Der Detektiv
Kriminalerzählungen
von
Walther Kabel.
Band 115:
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44
Nachdruck verboten. Alle Rechte einschließlich Verfilmungsrecht vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1924.
Druck: Buchdruckerei P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.
Wenn ich den schönen Leserinnen und dem geneigten Leser versprochen hatte, noch einiges über die heilige Säule Muhammeds, den Tasch el Muhammed, zu berichten, die ja im letzten Band eine gewisse Rolle spielt, so muß ich zunächst doch, um die Reihenfolge unserer Abenteuer nicht zu unterbrechen, ein anderes Erlebnis hier einfügen, das mir doch wichtig und seltsam genug erscheint, um es hier mit all den merkwürdigen Einzelheiten zu schildern.
Wir waren also nach unserem Ritt in die Wüsteneien Südarabiens Ende Juni 1923 nach dem englischen Hafen Aden, am Ostausgang des Roten Meeres gelegen, zurückgekehrt. Harald Harsts Laune hatte in jenen Tagen den Gefrierpunkt erreicht. Er litt nämlich an jenem bösen Übel, das man im Orient Aleppobeule nennt und das in einem beulenartigen Geschwür auf der – Nase besteht.
Zur Verschönerung trägt eine solche Aleppobeule keineswegs in hervorragendem Maße bei. Im Gegenteil!
Harst sah denn auch etwas entstellt aus. Da war’s weiter kein Wunder, daß er eine Dame, die sich im Hotel d’Angleterre in Aden mittags am 22. Juni bei uns melden ließ, kurzerhand durch den Kellner wieder wegschickte.
Der Kellner verschwand zögernd.
Ich lehnte am Fenster und drehte die Karte der Dame mißmutig zwischen den Fingern hin und her. – Eine Lady Maria Cornawoor weist man doch nicht so ohne weiteres ab, dachte ich. Man kann doch nie wissen, ob ihr Anliegen nicht wirklich dringend ist, zumal auf der Rückseite der Karte mit Bleistift in englischer Sprache zu lesen war:
Mr. Harst, helfen Sie mir! Es eilt!!
Harald hatte mich vom Diwan aus, wo er seine Aleppobeule liebevoll mit heißen Umschlägen behandelte, offenbar beobachtet.
„Dein Gesicht mißbilligt diese Abweisung der alten verrückten Cornawoor,“ meinte er plötzlich. „Lieber Alter, es ist besser, man hat nie etwas mit der Cornawoor zu tun. Bei ihr findest Du den englischen Spleen in Reinkultur.“
„So?! Und wie äußert sich der? – Übrigens – woher bist Du so genau über diese Dame unterrichtet?“
„Mein Gedächtnis ist leidlich. Die Cornawoor hat bereits sechsmal vor Gericht gestanden, weil sie sechs Leute erschossen hat. Das ging durch alle Zeitungen. Besinne Dich nur: in den letzten zwei Jahren – – und sechs Männer!!“
„Ah – jetzt glaube ich mich an diese Strafprozesse zu erinnern. Diebe waren’s, die sie niederknallte. Und jedesmal wurde sie freigesprochen.“
„Allerdings. Und dazu kommt, daß …“
Pause … Unterbrechung: die Tür war aufgeflogen …
Der Kellner trat ein, hinter ihm eine hagere, grau gekleidete Dame mit schlohweißem Haar – so eine Art Mannweib …
Und – – in der erhobenen Rechten hielt sie einen Revolver von ansehnlicher Größe …
Bedrohte damit den armen, schlotternden Kellner, der nun mit schlackerndem Unterkiefer meldete:
„Mister Harst, Lady Cornawoor wünscht Sie zu sprechen.“
Die Lady ließ die Waffe sinken.
„Scher’ Dich hinaus!“ fauchte sie den Ärmsten an, der denn auch blitzschnell verduftete.
Dann wandte sie sich an Harst, nachdem sie die Tür verriegelt hatte …
„Mr. Harst, meine Angelegenheit ist zu dringend, als daß ich unverrichteter Sache meine Jacht wieder aufgesucht hätte …“
Sie schlug den grauen Schleier ihres breitrandigen Strohhutes hoch und zeigte uns ein tief gebräuntes, von unzähligen Falten durchfurchtes, abschreckend mageres Vogelgesicht mit ein Paar jugendlich-lebhaften Augen.
Harst blieb ruhig liegen …
„Wenn Sie nun schon einmal da sind, Mylady, nehmen Sie auch Platz,“ sagte er kühl und wechselte den Breiumschlag. „Das dort ist mein Freund Max Schraut, Mylady,“ fügte er ebenso kühl hinzu.
Ich verbeugte mich …
Lady Cornawoor nickte mir kurz zu …
„Kenne Sie vom Hörensagen, Mr. Schraut …“
Dann zog sie einen Korbsessel neben den Diwan und setzte sich, wobei unter dem fußfreien Sportrock ein Paar Riesenfüße in gelben hohen Schnürschuhen noch deutlicher ihre unglaublichen Abmessungen zur Schau stellten. –
Sie setzte sich also, schob den Revolver in den an Ihrem linken Arm hängenden Seidenbeutel, der schon den Namen Rucksack verdiente, und holte aus demselben Beutel eine – Zigarrentasche aus Krokodilleder hervor.
„Ich rauche nur Sumatra …“ meinte sie gleichmütig.
Nachdem sie der grünbraunen Nikotinnudel die Spitze mit den fraglos noch echten Zähnen abgebissen hatte, reichte ich ihr Feuer.
Sie rauchte drei Züge, blies in die Glut der glimmenden Zigarre hinein und erklärte:
„Denken Sie, Mr. Harst, ich soll den Kopf des Maharadscha von Jaipuvar gestohlen haben …“
Harald wechselte abermals den Breiumschlag …
„Wenn’s Ihnen geglückt ist, Mylady, – meine Hochachtung!“ meinte er nur. „Denn soweit ich weiß, wird der Leib des Maharadscha im Dschaina-Tempel in Jaipuvar sehr streng bewacht.“
Die Lady starrte Harald eine Weile an …
„Sie trauen mir also einen Diebstahl zu?“ fragte sie gedehnten Tones.
„Ja … – Sie sammeln Raritäten. Und alle wütenden Sammler stehlen …“
„Hm – nicht ganz falsch,“ nickte sie, und ihr Vogelgesicht grinste …
Sie rauchte dann nachdenklich fünf, sechs Züge und fuhr fort: „Ich gebe zu, leidenschaftliche Raritätensammlerin zu sein. Ich habe im Schloß Cornawoor Schätze aufgehäuft, die …“
„… die jeden Dieb reizen,“ beendete Harst den Satz. „Sechs Diebe büßten ihre Tollkühnheit, in Ihr Museum eindringen zu wollen, mit dem Leben. – Also nun der Kopf, Mylady … wie steht’s damit?“
„Ich habe ihn nicht! Ich erfuhr erst vor einem Jahr, daß der tote Maharadscha von Jaipuvar als heilig verehrt wurde und daß man den Kopf der Mumie gestohlen haben soll.“
„Also – Sie erhielten Drohbriefe?“
„Nein. Ich fand nur bei einem der sechs Diebe einen Zettel …“
Harst richtete sich etwas auf. Sein Interesse war geweckt.
„Nun – und – –?!“
„Der Zettel, Mr. Harst, war ein förmlicher Vertrag zwischen dem Diebe und einem gewissen Mr. Norton. Der Dieb sollte in das Museum sich einschleichen, den Kopf stehlen, und dafür würde Mr. Norton ihm zehntausend Pfund bezahlen.“ (200 000 Mark.)
„Donnerwetter!“ – Und Harst setzte sich vollends aufrecht …
„Kurz – ich behaupte, daß all die sechs Spitzbuben nur des Kopfes wegen nach Schloß Cornawoor gekommen sind,“ erklärte die Lady mit größter Bestimmtheit.
Harst legte den Breiumschlag beiseite, tupfte sich mit einem Tuche die Nase ab und langte nach einer Mirakulum.
„Mylady, wir müssen die Sache übersichtlicher behandeln.“ Er rieb ein Zündholz an und blies dann den Zigarettenrauch mit Behagen gegen die Zimmerdecke. „Ich weiß, daß der Maharadscha Sing Batar Dschinra von Jaipuvar vor dreihundert Jahren als Mumie im Tempel in seiner Hauptstadt in sitzender Stellung auf dem berühmten Perlenthron in einem gläsernen Behälter mit goldenen Rändern aufgestellt wurde und … noch heute dort als heilig und wundertätig verehrt und angebetet wird. Ich habe – das sind drei Jahre her – den Tempel selbst besucht. Nie las ich in den Zeitungen, daß der Kopf des Maharadscha gestohlen wurde …“
Die Lady beugte sich vor …
„Das ist’s ja gerade, Mr. Harst!! Das ist’s ja gerade: der Kopf ist vorhanden, und niemand in Jaipuvar weiß etwas davon, daß er gestohlen sein soll – niemand! Ich komme ja aus Indien, bin auf der Heimreise nach England, machte hier in Aden mit meiner Jacht Charybdis[1] Station, erfuhr, daß Sie hier im Hotel d’Angleterre wohnen, und –“
„Schon gut, Mylady. – Sie waren also in Jaipuvar, im Tempel. Und – der Kopf ist dort?“
„Gewiß!! Ich sah ihn mit eigenen Augen – samt der Krone aus Smaragden, samt dem Stirnband mit dem berühmten Jaipuvar-Opal …“
„Merkwürdig!“ sagte Harald sinnend. „Und – Sie haben in Jaipuvar bestimmt erfahren, daß der Kopf nie geraubt wurde?“
„Nie! Oberst Dogberty, der in Jaipuvar Militärresident ist, bestätigte mir’s ebenfalls. – So – und nun das Wichtigste, Mr. Harst … Bitte – lesen Sie diese Depesche meines Schloßverwalters Allison …“
Sie reichte Harald ein Telegramm …
Harst las vor:
„Gestern, am 19. Juni, nachts ein Uhr abermals Einbruchsversuch in Museum. Wächter Claryc hat Dieb angeschossen. Haben den Mann in Pflege genommen und der Polizei nichts gemeldet. Fand bei ihm ähnlichen Vertrag mit Norton wie bei jenem Edward Tompkins. Bitte Instruktionen.
Allison.“
„Und – welche Instruktionen gaben Sie telegraphisch, Mylady?“ fragte Harald gespannt.
„Die Depesche erreichte mich erst gestern abend hier in Aden. Gleichzeitig hörte ich, Sie seien ebenfalls hier. Da depeschierte ich an Allison:
„Den Mann festhalten und schweigen. Ich bringe Harald Harst mit.““
Harald lächelte … „Und – wußten Sie bestimmt, daß ich Sie nach Schloß Cornawoor begleiten würde, Mylady?“
„Ja, Mr. Harst! Ein Harald Harst läßt sich doch einen solchen Fall nicht entgehen!!“
Harald nickte … „Allerdings! Ein Kopf, der gestohlen sein soll und doch nicht gestohlen ist, – das dürfte lohnen! – Haben Sie noch den Zettel jenes Edward Tompkins?“
„Nein. Ich verbrannte ihn und erwähnte ihn auch vor Gericht nicht.“
„Weshalb nicht?“
„Weil ich den Inhalt des Zettels zuerst für unwichtig hielt. Später, als noch drei Diebe ihre Frechheit so teuer bezahlten, machte ich mir dann doch so allerlei Gedanken …“
„Mit Recht! – Vorher war nie jemand in das Schloß eingedrungen?“
„Nein. – Der erste Dieb erschien am 5. Mai 1921, also etwa vor zwei Jahren. Dann folgten die anderen fünf in Abständen von drei, vier Monaten. Jetzt hat Wächter Claryc den siebenten angeschossen.“
„Und Sie überraschten die sechs Diebe, Mylady? Setzten die Leute sich zur Wehr?“
„Das Museum liegt im Park, Mr. Harst. Die Fenster des einstöckigen Gebäudes haben keine Laden oder Gitter, aber sehr sinnreiche Alarmglocken. Die sechs Spitzbuben bedrohten mich jeder mit einer Repetierpistole. Deshalb sprach mich das Gericht auch frei …“
„Könnten Sie mir den Inhalt jenes Zettels noch angeben, Mylady?“
„Wörtlich!
„Ich, der Unterzeichnete, verpflichte mich, Mr. Edward Tompkins 10 000 Pfund zu zahlen, wenn er mir den Kopf des Maharadscha von Jaipuvar auf irgendeine Weise aus dem Museum der Lady Cornawoor herausholt. Als Anzahlung hat Mr. Tompkins 300 Pfund erhalten.
Alexander Archibald Norton.““
Harald starrte vor sich hin … Drei, vier Minuten … Dann: „Mylady, wir begleiten Sie. Abends sind wir an Bord Ihrer Jacht …“
Lady Maria Cornawoor blieb noch zehn Minuten.
Wir sprachen den Fall eingehend durch, soweit es dabei überhaupt etwas durchzusprechen gab, denn der Tatbestand war klar. Geheimnisvoll erschien lediglich die Person dieses Alexander Archibald Norton, der einen Kopf stehlen lassen wollte – in England!! –, einen Kopf, der sich in Indien befand!!
Als die Lady uns dann verlassen hatte, sagte Harald zu mir: „Ich werde sofort an Oberst Dogberty nach Jaipuvar depeschieren. Ich kenne den Oberst nicht, aber einem Harald Harst wird er wohl einen Gefallen tun. Die Antwort mag er mir postlagernd nach dem Städtchen Bramby an der Ostküste Englands senden. Bramby liegt zwei Meilen (englische)[2] von Schloß Cornawoor entfernt.“
„Und – was wirst Du depeschieren?“
„Hm – das erfährst Du später, mein Alter …“
„Na – ich kann’s mir ja denken: er soll nachforschen, ob der Kopf nie vermißt wurde!“
„Da denkst Du sehr verkehrt, lieber Max Schraut! – Entschuldige – ich gehe zum Postamt …“
An der Tür blieb er doch noch stehen …
„Übrigens, mein Alter: diese Lady Cornawoor ist … ein Mann!“ sagte er ganz leise. „Ein als Weib verkleideter Mann! Also – ein Verbrecher, ein Betrüger! Und erst dieser Umstand macht den Fall interessant …“
Ich starrte Harst sehr – sehr ungläubig an … Ich war so verblüfft, daß ich kein Wort herausbringen konnte.
