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Die brennende Insel

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Die brennende Insel.

 

W. Belka.

 

1. Kapitel.

Um einen Riesenwal.

Die für den Walfischfang ausgerüstete Bark „Lady Melrose“ hatte in den ersten Oktobertagen 1915 in den Gewässern südlich Australiens gekreuzt. Die Stimmung an Bord war schlecht, denn das Fangergebnis und damit das Anteilgeld für die Besatzung gering. Dann kam ein von heftigen Windstößen begleitetes Gewitter, welches das ohnehin nicht mehr ganz seetüchtige Schiff zwang, hinter einer kleinen, unbewohnten Insel mit felsigen Uferbergen Schutz zu suchen.

Zur großen Überraschung des Kapitäns der „Lady Melrose“, eines Engländers namens Maxwell, wurden mit einemmal von der Insel aus von mehreren Personen durch Schwenken eines weißen Tuches Notsignale gegeben. Daraufhin fuhr ein Boot nach dem Eiland und fand hier sieben Schiffbrüchige des in Adelaide, Südaustralien, beheimateten Dampfers „Karpentaria“ vor, der vor mehreren Tagen infolge einer Kesselexplosion gesunken war.

Die sieben Personen waren der Kapitän der „Karpentaria“ Buller, ein dürrer Engländer Floot mit seiner Frau, zwei amerikanische Geschäftsleute Lomper und Fritt und zwei französische Handlungsreisende.

Buller, ein dicker, rotnasiger Mann, erklärte den Leuten des Bootes sofort, daß auf der Insel noch vier deutsche Schiffbrüchige seines Dampfers, ein Ingenieur Müller mit seiner Gattin und zwei halberwachsenen Kindern, weile, und daß es Menschenpflicht sei, diese vier gleichfalls mitzunehmen.

Buller war zwar Engländer und nebenbei ein großer Freund scharfer Getränke, im übrigen aber doch ein Seemann, der ein mitleidiges Herz besaß. Als jetzt der dürre Herr Floot erregt Einspruch gegen diese den Deutschen gegenüber sehr unangebrachte Hilfsbereitschaft erhob, gaben die Matrosen der „Lady Melrose“, sämtlich rohes, englisches Gesindel schlimmster Sorte, dem von leidenschaftlichem Haß gegen Deutschland erfüllten Floot vollkommen recht. Trotz des Widerspruches Bullers fuhr das Boot ohne die deutsche Familie ab. Als man gerade abstieß, kam am Strande der vierzehnjährige Sohn des Ingenieurs entlanggelaufen, rief und winkte, offenbar in der Absicht, die Bootsleute auf sich aufmerksam zu machen. Aber nur höhnische Reden erhielt der Knabe als Antwort. Und einer der Amerikaner erklärte jetzt noch, er habe diesen blonden Müller, diesen verd… deutschen Ingenieur, stark im Verdacht, daß er es gewesen sei, der durch eine Dynamitpatrone die „Karpentaria“ in die Tiefe geschickt habe, um die australische Handelsschiffahrt zu schädigen.

Diese Verdächtigung war Buller denn doch zu viel.

„Sie sind verrückt, Lomper“, erklärte er kurz. „Müller wird ausgerechnet ein solches Attentat verüben, wenn er Frau und Kinder mit an Bord hat, die er durch eine solche Tat den bösesten Gefahren aussetzt …!! Blödsinn!“

Aber auch Fritt, der andere Amerikaner, wollte jetzt so allerlei beobachtet haben, was man als Verdachtsgründe gegen den Ingenieur auffassen konnte.

Bisher waren diese beiden Männer mit derartigen Verdächtigungen noch in keiner Weise hervorgetreten.

Buller wurde argwöhnisch. Allzu leidenschaftlich vertraten Lomper und Fritt ihre Ansicht, als ob sie ein besonderes Interesse daran hätten, den Deutschen als Verbrecher hinzustellen. Ein ungewisser Verdacht zuckte plötzlich gegen diese beiden in ihm auf, die in Adelaide auf der „Karpentaria“ vierzig Klaviere nach Portland verfrachtet hatten, obwohl in diesem Küstenstädtchen und dessen Umgebung kaum ein so großer Bedarf an teuren Musikinstrumenten vorhanden gewesen sein konnte.

Als das Boot die „Lady Melrose“ erreicht hatte, wiederholte Buller seinem Kollegen Maxwell gegenüber die Forderung, auch die Deutschen mitzunehmen. Aber wieder gelang es Floot und den Amerikanern mit Leichtigkeit, Maxwell davon zu überzeugen, daß das deutsche „Geschmeiß“ am besten auf der entlegenen, wenig fruchtbaren Insel aufgehoben sei.

Die „Lady Melrose“ stach gleich darauf in See.

Der Empfang, den Maxwell den sieben Schiffbrüchigen, die doch zum Teil Landsleute von ihm oder gute Freunde Englands waren, bereitet hatte, konnte kaum ungastlicher sein. Jedenfalls erklärte der Kapitän des Walfischfängers sofort, er denke auch nicht im entferntesten daran, seine Kreuzfahrt jetzt zu unterbrechen und die sieben in einem australischen Hafen abzusetzen. Erst müsse er genügend Tran an Bord haben. Vorher beende er seine noch auf drei Monate berechnete Fangreise nicht.

