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Der unheimliche Mieter

 

 

Harald Harst

Aus meinem Leben

 

Band: 106

 

Der unheimliche Mieter

 

Erzählt von

Max Schraut

(Walther Kabel)

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 36, Elisabethufer 44

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte einschließlich Verfilmungsrecht vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1924.
Druck: Buchdruckerei P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Zwei Männer und zwei Säcke Gold.

Fräulein von Perwart, die Braut Dr. Gußfelders, hatte uns zum Abendessen eingeladen. Daß die Stimmung in unserem kleinen Kreise nach den Ereignissen der verflossenen Nacht sehr ernst und auch etwas gedrückt war, konnte nicht weiter Wunder nehmen. Gußfelders Zwillingsbruder, Diamantendieb und Hochstapler, war durch Kriminalkommissar Vogler erschossen worden. Heute nun sollten wir aus dem Munde Benn Gußfelders, des ehemaligen australischen Diggers (Goldgräbers), die Geschichte seiner Abenteuer im fünften Erdteil hören – eine Geschichte, die fraglos recht merkwürdig sein würde.

Wir saßen zu sechs bei Tisch: Fräulein von Perwart, deren Gesellschafterin Frau Rohrer, Gußfelder, Vogler, Harst und ich. Nach der Mahlzeit begaben wir uns in den Salon, wo Benno Gußfelder dann unaufgefordert folgendes erzählte. (Ich beschränke mich hier auf das Allernotwendigste.)

Die Eltern der Zwillingsbrüder Benno und Josef Gußfelder wohnten in Stettin. Der Vater war Kaufmann. Josef machte schon auf der Schule allerhand Dummheiten, verstand es aber stets, die Eltern für sich einzunehmen und alle Schuld auf den stillen, strebsamen Bruder abzuwälzen, den er als seinen Verführer hinstellte, wobei ihm sehr zustatten kam, daß Benno viel zu stolz war, sich irgendwie zu verteidigen oder etwa den Eltern zu beweisen, daß lediglich Josefs Intrigantennatur so vortrefflich aus schwarz weiß zu machen wußte. Kurz – für Josefs Schwächen wurde stets ein Prügeljunge gesucht: Benno!

Als Josef, dieser Nichtsnutz, dann mit neunzehn Jahren sogar den Vater bestahl und mit einer großen Summe verschwand, wiederholte sich dasselbe klägliche Spiel: Benno mußte, verfolgt von der Abneigung der Eltern, zu einem Onkel ziehen und hier bis zum Abschluß seiner Studien – er hatte Chemie studiert – bleiben. In demselben Monat, als er in Rostock zum Doktor der Philosophie promovierte, traf endlich nach fünf Jahren die erste Nachricht von dem Verschollenen ein: Josef Gußfelder war in Südaustralien als Straßenräuber verhaftet und mit zehn Jahren Zuchthaus bestraft worden.

Die Affenliebe dieses blinden Elternpaares war noch immer nicht erstorben. Noch immer galt ihnen Josef als Opfer der Ränke Bennos, als Verführter! Und nun, da der Unselige bis zum Zuchthäusler gesunken, verlangten sie nichts anderes, als daß Benno dem Bruder zur Freiheit wieder verhülfe.

Ein solches Verhalten erscheint unfaßbar. Aber die Einzelheiten, mit denen Dr. Gußfelder uns die Geschichte seines Martyriums als stetig zurückgesetztes Kind begreiflich machte, genügten vollauf, jeden Zweifel an der Wahrheit seiner Angaben zu zerstreuen.

Seine Mutter drohte ihm mit ihrem Fluche, wenn er Josef nicht befreite. Sein Vater behandelte ihn mit eisiger Nichtachtung. Nichts konnte diesem blinden, verblendeten Elternpaar die Augen öffnen.

So entschloß Dr. Gußfelder sich denn, seelisch vollkommen zermürbt und fast lebensüberdrüssig, die Reise nach Australien zu wagen, mochte daraus für ihn selbst entstehen was da wollte.

In Sydney, der westaustralischen Hafenstadt, landete er im April 1913, damals dreiundzwanzig Jahre alt. Ein halbes Jahr ging hin, bis er in Erfahrung gebracht, daß Josef mit einer Kolonne anderer Sträflinge in dem staatlichen Goldbergwerk von Pindakroa mitten in der Wildnis der Ley-Berge in der Nordostecke von Neu-Süd-Wales arbeitete.

Er schloß sich einem Trupp Digger an, wurde selbst Goldsucher und gelangte schließlich in die Nähe der sog. Ley-Minen, wo auch verschiedene offene Fundstellen von Privatleuten bearbeitet wurden.

Wieder verstrichen viele Monate, bevor er seinen Bruder auch nur zu Gesicht bekam. Dann brach der Weltkrieg aus. Um als Deutscher nicht interniert zu werden, flüchtete Doktor Gußfelder mit zwei anderen Landsleuten noch tiefer ins Innere Australiens. Die drei hausten dann volle sechs Jahre am Ufer eines Salzsees, hatten jedoch insofern Glück, als sie eine reiche Mine fanden und Gold in großen Mengen herauswuschen. – 1920 nahm Benno Gußfelder seine Bemühungen wieder auf, den Bruder zu befreien. Ein paar lieblose Briefe seiner Eltern spornten seinen Eifer, dem Sträfling zur Flucht zu verhelfen, um so mehr an, als er nun ja genügend Mittel besaß, auch mit Bestechung sein Heil zu versuchen. Nach außen hin war er der arme, abgerissene Digger geblieben, schürfte wieder in der Nähe der Ley-Mine nach Gold und brachte es auch wirklich fertig, sich mit Josef in Verbindung zu setzen.

Dezember 1921 gelangte dann ein von Benno entworfener Fluchtplan zur Ausführung. Alles ging gut. Die Brüder bestiegen in Melbourne einen Kutter, den Dr. Gußfelder gekauft hatte, erreichten damit einen norwegischen Frachtdampfer und trafen im Februar 1922 in Stettin ein.

Hier waren jedoch die beiden alten Gußfelders kurz vorher und kurz hintereinander der Grippe erlegen[1]. Am Grabe der Eltern sollte nun der schrankenlose Haß, den der moralisch verkommene Josef Gußfelder noch immer insgeheim gegen den Bruder hegte, erneut zum Ausbruch kommen. Als Benno ihm über das Grab hin die Hand hinstreckte, als er ihn bat, daß sie nun fernerhin wahrhaft als Brüder miteinander leben wollten, stieß Josef die Bruderhand hohnlachend zurück, überhäufte den ob solcher Undankbarkeit völlig Sprachlosen mit den alten erlogenen Vorwürfen und verlangte, daß Benno ihm die Hälfte seines in Australien erworbenen Vermögens abtreten sollte – als Sühnegeld!!

So kam es denn natürlich zwischen den beiden zu einem völligen Bruch. Dr. Gußfelder ging nach Berlin und brachte es hier rasch zu einer angesehenen Stellung. Inwiefern ihm die Rache seines nichtswürdigen Zwillingsbruders dann fast Ehre und Ansehen gekostet, habe ich im vorigen Band („Das Paket im Urbanhafen“) erzählt.

Dieser Verbrecher Josef Gußfelder, ein Mensch, der von Jugend an Heuchler, Schmeichler, Komödiant und Schlimmeres gewesen, hatte nun endlich den Lohn all seiner Untaten empfangen. Wir aber, die wir im Salon Thea von Perwarts diese gewiß nicht alltägliche Lebensgeschichte Benno Gußfelders mit angehört hatten, befanden uns noch minutenlang nach Beendigung seines Berichts derart im Bann des soeben Vernommenen, daß wir regungslos dasaßen und den schlanken Mann scheu anblickten, der sechs endlose Jahre dort in der australischen Wildnis mit zwei Gefährten gehaust hatte – mit zwei Landsleuten, die er nur flüchtig erwähnt hatte.

Bevor dann einer von uns Zuhörern sich irgendwie äußern konnte, fügte Doktor Benno Gußfelder, sich an Harst wendend, hinzu:

„Nun möchte ich noch etwas mit Ihnen besprechen, lieber Herr Harst, – etwas, das meine damaligen Gefährten vom Bullobaki-Salzsee betrifft …“

Er schaute sinnend den Rauchwölkchen seiner Zigarre nach, die sich über ihm in nichts auflösten …

„Die beiden hießen Ernst Karnay und Justus Loof, Herr Harst. Es waren Seeleute, Matrosen von Beruf, die aus Abenteuerlust Digger geworden, beide in meinem Alter. Sie sind damals im Januar 1920, bevor ich in kultivierte Gegenden zurückkehrte, spurlos verschwunden, – verschwunden in der Nacht vom 20. zum 21. Januar aus unserer gemeinsamen Hütte.“

Er griff nach seinem Weinglas und trank es leer.

„Ich habe meine Freunde damals volle drei Wochen wie die Stecknadeln gesucht,“ fuhr er fort. „Wir wohnten dort am Bullobaki-See ganz allein. Die nächste Schaffarm lag etwa hundertachtzig Meilen entfernt. Ich habe von Karnay und Loof nichts – nichts entdecken können. Ihre Filzhüte und ihre Geräte lagen am 21. Januar früh noch in der Hütte. Sie selbst waren fort.“

Harald beugte sich etwas vor. „Und das Gold, das den beiden gehörte?“ fragte er kurz.

„War auch noch da. Ich habe es, bevor ich den Platz dann endgültig verließ, in zwei Ledersäcken vergraben. Es liegt noch dort – ohne Zweifel.“

Eine längere Pause entstand.

Endlich fragte Harst aufs neue: „Und Sie haben in jener Nacht nichts Verdächtiges gehört?“

„Nichts. Ich war müde wie immer und schlief sehr fest. Nur einmal erwachte ich. Da war es mir, als hörte ich draußen einen Hund bellen. Aber ich glaubte, ich müßte mich getäuscht haben, und schlief wieder ein.“

„Hörten Sie denn Ihre Gefährten noch, als Sie erwachten? Ich meine, atmeten dieselben noch laut neben Ihnen oder schnarchten sie?“

„Auch das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich war schlaftrunken. – Jedenfalls ist Karnays und Loofs Verschwinden bisher ein Rätsel geblieben, Herr Harst. Hätten Sie nun Lust, auf meine Kosten nach Australien zu gehen und die Sache aufzuklären, gleichzeitig das Gold mitzubringen?“

Harald besann sich nicht lange.

„Ja – ich will! Ich bin etwas europamüde. Ich sehne mich nach anderer Luft …“

Gußfelder erhob sich.

„Hand her, Herr Harst …! – Ich danke Ihnen. Es handelt sich ja für mich auch darum, jederlei Verdacht von mir abzuwenden, daß ich etwa meine Freunde …“

„Aber bester Doktor!“ rief Harald da. „Wer wird denn wohl …“

„Oh – mein Bruder Josef zum Beispiel hat mich beschuldigt, Karnay und Loof beseitigt zu haben. Wer weiß, ob er nicht den Mitgliedern seiner Verbrecherbande hier Ähnliches angedeutet hat.“

„Die drei Kerle und das Weib sitzen ja hinter Schloß und Riegel,“ meinte Kommissar Vogler achselzuckend. „Solche Verdächtigungen reichen doch an Sie nicht heran, Herr Doktor.“

„Und trotzdem: die Angelegenheit soll geklärt werden! Lieber Herr Harst, wenn es Ihnen recht ist, zeichne ich Ihnen gleich heute eine Skizze, damit Sie den Weg zum Bullobaki-See nicht verfehlen. Die Reste der Hütte werden Sie dort sicherlich noch finden. Die beiden Ledersäcke liegen unweit der Hütte unter einer Felsplatte in der Erde. Es dürfte sich um über einen Zentner Goldkörner handeln.“

„Donnerwetter!“ entfuhr es Vogler. „Das lohnt! – Verzeihung, meine Damen, – das ist mir soeben leider vor Überraschung entschlüpft, dieses nicht salonfähige Donnerwetter.“ –

Und eine Stunde später hatte Harald die genaue Skizze in seiner Brieftasche. – Am 2. Dezember bestiegen wir in London den Dampfer Southerland, der nach Melbourne, Südaustralien, bestimmt war.

 

2. Kapitel.

Die Skizze.

Daß wir auf der Southerland nicht als Harst und Schraut reisten, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Wir waren zwei harmlose Kaufleute namens Harten und Schratt, die jedem erzählten, daß sie in Australien größere Abschlüsse in Schafwolle machen wollten. Schafwolle klingt so überaus vertrauenerweckend.

Unter den Passagieren erster Kajüte lernten wir ein paar annehmbare Landsleute kennen, mit denen wir zuweilen plauderten. Nur zuweilen. Harald liebt keine Bordbekanntschaften. – Da war zum Beispiel der Professor der Zoologie Faulhuber aus München nebst Tochter von etwa einundzwanzig Jahren, wirklich reizende Menschen. Mit den beiden Faulhubers waren wir am meisten zusammen. Der alte, etwas bucklige Herr wollte in Australien die merkwürdige Gattung der Beuteltiere studieren, und sein nicht minder gelehrtes, dabei aber äußerst liebreizendes Töchterchen Alix gedachte ihn ins Innere zu begleiten und ihm wacker zur Hand zu gehen.

Als der Dampfer in Suez anlegte, ereignete sich dann der erste Zwischenfall, der uns sehr zu denken gab. Wir waren bisher überzeugt gewesen, daß unsere Mission unmöglich irgendwelchen dunklen Ehrenmännern, die gern ernten, wo sie nicht gesät haben, bekannt geworden sein könnte. In Suez verlor sich unser Sicherheitsgefühl.

