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Der Mann mit dem Glasauge

 

 

 

Harald Harst

Aus meinem Leben

 

Band: 114

 

Der Mann mit dem Glasauge

 

Erzählt von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16, Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte einschließlich Verfilmungsrecht vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1924.
Druck: Buchdruckerei P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Der Verwandlungskünstler.

Am 6. Mai, wo ich die Geschichte des Mannes mit dem Glasauge beginnen lasse, wanderten wir beide, Harald und ich, von unserem Heim zu Fuß nach Dahlem hinaus, um uns allein dort im Hause des Banknotenfälschers Simpson umzusehen.

Der Leser kennt Simpsons Haus: ein in einem Garten gelegenes, einsames, sehr altes Gebäude, – verwahrlost, verfallen, ungemütlich. Nur die Vorhalle und ein paar Zimmer im ersten Stock waren möbliert.

Wir schlossen die große schwere Haustür auf.

Es war jetzt zehn Uhr – zehn Uhr vormittags am 6. Mai.

Aber kein Maitag war’s.

Nein – ein wütender Sturm strich über die Felder hin und traf die alten Kastanien, Buchen und Obstbäume des Gartens mit voller Kraft, so daß sie ächzten und stöhnten und ein paar Zweige immer wieder taktmäßig gegen die neue Zinkblechrinne des Daches schlugen, die der Professor (er trug diesen Titel mit Recht und war einer der bekanntesten englischen Meteorologen) als Hilfsantenne für seine Radiostation benutzt hatte.

Diese blechernen Töne, die sich von der Rinne in die Abflußrohre fortsetzten, begleiteten uns die Treppe in den Keller hinab, bis sie dann leiser und leiser wurden.

Der Keller war sehr ausgedehnt, hatte sechs verschiedene Gelasse, die jedoch sämtlich leer waren.

Aus dem einen dieser Raume führte eine sehr schlau versteckte Holztür, die mit Mörtel beworfen und daher von der Kellerwand kaum zu unterscheiden war, in einen gemauerten Gang und durch diesen in die geheime Funkspruchstation.

Harald hatte die Holztür sehr leise geöffnet, genau so, wie wir überhaupt jedes überflüssige Geräusch vermieden hatten.

Ebenso leise schritten wir den kurzen Gang hinab und bogen nun nach rechts ab, wo dieser sich zu einem niederen Gewölbe von vier Meter im Quadrat erweiterte. Dies war Edward Simpsons Funkspruchstation.

Daß wir wirklich jedes Geräusch vermieden hatten, bewies uns die Tatsache, daß wir hier nun einen Fremden überraschten, der mit dem Rücken nach der Türöffnung dagestanden und sich das nun leere große Marmorschaltbrett an der einen Wand angesehen hatte.

Harsts Anruf ließ den jungen Menschen herumschnellen.

Es war ein Mann von vielleicht 25 Jahren, gut gekleidet, mit dunklem Schnurrbart und etwas künstlermäßig langem Haar, das unter dem hellen weichen Filzhut hervorquellend die Ohren halb bedeckte.

Der Lichtschein unserer beiden Taschenlampen lag voll auf dem Unbekannten, der jetzt nach dem ersten leisen Schreck höflich den Hut zog und mit angenehmer Stimme sagte:

„Entschuldigen Sie, meine Herren. Die Neugier hat mich hergetrieben.“

Er sprach das Deutsche wie ein Engländer mit fremdem Anklang. Und gerade dies machte ihn verdächtig.

Harald betrachtete den Mann, dessen sympathisches Gesicht nur durch das stark schielende linke Auge entstellt wurde, daher auch sehr mißtrauisch.

„Kommen Sie mit nach oben,“ befahl er kurz.

Wir verließen den Keller.

Oben im ersten Stock in demselben Balkonzimmer, das uns seinerzeit des Professors nähere Bekanntschaft vermittelt hatte, sahen wir uns den Schielenden dann bei Tageslicht an.

Harst deutete auf einen Stuhl.

„Setzen Sie sich!“ Das klang recht streng. „Wie sind Sie in das Haus hineingelangt?“ fragte er dann nicht minder ernst.

„Durch die Hintertür, mein Herr. Sie stand weit offen.“

„So?! Das ist allerdings merkwürdig!“

„Vielleicht doch nicht,“ erklärte der Fremde harmlos. „Darf ich Ihnen berichten, weshalb ich hier eingedrungen bin?“

„Bitte!“

„Zunächst eine Frage,“ sagte der junge Mensch darauf in etwas selbstbewußterem Tone. „Die Herren sind Polizeibeamte nicht wahr?“

„Nein,“ erklärte Harald etwas zerstreut. Mir schien’s, als ob er angestrengt auf ein paar Geräusche im Hause lauschte, die trotz der tosenden Sinfonie des Sturmes auch an mein Ohr gedrungen waren.

„Wir sind Privatpersonen,“ fügte er hinzu, und in sein Gesicht trat jener rasch wieder verschwindende Ausdruck allerhöchster Sinneskonzentration, der mir klar bewies, daß hier in allernächster Nähe irgend etwas nicht in Ordnung sei …

„Ah – Privatpersonen!“ meinte der Fremde darauf verwundert. „Und – mit welchem Recht verlangten Sie vorhin von mir Rede und Antwort auf …“

Er schwieg. Das Kreischen einer rostigen Türangel hier oben im Flur hatte ihn aufhorchen lassen.

Harald erhob sich jäh. „Bleiben Sie sitzen!“ befahl er flüsternd dem jungen Manne. Und zu mir: „Du gibst auf ihn acht!“

Er tat zwei leise Schritte nach der Zimmertür hin, drehte sich nochmals um: „Ich bin Harald Harst!“ – und das galt dem Fremden. „Und Sie… sind Engländer, vielleicht ein … sehr guter Bekannter Professor Simpsons! Wagen Sie nicht zu fliehen. Ich habe bereits mehr gesehen als Sie denken!“ Und weiter schlich er zur Tür.

Im selben Moment verdunkelte sich das Zimmer. Eine pechschwarze ungeheure Regenwolke zog über den Himmel weg, vom Winde vorwärtsgetrieben, ihren Inhalt in einem sintflutähnlichen Guß entladend.

Wenn man einen solchen Platzregen im behaglichen Heim erlebt, fühlt man nichts anderes als das wohlige Empfinden des Geborgenseins.

Hier dagegen – hier in einem Hause, das sozusagen angefüllt mit Geheimnissen war und das der Polizei und uns mancherlei zu raten gegeben hatte, – hier noch in Gesellschaft dieses Fremden, der doch fraglos nicht ganz einwandfrei sein konnte, – hier wirkte diese plötzliche Öffnung der Himmelsschleusen und die ebenso plötzliche Dämmerung im Zimmer auf mich derart erregend, daß ich mit einer halb unbewußten Bewegung nach der Schlüsseltasche des Beinkleides griff.

Dort steckte die treue Clement, die Trösterin, die Mutspenderin, das Beruhigungsmittel.

Der, dem nie eine kühle Metallwaffe mit einem Rahmen mit neun blanken Patronen in die Hand sich schmiegte, – der ahnt nicht, was es bedeutet, eine solche neunschüssige „Lebensversicherung“ stets bereit zu haben.

Und ebenso unbewußt hatte ich da die Clement schon in der Hand.

Harst hatte sich nicht gerührt. Ein schneller Blick zu ihm hin zeigte mir, daß er von der Tür wieder zurücktrat.

Und als meine Augen nun wieder hinüberglitten zu dem jungen Menschen, als ich im Halbdunkel dieses wilden Naturkonzertes voll Sturm und Regen das Gesicht des Fremden musterte, da fuhr ich leicht zurück. Da glaubte ich im ersten Moment an eine Sinnestäuschung.

Ein ganz anderer Mann saß mir auf dem schäbigen Rohrstuhl gegenüber. Ein Mann mit grauem Vollbart, grauem Scheitel und einem alten, faltigen Gesicht.

Ich – ich war so unendlich verblüfft, daß ich den Menschen wie entgeistert anstarrte.

Und – noch mehr geschah. Die Tür öffnete sich, langsam, sehr langsam. Der Türdrücker hatte ein wenig gequietscht. Mein Blick flog hin.

Da sprang Harst auch schon zu, packte den zerlumpten Menschen, einen alten, buckligen, schmierigen Kerl, der auf dem Rücken einen Sack trug wie ein Aufkäufer von Papier, Knochen und so weiter.

Und gleichzeitig hatte der scharfe Westwind die Wolke davongejagt. Die Sonne schien – schien ins Zimmer hinein – so plötzlich, als hätte man einen draußen aufgestellten Scheinwerfer eingeschaltet.

„Herr Professor,“ sagte Harald sehr laut, „Ihre Verkleidungskünste in Ehren, aber mich täuscht man nicht so leicht!“ Auch er hatte die Clement jetzt in der Hand, drückte die Tür mit dem Fuße zu, lehnte sich dagegen und gab Simpson frei.

Ich – ich hätte den großen Verbrecher niemals erkannt. Nein – niemals! Denn es stimmte: er war tadellos maskiert! Dieses schmierige Gesicht mit der blauroten Nase, die ganz echt wirkte und die Neigung zu starken Getränken verriet, – dieses Gesicht enthielt nichts von jener Intelligenz, die Simpsons Zügen so scharf aufgeprägt war. –

Simpson ließ sich auf einen Stuhl fallen.

Spielte er Komödie? Oder war’s wirklich ein Schwächeanfall?! Mit einer hilflosen, bittenden Gebärde murmelte er jetzt: „Haben Sie Mitleid mit mir, Herr Harst …“

„Mitleid?!“

Harald hatte diesem so streng hervorgestoßenen Worte noch etwas hinzuzufügen.

Sein Blick fiel da erst auf den jungen Menschen, auf den verblüffenden Verwandlungskünstler.

Und – leiser fuhr er fort, – wie ein halblauter Ausruf war’s: „Also so … so steht’s!! So …!!“

Simpson hatte den jetzt gleich ihm so überraschend maskierten Fremden bisher nicht beachtet. Nun folgte er der Richtung von Haralds merkwürdig lebhaftem Blick. Und musterte den jungen Menschen wie in jäh erwachtem Mißtrauen immer wieder.

Bis Harsts klare Stimme dazwischen tönte:

„Herr Professor, daß Sie kein Mitleid verdienen, ist wohl selbstverständlich!“

Und rasch trat er an das eine Fenster heran, schnitt ein Stück der Gardinenschnur ab und wandte sich Simpson wieder zu:

„Strecken Sie die Arme nach hinten!“

Simpson keuchte vor Aufregung.

Aber – er gehorchte. Und Harald fesselte ihm nun die Hände auf dem Rücken und erklärte verächtlich:

„Ein Mensch, der seine Mordtaten durch andere besorgen läßt, ist ein Feigling. Sie sind nicht nur feig. Sie sind auch sonst … ein Lump! Sie haben viele Leute ins Unglück gestürzt, haben schwache Naturen durch die Macht der Verführung …“

Und so hielt Harald zu meinem Erstaunen dem Verbrecher all seine Schandtaten vor, redete und redete, fand gar kein Ende …

Ja – ich war erstaunt. Mehr noch: ich begriff Harald nicht! Er, der niemals einem unserer Schmerzenskinder, einem Gescheiterten derart ein Sündenregister verlesen hatte, er, der die Ansicht vertrat, daß jeder Verbrecher auf der Grenze zwischen geistigem Defekt und voller Zurechnungsfähigkeit stehe, er, der keinem Verbrecher ein gewisses Mitleid versagte, – dieser Harst war mir vollkommen unbegreiflich.

Daß diese Moralpredigt einen Zweck haben müßte, ahnte ich natürlich. Aber es blieb mir unerfindlich, welchen Zweck. Harsts Absichten sind ja nie leicht zu durchschauen.

 

2. Kapitel.

Der andere Fremde – ein Toter.

Nun machte er Schluß mit seinen energischen Vorhaltungen.

„Mein Freund Schraut wird jetzt die Polizei holen,“ sagte er in weniger indringlichem[1] Tone. „Ersparen Sie sich jede Bitte, Simpson. Ich bin hart Ihnen gegenüber.“ Und er wandte sich an den jungen Fremden, der jetzt einem alten Herrn so verblüffend glich. „Auch Ihre Persönlichkeit wird dann festgestellt werden. Ich glaube, dies dürfte nötig sein. – Schraut, bitte – telephoniere vom nächsten Hause die Polizeiwache Dahlem an. Du kannst in wenigen Minuten zurück sein!“

Ich schob die Clement in die Tasche und entfernte mich. Beschleunigte meine Schritte. Ich trabte fast.

Die Sonne schien noch immer. Aber dort am Horizont schob sich schon wieder eine schwarze Wolkenbank heran.

Oh – wie atmete ich auf, als ich da plötzlich aus einer Nebenstraße eine Radfahrerpatrouille der Schutzpolizei auftauchen sah.

Ich winkte – ich rief.

Die beiden Beamten sausten heran.

Ich teilte ihnen atemlos alles Nötige mit. Die Erwähnung von Haralds Namen genügte. Wir drei also hin zu dem einsamen Grundstück. Durch das verfallene Tor der Gartenmauer in die Kastanienallee – bis zur Freitreppe – hinein in die Vorhalle. Und nun nach oben in den ersten Stock. Ich voran, reiße die Tür auf – jenes Zimmers, das doch vor kaum vier Minuten noch drei Männer beherbergt hatte: Harst, Simpson und den Schielenden.

Ich stutzte: Leer, leer! Keine Seele!

Dort der Stuhl – dort hatte der große Fälscher gesessen. Dort auf den Dielen die zerschnittenen Fesseln!

Und – kein Harst. Nichts, nichts.

Ich stand wie angewurzelt auf der Türschwelle. Ich schaute die beiden Beamten etwas verlegen an.

„Hier, hier ließ ich Harst mit den Leuten zurück,“ sagte ich. Und – überwand rasch den Schreck, eilte ins Nebenzimmer. Rief, rief immer wieder: „Harald, Harald!“

Die beiden Schupobeamten, stramme, prächtige junge Kerle, schüttelten den Kopf.

„Wenn die Schufte Herrn Harst nur nicht eins ausgewischt haben!“ meinte der eine.

Wir durchsuchten die Schränke, durchsuchten alles, wo man einen Menschen versteckt haben konnte, einen bewußtlosen Menschen, oder einen Toten – meinen Harst!