Und Harald fügte da noch leiser hinzu: „Es kann nur ein sehr gewandter Schwindler sein, der hier und in Indien die Lady Cornawoor gespielt hat. Zu welchem Zweck? – Ich weiß es nicht. An Bord der Jacht wird sich alles aufklären.“
Er ging hinaus … Ließ mich in einem Wirbel von Gedanken zurück …
Und zur Beruhigung steckte Max Schraut sich eine Havanna an …
Wie immer, wenn mein Hirn zu versagen drohte …
Die Havanna half nichts … Gar nichts …
Die Lady sollte ein verkleideter Mann sein?! Ein Betrüger, ein Schwindler – –?!
Mir schwirrte der Kopf …
Und vielleicht wäre mir dieses angestrengte Nachdenken schlecht bekommen, vielleicht hätte ich von diesem übermäßigen Grübeln eine Aleppobeule im Schädel gekriegt, wenn nicht – Jedenfalls: es klopfte!! Und – der bibbernde Kellner, besser, der gebibbert habende Kellner überreichte mir eine Karte, sagte:
„Der Herr möchte Sie sprechen, Mr. Schraut …“
Der Aufdruck der Karte lautete:
Thomas Jonas Pfistercrac,
Inhaber der Weltdetektei Pfistercrac u. Comp.
London, Arlystreet 176.
„Mister Pfistercrac ist mir willkommen,“ erklärte ich dem Kellner, denn Thomas Jonas Pfistercrac war eine Berühmtheit …
Und – die Berühmtheit erschien …
Ich war ungeheuer gespannt auf diesen Herrn und Kollegen … Ungeheuer! – Ich wußte: Pfistercrac in London, das war so was ähnliches wie Pinkerton in Neuyork! Und Pinkertons kennt doch jeder!
Ja – er kam …
Ein Mann in Matrosentracht – ein echter Seebär, so um die Fünfzig scheinbar …
„Morning, Mister Schraut!“ grunzte er. „Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen …“
Sein Händedruck verriet sehr viel überflüssige Kraft … Er setzte sich …
„Ich sah Harst weggehen, Mr. Schraut,“ begann er. „Lady Cornawoor war vorher hier …“
Er starrte mich unverwandt an …
„Und – natürlich des Kopfes wegen – natürlich!“ lächelte er grinsend und zeigte ein wahres Schimpansengebiß.
„Sie wissen?“ entschlüpfte es mir …
„Ob ich weiß!! Der Zettel jenes Edward Tompkins[3]!! Ob ich weiß! Vertrag mit Norton! Alles Schwindel!“
Er streckte die Beine weit von sich …
„Alles Schwindel, Mr. Schraut! Tatsache – Schwindel! Sie würden ganz umsonst nach England reisen, Sie und Harst. Die Lady will Sie ja mitnehmen …“
„Ah – woher …“
„Woher ich auch das weiß? Bisher wußte ich’s nicht. Nun weiß ich’s. Sie haben’s verraten …“
„Mister Pfistercrac, ich finde, daß Ihr Benehmen –“
„Stopp, stopp, verehrtester Mr. Schraut! Nur nicht empfindlich sein! Die Sache ist die: eines der sechs Opfer Lady Cornawoors war ein armer Teufel von Handlungsgehilfe, war verlobt. Seine Braut erbte und hatte so die Mittel, mich zu beauftragen, Lady Cornawoors sechs … Morde für den Strafrichter reif zu machen … Sie verstehen, Mr. Schraut: das Mädchen glaubt ebensowenig wie ich an den Kopf, den Vertrag und so weiter! Es sind – Morde! Und da ich nun bereits die Sache in den Händen habe, bitten Sie Ihren Freund, mir nicht Konkurrenz zu machen. Bieten Sie Ihren ganzen Einfluß auf, daß Harst die Lady nicht begleitet, denn – – Sie beide würden unterwegs nach London sicherlich auf der Charybdis irgendwie – verunglücken! Sie verstehen!! Ich warne Sie! Bei Ihrem Freunde hätte eine solche Warnung nichts gefruchtet. Aber Sie, Mr. Schraut, stürzen sich bei Ihrem reiferen Alter wohl nicht gern in ein Abenteuer, das –“
Ich faßte mir an die Stirn …
Pfistercrac schwieg sofort, meinte sanft lächelnd:
„Begreiflich, daß Sie noch nicht voll im Bilde sind, Mr. Schraut! Die Sache ist die: Lady Cornawoor hat Angst vor Ihnen beiden, scheußliche Angst – der sechs Morde wegen. Sie fürchtet, irgend jemand könnte ihr Harst auf die Hacken hetzen!! Das ist’s!!“
Ich begann klarer zu sehen … Ich wollte etwas erwidern … Das Zimmertelephon schlug an … Ich zum Apparat … Harst meldet sich.
„Hier Harald! – Ich wollte Dir nur folgendes mitteilen, mein Alter. Ich fahre nicht mit der Charybdis nach England, sondern mit einem schnelleren Schiff, und zwar sofort. Du gehst abends wie verabredet an Bord der Jacht und sagst der Lady, daß ich vorausgereist sei. Bestelle eine Empfehlung von mir. Wiedersehen!“
„Halt – halt – noch ein Wort, Harald … – Bist Du noch da?“
Niemand mehr … Stille im Hörer … Nur Knacken und Rauschen …
Ich drehe mich um … Das Zimmer ist leer. Pfistercrac hat sich mit polnischem Abschied empfohlen … –
Ich setze mich … Grüble – grüble … Seufze … Und – – gehe hinab in den kühlen Speisesaal und ertränke mein Einsamkeitsgefühl und meine geistige Verwirrung in … Eispunsch …
Bin abends acht Uhr mit unseren Koffern auf der Jacht Charybdis … – Ein ganz modernes Schiff, ein schwimmendes Luxuslogis …
Lady Cornawoor macht ein sehr enttäuschtes Gesicht, weil Harst bereits abgedampft ist.
Wir stehen im Salon der Jacht einander gegenüber, diese Lady und ich. Eine Überfülle elektrischer Lampen aller Art bestrahlt uns. Ich sehe jede Falte, jedes Fältchen dieses Matronengesichts …
Das – das soll ein verkleideter Mann sein?!
Ausgeschlossen!! Die Falten sind echt – das weiße Haar ist echt … –
Und Lady Cornawoor und ich speisen dann gemeinsam zu Abend …
Sechs Gänge, während die Jacht bereits auf den Wogen des Roten Meeres schaukelt …
Und abermals sage ich mir: gewiß, die Stimme der Lady könnte auch die eines Mannes sein! Doch alles übrige – da ist von Verkleidung keine Rede! –
Um elf Uhr gehe ich in meine Luxuskabine hinüber und – finde, da ich vor dem Einschlafen nochmals aus Mißtrauen die Kabine durchsuche, unter dem Waschschrank eine Sapara, eine der giftigen kleinen indischen Baumschlangen. Ein Reptil, kaum von Armeslänge, blattgrün, harmlos aussehend, aber für den Kenner doch zur Vorsicht mahnend durch den abgeplatteten Kopf, der den meisten Giftschlangen eigentümlich …
Die Sapara fliegt mit zerbrochenem Rückgrat durch das runde Fenster in die See …
Und ich suche weiter … Hebe das Zudeck des Bettes hoch, die seidene, leichte Decke …
Und – – finde die zweite Sapara …
Suche nochmals. Schwitzte vor Aufregung – vor innerem Grimm … Finde nichts mehr … Riegele mich ein, lehne Sessel vor die Tür, rücke die Koffer davor, baue eine Barrikade …
Und fahre entsetzt herum … Polternd ist da irgend etwas auf den Boden, den Teppich gefallen …
Ah – ein Stück Holz, – und an dem Stück Holz ein Zettel angebunden …
Harsts Handschrift!!
„Verbrennen! – Vorsicht!! Stets Augen auf – überall!!“
Das – war alles …
Aber – – Harald war an Bord!!
Wie – wie atmete ich da auf! Und wie fest habe ich nachher geschlafen!!
Harald war ja auf der Charybdis! Er hatte das Stück Holz mit dem Zettel durch das Fenster mir zugeworfen, hatte sich offenbar an einem Tau von der Reling herabgelassen …! – –
Nun – ich muß den Leser enttäuschen …
[4]Weder wurden weitere Attentate versucht, noch fand ich Harald unter den vierzehn Matrosen und Heizern der Jacht heraus …
Und – weder entdeckte ich irgend etwas, das meinem Argwohn gegen die Lady neue Nahrung gegeben, noch erlebte ich sonst etwas hier an Bord, das mitteilenswert gewesen … –
Am siebenten Juli ankerte die Charybdis vor den Londoner Docks.
Lady Cornawoor hatte Ihr Auto nach London bestellt. Kaum war die elegante Barkasse der Jacht zu Wasser gebracht worden, als vormittags zehn Uhr auch schon das Gepäck an Land geschafft wurde. Die Lady und ich verließen London also ohne Aufenthalt.
Es schien, als ob die seltsame Frau (ich war ja fest überzeugt, daß Harald sich, was die Verkleidung betraf, geirrt haben müsse!) durch eine innere Unruhe nach ihrem Schlosse getrieben wurde.
Sie sagte zu mir, als wir gerade die Vororte Londons passierten:
„Mr. Schraut, ich bin außerordentlich gespannt, ob Ihr Freund wirklich bereits in Cornawoor-Castle sein mag. Mein Chauffeur und mein Diener wissen nichts von einem Fremden, der sich dort gezeigt hätte …“
Sie schaute mich fragend an.
Und – da sah ich in der Tiefe ihrer lebhaften Augen etwas wie versteckte Angst flackern – ohne Zweifel – Angst!!
Also nicht Unruhe …! Nein – Furcht vor Harst trieb sie so eilends heim! Und Mister Thomas Jonas Pfistercrac sollte mithin wohl doch recht behalten: die Sapara-Schlangen waren eine „kleine Überraschung“ von seiten der Lady gewesen, woran ich bisher nicht so ganz hatte glauben wollen, obwohl ich doch niemanden sonst für dieses gemeine Attentat hätte verantwortlich machen können. –
London lag hinter uns …
Auf schnurgeraden Landstraßen sauste das Auto an freundlichen Dörfern und Städten vorüber …
Und – ein Zufall war’s, daß ich da nach einer Stunde auf ein zweites Auto aufmerksam wurde, das uns beharrlich folgte …
Wir hatten, da die Straße für fünf Minuten durch eine Dampfwalze gesperrt war, den Kraftwagen verlassen. Das andere Auto hielt dreihundert Meter zurück hinter einem lichten Wäldchen.
Und als wir nach einer weiteren halben Stunde vor einem Landgasthof abermals kurze Zeit Station machten, um etwas Erfrischendes zu trinken, bemerkte ich dasselbe Auto zum zweiten Male. Wieder hatte es im Schutz einiger Büsche dort hinten am Straßenrande Deckung gesucht …
Ich erkannte, daß außer dem Chauffeur in dem großen Tourenwagen nur ein einzelner Herr saß. Ich hütete mich aber, allzu aufdringlich hinüberzustarren, denn es war ja keineswegs gewiß, daß dieser Herr mein Freund Harald sei. Vielleicht war’s Thomas Jonas Pfistercrac. Vielleicht war’s auch irgendein Gegenspieler …! Wie sollte ich das entscheiden! Ich tappte ja noch völlig im Dunkeln, was diesen Fall „Kopf des Maharadscha“ betraf. Und Pfistercrac hatte dieses Dunkel nur noch verstärkt. –
Wieder ging’s weiter …
Wir näherten uns den Landstrichen an der englischen Ostküste. Wir durchfuhren das Städtchen Bramby, wohin Harald sich Oberst Dogbertys Antwort bestellt hatte.
Salzluft des Meeres wehte uns an. Durch diese Ausschnitte der hohen Küste blinkte in der Ferne das Meer – die Nordsee, floß in der Horizontlinie mit dem klaren Sommerhimmel in eins zusammen …
Und dann der endlose, mauerumgebene Park von Cornawoor-Castle …
Ein Prachtpark, uralt, ein Rittergut für sich, mit weiten Rasenflächen, mit Obstbaumkulturen, mit merkwürdigen alten Häuschen …
Muschelkieswege durchschnitten hell schimmernd diese Sinfonie von Grün … Bis rechter Hand inmitten einer Rasenfläche der flache, neue Bau des Museums der Witwe Lord Reginald Cornawoors auftauchte, der vor sechs Jahren bei einer Fuchshetze das Genick gebrochen hatte …
Das Museum – ein langgestrecktes Gebäude mit Sandsteinpfeilern, hohen Fenstern, – im ganzen schmucklos und anscheinend praktisch.
Und gleich darauf, durch Tannenkulissen bisher verborgen, das Riesenquadrat von Cornawoor-Castle mit vier Ecktürmen …
Ein moderner Bau, erst vor fünfzehn Jahren beendet, ein Bau, der den Reichtum und den Geschmack Lord Reginalds deutlich in dem vornehmen Stil und dem kostbaren Material, Sandstein und Marmor, bewies.
Vor der Freitreppe eine Schar von Dienern und der alte Schloßverwalter Stuart Allison …
Feierlicher Empfang der Herrin, deren erste Worte an Allison lauteten:
„Wo befindet sich der Gefangene? Wie geht es dem Manne? Wie heißt er?“
Nur Allison und ich hatten diese hastigen Fragen vernommen.