Wir hatten mit dem Professor auf dem Promenadendeck an der Reling gestanden, als der Dampfer am Hafenkai der berühmten Kanalstadt festmachte[2]. Plötzlich erschien sehr aufgeregt ein Steward neben mir und meldete, daß er soeben einen braunen Burschen aus unserer Kabine verscheucht habe, der unsere Koffer erbrochen hatte.

„Es muß einer der Fellachen gewesen sein, Mr. Harten, die in Alexandrien an Bord kamen,“ fügte er atemlos hinzu. „Der Kerl war leider gewandter als ich, versetzte mir einen Boxhieb gegen die Magengrube und entschlüpfte.“

Wir begleiteten den Steward sofort zur Kabine, fanden tatsächlich unsere Handkoffer und Reisetaschen durchwühlt vor und verlangten dann von dem Kapitän, daß die ganze auf dem Vorschiff untergebrachte Fellachenbande an dem Steward vorbeidefiliere.

Dies geschah. Der Steward konnte den frechen Eindringling jedoch nicht herausfinden.

Als wir beide dann in unserer Kabine allein waren, sagte Harald leise:

„Du, das galt der Skizze, die Gußfelder uns mitgegeben. Wir sind jetzt gewarnt. Es sind Leute hinter uns her, die großen Appetit auf die Goldsäcke haben.“

Mit einem Schlage war es so mit der friedlichen Australienreise zu Ende. Wir mußten von jetzt an darauf bedacht sein, die Skizze uns nicht stehlen zu lassen.

„Man wird alles versuchen, sie uns abzuknöpfen,“ meinte Harst, während wir den Inhalt unserer Koffer wieder sauber verstauten. „Ich möchte nur wissen, wer von den Mitwissern unseres geheimen Auftrags geplaudert haben mag. Vogler, Gußfelder, Thea von Perwart und wir beide scheiden aus, denke ich. Es bleibt nur noch die Gesellschaftsdame Theas, Frau Rohrer, übrig. Ich werde für alle Fälle sofort hier von Suez an Gußfelder depeschieren, damit er die Rohrer beobachten läßt. Es geht um viele Millionen Gold. Da muß man nichts außer acht lassen.“

Das Telegramm wurde abgeschickt. Zwei Stunden darauf setzte der Dampfer die Reise fort.

Die Hitze im Roten Meer, diesem berüchtigten Backofen, ging an. Immer näher kamen wir nun dem Felsennest Aden, jener Hafenstadt, die für uns in früheren Jahren der Ausgangspunkt so manchen Abenteuers gewesen.

In Aden kauften wir englische Zeitungen, die Aden-Morning-Post und andere. Und – da fanden wir denn zu unserer Überraschung auch eine kurze Notiz, daß Zelestine Drepp, die Freundin des toten Verbrechers Josef Bennarara-Gußfelder, aus der Krankenabteilung des Untersuchungsgefängnisses am 2. Dezember abends entflohen sei, also an demselben Abend, als wir an Bord der Southerland gegangen.

Harst machte zu dieser Nachricht ein sehr langes Gesicht.

„Wenn wir nur erst wüßten, wer der Fellache gewesen, der in Suez frecherweise am hellen Tage unserer Kabine den Besuch abgestattet hat,“ sagte er ernst und nachdenklich. „Es wird wahrscheinlich überhaupt kein Fellache, sondern ein verkleideter Weißer gewesen sein, mein Alter. – Du bezweifelst das? – Nun, bedenke, daß der Mensch den Steward durch einen kunstgerechten Boxhieb erledigt hat. Fellachen verstehen sich kaum aufs Boxen. Ein Fellache hätte in einem solchen Falle fraglos zum Messer gegriffen. Wenn Zelestine Drepp irgendwie zum Beispiel zu der Rohrer in Beziehungen getreten ist, wenn sie von dieser erfuhr, wohin wir unterwegs sind, dann kann sie per Eisenbahn nach Genua gefahren sein und die Southerland dort noch erreicht haben. – Gehen wir mal zum Schiffszahlmeister und fragen wir, wer in Genua an Bord kam.“

Der Zahlmeister legte uns die Passagierliste vor. Aber – wir entdeckten keine verdächtige Person.

So langten wir denn in Batavia an, wo die Southerland sechs Stunden ankerte. Wir benutzten diese Zeit zu einem Ausflug nach den reizenden Villenvororten. Als wir um sechs Uhr nachmittags an Bord zurückkehrten, waren unsere Koffer abermals erbrochen und durchwühlt worden. Die Kabinentür war fraglos mit einem Patentdietrich geöffnet. Niemand an Bord hatte etwas von diesem neuen Versuch, uns die Skizze abzunehmen, bemerkt. Wir selbst stellten die Sache so hin, als ob es dem Eindringling wohl auf Wertsachen angekommen sei, die wir jedoch bei uns gehabt hätten.

„Zelestine Drepp ist hier,“ erklärte Harald mir jetzt mit aller Bestimmtheit. „In Melbourne wird man uns fraglos überfallen und unsere Kleider durchsuchen. Am liebsten würde ich die Skizze verbrennen.“

Er trug sie stets bei sich, eingenäht in das Futter einer Weste.

Jetzt zog er die Weste aus (es war gegen elf Uhr abends, und die Southerland durchpflügte längst wieder die tiefgrüne Sundasee) und trennte langsam das Futter auf, fügte hinzu:

„Ja, es wird am besten sein, mein Alter. Verbrennen wir das Stück Papier. Wir beide haben uns ja die Skizze genügend eingeprägt, und …“

Da ließ er plötzlich die Weste in den Schoß sinken …

„Du – – anderer Zwirn!“ stieß er hervor. „Hier ist jemand bereits …“

Dann hatte er schon das Papier aus dem Versteck herausgezogen …

Und – – es war nicht mehr die Skizze!! Es war ein leerer halber Briefbogen!!

Harst starrte mich an. Ich habe ihn selten verblüfft gesehen. Jetzt war er es.

„Hm – interessant!“ meinte er dann, während seine Stirn sich krauste. „Sehr interessant, daß man Harald Harst geleimt hat!! Verteufelt schlau hat die Bande das angefangen. Ich wette, man hat uns die Skizze schon vor Suez gestohlen – nachts natürlich, als wir schliefen. Vielleicht damals, als wir im Spielzimmer etwas viel getrunken hatten …“

„Als wir mit Faulhubers skateten,“ warf ich ein.

Harald nickte. „Ja … – Und die Einbrüche hier in der Kabine, der in Suez und der zweite heute in Batavia, sollten uns nur in Sicherheit wiegen, daß die Skizze noch vorhanden sei. Oder aber …“

Er schwieg …

Seine Augenlider klappten herab, sein Kopf senkte sich …

„Ober aber … es sind hier zwei Parteien getrennt an der Arbeit, zwei, die nichts voneinander wissen. Und es dürfte das Richtigere sein, lieber Alter.“

„Also die Drepp vielleicht und noch jemand …“

„Ja …“ – Er nahm den leeren halben Briefbogen auf und besichtigte ihn … beroch ihn …

„Bitte – was riechst Du?“ fragte er und hielt ihn mir hin.

„Hm – das ist Jodoformgeruch …“

„Allerdings. Und …“

Abermals schwieg er, sprang empor, legte mir die Linke schwer auf die Schulter.

„Du – von Aden ging ein direkter Dampfer nach Melbourne!“ stieß er hervor. „Wenn der Dieb der Skizze in Aden die Southerland verlassen und diesen Dampfer benutzt hat, dann ist er uns um vier volle Tage voraus! Herr Gott – – vier Tage!!“

Harst ballte die Fäuste …

„Begreifst Du – begreifst Du?! Das Gold ist in Gefahr! Wir haben uns wie die Tölpel benommen!! – Zum Zahlmeister …!!“

Und jetzt ersahen wir aus der Schiffsliste, daß ein Engländer namens Tomorly in Aden seine Fahrkarte für den Dampfer Gergovia hatte umschreiben lassen und in Aden an Bord der Gergovia gegangen war. Und dies war der Dampfer, der ohne Aufenthalt nach Melbourne fuhr!! –

Harald vertraute sich nun dem Kapitän an. Dieser schickte sofort ein Funktelegramm nach Melbourne an die Polizei, damit Mr. Edward Tomorly dort sofort beim Eintreffen verhaftet würde.

Am folgenden Nachmittag kam aus Melbourne Antwort:

Tomorly hat die Gergovia bereits in Sydney verlassen. Haben Polizei Sydney benachrichtigt.

– Zwei Tage darauf langte die Southerland in dieser ostaustralischen Hafenstadt an. Wir gingen mit unseren Koffern an Land, nachdem wir uns von Faulhubers verabschiedet hatten, die noch bis Melbourne an Bord bleiben wollten.

Hier in Sydney begann dann erst die Geschichte von dem unheimlichen Mieter, die mit unserer Mission ganz eng zusammenhing.

 

3. Kapitel.

Pension Pallimoor.

Sydney, diese moderne Weltstadt mit ihren weit über eine halbe Million Einwohnern, mit ihrer so überaus günstigen Lage an der großen geschützten Jackson-Bai, mit ihren 27 Vororten, weiten Parks, Prachtbauten und ungeheuren Docks, Werften und Fabrikanlagen, ihrem gesunden Klima und dem Völkergemisch aller Rassen der Erde, war für uns beide Neuland, genau so wie Australien selbst.

Sydney imponierte uns. Daß diese Metropole erst 1790 als Sträflingsniederlassung gegründet worden war, daß sie somit eine der jüngsten Großstädte des Erdrunds ist, merkt man ihr nur insofern an, als sogenannte historische Gebäude völlig fehlen.

Eine flinke Pferdedroschke brachte uns nach dem Pensionat Pallimoor am Moore-Park, das uns der Kapitän der Southerland warm empfohlen hatte. Es lag inmitten eines großen, hügeligen Gartens, dem verschiedene Felspartien, kleine Wasserfälle und Springbrunnen einen romantischen Anstrich verliehen.

Frau Lydia Pallimoor, eine weißhaarige, rosige Dame, empfing uns mit größter Liebenswürdigkeit. Der Deutschenhaß des Weltkrieges war hier längst begraben. Man hatte eingesehen, daß man die deutschen Kaufleute brauchte, und da wir sofort zu verstehen gaben, daß uns Geschäfte nach Australien führen, versprach Frau Pallimoor, uns mit einigen Schafzüchtern bekannt zu machen, die häufiger bei ihr abstiegen.

Nach altem Rezept hatten wir uns zwei Zimmer im Erdgeschoß, Gartenflügel, anweisen lassen. Das hat den Vorteil, daß man ungesehen durch die Fenster aus- und eingehen kann – ohne Hausschlüssel. Für Leute unseres Berufs ist das von Bedeutung.

Um fünf Uhr nachmittags hatten wir bei Mistreß Pallimoor unseren Einzug gehalten. Um sechs kannten wir bereits das ganze Haus und den ganzen Garten, die Nebenstraßen und besten Verbindungen zur Innenstadt.

Nun kam es darauf an, Edward Tomorlys Fährte zu finden. Um halb sieben ließen wir uns bei dem Kollegen Mr. Ogden melden, einem Detektiv von Weltruf, der hier in Sydney so etwa dasselbe war wie die Pinkertons in Neuyork.

Mr. Ogden hörte kaum, wer wir waren, als seine kühle Reserviertheit sofort schwand und er uns herzlich die Hände drückte. Er war ein bartloser Riese mit etwas schwerfälligen Bewegungen. Unter seinen buschigen Brauen aber lag ein Paar überaus lebendiger Augen voller Geist und Schärfe.

Harst vertraute ihm das Wichtigste an. „Sie sollen mit Ihren Leuten mir diesen angeblichen Tomorly suchen helfen, Mr. Ogden. Er soll noch recht jung, bartlos, mittelgroß und blond sein. Wahrscheinlich ist er ein verkleidetes Weib, eben jene Zelestine Drepp.“

Ogden notierte sich einiges und erteilte dann durch das Haustelephon seinem Stabe sogleich die nötigen Befehle. Dann meinte er mit feinem Lächeln:

„Sie wohnen da bei Mistreß Pallimoor sozusagen inmitten von Geheimnissen, meine Herren. Lydia Pallimoor hat sich vorgestern an mich gewandt, weil der eine ihrer Mieter ihr höchst verdächtig, mehr noch, geradezu unheimlich vorkommt. Vielleicht haben Sie Gelegenheit, den Mann auch so etwas aufs Korn zu nehmen. Seit gestern früh ist eine meiner besten Agentinnen als Stubenmädchen dort untergebracht. Sie heißt dort Jenny Pool, Mr. Harst. Wenn Sie also …“

„Bitte – erzählen Sie,“ nickte Harald. „Ein unheimlicher Mieter ist etwas für uns.“

Ogden bot uns Zigaretten an. – „Die Sache ist die, Mr. Harst,“ begann er bedächtig. „Am 21. Dezember, vor vier Tagen also, stieg bei Mistreß Pallimoor ein Mann namens Elming ab, ein Londoner Kaufmann. Er war mit der … Gergovia eingetroffen.“

„Ah!“ machten Harald und ich gleichzeitig. Wir dachten unwillkürlich sofort an Edward Tomorly.