Es schien, als ob die Schiffbrüchigen jedoch der Bark Glück gebracht hätten. Am zweiten Tage nach ihrer Ankunft an Bord sichtete der Mann im Ausguck drei Wasserfontänen, die nur von Walen herrühren konnten.

Das Großboot der „Lady Melrose“, ausgerüstet mit einem kleinen Benzinmotor und einer Harpunenkanone, erlegte dann wirklich einen geradezu riesigen Burschen. Und fünf Tage später wurde ein zweites, nicht weniger starkes Exemplar dieser Meeressäugetiergattung zur Strecke gebracht.

Dann aber trat stürmisches Wetter ein, das die „Lady Melrose“ zwang, inmitten einer Gruppe kleiner, kahler Felseneilande für zwei Wochen vor Anker zu gehen.

Nachdem die Unwetterperiode vorüber war, traten Ereignisse ein, von denen Floot und seine Genossen sich wohl nie etwas hatten träumen lassen.

Kaum war die Bark aus ihrem Schlupfwinkel hinausgeschleppt worden, kaum hatte sie ihre Segel entfaltet, als im Westen der Gruppe sechs hohe Wasserstrahlen gesichtet wurden, die die Anwesenheit von Walfischen verrieten.

Die See war ruhig, und daher schickte Maxwell nicht nur das Großboot, sondern noch ein zweites kleineres auf den Fang aus.

Der Harpunier des Großbootes machte sehr bald einen Angriff auf den stärksten der Wale. Die abgeschossene Harpune, die die aufgerollte Leine mit sich riß, traf das Tier mitten in den Rücken. Aber – die vorn an der Harpune angebrachte Sprengladung, deren Wirkung den Wal zumeist sofort zu kräftigerem Widerstande unfähig macht, explodierte nicht, und der riesige Bursche, der gut seine 24 Meter maß, drehte nun den Spieß um und schoß urplötzlich auf das Motorboot zu. Alle Rudermanöver, alles Ausweichen halfen nichts. Der Wal in seiner blinden Wut rammte das Boot und drückte ihm die eine Bordwand ein, so daß es im Augenblick wegsank. Dann raste das schmerzgepeinigte Tier blindlings hin und her, tauchte unter, erschien wieder an der Oberfläche und kam schließlich auch in die Nähe der Bark, von deren Reling aus es nun mit Gewehrschüssen begrüßt wurde.

Eingeschaltet mag hier werden, daß die Fälle, in denen ein Walfisch selbst größere Schiffe angegriffen hat, gar nicht so selten sind. Besonders eigenartig war ein Erlebnis, das ein großer Passagierdampfer auf der Fahrt nach dem Nordkap hatte. Ein in dessen Nähe aufgetauchter Wal wurde von einigen Vergnügungsreisenden von Bord aus mit Jagdgewehren beschossen. Der Erfolg war überraschend: das Riesengeschöpf rammte den Dampfer und drückte ihm tatsächlich ein paar der eisernen Außenbordplatten ein. Natürlich kostete ihm dieser mit höchster Kraftentfaltung unternommene Angriff das Leben. Selbst der solide gebaute Walfischschädel hielt einen solchen Anprall nicht aus.

Ähnlich machte es jetzt der harpunierte und gleichfalls durch Gewehrkugeln belästigte Meeresriese hier mit der bereits etwas morschen Bark, für die Maxwell schon bei jeder stärkeren Brise nicht ganz unbegründeter Weise alles mögliche fürchtete. Wie gesagt – die „Lady Melrose“ war jedoch bedeutend „zarter“ als ein eiserner Dampfer gebaut, – um bei einer Dame nicht von Altersschwäche zu sprechen. Sie vertrug solchen Rammstoß nicht. Ihre halbfaulen Planken gaben wie Pappe nach, und der Kopf des Wales erzeugte ein Loch, durch das man bequem mit einem Kinderwagen hätte hindurchfahren können.

Die Bark schluckte unheimlich Wasser und bekam sofort starke Steuerbordschlagseite, so daß es kaum möglich war, die noch vorhandenen zwei kleinsten Boote auszuschwingen.

In wilder Hast wurde die sinkende „Lady Melrose“ geräumt, die der Wind dann auf ein paar Klippen trieb, wo sie (bei Ebbe), bis zur Höhe des Decks etwa unter Wasser, sich festlegte.

Inzwischen hatte das zweite Walfischboot einige der Leute des zertrümmerten Motorfangbootes noch glücklich aufgefischt und schloß sich nun den übrigen an. Maxwell ließ auf die kahlen Felsinseln zuhalten, die der „Lady Melrose“ bereits kurz vorher zwei Wochen Schutz geboten hatten.

Hier wo die Schiffsbrüchigen sich lediglich von den zahlreich in den Spalten des Gesteins nistenden Seevögeln und in der Sonne gedörrten Fischen ernährten und dann halbfaules Regenwasser aus Felslöchern trinken mußten, kam dem dürren Herrn Floot und seinen Gesinnungsgenossen die Insel, auf der sie die deutsche Familie zurücklassen hatten, wie ein Paradies vor.