Wir fanden nichts. Wir setzten die Nachsuche im Erdgeschoß fort. – Wieder nichts! – Nun in den Keller hinab.

Ich öffnete die Geheimtür nach Simpsons Radiostation. Die Beamten machten große Augen. „Fein ausgeknobelt!“ meinte der eine ganz leise. – Aber auch hier keine Spur von Harald.

Die beiden Schupoleute wurden jetzt ebenfalls erregt. Es handelte sich hier auch nicht nur um den steckbrieflich verfolgten Verbrecher Simpson, sondern weit mehr um Harald Harst, eine so weltbekannte Persönlichkeit, daß selbst das Verschwinden etwa des Schahs von Persien kaum größere Sensation hervorgerufen hätte, als meines Freundes unerklärliches Abhandenkommen aus diesem düsteren Gebäude innerhalb so kurzer Minuten.

„Nach oben – in den zweiten Stock!“ rief der jüngere der Beamten nun. „Hier muß etwas passiert sein, Herr Schraut!“

Wir eilten die Treppen hinan. Wir stießen oben die Türen auf und kamen in das am weitesten nach Osten liegende Vorderzimmer.

Die Sonne verkroch sich, es wurde in wenigen Sekunden dunkel – eine trübe Dämmerung.

Und in diesem Zimmer fanden wir etwas. Hatten die elektrischen Taschenlampen eingeschaltet, ließen die Lichtkegel auf der Gestalt des Menschen dort in der Ofenecke ruhen.

Ein … Toter!

Nicht Harst! Nein, ein Fremder. Ein gutgekleideter Mann mit bartlosem, länglichem Gesicht, das tief gebräunt war.

Wir standen und regten uns nicht.

Etwas anderes regte sich. Der Tote – der Tote hatte die Augenlider gehoben. Er lag auf dem Rücken – auf den Dielen, – der Kopf auf der untersten Ofenleiste.

„Er lebt,“ flüsterte der eine Beamte.

Ich bückte mich schon.

Da bewegte der Fremde die Lippen. „Linkes, linkes Auge,“ lallte er, offenbar mit ungeheurer Anstrengung.

Und er benutzte nicht die deutsche Sprache. Nein – er lispelte dieses Letzte, das seiner Kehle sich noch entrang, in englischer Sprache.

Dann zeigte sich auch schon auf seinem Gesicht jener unheimliche Ausdruck eines überirdischen Losgelöstseins von allen Erdenqualen, der so vielen Sterbenden eigen ist.

Er verschied. Er war tot. Der Kopf sank zur Seite.

„Wir werden die Mordkommission benachrichtigen müssen. Der Fremde ist keines natürlichen Todes gestorben,“ sagte ich und beugte mich wieder hinab zu dem Unglücklichen, der hier in diesem verrufenen Bau nun ein so jähes Ende gefunden.

Ich hatte schon vorher auf der linken Seite der Jacke des Mannes (der Gummimantel stand weit offen) einen dunklen Fleck wahrgenommen: Blut!

Und ich schob nun Jacke und Weste zurück.

Da sahen auch die beiden Beamten, daß das bunte Oberhemd förmlich schwamm. –

Zehn Minuten drauf waren bereits die ersten Kriminalbeamten zur Stelle.

Ich hatte inzwischen das Haus und den Garten nochmals allein durchsucht.

Das Verschwinden der drei Personen, dazu noch der Tote oben im zweiten Stock, – all das war dunkel wie die finsterste Herbstnacht. – –

Erst gegen drei Uhr nachmittags machte ich mich dann auf den Heimweg nach unserer Blücherstraße.

Allein – allein – – ohne Harst! Auch die Kriminalpolizei mit ihrem Beamtenstab hatte kein Licht in diese geheimnisvollen Geschehnisse gebracht. Der Mann oben im zweiten Stock war durch drei Dolchstiche ins Herz, die mit ungeheurer Kraft geführt waren, ermordet und fraglos vollständig von dem Mörder ausgeplündert worden, denn in den Taschen dieses Fremden hatte man auch nicht den allerunscheinbarsten Gegenstand gefunden.

Die Herren der Mordkommission hatten zu den von mir genau geschilderten Vorgängen nur die Köpfe geschüttelt. Ich blieb dabei, daß das alte Gebäude unbedingt noch geheime Gelasse enthalten müßte. Anders – so betonte ich – sei Harsts Abhandenkommen überhaupt nicht zu erklären, da er ja den Garten nur nach den Feldern hin hätte verlassen können und da in der Erde dort keinerlei Fußspuren zu entdecken seien. –

Allein wanderte ich heim – allein.

Und doch keineswegs allzu stark beunruhigt, was die Person meines Freundes anging.

Ich hatte mir alles nochmals gründlich überlegt und war dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß, wenn Simpson und der Schielende etwa gemeinsam Harst überwältigt und getötet hätten, unzweifelhaft dort im Zimmer des ersten Stockes Anzeichen eines Kampfes vorhanden gewesen wären. Ein Harald Harst läßt sich nicht so leicht heimtückisch niederzwingen.

Gerade weil sein Verschwinden so überaus geheimnisvoll wirkte und weil noch der Nebenumstand des eine Treppe höher begangenen Mordes hinzukam (und dieser Mord konnte nur verübt sein, während die beiden Schupobeamten und ich unten in den Kellern waren!), hielt ich für gewiß, daß Harald irgendwie Dinge während meiner kurzen Abwesenheit erlebt haben müßte, von denen ich mir auch nicht im entferntesten etwas träumen ließ.

Kurz: ich empfand weit mehr Spannung auf das, was folgen würde, als Besorgnis. Und – um es hier gleich anzudeuten: ich hatte richtig vermutet!

 

3. Kapitel.

Ein freiwilliger Gefangener.

Ich kam heim, aß mit Haralds Mutter, meiner gütigen, mütterlichen Freundin, in der Glasveranda Mittag und mußte einen Sturm von Fragen über mich ergehen lassen.

Frau Auguste Harst fand meine Ruhe unbegreiflich. Immer wieder glättete sie mit der schlanken, welken Hand den schlichten grauen Scheitel.

„Lieber Schraut,“ meinte sie nun schon zum zweiten Male, „Sie können sich doch unmöglich damit zufrieden geben, daß mein Harald Ihrer Ansicht nach noch in dem alten Gebäude in irgendeinem Geheimgelaß steckt!“

„Das will ich ja auch gar nicht,“ erklärte ich jetzt sehr bestimmt. Ich war soeben zu einem Entschluß gelangt. „Nein – das will ich wirklich nicht,“ fügte ich hinzu. „Ich werde die Polizei bitten, mir zu gestatten, die kommende und, wenn nötig, auch die nächsten Nächte in dem Hause zuzubringen. Ich werde mich dort einquartieren.“

Die alte Dame blickte mich dankbar an, seufzte und sagte so leise vor sich hin: „Ach, Ihr – Ihr beide! Sie und Harald! Wann werdet Ihr nur dieses schreckliche Handwerk aufgeben?!“

Ich lächelte etwas träumerisch.

Und – da kam Mathilde, Harstschen Hauses bravste Köchin.

„Eine Dame is da, Herr Schraut,“ meldete sie. „Eine sehr feine Dame, Herr Schraut. So die richtige Feinheit: nich aufjedonnert, nur so allens vom Besten und schick das Ganze.“

So fand ich denn in Haralds Arbeitszimmer gemäß der Visitenkarte, die mir von Mathilde noch überreicht worden war, Miß Sarah Grimly vor, also – Engländerin oder Amerikanerin.

Sie saß im rechten Klubsessel am Sofatisch.

Mir fiel sofort eines auf: sie hatte den Sessel verschoben und hatte nun das Licht von den Fenstern her im Rücken. Ja – das fiel mir auf. Das war wie ein Warnungssignal. Das hieß: „Achtung – die will ihr Gesicht nicht zu deutlich zeigen!“

Und das stimmte, stimmte insofern doppelt, als Miß Grimly einen Schleier trug, durch den ich nur sehr, sehr wenig von ihrem fraglos holden Antlitz sah.

Ich setzte mich ihr gegenüber.

„Herr Harst?“ fragte sie leise in etwas gebrochenem Deutsch.

„Nein Miß, nicht Herr Harst. Aber sein Freund und Mitarbeiter Max Schraut. Mein Freund ist – verreist.“

„Oh – schade!“ Das klang sehr enttäuscht.

„Nun – immerhin könnte ich auch Ihnen mein Anliegen vortragen,“ fügte die Miß hinzu.

„Bitte, Miß, tragen Sie nur vor.“

„Mein Bruder hat heute vormittag einen sehr dummen Streich begangen,“ fing sie etwas zögernd an. „Er studiert hier an der Technischen Hochschule in Charlottenburg, Herr Schraut. Früher hat er in London bei Professor Simpson …“

„Ah – – Simpson!!“

„… bei Professor Simpson, dem berühmten Meteorologen, Kollegs gehört und daher noch heute ein großes Interesse für den Gelehrten …“

„Für den Verbrecher,“ warf ich ein.

Sie seufzte. „Ja – leider, leider ist Mr. Simpson gescheitert …“

Ich war überrascht. Denn der Ton, in dem sie dies sagte, hatte so unendlich schmerzlich geklungen, daß man annehmen mußte, Simpson stände auch ihr näher.

„Jedenfalls – mein Bruder ist heute vormittag infolge dieser Schwäche für seinen einstigen Universitätslehrer dort nach dem Hause Simpsons in Dahlem gefahren, um es sich auch von innen einmal anzusehen …“

Ich dachte sofort an den Ermordeten, der ja ebenfalls höchstens fünfundzwanzig Jahre alt gewesen sein konnte. Ob es der Bruder dieser Miß war?!

„Und von dort ist Charly bisher nicht heimgekehrt, Herr Schraut. Ich war sehr in Unruhe deshalb, nahm ein Auto und fuhr nach Dahlem. Dort hörte ich durch Kriminalbeamte, daß jemand ermordet sei – auf jenem Grundstück. Ich habe auch den Toten gesehen, Herr Schraut. Zum Glück ist es nicht Charly …“

„Und – was teilten Ihnen die Beamten außerdem noch mit?“ fragte ich gespannt.

„Nichts! – Ich wollte Herrn Harst nun bitten, Charly sofort zu suchen. Wir haben bereits Fahrkarten für den Abendzug nach Köln. Wir wollten nach London zurück. Charly muß etwas zugestoßen sein. Wir hatten uns für zwei Uhr nachmittags im Tratam-Weinlokal verabredet. Mein Bruder ist stets pünktlich. – Herr Schraut, ist denn noch irgendein Unheil dort in dem einsamen Hause geschehen?“

„Nein!“ – Ich log.

Gewiß – ich log. Aber diese verschleierte Miß Sarah Grimly, die sich den Sessel so schlau zurechtgerückt hatte, – diese Miß Grimly kam mir denn doch zu fragwürdig vor. Wenn die Kriminalpolizei ihr die Ereignisse in Simpsons Haus verschwiegen hatte, so bestand für mich noch weit mehr Grund, vorsichtig zu sein. Recht vorsichtig!!

„Sie glauben also, Charly kann nichts zugestoßen sein?“ fragte sie schon sehr eindringlich.

„Das kann ich schwer beurteilen!“

„Aber – Sie waren doch dort, Herr Schraut,“ rief sie jetzt etwas ärgerlich. „Oh – Sie täuschen mich also! Die Beamten sagten mir doch, ich sollte mich nur an Sie wenden, Sie wären soeben erst weggegangen …“

Hm – da war ich also der Hereingefallene!

„Gut, ich war dort, Miß Grimly,“ erklärte ich leichthin. „Eine Frage: ist Ihr Bruder schlank, etwas über Mittelgröße, und pflegt er sich als … Verwandlungskünstler zu betätigen?“

„All das ist richtig. Er wollte als ganz junger Mensch einmal zum Varietee. Er besitzt viel schauspielerisches Talent.“

„Nun – dann habe ich mit ihm gesprochen, Miß.“

Wozu sollte ich jetzt noch mit der Wahrheit hinterm Berge halten?! Miß Grimly war ja ebenfalls aufrichtig, wie ich nun merkte.

Und ohne Arg erzählte ich ihr, was sich dort in Dahlem zugetragen hatte.

Sie schüttelte wiederholt den blonden Kopf, auf dem ein schickes, schlichtes Hütchen saß.

„Unbegreiflich!“ meinte sie … „Völlig unbegreiflich! Wo kann nur Herr Harst und Charly sowie der Professor geblieben sein?!“

„Ich vermute,“ begann ich leiser und bedächtiger, „ich vermute, sie stecken noch im Hause!“

„Nicht möglich!“

Nun entwickelte ich ihr meinen Plan. Sie war ganz begeistert davon.

„Herr Schraut, ich – ich mache mit!“ sagte sie sehr energisch. „Ich will Ihnen Gesellschaft leisten. Zu zweien vergeht die Nacht schneller.“

Aber dieses Angebot, mir dort die Zeit verkürzen zu wollen, gerade das ließ mein Mißtrauen wieder aufflackern.

Ich lehnte recht kühl ab, versprach Miß Grimly, ihr morgen früh über die Ergebnisse der Nachtwache nach ihren Pensionat telephonisch Nachricht zu geben und geleitete sie dann in den Flur.

Und – ich tat’s absichtlich – alles mit Absicht! Ich wollte unbedingt ihr Gesicht bei Tageslicht sehen.

Ich öffnete die Haustür, trat rasch auf die Steintreppe hinaus und schaute sie an. Ich sah durch den Schleier, daß sie die Augen jetzt fast völlig zukniff; sah, daß in Ihrer ganzen Haltung Bestürzung und Unruhe sich ausprägten, daß sie leicht zurückwich in den halbdunklen Flur.

Mein Mißtrauen ward noch stärker. Und immer noch bei ihr diese bis zu einer engen Lidspalte zugekniffenen Augen. Immer noch diese Bestürzung und Unsicherheit. Bis sie verlegen stammelte:

„Herr Schraut – Herr Schraut, was bedeutet das?!“

Ein recht plumper Trick war’s von mir, daß ich jetzt auf sie zutrat, und zwar so plötzlich, als beabsichtige ich einen Angriff – irgendeinen Gewaltakt.

Und – ich erreichte meinen Zweck: nur einen Moment öffnete sie die Augen ganz weit.

