Durch die schier undurchdringliche Wildnis afrikanischen Urwaldes schlängelte sich ein Fluß. Er war nicht besonders breit, stellenweise nur etwa zehn Meter, schien aber sehr wasserreich zu sein. Gurgelnd und oft schäumend schoß sein reißendes Wasser dahin. Der Grund mußte felsig sein. Dafür sprach das Gurgeln.
Viele Stromschnellen und Strudel gaben der Oberfläche des Wassers ein wildes Aussehen. Es mit einem Boot zu befahren, schien wenig ratsam.
Dennoch war das der Fall. Ein langes, breites, doch flaches Eingeborenenboot schoß auf der Wasserfläche dahin. Die Strömung trug es mit fast unheimlicher Geschwindigkeit vorwärts. Aber die Neger, die es lenkten, mit langen Stangen bewehrt, verstanden es prachtvoll, das Boot vor allzu gefährlichen Stellen, vor Karambolage mit dem Ufer oder mit aus dem Fluß herausragenden großen Steinen zu bewahren.
Die es lenkten, dies Boot, waren vier kräftige Neger. Aber sie waren nicht die einzigen Insassen. Noch fünf Personen saßen darin; und diese fünf waren – Weiße. Und diese Weißen: Mahadur Mirat, Hella Dörcksen, Ellen Crosterbroux, Henry Zillich und Templing, wieder glücklich vereint mit Sambo und den drei Schwarzen des Farmers.
Grandios war das Bild der Wildnis rechts und links, durch die das Boot dahinglitt. Baumäste, Lianen, blühende Büsche senkten sich oft tief über die Oberfläche des Wassers. Betäubende Gerüche strömten diese großen flammend farbigen Blüten oft aus. Falter gaukelten vorüber. Papageien kreischten, von dem plötzlichen Anblick der Menschen im Boot aufgeschreckt. Affen flohen laut schnatternd waldein. Hin und wieder lauerte auf irgendeinem Ast ein Raubtier; schaute erstaunt und mißtrauisch auf das vorbeischießende Boot. –
Schnell ging die Fahrt, sehr schnell.
Hella Dörcksen und Mahadur Mirat saßen nebeneinander Hand in Hand. Blickten schweigend in die üppige, wuchernde Wildnis, durch die sie hindurchglitten. Sie schwiegen; hingen ihren Gedanken nach. Wie fern weilten die beiden von hier! … Im Himalaya … hinauf zu den Gefilden der Seligen … zu Aspasia, der Wolkenkönigin.
War doch bei all und jeder Fahrt, die sie in den letzten Zeiten gemacht hatten, Olympia das Ziel gewesen. Ob sie es jemals erreichen würden? Aber – der Radscha sowohl, als auch das Mädchen waren voll Zuversicht. Wenn sie nur beieinander waren, sich nie mehr zu trennen brauchten.
Wie sie jetzt hier auf den Fluß gekommen waren? Wie die ganze Reisegesellschaft sich wieder zusammengefunden hatte? Das war eine einfache Geschichte. –
Templing hatte die Fesseln der vier durchschnitten.
„Rasch, mir nach!“ rief er ihnen zu. Sie sprangen von dem Scheiterhaufen, der schon zu entflammen begann, herunter. Templing hatte sich zu dem gestürzten Negerkönig gebeugt, der gerade – fortkriechen wollte, hatte ihn gepackt, mitgeschleppt. So flohen sie, von niemandem gehindert. Keiner der verschwundenen Neger war mehr zu erblicken.
Nach einer guten halben Stunde machten sie halt. Einigermaßen erschöpft. Besonders Templing, der den Negerhäuptling, der infolge der Beinverletzung nicht laufen konnte, mitschleppte. Der mußte wohl viel Blut verloren haben, da er sich nur matt wehrte. Vielleicht war er aber auch von der Angst, nun selbst gefangen zu sein, gelähmt.
Mahadur Mirat und die anderen hatten wohl flüchtig darüber nachgedacht, weshalb Templing wohl den verwundeten Schwarzen mitgeschleppt haben mochte. Der konnte auf ihrer Flucht doch nur hinderlich sein. Aber jetzt stellte sich der Grund dafür heraus. Templing hatte in der Drachenhöhle noch etwas entdeckt, das –
Er begann jetzt, den Häuptling zu befragen. Erstaunt hörten die anderen zu.
„Wo habt ihr die Sachen gelassen, die ihr dem braunen Mann abnahmt, den ihr nachher verbranntet –?“
Ängstlich blickte der wehrlose Häuptling zu dem Fragenden empor. Er war vor Angst und dem Blutverlust ganz grau im Gesicht geworden. Erst nach einer Weile erwiderte er:
„Ihr werdet sie nicht bekommen –“
Aber Templing schüttelte den Schwarzen. Beharrte:
„Wo sind die Sachen?“
”Ich – ich darf es nicht sagen!“
„Wieso nicht?“
„Weil großer Zauber ist an dem Ort …“
„Heraus mit der Sprache, Bursche! Sonst –“
Und Templings Revolver drohte in nicht mißzuverstehender Weise. Da knickte der Negerkönig zusammen.
„Auf der Insel Ubepu,“ sagte er. Aber Templing ließ ihn noch nicht los. Fragte mit drohendem Klang in der Stimme:
„Und wo liegt die?“
„Flußabwärts. Es gibt hier nur die eine.“
„Und der Fluß?“
„Ganz nah. Nach Sonnenaufgang zu.“
„Du wirst uns hinführen. Sofort.“
„Ja – ja!“ – auf erneutes Drohen des Revolvers.
Der Negerkönig führte die Gruppe zum Fluß. Von den Dorfbewohnern war kein einziger zu sehen. Die Hütten standen leer. So groß war die abergläubische Furcht der Schwarzen. Schüsse, Feuersäulen – und kein Mensch –? Das mußte ein furchtbarer Zauber sein.
Watombe bestätigte das später. Der Stamm war besonders dem Aberglauben verfallen. Das lag wohl zum Teil daran, daß sie noch nie oder fast nie direkt mit Weißen in Berührung gekommen waren. Aber er, der Häuptling, er sprach doch gut englisch –? Ja. Auch das erklärte er. Er hatte längere Zeit in Kapstadt gelebt. War dann erst als Häuptling in sein Dorf zurückgekehrt. Aber der Umgang mit Weißen hatte ihm außer gewissen Kenntnissen und der Sprache nichts gegeben. Deshalb hielt er genau so an den Gebräuchen seines Stammes fest wie die übrigen.
Zu diesen Gebräuchen gehörte, daß an Opferfesten den Drachengötzen lebende Menschen geopfert wurden, – lebend auf Scheiterhaufen verbrannt.
Und damit sind wir wieder dabei angelangt, was hier schon einmal angedeutet worden ist –: was Templing in der Höhle des „Drachen“ noch entdeckte.
Auf Haufen verkohlter Menschenknochen hatten deutlich zu erkennen frischere gelegen. Daneben ein Kleiderbündel – unverbrannt. Vielleicht zogen die Schwarzen ihre Opfer vorher aus. Es mußte wohl so sein. Und dies Bündel – diese Kleider hatte Templing als die Rafiks, des mit den Diamanten entflohenen Kameltreibers, wiedererkannt!
Er hatte weitergesucht, aber nichts mehr gefunden. Die Waffen Rafiks nicht und nicht den Lederbeutel mit den Diamanten. Da war er auf den Gedanken gekommen, daß die Neger diese Dinge vielleicht noch an einem anderen, besonderen Ort aufbewahrt haben könnten. Aufs Geratewohl fragte er darum nachher den Häuptling. Und – er hatte richtig vermutet. Durch seine Antworten gab der Schwarze zu, daß dem wirklich so war.
Die Insel Ubepu … wo sie liegen sollte, hatte der Schwarze genau beschrieben. Aber – konnte man ihm glauben –? Kaum. Darum – mußte man ihn mitnehmen. So wenig angenehm das war. Denn nun mußte man ihn doch von den eigenen, nicht mehr allzu reichlichen Vorräten füttern. Indessen, die Wiedererlangung der Diamanten war das schon wert.
Niemand der Dorfbewohner wurde mehr gesehen. Aber plötzlich stieß man auf – Sambo und die drei Neger Zillichs! Die waren ebenfalls gefangen gewesen, gefesselt und bewacht. Doch jetzt, nach der Flucht der Schwarzen, war es ihnen gelungen, sich zu befreien. Nach einer Beratung hatten sie beschlossen, auf eigene Faust die Wildnis zu durchqueren. Und stießen dabei auf ihren Herren. Vorräte hatten sie mitgenommen. Nur die Maultiere, die waren verschwunden. Sie wußten nicht, wohin. Aber – die brauchte man ja jetzt auch kaum noch, da eine Bootfahrt bevorstand, bei der sie doch nicht hätten mitgenommen werden können. –
Der Fluß wurde erreicht. Er war schmal, doch tief und reißend. Stromschnellen, Strudel, Klippen. Auf ihm zu fahren, mußte gefährlich sein. Dennoch – es blieb nichts anderes übrig. Das Flottwerden des „Meteor“ hing von der Wiedererlangung der Diamanten ab.
Ein Boot war da. Groß genug, sie alle stromab zu tragen. Dort sollte die Insel liegen, hatte der Häuptling gesagt. Und es sollte die einzige hier sein. Man konnte nicht fehlfahren demnach. Wozu also noch den Negerkönig mitnehmen? Unnützer Ballast. Das erwogen Zillich, Mahadur und Templing insgeheim. Als dann noch der Häuptling selbst zu winseln anfing, man solle ihn freilassen, da war der Entschluß gefaßt.
Aber es war ratsam, das nicht sogleich offenkundig werden zu lassen. Zunächst taten die Weißen so, als gedachten sie, Watombe auf jeden Fall mitzuschleppen. Der bat flehentlich, man möge ihn doch laufen lassen und überhaupt von der Fahrt nach der Insel Ubepu Abstand nehmen. Dort lauere sicherer Tod.
Genaueres war aus ihm nicht herauszubekommen. Gut, man ließ den Häuptling also frei. Verbunden hatte man ihn, und gestützt auf einen Stock konnte er leidlichen gehen.
Watombe verschwand in der grünen Wildnis. Die anderen aber bestiegen das Boot, stießen ab … So begann die abenteuerliche Fahrt auf dem Strom durch unbekannte Wildnis. Manchmal beängstigend schnell, an drohenden, spitzen Klippen vorbei. Jeder Zusammenstoß mußte das leichte Boot zerstören. Eine Fahrt auf Leben und Tod.
Mahadur Mirat und Hella Dörcksen saßen beieinander, Hand in Hand. Schweigsam. War es auch eine gefahrvolle Fahrt, aber es winkte doch als lichte Verheißung die Wiedererlangung der Diamanten. Dann …
Sie sahen wieder und wieder das Gefilde der Seligen vor sich. Olympia, wie sie es sich vorstellten. Denn auch Hella hatte keine rechte Erinnerung mehr daran. Sie war ja noch ein kleines Kind gewesen, als ihr Vater …
Auch Ellen Crosterbroux träumte. Aber nicht von Olympia. Auch nicht an Mahadur Mirat dachte sie mehr; nicht an Hella Dörcksens Rivalität. Sie dachte – an einen Mann, der dreimal im Lauf der letzten Zeit sein Leben für sie riskiert hatte, und der eigentlich …
Die Fahrt wurde schwieriger von Stunde zu Stunde. Die Neger waren erschöpft. Die weißen Männer mußten sie ablösen. Aber die besaßen nicht die Kraft und Geschicklichkeit der Schwarzen. Außer vielleicht Mahadur Mirat. Und so wuchs die Gefahr des Zusammenstoßens mit Klippen mehr und mehr. Sollte dennoch, dennoch alles zu Ende gehen? Furchtbare Stunden. Und keine Insel zeigte sich. Wie, wenn der Negerhäuptling doch gelogen hatte –?
Eine Stunde Ruhe, dann mußten die getreuen Neger wieder heran. Es ging nicht anders. Langsam senkte sich der Abend. Was sollte nachts werden??
Einmal noch hatten sie Glück. Eine Sandbank zeigte sich, einer kleinen Bucht vorgelagert. Auf die ließen sie das Boot auflaufen. Gewiß, auch das war ein Wagnis. Aber – es glückte. Nun saßen sie fest. Gesichert die Nacht über. Wie sie am Morgen wieder loskommen sollten, war eine spätere Frage. –
Dämmerung im Urwald … Wieder erwachten die vielen Stimmen der Natur. Ein Höllenkonzert klang auf. Die Laute der Nacht, nachdem die des Tages verstummt waren. Die Stimmen der Nacht … manchmal erschreckend laut und nahe. Alles Getier drängte ja zum Wasser.
„Wir werden gut tun, ein Feuer zu entzünden und nachtsüber brennend zu erhalten,“ schlug Zillich vor. Wenig später loderten Flammen inmitten des Bootes, ständig sorgfältig bewacht, damit es nicht auf die Bootswände selbst übergriffen, empor. Von Schlaf würde nicht viel die Rede sein können, eine höchst unerquickliche Nacht stand bevor.
Kein Schlaf. Nur für Hella und Ellen war ein provisorisches Lager bereitet worden. Doch auch sie kamen nicht recht zur Ruhe. Langsam, langsam schlich die Zeit. Eintönig rauschte das Wasser des Flusses an der Bootswand dahin. Einmal war ein Schnaufen um das Schiff. Irgend etwas stieß hart an den Bootsrand. Zillich leuchtete hinüber ins Wasser, erblickte ein großes Krokodil.
Das war auch einer der Hauptgründe gewesen, weshalb die Reisenden nicht durch das offensichtlich flache Wasser der kleinen Bucht ans Ufer gegenagen waren, um dort die Nacht zuzubringen –: die Krokodile. Im Dunkeln das Wasser zu durchwaten, war zu unsicher. Jetzt zeigte dies um das Boot schwimmende Krokodil, wie sehr diese Vorsicht begründet war.
Die anderen Gründe: Giftschlangen, Raubtiere usw. Nein, im Boot bleiben, das war doch am ratsamsten. Da konnte man um der Sicherheit willen schon einige Unbequemlichkeit in Kauf nehmen. Einmal würde ja auch diese Nacht ein Ende haben.
Es dauerte lange; aber dann war es so weit. Langsam ward es hell. Mehr und mehr traten die Konturen der Umgebung aus den Schatten der Nacht heraus. Allmählich konnte man auch weiter sehen. Und da – warteten erneut zwei Überraschungen.
Als sie gestern abends hier diese Sandbank angelaufen hatten, war es bereits so dunkel, daß sie die weitere Umgebung nicht mehr recht erkennen konnten. Nun erst im Frühlicht sahen sie, daß der Fluß ein Stück unterhalb ihres augenblicklichen Standortes sich teilte, sich in zwei Arme spaltete. Dazwischen lag ein bergiges dicht bewaldetes Stück Land. Sollte das die gesuchte Insel sein? Immerhin möglich.
Da hin also! Das sollte das nächste Ziel sein.
Aber da – kam die zweite Überraschung. Und die war weniger angenehm. Um wieder flott zu werden, hätten mindestens zwei der Männer in das flache Wasser steigen müssen und das Boot in die Strömung schieben. Doch –
„Da – da – seht nur!“
Ellen Crosterbroux hatte es gerufen. Aller Augen richteten sich auf die Wasserfläche, auf die sie dabei zeigte. Dort wimmelte es von Krokodilen, kleinen und großen, die alle die Köpfe ihnen entgegen gewendet hatten, als erwarteten sie schon die Beute …
„Schießen –?“ meinte Templing. Doch der Farmer, das Haupt wiegend, erwiderte:
„Wird wenig Zweck haben – bei der Menge. Ob diese Bestien durch Schüsse sonderlich erschreckt werden, ist fraglich. Wäre schade um die schöne Munition. Immerhin – wir können es ja einmal versuchen.“
Er feuerte seinen Revolver ohne zu zielen ins Wasser ab. Das spritzte auf. Die Krokodile machten allesamt eine Bewegung. Manche flohen sogar ein Stück zurück. Die Hauptmenge jedoch ließ sich nicht stören.
Die Tiere lagen im flachen Wasser dicht um das Boot herum; umdrängten es förmlich. Mahadur Mirat ergriff eine der Stangen, mit denen die Neger das Boot gesteuert hatten. Schlug nach den Krokodilen. Sie fauchten, schnappten nach dem Holz, ließen sich aber keinesfalls dadurch verscheuchen.
Endlich begann man, das Boot mit Hilfe der langen Stangen von der Sandbank herunterzuschieben. Die Neger versuchten, es auf diese Weise wieder flott zu bekommen. Es war zwar durch den Schwung, mit dem die heftige Strömung es auf den Sand getrieben hatte, sehr festgerammt. Dennoch ließ es sich nach längerer Anstrengung ein wenig bewegen – noch ein Ruck und noch einer, mit aller Kraft – und dann schoß das Boot, befreit, in die Strömung hinaus und wieder mit ihr fort stromab.
Zillich behauptete, die Krokodile hätten enttäuschte Gesichter gemacht, als das Boot mit der Beute, die sie wohl schon sicher zu haben glaubten, so plötzlich entschwand.
Wenige Minuten später landete man auf dem Land zwischen den beiden Flußarmen, von dem sie annahmen und erhofften, daß es die Insel Ubepu sei.
Genau die gleiche grandiose Wildnis, wie sie sie vor Beginn ihrer Bootfahrt verlassen hatten, empfing sie hier wieder. Ein seltsamer Schauer überrieselte die fünf Weißen, als sie dies Land betraten. Watombe hatte solch zitternde Furcht vor der Insel gezeigt, hatte ihnen selbst abgeraten, hierher zu fahren. Gewiß, das konnte auf den Aberglauben des Negers zurückzuführen sein. Aber – hatte Watombe nicht mit einem gewissen Stolz erzählt, daß er in Kapstadt gelebt, mit Weißen verkehrt und Englisch gelernt habe?
Freilich – allzu viel mochte das nicht besagen. Ein Neger war halt ein Neger. Andererseits jedoch konnte sehr wohl etwas hinter seiner sicher nicht gespielten Angst stecken. Was war nicht alles möglich in dem geheimnisvollen Innern Afrikas?!
Jedenfalls tat man gut, bei der Durchsuchung der Insel vorsichtig zu sein. Mit schußbereiten Waffen drangen sie vor. Natürlich nicht alle. Zillich und Templing mit Sambo und einem der anderen drei Neger des Farmers hatten sich zu dieser kleinen Expedition ins Innere der Insel erboten. Mahadur blieb mit Hella Dörcksen, Ellen Crosterbroux und den anderen beiden Negern beim Boot zurück. Sie winkten, riefen ihnen Glückwünsche nach. In der Tat – was alles hing vom Gelingen dieses Marsches ab; von ihm und der Auffindung der Diamanten! Eigentlich – alles, soweit es für die Weiterfahrt des Flugschiffes in Betracht kam wenigstens. Und sein großes Ziel …
Das Innere der Insel war allerdings angetan, Schauer zu erwecken. Schwarz war der Boden. Die Luft stechend scharf, wie giftig. Die Pflanzenwelt sah gleich hinter dem Uferrand seltsam bleich, mattgrün aus. Hier sang kein Vogel, flatterte kein Schmetterling. Auch kein größeres Tier war zu sehen. Nur Insekten fuhren mit scharfem Summen um die Köpfe der Menschen herum. Unheimlich war’s. Kein Wunder, daß solch eine Natur auf die einfachen Gemüter der Schwarzen schreckensvoll wirken mußte.
Und wer wußte, was sonst noch …
Keiner sprach ein Wort. Alle waren aufs äußerste gespannt. Alle.
Das Land stieg an. Das Dickicht lichtete sich mehr und mehr. Der pechschwarze, scharf riechende Boden trat an vielen Stellen zutage. Bisher war er dicht von Grün bedeckt gewesen. Allerlei Gewürm kroch darüber hin. Einmal deutete Sambo mit deutlichem Schauer auf die Erde. Flüsterte:
„Sieh da, Massa!“
Zillich und Templing blickten hin. Da kroch ein spannenlanges, schwarzes Tier.
„Ein Riesenskorpion,“ knurrte der Farmer, mehr zu sich, als zu den anderen; „einer von der schwarzen Sorte. Er ist sehr giftig. Sein Stich tötet unfehlbar und sehr schnell.“
Wahrhaftig, ein seltsames, unheimliches Stück Land! Die Hügel stiegen nach und nach höher an, die ganze Formation des Bodens ward schroffer. Palmen und Laubbäume gab es noch, doch die niedere Vegetation verschwand.
Der Geruch, der dem Erdboden entströmte, legte sich atembeklemmend auf die Brust, betäubte fast. Waren es Gase, die hier dem Boden entstiegen?
Die niedere Vegetation fehlte, wie schon erwähnt, jetzt gänzlich. Dafür wucherten große, bleiche Pilze, denen man die Giftigkeit förmlich ansah. Dazwischen zeigte sich hin und wieder einer der gefährlichen schwarzen Skorpione, deren Stich so rasch tödlich wirkt wie der Biß einer Kobra.
Es war doch etwas daran; der Schauder, die Furcht Watombes vor dieser Insel hatte gute Gründe. Und wie alles Furchteinflößende war den Negern wohl auch dieser Ort des Schreckens „tabu“ – heilig. An solchen Stätten verbargen die Wilden oft besondere Gegenstände – gleichsam als Opfer für die bösen Geister, die hier herrschten – zu ihrer Besänftigung. Die Annahme, daß Watombes Angaben auf Wahrheit beruhten, gewann an Wahrscheinlichkeit …
Sambo und der andere Neger waren von der Seltsamkeit dieser Natur sichtlich berührt, zitterten, blickten sich immer wieder ängstlich um, zögerten gar weiterzugehen. Aber offenbar wollten sie als anderen Schwarzen überlegen gelten und bezwangen ihre Angst. Man ging weiter, – immer mit Vorsicht, eventueller unliebsamer Überraschungen stets gegenwärtig.
Hinter einer kleinen Hügelkette, die die Vier erklommen, eröffnete sich plötzlich der Ausblick auf einen großen Talkessel. Der hatte an den Rändern ringsum steil abfallende Hänge, war fast kreisrund. Hier fehlte die Vegetation fast ganz. Der Boden – wie überall auf der Insel pechschwarz – war völlig kahl.
Das Merkwürdigste, ja das Schaurigste, das den vier Männern fast das Blut in den Adern erstarren ließ, war der Anblick, den die Sohle dieses Talkessels bot. Da wimmelte es von Getier. Skorpione, schwarze, giftige Skorpione bedeckten fast den Boden. Krochen durcheinander, übereinander hinweg, bekämpfen einander.
Fassungslos, starr standen die Männer vor dem schaurigen Bild. Plötzlich packte Templing den Farmer am Arm. Keuchte:
”Dort – sehen Sie dort!“
Zillich folgte mit dem Blick der von Templings Arm angedeuteten Richtung. Da sah er – –
Auf dem Grund des Talkessels lag der Lederbeutel, in dem die Diamanten waren!! Skorpione wimmelten rundherum, darüber hin. Die beiden Weißen blickten eine Weile stumm hinunter. Den Lederbeutel heraufzuholen, wäre leicht gewesen. Das Tal war nicht tief; vielleicht sechs, acht Meter, die Seitenwände zwar steil, aber Ab- und Aufstieg doch möglich. Relativ leicht wäre es gewesen – ohne das giftige Gewürm da unten.
Wenn es einige, ja auch viele gewesen wären – man hätte sie möglicherweise verjagen können. Aber diese Menge! Fast vollständig bedeckt war der Boden von ihnen. Wie sollte man sie verscheuchen? Gelang es vielleicht auf einem beschränkten Komplex, war das Tal selbst doch zu ausgedehnt. Von dem Standort eines möglichen Abstiegs bis zu der Stelle, wo der Lederbeutel lag, waren es mindestens zehn Meter. Wie sollte man diese Strecke überwinden?
Sinnend standen sie eine Weile da.
Endlich nickte der Farmer.
„Ich hab’s,“ sagte er, „Feuer …“
„Ja, Feuer; daran habe ich auch schon gedacht!“ entgegnete Templing. „Aber wie – bei der Unmasse von Tieren!“
Zillich wiegte das Haupt.
„Immerhin – haben müssen wir die Diamanten auf jeden Fall. Angesichts des Beutels, der sie enthält, umkehren? Nimmermehr! Aber warten sie. Ich habe schon einen Plan. Lassen Sie uns trockene Äste sammeln. Und dann –“
Schon bückte er sich, begann Dürrholz aufzulesen. Davon gab es eine Menge hier. Aber man mußte vorsichtig sein; einzelne Skorpione krochen auch hier herum – wenn auch glücklicherweise nur selten. Dennoch war Vorsicht oberstes Gebot.
Templing folgte dem Beispiel des Farmers. Sie lasen Äste von vielleicht Daumenstärke auf, brachen sie in Stücke von etwa fünfzig Zentimeter Länge.
„Wir werden,“ erklärte Zillich alsdann, „eine möglichst große Anzahl solcher Stöcke mitnehmen, sie einzeln nacheinander anzünden und zu Boden werfen. Das Getier flieht Feuer. So schaffen wir einen Weg bis zu dem Lederbeutel. Diese Knüppel brennen eine gute Weile. Den Rückweg ermöglichen wir uns dann ebenso.“
Daß Templing und Zillich allein dies Wagnis vollbringen mußten, war klar. Um keinen Preis hätten die Schwarzen sich in den Talkessel hinuntergewagt.
Eine Feuerstelle wurde am Rand des Abhangs errichtet. Bald flackerten helle Flammen. An ihnen sollten die ersten der Holzstücke entzündet werden. Die anderen dann an den ersten. Fünf, sechs der hellbrennenden Scheite schleuderte der Farmer hinab; an der Stelle, die sie zum Abstieg zu benutzen gedachten.
Es half. In hastiger Flucht liefen die Skorpione davon. Bald war der Platz um die brennenden Holzstücke frei von dem Getier.
„Die Scheite werden noch einige Minuten brennen. Rasch hinunter!“ rief Zillich. Er selbst begann sogleich, abwärts zu klimmen, einen Packen Holzstäbe im linken Arm, während den rechten er zum Festhalten beim Hinabklettern benutzte. Templing folgte ihm in gleicher Weise. Selbst dieser Abstieg war nicht ohne Gefahr. Konnten sich doch vereinzelte Skorpione in Bodenlöchern aufgehalten und die Hinabkletternden, die notwendigerweise wenigstens eine Hand zu Hilfe nehmen mußten, stechen. Das Leben riskierten die kühnen Männer bei diesem Unterfangen auf jeden Fall.
Indessen, sie hatten Glück. Kamen wohlbehalten unten an. Nun unverzüglich vorwärts! Die Skorpione flüchteten vor den Flammen. Wieder war ein Stück Wegs gangbar. Das ging schneller als erwartet. Wenige Minuten später hatten sie die Stelle, wo der Lederbeutel lag, erreicht.
Dicht neben ihm warf der Farmer einen der Knüppel auf die Erde. Die Skorpione verschwanden im Nu. Vorsichtshalber aber drehte Zillich den Beutel noch einmal mit dem Stiefel um. Dann erst hob er ihm auf.
Das Werk war gelungen! Nun rasch an den Rückweg! Da geschah etwas, das selbst diesen in langem Leben in der afrikanischen Wildnis hart gewordenen Männern fast das Herz stillstehen ließ.
Im Eifer ihres Vorhabens, den Blick immer zu Boden gerichtet, war ihnen entgangen, daß sich über ihnen schwere, graue Wolke bemerkt gemacht hatten. Und da – rauschte es mit einem Mal los, als öffne der Himmel seine Schleusen.
Die Feuer!! In weniger als einer Minute waren die brennenden Hölzer erloschen, war das weitere mitgenommene Holz durchnäßt. Aussichtslos, es noch anzünden zu wollen. Der Regen strömte unvermindert weiter.
Und die Skorpione –? Oh, denen machte das fallende Naß absolut nichts. Sie liefen durcheinander wie vordem, überfluteten mit ihrer unübersehbaren Zahl rasch die erloschenen Brandstellen und – näherten sich schon den beiden Männern!
Sekunden ratloser Überlegung. Einen Augenblick nur, doch genug, die Gefahr aufs höchste zu steigern.
„Hindurch! Wir müssen es wagen!“ schrie dann Zillich. Und mit großen Sätzen rannten die beiden durch die Scharen der gefährlichen Tiere, mit ihren Stiefeln zertretend, was sie trafen.
Der Rand des Tales – da war er. Hinauf! Ohne Besinnen klommen sie empor, so rasch es nur gehen wollte. Und – auch dies gelang. Schon hatten sie den oberen Rand erreicht, schwangen sich empor und – waren gerettet. Zillich aber umklammerte mit der Linken wie im Krampf den Beutel, der die Diamanten enthielt.
Voll Sorge hatten Hella, Ellen und Mahadur Mirat die Rückkehr der vier erwartet. Lange, bange Stunden. Und endlich, endlich kamen sie.
Schon von Ferne schwenkte der Farmer den Lederbeutel hoch über dem Kopf. Die Diamanten! Sie waren gefunden, waren gerettet! Alle Gefahren, die diese Expedition mit sich gebracht hatte, alle Strapazen waren für den Augenblick vergessen. Die Diamanten waren gerettet! Das Flugschiff würde wieder flott werden. Dann – dann stand der Reise nach Olympia nichts mehr im Wege.
Mahadur Mirat und Hella Dörcksen hielten sich innig umschlungen.
„Wir werden, Liebster, wir werden das Gefilde der Seligen erreichen, werden Aspasia, meine Mutter, schauen, werden zu Füßen der Wolkenkönigin beieinander sitzen dürfen!“ rief Hella freudetrunken. Und dann küßten sie sich, ganz unbekümmert um die Blicke der anderen. Ellen Crosterbroux sah zur Seite; aber es war weder Schmerz noch Groll mehr in ihr. Sie dachte jetzt an einen anderen …
Dieser Tag sollte als Freudentag der Ruhe dienen. Morgen früh dann wollte man an den Rückweg denken. An den Rückweg –? Nun, man verhehlte sich durchaus nicht, daß auch der noch ein ernstes Problem war. Der Rückweg –? Wußten sie denn überhaupt, wo sie sich befanden? Zwei Tage lang fast waren sie auf dem reißenden Fluß mit großer Geschwindigkeit stromabwärts geglitten. Den Flußlauf retour stromauf zu verfolgen, würde unmöglich sein.
„Wir lassen uns einfach weiter stromab treiben,“ schlug Zillich vor. „Ist das auch nicht ungefährlich – doch sicherlich mündet dieser Fluß über kurz oder lang in einen der großen Ströme, und ebenso sicher ist, daß der dann irgendwann an einer menschlichen Siedlung vorbeiführt.“
„Falls man dort nicht wieder einen feindlichen Negerstamm antrifft, wie den, von dem wir kommen“, – wollte Templing erwidern. Aber er schwieg. Wozu „unken“? Was kam, das kam. Abwarten. Das war immer das beste und eigentlich das einzige, was man tun konnte. –
Aus Furcht vor den Skorpionen der Insel verbrachten alle auch diese Nacht im Boot. Unbequem, gewiß, aber doch wenigstens sicher. In der Mitte wurde wieder ein Feuer gebrannt. Die Männer – Weiße, wie Neger – hielten abwechselnd Wache.
Die Nacht ging ohne Zwischenfall vorüber und schon früh am Morgen wurde zur Weiterfahrt aufgebrochen. Der Fluß, noch geteilt, war schmaler geworden, doch die Geschwindigkeit, mit der die Wasser dahinschossen, hatte nicht abgenommen. Die vier Neger, zu je zweien abwechselnd, übernahmen es, das Boot durch die Strömung zu dirigieren, Kollisionen mit den Ufern oder Klippen zu verhindern. Bei dem Tempo der Fahrt hätten solche Zusammenstöße leicht verhängnisvoll werden können.
Und wieder glitt die Reisegesellschaft durch diese unberührte, grandios üppige Wildnis. Endlos schien sie und trotz ihrer Mannigfaltigkeit ewig gleichförmig.
Auch der Tag verging. Längst war der Zusammenfluß hinter der Insel Ubepu passiert, längst hatten die beiden Flußarme sich wieder vereint, rauschten in alter Breite und Wucht dahin. Nun galt es, einen Anlegeplatz für die Nacht zu finden. Das war nicht ganz leicht. Aber es mußte sein. Die Nacht hindurch noch fahren, wäre viel zu anstrengend gewesen und auch zu gefährlich.
Eine kleine Bucht zur Rechten schien endlich Gelegenheit zum Landen zu bieten. Man hielt darauf zu. Das Wasser hinter der kleinen Landzunge schien ruhig, bildete nur einen langsam kreisenden Strudel. Das Boot glitt hinein, drehte sich einmal halb um seine Achse. Dann – lag es fest am Ufer.
Nicht ganz am Ufer, vielmehr auf dem Sand des hier flachen Grundes. Vom Boot bis zum Ufer war ein vielleicht noch zwei Meter breiter Wasserstreifen. Man konnte bis auf den Grund sehen.
Graue, schwarze und leuchtend farbige Fische huschten, erschreckt, durch das Wasser. Allerlei anderes kleines Getier ebenfalls. Nichts Großes, vor allem nichts Gefährliches. Die Neger schlugen mit ihren Stangen laut klatschend auf die Wasserfläche ringsum, um etwa in der Nähe liegende Krokodile zu verscheuchen. Dann wateten sie an Land, holten viel trockenes Holz.
Auch Templing ging ans Ufer. Nach kurzer Zeit erklangen zwei Schüsse. Die im Boot Zurückgebliebenen, die ihn nicht sehen konnten, fürchteten schon, es sei etwas vorgefallen; doch gleich darauf tauchte er zwischen dem Rankengewirr der Schlingpflanzen auf. Brachte eine Jagdbeute mit. Einen etwa entengroßen Vogel, der, wie er sagte, sich hauptsächlich von Beeren und würzigen Früchten ernähre, dessen Fleisch infolgedessen ohne jede Zutat gebraten vorzüglich schmecke.
„Aber, bester Mr. Templing,“ scherzte Ellen Crosterbroux, „sollen wir das Tier vielleicht in Ihrem Tropenhelm braten?“
Templing schüttelte lachend den Kopf.
„Nein, verehrteste Miß. Das nicht. Ich werde Ihnen zeigen, daß wir Männer der Wildnis noch einige andere Speisenzubereitungsrezepte kennen, von denen die Hausfrau der zivilisierten Welt keine Ahnung hat, die aber dennoch nicht minder schmackhaft gelingen. Mr. Zillich wird dergleichen sicherlich auch kennen.“
Der Farmer nickte.
„Oh yes, to be sure!“
„Nun denn, ans Werk, meine Herren! Ich bin gespannt,“ rief Ellen. Man einigte sich. Hella und Ellen sollten das Tier rupfen und ausnehmen; Templing sodann es braten. Inzwischen hatten die Neger ein Feuer angefacht. Lustig prasselnd stieg die helle Flamme empor. Es war rasch dunkel geworden.
Die Zubereitungsart, die Templing dem Gänsevogel zugedacht hatte, war dem „Am Spieß braten“ des Mittelalters sehr ähnlich, wenn auch nicht gleich. Er bewerkstelligte das mit Hilfe einiger Hölzer überaus geschickt. Bald zog Bratenduft über das Boot hin. Frischfleisch – ein lang entbehrter Genuß!
Das Mahl mundete allen vortrefflich. Freilich bekam ja bei den neun Köpfen, aus denen die Gesellschaft bestand, der einzelne nicht allzu viel von dem Braten. Und – daß die Neger genau den gleichen Anteil erhielten wie die Weißen, war selbstverständlich. Dafür sorgten schon Mahadur Mirat und Hella. Gleichberechtigung aller Menschen war ja eine der Grundlagen der neuen Religion. –
Und dann kam wieder die Nacht. An das Schlafen in dem Boot hatte man sich schon einigermaßen gewöhnt. Die bequemsten – gemessen an den augenblicklichen Verhältnissen – Plätze wurden Hella Dörcksen und Ellen Crosterbroux eingeräumt.
Man schlief. Nur einer der Neger wachte.
Hella träumte … Meeresrauschen hörte sie. Sie stand am Strand. Es brandete zu ihren Füßen. War es die Nordsee, die sie einmal gesehen –? Nein, ein anderes, seltsam unheimliches Meer war das. Wildwogend, drohend – dunkel. Das Rauschen ward stärker. Kam auf sie zu. Sturmflut? Ja, eine Sturmflut raste. Die Wogen traten über die Ufer, brachen in den Wald ein, Bäume knickten. Hella ward bedroht von der heranbrausenden Wassermasse. Wollte fliehen. Kam aber nicht vom Fleck, so sehr sie sich auch mühte. Das Brausen raste näher und näher. Sie schrie auf im Übermaß des Entsetzens und – erwachte.
Sofort wußte sie, wo sie war. Im Boot auf dem Fluß, im Urwald. Aber – das Brausen hielt an. War jetzt mehr ein Schnaufen; aber ungeheuer stark. Hella öffnete die Augen. Dunkelheit ringsum. Doch nicht völlige Finsternis. Die klare Luft hier ließ die Sterne heller funkeln als bei uns. Graues Dämmerlicht herrschte.
Hella sah sich um. Alle anderen schliefen. Da – ein eisiger Schrecken fuhr durch des Mädchens Glieder – hob sich aus dem Wasser etwas Massiges, Graues, eine dicke Säule dicht neben dem Boot, die nach oben zu an Stärke zunahm und – in einen riesigen Kopf auslief. Ein Elefant! Er war es, der vorhin so laut geschnauft hatte.
Ruhig stand er jetzt dicht vor dem Boot, hielt den Rüssel ins Wasser gesenkt, soff. Das Boot, die Menschen darin, beachtete er nicht weiter. Das Feuer war erloschen; der wachhabende Neger eingeschlafen. Riesig ragten die beiden Stoßzähne aus dem Kopf des Ungeheuers hervor.
Schrecken und Angst ließen Hella erstarren. Reglos lag sie, starrte hinauf zu dem Urwaldriesen. Wenn nun plötzlich im Boot jemand erwachte, sich rührte –? Wie würde das Tier reagieren? Angreifen –?
Aber es geschah nichts. Niemand erwachte. Nach wenigen Minuten – die Hella endlos lang vorkamen – machte der Elefantenbulle kehrt, trottete zurück in den Urwald, verschwand. Eine Weile noch hörte das Mädchen sein Schnaufen, das Knacken der Zweige, die die massigen Füße des Riesen traten. Dann nichts mehr.
In dem Augenblick erwachte Templing.
„What is the matter –?“ rief er. Da fuhren auch die anderen hoch. Hella, noch erregt, erzählte ihr Erlebnis mit dem Elefanten.
„Oh, das ist gut abgelaufen,“ meinte Zillich, „im allgemeinen greift der Elefant Menschen nicht an. Aber es hätte sein können, daß das Tier, wenn es durch eine Bewegung, einen Laut plötzlich auf uns aufmerksam geworden wäre, erschreckt angegriffen hätte!“
Der „wachhabende“ Neger entfachte das Feuer neu. Doch fern dämmerte schon der Morgen.
„Wie wäre es, wenn wir vor unserer Weiterfahrt den Weg des Elefanten ein Stück weit verfolgten?“
Diesen Vorschlag machte Mahadur Mirat am Morgen. Ein sehr bedeutungsvoller Vorschlag, wie sich bald herausstellen sollte. Er wurde mit Freuden begrüßt. Alle wollten an dem kleinen Ausflug teilnehmen, nur die vier Neger blieben zur Bewachung des Bootes und der Vorräte zurück.
Mag ein Urwald noch so unwegsam, noch so „undurchdringlich“ sein, – wo einmal ein Elefant gegangen ist, bleibt ein Weg. Allerdings nicht lange; denn das Pflanzengewirr verspinnt den Pfad rasch wieder.
Doch jener Elefant hatte hier gerade erst „bahnbrechend“ gewirkt. Und das so gründlich, daß es selbst Hella und Ellen keine sonderlichen Schwierigkeiten bereitete, vorwärtszukommen.
Interessant war dieser „Durchschnitt“ durch den Urwald zweifellos. An allerlei merkwürdigen Dingen kam der Trupp vorüber. An riesigen Ameisenhaufen, die von drei Zentimeter langen Tieren bevölkert wurden, an einem Schlangennest, in dem sich hunderte kleiner Schlangen ringelten. An einer Stelle fanden sich Büsche mit äpfelartigen Früchten. Die kannte Zillich. Sie schmeckten vorzüglich und wirkten sehr erfrischend.
Dann kam eine Kreuzung. Das heißt, ein Pfad, ebenso breit oder schmal wie der verfolgte, schnitt ihn rechtwinklig. Der mußte oft und viel von Elefanten benutzt werden. Er war regelrecht ausgetreten. Manche Stelle am Boden zeigte sich sogar fast völlig frei von Pflanzenwuchs.
Da blieb Mahadur Mirat stehen, beugte sich hinunter, als beobachte er etwas am Boden. Die anderen traten hinzu.
„Menschen,“ sagte der Radscha und deutete auf die Stelle des Erdbodens, die er so intensiv betrachtete. Auch die anderen erkannten die Spuren. Abdrücke von nackten Füßen, aber daneben auch Stiefelspuren. Weiße mußten hier gegangen sein! Und das vor noch gar nicht langer Zeit. Die Abdrücke schienen ziemlich frisch.
„Folgen wir ihnen!“ schlug der Farmer vor. Und alle setzten sich in der Richtung der Spuren wieder in Bewegung. Schweigend. Eine seltsame Erregung hatte sie ergriffen. Vielleicht hatten sie Glück –! Wenn man hier auf Weiße stieß, vielleicht auf eine Expedition, der man sich anschließen konnte …
Sie brauchten nicht weit zu gehen, dann klangen Geräusche, Stimmen an ihre Ohren. Und bald erblickten sie die ersten Hütten eines Negerdorfes. Und da – da stand ein Weißer in der Uniform der englischen Kolonialtruppen, ein Offizier, im Gespräch mit mehreren Negern! Hatte sie auch entdeckt, blickte ihnen höchst erstaunt entgegen.