Umsonst hofften die Schiffbrüchigen auf das Erscheinen eines Seglers oder Dampfers, der sie wieder in bewohnte Gegenden gebracht hätte.

Woche um Woche verstrich. Das Leben auf den kahlen Felsen, wo es kaum ein paar Moose und Flechten als einzige Vertreter der Flora gab, wurde den vierzehn Personen immer unerträglicher. Dabei durften sie es nicht wagen, mit den drei ihnen zur Verfügung stehenden Booten eine längere Seereise zu unternehmen.

Schließlich fragte Floot einmal zufällig den Kapitän der „Lady Melrose“, ob denn das Eiland der Deutschen von hier sehr weit entfernt sei.

Als Maxwell erwiderte, daß man die Strecke im Boot in zwei Tagen bequem zurücklegen könne, vorausgesetzt daß die See ruhig wäre, wurde Floot sehr nachdenklich …

 

2. Kapitel.

Die deutschen Robinsons.

Über dem einsamen Gestade, das mit seinen hohen, kahlen Rundhügeln und seinem völlig flachen Inneren wie eine Riesenschüssel aussah, ging die Sonne auf, – heute einmal wieder an einem klaren, wolkenlosen Himmel. In den ersten Januartagen des Jahres 1916 hatte es hier viel Regen gegeben. Aber eine frische Brise hatte in der eben verflossenen Nacht Sträucher und Gräser völlig getrocknet.

Auf der Nordwestseite des vielleicht eine halbe Meile langen Eilandes zog sich eine nach Norden zu gekrümmte Bucht tief in das Land hinein. Ihre Ufer waren von Gestrüpp bewachsen, das alles zu derselben Gattung gehörte. Eine Abart des Kreosotstrauches war’s mit großen, immergrünen, lederartigen Blättern. – Am äußersten Ende der Bucht türmte sich ein zerklüfteter Hügel auf. Steil wie eine Mauer stieg wohl gegen zehn Meter hoch eine steile Felswand empor und bildete dann nach Nordosten zu eine breite, unzugängliche Terrasse.

Hier auf dieser Terrasse hatte der deutsche Ingenieur sich mit den Seinen niedergelassen. Zwei Hütten lehnten an die Rückwand der steinigen, jetzt aber in ein Gärtchen und einen Wirtschaftshof verwandelten Plattform. Und zwischen diesen sauberen, wenn auch mit den einfachsten Mitteln hergestellten Häuschen zog sich tiefer in den Hügel eine Felsspalte hinein, die weiterhin in einen richtig Tunnel überging, der nach Norden zu auf der anderen Seite des Hügels in eine Schlucht mündete, wo der Tunnelausgang jedoch durch Sträucher und Dornengestrüpp gut verborgen wurde.

Jetzt, als gerade die ersten Strahlen der Sonne die Spitzen der Randkette der Insel heller färbten, trat aus der links von der Spalte gelegenen Wohnstätte ein in weichgegerbte Robbenfelle gekleideter kräftiger Knabe heraus. Er hatte eine aus Ton gebrannte Schüssel in der Hand, die der Ingenieur wie das meiste, was er und die Seinen hier besaßen, selbst angefertigt hatte.

Es war Fritz, der Sohn jenes Deutschen, den man mit seiner Familie auf Betreiben Floots und der Amerikaner hier zurückgelassen hatte.

Der Knabe holte sich aus den Felstunnel, wo es an der einen Seite eine tiefe, natürliche Zisterne gab, die jeder Regen mit frischem Inhalt versorgte, klares kühles Wasser, wusch sich auf der Terrasse und kletterte dann an einer aus Lederriemen hergestellten Strickleiter nach dem Ufer der Bucht hinunter, wo ein merkwürdig geformter Segelkutter vertäut lag.

Dieses große, aus einem sehr dauerhaften tropischen Holze seiner Zeit angefertigte Boot hatten Vater und Sohn im Innern der Insel, das nichts anderes als ein riesiges Torfmoor war, aus der schwarzbraunen Torferde herausgegraben, wo es nach Schätzung des Ingenieurs Jahrhunderte gelegen hatte. Es war ein malaiisches Boot mit hohem, geschnitztem Vorder- und Hintersteven, das die beiden männlichen Mitglieder der Ansiedlung dann mit einem Verdeck, Mast und Ledersegeln ausgestattet hatten.

Fritz begann jetzt allerlei Nahrungsmittel – gedörrte Fische, Bunya-Bunya-Nüsse (faustgroße, walnußartige Früchte eines australischen Baumes) und geräuchertes Fleisch der auf der Insel zahlreich vorkommenden Großfußhühner besser zu verstauen. Mittags gedachte Vater die Insel zu verlassen. Da gab es noch so allerhand zu tun. Und Fritz war kein Müßiggänger. Im Gegenteil! Was alles an vortrefflichen Eigenschaften in ihm steckte, hatte er ja zur Genüge bewiesen, als in den ersten Tagen nach der Landung auf dem Eiland der Tod gierig seine unerbittliche Faust nach dem Ingenieur ausgestreckt hatte. Das waren schlimme Zeiten für die Mutter, für Ännchen, das zwölfjährige Schwesterlein, und besonders für den frischen Jungen gewesen, auf dessen schwachen Schultern damals allein die Sorge für die Seinen geruht hatte. (Diese Ereignisse sind im vorigen Bande, „Der Untergang der „Karpentaria““, geschildert worden).