Trotz des Schleiers sah ich da: sie schielte! Sie schielte mit dem linken Auge!!

Da war ich auch schon ganz dicht neben ihr, warf die Haustür wieder zu.

„Sie sind gar kein Weib,“ herrschte ich sie an. „Sie sind der junge Mensch, den wir im Hause Simpsons unten in der geheimen Radiostation überraschten!“

Ich packte ihn jetzt, den Spion, der hier doch fraglos nur hatte herausbringen wollen, was ich zu Haralds Auffindung unternehmen wollte.

„Sie sind der – Verwandlungskünstler!“ fuhr ich fort, und meine Erregung und Empörung steigerten sich noch. „Wagen Sie keinen Widerstand! Hinein dort ins Zimmer!! Vorwärts!“

Der Mensch gehorchte. Seine Haltung war die eines Mannes, der sich in sein Schicksal ergeben hat.

Ich brüllte den Flur entlang: „Frau Harst, Frau Harst!“

Die alte Dame kam herbeigeeilt. Ich lehnte am Schreibtisch. Der verkleidete Spion war in einen Sessel gesunken. Ich weihte Haralds Mutter rasch ein.

„Das ist einer der beiden, die Harald überwältigt haben,“ erklärte ich. „Bitte, Frau Mutter, rufen Sie sofort die nächste Polizeiwache an, die Beamten können in vier Minuten hier sein.“

Da geschah etwas Seltsames: der Mensch sprang auf, fiel vor Harsts Mutter in die Knie.

„Haben Sie Erbarmen!“ flehte er mit zitternder Stimme. „Sperren Sie mich hier ein, bis Herr Harst heimkehrt. Er wird heimkehren! Das weiß ich genau! Ganz genau! Ich schwöre es Ihnen: ihm ist nichts zugestoßen – gar nichts! Sie verderben alles, wenn Sie jetzt die Polizei holen und mich verhaften lassen.“

Eine so herzbebende Angst sprach aus diesen sich überstürzenden Worten, anderseits auch so viel Ehrlichkeit, was die Behauptung über Haralds Rückkehr betraf, daß ich genau wie meine mütterliche Freundin etwas wie Mitleid mit diesem Menschen empfand.

„Wer sind Sie?“ fragte Frau Harst leise. „Stehen Sie doch auf. Setzen Sie sich wieder!“

„Ich, ich bin der Student Charly Grimly, gnädige Frau!“ Er erhob sich und sank wieder in den Sessel. „Ich flehe Sie an: sperren Sie mich ein, irgendwo! Irgendwo!“

Ich will hier nicht allzu eingehend schildern, wie Frau Harst und ich uns schließlich dahin einigten, dem jungen Manne einen der Keller, einen trockenen, warmen Raum mit starkvergitterten Fenstern, als vorläufigen Aufenthalt zuzuweisen. In diesem Kellergelaß standen verschiedene Möbel, die im Haushalt nicht gebraucht wurden.

Willig folgte uns Charly Grimly dorthin. Er war noch dankbar dafür, daß wir ihn geschont hatten.

So kam das Harstsche ehrwürdige Familienhaus zu einem Gefangenen.

Mathilde wollte während meiner Abwesenheit seine Bewachung übernehmen. Zur Sicherheit sollte auch die starke Haupttür des Kellers stets verschlossen gehalten werden.

Charly Grimly hatte im übrigen auf alle Fragen die Antwort verweigert.

Nun ging ich, um meine Nerven zu beruhigen, draußen im Maisonnenschein im Gemüsegarten auf und ab und überlegte mir all diese Ereignisse des heutigen Tages nochmals.

Ich fand da zwei Fragen, die mir am wichtigsten erschienen.

Erstens: In welchem Verhältnis stand dieser Grimly zu Simpson?

Zweitens: Wer hatte den anderen Mann durch Dolchstiche ermordet?! –

Den anderen Mann! Und – das war der Mann, dessen letzte Worte gerade ein linkes Auge erwähnten:

„Linkes – linkes Auge!“ hatte er mit letzter Kraft geflüstert.

Was sollte das?! Weshalb diese merkwürdigen Worte?!

Und – plötzlich machte ich halt. Ganz überraschend hatten meine Gedanken eine Brücke gebaut: von diesen drei Worten eines Sterbenden zu Charly Grimly, dem Schielenden. Dem Schielenden! Dem mit dem linken Auge Schielenden!!

Wie angewurzelt stand ich still.

Und – lief dann fast in den Keller hinab.

 

4. Kapitel.

Und nachts …

Mathilde hatte unserem Gefangenen gerade Kaffee und ein paar sehr appetitliche Brötchen gebracht.

Grimly saß, ohne Hut und Mantel, in seinem schicken Kleid, ganz elegante junge Dame, an dem einen Fenster in dem alten Rohrsessel vor einem etwas wackligen Tische, unter den Füßen einen Teppich, der hier noch auf diese Weise zu Ehren kam.

Weiß Gott: der Kerker war nicht übel! –

Grimly erhob sich.

„Ich danke Ihnen nochmals, Herr Schraut,“ sagte er sofort. „Sie sind gut zu mir. Ich werde Ihnen das nicht vergessen!“

Ich achtete nicht darauf. Meine Gedanken galten nur dem schielenden Auge.

Das Nachmittagssonnenlicht beschien Grimlys Gesicht. Ich starrte den Mann an – lange, schweigend.

„Sie haben ein Glasauge,“ sagte ich dann sehr laut. „Das linke ist ein Glasauge!“

„Ja, Herr Schraut.“

Das klang traurig.

„Es ist mir als Kind durch einen Pfeil beim Spielen ausgeschossen worden, Herr Schraut. Daher machen meine Augen auch den Eindruck, als ob ich schiele!“

„Und – mit diesem Ihrem Glasauge hat es eine besondere Bewandtnis,“ sagte ich nun und beugte mich vor. „Grimly, geben Sie der Wahrheit die Ehre: der Tote dort in Simpsons Haus wußte mehr von diesem Auge als ich!“

Er stand jäh auf. Bestürzung, Schreck und Staunen huschten wie Schatten über sein sympathisches Antlitz.

„Der Tote – der Tote?!“ stammelte er.

„Ja – der Ermordete!“

Da erbleichte er. Ein ächzender Laut entschlüpfte seinen Lippen.

„Ich – ich habe Sie ja belogen, Herr Schraut. Ich, ich habe den Toten nicht gesehen! Ich bin derselbe Mann, den Sie und Herr Harst in der Radiostation abfaßten. Wie – wie sah der Tote aus?“

Ich war jedoch vorsichtig, mißtrauisch. Ich musterte Grimly prüfend.

„Wer hat den Fremden ermordet?“ fragte ich fast drohend. „Spielen Sie hier nicht Komödie! Sie müssen Kenntnis von diesem Verbrechen haben, das nur verübt worden sein kann, als Harst mich weggeschickt hatte.“

„Bei Gott!“ rief Grimly da. „Bei Gott: ich wußte nichts von dem unseligen Morde, bis …“

Er brach mitten im Satze ab, senkte den Kopf, murmelte: „Entsetzlich – – entsetzlich!!“ Und wieder zitterte seine Stimme vor Schmerz.

Unbegreiflich – unverständlich war das alles.

Ich gab alles weitere Forschen auf, machte kehrt, verließ den Kerker, schloß die Tür ab und ging in Haralds Arbeitszimmer. Ich telephonierte, verlangte die Nummer des Pensionats, wo Grimly angeblich wohnte. Und – erhielt durch die Pensionsinhaberin die Bestätigung, daß dort tatsächlich ein Engländer Charly Grimly seit vier Tagen abgestiegen war.

Also – wenigstens das stimmte! Grimly hatte in diesem Punkte nicht gelogen.

Und weiter rief ich nun den Privatdetektiv Robert Arnold, einen alten Bekannten von uns, an und bat ihn, mir einen absolut zuverlässigen, verschwiegenen Menschen zu senden, für den ich Arbeit hätte. –

Ich wollte Charly Grimly doch nicht lediglich durch Mathilde behüten lassen. Das genügte mir nicht, dazu war Grimly zu wertvoll!

Eine halbe Stunde drauf erschien der alte Karl Rennschmidt, ein Angestellter Arnolds, bei mir.

Auch Rennschmidt kannte ich längst: Ein Mann von sechzig Jahren, hager, sportgeübt, dabei von dem Äußeren eines armseligen Bogenschreibers.

Ich hatte Vertrauen zu Rennschmidt. Diesem Original konnte man getrost die wichtigsten Geheimnisse mitteilen.

„Zunächst jeben Se mir mal wat Rauchbares, Herr Schraut,“ meinte er. „Ohne Zigarre bin ich ein geistiger Eunuch. – So, danke … Feinet Kraut! Nu schießen Se los …“

Er saß im Sessel und hörte zu. Sein zerknittertes Gesicht blieb bewegungslos.

„Hm – der Kerl soll mir schon nicht entwischen,“ erklärte er dann. „Im übrigen rate ich Ihnen entschieden davon ab, die Nacht in Simpsons Haus zuzubringen. Ich warne Sie!“ –

Doch – was ich mir einmal vornehme, dabei bleibe ich auch. Ich bin in dieser Beziehung etwas dickköpfig.

So verständigte ich denn um sieben Uhr die Kriminalpolizei von meinem Vorhaben.

Um halb acht brachte mir ein Beamter die Schlüssel des alten Gebäudes und erklärte noch, daß alle Stunde zwei Beamte das Haus mehrmals umrunden würden, stets zur vollen Stunde – von elf Uhr an. –

Mir war dieses Entgegenkommen der Kriminalpolizei nur lieb. Es würde mir immerhin ein gewisses Sicherheitsgefühl gewähren, wenn ich wußte, daß ich alle Stunde Hilfe in der Nähe hätte.

Der Beamte meinte dann noch, bevor er sich verabschiedete: „Im übrigen, Herr Schraut: Ihre Annahme, das Gebäude enthielte vielleicht noch geheime Räume, ist unzutreffend, läßt Ihnen Herr Kommissar Schiltmeier bestellen. Wir haben vor drei Stunden den alten Steinkasten nochmals von unten bis oben durchstöbert, haben alle Dielen, alle Wände abgeklopft und nirgends auch nur das Geringste entdeckt, was Ihre Vermutung stützen könnte.“

Ich nickte nur – lächelte: „Jeder mag bei seiner Ansicht bleiben! – Wo soll Harst denn hingeraten sein?! Harst und Simpson und der junge Mensch, der Schielende?!“

Daß dieser Schielende jetzt hier im Keller zusammen mit Karl Rennschmidt, seinem Wächter, untergebracht war, – darüber schwieg ich mich aus. – –

Und als es dann so gegen zehn Uhr abends dunkel genug war, als der nächtliche Himmel so dicht mit schwarzen Regentüchern verhängt war, daß auch nicht ein Sternlein sich zeigte, da wanderte ein schäbiger Landstreicher, einen schäbigen Rucksack auf dem Buckel, nach Dahlem hinaus.

Das – war ich – ich, Max Schraut!

Der Rucksack enthielt eine halbe Flasche Kognak, belegte Brote, Zigarren, eine große Karbidlaterne und eine wollene Decke. In der Hosentasche aber steckte mir die treue Clement.

Es begann zu tröpfeln.

Ein hohler Wind fauchte durch die Straßen. So ein rechter Regenwind war’s.

Die Felder dort draußen in Dahlem atmeten in dieser Mainacht kräftigen Erdgeruch aus.

Und über weichen, frisch gepflügten Acker schlich der abgerissene Strolch der Gartenmauer des Simpsonschen Besitzes zu.

Dort lag es vor mir, das düstere Gebäude. Dunkel – unheimlich! Umrauscht von den uralten Bäumen.

Matt schimmerte die neue Zinkrinne oben am Dachrand: Simpsons Hilfsantenne!

Ich stand unweit der Gartenmauer. Da war das Gestrüpp – da war inmitten dieses Gestrüpps Simpsons famoser Regenmesser!

Der Leser weiß ja Bescheid – aus dem vorigen Band. Ein genialer Verbrechergedanke, dieser Regenmesser! Wirklich genial!

Und da war das Pförtchen in der Mauer.

Da war Edward Simpson, Professor der Meteorologie, damals erschienen und auf uns zugekommen …

All das war mir wie ferner – ferner Traum.

Und war doch letztes Erleben – nur ein Erleben der allerjüngsten Vergangenheit. –

Seltsam, wie rasch uns Menschen Ereignisse aus dem Gedächtnis schwinden und etwas Unwirkliches in der Erinnerung annehmen! Seltsam! – Und mein Blick ruht noch immer drüben auf dem düsteren Bau.

Noch seltsamer: mein Entschluß, dort die Nacht zuzubringen, ist – ins Wanken geraten!

Angst?!

Nein – nein! Nicht etwa jäh erwachte Angst! Das war es nicht.

Aber es war jenes Unbehagen, das selbst der Kaltblütigste empfinden würde, wenn man ihm zumutete, nachts etwa in eine Totenkapelle hinabzusteigen. Das war’s!

Und – kaum hatte ich über dieses Empfinden Klarheit gewonnen, als – als sich etwas ereignete – etwas Unerhörtes – Erschreckendes, heimlich Drohendes:

Die beiden Fenster des Arbeitszimmers Simpsons im ersten Stock wurden für vielleicht zwei Sekunden hell!

Ich hielt den Atem an. Meine Blicke durchbohrten das Baumgrün. Es war Tatsache: dort hinter den Scheiben hatte jemand eine Taschenlampe eingeschaltet – hatte den Lichtkegel rasch durch das Zimmer gleiten lassen.

Nun wieder Dunkelheit – wie vorher.

Nun in mir nur der eine Wunsch – mochte geschehen, was da wollte: „Hinein – hinein!!“

Und der Strolch schwang sich über die Mauer.

Es regnete stärker.

Der Strolch glitt lautlos auf das Haus zu.

Der Strolch hielt den Schlüssel zum Haupteingang bereit. Und leise schob sich der Schlüssel ins Schlüsselloch … Leise knackte die Feder – der Riegel …

Es regnete nicht mehr. Es goß. Jedes Geräusch verschluckte diese herabprasselnde Flut – jedes …

Ich … stand in der Vorhalle – in der Finsternis.

Wie damals – wie damals, als Harald und ich hier eingedrungen waren, als wir erwartet und empfangen wurden – – und wie!!

Diesmal kein Empfang, nichts. Nur Dunkelheit. Nur von draußen das Toben des Unwetters.