„Lord Allen Bury,“ so stellte er sich vor, war der Führer einer kleinen von der englischen Regierung zu irgendeinem Zweck, den er nicht nannte, hierher gesandten Expedition. Sie hatte ihre Mission erfüllt und waren im Begriff, nach der Küste aufzubrechen, wo eine Dampfjacht ihrer harrte.
Welch glückliches Zusammentreffen! Daß man sich nach all den Strapazen und Gefahren der letzten Wochen seiner Expedition anschlösse, bewilligte der Lord gern und freundlich. Rasch wurde das Wenige, was zu besprechen war, abgehandelt. Dann brachen Templing und Zillich auf, um die zurückgelassenen Neger mit den Vorräten zu holen.
Mahadur Mirat, Hella und Ellen besichtigten indessen das Dorf. Die Eingeborenen umdrängten sie neugierig. Als sie einmal weniger umlagert waren, sagte Hella:
„Du siehst so nachdenklich aus, Geliebter –?“
Und der Radscha, zögernd:
„Ich dachte nur daran, daß Lord Bury und die Seinen – Engländer sind …“
Da fiel es auch dem Mädchen wieder ein, daß sie ja eigentlich verfemte, verfolgte, gehetzte Menschen waren, sie, die Anhänger der „Wolkenkönigin“. Sie schwieg, und ihr Geliebter flüsterte, nur für sie verständlich:
„Wir müssen mit ihnen gehen!“
Am nächsten Morgen sollte aufgebrochen werden. Noch einmal wurde das eigene Zelt aufgeschlagen. Zum ersten Mal nach langer Zeit konnten alle – auch die Neger – eine Nacht in Ruhe und völliger Sicherheit schlafen.
Die englische Expedition bestand aus Lord Bury, zwei weißen Unteroffizieren und zwanzig Trägern. Gleich nach Sonnenaufgang wurde alles zum Abmarsch fertig gemacht und gegen zehn Uhr aufgebrochen. Auf dem Weg, den sie vor sich hatte, und der kürzlich erst von der Expedition zurückgelegt worden war, waren unliebsame Zwischenfälle kaum noch zu befürchten.
Es traten auch keine ein. Sechs Tage brauchten sie, um bis zur Küste zu gelangen. Und dann war man endlich allem entronnen.
Die Träger wurden entlohnt und heimgeschickt. Lord Bury hatte Zillich und den seinen freigestellt, die Fahrt nach Alexandrien auf der Jacht, die die Expedition hierhergebracht hatte, mitzumachen, und der nahm im Namen der übrigen dies Angebot dankend an.
Noch bevor dieser Tag sein Ende erreichte, stach die „Britannia“ in See. Templing fuhr nicht mit. Ellen Crosterbroux hatte ihn für seine Treue belohnt, indem sie ihm von den Diamanten, die der Lederbeutel enthielt, zwei wertvolle Stücke reichte. Dann hatte sich Templing verabschiedet. Bei Kapstadt wollte er sich ein kleines Anwesen kaufen – eine Hoffnung seines Alters. Und Sambo blieb seinem bisherigen Brotherrn treu; ging mit ihm. Zwei weniger …
Die englische Jacht, Eigentum der britischen Regierung war ein luxuriöses Schiffchen. Es hatte nur wenige Mann Besatzung: zwei Maschinisten, vier Heizer, zwei Steuerleute, fünf Matrosen und einen Koch. Den Kapitän machte Lord Bury selbst; den Dienst an Bord regelten die beiden Unteroffiziere.
Zillich und Mahadur Mirat wurde eine Doppelkabine zugewiesen, Hella Dörcksen und Ellen Crosterbroux ebenfalls; und letztendlich ein gemeinsamer Raum für die drei Neger Zillichs.
Am Abend des ersten Tages der Fahrt saß man nach dem Abendessen mit Lord Bury im Speisesalon zusammen. Doch nicht allzu lange. Die Damen klagten bald über Müdigkeit und zogen sich in ihre Kabinen zurück. Die Tafel wurde aufgehoben und wenig später lag alles an Bord der „Britannia“ in tiefem Schlaf. Kein Laut außer dem Stampfen der Maschinen, dem langsam – regelmäßigen Schritt des einen der beiden Unteroffiziere auf Deck, der die erste Wache hatte.
Alles schlief. Alles –? Nein, in einer Kabine war noch Licht. Da saßen Mahadur Mirat und Zillich in leisem Gespräch beisammen. Dann tat sich die Tür auf, und herein schlüpften Hella und Ellen.
„Freunde,“ begann der Radscha, „ich habe euch hierher gebeten, um mit euch eine ernste Angelegenheit zu besprechen. Ihr wißt, aus welchem Grund wir die Expedition nach Südafrika machten, um der Diamanten willen, die notwendig sind, den „Meteor“ wieder flottzumachen. Nun, wir haben sie. Aber es hat lange gedauert, sehr lange. Mannigfache Hindernisse und Zwischenfälle stellten sich uns in den Weg. Wir haben sie beseitigt, erlangten die Diamanten. Nur – viel Zeit ging verloren. Und jetzt –? Dies Schiff fährt nach Alexandrien. Neuer Zeitverlust. Und – was sollen wir dort? Überdies wäre es im höchsten Grad gefährlich für mich, ließe ich mich dort sehen. Auch dich, Hella, könnte dieser oder jener Engländer aus Bildern illustrierter Journale wiedererkennen. Keineswegs außerhalb der Möglichkeiten liegt sogar, daß man uns auf diesem Schiff bereits erkennt. Was dann? Wir wissen aus Erfahrung nur zu gut, wie schlecht die Engländer auf unsere Bewegung zu sprechen sind; wie rigoros sie zum Beispiel damals in London gegen Kapitän Söder vorgingen. Aus all diesen Gründen habe ich mir einen Plan zurechtgelegt, bei dessen Ausführung ich eurer Unterstützung bedarf. Wir müssen …“
Hier dämpfte der Radscha die Stimme noch mehr, um vor eventuellen Lauschern sicher zu sein. Lange noch sprach man zusammen, bis sich dann endlich alle mit kräftigem Händedrück verabschiedeten und in ihre Kabinen zurück gingen. Niemand an Bord ahnte etwas von dieser nächtlichen Zusammenkunft. –
Das Wetter blieb strahlend. Noch einen Tag und eine Nacht, dann mußte man die Höhe von Sansibar erreicht haben.
Der Abend senkte sich. Der Mann am Steuer wurde abgelöst. Der Koch deckte im Mannschaftsraum und in der Offiziersmesse zum Essen. Man speiste. Hella und Ellen hatten sich entschuldigen lassen. Ihnen sei nicht wohl. Auch Mahadur Mirat und Zillich entwickelten nur geringen Appetit. Merkwürdig, diese plötzliche Unpäßlichkeit!
Den Negern des Farmers war das Essen auf Wunsch Zillichs in ihre Kabine gebracht worden.
„Wir werden uns möglichst schnell zur Ruhe begeben,“ schlug Mahadur Mirat vor, und – sich zu Zillich wendend: „Nicht wahr, das ist wohl auch Ihr Wunsch, Mr. Zillich?“
Der nickte. Sagte ein wenig matt:
„In der Tat, ich hege den lebhaften Wunsch, mich hinzulegen. Weiß der Teufel, was in uns steckt!“
Lord Bury war besorgt:
„Hoffentlich nichts Ernstes, meine Herren! Soll ich Ihnen etwas aus unserer Hausapotheke geben –?“
„Danke, Euer Lordschaft. Es geht schon vorüber. Eine kleine Verstimmung. Die überstandenen Anstrengungen …“
Sie zogen sich zurück.
Lord Bury ging an Deck. Die ersten Sterne erstrahlten am klaren Himmel.
„Merkwürdig,“ murmelte der Lord, zum Firmament aufsehend, „merkwürdig –! Das ist nie und nimmer der richtige Kurs!“
Er begab sich zum Steuerhaus. Da – was war das? Der Steuermann saß zusammengesunken in einer Ecke. Schlief! Das Schiff fuhr – steuerlos!! Ein Griff nach dem Ruder – ein Blick auf den Kompaß …
Bury läutete nach dem Mannschaftslogis. Was das nur bedeutete? Eine Krankheitsepidemie? Die Passagiere krank – und der Steuermann hier anscheinend auch. Er rüttelte ihn; erfolglos. Und – und – aus dem Mannschaftslogis kam keine Antwort, solange er auch läutete. Was bedeutete das nur –?
Des Lords Erregung wuchs. Schweiß brach ihm aus. Und jetzt – seine Hand gehorchte nicht mehr dem Befehl des Willens, sank kraftlos herab vom Steuer. Entsetzen packte ihn da. Aber es wurde überwuchert von einer bleiernen Müdigkeit, die sich nicht abschütteln ließ, die mit jeder Sekunde zunahm … Und schon rutschte auch Lord Bury zusammen, sank in die Arme eines seltsamen, rätselhaften, unheimlichen Schlafes …
Mit letztem Bewußtsein noch sah er einen Schatten im Türrahmen des Steuerhauses auftauchen. Wollte sprechen. Öffnete nur noch den Mund; brachte keinen Ton mehr heraus; sank zurück; schlief …
Was war geschehen?
Im Rahmen der Tür stand eine Gestalt, stand – Henry Zillich. Er griff zum Steuer. War in seiner Jugend einmal zur See gefahren, der Farmer; hatte noch so eine kleine Ahnung davon.
Kehren wir zu dem Zeitpunkt zurück, in dem Mahadur Mirat in der Kabine den versammelten Freunden seinen Plan auseinandersetzte.
„Wir dürfen nicht riskieren, in Alexandrien in die Hände der Engländer zu fallen oder eventuell schon hier an Bord erkannt zu werden. Wir müssen all dem zuvorkommen, müssen – uns des Schiffes bemächtigen.“
Alle schwiegen eine Weile. Dann fragte Zillich:
„Und wie wollen Sie das bewerkstelligen?“
Mahadur Mirat wiegte das Haupt.
„Das – werden Sie sehen. Genug! Ich vermag es, – wenn ich nur Ihrer aller Unterstützung sicher bin.“
„Das können Sie freilich unbedingt,“ entgegnete der Farmer – und die anderen nickten zustimmend. Danach wurde der Plan in allen Einzelheiten durchgesprochen. Nur über die eigentliche Ausführung, bewahrte der Radscha noch immer Stillschweigen.
Anderen Tags machte er sich mit dem Schiffskoch näher bekannt. Spendierte Zigaretten, schmeichelte sich schnell in das Vertrauen jenes ein, hielt sich in der Küche auf, so daß nach ein paar Stunden es niemandem mehr auffiel, wenn er auch allein einmal dort weilte.
Und dann, kurz vor dem Abendessen, kam er zu Zillich, flüsterte ihm zu:
„Veranlassen wir die Damen, heute in der Kabine zu bleiben, das Abendessen nicht einzunehmen. Wir selbst dürfen nur ganz wenig genießen. Hier, nehmen Sie dies Pulver nach dem Essen. Alle anderen werden – schlafen. Wir haben dann das Schiff in der Hand.“
Sie besprachen all dies auch noch mit Hella und Ellen. Und auch mit den Negern Zillichs. Der Farmer dachte bei sich: ein Prachtmensch, dieser Mahadur Mirat; aber er bleibt doch im Grunde immer der geheimnisvolle Inder. Wie hat er nun wieder dies fertig gebracht?
Das war der Gang der Ereignisse. –
Zillich hatte das Steuer ergriffen. Im selben Moment sprang plötzlich ein Schatten auf den wachhabenden Matrosen zu. Der sollte sein Essen wohl erst später bekommen; ein Umstand, den Mahadur Mirat in seine Kalkulationen natürlich nicht hatte einbeziehen können.
Er, hielt dem völlig Verdutzten den Revolver vors Gesicht.
„Du wirst gehorchen. Das Schiff ist in unserer Hand. Vorwärts!“
Der Matrose gehorchte ohne Widerstand. „Piraten?“ dachte er, „Piraten!“ Der Radscha ließ ihn vorgehen in das Mannschaftslogis. Dort lagen die übrigen. Schliefen. Die Neger Zillichs hatten hier inzwischen alles nach Waffen durchsucht; mitgenommen, was sie fanden. Dann wurde der Matrose mit den übrigen zusammen im Mannschaftslogis eingeschlossen.
Die Stunden der Nacht zogen langsam dahin. Die Schlafenden hatte man in ihre Kabinen getragen. Dem Maschinisten flößte Mahadur Mirat nun eine Dosis von jenem Pulver, das er auch Zillich gegeben hatte, aufgelöst ein. So erwachte der bald – und mit vorgehaltenem Revolver zwang man ihn, seinen Dienst weiter zu versehen. Die Heizertätigkeit übten zwei der Neger Zillichs aus.
So verging die Nacht. Am Morgen – erwachten die anderen. Das war eine Überraschung. Lord Bury fluchte und tobte und erst angesichts der beiden Damen schwieg er. Was sollte er von all dem denken?
Ein Neger – der dritte – bewachte die nunmehrigen „Gefangenen“, die man zur Sicherheit gebunden hatte. Auch ihn versuchten sie auszufragen. Ebenfalls ohne Erfolg. Er grinste nur breit; seine Zähne, das Weiße seiner Augen strahlten. Er freute sich, mit „Herren“ einmal so umgehen zu können. Gewiß, Zillich war auch ein „Herr“; doch anders als die anderen. Besser, viel besser. Einer der wenigen Weißen, die im Neger nur den Menschen sahen, ohne auf die andere Hautfarbe zu achten. Ah, und gar Mahadur Mirat und Missis Hella! Das waren Menschen – Menschen! –
Gegen Mittag mußte Sansibar in Sicht kommen. Dann begannen neue Schwierigkeiten. Man mußte das Schiff im Hafen verlassen, ohne Aufsehen zu erregen, – wollte aber in keinem Fall, daß die Schiffsbesatzung dadurch in Gefahr kam, etwa zu verhungern, wenn man sie gebunden sich selbst überließ.
Stunden später bog die „Britannia“ in die Hafengewässer ein. Der Steuermann, der, ständig bedroht von einem Revolver, seinen Dienst versah, drosselte die Geschwindigkeit des Schiffes. Da – zeigte sich eine neue, wenig angenehme Überraschung. Die Schwierigkeiten würden hier doch viel größer werden, als ursprünglich angenommen.
Zwei Schiffe lagen da am Kai. Ein französischer Frachtdampfer und ein englisches Kanonenboot, das aus irgendeinem Grund den Hafen angelaufen haben mochte. Das gab zu denken! Wieder taten sich Zillich, der Radscha, Hella und Ellen zusammen, um zu beraten.
„Wir müssen gewärtig sein,“ sagte Mahadur Mirat, „daß die Engländer jenes Schiffes auf die „Britannia“ aufmerksam werden. Wir legen an, verlassen das Schiff, und dann rührt sich nichts mehr. Freilassen können wir die Besatzung auf keinen Fall, wenn wir von Bord gehen. Dann verrät sie uns sofort. Bleibt nur eins, daß wir uns so schnell wie möglich zu Dörcksen und den anderen begeben, daß der „Meteor“ mit Hilfe der mitgebrachten Diamanten sofort flottgemacht wird und wir unverzüglich abreisen.“
„Vorausgesetzt, daß die Flottmachung des Flugschiffes so schnell zu bewerkstelligen geht,“ schaltete Hella Dörcksen ein. Mahadur Mirat nickte.
„Allerdings – ja.“
Stille trat ein, alle waren mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Erste kurz vor dem Anlegen nahm der Radscha wieder das Wort.
„Also, alles muß klappen. Die „Britannia“ darf nur ganz flüchtig vertäut werden. Dann – an Land und hin zu Harald Dörcksen. Schnell ihm klargemacht, daß von möglichst rascher Abfahrt mit dem „Meteor“ alles abhängt.“
Inzwischen waren alle Vorbereitungen getroffen. Sofort nach dem Anlegen wurden der Maschinist und der Steuermann gefesselt und in das Mannschaftslogis gelegt.
Henry Zillich hatte aus Kleidern, die er an Bord vorfand, sich eine Verkleidung zurechtgemacht, – damit beim Aussteigen ihn niemand erkannte und er eventuell später Schwierigkeiten hätte. Er wollte doch auf seiner Farm bleiben.
Einer seiner Neger sollte in der Nähe des Schiffes bleiben und unauffällig beobachten. Da die „Britannia“ die englische Flagge führte, würden ohne Zweifel die Leute des anderen englischen Schiffes sofort auf sie aufmerksam werden. Ereignete sich dann Besonderes, sollte er sogleich mit dieser Nachricht zu Zillichs Farm eilen.
So unauffällig wie möglich wurde die „Britannia“ verlassen und unverzüglich der Marsch begonnen.
Sie sprachen fast nichts auf dem Weg. Alle beherrschte die Frage, wie stehen die Dinge hier? Ist während wir fort waren irgend etwas passiert?
Als sie sich der Farm näherten, tauchte ein Mann auf. Ein Weißer. Hella lief plötzlich vor. Rief:
„Vater!“
Und dann lagen sich Dörcksen Vater und Tochter in den Armen.
Es war nichts Unliebsames geschehen in der Zwischenzeit. Die Tage waren gleichförmig, ruhig verflossen. Das Flugschiff hatte man, so gut es ging, den Blicken anderer entzogen. Aber seine Größe machte das außerordentlich schwierig; fast unmöglich. Und so war denn der weitere Umkreis stets von gaffenden Schwarzen belagert. Nur allmählich nahm die Neugierde ab.
Einmal hatte sich ein vorwitziger Neger, der nicht mit der abergläubischen Furcht seiner Artgenossen behaftet war, nahe an das Flugschiff herangeschlichen. Aber als Kapitän Söder ihn erwischt und ihm eine Tracht Prügel angedroht hatte kam keiner mehr.
Die beiden Dampfer aus Europa waren erst gestern eingelaufen. Bisher hatte sich noch niemand von der Besatzung um den „Meteor“ gekümmert.
Groß war die Freude Harald Dörcksens und auch all der anderen, daß die Diamanten glücklich herbeigeschafft waren. Sie genügten vollauf. Aber – die Reparatur würde doch gut einen vollen Tag in Anspruch nehmen, – wenn man die Nacht durcharbeitete!
„Hoffen wir, daß es uns gelingt, rechtzeitig abzufahren. Rechtzeitig, bevor man uns Schwierigkeiten macht,“ sagte Mahadur Mirat. Die anderen schwiegen bedrückt. Nur, – schnell fortkommen, davon hing alles ab.
Schon wurde die Arbeit in Angriff genommen. Alle Männer unterstützten den Erfinder dabei nach Kräften. Nun erwies sich Türck mit seinen Kenntnissen als wertvollster Helfer. Er war, zusammen mit Harald Dörcksen, unermüdlich tätig, während die anderen sich abwechselten.
Spät abends, bei einer Ruhepause, während der sich alle zu gemeinsamem Nachtmahl versammelten, sagte der Erfinder frohgemut:
„Es geht besser als ich dachte. Wir können getrost ein paar Stunden schlafen. Morgen früh dann noch die letzten Handgriffe – dann kanns’s losgehen!“
Der langgezogene Ton einer Sirene tönte vom Hafen herüber.
„Der französische Frachtdampfer ist es,“ sagte Söder, „er gibt das Vorsignal. Bei Sonnenaufgang sticht er in See.“
Wobei der Kapitän den Blick abwandte …
Man begab sich zur Ruhe. Bald lag das ganze Haus still und finster. Aber nach einer Weile öffnete sich die Haustür leise. Behutsam schlüpfte eine Gestalt hinaus. Die Gestalt einer Frau … Vorsichtig hielt sie sich im tiefsten Schatten. Huschte dann über den großen Hof, durch einen Streifen hellen Mondlichtes. Das beleuchtete sekundenlang ihr Gesicht, – das Gesicht Ellen Crosterbroux“ …
Die kleine Pforte öffnete sie – und hinaus. Geheimnisvolles Dunkel war da, von bleichem Mondlicht, das durch Äste und Blattgewirr fiel, seltsam gefleckt.
Aus tiefem Schatten trat plötzlich die Gestalt eines Mannes auf das Mädchen zu. Ellen Crosterbroux erschrak nicht.
„Da bin ich,“ sagte sie. Der Mann war – Stuart Burne. „Sie wollten mich sprechen. Eigentlich zu recht unpassender Stunde,“ setzte sie lachend hinzu. Aber dies Lachen klang gekünstelt.
„Ja, Miß Crosterbroux, ich bat Sie hierher,“ entgegnete Burne, indem er des Mädchens Hand ergriff, die sie ihm willig ließ. „Ich muß Ihnen etwas sagen, das mir schon lange auf der Seele liegt. Und dazu ist Nacht und Mondschein just das Rechte. Ich – liebe Sie, Miß Ellen! Verzeihen Sie mir, daß ich das so nüchtern vorbringe; aber – ich bin ein Mensch des realen Lebens; verstehe mich nicht auf schmachtende Phrasen. Eins aber ist sicher, wenn Sie die Meine werden wollen, sollen Sie es nie zu bereuen haben, nie!“
Ellen atmete schwer. Doch gefaßt, Burnes Hand warm drückend, erwiderte sie:
„Auch mir sind Sie schon lange nicht gleichgültig, Stuart. Ich habe unterwegs viel, sehr viel an Sie gedacht. Sie haben zweimal Ihr Leben für mich eingesetzt …“
„Oh, das …! – Sie könnten wir also auch gut sein?“
„Ja, Stuart – sehr!“
„Dann ist ja alles gut, Geliebte –!“
Und er zog sie an sich. Sie küßten sich. Standen noch lange im Waldesdunkel beieinander. Sprachen von der Abfahrt des „Meteor“ in der Morgenfrühe und von allerhand Zukunftsplänen. Daß sie nicht allein waren, ahnten sie nicht. Ein Mann lauerte im Gebüsch – lauschte …
Nun schritten die beiden Liebenden eng umschlungen zurück der Farm zu. Verschwanden hinter einer Wegbiegung … Da trat der Lauscher auf den Pfad hinaus.
„Morgen früh soll es losgehen,“ murmelte er. „Gut – endlich ist es also soweit – endlich!“
Und er verschwand wieder im Dickicht.
Harry Leakwoord …
*
Langsam färbte sich der Himmel rosig. Der Morgen stieg herauf. Mahadur Mirat, Harald Dörcksen und Hella waren schon wach. Die eigene Unruhe vor der endlichen Abreise hatte sie aufwachen lassen. Vielleicht auch die Sirenentöne des französischen Dampfers, der soeben in See stach.
Sie sahen sich um … Die großen Überraschung, die dieser Morgen ihnen bringen sollte, war da. Es stellte sich heraus, daß Kapitän Söder, Türck, Stuart Burne und Ellen Crosterbroux fehlten. Waren sie schon früher aufgestanden? Hatten sie einen Frühspaziergang gemacht? Das war doch eigentlich recht unwahrscheinlich.
Die Fehlenden kamen nicht zum Frühstück. Harald Dörcksen war zum Flugschiff gegangen, es endlich startbereit zu machen. Schon begann man wegen des Ausbleibens der vier besorgt zu werden, da nahte sich Reverend Dixon. Er kam hastig, schien erregt zu sein. Seine langen, dürren Arme fuhren wie Windmühlenflügel durch die Luft. Was hielt er da –?
„Meine Freunde,“ rief er, „ich habe hier etwas gefunden –!“
Drei Briefe hatte er gefunden. Von draußen hatte man sie auf ein Fensterbrett gelegt. Sie waren alle mit der gleichen Adresse versehen. Die lautete: „An Mr. Harald Dörcksen und die übrigen!“ Dem Erfinder kamen die Handschriften sehr bekannt vor. Er riß den ersten Umschlag auf. Las, schüttelte den Kopf, las nochmals, jetzt laut:
„Liebe Freunde, das Schicksal führte uns eine Zeitspanne zusammen. Viele Abenteuer erlebten wir gemeinsam. Jetzt, vor Eurer Abreise nach „Olympia“ ist ein gewisser Stillstand, ein Besinnen eingetreten. Wohin fahrt Ihr? Ihr folgt einem Plan, der höchst ungewiß, fast unirdisch ist. Wir aber – Türck und ich – sind Menschen des Realen. Wir hafteten auf dieser Erde, wollen es auch weiterhin. Wir verlassen heute früh mit dem französischen Dampfer den Hafen. Lebt wohl! Warum wir so heimlich verschwinden? Um Abschiedsszenen zu vermeiden, die immer peinlich sind. Wir fahren wieder aufs Meer hinaus, Ihr in den Luftozean, – beide neuen Abenteuern entgegen. Seid alle herzlich gegrüßt, – besonders Du, alter Harald! Knut Söder.“
Keiner wußte, was er sagen sollte. Inzwischen riß Dörcksen den zweiten Umschlag auf. Las vor:
„Freunde, hier ist die Wegscheide, die uns trennt. Ich fahre nicht mit nach „Olympia“. Ich bin nun einmal ein nüchterner Diesseitsmensch; mag mich nicht einlassen in phantastische Unternehmungen mit zweifelhaftem Ziel und Ausgang. War ich Euch – nach anfänglicher Feindschaft – Freund? Habe ich Eurer Sache gedient? Ich glaube wohl. Nun, mag das genug sein. Ich habe ein Glück gefunden, das mir mehr entspricht. Lebt wohl! Stuart Burne.“
Der dritte Brief enthielt nur einen Zettel mit wenigen Worten.
„Ich habe mich mit Stuart Burne verlobt. Ich liebe ihn. Vergeßt und verzeiht, was ich Euch einst unter dem Einfluß eines Verbrechers angetan! Die Diamanten aus meines Vaters Mine Hope-Valley gehören fortan dem „Meteor“. Lebt wohl! Ellen Crosterbroux.“
Der Erfinder ließ das Blatt sinken. Alle Gesichter waren ernst. Er sagte:
„Wir stehen kurz vor der Abreise. Diese Entfernung der vier Freunde, die fast wie Flucht aussieht, ist nur angetan, uns die Bedeutung des Bevorstehenden recht deutlich vor Augen zu führen. Wir fahren in eine neue Welt, ein neues Leben.“
Er schwieg. Niemand antwortete. Reverend Dixon dachte immer noch an jene vier, die die Reise ins Gefilde der Seligen nicht mitmachen wollten. Ein Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. Aber dann wurde er ernst. „Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“, dachte er. War es das? Stand es so um sie? Sollten sie vielleicht auf dieser Luftfahrt nach dem Himalaya umkommen, – alle miteinander? Aber nein, welch törichte Gedanken, – welch törichter Vergleich! Jene waren doch nicht – Ratten!
Plötzlich entstand auf dem Hof ein Hallo. Neger der Farm hatten es verursacht. Man blickte sich um, was es gäbe. Da kamen englische Matrosen, die in ihrer Mitte, gefesselt, jenen Schwarzen Zillichs führten, der auf die „Britannia“ aufpassen und ihnen Nachricht geben wollte. Also war das mißglückt und alles entdeckt …
Zwischen den Matrosen schritten zwei Offiziere und noch einige Soldaten. Die Besatzung des „Meteor“ – Mahadur Mirat ein Stück abseits – blickte den Engländern entgegen. Einer der Offiziere trat auf den Radscha zu, der andere auf Harald Dörcksen.
„Im Namen des Königs verhaften wir Sie wegen Landesverrats!“
Triumph war in der Stimme. Welch ein Ruhm, die gefährlichen Geheimbündler verhaftet zu haben! Doch von hinten her klang plötzlich eine andere Stimme, hell und scharf, – die Stimme Söders:
„Laßt euch nicht verblüffen, Freunde! Die paar Mann da! Der „Meteor“ steht startbereit. Hinein und fort!“
Wie elektrische Funken schlugen die Worte in das Bewußtsein aller. Im Bruchteil einer Sekunde begriffen sie, es galt! Machten kehrt, stürmten dem Flugschiff zu. Auch Mahadur Mirat, auch Dörcksen. Die englischen Offiziere, nur einen Augenblick verblüfft, rissen Pistolen heraus.
„Keinen Schritt weiter oder es knallt!“
Woran sich jedoch niemand kehrte. Die Ersten waren schon in dem „Meteor“ verschwunden, die anderen nahe dabei. Da fiel ein Schuß. Dixon wankte, sank … Professor Herbst griff ihn auf, schleppte ihn mit. Hella Dörcksen half, – so brachten sie den Getroffenen hinein.
Nun waren alle in der Flugmaschine. Die Türen knallten zu. Der Motor sprang an. Da eilten die Engländer heran. Aber schon setzte der „Meteor“ sich in Bewegung … Ein Propeller traf des Offiziers Stirn, der geschossen hatte. Blutüberströmt fiel er hintenüber.
Und dann – dann hob das große Fahrzeug sich vom Erdboden ab, schwebte, entflog rascher und rascher … in den blauen Himmel.
Gleichmäßiges, dumpfes Surren der Motoren erfüllte den Raum. An einem der Fenster stand Harald Dörcksen. Der Erfinder des wunderbaren Fahrzeuges starrte gedankenverloren hinaus. Nun war es soweit, – ah, er wagte den Gedanken nicht zu Ende zu denken. Rückwärts flogen seine Gedanken, zurück in jene Jahre unsäglichen Glückes, die er in Olympia verlebt hatte; zurück zu dem Augenblick, da er unter dem Jubel des Volkes Aspasia in das Venuszelt der Wolkenkönigin getragen hatte …
Wie lange, wie lange war das her! Und war ihm doch so frisch in der Erinnerung, als sei es gestern gewesen. Sollte er sie nun wiedersehen, die geliebte Frau, die Königin, die „Göttin über den Wolken“? Freilich, sie waren beide alt geworden inzwischen, – nein, nicht alt, älter nur; aber dennoch: es lagen mehr als zwei Jahrzehnte zwischen jenem Tag und heute …
Oh, doch, ja – alt waren sie wohl. Aber dennoch, dennoch wollte er sie wiedersehen. Und – jetzt würden sie doch auch willkommen sein dort; jetzt, nachdem sie jahrelang für die neue Lehre gekämpft hatten; nachdem sie sie zu einer Weltbewegung gemacht hatten. Wie lange noch, und jene brauchten sich nicht mehr abzuschließen vor der übrigen Welt …
An einem anderen Fenster des Flugschiffes standen, eng umschlungen, Mahadur Mirat und Hella und noch an einem anderen Amara, die Ägypterin, und Gari Dörcksen. Die vier schauten hinunter. Blau war der Himmel, blau das Meer unter ihnen. Ruhig zog der „Meteor“ seine Bahn. Die Liebenden dachten nichts weiter, als, wie schön dies sei, und an ihre Liebe. Sie sprachen nichts; aber hin und wieder küßten sie sich.
In der Mitte des großen gemeinsamen Wohnraumes, an einem Tisch, saßen Reverend Dixon, Professor Herbst und Gari Dingra. Lächelnd schaute der Professor nach den Liebespaaren hinüber, die wohl in ihrer Versunkenheit wähnten, allein zu sein; lächelnd sagte er zu den beiden anderen:
„Sehen Sie, – das ist die Jugend und ihr Glück. Wir Alten –“
Da brach er ab, zog aus der Tasche ein abgegriffenes Kartenspiel.
„Wollen wir?“
Und da es nichts anderes zu tun gab, waren die anderen beiden bereit und bald war ein solider Skat im Gang. Der Professor, als braver Deutscher, hatte seinen englischen und seinen indischen Freund in die Geheimnisse dieses echt deutschen Spiels eingeweiht, – damals, auf Dörcksen-Land, als sie alle viel, viel Zeit hatten.
Langsam neigte sich der Tag. Unten, auf der Erde, begannen schon Abendschatten alles einzuhüllen. Hier oben war und blieb es noch eine gute Weile hell. Das Flugschiff hielt sich in erheblicher Höhe.
Dann aber ward es auch hier dunkel. Das elektrische Licht flammte auf. Mit einem Schlage war aller Ausblick auf die Erde verschwunden.
Die beiden Inder waren inzwischen von Harald Dörcksen in der Handhabung der Maschinen und der Lenkung des Flugschiffes gründlich ausgebildet worden; damals schon, auf Dörcksen-Land. Sie wechselten sich nun in der Führung ab und nur hin und wieder nahm der Erfinder selbst einmal für einige Zeit diesen Posten ein.
Auch jetzt stand er in der Führerkabine, hantierte an all den Kurbeln und Hebeln. Gari Dingra stand neben ihm, sah still zu. Das große Glasfenster vor dem Führerstand glänzte schwarz. Finsternis war draußen. Die Sterne glitzerten wie Diamanten. –
„Das Barometer sinkt,“ sagte Harald Dörcksen nach einer Weile, „wir werden Sturm bekommen.“
Gari Dingra nickte, wies mit dem Arm hinaus.
„Die Sterne verschwinden; die Luft wird undurchsichtig. Vielleicht gibt es Gewitter.“
Wirklich war wenige Minuten später auch die letzte Spur von Sternenhimmel verschwunden. Nun fuhr der „Meteor“ wie durch undurchsichtige, schwarze Tinte. Da man die Erde nicht sah, hatte man auch nicht das Gefühl des Fahrens. Von der ungeheuren Geschwindigkeit, mit der das Flugschiff sich vorwärtsbewegte, war nichts zu spüren. Wer es nicht besser wußte, hätte annehmen müssen, man stände völlig still.
Nur das eintönige, summende, einschläfernde Geräusch der Motoren … Woran dachte der Erfinder? Er starrte hinaus in das schwarze Dunkel; aber es schien, als würde er nichts sehen, selbst wenn draußen etwas zu sehen gewesen wäre.
Plötzlich packte ihn Gari Dingra am Arm.
„Dort – dort – was ist das??“
Seine Stimme bebte vor Erregung. Dörcksen sah nach der angedeuteten Richtung. Und – erschrak. Eine riesige Feuerkugel schwebte dort in der Luft; eine ganz rätselhafte, seltsame Erscheinung. Eine Feuerkugel von mehreren Metern Durchmesser, rotstrahlend, die in der Luft stillzustehen schien. Auf sie bewegte der „Meteor“ sich mit rasender Geschwindigkeit zu.
Was war das? Ein Kugelblitz? Dergleichen kam in den Tropen nicht selten vor. Man hörte oft, daß Kugelblitze zur Erde gefahren seien und dort beim Explodieren Menschen oder Vieh getötet hätten. Aber noch nie hatte man von einer Erscheinung solch ungeheuren Ausmaßes vernommen. Im allgemeinen hatten Kugelblitze nur die Größe eines Menschenkopfes.
Aber diese Feuerkugel … Dörcksen schauderte, während Gari Dingra voll Entsetzen auf die unheimliche Erscheinung starrte. Der Erfinder dachte: „Wenn dies ein Kugelblitz ist, die bei Menschenkopfgröße schon Scheunen und Vieh zu vernichten imstande sind, dann – sind wir verloren. Die Explosion solch einer riesigen Feuerkugel muß den „Meteor“ in Stücke reißen.“
Es war, als habe der Anblick des merkwürdigen Dinges den Erfinder gelähmt. Unaufhaltsam eilte das Flugschiff geradewegs der Feuerkugel entgegen. Mit unheimlicher Geschwindigkeit. Oder – kam auch jene näher? Ja, so mußte es wohl sein. Kleiner und kleiner ward der Zwischenraum zwischen ihr und dem Flugschiff.
Da kam Leben in des Erfinders starre Gestalt.
„Ausweichen!“ rief er, mehr zu sich selbst. Riß das Steuer herum. Das Flugschiff neigte sich schräg, im Bogen auf neuen Kurs. Aber – die Feuerkugel machte die Kurve mit! Schoß jetzt förmlich heran. Ein Zusammenstoß schien unvermeidlich.
„Wir sind verloren!“ ächzte Harald Dörcksen, während Gari Dingra nur erschaudernd starrte. Jetzt, – jetzt mußte es geschehen! Da – mit einem Mal, kurz vor dem Flugschiff, zerplatzte die Feuerkugel, ohne Knall, überhaupt ohne jedes Geräusch. Zerstob lautlos in Nichts wie eine Seifenblase!
Ruhig fuhr das Flugschiff weiter. Die Feuerkugel war fort und nichts passiert. Aus dem Nebenraum kam Hella mit dem Radscha.
„Vater, hast du das merkwürdige Ding gesehen, das dicht vor dem „Meteor“ explodierte? Was war das?“
Dörcksen hob die Achseln.
„Kann ich dir nicht sagen, Kind; ich weiß es ebenso wenig wie du. Ich stehe da vor einem Rätsel. Von einer Erscheinung dieser Art habe ich noch nie etwas gehört. Die Hauptsache aber ist doch, wir leben noch. Denn schon hatte ich uns aufgegeben. Wenn nämlich die Erscheinung ein so ungeheuer Kugelblitz gewesen wäre … Aber was ist denn nur mit dem Flugschiff los?!“ unterbrach er sich plötzlich, auf den Kompaß starrend, und zog das Steuer herum, „bisher fuhren wir in nordwestlicher Richtung und jetzt plötzlich nach Nordosten! Sollte die Feuerkugel –?“
Er brachte das Flugschiff wieder in die alte Richtung. Inzwischen hatten sich auch die anderen in die Führerkabine gedrängt, – so gut das ging. Alle hatten von dem gemeinsamen Raum aus die rätselhafte Erscheinung gesehen und besprachen sie nun eifrig mit Harald Dörcksen.
Erst allmählich legte sich die Erregung wieder. Es war ja nichts geschehen. Das nahm der Erscheinung der Feuerkugel nachträglich allen Schrecken.
Es war spät geworden. Nun wollte man sich zur Ruhe begeben. Harald Dörcksen war von einem der Inder abgelöst worden und so suchte man die zwar kleinen, aber bequemen Schlafkabinen auf. Alles, was zur guten Ausrüstung eines Schiffes gehörte, hatte ja Kapitän Söder damals mit seinem „Delphin“ nach Dörcksen-Land geschafft. Auch feinste Daunenbetten. Wenig später waren alle Räume in dem Flugschiff dunkel. Mit seiner Fracht schlafender Menschen durcheilte der „Meteor“ den unendlichen Raum.
Eine Kabine nur war beleuchtet: der Führerstand. Einer nur schlief nicht: der einsame Mann am Steuer. Seiner Hand war das Wohl aller anderen anvertraut. Er stand treu und still, die Hände an Hebeln, die Augen auf den Kompaß gerichtet. – – –
Laute Rufe des Erstaunens schallten durch das Flugschiff. Die, die zuerst erwacht waren, stießen sie aus. Es war hell geworden draußen; aber, blickte man hinaus, schien der „Meteor“ in Milch zu schwimmen. Nichts war zu sehen als dichter, undurchsichtiger Nebel.
Nicht die geringste Fernsicht bot sich. Gleich hinter den Glasfenstern des Flugschiffes ballte sich der weiße Nebel. Greifbar fast. Öffnete man eines von ihnen, wehte er herein wie Dampf. Harald Dörcksen ließ jedoch die Fahrt keineswegs deshalb verlangsamen. Zusammenstöße waren ja nicht zu befürchten.
„Wir müssen, wenn wir immer in nordwestlicher Richtung weiterfahren, auf jeden Fall zum Himalaya kommen,“ sagte der Erfinder. Und nach einer Weile setzte er hinzu:
„Das einzige, was man tun könnte, wäre, daß man den „Meteor“ in tiefere Luftschichten gehen ließe. Vielleicht, daß der Nebel dort weniger dicht oder eventuell gar nicht vorhanden ist.“
Er gab entsprechende Order. Der Inder am Steuer tat einige Handgriffe. Das Flugschiff gehorchte dem Druck des Höhensteuers sofort; sank. Der Höhenmesser zeigte zweitausend Meter, dann eintausendneunhundert – eintausendachthundert – eintausendsiebenhundert und so fort, bis fünfhundert Meter. Weiter hinabzugehen, hielt Harald Dörcksen nicht für ratsam. Das Resultat war gleich Null. Überall war der Nebel gleich dicht! Auch aus nur fünfhundert Metern Höhe war von der Erde nichts zu sehen.
„Versuchen wir’s mit dem Gegenteil. Hinauf bis zu – nun, sagen wir, bis zu fünftausend Metern.“
Der „Meteor“ begann zu steigen. Höher und höher. Lange Zeit. Der Höhenmesser kletterte von Zahl zu Zahl. Bis auf fünftausend. Und –? Nichts. Weiß, grauweiß; Dampf, Wasserdampf ringsum, – Nebel. Überall, oben, unten, dazwischen – überall!
Dörcksen zuckte die Achseln.
„Nun, dann nicht. Fahren wir in dieser Höhe in nordwestlicher Richtung weiter. Einmal wird dieser geradezu unheimliche Nebel doch weichen!“
Sie flogen den ganzen Tag in rascher Fahrt. Keine Änderung der Sichtverhältnisse trat ein. Ein-, zweimal versuchten sie es noch in geringeren Höhen. Aber es war immer und überall das gleiche. Da kehrten sie denn wieder auf die Fünftausend zurück, die Dörcksen für die sicherste Höhe hielt. Langsam wurde es Abend.
„Wenn wir in dieser Geschwindigkeit weiterfahren,“ sagte Harald Dörcksen, „bekommen wir morgen früh bereits das Himalaya-Gebirge in Sicht.“
Die Spannung aller stieg begreiflicherweise. Am nächsten Morgen schon sollte man das riesige Gebirge erblicken, auf dessen Gipfeln Olympia lag!