Jetzt erschien auch der Ingenieur, ein hochgewachsener Mann, an Bord des „Hoffnung“ getauften, seltsamen Segelbootes, begrüßte seinen Sohn herzlich und meinte dann:

„Besseres Wetter können wir uns kaum wünschen, Fritz. Jedenfalls gehen wir mittags bestimmt in See. Wir wollen daher jetzt die Trinkwasservorräte herschaffen.“ Und nach kurzer Pause fügte er hinzu: „Eigentlich wird es mir doch recht schwer, unser Eiland zu verlassen. Gerade weil wir hier so viel Trübes erlebt und uns dann durch eigenen Fleiß ein behagliches Dasein geschaffen haben, ist mir die Insel wie eine neue Heimat ans Herz gewachsen.“ – –

Eine Stunde später rief Frau Müller den Gatten und den Sohn zur ersten Mahlzeit auf die Terrasse, wo unter dem Sonnendach vor dem Häuschen der Tisch gedeckt war.

Ännchen, die ihre Lieblinge, eine ganze Anzahl von jungen, in einem Gehege gehaltenen Großfußhühnern, noch mit Futter, Käferlarven und Krebstieren, hatte versorgen wollen und nach dem Strande gegangen war, wurde jetzt unten am Ufer der Bucht sichtbar.

„Was hat das Kind nur?!“ meinte Frau Müller zu ihrem Manne. „Ännchen läuft ja, als werde sie gehetzt. Und jetzt winkt sie mir noch zu …! Da muß doch irgend etwas passiert sein …“

Dann stand das Mädelchen unterhalb der Terrasse, griff nach der Strickleiter. Bevor sie aber emporzuklimmen begann, rief sie dem Vater zu, der sich über die am Rande der Terrasse aufgehäufte Steinmauer beugte:

„Drei Boote kommen auf die Bucht zu … In dem größten befinden sich die beiden Amerikaner und der magere, böse Floot …“

Der Ingenieur war im ersten Augenblick wie erstarrt. Er zweifelte nicht im geringsten daran, daß Ännchen sich nicht geirrt haben könne. Nie hatte er es für möglich gehalten, diesen Leuten nochmals zu begegnen, die aus ihrem Haß gegen die Deutschen niemals ein Hehl gemacht und diesen Haß auch durch Taten genügend bewiesen hatten. – Wie kamen Floot und seine Genossen hierher?! Monate waren doch seit jenem Tage verstrichen, als sie mit der Bark davonsegelten.

Doch zu langem Nachdenken ließ Müller sich keine Zeit. Er schickte Fritz auf die Spitze des Hügels, die nur von der Terrasse aus durch die Felsspalte zu erklimmen war, falls man nicht gerade lange Leitern zur Verfügung hatte.

Er selbst kletterte an der Strickletter zum Strande der Bucht hinab, brachte den Kutter vom Ufer weg und befestigte ihn genau unterhalb der Terrasse dicht an der steilen Wand. Dann ließ er sich von seiner Gattin die Strickleiter an dieser Stelle zuwerfen und kehrte wieder nach oben zurück, wo sich inzwischen auch der Knabe wieder eingefunden hatte.

Fritz wußte zu melden, daß tatsächlich drei Boote der Einfahrt der Bucht schon ganz nahegekommen seien. Ein Schiff habe er jedoch weiter in See nirgends bemerken können, obwohl man doch von der Spitze des Hügels einen bequemen Fernblick über das Meer und die ganze Insel habe.

Müller begriff das alles nicht. Wo kommen die drei Boote her …? Daß ein Segler oder ein Dampfer in der Nähe sein müsse, hatte er bestimmt angenommen. Jetzt schien es doch so, als hätten Floot und dessen Genossen abermals irgendwo Schiffbruch erlitten.

Nun – das würde sich ja später wohl aufklären. Jedenfalls stand aber unter diesen Umständen zu befürchten, daß der Engländer Floot und sein Anhang sich des Kutters bemächtigen würden, um damit auf und davon zu fahren.

Hier gab es nur eins zu tun: Festzustellen, was die unwillkommenen Gäste beabsichtigten und im Falle feindseligen Verhaltens den Besitz des Kutters mit allem Nachdruck zu verteidigen.