Der Mainacht Regenwüten … –

Ich stand und lauschte.

Ich wagte nicht, meine Taschenlampe anzuknipsen. – Stand so wohl fünf Minuten lang. Bis ich Schritt für Schritt mich vorwärts tastete. Ich wußte ja, wo die Treppe war. Ich wußte, wie ich mich nach oben fand: Treppe aufwärts, geradeaus dann – den Flur entlang – vierte Tür linker Hand: das war das Zimmer, das vorhin hell geworden! Und dort – dort überraschte ich vielleicht Edward Simpson …!!

Vorwärts also. – Edward Simpson!! Der mußte wissen, wo Harald geblieben! Der mußte es mir sagen, eingestehen – mußte! Ich hatte ja das Zwangsmittel schon in der rechten Hand: die Clement – treue Gefährtin, kleine Kugelspeierin!

Weiter … Treppe empor … Stufe um Stufe … Und leise – wie eine Katze … Draußen das Unwetter half mir.

Ich gelangte bis vor die vierte Tür. – Lauschte. – Bückte mich.

Ein Blick durch das Schlüsselloch: Dunkel – nichts!

Hand auf den Drücker – Taschenlampe bereit.

Auf die Tür – ganz plötzlich.

Lampe eingeschaltet – und der Lichtkegel läuft umher, blitzschnell – haftet dort auf dem Menschen in der Ecke des grünen alten Plüschsofas …

Ein Mensch, der behaglich zurückgelehnt dasitzt. Ein Mensch, der behaglich eine Zigarette raucht …

 

5. Kapitel.

Das linke Auge.

„Mach’, daß Du wieder heimkommst!“ sagt der Mensch gemütlich. „Du hast hier nichts zu suchen – gar nichts! Ich darf auch gar nicht mit Dir sprechen. Verschwinde also nur wieder, mein Alter – verschwinde sofort!“

Und Harst deutet mit befehlender Handbewegung auf die Tür.

Harst saß in der Sofaecke – Harst, eine Mirakulum paffend!

Und ich – ich Esel hatte mich ins Strolchkostüm geworfen und hatte mich draußen so ein wenig davor gegraut, hier einzudringen!!

Ich war so sprachlos, so beschämt, so ärgerlich über mich selbst, daß ich wenig freundlich erwiderte:

„Bitte – ich darf hier doch wohl wenigstens den Regen abwarten, Harald!“

„Nein, das darfst Du nicht. Geh’ bitte!“ Das klang so energisch, als ob’s mir ein Wildfremder zurief.

Ich blieb. Ich war nicht gewillt, mich so einfach wegschicken zu lassen. Und ich wandte den alten Trick an, bei Harald eine Sinnesänderung herbeizuführen.

„Du weißt noch nichts von dem linken Auge,“ sagte ich schnell. „Nichts von dem Glasauge des jungen Schielenden, das auch der Ermordete erwähnte. Es ist nämlich heute hier im Hause jemand ermordet worden. Vielleicht ist Dir das neu …“

Er schwieg.

„Und dieser Sterbende flüsterte mir zu: „Linkes – linkes Auge …“ – Und da habe ich den Schielenden denn bei uns eingesperrt und …“

„Geh’!“ unterbrach er mich. „Geh’, oder Du zwingst mich, wieder in das finstere Loch hinabzusteigen … Ich breche nicht gern mein Wort … Geh’ und nimm das Auge heraus, wenn es Dich ärgert!“

Er war aufgestanden.

Mit drei langen Schritten war er an der Tür …

Mit fünf Schritten tauchte er im Dunkel des Flures unter – verschwand … –

Ich stand da wie – wie ein begossener Pudel.

Ich hatte Harald suchen wollen. Ich fand ihn – sehr gemütlich Zigaretten rauchend. Und er – schickte mich weg – mich, der um ihn so besorgt gewesen, der …

Und da machten meine Gedanken wie vor einer Barriere halt.

Da fiel mir ein: Harald hatte ja angedeutet, daß er sein Wort verpfändet habe. – Wofür?! Wofür –?!

Und ferner: hatte er mir nicht auch einen Wink gegeben – des Glasauges wegen?! Hatte er nicht gesagt – in Anlehnung an den Bibelspruch: „Nimm es heraus, wenn es Dich ärgert!“

Herausnehmen – das Glasauge!

Ja – weil vielleicht in diesem künstlichen Augapfel irgend etwas verborgen war – vielleicht!!

Das wirkte! Das wirkte auf mich wie ein Magnet!

Harald – war vergessen. Harald lebte. Das war die Hauptsache! Also heim – heim! Nachsehen, was das Auge enthielt! – –

Ich verließ das Gebäude. Ich war kein begossener Pudel mehr. Der Gang hierher hatte doch ein Ergebnis gehabt. Harald hatte mir wieder bewiesen, daß er im Moment Dinge richtig bewerten kann – im Moment. Meine kurzen Worte hatten ihm genügt. Er hatte sofort – sofort erkannt: Das künstliche Auge muß heraus! Nur in dem Auge steckt das Geheimnis!

Ich eilte durch den Garten …

Seltsam: der Regenguß hatte sich wieder zu feinem Tröpfeln abgeschwächt. Sehr anständig von diesem Regen.

Und – ich war zwanzig Minuten später zu Hause. In unserem Ankleidezimmer vor den Drehspiegeln warf der Strolch seine Lumpen ab und wurde wieder Max Schraut.

Mein Plan war fertig. Alles kam darauf an, ob der Gefangene Charly Grimly noch munter war. Schlief er bereits, so mußte ich bis morgen früh warten.

Ich ging in den Keller hinab. Neben die Tür des Kerkers hatten wir für Detektiv Karl Rennschmidt ein Bett aufgestellt. Das Bett – war leer.

Aber aus der „Zelle“ drangen Stimmen an mein Ohr. Laute Stimmen. – Ich horchte – staunte!

Wahrhaftig: Rennschmidt und Grimly spielten Schach! Der Detektiv hielt dem Gefangenen gerade einen langen Vortrag über einen falschen Zug.

Auch eine nette Überraschung: erst finde ich statt Professor Simpson im dem alten Hause in Dahlem meinen Harald, und jetzt finde ich hier im ebenfalls alten Harstschen Hause Wächter und Gefangenen beim Schach!! –

Ich öffnete die Tür.

Da saßen sie: Charly Grimly in einem von Haralds Anzügen, den ich ihm gegeben, damit er das Weiberkostüm ablegen könne, – und Karl Rennschmidt, Zigarre im Munde.

Eine Petroleumlampe beschien das Schachbrett.

Beide drehten die Köpfe.

„’n Abend,“ meinte Rennschmidt. „’n Abend auch, Herr Schraut. Jut, daß Se da sind, Herr Schraut. Wir streiten uns, ob es richtiger ist …“

„Ich verstehe nichts von Schach,“ erklärte ich ebenso harmlos und nickte den beiden zu. „Sie sitzen hier ja aber ganz trocken. Warten Sie, ich spendiere eine Flasche Mosel – auch zwei …“

„Jlänzende Idee!“ lobte das Original von Detektiv. „Halt, Herr Schraut, een Momanachen nur …“

Er kam in den Kellergang, flüsterte mir ins Ohr: „Herr Schraut, ich hab’ dem Grimly so ’n bißchen auf den Zahn fühlen woll’n. Det is een janz anständjer Kerl, sag’ ich Ihnen. Der is weder ’n Mörder noch ’n Gauner. Auf meine Menschenkenntnis is Verlaß!“ –

Ich holte zwei Flaschen Mosel und drei Gläser. Zwei von den Gläsern versah ich mit einem Bodensatz, der nicht weiter auffiel, da es nur ein paar Körnchen eines kristallartigen Pulvers waren.

Ich setzte mich zu den Schachspielern, füllte die Gläser.

Da fragte Grimly schon: „Herr Schraut, waren Sie in Simpsons Hause?“ Und er blickte mich dabei an, als ob er mir bis auf den Grund der Seele schauen wollte.

„Ja, ich war dort,“ entgegnete ich kühl.

„Und – Sie fanden?“

„Nichts!“

Da lächelte Grimly unmerklich. So ein trübes, halb schmerzliches, halb ironisches Lächeln.

„Wenn Sie nichts gefunden hätten, wären Sie doch nicht jetzt schon wieder zurück,“ meinte er leise.

Ich hob mein Glas: „Trinken wir auf Harsts Wohl!“

Wir tranken.

„Schmeckt!“ grinste Rennschmidt.

„Spielen Sie beide nur weiter,“ bat ich. „Ich sehe gern zu.“

Sie spielten – tranken das zweite Glas.

Karl Rennschmidt gähnte. „Verdammt, bin ich müde!“

Ich saß da und wartete – wartete. Ich kannte die Wirkung unseres indischen, völlig unschädlichen Schlafmittels.

Rennschmidt gähnte abermals.

Fünf Minuten drauf schliefen die beiden wie die Toten.

Ich stand auf. Ich schleppte Rennschmidt hinaus auf sein Bett im Kellergang, deckte ihn zu.

Ich trug Grimly dann ebenfalls auf sein Bett.

Und da – da, als ich ihn so in den Armen hielt, da spürte ich plötzlich an dem Bau der Brust, an der weichen Rundung des Brustkorbes, daß – daß ich mich von Charly Grimly doppelt hatte täuschen lassen.

Grimly war – – ein Weib!! Ein junges, hübsches Weib! Deshalb auch diese tadellose Damenmaske! Deshalb!

Nun hatte ich sie in die Kissen gelegt, die blonde Fremde, die Rätselvolle.

Der blonde Scheitel (die Damenperücke lag dort seitwärts auf einem Stuhl) war voll und das Haar seidenweich.

Ich beugte mich über die Betäubte.

Ein Druck mit dem Finger auf das künstliche Auge – ein Hochziehen der Augenlider – und das Glasauge lag in meiner flachen Hand.

Ich trat damit an den Tisch – zur Lampe. Ich sah es mir an, sah, daß in der inneren Wölbung ein winziges Zettelchen steckte, durch Wachs befestigt.

Ich nahm Zettelchen und Wachsklümpchen heraus, trat wieder zum Bett, drückte das Auge in die Augenhöhle zurück. Betrachtete die Schläferin – und schnellte herum: ein Schatten war herbeigehuscht.

Vor mir stand ein Herr – lang, hager, mit schwarzem Ungarschnauzer, – mit … einem Revolver.

Und ehe ich noch die geringste Bewegung machen konnte, hatte ich schon einen Boxhieb in der Herzgrube sitzen, der mich sofort besinnungslos umklappen ließ …

– – So endet der erste Teil der Geschichte des Mannes mit dem Glasauge …

Der zweite heißt:

 

(Bitte – folgende Seite!)

 

 

Die Felsennadel

 

1. Kapitel.

Im weißen Zimmer.

Da war ein helles, weißgestrichenes Zimmer.

Da waren grüne Kastanien vor den Fenstern mit den blitzblanken Scheiben mit den weißen Mullgardinen.

Da war ein weißlackiertes Bett, in dem ich lag.

Und auch eine weiße Gestalt war da mit weißem Häubchen und freundlichem Gesicht und so guten, lieben Augen.

Und diese Gestalt beugte sich über mich und sagte gütig: „Sie haben uns viel Sorge bereitet, Herr Schraut.“

Ich hatte die Augen weit offen. Ich roch, roch.

Ja – es roch hier nach Krankenhaus.

Krankenhaus?! – Wie kam denn ich hierher?!

Fragend ließ ich den Blick wieder umhergleiten.

„Es war eine schwere Herzbeutelentzündung, Herr Schraut,“ sagte die Krankenschwester wieder. „Eine sehr schwere. Nun sind Sie aber über den Berg.“

Sie lächelte.

Und ich – ich begann zu grübeln.

Bis – bis mit einem Schlage dann die letzten Ereignisse in meinem Gedächtnis wieder mit voller Klarheit erstanden.

„Der – der Boxhieb!“ sagte ich so laut, daß die Schwester sofort rief:

„Still – still, nur keine Aufregungen!“

Jetzt lächelte ich.

„Keine Angst, Schwester. Ich rege mich durchaus nicht auf. Dieser Boxhieb war nicht der erste und wird vielleicht nicht der letzte sein …“

„Herr Schraut – verständig!“ warnte die liebe Pflegerin, mit dem Finger drohend. „Nun bekommen Sie einen neuen Eisbeutel aufs Herz und dann müssen Sie schlafen.“

„Hm – gegen den Eisbeutel protestiere ich nicht. Aber schlafen?! Ausgeschlossen! Ich muß erst wissen, wer mir den Hieb eigentlich versetzt hat und wie es meinem Freunde Harst geht!“

„Sie sind schrecklich! – Gut denn, hier hat Herr Harst einen Brief für Sie zurückgelassen!“

„Her damit!“

„Nein – nein! Das darf nicht sein.“

„So lesen Sie ihn mir vor. – Wo befindet Harald sich denn?“

„Das weiß ich nicht. – Vorlesen – ja, das ginge, Herr Schraut. Aber – wenn das Schreiben nun streng Vertrauliches enthält?“

„Dann werden Sie schweigen, Schwester.“ – Ich nickte ihr zu.

Seufzend schnitt sie den Umschlag auf, zog den Bogen heraus und las:

Mein lieber Alter!

Daß ich Dich sehr ungern in Berlin im Krankenhaus Westend zurücklasse, ist selbstverständlich. Es muß aber sein. Deine Pferdenatur wird Simpsons Jagdhieb schon überwinden, und bist Du erst gesund, kommst Du mir nachgereist.

Höre – staune: Ich reise heute am 17. Mai nach Südarabien – nach Aden, der alten, lieben Hafenstadt.

Warum ich’s tue: weil ich dort in Arabien dem Geheimnis des Glasauges auf die Spur zu kommen hoffe.

Ich will jedoch Deinen Verstand nicht durch sprunghaften Bericht anstrengen, sondern lieber der Reihenfolge nach alles Dir mitteilen, was nötig ist.

Zunächst also zurück zu jenem Vormittag, als ich Dich aus Simpsons Arbeitszimmer zur Dahlemer Polizeiwache schickte.

Du warst kaum verschwunden, die Tür war kaum hinter Dir ins Schloß gefallen, als der schielende schlanke Jüngling, der sich so blitzartig in einen alten Herrn verwandelt hatte, mit einer Gewandtheit, die mich mehr verblüffte als mir gut war, den Spieß umdrehte – bildlich gesprochen.