Der Alte verbeugte sich …
„Er ist im grünen Zimmer des alten Schlosses untergebracht, Mylady. Es geht ihm gut. Die Beinwunde ist verheilt. Der Mann spricht im übrigen keine Silbe. Wir wissen nicht, wer er ist …“
Lady Cornawoor starrte vor sich hin … Dann: „Ich will ihn sehen, Allison, – sofort! Kommen Sie, Mister Schraut!“
Hier war sie Herrin. Das merkte man an allem. Und ich – ich mußte lächeln bei dem Gedanken, daß Harald damals in Aden diese Frau für einen Schwindler, Verbrecher gehalten …!! Wie in aller Welt war er nur darauf verfallen, einen so unsinnigen Verdacht zu hegen?! –
Der alte Schloßverwalter ging voran – durch eine Marmorhalle, durch eine Ahnengalerie, dann wieder eine Halle und eine Freitreppe in den Schloßhof hinab, der von dem quadratischen Riesenbau umgeben war.
Ich stutzte …
Und mit Recht! Lady Cornawoor weidete sich an meinem Erstaunen …
Inmitten dieses von uralten Kastanien, Eichen und Buchen bestandenen Schloßhofes ragte dunkel, düster und schmucklos ein uraltes burgähnliches Bauwerk von mäßiger Höhe empor, errichtet auf einer vielleicht fünf Meter hohen, unregelmäßigen Felsgruppe …
„Die Burg Cornawoor!“ sagte die Lady mit einigem Stolz. „Dieselbe Burg, die mein Gatte Reginald gleichsam verschwinden ließ, nachdem die übrigen Mitglieder der Familie sich mit ihm, dem Ältesten des Geschlechts, jener Heirat wegen entzweit hatten. Die stolzen Cornawoors konnten sich damit nicht abfinden, daß Reginald die Tochter eines simplen bürgerlichen Gelehrten namens Elliot zum Weibe erwählte …“
Diese Worte, die blitzartig eine Familientragödie beleuchteten, wurden zum Schluß von Lady Maria in einer so scharfen, gereizten Art hervorgestoßen, daß ich den Eindruck gewann, sie müßte all diese anderen Cornawoors aus tiefster Seele hassen. –
Und Allison hatte derweil die schweren torartigen Flügeltüren der Burg weit geöffnet …
Ich stieg hinter der Lady die Steintreppe empor. Eine kühle Halle, verräuchert, dunkel, unfreundlich, empfing uns. Kellerluft wehte hier.
Von den Wänden grüßten seltsam schwarze, tief nachgedunkelte Gemälde, aus denen die helleren Menschengesichter unheimlich hervorleuchteten.
Eine Treppe lief von hier zu einer Galerie empor.
Allison schlug ein Paar mottenzerfressene schwere Brokatvorhänge zurück, und jäh strahlte uns nun durch hohe bunte Fenster die Sonne entgegen.
„Der Waffensaal,“ sagte die Lady kurz.
Und drüben an der anderen Seite des Saales, dessen Stahlrüstungen, Schwertergruppen, Helme und Turnierlanzen mit dicken Lagen grauen Staubes bedeckt waren, – drüben erhob sich aus uraltem Ledersessel ein Riese mit feuerrotem Vollbart und finsteren Augen.
„Tag, Claryc,“ grüßte Lady Cornawoor den Mann mit freundlichem Kopfnicken und streckte ihm die Hand hin.
Das also war Claryc, der Wächter, der den siebenten Dieb angeschossen hatte.
„Mag die Heimkehr Euer Gnaden gesegnet sein,“ sagte der Riese mit tiefem Baß, und in die brutalen Augen trat dabei ein Ausdruck hündischer Unterwürfigkeit.
Dann holte er einen Schlüssel hervor und öffnete die Tür, vor der er gesessen hatte.
Allison trat hinzu und schlug auch hier einen Vorhang beiseite. Besser – genauer: er wollte es tun! Eine Stimme schreckte ihn zurück. Er ließ den Vorhang wieder fallen …
„Lady Cornawoor, bitte – nur Sie und Schraut,“ hatte die Stimme hinter dem Vorhang befehlend erklärt.
Und – – diese Stimme war die meines … Harst!! –
Lady Maria zögerte …
Da flüsterte ich schnell: „Es ist Harst, Mylady. Schicken Sie Allison und Claryc nur weg!“
Sie faßte sich rasch. Sie tat, wie ich’s wünschte. Die beiden Männer gingen – sollten unten in der Halle bleiben.
Harst schlug nun selbst den Vorhang hoch … Nein – nicht Harst!! Scheinbar ein Fremder … Ein alter würdiger Herr in der Tracht der anglikanischen Geistlichen …
„Bitte,“ sagte er mit einladender Handbewegung.
Lady Cornawoors Augen ruhten seltsam starr auf meinem Freunde …
„Wie – wie sind Sie hier hineingelangt?“ fragte sie stockend …
„Darüber sprechen wir später, Mylady … – Bitte!“
Und wir betraten das grüne Zimmer der Ahnenburg der Cornawoors …
Ein Zimmer, das vielleicht einmal diesen Namen verdient hatte, da die Wände einen grünlichen Anstrich zeigten und die Möbel mit grünem Samt bezogen waren.
Ein zweifenstriges Zimmer mit Gittern vor den halb erblindeten Scheiben. Und an einem der Fenster ein Strolch mit blondem Stoppelbart, wirrem Haupthaar, blaß, mager, aber der Gesichtsausdruck intelligent wie die hellgrauen Augen …
Lady Cornawoor gab Harst die Hand …
„Willkommen in Cornawoor-Castle,“ meinte sie, und ihre Blicke glitten immer wieder zu dem Gefangenen hin.
Harald in seiner tadellosen Verkleidung verbeugte sich.
„Ich habe mir erlaubt, hier einzudringen, ohne jemand um Erlaubnis zu fragen. Ich wollte den Gefangenen zunächst allein sprechen. – Gestatten Sie, Mylady, daß ich Ihnen Sir Ernest Francis Cornawoor, jüngsten Sohn des Bruders Ihres verstorbenen Gatten, vorstelle …“
Er deutete auf den Strolch, der jäh seine bisher so nachlässig-feindselige Haltung verändert hatte.
Sein Gesicht verriet Schreck, Bestürzung. Seine Augen waren voller Wut auf Harst gerichtet.
Und der fügte kühl hinzu:
„Sie sind Sir Ernest Cornawoor. Ich habe in London, bei dem Photographen Jarrow gestern die Bilder Ihrer Familie durchgesehen. Mein Blick für Kleinigkeiten ist durch Übung geschärft. Sämtliche Cornawoors tragen das Signum der Familienzugehörigkeit im Gesicht: das Muttermal auf der linken Wange nach dem Kinn zu! – Bei Ihnen verdeckt der Bart dieses bohnengroße tiefbraune Mal, Sir Ernest, aber – nicht ganz …“
Lady Maria lachte schrill auf …
„Also so tief sind die Cornawoors gesunken, seit mein Gatte ihnen die Unterstützungen entzogen hat!! Ein Dieb – ein Cornawoor!!“
Ihre und Sir Ernests Blicke kreuzten sich wie Degenklingen. Unauslöschlicher Haß flackerte in zwei Augenpaaren …
Aber in denen der Lady erlosch dieses Flackern sehr rasch. Mit einem leichten Achselzucken setzte sie sich in einen der verschossenen Sessel.
Harst nahm gleichfalls Platz. Ich lehnte mich an einen der hohen geschnitzten Schränke.
„Wir müssen die Situation klären,“ begann Harald in durchaus sachlicher Weise. „Ich sagte Ihnen bereits, Sir Ernest, daß ich der deutsche Detektiv Harald Harst bin. Dort – mein Freund Max Schraut …“
Sir Ernest deutete eine Verbeugung an. Ich desgleichen. Er gab zu, Sir Ernest Cornawoor zu sein, – stillschweigend.
„Wollen Sie jetzt sprechen?“ fragte Harald nach kurzer Pause.
Nichts … – Sir Ernest blickte zu Boden …
„Gut, dann muß ich reden … – Als Lady Maria mich in Aden aufgesucht und mir von den sechs Einbrechern erzählt hatte, die offenbar sämtlich den Kopf des Maharadscha stehlen wollten, der – – ebenso offenbar noch in Indien sich befindet, da waren mir die Zusammenhänge noch völlig dunkel. Erst als ich mit der Jacht meines Freundes Edward Wolpoore[5], die ebenfalls in Aden geankert hatte, der Charybdis hier nach England vorausgeeilt war, stellte ich in London rasch fest, daß Lord Reginald Cornawoor mit den übrigen Familienmitgliedern gänzlich zerfallen war und daß diese anderen Cornawoors in den denkbar dürftigsten Verhältnissen lebten. Weiter erfuhr ich, daß diese Cornawoors in besseren Tagen häufig den Photographen Jarrow in Anspruch genommen hatten. Und schließlich ermittelte ich, daß Lord Reginald gleich nach seiner Heirat mit Maria Elliot, Tochter des Professor Elliot, bei der englischen Adelskammer durchgesetzt hatte, daß die Erbfolge des Titels und Vermögens der Lords Cornawoor dahin geändert wurde: Nicht sofort nach seinem Tode sollte, wie sonst üblich, Titel und Stammvermögen auf den nächsten männlichen Cornawoor übergehen, sondern erst nach dem Ableben der Lady Maria Cornawoor, seiner Gattin, falls diese, wie es in dem Beschluß heißt, bis dahin ein der Familientradition entsprechendes makelloses Verhalten in allen Dingen zeigen würde …“
Lady Maria nickte zustimmend …
Und Harst fuhr fort:
„Die übrigen Cornawoors, sagte ich mir, könnten nun vielleicht versucht haben, den Nachweis zu erbringen, daß Lady Maria, als sie vor zwei Jahren in Indien war, aus Raritätensammlereifer den Kopf des Maharadscha von Jaipuvar aus dem Dschaina-Tempel gestohlen hätte. Glückte dieser Nachweis, so war der Beschluß der Adelskammer hinfällig, denn Lady Maria als Diebin hätte den Bedingungen des Beschlusses nicht mehr entsprochen: Mithin, sagte ich mir weiter, ist es sehr gut möglich, daß die Cornawoors jemand gefunden haben, eben den geheimnisvollen Alexander Archibald Norton, der das Geld vorschoß, um die Diebe … aussenden zu können –“
Lady Maria hatte sich erhoben …
„Ah – wenn das wahr wäre!“ rief sie schrill, und ihr eigentümliches Vogelgesicht färbte sich vor Erregung dunkler.
„Behalten Sie Platz, Mylady,“ mahnte Harst sanft. „Ich bin noch nicht zu Ende, und auch Sir Ernest scheint etwas erklären zu wollen …“
„Allerdings!“ sagte der mit heller Stimme. „Ich gebe mein Wort, daß die Cornawoors nie ähnliches geplant haben – nie!“
Ich schaute Harald an …
Er schien enttäuscht. Er schloß halb die Augen, dachte angestrengt nach …
„Dann haben Sie aus Not sich diesem Norton zur Verfügung gestellt, Sir Ernest …“ meinte er dann bedächtig.
Der vielleicht achtundzwanzig Jahre alte Cornawoor entgegnete kurz:
„So ist’s! Norton hatte eine Anzeige in verschieden Zeitungen eingerückt. Er suchte einen kühnen, entschlossenen Menschen gegen glänzende Bezahlung, Mister Harst. Ich meldete mich, traf mit Norton an entlegener Stelle im Park zusammen, erhielt dreihundert Pfund als Anzahlung und – verließ London ohne Wissen meiner Familie, die noch heute nicht weiß, daß ich meiner schwerkranken Mutter wegen – ein Dieb werden wollte …“
Harst griff in die Tasche. Sein goldenes Zigarettenetui funkelte matt in der Sonne …
Er rauchte – sechs Züge … Sagte:
„Es ist richtig, Sir Ernest. Ihre Mutter soll in ein Trinkbad nach Deutschland, nach Kudowa. Sie ist schwer herzleidend. Die Geldmittel fehlen. – Sie … sind aus Sohnesliebe entgleist …“
Lady Maria stand noch neben dem Sessel. In ihre Augen war ein weicher Schimmer getreten …
„Ich werde Ihnen einen Scheck über 1000 Pfund ausfüllen, Sir Ernest,“ erklärte sie ebenso weich. „Nehmen Sie das Geld nur an … Nie wird jemand erfahren, was sich hier zugetragen hat …“
Ernest Cornawoor – erbleichte. Kämpfte mit sich …
„Sie sind frei!“ fügte Lady Maria mit Ihrer tiefen Stimme noch hinzu. „Zögern Sie nicht, nach London zurückzukehren …“ –
Gleich darauf war ich mit Harald im grünen Zimmer allein …
Er streckte mir beide Hände hin.
„Mein lieber Alter, endlich wieder vereint!“
Freude leuchtete auf seinem würdevollen Gesicht, das so vortrefflich zu der ernsten Tracht des Geistlichen paßte.
„Ich habe Dir viel zu berichten,“ sagte ich schnell.
„So?! Wohl mehr – zu fragen?“
„Auch das.“ – Ich erzählte von Thomas Jonas Pfistercrac …
Und – er lächelte …
„Ich weiß, mein Alter! Ich weiß! Also Pfistercrac wollte der Mensch sein, der da in Aden vor unserem Hotel als Matrose umherbummelte. Ich – verfolgte ihn nachher bis zum Hafen, wo er in einer Kneipe den falschen Bart entfernte und als Matrose Jonas Selveyr an Bord der Charybdis ging …“
„Er gehörte zur Besatzung?“
„Ja. – Und – – er wird Dir die Schlängelein in die Kabine gebracht haben.“
Ich war sprachlos …
„Ich hatte mich gleichfalls an Bord geschlichen,“ meinte Harald gleichgültig. „Nachdem ich Dich bei dem Schlangenfang beobachtet hatte, verließ ich die Charybdis schwimmend und wurde von Wolpoores Jacht, wie verabredet, aufgefischt. Ich hatte Dich ja gewarnt und war auf der Charybdis nicht mehr nötig.“
All das mit einer Selbstverständlichkeit, als handelte es sich um ein Nichts …
„Und dann? Dann …?“ forschte ich begierig.