Kaum einer schlief in dieser Nacht. Und als man dennoch zur Ruhe ging, tat es jeder mit dem festen Vorsatz, den Sonnenaufgang nicht zu verschlafen. Aber die Erregung, das lange Munterbleiben am Abend vorher rächten sich. Sie verschliefen den Sonnenaufgang – alle. Und als sie endlich erwachten, da – stießen sie ebenso laute Rufe aus wie gestern; diesmal aber waren es Rufe der Enttäuschung. Denn, der Nebel war ganz genau so undurchdringlich wie am Vortag!
Man stand und saß in dem gemeinsamen Raum zusammen. Alle machten ein ernstes Gesicht, als sie erblickten, wie besorgt Harald Dörcksen aussah.
„Wir müssen die Geschwindigkeit herabmindern,“ sagte er. „Meiner Berechnung nach befinden wir uns längst über dem Festland, nähern uns schnell dem Gebirge. Da ist Vorsicht geboten. Wenn bis heute mittag die Luft nicht klarer geworden ist, müssen wir eventuell die Weiterfahrt einstweilen ganz einstellen und auf der Stelle kreuzen.“
Alle sahen ein, daß es am besten so war, obwohl alle ob der Verzögerung niedergeschlagen waren. Der „Meteor“ verlangsamte seinen Flug; fuhr nur mehr mit etwa neunzig Kilometer Stundengeschwindigkeit.
Aber es wurde Mittag, ohne daß das Wetter sich änderte, ohne daß der Nebel auch nur etwas lichter wurde. Das Flugschiff kreuzte. Es fuhr weite Schleifen, – sich so immer auf der gleichen Stelle haltend.
„Wenn man wenigstens landen könnte und das Weichen des Nebels unten abwarten –“ meinte Professor Herbst, „aber das ist zu gefährlich.“
Dörcksen nickte.
„Allerdings, und zwar aus zweierlei Gründen. Nicht nur wegen der feindlichen Einstellung der Engländer, denen wir eventuell dabei begegnen könnten. Auch sonst. Ein Landen in solchem Nebel ist ein allzu großes Wagnis.“
So blieb es dabei. Der „Meteor“ kreuzte weiter. Herbst, Dixon und Gari Dingra vertrieben die Langeweile wieder mit Skatspiel, der Erfinder vertiefte sich in Berechnungen. Nun, und die beiden Liebespaare Mahadur Mirat und Hella, Gari Dörcksen und Amara … dergleichen Glücklichen schlägt ja im allgemeinen sowieso keine Stunde. Doch die Spannung, so kurz vor dem Ziel zu sein, hatte wie alle anderen auch sie ergriffen.
In einer Ecke des Raumes saßen Hella und der Radscha beieinander. Er legte den Arm um die Schultern der Geliebten.
„Sieh, Hella, nun ist unser Lebensschiff doch nach all den Abenteuern in ruhigere Bahnen gekommen.“
Sie blickte ihn an.
„Noch sind wir nicht da, Geliebter … Wer weiß …“
Doch Mahadur Mirat schüttelte den Kopf.
„Nichts wird mehr geschehen. Ich habe das sichere Gefühl, daß wir hinkommen, daß wir das Gefilde der Seligen, deine Mutter, die „Wolkenkönigin“ sehen werden!“
Aber Hella blieb skeptisch.
„Aber wer weiß, was dort alles geschehen ist in all den Jahren.“
Der Radscha lächelte.
„Der Glanz Olympias wird noch strahlender geworden sein, glaub mir …“
Nun flog auch über Hellas Gesicht ein lichter Schimmer. Des Radschas strahlender Optimismus hatte ihre trüben Gedanken besiegt. Und als hätte er ihre Gedanken erraten, sagte Mahadur Mirat:
„Wir wollen ruhig abwarten, Liebste. Wir sind beisammen; das ist die Hauptsache. Was sonst noch kommt, – wir werden es schon sehen, wenn es erst da ist, und dann damit fertig werden.“
Hella nickte nur. Dann saßen sie schweigend beieinander, ebenso schweigend und ebenso dicht, wie Amara und Gari Dörcksen in der anderen Ecke.
Auch sonst sprach niemand mehr. Dixon, Professor Herbst und Gari Dingra hatten ihre Partie beendet; hingen nun ebenfalls schweigend ihren Gedanken nach.
Harald Dörcksen rechnete. Der eine der beiden Inder weilte in der Führerkabine, der andere schlief. Alles war still im Schiff. Nur das eintönige Surren der Motoren klang durch die Räume.
Plötzlich fuhren sie alle empor. Was war das? Ein Laut hatte die Stille unterbrochen. Jemand hatte kräftig – genießt! Aber – das war eine Stimme, die keinem angehörte!
„Nanu –!?“ rief Herbst. „Das ist aber merkwürdig! Das kam ja aus der Pelzkammer!“
So war es. Auch die anderen hatten deutlich gehört, daß nebenan jemand genießt hatte. Die Pelzkammer war eine kleine Kabine, in der Pelze und sonstige Ausrüstungsgegenstände aufbewahrt wurden für den Fall, daß der „Meteor“ einmal gezwungen sein sollte, in den kalten Regionen des Himalaya-Gebirges eine Zwischenlandung vorzunehmen. Sie war natürlich während der letzten Fahrt noch nicht geöffnet worden. Man hatte ja in ihr nichts zu suchen.
Dort heraus war nun jenes Geräusch erklungen, – das Niesen eines Menschen, – eines Mannes mit fremder Stimme! Mahadur Mirat erhob sich, schritt auf die Tür der Pelzkammer zu, öffnete sie, ließ den Schein seiner elektrischen Taschenlampe in den Raum fallen, ging dann selbst hinein …
Alle verfolgten sein Tun mit größter Spannung. Der Radscha kam gleich wieder heraus. Sagte dabei nach rückwärts:
„Kommen Sie nur vor, Verehrtester!“
Und zog am Arm – einen wild und struppig aussehenden Kerl hinter sich her, der ihm auch ohne Sträuben folgte. Er blinzelte. Das ungewohnte Licht mochte ihn wohl blenden.
„So, und nun erzählen Sie mal. Wer sind Sie und wie kommen Sie hier hinein?“
Der Fremde – statt der Antwort nieste er erst noch zweimal kräftig.
„Verdammtes Mottenpulver!“ schimpfte er. Die Umstehenden horchten beim Klang der Stimme auf. Die kam ihnen doch merkwürdig bekannt vor … Sie sahen den Mann genauer an. Lange, struppige Barthaare bedeckten sein Gesicht. Der Anzug war europäisch, mochte wohl gar einmal elegant gewesen sein, hing aber jetzt in Fetzen herunter. Nur die Augen … die verrieten …
„Nun, vorwärts, – wer sind Sie?“ wiederholte Mahadur Mirat. Und als der Fremde auch weiter hartnäckig schwieg, dabei aber mit kecken, unbekümmerten Augen den Raum musterte:
„Nun, dann werde ich es Ihnen sagen. Sie sind Harry Leakwoord!“
Einige Augenblicke tiefster Stille. Dann der Fremde, ganz gleichmütig:
„Wenn Sie das schon wissen, warum fragen Sie dann erst noch?“
Da sprang Gari Dörcksen auf und vor Leakwoord hin.
„Du bist also der Schuft, durch den ich all die Jahre im Kerker schmachten mußte?!“
Harry Leakwoord wich zurück vor den zornigen Augen des jungen Menschen, in denen er wohl nichts Gutes las. Gari Dörcksen hatte er noch nicht bemerkt oder nicht beachtet, weil er – nach den Jahren – ihn nicht wiedererkannte. Jetzt war seine Keckheit, mit der er noch vor wenigen Sekunden aufgetreten war, verflogen. Er wich zurück, spähte umher und zitterte. Dann war er wieder der alte, hinterlistige, grausame, feige Abenteurer. Doch Gari Dörcksen schüttelte verächtlich lächelnd den Kopf.
„Haben Sie keine Furcht. An Leuten wie Ihnen vergreife ich mich nicht. Eigentlich sind Sie gestraft genug für Ihre Schandtaten. Sie schleichen sich zu irgendeinem Zweck hier ein, werden von uns entdeckt … und nun? Nun werden wir Sie irgendwo in der Wildnis des Himalaya aussetzen, wo Sie entweder verhungern oder erfrieren.“
Harry Leakwoord starrte vor sich hin. Kein Laut kam über seine Lippen. Er haßte, haßte alle, die hier waren. Mahadur Mirat vergaß er es nicht, daß er ihn damals auf Dörcksen-Land an den Felsen gefesselt hatte. Was er selbst den anderen zugefügt hatte, – daran dachte er nicht.
Niemandem war es aufgefallen, daß es draußen heller und heller wurde.
„Wie kamen Sie hier herein?“ forschte Harald Dörcksen seinerseits weiter. Harry Leakwoord zuckte die Achseln …
„Eingeschlichen. In Sansibar. War nicht sonderlich schwer.“
„Glaub’ ich Ihnen. Wir ahnten ja nicht, daß –“
Er unterbrach sich. Jetzt fiel ihm wieder ein, was Burne damals in der Höhle entdeckt hatte. Eine Leiche.
„Sie waren mit einem Kumpan nach Sansibar gekommen. Wie aber gelangten Sie dorthin?“
Nun lachte Leakwoord kurz auf.
„Mit dem Flugschiff.“
„Mit dem „Meteor“ –?!“
„Ja – so heißt das Ding ja wohl.“
„Auch schon da in der Kammer verborgen?“
„Nein, außen, unterhalb des Schiffsrumpfes.“
„Muß ziemlich unbequem gewesen sein, die Fahrt.“
„Reichlich.“
„Ja, kann ich mir denken. Aber nun – ist Ihre Laufbahn zu Ende. Und was haben Sie erreicht? Nichts. Sie sehen nun wohl, wohin Verbrechen führen. Sie waren stets Verbrecher in des Wortes wahrstem Sinne. Deshalb enden Sie nun auch übel.“
„Abwarten“, dachte Harry Leakwoord. In seinen Augen glomm ein Funke auf. Aber niemand bemerkte ihn, weil er die Augenlider gesenkt hielt. Harry Leakwoord gab selbst in dieser Situation die Hoffnung nicht auf …
Gerade wollte Harald Dörcksen noch etwas sagen, da kam eilig von der Führerkabine her einer der Inder.
„Sahib Dörcksen, der Nebel weicht. Es ist schon ganz hell. Bald wird Sonne da sein und klare Luft.“
Jetzt bemerkten das auch die Passagiere. Ihr Interesse ward durch diese viel wichtigere Sache von Leakwoord abgelenkt. In der Tat, ganz hell war es. Die Nebelschwaden teilten sich, wurden dünner und dünner … Und dann –
„Die Erde –! Die Erde –!“ rief Reverend Dixon, der am Fenster stand und nach unten spähte. Und, als habe der Himmel nur auf diesen Ausruf als Signal gewartet, riß der Wolkenschleier plötzlich klaffend auseinander, zerflatterte im Wind, der frisch einsetzte, – und …
„Was ist das?! Wo sind wir!?“
Harald Dörcksen, in die Führerkabine geeilt, hatte die Worte ausgestoßen. Alle drängten darauf an die Fenster, sahen, staunten …
Das war nie und nimmer Indien; nichts vom Himalaya-Gebirge. Meer war unter ihnen; gezackte kleine Inseln und nach Norden zu eine große.
„Wo sind wir –?“ stieß der Erfinder nochmals ratlos hervor. Und gleich darauf ließ er einen Schrei höchster Überraschung laut werden.
„Die Sonne –! Der Kompaß –!“
Die Reisenden drängten sich alle in die Führerkabine.
„Was ist’s?“ fragte Professor Herbst. Dörcksen wies nur nach dem Kompaß hin. Da sahen es auch die anderen. Der Stand der Sonne stimmte mit dem des Kompasses nicht überein! Sie differierten um rund fünfundvierzig Grad!
„Das kann doch nicht sein,“ sagte Harald Dörcksen, ganz fassungslos, „ich meine, daß die Sonne falsch steht. Es muß der Kompaß sein, der nicht mehr richtig zeigt. Und – oh, es ist zum Haarausraufen – und darum sind wir während der ganzen Nebelzeit falsch gefahren, darum sind wir jetzt nicht über Nordindien, nähern uns nicht dem Himalaya-Gebirge, sondern sind ganz woanders, – der Teufel mag wissen, wo!“
Er war ganz außer sich, so hatte ihn diese fatale Enttäuschung mitgenommen.
Ja, aber – wo befand sich nun das Flugschiff? Was für ein Meer war das unter ihnen? Welche Inseln?
Harald Dörcksen hatte mit dem Fernglas hinabgespäht, deutete nun nach unten.
„Dort jene kleine, ovale Insel … Sie scheint unbewohnt. In ihrer Mitte befindet sich eine grüne Fläche, groß genug für den „Meteor“. Dort will ich eine Zwischenlandung vornehmen. Am Höhensteuer ist eine Reparatur notwendig geworden.“
Das Flugschiff ging in großen Spiralen nieder. Und wieder wurden Rufe des Staunens laut.
„Ah, sieh nur … Der Felsenkranz … Welch eine Tiefe … Ah, wie schön!“
Die Rufe waren berechtigt. Alle erlebten hier gemeinsam zum zweiten Mal das, was einigen von ihnen schon einmal beschieden worden war. Die Insel trug ringsum hohe, steile, unersteigbare Felswände. Die Mitte, zu der vom Gestade her nirgends ein Zugang führte, war tief gesenkt, eine abgeschlossene Welt für sich. Voll tiefer tropischer Schönheit. Grünend, üppig, blühend. Ein kleines Paradies.
Ringsum die hohen Felswände, – vom Meer, von Schiffen aus waren nur sie sichtbar. Und da es einen Zugang ringsum nicht gab, war dies herrliche Innere des Eilandes wohl völlig unbekannt geblieben. Es ähnelte ganz jener Insel, die nachher durch einen unterseeischen Vulkanausbruch zerstört und vom Meer verschlungen worden war.
Mit sanftem Stoß setzte das Flugschiff auf, fuhr noch eine Strecke, stand. Die Türen wurden geöffnet.
„Vorsicht vor Schlangen!“ rief Mahadur Mirat. Doch es zeigten sich keine. Man war entzückt, soviel Naturschönheit, einen so bezaubernden Flecken Landes gefunden zu haben, daß sich wohl alle entschlossen hätten, hierzubleiben, – wenn nicht ein doch noch viel hehreres Ziel gewunken hätte: Olympia! Dorthin wollte man; das war die letzte Sehnsucht aller.
Der kleine Schaden am Höhensteuer war schnell behoben. Die Reparaturarbeiten dauerten kaum eine halbe Stunde. Dann rief der Erfinder wieder zum Einsteigen.
Alle waren entzückt. Wald, Blüten in herrlichster Pracht; dazu Früchte und jagdbare kleine Tiere in Hülle und Fülle. Und – kein größeres Raubtier, keine Giftschlangen! Wahrlich, ein kleines Paradies.
„Wir müssen uns neu orientieren,“ sagte Harald Dörcksen, „ich werde nach der großen Insel zusteuern, die nördlich von hier zu sehen war. Dort werden wohl Menschen sein; dort werden wir uns erkundigen, wo wir uns befinden. Der Kompaß hat uns irregeführt. Ich grüble immer noch vergeblich nach, wie es möglich sein konnte, daß dieses Instrument, das bislang sehr verläßlich war, plötzlich falsch zeigte.“
„Hm, vielleicht hing das mit der Erscheinung jener merkwürdigen Feuerkugel zusammen, die –“ sagte Hella. Da schlug der Erfinder, sie unterbrechend, sich klatschend vor die Stirn.
„Die Feuerkugel –! Daß ich darauf noch nicht gekommen bin! Kein Zweifel, die Feuerkugel hat die Magnetnadel abgelenkt, den ganzen Kompaß verdorben!“
So war nun auch dies Rätsel einigermaßen aufgeklärt. Inzwischen schraubte sich das Flugschiff höher und höher. Wieder kam jene andere, große Insel in Sicht. Worauf der „Meteor“ nun zuhielt.
Aber rapide zog die Abenddämmerung herauf. Wollten sie noch vor dem Dunkelwerden dort ankommen, mußte volle Fahrt gemacht werden. Das tat Harald Dörcksen. Sausend schoß das Flugschiff der Küste des großen Eilandes zu. Noch hinderten Entfernung und Höhe, irgendwelche Einzelheiten, selbst mit dem Fernglas, zu erkennen. Nur so viel konnte Dörcksen feststellen, daß unweit des Ufers eine weite Ebene war, die zum Landen sehr gut geeignet schien.
Es dämmerte nun schon stark. Dennoch ging die Landung glatt vonstatten.
Das Land ringsum machte einen durchaus zivilisierten Eindruck, – viele Anzeichen deuteten auf die Nähe menschlicher Siedlungen hin.
„Heute noch weiter zu forschen, wo wir uns befinden, scheint mir nicht ratsam,“ meinte Dörcksen, „denn vieles spricht dafür, daß wir es hier mit kultivierten Bewohnern, vielleicht gar mit Weißen zu tun haben. Vorsicht ist also auf jeden Fall geboten. Ich schlage demzufolge vor, bis morgen früh zu warten.“
„Falls nicht jene von selbst sich um uns kümmern,“ schaltete Professor Herbst ein. Der Erfinder nickte.
„Allerdings.”
Indessen, – schon kümmerten man sich um sie. Ein – Automobil nahte. Ihm entstiegen sechs Männer. Zwei davon trugen Blendlaternen, in deren Schein bald zu erkennen war: Es waren Japaner.
Einer der Gelben trat vor, fragte nach Harald Dörcksen. Woher wußte er den Namen? Der Erfinder trat vor.
„Hier, bitte!“
„Dr. Santana!“ stellte sich der Japaner vor. Erklärte dann weiter:
„Ich bin gekommen, Sie, verehrter Herr Doktor, zu bitten, während der Zeit Ihres Aufenthaltes in Japan mein Gast zu sein. Wir haben viel von Ihrem Wunderwerk, dem Flugschiff, gehört und gestern, – gestern wurde es von einem Motorboot aus in den Lüften gesehen. Als mir heute gemeldet wurde, das Flugschiff des weltberühmten Dr. Dörcksen sei auf meinem Grund und Boden gelandet, eilte ich sofort im Auto hierher. Es wird mir eine Ehre sein, den Erbauer des Wunderwerks in meinem Haus zu beherbergen.“
Japan! In Japan war man gelandet, war nordöstlich gefahren, statt nordwestlich! Nun, allzu groß war die falsch zurückgelegte Strecke ja noch nicht. Das konnte in zwei Tagen wieder gutgemacht werden.
Das war der erste Gedanke, den Harald Dörcksen bei den Worten des Japaners hatte. Gleich darauf schossen ihm aber blitzartig viele andere Gedanken durch den Kopf. Dr. Santana gehörte allem Anschein nach vornehmem Stande an. Japan … man hatte also auch hier von Dörcksen und seinem Flugschiff gehört. Nur natürlich. Wahrscheinlich hatten die japanischen Zeitungen ebenso wie alle anderen ausführlich über die Olympia-Bewegung, ihre Urheber und ihre Träger berichtet. Zweifellos.
Und nun –? Dieser vornehme Japaner zeigte sich gegen Dörcksen freundschaftlich? Lud ihn gar ein, Gast seines Hauses zu sein?
Aber, während der andere noch sprach, flammte in dem Erfinder Mißtrauen auf. Wie sollte er sich verhalten? War es ratsam, die Einladung des Japaners anzunehmen, – zumal der besonders betont hatte, daß das Flugschiff auf seinem Grund und Boden gelandet sei?
Mahadur Mirat schien ganz dieselben Gedanken zu haben wie der Erfinder. Als Santana innehielt, flüsterte der Radscha Dörcksen zu:
„Annehmen. Ich komme mit!“
Demzufolge erklärte Dörcksen:
„Ihr freundliches Anerbieten, Herr Doktor, ehrt mich sehr. Ich nehme mit Dank an. Zwar wohnt es sich in meinem „Meteor“ durchaus bequem … Außerdem gedachten wir nicht, uns hier längere Zeit aufzuhalten; wollten nur Erkundigungen einziehen, wo wir uns befänden. Ein Kompaßdefekt und der in den letzten Tagen herrschende Nebel ließen uns die Richtung verlieren. Dennoch will ich, wie gesagt, gern Ihre Gastfreundschaft bis morgen früh genießen.“
Der Japaner verneigte sich leicht.
„Der Wagen steht bereit,“ sagte er, nach dem Auto deutend. Harald Dörcksen zögerte. Was hatte Mahadur Mirat gemeint? „Ich komme mit“, hatte er gesagt. Und jetzt? Er machte keine Anstalten, anzubahnen, daß Dr. Santana seine Einladung auch auf ihn ausdehnte.
Da fühlte er, wie der Radscha, der neben ihm stand, ihm heimlich mit dem Finger einen Stoß in die Seite versetzte. So, als wollte er sagen: „Geh!“
Aus Mahadur Mirats Verhalten war unschwer zu schließen, daß er irgendwie Mißtrauen hegte.
Etwas unsicher folgte Harald Dörcksen nach kurzem Abschied dem Japaner. Auch dessen Begleiter setzten sich in Bewegung. Das Auto, ein großer Achtsitzer, bot Platz für alle.
„Oh Lieber, mir ist plötzlich so angst um den Vater!“ flüsterte Hella, Mahadur Mirats Arm umklammernd. Der machte sich sanft los.
„Sei unbesorgt, Geliebtes, ich bleibe in der Nähe deines Vaters!“
Und schon war er in der Dunkelheit verschwunden. Der Motor des großen Wagens sprang an. Es setzte sich in Bewegung und bald entschwanden seine Lichter in der Dunkelheit. Hella hatte ihm mit großer Besorgnis nachgesehen. Wohin fuhren Vater und Geliebter?
Das Haus Dr. Santanas schien in einer großen Parkanlage zu liegen. Kaum eine Viertelstunde hatte das Auto für die Fahrt gebraucht. Fernher glänzten jetzt Lichter einer großen Stadt. Nagasaki, wie Santana unterwegs erzählt hatte.
Harald Dörcksen war in seiner vorgefaßten Meinung doch ein wenig schwankend geworden. Santana war von ausgesuchter Zuvorkommenheit, fast Herzlichkeit. Und als man jetzt das Haus betrat, als des Japaners reizende Gattin, persönlich mit dem Decken des Tisches beschäftigt, den Erfinder willkommen hieß, da schwand Dörcksens Mißtrauen vollends.
„Hier bringe ich dir unseren Gast!“ hatte Santana zu seiner Gattin gesagt. Hatte, wie vorher schon, sich der englischen Sprache bedient, so daß Dörcksen seinen Worten folgen konnte.
Das Haus war hochelegant, halb japanisch, halb europäisch eingerichtet. Alles atmete einen erlesenen Geschmack. Man konnte sich in diesen Räumen schon wohlfühlen. Auch das Essen, obwohl schnell, gewissermaßen „aus dem Stegreif“ zusammengestellt, war vorzüglich. Dem Erfinder mundete es nach der langen Konservenkost während der letzten Tage ausgezeichnet. Dazu gab es französischen Rotwein und einen seltsam herb schmeckenden, japanischen Likör.
Bei diesen angenehmen Getränken und den blauen Rauchringen köstlicher Havannazigarren plauderten die beiden Männer angeregt, während die Frau zuhörend schwieg.
„Nein, Herr Doktor, bitte nicht mehr!“ rief Harald Dörcksen, als Santana die Gläser erneut füllen wollte. „Ich bin während meiner langen Reisezeit des Alkohols ganz entwöhnt. Und ich möchte doch morgen früh zur Weiterfahrt einen klaren Kopf haben.“
Santana lächelte.
„Nun, nun, so viel war es ja noch gar nicht. Aber wie Sie wünschen, verehrter Herr Doktor; dann wollen wir nur noch einen Likör zur Verdauung zu uns nehmen. Als Abschluß des Males sozusagen. Ganz etwas Besonderes. Danach lasse ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen.“
Und schon holte er eine neue Flasche mit einer goldgelben Flüssigkeit hervor. Harald Dörcksen aus Höflichkeit wollte nicht mehr widersprechen. Inzwischen war die Frau des Japaners hinzugetreten und hatte Santanas Glas aus der vorigen Flasche gefüllt.
„Ah, nun hat meine Frau mein Glas noch aus jener Flasche gefüllt!“ rief der Japaner lachend. „Fast so, als gönne sie mir den guten Tropfen nicht,“ setzte er scherzend hinzu.
Sie erhoben die Gläser, stießen an.
„Auf den Sieg des Fortschritts!“ rief Santana, und sie tranken. Dann plauderte der Japaner weiter; was für ein engagierter Verehrer des Flugwesens er sei und daß er selbst bereits ein neuartiges Modell konstruiert habe.
Inzwischen hatte er auf einen Knopf gedrückt. Ein Bedienter erschien.
„Das Fremdenzimmer sofort herrichten!“ befahl er kurz; fuhr dann, zu Dörcksen gewendet, fort:
„Nur noch ein paar Minuten, verehrtester Herr Doktor. Ich sehe, Sie sind müde.“
In der Tat, das war Dörcksen. Eine ganz seltsame Müdigkeit, die von Minute zu Minute stärker ward, umfing ihn. Kaum gehorchte ihm noch die Zunge, als er nun sagte:
„J – ja, allerdings – ich – ich bin ganz er … erstaunlich müde. Der L … likör –“
Santana nickte. Wie lächelte er plötzlich? Ganz anders ward sein Gesicht. Verzerrt, diabolisch …
„Ja, ja, der Likör … Er war gut, nicht wahr?“
Wo kamen plötzlich die beiden anderen Japaner her? Drehte sich das Zimmer? Der Nebel – –
Ein furchtbarer Verdacht stieg in Harald Dörcksen auf. Doch er konnte den Gedanken nicht mehr klar zu Ende führen; fiel vornüber … Die beiden neu hinzugekommenen Japaner fingen ihn auf. Santana stand dabei mit triumphierendem Grinsen, die Arme über der Brust verschränkt.
Das war das letzte, was der Erfinder noch sah. Dann schwand ihm das Bewußtsein.
*
Ein Licht, das blendete, traf Harald Dörcksen Gesicht. Davon erwachte er. Wollte sich aufrichten; aber das ging nicht. Er war an das Bett gefesselt, in dem er lag. Auch Arme und Beine hatte man ihm gebunden. Nur den Kopf konnte er drehen.
Wo war er? Eine Sekunde dachte er nur diese Frage. Dann fiel ihm Santana ein und alles andere. Also doch eine Falle? Also doch! Sein anfängliches Gefühl des Mißtrauens gegen die Freundlichkeit des Japaners hatte ihn nicht getäuscht.
Eine Falle. Was mochte Santana beabsichtigen? Sich des Flugschiffes bemächtigen? Dazu hätte er doch nicht ihn allein fortlocken müssen, sondern …
Was aber sonst –?
Darüber grübelte Harald Dörcksen noch, während er das kleine, elegante Zimmer betrachtete, in das man ihn gelegt hatte. Die Wände mit lila Seide bespannt, wirkten irgendwie gediegen. Nur dies Licht. Es war zu grell und stach in den Augen.
Immer wieder kehrten des Gefesselten Gedanken zu der Frage zurück. Gehörte Santana zu denjenigen, die der Olympia-Bewegung und ihren Urhebern den Tod geschworen hatten? Immerhin möglich. Dann aber –
In diesem Augenblick ging die Tür auf, und herein trat – Santana. Aber welche Veränderung war in seinem Gesicht erfolgt! Keine Spur von Freundlichkeit war mehr vorhanden; nur kalte Berechnung, unerbittliche Entschlossenheit. Hier stand ein Gegner, wenn nicht ein Feind, das begriff Harald Dörcksen.
Santana trat an das Bett heran.
„Was bedeutet das? Warum bin ich gefesselt? Sie haben mich betäubt durch den Likör, von dem Sie nicht tranken! Ich –“
Der Japaner nickte.
„Ganz recht.“
„Aber was wollen Sie von mir? Warum stellten sie mir diese Falle? Warum beraubten Sie mich meiner Freiheit?“
„Das sind viele Fragen auf einmal. Aber alle besagen doch dasselbe. Sie sollen gleich klar sehen. Wir Japaner haben Ihre Sache und Ihre Erfindung genau so intensiv beobachtet wie die Engländer. Wir wissen, die Engländer sind hinter Ihnen her, die Franzosen, die Deutschen. Einem von jenen werden Sie über kurz oder lang zum Opfer fallen; Sie und Ihre Erfindung. Und der betreffende Staat wird sie sich zunutze machen. Warum soll das nicht Japan sein? Wir – dachten stets daran. Jeder von denen, die Mittel dazu besaßen, jeder von uns hatte alles vorbereitet für den Fall, daß … Nun, gestern schuf ein Zufall diesen Fall. Ihr Flugschiff wurde in der Nähe unserer Küste gesehen. Gegen Abend landeten Sie hier. Das weitere wissen Sie.“
„Und nun –?“ fragte Dörcksen. „Was wollen Sie?“
„Die Herausgabe der Pläne, nach denen Ihr Flugschiff gebaut ist. Sie tranken gestern auf den Sieg des Fortschritts. Nun wohl, so war es gemeint. Japan wird im Besitz Ihrer Pläne auf dem Gebiet der Flugtechnik allen anderen Staaten voraus sein!“
Der so kühl scheinende Japaner hatte sich in Begeisterung geredet. Nun entgegnete Dörcksen:
„Und wenn ich mich weigere?“
„Das werden Sie nicht. Wir haben Mittel, Sie zu zwingen. Glauben Sie mir.“
„Ich besitze die Pläne nicht mehr. Sie wurden vernichtet, als das Flugschiff fertig war.“
„Gut, dann werden Sie mir das Wichtigste davon – im Kopf haben Sie es doch sicher – aufzeichnen.“
„Nochmals – und wenn ich mich weigere?“
„Das möchte ich Ihnen nicht raten. Sie befinden sich keineswegs mehr in dem Haus, in das Sie mit mir gingen. Ihre Leute würden Sie nie mehr finden.“
„Also, ich weigere mich dennoch. Ich denke nicht daran, meine Erfindung einem Staat preiszugeben, der sie doch nur zu Kriegszwecken mißbrauchen würde!“
„Ich gebe Ihnen eine Stunde Bedenkzeit.“
„Die können Sie sich schenken. Eine andere Antwort bekommen Sie nie!“
„Ihr letztes Wort?“
„Auf jeden Fall!“
„Sie werden es bereuen!“
„Nie! Beenden wir dies Wortgeplänkel.“
„Nach einer Stunde komme ich wieder!“ rief Santana noch von der Tür her, und schon war er hinaus. Gleich darauf – verlöschte das Licht im Zimmer.
Ah, auf diese Weise, dachte der Erfinder; da richtet ihr bei mir nichts aus. So sehr Dunkelheit auch sonst auf das Gemüt wirken mag, – mir ist sie jetzt nur angenehm. Und er dachte an Mahadur Mirat … „Ich komme mit“, hatte ihm der zugeflüstert. War dann doch nicht mitgekommen. Wollte er etwa dem Auto Santanas nachlaufen? Ausgeschlossen. Das fuhr doch viel zu schnell. – – –
Wie lang doch die Stunde sich dehnte. Ob sie bei Licht auch so lang geworden wäre? Harald Dörcksen war nicht etwa kleinmütig geworden. Keineswegs. Von ihm würde Japan nichts erfahren. Mochten sie ihn töten. Sein Werk rollte – auch ohne ihn. Sein Werk –: damit meinte er nicht in erster Linie das Flugschiff, sondern die Olympia-Bewegung. Hatte er für sie jahrzehntelang gekämpft, würde er auch für sie sterben.
Gewiß, mit Trauer dachte er an Hella, seine Tochter. Aber – war sie nicht in guten Händen? Sie hatte den Mann ihres Herzens gefunden! Nein, ihretwegen brauchte er nicht besorgt sein. Sie war geborgen lebenslang. –
Da ging die Tür auf. Hell blendend flammte Licht. Santana trat ein. Hinter ihm jene zwei anderen Japaner, die Harald Dörcksen schon einmal gesehen hatte.
Mahadur Mirat war im Dunkel verschwunden. Kaum eingetaucht in die Finsternis, warf er sich zu Boden, kroch geräuschlos mit fabelhafter Geschwindigkeit im Bogen zu dem Auto des Japaners.
Er kam gerade zur rechten Zeit. Schon sprang der Motor an. Der Radscha faßte die hintere Stoßstange des Wagens, stieg hinauf. Los ging’s.
Wenig bequem war diese Stellung. Mahadur Mirat mußte sich krampfhaft festklemmen, wollte er nicht herabrutschen, wenn der Wagen schaukelte oder stieß. Und dies tat er oft. Der Weg war wohl nicht besonders glatt. Alle Muskeln fingen dem Radscha zu schmerzen an. Aber er biß die Zähne zusammen; hielt durch.
Aber – einmal würde seine Kraft doch erlahmen, würde er nachgeben müssen, wenn die Fahrt nicht bald ein Ende nahm. Sie schien endlos. Qualvoll dehnten sich die Minuten. Dann – endlich, endlich stoppte der Wagen. –
Da stand eine Villa, in europäischem Stil gebaut. Das Gittertor, vor dem das Auto hielt, führte in einen üppigen Vorgarten.
Die Japaner, mit Harald Dörcksen in der Mitte, stiegen aus, durchschritten den Vorgarten, verschwanden im Haus. Mahadur Mirat ließ sich zur Erde gleiten; verharrte kauernd. Der Wagen fuhr davon. Schnell schlüpfte der Radscha durch das Gittertor, das offen geblieben war. Schon war er im Garten. Büsche schützten ihn vor jeglichem Blick. Dicht an die Mauer des Hauses schlich er entlang. Sämtliche Fenster der unteren Etage waren erhellt. Aber – verhangen.
Spalier zog sich die Wände entlang. Leicht ersteigbar. Mahadur Mirat versuchte es, spähte hier und da – nirgends ein Spalt in den Fenstervorhängen. Er stieg wieder hinunter in den Garten, schlich dicht an der Mauer um das Haus herum.
Da – eine kleine Pforte, niedrig wie ein Kellereingang. Der Radscha drückte auf die Klinke. Die Tür war nicht verschlossen, gab nach.
Was will ich eigentlich, fragte sich Mahadur Mirat indes; Dörcksen weilt doch als Gast in diesem Haus!
Aber eine unerklärliche Unruhe trieb ihn vorwärts. Er hatte das bestimmte Gefühl, Harald Dörcksen sei in Gefahr. Er kannte Japan, kannte die Japaner; wußte, daß es kaum heimtückischere Menschen gab als sie. In den Augen Santanas hatte so etwas geleuchtet … Dörcksen kannte sich damit wohl nicht so gut aus wie er; war vertrauensseliger.
Gewiß: er hatte gezögert, und Mahadur Mirat hatte ihm sogar geraten, mitzufahren. Weil er eine Weigerung für noch gefährlicher hielt. Nun aber hieß es, achtsam sein.
Die kleine Tür führte nicht in den Keller, sondern in eine Art Vorratsraum des Hauses. Allerlei Gartengerät stand da herum, das des Radschas Taschenlampe beleuchtete. Dann eine kurze Treppe, wenige Stufen nur; aufwärts; wohl in einen Korridor der Villa.
Mahadur Mirat schaltete die Lampe aus. Die kleine Tür hatte er hinter sich wieder geschlossen. Nun huschte er die paar Stufen hinauf – lauschte …
Nichts. Kein Laut ließ sich vernehmen.
Nach geraumer Weile versuchte Mahadur Mirat, auch diese Tür zu öffnen. Millimeter um Millimeter schob er den Drücker herunter. Es gelang. Auch diese Tür war unverschlossen. Einen winzigen Spalt geöffnet, – das Auge daran … Kein Lichtstrahl. Der Raum hinter der Tür war gleichfalls dunkel.
Nochmals lauschen … Alles still … Dann – hinein. Die Tür schloß er wieder hinter sich. Sollte er riskieren, für einen Augenblick die Taschenlampe aufleuchten zu lassen, um sich zu orientieren? Lieber nicht, entschied er sich. Tastete an der Wand entlang in der Richtung, die seiner Meinung nach näher zu dem Hauptportal der Villa führen mußte. Immer vorsichtig, immer lauschend; ganz, ganz langsam.
Es war ein Korridor. Lang und schmal. Das hatte er bald heraus. Plötzlich – eine Mauerecke. Der Radscha zögerte. Was lag dahinter? Eine Tür?
Er tastete … Nein, keine Tür. Ein Vorhang. Schwer. Seide. Dahinter – Kleider. Eine Nische also, – wohl so eine Art Schrankersatz.
In dem Augenblick glomm ein matter Schein in dem Korridor auf. Eine Tür war geöffnet worden, – irgendwo. Stimmen klangen; ein paar Worte nur. Mahadur Mirat, – im Bruchteil einer Sekunde war er in die Kleidernische geschlüpft.
Die Stimmen kamen näher. Eine elektrische Birne flammte auf in dem Korridor. Mehrere Personen schienen sich zu nähern. Aus einer feinen Ritze spähte der Radscha …
Zwei Japaner trugen einen anscheinend bewußtlosen Menschen. Das war – Harald Dörcksen. Dahinter kamen Dr. Santana und eine schöne, junge Japanerin. Beide lächelten triumphierend.
Der Zug ging den Korridor entlang. Dann verklangen ihre Schritte.
Die Gedanken in des Radschas Hirn eilten fieberhaft. Was tun? Was tun? Jenen nach –? Vielleicht verdarb er dadurch alles.
Seine Ahnung: Dörcksen in Gefahr, – hier bestätigte sie sich. Was tun?
Aber dann blieb ihm keine Wahl mehr. Wieder erklangen Schritte; diesmal vom anderen Ende des Korridors. Die Japaner kamen zurück.
Mahadur Mirat verhielt sich reglos. Hielt gar den Atem an. Hörte, wie die Japaner sich unterhielten … Aber da er ihre Sprache nicht beherrschte, nützte es ihm nichts.
Erneut Stille. Eine Tür klappte. Das Licht erlosch in dem Korridor. Jene hatten wieder eins der Zimmer betreten. Da huschte Mahadur Mirat hervor; schlich den Gang entlang in der Richtung, die jene vorhin mit Harald Dörcksen genommen hatten. Fand die schmale, niedrige Tür halboffen, durch die er vorher gekommen war. Trat hinaus in den nächtlichen Garten.
Hatten die Japaner mit dem Gefangenen auch hier das Haus verlassen? Das war anzunehmen. Wohin aber hatten sie ihn dann gebracht? Weit wohl nicht. Sie waren so schnell zurückgekommen. Der Radscha ließ seine Augen in der Dunkelheit rundum schweifen. Sah etwas Massiges, Dunkles zwischen Büschen. Einen Pavillon.
Er näherte sich ihm vorsichtig. Ein paar Stufen aufwärts, – eine Tür. Mahadur Mirat probierte … auch unverschlossen! Er trat langsam hinein. Innen alles dunkel. Der helle Schein seiner Taschenlampe blitzte auf.
Ein kahler, runder Raum. Das war alles. Holzwände mit großen, vielteiligen Glasfenstern ringsum, ein alter Tisch, ein Stuhl mit drei Beinen. Das war alles. Und dicker Staub überall …
Staub … in dem sich Spuren abzeichneten. Sie führten zur linken Seite des Pavillons. Mahadur Mirat folgte ihnen, nickte, als bestätige er sich selbst eine Vermutung. Der Pavillon hatte ein Geheimnis! Die Abdrücke führten zu einer in den Boden eingelassenen Falltür. Der Radscha hob sie … eine gemauerte Treppe ward darunter sichtbar.
Mahadur Mirat stieg langsam, mit seiner Taschenlampe voranleuchtend, hinab. Die Falltür hinter sich ließ er offen. Langsam, Stufe um Stufe, stieg er weiter, immer voranspähend.
Ein schmaler, gemauerter Gang ward sichtbar. Ein Stück weiter eine Tür, – geschlossen. Auf sie wollte Mahadur Mirat zugehen, als er plötzlich von hinten gepackt wurde. Zwei, drei geschmeidige Gestalten warfen sich auf ihn, hingen an ihm, rissen ihn zu Boden … und wenig später war er gefesselt.
Die Japaner trugen ihn weiter in jenen Gang hinein, der Tür zu, die er vorhin gesehen, öffneten sie … Ein wohnliches Zimmer, Tisch, Diwan, Stühle, ein Schrank … Dahinter legten sie den zu einem Bündel zusammengeschnürten Radscha.
Mahadur Mirat hatte in einem von ihnen Dr. Santana wiedererkannt. Der wandte sich jetzt zu ihm um, sagte, sich der englischen Sprache bedienend:
„Sehr gut, daß Sie bei mir einbrachen. Wenn der andere nicht pariert, sind Sie noch da.“
Und verließ mit den übrigen Japanern das Zimmer. Schloß die Tür. Mahadur Mirat war allein.
Der andere –? Damit konnte Santana nur den Erfinder gemeint haben. Also war Mahadur auf der richtigen Fährte gewesen. Hier, in diesem unterirdischen Gewölbe, das zweifellos viel älter war als der Holzpavillon darüber, befand sich auch Harald Dörcksen. Sicherlich nicht weit.
Freilich, er – Mahadur Mirat – war gefesselt. Doch das – war vielleicht nicht einmal schlimm. Stricke waren es nur, nicht Riemen, die sich viel schwerer lösen ließen. Vielleicht …
Der Radscha versuchte sich zu befreien. Doch die Stricke hielten gut. Gaben nicht nach. Unermüdlich arbeitete Mahadur Mirat. Hin und her; meistens nur Millimeter; aber doch – Bewegung, die – allmählich, ganz allmählich – größer wurde.
Fast eine Stunde ging das so. Viel hatte Mahadur Mirat noch nicht erreicht, als sich draußen Schritte näherten. Kamen die Japaner wieder? Nein, sie gingen an der Tür vorbei, weiter in den Gang hinein.