Der Ingenieur und Fritz machten sich daher in aller Eile daran, die Terrasse in Verteidigungszustand zu setzen. Hierzu gehörte nicht viel. Schaffte man eine genügende Anzahl von Steinen und Feldstücken, die als Wurfgeschosse dienen sollten, herbei, so war es nicht schwer, jede Annäherung an den unterhalb der Terrasse vertäuten Kutter zu verhindern. Die Bucht war hier im äußersten Winkel gut hundert Meter breit, so daß man auch Leute, die schwimmend sich dem Segelboote näherten, rechtzeitig abwehren konnte. Und in der Nacht gedachte Müller wieder eine Anzahl Tranlampen von der Terrasse herabzulassen um die Umgebung einigermaßen zu erleuchten. Tran besaßen die Ansiedler ja übergenug. In der Bucht waren zeitweise ganze Scharen von Seehunden erschienen, auf die man mit Lanze, Pfeil und Bogen eifrig Jagd gemacht hatte.

Als eine halbe Stunde später sich die drei Boote langsam näherten, waren die Deutschen jedenfalls zu deren Empfang in jeder Weise bereit.

Floot, der neben dem Amerikaner Fritt im vordersten Boote saß, hatte kaum den Kutter an der Steilwand erblickt, als er auch schon einen Jubelruf ausstieß und die anderen eifrig auf das ihnen so hochwillkommene Fahrzeug aufmerksam machte.

Jetzt zeigte sich oben auf der Terrasse jedoch auch der Ingenieur. Und mit einer Stimme, deren Stärke schon allein die seltenen Körperkräfte dieses Mannes verriet, forderte er Floot jetzt auf, dem Kutter vorläufig fernzubleiben.

„Erst muß ich wissen, wie Ihr Euch zu uns stellen wollt“, fügte er hinzu. „Bisher haben wir nur Feindseliges von Euch erfahren.“

Floot ließ die drei Boote etwa fünfzig Meter vor der Terrasse haltmachen und erwiderte dann, das große Segelboot gewähre allen genügend Platz, das Festland von Australien zu erreichen.

Diese Bemerkung bewies dem Ingenieur, daß die vierzehn Personen in den Booten tatsächlich Schiffbrüchige waren. – Den Reden Floots ohne weiteres zu trauen, war er aber zu vorsichtig.

„Gebt mir Euer Ehrenwort, daß Ihr es ehrlich meint“, rief er dem Engländer zu. „Und besonders soll auch Kapitän Buller, dem ich keine Heimtücke zutraue, mir dasselbe versichern.“

In den drei Booten begann jetzt eine lange Beratung, die einen ziemlich erregten Verlauf nahm, wie Müller aus den heftigen Armbewegungen der Sprechenden erkennen konnte.

Dann erfolgte Floots Antwort.

„Es ist eine Frechheit von Euch, hier noch Bedingungen zu stellen“, brüllte er. „Wir wissen ganz gut, Müller, daß Ihr es wart, der die „Karpentaria“ in die Tiefe geschickt hat. Und Ihr könnt daher froh sein, wenn wir Euch nicht den Behörden zur Bestrafung ausliefern.“

Der Ingenieur brauchte jetzt nicht länger im Zweifel zu sein, was er von den Leuten zu erwarten hatte.

Er griff nach einem Felsstück von gut einem halben Zentner Gewicht, schleuderte es im Bogen bis dicht vor die langsam näherrückenden Boote und schrie deren Insassen zu:

„Ich warne Euch! Ich werde mein Eigentum verteidigen! Eines dieser Wurfgeschosse genügt, um die Planken Eurer Kähne wie Streichholzschachteln zu zerschmettern.“

Da riß Floot in heller Wut den Revolver aus der Tasche und feuerte auf den Ingenieur. Die Kugel ging fehl.

Als Antwort kam von oben eine zweite Steinbombe angeflogen, die den Rand des kleinsten Bootes traf, die Planken knickte und den Insassen zu einem kalten Bade verhalf.

Da ruderten die unbeschädigten beiden Boote, nachdem sie die drei unfreiwilligen Schwimmer an Bord genommen hatten, dem Ufer zu. Floot tobte förmlich und auch die anderen Leute mit Ausnahme Bullers stießen Flüche und Drohungen aus, wie sie schlimmer kaum sein konnten.

 

3. Kapitel

Das brennende Moor.

Die beiden französischen Handlungsreisenden, die mit zu den Schiffbrüchigen der „Karpentaria“ gehörten, hatten sich, nachdem in einer allgemeinen Beratung ein nächtlicher Angriff auf die Terrasse beschlossen war, von ihren Gefährten getrennt und einen Spaziergang über die Insel unternommen. Als sie sich entfernten, rief Floot ihnen noch nach, sie sollten doch in den Uferhügeln nach angesammeltem Regenwasser suchen und auch zusehen, ob sie mit dem Revolver nicht eines der Hühner erlegen könnten.

Während die anderen im Gebüsch am Strande der Bucht der Ruhe pflegten, wanderten Herieux und Maron gemächlich über das weite, mit Gras und einzelnen Gebüschgruppen bestandene Moor. So gelangten sie zufällig auch an die Stelle, wo der Ingenieur und Fritz die tiefe Grube ausgehoben und das alte malaiische Fahrzeug freigelegt hatten. Den so gewonnenen Torf hatten die Deutschen zu unregelmäßigen Ziegeln abgestoßen und neben der Grube zu hohen Haufen derart aufgeschichtet, daß die Luft bequem hindurchstreichen und auch die inneren Ziegel trocknen konnte.