Ogden schüttelte den Kopf. „Dieser Elming ist niemals Ihr Mann, meine Herren. Er ist dick und hat ein künstliches Bein, das bei jedem Schritt scheußlich in den Metallgelenken knackt. Geben Sie sich also nicht etwa der Hoffnung hin, Ihren Tomorly durch einen Zufall bereits entdeckt zu haben.“

„Tun wir nicht, Mr. Ogden. Weiter …“

„Dieser Elming legte Wert darauf, ein Zimmer im Seitenflügel dicht an dem Seitenausgang im Erdgeschoß zu erhalten …“

„Wie wir!“ nickte Harald.

„Nun ja, – er bekam es auch. Gleich in der ersten Nacht beobachtete der Hausdiener des Pensionats, der im Nebengebäude wohnt, von seinem Fenster aus, daß Elming Besuch erhielt – eine Dame …“

„Die durch das Fenster einstieg,“ ergänzte Harald.

„Ja, so war’s. Die Dame, und das ist das seltsame, hat Elmings Zimmer nicht wieder verlassen. Sie kam gegen ein Uhr morgens, und der Hausdiener, argwöhnisch geworden, paßte bis sechs Uhr früh im Gebüsch auf. Dann konnte er Elming beobachten, der bereits Morgentoilette machte. Die Dame war – – verschwunden.“

„Sie mag sich nach vorn hin entfernt haben, Mr. Ogden.“

„Unmöglich!“ Er belegte diese Behauptung mit Beweisen, die auch uns genügen mußten.

„Der Hausdiener Tom, übrigens ein Mischling, hat darauf Mistreß Pallimoor alles erzählt,“ fuhr Ogden fort. „Lydia Pallimoor war empört. Damenbesuch durch das Fenster – unglaublich!! Trotzdem wollte sie diesen Mr. Elming nicht sofort an die Luft setzen. Tom sollte erst mal weiter feststellen, ob die Dame in der nächsten Nacht wiederkehren würde. Denn daß Elming sie nicht in seinem Zimmer verborgen hielt, war leicht herauszubringen. – Tom bezog also in der folgenden Nacht gegen halb eins abermals seinen Beobachtungsposten in den Büschen unweit des Seitenflügels. Und – siehe da! – um zwei Uhr morgens etwa erschien, durch den Garten kommend, ein zerlumpter Kerl und verschwand in Elmings Zimmer, ohne bis Tagesanbruch wieder sichtbar zu werden.“

Harald nahm eine neue Zigarette. „Ist das alles, Mr. Ogden?“

„O nein – im Gegenteil. Nun fängt’s erst richtig an. – Da man im Hause diesmal scharf aufgepaßt hatte, ob Elming jemand durch den Vordereingang hinauslassen würde, mußte der Strolch noch bei Elming sein. Frau Pallimoor klopfte also um halb sieben bei Elming an. Elming schien noch zu schlafen, war ob der Störung sehr ungehalten und fragte, was es denn gäbe. Frau Pallimoor rief ihm durch die Tür zu, daß sich nachts jemand bei ihm eingeschlichen hätte. Er solle doch mal nachsehen, ob er bestohlen worden sei.“

„Hm?!“ meinte Harald nur …

„Ja – und da hat Elming denn lachend erklärt, daß allerdings ein etwas heruntergekommener Kerl, den er am Tage zufällig kennen gelernt hatte, frecherweise bei ihm gewesen sei und ihn angebettelt habe. Er hätte den Menschen aber sofort wieder weggeschickt. – Frau Pallimoor gab sich mit dieser Auskunft scheinbar zufrieden …“

„Na – und …?!“

„Und – kam zu mir. Ich schickte meine Agentin hin. Tom und die Agentin sahen in der verflossenen Nacht, daß ein chinesischer Kuli um halb zwei bei Elming einstieg und – nicht wieder herauskam.“

Haralds ironisches Lächeln ward immer eindringlicher.

„Bester Mr. Ogden,“ sagte er, „die Geschichte ist doch herzlich einfach. Elming selbst war die Dame, der Strolch und der Chinese.“

Aber Ogden lächelte nun seinerseits noch ironischer.

„Das ist ausgeschlossen, da Elming sein Zimmer nicht verlassen hat. Er war bestimmt schlafen gegangen und lag im Bett, jedenfalls vorgestern und gestern nacht. Tom hat ihn selbst im Bett liegen sehen, da Elming die Nachttischlampe hatte brennen lassen.“

Harald kniff die Augen zu, sann nach.

„Die Fensterflügel waren also nur angelehnt?“ fragte er dann.

„Ja, nur angelehnt.“

„Und letzte Nacht?“

„Passierte nichts, Mr. Harst. – Wo also sind die drei Leute geblieben, frage ich Sie?!“

Harald zuckte die Achseln. „Das will ich Ihnen morgen früh beantworten, Mr. Ogden. – Wissen Sie Elmings Zimmernummer?“

„Nr. 18 ist’s.“

„Also das dritte neben uns. Wir haben 14 und 15.“ –

Gleich darauf verabschiedeten wir uns und begaben uns nach dem Hauptpostamt, um hier nach einer postlagernden Depesche für Harst zu fragen. Harald hatte schon von Southerland aus Dr. Gußfelder durch Marconitelegramm verständigt, daß wir in Sydney landen würden.

Es war auch eine Depesche da. Sie lautete:

Rohrer (das war die Gesellschafterin Fräulein von Perwarts) harmlos. Aber Diener Karl Münz plötzlich gekündigt und Berlin verlassen. Über Münz bisher freilich nichts Nachteiliges bekannt. Hat als besonderes Erkennungszeichen links auffallend verlängertes Ohrläppchen. – Bitte Nachricht, ob unangenehme Zwischenfälle.

Gußfelder.

Wir hatten die Depesche sofort im Schalterraum gelesen.

Wie prompt meines Freundes scharfer Verstand auch jetzt wieder arbeitete, erkannte ich aus den folgenden Vorgängen.

Wir bestiegen ein Auto und fuhren zum Hafen. Wir wußten, daß die Gergovia hier noch ankerte und erst morgen wieder in See gehen würde.

Um halb neun abends waren wir an Bord der Gergovia. Der Kapitän war nicht anwesend. Man sagte uns, daß wir ihn in der Kneipe Zum Kap Flattery treffen würden.

„Und der Schiffsarzt?“ fragte Harald die Bordwache weiter.

„Mr. Booker dürfte ebenfalls dort in der Kneipe sein.“ –

Kap Flattery war bald gefunden. In einem der Hinterzimmer fanden wir die Schiffsoffiziere und den Arzt Dr. Booker beim Würfeln in sehr gehobener Stimmung vor.

Booker ließ sich nur widerwillig ins Nebenzimmer lotsen.

„Nur eine Frage,“ meinte Harald. „Haben Sie an einem der Passagiere der Gergovia, die in Aden an Bord kamen, eine Verletzung bemerkt? Besinnen Sie sich auf einen Edward Tomorly? Hatte der vielleicht ein verbundenes Ohrläppchen?“

„Ja. Das stimmt. Er behauptete, er hätte einmal Frost in dem linken Ohrläppchen gehabt, und da sei eine Frostbeule aufgebrochen. Deshalb ließ er es sich zum Teil abnehmen.“

„Wo?“

„Oh – schon auf dem Dampfer Southerland.“

„Und der Mann roch etwas nach Jodoform, Mr. Booker?“

„Freilich. Er verband sich die frische Operationsnarbe stets selbst – mit Jodoformgaze und Heftpflaster.“

„Danke, Mr. Booker. Vielleicht reden Sie nicht weiter darüber, daß wir Sie ausgeforscht haben. Guten Abend.“

Draußen auf der Straße meinte Harald: „Siehst Du, lieber Alter, nun wissen wir Bescheid. Der halbe Briefbogen roch nach Jodoform. Also ist Karl Münz dieser Tomorly gewesen und nicht, wie ich annahm, Zelestine Drepp. Münz hat sich von dem Schiffsarzt der Southerland das Zuviel des Ohrläppchens beseitigen lassen, um sein besonders Erkennungszeichen aus der Welt zu schaffen. Und dieser Karl Münz wird mit zu Josef Bennararas Bande gehört haben, wird von Bennarara bei Thea von Perwart als Spion eingeschmuggelt worden sein. Er hat uns damals belauscht, als Gußfelder die Geschichte seiner australischen Abenteuer erzählte, und er wird fraglos mit Zelestine Drepp zusammenarbeiten. Die eine Gegenpartei kennen wir nun also. Wer aber die zweite ist, die so zwecklos die Koffer durchwühlt hat, das bleibt noch dunkel, falls nicht …“

 

4. Kapitel.

Freund Pastorias.

Wir waren vom Hafen in eine der älteren Gassen eingebogen. Es gab hier nur riesige Warenspeicher, die ernst und feierlich ihre Fronten mit den aus den oberen Fenstern heraushängenden Ladekränen[3] einander zukehrten.

Am Ende der schnurgeraden Gasse stand der Vollmond über den dunklen Massen der fernen Berge hoch am Himmel und ließ die drei Schienenstränge der Hafenbahn, die hier die Straße entlangliefen, silbern schimmern. Güterwagen, zum Teil noch beladen, deckten hie und da die Schienen.

Und – hier schwieg Harald plötzlich …

Hob den rechten Arm …

Da hing an einer der dicken Kranketten[4] eines Speichers rechter Hand ein Mensch, den wir offenbar überrascht hatten, – ein Dieb, der wohl in den Speicher hatte eindringen wollen …

„He – kommen Sie herab!“ rief Harald dem Menschen auf englisch zu. „Schnell, Freundchen, schnell. Sonst holen wir einen Wächter.“

Der Mann stand gleich darauf im Mondlicht vor uns – ein schlanker Bursche mit Stoppelbart, schmierigen Hosen, Wollhemd und Segeltuchschuhen, auf dem Kopfe einen schwarz lackierten brüchigen Strohhut.

Das Gesicht des Mannes zeigte nicht die geringste Angst oder Verlegenheit. Er hatte sympathische Züge, und die listigen kleinen Augen funkelten uns mehr empört als unsicher an.

Bevor Harald noch etwas sagen konnte, erklärte der Mensch mit einer Art Verbeugung: „Ich habe mir nur eine Rolle Kautabak aus dem Speicher geholt, nichts weiter. Bitte – hier ist sie. Wenn Sie mich der Polizei übergeben, komme ich ins Zuchthaus, da ich schon häufiger aus Not gestohlen habe. Ich war bis vor acht Monaten Digger (Goldgräber), erkrankte schwer, kam hier ins Lazarett und bin unfähig, schwere körperliche Arbeit zu leisten.“

Jedenfalls – dieser Mann, der Jimmy Pastorias hieß, wurde dann von Harald als … Diener und Führer angeworben, nachdem er ihn noch auf Herz und Nieren durch längeres Ausfragen geprüft hatte. Harst gab ihm Geld, damit er sich neu einkleide, und bestellte ihn für den nächsten Morgen ins Pensionat.

Pastorias … weinte vor Freuden.

Als wir beide heimfuhren, meinte Harald: „Der Bursche ist eine tadellose Akquisition für uns. Paß auf, der ist treu und dankbar. Er kennt das Leben in der australischen Wildnis, kann reiten und schießen, spricht verschiedene Dialekte der hiesigen Neger und läßt sich nicht so leicht verblüffen, was die Hauptsache ist.“

Harsts Menschenkenntnis bewährte sich wieder einmal, wie die Zukunft zeigte.

Es war gegen einviertel zwölf, als wir im Pensionat Pallimoor anlangten. Der Nachtportier ließ uns ein.

In unserem gemeinsamen Schlafzimmer im Seitenflügel taten wir so, als gingen wir zu Bett. Im Dunkeln kleideten wir uns nachher wieder lautlos an und bezogen unsere Beobachtungsposten am Fenster, bewaffnet mit unseren Ferngläsern, die in dieser mondhellen Nacht uns gute Dienste leisten mußten.

Vor uns lag ein breiter heller Gartenweg, dann eine Rasenfläche mit Gebüschen. In einem dieser Büsche steckte fraglos der Hausdiener Tom.

Im Hause war es bereits völlig ruhig.

So saßen wir denn am Fenster und schauten abwechselnd hinaus, damit uns auch nicht das Geringste entginge.

Nichts geschah – nichts.

Es wurde zwei Uhr morgens – halb drei …

Da gaben wir es auf.

Harald begann sich zu entkleiden. Aber plötzlich flüsterte er mir im Dunkeln zu:

„Wie wär’s, wenn wir mal an Elmings Tür horchten? Wir sind auf Strümpfen. Die Tür knarrt nicht.“

Nein – sie knarrte nicht im geringsten, denn nach alter Gewohnheit hatten wir Schloß und Angeln gut geölt.

Im Flur lag ein dicker Kokosläufer. Licht brannte hier nicht.

So schlüpften wir denn den Gang hinab bis zu Elmings Zimmer, das dicht an dem Nebenausgang in den Garten sich befand.

Harald preßte meinen Arm. „Bleib’ stehen!“ hauchte er.

Seiner Taschenlampe halb verdeckter Lichtkegel traf die Tür, glitt von der Nummer 18 zum Schloß.

Dann legte er die rechte Hand auf den Drücker.

Und – flüsterte abermals: „Es steckt kein Schlüssel im Schloß! – Warte …!“

Er schob den Dietrich ins Schlüsselloch.

Ein Knacken – noch eins …

Ich hielt den Atem an.

Drinnen regte sich nichts.