„Dann war ich drei Tage vor der Charybdis in London. War hier in Cornawoor-Castle, nachts, kundschaftete aus, wo der Gefangene steckte und wie man in diese Burg hineingelangen könnte …“
„Ah – und Du …“
„Ich kletterte am Blitzableiter des Schlosses hoch, dann übers Dach – in die Krone einer Buche hinein – weiter durch die Äste bis zur alten Burg hier und … tat dies zweimal, das zweitemal in der verflossenen Nacht. Seit neun Stunden bin ich hier, wartete auf Euch!“
„Und – wie kamst Du in dieses Zimmer hinein?“
„Durch die zweite Tür dort … Unser Patentdietrich öffnet selbst die komplizierten Kunstschlösser des Mittelalters …“
Da fiel mir ein, daß der Insasse des zweiten Autos also nicht Harald gewesen sein könnte.
Da sagte ich hastig: „Ein Kraftwagen folgte heimlich dem der Lady … Ein einzelner Herr saß außer dem Chauffeur darin …“
„Vielleicht – Alexander Archibald Norton,“ nickte Harald zerstreut. „Vielleicht! – Ein dunkler, sehr dunkler Fall, mein Alter, zumal Oberst Dogberty mir telegraphisch geantwortet hat, daß der Kopf des Maharadscha im Dschaina-Tempel bestimmt kein – Wachskopf als Ersatz für den echten ist, wie ich vermutet hatte.“
„Ah – also das nahmst Du an! – Und Dein Verdacht gegen Lady Maria?“ fügte ich leise hinzu.
„Still! Sie kommt … oder besser: er kommt!“
„Wer?!“
Da lächelte Harald …
„Kein Verbrecher, und doch ein Betrüger!“ –
Also – doch ein Mann!
Meine Augen starrten auf den Türvorhang …
Es war – Allison, der Schloßverwalter.
„Die Mylady läßt die Herren in das Museum bitten,“ sagte er mit einer Verbeugung …
Lady Maria Cornawoor war tot …
Der indische Dolch, der ihr das Herz durchbohrt und der sie schmerzlos, wenn auch gewaltsam von dieser Welt abgerufen hatte, steckte noch in der Wunde. – –
Der alte Allison, der uns noch soeben auf dem Wege zum Museum erklärt hatte, Mylady habe lediglich ganz unvermittelt Sehnsucht nach ihren Schätzen empfunden und sei daher ins Museum hinübergegangen, dieser zitternde Greis sank mir ohnmächtig in die Arme, als wir seine Herrin im Hauptraum neben einem der Tische mit den Glaskästen voller Versteinerungen unvermutet auffanden …
Auch mir schoß alles Blut zum Herzen, wie ich so, den alten Mann in den Armen haltend, auf die Leiche hinabstarrte, deren Gesicht noch nicht einmal die Farbe wesentlich verändert hatte …
Die Augen der rätselhaften Frau waren unheimlich weit geöffnet …
Und in dem Blick dieser erloschenen Augen las man noch deutlich ein namenloses Entsetzen …
Ein Grauen, eine Angst, mit Worten nicht auszudrücken.
Gräßlich wirkte dieses Antlitz – so gräßlich, daß ich mich wegwandte und Allison rasch nach einem der Rohrsofas trug, die an den Wänden zwanglos verteilt waren.
Als ich zögernd zu Harald zurückkehrte, der neben der Leiche kniete, hob er den Kopf.
„Vor kaum vier Minuten muß der Mord verübt sein,“ sagte er leise. „Der Mörder dürfte das Museum erst verlassen haben, als er unsere Stimmen hörte …“
„Etwa Sir Ernest?“ fragte ich unsicher …
Er verneinte. „Der ist über jeden Verdacht erhaben. Allison sagte ja, daß die Lady ihn durch das Auto nach Bramby bringen ließ, damit er von dort die Bahn benutzen könnte. Er wird längst in Bramby sein. – Nein, hier spricht alles für – indische Arbeit!“
„Wie meinst Du das?“
„Ich bleibe dabei: der echte Kopf der heiligen Mumie ist doch gestohlen worden, und die schlauen Priester in Jaipuvar haben dem Rumpf des Maharadscha eben einen anderen Mumienkopf aufgesetzt und Boten entsandt, dem Diebe die Beute wieder abzunehmen …“
„Ah – – Norton!!“
„Vielleicht …“
„Und Pfistercracs Rolle bei alledem?“
„Pfistercrac?! Es ist niemals Pfistercrac gewesen, der Dir die Schlangen in die Kabine schmuggelte. Es kann nur Norton gewesen sein. Doch – genug davon! Der Mörder ist noch in der Nähe. Beeilen wir uns …“
Er sprang auf … Er lief plötzlich … Ein neuer Gedanke schien ihn vorwärts zu treiben …
Und im zweiten Nebenraum, wo Lady Marias ägyptische Altertümer untergebracht waren, – hier, wo eine zweite, kleinere Tür in den Park führte, hier fanden wir diese Tür weit offen, fanden im Schloß noch den Dietrich und außerdem eine Unordnung, die klar darauf hinwies, daß jemand in wilder Hast irgend etwas gesucht hatte …
Harst trat ins Freie …
Die Wege waren zum Empfang der Lady frisch geharkt worden, und dieser schmale Nebenweg hatte die Spuren des Mörders daher recht deutlich festgehalten, sowohl die Hin- als auch die Rückspur.
Harald verfolgte die Fährte, indem er auf dem Rasen entlangging …
Leider verloren wir sie dann, als der Nebenweg in den breiten Hauptweg einmündete.
Hier nun trafen wir auf den Obergärtner des Schlosses, der gerade aus einem der Gewächshäuser kam.
„Haben Sie hier einen Hund, der Polizeidressur hat?“ fragte Harst überstürzt. „Lady Maria ist im Museum ermordet worden …“
Der Mann prallte entsetzt zurück.
„Ja – zwei deutsche Schäferhunde,“ stammelte er. „Beide gehören dem Schloßwächter Claryc.“
„Dann holen Sie sofort Claryc und die Hunde – sofort! Laufen Sie, Mann! Der Mörder ist vielleicht noch zu fassen …“
Der Obergärtner hetzte davon …
Wir kehrten ins Museum zurück … Zu dem – Toten. Dem Toten …
Denn nun bewies Harald mir, daß – Lady Maria tatsächlich ein Mann war – bewies es mir auf die eindringlichste und einfachste Art …
Als er dann die Kleider der Leiche wieder in Ordnung brachte, als ich noch ganz verwirrt dastand, regte sich der alte Allison, seufzte tief und richtete sich auf.
Harald trat zu ihm …
„Hören Sie mal, Allison … Ein paar Fragen … War Lady Maria vor zwei Jahren längere Zeit in Indien?“
„Ja, Mister Harst, – vier Monate.“
„Und – – hatte sie noch Verwandte von ihrer Familie her? Sie war doch eine geborene Elliot.“
„Nicht daß ich wüßte, Mister Harst. Ihre Eltern sind längst tot, und Geschwister besaß sie nicht.“
„So – so! Und – noch eins, Allison: hat Lady Maria stets so verblüffend sicher mit dem Revolver geschossen, wie sie es den sechs Dieben gegenüber bewiesen hat?“
Allison warf einen scheuen Blick auf die Tote.
„Ja, Mister Harst,“ flüsterte er, „ja – das ist nun wirklich recht merkwürdig. Das kam ja auch bei den Gerichtsverhandlungen zur Sprache. Man hatte doch Mylady den Vorwurf gemacht, allzu voreilig zur Waffe gegriffen zu haben: Überschreitung der Notwehr, Mister Harst! Das verstehen Sie ja wohl besser als ich, diese juristischen Spitzfindigkeiten. Mylady wurde freigesprochen – in allen sechs Fällen, von denen der erste genau vor zwei Jahren nach Myladys Rückkehr aus Indien sich ereignete …“
„Halt – sofort nach der Rückkehr?“
„Nein, Mister Harst. Mylady traf doch schwerkrank damals hier ein. Erst nach ihrer Genesung, vier Wochen später, wollte jener erste Dieb, der bereits …“
„Schon gut, Allison. – Etwas anderes, oder vielmehr nochmals Myladys Schießkunst … Schoß Mylady stets so vortrefflich?“
„Nein, nein … Sie hat’s erst in Indien gelernt, damals – vor zwei Jahren. Bis dahin hatte sie nie einen Revolver oder eine Flinte in der Hand gehabt …“
„So – so!“
Wenn der brave Allison etwas gewitzter gewesen wäre, hätte er aus diesem „So – so!“ mancherlei heraushören können.
Ich jedenfalls wußte nun: der Betrüger, der dort erstochen auf dem Bastteppich lag, hatte offenbar seine Rolle hier begonnen, als Lady Maria nach ihrer Rückkehr aus Indien an jener Krankheit verstorben war.
Und Harsts nächste Frage bewies mir, daß er genau dasselbe vermutete.
Er wandte sich wieder an den Schloßverwalter.
„Sagen Sie mal, Allison, wer pflegte denn Lady Maria während ihrer Krankheit? Welchen Arzt hatte sie?“
Und abermals erklärte der Alte ein wenig verlegen:
„Ja – da könnte ich mancherlei Merkwürdiges Ihnen berichten, Mister Harst. – Doch, da kommt ja Burbyll mit den Hunden, und hinter ihm Claryc … Ein andermal also, Mister Harst!“ –
Der eine der Hunde nahm tadellos an dem Griff des indischen Dolches Witterung und arbeitete die Fährte des Mörders dann geradezu glänzend aus, führte uns durch den Park, durch Büsche und Sträucher bis an die östliche Mauer, die von der Steilküste nur durch einen Waldstreifen getrennt war.
Dann leitete der Hund den Riesen Claryc und uns beide weiter durch diesen Wald in die sogenannte Cornawoor-Schlucht, die sich als Hohlweg bis zum Strande hinabzieht, wo in einer von steilen Felsen eingeschlossenen kleinen Bucht zwei Boote und eine Zwölfmeter-Segeljacht – Eigentum der Lady – an einem Bootssteg vertäut lagen.
Und hier – hier auf der Spitze dieses Bootssteges sahen wir schon von weitem die Person, zu der die zierlichen Schuheindrücke, die wir an drei Stellen im Park deutlich vorgefunden und abgezeichnet hatten, genau paßten.
Fanden einen jungen, bartlosen Menschen im dunklen, schäbigen Anzug hier – als Leiche vor …
Einen Mann von kaum zwanzig Jahren mit auffallend zartem Gesicht.
Die – zweite Leiche!
Und – – ein Weib!! Ein Weib war’s – in Männerkleidern …
Denn als Harst dem Toten die tief ins Genick gezogene Mütze abnahm, quoll eine Flut blonden Haares hervor und flatterte im scharfen Seewinde um das zarte Antlitz der toten Mörderin der – falschen Lady Maria, des – unbekannten Betrügers … –
Harst schickte Claryc mit dem Hunde jetzt nach dem Schlosse zurück und trug ihm auf, sofort die Polizei in Bramby telephonisch von dem Geschehenen in Kenntnis zu setzen.
Er wollte offenbar mit mir und der Toten allein sein, wollte ungestört auf seine Art die schier unentwirrbaren Fäden all dieser rätselvollen Ereignisse langsam auseinandernesteln und – die passenden Enden schließlich zu einem einzigen Faden vereinen, der ihn dann in den Mittelpunkt dieser düsteren Tragödie führen mußte.
Claryc der Riese zog eilends mit dem Hunde ab, verschwand in der Cornawoor-Schlucht. –
Scharfer Oststurm umwehte uns …
Draußen vor dem Eingang der kleinen Bucht brandete das Meer – die Nordsee – das Heimatsmeer …
Und Harst sagte, indem er sich über die Tote beugte:
„Auch erstochen! – Da …“
Er schlug die Jacke des jungen Weibes zurück. Die Weste war blutig, und dicht unter der linken oberen Uhrtasche erkannte ich zwei Löcher, zwei schmale Schnitte …
„Herzstöße!“ murmelte Harald … Und – richtete sich langsam auf … Wie ein Hauch nur kam’s an mein Ohr: „Wir – sind ihnen ins Garn gegangen … Hinter uns – auf dem Deck der Segeljacht …“
Da – – eine andere Stimme – drohend befehlend:
„Rühren Sie sich nicht! Ich warne Sie!!“
Diese Stimme hatte für mich etwas Bekanntes, etwas, das mich … an Thomas Jonas Pfistercrac erinnerte.
Und wieder ein Zuruf: „Strecken Sie die Arme nach hinten!! Ich drücke ab, falls Sie auch nur den leisesten Versuch wagen, sich …“
„Wir gehorchen!“ erklärte Harald da ebenso laut. „Ich habe sehr wohl gesehen, daß Sie Ihrer vier sind, Masken tragen und Revolver bereithalten. – Gehorche, mein Alter. Es muß sein!“
Ich war ein wenig erstaunt über Haralds Redseligkeit. In solchen Lagen beobachtet er zumeist nur und erwägt, wie die Partie für uns günstiger gestaltet werden könnte …
Dann – begriff ich ihn …
Er flüsterte, kaum als seine letzte Silbe verklungen war: „Kein Wort von Deiner Seite! Vorsicht! Hier geht’s ums Leben. Die Schufte …“
Da – riß mich jemand bereits nach rückwärts …
Eine Tauschlinge glitt um meine Handgelenke … Ein Stück Segel fliegt mir über den Kopf. Kräftige Arme heben mich empor. Und mit dieser Segelbinde über den Augen trägt man mich in die Kajüte der Jacht …
An den Geräuschen merke ich, daß auch Harald hierher gebracht wird. Man setzt ihn neben mich auf das Wandsofa der Kajüte … Man fesselt mir die Füße …
Schritte an Deck … Kreischen von Taurollen … Das Knallen eines sich entfaltenden Segels … Knarren der sich am Stege scheuernden Bordwand … Und dann stärkeres, gleichmäßiges Schaukeln. Gurgeln und Schäumen des außenbords vorbeischießenden Wassers: die Jacht sticht in See … Mit uns – mit zwei Gefangenen. – Und stärker rollt und stampft der Segler …
Dann eine Stimme dicht vor uns: „So, Mister Harst, nun – nun haben wir Sie!! Und Sie werden uns jetzt den Kopf des Maharadscha von Jaipuvar beschaffen – so oder so …! Wenn nicht, werden Sie und Ihr Freund auf ein Brett gebunden und mit einem Stück Eisen an den Füßen zugleich mit Helena Elliots Leiche in der Nordsee – versenkt!!“
Helena Elliot – – Elliot?! – Ich glaubte mich verhört zu haben …
War doch Lady Maria eine geborene Elliot …! Und hier nun abermals Elliot?!