Im Nu hatte er nämlich aus der Brusttasche seiner Jacke so eine winzige, flache Repetierpistole zum Vorschein gebracht und zielte auf mich.

„Hände hoch, Herr Harst!!“

Nun – Du weißt ja, daß es klug ist, einer solchen Aufforderung Folge zu leisten. Man kann ja nie voraussagen, ob solch ein Gegner nicht auch wirklich abdrückt.

Und dieser Gegner erschien mir in der Tat gefährlich. Dieser Gegner rief die unangenehmen Worte so scharfen Tones, daß es wie ein pfeifender Schwerthieb klang.

Ich gehorchte.

Und da fügte der Jüngling hinzu:

„Herr Harst, Sie haben hier auf Schonung nicht zu rechnen. Ich bin ein intimer Freund des Professors, den ich auf keinen Fall in die Hände der Polizei geraten lasse. Bitte, zerschneiden Sie seine Fesseln!“

Mein lieber Alter: Harald gehorchte abermals!

Diesmal jedoch nicht aus Angst vor der Pistole, sondern aus Interesse an der Weiterentwicklung der Dinge. Ich hatte nämlich inzwischen schon gesehen, daß der schneidige Gegner vergessen hatte, den Sicherungsflügel der Waffe herumzudrücken. Ich wäre also mit ihm leicht fertig geworden. Eine gesicherte Pistole ist ein Stück Eisen. Weiter nichts.

Ich nahm also mein Taschenmesser und zerschnitt Simpsons Fesseln.

Da hättest Du den famosen Professor nur sehen sollen! Wie ein Gummiball flog er hoch, griff in die Tasche und … wollte mir mit einem langen spanischen Dolch zuleibe.

Du weißt: solche Szenen liebe ich nicht!

Ich schlug Simpson denn auch die Waffe aus der Hand und hätte ihn noch übler behandelt, wenn der Jüngling nicht plötzlich wieder gedroht hätte:

„Hände hoch!“

Und dann rief dieser Mensch dem Professor ein einziges Wort zu … ein einziges!

Leider verstand ich es [nicht][2].

Es übte jedoch eine erstaunliche Wirkung auf Simpson aus.

Er – schnellte herum, stierte den schielenden Maskierten wie einen Geist an und meinte mit unsicherer Stimme: „Wie – Du bist’s?!“

„Ja – ich!“ erwiderte der junge Mensch leise. „Ich, den Du … verflucht hast! Nun siehst Du, daß nur ich Dir treu blieb!“

Simpson lachte schrill. „Treu – treu?! – Laß das Geschwätz! Harst muß stumm gemacht werden. Gib mir Deine Waffe. Ich …“

Mein Alter, – jetzt hättest Du den Jüngling beobachten sollen! Noch nie habe ich jemand in Wort, Miene und Körperhaltung so viel flammende Entrüstung zum Ausdruck bringen sehen, wie den Schielenden.

Kurz: Simpsons Blutrausch wurde stark abgekühlt, und auf dem Wege kurzer Aussprache kamen wir überein, daß ich mein Ehrenwort geben und den beiden in ein Versteck folgen sollte, wo ich zwei volle Tage bleiben müßte.

Der junge Mensch geleitete mich dann rasch die Treppen hinab in den Keller und in Simpsons Radiostation, deren Ziegelsteinfußboden eine versenkbare Tür enthielt, die uns beiden entgangen war.

Wir kamen über eine eiserne Leiter und durch einen Gang in den Keller des verfallenen Gewächshauses neben der Gartenmauer.

Dieses Gewächshaus bildet ja nur noch einen Schutthaufen, und weder Du noch die Polizei dachte auch nur im entferntesten daran, daß der vermißte Harald Harst dort unten steckte.

Dieser kleine, wohnlich eingerichtete Keller nahm also mich und den Jüngling auf. Simpson erschien erst eine Minute später sehr atemlos und sehr aufgeregt.

Damals wußte ich mir seine Erregung nicht zu deuten. Heute ist es mir klar, daß diese wilde Aufpeitschung seiner Nerven auf … den Mord zurückzuführen ist, den er oben im zweiten Stock begangen hat.

Nun waren wir jedenfalls zu dreien hier unten, saßen auf schlichten Holzstühlen und – schwiegen.

Hin und wieder ging Simpson in den unterirdischen Gang, um zu lauschen.

Aber – die Polizei fand uns nicht.

Stunden verflossen. Und – kein Wort wurde zwischen uns gewechselt, kein einziges Wort.

Ich versuchte den Jüngling auszufragen. Er schwieg. Schließlich entfernte sich als erster Simpson. Bevor er verschwand, flüsterte er noch im Gange mit dem Schielenden. Und – weinend kehrte dieser in den Keller zu mir zurück – weinend!! –

Bisher hatte ich ihn dank seiner glänzenden schauspielerischen Fähigkeiten für einen Mann gehalten. Das Weinen verriet mir: ein Weib!

Ich sagte ihr das auf den Kopf zu. Sie – schwieg. Und bevor sie dann selbst das Versteck verließ, erklärte sie nur: „Herr Harst, Sie werden fernerhin keine Gelegenheit mehr haben, Simpson und mir zu begegnen. Wir beide werden Europa für immer verlassen. Ich bitte Sie daher: vergessen Sie, was der Professor Ihnen zufügen wollte! – Sie finden im übrigen dort in dem Schränkchen Eßwaren und Getränke. Ich will Ihnen auch gestatten, damit Sie sich hier nicht zu sehr langweilen, während Ihrer Haft hier nach oben zu steigen und im Hause sich Bewegung zu machen. Sie dürfen sich natürlich niemandem zeigen und mit niemandem sprechen.“

Dann ging sie rasch davon. –

Was darauf in der Nacht geschah, weißt Du: unsere Begegnung in Simpsons Arbeitszimmer!

Nun verstehst Du auch mein eigentümliches Benehmen dort. Ich war durch mein Wort gebunden. Ich wußte noch nichts von dem Morde an dem Fremden oben im zweiten Stock. Ich gab Dir auf Deine Andeutungen hin den Rat, das Glasauge des „Menschen“ zu untersuchen. Und – ich entzog mich Dir, indem ich wieder in mein Versteck hinabeilte.

Dort blieb ich, bis meine Haft vorüber. Und als ich heimkehrte, fand ich Dich in Fieberdelirien. Ich ließ Dich ins Krankenhaus schaffen, denn ich selbst mußte hinter Simpson her. –

Höre nun, was meine Mutter mir über die Vorgänge in unserem Keller berichtet hat.

Am Morgen nach der Schachpartie, der Du durch unser indisches Schlafmittel ein Ende bereitetest, kam Mathilde mit dem Frühstück für den gefangenen Charly Grimly in den Keller und fand folgendes:

Dich bewußtlos mitten in der Zelle, den biederen Karl Rennschmidt auf seinem Bett und – keinen Charly Grimly!

Meine Mutter aber fand in Deiner geballten linken Hand ein Wachsklümpchen und einen winzigen Zettel, der aus dünnem Fettpapier bestand und vielfach zusammengefaltet war.

Den Zettel gab sie dann mir. Und ich stellte fest, daß er beschrieben war – mit winzigen Buchstaben – ein seltsamer Inhalt in englischer Sprache.

Den Inhalt teile ich Dir persönlich mit.

Jedenfalls: ich reise nach Arabien!!

Und nun – leb’ wohl bis auf weiteres, mein lieber Alter! Ich schreibe Dir von der Reise erst von Suez aus. Alles Gute! – Wiedersehen!

Dein treuer Harald.

 

2. Kapitel.

Der Pilot John Bristol.

Der Dampfer „King Manuel“ legte am Hafendamm der Kanalstadt an, der berühmten Kanalstadt Suez.

Wer denkt da nicht sofort an Lesseps[3], den genialen Ingenieur, wer denkt da nicht sofort an glutheiße Tage, an braune Beduinen und ähnliches!

Ich – ich, Max Schraut, der oben an der Reling des Promenadendecks stand, ich dachte nur an diesem 11. Juni 1923 an meinen Freund Harald, der weder aus Suez an mich geschrieben, noch sonst mir noch ein Lebenszeichen gegeben hatte – weder seiner Mutter, noch mir!

Ich dachte nur daran, wie die Angst um Harst meine Genesung im Westender Krankenhaus unglaublich gefördert hatte und wie ich dann schleunigst ihm nachgereist war.

Und nun – war ich in Suez!

Ich mußte feststellen, was aus Harald geworden. Ich war überzeugt, daß man ihn hier in eine Falle gelockt hatte, fest überzeugt! –

Ich verließ den Dampfer mit meinem Koffer. Ich hatte an Bord Freundschaft mit einem Amerikaner geschlossen, der sich mir sehr bald als Kollege zu erkennen gegeben: Allan Giffort, von der Firma Pinkerton in Neuyork.

Giffort reiste in Verkleidung. Er war hinter Juwelendieben her, die gleichfalls den King Manuel benutzten, die nach Indien wollten. Aber Giffort konnte die drei Leute nicht verhaften lassen, da er noch nicht wußte, wo sie die Juwelen der Herzogin von Lagranza versteckt hielten.

Herzogin von Lagranza, Tochter des Eisenbahnkönigs Flepps. –

Giffort hatte mir zum Abschied kräftig die Hand gedrückt. Er wußte, wen ich suchte.

„Viel Glück, Mr. Schraut. Vielleicht sehen wir uns mal wieder.“ –

Ich stieg in Suez im Hotel du Canal ab, begann sofort meine Nachforschungen und hatte bereits abends ermittelt, daß Harald hier tatsächlich den Dampfer Silvana verlassen und einen halben Tag im Pensionat Bogenny zugebracht hatte, wo sein Koffer noch jetzt aufbewahrt wurde. In dem Pensionat hatte er sich Hektor Hirabar genannt.

Schon allein der Umstand, daß sein Koffer noch dort vorhanden war, bewies zur Genüge, wie richtig ich vermutet gehabt hatte: hier in Suez war er fraglos dem Professor Simpson und dem angeblichen Grimly in die Hände gefallen!

Wie aber ihn nun weiter suchen?!

Schwere Aufgabe – sehr schwer!!

Zunächst ging ich zur Polizei, hielt den Herren dort meinen Ausweis vor die Augen und verlangte die Auslieferung von Haralds Koffer. Nach einigem Hin und Her erhielt ich ihn denn auch.

Da meine Kofferpatentschlüssel auch zu Harsts Koffer paßten, konnte ich ihn öffnen.

Und – obenauf ein Brief – an mich adressiert:

Herrn Max Schraut,

Berlin-Schmargendorf,

Blücherstraße 10.

Der Brief war versiegelt.

In dem Umschlag lagen: erstens ein Briefbogen, bedeckt mit Haralds flüchtiger und doch so charakteristischer Schrift.

Zweitens: der Zettel aus dem Glasauge.

Drittens: eine photographische Vergrößerung der Aufschrift dieses Zettels. –

Haralds Zeilen lauteten:

Lieber Alter! In größter Eile folgendes: Ich bin hier in Suez an Land gegangen, weil ich den Spion, der sich von Genua aus an meine Fersen geheftet hat, loswerden muß. Der Spion ist kein anderer als … Miß Grimly, wie wir sie nennen wollen.

Also diese junge schielende Dame hat sich an mich auf dem Dampfer herangedrängt als Allan Giffort …

Hier sank mir die Hand herab.

Allan Giffort – – Allan Giffort!!

Es wurde urplötzlich unheimlich hell in meinem Hirn: Giffort, der das linke Auge durch ein Pechpflaster verklebt und darüber eine blaue Brille trug, – mein Freund und Kollege Giffort war ebenfalls Miß Grimly gewesen!!

Oh – die Blamage!! Und ich – ich hatte das nicht bemerkt!!

Dann las ich weiter:

… als Allan Giffort, Agent der Firma Pinkerton, der angeblich Juwelendiebe verfolgte.

Nun, ich tat so, als ob ich diesen Giffort nicht durchschaute. Ich wußte schon nach einer Stunde, wes Geistes Kind er war: Simpsons Verbündeter!

Da ich ihn, wie gesagt, abschütteln wollte, bin ich hier bei Madame Bogenny abgestiegen und werde ohne Koffer weiterreisen – in anderer Verkleidung.

Ich schreibe diesen Brief nachher ab und sende die Abschrift ins Krankenhaus – gen Berlin!

Dir gute Besserung, mein Alter! Wiedersehen in Aden, Hotel Kontinental, wo ich als Monsieur Hektor Harsticourt mich einschreiben werde.

Dein treuer Harald.

Nachschrift. Der doppelte Brief ist eine Vorsichtsmaßregel, die Du begreifen wirst.

Dann nahm ich die photographische Vergrößerung des Zettelchens vor.

Es handelte sich um Schreibmaschinenschrift, die auf dem Zettel selbst nur wie lila Striche wirkte. Also war der Zettel ein Mikrophotogramm.

Und der Inhalt der Schrift …?!

Lieber Leser, nimm all Deine Phantasie zu Hilfe und phantasiere Dir das Tollste zusammen …

Und dann … lies dies hier! Dann wirst Du einsehen, daß Deine Phantasie ärmlich ist, wie das Gehalt eines Beamten in Rentenmark!

Sehr verehrter Meister!

Um es gleich vorauszuschicken: Ihre Warnung hat mich noch rechtzeitig erreicht. Ich werde genau nach Ihren Anweisungen handeln. Ich bedauere es unendlich, daß Ihnen dieser Harst so viel Ungelegenheiten bereitet hat und daß Sie jetzt gezwungen sind, vorsichtiger denn je zu sein.

Ich berichte nun zunächst über den Erfolg meiner Reise nach Südarabien, für die Sie mich so überreich mit Geldmitteln versehen hatten.

Ich traf am 8. April in Aden ein. Mir, dem leidlich bekannten Luftpiloten, bot es keine Schwierigkeiten, den aus England mitgebrachten Eindecker zerlegt in die Wüste bis an die Randhöhen des Dschebel Makarid schaffen zu lassen. Meine Expedition erregte auch keinerlei Verdacht. Die in den Ausläufern der Makarid-Berge hausenden Beduinen zeigten sich gleichfalls durchaus freundlich und waren leicht zu täuschen.