Die Tür ging nach innen auf …

Matter gelblicher Lichtschein der Nachttischlampe … Rechter Hand an der Wand ein Bett …

Und – auf dem Kopfkissen der Kopf eines Mannes, der fest zu schlafen schien …

Harald huschte an das Bett, kam zurück zur Tür, schob mich in den Flur, schloß ab.

Ebenso lautlos waren wir wieder in unserm Schlafzimmer.

Und ohne auch nur ein einziges Wort weiter zu verlieren, entkleidete Harald sich rasch, schlüpfte unter die Decke und … ließ mich mit meinen tausend Fragen unbefriedigt im Dunkeln.

Ich schlief nur schwer ein.

Morgens gegen sieben erwachten wir über lautem Hin und Her im Flur draußen.

Als das Zimmermädchen – es war nicht dieselbe, die uns abends bedient hatte – das Frühstück brachte, sagte sie leise:

„Ich bin die Agentin Mr. Ogdens. In der vergangenen Nacht ist der hier wohnende Farmer O’Kostan um zehntausend Pfund Sterling bestohlen worden, die er gestern für Schafwolle einkassiert hatte. Er hat nichts von dem Diebstahl bemerkt. Er hatte das Geld unter dem Kopfkissen liegen. Mr. Ogden wird sofort zu Ihnen kommen, als Briefbote verkleidet.“

Ogden kam und wollte mit uns den Fall besprechen. Die Polizei war noch nicht benachrichtigt worden.

„Ich halte Elming für den Dieb, Mr. Harst,“ meinte er. „Soll ich Elmings Verhaftung veranlassen?“

„Nein, Mr. Ogden. Unternehmen Sie nichts. Ich werde das Geld wieder herbeischaffen. Niemand darf Elming irgendwie zeigen, daß man ihn beargwöhnt.“

Ogden nickte. „Ja – es wäre ja auch schwer, ihm etwas zu beweisen. Tom und meine Agentin haben von draußen gesehen, daß er die ganze Nacht über im Bett lag. Ich denke, er wird den Diebstahl durch einen Helfershelfer haben ausführen lassen.“

„Schon möglich, Mr. Ogden. Nur Geduld. Ich hoffe, den Mann in der nächsten Nacht zu erwischen.“

Ogden empfahl sich. Wir frühstückten. Harald war schweigsam.

Dann erschien Frau Pallimoor bei uns – ganz verstört. Sie hatte nun von Ogden erfahren, daß sie Harst bei sich beherbergte, den berühmten Harst.

„Helfen Sie mir, Mr. Harst,“ flehte sie. „Der Ruf eines Pensionats ist schnell zugrunde gerichtet. Ich begreife ja in keiner Weise, wie dieser Elming, falls er einen Helfershelfer bei sich verborgen hatte, den Mann in den Hauptteil des Hauses bringen konnte, da ich doch die Tür des Seitenflügels, die auf den Vorraum mündet, hatte verschließen lassen, nachdem Sie beide heimgekommen waren. Der Schlüssel steckte von außen. Sie verstehen: Elming und die Gäste des Erdgeschosses des Seitenflügels waren sozusagen eingesperrt.“

„Oh, ich verstehe, Mistreß Pallimoor. Und Sie werden verstehen, daß man Elming unter diesen Umständen nichts anhaben kann, gar nichts. Also – überlassen Sie nur uns das weitere.“ –

Um elf Uhr bekamen wir Elming zum ersten Male zu Gesicht. Er saß im Garten im Liegestuhl und las Zeitungen.

Wir schlenderten vorüber. Er schaute flüchtig auf und beachtete uns nicht weiter.

Harald hängte sich in meinen Arm ein, holte tief Atem, sagte dann:

„Unbegreiflich, dieses Sicherheitsgefühl! Er muß uns längst erkannt haben …!“

Ich blieb mit einem Ruck stehen.

„Es ist Karl Münz, mein Alter,“ lächelte Harald. „Karl Münz alias Tomorly. Wie froh bin ich, daß dieser Kerl, der die Skizze hat, noch nicht ins Innere abgereist ist.“

Ich vergaß all meine Fragen – alles. Ich war sprachlos.

„Es ist Karl Münz. In seinem Zimmer schwebte noch ein ganz feiner Jodoformgeruch in der Luft, und das wegoperierte Ohrläppchen verrät sich noch durch die rote Narbe. Der Kerl muß entweder ein ungeheurer Dummkopf oder ein ganz gefährlicher Bursche sein. Jedenfalls – er ist mir unverständlich! Hier zu stehlen, wo ich ihm auf der Nase sitze, – das ist denn doch der Gipfel der Unverfrorenheit!“

„Er selbst kann doch aber unmöglich den Diebstahl begangen haben, Harald. Überhaupt …“

Da rief jemand hinter uns: „Mr. Harten – – Mr. Harten, es ist ein Mann da, den Sie herbestellt haben.“

Der Mann war Jimmy Pastorias – heute nicht wiederzuerkennen! Rasiert, frisiert, gewaschen, von Kopf bis Fuß in neuer Kluft: fast ein Gentleman!

Er strahlte. „Ich melde mich zum Dienst, Mr. Harten,“ sagte er feierlich.

Harst stellte ihm einen langen Besorgungszettel zusammen, alles Einkäufe für den Ritt ins Innere.

Pastorias ging uns dabei mit seinem erprobten Rat sehr zur Hand. Dann verabschiedete er sich. – „Sie werden zufrieden sein, Mr. Harten,“ meinte er stolz. „Ich lasse mich nicht übers Ohr hauen.“ –

Den Rest des Tages verbrachten wir zumeist in der Stadt.

Ogden hatte auf Haralds Wunsch den fragwürdigen Elming durch seine Agentin unausgesetzt beobachten lassen. Elming tat jedoch nichts, was irgendwie dafür gesprochen hätte, daß er ein Glücksritter sei. Er ging abends ins Theater, kam um ¼12 heim und legte sich zu Bett, wie die Agentin uns um ½12 meldete.

Um Mitternacht herrschte im ganzen Pensionat Totenstille.

 

5. Kapitel.

Die Gegenparteien.

Die Ereignisse dieser Nacht, sozusagen das Vorspiel für unsere späteren Wildnis-Abenteuer, überstürzten sich dann in einem wahren Galopptempo.

Harst hatte Tom und zwei Agenten Ogdens, die draußen in den Gartenbüschen steckten, genau instruiert. Sie sollten erst eingreifen, wenn wir ihnen ein Zeichen geben würden.

Wir wußten, daß in dem Pensionat noch drei andere reiche Schafzüchter wohnten, und wir rechneten damit, daß Elming-Münz entweder in dieser oder in einer der folgenden Nächte abermals versuchen würde, sein Betriebskapital zu erhöhen.

Im Flur des Seitenflügels nach der Tür zum Hotelvorraum hin stand unweit dieser Tür ein großer Kleiderschrank. Frau Pallimoor hatte ihn unauffällig entleert, so daß wir gegen einviertel eins bequem hineinschlüpfen konnten.

Zwei niedrige Hocker dienten uns hier als Sitze. Die Schranktür war zwei Finger breit offen.

Merkwürdigerweise brauchten wir gar nicht allzu lange zu warten.

Bereits kurz nach halb eins hörten wir an der Tür links von uns ein Geräusch.

Da durch das Flurfenster das Mondlicht einen Teil der Dielen und des Kokosläufers beschien, konnte man mit den bereits an das Dreivierteldunkel gewöhnten Augen durch die Spalte der Schranktür undeutlich erkennen, daß jemand an der Tür links die eine untere Füllung heraushob. Sie mußte nur ganz lose eingefügt gewesen sein.

Dann schob sich ein Mensch in schwarzem Trikot schlangengleich durch die schmale Öffnung.

Seltsam genug: der Mensch kam vom Hotelvorraum her! –

Ich begriff das nicht. Und auch Harald hauchte mir jetzt ins Ohr: „Eine Überraschung, und keine geringe!“

Die schlanke Gestalt, kaum sichtbar in dem praktischen Diebesanzug, huschte wie ein Schatten den Flur entlang bis zu Elmings Zimmertür. Der Mensch trug eine seidene schwarze Halbmaske und weiche Morgenschuhe. Selten habe ich so gewandte katzengleiche Bewegungen beobachtet wie bei diesem Burschen, der jetzt am Türschloß von Nr. 18 sich zu schaffen machte.

Dann – war er verschwunden …

Und wir – waren hinter ihm, waren nun gleichfalls an der Tür von Nr. 18, fanden sie nur angelehnt …

Und – hörten drinnen plötzlich einen leisen Aufschrei …

Stießen die Tür auf …

Unsere Lampen warfen zwei Lichtkegel auf den schlanken Mann im Trikot, der wie gebannt vor Elmings Bett stand und uns jetzt anstarrte wie Spukgestalten, der Hölle entstiegen …

Im Bett aber lag Elming – ebenfalls reglos …

Die Nachttischlampe brannte wieder …

Was – was bedeutete das alles?!

Da sagte Harald schon mit kalter Ironie:

„Sie haben mich wirklich einen Moment außer Fassung gebracht, Fräulein Alix Faulhuber. Nun bin ich um vieles klüger. – Nicht wahr, der Wachskopf dort im Bett, den Sie chloroformieren wollten, entlockte Ihnen den leisen Schrei?! Sie haben das Fläschchen und den Wattebausch noch in der Hand. Sie wollten Elming die Skizze abnehmen, die Sie in unseren Koffern nicht fanden.“

Da kam Leben in die schlanke Salzsäule.

Zu viel Leben …

Das Weib setzte alles auf eine Karte …

Mit einem Panthersatz war sie am Fenster, riß den einen Flügel auf, war draußen …

Harst sprang hinterdrein. Sein Pfiff machte die Büsche rauschen. Tom – die Agentin suchten das Weib einzukreisen. Die Jagd ging in die Tiefe des Gartens hinein …

Und – blieb erfolglos …

Die angebliche Alix Faulhuber entkam uns, tauchte in einem Nachbarpark unter.

Zu spät schickte Harald mich und den einen der Ogden-Leute nach dem Pensionat zurück. Der Mieter der Zimmer 5 und 6 im Vorderhause, der sich als Kaufmann Vanderdrost nebst Tochter aus Antwerpen ausgegeben, hatte sein Zimmer bereits verlassen, war nicht mehr zu finden. Seine Koffer – alles war noch da. Nur er selbst nicht mehr. Er war entwischt, hatte leider rechtzeitig Lunte gerochen … –

Wir durchsuchten dann auch Elmings Zimmer. Harst stellte fest, daß der Mann nie ein künstliches Bein gehabt hatte. In dem einen Koffer lagen Beinschienen und anderes, das den Betrug ermöglicht hatte.

Mehr noch fand Harst heraus: daß die Füllung der Außentür ebenfalls herausgeschnitten und wieder eingefügt war, daß Elming-Münz in dieser Nacht fraglos ebenfalls entflohen war, indem er seinen Weg durch das Loch der Füllung und dann im Schutz des gemauerten Treppengeländers bis zu den ersten Bäumen genommen hatte – unbemerkt von den Beobachtern in den Büschen. –

Und in einem Kofferversteck des angeblichen biederen buckligen Faulhuber wieder entdecke Harald die gestohlenen 10 000 Pfund, die das Gaunerpaar hatte preisgeben müssen.

Nicht Elming war der Dieb gewesen! Nein – die beiden Leute, die sich auf der Southerland uns als Vater und Tochter genähert, hatten hier gearbeitet!

Die Polizei wurde alarmiert. Es galt die drei Leute zu fangen, die sich an unsere Fersen geheftet hatten, die nun entkommen waren.

Nie werde ich des Kollegen Ogden ironisches Lächeln vergessen, als er uns am Morgen mitteilte, daß bisher alle Bemühungen seiner Leute und der Polizei umsonst gewesen.

Nie vergesse ich Haralds eisiges Gesicht, als er zu Ogden sagte:

„Ich gebe zu, daß ich mich … blamiert habe. Münz-Elming hat es verstanden, mich in Sicherheit zu wiegen, und mein Verdacht gegen die beiden Faulhuber schwand, als sie mit der Southerland scheinbar weiter nach Melbourne fuhren. In Wahrheit haben sie nach uns den Dampfer verlassen und sind dann hier als Vater und Tochter Vanderdrost abgestiegen. Immerhin: ich wußte schon gestern nacht, daß Münz-Elming in allerlei Verkleidungen sich in der Stadt umhertrieb – als Dame, Strolch, Chinese –, während hier in seinem Zimmer ein Wachskopf alle Welt täuschte.“

„Und – weshalb trieb er sich draußen herum?“ fragte Ogden gespannt.

„Ah – das sollten Sie doch wissen, Mr. Ogden. Es steht ja in den Zeitungen. Drei schwere Einbrüche sind in den Nächten verübt worden, in denen Münz-Elming verkleidet heimkehrte. Ich denke, diese Einbrüche in die Villen reicher Kaufherren kommen auf Elmings Konto.“

„Und – – nun, Mr. Harst?“

„Nun – – reise ich ab. Ich liebe Sydney nicht. Ich hoffe außerhalb Sydneys diese Scharte auszuwetzen.“ –

Um elf Uhr vormittags entführte uns der Zug gen Südwest – der australischen Wildnis entgegen.

In mir aber brannte eine einzige Frage wie peinvolles Feuer: Wer waren Faulhuber nebst Tochter?! – Es war die andere Gegenpartei, – gewiß! Woher kannten sie unsere Mission?! Woher kannten sie Karl Münz?!