Sekundenlang grübelte Mahadur Mirat: wie konnte der Überfall auf mich zustande kommen? Bin ich in der Villa doch entdeckt worden? Es mußte wohl so sein. Oder aber – der Zugang zu diesem unterirdischen Gang brachte, als ich die Falltür hob, in der Villa ein Warnsignal in Gang.
Und nun glaubte Mahadur Mirat, sich zu entsinnen, daß er vorher in dem betreffenden Augenblick ganz fern das Schrillen einer elektrischen Glocke gehört hatte. Freilich, das konnte auch anders zusammenhängen … Konnte … aber –
Ein Schrei –! Ein Schrei zerriß in diesem Augenblick die Stille dieses unterirdischen Gemäuers; zerriß auch des Radschas Gedankengang. Gedämpft, wie halb erstickt hatte der Schrei geklungen. Dennoch hatte Mahadur Mirat ganz deutlich die Stimme Harald Dörcksens erkannt!
Dörcksen in Gefahr! Der Gedanke lieh dem Radscha Riesenkräfte. Er spannte seine Muskeln. Und die Stricke – rissen! Mahadur Mirat sprang auf. Doch nun hieß es, umsichtig sein.
Er trat an die Tür, – lauschte. Kein Laut. Im Gang alles still.
Hatten die Japaner vorher die Tür zugeschlossen oder verriegelt? Nein, zum Glück nicht; sie gab nach. Um die Ecke gespäht; rechts – links. Nichts. Der Gang lag stockfinster da.
Doch ein winziger Lichtstrahl war zu sehen, – weiter hinten. Ganz, ganz winzig. Darauf schlich Mahadur Mirat zu. Wie eine Katze …
Näherte sich dem Lichtstrahl … Der drang aus einem schmalen Spalt. Die Tür war nur angelehnt, dahinter – Stimmen in japanischer Sprache. Der Radscha brachte das Auge dicht an die Tür. Spähte durch den Spalt …
Was er sah, war grauenvoll. Harald Dörcksen stand in dem Raum, an die Wand gefesselt; nackt. Vor ihm – ein Becken mit glühenden Kohlen; Eisenstäbe darin. Des Erfinders Kleider lagen nahe bei der Tür. Im Halbkreis herum standen Dr. Santana und drei weitere Japaner.
Das Ganze sah aus nach – Inquisition. Was wollten die gelben Halunken von Harald Dörcksen erpressen? Hatten sie ihn schon gefoltert? Der Schrei vorher …
Doch Mahadur Mirat blieb nicht Zeit, darüber nachzugrübeln. Einer der Japaner zog jetzt den glühenden Eisenstab aus den Kohlen, näherte sich mit teuflischem Grinsen der Schulter des Gefesselten, – indes Dr. Santana kaltblütig, die Arme über der Brust gekreuzt, fragte:
„Zum letzten Mal: Sind Sie bereit, uns das System Ihres Flugschiffes zu verraten?“
Man sah, wie es mächtig in dem Gesicht Dörcksens angesichts der bevorstehenden furchtbaren Folter arbeitete. Aber – er brüllte:
„Niemals – Ihr Schufte!“
Mahadur Mirat hatte fieberhaft nach seinem Revolver getastet. Er fand ihn nicht! Dennoch – er mußte handeln. Auf Sekunden kam es hier an. Er mußte handeln, – mochte daraus werden, was wollte.
Der Japaner, der das glühende Eisen hielt, sah Santana an, nachdem Harald Dörcksen geantwortet hatte. Und Santana nickte. Da –
– da wurde mit Wucht die Tür aufgestoßen.
„Halt, Höllensöhne!“ schrie der Radscha mit gewaltiger Stimme. Krachend fuhr seine Faust dem nächsten Japaner auf den Schädel, daß der wie ein gefällter Baum hinschlug. Und dann – packte Mahadur Mirat das Becken mit den glühenden Kohlen, hob es hoch empor und schleuderte es mit Wucht auf Santana. Der strauchelte, fiel – die glühenden Kohlen über ihn hin. Die zwei anderen Japaner sprangen ihm bei …
Diesen Augenblick der Verwirrung benutzte Mahadur Mirat. Mit ein, zwei Schnitten hatte er die Fesseln des Erfinders durchtrennt, zog ihn mit sich, raffte Dörcksens Kleider auf – und schon liefen sie. In dem gemauerten Gang rasch, mit wilder Hast hineingeschlüpft in die Kleider, halb nur, notdürftig bekleidet – und weiter.
Die Japaner, drinnen, folgten ihnen noch nicht. Die auf sie geschleuderten glühenden Kohlen machten ihnen wohl noch zu schaffen. So gelangten die Flüchtlinge hinaus. Erreichten die Straße …
„Geradeaus, ich kenne den Weg!“
Dörcksen nickte nur. Der Radscha sah den Erfinder besorgt von der Seite an. Würde er nach den Schrecknissen, die er in jenem Haus erlebt, die Flucht aushalten. War doch anzunehmen, daß sie bald verfolgt würden. Und wie weit waren sie vom Standort des Flugschiffes entfernt? Schätzungsweise sechs bis sieben Kilometer; mindestens.
Also: Trab. Harald Dörcksen war zwar nicht mehr jung; aber dennoch hielt er Schritt. Sie liefen, sahen sich hin und wieder um. Doch die dunkle Landstraße blieb leer. Hatten die Japaner ihre Verfolgung aufgegeben? Ließen sie sie einfach laufen? Sehr unwahrscheinlich.
Plötzlich blieb Mahadur Mirat stehen. Horchte … warf sich dann zu Boden, legte das Ohr auf die Erde. Als er sich wieder erhob, sagte ganz ruhig:
„Motorgeräusch. Sie kommen!“
Und, sich rings umsehend:
„Sie sollen uns nicht finden. Wenn unsere Freunde nur das Flugschiff schützen –“
Das klang sehr besorgt. Der Radscha fuhr fort:
„Dort das Gehölz wird uns ihren Blicken entziehen. Zudem – die Hälfte des Weges haben wir, glaube ich, schon hinter uns.“
Und schon trabten sie, von der Landstraße abbiegend, dem Gehölz zu. Erreichten es in weniger als einer Minute. Verbargen sich in dichtem Unterholz.
Harald Dörcksen stieß einen leisen Ruf aus.
„Mein Revolver! Sie haben ihn nicht aus der Tasche herausgenommen!“
„Ah, das ist gut; so haben wir wenigstens eine Waffe,“ entgegnete Mahadur Mirat. Dann – klang deutlich das Brummen des Motors. Das Auto Santanas nahte, seine beiden Scheinwerfer beleuchteten hell weithin die Landstraße. Einen dritten hielt anscheinend ein Wageninsasse in der Hand; drehte ihn hin und her; beleuchtete die Umgebung der Landstraße links und rechts. Auch das Gehölz traf der Schein. Aber die Flüchtlinge waren im Unterholz gut und sicher verborgen.
Als die Lichtflut, die das Auto verbreitet hatte, vorüber war, schien die Nacht trotz des Sternenhimmels für einen Moment um so dunkler. Mahadur Mirat flüsterte:
„Vorwärts, ihnen nach! Sie fuhren nicht schnell.“
Und wieder liefen sie.
Mahadur Mirat hatte sich von Hella Dörcksen losgemacht, war im Dunkel verschwunden. Das Auto mit den Japanern und Harald Dörcksen, – dort fuhr es davon. In gemischten Gefühlen blieben die Freunde zurück; in jäher Angst Hella. Mahadur Mirat war argwöhnisch. Er – mußte wohl irgendeinen Grund dazu haben. Und nun …
Sie konnte nicht anders; sie mußte auch den anderen ihre Besorgnis mitteilen. Gewiß, gedacht hatten auch die daran.
„Wir hätten uns gar nicht um die Japaner kümmern sollen,“ meinte Professor Herbst, „hätten sie uns an der Weiterfahrt hindern können? Kaum. Wir wußten ja nun, daß wir uns in Japan befinden. Wir hätten getrost noch in derselben Minute wieder abfahren können.“
Reverend Dixon hob die Achseln, nickte:
„Hätten – ja. Aber wer kommt im richtigen Augenblick auch gleich auf den richtigen Gedanken? Aber das ist ja nun auch gleichgültig. Was geschehen ist, ist geschehen und nicht mehr ungeschehen zu machen. Nun, haben wir uns nur mit dem, was ist, abzufinden.“
Man beriet. Gari Dingra schlug vor, er wolle den Weg verfolgen und … Aber davon kam man gleich wieder ab. Wie wenig Aussicht bot solch ein Unterfangen nachts! Nein, abwarten war das einzige, das sich tun ließ.
Und so warteten sie. An Schlaf dachte niemand. Keiner hatte die innere Ruhe dazu.
Langsam verrann die Zeit. Die Spannung der Wartenden wuchs fast ins Unerträgliche. Jeden Augenblick, wähnten sie, müßte etwas geschehen. Fuhren empor bei jedem Schrei eines Nachtvogels. Aber nichts geschah.
Einen hatten sie in der Eile der letzten Ereignisse völlig vergessen: Harry Leakwoord. Der war verschwunden. Niemand merkte es, niemand dachte an ihn. Alle waren nur erfüllt von der Besorgnis um Harald Dörcksen und Mahadur Mirat. Und diese Besorgnis stieg von Minute zu Minute.
Nichts geschah. Eine Stunde war vergangen; eine zweite … Dann ein fernes Geräusch.
„Fast, als ob ein Auto sich nähert –“ meinte Dixon. Gari Dörcksen bestätigte:
„Es ist so – unverkennbar.“
Bald schon erblickten sie den Lichtschein, den es auf der Landstraße verbreitete.
Und dann – alle hielten ihre Revolver bereit – kam es heran; hielt vor dem Flugschiff. Heraus sprang ein Japaner. War es Santana selbst? Nein – und außer diesem einen Gelben und dem Chauffeur hatte niemand in dem Wagen gesessen.
Der Ausgestiegene trat näher, verbeugte sich tief und begann in kriecherischer Höflichkeit zu sprechen. Mr. Dörcksen befände sich sehr wohl in der Villa des Dr. Santana. Und er bitte, daß noch einige seiner Freunde dorthin kommen möchten.
Stimmten die Angaben des Gelben? Oder – war dies eine Falle? Wo war Mahadur Mirat? Ratlos sahen sie sich an. Vielleicht war es gut, wenn einige von ihnen mitführen. Gut bewaffnet. Hier waren nur zwei, die eventuell als Gegner in Betracht kommen konnten: der ausgestiegene Japaner und der Chauffeur. Und – falls es sich um eine Falle handelte – zwei Bewaffnete konnten möglicherweise viel nützen. Wenn sie umsichtig waren. –
Nach kurzer Verständigung untereinander, die vor dem Gelben geheim gehalten wurde, entschloß man sich: Gari Dingra, Gari Dörcksen – trotz Amaras Protest – und Professor Herbst sollten mitfahren. Sie wollten unterwegs ihre Schußwaffen bereit halten, für den Fall eines Überfalles auf der Landstraße.
Die drei stiegen ein. Dann der Japaner. Der Motor war noch in Gang. Der Chauffeur schaltete einen Hebel um. Wollte anfahren …
Da – krachte irgendwo ein Schuß. Ganz in der Nähe, in einem Gebüsch. Zugleich stieß der Chauffeur einen Schrei aus, sprang auf, schlenkerte die rechte Hand.
Wer hatte geschossen? Schon hoben die im Auto Sitzenden ihre Revolver zur Abwehr. Da –
„Hands up!“ schallte es dem Chauffeur aus zwei Kehlen entgegen. Zwei Gestalten sprangen aus den Büschen auf das Auto zu. Die eine war Harald Dörcksen, die andere – Hella stieß einen Freudenschrei aus – die andere war Mahadur Mirat.
Der Chauffeur hob die Hände, deren eine blutete. Der andere Japaner folgte dem Befehl erst nach nochmaliger Aufforderung.
„Aber – aber, meine Herren –!“ stotterte er. Dann aber sagte er nichts mehr angesichts des Radschas nicht mißzuverstehender, drohender Gebärde.
Gari Dingra, Herbst und Gari Dörcksen stiegen aus der Limousine wieder aus, verblüfft und erfreut zugleich. Die anderen umringten sie.
„So war also doch alles Schwindel, was du Halunke uns vorerzählt hast?!“ schnaubte Professor Herbst. Der Japaner mied seinen Blick, antwortete nichts. Einige Worte Mahadur Mirats und Harald Dörcksens gaben die nötige Aufklärung. Der Erfinder schloß:
„Das Abenteuer ist zu guter Letzt doch noch glimpflich abgelaufen. Dennoch ist es am ratsamsten, daß wir sogleich abfahren. Ich vermute, daß dies Auto mit unseren Freunden unterwegs irgendwie abgefangen werden sollte. Kehrt es nun nicht zurück, werden jene sicherlich nachforschen, wo es bleibt. Vorwärts also! Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Und zu den beiden Japanern im Auto gewendet:
„Ihr mögt hier warten, bis wir auf und davon sind. Aber – vergeßt nicht, daß jede eurer Bewegungen vom Flugschiff aus beobachtet wird. Eine verdächtige Bewegung – und es knallt!“
Die beiden schwiegen. Keine Miene ihrer Gesichter verriet, daß sie die Worte überhaupt verstanden hatten.
Das Flugschiff wurde bestiegen; die Tür geschlossen … Da erst kam Leben in die Zurückgebliebenen. Der Motor des Wagens heulte auf – und schon sausten sie über die Landstraße davon.
„Nun wird’s Zeit. Sie holen Verstärkung!“ rief Mahadur Mirat. Doch der „Meteor“ war startbereit. Die Motoren surrten. Langsam erst, dann schneller und schneller lief das Flugschiff über den Boden hin. Eine kurze Strecke nur; dann hob es sich, schwebte frei …
Wenig später war die Küste erreicht. Auch dies Abenteuer hatte man glücklich überstanden.
Der Kompaß … er zeigte falsch, wußte man nun. Er war durch jene riesige Feuerkugel abgelenkt und verdorben worden. Doch jetzt, da man wußte, wo man sich befand, da überdies klares Wetter herrschte, konnte der Erfinder sich orientieren. Dies war Japan. Dort drüben lag die Küste Chinas. Die mußte man im Auge behalten. Dann westwärts fliegen. So würde das Massiv des Himalaya-Gebirges in kurzer Zeit auftauchen. –
Die Luft war still. Der „Meteor“ nahm ruhig und ohne zu schwanken seinen Kurs westwärts. Der Entspannung folgte allgemeine Müdigkeit. Man begab sich in die Schlafkabinen; alle, mit Ausnahme der beiden Inder, die sich in der Führung des Flugschiffes abwechselten.
Als nach Stunden die Sonne ihre ersten rosigen Strahlen über die Erde schickte, sah das keiner im Flugschiff. Alle schliefen. Niemand beachtete das erhaben schöne Schauspiel. Niemand – außer den beiden Indern. –
Alles still. Nur das Summen der Motoren.
Stunden waren vergangen. Die Uhr ging auf Mittag. Da traten – zugleich – Harald Dörcksen und Professor Herbst aus ihren Kabinen. Betraten den Wohnraum und – blieben verblüfft stehen. Da saß am Tisch ein Mann, ein Fremder. Und doch auch wieder kein Fremder, sondern – Harry Leakwoord! Doch jetzt ohne Bart! Frisch rasiert … Der Mann, dessen Anwesenheit sie schon fast vergessen hatten.
„Sind Sie immer noch hier?!“ rief Dörcksen. Der Abenteurer verneigte sich leicht, spöttisch.
„Da Sie mich nicht fortgeschickt haben –“
„Fortgeschickt –? Ich denke, wir waren deutlich genug. Aussetzen wollten wir Sie!“
„Und –?“ fragte Leakwoord lächelnd, als handele es sich um die einfachste Sache von der Welt.
„Und –? Sie fragen noch? Wir werden es nachholen! Bald, sehr bald.“
Harry Leakwoord schüttelte den Kopf.
„Das werden Sie nicht tun. Sie werden es sich überlegen, sich noch einmal den Gefahren solch einer Landung auszusetzen. Denn – wenn Sie mich aussetzen wollen: landen müssen Sie dazu doch wohl.“
„Eigentlich ist das viel zu viel Humanität für einen Menschen Ihres Schlages!“ mischte sich jetzt Mahadur Mirat ein, der hinzugekommen war und das Gespräch mitangehört hatte. „Einfach Klappe auf und hinaus! Aber – wir sind nun einmal keine Mörder.“
Harry Leakwoord schwieg. Mahadur Mirat betrachtete er immer noch als seinen Erzfeind. Es war ratsam, ihn nicht zu reizen. Er hatte noch ganz gut im Gedächtnis, wie ihm zumute gewesen war, als er damals an den Felsen gefesselt war, Sonne, Wetter und Wogen ausgesetzt. Wußte wohl, wozu Mahadur Mirat fähig war. Nein, lieber ihn nicht reizen. Darum schwieg er. Aber er vergaß es dem Radscha nie – das von damals.
„Übrigens –,“ fuhr Mahadur Mirat nähertretend fort, „wo ist der Bart geblieben? Frisch rasiert –?!“
Jetzt konnte sich Harry Leakwoord doch nicht enthalten, höhnisch zu grinsen.
„Rasiert, jawohl; mit Eurer Hoheit Rasierzeug. Die Kabinen standen ja während des Aufenthaltes in Japan offen und unbeachtet da.“
„So eine Frechheit! Und nachher –?“
„Steckte ich wieder in der Pelzkammer. Man hatte mich ja so schön vergessen. Die Aufregung ob der dortigen Zwischenfälle kam mir sehr gut zustatten. Zuerst hatte ich den Plan, in Japan alles aufzugeben und zu entweichen. Dann aber schien mir das doch zu riskant und ich blieb.“
„Sie werden es bereuen.“
„Kaum.“
„Doch, doch. Ich werde dafür sorgen, daß Sie vor der Ankunft in Olympia gefesselt werden. Was dann mit Ihnen geschieht, wird erst im Laufe der Zeit entschieden werden können. Soviel ich weiß, hat die Bewohnerschaft Olympias Mittel und Wege, unbequeme Menschen auf leichte Art loszuwerden.“ –
Der Tag ging hin. Schon begannen wieder Abendschatten über die Erde zu kriechen. Bald war es völlig dunkel. Aber der Himmel blieb klar. Flimmernd und funkelnd kamen die Sterne vor. Anderen Tags früh mußte das Himalaya-Gebirge bereits zu sehen sein …
Nacht … diese bedeutsame Nacht. Wer schlief? Dennoch – alles war still.
Der Morgen stieg empor …
Harald Dörcksen hatte während der ersten Hälfte der Nacht das Flugschiff geführt. Dann Gari, sein Vater aber war nicht zur Ruhe gegangen; war in der Führerkabine geblieben und hatte geradeaus gestarrt in die Nacht und auf den Morgen gewartet.
Und als es langsam, langsam hell wurde … hoben sich da im Nordwesten nicht Konturen ab? Da lag es, rosig bestrahlt vom Sonnenaufgang: das Himalaya-Gebirge. Und über den unübersehbaren Bergmassen hob sich ins strahlende Morgenlicht: der Gaurisankar, der Berg Aspasias, der Berg der Wolkenkönigin!
Er konnte es sehen, das Ziel seiner Sehnsucht, – der Sehnsucht all seiner Mitreisenden! Das duldete keine Ruhe. Er verließ die Führerkabine. Ging in den Wohnraum hinüber. Ob sonst schon jemand aufgestanden war?
Ja – flüsternde Stimmen dort … Noch war es nicht ganz hell in dem Raum. Dennoch sah Harald Dörcksen zwei Gestalten an einem der Fenster; erkannte seine Tochter und den Radscha. Hörte Hella sprechen …
„Mutter –“
Selbstvergessen kam das Wort über ihre Lippen. Mahadur Mirat legte seinen Arm um des Mädchens Schultern. Sagte leise:
„Du wirst sie wiedersehen!“
Da trat Harald Dörcksen hinzu.
„Ja, wir wollen es hoffen, meine Kinder!“
Und dann standen sie zu dreien am Fenster des Flugschiffes. Starrten hinüber zu dem ungeheuren Bergmassiv und zu ihm, dem höchsten Gipfel der Erde, dem sie zustrebten, der ihr Ziel war …
Sahen die Fluten des neuen Tageslichts höher und höher erglänzen. Dies wundervolle, überwältigende Bild … Während alle anderen noch schiefen. Sahen es, hielten sich an den Händen …
Harald Dörcksen stieß mit einem Beben in der Stimme hervor:
„So lange hat es gedauert; so lange! Nun darf nichts mehr dazwischen kommen.“
„Es wird nichts mehr dazwischen kommen,“ erwiderte Mahadur Mirat, und in seiner Stimme lag viel Zuversicht.
„Hoffen wir es!“ fügte Hella hinzu. Und weiter sahen sie nach dem Berg hinüber, dem das Flugschiff sich in rascher Fahrt näherte. Stunden noch. Wieviel wohl? Harald Dörcksen rechnete nach. Vielleicht sieben oder acht … Also heute noch! Im Licht dieses selben Tages! –
Allmählich kamen auch die anderen hervor. Alle, nacheinander. Als erster – Gari Dörcksen. Allen teilten sich die Schauer gespanntester Erwartung mit, die Harald Dörcksen, Hella und Mahadur Mirat zuerst ergriffen hatten.
Unterdessen rückte das gewaltige Gebirge näher und näher. Mit jeder Stunde veränderte sich sein Bild. Nach dem Mittagessen bot es sich schon ganz deutlich, fast seltsam.
Das Flugschiff flog etwa in eintausend Meter Höhe. Das war wenig angesichts der kolossalen Höhe jenes Gebirges. Es ragte weit, weit in den tiefblauen Himmel hinein. Dadurch wurde eine Art Sinnestäuschung hervorgerufen
Sah man zum Fenster hinaus auf die Flächen, die die Seitenabhänge des Gebirges bildeten, hatte man das Gefühl, senkrecht abwärts zu sehen, das Gefühl, als stürze man hinunter auf eine untenliegende Ebene. Und näherte sich doch wagerecht dem Gebirgshang! –
Nachmittags wurden Einzelheiten, mit dem Glas zuerst, dann auch mit bloßem Auge erkennbar. Man sah nun, daß die Abhänge, denen man sich näherte, keineswegs ein einheitlich zusammenhängendes Bergmassiv waren, sondern ein vielgliedriges, von Spalten, Schluchten und weiten Tälern durchzogenes Gebirgsland.
„Wir müssen höher gehen,“ sagte Harald Dörcksen. Tatsächlich waren die ersten vorgeschobenen Ausläufer des Gebirges bereits erreicht. Der Erfinder ließ das Flugschiff auf dreitausend Meter steigen.
Und noch eine Stunde später hatten der „Meteor“ bereits die Schneezone erreicht. – – –
Harry Leakwoord betrachtete ebenfalls mit Aufmerksamkeit all die Fortschritte der Fahrt. Er durfte in den gleichen Räumen wie all die anderen frei umhergehen. Nur – daß sich niemand um ihn kümmerte. Niemand wechselte ein Wort mit ihm. Und er – schwieg gleichfalls beharrlich. Ja, ihm schien das ganz recht so.
Niemand beachtete den Abenteurer. Nur einer. Der beobachtete ihn scharf, kontrollierte jede seiner Bewegungen. Weil er ihm nicht traute. Mahadur Mirat. Wer konnte wissen, wozu dieser Verbrecher fähig war? Wenn er endgültig eingesehen hatte, daß sein Spiel verloren war, – ob er nicht darauf sann, das Flugschiff und alle seine Insassen zu vernichten?
Aber dann wäre er ja mit zugrunde gegangen. Außerdem – Harry Leakwoord hatte die Hoffnung noch keineswegs aufgegeben. Im Gegenteil … so nahe am Ziel? Nimmermehr. –
So nahe am Ziel? Sehr nahe.
Harald Dörcksen atmete schwer. Das Flugschiff schwebte jetzt über siebentausend Meter hoch. Des Erfinders Berechnung nach mußte man bald, bald am Ziel sein.
Bald –? Noch ließ sich davon nichts bemerken. Schneemassen und Eisfelder überall. Alles weiß. Keine Unterbrechung, soweit das Auge reichte.
Wieder und wieder spähte Harald Dörcksen durch das Fernglas. Nach allen Richtungen. Ganz ernst und still war er geworden. Sollten seine Berechnungen falsch sein? Seine Berechnungen, nach denen das Flugschiff längst über Olympia schweben mußte –?
Hella, Mahadur Mirat – und auch die anderen bemerkten nacheinander die Veränderung im Wesen des Erfinders. Doch sie fragten, sagten nichts. Beobachteten ihn nur besorgt.
Und nichts geschah. Keine Veränderung des Bildes draußen zeigte sich. Vergebens das angespannte Warten auf das Auftauchen des grünen Gefildes der Seligen, des Reiches Aspasias, der Wolkenkönigin. Vergebens …
Langsam ließ Harald Dörcksen jetzt das Flugschiff seinen Weg nehmen. Es war, als schliche es nur dahin. Und hatte doch immer noch die Geschwindigkeit eines D-Zuges.
Niemand sprach ein Wort. Alle Fenster waren besetzt. Man mußte sie immer wieder abwischen. So schnell beschlugen sie. Es mußte draußen erhebliche Kälte herrschen. Hier drinnen merkte man davon nichts. Das war auch so eine geniale Erfindung Harald Dörcksens: selbsttätig erwärmten sich die Räume des Flugschiffes, der Außentemperatur entsprechend, so daß innen stets die gleiche Temperatur herrschte.
Alle Fenster waren besetzt. Niemand sprach. Die Minuten dehnten sich wie Gummi. Von jeder hoffte man, daß … Aber nichts, nichts.
Plötzlich durchbrach ein Ruf die lautlose Stille. Gari Dingra hatte ihn ausgestoßen.
„Da – dort – der Palast!“
Dörcksen, an die Kante vor dem Fenster geklammert, sah hin; hauchte:
„Ja, – ja! Das ist –“
Alle starrten sie hin. Die Freunde verständnislos, doch zutiefst besorgt.
Einige Minuten später landete das Flugschiff sanft in metertiefem, vor Frost knirschendem Schnee …
„Die Pelze! Wir werden uns sehr warm anziehen müssen,“ erklärte Harald Dörcksen, bevor die Tür des Flugschiffes geöffnet wurde. Man hatte beschlossen, daß nur der Erfinder und sein Sohn einstweilen hinausgehen sollten, um nachzuprüfen, ob –
Ja, ob das, was sie gesehen zu haben meinten, Wahrheit sei, keine Sinnestäuschung. Was hatten sie denn erblickt? Den Palast Aspasias, halbeingestürzt, mit Schnee und Eis bedeckt!
So waren sie also doch in Olympia … Es stimmte. Nur, daß in den Jahrzehnten ihrer Abwesenheit das blühende Wunderland zurückgesunken war in ewigen Winter, in Schnee und Eis, der Region entsprechend … Wodurch wohl? Das fragten sie sich vergeblich. Ein ungelöstes Rätsel …
Doch nun würden sie ja bald untersuchen können … Sie holten geeignete Pelze aus der Kleiderkammer. Dabei fiel dem Radscha wieder Harry Leakwoord ein. Mit Stricken fesselte er ihn eigenhändig; legte ihn dann auf den Boden des Raumes. Doch die Tür verschloß er nicht …
Und dann machten sich die beiden Forscher auf den Weg. Besorgt blickten die übrigen ihnen nach. Was würden sie finden. Und – würden sie ungefährdet wiederkommen oder selbst in Gefahr geraten –? Als die Tür geöffnet worden war, schlug ihnen eisige Luft entgegen. Es mußte draußen erhebliche Kälte herrschen. Und nun stapften, kämpften sich die beiden kühnen Männer dort durch den tiefen, losen Schnee.
Hinter ihnen war die Tür gleich wieder geschlossen worden. Dennoch hatte sie alle in dem Moment ein Frostschauer ergriffen.
Mahadur Mirat schlug vor:
„Wir wollen ein Thermometer hinaushängen.“
Die beiden Ausgestiegenen waren bereits den Blicken der Zurückgebliebenen durch Hügel entzogen. Des Radschas Vorschlag fand Beifall; wurde auch sogleich ausgeführt. Und als das Thermometer nach ein paar Minuten wieder hereingeholt wurde, zeigte es zweiunddreißig Grad Celsius Kälte!
Das war das mild warme Land, das paradiesische Gefilde der Seligen?? Was für Kunde würden die beiden bringen?
„Es ist Olympia,“ bestätigte Professor Herbst, und Reverend Dixon nickte dazu. „Irgendwelche Naturereignisse mögen das Land in seinen eigentlichen Zustand zurückgeworfen haben.“
„Und die Einwohnerschaft –?“ fragte jemand.
Der Professor hob die Achseln.
„Die ist dann wohl dabei allmählich – zugrunde gegangen.“
Fast nur gehaucht hatte er diese Worte. Aber Hella hatte sie doch verstanden. Sie schauderte …
Stunde um Stunde verging. Bleiern, lähmend wirkte die Stille, das Warten. Immerzu hinausstarren konnte man doch nicht. Die Augen schmerzten von der blendenden Weiße des Schnees. Zudem – bald mußten ja Dörcksen und Gari Dingra zurückkehren. Der Abend war nicht mehr fern.
Schon wurden die blauen Schatten der Bergkuppen länger und länger. Kamen denn die beiden gar nimmer? War ihnen etwas zugestoßen?
Aber dann – tauchten sie auf, durch den tiefen Schnee stapfend, keuchend. Kamen hinein ins warme Innere des Flugschiffes. Zogen die Pelze aus. Wärmten sich; tranken heißen Tee, den man schon für sie bereitgehalten hatten.
Niemand fragte, niemand wagte zu fragen. Doch aller Aufmerksamkeit war konzentriert auf die beiden, die gesehen hatten … Zu sehr war die Aufmerksamkeit aller konzentriert auf Dörcksen und Gari Dingra. Auch die Mahadur Mirats. Und plötzlich –
Plötzlich fuhr ein eiskalter Luftstrom durch den Raum. Im selben Augenblick schlug die Tür. Alle fuhren erschreckt herum.
„Da – dort –“
Wer rief? Amara. Sie hatte gesehen … Und dann sahen auch die anderen; sahen; daß dort ein Mann durch den tiefen Schnee hastete. In einen Pelz gehüllt … Harry Leakwoord! So hatte er sich also befreit und war in einem unbewachten Augenblick doch entkommen.
Mahadur Mirat preßte die Lippen zusammen. Hob den Revolver … Da legte sich eine Hand auf seinen Arm. Dörcksen.
„Wozu wir –?“ sagte er mit einem Blick auf den Fliehenden, „wozu sollen wir uns mit seinem Blut besudeln? Er hat sich selbst gestraft durch diese seine Flucht.“
Und auf des Radschas fragenden Blick:
„Von dort kommt er nicht mehr lebend zurück.“
Sie ließen ihn laufen.
Dann mußten Harald Dörcksen und Gari Dingra erzählen. Sie taten es mit ernsten Gesichtern.
Furchtbares mußte in Olympia vorgegangen sein. Vielleicht schon vor Jahren. Erdbeben oder ähnliches, danach ein Erlöschen der Wärmequellen. Alle Häuser waren zerstört. Alles dick mit Schnee und Eis bedeckt. So dick, daß selbst Spuren der Tätigkeit der früheren Bewohner nicht mehr zu finden waren. Nichts mehr. Und kein Mensch.
Wohin waren sie alle? Umgekommen in Frost und Schnee? Es konnte kaum anders sein. Schrecklicher Gedanke! Und – Aspasia. Harald Dörcksen schwieg. Hella hätte gern gefragt, wagte es jedoch nicht. Auch von den anderen forschte niemand nach der Wolkenkönigin. Der Palast war eingestürzt. Nur ein Teil der Außenmauern stand noch.
Stille herrschte im Flugschiff. Erst nach geraumer Weile unterbrochen – von Professor Herbst:
„Was nun?“
Ja, was nun? Der Traum vom Gefilde der Seligen – hier endete er.
Oder – doch nicht –??
Harald Dörcksen seufzte tief auf. Sagte mit zitternder Stimme:
„Ich möchte gern noch ein, zwei Tage hier verweilen, die Umgebung durchstreifen, bevor – bevor wir – zurückkehren. Wenn es euch recht ist …“ setzte er noch hinzu.
Es war ihnen recht. Allen. War doch aller Sehnsucht und Erwartung so groß gewesen … Tiefe Niedergeschlagenheit griff Platz. Das war nun die Erfüllung ihrer Wünsche? Schnee und Eis …
Sie blieben.
Die elektrische Heizung des Flugschiffes funktionierte tadellos. Trotz der grimmigen Kälte draußen blieb es im Innern behaglich warm. Nur durften natürlich Türen und Fenster nur für kurze Zeit geöffnet werden. –
Nacht war hereingebrochen. Noch saßen alle um den großen, runden Tisch in dem gemeinsamen Raum. Doch eine Unterhaltung wollte nicht so recht in Gang kommen. Hella fehlte am Tisch. Sie war wohl zur Ruhe gegangen.
Als Mahadur Mirat Laute von einer der nebenliegenden Kabinen herkommen hörte, erhob er sich, ging dorthin – und fand Hella schluchzend in der dunklen Kabine.
„Mutter, – Mutter –!“ flüsterte sie immer wieder. Sachte legte der Radscha seinen Arm um sie. Sagte kein Wort. Was auch hätte er sagen können, welches Wort hätte diesem Kummer gegenüber weich genug geklungen? Aber dann fand er doch eins – das einzige:
„Geliebte –!“
Da umschlang das Mädchen den Mann. Und an seiner Brust ward sie allmählich ruhiger.
So standen sie lange Zeit; reglos, wortlos. Mahadur Mirat blickte gedankenverloren durch das kleine Fenster der Kabine in die Eisnacht hinaus. Widerstrebende Gefühle durchzogen seinen Sinn. Die Trauer des geliebten Mädchens ging auch ihm zu Herzen. Und wiederum war es Glück, das er empfand bei dem Gedanken, daß dies holdselige Geschöpf nun für immer sein war …
Gedankenverloren schaute er durch das kleine Fenster in die Nacht hinaus; während Hella nach und nach ruhiger geworden war. Mit einem Mal –
„Was ist das –?“
Hatte der Radscha es nur gedacht, hatte er die Worte gehaucht? Hella hob den Kopf, sah nun auch hinaus, sah auch, was Mahadur Mirat erblickt …
„Dort – der Schein …“ flüsterte sie.
Und was war dort? Ein Feuerschein erstrahlte in der Ferne. Nicht eigentlich ein Feuerschein; matter, dunkler vielmehr, wie der Abglanz erlöschender Glut lag er auf einem fernen Schneehang.
Mahadur Mirat atmete schneller.
„Hella –“ flüsterte er hastig, „vielleicht sind Menschen dort! Vielleicht –! Wir müssen die anderen auf das Licht aufmerksam machen, müssen nachforschen.“
Sie begaben sich in den Wohnraum. Dort war man gerade beim Aufbruch zur Nachtruhe. Da kamen Hella und Mahadur Mirat herein, erzählten von ihrer Beobachtung. Begreifliche Erregung ergriff alle. Nun schaltete man das Licht aus. Alle spähten durch die Fenster in der von dem Radscha bezeichneten Richtung. Und – alle bemerkten nun auch den matten, rötlichen Schein in der Ferne.
„Wir müssen hin; nachsehen, was es ist, woher dieser leuchtende Glanz kommt!“ rief der Radscha. Doch Harald Dörcksen riet ab.
„Nein, nicht jetzt in der Nacht. Das ist zu gefährlich. Felsspalten, die damals nicht da waren, haben sich gebildet, sind vereist, mit Schnee überweht. Es geht nicht. Wir kämen nie hin. Nur am Tage ist’s zu machen. Wir wollen uns die Richtung genau merken und morgen früh aufbrechen.“ –
Alle begaben sich nun zur Ruhe. Aber schlafen konnten sie nur wenig. Die Gedanken an den nächsten Morgen und an den Gang nach dem geheimnisvollen Feuerschein hielt sie wach. So dehnte sich ihnen die Nacht schier endlos. Und als endlich langsam, langsam der Morgen heraufdämmerte, waren schon alle munter.
Rasch wurde das Frühstück bereitet und eingenommen. Es war bereits später, als sie anfänglich geglaubt hatten. Leichter Nebel verhüllte die Sonne, hüllte auch die ganze Landschaft ein.
„Wer wird nun den Weg machen?“ fragte Mahadur Mirat. Natürlich waren alle mit Eifer dazu bereit. Doch Harald Dörcksen hielt für besser, wenn nur wenige – vielleicht drei – die Tour unternähmen, die übrigen im Flugschiff blieben.
Nach kurzer Beratung einigte man sich, daß Mahadur Mirat, Harald Dörcksen und Hella gehen sollten. Das Mädchen, von einem dunklen Drang getrieben, wollte durchaus mit von der Partie sein. Ließ sich selbst durch die Aussicht, stundenlang in grimmiger Kälte durch tiefen Schnee waten zu müssen, nicht davon abschrecken.
So wurde denn auch sie in Pelze gehüllt, und man brach auf, von den besten Wünschen der Zurückbleibenden begleitet. Wortlos stapften die drei eine Zeitlang nebeneinander her. Harald Dörcksen voran. Mit einem langen, derben Stock mit einer Eisenspitze prüfte er den Boden, ob er gangbar war. Mehr als einmal mußten tiefe, klaffende Spalten im Bogen umgangen werden.
Dann hob Hella die Rechte, deutete geradeaus, sagte:
„Dort an der großen Schneewand war es …“
Aber Mahadur Mirat schüttelte den Kopf.
„Das ist keine Schneewand, das Weiße, das du da vor uns aufsteigen siehst, Liebste. Das ist – Nebel.“
„Nebel –?“
„So ist es,“ bestätigte Harald Dörcksen,“ und wir wollen nur hoffen, daß er sich bald lichtet oder hebt.“
Schweigend schritten sie wieder eine Weile weiter. Kämpften sich keuchend durch den Schnee. Hella hielt tapfer mit.
Der Nebel lichtete sich weder, noch hob er sich. Im Gegenteil. Die weiße, undurchsichtige Wand schob sich näher und näher heran. Und langsam begann auch die Wanderer bereits Nebel zu umgeben. Er senkte sich nicht von oben herab, stieg nicht vom Boden auf; es war, als verdichte sich die Luft. Zugleich begann die Kälte empfindlich zuzunehmen.
„Ich glaube, wir täten gut, umzukehren,“ meinte Harald Dörcksen, „noch sind wir vom Flugschiff nicht allzu weit entfernt. Und es dünkt mich doch sicherer, das Klarwerden des Wetters im „Meteor“ abzuwarten.“
Drehte sich während dieser Worte um, blickte zurück … Die beiden anderen erschraken vor dem plötzlich veränderten Gesichtsausdruck des Erfinders. Blickten sich nun auch um. Da sahen sie den Grund. Das Flugschiff – war nicht mehr zu erkennen. Auch hinter ihnen lag dichter Nebel. Schob sich auf sie zu.
„Wir müssen zurück, sonst –“
Dörcksen brach ab. Schweigend begannen sie den Rückweg, schneller als vorher. Mit unheimlicher Geschwindigkeit ballte sich die grauweiße Masse zusammen. Nicht mehr Nebelwände, die ihnen gegenüberstanden, sahen die Wanderer; sie waren bereits völlig eingeschlossen. Kaum fünf Schritte weit konnten sie noch sehen. Aber – die Richtung zum Flugschiff war ihnen ja doch sicher; ihre eigenen Spuren im Schnee konnten sie zurückführen.
„Wind kommt auf,“ sagte Mahadur Mirat, während sie ausschritten. So war es. Schon trieb der Nebel in Schwaden, riesigen Wolken gleich. Aber er wollte nicht lichter werden. Immerhin war doch dies Aufspringen frischen Windes gute Aussicht auf baldige Klärung der Luft. Harald Dörcksen wollte schon vorschlagen, man solle nicht zum Flugschiff zurückkehren, sondern ruhig weiter vordringen und das Aufklaren einfach abwarten. Doch ehe er diesen Vorschlag äußern konnte, trat ein Ereignis ein, das ihn davon Abstand nehmen ließ.
Ein neuer, heftiger Windstoß brachte – Schnee. Feinste Flocken fielen in großen Mengen, dicht, gejagt von eisiger, scharfer Luft. Unwillkürlich waren die drei stehengeblieben, wandten sich vom Wind ab, der ins Gesicht schnitt. Es war bitterkalt geworden.
„Ein Schneesturm in dieser Höhe!“ rief Harald Dörcksen. „Nun sei der Himmel uns gnädig!“
„Wir müssen vorwärts; dürfen um keinen Preis im Schneesturm unterwegs bleiben!“ sagte Mahadur Mirat bestimmt.
„Vorwärts, ja, – aber wohin?“
„Gleichgültig; nur vorwärts, nur Bewegung, damit der weiße Tod nicht kommt.“
Der weiße Tod …! Nun war es ausgesprochen, das Wort des Grauens, der Schrecken der Bergwelt. Ein Entsetzensschauer jagte durch die Hirne derer, die dem Wüten der Elemente nun schutzlos preisgegeben waren.
Vorwärts … vorwärts hasteten, keuchten die drei. Der Sturm umsauste sie in Wirbeln. Bald kam er von dieser, bald von jener Seite, so daß sie nicht einmal nach seiner Richtung die eigene bestimmen konnten.
Und Schnee überall. Staubfeiner Schnee, der schmerzhaft im Gesicht brannte, das Sehen fast unmöglich machte. Wohin sie sich auch wandten, – stets war es das gleiche.
Mahadur Mirat hatte die Führung übernommen. Stapfte voran. Er hielt Hella an der Hand, diese wiederum ihren Vater. So kämpften sie sich weiter. Schritt um Schritt. Wohin, das wußten sie schon längst nicht mehr.