Herieux blieb hier stehen und meinte, es müsse doch einen ganz netten Spaß geben, wenn man die Haufen anzünden würde.

„In der Nacht holen wir uns ja doch den Kutter und segeln auf und davon“, fügte er hinzu. „Dann mag der freche Kerl, der Müller, sich neues Brennmaterial besorgen.“

Also lediglich um den Deutschen zu schädigen, sammelten sie jetzt trockene Zweige und schichteten sie vor den Torfhaufen auf. Der Wind kam von Südwest, mußte also den Rauch nach Osten treiben, so daß man durch ihn am Ufer der Bucht nicht belästigt werden konnte.

Bald flackerten die Reisigbündel auf und auch der Torf geriet erst in Glut und loderte schließlich in hellen Flammen auf.

Die beiden Franzosen hatten ihre kindische Freude an dem Feuermeer, welches die aufgestapelten, schwarzbraunen Ziegel bald bildeten. Sie ahnten nicht, welche Folgen dieser Streich für sie und ihre Gefährten haben sollte.

Daß Torfmoore leicht in Brand geraten und daß die Glut sich dann bis in die tiefsten Schichten weiter frißt, indem die entstehende Hitze die Umgebung des eigentlichen Brandherdes austrocknet und so die Weiterverbreitung des Feuers begünstigt, ist eine allbekannte Tatsache. Selbst in Deutschland haben wir an verschiedenen Stellen Torfmoore, bei denen der Brand unsichtbar unter der Erde fortdauert und sich nur durch den Geruch und eine erhöhte Temperatur über den betreffenden Stellen bemerkbar macht. In Schottland ist das Moor von Gruvygram geradezu berühmt. Es brennt seit Menschengedenken. Zuweilen bricht die unterirdische Glut sich nach oben Bahn. Dann eilt die Bevölkerung der Umgegend herbei und erstickt die Flammen durch Wasser und Erde. Die Temperatur über dem Gruvygram-Moore ist infolge des in der Tiefe glimmenden Brandes so erheblich gesteigert, daß selbst im strengen Winter kein Schnee dort liegen bleibt und die Schafherden ununterbrochen im Freien gelassen werden.

Nach diesem Heldenstück setzten die beiden Franzosen ihre Wanderung nach Süden zu fort, verknallten auch ein Dutzend Revolverpatronen umsonst auf ein paar Großfußhühner (große Vögel, die ihre Eier in eigens dazu angelegten Düngerhaufen ausbrüten lassen, in der Gefangenschaft schnell zahm werden und ihre eigentümliche Art des Brütens auch dann beibehalten) und fanden schließlich auch ein paar mit Regenwasser angefüllte Felslöcher, so daß sie Floot nun wenigstens nach ihrer Rückkehr zum Lagerplatz diesen einen Erfolg melden konnten.

Bis zum Abend trieben die Belagerer sich in der Nähe der Bucht umher, gingen auch nach den noch immer in heller Glut befindlichen Torfhaufen hinüber, um schadenfroh zu beobachten, wie das Feuer jetzt auch den Rand der Grube ergriffen hatte und hier unterhalb der dünnen Erdschicht sich weiter verbreitete.

Lomper und Fritt, die beiden Amerikaner, hatten den Felskegel vorsichtig von allen Seiten untersucht, um zu sehen, ob man den Deutschen nicht anderswie beikommen könne. Ein paar Steine, die ihnen dann aber von der Spitze des Hügels herab um die Ohren sausten, als sie gerade die Schlucht betreten hatten, in die der Felstunnel einmündete, zwangen sie zur schleunigen Umkehr.

Nur der dicke, rotnasige Buller beteiligte sich nicht an diesem ganzen Treiben. Er hielt sich stets abseits, da er sich mit dem großmäuligen Floot völlig veruneinigt hatte. Er vertrat nach wie vor den Standpunkt, daß das Verhalten gegenüber der deutschen Familie, wie Floot es angeregt hatte, der englischen Nation keineswegs zur Ehre gereiche. Außerdem war auch sein Verdacht gegen die beiden Amerikaner noch gestiegen. Diese Klavierhändler waren für seinen Geschmack allzu eifrig, den Ingenieur als schlimmen Verbrecher hinzustellen.

Der Abend kam. Floot berief jetzt einen neuen Kriegsrat. Alle außer Buller billigten seinen Plan, wie man sich des Kutters bemächtigen solle.

Der dürre Engländer stellte sich die Sache einfach vor. Da man im ganzen über fünf Revolver verfügte, sollte das Großboot um Mitternacht gegenüber der Terrasse geräuschlos hin und her fahren und gleichzeitig einer der Matrosen des gesunkenen Walfischfängers namens Straatster, ein vorzüglicher Schwimmer, den Kutter zu erreichen suchen, die Taue durchschneiden und ihn langsam nach dem Westufer der Bucht schieben. Falls die Deutschen wider Erwarten hiervon etwas wahrnehmen würden, sollten die Leute im Großboot aus den Revolvern ein lebhaftes Feuer auf die Terrasse unterhalten und den Ingenieur auf diese Weise hindern, die gefährlichen Steine zu schleudern.