Harald schlief in seiner Polsterecke.

Und im nächsten Wagen dritter Klasse saß Freund Jimmy Pastorias mit unserem Gepäck. Ich war allein mit meinen Gedanken …

Wer waren die Faulhuber – – wer?!

 

 

Auf Todeswegen.

 

1. Kapitel.

Das grüne Licht.

„Auf Todeswegen!!“ – Dieser Titel mag manchem sensationell und anspruchsvoll klingen. Aber – das ist nicht der Fall! Wer die Geschichte der Erforschung des fünften, kleinsten Erdteils kennt, wer die Namen derer herzählen kann, die kühn ins Innere Australiens eindrangen und entweder nie wieder gesehen oder aber halb verhungert und verschmachtet von Hilfsexpeditionen aufgefunden wurden, der wird es voll begreifen, daß ich für unsere Abenteuer in den öden Wildnissen Inneraustraliens gerade den Titel wählte. Auch der Leser wird dies begreifen, wenn er erst erfährt, was wir durchzumachen hatten, bevor wir das Rätsel des Verschwindens der beiden Gefährten Dr. Benno Gußfelders lösen und die beiden Ledersäcke …

Doch – ich will nichts vorwegnehmen! Alles der Reihe nach. Und – diese Reihe ist bunt genug … –

So rollte denn der Zug mit uns weiter und weiter – hinein in die unkultivierten Gebiete, an starren Gebirgsmassen, an elenden Goldgräberlagern, an zum Teil recht armseligen Stationen vorüber, – durch weite Strecken Buschland, wo nur Salzkräuter gediehen und helle Eukalyptusbäume ihre Triebe wie Skelettarme in die heiße Luft emporreckten … –

Harst holte den versäumten Nachtschlaf gründlich nach. Auch ich schlummerte schließlich ein. Meine letzten Gedanken galten der Frage, ob Zelestine Drepp sich wohl ebenfalls in Australien befinden mochte.

Wir hatten Fahrkarten bis Robba Tamps genommen, wo die Hauptstrecke nach Süden abbiegt. Von Robba Tamps wollten wir eine Privatbahn benutzen, die von den Schafzüchtern von Neu-Süd-Wales erbaut worden war. Um Mitternacht sollten wir in Robba Tamps sein. Harald weckte mich jedoch schon gegen neun Uhr abends.

„Wir steigen in zehn Minuten aus,“ erklärte er kurz. „Ich habe den Zugführer bestochen. Er wird an der Station Eskamak halten, wo wir bestimmt ein Auto geliehen bekommen.“ („Station“ nennt man in Australien die Farmgebäude der einzelnen Farmen, die alle weit verstreut liegen.)

„Es ist ja mit Bestimmtheit anzunehmen,“ fügte er hinzu, „daß einer der Gegenparteien sich mit im Zuge befindet. Diesen Spion müssen wir loswerden. Ich habe Jimmy bereits Bescheid[5] gesagt. Sobald der Zug hält, wirft er unser Gepäck hinaus und springt wie wir ab.“

Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen. Ich wurde rasch völlig munter.

Ich merkte, daß Harald seltsam erregt war. Er sprach hastig, und seine Stirn zeigte noch dieselben Falten wie vormittags nach der Unterredung mit dem Kollegen Ogden.

„Karl Münz, der Mann mit dem Jodoformgeruch, weiß ja doch den Weg zum Bullobaki-Salzsee,“ meinte ich, indem ich meine Reisetasche aus dem Gepäcknetz hob. „Auf einen Spion mehr oder weniger kommt es also wohl kaum an. Wäre es nicht richtiger, daß wir uns beeilen, vor Münz einen Vorsprung zu gewinnen?!“

„Tote gewinnen keinen Vorsprung, mein Alter.“

Das klang wie eine Warnung.

Ich schaute ihn an. „Du fürchtest, man könnte hier im Zuge uns zu ermorden versuchen?“ fragte ich schnell.

„Oh – man hat es versucht. Ich tue oft, als ob ich schliefe. Dreimal wollte jemand zu uns ins Abteil – dreimal, und stets ein anderer Kerl, wenigstens äußerlich. Leider erhaschte ich ihn nicht, falls es eben alle dreimal derselbe war. Jedenfalls: wir sind hier unseres Lebens nicht sicher.“

Plötzlich kreischten die Bremsen. Ein Ruck ging durch den Zug.

Harald ließ rasch das Fenster[6] vollends hinab. Draußen war es dunkle Nacht.

„Hinaus!“ befahl er.

Unsere Handtaschen flogen den Bahndamm abwärts. Ich kroch durch das Fenster, sprang – überschlug mich.

Harst landete glücklicher.

Der Zug rollte weiter …

Die Lichtreihen der Fenster beschienen uns hell – glitten an uns vorüber.

Dann – dann riß Harald mich plötzlich zur Seite – zu Boden …

Undeutlich hörte ich sechs Schüsse – sechs …

Da war der Zug schon vorbei.

Da brüllte Jimmy auch bereits aus der Finsternis uns zu:

„Die Schufte – die Schufte!! Sind Sie getroffen, Mr. Harten?“

Er kam herbeigelaufen, keuchte:

„Auf der Plattform des letzten Wagens stand ein Weib, Mr. Harten …“

Wir hatten uns wieder hochgerappelt. „Ich weiß,“ sagte Harald kurz. „Übrigens – wir heißen fortan Harst und Schraut, Jimmy. Haben Sie die Namen mal gelesen?“

Der brave Pastorias schnappte nach Luft. „Verdammt – verdammt, – – Harst und Schraut!!“ Er spuckte den Kautabaksaft im Bogen von sich. „Ob ich die Namen kenne! Oh, Mr. Harst, in den Goldgräberlagern erzählt man sich meist Mordgeschichten. Detektive sind bei uns beliebt. Das gibt Gesprächsstoff.“

Harald hob seine Handtasche auf. „Dort liegt die Station Jessorall. Der Besitzer soll ein Holländer sein. Ich werde hinübergehen. Ihr beide bleibt hier bei dem Gepäck.“

Harst verschwand. Jimmy und ich gingen und setzten uns auf die Koffer. Vor uns erhob sich der Bahndamm. Hinter uns in der Ferne glühten die Lichter der Station. Der Wind trug das Stampfen eines Windmotors herüber.

„Gott sei Dank,“ sagte Jimmy freudig. „Endlich wieder im australischen Busch! Die Städte soll der Teufel holen, Mr. Schraut. Man wird dort Verbrecher. Die Einsamkeit macht ehrlich.“

„Weil die Gelegenheit fehlt,“ lachte ich.

„Meinen Sie?! Gelegenheit?! Und die Straßenräuber hier?! – Oh, Sie kennen Australien nicht! Bedenken Sie, daß die Viehfarmen hier meist zehn deutsche Meilen auseinanderliegen, daß überall Digger den Boden durchwühlen …“

Er wollte noch mehr hinzufügen, legte mir jedoch die Hand auf den Arm, flüsterte …

„Da – rechts am Bahndamm – – ein Schatten … Ducken wir uns hinter die Koffer …“

Distelbüsche deckten uns außerdem noch.

Ich sah nichts – nichts. Aber Jimmy hatte schärfere Augen …

„Ein Mann – in Diggertracht,“ hauchte er. „Jetzt bleibt er stehen … kommt wieder näher. Wenn’s einer wäre, der ebenfalls vom Zuge abgesprungen ist …!!“

Nun hatte auch ich eine schattenhafte Gestalt bemerkt. Der Mann schlich tief gebückt dicht am Bahndamm hin.

Ich bemerkte fast gleichzeitig noch etwas: rechter Hand, etwa aus der Richtung der Farm, blitzte ein hellgrünes Licht auf, beschrieb einen Kreis, noch einen – einen dritten …

Ein Signal – ohne Frage. Für wen aber?!

„Er ist weg – kriecht zurück,“ flüsterte Jimmy. „Sahen Sie die grüne Laterne, Mr. Schraut? Ich glaube, …“

Anderes trug da der Nachtwind uns zu: zwei, drei dünne Knalle …

Der erste klang tiefer. Die beiden nächsten heller. Da hatte Harsts Clement gesprochen.

Die Angst trieb mich hoch.

„Man hat auf Harst geschossen,“ sagte ich überstürzt. „Warten Sie, ich will …“

„Mr. Schraut, – verdammt, sind Sie verrückt!“ platzte Jimmy heraus. „Sie allein in den Busch! In drei Minuten hätten Sie sich verirrt. Sie kennen die Tücke …“

Und abermals eine Unterbrechung …

Das grüne Licht tauchte auf, wurde im Bogen hin und her geschwungen.

Jetzt aber war es weiter nach Westen zu sichtbar …

Und – erlosch …

Jimmy langte in die Tasche seiner englisch-ledernen Beinkleider. „Ein Revolver kann hier nichts schaden, Mr. Schraut,“ meinte er leise. „Die Geschichte stinkt hier brenzlich. Um was handelt sich’s eigentlich?“

Jimmy wußte bisher nur, daß wir ins Innere wollten.

„Wir … wir suchen zwei verschollene Deutsche,“ erklärte ich widerwillig.

„Und – hinter Ihnen beiden wieder sind Leute her, nicht wahr? Besser, Sie weihen mich ein.“

„Das darf nur Harst, Jimmy. Aber – Feinde haben wir.“

„Gut, dann will ich einmal Mr. Harst nachschleichen. Lassen Sie sich nicht überrumpeln. Schießen Sie – am besten sofort. Die Kugeln sitzen hier locker.“

Er eilte davon.

Weiß Gott, mir war nicht behaglich zu Mute …!

Ich nahm die Clement, entsicherte sie. Und das kühle Metall in der heißen Hand war wie ein Beruhigungstrank. Wer nur neunmal zu drücken braucht, wer neun Schuß zur Verfügung hat, fühlt sich auch in finsterer Nacht Manns genug gegen alles.

Es geschah nichts mehr. – Nach einer halben Stunde Pferdegetrappel. Jimmy war es mit zwei schwarzen Viehhütern – hoch zu Roß. Auch ein Packpferd hatten sie mit.

„Der erste Tote,“ erklärte er gelassen. „Mr. Harst hat da einem Kerl eine Kugel durchs Hirn gepustet, Mr. Schraut.“ –

Zehn Minuten drauf stand ich im hellen Vorraum des Farmgebäudes.

Der Holländer Goovenloor hatte bereits die nächste Polizeistation antelephoniert. Ein Polizeisergeant und zwei schwarze Polizisten trafen um zehn Uhr auf schweißbedeckten Pferden ein. Harald gab zu Protokoll, daß er auf dem Wege zur Farm hinterrücks von zwei Männern überfallen worden sei. Den einen hatte er niedergeschossen.

Der Tote war gut gekleidet. In seinen Taschen fanden wir Papiere auf den Namen Jack Roller, Sydney, dazu etwas Geld, zwei Revolver und eine … kleine Laterne mit auswechselbaren Gläsern. Eines der Gläser war hellgrün.

Der Polizeisergeant behandelte uns sehr höflich. Die Sache war mit der Aufnahme des Protokolls erledigt. Um halb elf fuhr Goovenloors großes Tourenauto vor. Unser Gepäck wurde verstaut. Dann ging es den Buschweg entlang nach Osten zu. Die drei Polizisten gaben uns eine Meile das Geleit.

So begann die Reise ins Innere – mit einem Toten und dem grünen Licht.

 

2. Kapitel.

Die Retter.

Harald und ich saßen auf dem Rücksitz, Jimmy vorn neben dem Chauffeur, einem Mischling. Harst war noch ernster als vorhin, da er mich im Zuge geweckt hatte.

Erst als die Polizisten sich mit Dank für das reichliche Trinkgeld verabschiedet hatten, taute er etwas auf.

„Es ist ja nun klar,“ meinte er, „daß Karl Münz sich in Sydney nicht nur durch die Einbrüche Betriebskapital, sondern auch Helfershelfer besorgt hat. Weiß der Himmel, wie das alles endet. Münz ist nicht zu unterschätzen. Und dann noch dieses Gaunerpaar, das auf der Southerland so trefflich Professor nebst Tochter spielte!! Man merkt: es geht um Goldmillionen. Die Zunft der Schnapphähne ist unheimlich rührig.“

Weiter und weiter glitt der große Kraftwagen, zumeist in der Nähe der Bahnlinie auf leidlichen Wegen dahin, neben denen die Telegraphenleitung mit etwa zwölf Drähten im Winde ihr seltsames Harfenlied sang.

Wir hatten die Hände im Schoß und in den Händen die erprobten Neunschüssigen. Wir waren dem Monde dankbar, der außer den Scheinwerfern das Dunkel zerteilte.

„Ein paar von Münz’ Garde sind natürlich aus dem Zuge gesprungen,“ erklärte Harald wieder. „Das grüne Licht war ein Signal des Mannes, der mir entwischte, für die anderen.“

„Und die Frau auf der Plattform des letzten Wagens, die auf uns schoß?“

„Vielleicht die angebliche Alix Faulhuber. Vielleicht auch Zelestinchen Drepp.“ Er lachte plötzlich. „Lassen wir uns die Stimmung nicht verderben. Um zehn Uhr vormittags sind wir auf der Station Amsterdam, die einem Freunde Goovenloors gehört. Dort endet die Kultur. Von dort reiten wir weiter. Da mag Münz uns suchen!“

Die Nacht verging. Ich lernte so Australien vom Auto aus kennen. Einmal durchquerten wir einen Wüstenstrich, eine Steppe. Da sah ich den ersten Trupp Känguruhs hochgehen, sah die ersten Emus und Kasuare in Freiheit, diese straußähnlichen Riesenvögel. –

Die Station Amsterdam mit ihren langgestreckten Wellblechställen und dem schmucklosen Wohnhaus lag mitten in einer Waldlichtung unweit eines Baches, der jetzt aber infolge der Dürre nur noch trübe Pfützen enthielt.