Am 17. April bereits konnte ich von dem praktisch gewählten Lagerplatz meiner Expedition aus den ersten Aufstieg unternehmen. Das Wetter war günstig. Allerdings war es nicht leicht, in der dünnen Wüstenluft den Eindecker vom Boden freizubekommen.

Ich hatte mir schon vorher die Felsennadel, den heiligen Stein Tasch el Muhammed, aus nächster Nähe angesehen. Ich war überrascht gewesen, wie spiegelglatt die Sandkörner des Wüstenwindes diese natürliche, enorme Säule geschliffen hatten.

Ich flog mit dem Eindecker zuerst in westlicher Richtung davon, dann bog ich nach Norden ein und strich viermal in etwa zehn Meter Höhe über die Spitze der Felsennadel hinweg.

Was Sie, verehrter Meister, vor Jahren mit einem scharfen Fernglas von einem der Berge des nahen Dschebel Makarid beobachtet haben, fand ich in jeder Beziehung bestätigt.

Es kann sich meiner Ansicht nach nur um das handeln, was Sie vermuten – kann!! Denn leider ist es mir nicht geglückt, Ihren Plan voll zur Ausführung zu bringen. Es war mir unmöglich, von dem im Gleitflug herabgehenden Eindecker im waghalsigen Sprunge die flache Spitze des Tasch el Muhammed zu erreichen.

Gewiß – wäre es geglückt, so hätte ich mich an dem um den Leib geschlungenen dreißig Meter langen Seile wieder zur Erde hinablassen können – ganz so, wie Sie das gewollt hatten. Ich hätte dann auch alles gründlich untersuchen können.

Wie gesagt: es ist unmöglich!

Im ganzen habe ich den Versuch fünfmal wiederholt. Da gab ich es auf.

Immerhin dürften Sie mit dem Erfolg meiner Expedition zufrieden sein. Es werden sich Mittel und Wege finden lassen, die Felsennadel zu bezwingen. – –

Diese Niederschrift habe ich als Mikrophotogramm bereits tagelang unter der Platte meines Siegelringes verborgen bei mir getragen.

Ich wohne nun hier in Berlin in dem Fremdenheim Arnsfleth in der Lützowstraße mit einen jungen Engländer namens Charly Grimly zusammen, der, wie ich im Gespräch mit ihm erfuhr, zu Ihren Schülern in London zählte und für Sie von glühender Bewunderung erfüllt ist. Dieser Grimly erscheint mir brauchbar. Er hat ein künstliches Auge, in dessen Höhlung sich diese Niederschrift bequem unterbringen ließe. Sobald ich weiß, wo Sie sich verborgen halten, werde ich Grimly heimlich diesen Miniaturzettel in das künstliche Auge hineinschmuggeln (er nimmt es nachts stets heraus) und werde ihn veranlassen, Ihnen den Zettel zuzustellen, ohne daß er ahnt, in welcher Weise er als Bote benutzt wird. Es wird sich schon eine Gelegenheit ergeben, verehrter Meister, Sie auf Grimly aufmerksam zu machen und Ihnen anzudeuten, wo Sie diese so überaus wertvolle Nachricht finden.

Ich hoffe, Sie werden mit mir zufrieden sein. Ich vermeide alles, was Ihnen gefährlich werden kann. Ich weiß, daß dieser infame Harst nichts unversucht lassen wird, Sie zu fangen. Daher bin ich doppelt vorsichtig.

Ich bin wie stets Ihr treu ergebener

John Bristol.

So lautete dieses Luftpiloten seltsamer Bericht …

Ich aber – ich wußte nun, daß der im zweiten Stock des Hauses in Dahlem Ermordete John Bristol hieß, daß Simpson ihn beseitigt hatte, um den Mitwisser des Geheimnisses der Felsennadel für alle Zeit stumm zu machen, und daß Simpson die Taschen Bristols so gründlich ausgeräumt hatte, weil er dort vielleicht diese Niederschrift zu finden gehofft hatte.

Auch vieles andere erschien nun geklärt. Bristol war in das Haus eingedrungen, weil er dort Simpson anzutreffen erwartete, und „Grimly“, der oder besser die Schielende, war wieder von dem Flieger veranlaßt worden, dorthin zu kommen – mit dem Zettel in der Höhlung des künstlichen Augapfels, den Bristol dort sehr schlau mit Wachs befestigt hatte. Bristol hatte eben so spekuliert: werde ich dort im Hause erwischt, so findet man nichts Belastendes bei mir, und nimmt man etwa Grimly fest, so findet man erst recht nichts! –

Der Plan, Grimly derart geschickt auszunutzen, hatte ja nur einen Fehler gehabt: Grimly war, was Bristol nicht ahnte, ebenfalls ein alter Bekannter des großen Verbrechers Simpson, und durch Haralds Erscheinen in dem Hause zur selben Zeit gewannen die Dinge ein für den Luftpiloten sehr trauriges Aussehen: Simpson, der meinen Freund Harst für 48 Stunden ausgeschaltet sah, wollte Bristol für immer los werden und … stach ihn nieder, damit Bristol nicht etwa auch lebend der von mir herbeigerufenen Polizei in die Hände fiele! – –

Ich will hier diese Zusammenhänge nicht noch eingehender erörtern. Der aufmerksame Leser kann sich von all diesem unschwer selbst ein Bild entwerfen.

Um immerhin noch den Stand der Angelegenheit kurz zusammenzufassen: das Geheimnis des Schielenden sowie die des unbekannten Sterbenden, der mir die drei Worte zugeflüstert hatte, war aufgeklärt. Der Schielende war eine Frau, eine grandiose Schauspielerin, die für Edward Simpson eingetreten war, anderseits ihn von einem neuen Morde, von der Beseitigung Harsts, abgehalten hatte und auf Simpson großen Einfluß besitzen mußte. – Bristol wieder war ein Vertrauter des Professors gewesen, hatte für diesen am Dschebel Makarid eine Felsennadel untersuchen sollen und – war zum Dank … ermordet worden. –

Felsennadel – heiliger Stein – Tasch el Muhammed!!

Das war das neue Geheimnis!

Und – was mochte es wohl damit auf sich haben?!

Weshalb Bristols Flüge über die Spitze der Felsennadel hinweg – – weshalb?! Um die Spitze zu besichtigen, um dort mit einem tollkühnen Sprung auf dieser Spitze zu landen?! Gewiß: das hatte Bristol ja alles schon in seinem Bericht erwähnt. Aber – aber: was gab es denn dort zu untersuchen – was?! –

Hierüber lange nachzugrübeln, verbot mir der Ernst der Lage.

Harst war verschwunden!! Harst war von diesem Weibe, das sich Allan Giffort genannt hatte, verfolgt worden. Sie – nur sie hatte Harald in die Falle gelockt und wollte es nun mit mir genau so machen, hatte sich auch an mich auf dem Dampfer herangedrängt und würde das Spiel nun hier in Suez fraglos in anderer Maske wiederholen …

Und – darauf rechnete ich, darauf gründete ich meinen Plan! Wie sollte ich Harald anders finden, wenn nicht durch dieses junge Weib?!

 

3. Kapitel.

Der blinde Oberst.

Es war inzwischen Abend geworden. Ich verließ das Hotel und wanderte durch die lebhaften Straßen nach dem bekannten Restaurant Tretitor, wo ich auf der Gartenterrasse Platz nahm.

Ich wartete … wartete auf die angebliche Sarah Grimly.

Über den Baumwipfeln des tropischen, herrlichen Gartens verglomm in prachtvoll violetten Farben das Abendrot.

Eine erstklassige Kapelle spielte Wiener Walzer …

Fast alle Tische waren besetzt. Touristen aller Länder gaben sich hier ein Rendezvous. Der Abendzug aus Kairo hatte eine große amerikanische Reisegesellschaft mitgebracht, die nun in einer Ecke der Terrasse ziemlich lärmend so tat, als ob die Welt nur für sie da wäre: Neuyorker Kriegsgewinnler nebst Anhang, genau so unangenehme Herrschaften wie der deutsche Typ Raffke und Neureich!

Ich wartete … wartete …

Ich aß gedankenvoll ein tadelloses Brathuhn und dachte an Harald …

Wo steckte er?! Wie war es möglich gewesen, daß er dieser Sarah und dem Professor in die Falle gegangen?!

Dann – fiel mein Blick auf ein Paar, das soeben die Terrasse betreten hatte: ein farbiger Diener, der einen alten Herrn untergefaßt hatte und ihn vorsichtig zwischen den Tischen hindurchgeleitete …

Ein vornehmer, weißbärtiger Herr …

Ein Blinder … – Das sah man sofort, selbst wenn man nicht auf die fest geschlossenen Augen achtete … –

Ich … ich lächelte ganz wenig.

Ein Blinder?! Fest geschlossene Augen?! – Es gehörte nicht viel Geist dazu, in diesem Weißbart Sarah Grimly in anderer Aufmachung zu vermuten.

Und – das Paar kam wirklich auf meinen Tisch zu.

Der alte Herr sagte mit einer Verbeugung mit leicht knarrender Stimme in fließendem Französisch:

„Würden Sie gestatten, daß ich mit meinem Diener hier Platz nehme? Die anderen Tische sollen sämtlich besetzt sein. Ich muß mich auf Husseins Angaben schon verlassen, mein Herr. Ich selbst bin blind.“

„Bitte, Ihre Gesellschaft wird mir ein Vergnügen sein!“

Und die beiden ließen sich nieder.

Ich atmete ordentlich erleichtert auf. Es hieß schon viel gewonnen haben, wenn diese seltsame Frau wieder Anschluß an mich gefunden hatte. –

Ich will das Folgende nur andeuten.

Wir kamen natürlich ins Gespräch. – Oberst a. D. Viktor Berlieux, so stellte sich diese verblüffende Verwandlungskünstlerin nachher vor.

Erzählte von den Feldzügen in Tonkin, Algerien, von dem Unheil, das den Verlust des Augenlichts herbeigeführt hatte.

Oh – konnte dieses junge Weib schauspielern – fabulieren!! Es war wirklich verblüffend! Jeden hätte sie getäuscht – jeden! Wenn Haralds Brief mich nicht gewarnt hätte, wenn Sarah Grimly nicht die Dummheit begangen und sich auch mir gegenüber als Detektiv Allan Giffort ausgegeben haben würde, – niemals hätte ich irgendwie Verdacht geschöpft!

Wir tranken eisgekühlten Punsch, rauchten und unterhielten uns.

Ich hatte mich mit meinem richtigen Namen Max Schraut vorgestellt. Ich wollte Sarah in Sicherheit wiegen.

„Ich habe hier ein allerliebstes Häuschen außerhalb der Stadt gemietet,“ sagte der „Oberst“ nun, der nicht weiter nach meinem Beruf gefragt hatte. „Ein Häuschen in einem Palmenhain, Monsieur Schraut, mit Aussicht auf den Kanal. Wir haben heute Vollmond. Da ist der Rundblick von dem flachen Dache meines Hauses besonders reizvoll. Ich – ich kann ihn ja leider nicht genießen. Aber mein treuer Hussein schildert mir stets so gewandt die Szenerie, daß ich kaum mehr empfinde, daß ich blind bin. Wenn Sie mir die Ehre geben und mich besuchen wollen, Monsieur Schraut … Ich würde mich freuen!“

Ob er sich freuen würde!! Dann hatte er mich ja in den Klauen!!

„Gern, Monsieur Berlieux,“ erklärte ich sehr liebenswürdig. „Wenn ich morgen mittag vielleicht auf eine halbe Stunde Sie stören dürfte …“

„Oh – gewiß, gewiß! Aber reden Sie nicht von stören! Ich hause da so einsam, daß mir eine kleine Zerstreuung nur wohltut …“

Stumm und steif saß der braune, schwarzbärtige Diener Hussein dabei … Starrte immer geradeaus, als ob ihn das lebhafte Getriebe ringsum gar nichts anginge …

Zuweilen musterte ich ihn verstohlen.

Vielleicht – vielleicht war es Simpson! Ausgeschlossen schien das jedenfalls nicht. Simpson hatte bereits genügend bewiesen, daß er ebenfalls Maske zu machen verstand. –

Gegen elf Uhr verabschiedete „der Oberst“ sich.

Ich schaute dem sich entfernenden Paare nach.

Fabelhaft war diese schauspielerische Begabung der Sarah Grimly! Wie tadellos Sie den unsicheren Gang des Blinden nachahmte!! –

Ich schlief die Nacht fest und traumlos in meinem Hotelbett. Vor dem Zubettgehen hatte ich noch aus Vorsicht Haralds Brief und auch das Mikrophotogramm und die Vergrößerung des Berichtes verbrannt. All das sollte nicht etwa Sarah anheimfallen.

Bevor ich mich dann zu dem Besuch bei dem Herrn Oberst fertig machte, überlegte ich mir nochmals meinen Operationsplan. Er war einfach und doch vielversprechend.

Ich steckte ein winziges Glasröhrchen zu mir, das jenes indische harmlose, aber so sehr wirksame Schlafmittel enthielt, mit dem ich diese Miß Grimly schon einmal … hineingelegt hatte. Die Kristallkörnchen waren durchaus geschmacklos und lösten sich in jeder Flüssigkeit auf. –

Der Herr Oberst hatte mir den Weg nach seinem Heim so genau beschrieben, daß ich mich leicht zurechtfand. Suez war mir ja bekannt.

Und – wie bekannt!! Der Leser, der als getreuer Anhänger der Harald-Harst-Erzählungen auch die ersten Bände kennt, wird sich auf die Festung des Ali Azzim[4] besinnen, auf die Bulldoggen – auf vieles andere …

So wanderte ich denn gegen elf Uhr vormittags in glühendstem Sonnenglast an den Friedhöfen vorüber nach Osten zu …

Dort winkten Palmenhaine, dort leuchteten die weißen Villen der Europäer, der Kanalbeamten, und dort linker Hand auf einem Sandhügel ebenfalls ein Palmenhain, dazwischen Feigenbäume, Buschwerk und eine hellgelb gestrichene Steinmauer, überragt von einem schmucklosen einstöckigen, viereckigen Hause mit flachem Dach …

Das war Sarah Grimlys Mietsheim …

Das war – Haralds Gefängnis! Davon – – war ich leider zu fest überzeugt – zu fest!

Bevor ich den Hügel und den sandigen Weg empor klomm, begegnete ich einem farbigen Postboten, der vom Hause herkam.