Da fragte Harst schon: „Ist Helena Elliot die blonde Tote?“
„Ja … Und es ist Charles Vincent Elliots einziges Kind, des – seit zwei Jahren verschwundenen Varieteekünstlers Elliot Tochter …!“
Stille …
Dann wieder Harst: „Varieteekünstler? In welcher Art?“
„Kunstschütze, Verwandlungskomiker – noch vieles andere,“ erwiderte die mir so bekannt erscheinende Stimme.
Und wieder Harst: „Dann – dann hat heute die Tochter den Vater ermordet! Denn Lady Maria Cornawoor ist bereits vor zwei Jahren verstorben, und nur ihr Bruder kann dann ihre Rolle weitergespielt haben – nur – –!!“
Abermals Stille …
Nur von draußen das Plätschern der Wellen, das Gurgeln und Schäumen, das Pfeifen des Windes im Tauwerk.
Plötzlich riß der Unsichtbare uns die Segelstücke von den Köpfen. Und – vor uns stand … Doch – – damit will ich den zweiten Teil des Kopfes des Maharadscha beginnen.
… Und vor uns stand – Lady Maria Cornawoor – als Mann …
Wirklich ein Mann, der jener Lady Maria, wie wir sie kennengelernt hatten, Zug um Zug glich …
Nur daß das schlohweiße Haupthaar kurz verschnitten war – nach Männerart …
Im übrigen: Lady Maria Cornawoor, das Vogelgesicht mit den tausend Falten und Fältchen und mit den jugendlich lebhaften Augen …
Und neben diesem Manne, der einen Sportanzug trug – mit Kniehosen mit Wickelgamaschen, ein anderer: der Matrose aus Aden, aus dem Hotel d’Angleterre, – also angeblich Thomas Jonas Pfistercrac, der berühmte Londoner Kollege! –
Ich – ich glotzte die beiden abwechselnd wie Gespenstererscheinungen an …
Ich weiß: mir sind damals die Augen aus dem Kopf herausgequollen! Und wenn ich heute hier von mir selbst behaupte: „ich glotzte!“, so wird das schon zutreffen! –
Harst neben mir schwieg ebenfalls …
Bis der Mann, der Lady Maria so aufs Haar glich, mit schrillem Lachen uns zurief:
„Also das ist Harald Harst – und das ist Max Schraut!! Nun – willkommen auf meiner Jacht Atlanta, meine Herren!! Willkommen!!“
Der angebliche Pfistercrac war bei diesem gellenden Eingangslachen deutlich zusammengezuckt … Er schaute mich mit seltsamem Blicke an … Man konnte vieles in diesem Blicke lesen – sehr vieles: Angst, Mitleid, stille Wut. Der Ausdruck wechselte eben. –
Und dann machte der andere eine kurze Wendung, deutete auf Pfistercrac und erklärte mit plötzlich losbrechender Wut in überlautem Tone: „Und dies hier – dies will der Detektiv Jonas Pfistercrac sein! Eine Frechheit, eine ungeheure Frechheit!!“
„Ich habe mein Unrecht bereits eingestanden,“ meinte der Matrose kläglich. „Ich werde nie wieder so anmaßend sein, mir einen so berühmten Namen zuzulegen, auf den einer Ihrer Freunde, Mylord, weit mehr Anspruch hat – oder besser: den einzig berechtigten Anspruch!“
„Gut, gut,“ nickte Mylord besänftigt. „Ich weiß, Sie heißen Thomas Jonas Crac. – So, nun werden Sie die beiden Gefangenen bewachen, bis ich oben an Deck nach dem Rechten gesehen habe. Hier – nehmen Sie meinen Revolver. Einem Harst gegenüber muß man vorsichtig sein!“
Und Mylord verließ die Kajüte. –
Mir schwirrte der Kopf … Mehr noch: Ich glaubte einen Moment lang, nur zu träumen!
All das war ja so unaussprechlich unlogisch – verrückt – widersinnig!
Knallend warf Mylord die Tür der kleinen Kajüte hinter sich zu …
Und – wer war nun dieser Mylord, der da die Treppe zum Deck emporstampfte?! Wer war Thomas Jonas Crac?
Die Aufklärung kam wie ein Blitzschlag …
Harst sagte – und in dem Ton seiner Stimme klang sein ganzes ungläubiges Staunen mit: „Sind Sie wirklich Jonas Pfistercrac?“
„Leider, Mister Harst, leider! Der blamierte Pfistercrac, der sich Ihrem Freunde gegenüber sehr gemein benommen hat, denn – die Sapara-Schlangen besaßen zwar keine Giftzähne mehr, waren aber doch geeignet, einen Nervenschock herbeizurufen. Zur Strafe haben mich nun diese fünf Herren eingefangen und mich zum Steward und Koch der Jacht Atlanta degradiert …“
Sein Gesicht wurde noch jammervoller …
„Fünf Herren stimmt nicht ganz, Mister Harst … Denn der Lord Reginald Cornawoor, wie er hier genannt sein will, ist in Wahrheit ein Weib, ist eben Lady Maria Cornawoor …“
Ich – ich faßte mir an die Stirn. Ich schnappte nach Luft. Ich hoffte, durch reichlichere Luftzufuhr in die Lungen auch mein[6] blödes Hirn anfeuern zu können, denn – von alledem verstand ich nichts – gar nichts!
Aber Harald sagte kühl, wenn auch hastig: „Mithin ist Lady Maria irrsinnig, leidet an der fixen Idee, ihr Gatte, ein Mann, zu sein …“
„Ja. Und auch die vier anderen sind fraglos kräftig übergeschnappt,“ nickte Pfistercrac seufzend. „Wir befinden uns hier in der Gewalt von fünf Verrückten, deren einer – stellen Sie sich vor! – sich Jonas Pfistercrac, der … berühmte Detektiv, nennt.“
Harald erwiderte hierauf nichts, sagte nur noch hastiger:
„Mister Pfistercrac, wir müssen uns rasch darüber einig werden, wie wir diese fünf unschädlich machen, überwältigen. – Sie helfen uns doch?“
„Welche Frage!“
„Dann zerschneiden Sie mal zuerst unsere Fesseln bis auf ganz dünne Fasern. Schnell – schnell …“
Pfistercrac beeilte sich. Sein Taschenmesser glitt mir einmal ins Handgelenk. Was tat’s?!
Ich atmete erleichtert auf, als ich wußte, daß ich jeden Augenblick ganz nach Wunsch Hände und Füße frei bewegen könnte. Ein paar Rucke, und die Stricke mußten vollends reißen.
„So,“ meinte Harald, „nun eine Frage, Kollege Pfistercrac. Haben Sie Gepäck an Bord? Führen Sie in Ihrem Gepäck Betäubungsmittel bei sich?“
Die Jacht rollte und stampfte jetzt so stark, daß der Kollege sich am Tische festhalten mußte.
„Gepäck?!“ Er zuckte die Achseln. „Die Kerle haben mich ja erst vor drei Stunden auf dem Bootssteg überwältigt. Aber – Morphium, damit kann ich dienen, Mister Harst. Ich leide an Neuralgie, und da muß man –“
„Sie werden die fünf dann durch Morphium betäuben, Pfistercrac. – Es kommt jemand die Treppe hinab … Berechnen Sie die Portion Morphium, die Sie ins Essen mengen, nicht zu kräftig und tun Sie –“
Da flog die Tür auf … Mylord erschien … Mylord, – Lady Maria Cornawoor, die echte Maria …!
Triefte von Wasser, von den Spritzern, die oben auf das Deck geklatscht waren …
Rief frohlockend: „Ah – ich bin ein Seemann! Keiner lenkt so gut und sicher eine Jacht im Sturm wie Lord Reginald Cornawoor!“
Und warf sich auf das andere Sofa, streckte die Beine von sich, brüllte Pfistercrac an:
„In die Kombüse, Steward! Vorwärts! Wir haben Hunger, Durst! Mokka will ich trinken, einen Mokka, der Lord Reginald Cornawoors würdig ist!“
Pfistercrac verbeugte sich und öffnete die andere Tür, die in die winzige Küche führte …
„Halt – den Revolver her!“ kreischte Mylord noch.
Und säuerlich lächelnd gab der Kollege die Waffe ab.
Wir beide waren mit der Wahnsinnigen allein.
Harst sagte in respektvollem Tone: „Mylord, gestatten Sie eine Frage …“
„Bitte …“
„Sie drohten doch, uns zu ersäufen, falls wir Ihnen nicht den Kopf des Maharadscha von Jaipuvar verschaffen würden. – Wo befindet sich dieser Kopf?“
„Zunächst, Mister Harst, zunächst ließ ich Ihnen beiden drohen! Crac mußte das besorgen. Und dann: den Kopf hat meine Frau versteckt – im Schlosse Cornawoor – irgendwo! Das Versteck sollen Sie eben ermitteln.“ –
Ich mußte mir immer wieder klarmachen, daß ich eine Wahnsinnige vor mir hätte. Es gehörten in der Tat einige geistige Akrobatenkünste dazu, sich in diesem Wirrsal von Lady Cornawoor zurechtzufinden!!
„Und wo ist Ihre Gattin zurzeit, Mylord?“ fragte Harald ebenso respektvoll weiter.
„Im Himmel – im Himmel! – Sie hieß in Wahrheit Circe … Sie wissen, Mister Harst, das war die Zauberin, die schon Odysseus’ Gefährten in Schweine verwandelte. Mich hat dieses selbe Weib …“ – In seinen Augen glomm wahnwitzige Wut auf – „in einen Weiberleib hineingezaubert, mich, Lord Reginald Cornawoor, und hat mir ihr eigenes Aussehen verliehen, hat mich dann nach Nordfrankreich in eine Nervenheilanstalt geschleppt, wo Doktor Tardieux, der Anstaltsbesitzer, mir einreden wollte, ich sei – meine Gattin!! Haben Sie schon jemals derartigen Unsinn …“
Er schwieg – – horchte …
Oben auf Deck heulte jemand in so schrillen Tönen, daß es mir durch Mark und Bein ging …
„Das – das ist der berühmte Sänger Caruso,“ lächelte Mylord. „Er übt …! Das tat er auch in Doktor Tardieux’ Anstalt, wo sie behaupteten, er sei gar nicht Caruso, sondern ein französischer Baron namens Estampelle.“
Das Geheul verstummte jäh …
Mir lief’s eiskalt über den Rücken. Der Gedanke, hier auf der Jacht mit fünf Irren, die fraglos aus der Anstalt entflohen waren, zusammen zu sein, kam mir wie ein höllischer Spuk vor. –
„Nicht wahr, Mylord, – Sie und Ihre Freunde haben dann die Anstalt verlassen?“ begann Harald wieder.
„Ja, Mister Harst. Vorgestern nacht nach genau vereinbartem Fluchtplan. Den Wärter Testpour haben wir erwürgt, haben dann Doktor Tardieux gefesselt und sein Geld mitgenommen. Wir flohen nach Dover, und seit gestern hielten wir uns in der Atlanta verborgen, da ich doch den Schurken, der in Schloß Cornawoor den Herrn spielte, erst beseitigen mußte …“ –
All das entsprach fraglos der Wahrheit, wenn man eben der Geistesgestörten fixe Idee, ein Mann und ihr Gatte zu sein, nicht berücksichtigte.
„Und Helena Elliot?“ meinte Harald vorsichtig, um dem Redefluß der Wahnsinnigen eine neue Schleuse zu öffnen.
„Helena Elliot ist tot,“ plapperte die Kranke plötzlich ohne jedes Interesse vor sich hin. „Caruso hat sie erstochen, da sie uns im Wege war …“
Mir graute …
Diese fünf Unglücklichen, Unzurechnungsfähigen gingen mit Menschenleben um, als ob sie nur ein Zündholz knickten.
Mir graute. Und immer wieder schielte ich nach dem Revolver in Mylords rechter Hand hin.
Wenn’s Mylord einfiel, uns niederzuknallen, dann – dann half uns nichts, nichts! Und wie leicht konnte in dem kranken Hirn dieser Mordgedanke aufblitzen – wie leicht, wie schnell!!
Mir graute … Ich fühlte, wie sich kalte Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten …
Und – Harald sagte gelassen: „Mylord, ich werde Ihnen den Kopf des Maharadscha verschaffen. Ich verspreche es Ihnen. Und ein Versprechen Harald Harsts ist genau so gut wie ein Ehrenwort …“
„Allerdings,“ murmelte Mylord geistesabwesend … „Allerdings …! Und mir – mir ist zuweilen so, als ob ich wisse, wo der Kopf sich befindet. Aber – da ist – ist ein Riegel in meinem Hirn, der irgend etwas absperrt – irgend etwas –“
Polternde Schritte die Treppe hinab … Tür fliegt auf. Naß, triefend ein Mann mit schwarzer Maske vor dem Gesicht … Kommt, verbeugt sich vor uns:
„Pfistercrac mein Name …“ Er sprach das Englische wie ein Franzose.
„Der berühmte Thomas Jonas Pfistercrac,“ nickte Harald ehrfurchtsvoll. „Sehr erfreut, Mister! Sehr erfreut! Eine Ehre für mich.“
Da nahm der Mann die Maske ab und zeigte uns ein schmales, feines Gesicht von gelblicher Farbe mit ein Paar dunkeln, flackernden Augen – den Augen eines – Irren!