Der Holländer Laaken empfing uns wortkarg und mürrisch. Als wir ihm erklärten, daß wir zu Forschungszwecken bis zum Bullobaki-Salzsee vordringen wollten, schüttelte er den Kopf.

„Das ist Selbstmord, meine Herren. Seit zwei Monaten hat es hier keinen Tropfen geregnet. Zehn Meilen westlich von meinem letzten Drahtzaun beginnt die australische Wüste. Wissen Sie, was das heißt?!“

„Wir müssen!“ sagte Harald kurz. „Verkaufen Sie uns drei Reitpferde und zwei Packpferde, Mr. Laaken, dazu Trinkwasserschläuche. Sättel und Zaumzeuge haben wir mit.“

Laaken nickte. „Gut, wie Sie wollen. Sie werden nicht zurückkehren … Schade um Sie!“

Beim Mittagessen lernten wir auch Laakens vier Aufseher kennen, darunter einen uralten, vertrockneten Dänen namens Jürgensen, der uns immer wieder mit seltsamen Blicken musterte.

Nach Tisch führte gerade er uns nach der Hürde, wo wir uns die Pferde selbst heraussuchen sollten. Es war ein glühend heißer Tag, und wenn ich daran dachte, daß jetzt daheim in Deutschland vielleicht Schnee lag, packte mich der Neid.

Auch Jimmy trollte natürlich mit. Die Pferdehürde war gut eine halbe Meile von der Farm entfernt. Schweigend stapften wir dahin – maulfaul, müde …

Der alte Jürgensen druckste und druckste, wollte reden, zerkaute das Wort im Munde, hüstelte und brummte etwas vor sich hin.

Da begann Harald.

„Sie haben irgend etwas auf dem Herzen, Mr. Jürgensen. Reden Sie!“

„Hm – was wollen Sie dort in der Wildnis?! Sie sind doch keine Naturforscher! Die sehen anders aus, Mr. Harten. Außerdem – der Bullobaki-See, den gibt’s nicht mehr. Der ist ausgetrocknet, schon im vorigen Frühjahr.“

„Woher wissen Sie das? Waren Sie dort?“

„Die Schwarzen haben’s erzählt, die mal gelegentlich hier zur Station kommen.“

„Wohnen dort in der Nähe Eingeborene?“

„Wohnen?! Nein. Die wandern umher. Aber – ein Farmer wohnt dort.“

Harst wurde ungeduldig. „Mann, Sie verschweigen uns etwas. Was ist’s mit dem See?“

Jürgensen zuckte die Achseln. „Die Schwarzen reden viel. Ich warne Sie aber. Nicht nur der Dürre wegen.“

Mehr war aus ihm nicht herauszuholen.

Die Hürde, mit Stacheldraht eingezäunt wie überall hier, war ein riesiges Gelände, umschloß einen Wald, Buschwerk und eine endlose Steppe. Von den Pferden war nichts zu sehen. Jürgensen öffnete das Gatter, ließ uns ein und schloß es hinter uns wieder. – Die Pferde würden im Walde auf einer Lichtung sein, meinte er, indem er nach links abbog. Die Tiere seien leicht einzufangen. Er brauche nur zu pfeifen, dann würden sie von selbst herbeikommen.

Als wir noch hundert Meter von den ersten Bäumen entfernt waren, rief Jimmy plötzlich, der ein Stück zurückgeblieben war:

„He – Achtung! Es sind Leute da vorn!“

Harald machte halt. Er hatte sein Fernglas mit, stellte es ein, sagte dann: „Ich sehe nichts, Jimmy.“

„Zwei Männer waren’s, Weiße, – bestimmt!“

Jürgensen brummte: „Unsinn! Wie sollten Weiße hierher …“

Das sollte auch des Alten letztes Wort gewesen sein. Er warf die Arme hoch, sank vornüber. Er hatte dicht vor Harald gestanden …

Und vom Walde her gleichzeitig der Knall eines Büchsenschusses …

„Hinwerfen!“ brüllte Jimmy und gab mir einen Stoß.

Abermals drei – vier Schüsse …

Wir hörten die Kugeln pfeifen. Wir lagen im gelbfahlen Grase, krochen rückwärts bis hinter ein Gestrüpp.

Jimmy fluchte. Harst drehte sich nach mir hin.

„Wir hätten unsere Winchester mitnehmen sollen, mein Alter. Wenn die Banditen uns hier auslöschen, sind wir …“

Jimmy hatte den Kopf gehoben …

Sofort abermals ein paar Schüsse …

„Bande – – Bande!“ schimpfte er.

Seitwärts im Grase lag regungslos die lange dürre Gestalt des alten Jürgensen.

„Wenn sie klug sind, knallen sie uns aus sicherer Entfernung nieder,“ sagte Harald in verbissener Wut. „Es ist natürlich Münz nebst Anhang. Wer sonst?! Sie sind uns also doch gefolgt. Vielleicht in einem Auto, das sie irgendwo gewaltsam entliehen haben.“

„Achtung!!“ brüllte Jimmy da. „Achtung – – sie kommen.“

Ja – sie kamen …

Sechs Reiter, wilde, verwegene Gestalten, sprengten unter den Bäumen hervor, breiteten sich fächerartig aus, wollten uns einkreisen.

„Das ist das Ende,“ meinte Harst leise. „Sie haben sämtlich Büchsen … Und …“

Da waren die beiden vordersten Kerle schon bis auf sechzig Schritt heran, parierten ihre Gäule, glitten aus dem Sattel …

Kerle, denen man es ansah, daß ihnen die Wildnis nichts Neues … Kerle, die sicherlich weiß Gott was alles auf dem Kerbholz hatten – mit Gesichtern, rotbraun wie Kupfer, mit wehenden Bärten, mit Pranken, die den Büchsenkolben wie im Schraubstock hielten …

Und – doch hatten sie sich verrechnet, was die Treffsicherheit unserer kleinen Clementpistolen anging, deren Nickelmantelgeschosse auch auf sechzig Schritt noch böse Löcher schlugen …

Ein Hohngelächter brach los, als Harald im Liegen anlegte, zielte …

Dann … feuerte er …

Das blecherne Peng Peng seiner Schüsse schien einen verstärkten Widerhall zu finden …

Der eine Buschklepper taumelte …

Und ich, der nach links auf die anderen vier gezielt hatte, sah zu meinem grenzenlosen Erstaunen, daß einer der anderen im Hechtsprung aus dem Sattel flog …

„Hallo – Hilfe!!“ jubelte Jimmy. „Da – sie kneifen aus …!“

Tatsächlich – auch der von Harald angeschrammte Bandit konnte noch in den Sattel, galoppierte als letzter davon …

Sekunden später hatte der Wald die Kerle verschluckt. Nur das Pferd des Erschossenen stand mit hängendem Kopf noch da. Es hatte sich mit dem einen Vorderfuß in die schleifenden Zügel verwickelt und war stehengeblieben …

Zwei Tote – ein Gaul, – das war alles, was wir noch sehen konnten.

„Verdammt – das waren doch zwei Büchsenschüsse kurz nach den Ihrigen, Mr. Harst,“ brummte Jimmy. „Begreifen Sie das?! Da hat doch jemand zu unseren Gunsten …“

„Allerdings – das war Hilfe im letzten Augenblick,“ meinte Harald tief Atem holend. „Ich hatte in Gedanken bereits mein Testament gemacht. Unsere Lage war aussichtslos. Wir wären hier abgetan worden – bestimmt!“

Gleich darauf kamen Farmer Laaken und zwei Aufseher dahergesprengt. Sie hatten die Knallerei gehört, da der Wind den Schall bis zu den Gebäuden getragen hatte.

Laaken ließ sich alles erzählen. Harald mußte jetzt notwendig damit herausrücken, daß wir Feinde auf den Fersen hätten – seit Sydney schon.

Laaken sah uns seltsam ernst an. „Daß Sie beide keine Gelehrten sein könnten, wußte ich längst, Mr. Harten. Wer sind Sie?“

„Privatdetektive, Mr. Laaken, – Harst und Schraut aus Berlin. Es ist besser, ich spiele hier mit offenen Karten.“

Der Holländer zog die buschigen Augenbrauen hoch. „Ah – Harald Harst …!!“ Er drückte uns fest die Hand. „Brav, daß Sie die Maske fallen lassen. – Kommen Sie …“

Viele Worte waren nicht seine Art.

Wir gingen zu Jürgensens Leiche. Die beiden Aufseher galoppierten dem Walde zu, damit wir nicht abermals hinterrücks beschossen würden.

Der arme Jürgensen war tot.

„Er wußte manches,“ sagte Laaken leise vor sich hin. „Er hatte irgendwas auf dem Gewissen. Vor neun Monaten etwa fand er sich hier bei mir ein, total abgerissen und mehr Strolch als Mensch. Ich behielt ihn, obwohl er mir zuweilen unheimlich war. Woher er den Weg zu mir gefunden, war nicht zu erfahren. Er schwieg beharrlich.“

Wir begaben uns zu dem toten Banditen. Auch er hatte einen Kopfschuß. Wir durchsuchten seine Taschen. Er trug Papiere bei sich auf den Namen Allan Drooping, Schafscherer von Beruf, war tadellos bewaffnet und hatte auch reichlich Geld mit.

Dann schritt Harald mit mir rasch nach Süden davon.

„Wir wollen nach den Spuren der Retter uns umsehen,“ rief er Laaken zu.

Er hatte die Richtung, aus der die rettenden Schüsse abgefeuert worden waren, tadellos herausgefunden. Hinter einem dichten Buschstreifen entdeckten wir die Fährten von drei Reitern. Dort, wo sie am Ende der Buschinsel gehalten hatten, lagen zwei Patronenhülsen, die noch nach Pulverschleim rochen.

„Ebenfalls Winchesterbüchsen,“ entschied Harald diesen Hülsen nach.

Die drei waren dann im Trab nach Süden davongeritten, hatten ein Gatter geöffnet und waren in einen Wald eingebogen.

Wir machten kehrt.

„Merkwürdig!“ sagte ich mit einiger Berechtigung. „Anscheinend sind doch wieder beide Gegenparteien hinter uns her, und die eine hat zu unseren Gunsten …“

„Das ist gar nicht merkwürdig, mein Alter,“ fiel Harald mir ins Wort. „Die Hauptsache: wir sind gewarnt! Sehr eindringlich sogar!“

Laaken, die Aufseher und Jimmy kamen uns entgegen.

„Fünf Kerle sind nach Westen zu entflohen,“ rief Laaken ärgerlich. „Entflohen auf meinen Pferden!! Das bleibt den Halunken nicht geschenkt. Ich begleite Sie, Mr. Harst. Meine Gäule muß ich wiederhaben!“

Harald schwieg. – Wir fingen dann für uns Pferde ein, luden die Leichen auf und kehrten nach der Farm zurück, wo die Toten sofort begraben wurden.

Nachmittags gegen sechs saßen wir mit Laakens beim Abendessen auf der großen Veranda. Harald forschte sowohl den Farmer als auch die Aufseher aus, ob sie etwas über den Bullobaki-See wüßten. Sie verneinten. Nur eins konnte Laaken bestimmt versichern: daß dort kein Weißer hauste! – „Wenn Jürgensen Ihnen das Gegenteil erzählt hat, ist das Unsinn. In der Einöde läßt sich niemand nieder. Nun – wir werden ja sehen! Morgen früh brechen wir auf.“

 

3. Kapitel.

Wie sie uns fingen.

Wir schliefen mit Jimmy auf unseren Wunsch unter einem offenen Schuppen. Unsere Pferde waren dicht daneben in einer kleinen Hürde untergebracht. Ich ahnte bereits, daß Harald auf die Begleitung Laakens keinerlei Wert legte. Er hatte ihm Pferde und Schläuche bereits bezahlt und auch die acht Wasserschläuche in den Schuppen getragen.

Als wir kaum eine Stunde auf dem Graslager unter den Decken geruht hatten, ging der Mond auf. Die hellen Mondnächte Australiens sind berühmt. Es war wirklich fast taghell. Da wir uns mit der Hundemeute Laakens am Tage angefreundet hatten, wurden die Tiere nicht laut, als Harald uns, Jimmy und mir, erklärte, wir würden sofort davonreiten, und als wir dann den Schuppen verließen, hatten wir lediglich schweifwedelnde Zuschauer bei den stillen Zurüstungen zum Aufbruch.

Wir führten die Pferde ins Freie, füllten an dem artesischen Brunnen, der köstlich kühles Wasser gab, die Schläuche, ließen die Gäule noch tüchtig saufen und trabten dann außerhalb der Stachelzäune nach Westen zu.

Die Wüstenei erreichten wir eine knappe Stunde später. Selbst die öden Eukalyptus-Wälder hörten nun auf. Nur noch Salzgräser, gelb wie dürres Stroh, und ebenso fahlgelbe Sträucher, die berüchtigten Skrupps, gediehen in der welligen, sandigen Steppe. Vereinzelt nur ragten die dicken plumpen Grasbäume mit ihren buschigen Schöpfen über die Skrupps hinaus. Woher sie dem dürren Boden die zum Fortbestehen nötige Feuchtigkeit entzogen, schien ein Rätsel.

