehmen …

Wir kletterten die Schlucht aufwärts, kamen durch ein sandiges buschreiches Tal und durch ein dichtes Gehölz. Immer deutlicher und lauter wurde der Brandungslärm. Das Meer lag vor uns. Neben uns rauschten knisternd die Palmen. Und unter uns – vier Meter vielleicht – war auf der schenkeldicken Zacke der Totenschädel irgendwie befestigt …

Nun hatten wir also das Rätsel in allernächster Nähe. Nun sagte Harald:

„Befestigen wir die Strickleiter an einer Palme … Ich klettere voran …“

Und dann stieg er hinab – sehr bedächtig, setzte sich ebenso bedächtig im Reitsitz auf die Zacke, den Rücken nach der Steilwand hin …

Ich folgte langsam … Bis ich genau alles beobachten konnte und auch verstand, was Harald mir zurief …

Der feurige Sonnenball kam gerade über die Horizontlinie hinweg … Gerade als Harald meldete:

„Der Kopf ist mit Draht befestigt, ebenso das Trossenende …“

Er packte nun die Trosse – zog …

„Schwer – sehr schwer, mein Alter!!“

Und kaum war das letzte Wort verklungen, als über uns ein gellender Zuruf unsere Köpfe herumschnellen ließ. Drei Araber standen dort oben, Kerle mit wilden Gesichtern, die Büchsen im Anschlag …

Araber – hier auf Groß-Coco in der Bucht von Bengalen …!!

„Also doch!“ sagte Harald nur.

Da brüllte der eine droben schon wieder: „Kommt herauf! Sofort!“

Eine peinliche Lage war’s … Jede verdächtige Bewegung unsererseits wäre mit einer Kugel beantwortet worden.

Harald rief zurück: „Wir kommen!“ – auch in englischer Sprache …

Ich mußte zuerst empor … Zwei der bedrohlichen Gestalten packten mich … Im Nu waren mir die Hände gebunden. Und Harald erging es nicht anders …

Da war einer der drei, ein älterer Mann, der nun unter dem hellen mantelartigen Gewand einen langen, prachtvollen Dolch hervorzog …

Er hob den Arm zum Stoße, stand dicht vor Harst …

„Wo sind die Perlen?“ fragte er mit unheimlicher Ruhe. „Wir haben die Skelette gestern abend gefunden … Ein Kopf fehlt … Und die Reste der Kleider verraten, daß es die Leichen unserer Freunde sind … – Wo habt Ihr die Perlen?“

Harald erwiderte – ebenso ruhig: „Wir sind erst gestern abend drüben in der Bucht vor Anker gegangen … Wir sind Detektive und wollen lediglich aufklären, was der Totenkopf und die Trosse bedeuten. In meiner Jackentasche stecken meine Papiere. Mein Name ist Harald Harst …“

Der Araber stutzte … Der Arm mit dem Dolche sank. Er griff Harald wirklich in die Tasche, hatte dann kaum den Ausweis mit der Photographie flüchtig betrachtet, als er auch schon sehr höflich erklärte:

„Entschuldigen Sie, bitte … Ihr Name ist mir nicht fremd … Ich bin der Kaufmann Ali Mansur aus Maskat …“ – Gleich darauf waren wir frei.

Und Ali Mansur erzählte: „Meine Dschau namens Fatima war von Maskat nach Kalkutta unterwegs, als sie hier scheiterte. Sie hatte einen neuen Kapitän an Bord, einen Engländer John Dagnaar. Diesem war von mir ein großer Beutel mit kostbaren Perlen anvertraut worden, die ein Riesenvermögen ausmachten. Der Perlen wegen habe ich in aller Stille nachgeforscht, bis ich endlich dort draußen an den Riffen die Strandungsstelle der Dschau gefunden hatte. Mein kleiner Dampfer ankert dort westwärts in einer breiten Bucht. Gestern abend stießen wir drüben in dem Gehölz auf eine Hütte von Zweigen und vier Skelette, eins davon ohne Kopf. Wir erkannten Leute der Dschau in diesen Gebeinen, die hier in der Tropenglut so rasch verwest sind. – Nun wissen Sie alles, Sir … Und vielleicht wissen Sie sogar noch mehr als wir …“

Harsts Blick war seitwärts auf die See gerichtet … Dort jenseits der Riffe nahte – eine schlanke Jacht … Mit bloßem Auge konnte man am Steuer eine weißgekleidete Frauengestalt erkennen … –

Eine halbe Stunde später lag die Jacht Atlantis neben unserer Singrada. Ellen Dagnaar, die Araber und wir standen auf dem Achterdeck der Atlantis …

„Jupp Palling ist tot,“ erklärte das blonde Mädchen und deutete auf den alten verwitterten Trolby mit dem Glasauge. „Trolby wehrte den Angriff der Schwimmer ab. Palling bekam eine Kugel in den Kopf. Die Chinesen sind ertrunken. – Hektor Randell hatte mir einen Abzug der Photographie mit dem Totenkopf geschenkt und mir dabei nur gesagt: „Wenn ich einmal sterben sollte, Ellen, so suche die Nordküste von Groß-Coco und diesen Platz auf. Du wirst dort etwas finden, das meine Seele stündlich foltert. Und doch muß ich schweigen. Ich habe es Palling geschworen und er – – mir!“ – So sprach er … Deshalb bin ich nun hierher gekommen …“ –