„Mister Harst wird den Kopf des Maharadscha suchen,“ erklärte Mylord freudig. „Denken Sie, Pfistercrac – ein Harst!!“
„Ah, bah – Harst!!“ Der irrsinnige Baron lächelte geringschätzig. „Ich würde den Kopf gleichfalls finden, ich, Thomas Jonas Pfistercrac!“
„Ohne Frage!“ bestätigte Harald, auf den Gedankengang des Kranken rasch sich einstellend. „Und besser als ich, Mister Pfistercrac …“
Mylord verließ wieder die Kajüte, reichte noch dem Baron den Revolver und meinte:
„Pfistercrac, bewachen Sie nun die beiden!“
Kaum war er hinaus, als der Baron ihm nachblickte, dann mit dem Zeigefinger gegen die Stirn tippte und leise flüsterte:
„Mister Harst, es – es ist ein Weib, eine Irrsinnige. Auch die anderen drei sind krank. Nur ich bin gesund und wurde zu Unrecht in Doktor Tardieux’ Anstalt eingesperrt.“
Auch das war bezeichnend: er hielt sich allein für gesund – wie es die meisten Geisteskranken tun! Bei anderen merkte er die Anzeichen des Irrsinns. Bei sich selbst nicht.
Er setzte sich … Spielte mit dem Revolver …
Ich schwitzte noch stärker.
Zum Glück erschien da Steward Crac mit einer mächtigen Kaffeekanne und sechs Emailleblechbechern …
Füllte die Becher halb, reichte dem Baron den einen, blinzelte uns beide vielsagend an und balancierte an Deck.
Der Baron trank in kleinen Schlucken …
„Miserabler Mokka!“ schimpfte er. „Viel zu sehr gesüßt. Hat scheußlichen Beigeschmack!“
Aber – er trank.
Und oben – oben an Deck tranken auch die anderen …
Zehn Minuten später lagen fünf Bewußtlose auf dem Boden der Kajüte nebeneinander.
Harst stand am Steuer der Atlanta. Ich bediente die Segel, soweit dies nötig war.
Die Jacht schoß mit westlichem Kurs der englischen Küste wieder zu. –
Es begann dunkel zu werden.
Pfistercrac zündete die Positionslaternen an. Die Jacht hielt sich in der stark bewegten See tadellos. Es war eine Freude, auf ihren Planken die Nordsee zu durchpflügen …
Gegen halb zwölf Uhr nachts fand Steuermann Harst endlich die Einfahrt in die kleine Bucht von Cornawoor-Castle.
Wir vertäuten die Jacht am Bootssteg … Die Leiche der armen Helena Elliot war längst fortgeschafft worden.
Inzwischen hatte Freund Pfistercrac ein warmes Abendbrot zubereitet, und mit Heißhunger machten wir uns nun in der Kajüte darüber her. Die fünf Kranken, die noch immer im tiefen Morphiumrausch sich befanden, hatten wir vorn in die Segelkammer gelegt. –
Die Karbidlampe in der Kajüte brannte.
Ganz behaglich war’s …
Grog dampfte in dicken Gläsern, und Kollege Pfistercracs Kochkünste erwiesen sich als erstklassig.
„So,“ sagte Harald, „nun berichten Sie mal, Kollege, was Sie eigentlich mit diesem seltsamen Kriminalfall zu tun haben –“
Thomas Jonas Pfistercrac nahm einen langen Schluck Grog …
„Wenn Sie’s hören, werden Sie platt sein,“ erwiderte er dann. „Ich will mich ganz kurz fassen. Vor anderthalb Jahren etwa erschien in meinem Bureau in London ein Holländer namens van Zeelden und zeigte mir, nachdem ich ihm Verschwiegenheit zugesichert hatte, einen Ausweis von dem Oberpriester des Dschaina-Tempels in Jaipuvar. Van Zeelden war als Beauftragter der Dschaina-Priester ermächtigt, jedem, der den aus dem Tempel gestohlenen Kopf des Maharadscha wieder der Diebin abnehmen würde, eine Belohnung bis zu 25 000 Pfund zuzusichern. Für die Diebin hielt man Lady Maria Cornawoor, obwohl man keinerlei Beweise gegen sie hatte, nur vielleicht den einen, daß sie während ihres dreiwöchigen Aufenthaltes in Jaipuvar täglich mehrmals den Tempel besucht hatte.“
Harald machte eine Handbewegung.
„Eine Frage, Pfistercrac … Wie wurde der Kopf gestohlen? Und – hat man dem Rumpf der Mumie dann einen anderen Kopf aufgesetzt?“
Der Londoner Kollege kaute mit kräftigem Gebiß einen Schiffszwieback und brummte:
„Niemand weiß, wie der Diebstahl ausgeführt wurde – niemand! Aber – der echte Kopf ist sofort durch einen anderen ersetzt worden, das stimmt. Damals wütete in Indien wieder die Pest, und das abergläubische Volk hätte es als böses Vorzeichen noch schlimmerer Seuchen angesehen, wenn das Verschwinden des Kopfes der heiligen Mumie bekannt geworden wäre. – Jedenfalls: Ich übernahm das mir von dem Holländer gemachte Angebot, ließ mir als Vorschuß tausend Pfund zahlen und habe inzwischen noch zweitausend Pfund erhalten, bin also seit anderthalb Jahren entweder persönlich oder durch meine Angestellten hinter der Lady hergewesen, die, als ich den Auftrag van Zeeldens auszuführen versprach, gerade wegen Totschlags vor Gericht stand …“
„Das kennen wir alles, – sechs Diebe, sechs Revolverschüsse … – Und in Aden, Pfistercrac?“
„Ich hatte mich als Matrose für die Charybdis anheuern lassen. Als ich Schraut im Hotel aufsuchte, wollte ich lediglich Sie beide als Konkurrenten ausschalten, Ihnen … die Sache verekeln. Daher auch die Schlangen – ohne Giftzähne! Und das war ein sehr unüberlegter Streich von mir. Aber – ich war nun bereits achtzehn Monate der Lady auf den Fersen und wollte mir nicht durch Sie beide ins Handwerk pfuschen lassen …!“
„Na – vergeben und vergessen, lieber Pfistercrac … – Und dann?“
„Dann kamen wir in London an. Ich kniff aus, besorgte ein Auto und fuhr hinter dem Kraftwagen der Lady her, verließ mein Auto eine halbe Meile südlich von Cornawoor-Castle, bummelte in Matrosentracht die Küste entlang und wurde am Hohlweg oben von den fünf Irrsinnigen überfallen …“
„Gut – erledigt. – Haben Sie bei Ihren Nachforschungen irgendeinen Erfolg gehabt?“
„Nur den einen, daß ich merkte, daß ein sehr geheimnisvoller Herr, der als Alexander Archibald Norton …“
„Wissen wir, lieber Pfistercrac. Und – über Norton konnten Sie nichts ermitteln?“
„Nichts – gar nichts. Der Kerl ist zu schlau, zu vorsichtig. Aber gerade die Hartnäckigkeit, mit der er stets neue Opfer vor Lady Marias Revolver hetzte, bewies mir, daß er mit aller Bestimmtheit wissen müßte, der Kopf des Maharadscha befinde sich im Museum von Cornawoor-Castle –“
„Richtig ist das, sehr richtig!“ meinte Harald ernst. „Dieser Norton muß große Summen zur Verfügung haben. Er läßt sich den Scherz etwas kosten. – Doch – ein anderes Thema, Pfistercrac. Ist Ihnen bekannt, daß Lady Maria seit zwei Jahren durch ihren Bruder Charles Vincent Elliot dargestellt wurde? Kennen Sie die Zusammenhänge dieses Teiles der Geschichte des Maharadscha-Kopfes?“
„Ich sehe nicht ganz klar,“ erwiderte der Kollege ehrlich.
„Nun – ich will dann kurz diese Zusammenhänge auf Grund meiner Kombinationen Ihnen und Schraut entwickeln. – Lady Maria stiehlt in Indien den Kopf, bringt ihn nach England, verbirgt ihn im Schlosse oder im Museum, erkrankt schwer, läßt ihren Bruder, den sie bis dahin verleugnet hat, in irgendeiner Maske zu sich rufen, vielleicht als Arzt oder Krankenpflegerin, verrät ihm jedoch nichts von dem Kopf des Maharadscha, wird irrsinnig und wird von dem alten Varieteekünstler Elliot heimlich nach Frankreich in die Anstalt Doktor Tardieux’ geschafft. Vincent Elliot spielt mit viel Geschick infolge seiner verblüffenden Ähnlichkeit mit Maria die Lady und … erschießt die sechs Diebe – als Kunstschütze war’s ihm nicht weiter schwer, sich seiner Haut zu wehren! – Von dem Kopf des indischen Fürsten erfährt er erst etwas durch den bei dem einen Diebe gefundenen Zettel …“
„Der Vertrag mit dem rätselhaften Norton,“ warf Pfistercrac ein.
„Ja, der Vertrag … – Schließlich will Vincent Elliot als Lady Maria sich doch einmal selbst davon überzeugen, ob der Kopf wirklich im Dschaina-Tempel fehlt, fährt nach Indien und sucht mich in Aden auf der Rückreise auf – Nun beginnt der andere Teil der Tragödie. Elliots Tochter, offenbar von Norton als achter Dieb für seine Absichten gewonnen, mit ihrem Vater und ihrer Tante verfeindet und in Not, – diese Helena Elliot wird im Museum von ihrem Vater überrascht, hält ihn für Lady Maria und – stößt zu! Trifft nur zu gut … ersticht den eigenen Vater …“
Harst schwieg … Tiefe Stille in der Kajüte … Unheimliche Stille. – Uns drei packte die ungeheure Tragik dieser Geschehnisse ans Herz. –
„Furchtbar!“ murmelte Pfistercrac dann.
„Ja – entsetzlich,“ meint Harald düster, „denn – diese Helena wird von dem Baron getötet, als sie auf ihrer Flucht unglücklicherweise auf den Bootssteg gerät …“
Wieder Stille …
Draußen plätschert das Wasser an den Bordwänden …
Träge schaukelt die Jacht …
Und vorn in der Segelkammer liegen fünf Menschen, fünf vom Schicksal Gekennzeichnete …
Grauenvoll ist das alles, unsagbar grauenvoll!
Und unsere Gesichter, vom weißen Karbidlicht beschienen, sahen denn auch seltsam farblos aus … –
Harst griff nach der Grogkanne, füllte die Gläser …
„Schütteln wir die Schauer des Entsetzens ab,“ meinte er mit etwas klangloser Stimme. „Wir sind drei Männer, die an derlei gewöhnt sein sollten. – Ich schlage nun vor, daß wir …“
Und da – das letzte Wort dieses jäh unterbrochen Satzes tönte noch in unseren Ohren nach – da von draußen her ein schriller Schrei, der nichts Menschliches an sich hatte.
Ein Schrei, endlos lang gereckt, an- und abschwellend – ohne jede Ähnlichkeit mit dem Möwenruf, den wir zuweilen schon vernommen hatten …
Ein Schrei, der ebenso jäh wieder erstarb, nach Sekunden abermals erwachte …
Wir sahen uns an …
„Was – was bedeutet das?“ flüsterte Pfistercrac mit gerunzelter Stirn. „Verdammt – mir wird’s kalt auf dem Rücken! Eiskalt …!!“
Er trank rasch – das ganze Glas leer …
Stille … Draußen und – hier in der Kajüte.
Harst erhebt sich, nimmt die Clement aus der Schlüsseltasche der Beinkleider.
„Wartet!“ sagt er kurz.
Ich stehe schnell auf … „Ich komme mit!“
„Meinetwegen …“
Wir schrauben die Lampe herab, bis in der Kajüte Halbdunkel herrscht.
Harald öffnet leise die Tür … Leise steigen wir beide an Deck …
Sternenhimmel über uns. Und dort links tobt die Brandung … Dort rechts die Steilküste, düster, zackig, tiefe Schatten überall …
Wir klettern auf den Bootssteg … Harst bleibt stehen, lauscht, späht umher … Flüstert:
„Die Sache gefällt mir nicht! Da stimmt irgend etwas nicht …!“
Ich halte den Metallkolben der Clement umklammert, schiebe die Sicherung zurück …
Harst rührt sich nicht …
Stille … Brandungsdonner … Ferner Möwenschrei.
Harst rührt sich nicht …
Und dann – – wieder der Schrei …
Ich fahre zusammen … So gräßlich klingt’s, so nervenaufpeitschend …
Der Schrei erstirbt jäh …
„Dort links oben war’s,“ flüstert Harst. „Links am Rande des Hohlweges etwa. – Wir wollen vorsichtig sein, kriechen. Ich fünf Schritt voran …“
Und – wir kriechen – auf allen vieren, und doch schnell, hastig, als gälte es, jemandem zu Hilfe zu kommen.
Die schwarzen Schatten des Hohlweges nehmen uns auf. Über roh in den Fels gehauene Stufen geht’s aufwärts. Aufwärts – vorwärts …
Und dann mildes Sternenlicht wieder … Dann der Klippenrand – Bäume, Sträucher.
Harst lauscht …
Ein Stöhnen irgendwoher … Ein dumpfes Röcheln. Wieder so unheimlich – so gar nichts Menschliches in diesen Lauten …
„Jemand, der einen Knebel im Munde hat,“ haucht mir Harald ins Ohr.
Und wieder das Stöhnen, Gurgeln, Röcheln …
Und wir nach links wie die Schlangen. Meter für Meter lautlos und dicht an den rauhen Boden geduckt …
Wie Harald den Kopf höher hebt … Bis auch ich dicht am Steilrand der Küste eine dunkle Masse erkenne …
Ein … Mensch … gefesselt.