Im Trab legten wir bis zum Morgengrauen weite Strecken zurück. Felsenberge schoben sich uns in den Weg, kahl, schwarz, unheimlich im Mondlicht mit den tiefen Schlagschatten.

Auf Gußfelders Skizze war ein einzelner Berg mit flacher Spitze als Wegmarke verzeichnet gewesen. Wir fanden ihn nicht. Als wir kurz vor Tagesanbruch von einem steinigen Hügel Ausschau hielten, sahen wir etwas anderes: rechts von uns schwang ein grünes Licht im Kreise!

Ein Signal also – ein Signal der Bande Münz, die jetzt noch fünf Köpfe stark war.

„Verdammt – da sind sie!“ brummte Jimmy. „Und – da links vor uns, Mr. Harst, – das ist die Antwort …!“

Es stimmte: ein zweites grünes Licht bewegte sich dort im Bogen, sandte seine Strahlen durch die milchige Dämmerung – verschwand …

Dann nichts als die Sterne, der Mond, die tote Wildnis. Kein Zeichen von Leben ringsum.

„Weiter!“ befahl Harald. –

Und weiter ging’s nach Westen.

Der Tag zog herauf. Die Sonne kam, und mit dem blendenden Tageslicht auch das Gefühl der furchtbaren Einsamkeit inmitten dieser Einöde.

Mittags erst lagerten wir. So fleißig wir auch die Ferngläser benutzt hatten: von den Gegenparteien war nichts zu erspähen, nichts.

Eine hohe Felsgruppe bot uns einen guten Lagerplatz. Mit dem Wasser gingen wir äußerst sparsam um. Dann übernahm Harald nach der Mahlzeit die erste Wache. Jimmy und ich schliefen wie die Toten.

Drei Uhr war’s, als Harst mich weckte.

„Komm’, sieh’,“ sagte er nur.

Wir traten auf die Kuppe des nahen Hügels. – Rechts, nach Norden zu, schwebten acht Aasgeier über einer Skruppinsel.

„Ich denke, der Verwundete wird gestorben sein,“ meinte Harald ernst. „Ich werde hinüberreiten. Sei ohne Sorge. Ich bin vorsichtig.“

Und doch begleitete ich ihn. Ich bestand darauf. – Jimmy wurde ebenfalls geweckt. „Sie schießen auf jeden, der sich nähert,“ befahl Harald ihm.

Unsere Pferde waren frisch. In zehn Minuten hatten wir die Büsche erreicht. Die Aasgeier stiegen höher. Und gerade dort, wo sie ihre Kreise zogen, fanden wir ein frisches Grab, gruben mit den Händen das Gesicht des Toten frei. Es war der Buschklepper, den Harald angeschweißt hatte.

Die Fährten ringsum redeten ihre besondere Sprache. Nur drei Mann hatten der Leiche hier das Sandloch geschaufelt. Nur drei. Und die drei waren von Osten gekommen und nach Norden weiter geritten. Drei Mann, aber vier Pferde …

Wo waren die beiden anderen der fünf? Beobachteten sie etwa den Trupp der „Retter“?! Und – waren dies Faulhuber, Tochter und ein noch unbekannter Dritter?!

Ich fragte Harald. Er nickte nur. Er kletterte auf einen uralten Grasbaum, aus dessen merkwürdiger Krone sich kreischend ein prächtiger Helmkakadu erhob, der hier sein Nest hatte.

Kaum hatte Harst sich oben aufgerichtet, als auch schon von Süden her der schwache Knall von vier – fünf Schüssen herüberwehte …

Harst sprang herab, war mit einem Satz im Sattel …

Jagte davon, daß ich kaum folgen konnte …

Und doch kamen wir zu spät …

Fanden Jimmy nicht mehr vor – fanden nichts mehr – keines der Packpferde, keinen der Wasserschläuche …

Nichts … nichts …

Sahen auch nichts von den Leuten, die Jimmy überfallen hatten …

Nur Fährten von fünf Reitern, die von Süden aus einer Schlucht gekommen waren und die getrennt in den Skrupps sich wieder davongemacht hatten, zu zweien und dreien. Und die drei hatte die Packpferde mitgenommen, den Proviant …

Im Galopp sofort hinterdrein …

Hier ging’s ums Leben. Ohne Wasser, ohne Konserven, ohne unseren Teekocher waren wir verloren …

Im Galopp bei glühendster Hitze – bis in eine jener Salzniederungen hinein, deren Sumpfwasser so natronhaltig ist, daß es an den Rändern der Tümpel weiße Kristalle absetzt, daß der Boden streckenweise hart wie Granit ist.

Pestilenzialische Düfte faulender Pflanzen umwehten uns hier. Bald wieder rotgelber Sand, Steine, Felsen, Hügel …

Und – keine Spur mehr zu erkennen. Ein indianischer Fährtensucher hätte hier versagt.

Unsere Pferde waren mit Schaumflocken betupft. Wir stiegen ab. Die Felsmassen strahlten Glutwellen aus. Zu Fuß suchten wir nach den Fährten – eine Stunde …

Fanden auch nicht ein einziges zermalmtes Steinchen, nicht einen zerdrückten Grasbüschel.

Fanden dann in einem Tale einen unserer Wasserschläuche, dessen Riemen sich gelöst haben mußten. Er war noch prall gefüllt …

„Zuerst die Pferde!“ befahl Harald.

Seine Decke mußte einen Trog ersetzen. Die Tiere soffen mit Gier. Wir Menschen begnügten uns jeder mit zwei Bechern. Da war der Schlauch zur Hälfte leer.

Um uns her die wahnsinnigen Hitzewellen der steinigen Wildnis. Am Himmel kein Wölkchen …

So saßen wir im Schatten einer Felswand, stumm, verzweifelt, Mut heuchelnd …

Mit hängenden Köpfen standen die Tiere.

Die Banditen weiter zu verfolgen, war unmöglich.

Ich fühlte, wie eine unnatürlich wohlige Müdigkeit mich überkam – ganz allmählich.

Ich gähnte, lächelte blöde, stütze mich gegen das Gestein.

Harald hatte den Kopf gedreht, schaute mich an …

„Wir müssen umkehren,“ sagte er …

Mir fielen die Augenlider zu.

„Natürlich – umkehren!“ murmelte ich. Und dachte an Laakens artesischen Brunnen mit dem kühlen Naß, an Laakens dicke Gattin und die gebratenen Hammelrippchen von gestern abend …

Das lag alles wie ein unfaßbarer Traum hinter mir …

Und – so schlief ich ein …

Fühlte, daß Harald mich rüttelte. Wurde grob vor Müdigkeit …

Raffte mich auf …

Er brüllte mir zu:

„Die – die Schufte …!! Weißt Du, was in dem Wasser des Schlauches …“

Mehr hörte ich nicht …

Hörte erst nach Stunden das Wiehern eines Pferdes, wurde munter …

Und – – fand mich auf meinem Gaul festgebunden, ritt als … Gefangener – neben Harald – zwischen Faulhuber, Tochter und … Zelestine Drepp …

 

4. Kapitel.

Der Sandsturm.

Zelestine Drepp!!

Nichts hätte mich so schnell munter machen können wie der Anblick dieses blonden schlanken Burschen, der da in einem praktischen Sportanzug mit Kniehosen, Wickelgamaschen und derben Schuhen mit nachlässiger Sicherheit im Sattel saß, das blonde Haar kurz verschnitten, das Gesicht bereits gebräunt von der australischen Sonne.

Schick sah sie in diesem Aufzuge aus, die große Hochstaplerin Zelestine, – schick und unternehmungslustig. Die Sportjacke mit den aufgenähten Taschen wölbte sich verführerisch über der üppigen Büste, und die dunklen Augen des jungen Weibes blitzten mich halb ironisch, halb belustigt an.

„’n Tag, Herr Schraut,“ sagte sie leichthin und drängte ihren Braunen näher an meinen derbknochigen Fuchs. „’n Tag auch, verehrter Freund … Wie fühlen Sie sich?“

Mein nächster Blick hatte Harald gegolten.

Er war bereits munter und meinte nun, bevor ich noch zu einer Antwort kam:

„Gestatte, daß ich Dich mit Herrn Felix Drepp und seinen[7] Töchtern Zelestine und Alix bekannt mache, lieber Alter. Wir haben uns bereits über mancherlei unterhalten, konnten jedoch bisher keine Einigung erzielen. Herr Drepp will uns freigeben, wenn wir ihm die Hälfte des Goldes abtreten, – falls wir es finden. Zelestine kennt unsere Mission durch Karl Münz, den sie noch in Berlin sprach und dem sie weismachte, sie würde dort auch bleiben.“

In Haralds Worten lag so viel kühle Überlegenheit, daß Felix Drepp, der übrigens ebenso praktisch kostümiert war und ebenso tadellos zu Pferde saß, ärgerlich rief:

„Sie scheinen Ihre Lage noch immer unrichtig einzuschätzen, Herr Harst. Wenn wir auch alles andere als Mörder sind, so dürfen Sie doch keineswegs …“

„Oh, was Sie sind, haben Sie mir ja bereits anvertraut, Herr Drepp,“ fiel Harald ihm ins Wort. „Sie waren Besitzer eines kleinen Wanderzirkus, der infolge der Ungunst der Zeiten Pleite ging. Nun sind Sie und Ihre Töchter von der schmalen Bahn der Tugend abgerutscht und geben sich die redlichste Mühe, mit der australischen Hinrichtungsart des Aufknüpfens Bekanntschaft zu machen oder aber hier in der Einöde auf noch bösere Art umzukommen. Ich wiederhole: ich weigere mich, Ihnen als Führer zu dienen. Dies ist mein letztes Wort.“

Drepp, der etwa fünfzig Jahre alt sein mochte und jetzt straff und stramm auf seinem Gaul hockte, zuckte die Achseln.

„An den See wird Karl Münz uns führen, Herr Harst. Im übrigen – Sie werden bescheidener werden.“

Damit endete die Unterhaltung vorläufig.

Die Sonne stand schräg über uns. Es mochte etwa drei Uhr nachmittags sein. Wir ritten durch Buschwälder immer nach Westen zu, durch weite Lichtungen, durch Hitzewellen, die in der stillen Luft flimmerten wie die Wärmeausscheidungen über einem Dampferschlot.

Zelestine hatte uns im Galopp verlassen. Es war eine Freude, sie reiten zu sehen. Wie ein Cowboy fegte sie dahin, die Büchse über dem Sattel.

Felix Drepp gab uns nach einer Weile zu trinken. Auch die Pferde erhielten ihr Teil. Ich sah, daß es mit den Wasservorräten des Trupps nicht zubest bestellt war.

Harald hing lässig im Sattel. Zuweilen machte er mich auf dies und jenes aufmerksam: auf Kasuare, auf ein Baumkänguruh, auf einen Schwarm Nestorpapageien.

Dann hörten die Skrupps auf, und wir bogen in eine flache Sandwüste ein.

„Herr Drepp, ich warne Sie,“ sagte Harald plötzlich. „Sie reiten falsch. Nehmen Sie doch Vernunft an.“

Von rechts her tauchte Zelestine auf. Sie hatte noch ein Fernglas in der Hand, parierte ihren Braunen dicht vor uns und meldete kurz:

„Der andere Pulk (kleiner Reitertrupp – also war Münz’ Bande gemeint) ist dort vor uns.“ Sie deutete nach Nordwest.

„Gut,“ nickte Drepp. „Münz hat die Skizze. Mich bluffen Sie nicht, Herr Harst.“

Im Schritt weiter – weiter …

Ringsum war die Horizontlinie sehr bald nichts als fahler Sand – feiner, gelblicher Sand, weich wie Staub, in dem die Pferde mühsam dahinkeuchten.

Harald war gänzlich verstummt.

Die Hitze wirkte erschlaffend, entnervend. Wie im Traum saß ich zusammengesunken im Sattel, die Augen halb geschlossen. Der Schweiß lief mir unter der Hutkrempe hervor die Nase entlang, tropfte herab. Die ausgedörrten Lippen brannten. Ich hüstelte immer wieder. Die Kehle war mir wie mit Salz eingerieben.

Wieder warnte Harald da: „Herr Drepp, Münz hat Wegmarken der Skizze unbedingt falsch gedeutet. Niemals dürften wir diese Sandwüste passieren. Wir sind viel zu weit nach Norden gekommen.“

Drepp brummte etwas vor sich hin.

Zwei – drei Stunden vergingen. Die Gäule streikten, blieben stehen. Drepp gab ihnen zu saufen. Er hatte noch drei volle Schläuche mit – nur noch drei!!

Die Sonne sank. Vor uns ein paar zerklüftete Hügel, niedrig, nur wie eine Bodenwelle, – nacktes Gestein, schwarzgrau, betupft mit gelblichen Sandwehen.

Da war ein steiniges Tal. Da lagerten wir. Zelestine half, uns die Füße zusammenzubinden. Wir saßen, gegen Steine gelehnt. – Harst aß mit gutem Appetit die Konserven, den Zwieback. Die Pferde hatten sich niedergetan, atmeten keuchend mit klebrigen Augen.