Nach einer Weile blieb der Radscha stehen; sagte:
„Wir müssen uns in der Nähe einer Felswand befinden. Ich schließe das aus den Wirbelbewegungen des Sturmes. Wenn wir sie erreichen könnten …“
Sie blickten umher. War nicht an der Stelle dort die Luft ein wenig dunkler? Vielleicht lag dort die Wand. Mahadur Mirat bezeichnete die Richtung. Die drei setzten sich wieder in Bewegung, kämpften weiter gegen den Sturm, Schritt für Schritt den Boden untersuchend, ob nicht irgendwo tückische Spalten lauerten.
So kamen sie dennoch voran, wenn auch nur ganz langsam; kamen weiter, obwohl das Toben des Sturmes fast von Minute zu Minute heftiger, die Schneeschwaden dichter wurden. War noch Hoffnung auf Rettung –? Hella hielt sich tüchtig; aber schon erlahmten ihre Kräfte; schon kroch sie eine lähmende Furcht an, sie könne plötzlich zusammenbrechen. Sollten ihre beiden Begleiter dann noch ihre Last mitschleppen? Das war kaum denkbar bei diesem Unwetter.
Pfeifend ging ihr Atem. Ihre Kehle war trocken. Ihre Knie zitterten. Wie gern hätte sie einmal haltgemacht; einmal nur eine kurze Weile. Aber sie schwieg, zwang sich mit letzter Energie zum Weiterschreiten, weil sie genau wußte, wie gefährlich es werden konnte, jetzt Rast zu machen.
Immer schwerer wurde ihr das Gehen. Ihre Beine – sie fühlte sie kaum noch. Merkte Mahadur Mirat, was mit ihr vorging? Es schien so. Er faßte sie fester; trug sie schon halb. Sie selbst merkte davon nichts.
Und das Unwetter tobte weiter.
Seltsam – das schmerzhafte Brennen des schneidenden Frostes ließ nach. Hella fühlte es nicht mehr; fühlte überhaupt nichts mehr. Eine eigentümliche Wohligkeit überkam sie. Nur der Wunsch, stillzustehen, auszuruhen, blieb. Jetzt war es ihr, als hätte sie nicht mehr pulsierendes Blut in den Adern, sondern dicken, fühllosen Brei. Das dies die Wirkung der Todeshand war, die schon auf ihr lag, kam ihr nicht zum Bewußtsein …
Mit einem Mal aber … Ah, endlich, sie lag im Bett, in einem fremden, unendlich großen, weißen Bett. Ah, die tiefen, weichen, linden Federn –! Dann – schlief sie ein.
Hella Dörcksen erwachte. Ganz allmählich kam das Bewußtsein ihr wieder. Zu allererst das Gefühl eines körperlichen Schmerzes. Die Handgelenke taten ihr weh; brannten wie Feuer. Aber noch keine Erinnerung …
Wo war sie nur? Rundum alles halbdunkel. Hart das Lager. Aber warm. Alles ringsum war schön warm. Der Boden, auf dem sie lag, auch die Luft.
Dann drang eine verhaltene Stimme an ihr Ohr:
„Gottlob – es ist gelungen!“
War das nicht die Stimme ihres Vaters? Nun schlug sie die Augen voll auf … Eine Höhle war das, in der sie sich befand. Mattes Licht, von dem man nicht hätte sagen können, woher es kam, herrschte. Es war jedoch nur so gering, daß sie die Gesichter der Anwesenden sicherlich nicht erkannt hätte, wenn es nicht ihr so vertraute Gestalten gewesen wären.
Neben ihr saß ihr Vater. Dahinter stand Mahadur Mirat. Beide blickten besorgt zu ihr nieder.
„Vater –“ kam es matt von ihren Lippen.
„Ja, mein Kind,“ entgegnete der und beugte sich über sie. „Wie ist dir?“
„Ach, gut – nur die Handgelenke –“
Harald Dörcksen nickte.
„Schmerzen wohl? Ja, wir mußten sie lange reiben, den Puls massieren. Sonst wärst du hinübergegangen in das Reich, aus dem es keine Wiederkehr gibt …“
„Was war mit mir? War ich krank?“
„Nein. Entsinnst du dich nicht unseres Marsches durch den Schneesturm?“
„Ja – nach ja – nun weiß ich wieder alles. Ganz seltsam war es. So wohlig wurde mir … und dann bin ich wohl mitten im Gehen vor Müdigkeit eingeschlafen.“
„Nicht vor Müdigkeit. Das war der Frost, Hella. Dein Blut begann zu erstarren. Nicht viel hätte gefehlt, und du wärest verloren gewesen. Aber nun ist doch noch alles gut gegangen!“
„Was ist das für ein seltsames Pfeifen, Vater?“
„Sturm. So heult Sturm im Gebirge.“
„Und wo sind wir?“
„Laß dir erzählen. Du entsinnst dich also unseres Marsches durch den Schneesturm –“
„Ja, Vater, jetzt ganz deutlich!“
„Gut also. Als du umsankst – wir wußten sofort, was es bedeutete. Höchste Gefahr für dich. Mahadur Mirat hielt dich im Arm –“
„Geliebter –!“ flüsterte Hella mit innigem Blick auf den Radscha. Dörcksen sprach weiter:
„– hielt dich im Arm … Einen Moment blickten wir ratlos im Kreis in das tobende Wetter. Sturm, jagende Schneemassen, Schneeberge überall. Wenn kein Wunder geschah … Nun, es geschah kein Wunder. Oder war es doch eins, daß wir just in diesem Augenblick höchster Not die lang ersehnte Felswand erblickten –? Kurz, dunkelgrau schimmerte sie durch den Schneewust. Wir kämpften uns mit letzter Kraft bis zu ihr durch, fanden den Eingang zu einer Höhle und zugleich – eine neue, große Überraschung.
Wärme strömte uns aus dem Innern der Höhle entgegen, und der Schnee, der dort hineinwehte, schmolz am Boden! Wir trugen dich hinein, fanden, daß der Gang bald rechtwinklig abbog und in diese große, windgeschützte Höhle führte. Hier legten wir dich nieder. Das war nun vor etwa einer Stunde. Machten die ganze Zeit hindurch Anstrengungen, dich am Leben zu erhalten.“
„Bis jetzt –?“
„Bis jetzt. Bis du die Augen aufschlugst. Nun wollen wir schlafen. Das wird uns allen gut tun.“
„Und das Wetter –?“
„Tobt nach wie vor. Wir müssen abwarten, bis es sich gelegt hat – was ja einmal geschehen muß.“
„Woher kommt die Wärme in dieser Höhle?“
„Ist wohl ein Rest der einstigen Wärme Olympias. Das ganze Land war damals so. Du weißt es ja. Wie diese Veränderung vor sich gegangen ist, ist mir noch nicht klar. Nun aber wollen wir schlafen, Kind. Der Ort ist geschützt und warm. Der Schlaf wird uns gut tun, wenn wir auch als Unterlage auf dem Gestein nichts anderes als unsere Pelze haben. Doch der Boden ist ja auch warm.“
Hella umarmte ihren Vater, umschlang dann auch Mahadur Mirat und küßte ihn.
„Liebste,“ flüsterte der Radscha, „soviel müssen wir erdulden!“
Doch sie entgegnete mit einem zarten Lächeln:
„Was tut das, wenn wir es zusammen erdulden?!“
„Hast recht!“
Und wieder küßten sie sich. Dann machten alle drei sich das Lager aus Pelzen so bequem, wie es nur irgend gehen wollte. Es dauerte kaum wenige Minuten, da waren sie fest eingeschlafen. Alle drei. Nach all den Strapazen dieses Tages kam ein tiefer, traumloser Schlaf über sie. Stunden und Stunden … –
Hella erwachte; hörte leise Worte. Harald Dörcksen und Mahadur Mirat, die sich gedämpft unterhielten. Es war stockfinster. Nicht das geringste zu sehen.
„Vater!“
„Ja, Kind.“
„Ich hörte, daß ihr wach seid.“
„Ja. Hast du gut geschlafen?“
„Sehr. Jetzt ist wohl Nacht?“
„Ja. Noch etwa zwei Stunden. Willst du etwas essen, Kind? Obwohl, viel ist nicht mehr da.“
„Aber doch noch etwas? Gut – gib. Habt ihr kein Licht?“
„Ja, Taschenlampen; doch wir wollen mit dem Strom sparsam umgehen.“
Der Erfinder ließ das Licht seiner Taschenlampe aufflammen, stellte sie auf den Boden. Mahadur Mirat reichte Hella etwas Büchsenfleisch, ein paar Zwiebacke. Sie aß. Ordentlich Hunger hatte sie schon.
„Trotzdem ich gut geschlafen habe, bin ich immer noch etwas müde,“ sagte sie dann; „ich glaube, daß ich noch bis zum Morgenanbruch weiterschlafen könnte. Nun ich gegessen habe …“
„Gewiß, versuch es nur. Ich möchte es auch tun,“ entgegnete Mahadur Mirat. Und zu Harald Dörcksen gewendet: „Was meinen Sie dazu?“
Der Erfinder nickte.
„Bin durchaus der gleichen Meinung. Schlafen ist das beste. Was sollten wir wohl sonst in den zwei Stunden bis zum Hellwerden beginnen?“
Worauf die drei sich wieder hinlegten, und Dörcksen das Licht der Taschenlampe löschte.
Und dann …
Dann wachten sie abermals auf, einer nach dem anderen, doch ziemlich zu gleicher Zeit, riefen einander an – denn es war noch genau so stockfinster wie vordem.
„Wie spät mag es sein? Mir ist, als hätte ich stundenlang geschlafen. Ich fühle mich völlig frisch. Aber es scheint doch noch Nacht zu sein,“ sagte Hella. Worauf Harald Dörcksen das Licht der Taschenlampe aufflammen ließ, einen Blick auf die Uhr warf und …
„Was ist das –?!“
„Was, Vater?“
„Wenn meine Uhr noch richtig geht – und daran kann ich eigentlich nicht zweifeln – müßte es längst hell sein. Es ist acht Uhr!“
Sie schwiegen alle drei. Kam ihnen allen der gleiche, lähmende Gedanke? Es war wohl so. Mahadur Mirat sprang auf, schaltete auch seine Taschenlampe ein, eilte vorwärts, dem Ausgang der Höhle zu.
Wassergeriesel hier und da … Dann gar Wasserlachen … Jetzt war der Radscha an der Stelle angelangt, wo der Gang rechtwinklig umbog. Er schritt um die Ecke und sah – sah, daß der Ausgang völlig verweht war mit Schnee! Sehr dick mußte die Schicht sein, so daß kein einziger kleinster Lichtstrahl hindurch seinen Weg fand.
Eine ganze Weile stand Mahadur Mirat davor. Kehrte dann langsam um, den Freunden die Kunde zu bringen – diese erschreckende Kunde.
Alle drei begaben sich dann an den versperrten Ausgang. Hella meinte einfach:
„Hinausgraben!“
Der Radscha nickte.
„Gewiß, versuchen können wir’s ja. Obwohl ich mir davon nicht viel verspreche.“
„Wieso nicht?“
„Wenn es uns gelänge, hinauszukommen, wie würden wir es draußen finden? Würde es uns möglich sein, den Weg nach dem Flugschiff durch die ungeheuren Schneemassen in allen Bodensenkungen zu nehmen? Ohne Hilfsmittel?“
„Dennoch,“ entschied Dörcksen, „versucht muß es werden.“
„Allerdings, da es ja die einzige Möglichkeit ist. Aber – zuvor noch etwas anderes. Ich sah vorhin, daß von der großen Höhle aus ein Gang weiterführt. Ich bin dafür, daß wir erst einmal untersuchen, wohin der geht. Vielleicht …“
Harald Dörcksen, nachdenklich Mahadur Mirats Gesicht betrachtend:
„Sie haben einen besonderen Grund –?“
Und der Radscha, zögernd:
„Ja – ein seltsam ahnendes Gefühl …“
„Gut, dann also –“
Sie kehrten in die große Höhle zurück, hielten noch eine knappe Mahlzeit, nahmen die Pelze auf und begannen die Wanderung. Hier war es angenehm warm. Wände, Boden und Luft. Mahadur Mirat ging mit der einen Taschenlampe voraus. Die Batterien beider waren nicht mehr frisch, und Ersatz hatten sie nicht dabei. Deshalb brannten sie nur die eine.
Die Nahrungsmittel … Das war das Bedenklichste. Jetzt waren für jeden nur noch zehn, zwölf Zwiebacke und etwa ein Viertelpfund Büchsenfleisch vorhanden. Wenn das aufgezehrt war … Aber die drei dachten nicht daran. Keiner. Sie schritten schweigend im Gänsemarsch. Zuerst Mahadur Mirat, dann Hella, zum Schluß Harald Dörcksen. So wanderten sie von der großen Höhle aus in den schmalen, stockfinsteren Gang hinein, der sich weiter ins Gebirge hineinbohrte.
Die Wärme im Innern dieser Höhle brachte wohl ständig etwas von dem Schnee, der den Ausgang bedeckte, zum Schmelzen. Davon zeugten schon die Wasserlachen. Nun aber begann bereits Wasser in einem kleinen Bächlein in das abwärts gesenkte Innere der Höhle zu fließen. Auch den Gang entlang lief es, den die drei nun weiter verfolgten.
Er neigte sich sanft abwärts. Sein Boden war nahezu glattes Gestein. Die Breite betrug kaum einen Meter, die Höhe jedoch über zwei. So gestaltete sich die Wanderung keineswegs unbequem.
Plötzlich – ein Klirren. Harald Dörcksen stieß unterdrückt einen Fluch aus.
„Verwünschtes Pech!“
Die Taschenlampe war ihm aus der Hand geglitten, das Schutzglas sowohl, als auch die Glühbirne auf dem Steinboden zertrümmert! Nun war nur noch eine Lampe zur Verfügung, denn Ersatzbirnen hatten sie nicht bei sich. Die Batterie in Mahadur Mirats Leuchtstab war nahezu verbraucht. Sie leuchtete nur noch schwach und mit jeder Minute schwächer und schwächer. Darum wechselte der Radscha sie mit der aus Harald Dörcksens Lampe, die noch ein wenig frischer war, aus.
Dann gingen sie weiter. Mahadur Mirat sagte:
„Wir können den Strom ruhig restlos verbrauchen und so weit vordringen, wie er reicht. Den Rückweg finden wir dann auch im Dunkeln. Der Gang weist ja keinerlei Abzweigungen auf. Verirren ist also nicht möglich.“
Nach ein paar weiteren Minuten aber flackerte das Licht und erlosch dann ganz. Die Batterie war verbraucht.
„Hm – ein bißchen früh,“ brummte Harald Dörcksen, „ist aber nichts zu machen. Müssen dann schon umkehren. Den Gang im Dunkeln weiter verfolgen zu wollen, ist doch zu riskant.“
Im dem Augenblick packte Mahadur Mirat den Erfinder am Arm.
„Dort – seht dort!“
Hella und Harald Dörcksen sahen geradeaus den Gang entlang ins Dunkel hinein. Da schimmerte am Ende, noch ziemlich weit entfernt, ein matter, kaum wahrnehmbarer rötlicher Lichtschimmer.
„Licht –?“ murmelte der Erfinder. „Vielleicht nur eine Täuschung. Unsere Augen sind an das Licht der elektrischen Lampe gewöhnt und reflektieren nur …“
„Nein, nein, das glaube ich nicht,“ gab der Radscha zurück in seltsamer Erregung, „es ist –“
„Siehst du es auch, Hella?“ unterbrach Dörcksen seine Tochter.
„Ja – ja,“ hauchte das Mädchen. Alle drei waren von dem Anblick des fernen Lichtschimmers seltsam ahnungsvoll erregt.
„Dann wollen wir doch dem Gang weiter folgen, – auch ohne Beleuchtung?“ fragte Harald Dörcksen.
„Ja.“
„Aber dann – äußerste Vorsicht!“
Sie setzten sich wieder in Bewegung. In der Reihenfolge wie vorhin: Mahadur Mirat voraus, dann Hella, zum Schluß Harald Dörcksen. Der Radscha ging jetzt ganz langsam, jeden Schritt mit dem Fuß vorher abtastend.
Fieberhafte Spannung hatte alle ergriffen. Aber hätte man sie gefragt, aus welchem Grund, – sie hätten es nicht anzugeben vermocht. Vorwärts, nur vorwärts. Daß sie nicht unvorsichtig schnell weitereilten, bewirkte nur des Radschas Besonnenheit.
Nach einer weiteren Viertelstunde war es den Dreien schon zweifelsfrei klar, daß sie sich nicht getäuscht hatten. Der Lichtschein blieb, nahm sogar an Stärke zu, je mehr sie ihm nahekamen.
Die Füße traten oft in Wasser. Ein richtiger kleiner Bach plätscherte den Gang entlang, überholte sie, lief ihnen voraus. Schneeschmelzwasser. Es schmeckte klar und, obwohl es keineswegs kalt war, doch erfrischend. Man konnte davon trinken, so oft man wollte. Dies und die Spannung, in der sich die Drei befanden, ließ sie völlig vergessen, daß sie nichts mehr zu essen hatten.
Wie ein leuchtender Nebel war es, was dort vorn lagerte. Nach und nach erkannten sie ganz deutlich: rötliche Dämpfe wallten.
Was mochte das sein? Was erwartete sie dort?
Wortlos eilten sie weiter. Jetzt hatte selbst Mahadur Mirat seine Vorsicht beinahe vergessen. Indessen, kein unliebsamer Zwischenfall ereignete sich. Der Boden des Ganges blieb nach wie vor eben, wies nur wenig Rauheiten auf. Die Füße plätscherten in dem lauen Wasser des Schmelzbaches.
Und näher kamen die rotleuchtenden Nebel …
Und immer wärmer ward es in dem Gang …
Bis mit einem Mal die Wand zur Linken des Ganges aufhörte. Da bot sich den dreien ein Bild, so überraschend, so grandios phantastisch, daß sie mit Ausrufen des Staunens zugleich wie gebannt stehenblieben. Was sie sahen – – –
Im Flugschiff herrschte nicht geringe Besorgnis.
„Der Nebel wird immer dichter,“ sagte Professor Herbst, „wenn den dreien nur nichts zustößt!“
Die waren schon lange den Blicken der ihnen nachsehenden Freunde entschwunden. Eigentlich hatte man im Flugschiff erwartet, daß jene angesichts der Gefahr, die der starke Nebel für sie bedeutete, zurückkehren würden. Aber sie kamen nicht.
Dann setzte Sturm ein und Schneegestöber. Die Besorgnis der Zurückgebliebenen um die Ausgezogenen ward immer größer. Und das Schneegestöber dichter und dichter. Der Sturm heulte. Durch die Fenster war nichts mehr zu erkennen. So dicht fiel der Schnee. Fast ganz dunkel war es im Innern des Flugschiffes. Man mußte Licht brennen, wollte man lesen oder sonst etwas tun. Aber niemand verspürte Lust dazu. Tiefe Niedergeschlagenheit hatte sich aller bemächtigt. Das war nun Olympia! Das Gefilde der Seligen, das sie alle so sehr ersehnt hatten, dessen Erreichung sie mit soviel Gefahren und Strapazen erkauft hatten!
Und wer mochte wissen, was noch bevorstand! Drei von ihnen, Mahadur Mirat, Hella und Harald Dörcksen, waren draußen in dem Unwetter. Ob sie das überstehen würden? Ob sie sie wiedersehen würden, die drei, die doch eigentlich das Zentrum ihres Bundes waren?
Der Sturm heulte und tobte. Schnee jagte, fiel so dicht, als wenn Frau Holle ihre Betten schütteln würde, häufte sich zu Bergen. Bis zum späten Abend hielt das Unwetter an; hörte auch nicht auf, als man sich endlich zur Ruhe begab.
Sie fanden nur wenig Schlaf in dieser Nacht. Immer störte sie das Toben des Sturmes, der nicht aufhörte. Immer mußten sie an die Drei dort draußen denken. Denn – war noch zu hoffen, daß jene lebten, daß sie dem Unwetter entronnen waren. Kaum.
Dann, am nächsten Morgen kam die neue Überraschung. Das Toben des Sturmes hatte aufgehört. Alle waren gegen Morgen eingeschlafen. Aber als sie aufwachten, war es immer noch stockdunkel im Flugschiff. Das elektrische Licht wurde eingeschaltet, ein Blick auf die Uhr zeigte … neun Uhr vorbei?! Es hätte längst hell sein müssen.
Die Fenster – wie weiße Scheiben. Schnee lag draußen. Gari Dingra versuchte die Tür zu öffnen. Sie ließ sich nur einen ganz kleinen Spalt weit aufschieben, und herein drangen Kälte und Schnee. Draußen lag eine kompakte Masse, die nicht nachgab.
„Das Flugschiff muß völlig unter Schnee begraben sein,“ sagte Reverend Dixon. So war es wohl wirklich.
„Wenn wir wenigstens die Tür aufbekämen!“ meinte Gari Dörcksen.
„Was wäre damit erreicht?“
„Nun, man könnte doch allmählich einen Gang ins Freie schaufeln.“
„Und wo sollte man die weggeräumten Schneemassen lassen? Im „Meteor“ vielleicht?“
Gari Dörcksen schwieg betroffen. Daran hatte er nicht gedacht. Nein, so ging es nicht.
Langsam, eintönig schritt die Zeit voran. Untätig, niedergeschlagen saßen alle herum.
Endlich erhob sich Gari Dingra. Sagte entschlossen:
„Etwas muß doch getan werden! Wenn Hella, Harald und der Radscha noch am Leben sein sollten und das Flugschiff suchten, fänden sie es ja nicht einmal.“
Und er ging in eine der Vorratskammern. Die anderen hörten ihn dort herumrumoren. Was hatte er vor? Sie waren neugierig, fragten; doch er gab keine Antwort. Einmal nur, als sie heftiger in ihn drangen, sagte er:
„Geduld! Erst muß ich sehen, ob das, was ich mir ausgedacht habe, durchführbar ist.“
Wenig später kam er hervor; hatte eine kurze, derbe Eisenstange in der Hand, die an einem Besenstiel befestigt war, und mehrere Meter isolierten Kupferdrahtes. Mit gespannten Blicken verfolgten alle sein Tun. Gari Dingra sagte zu Gari Dörcksen:
„Sahib Dörcksen, du weißt am besten mit den Maschinen des „Meteor“ Bescheid. Nimm einmal das andere Ende dieses Leitungsdrahtes und schließe es an einen der elektrischen Motoren an.“
Gari Dörcksen folgte dem Wunsch des Inders, schaltete den Motor dann ein.
„Achtung, nicht berühren!“ rief Gari Dingra mit einem Blick auf das am Besenstiel befestigte Eisen. Das – wurde binnen kurzem rotglühend! Gari Dingra näherte sich der Tür, drückte sie auf, so gut es ging, etwa zehn Zentimeter weit, und steckte dann das glühende Eisen hinaus in den Schnee. Lautes Zischen. Dampf wallte auf. Eine einzige Wolke nur, die schnell verflog. Dann war das rote Glühen des Stabes verschwunden.
Aber die Hitze des elektrischen Stromes, die der Kupferdraht in den Stab leitete, mußte sich ja immer gleichbleiben. Nun begannen die anderen zu ahnen, was Gari Dingra vorhatte.
Der Schnee rings um den elektrisch geladenen Stab schmolz. Gari Dingra hatte unten am Fuß der Tür begonnen. Der Schnee schmolz. Das Wasser versickerte sofort in der darunter liegenden Schneeschicht. Zwar gefror es da in den nächsten Minuten gleich wieder zu Eis, doch was schadete das?
Allmählich bekam Gari Dingra auf diese Weise einen freien Raum hinter der Tür. Sie ließ sich öffnen. Nun war das Arbeiten schon leichter. Abwechselnd hielten nun Gari Dingra und die beiden anderen Inder die Holzstange mit dem glühenden Stab daran, fuhren damit im Schnee hin und her. Und immer mehr schmolz; immer größer ward der freie Raum vor der Tür. So konnten sie wohl im Laufe von Stunden einen Ausweg aus dem Schneeberg schaffen.
Das Schmelzwasser floß herunter und gefror unter ihren Füßen zu einer Eisschicht. Dadurch fanden die Arbeitenden zugleich festen Halt.
Stunde um Stunde verging. Es gab einen richtigen kleinen Tunnel. Länger und länger wurde er. Schon hatten Professor Herbst, Reverend Dixon und Gari Dörcksen in das Werk eingegriffen und abwechselnd mitgeholfen.
Die Stunden gingen bei dieser Beschäftigung rasch dahin. Amara verfolgte mit Interesse die Arbeit der Männer. Auch ihr wurde die Zeit nicht lang. Eins aber übertönte im Innern dieser Menschen doch alles andere: die Sorge um Hella, Harald Dörcksen und Mahadur Mirat.
Durfte man auch nur noch einen Schein von Hoffnung hegen, daß jene dem entsetzlichen Schneesturm entronnen seien, ihn gut überstanden hätten? War das überhaupt denkbar? Es hätte sich schon um ein Wunder handeln müssen. –
Die Männer ließen eine Arbeitspause eintreten. Eine Mahlzeit wurde eingenommen. Aber niemandem von ihnen mundete es so recht. Wer mochte wissen, ob die da draußen nicht hungerten und froren, ja, vielleicht gar bereits erfroren waren!
Dennoch, etwas aß man. Der Körper machte seine Rechte energisch geltend. Dann aber ging’s unverzüglich wieder an die Arbeit. Nun war der Schneetunnel schon fast fünf Meter lang. Und so hoch und breit, daß ein Mensch bequem aufrecht hindurchgehen konnte. Sein Boden war glattes, festes Eis, aus dem Schmelzwasser entstanden. Die Methode Gari Dingras hatte sich glänzend bewährt.
Aber – wie dick war noch der Schneeberg? Doch – wozu darüber nachgrübeln? Frisch an die Arbeit! Was wurde, konnte man schon sehen, wenn es soweit war.
Und wieder machten sich die Männer mit Feuereifer abwechselnd ans Werk. Schon zweimal hatte der Leitungsdraht verlängert werden müssen.
Plötzlich – die elektrische Lampe, die den Arbeitenden in dem Schneetunnel leuchtete, mußte man einen Augenblick erlöschen lassen zur Einsetzung einer neuen Trockenbatterie – da sah Gari Dingra plötzlich ganz winzig feine Lichtstrahlen durch den Schnee sickern! Ah, man mußte bald hindurch sein.
Und ohne weiteres stieß Gari Dingra kräftig mit dem Fuß in die Schneemasse. Sie gab nach! Tageslicht flutete herein! Hier, am äußeren Rand war der Schnee noch ganz locker, ließ sich leicht beseitigen. Und bald lag der Zugang zu dem Schneetunnel frei da.
Draußen war prächtiges Wetter, – wenn auch kalt. Blau der Himmel, Sonnenschein und völlig windlose Luft. Alle hatten sich rasch warm angezogen und tummelten sich tief aufatmend im Freien.
Da sahen sie nun erst, in was für einem Schneeberg der „Meteor“ begraben lag. Mindestens vier Meter dick häufte er noch über dem Flugschiff. Und die Landschaft ringsum, – wie war sie verändert! Überall riesige Schneewehen; dafür an anderen Stellen, besonders da, wo weite Felsplateaus sich dehnten, spiegelglatt gefegte Flächen. So hatte der Sturm gehaust.
Vor allem aber spähten die Reisenden nach den Ausgezogenen aus. Doch vergeblich. Nichts war zu sehen weit und breit. Noch war eine Stunde bis Sonnenuntergang. Und dann –? Was sollte dann werden?
Nach den dreien suchen, war in jedem Fall zwecklos. Spuren konnte man nicht zu entdecken hoffen. War doch längst alles verweht. Was aber, wenn jene nach Einbruch der Dunkelheit kamen. Den Eingang des Schneetunnels würden sie am Tage kaum aus der Ferne sehen können, geschweige denn abends.
Professor Herbst war es da, der zuerst auf eine gute Idee kam. Die dann auch ausgeführt wurde. Solange es hell war, sollten alle ständig die Umgebung beobachten, soweit sie sich ihren Augen bot, um – falls sie die drei in der Ferne sichteten – ihnen Signale zu geben. Als dann Dämmerung hereinzubrechen begann, stellten sie in der Nähe des Eingangs zu dem Schneetunnel eine lange Holzstange auf, an deren Spitze sie eine Laterne befestigten. Dies Signal mußte weithin sichtbar sein.
Dennoch wich die Trauer nicht aus den Herzen. Gewiß, noch hofften sie, aber …
Es ward dunkel. Nichts hatte sich ereignet. Alle zusammen saßen wieder um den Tisch in der behaglich durchwärmten Wohnkabine. Doch ohne Tätigkeit, fast auch ohne ein Wort zu sprechen. Von Zeit zu Zeit lief einer von ihnen hinaus, nachzusehen … Immer kam er mit niedergeschlagener Miene zurück. Wieder nichts …
Und allmählich tauchte in ihren Gedanken die Frage auf: Was soll werden, wenn jene drei nun wirklich nicht mehr kommen? Sollen wir dann ohne sie abfahren?
Aber dann – dann schlug mit einem Mal alles um. Gari Dörcksen war wieder einmal hinausgegangen. Da sah er – sah drei dunkle Gestalten sich nahen. Sie schienen erschöpft, schritten nur langsam aus. Zwei von ihnen gingen voran, die dritte Gestalt, eine Frau, hinterher. Und die beiden Vorangehenden trugen, wie es schien, eine schwere Last.
Sie kamen!!
Die Wand zur Linken des Felsenganges hörte mit einem Mal auf. Hella, Harald Dörcksen und Mahadur Mirat blieben überwältigt stehen. Ein Anblick bot sich ihnen – überraschend, grandios, von ungeheuerlicher, schier unglaublicher Phantastik.
Eine riesige, weite, hohe, mattrot erhellte Höhle. Zugleich ein Abgrund voll schwarzer, rot glühender Schlacken, zwischen denen blaue Flämmchen einherhuschten. Sehr warm war es hier. Der kleine Schmelzwasserbach, der am Grund des Felsenganges die drei begleitet hatte, ihnen vorausgeeilt war, mündete hier, stürzte als kleiner Wasserfall in die Gluten, verdampfte da sofort zischend. Das waren die rötlichen Nebel, die man schon aus der Ferne gesehen hatte. Als Decke wölbte sich über dieser riesigen Höhle wuchtiges Gestein, teils wie Wolken geballt, teils wild gezackt.
Geisterhaft schienen die blauen Flämmchen, die zwischen den schwarzen oder rotglühenden Blöcken umherhuschten. Ein seltsam unheimlicher, bannender Anblick. Welch unheimliche Geheimnisse barg doch die Erde! –
Da stieß Hella plötzlich einen Ruf aus.
„Dort – seht dort –!“
Die Blicke der beiden anderen folgten der Richtung, die der Arm des Mädchens wies. Da lag – auf einem primitiven Lager eine menschliche Gestalt! Eine Frau! Allerlei Hausgerät um sie herum.
Tot –??
Das dachten wohl die Drei gemeinsam. Sie gingen auf die regungslos Liegende zu. Da richtete die sich auf, blickte von einem zum andern … Müde, verfallene Züge hatte die Frau, graues Haar. Aber ihr Gesicht ließ dennoch Spuren einstiger großer Schönheit erkennen. Und ihre Augen – die strahlten noch in einem tiefen, warmen Feuer. So saß sie da, blickte die drei an mit einem Ausdruck, der Staunen und Zweifel ausdrückte.
Aber da stürzte Harald Dörcksen plötzlich vor, fiel vor der Frau auf die Knie.
„Aspasia!“
Und barg seinen Kopf in ihrem Schoß.
So fanden die drei Aspasia, die Wolkenkönigin …
Hella, Harald Dörcksen und Mahadur Mirat waren im Flugschiff angelangt. Sie hatten es in der Richtung gesucht, hätten es aber natürlich unter der riesigen Schneewehe niemals gefunden – wäre nicht die Laterne gewesen. Diese Idee Professor Herbsts war denen zur Rettung geworden, die bereits sehr erschöpft waren und überdies noch einen Menschen, der zu schwach war, allein zu gehen, tragen mußten: Aspasia.
Die Wolkenkönigin hatte, nachdem der erste Freudenrausch des Wiedersehens vorüber war, den dreien einen ganz nahen Ausweg gezeigt. Und wenig später waren sie alle vier aufgebrochen. Aspasia trugen sie. Sie war völlig gesund, nur von jahrelangen Entbehrungen total entkräftet. Sie hätte einen weiten Weg durch tiefen Schnee nie und nimmer zu Fuß zurücklegen können.
So machte man sich auf den Rückweg.
Tausend Fragen brannten den dreien auf den Lippen. Was war mit Olympia geschehen, dem schönen, blühenden Gefilde der Seligen? Was mit seinen Bewohnern? Darin gipfelten sie alle.
Tausend Fragen stürmten auch durch Harald Dörcksens Hirn. Bei ihm aber wurden sie mehr zurückgedrängt durch ein überwältigendes Glücksgefühl. Er hatte Aspasia wieder, seine über alles geliebte Frau, die Mutter seiner Kinder! Mochte alles andere sein, wie es wollte: er hatte sie wiedergefunden! Wiedergefunden nach soviel Jahren unsäglicher Sehnsucht.
Auch Hella wollte schier das Herz zerspringen vor überquellendem Gefühl. Ihre Mutter! Sie hatte wieder eine Mutter! Das Köstlichste, Hehrste, was der Mensch überhaupt haben kann. Das Born ewiger Liebe. Sie hatte sie endlich wieder. Und alles Schwere, Trübe, das sie in den letzten Zeiten durchgemacht, alle Strapazen und Gefahren – all das sank in Nichts, war vergessen, weggeweht, versunken vor diesem einen. –
Sie dachten in ihrem Glück kaum daran, daß noch nichts gewonnen war, ob sie nach jenem furchtbaren Unwetter den Weg zum Flugschiff jemals zurückfinden würden. Sie dachten kaum daran; setzten hingegen alle Energie an den Versuch, das Ziel doch zu erreichen.
Und sie erreichten es. Als nach Einbruch der Dunkelheit die Kräfte sie zu verlassen drohten, als ihnen auch die grimmige Kälte immer härter zusetzte, als sie überdies angesichts der geringen Aussicht, bei dem starken Frost und ihrer Erschöpfung diese Nacht gut zu überstehen, allen Mut verlieren wollten, da erblickten sie die Laterne.
Hella sah sie zuerst, machte die Männer darauf aufmerksam. Der Weg schien gar nicht mehr allzu weit zu sein. Noch einmal rafften sie ihre schwindenden Kräfte zusammen. Winkte doch dort vorn das Ziel, die Rettung.
Sie erreichten es. –
Und nun lagen sie alle vier in tiefem Schlummer. Sie hatten rasch noch etwas zu sich genommen, ein Fleischgericht, leicht, doch kräftig, danach etwas heißgemachten Wein, – dann legten sie sich hin und schliefen sogleich ein.
Tiefe Stille herrschte im Flugschiff. Niemand wagte ein lautes Wort zu sprechen, aus Furcht, er könne die Zurückgekehrten stören.
Die Zurückgekehrten! So waren sie nun also doch da. Alles war gut. Olympia in Schnee und Eis versunken? Seine Schätze auf ewig verloren? Was tat es? Sie waren ja wieder beisammen, alle, auch die Wolkenkönigin. Und – der Gedanke, den das Reich der „Göttin über den Wolken“ in die Welt gebracht hatte, er lebte ja. Schon waren es Hunderttausende, die ihm anhingen, bald würden es Milliarden sein – einst würde er die Welt erobert haben!
Was in Olympia vor sich gegangen war, wie das blühende Land in Nacht und Eis zurücksinken konnte, – das war noch Allen ein tiefes Geheimnis, das nur eine kannte, sie: Aspasia, die Wolkenkönigin. Das erfüllte alle mit grenzenloser Spannung. Das ließ sie den Zeitpunkt, da Aspasia würde erzählen können, fast fieberhaft erwarten.
Dennoch fanden sie Schlaf in dieser Nacht. Alle. Die gespannte Erwartung, die Sorge um die Ausgebliebenen hatten sie so ermüdet, daß jetzt, nachdem alles gut abgegangen war, die Reaktion eintrat. Sie schliefen – trotz ihrer Neugier – wie die Steine.
Dann kam der Morgen. Mahadur Mirat, Hella und Harald Dörcksen erwachten gestärkt. Auch – Aspasia. Man fand sich in dem Aufenthaltsraum zusammen. Aspasia saß auf dem Ehrenplatz und auf besonderen Kissen – obwohl sie sagte, das sei gar nicht nötig; sie fühle sich recht wohl. Dicht um sie saßen Hella und Gari, ihre Kinder, streichelten ihre Hände, liebkosten die Mutter, die ihnen fast fremd geworden war als Mensch, nun aber doch wieder unter ihnen weilte.
Auch Harald Dörcksen hielt sich natürlich in allernächster Nähe seines geliebten Weibes auf. Er hatte sie wieder! Zwar waren mehr als zwei Jahrzehnte darüber hingegangen; waren sie beide alt geworden. Doch – was tat das? Er liebte sie, wie einst. Und so alt waren sie nicht, daß nicht noch eine Reihe gemeinsamer Jahre hätte vor ihnen liegen können.
Ganz leise nur dachte Harald Dörcksen daran, ob sie ihm wohl zürnen mochte? Er war es doch gewesen, durch dessen leichtfertige Neugier ihr Glück damals zerstört worden war. Seines, aber auch ihres. Ihr unsagbar trauriges Gesicht bei der Gerichtsverhandlung, als er einem Gesetz des Landes verfallen war, gegen das die Wolkenkönigin selbst nicht ankonnte – er sah es noch vor sich.
Ob sie ihm noch zürnte? Es schien nicht so. Die Blicke, die sie ihm schenkte, spiegelten nichts als Liebe. –
Man aß gemeinsam gut und reichlich Frühstück. Begann dann mit Erzählen. Harald berichtete in knappen Umrissen seine Schicksale und was er in all der Zeit erlebt hatte. Nur ganz kurz, um die Zuhörerin nicht zu ermüden. Aber die sah gegen gestern ganz frisch aus, hörte mit lebhaftem Interesse zu. Und gegen Mittag begann sie selbst zu berichten. Ebenso knapp, aber dennoch ausreichend übersichtlich.
Das lichte, freudevolle Leben in Olympia ging weiter, nachdem Harald Dörcksen aus dem Kreis verbannt und ausgesetzt worden war. Nur – Aspasias Glück war zerstört. Sie, die den Mann unaussprechlich geliebt hatte, sagte sich, daß ihr Glück für immer dahin sei.
Äußerlich ließ sie sich nichts anmerken, wollte es wenigstens nicht, weil sie das für unter ihrer Würde hielt. Kein Ton der Klage kam über ihre Lippen – solange fremde Augen auf ihr ruhten. War sie allein, nachts oft rannen Tränen über ihr Gesicht, schüttelte Schluchzen ihren schönen Körper. Lange, lange Zeit ging das so.
Jahre enteilten. Aspasia war äußerlich eine andere geworden. Still, unbeweglich, ernst, doch nicht unfreundlich. Die Bewohner von Olympia wußten wohl, was die Ursache dieser Wandlung ihrer Göttin war. Aber – konnten sie ihr helfen?
Niemand wagte, sich ihr zu nähern.
Das lichte, freudvolle Leben in Olympia ging weiter. Jahr um Jahr. An Aspasias dumpfem Hindämmern änderte es nichts. Ihr Inneres kam ihr wie verschüttet vor, seit ihr Geliebter, ihr Lebenskamerad fort war, unwiederbringlich verloren …
Verschüttet … doch ganz, ganz unten, im letzten Winkel ihrer Seele glühte, flackerte immer noch ein kleines Flämmchen – die Hoffnung, daß „er“ einmal wiederkehren werde. Sie betrachtete es selbst erstaunt, ungläubig, dies Flämmchen; aber sie ließ es doch nicht erlöschen durch all die Jahre, deren eins um das andere hinging, gleichförmig und für sie bedeutungslos …
Aber allmählich, ganz allmählich dämmerte etwas in ihr empor, das die Bedeutungslosigkeit ihrer Tage und Jahre verscheuchte: eine dumpfe, ungewisse und doch auch wiederum sehr sichere Ahnung. Eine Ahnung kommender Katastrophen.
Waren Anzeichen dafür vorhanden? Sie forschte. Nein, das lichte, freudevolle Leben in Olympia ging seinen Gang, wie immer. Und doch –
Woher kam ihr diese Ahnung, die sich nicht verscheuchen ließ? Sie war da, wo Aspasia ging und stand. Legte sich abends mit ihr zu Bett, stand morgens auf mit ihr.
Das Leben ging weiter … Geheime Boten, mit Geld und allem ausgerüstet, was dazu notwendig, zogen hinunter in die Welt der anderen Menschen. Sie hatten gelobt, eher zu sterben, als irgend etwas vom Reich der Wolkenkönigin zu verraten.
Sie kamen nicht wieder. Waren abgefangen worden, erschlagen oder eingesperrt. Keiner kehrte zurück …?
Doch einer. Der war mit knapper Not allen Nachstellungen entgangen. Gelangte zurück nach Olympia. Von ihm erfuhren die staunenden, höchst erfreuten Bewohner des Gefildes der Seligen, daß die Olympia-Religion bereits unter den Menschen zu einer großen Bewegung geworden sei. Daß sie, diese Bewegung, verpönt, verfolgt, befehdet, gehetzt werde von den Anhängern des alten Systems in allen Ländern. Daß sie aber dennoch unaufhaltsam sich ausbreite. Daß ferner die Bewegung hauptsächlich ausgehe von einem indischen Radscha, einem deutschen Erfinder und dessen Tochter.