Leider tat der Himmel den Belagerern nicht den Gefallen, sich zu bewölken. Im Gegenteil, es wurde sogar eine sehr sternenklare Nacht. Die unzähligen Lichter des Firmaments spiegelten sich deutlich in dem ruhigen Wasser der Bucht wider, so daß Straatster mit Recht erklärte, man würde ihn von der Terrasse aus zweifellos sofort erblicken, wenn er die Schwimmtour unter diesen Beleuchtungsverhältnissen unternehmen wollte.

Man mußte daher für heute notgedrungen von dem schönen Plane absehen und streckte sich im Gebüsch zum Schlafe aus.

* * *

Vom Ostrande der Terrasse aus hatte die deutsche Familie recht gut beobachten können, wie die keine 1500 Meter entfernten Torfhaufen in Flammen aufgingen.

Müller erkannte sofort die große Gefahr, die in diesem unsinnigen Streiche lag. Er erklärte den Seinen, welche Folgen dieser Brand möglicherweise haben könne, wies darauf hin, daß das ganze Innere der Insel nichts als ein ungeheures Lager sehr fetten Torfes sei und, erst einmal an einer Stelle in Glut geraten, ohne Zweifel das Eiland bald in einen furchtbaren Backofen verwandeln würde, in dem alles pflanzliche und tierische Leben ersticken müsse.

„Ein Glück für uns ist, daß wir die Hühner noch nicht freigelassen haben und auch sonst gut verproviantiert sind, ferner, daß uns die Zisterne mit ihrem kühlen Wasser zur Verfügung steht und die Lage der Terrasse derart ist, daß wir hier weder von der Hitze noch von dem Rauch allzu sehr belästigt werden können. Jedenfalls werden wir aber für alle Fälle nach Anbruch der Dunkelheit möglichst viel von den Proviantvorräten des Kutters wieder zu uns nach oben schaffen, außerdem auch die Takelage entfernen, so daß das Boot der englischen Bande nicht viel nützt, falls sie es wirklich in ihre Gewalt bekommen sollten.“

Dies alles wurde denn auch ohne jede Störung durch die Belagerer ausgeführt. Durch den Widerschein der Sterne auf der Oberfläche der Bucht erübrigte sich das Aufhängen der Tranlampen, die der Ingenieur inzwischen in sehr sinnreicher Weise fertiggemacht hatte.

Im Osten lagerte auf der Insel der rötliche Feuerschein der brennenden Torfmassen. Müller konnte jetzt genau sehen, daß es nicht mehr die Haufen allein waren, die dort brannten. Der Südwestwind hatte gegen Abend noch mehr aufgefrischt, wodurch die Weiterverbreitung des Feuers in sehr bedenklicher Weise gefördert wurde.

Die erste Wache übernahm Fritz, den der Vater um zwei Uhr morgens ablösen wollte. Es ereignete sich jedoch in dieser Nacht nicht das geringste.

Auch der nächste Tag ging hin, ohne daß der Feind irgend etwas unternahm.

Müller schloß hieraus, daß Floot und sein Anhang auf eine dunkle Nacht mit bewölktem Himmel als beste Verbündete warteten. Nun – seine Vorbereitungen waren ja getroffen. Die Leute mochten nur kommen …! Die Tranlampen, die an langen Seehundlederriemen herabgelassen werden sollten, würden ihnen den Spaß schon verderben.

An diesem Tage sprang plötzlich der Wind nach Süden um. Die grauen Rauchmassen, die von Stunde zu Stunde stärker geworden waren und anzeigten, daß jetzt bereits die Wände der ausgehobenen Torfgrube brannten, was auch an dem Feuerschein zu erkennen war, wurden jetzt in dichten Wolken nach Norden gedrückt und hüllten diesen Teil des Eilandes völlig ein. Aufgeregte Großfußhühner rannten auf den rauchfreien Moorflächen hin und her. Und die von ihnen, die ihre Brutplätze in der qualmerfüllten Nordhälfte hatten, versuchten umsonst wieder zu ihren alten Stätten zurückzukehren.

Weiter beobachtete die deutsche Familie aber noch, daß jetzt auch Floot und seinen Genossen der Moorbrand offenbar recht beunruhigend vorkommen mußte. Die ganze Gesellschaft, selbst Buller, versammelte sich am Nachmittag an der Brandstelle und begann dann mit natürlich völlig ergebnislosen Löschversuchen.