Ich sprach ihn an. Der Oberst wohne seit drei Wochen dort, erklärte er auf meine Fragen. Ja, letzte Woche sei er verreist gewesen …

Also stimmte alles: drei Wochen – und Harald war vor genau achtzehn Tagen verschwunden! Und letzte Woche war der … blinde Oberst verreist gewesen!! Da hatte er eben mir in Alexandrien aufgelauert, denn dort war Mister Allan Giffort an Bord des Dampfers gekommen! –

Ich läutete an der Pforte der gelben Mauer.

Hundegeheul erhob sich.

Ah – auch hier also bissige Köter! Wie mich das an die Festung des Ali Azzim erinnerte!

Dann eine tiefe Stimme, die die Hunde zur Ruhe wies.

Hussein öffnete.

Führte mich stumm ins Haus, dessen große Fenster grüne Stabjalousien und – sehr dicke Eisengitter hatten.

Der Herr Oberst saß in einem schlicht eingerichteten Herrenzimmer am Fenster, drückte mir heiter die Hand und bewillkommnete mich mit einem Wortschwall, der mir deutlich bewies, wie froh er war, mich nun – sicher zu haben.

Wir unterhielten uns dann zwanglos. Ich hatte mich in einen Korbsessel dem Gegner gegenübergesetzt. Zwischen uns stand ein Tischchen. Hussein brachte Zitronenlimonade, eine Schale mit Eisstückchen, dazu noch eine Flasche Burgunder.

Geräuschlos mischte der gewandte Farbige uns das Getränk …

Nachher mußte Hussein mich auf das Dach geleiten. Ich fragte ihn, wieviel Diener der Oberst sich hielte.

„Ich bin allein hier, Monsieur,“ erklärte Hussein in leidlichem Französisch.

Hm – ob es wirklich Simpson sein konnte?!

Ich zweifelte daran …

Die Aussicht vom Dache bot nichts Besonderes für meinen Geschmack.

Dann zeigte Hussein mir das Haus. Ich hatte die rechte Hand stets in der Jackentasche – am Kolben der Clement! Ich war vorsichtig.

Nichts geschah … nichts!

In der Küche stand ein halb geleertes Glas Zitronenwasser mit Eisstückchen darin – Husseins Erfrischungsgetränk …

Und – in dieses Glas schüttete ich blitzschnell einen Teil des Inhaltes meines Glasröhrchens, benutzte dazu den Moment, als der Diener die Stabjalousie hochzog …

Und – abermals fünf Minuten darauf hatte auch des Herrn Obersts Glas eine Beimischung erhalten, die … vollauf genügte.

Ich – triumphierte!! Und – wie ich triumphierte!! Ich würde nun in kurzem Herr der Situation sein!

Es kam auch, wie ich berechnet hatte. Sarah Grimly alias Berlieux erzählte gerade, daß er morgen einen Ausflug in die Wüste hinein unternehmen würde, als in der Tür Hussein erschien …

Hussein … taumelnd – matt …

Und matt erhob er die Hand, wollte mir etwas zurufen … lallte nur unverständliche Worte, glitt zu Boden … schlief – war bewußtlos.

Das gleiche Schicksal ereilte fast im selben Moment seinen Herrn …

Sarah Grimly sank müde tiefer in den Sessel hinein. Der Kopf ruhte auf der Brust …

Dann – war auch sie … erledigt!

Und ich – – war Sieger! – –

Sieger?! – Hätte ich in dem Augenblick geahnt, was ich angerichtet hatte und was noch kommen würde, dann – dann wäre ich wohl nicht so siegerhaft über den Körper des besinnungslosen Hussein hinweggestiegen und wäre nicht so eilig in die hellen, luftigen Keller hinabgehastet …

Keller – Keller! Hier mußte ja Harald stecken – hier irgendwo!

Und ich fand eine Tür – eine dicke Balkentür mit drei Schlössern und einem Guckloch …

Schob den Deckel des Guckloches beiseite und sah in den als Wohnzimmer eingerichteten Raum hinein.

Auf einem Diwan lag ein Mann und schlief. In dem trüben Halbdunkel konnte ich ihn nicht erkennen.

Da hingen denn auch an einem Nagel neben der Tür die drei Schlüssel …

Ganz leise schloß ich auf – ganz leise …

Öffnete ebenso leise …

Wollte meinen Harald überraschen. Er – nur er konnte ja dieser Gefangene sein …

Ich trat an den Diwan heran …

Und mit einem Satz war der Mann da auf den Füßen.

Ein Mann, lang, hager, graues, kurzes Haar: Edward Simpson!

Und wie ein Panther hatte er mich da auch schon bei der Kehle …

Riesenkräfte besaß dieser Verbrecher …! Das war kein entnervter Gelehrter, der unter Alterserscheinungen litt. Das war ein Mann, der geistig und körperlich es mit jedem aufnahm – mit jedem!!

Und ich – ich mit meiner vermaledeiten Speckschicht, dem Bäuchlein, – ich, der kaum mittelgroße Max Schraut wehrte mich, so gut es ging …

Aber es ging leider nicht gut …

Der Kerl hätte mich erwürgt … Ich tat klug daran, rechtzeitig den Besinnungslosen zu spielen.

Da warf er mich auf den Diwan, riß Streifen von einer Decke ab und fesselte mich …

Verließ den Raum – schloß von außen ab …

Da lag ich nun – ich, der Sieger!! – lag festgebunden und … hatte Simpson die Freiheit geschenkt!

Blamage – ungeheure Blamage!!

Und – wo war Harst – – wo?!

 

4. Kapitel.

Entwischt …

Ich mühte mich ab, die Fesseln loszuwerden.

Ich arbeitete wie ein Verzweifelter …

Der Gedanke, daß Sarah Grimly hier den gefährlichen Verbrecher insgeheim unschädlich gemacht hatte, daß sie ihn hier vor der Welt verborgen gehalten und diese Welt so auch wieder vor ihm geschützt hatte, – daß ich es nun gewesen, der das Vorhaben dieses merkwürdigen Weibes durchkreuzt hatte, – – der Gedanke gab mir ungeahnte Kräfte.

Ich – kam frei. Ich stand auf den Füßen.

Aber – was nützte mir das? Die Tür war von innen mit Eisenblech benagelt, die kleinen Fenster waren vergittert. Und als ich mich an einem der Fenster zeigte, stürzten sofort drei riesige Doggen herbei …

Trotzdem – trotzdem: ich schlug die obere Scheibe ein, feuerte drei Schuß meiner Clement hoch in die Luft …

Die Hunde rasten vor Wut, wollten sich gar nicht beruhigen …

Ich … horchte dann. Vielleicht lockten die Schüsse jemand herbei …

Und plötzlich jagten die drei Doggen nach links davon.

Ich ahnte, weshalb: Simpson verließ das Haus! Simpson flüchtete …!!

Die Hunde bellten wieder wie unsinnig – verstummten.

Und vier Minuten drauf erschien über der Mauerkrone ein Kopf – ein Araber …

Ich rief dem Manne zu, die Polizei zu holen …

Abermals eine halbe Stunde … Dann vier eingeborene Polizisten, die zunächst mit Schlingen die drei Doggen einfingen …

Wieder eine Viertelstunde: nun war ich wirklich frei! Nun sah ich oben den braunen Diener Hussein schlafend daliegen …

Sah, daß der Polizeiinspektor von Suez ihm den falschen schwarzen Bart und die Perücke abgenommen hatte: Harald – Harald Harst war’s!!

Man denke: Hussein – – Harald!!

Und ich – ich hatte Edward Simpson laufen lassen – ich!! Während Harald hier bereits Herr der Situation gewesen, hatte ich – – alles verdorben!

Armer Max Schraut!! Das würde eine nette Begrüßung zwischen mir und Harald werden!

Ich mußte unbedingt retten, was hier noch zu retten war …

Ich log den Polizeiinspektor an, daß sich die Balken bogen. Ich erfand eine tolle Geschichte. Ich war ja Max Schraut, hatte meinen Ausweis bei mir. Ich – gewann diese Partie.

Die Polizei zog ab … –

Und abends gegen sieben Uhr hatte ich dann Harald glücklich munter bekommen, während der Herr Oberst noch immer schlief.

Ich hatte Harst auf ein Rohrsofa gelegt und ihm Kissen unter den Kopf geschoben. Als er die Augen aufschlug, schaute er mich lange wortlos an. Dann flüsterte er:

„Alkohol – –!!“

Ich verstand. Er wollte recht schnell munter werden. Ich fand auch nebenan eine Flasche Rum. Ein kalter, zuckerloser Grog übte eine so erfrischende Wirkung aus, daß Harald sich nun aufrecht setzte …

Und dann war seine erste Frage: „Du hast Simpson befreit?“

„Ja …“ – Das klang sehr kleinlaut.

Da lachte Harst leise, drückte mir die Hand und meinte: „Lieber Alter, die Hauptsache ist: Du bist wieder gesund, und wir beide sind wieder vereint!“

Unendlich viel Herzlichkeit lag in diesen Worten.

„Und im übrigen: daß Simpson auf diese Weise ausgekniffen ist, schadet gar nichts – gar nichts,“ fügte er ganz heiter hinzu. „Das Spiel hier mußte ja doch einmal ein Ende haben … – Ich muß Dir viel erzählen, sehr viel!“ Abermals trank er. „Das läßt sich aber alles mit ein paar Worten erledigen, mein lieber Alter. Ah – hier sind ja auch Mirakulum!!“ Er strahlte. Ich hatte ihm eine neue Schachtel hingereicht.

Mit welchem Wohlbehagen rauchte er da die ersten Züge! Und dann – im Depeschenstil:

„Du hast meinen Brief im Koffer gefunden. Hier in Suez merkte ich, daß auch Simpson von Sarah Grimly beobachtet wurde, der dasselbe Schiff benutzt hatte. Er hatte sie in Berlin aus unserem Kerker also nur befreit, um sich sofort wieder von ihr zu trennen. Und hier in Suez die große Überraschung: ich war heimlich Zeuge, wie dieses rätselhafte junge Weib den Professor durch ein paar bestochene Hafenkulis überfallen und in ein Mietauto werfen ließ. Ich konnte dem Kraftwagen nur mit den Augen folgen. Immerhin: ich kam hierher – kam als Hussein und bot meine Dienste an. Da Sarah Grimly ihren bisherigen Diener wegen Trunkenheit gerade entlassen hatte, wurde ich eingestellt. Sarah ahnte nicht, daß sie Harald Harst bei sich aufnahm. Mir lag heran, herauszubringen, was sie mit Simpson vorhätte. Schon am dritten Tage schenkte sie mir so viel Vertrauen, daß sie – stets als Oberst Berlieux und angeblich blind – mir erklärte, sie hielte im Keller einen Mann, der ihr Todfeind sei, gefangen. Ich blieb bei ihr. Ich mußte dahinterkommen, in welchem Verhältnis sie eigentlich zu Simpson stände. Aber sie war vorsichtig. Ich weiß noch heute nicht, ob es wahr ist, daß sie Simpson haßt und ihn aus Haß für den Rest seines Lebens einkerkern wollte …“

Allerdings – das waren Neuigkeiten, die ich kaum vermutet hätte. Jedenfalls erschien diese Frau nun in immer merkwürdigerem Lichte.

„Wer mag sie eigentlich sein?“ fragte ich aus meinen Gedanken heraus.

„Keine Ahnung! – Da – sie erwacht … – Laß mich mit ihr reden, mein Alter!“

Wirklich: der Herr Oberst Berlieux dort auf dem Ruhebett hatte die Augenlider weit offen, bewegte sich, richtete sich etwas auf.

Ein Blick traf uns beide – ein scheuer, prüfender Blick … Dann sanken die Lider wieder herab.

Hussein-Harst trat an das Ruhebett heran.

„Miß Grimly,“ sagte er in englischer Sprache, „durch eine Verkettung besonderer Umstände hat mein Freund Schraut den Professor Simpson befreit, nachdem er Sie und mich betäubt hatte …“

Das wirkte … Wirkte ungeahnt! Es war nicht mehr die tiefe knarrende Stimme des Oberst Berlieux, die nun verzweifelt rief: „O mein Gott, so war alles, alles umsonst!“ Nein, es war eine Frauenstimme, der man deutlich an dem feinen Vibrieren die hochgradige Erregung anmerkte. Und es war ein Paar wild verzweifelter Augen, die Harst nun anstarrten. „Sie, Sie sind Harald Harst!“ stöhnte Sarah Grimly dann. „Gerade Harald Harst …!!“

„Miß Grimly,“ meinte Harald gütig, „dieser Harst hat oft bewiesen, daß er ein Herz in der Brust hat! Seien Sie doch ehrlich uns gegenüber! Wer sind Sie? Sie heißen doch nicht Sarah Grimly! Sind Sie etwa die Gattin Simpsons? Er war doch verheiratet, die Ehe wurde vor sechs Jahren geschieden …“

„Simpsons Frau ist … tot,“ erklärte sie leise. „Ich bin … Sarah Grimly – niemand anders!“ Sie sprach wieder lauter und energischer. „Ich kann Ihnen gegenüber nicht ehrlich sein, Mr. Harst. Ich kann es nicht! Ich habe eine heilige Pflicht zu erfüllen. Das muß Ihnen genügen.“

„Pflicht?! Ist diese Pflicht ein Racheschwur? Haben Sie deshalb Simpson im Hause in Dahlem gegen uns beigestanden, weil Ihr Haß diesen Mann der Polizei und dem Henker nicht gönnte?!“

Sie schwieg. Sie stützte den Kopf nachsinnend in die Hand … So vergingen Minuten. Dann sagte sie: „Ich werde Ihnen beiden meine Aufzeichnungen holen … Sie werden alles begreifen lernen.“

Hoch aufgerichtet stand sie da. Und fügte hinzu: „Es wundert mich, Mr. Harst, daß Sie die Wahrheit noch nicht durchschaut haben. Sie sollen nun erfahren, was … an mir daran ist!“

Und mit etwas unsicheren Schritten verließ sie das Zimmer, ging durch das Eßzimmer in den dritten Raum … Die Türen blieben offen …

Wir hörten Sarah Grimly eine Schiebelade aufziehen, dann wurde es still.

Harst flüsterte: „Es ist doch Haß – – Rache! Glaube mir!“ Er rauchte bereits die dritte Mirakulum …

Und – zehn Minuten drauf wußten wir, was an Sarah Grimly daran war: sie war – entflohen! Sie hatte uns … hineingelegt!!