Da packte wieder eine seltsame Ahnung Aspasia. Sie fragte:
„Und wie heißen diese beiden – der Radscha und – und der deutsche Gelehrte?“
Der Bote zögerte.
„Sprich doch!“ drängte Aspasia.
„Ich weiß nicht, ob es gut ist, Herrin.“
„Doch, doch – sprich nur.“
„Der Radscha heißt Mahadur Mirat und der deutsche Erfinder Harald Dörcksen …“
„Er –!“
Wider Willen hatte Aspasia es gerufen.
Harald – ihr Harald hatte zusammen mit anderen an dem Werk gearbeitet! Weiter mußte der Bote ihr berichten. Viel war es nicht mehr, was er zu erzählen wußte. Harald Dörcksen hatte er nie persönlich zu sehen bekommen; hatte nur von ihm gehört. Er selbst, der Bote, mußte sich, wie alle Anhänger der Olympia-Bewegung, ständig Verfolgungen entziehen. Seine Gefährten ereilte dabei ihr Schicksal. Er allein entkam. –
Harald Dörcksen –! Nun war die Flamme Hoffnung wieder hell aufgelodert in Aspasia. Er war tätig für ihre Sache. Er würde vielleicht dereinst doch wiederkommen – trotz allem. Und sie wartete; sehnend, doch geduldig. In stillen Stunden aber kroch wieder das andere Gefühl in ihr empor: die dumpfe Ahnung kommenden Unheils …
Inzwischen wurde beschlossen, in die Entwicklung der Olympia-Bewegung in der Welt einzugreifen. Neue Boten – alle Bewohner des Gefildes der Seligen meldeten sich sofort zu dem gefahrvollen Unternehmen – sollten, mit außerordentlich großen Mitteln versehen, ausgesandt werden. Geld vermag viel; vielleicht vermochte es auch hier, die Welt dem Ziel – dauerndem Weltfrieden näherzubringen.
In diese Tage fiel ein Ereignis in Olympia, das an und für sich kaum Bedeutung hatte, in Verbindung mit dem Plan des Eingreifens in die Entwicklung der Olympia-Belebung unter den Menschen jedoch große Bedeutung gewann. Tief in den Felsengängen der Berge, deren Inneres vulkanisch war, deren Hitze das schöne milde Klima des Gefildes der Seligen schuf, wurden reiche Diamantadern gefunden. Das war für die Aussendung der neuen Boten sehr wesentlich. Diamanten, die doch einen weit höheren Wert repräsentierten als Gold, konnten, in geringerer Menge und unauffällig mitgenommen, mehr bewirken, als große, schwerer transportable und nur die Bewegungsfreiheit der Boten hemmende Posten Goldes.
Es wurde viel hin und her beraten. Vor allem über einen Punkt. Wollte man die Diamantenadern ausbeuten, mußte der Felsen gesprengt werden. Und das – war gefährlich. Nebenan lag ein riesiges, unterirdisches Becken, aus dem ganz Olympia sein Wasser herleitete. Dieses Wasser konnte sich eventuell in die vulkanischen Gluten ergießen. Die Folgen wären nicht abzusehen.
Zwei Meinungen entstanden. Sprengen oder nicht? Man kam überein, eine Volksabstimmung abzuhalten.
Die Stimmenmehrheit war für: Sprengen.
Aspasia war, sie wußte selbst nicht, warum, heftig erschrocken gewesen, als sie von der Entdeckung der Diamantader erfuhr. Dann merkte sie, daß dieser Schrecken sich mit der Ahnung drohenden Unheils vermischte, eins mit ihm ward. Als sich dann herausstellte, daß zur Ausbeutung des Diamantlagers Sprengung notwendig, diese aber eventuell gefährlich sei, da – wußte sie plötzlich mit aller Bestimmtheit, daß ihre Ahnung sie nicht getrogen hatte, daß die Gefahr jetzt da war.
Sie sprach gegen die Sprengung. Stimmte bei der Abstimmung auch dagegen. Umsonst; die Stimmenmehrheit war dafür. –
Der Tag der Sprengung war der schwarze Tag des Gefildes der Seligen. Plötzlich klafften die Felsen. Die Fluten des riesigen, unterirdischen Wasserbeckens ergossen sich in die vulkanischen Gluten, brachte sie zur Explosion. Erdbeben, Bergstürze zerstörten die Siedlung, begruben zahllose Menschen unter glühenden Felsmassen. Aus Erdspalten fauchten Feuersäulen empor. Die Glut fraß die Häuser, die das Erdbeben und die Bergstürze ganz gelassen hatten. Nur wenige Bewohner Olympias kamen mit dem Leben davon. Aspasia war unter den Geretteten. Sie hatte sich aus dem Palast geflüchtet, der zerstört wurde. – – –
So vernichtete menschliche Unvernunft ein blühendes, glückliches Reich, – das Gefilde der Seligen. –
Der Rest der Bewohner Olympias lebte, um seine Wolkenkönigin geschart, still und ernst weiter. Nicht lange. Schon nach einigen Monaten ward es offenbar, daß die Wärmequellen der Berge am Erlöschen seien. Die Temperatur sank stetig. Sie würde in nicht ferner Zeit den Gefrierpunkt erreichen und immer weiter sinken bis zu dem grimmig kalten Klima, das sonst in solchen Höhen herrscht. Dann mußte hier alles Leben zugrunde gehen.
Schreckliche Aussichten! Man beschloß, ihnen auszuweichen. Auswandern, um wärmere Regionen zu erreichen. Aspasia – weigerte sich, mitzugehen. In ihr brannte noch immer jene Flamme Hoffnung, Harald werde einst hierher zurückkehren. Dann – sollte er sie doch auch vorfinden.
Aber das Volk ließ nicht nach. Bestürmte sie, bis sie nachgab. In der ersten Nacht nach dem Aufbruch aber floh sie unbemerkt zurück.
Schon war es empfindlich kalt geworden. Schon fiel der erste Schnee. Aspasia verbarg sich in einer Höhle unweit ihres zerstörten Palastes. Fand einen Weg in das Innere des Berges; Wärme kam ihr entgegen! Und sie fand beim Weiterforschen jene große Gluthöhle.
Hier richtete sie sich häuslich ein. Diese Wärme mochte wohl noch einige Zeit andauern. Täglich ging Aspasia hinüber zu dem zerstörten Palast, grub und wühlte in den Trümmern, holte allerlei Wirtschaftsgerät hervor, fand auch genug Lebensmittelvorräte für lange Zeit. Schaffte alles hinüber. Das dauerte Wochen.
Inzwischen wurde die Kälte immer schneidender. Immer häufiger fiel Schnee. Da verließ dann Aspasia ihre warme Höhle gar nicht mehr. Lebte da still fort. Woche um Woche, Monat um Monat. Es war, als wenn ihr Geist schlief und in ihr nur eins noch wach war: die nie verlöschende Flamme Hoffnung, daß ihr Geliebter endlich dennoch wiederkomme.
Darüber war sie eine alte Frau geworden.
Eine Hoffnung, die so wenig Wahrscheinlichkeit für sich hatte – und doch nun erfüllt nach allen den Jahren! Was hatte Aspasia diese ungeheure Kraft verliehen? Die Liebe zu Harald Dörcksen allein.
„Unerhörtes, Unfaßbares geschah … – Hoffnung erfüllte die Herzen der Völker. Eine neue Zeit schien zu dämmern … Bis – all das Herrliche durch menschliche Schuld wieder in Nichts zerstob, bis das Land der Seligen wieder erstarrte in Nacht und Eis …
Nur eins blieb: die Liebe, die hehre, große, selbstlose Liebe … Nur … die Liebe blieb …“
Aspasia war mit ihrer Erzählung fertig. Lehnte sich, ein wenig erschöpft, zurück, schloß die Augen. Ganz still war’s in dem Raum. Niemand sprach, niemand rührte sich. Alle waren von dem Gehörten gewaltig angerührt; wie gebannt. Von der überwältigenden Größe der Liebe dieser Frau.
Kein Laut … endlich fast zitternd. Harald Dörcksen war es. Er, den die Sehnsucht nach der Geliebten Jahre und Jahre, mehr denn zwei Jahrzehnte umhertrieb, ihn Abenteuer, Gefahren, Entbehrungen erdulden ließ – der starke Mann war jetzt selbst überwältigt, daß auch sie, die wunderbare Frau, ihn ebenso stark geliebt hatte.
Mit einem schluchzenden Laut sank er vor ihrem Sitz nieder, barg seinen Kopf in ihren Schoß, und liebkosend fuhren die Hände der Wolkenkönigin über sein graues Haar.
„Aspasia – daß ich dich wiederhabe!“ flüsterte Harald Dörcksen. Sie nickte.
„Ja, es ist schön … obwohl wir nun beide alt sind …“
Da richtete er sich auf. Seine Augen flammten.
„Alt? Nein, Aspasia, du bist nicht alt. Und ich – seit ich dich wiederhabe, bin ich es auch nicht mehr! Und – in unseren Kindern leben wir weiter. Sieh da – Hella; sie hat eine edle Menschenseele fürs Leben gefunden: Mahadur Mirat. Und Gari – aus Ägypten holte er sich sein Glück: Amara, die den sechszackigen Stern trug, ohne viel von seiner Bedeutung zu ahnen.“
Und nach einer kleinen Pause:
„Die neue Zeit –? Sie ist da. Millionen Herzen gehören heute der Olympia-Bewegung an. Millionen Menschen werden nie mehr eine Waffe gegen Menschenbrüder erheben. Es wird keinen Krieg mehr geben. Dann ist das Gefilde der Seligen nicht mehr auf dem Himalaya zu suchen; dann ist es überall, auf der ganzen Erde. Vielleicht mußte Olympia deshalb zugrunde gehen; vielleicht war es ein Symbol. Die Fortsetzung – in den Landen der Menschen hebt sie an!“
Mit gedämpfterer Stimme:
„Gewiß, es ist noch nicht so weit. Noch sind Widerstände da. Kämpfe – nicht mit Waffen – werden noch notwendig sein. Darum wollen wir zurückkehren, auf jede Gefahr hin unter die Menschen zurückkehren, für unsere Sache, die die Sache der Menschen ist, kämpfen. Kämpfen gegen Verbohrte und Finsterlinge. Und siegen – oder für die Sache sterben. Was täte das? Nichts. Denn sie selbst, die Sache lebt und kann niemals mehr sterben.“
Begeisterung lohte in seinem Blick. Auch Aspasia war von ihr ergriffen. Ihre Wangen hatten sich gerötet. Sie sah jünger aus und wieder achtungsgebietend wie einst.
Und die Begeisterung entzündete auch alle anderen in dem Raum. Niemand sprach ein Wort. Aber ihre Herzen waren geschwellt von grenzenlosem Jubel. In ihn hinein tönte nun die Stimme Aspasias:
„Ja, das wollen wir, geliebter Kamerad! Deine Worte sind auch mein Wunsch und Ziel. Wir wollen es so – und werden es auch können. Denn – höre nun meine letzte Botschaft aus Olympia: zu jenem Kampf gegen die finsteren Mächte, die in den Hirnen mancher Menschen immer noch ihr Wesen treiben, die ihren Blick für das Wahre und Gute blind machen, wird vor allem eins notwendig sein: Geld, viel Geld. Wer das meiste Geld wird aufbringen können, wird am besten kämpfen können. So höre denn, unweit der Höhle, in der du mich fandest, befindet sich eine zweite. Sie enthält Diamanten. Unübersehbare Werte liegen da – greifbar. Sie wollen wir heben, mit uns führen. Sie waren es, um deretwillen Olympia der Zerstörung anheimfiel. Mögen sie nun dazu dienen, aus der ganzen Menschenerde ein Land der Seligen zu machen!“
Mehr und mehr hatte sich Aspasia während dieser Worte aufgerichtet. Jetzt stand sie, ebenfalls in flammender Begeisterung, neben Harald Dörcksen, wieder ganz die hehre, unnahbare Wolkenkönigin. Noch einmal schallte ihre Stimme:
„Freunde, ich komme mit euch – zum letzten Kampf um das Licht – für das Glück der Menschheit!“
Da brach sich der lange zurückgehaltene Jubel endlich Bahn. Alle riefen durcheinander. Harald Dörcksen umarmte und küßte Aspasia. Hella und Mahadur Mirat hielten sich eng umschlungen. Amara und Gari Dörcksen fanden sich gleichfalls. Professor Herbst und Reverend Dixon schüttelten sich immer wieder die Hände. Gari Dingra stimmte mit den beiden anderen Indern einen alten indischen Sang an. Glückstaumel erfüllte das Flugschiff.
Überwunden waren Gefahren, Strapazen, Entbehrungen. Gesiegt hatte die Liebe. Alle waren sie nun glücklich vereint: Harald und Aspasia, Hella und Mahadur Mirat, Amara und Gari. Ein Herzschlag einte sie alle. Eine Macht: die Liebe.
Dieser Tag blieb bis zu seinem Ende ein Feiertag. Aber schon am nächsten früh begann emsige Tätigkeit. Eine neue, kleine Expedition galt es auszurüsten. Ihre Aufgabe sollte es sein, von den Diamantenschätzen soviel wie möglich ins Flugschiff zu schaffen. Teilnehmen sollten an ihr diesmal Gari Dingra, Professor Herbst und Reverend Dixon.
Der Weg zu den Höhlen war nicht allzu weit. In ein paar Stunden bequem zurückzulegen. Die Spuren Mahadur Mirats, Hellas und Harald Dörcksens wiesen ihn deutlich. Da kein Wind herrschte, waren sie im Schnee leicht zu verfolgen.
Aspasia schilderte noch genau die Örtlichkeit im Innern der Höhlen. Die drei nahmen einige Lebensmittel mit. Würden sie doch erst am nächsten Tag zurückkehren. Dann zogen sie aus. Ein Stück weit gaben ihnen die anderen noch das Geleit, kehrten dann zurück.
Reverend Dixon, Professor Herbst und Gari Dingra kamen rasch vorwärts. Da das Wetter zwar kalt, aber klar und windstill war, machte der Weg kaum Schwierigkeiten – von der Tiefe des Schnees abgesehen.
Gegen Mittag langten die drei am Eingang zu den Höhlen an. Sie schritten hinein. Und dann – dann umfing auch sie der Zauber, den Hella, Harald Dörcksen und Mahadur Mirat gespürt hatte: die riesige, von rötlich leuchtenden Dämpfen phantastisch durchwallte Höhle mit den glühenden Lavaschlünden.
Sie fanden die Stelle, an der Aspasia so lange gehaust hatte; fanden, nach ihrer genauen Schilderung, den engen Durchgang zu der zweiten Höhle. Und da – als die Scheinkegel ihrer Taschenlampen aufleuchteten – da fuhr ihnen tausendfältiges Blitzen entgegen. Diamanten! Schier unendliche Werte lagen hier, nur zum aufnehmen.
Drei zu dem Zweck mitgenommene kleine, starke Leinwandbeutel füllten sie mit den wertvollen Steinen. In jeden etwa ein Kilo. Millionenwerte! Jeder andere Mensch wäre angesichts solcher Schätze und der Tatsache, daß sie ihm gehörten, wenn er nur wollte, aus dem Gleichgewicht geraten. Reverend Dixon, Professor Herbst und Gari Dingra jedoch blieben ganz ruhig. Sie gehörten zu den Menschen, die den Begriff „Besitz“ überwunden, die erkannt hatten, daß von ihm alles Übel in der Welt kam. Sie sammelten die Schätze lediglich, um sie ihrer Sache dienstbar zu machen; nicht für sich selbst.
Die Beutel waren gefüllt und verschnürt. Damit war nun eigentlich ihre Aufgabe erfüllt. Schon wollten die drei die Diamantenhöhle wieder verlassen, da – sollten sie noch eine Überraschung erleben. Gari Dingra stieß plötzlich einen Ruf aus. Auf die Frage der anderen, was er habe, entgegnete er nur, mit ausgestrecktem Arm in die Dunkelheit weisend:
„Ein Mensch.“
Die Köpfe der beiden Begleiter fuhren herum. Ein Mensch? Hier in der Höhle? Vielleicht ein Überlebender von Olympia? Gari Dingra, der aus den Mienen der beiden Männer wohl ihre Gedanken herausgelesen haben mochte, schüttelte den Kopf.
„Ein Toter,“ sagte er. Die Lichtkegel der Taschenlampen flogen in der von dem Inder bezeichneten Richtung. Da lag ein dunkles Etwas am Boden, das sehr wohl ein menschlicher Körper sein konnte. Die drei gingen darauf zu …
Da lag ein Mensch. Das Gesicht nach unten. Die Hände verkrampft, als wollte er noch nach irgend etwas greifen. Die drei drehten den Toten um und – fuhren überrascht zurück. Dies verzerrte Gesicht kannten sie. Es war das Gesicht – Harry Leakwoords!
Den hatten sie in der Erregung der letzten Stunden völlig vergessen gehabt. Alle. Als er da aus dem Flugschiff in den Schnee hinausfloh, hielten sie ihn für verloren. Und nun fanden sie ihn hier wieder! So mußte auch er wohl die warmen Höhlen gefunden, sich noch eine Weile hier am Leben erhalten haben, bis ein anderer, unbekannter Umstand diesem Leben ein Ziel setzte.
Die drei untersuchten die Leiche Harry Leakwoords genau. Aber nichts war zu entdecken. Keine Verwunderung. Nichts. War er verhungert? Danach sah das Gesicht nicht aus. Es war vielmehr verzerrt wie bei einem Krampf. Vielleicht hatte sein Herz plötzlich versagt, was bei einem so unruhevollen Leben, wie er es geführt hatte, nicht weiter verwunderlich gewesen wäre.
Jedenfalls war er tot. Tot – angesichts seines Zieles, angesichts eines unermeßlichen Reichtums, dessen Besitz ihm niemand hätte streitig machen können.
An einer sandigen Stelle der Höhle scharrten die drei eine Vertiefung, legten dahinein den Körper, der einst Harry Leakwoord und ihr Todfeind gewesen war, bedeckten ihn mit Sand, wölbten einen flachen Hügel darüber. So war das Symbol erfüllt, daß Harry Leakwoord der Erde zurückgegeben war.
Danach machten sie sich wortlos auf den Rückweg. Das Schicksal des Abenteurers hatte sie schweigsam gemacht. Sie sahen wieder einmal die Unsinnigkeit alles irdischen Strebens deutlich vor sich. Und sie selbst? – Nein! Sie kämpften für das Glück der Menschen, das nicht mit dem Tod einer Generation enden, sondern dauern würde. –
Wieder nahm die froststarre Landschaft sie auf. Die Spuren im Schnee erschienen nach wie vor deutlich sichtbar. Haarscharf zeichnete sich ihr Weg in der klaren Luft ab.
Immer noch schweigend, legten sie ihn zurück.
Sie hatten eine Nacht in der großen Höhle verbracht und in der angenehmen Wärme vorzüglich geschlafen. So machte ihnen nun der Rückmarsch keinerlei Schwierigkeiten. Sie kamen verhältnismäßig rasch vorwärts. In wenigen Stunden würden sie das Flugschiff erreicht haben.
Im „Meteor“, wo sie bereits mit Spannung erwartet wurden, erregte die Nachricht von dem Fund der Leiche des Abenteurers großes Aufsehen. Harry Leakwoord! Die Rache des gerechten Schicksals war seine Verblendung. Er, der sich nicht scheute, andere ins Unglück zu stürzen um des eigenen Vorteils willen, hatte sich blindlings in die Idee eingebohrt, er müsse nach Olympia vordringen und dort sich unermeßlicher Schätze bemächtigen. Er gelangte auch bis ans Ziel seiner Wünsche. Doch nicht weiter. Da ereilte ihn der Tod. Dieser Abenteurer großen Stils war zuletzt doch nur ein klägliches Opfer seiner Geldgier gewesen.
„Wir hätten ihn halten können,“ sagte der Radscha, „hätten ihn abknallen können, als er floh. Er hatte nichts Besseres verdient. Wir ließen ihn laufen. Da kam das Schicksal und vollbrachte, was wir versäumten.“ –
Die Diamanten … beim Schein der elektrischen Lampen wurden sie auf dem großen Tisch in der Wohnkajüte ausgebreitet. Ohne geldgierig zu sein, empfanden doch alle ohne Ausnahme eine außerordentliche Freude an diesen Schätzen. Welch eine Menge edler Steine! Welch immenser Wert! Kaum faßbar. Hier lag genug, um Reiche zu stürzen und neue aufzurichten …
Welch ein Gefunkel in den Strahlen der elektrischen Lampen!
Der elektrischen Lampen … Ja, noch brannten sie immer; noch brauchte man sie, obwohl es hoher Mittag war. Ohne sie wäre es stockfinster gewesen. Lag doch das Flugschiff immer noch unter dem Schneeberg.
In diesem Augenblick dachte noch keiner an diesen Umstand. Erst als die Edelsteine wieder in den Beuteln verpackt waren, als man an die Rüstung zur Abreise dachte, kam man darauf. Und sogleich sprang die neue Sorge auf. Wie konnte man den auf dem Flugschiff lastenden Schneeberg beseitigen, wie den Start ermöglichen? Und – würde es überhaupt gelingen, freizukommen?
Die einzige Möglichkeit war die, daß man sich gemeinsam und abwechselnd daran machte, das Flugschiff auszuschaufeln. Aber das würde Tage in Anspruch genommen haben. Überdies fehlte es dazu sogar an den nötigen Werkzeugen.
Professor Herbst war es, der zuerst das Thema anschnitt. Man erwog hin und her. Endlich, nachdem er lange schweigend gesessen, sagte Harald Dörcksen:
„Meine Freunde, es gibt eine Möglichkeit, uns der Schneemenge zu entledigen. Sie würde auch nicht lange dauern; höchstens, daß wir die Abreise dadurch um einen Tag aufschieben müßten. Aber das ist ja weiter nicht schlimm.“
Er hielt inne. Alle waren neugierig. Sie fragten durcheinander.
„Natürlich hat die Sache,“ fuhr Harald Dörcksen fort, „zwei Seiten – wie alle Dinge. Eine angenehme und eine unangenehme. Doch denke ich, daß man um der Aussicht willen, rasch und leicht die Abreise zu ermöglichen, schon eine geringe Unannehmlichkeit in Kauf nehmen kann …“
„Aber sicher. Zweifellos. Was ist es denn?“ schallte es durcheinander.
„Wie ihr, liebe Freunde, wißt, wird das Flugschiff geheizt durch gleichmäßige elektrische Erwärmung der Außenwände, die sich der Temperatur, die das Flugschiff außen umgibt, automatisch anpaßt. Nun – diese Heizung kann aber auch willkürlich reguliert werden; gesteigert oder vermindert, je nachdem. Ich machte nun heute die Beobachtung, daß rings um das Flugschiff der Schnee dauernd in langsamem Schmelzen begriffen ist. Wir brauchen also nur die Wärme der Außenwände des „Meteor“ künstlich erheblich steigern und ruhig abwarten. Dann wird der Schneehügel in einiger Zeit heruntergeschmolzen und das Flugschiff frei sein.“
„Eine geniale Idee!“ rief Reverend Dixon. „Aber die unangenehme Seite dieses Verfahrens haben Sie uns immer noch verschwiegen, lieber Dörcksen.“
Harald Dörcksen lächelte.
„Die unangenehme Seite? Nun, das ist ganz einfach die – Hitze, die sich während des Schmelzvorganges im Innern des „Meteor“ entwickeln wird. Wir müssen bedenken, daß die jetzt hier herrschende Durchschnittswärme von fünfzehn Grad sich dann mindestens um das Doppelte erhöhen wird.“
„Wenn es weiter nichts ist! Wir haben, glaube ich, alle lange genug in den Tropen gelebt, um wieder einmal einige Stunden diese Temperaturen ertragen zu können.“
Der Erfinder nickte.
„Gewiß, der Ansicht bin ich auch. Und wenn alle damit einverstanden sind …“
Alle stimmten ihm zu, auch Aspasia, die sich erfreulich schnell erholt hatte. Und unverzüglich ging Harald Dörcksen daran, den Schneehügel wegzuheizen – wie er sich scherzend ausdrückte. Er begab sich in den Maschinenraum, machte sich an einigen Hebeln, die zur Führung des Flugschiffes nicht gebraucht, zu schaffen, kam zurück und sagte:
„So – nun können wir warten.“
Man wartete, beschäftigte sich, jeder auf seine Weise. Harald Dörcksen saß mit Aspasia zusammen. Er streichelte ihre Hände, die er solange nicht gehalten hatte, und erzählte. Er hatte ja so viel zu erzählen! Mahadur Mirat saß mit Hella zusammen; Gari Dörcksen mit Amara. Gari Dingra und die beiden Inder spielten Skat, einen Dauerskat, der sicherlich so lange vorhielt, bis der Schneehügel fortgeschmolzen war. Reverend Dixon las, und Professor Herbst machte Eintragungen in sein Tagebuch. So waren alle ohne Ausnahme auf die ihnen liebste Art beschäftigt.
Allmählich begann schon die Wärme sich bemerkbar zu machen. Und als es erst einmal so weit war, daß alle sie deutlich spürten, ging es nachher sehr schnell. Ein Kleidungsstück nach dem anderen wurde ablegt. Das Thermometer zeigte zweiunddreißig Grad Celsius!
Türen und Fenster waren geschlossen, um Erkältungen zu verhüten.
„Auch nachher,“ sagte Harald Dörcksen, „müssen wir uns außerordentlich vorsehen. Die Abkühlung darf nur ganz allmählich geschehen.“
Indessen, noch war es ja nicht so weit. Im Gegenteil, die Hitze schien noch zuzunehmen. Aber dann – dann hörte Amara plötzlich etwas. Die machte Gari Dörcksen darauf aufmerksam. Und der – lauschte … nickte und sagte es weiter, – worauf alle anderen aufmerksam wurden.
Es rieselte. Wenn man genau hinhörte, konnte man das leise Plätschern vernehmen. Wasser! Der Schnee schmolz – schmolz rapid! Harald Dörcksen sagte:
„Wir können hoffen, daß sich morgen die Abfahrt ermöglichen lassen wird.“
Es ward Abend, ward spät. Man ging zur Ruhe. Fand auch Schlaf, trotz der Hitze, – und dann am Morgen fuhren sie erschreckt auf. Tageslicht war da! Hella erwachte zuerst.
Rasch aus dem Bett; ans Fenster; die beschlagene Scheibe abgewischt und einen Blick hinaus. Die Schneemassen, die auf dem „Meteor“ gelastet hatten, waren verschwunden. Statt ihrer umgab das nun freistehende Flugschiff – eine große Eisfläche. Die Schmelzwasser waren abgeflossen, aber außerhalb des Wärmebereichs des „Meteor“ gleich wieder gefroren.
Nacheinander erwachten dann auch die anderen, eilten an die Fenster, staunten und freuten sich. Dem Abflug stand nichts mehr im Wege.
Der Erfinder sagte:
„Ich schalte die Heizung jetzt völlig aus. Dann wird die Temperatur hier drinnen sich im richtigen Tempo abkühlen. Wenn sie unter fünfzehn Grad gesunken sein wird, können auch die Türen wieder geöffnet werden. Wir müssen uns dann – natürlich gut mit Pelzen angetan – draußen ein wenig Bewegung machen, um uns wieder zu „akklimatisieren“. Solch ein Experiment mit Tropentemperatur bei solcher Kälte ist keine ganz ungefährliche Sache.“ –
So hielt man es denn auch. Als die Mitglieder der Expedition sich am Nachmittag dieses Tages – also etwa acht Stunden später – bereits auf dem Eis tummelten, bemächtigte sich aller große Ausgelassenheit, in die selbst Aspasia einstimmte.
Harald Dörcksen untersuchte die Außenhaut des Flugschiffes, die nun völlig frei lag. Nur die Räder steckten in Eis. Sofort machten er und die beiden Inder sich daran, sie herauszuhacken, eine Arbeit, die schnell und ohne Probleme vonstatten ging.
Kurz vor Sonnenuntergang war alles zum Start bereit. Der Erfinder hatte beschlossen, nicht noch eine Nacht hier zu verbringen, sondern bereits an diesem Abend abzufahren. Jetzt versammelte sie alle das Abendbrot in der gemeinsamen Kajüte. Die letzte Mahlzeit in Olympia …
Das ging ihnen doch allen nahe. Mit welchen Erwartungen waren sie hierhergekommen, und wie anders war alles geworden! Sie sprachen nicht viel während dieser Mahlzeit. Sie dachten, daß ja doch letzten Endes alles gut gegangen war. Auch Aspasia war gerettet. War das Gefilde der Seligen auch als Wohnland verloren, – die Idee seiner Bewohner blieb erhalten, lebte weiter. Die Olympia-Bewegung dehnte sich mehr und mehr unter den Völkern der Erde aus. Sie gestattete die Hoffnung, daß sie einst die ganze Erde zu einem Gefilde der Seligen gestalten werde. Dann war Olympias Mission erfüllt …
Die Mahlzeit war beendet. Abendrot begann den Himmel zu färben. Jetzt sollte abgefahren werden. Alle dazu notwendigen Vorbereitungen hatte Harald Dörcksen schon vorher getroffen, die beweglichen Teile gründlich geölt, die Motoren noch einmal genau nachgesehen und so weiter.
Fertig. Alle standen an den Fenstern. Die Motoren sprangen an. Dann setzte sich der „Meteor“ in Bewegung. Rollte ein Stück über die glatte Eisfläche, die ihn umgeben hatte, hinweg … hob sich … schwebte über Olympia, das in leuchtender Abendröte dalag – auf dem nun die Augen mit leiser Wehmut ein allerletztes Mal ruhten …
Glutheiß lag die Sonne auf Hope-Valley. Neger kamen von den Gruben nach der Kolonie zu gegangen. Als sie am Haus des Verwalters vorbeikamen, blickten sie alle zu den Fenstern empor – grüßten. Und die Gesichter strahlten vor Zufriedenheit.
Da oben an einem der offenen Fenster stand – Templing, der ehemalige Verwalter von Hope-Valley. Auf der das Haus umgebenden Veranda aber saßen an einem gedeckten Tisch – Ellen Crosterbroux und Stuart Burne. Die Schwarzen, im Vorbeigehen, sahen zu der Veranda hin, grüßten, gingen weiter zur Kantine. Es waren die Arbeiter der Diamantengruben, deren Abbau seit einiger Zeit wieder neu in Schwung gekommen war.
Die Neger lärmten in der Kantine, wo es gutes und reichliches Essen gab. Sie liebten die neue Herrin, auch den neuen Herrn. Seit die sie hier zur Arbeit in den Gruben angestellt hatten, war für all die Arbeiter eine neue Zeit angebrochen. Keine allzu lange Arbeitszeit, keine Fron, gutes Essen, gute, saubere Schlafräume. Und jeden Sonntag Gesang und Tanz.
Das sprach sich schnell herum in ganz Kapland. Das Negerparadies nannte man Hope-Valley. Und von weit und breit strömten neue Arbeitskräfte hinzu, um hier Beschäftigung zu suchen. Aber nun war alles besetzt, es war doch eine aussichtlose Sache geworden, im „Negerparadies“ noch nach Arbeit zu fragen. Denn – wer da einmal festsaß, der ging doch nicht etwa leichtsinnigerweise wieder fort. Personalwechsel gab es nicht.
Es war schon wahr, gut hatten es die Arbeiter in Hope-Valley. Und nun mußte man nicht etwa annehmen, daß sie, verwöhnt, darum weniger leisteten! Im Gegenteil, menschlich behandelt, wurden sie selber mehr Mensch, gewannen an Einsicht und wurden ganz von allein tüchtiger denn je. –
Ellen Crosterbroux und Stuart Burne … Wer den ehemaligen Detektiv jetzt hier wiedertraf, hätte ihn kaum erkannt. Der früher stets glatt Rasierte trug nun einen stattlichen, wohlgepflegten schwarzen Vollbart. Seine ehemals straffe, sehnige Gestalt neigte nun zu einer gewissen Rundlichkeit. Kurz, wer Stuart Burne nicht an der Stimme und an seinem sonstigen Gehabe erkannte – äußerlich konnte er’s gewiß nicht.
Und – Ellen Crosterbroux hieß jetzt Ellen Burne …
Sie saßen auf der schattigen Veranda, die beiden, freuten sich über die freundlichen Grüße ihrer Neger, sahen geruhig und zufrieden auf die Straße der Kolonie, die die ihre war.
„Mr. Templing, wie war es mit der gestrigen Förderung?“ rief Burne zu dem Fenster hin, hinter dem der Verwalter stand.
„Wieder ein Fortschritt. Wenn auch nicht groß; aber es geht vorwärts.“
Burne nickte. Hinter Templing war eine junge, hübsche Frau aufgetaucht. Seine Frau. Sie sagte etwas zu ihm, worauf beide vom Fenster zurücktraten.
Stuart Burne lehnte sich behaglich zurück; dachte: „Es geht vorwärts; welch ein schönes Wort!“
Ein Pfiff klang durch die Stille. Der Pfiff einer Lokomotive. Ellen hob die Hand.
„Hörtest du? Wie nahe schon! Der Bau der Bahnstrecke geht doch rasch. Bald werden sie hier sein.“
Burne nickte:
„Ja – es geht vorwärts.“
Stuart Burne versank wieder in Nachdenken. Wie hatte sich hier alles geändert in de letzten Zeit! Hier – und auch sonst. Dies war nun der Hafen, in den sein Lebensschiff nach soviel Stürmen eingelaufen war.
Ellen betrachtete ihren Gatten von der Seite. Wahrhaftig, er wurde von Tag zu Tag runder! Sie liebte ihn sehr, war glücklich, daß sie ihn hatte. Aber, dachte sie nebenbei, er soll nur nicht glauben, daß ich mein Leben hier in Hope-Valley unter Negern beschließe. Dazu bin ich doch noch nicht alt genug.
Freilich, noch war es gefährlich, sich von hier wegzurühren. Aus verschiedenen Gründen.
Und damit waren ihre Gedanken da angelangt, wo auch die seinen augenblicklich weilten, bei den Erlebnissen, die sie von Sansibar hierhergeführt hatten.
*
Monate waren vergangen seit jenen Tagen …
Das französische Frachtschiff sollte frühmorgens in See stechen. Nachts – es war schon gegen Morgen, aber noch dunkel – hörte der wachhabende Matrose plötzlich ein Geräusch. Er griff nach seinem Revolver, rief stehenbleibend in die Dunkelheit hinein:
„Wer da?“
„Ein Freund,“ entgegnete eine Stimme, und ohne sich um den drohenden Revolver des Matrosen zu kümmern klomm eine Gestalt das Fallreep empor. Der Matrose rief:
„Halt, nicht weiter!“
Ergriff eine Laterne und leuchtete dem Fremden ins Gesicht. Dem Gesicht Burnes … den der Matrose aber natürlich nicht kannte. Dabei bemerkte der Seemann, daß der ersten Gestalt eine zweite folgte, die Gestalt einer Frau. Nun, nach Räubern sahen die beiden Fremden nicht gerade aus. So ließ der Matrose sie an Bord. Behielt aber für alle Fälle den Revolver in der Hand.
„Was wünschen Sie?“
„Wir möchten den Kapitän sprechen.“
„Ich glaube kaum, daß der Kapitän schon auf ist. Wir fahren zwar bereits in zwei Stunden, aber –“
„Wer spricht da von mir?“ klang plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Es war der Kapitän, der den Wortwechsel vernommen und sich leise genährt hatte. Er war bereits fertig angekleidet.
„Ah, Herr Kapitän –?“ fragte Burne.
„Zu dienen. Was wünscht der Herr?“
„Herr Kapitän, können wir Sie einen Moment allein sprechen?“
Der Seemann nickte gleichmütig.
„Ja. Bitte, mir nach!“
Nachdem er sowohl Burne als auch Ellen scharf gemustert hatte, wandte er sich um; ging voran. Die beiden folgten ihm in die kleine, behaglich eingerichtete Kajüte. Bei Licht enthüllten sich nun die Züge des Kapitäns. Was dabei zutage trat, war nicht besonders vertrauenerweckend. Listigkeit und Habgier, – konstatierte Burne, der Menschenkenner, sofort. Aber er war ganz zufrieden damit.
„Herr Kapitän, wir möchten mit Ihnen fahren,“ sagte er. Der Kapitän zog prompt die Achseln hoch, wie Burne es nicht anders erwartet hatte.
„Bedaure. Mein Schiff ist ein Frachtschiff. Passagiere nehme ich nicht an Bord.“
„Hm – das ist schade –“ entgegnete Burne und zog, wie in Gedanken, seine Brieftasche hervor. Des Kapitäns Augen wurden ganz spitz.
„Allerdings könnte man ja schließlich –“
„Eine Ausnahme machen –?“ ergänzte Burne. Der Kapitän nickte langsam.
„Das wollte ich sagen.“
„Wieviel – kostet so eine – Ausnahme?“
Der Kapitän wiegte verlegen grinsend das Haupt:
„Oh, bitte, ganz nach Belieben.“
Burne schob ihm fünfzig Dollar zu, die jener prompt in seiner Tasche verschwinden ließ. Dann sagte er:
„Ich habe aber leider nur eine Wohnkabine frei, eine Doppelkabine.“
Ellen Crosterbroux schoß das Blut ins Gesicht. Stuart Burne aber sagte, indem er sie anzusehen vermied:
„Nun ja, da ist dann eben nichts zu machen …“
Er hatte gesiegt. Sie konnten die Fahrt mitmachen. Ihr weniges Gepäck lag noch draußen auf dem Kai. Burne holte es herein. –
Während der Matrose vorher noch auf dem Fallreep mit dem Detektiv und dessen Begleiterin verhandelt hatte, waren zwei andere dunkle Gestalten den Kai entlanggeschlichen. Unweit des Dampfers blieben sie stehen, flüsterten miteinander.
Und dann geschah etwas Seltsames. Die beiden knieten am Kai nieder, stiegen ins Wasser hinein, ließen sich ganz in das nasse Element gleiten – schwammen! In langen, ruhigen Stößen, jedes Plätschergeräusch vermeidend. Schwammen zu dem französischen Frachtdampfer hin und – klommen lautlos an Bord!
Der Matrose auf der anderen Seite verhandelte noch mit Stuart Burne. Nun kam der Kapitän dazu. Die beiden fremden Gestalten hörten das kurze Gespräch mit an, reglos gekauert. Dann schlichen sie lautlos weiter, fanden eine Deckluke offen, krochen dahinein … verharrten still – lauschten. Wohl eine halbe Stunde.
Dann begann es lebhaft an Deck zu werden. Matrosen eilten hin und her, Rufe erschollen. Und langsam, langsam dämmerte es. Nur ganz schwaches Licht erst. Aber schon setzte sich der Dampfer in Bewegung, glitt sacht aus dem Hafen hinaus.
Der dunkle Raum, in den die beiden Fremden gekrochen waren, war eng; aber er setzte sich nach hinten zu noch fort. Die beiden schoben sich im Dunkeln weiter. Plötzlich stieß der erste von ihnen auf einen Menschen. Er packte gleich zu.
„Keinen Laut, Bursche, sonst –“
Und ließ gleich darauf eine elektrische Taschenlampe aufflammen, leuchtete dem anderen ins Gesicht. Aber dann – stieß er einen Ruf des Staunens, der Überraschung aus.
„Mr. Templing, Sie –?!“
„Ja – ja – aber wie kommen Sie hierher?“ stotterte Templing verblüfft. Er hatte an der Stimme – Kapitän Söder erkannt.
„Nee, nu schlägd’s wärklich treizähn!“ ließ sich da die andere „dunkle Gestalt“ vernehmen. Das war – Türck, der unverwüstliche, treue Begleiter Söders.
„Wie wir hierherkommen? Nun, wahrscheinlich genau so, wie Sie, heimlich, still und leise.“
Und dann erzählten sie einander im Flüsterton. Auch Templing war erst vor ganz kurzer Zeit hier hineingekrochen. War noch ebenso durchnäßt, wie sie. Und warum hatten die drei diesen Weg gewählt? Templing, weil er kein Bargeld besaß. Er hatte eine Reihe neuer Abenteuer hinter sich. Damals, als er sich von den Freunden, die nach der Urwaldexpedition an Bord des englischen Kriegsschiffes gingen, verabschiedet hatte, war er räuberischen Arabern in die Hände gefallen. Entkam ihnen jedoch noch in derselben Nacht und – schmuggelte sich an Bord jenes englischen Schiffes, das auch seine Freunde beherbergte. Auf See wollte er sich zeigen.
Die Ereignisse, die folgten, verhinderten es. Templing, der seit vielen Jahren keine Seereise gemacht hatte, wurde gleich in den ersten Stunden von heftiger Seekrankheit in seinem Versteck überfallen, die ihn tagelang unternehmungsunfähig machte. Dann, als er wieder halbwegs mobil war, hörte er im Schiff Lärm, fürchtete Meuterei und hielt es infolgedessen für besser, auch weiterhin verborgen zu bleiben.
Im Hafen von Sansibar verließ er dann durch eine Luke unbemerkt das Schiff, ohne zu ahnen, daß es seine Freunde waren, die sich des Schiffes bemächtigt hatten. Tagsüber verbarg er sich dann fern von den Ansiedlungen im Wald; nachts schlich er an Bord dieses französischen Frachtdampfers, um nur so schnell als möglich fortzukommen, ganz gleich, wohin.
Diese ganze abenteuerliche Reise hätte er gar nicht nötig gehabt. Er hatte doch erhebliche Werte bei sich, die kleinen Diamanten, die Ellen Crosterbroux ihm gegeben hatte. Nur – kein Bargeld. Das war der Grund, weshalb er auch auf diesem Frachtdampfer einstweilen als blinder Passagier fahren wollte. Hätte er irgend etwas bezahlen sollen, hätte er einen der Diamanten hingeben müssen. Und das war die Sache doch nicht wert.