Ein Mensch, den ein Satan halb über den Abgrund geschoben hat, – mit den Beinen über der Tiefe hängend, nur den Oberleib noch als Stütze …
Wir packen zu, ziehen ihn empor …
Sternenschein beleuchtet ein verzerrtes, faltenreiches Greisengesicht …
Es ist – es ist das Gesicht …
… das Gesicht Lady Maria Cornawoors, der Wahnsinnigen … – –
Als sie uns mit stierem Blick gemustert hat, als sie dem Tode entronnen, dem Tode des Zerschelltwerdens auf steinigem Strande, da fällt sie in Ohnmacht, sinkt zur Seite …
Harst zerschneidet ihre Hand- und Fußfesseln …
Harst flüstert: „Gib auf die Umgebung acht! Schieße sofort! Hier dies – dies ist … Nortons Werk!“
Und mit solcher Gewißheit erklärt er’s, daß ich selbst davon überzeugt bin: Nortons Werk!! –
Nichts regt sich ringsum …
Ich spähe argwöhnisch hierhin – dorthin. Meine Sinne sind geschärft durch den Gedanken, das vielleicht das menschliche Scheusal noch in der Nähe – lauernd, sprungbereit …
Ich halte die Hand mit der Clement halb erhoben. Ich fühle es in allen Nerven: es wird etwas geschehen …!
Aber – es geschieht nichts … –
Harst lädt sich die Ohnmächtige auf den Rücken …
Wir kehren zur Atlanta zurück …
Nichts geschieht …
Wir finden Pfistercrac auf Deck unserer harrend.
„Das Morphium war für die Lady zu schwach,“ erklärt Harald. „Die Lady ist entflohen, fiel einem Satan in die Hände …“
Wir stehen dann in der Kajüte …
Harst zeigt auf Lady Marias Hände, die mit Brandblasen bedeckt, schwarz, versengt sind …
„Norton!! Vielleicht – vielleicht Nortons Marter, um der Irrsinnigen das Geheimnis zu entlocken, wo sie den Kopf versteckt hat. – Pfistercrac, Sie bleiben hier … Schraut und ich holen Leute, holen Hilfe … – Wiedersehen, Pfistercrac!“
Und abermals kriechend den Hohlweg hinan. Abermals jede Art von Vorsicht. Abermals Harst fünf Schritt vor mir – wie ein gleitender Schatten …
So geht’s durch den Wald bis zur Parkmauer …
Hinüber …
Wir sind im Park … Wir hasten weiter …
Harald flüstert, als in der Ferne Hundegebell ertönt: „Ich belog Pfistercrac. Ich hoffe Norton im Museum zu finden …“
Norton – – der Satan!!
Norton – – der Geheimnisvolle, der sechs Diebe, der Sir Ernest Francis Cornawoor und Helena Elliot für sich gewann – durch schnödes Geld, der sieben, acht Menschenleben auf dem Gewissen hat …!
Und – den wollten wir fangen!! – –
Weiter – weiter …
Durch die Finsternis des Parkes – durch Busch und Strauch – – lautlos, stets die Hunde fürchtend, die nachts frei umherstreifen, wie Allison betont hatte …
Fünfzehn Hunde aller Art, gelbe Bluthunde aus Südamerika darunter, von jener Rasse, mit der einst die Neger gehetzt wurden …
Wenn die Meute uns anfiel, waren wir verloren.
Fünfzehn Hunde … Und alle bissig, scharf, halb toll vor Hunger, denn nur morgens erhielten sie eine karge Mahlzeit. –
Wieder fernes – fernes Hundegebell …
Harald horcht … Harald zögert … Genau wie vorhin am Rande der Steilküste macht sich bei ihm ein übertriebenes Mißtrauen, eine gewisse Unsicherheit bemerkbar.
Und etwas tief Nachdenkliches ist in dem Ton seiner gedämpften Stimme, als er nun äußert, ihm sei da soeben etwas eingefallen, das wir notwendig berücksichtigen müßten.
Er ist stehengeblieben. Er fügt hinzu, während über uns die Wipfel der uralten Parkbäume von Cornawoor-Castle unter einem heftigen Windstoß aufbrausen und die Stimmen ihres Blättermeeres mit dem Tosen der Brandung drüben in eins verklingen lassen …
Er fügt hinzu, und seine Linke liegt dabei mit schwerem Druck auf meinem Arm:
„Bedenke, daß Lady Maria die Meute bereits sich zulegte, als sie noch nach ihrer Rückkehr aus Indien krank daniederlag … Bedenke, daß fünfzehn Hunde nachts das Museum bewacht haben und daß trotzdem die Diebe hineingelangt sind …“
Ich hielt fast den Atem an … Offenbar war Harst hier auf einer neuen Fährte …
„Weiter!“ drängte ich. „Weiter …! Was folgerst Du daraus?“
„Das, was man einzig und allein hieraus folgern kann! Auf dem gewöhnlichen Wege ist es der Hunde wegen unmöglich, das Museum zu erreichen, ich meine: zu Fuß auf dem – Erdboden entlang!“
Da begriff ich …
„Ein unterirdischer Weg?“
„Nein, mein Alter, nein! Das nicht! Das Museum ist ganz neu. Nur in früheren Jahrhunderten baute man unterirdische Gänge, Geheimtüren und Ähnliches mit in die Gebäude ein. – Nein, es gibt noch einen dritten Weg, den ich ja auch gewählt habe, als ich in zwei Nächten Schloß Cornawoor inspizierte. Damals wurden die Hunde freilich eingesperrt gehalten. Und doch nahm ich … den Weg zum Teil über dem Erdboden durch die Baumkronen. Ich sagte es Dir ja bereits …“
„Gewiß. – Und Du glaubst, daß dieser Norton den Dieben einen ähnlichen Weg empfohlen hat!“
„Ja …“
Er lauschte wieder … flüsterte:
„Die Hunde bellen stets an derselben Stelle … Horche mal genau hin … Es ist so –“
„Es scheint … Der Wind ändert die Schallrichtung.“ Ich war doch nicht so ganz fest überzeugt, daß die Meute nicht kläffend umherstrich.
Harald begann von neuem: „Wenn Du das Bild der Gesamtansicht des Museums noch im Kopfe hast, wirst Du Dich entsinnen, daß da eine unregelmäßige Reihe prächtiger Buchen, die man bei Anlage des Rasenplatzes wohl schonen wollte, sich bis ans Museum heranzieht.“
„Ich erinnere mich.“
„Nun also: diese Buchen könnten der Weg zum Dache des Museums sein. Wir werden uns danach richten.“
Dann schritt er weiter – lautlos, huschend, von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch, am Rande der Rasenflächen dahin – stets Deckung suchend.
Und ich fünf Meter hinter ihm – die Clement in der Rechten. Alle Nerven gereizt – alle Sinne verdoppelt.
Das war wieder so eine Nacht, wie wir sie liebten! – Das war das Packende, Bezwingende, Verführerische unseres Berufs: Dieses Spielen mit Gefahren, dieses Einsetzen geistiger und körperlicher Mittel zur Beseitigung dieser Gefahren, und all das umwoben von dem Zauber der stürmischen, sternklaren Julinacht …
Man muß Stimmungsmensch sein, um die Vorliebe für derartige Erregungen, für diese Art prickelnden Sektes zu begreifen.
Ich weiß, daß meine Leser größtenteils dafür Verständnis haben. Ich ersehe das aus den Briefen, die mir durch den Verlag so zahlreich zugehen. Und wenn ich bei dieser Gelegenheit an meine schönen Leserinnen und freundlichen Leser eine Bitte richten darf: verlangen Sie keine langen Antworten von mir! – Das ist unmöglich. Dazu fehlt mir die Zeit. Gern will ich denen, die ein paar Zeilen mit Max Schrauts Unterschrift besitzen möchten, diese kleine Freude bereiten – aber ganz kurz! – –
Nach dieser ebenfalls nur kurzen Abschweifung zurück in den nächtlichen Park von Cornawoor-Castle, wo uns nun das Gekläff der Meute näher und näher erklang, wo wir bald mit aller Sicherheit feststellten, daß Harald recht hatte: die Hunde bellten an derselben Stelle, änderten den Platz nicht, heulten zuweilen so wütend auf, daß sie unfehlbar Grund dazu hatten: sie mußten einen Feind gewittert haben, sei’s ein Mensch, sei’s ein vierbeiniges Geschöpf: Katze, Marder, Iltis – dergleichen.
So war es uns denn leicht, der Meute auszuweichen. Und nun – nun lag dort drüben das Museum vor uns. Nun sahen wir beide gleichzeitig, daß Licht hinter den Fenstern schimmerte, daß die elektrische Beleuchtung in allen Räumen eingeschaltet war …
Sahen drei Gestalten, die sich hin und her bewegten, deren Schatten über die hellen Scheiben hinliefen – ruhelos – hastig.
„Allison, Claryc und ein Mann in Uniform,“ erklärte Harald leise. „Das Gebell der Meute hat sie argwöhnisch gemacht. Sie durchsuchen das Museum. – Vorwärts …! Da kommen wir gerade zur rechten Zeit!“
Wir liefen über den Rasenplatz. Wir liefen, denn – faßte uns die Meute hier auf offener Fläche ab, wo wir nicht einmal eine Baumkrone als Zufluchtsstätte in der Nähe hatten, dann hätten wir selbst durch Clarycs, des Wächters, Eingreifen wohl kaum gerettet werden können.
Die Haupttür des Museums war nur ins Schloß gedrückt. – Wir traten ein.
Der alte Allison bemerkte uns zuerst, eilte herbei, rief Claryc etwas zu … Begrüßte uns freudig – ahnungslos.
„Die Herren waren doch mit der Atlanta in See gegangen. Haben Sie den[7] Mörder abgefaßt, ergriffen?“
Der Herr in Uniform kam und stellte sich vor: Polizeiinspektor Dawes aus Bramby.
Dawes drückte uns die Hand, war die Liebenswürdigkeit selbst, war ein Mann, der bisher in dem kleinen Städtchen wohl nie in langer Dienstzeit so Aufregendes erlebt hatte wie in dieser Nacht, wie am vorangegangenen Tage.
Und nach Art aller Leute, die, halb versauert im Alltagseinerlei, das Wichtige vom Unwichtigen nicht zu trennen wissen, platzte er sofort heraus:
„Auch die Leiche des jungen verkleideten Mädchens liegt im Saale der Ahnenburg, Mister Harst, – da drüben …“
Harst nickte nur, wandte sich an Claryc, den Riesen:
„Die Hunde scheinen irgendein Tier gestellt zu haben?“
„Ja, die dummen Bestien – – wahrscheinlich wieder einen Marder! Das ganze Schloß haben sie alarmiert!“
„Ich möchte einmal den Bodenraum des Museums durchsuchen,“ erklärte Harald dann nach kurzer Pause.
„Haben wir schon getan, Mister!“ brummte der Riese. „Alles leer – alles in Ordnung, bis auf eine der Luftscheiben … Die ist kaputt …“
„Und groß genug, um einzusteigen?“
„Ja – das wohl!“
„Dann möchte ich doch hinauf … – Komm, mein Alter …“
Aus dem Vorflur lief eine eiserne schmale Treppe in den ausgedehnten, niederen Bodenraum empor.
Hier unter dem Schieferdach war’s drückend heiß – so drückend, daß ich ordentlich nach Luft schnappte.
Harsts Taschenlampe leuchtete uns …
Spinngewebe überall … Staub – Mörtel- und Schieferstücke …
Die Luftscheiben mit den eisernen Einfassungen bildeten scharfe Vierecke in dem Dunkel des Daches …
Die dritte Luftscheibe, vierteilig, war zertrümmert, und zwar das Glas links unten, wo die gekrümmte Eisenstütze innen eingehakt war.
Harst schob das schmale Fenster empor, reckte sich hoch und beleuchtete außen das Dach …
Zog den Kopf wieder zurück, reichte mir ein halb zerquetschtes Buchenblatt – ein frisches Blatt, auf dem genau der Absatz eines Schuhes eingeprägt war …
„Bitte, mein Alter! Norton war hier!“ sagte er nur und legte das Buchenblatt in seine Brieftasche. „Gehen wir wieder hinunter. Falls es Norton wirklich geglückt ist, Lady Marias erstorbenes Gedächtnis durch die brutale Folterung, die er durch das Flämmchen eines Benzinfeuerzeugs ausgeführt haben muß, wieder zu beleben, falls der körperliche Schmerz vielleicht in dem wirren Hirn der Ärmsten die Erinnerung weckte, wo sie den Kopf des Maharadscha verborgen hat, dann – dann kann dieser Kopf jetzt in Nortons Händen sein – kann. – Gehen wir! Ich will mich im Museum umsehen, und dann kommen die Hunde heran.“
Wir stiegen die Treppe hinab.
Inspektor Dawes war wieder ganz Überhöflichkeit und Diensteifer.
„Ich war auf dem Dach,“ meinte er stolz. „Es ist jedoch niemand dort oben gewesen – bestimmt nicht!“
„Bestimmt!“ nickte Harald und betrat den Hauptraum.
Zehn Minuten dauerte es, bis er auch die anderen Räume besichtigt hatte.
Nirgends etwas Auffälliges – nirgends …
„Claryc,“ sagte er da zu dem Riesen, „Sie begleiten uns dorthin, wo die Hunde noch immer toben.“
„Dumme Viecher!“ grollte Claryc.
Und Mister Dawes meinte bescheiden: „Darf ich mich Ihnen anschließen, Mister Harst?“
„Bitte …“ –
Allison blieb im Museum. Wir vier schritten einen Nebenweg entlang – hinein in ein Eichenwäldchen – bis zur Mitte, wo auf einem Hügel von regelmäßiger Kuppelform eine Buche stand …
Clarycs und Dawes’ Karbidlaternen beschienen die Meute, die immer wieder heulend an dem mächtigen Stamm emporsprang …
Claryc scheuchte die Hunde weg. Sie knurrten. Ihre Augen funkelten. Keuchend, japsend lagerten sie sich fünf Schritt weiter dicht beieinander und beobachteten uns …
„Der älteste Baum des Parkes,“ brummte der maulfaule Goliath.
Harst drehte sich nach Dawes um.