 

5. Kapitel.

Der Tasch el Muhammed.

Zwei Tage blieben wir noch in Suez. Von Simpson und Sarah entdeckten wir keine Spur mehr. Wir stellten lediglich fest, daß zwei einzelne Europäer in einem Zwischenraum von sechs Stunden mit je einem arabischen Führer auf Reitkamelen Suez verlassen und angeblich zur Hyänenjagd in die Wüste nach Kairo zu hinausgeritten waren. Ob diese beiden Simpson und Sarah gewesen, ob also Sarah abermals dem Professor auf den Fersen war, ließ sich nicht näher ermitteln. – –

Wir benutzten einen Frachtdampfer zur Fahrt nach Aden, der englischen Felsenfeste am Ostausgang des berüchtigten Roten Meeres. Frachtdampfer sind billiger. Und dies war dazu noch ein deutscher Dampfer. Wir hatten es außerdem auch nicht eilig.

Am Ende des Suezkanals überholte uns ein großer englischer Passagierdampfer. Wir waren so vorsichtig gewesen, unsere Abreise ganz geheim durchzuführen, wir trugen auch wieder Verkleidung und waren nun blondbärtige holländische Kaufleute.

So standen wir denn an der Reling des Konsul Merling und ließen das schwimmende Riesenhotel an uns vorüberrauschen. Wir richteten unsere Ferngläser auf das Promenadendeck. Es war der Mittagshitze wegen leer. Nur eine einzelne, weißgekleidete Dame lehnte dort am Geländer. Jetzt hob sie den Schleier, den sie um ihre weiße Sportmütze geschlungen hatte …

Mein tadelloses Triederbinokel brachte mir das Gesicht der Dame ganz nahe. Ein Blick genügte: es war Sarah Grimly!!

Auch Harald hatte sie erkannt, sagte hastig zu mir: „Da ist sie! Dann ist auch Simpson dort an Bord, wette ich!“

Ich nickte nur …

Das schwimmende Riesenhotel war vorüber.

Harst schraubte sein Glas zusammen. „Simpson ist unterwegs nach Aden. Von dort wird er nach dem Dschebel Makarid aufbrechen – und wir auch! Was hältst Du von dem heiligen Stein Tasch el Muhammed, mein Alter?“

Bisher hatten wir dieses Thema nur flüchtig erörtert.

Ich antwortete zögernd: „Vielleicht ein Geheimnis …“

„Das ohne Frage! – Was für ein Geheimnis?“

„Vielleicht befindet sich auf der platten Spitze der Felsennadel … ein Schatz.“

Harald lachte schallend. „Warum nicht gar! Schatz – Schatz! Das ist das billige Requisit aller phantasiearmen Schriftsteller – Vielschreiber. Ein erbärmliches Requisit. Mir wird schon übel, wenn ich das Wort Schatz nur höre! Nein, Freund Max, nein, so einfach wird das doch nicht sein. Raten hat da wenig Zweck. Noch zehn Tage, denke ich, und dann – werden unsere Reitkamele am Dschebel Makarid bei den Zelten des Beduinenstammes der Ulead Beni weiden.“

„Ulead Beni?“

„Ja – ich habe mich natürlich längst über die Gegend dort genau unterrichtet …“ – – –

Zehn Tage später …

Zwei Kamelreiter, hinter sich ein Lastkamel am langen Leitseil …

Und Sonne – stechende Sonne – und Sand, rötlich-gelber Sand, ein paar armselige Wüstenpflanzen, in der Ferne kahle, dunkle Berge …

Nachmittags war’s. Wir beide ritten seit Tagen parallel zu Edward Simpsons Fährte dem Dschebel Makarid entgegen. Simpson, nur begleitet von zwei Arabern, die er in Aden gemietet hatte, konnte unmöglich ahnen, daß wir beide hinter ihm her waren. Dazu hatten wir zu viel Vorsicht angewandt, hatten in Aden uns nur abends auf den Straßen gezeigt, und Simpsons Beobachtung unserem dortigen Bekannten, dem Polizeiinspektor Greeg, überlassen.

Greeg hatte uns noch am Abend vor Simpsons Aufbruch gemeldet, daß der Professor durch einen fragwürdigen Händler sich nicht weniger als zwölf große Dynamitpatronen, eine elektrische Zündbatterie und die dazugehörige Drahtleitung von etwa vierhundert Meter Länge besorgt hatte.

Diese seine Einkäufe gaben sehr zu denken. Harald äußerte wiederholt mir gegenüber, daß Simpson wahrscheinlich versuchen würde, die berühmte Felsennadel vielleicht durch einen Sprengschuß umzulegen, da es ja nur so für ihn möglich war, an die Spitze des schlanken, fünfundzwanzig Meter hohen, dazu kerzengeraden und völlig glatten Steingebildes heranzukommen. –

Nun trabten wir also abermals seitwärts von Simpson in den Tälern der pfadlosen Wüste dahin und begnügten uns damit, hin und wieder vorsichtig von einem Hügel mit unseren scharfen Gläsern nach ihm Ausschau zu halten.

Nachmittags gegen fünf Uhr war’s. Soeben hatten wir abermals Simpson in etwa zweitausend Meter Entfernung erspäht und bogen jetzt in ein steiniges sogenanntes Wadi, ein trockenes ehemaliges Flußbett mit felsigen Rändern ein.

Unsere Tiere waren noch recht frisch. Wir hatten genügend Trinkwasser mitgenommen und außerdem gestern abend im Wadi Halfar bei einem Beduinenstamm unseren Wasservorrat ergänzt.

Dieses Tal hier machte zahlreiche Krümmungen und war daher recht unübersichtlich.

Wir fühlten uns völlig sicher. Wir fürchteten Simpson nicht. Wir waren ja die weit besser Bewaffneten. Unsere Winchesterbüchsen hatten wir oft erprobt, und unsere Schießfertigkeit war der des Professors fraglos überlegen. Zudem: Simpson konnte gar nicht ahnen, daß wir ihm auf den Fersen waren. Er glaubte bestimmt, daß der Luftpilot John Bristol nichts von dem Geheimnis der heiligen Steinsäule zu Papier gebracht hätte. Ihm war auch unbekannt, daß Sarah Grimlys Glasauge einst einen so wertvollen Zettel enthalten hatte. All dies wußte Harald infolge seiner Dienerrolle als Hussein in Suez, wo er zweimal Simpson und die seltsame, rätselvolle Frau im Keller belauscht hatte, ohne freilich etwas Wesentliches zu erfahren.

Das tiefe Tal war endlos lang. Wohl eine halbe Stunde ritten wir hier nun bereits im Schritt dahin.

Dann – eine neue Krümmung …

Und dann … hinter einem einzelnen Felsblock hervor eine scharfe, tiefe Stimme …

Auf dem Felsen aber lag der Lauf einer Büchse – die Mündung nach uns hin …

Und die Stimme – Simpsons Stimme … drohend, triumphierend, höhnend:

„Halt – absteigen, meine Herren! Halt!!“

Ein Schuß knallte, – die Kugel warf Harald den Tropenhelm ins Genick …

Ah – kein schlechter Schuß!! Wir hatten Simpson doch unterschätzt!

Und wieder rief er: „Die nächste Kugel sitzt fünf Zentimeter tiefer, Herr Harst! Absteigen!“

Welch ungeheures Pech: unsere Winchester steckten in den Lederfutteralen, um sie vor dem Flugsand zu schützen! –

Wir hatten unsere Tiere zum Stehen gebracht …

Und zum dritten Male: „Absteigen! Sofort!“

Was half’s?!

Wir ließen die Tiere niederknien, stiegen ab.

„Hinlegen!“ brüllte der Gegner wieder. „Arme seitwärts ausstrecken!“

Schlau war der Schuft! Sehr schlau!!

Und – als Warnung ging nun auch mir eine Kugel durch den Tropenhelm …

Mein Kopf schnellte nach hinten … Ich warf mich rasch zu Boden. Harald tat dasselbe, flüsterte dabei: „Hier geht’s jetzt ums Ganze, mein Alter! Er oder wir!!“

Nun – Simpson benahm sich leider weiter so schlau, daß wir nichts – gar nichts ihm anhaben konnten.

Zwang mich, Harald die Hände auf dem Rücken zu binden, fesselte mich dann selbst, trieb uns vor sich her – bis in ein Seitental, bis zu ein paar armseligen Palmen am Talrande. Und hier – hier band er uns an zwei Bäume – schweigend, finster, mit der düsteren Entschlossenheit eines Mannes, der kein Erbarmen kennt …

Und als wir nun dort an den Palmen wehrlos aufrecht standen, die Gesichter nach Süden gekehrt, trat er vor uns hin.

„Glaubten Sie etwa, daß ich kein Fernglas mithätte?!“ höhnte er. „Seit gestern wußte ich, wie die Dinge lagen! Und jetzt – jetzt wird dieser Kampf Harst–Simpson ein Ende haben!“

Er lachte schrill, zog seinen Revolver …

„Meine beiden arabischen Führer sind bereits stumm. Ich brauche sie nicht mehr. Dort drüben, keine Meile entfernt, steht die heilige Säule … Ich – – bin am Ziel!“

Er hob die Waffe – legte auf Harst an …

„Falls Sie fromm sind – beten Sie!“ höhnte er wieder mit einem so haßverzerrten Gesicht, daß ich wußte: hier rettete uns nichts mehr – nichts!

Es … kam anders …

Ein gellender Schrei vom Wadi her …

Eine einzelne Kamelreiterin: Sarah Grimly im praktischen Sportkostüm …

Im Galopp jagte sie heran … sprang ab …

Und Simpson, der ihr fluchend entgegengeschaut hatte, rief gehässig: „Ha – was willst Du denn hier! Scher’ Dich zum Teufel!!“

Sie war schon neben ihm … sank in die Knie – umschlang ihn …

„Vater – Vater, nur kein neuer Mord!“ flehte sie in Tönen höchster Angst. „Vater – Du …“

Simpson hatte die Waffe wieder auf Haralds Stirn gerichtet …

Und – – da – schlug Harst zu … Schlug mit dem rechten Fuß blitzschnell nach oben … Wir hatten die Füße ja frei. Traf den Revolver – die Waffe flog im Bogen davon.

Und gleichzeitig von Süden her aus der offenen Wüste drei Beduinen zu Pferde – mit flatternden Mänteln, – Söhne der Wüste, Rächer der beiden von Simpson heimtückisch erschossenen Führer …

„Vater – flieh’ – flieh’!“ gellte Sarahs Warnungsruf.

Simpson wandte sich um … zögerte, lief davon, dem Wadi zu, wo sein Reittier stand …

Erschien hoch zu Kamel drüben im flachen Gelände, sprengte nach Osten weiter …

So wurden wir Zeugen der kurzen Hetze. Sahen, daß die drei Beduinen ihm näherkamen, daß der eine die Flinte hob – aus dem Sattel feuerte …

Und dann – ein Knall – eine Lufterschütterung, die wir bis zu uns hin spürten …

Ein Knall – und die Stelle, wo soeben noch Edward Simpson dahingejagt war, zeigte nichts als Sandwolken – wie Staubfontänen, hochgewirbelt durch die Kraft der Explosion der Dynamitpatronen, die Simpson in seinen Satteltaschen untergebracht gehabt, die durch die Kugel des Arabers zur Zündung gelangt und die den großen Verbrecher in Atome zerrissen hatten …

Sarah Simpson, Schauspielerin am Eden-Theater in Birmingham, lag noch auf den Knien – weinte – betete für den unseligen Vater … – –

Und am anderen Morgen standen Sarah Simpson und wir beide neben dem Scheich der Ulead Beni auf einer Bergkuppe und hatten tausend Meter vor uns drunten in der Wüste die aus dem Sande hervorragende heilige Felsennadel.

Hatten unsere Gläser auf die Spitze der Säule Muhammeds gerichtet und sahen diese Spitze im Sonnenschein goldig flimmern und funkeln … –

Und wieder sechs Tage drauf waren wir drei wieder in Aden. Edward Simpson war tot. Wir konnten heimkehren. –

Wenn mich nun der Leser fragt, worin denn das Geheimnis des Tasch el Muhammed besteht, so muß ich erwidern: „Ich weiß es nicht!“ – Der Scheich der Ulead Beni weiß es fraglos. – Harst vermutet, daß die Spitze dick vergoldet ist. Das ist möglich … Aber nicht wahrscheinlich. In einem englischen Reisewerk über Arabien heißt es: „Der Tasch el Muhammed besteht oben aus einer Fläche von Goldglimmer …“

Das halte ich für die beste Erklärung …

Der Leser wird sich damit begnügen müssen. Diese Erklärung würde auch Edward Simpsons Absicht, die Säule durch Sprengschuß umzuwerfen, noch freventlicher erscheinen lassen: er hoffte Gold zu erbeuten, und er hätte wertlosen Goldglimmer gefunden! – –

Hiermit schließe ich dieses Abenteuer. Wie gesagt: wir wollten nach Deutschland zurück. Wollten …

Und kamen nach – Indien!

Weshalb, – das bringt der folgende Band …

 

Nächster Band:

Der Kopf des Maharadscha.[5]

 

 

Verlagswerbung:

Gute und billige
Romane:

 
 
 
 
 
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Pfennige

Die Lahore-Vase
Der hüpfende Teufel
Das Haus am Mühlengraben
Der Mutter Name
Komm an mein Herz
Die Brettldiva
Rittergut Tressin
Im Schatten der Schuld
Um Leben und Tod
Das Haus des Hasses

erhältlich in jeder Buchhandlung oder direkt beim
VERLAG MODERNER LEKTÜRE
Berlin SO 16 / Michaelkirchstraße 23a

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Anmerkungen:

  1. Ausgeprägt, intensiv.
  2. Fehlendes Wort „nicht“ ergänzt.
  3. Ferdinand Marie Vicomte de Lesseps (1805–1894), französischer Diplomat, Unternehmer und Erbauer des Suezkanals (1854/59–1869). Siehe auch Wikipedia: Lesseps sowie Suezkanal.
  4. In der Vorlage steht: „Ali Azim“. Zwei Vorkommen auf „Ali Azzim“ geändert.
  5. In der Vorlage steht: „Maharadschas“. Im folgenden Heft sowie allen Auflistungen / Verlagswerbungen steht aber nur „Maharadscha“.