Und Kapitän Söder und Türck? Nun, die hatten’s nötig. Die hatten wirklich nichts. Sie hätten ja nicht von Harald Dörcksen und sein Flugschiff verlassen müssen. Hätten dort alles gehabt, was sie brauchten, wenn – sie nach dem Land der Seligen mitgefahren wären. Wenn … aber was ein rechter Seemann ist, der hat zwar zum Wasser das größte Vertrauen. Doch zur Luft? Und nun noch gar eine Luftreise nach einem so unwahrscheinlichen Land wie Olympia … Nein, das war nichts für Söder und Türck. Abenteuer, ja; doch mit Schiffsplanken unter den Füßen.
Denn, man hat wohl noch keinen rechten Seemann gesehen, der nicht abergläubisch gewesen wäre. Das mochte wohl der Beruf, das Umgehen mit den Geheimnissen des Weltmeeres so mit sich bringen.
Kurzum, aus diesen Gründen fuhren Söder und sein treuer Begleiter ohne richtigen Abschied davon; schlichen bei Nacht und Nebel an Bord. Und nun – traf man hier wieder zusammen! Wie merkwürdig doch das Schicksal spielte! Und alle drei waren aufrichtig erfreut darüber, schüttelten sich einmal und noch einmal die Hände und – vergaßen dabei ganz alle Vorsicht. Unterhielten sich zu laut!
Die „Strafe“ blieb denn auch nicht aus. Plötzlich erscholl von oben her eine rauhe Stimme: „Was ist denn da unten los –?“
Zugleich fiel ein Lichtschein herunter, beleuchtete sie. Die Stimme aber fluchte:
„Teufel noch mal, ich glaube gar, da haben sich ein paar Leute eingeschlichen! He, ihr da, kommt herauf, aber ganz ruhig, wenn ihr nicht wollt, daß ich euch eine blaue Bohne zwischen die Rippen jage!“
Was blieb den dreien anderes übrig? Sie mußten der Aufforderung wohl oder übel Folge leisten. Wer als blinder Passagier fährt, muß ja auf Entdecktwerden stets gefaßt sein. Darum stiegen sie nun ganz gleichmütig nach oben.
Gelächter aus mehreren rauhen Seemannskehlen scholl ihnen entgegen.
„Ei, ei, seht da, – drei Stück gleich! Nette Gesellschaft!“
Dann aber trat einer vor, der eine Art Respektsperson an Bord zu sein schien. Vielleicht ein Offizier.
„Wer seid ihr?“ fragte er rauh, und ohne eine Antwort abzuwarten: „Wißt ihr, daß ich Lust habe, euch über Bord werfen zu lassen? Mit derlei Gesindel macht Kapitän Raquin nicht viel Federlesen.“
Die drei wechselten untereinander Blicke des Einverständnisses. Söder hob die Achseln und – lächelte.
„Ihr freut euch wohl gar, daß euch der Teufelsstreich gelungen ist?“ schrie der Kapitän erbost. „Aber wartet, das Lachen soll euch schon vergehen! Bis Alexandrien lasse ich euch krumm schließen und dann – zur Polizei!“
Und sich an die Matrosen wendend, die feixend umherstanden:
„Vorwärts, Jean und Raoul –“
Weiter kam er nicht. Eine Hand hatte sich auf seine Schulter gelegt. Er drehte sich um und – erblickte seine beiden Passagiere Stuart Burne und Ellen Crosterbroux. Da sagte der Detektiv auch schon:
„Lassen Sie, Kapitän, – für die drei da stehe ich gerade. Wir besprechen den Fall nachher – in ihrer Kabine …“
Mit vielsagendem Augenzwinkern. Raquin verstand.
„Hm – meinetwegen,“ brummte er, schon fast versöhnt, – indes Söder, Türck und Templing staunend auf die beiden so unerwartet erschienenen Retter starrten.
„Miß Crosterbroux –!“ hauchte Templing. Ellen lachte.
„Sie sehen recht, Mr. Templing. Kein Gespenst.“
„Da wären wir ja nun wieder schön beisammen,“ sagte Söder – worauf alle fünf lachten.
Wenige Minuten später saß Stuart Burne dem Kapitän Raquin in dessen Kabine gegenüber und verhandelte. Raquin, der anfänglich noch den Unzugänglichen zu spielen meinte – ein Versuch, der kläglich mißlang – gab sich endlich zufrieden, als Burne ihm für die Überfahrt jener drei nochmals fünfzig Dollar bot.
Und dann saßen die fünf, die so schnell wieder aufeinander getroffen waren, in einer Kabine beieinander und erzählten sich gegenseitig, was sie wieder zusammengeführt hatte. Danach, was sie nun zu unternehmen gedachten. Söder und Türck wollten einstweilen in Alexandrien bleiben und sich dahin telephonisch von Hamburg Geld schicken lassen. Der Kapitän besaß ja dort ein nicht unbeträchtliches Vermögen.
Templing beabsichtigte die nächste Gelegenheit nach Kapstadt zu benutzen. Mit dem Erlös seiner Diamanten, die er von Ellen Crosterbroux erhalten hatte, ließ sich dort schon etwas unternehmen. Auch war ein Mädchen da, das sein Kommen nicht ungern gesehen hätte … Und – ewig konnte Templing seiner verstorbenen Frau doch nicht nachtrauern. Dazu war er doch noch zu jung.
Hope-Valley schien verloren. Wenigstens hätte es zu vieler Energie bedurft, daraus wieder etwas zu machen. Saßen jene Banditen, die Ellen Crosterbroux und ihr Begleiter damals angetroffen hatten, nicht mehr dort, so waren’s sicherlich schon wieder andere. Davon gab’s genug in Südafrika.
Und das „junge Paar“? Burne und Ellen? In Ellen Crosterbroux’ Hirn reifte schon lange ein Plan, der jetzt während der Erzählung feste Form gewann. Nun kam sie damit hervor. Sie wollte mit Stuart Burne nach Hope-Valley ziehen, die Kolonie mit fremder Hilfe von allem Gesindel reinigen und die Diamantenminen wieder in Betrieb nehmen. Kam auch nicht viel dabei heraus, mehr als die Arbeit allein war’s doch.
Der Detektiv war damit sehr einverstanden. Einmal, da es sich um einen Wunsch seiner geliebten Ellen handelte; aber auch sonst. Sich in irgendeiner europäischen oder amerikanischen Stadt zur Ruhe setzen? Nach seinem bewegten Leben? Gewiß, er hätte es getan um Ellens willen – wenn sie es gewünscht hätte. Aber … um so erfreuter war er nun, daß auch sie andere Wünsche hegte. Nach Südafrika und dort halb als Minenbesitzer, halb als Farmer leben, – ja, das reizte ihn; das würde ihm behagen. Damit war er sehr einverstanden.
Ellen legte gleich das weitere ihres Planes fest. Templing wurde aufgefordert, die Expedition nach Hope-Valley mitzumachen. Und er stimmte diesem Vorschlag freudig zu.
Söder und Türck lud Ellen Crosterbroux ebenfalls ein, die Expedition nach Hope-Valley mitzumachen und dann einige Zeit als ihre Gäste dort zu weilen. Aber die beiden Seeleute lehnten dankend ab.
Man sprach noch über dies und jenes. An Schlaf dachte in dieser Nacht niemand mehr. Und als das erste Morgengrau heraufstieg, begaben sich die fünf an Deck, um den Sonnenaufgang zu genießen.
Wenige Tage später lief der Dampfer in den Hafen von Alexandrien ein. Unsere Freunde nahmen Wohnung im Grand-Hotel. Das war das beste Haus der Stadt. Internationale Lebewelt traf sich hier, Eleganz und Reichtum. Freilich, wieviel Prozent Abenteurer und Hochstapler darunter waren, durfte man lieber nicht untersuchen. Die fünf fühlten sich nach so langer Zeit Wildnis und Reisen äußerst wohl in dem mondänen Getriebe. Daß sie hinsichtlich ihrer durchweg arg mitgenommenen Kleidung sehr aus dem Rahmen fielen, störte sie dabei ganz und gar nicht.
Sie speisten gemeinsam in dem hocheleganten Speisesaal, ergötzten sich an den Toiletten der Gäste und der Musik der vorzüglichen amerikanischen Jazzbandkapelle und fühlten sich so recht behaglich in diesem Umschwung ihrer Lebensweise. Oft gedachten sie auch Harald Dörcksens und der anderen seines Gefolges. Wie es wohl um sie stehen mochte? Waren sie schon abgefahren zum Himalaya, war es ihnen überhaupt gelungen, sich auf diese große Reise zu machen?
Nun, dergleichen wäre ja der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben. Sie ließen sich die Zeitungen der letzten Woche geben, einen ganzen Stapel, und begannen, sie durchzublättern. Burne entdeckte es zuerst … Da stand in großen Lettern:
Der „Meteor“ bricht durch! Ein neuer Erfolg der Olympia-Bande!
Dies und der ganze Text des Berichtes war so zugeschnitten, daß Harald Dörcksen und die Seinen als gemeingefährliche Banditen dastanden.
In den anderen Nummern der Zeitung fanden sie dann noch Meldungen aus aller Welt über die Olympia-Bewegung. Wieder und wieder, häufiger und häufiger wurden geheime Versammlungen ihrer Anhängerschaft, die ständig wuchs, aufgedeckt. Und wie viele, fragten die Zeitungen selbst, mochten wohl nicht entdeckt werden?!
Söder sagte:
„Wenn wir uns auch der direkten Expedition nach dem für mich immer noch sagenhaften Olympia nicht angeschlossen haben – unsere Herzen, glaube ich, gehören doch der Sache unserer Freunde.“
Alle anderen nickten bestätigend.
„Zweifellos,“ sagte Burne, der ehemalige Gegner, „handelt es sich doch bei der Bewegung um die höchsten kulturellen und menschlichen Güter. Um Verständigung und Versöhnung aller Völker der Erde. Um den Weltfrieden.“ – – –
Die Ruhe und das mondäne Getriebe, das sie hier umgab, veranlaßte die Reisenden, ihren Aufenthalt im Grand-Hotel noch um einige Tage zu verlängern. Sie trieb ja nichts. Was sie vorhatten, konnte auch ebensogut ein paar Tage später geschehen.
Täglich waren sie zusammen, speisten gemeinsam, machten Ausflüge in die interessante Umgebung der Stadt. Stuart Burne freilich wäre oft lieber mit Ellen allein unterwegs gewesen. Aber sagen mochte er ihr das nicht. Wenn sie nicht von selbst darauf kam …
Aber eines Tages bot sich ihm dennoch Gelegenheit, das Gespräch darauf zu lenken. Ein Araber hatte Burne auf dem Platz vor dem Hotel angesprochen, ihm einen Zettel zugesteckt und war dann rasch wieder verschwunden. Sehr geheimnisvoll sah das Ganze aus.
Stuart Burne lächelte; dergleichen kannte er. Auf diese Weise wurden hier im Orient oft Fremde angelockt zu Sachen, die viel Geld kosteten, hinter denen dann aber im Grunde nichts steckte.
Die Aufschrift des Zettels lautete:
„Willst du, Sidhi, und die Herrin, die mit dir ist, ein Geheimnis der Wüste sehen, das Europäern sonst verschlossen ist, so komme heute um Mitternacht an das Nordende der Stadt, da, wo die Straße nach den Ruinen des hunderttorigen Theben sie verläßt. Es kostet nur ein kleines Bakschisch, Hussein.“
Stuart Burne nickte wieder lächelnd. Ganz so kannte er es. Nur ein „kleines Bakschisch“ für eine nächtliche Komödie, die dem unerfahrenen, geheimnishungrigen Reisenden vorgemacht wurde. Aber das „kleine“ Trinkgeld wurde meistens zu einem großen, ja, artete oftmals in eine Art Erpressung aus.
Immerhin, hier war es Burne willkommen. Daß dabei nichts geschah, was er nicht wollte, dafür glaubte er nach seiner langen Praxis als Kriminalist einstehen zu können.
Und vor allem, dies bot ihm die Möglichkeit, Ellen von den anderen abzusondern, einmal für ein paar Stunden mit ihr allein zu sein. Ein Gedanke, auf den sie nicht kam. Er verdachte ihr das keinesfalls. Wußte er doch ganz genau, daß er von einer Amerikanerin nicht Schwärmerei für Schäferstündchen erwarten konnte. Er selbst war durchaus kein Freund gefühlsduseliger Idyllen. Aber – jetzt trieb es ihn dazu, allein mit der Geliebten zu sein. Das sah er auch klar ein.
Ellen Crosterbroux war sehr damit einverstanden, daß sie heute Nacht der „geheimnisvollen“ Einladung Folge leisteten. Diese Art Romantik liebte auch sie, besonders, wenn damit noch die Aussicht verbunden war, einen – Schwindel zu entlarven.
Kurz nach einhalb zwölf Uhr nachts trafen sie sich am Ausgang des Hotels, um der auf dem Zettel angegebenen Stelle zuzustreben. Burne begrüßte die Geliebte zärtlich. Und sogleich machten sie, eng aneinander geschmiegt, sich auf den Weg …
Daß eine Gestalt sich aus dem tiefdunklen Schatten einer Palmengruppe löste und hinter ihnen dreinhuschte, bemerkten sie nicht …
Die Straßen waren fast menschenleeren. Nur hin und wieder begegneten sie Gruppen Fremder; oftmals auswärtige Seeleute, die in den kurzen Tagen ihres Aufenthalts auf dem Festland die nächtlichen Genüsse der Großstadt zu kosten suchten. Aber auch mancher Gruppe verdächtiger Gestalten. Überhaupt war es durchaus nicht gefahrlos, nachts hier durch die Straßen zu wandern. Zu den Gefahren, die jede Großstadt nachts für den einzelnen fremden Passanten birgt, kam hier noch der Umstand, daß diese Großstadt in Afrika lag …
Indessen, neu war das alles für Stuart Burne nicht. Im Gegenteil, nicht im geringsten unbehaglich. Sein Revolver befand sich griff- und schußbereit in seiner rechten Jakettasche, da Ellen nach englischer Sitte an seiner linken Seite dahinschritt. Er hatte scheinbar nur Augen für sie, war auch wirklich innerlich ganz mit dem geliebten Mädchen beschäftigt – und sah dennoch haargenau, was um ihn her vorging.
Ja – aber nicht, was weit hinten geschah … denn ein einzelner nächtlicher Spaziergänger war doch noch kein besondere Erscheinung. Daß dieser sich manchmal ein wenig merkwürdig benahm – stets den dunkelsten Schatten aufsuchte, sich möglichst den Blicken der beiden ein Stück weit vor ihm Gehenden in nicht allzu hellem Licht darzubieten bemüht war – das brauchte ja nicht unbedingt aufzufallen, auch wenn man nicht mit der Geliebten Seite an Seite ging.
Die eigentliche Stadt hatten sie nun verlassen. Die Häuser standen nur noch vereinzelt, Gärten dazwischen, oft auch große Stücke Landes unbebaut – und endlich hörte das alles ganz auf. Diese Straße gehörte schon nicht mehr zu denen Alexandriens, die nachts elektrisches Oberlicht besitzen. Und da die Häuser rechts und links spärlicher wurden, herrschte hier nur noch der matte Schimmer, den die halbe Scheibe des Mondes herniederfließen ließ. Der genügte indessen, die nächtlichen Wanderer den Weg erkennen zu lassen.
Diese Straße, in Deutschland vielleicht einem kümmerlichen Landweg vergleichbar, war sandig, staubig und hörte nach einer Strecke überhaupt auf; ging über in eine schier unabsehbare, sandige Fläche, die im Mondlicht bläulich weiß dalag, gespenstisch von phantastisch geformten Schatten einiger Bodenerhebungen durchzogen. Dies war der Ausgang aus der Stadt, der allein auf jenem Zettel gemeint sein konnte. In dieser Richtung ging es nach den Ruinen des „hunderttorigen Theben“. Hier machten Stuart Burne und Ellen Crosterbroux halt …
Zur Linken erhob sich eine halb zerbröckelte Steinmauer, vielleicht Überreste eines alten Gebäudes. Sie war etwa zehn Meter lang und drei Meter hoch, stand völlig frei, unerfindlich, zu welchem Zweck und ob überhaupt noch zu einem Zweck. Von einer Seite hell vom Mond beschienen, warf sie auf der anderen einen tiefen Schatten. Fast gespenstisch sah sie aus, wie sie so plötzlich aus dem sonst ebenen, kahlen Boden in der Mondnacht aufragte. Und es gehörten schon zwei so unromantische Gemüter, wie die des englischen Detektivs und der amerikanischen Milliardärstochter dazu, bei ihrem Anblick nichts Besonderes zu empfinden.
Nun, die beiden spähten nur in die in ungewissem Mondlicht liegende Ferne, aus der sie das Auftauchen irgendwelcher Personen vermuteten.
Sie täuschten sich nicht. Ein Reiter nahte, der zwei gesattelte Pferde mitführte. Sein Gesicht war halb verhüllt. Doch war unverkennbar, daß es ein Araber war. Er hielt, deutete auf die beiden reiterlosen Pferde:
„Steig auf, Sidhi!“
Burne sah Ellen an. Die nickte ihm lächelnd zu. Dergleichen gefiel ihr. Burne aber, bevor er Ellen aufs Pferd half, fragte den Araber:
„Wohin –?“
„Nicht weit,“ lautete die Antwort, aus der sich nun eigentlich nichts entnehmen ließ. Aber schließlich … achselzuckend wandte sich Burne wieder zu Ellen.
„Wollen wir?“
„Aber natürlich!“ rief sie unternehmungslustig und war mit einem Sprung im Sattel, ehe der Detektiv noch daran denken konnte, ihr beim Aufsteigen behilflich zu sein. Er lachte.
„American-Girl“, dachte er wohlgefällig; ein prachtvolles Geschöpf.
Dann ging’s hinein in die Wüste, in wildem Galopp durch die funkelnde Sternennacht.
Sie sahen nicht mehr zurück, die beiden, sahen nicht mehr die dunkle Gestalt, die aus dem tiefen Schatten der alten Mauer trat und ihnen lange nachblickte …
Welch eine Nacht!
Mondlicht lag auf dem weißen Boden. Der Sand stob einer Wolke gleich unter den zwölf flüchtigen Hufen auf. Ab und zu floh irgendein kleines Getier, aufgescheucht von den wilden Reitern. Fern bellten Schakale.
Es war wie ein Märchen …
Ellen Crosterbroux überließ sich ganz diesem Zauber. Der war so recht nach ihrem Herzen. Nicht süßlich – weiche Märchenstimmung, sondern wilde, abenteuerliche.
Stuart Burne überließ sich gar keiner Stimmung; war ganz Wachsamkeit, spähte unablässig in die Runde, bereit, beim ersten Verdächtigen, das sich etwa zeigen sollte, haltzumachen und mit schußbereitem Revolver …
Aber es zeigte sich nichts. Weit war das flache Land zu überschauen. Bis –
– bis doch plötzlich eine gewellte Bodensenkungen vor den Reitern auftauchte. Wie ein riesenhafter, flacher Graben mit sanft schräg abfallenden Rändern zog sie sich quer zu ihrer Reitrichtung weit hin, mit tiefem Schatten angefüllt.
Ein seltsames Unruhegefühl glomm da auf in Stuart Burne. Rasch näherten sich ihre Pferde dem Tal der Senkung. Er wollte dem Unruhegefühl nachgeben, haltmachen, auch Ellen zum Halten veranlassen. Da – ein schriller Pfiff. Der Araber hatte ihn ausgestoßen. Er war eine Pferdelänge vor ihnen; brach nun seitlich aus … Und im selben Augenblick flog es heran.
Zwölf, fünfzehn, zwanzig weiße, flatternde Burnusse auf schnellen Rossen. Wüstenräuber – kaum zehn Kilometer von der großen Stadt entfernt –?
Es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken; selbst Stuart Burne kam nicht dazu, von seinem Revolver Gebrauch zu machen. Schon waren die Reiter heran, drängten sich blitzschnell dicht an sie … fesselten sie. Und los ging’s, nach jenseits des dunklen Tales, wo phantastisch geformte Ruinen auftauchten …
Burne war innerlich so erregt, wie selten bisher. Hatte er doch allzu leichtfertig gehandelt, als er so schnell auf die geheimnisvolle Einladung zusammen mit der Geliebten einzugehen bereit war –? Doch nun war alles Grübeln, waren alle Selbstvorwürfe müßig. Nun war es geschehen …
Man hatte die beiden Gefangenen gefesselt. Rechts und links ritten Araber, hielten sie. In leichtem Trab ging es vorwärts.
„Du bist so schweigsam, Stuart …“ klang plötzlich Ellen Crosterbroux’ Stimme. Überhaupt nicht angstvoll, nicht einmal erregt.
„Was soll ich sagen, liebe Ellen? Wo doch nun alles vorbei ist – wahrscheinlich,“ erwiderte er.
„Ich fange fast an, deine Detektivfähigkeiten zu bezweifeln …“ sagte Ellen. Das klang spöttisch.
„Wieso?“
„Nun – merkst du nicht, daß man uns ganz anständig behandelt hat – im Grunde genommen? Fast schonend –? Würden echte Banditen so verfahren? Nein, es muß sich um Besonderes handeln.“
„Gewiß hab ich das auch schon bemerkt. Aber – was ändert das an den Tatsachen –? Man hat sich unserer zu irgendeinem Zweck bemächtigt. Wir sind gefangen. Genügt das nicht –?“
„Ich weiß nicht …“
„Und ich bin derjenige, der die Verantwortung trägt, – der dich zu dieser unbesonnenen Nachtexkursion verleitet hat …“
„Hm – ach so. Hör mal, Stuart, ich glaube, du unterschätzt Thomas Crosterbroux“ einzige Tochter. Du für mich verantwortlich –? Es ist ja lieb von dir, daß du so denkst. Aber – zuträfe das vielleicht auf irgendein deutsches Gretchen. Auf mich nicht! Sei also ganz beruhigt, Lieber. Ich hege weder Furcht, noch sonst irgendeine Besorgnis. Bin lediglich auf den Ausgang dieses Abenteuers gespannt.“
„Hm …“
Burne schwieg. Gewiß, wäre er allein hier gewesen, hätte er auch so gedacht. Aber an der Seite des geliebten Mädchens! Dennoch stieg auch wiederum ein anderes Gefühl in ihm auf. Freude und Bewunderung für Ellen – daß sie so furchtlos war. –
Der nächtliche Ritt dauerte nicht mehr lange. Rasch näherte sich die Kavalkade den Ruinen, die im leichten Licht des Mondes einen märchenhaft schönen Anblick boten. Weiß beleuchtete Mauern und tiefschwarze Schatten vor fahl blauem Himmel.
„Liebster, sieh, wie schön!“ rief Ellen. Burne seufzte.
„Ja, schön, Ellen – aber ich wünschte, wir sähen dies in anderer Situation …“
„Oh, warum? Dann wäre es sicherlich viel weniger schön. Nein, gerade so …“
Jetzt waren die ersten der Ruinen erreicht. Die Kavalkade ritt zwischen ihnen hindurch. Das Tempo wurde verlangsamt und endlich machten sie ganz halt. Dicht neben einem halb verfallenen Gebäude. Die Araber stiegen ab. Burne und Ellen konnten nicht sehen, ob ihr Führer von vorhin noch dabei war. Man hob sie von den Pferden, führte sie in das Gebäude hinein, das von innen in seinem unteren Teil noch nicht sehr verfallen aussah – im Gegenteil, soweit die Gefangenen das in dem ungewissen Licht einer Fackel erkennen konnten, ganz wohnlich eingerichtet schien.
Ein Gemach tat sich auf. Wurde vielmehr aufgetan, indem die Araber einen Vorhang beiseite schoben. Grelles Licht fauchender Azetylenlampen fiel ihnen entgegen. Innen sah es aus, wie in fast allen arabischen Wohnzimmern. Vieles war da, Teppiche, Vasen, was in Europa erheblichen Wert repräsentiert hätte.
„Nach einer Räuberbehausung sieht das eigentlich nicht aus,“ bemerkte Burne. Ellen Crosterbroux blickte sich um. Man hatte das Mädchen auf eine Ottomane gelegt, Burne auf den Boden auf Teppiche und Kissen.
Was nun –?
„Stuart, du machst so ein besonderes Gesicht,“ meinte Ellen plötzlich. Und in der Tat, es schien so, als hätten des Detektivs scharfe, beobachtungsgeschulte Augen etwas entdeckt, das ihn in besonderer Weise beschäftigte. Er – lächelte! Und auf Ellens Frage antwortete er nur:
„Ich glaube, wir werden bald eine Überraschung besonderer Art erleben.“
„Und – welcher Art?“ fragte Ellen gespannt.
„Das wirst du bald sehen. Ich glaube kaum, daß ich mich getäuscht habe …“
Und bald konnte Ellen sehen, daß er sich nicht getäuscht hatte.
Alle Araber – bis auf einen – hatten den Raum verlassen. Als dann der Vorhang nach etwa einer Stunde sich wieder bewegte, war es kein Araber, der ihn zur Seite schlug, sondern – Ellen stieß einen Ruf der Überraschung aus – Templing!
„Wie kommen Sie hierher –?!“
„Ich ahnte Ähnliches, aber nicht, daß Sie es wären,“ erklärte Stuart Burne.
„Und was bedeutet das nun?“ fragte Ellen, während Templing und Burne lächelten.
„Daß Sie nun einstweilen gerettet sind,“ antwortete Templing. Ellen schüttelte den Kopf.
„Gerettet aus der Gefangenschaft der Wüstenräuber –?“
„Wüstenräuber gibt’s so nahe bei der Stadt nicht. Aber – gerettet vor der englischen Polizei.“
„Hm, so hängt es also zusammen,“ ließ sich Stuart Burne vernehmen, „mir fiel lediglich manche Kleinigkeit am Benehmen der Araber beim Überfall und später auf, die mich schließen ließ, daß bei dieser Sache irgend etwas nicht so war, wie es schien. Der Überfall war also fingiert?“
Templing nickte.
„War er.“
„Fabelhaft schnell müssen Sie gearbeitet haben.“
„Habe ich.“
„Und – wie kamen Sie auf den Gedanken –?“
„Durch ein paar Beobachtungen, die einem – Detektiv nur entgehen konnten, wenn er verliebt ist.“
„Au – der Hieb saß!“ lachte Burne. „Wird aber nicht übelgenommen. Weiter. Was für Beobachtungen?“
„Daß man uns – oder irgendeinen von uns – in Alexandrien erkannt hatte und bespitzelte. Bald hatte ich heraus, um wen es sich handelte – um Sie. Da stand mein Entschluß auch schon fest, handeln, ehe jene noch dazu kamen, etwas zu unternehmen. Diese braven Araber, die ich von früher her gut kannte, von denen ich wußte, daß sie kräftig englandfeindlich sind, aufsuchen, war das erste. Einer von ihnen lockte Sie hier hinaus. Es gelang. Das weitere wissen Sie.“
„Sehr gut!“ sagte Burne, während Templing die Fesseln Ellen Crosterbroux’ und des Detektivs löste. „Und was soll nun werden?“
„Sie bleiben einstweilen verschollen. Es ist dafür gesorgt, daß morgen mittag das Hotel Ihr Verschwinden der Polizei meldet. Dann – tauchen Sie in irgendeiner Maske unter.“
„Mr. Templing, an Ihnen ist ein Detektiv verloren gegangen! Oder – ein Verbrecher.“
Templing wiegte das Haupt.
„Bedaure, zu beiden verspüre ich nicht die geringste Neigung.“
„Wissen Söder und Türck schon davon? Eigentlich sind ja auch sie gefährdet, wenn … wenigstens der Kapitän.“
„Allerdings. Ich habe sie schnell eingeweiht. Heute nacht noch fahren sie beide mit einem andern Dampfer ab. Söder hat den Kapitän bestochen.“
Burne schüttelte den Kopf.
„Kinder, Kinder – das Tempo! Ihr nötigt mir immer mehr Hochachtung ab.“
„War auch Zeit!“ gab Templing lachend zurück.
„Und was wird aus Ihnen?“ fragte jetzt Ellen. „Sind Sie nicht auch in Gefahr? Wird man in Anbetracht des Umstandes, daß Sie mit uns zusammen nach Alexandrien gekommen sind, nicht auch Ihnen Schwierigkeiten machen?“
„Das glaube ich kaum. Und wenn –“
Er zuckte die Achseln. Schwieg. Ellen fuhr fort:
„Ich habe da so besondere Pläne. Wir haben schon darüber gesprochen. Stuart ist ganz meiner Meinung. Wir wollen nach Hope-Valley zurück, die Kolonie, wenn nötig, von allem Räubergesindel reinigen und uns dann dort für einige Zeit niederlassen. Die Gegend hat Zukunft, wenn sie richtig angepackt wird. Nun, das wollen wir.“
Sie schwieg eine Weile, bis sie abermals zu Templing gewandt fortfuhr:
„Sie gedenken noch einmal zu heiraten, hörte ich.“
„Ja – vielleicht.“
„Ihre zukünftige Frau wohnt in Kapstadt?“
„Ja.“
„Lange schon?“
„Sie ist dort geboren.“
„Liebt sie Afrika?“
„Soviel ich weiß – ja.“
„Und Sie selbst?“
„Ob ich Afrika liebe?“
„Ja.“
„Oh – sehr. Es ist meine zweite Heimat.“
„Dann“ – Ellen wechselte einen Blick mit Stuart Burne – „machen wir Ihnen einen Vorschlag. Ziehen Sie mit uns nach Hope-Valley – eventuell mit Ihrer Frau. Dort bleiben Sie dann – wie zu Zeiten meines Vaters – Verwalter; besonders für die Zeit, wenn wir die Kolonie wieder verlassen. Für ausreichenden Schutz, der dergleichen Vorkommnisse, wie damals, verhindert, werden wir sorgen.“
„Ich soll –“
„Ja – und lebenslänglich.“
„Oh – das ist ja …!“
Der treue Mensch hatte Tränen in den Augen. Es überwältigte ihn.
Kurzum, er nahm den Vorschlag Ellens mit viel Dank an. Nun vertrieben sich die drei die Zeit damit, daß sie Pläne für die Zukunft der Kolonie Hope-Valley machten! Ausreichenden Schutz durch strengste Auswahl zuverlässiger Neger. Alle Arbeiter – schwarze wie weiße – sollten am Ergebnis der Mine beteiligt werden, dann, menschliche Behandlung, menschliche Arbeitsbedingungen. Alles nach der Art, nach den Ideen der Olympia-Bewegung. Und vor allem –: der Bau einer Zweigbahn nach Hope-Valley mußte in die Wege geleitet werden. Das half viel.
Rasch vergingen bei diesem angeregten Gespräch die Stunden. Gegen Morgen erst gedachte man zur Ruhe zu gehen. Templing verabschiedete sich. Er wollte die kühlen Stunden vor Sonnenaufgang benutzen, zur Stadt zurückzukehren.
„Sie hören bald wieder von mir. Bleiben Sie einstweilen ruhig hier. Ich arrangiere schon, was notwendig ist,“ rief er beim Fortgehen noch zurück.
Währenddessen durchfurchte ein mittelgroßer Frachtdampfer das Mittelmeer. Alles war still an Deck. Die Mannschaft schlief. Der Mann am Steuer stand reglos. Die Bordwache ging langsam am Heck auf und ab.
Ganz vorn, am Bug des Dampfers, hockten zwei Gestalten auf einem Bündel Taue schweigend nebeneinander und starrten in den mit tausend funkelnden Sternen besäten Nachthimmel oder in das schwärzliche Wasser, aus dem der Bug des Dampfers weiße Schaummassen zauberte. Weiß sahen sie nicht aus, die Schaummassen; das ungewisse Licht der Sterne ließ sie nur grau erscheinen, gab ihnen für das Auge seltsam phantastische Formen. Einmal war es ein Delphin, der neben dem Schiff einher durch die Wogen hastete, dann eine Frau mit weißem, rauschendem Gewand, dann …
Sie träumten, die beiden.
Es waren – Knut Söder und Türck.
„Dann werde ich eben wieder zur See fahren,“ sagte der Kapitän nach einer Weile, als hätte er ein vorhin unterbrochenes Gespräch nun wiedergefunden. Türck antwortete nicht. Beide schwiegen wieder eine Weile, bis Söder sagte:
„Was für ein unzulängliches Tempo!“
Er wies ins Wasser. Er meinte die Geschwindigkeit des Dampfers, auf dem sie fuhren. Setzte hinzu:
„Wenn ich noch an den „Delphin“ denke …“
Ein Seufzer. Er dachte noch oft an sein verlorenes Schiff, der Kapitän. Dann meinte er, als Türck auch weiterhin schwieg, sich aufrichtend:
„Ja, ich werde wieder fahren! Ich denke nicht daran, jetzt schon für immer vor Anker zu gehen. Ich werde fahren als braver Handelskapitän …“
Da wandte Türck den Kopf, lachte leise – worauf Knut Söder ihm auf die Schulter klopfte.
„Wie, alter Freund, du weißt Bescheid? Aber still jetzt, sag’ nichts. Ich –“
„Pst –!“
Türck hatte warnend den Finger auf den Mund gelegt. Blickte aufmerksam in das Dunkel auf dem Verdeck.
„Was war das –?“ hauchte er. Dann, langsam den Arm hebend, ebenso leise:
„Da – da. Da ist er wieder! Schon eine Nacht habe ich ihn beobachtet. Er –“
Er brach ab. Eine Gestalt war aus dem tiefen Schatten der Decksaufbauten aufgetaucht, kam auf die Spitze des Dampfers zu, gerade dahin, wo die beiden Seeleute saßen. Er hatte sie augenscheinlich noch nicht bemerkt. Ein Zusammentreffen war unvermeidlich.
Da stand Söder kurzerhand auf – erschien so plötzlich in dem ungewissen Licht vor dem anderen, der erschrak.
„Guten Abend, Mr. Jones!“ klang des Kapitäns Stimme. Der andere stammelte:
„Sie kennen … Ich heiße nicht Jones –“
Söder lachte.
„Doch, doch! Sie haben sich ja bereits verraten. Aber – ich hätte Sie auch so erkannt; wußte längst, daß Sie an Bord sind, alter Feind. Und in diesem Aufzug –?“
Er musterte den Detektiv, der die Tracht der Heizer trug, das Gesicht rußig und unrasiert.
„Hinter jemandem her, wie?“ fuhr Söder fort. „Etwa hinter mir? Aber nein, das ist ja eigentlich kaum möglich. Ich –“
„Sie irren, Mr. Söder,“ unterbrach ihn der andere, „ich bin hinter niemandem mehr her, im Gegenteil. Und dieser Aufzug – paßt durchaus zu mir.“
„Sie wollen doch etwa nicht damit sagen, daß Sie hier auf diesem Dampfer wirklich Heizer sind?!“ fragte Söder ungläubig.
„Doch, doch, das will ich. Es ist wirklich so.“
„Wie ist das möglich? Die Lebensstellung geworfen, wie –?“
Jones, der ehemalige amerikanische Detektiv, nickte.
„Ja, ich haßte die behördliche Unterordnung.“
„Da haben Sie ganz recht. Aber – private Tätigkeit …?“
„Ich hatte die ganze Menschenjägerei satt. Ich sattelte um, ging zur See; hatte ja in jungen Jahren damit schon einmal angefangen.“
„Hm – aber als Heizer?“
Jones machte eine unbestimmte Geste.
„Heizer, ja. Obwohl ich das Steuermannsexamen gemacht habe. Aber, wer Pech hat …“
„Das Steuermannsexamen –?“
Söder verfiel plötzlich in Brüten. Auf die Frage Jones’, was er jetzt mache, antwortete Türck statt seiner:
„Wir –? Der „Delphin“ ist verloren. Gestrandet. Unrettbar. Und nun –“
Da unterbrach ihn Söder, nahm sein Wort auf.
„Und nun – wollen wir wieder fahren. Kapitän Söder will wieder zur See, und Türck kommt mit. Und Sie, Jones, alter Feind, auch – wenn Sie wollen.“
Der horchte staunend auf.
„Wie, Kapitän, Sie wollten wirklich – mich, Ihren alten Gegner, der Ihnen oft genug zugesetzt hat damals –?“
„Ich will!“ bestätigte Söder. Der andere streckte ihm die Hand hin.
„Da bin ich Ihnen von Herzen dankbar!“
„Ach was!“ polterte Söder los. „Nichts von Dank gefaselt. Das ist einfach selbstverständlich, daß einer dem anderen hilft, wo und so gut er nur kann. Nur – ganz der Meine müssen Sie sein!“
„Von Herzen gern!“
„Auch, wenn unsere Ladung einmal mit gewissen Zollparagraphen und entsprechenden Beamtenansichten nicht ganz übereinstimmt –?“
„Ah, Sie wollen wieder –? Einerlei – auch dann! Ich bin der Ihre!“
„Recht so!“
Und im Mondlicht, um Mitternacht, drückten die drei Männer einander die Hände. Das sah fast wie ein Treueschwur aus. Und – eigentlich war es das ja auch.
Als der Dampfer zwei Tage später in Neapel angelegte, wo er bis zum nächsten Tag Aufenthalt hatte, erlebte eine der Kneipen am Hafen eine ungeheure Bezechtheit der drei vom Schicksal neu zusammengeschweißten Kumpane. Aber als Türck und Jones schon unter dem Tisch lagen, saß Söder immer noch aufrecht und trank. Er war der Alte geblieben, wetter- und trinkfest. Ihm war von Betrunkenheit kaum etwas anzumerken. Nur eins, philosophisch machte ihn die Menge des Alkohols.
„Alles kommt einmal wieder,“ murmelte er. Dachte dabei an seine früheren feuchtfröhlichen Schmugglerjahre? Dieser Tag – war er nicht eine Wiederkehr jener Zeit –? Der Auftakt dazu sicherlich.
Und aus den Augen des Seemanns stahl sich eine Träne. Vor Rührung –? Vielleicht kam sie auch nur von dem reichlichen Alkoholgenuß … Sein Gesicht aber strahlte von Zuversicht und Glück.
Die Brandung ging hoch an der Felsenküste von Kalifornien. Der eigentliche Seegang war dabei nicht einmal groß. Dennoch donnerten und brausten die Wogen. Das kam von den Felsen, die hier in bizarrer Zerklüftung dem Festland vorgelagert waren. Wehe dem Schiff, das sich dieser Küste zu weit näherte!
Schon weit draußen ließen Brandungsstellen erkennen, daß dicht unter der Wasseroberfläche Felsenriffe verborgen liegen mußten, – die größte Gefahr für Schiffe.
Die Nacht war stockdunkel. Dicke Wolkenmassen jagten über den Himmel. Hin und wieder fegten Regenschauer über die See hin. Der Schaum der Brandung schimmerte unheimlich grau.
Draußen, gar nicht weit vor der Brandung, schaukelte ein Schiff auf den Wellen. Es war ein mittelgroßer, schlank gebauter Frachtdampfer. Merkwürdigerweise hatte er keine Lichter gesetzt. Auch keine der Luken war erleuchtet. Dem Schornstein entquoll nur wenig Rauch. Schlief die Besatzung? Hier in unmittelbarer Nähe der gefährlichen klippenreichen Küste? Oder welche Bewandtnis hatte es sonst mit diesem Schiff, das völlig dunkel dalag? Es machte einen geheimnisvollen Eindruck.
Dennoch war Leben an Bord. Waches Leben. Gestalten eilten auf Deck hin und her. Leise Worte klangen durch die Dunkelheit. Die Männer schienen Lasten zu tragen, die sie in einem der großen Boote verstauten. Dann stieg eine Anzahl von ihnen selbst in das Boot hinein. Nun wurde es zu Wasser gelassen.
Zwei Männer führten die Riemen, zwei andere saßen außerdem noch im Boot; einer davon am Steuer.
„Pullt nur immer los, Jungs; ich bring uns schon durch. Hier kenne ich jeden Stein. Auch die unter Wasser!“ rief der Mann am Steuer. Die Stimme war die – Kapitän Söders.
Indessen, ruhig und sicher steuerte Knut Söder das kleine Fahrzeug durch alle Fährnisse hindurch, hielt es mit bewunderungswürdigem Geschick fern von dem Verderben. Und als eine gewisse Gefahrzone überwunden war, sahen die vier sich plötzlich in einer Art natürlichem Hafenbecken, in einer kleinen Bucht, in der das Wasser so ruhig war wie in einem Teich! Während hinter ihnen rechts und links die Brandung weiter tobte.
Das Boot legte an einer flachen, ins Wasser vorspringenden Felsplatte an – ein vortrefflicher natürlicher Anlegeplatz. Söder sprang als erster an Land, befestigte eine lange, dünne Kette, die am Stern des Bootes festsaß, an einen der verstreut umherliegenden kleineren Felsblöcke. Gleich darauf verließen auch die beiden Matrosen das Boot. Nur Jones blieb darin.
Und nun zeigte sich auch, worin die Ladung des Bootes bestand, aus einer Anzahl kleiner Fäßchen. Jones reichte eins nach dem anderen heraus, die Matrosen nahmen sie ihm ab, stapelten sie am Strand auf, und dann trugen die Matrosen und der Kapitän selbst sie fort.
Die drei verschwanden mit ihren Lasten hinter einer massigen Felswand. Sie brauchten indessen nicht weit zu gehen. Die schwarzgähnende Öffnung eines Höhleneinganges ward bald zur Linken sichtbar. Söder ließ einen Augenblick den Schein seiner Taschenlampe aufblitzen und da hineinfallen. Eine geräumige, flache Höhle zeigte sich. Völlig leer.
„Allright,“ sagte Söder. Sie trugen die drei Fäßchen da hinein. Gingen zum Strand zurück, holten drei weitere. Jetzt nahm auch Jones eins, während einer der Matrosen statt seiner im Boot zurückblieb. Und noch ein drittes Mal gingen sie. Dann war die Ladung des Bootes in der Höhle verstaut.