„Gibt es hier Hünengräber in der Nähe, Mister Dawes?“
„Ja – nur wenige freilich …“
„Die Form dieses Hügels erscheint mir merkwürdig, Mister Dawes. Und die einzelne Buche hier auf dem Hügel deutet inmitten dieses Eichenhaines ebenfalls mit ziemlicher Bestimmtheit auf ein Grab aus grauer Vorzeit hin.“
Dann nahm Harald dem Polizeiinspektor die Laterne ab, trat ein paar Schritt zurück und leuchtete nach oben – in die Äste des Riesenstammes hinauf …
Weiß und grell blitzte der Lichtkegel über das Laubdach, über Zweige und knorrige Äste hin …
Als die Hunde nun gleichfalls mit ihrem feinen Instinkt herausmerkten, daß Harst dort oben durch den Laternenschein etwas suchte, erhoben sie sich und umdrängten ihn mit gierigem Winseln, die Köpfe hochgereckt, Geifer am Maule vor unterdrückter Wut und Angriffslust …
Claryc wollte die Tiere wieder zurückscheuchen. Harst wehrte energisch ab, gab mir die Laterne und sagte zu dem Goliath:
„Stellen Sie sich an den Baum, Claryc. Ich will in die Krone hinaufklettern.“
Claryc war eine gute Leiter.
Ich reichte Harald dann die Laterne zu, und er stieg höher und höher, von Ast zu Ast, bis nur noch der Laternenschein verriet, wo er sich befand.
Inspektor Dawes verfolgte all das mit der schlecht verhehlten Neugier des Provinzpolizeibeamten.
„Mister Schraut,“ meinte er nach einer Weile, „glaubt Ihr Freund etwa, daß dort oben ein Mensch steckt?“
„Vielleicht,“ erwiderte ich diplomatisch.
Dann Harsts Stimme aus dem grünen Blättermeer:
„Hallo, mein Alter, – komm’ doch mal nach oben … Es lohnt!“
Er hatte deutlich gesprochen. Und sofort fragte Dawes denn auch: „Was gibt’s, Mister Schraut?“
„Weiß nicht … Soll gleichfalls in die Krone empor. – He, Claryc, bitte – darf auch ich Sie als Leiter benutzen?“
Ich turnte rasch hinauf – so rasch mein Bäuchlein das gestattete.
„Vorsicht!“ rief Harst, als ein morscher Ast unter meinem Fuße zerknackte …
Die Hunde heulten auf …
Claryc fluchte …
So näherte ich mich der Stelle, wo der Laternenschein mir Harsts Nähe verriet …
Er stand auf einer Astgabel nach Norden zu etwa zehn Meter über der Erde …
Er stand und hatte die rechte Hand mit der Laterne weit vorgestreckt …
Der Lichtkegel ließ die Fortsetzung des einen Astes klar erkennen …
Und als ich nun dicht neben dem Freunde angelangt war, da – da bemerkte auch ich … den menschlichen Körper, der dort bäuchlings über dem Aste hing, Arme und Beine nach unten hängend.
Ein Mann war’s in dunkelgrünem Lodenanzug, mit dunkler Sportmütze, schwarzem Vollbart …
Das sah ich …
„Tot!“ meinte Harald leise. „Vielleicht ist es Norton!“
Eine Pause …
„Vielleicht ist Norton der, der allein Norton sein kann,“ fügte er hinzu …
„Und – das wäre?“ flüsterte ich gespannt.
Er schien diese meine Frage überhört zu haben. Man kennt das ja an ihm: er spielt so gern den Geheimnisvollen, er liebt Überraschungen, die sein reger Geist stets bereit hat, den Gedanken anderer weit vorauseilend …
„Halte die Laterne,“ bat er nun. „Ich will mir den Toten genauer ansehen …“
Er balancierte auf dem Aste weiter, bückte sich, setzte sich neben den regungslosen Körper …
Unten jaulte die Meute …
Unten fluchte Claryc auf die – dummen Bestien, unten brüllte der neugierige Inspektor:
„Hallo – haben Sie denn was entdeckt, Mister Harst?“
„Nichts Besonderes, Mister Dawes … Wenigstens für mich nichts Besonderes, denn ich wußte, wen ich hier finden würde – freilich nicht so!!“
Und für mich – ganz leise:
„Mein Alter, der Mann hier ist auf sehr eigentümliche Art gestorben … beseitigt … Ein Künstler im Messerwerfen muß ihm denselben Dolch, den wir in Charles Vincent Elliots Herzen fanden, in die Brust geschleudert haben – mit unfehlbarer Sicherheit …“
Und laut rief er Claryc zu:
„He – Claryc! Eine lange Leiter – und ein paar lange Stricke. Rasch!“
Dawes meldete sich wieder:
„Was gibt’s denn nun eigentlich da oben? Bitte, Mister Harst, – ich bin hier als zuständiger Beamter anwesend!“ Das klang schon stark gereizt …
„Ein Toter, Mister Dawes … Ein Ermordeter … Wir werden ihn hinablassen. Claryc soll die Hunde mitnehmen …“
Claryc schimpfte, wetterte. Die Meute, die längst den Toten gewittert hatte, sträubte sich, wollte nicht gehorchen …
Schließlich setzte der Goliath doch durch Knüttelhiebe seinen Willen durch. Die Hunde folgten ihm.
Und kaum zehn Minuten später trugen wir den auf der Leiter liegenden Toten in das Museum – ein neues Opfer des unheimlichen Kopfes des Maharadscha von Jaipuvar!
Wir legten die Leiche auf eines der Rohrsofas.
Harst nahm dem Toten dann die Mütze ab und – zog gleichzeitig die dunkle Perücke mit herunter.
Blondes, dünnes, gescheiteltes Haar, an den Schläfen bereits von silbernen Fäden durchzogen, kam zum Vorschein.
Und wieder enthüllte Haralds Hand, den falschen Vollbart entfernend, ein rundliches Gesicht mit schwammigen Zügen … –
Inspektor Dawes hatte nur Augen für den indischen Dolch, der neben dem Herzen bis zum Griff in die Brust des Toten hineingetrieben war.
„Es ist genau derselbe Dolch, den die Ärzte aus der Todeswunde der angeblichen Lady Maria entfernt haben,“ meinte er.
„Ja – zwei gleiche Dolche … Feinste indische Arbeit,“ nickte Harald.
„Hm – und Sie behaupten, diesem Manne ist der Dolch in die Brust geschleudert worden?“ fragte Dawes zweifelnd.
„Ja. Beachten Sie doch die Stellung des herausragenden Griffes, Mister Dawes. Der Griff zeigt nach unten. Von unten warf jemand dem flüchtenden Manne die Waffe im Baume in die Brust – vom Erdboden her. Und der tödlich Verletzte kletterte weiter, bis ihn die Kräfte verließen. Er ist innerlich verblutet. Vielleicht ist das Zwerchfell verletzt …“
Dawes schüttelte den Kopf …
„Welch ungeheure Kraft gehört dazu, einen Dolch so zu werfen, daß er Jacke, Weste, Hemd durchdringt und noch …“
Harald unterbrach ihn:
„Gewiß – ungeheure Kraft! – Eine Frage, Mister Dawes: wo ist der Dolch, durch den Vincent Elliot starb?“
„Ich habe ihn Claryc zur Aufbewahrung übergeben.“ Und er drehte sich nach dem Riesen um, der abseits an einem der Glasschränke lehnte …
Der begann hastig seine Taschen zu befühlen, brummte schließlich finster: „Wahrhaftig – ich muß das verdammte Ding verloren haben – wahrhaftig! Hier in die Brusttasche innen hatte ich’s doch gesteckt – in Papier gewickelt, Mister Dawes, – besinnen Sie sich nur …! Verdammt – nun ist der Dolch weg!“
Er hätte vielleicht noch weiter die indische Waffe zu allen Teufeln gewünscht, wenn nicht von der Haupttür her rasch zwei Personen jetzt erschienen wären …: Lady Maria Cornawoor und Jonas Pfistercrac!
Lady Maria, noch im Männeranzug, trug die verbrannte Hand verbunden in einer Schlinge.
Und – ein einziger Blick in Ihr Gesicht bewies mir, daß die Fesseln des Wahnsinns Ihren Geist nicht mehr in Bann hielten … –
Das Erscheinen der Lady und ihres Begleiters in Matrosentracht übte eine Wirkung auf den alten Allison, auf Claryc und Dawes aus, als sei plötzlich ein Gespenst in unseren Kreis getreten …
Die drei Männer, die noch nichts von dem Wiederauftauchen Lady Marias wußten, stierten wie gelähmt auf die hagere Erscheinung der Greisin, bis diese, den Toten bemerkend, zu Harst sagte:
„Mister Harst, ein neues Opfer etwa?! Ein neues Opfer meiner unseligen Tat?!“
„Es ist der angebliche Alexander Archibald Norton,“ erwiderte Harald laut. „In Wahrheit ist’s der Holländer van Zeelden, der ein verwerfliches, freventliches Doppelspiel getrieben hat, einmal als Beauftragter der Dschaina-Priester, dann – auf eigene Rechnung als Norton, um den Kopf des Maharadscha heimlich an sich zu bringen …“
Jonas Pfistercrac trat rasch näher heran …
„Es ist van Zeelden!“ rief er. „Tatsächlich – er ist’s! Es ist der Mann, der zu mir kam und –“
Lady Maria Cornawoor hatte dem Londoner Kollegen mit hoheitsvoller Handbewegung Schweigen geboten.
Sie richtete sich höher auf …
In dem hageren Greisinnenantlitz, in den jugendlich lebhaften Augen, deren Feuer einst wohl leicht einen Mann hatte begeistern können, lag ein Ausdruck schmerzlicher Selbsterkenntnis …
Kollege Pfistercrac fand noch Zeit, uns beiden rasch zuzuflüstern:
„Sie ist wieder vollständig bei klarem Verstand … Der körperliche Schmerz der Tortur hat hier Wunder gewirkt. Sie weiß alles …“ –
Lady Maria begann zu sprechen …
Vor uns – vor ihren beiden Getreuen Allison und Claryc, vor Inspektor Dawes, Pfistercrac und uns – mit aller Ehrlichkeit …
„Es ist an der Zeit, daß ich öffentlich bekenne, den Kopf des Maharadscha aus Sammlerleidenschaft durch Bestechung einiger Tempeldiener an mich gebracht zu haben, oder – um ganz rücksichtslos gegen mich selbst zu sein: gestohlen zu haben! Unendliches Leid und Unheil hat dieser Teil einer von den Indern als heilig und wundertätig verehrten Mumie über viele Menschen ausgestreut: Tod, Krankheit, Intrigen – vieles andere noch! – Ich selbst, die Hauptschuldige, büßte über den steten Gedanken an das, was ich freventlich getan, den gesunden Verstand ein. Ich fühlte, daß der Wahnsinn als drohendes Gespenst neben meinem Krankenlager harrte – wartete, bis er sich meiner ganz bemächtigen könnte. Da ließ ich meinen Bruder Charles Vincent Elliot in der Maske eines Arztes zu mir kommen. Wir, die bis dahin Verfeindeten, versöhnten uns. Noch lebte der Groll und Haß gegen die Familie meines Mannes in mir. Ich bat meinen Bruder, damit im Falle meines Todes die Güter der Cornawoors nicht an die Verwandten meines Gatten fielen, hier die Lady Maria an meiner Stelle weiterzuspielen, was ihm bei seiner großen Ähnlichkeit mit mir nicht schwerfallen konnte. Und – er versprach’s. Ich aber, die verblendete, haßerfüllte Frau, wurde vom Schicksal für diese maßlose Übertreibung der Feindseligkeit gegen die Cornawoors hart genug bestraft: ich starb – – den geistigen Tod! Und wenn ich nun wieder, schier durch ein Wunder, genesen bin, so geschah auch das – – durch ein Verbrechen! – Unheil, Leid, Tod und Verderben brachte der Kopf des Maharadscha in den stillen Park von Cornawoor-Castle. Keine Minute länger als nötig will ich ihn denen vorenthalten, die als Eigentümer dieser Reliquie alles daransetzen, sie wieder in ihren Besitz zu bringen. – Bitte, folgen Sie mir … Ich werde Ihnen den Kopf des Maharadscha von Jaipuvar zeigen …“
Sie schritt in den letzten Raum des Museums hinüber – auf einen Holzsockel zu, auf dem eine halb lebensgroße, grell bemalte Tonstatue des Gottes Buddha stand …
Sie hob die Statue mit verblüffender Kraft herab, legte sie auf den Bastteppich, drehte den Unterteil nach oben …
Und – eine Menge Tonscherben polterten dabei zu Boden …
„Gestohlen!“ rief Lady Maria schrill … „Gestohlen!! In diesem Buddha hatte ich den Kopf verborgen und die losgesprengten Stücke des Unterteiles wieder sauber verkittet …!“
Harst stand plötzlich dicht vor dem Riesen Claryc …
Sagte freundlich: „Nun ist es an Ihnen, zu reden, lieber Claryc. Sie haben den Holländer durch den Dolchwurf getötet. Nur eine Bärenstärke wie die Ihre konnte der geschleuderten Waffe solche Kraft verleihen! – Wo ist der Kopf jenes Maharadscha, Claryc? Der Holländer hatte ihn bei sich, und …“
Claryc brummte finster und verbissen:
„Der Kerl wollte auf mich schießen … Und der Pappkarton, der liegt im Gebüsch neben der Buche – im Dornengebüsch … Ich werde ihn holen …“ –
Er brachte ihn … – Wir sahen ihn, den Unglückskopf …
Und drei Tage später war der Kopf des Maharadscha unterwegs nach Indien. –
Lady Maria verließ Schloß Cornawoor für immer, lebte in Schottland fortan in einem Jagdschlößchen ihres Gatten in völliger Zurückgezogenheit. – –
Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß wir noch eine Woche im Städtchen Bramby blieben, da Inspektor Dawes uns in seiner Harmlosigkeit etwas erzählt hatte, das uns zu einem neuen, geradezu erstaunlichen Abenteuer verhalf, das ich demnächst unter dem Titel „Die Treppe des Todes“ veröffentlichen will.
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1: |
Ming Tschuan. |
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