Drepp teilte das Wasser des einen Schlauches. Für uns fiel nur je ein Becher ab. – Die Dämmerung kam. Wind erhob sich, wurde in kurzem zum Orkan, der die Sandmassen in Bewegung setzte. Die Hügel waren eingehüllt wie in feinkörnige Nebelschwaden. Und diese Sandwolken wurden dichter und dichter, bis man keine drei Schritt mehr sehen konnte. Eines der berüchtigten australischen Gewitter brach los – ohne einen Tropfen Regen, mit einer Kanonade des Himmels, daß die Erde bebte …

Die drei Drepps hatten eine Wolldecke vor eine Felsspalte gespannt, in der wir nun eng nebeneinander hockten. Von den Pferden war nichts mehr zu sehen. Wir hörten sie nur ängstlich schnauben und sich schütteln. Wir sahen einander nur, wenn die Blitze in ganzen Bündeln über das Firmament flammend hinschossen.

Und – ahnten nicht, was Harald trieb, zwei der Drepps und ich.

Harald war die Fesseln längst los, war Herr der Lage. Wartete nur, daß seine Zeit kam.

Flüsterte mir, seinen Mund dicht an meinem Ohr, während eines betäubenden Donnerschlages zu: „Alix hat mir ihr Jagdmesser zugesteckt. Sie scheint zu ahnen, daß die Sache schief geht.“

Dann fühlte ich das Messer an den dünnen Hanfstricken. Dann war auch ich frei.

Die fünf Winchesterbüchsen lehnten neben uns, geladen, gesichert.

Wieder eine Blitzgarbe – wieder wahnwitzige Orkanstöße und neue Sandmassen …

Die Wolldecke hielt nicht stand, flatterte, sank herab, streute Staub über uns armselige Menschlein, – Staub, der in den Augen brannte, da er vermischt war mit den Natronausscheidungen der Salzwüste.

Harald riß mich empor …

Ich stolperte blindlings hinaus in das Unwetter, rannte gegen eins der Pferde …

Wir nahmen die Gäule mit, auch die fünf Winchester, fanden tappend ein Seitental, das günstiger lag, über das die Windsbraut hinwegfegte. –

Mitternacht …

Da hörte der Orkan jäh auf. Ruhe trat ein. Das Gewölk verschwand. Fahles Mondlicht übergoß die Einöde. Berge von Sand überall, spitze Schanzen, flache Sandwehen. Wir suchten die Drepps. Fanden sie in dem anderen Tale, ratlos, mutlos, preisgegeben unseren Wünschen.

Unter dem Zwange der Büchsenläufe händigten sie uns ihre Revolver, unsere Pistolen aus. Alix, die Verständige, mahnte zu gütlichem Ausgleich.

Felix Drepp begriff, daß er nach diesem Sandsturm die Fährten des anderen Trupps nie mehr finden würde. Was die Goldgier in seiner schwachen Seele heraufbeschworen, zerflatterte vor der Angst um das Leben, vor der Angst um ein elendes Ende. –

Morgens gegen sechs Uhr brachen wir auf – Richtung Süd, wie Harald es wollte. Zelestine und ihr Vater ritten mit uns, vielleicht geläutert für immer durch diese Stunden des Schreckens, wo wir ihnen mit den Waffen und Pferden auch den Proviant und das Wasser genommen, wo sie gefürchtet hatten, in der australischen Einöde verschmachten zu müssen.

 

5. Kapitel.

Die Verschollenen.

Mittags der letzte Wasserschlauch …

Gerade genug, den Pferden für ein paar Stunden ein mühsames Waten durch knietiefen Sand zu ermöglichen.

Mittags auch im Süden die Umrisse eines Höhenzuges am Horizont. Und gegen fünf Uhr der erste Salztümpel mit weißen Rändern, die ersten Spuren einer kläglichen Vegetation. Dann Berge, Schluchten, – und wir fünf zu Fuß, die Pferde am Zügel führend, stolpernd, keuchend, – bis unter uns in der Ferne ein seltsames Bild unsere Lebensgeister weckte: der … ausgetrocknete Bullobaki-See, eine endlose hellschimmernde Fläche, wie eine mit Salzkristallen bestreute Ebene, von Büschen, Hügeln, Wäldern umgeben.

Inmitten dieser weißen weiten Tenne aber doch noch … Wasser, – ein Wasserring, der eine Insel einschloß, eine große Insel, fahlgrün durch den Baumbestand, mit schwarzen Flecken: Granitmassen!

Noch mehr sahen wir: in der Tiefe am Rande des einstigen Sees ein kleines Blockhaus …!

Am Ziel also – am Ziel!! Und doch – Todgeweihte nur hatten das Ziel erreicht, fünf Menschen, denen die Zunge dick und heiß im Munde lag, deren Augen wie Feuer brannten.

Alix Drepp begann plötzlich zu weinen.

Ihr Vater blickte uns scheu an.

Harst schritt weiter. Der Abstieg ging rascher. Die Pferde wurden munterer.

Dann die Blockhütte – verfallen, unwohnlich, und doch wenigstens ein Unterschlupf.

„Bleiben Sie drei hier,“ befahl Harald, und jedes Wort kostete ihn Mühe. „Schraut und ich werden nach Wasser suchen. Das Wasser des Sees ist nicht trinkbar. Gußfelder sprach von einer Quelle weiter südlich.“

Wir beide nahmen drei Schläuche mit, schritten in den Wald hinein. Eines der Pferde, das noch am frischesten, führten wir mit uns. Das Tier mit seiner feinen Witterung half uns suchen, leitete uns erst nach Süden, dann nach Osten, – bis das Unterholz grüner wurde, bis Gräser und Blumen die nahe Feuchtigkeit verrieten.

Die Quelle war gefunden. Aus Geröllmassen kam ein dünnes Rinnsal hervor. Gewiß – auch dieses Wasser schmeckte bitter – salzig, aber es war genießbar. Der Gaul soff – – soff. Und wir füllten die Aluminiumbecher immer wieder, wir erwachten zu neuem Leben. – Mit den prallen, rundlichen Schläuchen kehrten wir zur Hütte zurück.

Auch die drei Drepps lebten auf. Wir kochten Tee, aßen, holten nochmals Wasser.

Harald sah sich nach dem großen flachen Stein um, unter dem die Goldsäcke liegen sollten. Der Stein war da. Und darunter eine Vertiefung – ein leeres Loch – ein leeres … –

Der Abend brach an. Wir saßen in der Hütte auf der Erde um das kleine Feuer. Harst sprach nicht viel. Die Drepps waren niedergeschlagen, schuldbewußt, besorgt um das, was werden würde, wenn wir in die Ansiedlungen zurückkamen.

Harald rauchte seine Zigaretten mit den Bewegungen eines Automaten.

Und erklärte dann unvermittelt: „Sie haben uns auf Laakens Farm das Leben gerettet, Herr Drepp, freilich nur, um uns später … ausnutzen zu können. Immerhin: ohne ihr Eingreifen damals vor fünf Tagen in der Pferdehürde hätten Münz’ Gesellen uns niedergeknallt. Ich will Sie drei daher schonen. Beginnen Sie ein neues Leben, Felix Drepp! Ihr erster Versuch, auf leichte Art Reichtümer zu erwerben, ist kläglich gescheitert. Es ist nicht so ganz einfach, wie die meisten denken, ein großer Verbrecher zu werden.“ Und nach kurzer Pause fügte er hinzu, um den Dankesworten der Drepps zuvorzukommen: „Das rätselhafte Verschwinden der Gefährten Gußfelders ist jetzt kein Geheimnis mehr. Meine Vermutung fand ich hier bestätigt. Die beiden haben Gußfelder absichtlich verlassen, weil sie eben eine noch reichere Goldader entdeckt hatten, haben sich vor ihm verborgen und hausen noch jetzt drüben auf der Insel. Von der Bergkuppe aus bemerkte ich vor unserem Abstieg zum Seeufer mit meinem Glase auf der Insel zwei Männer, ohne Zweifel Europäer. Schraut und ich werden daher …“

Zelestine war plötzlich hochgefahren. Sie hatte so gesessen, daß sie durch die Türöffnung den ausgetrockneten See und das flache Eiland bei Tageslicht hätte überblicken können.

„Ein grünes Licht!“ rief sie atemlos. „Dort – dort – ganz weit … Es bewegt sich, beschreibt Kreise und Bogen. Es muß auf der Insel …“

„Schraut – vorwärts!!“ Und Harald drückte mir schon die eine Winchester in die Hand. „Das grüne Licht, – – vielleicht Karl Münz …! Vielleicht auch der treue Jimmy – noch lebend! Vorwärts! Herr Drepp, Sie bleiben hier! Und – – Vorsicht! Lassen Sie sich nicht überrumpeln!“

Wir beide liefen – liefen wie gehetzt – über die schwankende, glitzernde Decke des Salzmoors, das der See jetzt zum größten Teil bildete …

Das grüne Licht wies uns den Weg …

Noch war der Mond nicht erschienen. In dieser Finsternis wirkte der ferne grüne Strahl wie das Winken eines düsteren nächtlichen Geheimnisses …

Wir kamen an den Rand des Wasserringes, der die Insel noch in einer Breite von vielleicht fünfzig Meter umgab. Wie eine dunkle gewaltige Masse lag die bewaldete Insel mit ihren Granithügeln dort vor uns. Noch immer wurde die grüne Laterne hin und her geschwungen, als ob sie hoch in den Wipfeln der Bäume an einer Leine pendelte …

Harald tappte vorsichtig ins Wasser. Der Grund war steinig. Wir wateten hindurch. Bis unter die Arme reichte uns die laue Flut …

Der halbe Weg, – – dann von drüben ein tierisches Wutgebrüll – ein Gebrüll aus Menschenkehlen …

Aus der Finsternis kam’s – aus dem Nichts …

Kam zu uns, trieb uns Eisesschauer über den Leib.

So furchtbar klang’s …! – Menschliche Laute, und doch nichts Menschliches …

Schüsse jetzt … zwei …

Da war das grüne Licht jäh verschwunden.

Endlich das Ufer …

Hinauf in ein paar Sprüngen …

Milder Goldglanz plötzlich – eine sanfte Beleuchtung des Dramas, das sich hier abspielte. Der Mond war emporgestiegen.

Harst fünf Schritt voraus – ich ohne Atem hinterdrein …

Eine Lichtung – ein einzelner zerrissener Felswürfel, und davor zwei Männer – – wie die Urwaldmenschen, in Fellanzügen, mit wüsten Bärten …

Von oben eine Stimme, die Jimmys:

„Master Harst – um Gottes willen, … zwei Wahnsinnige, die …“

Der eine hatte uns erspäht – – schoß …

Lachte gellend …

Das Lachen eines Irren … –

Wir hatten uns hinter einen Busch gedrückt. – Der zweite feuerte. Zischend fuhr die Kugel durch die Blätter. Und abermals dasselbe tierische Gebrüll, … Worte, kaum verständlich …

„Gold – unser Gold – –!! Sucht es – – sucht es!! Unser – – Gold …!!“

Die beiden verschwanden, flohen. – Wir hinterdrein – bis ans Nordufer. Da hatten sie schon den Rindenkahn flottgemacht, stießen ab, geiferten uns wahnwitzige Verwünschungen zu. Flohen weiter – hinein in die Wüste, in die schauerliche Sandöde, die auch Münz und seine Buschklepper verschlungen, wie Jimmy uns später erzählte. Er allein war dem Sandsturm entgangen. Er war nachmittags schon auf die Insel gelangt, war dann von Karnay und Loof, deren Sinne die Einsamkeit und die Goldgier längst verwirrt hatte, auf dem Felswürfel belagert worden.

Das war’s also, was der alte Jürgensen gewußt hatte: daß hier zwei Irre hausten, die ihre Schätze verteidigten! – Das war’s! – –

Wir haben dann das Gold ebensowenig gefunden wie die beiden wahnsinnigen Digger. Man hat von ihnen nichts – nichts mehr gehört. Harald und ich können dies mit gutem Recht behaupten, denn die drei Drepps und Jimmy sind damals auf der Insel geblieben, um an der Goldfundstelle in einem Tale des großen Eilandes Nachlese zu halten, sind nach sieben Monaten in die Ansiedlungen zurückgekehrt und hatten gerade genug von dem edlen, elenden Metall mühsam herausgewaschen, um sich Farmland kaufen zu können, leben noch jetzt als strebsame Schafzüchter als Nachbarn des Holländers Laaken in Neu-Süd-Wales, in Australien, schreiben zuweilen sehr ausführliche, zufriedene Briefe. –

Wir beide aber ritten damals nach fünf am Bullobaki-See verbrachten Tagen ostwärts – nach Laakens gastlichem Hause. Die Eisenbahnfahrt gen Sydney gab Harald dann unerwartet Gelegenheit, als Detektiv sein Meisterstück in allerfeinster Gedankenarbeit abzulegen. Der Leser lernt’s im nächsten Bande kennen. Bis dahin – – Geduld! Und – auf Wiedersehen! – –

 

Nächster Band:

Das Känguruh der Miß Dolling.

 

 

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Anmerkungen:

  1. Anspielung auf die Spanische Grippe, die von 1918 – 1920 wütete. Siehe auch Wikipedia: Spanische Grippe.
  2. In der Vorlage steht: „festmchte“.
  3. In der Vorlage steht: „Ladekrähnen“.
  4. In der Vorlage steht: „Krahnketten“.
  5. In der Vorlage steht: „Besched“.
  6. In der Vorlage steht: „Fenstr“.
  7. In der Vorlage steht: „sein“.