Gleich darauf bewegte sich das Boot mit den vieren wieder dem Dampfer zu – um kaum eine Stunde später nochmals vollbeladen der kleinen Bucht zuzusteuern, wo sich dann das gleiche wiederholte.
Und so noch zweimal. –
„Sonnenaufgang ist nicht mehr fern,“ sagte Jones. Knut Söder war gleich hinter ihm an Land gesprungen, atmete tief auf. Sah zum Dampfer zurück.
„Ja, bald ist es soweit. Nun, die Ladung ist in Sicherheit. Wir müssen nun hier warten, bis Morris die Sachen abholen läßt. Wenn alles klappt, muß er heute gegen Abend eintreffen.“
Sie waren der Höhle zugeschritten, gingen hinein. Jones setzte sich auf eins der Fäßchen. Der Kapitän ließ das Licht seiner Taschenlampe verlöschen. Ganz dunkel war es in der Höhle. Da –
Ein Rascheln ließ die beiden aufhorchen. War einer der beiden Matrosen, die im Boot geblieben waren, nachgekommen? Söder rief: „Hallo!“
Keine Antwort. Er wollte seine Taschenlampe wieder einschalten. Es blieb beim Wollen. Irgend etwas fühlte er im Dunkel auf sich zufliegen; fühlte sich gleich darauf von einem kraftvollen, geschmeidigen Körper umschlungen. Im selben Augenblick stieß Jones einen Ruf aus.
„Damned – doch entdeckt!“
Und auch er schien mit jemand zu ringen. Er keuchte. Söders Gegner war von großer Kraft und schier unglaublicher Gewandtheit. Selbst der bärenstarke Kapitän konnte nicht mit ihm fertig werden. Kaum eine Minute später lag er gefesselt am Boden. Das heißt, nur die Hände waren ihm auf dem Rücken mit Riemen zusammengebunden. Im übrigen kniete der Gegner auf ihm und verhinderte, daß er sich rührte.
Und Jones? Dem war es wohl nicht anders ergangen. Ebenfalls war auch da jedes Geräusch des Kampfes verstummt. Söder beschloß, einen Versuch zu machen.
„Mr. Jones!“ fragte er.
„Was ist das eigentlich?“ kam als Antwort zurück. „Wir sind entdeckt; zweifellos. Aber von wem? Das Ganze kommt mir so sonderbar vor …“
„Ist es auch. Und wiederum auch nicht. Einer der Angreifer ist so liebenswürdig, noch auf meinem Bauch zu sitzen und meine Beine festzuhalten. Es sind – ah –“
Der Gegner Söders war aufgesprungen. Es schienen noch weitere in die Höhle gekommen zu sein. Niemand sprach ein Wort. Der Kapitän wurde von vier Armen hochgerissen und vorwärtsgezerrt. Jones erging es, nach dem Geräusch zu schließen, ebenso. Er schimpfte in allen Sprachen, die er beherrschte: englisch, spanisch, deutsch. Es half nichts. Nicht ein Wort sagten die geheimnisvollen Angreifer.
Endlich doch. Aber weder zu Jones, noch zu dem Kapitän. Ein einziges Wort rief einer der Fremden den anderen zu. Aber es genügte auch für die Gefangenen. Sie erkannten es beide sofort. Es war – indianisch.
„Dachte ich’s mir doch,“ knurrte Söder, „wir sind von Indianern beobachtet und überfallen worden!“
Währenddessen hatten die Angreifer schon die beiden aus der Höhle herausgezerrt, und nun erkannten sie auch im langsam aufglimmenden Dämmer – es waren Indianer. Zehn, zwölf Männer. Jones und Söder hatten sie die Hände mit Riemen auf den Rücken zusammengebunden. Führten sie nun in ihrer Mitte schweigsam fort.
Und die anderen?
Die beiden Matrosen warteten nicht im Boot. Da sie wußten, daß Söder und Jones bis zum Abholen der Fäßchen am Abend bei der Höhle bleiben wollten, sich auch einige Lebensmittel für den Tag mitgenommen hatten, so ruderten sie zum Dampfer zurück, in der Absicht, jene am Abend wieder abzuholen.
Der Abend kam. Die beiden Matrosen fuhren wieder hinaus. Da das Meer jetzt völlig glatt war, konnten sie die schmale Wasserstraße zwischen den gefährlichen Brandungen ohne Gefahr passieren. Als sie an jenem Felsplateau ankamen, senkte sich bereits Abenddunkel hernieder. Hinter ihnen, über dem Meer, stieg die rotgelbe Scheibe des Mondes unwahrscheinlich groß empor. Ringsum breitete sich ein seltsames Licht über den bizarren Formen der Felsen aus. Ein märchenhaftes Bild.
Nun, die Matrose fand niemanden vor. Kein Zeichen, keine Spur – gar nichts. Ruderten daher zum Dampfer zurück und berichteten Türck, der schon mit einiger Unruhe wartete. Söder und Jones verschwunden?? Von Sorge jäh gepackt, starrte Türck eine Weile ins Dunkel, wo weit draußen dort die Küste lag. Was mochte geschehen sein?
Zwei Tage wartete der treue Freund, von der Ungewißheit gequält, bis er sich endlich zu einem Entschluß durchrang, da erst war Türck wieder ganz der Alte, nun Kommandant. Seine „Befehle“ schallten über Deck – und bald darauf dampfte das Schiff mit voller Kraft nach Süden, dem Panama-Kanal zu.
Endlich, endlich näherte man sich New York. Die Freiheitsstatue kam in Sicht. Türck wollte weiterfahren, bis das Schiff in gleicher Höhe mit der Hafeneinfahrt von Hoboken war, und dann stilliegen. Das war bei dem kaum merkbaren Wind ohne jede Gefahr.
Gegen Abend dieses Tages war es soweit. Selbstverständlich blieben die Kessel unter Dampf, damit das Schiff im Notfall sofort seine volle Manövrierfähigkeit hatte. Sonst aber war alles still an Bord, auf Deck außer der Wache kein Mensch. Die Mannschaft schlief.
Nur Türck fand keinen Schlaf. Er hatte in den letzten Tagen einen leichten Fieberanfall zu überwinden gehabt, war davon noch etwas matt. Dennoch floh ihn der Schlaf. Kurz entschlossen stand er auf und ging an Deck. Die Luft war angenehm. Die Sterne funkelten. Fern lag ein rötlicher Schein über dem Wasser. Die Lichter der Riesenstadt New York.
Türck stand gedankenvoll an der Reling. Da klang Musik an sein Ohr. Musik – hier nachts auf dem Meer –? Türck wandte sich um, sah über das Deck hinweg zur anderen Seite … sah einen großen Dampfer langsam an dem Schiff vorüberfahren. Alle Bullaugen waren strahlend hell, manche offen, und aus den Kajüten klang Tanzmusik und verworrenes Geräusch ausgelassener Stimmen.
Er horchte, spähte. Zu erkennen war von dem dunklen Schiffsrumpf nicht viel. Nur das Licht, das Stimmengewirr und die Musik. Auf Deck selbst schien alles wie ausgestorben. Und nur ganz, ganz langsame Fahrt machte der fremde Dampfer; ja, fast schien es, als stände seine Maschine überhaupt still, als würde er nur durch die leichte Brise allmählich von der Stelle bewegt.
Dies plötzlich aufgetauchte Schiff mit dem nächtlichen Lärm an Bord machte auf Türck einen fast unheimlichen Eindruck. Er wußte nicht, warum. Stand und starrten hinüber. Manchmal hob sich ein gelles Frauenlachen aus dem Stimmengewirr, flog über das Wasser zu Türck hinüber.
„Beinahe wie der „Fliegende Holländer“,“ sagte plötzlich eine tiefe Stimme neben ihm. Türck erschrak. Aber es war nur der Matrose, der die Wache hatte.
„Fühlen Sie es auch?“ fragte er nach einer Weile.
„Was –?“ fragte der Matrose zurück.
„Daß dies Schiff einen unheimlichen Eindruck macht in dieser Nachtstille –?“
„Ja …“
Sie schwiegen beide. Dann fragte Türck:
„Ich werde hinüberfahren?“
„Zu dem Schiff? Jetzt –?“
„Ja – helfen Sie mir, ein Boot zu Wasser zu lassen.“
Kopfschüttelnd ging der Matrose mit zu einem der Boote. Es wurde ausgeschwungen; Türck kletterte hinein. Dann ließ der Matrose es auf den Wasserspiegel nieder.
„Soll ich nicht doch lieber noch jemanden von der Mannschaft wecken –?“ rief er gedämpft hinunter.
„Nein, nein, seien Sie unbesorgt. Ich habe ja auch meinen Revolver bei mir. Außerdem habe ich hinsichtlich jenes Schiffes noch eine ganz besondere Meinung. Eben deshalb will ich hinüber. Auf Wiedersehen!“
Damit stieß er ab. Ruderte dann gemächlich auf jenes Schiff zu, das in gar nicht großer Entfernung langsam dahintrieb. In knapp zehn Minuten konnte er dort sein.
Die Geräusche, die herüberklangen, wurden immer deutlicher. Das Wasser trug ja den Schall vorzüglich. Einzelheiten freilich konnte Türck nicht heraushören. Nur Musik, die meistens mitgesungen wurde, Stimmengewirr dazwischen und nur hin und wieder sich heraushebend helles Frauenlachen.
Türck hielt mit Rudern inne. Jetzt war er dem hellerleuchteten Schiff schon ganz nahe gekommen. Er erblickte eine außenbords angebrachte Treppe, die indessen nur bis zur halben Höhe der Bordwand hinaufführte. Dort bildete eine schmale, niedrige Tür, die offenstand, den Eingang in das Innere des geheimnisvollen Schiffes.
Schon wollte Türck darauf zusteuern, als aus der Ferne Motorgeräusch an sein Ohr klang, das schnell näher kam. Auf dies Schiff zu –? Es schien so.
Türck lauschte. Wirklich – es kam näher. Da trieb er sein Boot mit ein paar Ruderschlägen hinter, unter die Treppe, dicht an die Bordwand, so daß es und er von ihrem Schatten gedeckt wurden. Wartete …
Ein Motorboot fuhr auf Dampfer zu. Ein Mann bediente es, ein zweiter stand, in einen weiten Mantel gehüllt reglos da. Es legte an der Treppe an. Türck hörte den Mann im Mantel sagen:
„Also um vier Uhr, Fred!“
Der Mann am Steuer erwiderte etwas, das Türck nicht verstand. Der im Mantel sprang darauf aus dem Motorboot, eilte leichtfüßig die Treppe empor und verschwand in der offenen Tür …
„Es ist, wie ich vermutete,“ murmelte Türck. Er ruderte unter der Treppe hervor, legte vorn an ihr an, befestigte das Boot und stieg gleichfalls empor.
Oben, hinter der offenen Tür, zog sich ein Korridor hin, von einem Vorhang verschlossen. Türck schlug ihn beiseite und – blieb wie angewurzelt stehen. Das Bild, das sich ihm hier bot, übertraf denn doch seine Erwartungen.
Der Gang hörte gleich hinter dem Vorhang auf, mündete in einem großen, elegant ausgestatteten Raum, der Garderobenräumen vornehmer Theater sehr ähnlich sah. Aparte Beleuchtungskörper strahlten mattes elektrisches Licht. Rings an den Wänden – wenigstens auf drei Seiten – waren Reihen Garderobenhaken mit Nummern angebracht. Diener in Livree standen davor. Auch auf Türck kam gleich einer von ihnen zu; nahm ihm die Seemannsmütze ab – das einzige Stück seiner „Garderobe“, das Türck ablegen konnte.
Vielleicht das Erstaunlichste aber waren zwei kleine Gruppen schwarz gekleideter Herren, die in dem Garderobenraum zusammenstanden und von denen jeder eine schwarzseidene Halbmaske trug. In einem von ihnen – er legte gerade seinen weiten Mantel ab – erkannte Türck den Herrn aus dem Motorboot wieder.
„Sie sind fremd hier, Sir. Darf ich fragen, auf wessen Empfehlung hin Sie gekommen sind?“
„Allerdings bin ich fremd hier,“ entgegnete Türck.
„Wie kamen Sie hierher?“
„Mit einem Boot – allein – mein Dampfer liegt in der Nähe. Ein geringfügiger Maschinendefekt zwang uns auf der Reise nach Europa, hier eine Weile stillzuliegen,“ log Türck, „aber morgen hoffen wir die Fahrt fortsetzen zu können.“
„Nach Europa also – nicht nach New York?“ forschte der andere. Türck bestätigte:
„Nach Europa.“
Der Diener sah zu Boden, sann eine Weile nach …
„Folgen Sie mir bitte,“ sagte er dann.
Türck nickte. Es war wohl keine Gefahr dabei. Darauf schritt der andere in einen schmalen, halbdunklen Seitengang, stieß eine Tür auf, knipste das Licht an und ließ Türck vorangehen in eine kleine Kabine.
Der Diener zog die Tür hinter sich zu und sagte – zu Türcks neuerlichem Staunen in deutscher Sprache:
„Nun, wenn Sie wirklich morgen nach Europa weiterreisen und nichts verraten wollen –“
„I wo werd ich!“ beteuerte Türck. Der Diener zog darauf eine Visitenkarte. „Send by Howard Carter,“ las Türck mit Tinte darauf. Zugleich reichte der Diener ihm eine schwarze Samtmaske.
„Mit diesen beiden Dingen können Sie getrost hineingehen. Niemand wird Sie weiter nach etwas fragen.“
„Oh, das s’ fein. Herzlichn Tank!“ fing Türck zu sächseln an. Dann hielt er dem Diener einen Geldschein hin. Doch der wehrte ab.
„Danke, mein Herr. Wir werden hier sehr gut entlohnt; wirklich sehr gut. Damit wir nichts verraten. Außerdem –: von einem Landsmann hätte ich auch sonst nichts genommen.“
„Nicht –? Nun, dann also – schön’n Tank!“
Und er streckte dem Diener die Hand hin, der sie kräftig drückte. Dann ging er. Die Maske hatte er angelegt, die Empfehlungskarte in die Tasche gesteckt. Der Diener rief ihm noch nach: „Der rechte Eingang!“ Dann trat Türck in einen der großen Räume ein – und blieb wieder vor Überraschung wie angewurzelt stehen. Seine Erwartungen wurden stets neu übertroffen.
Dieser große Raum glich einem eleganten Restaurant oder vielmehr einem mondänen Vergnügungssalon. Auf kleinen weißgedeckten Tischen standen elektrische Lampen mit bunten Seidenschirmen. In Korbsesseln saß eine angeregt plaudernde Gesellschaft, sehr elegant. Man spürte förmlich einen Geruch von Geld.
Der zweite Raum … Hier wurde getanzt. Eine Jazzbandkapelle thronte auf einem kleinen Podium in einer Ecke. Die Wände entlang aber waren lauter lauschige Nischen gebaut, und in diesen Nischen ging es sehr lebhaft zu. Dorther ertönten oft weibliche Rufe, Gelächter, Gläserklingen. Überall wurde der in den Vereinigten Staaten verpönte Alkohol genossen. In jeder Gestalt. Als Likör, Grog und Wein. Und in enormen Mengen.
Türck bummelte an der Seite die Reihe der Nischen hinunter. Niemand kümmerte sich um ihn. Alle waren viel zu sehr „unter Alkohol“ oder mit sich und miteinander beschäftigt.
Am Ende dieses Tanzraumes führte wiederum ein Korridor weiter. Hier war es merkwürdig still, nur hinter einer dicken, schweren Portiere hervor drangen gedämpfte Männerstimmen. Türck schlug sie zurück und – prallte mit einem Diener zusammen, der ihn wieder nach der Empfehlung fragte.
Die haben sich gut gesichert, dachte Türck und befriedigte den Zerberus. Dann trat er ein. Dieser Raum war kleiner als der vorige. Ein Blick genügte, Türck erkennen zu lassen, was hier im Gange war. Hier wurde gespielt. An zwei Tischen scharte sich eine Anzahl eleganter Männer und Frauen und verfolgte gespannten Blickes die Bewegungen der Roulettekugel.
Da Stimmengewirr, zornige Rufe, Unruhe floß irgendwoher. Türck trat auf den Korridor hinaus. Prallte mit einem Herrn zusammen, in dem er sofort jenen Mann aus dem Motorboot wiedererkannte.
„Fort – Polizei –!“ raunte der ihm hastig zu und eilte an ihm vorbei weiter. Er schien hier sehr gut Bescheid zu wissen.
Der Fremde war an eine zweite kleine Tür gelang. Öffnete sie. Stutzte. Sie führte ins Freie, ins Wasser. Er drehte sich um.
„Damned! Nun bin ich doch falsch gelaufen!“
Aber Türck, der dicht hinter jenem war, hatte schon einen Blick hinausgeworfen. Da lag rechts die außenbords angebrachte Treppe, darunter – sein Boot.
„Rasch – in mein Boot!“ rief er dem Fremden gedämpft zu. Der musterte ihn einen Moment mißtrauisch, folgte dann aber seiner Aufforderung.
Sie hielten auf Hoboken zu. Ruderten abwechselnd. Das war ein großes Stück Arbeit. Stundenlang. Langsam graute der Morgen. Ein Motorboot knatterte von fern heran. Der Fremde spähte besorgt nach ihm aus. Dann aber lachte er auf. „Es ist mein eigenes.“ Und stellte sich auf die Ruderbank. Schrie, winkte.
Als das Motorboot näherkam, stoppte, wandte der Fremde sich zu Türck: „Wer sind Sie?“
„Steuermann eines Dampfers, der draußen liegt,“ entgegnete Türck unbestimmt.
„Draußen –?“ Der Fremde schaute Türck lächelnd an. „Besondere Gründe, wie –? Na, mir kann’s egal sein. Jedenfalls – herzlichen Dank für Ihre Hilfe!“
Er drückte Türck die Hand und sprang in das Motorboot hinüber, das gleich darauf mit ihm davonfuhr. Die Maske hatte er nicht abgenommen. Türck sah dem Entschwindenden nach. Er würde, sähe er den Fremden jemals im Leben wieder, ihn trotz der Maske wiedererkennen. An den Händen und an der Kinnpartie.
Warum ihm gerade der Gedanke kam? Er wußte es nicht. Dachte auch nicht weiter darüber nach. Irgendeine Bedeutung würde es schon haben. Wie alles im Leben Bedeutung hat. –
Langsam wandte er das Boot. Wollte zum Dampfer zurückrudern. Aber nach ein paar Ruderschlägen besann er sich anders. Hoboken war nicht mehr fern. Warum sollte er nicht für ein paar Stunden nach New York hinein? Die Stadt hatte ihn von jeher angezogen.
So ruderte er weiter und langte erst spät abends bei seinem Dampfer wieder an. Im Schlepptau eines Motorbootes, das die gleiche Richtung hatte.
Wieder vergingen mehrere Tage, ohne daß der Kapitän kam, ohne daß man etwas von ihm hörte. Die Langeweile an Bord griff immer mehr um sich. Jeden Morgen, ganz früh, fuhr Türck nach New York hinüber – um an Zeitungen zu kaufen, was er bekommen konnte. Wie gut er daran tat, sollte sich bald zeigen.
Söder und Jones lagen allein im Zelt der Indianer. Zwei Tage waren seit ihrer Gefangennahme verflossen. Man brachten ihnen Essen, kümmerten sich ansonsten aber nicht um sie. Was sollte nun werden?
„Hören Sie –?“ fragte Jones plötzlich mit lauschendem Gesicht. Söder, gleichfalls den Kopf hebend, nickte.
„Ja, ja – das ist –“
Weiter kam er nicht. Der Tumult draußen verstärkte sich. Schüsse fielen. Geheul durchzitterte die Luft. Aber es entfernte sich – erstarb. Dann war Stille.
Plötzlich wurde der Vorhang am Eingang des Zeltes zurückgeschlagen. Zwei Gesichter spähten herein. Weiße! Gleich darauf traten sie ein. Es waren zwei Offiziere der Vereinigten Staaten Armee.
„Wer sind Sie? Wie kommen Sie hierher?“ fragte der eine der beiden.
„Erst lösen Sie bitte die verwünschten Fesseln, dann können Sie Auskunft bekommen.“
Der Offizier murmelte etwas Unverständliches, bückte sich und durchschnitt die Riemen der beiden Gefangenen.
„Wer sind Sie?“ wiederholte der Offizier.
„Reisende. Wir wurden an der Küste von den Indianern überfallen und hierhergeschleppt.“
„Reisende –?“ Sehr mißtrauisch klang das. Die beiden Offiziere wechselten einen bedeutsamen Blick, worauf der andere sich dem Ausgang zuwandte, dabei eine Trillerpfeife an die Lippen setzte und pfiff.
Nun war es an Söder und Jones, einen bedeutsamen Blick zu wechseln. Was ging vor –? Aber sie sollten nicht lange Zeit zum Überlegen behalten. Soeben traten bereits zwei Soldaten in das Zelt. Der eine der Offiziere sagte:
„Meine Herren, ich muß Sie leider verhaften unter dem Verdacht, Sprit eingeschmuggelt zu haben.“
„Verhaften – uns –? Wegen – Alkoholschmuggel …?“ rief der Kapitän mit gut gespielter Entrüstung. „Wir sind zwei harmlose Forschungsreisende, die –“
Der Offizier hob die Hand, Söder unterbrechend:
„Danach sehen Sie bestimmt nicht aus. Im übrigen muß ich Sie in Haft behalten.“ –
Sie ritten, umgeben rechts und links, vorn und hinten von berittenen Soldaten, durch felsiges Gelände. Nach nahezu fünfstündigem Ritt gelangten sie zu einem alten Fort, das aus der Zeit der großen Indianeraufstände stammte. Hier wurde ihnen eine gemeinsame Zelle zugewiesen. Am nächsten Tag sollte es weitergehen zur Bahnstation und von dort nach New York.
*
Türck –!
Nun war der Augenblick da, in dem er sah, wie gut es war, daß er seiner plötzlich aufgetauchten Neigung, nach New York zu fahren, nachgegeben hatte. Er hatte Söder auf einem Bild in einer der vielen Zeitungen, die er jeden Tag kaufte, erkannt – in Handschellen und unter Polizeibewachung auf dem Weg vom Bahnhof zum Gefängnis.
Man kannte Türck kaum in New York. Darauf baute er seinen Plan, fuhr kurz entschlossen zum Polizeipräsidium und ließ sich dort direkt beim Chef der Kriminalpolizei melden.
Türck hatte Glück. Der Chef der Kriminalpolizei, ein Mister Lawrence, war anwesend. Beim Eintritt des Seemannes in das Zimmer des Polizeigewaltigen erhob sich von dem massigen Schreibtisch eine hohe, elegante Gestalt, wies auf einen Sessel ihm gegenüber und fragte, sich wieder setzend, nach dem Begehr des Besuchers.
Türck trug vor, was er sich zurechtgelegt hatte. Aber langsam, stockend, unsicher – was sonst gar nicht seine Art war. Woher kam das?
Mr. Lawrence warf, während Türck sprach, mehrmals kurze, prüfende Blicke auf ihn. Hatte Türck trotz allen Bemühens seine Mienen doch nicht so ganz in seiner Gewalt, wie er es beabsichtigte, wünschte und glaubte –? Hatte der Polizeichef gemerkt, was für ein Aufruhr in dem Seemann tobte, wie seine Gedanken mit fieberhafter Hast an etwas ganz anderem arbeiteten, als an dem, wovon er sprach –?
Ja, Türcks ganzes Denken war in Aufruhr. Er hatte eine Entdeckung gemacht, die –
Kurzum, Türck hatte in dem Chef der New Yorker Kriminalpolizei den maskierten Fremden wiedererkannt, dem er in jener Nacht auf dem „Vergnügungsschiff“ zur Flucht verholfen hatte.
Tausend Gedanken kreuzten wirr des Seemanns Hirn. Aber sie drehten sich alle um den einen Brennpunkt: Wie kann ich diese meine Entdeckung zugunsten Söders und Jones’ ausnutzen? –
„Sie haben recht gesehen,“ sagte jetzt Mr. Lawrence, „der eine der beiden Verhafteten ist Kapitän Söder. Zufällig habe ich mich selbst heute mit dem Fall beschäftigt, bin also genau unterrichtet. Die Sache ist für Ihren – Freund ziemlich ernst. Ein schwerer Fall von Alkoholschmuggel, der jetzt bei uns, wie Sie wohl wissen werden, streng bestraft wird.“
Er hielt inne und warf Türck wieder einen jener prüfenden Blicke zu, von denen der nicht so recht wußte, was er von ihnen zu halten hatte. Er hatte sich in dem anfänglichen Chaos seiner Gedanken inzwischen zurechtgefunden. Während der Polizeichef ihn nun schweigend anblickte, sah auch er ihm voll ins Gesicht und sagte, jedes Wort einzeln betonend:
„Diese Bestrafung wird nicht erfolgen!“
„Wie – wie meinen Sie das?“ entgegnete Lawrence.
„Ich meine das so, wie ich es sagte. Die Bestrafung des Kapitäns Söder und seines Begleiters wird nicht erfolgen. Sie selbst werden sofort die Haftentlassung der beiden Herren in die Wege leiten.“
Der Polizeichef hob die Achseln. Aber man sah ihm an, daß er unsicher ward. Er sagte:
„Mein Herr, Sie haben sich wohl nicht genügend überlegt, was Sie sagten. Ich –“
Doch da hob Türck die Hand und rief:
„Mr. Lawrence, wenn Sie die Freilassung Söders und seines Begleiters nicht unverzüglich in die Wege leiten, dann erfährt ganz New York, erfährt die Regierung, daß ihr Polizeichef nächtlicherweise die so scharf verfolgten Alkoholschiffe aufsucht und vor wenigen Tagen einmal fast dabei von seinen eigenen Untergebenen abgefaßt worden wäre!“
Als hätte er einen Schlag erhalten, sank Lawrence in seinem Sessel zusammen.
„Sie sind es also doch,“ murmelte er, „Sie kamen wir gleich bekannt vor! Ich wußte nur im Augenblick nicht, wo ich Ihr Gesicht schon einmal gesehen hätte. Und nun –“
„Nun werden Sie meinem Wunsch willfahren, ja, oder …?“
„Ich muß wohl. Ich bin in Ihrer Gewalt …“
„Nun, sehen Sie, so können wir schon vernünftiger miteinander reden.“
„Und Sie versprechen mir unbedingtes Stillschweigen in – in meiner Angelegenheit?“
„Sobald Sie die Freilassung Söders und Jones’ bewirkt haben – ja.“
„Dann werde ich Ihren Wunsch erfüllen. Ihre Freunde sind in wenigen Stunden frei!“
Ein kurzer Gruß, und Türck verließ sehr befriedigt die Polizeistation. –
Kapitän Söder und Jones waren mehr als verblüfft, als ihnen erklärt wurde, daß sie frei seien, wenn sie sich verpflichteten, die Vereinigten Staaten sofort zu verlassen.
Kaum auf der Straße vor dem Gefängnis, stieß Türck zu ihnen. Ja, er war es wirklich. Eine Überraschung jagte die andere. Aber er ließ sich auf keine Fragen seitens der Befreiten ein. Sagte nur:
„Haben Sie noch irgend etwas in New York zu erledigen, Kapitän?“
Söder schüttelte den Kopf.
„Gut; dann, bitte, zum Hafen. Näheres erfahren Sie unterwegs.“
So kam es auch. Auf dem Weg zum Dampfer erklärte Türck den beiden anderen die Zusammenhänge.
Inzwischen war alles zum Abdampfen fertig gemacht. Der Kapitän wollte soeben die Treppe zur Kommandobrücke emporsteigen, als Türck ihn beim Arm ergriff und zurückhielt.
„Dort – sehen Sie dort, Kapitän!“
Auch einige von der Mannschaft stießen Rufe des Erstaunens aus. Söder wandte sich um. Da sah er – – –
Am schwarzen Nachthimmel war ein riesenhafter sechszackiger Stern erschienen. Er strahlte in weißlich gelbem Licht und bewegte sich rasch vom Fleck. In der Mitte dieser seltsamen Erscheinung strahlte ein Bild: eine Art Thronsessel mit einer schönen jungen Frau darauf. Alle starrten wie gebannt nach oben. Der riesige Stern zog ruhig seine Bahn. Schien näher zu kommen. Größer ward er und deutlicher. Da rief Söder:
„Das ist ja – Hella Dörcksen! Oder – die Wolkenkönigin!“
Knut Söder wußte, was es war.
„Harald Dörcksens Flugschiff …“ murmelte er. „Vielleicht ist dies sein Siegeszug über die ganze Erde …“
Und in dem Seemann regte sich nun doch etwas wie Bedauern, daß er sich seinem Jugendfreund nicht doch endgültig angeschlossen hatte.
Im Haus des Majors Howard wurde getanzt. Musik klang durch die offenen, nur mit Drahtgazegeflecht verstellten Fenster auf den Platz hinaus. Die englische Garnison in Agra feierte ein Fest. Die Soldaten in der Kaserne, die Offiziere im Hause des Majors.
„Sie blicken düster, Tompson,“ sagte der Gastgeber, der mit einem weit jüngeren Offizier in einer Nische saß, von der aus man den Festtrubel gut beobachten konnte, ohne selbst vom Saal aus gesehen zu werden. „Sie machen so ein finsteres Gesicht, als ob –“ sagte Howard, vollendete aber den Satz nicht, sondern fuhr fort: „Sind Sie nicht zufrieden? Können – müssen Sie nicht zufrieden sein? Ist nicht alles da? Schöne Frauen, Musik, Tanz –?“
Tompson ließ seinen Blick über die Gäste gleiten, sagte langsam:
„Sie tanzen auf einer Mine, die jeden Augenblick in die Luft gehen kann …“
Howard lachte auf. Es klang nicht ganz frei.
„Sie sehen zu schwarz, Tompson. Ich weiß, daß Sie seltsamerweise sich auch gegen dies Fest ausgesprochen haben. Wegen der kindischen Eingeborenenbewegung. Lächerliche Furcht!“
Tompson richtete sich höher auf. Sein schönes Gesicht sprühte förmlich. Aber ganz ruhig klang seine Stimme:
„Das ist weder Furcht, noch sind jene Dinge der Eingeborenen kindisch. Man wird den Ernst der Lage erst einsehen, wenn –“
„Sie vergessen,“ unterbrach ihn der Major, „die Truppen. Es ist bereits Verstärkung da.“
„Verstärkung. Und wer weiß auch, ob das recht ist –? Es handelt sich um die Wolkenkönigin …“
Nun richtete sich auch der Major höher auf.
„Herr Kamerad,“ sagte er nicht ohne Schärfe, „ich will nicht annehmen, daß Ihre Worte Kritik an den Maßnahmen der englischen Regierung und Sympathie für die Sache der Inder bedeuten.“
Tompson erwiderte nichts. Es war nicht zu erkennen, ob er die Worte seines Vorgesetzten überhaupt gehört hatte. Der wurde in dem Augenblick von einigen Gästen aus der Nische entführt.
Eine Weile noch saß der junge Offizier in Gedanken versunken da. Dann sah er nach der Uhr. Mitternacht war nicht mehr fern. Er erhob sich, schritt durch einen Seitenausgang in einen anstoßenden leeren Raum und weiter in den Park, der sich hinter dem Gebäude ausbreitete.
Dunkel war es hier. Die Luft angenehm lau. Tompson schritt schnell aus, als strebe er einem bestimmten Ziel zu. An einem Gebüsch machte er halt, sah sich um; spähte durch das Dunkel. Da löste sich auf der anderen Seite ein Schatten und kam auf ihn zu. Die zierliche Gestalt eines Hindumädchens.
„Nina –!“ rief der junge Offizier gedämpft und umschlang die Gestalt des Mädchens. Doch die machte sich sanft von ihm los.
„Hörst du nichts?“
Er horchte auf; lauschte. Ein seltsames, undefinierbares dumpfes Geräusch drang fernher durch die Luft.
„Was ist – das –?“ fragte Tompson stockend.
„Sie kommen,“ entgegnete das Mädchen.
„Schon –?!“
Erschrocken klang das. Aber dann setzte er lächelnd hinzu:
„Närrchen – dorther, wo die Kasernen liegen?“
Sie nickte hastig. „Gerade dorther. Die Soldaten sind zu uns übergetreten.“
Tompson griff sich an die Stirn. „Die Soldaten –“
Nina nickte wieder. Ja – und nun kommen sie.“
Er wandte sich halb. Sie umklammerte seinen Arm. „Halt, wohin willst du?“
„Laß mich, ich muß sie wenigstens warnen. Wenn auch –“ Er wollte sich losmachen; doch sie ließ es nicht zu.
„Zu spät! Da –“
Schon wurden einzelne Stimmen hörbar. Rufe. Blutroter Schein glomm auf. Fackeln.
„Wir müssen fliehen. Du mußt fliehen. Bis sich die erste große Erregung gelegt hat. Komm!“
Und sie zog ihn, der immer noch ein wenig widerstrebte, noch einmal zurückblickte zu den hellerleuchteten Fenstern des Hauses des Majors, aus denen abgerissene Fetzen Musik klangen, mit sich ins Dunkel.
Willenlos folgte der Offizier dem Mädchen. Er fand sich kaum zurecht in dem Gewirr der Gedanken, die ihn durchtobten. Hatten sie nun doch gesiegt, die „Olympianer“, wie sie allgemein genannt wurden –? Er hatte es vorausgesehen. Seine Sympathie war bei den „Rebellen“. Gewiß, er war ein guter Engländer, liebte sein Land, sein Volk; liebte aber nicht diejenigen seines Volkes, die zu neuen Kriegen hetzten. Die anderen – das waren die Verfechter des Weltfriedensgedankens, der nun endgültig überall auf der Erde durchgedrungen schien.
Überall war die Entwicklung der Olympia-Bewegung insgeheim stetig vorgeschritten, hatte unablässig an Boden gewonnen. Hellauf aber flackerte dies Feuer seit den letzten Wochen. Ein merkwürdiges Ereignis war es, eine seltsame Erscheinung, die das verursachte. In stillen Nächten war hier und da in der Luft ein riesiger sechszackiger Stern aufgetaucht, der in der Mitte deutlich das Bild der Wolkenkönigin trug. Strahlend fuhr er über den Himmel, von vielen erblickt, ehe er wieder verschwand. Überall aber, wo er gesehen wurde, wußten die Anhänger der Olympia-Bewegung, daß ihre Stunde gekommen sei.
Man wollte wissen, daß der Stern, elektrisch erleuchtet, an der Unterseite des Flugschiffes Harald Dörcksens befestigt war; daß der Erfinder mit Mahadur Mirat und den andern Führern der Bewegung an Bord sei und daß die Wolkenkönigin selbst unter ihnen weile. Sicher aber war das nicht. –
„Wohin führst du mich, Nina?“ fragte der junge Offizier. Das Mädchen hielt seine Hand, eilte vor ihm her, durch Gebüsch, über stille Seitenstraßen – bis zum Rand der Stadt. Vor einer ärmlichen Eingeborenenhütte machte sie halt. Klopfte in eigentümlicher Weise an die Tür. Ein alter, hochgewachsener, hagerer Inder öffnete und ließ die beiden eintreten.
„Da ist er,“ sagte das Mädchen einfach.
„Willkommen, Sahib!“ sagte der Inder seinerseits und streckte Tompson die Hand entgegen. „Ich weiß, daß dein Herz für die Unseren schlägt. Die Wolkenkönigin segne dich. Sei mein Gast, solange du magst. Heute ist der Tag der Freiheit.“
Darauf ließ der Alte sich neben dem Herdfeuer nieder. Das Mädchen öffnete eine zweite Tür.
„Komm. Hier bist du sicher, bis alles vorüber ist. Dann können wir uns frei bewegen. Komm.“
Tompson betrat hinter Nina das Nebengemach. Eine Lampe brannte trübe. Der Raum war klein und fensterlos. Er enthielt keine Möbel. Duft irgendwelcher würzigen Kräuter lag in der Luft. Der legte sich ein wenig beklemmend dem jungen Offizier auf die Brust. Er atmete schwer.
Keine Möbel enthielt der Raum. Nur eine Lagerstadt zu ebener Erde. Die war mit Blumen bestreut …
Das Fest im Hause des Majors Howard nahm unterdes seinen Fortgang. Laute Fröhlichkeit herrschte, die noch von Minute zu Minute stieg.
Einer nur war nicht fröhlich. Ging umher, als schleppe er eine drückende Last. Major Howard. Ganz plötzlich war es über ihn gekommen. Eine dumpfe Unruhe hatte ihn nach den Worten Tompsons und besonders nach dessen Verschwinden befallen. Der Major schalt sich selbst töricht. Aber die Angst ließ sich nicht bannen. War doch die Siegessicherheit, die er dem jungen Untergebenen gegenüber zur Schau getragen hatte, nur Tünche. In Wirklichkeit wußte er selbst wohl, daß die Lage viel ernster war, als er zugeben wollte. Vieles sprach dafür. Der Major hatte gute Beziehungen. Gewiß, Verstärkung war eingetroffen. Doch was nützten die paar hundert Mann? Zudem stand bereits zweifelsfrei fest, daß der Einfluß der Olympia-Bewegung sich auch in den Reihen der Soldaten geltend gemacht hatte.
Oh nein, so zuversichtlich, wie er sich den Anschein zu geben bemühte, war der Major keineswegs. Und nun heute gar … Ruhelos wandelte er von einer Gruppe Plaudernder zur anderen; von einem Raum zum anderen. Allen fiel sein verstörtes Wesen auf. Fragen aber wich er geschickt aus.
Wo nur Tompson geblieben sein mochte?
Seltsamerweise erschien das Verschwinden des jungen Offiziers dem Major als Vorzeichen für irgendein Unheil, das bevorstand.
Die Musiker stimmten ihre Instrumente zu einem neuen Stück. Dann erklangen die ersten Takte eines Shimmys. Die Paare fanden sich zusammen, tanzten.
Plötzlich stürzte ein Diener in den Saal. Mitten hinein zwischen die Tanzenden und hindurch zur anderen Seite, wo Major Howard gedankenvoll stand. Wie auf Kommando brach die Musik ab. Die Paare standen wie angewurzelt. Doch nicht Fragen ob der unerwünschten Unterbrechung wurden laut, sondern alle verhielten sich ganz still, von einer ihnen selbst unerklärlichen plötzlichen Spannung befallen.
Der Diener berichtete dem Major. Seine Worte überstürzten sich. Er sprach nicht laut. Dennoch verstand ihn jeder im Saal. Zugleich drang von draußen herein ein seltsam brausendes Geräusch.
„Rebellion, Herr Major! Ungezählte Tausende rücken heran. Sie tragen das Bild der Wolkenkönigin. Die Soldaten sind mit ihnen. Der Palast ist umstellt.“
Frauen kreischten leise auf. Männer blickten sich verwirrt um, fühlten sich plötzlich an die Zeiten Nena Sahibs erinnert. Man lauschte. Das Geräusch draußen, ein tausendfältiges Stimmengewirr, ward lauter.
Wenn sie eindrängen –?
Die Frage schwebte unausgesprochen in der Luft.
Da zog der Major seinen Revolver.
„Wir schützen die Frauen! Wir verteidigen uns bis zum Letzten!“ rief er schallend. Und plötzlich hatten alle Männer Schußwaffen in den Händen. Es zeigte sich, daß niemand von ihnen, in unbestimmter Ahnung des Bevorstehenden, ohne Pistole das Fest besucht hatte.
Sie drängten zum Portal. Rissen die breite Flügeltür auf. Eilten hinaus – prallten zurück. Ein vieltausendstimmiges Gebrüll erhob sich, als sie hinaustraten. Unzählige Fackeln erhellten den Platz ringsum.
„Soldaten –!“ brüllte Howard. „Soldaten, wollt ihr der Sache des Vaterlandes untreu werden?!“
Neuer Tumult erhob sich.
„Die Erde ist unser Vaterland! Wir kämpfen gegen die, die sie in einen Pfuhl von Blut und Massenmord verwandeln wollen! Gegen die Kriegshetzer aller Länder! Für die Freiheit aller Völker! Für den Weltfrieden!“
Wieder erhob sich vieltausendstimmiges Beifallsgeschrei. Der Major hob seinen Revolver.
„Verräter seid ihr!“
Neues Brausen der Stimmen. Und da – da tauchte über den Bäumen, riesengroß, der sechszackige Stern der Wolkenkönigin auf. Wild brandete das Geschrei der unabsehbaren Menge. Viele der Inder warfen sich zu Boden. Der Stern aber beschrieb große Kreise, ward größer und immer größer.
„Die Wolkenkönigin! Sie kommt, sie kommt!“
Die Menge räumte die Mitte des großen Platzes. Gleich darauf senkte sich das Flugschiff Harald Dörcksens auf die Erde nieder. Der Stern war erloschen. Dafür flammten rechts und links an der Seite des Flugschiffes zwei große Lampen auf. Die Tür öffnete sich. Im Rahmen standen, hell beleuchtet, Mahadur Mirat und Hella Dörcksen. Die Menge schrie brausend:
„Heil Aspasia, der Wolkenkönigin!“
Im Nu war die Gesellschaft von der Freitreppe des Palastes hinweggefegt. Volk überflutete die Stufen, um besser sehen zu können. Wieder und wieder erklang der brausende Ruf:
„Heil Aspasia!“
Mahadur Mirat und Hella, Hand in Hand, waren ausgestiegen. Hella nickte lächelnd nach allen Seiten. Hinter ihr aber standen im Rahmen der Tür des Flugschiffes Harald Dörcksen und Aspasia, die wirkliche Wolkenkönigin. Glücklich lächelnd sahen sie einander an. Ihre Hände fanden sich in innigem Druck.
Das war der Tag des Sieges.
* *
*