Und wieder eine halbe Stunde drauf saß Harald nochmals auf der Felszacke …

Hatte die Trosse gepackt … zog … zog mit aller Kraft … –

Was unten an der Trosse befestigt war, wußte er – ohne es gesehen zu haben. Er hatte mir zugeflüstert, als er die Strickleiter hinabzuklettern begann: „Hektor Randells Gewissen meldete sich stündlich … Wir werden emporholen, was das Meer verbirgt … Ich – kenne es bereits …“

Der Leser mag nun sein Kombinationstalent versuchen, mag herausklügeln, was wir dann bargen … –

Jedenfalls: Kapitän John Dagnaar war der Besitzer des Loses gewesen. Ihn und die vier Araber der Dschau, die sich alle nur schwer verletzt an die Steilküste gerettet hatten, fanden Palling und Hektor als halb verweste Leichen auf, fanden das Los und den Beutel mit Perlen … – –

Ich habe für heute nur hinzuzufügen, daß Ellen Dagnaar den größeren Teil des Gewinnes als Erbin ihres Vaters zurückerhielt, daß aus ihr und unserem Doktor Treeburn ein glückliches Paar wurde und daß Frau Randell von Ellen aufs liebreichste vor allen Sorgen bewahrt worden ist. – Der Kaufmann Ali Mansur aber hat uns damals vier Perlen geschenkt … Und wenn es uns einmal sehr schlecht gehen sollte, werden diese Perlen uns für Jahre wieder zu bescheidenen Rentnern machen …

In Band Nr. 136 erzähle ich, was wir an der Trosse fanden …

 

Nächster Band:

Harald Harsts zweite Liebe.

 

 

Verlagswerbung:

Der Goldschatz der Azoren.

Der Inhalt des ersten Bandes, den wir den Lesern des Detektiv in einem Anhange zu den Heften 127 und 128 brachten, dürfte wohl bekannt sein. Wir wissen, daß die Sphinx, dieses Wunderwerk moderner Flugtechnik, von Lomatz geraubt wurde, doch Viktor v. Gaupenberg nahm unter Beihilfe seines Freundes Hartwich mit einem Doppeldecker die Verfolgung auf. An Bord der Sphinx befinden sich der alte Knorz und Agnes als Gefangene. Agnes Sanden hatte den alten Einsiedler Dr. Falz kennengelernt, einen geheimnisvollen Mann, der tief in die Geheimnisse der Natur eingedrungen ist und der sich geheimnisvoller Naturkräfte bedient.

Lomatz landet mit der Sphinx in der Nähe von Lissabon zu dem Zwecke, sich hier Helfer zur Gewinnung des Goldschatzes zu werben. Agnes aber verkauft er in öffentliches Haus, und dem alten Knorz gelingt es zu entfliehen. Inzwischen aber sind Gaupenberg und Hartwich, denen sich Mafalda angeschlossen hat, ebenfalls in der Nähe von Lissabon gelandet, wo Hartwich seinen alten Freund, den Taucher Oretto besucht und ihn zur Teilnahme an der Bergung des Schatzes verpflichtet. Es gelingt den beiden, Agnes zu befreien, und der Doppeldecker steigt wieder auf. Agnes aber befindet sich jetzt als junger Gehilfe Orettos verkleidet mit an Bord.

Soweit der kurze Inhalt der Fortsetzung des Romanes. Die Handlung hat sich so interessant gestaltet, daß wir unseren Lesern nur dringend raten können, sich die Fortsetzung bei ihrem Buchhändler zum Preise von 30 Pf. pro Band zu bestellen. Sollte derselbe die Bestellung nicht übernehmen, schreibe man an den

Verlag moderner Lektüre, Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44.

 

 

Der Detektiv

Eine Reihe höchst spannender Detektivabenteuer. Bisher sind folgende Bände erschienen:

 

Band
































1–6:
7:
8:
9:
10:
11:
12:
13:
14:
15:
16:
17:
18:
19:
20:
21:
22:
23:
24:
25:
26:
27:
28:
29:
30:
31:
32:
33:
34:
35:
36:
37:
38:
39:

vergriffen.
Zwei Taschentücher.
Die Jagd auf einen Namen.
Die Augen der Jolante.
Der Fluch eines Geschlechts.
Die verschwundene Million.
Die Festung des Ali Azzim.
Die tote Lady Rockwell.
Der Fakir von Nagpur.
Der blinde Brahmane.
Das Auge der Prinzessin Singawatha.
Das Löschblatt von Amritsar.
Die leuchtende Fratze.
Schattenbilder.
Der Löwe von Flandern.
Der ewige Jude.
Das Armband der Lady Mellville.
Die Rätselbrücke.
Der Einsiedler von Tristan da Cunha.
Das Siegellacktröpfchen.
Die Gesellschaft der roten Karten.
Die Uhrkette des Bill Hamilton.
Der Tempel der Kali.
Nur ein Tintenfleck.
Der Stern von Siam.
Eine leere Streichholzschachtel.
Der sprechende Kopf.
Das Geheimnis des Scheiterhaufens.
Die Gefangene von Trawalkor.
Die Eishöhle in Nepal.
Der Mord im Warenhause.
Der Spielklub W W.
Ein gefährlicher Auftrag.
Der sterbende Fechter.

– Preis pro Band 20 Pf. –

Zu beziehen durch jede Buchhandlung oder vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26,

Elisabeth-Ufer 44.

 

 

Anmerkung:

  1. Verbummelt sein: achtlos, schludrig, vergeßlich.