So nahte der zweite Abend. Die Ränder der Torfgrube brannten jetzt in hellen Flammen, und das große Torfloch bildete eine einzige glühende Masse. Gerade als der Ingenieur und Fritz oben auf der Spitze ihres Felsenhügels standen und die dichten Rauchwolken verfolgten, die jetzt selbst das Meer eine weite Strecke nach Norden hin verhüllten, hörten sie von der Brandstelle her den Knall einer starken Explosion, deren Ursache Müller seinem wackeren Jungen in folgender Weise erklärte:

„Genau wie in den Kohlenflözen, das heißt den Steinkohlenadern, in Hohlräumen oft große Mengen von Gasen eingeschlossen sind, entwickelt sich auch in Torfmooren das sog. Sumpfgas und speichert sich in der Tiefe unter bestimmten Bedingungen auf, so daß, wenn größere Massen davon vorhanden sind und eine Flamme es zur Entzündung bringt, das Gas explodiert. Einen solchen Vorgang haben wir soeben hier miterlebt. Von der Gewalt der Explosion hat uns ja das Hochfliegen starker Torfmengen genügend überzeugt. Jedenfalls dürfte jetzt in dem Moor ein zweites Loch von nicht geringem Umfang entstanden sein, welches der weiteren Ausdehnung des Brandes leider nur zu günstig ist. Bedenkt man noch, daß solche Explosionen sich hier, wo das Vorkommen von Sumpfgas ja bereits nachgewiesen ist, noch häufiger wiederholen werden, so steht der Insel in kurzem eine Katastrophe bevor, deren Folgen ich schon einmal angedeutet habe.“

Kurz nach Sonnenuntergang schlief der Wind völlig ein. Es wurde schwül und drückend. Und überall am Horizont zeigte sich starkes Wetterleuchten.

„Wir bekommen unfehlbar ein Gewitter“, meinte der Ingenieur zu den Seinen, als man gemeinsam vor der Wohnhütte das Abendessen einnahm. „Vielleicht ist ein heftiger Regen noch imstande, den Moorbrand zu löschen.“

Doch das Gewitter blieb aus. Dafür erhob sich gegen elf Uhr abends bei abermals sternenklarem Himmel ein leichter Ostwind, der den Rauch und die Hitze von der Brandstelle genau auf die Bucht zutrieb.

Langsam kamen die Qualmmassen näher und näher. Bald bedeckten sie die ganze Umgebung. Auch auf der Terrasse machte sich der Rauch unangenehm bemerkbar, wenn es auch nicht gerade allzu arg war. Die grauschwarzen, scharfriechenden Wolken zogen sehr dicht am Boden dahin und brachten eine Wärmemenge mit, die am deutlichsten bewies, wie groß die brennende Moorfläche bereits sein mußte.

Von der Terrasse aus war jetzt nichts mehr zu erblicken als die höchsten Teile der Uferhügel der Westseite der Insel. Alles andere war in undurchdringlichen Nebel gehüllt.

Der Ingenieur befürchtete, daß die Belagerer diese Gelegenheit benützen könnten, um den Kutter zu entführen. Tranlampen halfen gegen diese Qualmmengen nichts. Daher wollte er die Nacht über allein auf dem Kutter wachen.

Dies ließ jedoch Fritz nicht zu. Er wollte ebenfalls munter bleiben und dem Vater Gesellschaft leisten. „Am Tage kann ich mich ja ausschlafen“, meinte er.

Als erster kletterte er dann an der Strickleiter abwärts, kehrte aber sehr bald wieder um und meldete dem Ingenieur, daß bereits wenige Meter tiefer der Rauch so dicht sei, daß kein Mensch darin atmen könne.

Hustend und sich die tränenden Augen reibend, berichtete er dies mit einer gewissen Genugtuung, da er sich sagte, daß von den Belagerern sicher nicht ein einziger in der Nähe der Bucht geblieben sei.

Auch der Ingenieur äußerte diese Überzeugung, nachdem er selbst gleichfalls noch den Versuch gemacht hatte, bis zum Kutter hinab vorzudringen.

Aus diesem Grunde wurde wie in der vorigen Nacht nur eine Wache auf der Terrasse ausgestellt. Und zwar übernahm Müller heute die erste Hälfte bis zwei Uhr morgens. Dann weckte er seinen Jungen und legte sich nun selbst schlafen.

Fritz wurde diese Wache, bei der es so gar nichts zu beobachten gab, bald langweilig. Er stand an der Randmauer und schaute in das graue Rauchmeer hinaus, das geheimnisvoll unter ihm lagerte. Nichts – nichts war zu sehen oder zu hören. Nur hin und wieder flatterten die Hühner auf dem Wirtschaftshofe in ihrem großen, aus Zweigen geflochtenen Gehege hin und her. Der Brandgeruch machte sie offenbar unruhig.

 

4. Kapitel.

Verräter.

Fritz tastete sich jetzt vorsichtig durch die dunkle Felsspalte und den Tunnel bis nach dessen Ausgang hin. Er wollte sehen, ob der Rauch auch die andere Seite des Hügels traf.

Nun – die Schlucht war zu seiner Überraschung ziemlich frei von Qualmschwaden. Hier war also offenbar die nördliche Grenze der breiten Rauchbahn.

Erst einmal bis hierher gelangt, gedachte der Knabe den Versuch zu machen festzustellen, wo die vierzehn Personen sich jetzt wohl aufhielten. Er verließ daher die Schlucht, wandte sich nach Norden und gelangte bald in völlig rauchfreies Gelände. Da er nicht daran zweifelte, daß Floot und dessen Anhang sich nach Süden zurückgezogen hätten, schlug er die Richtung nach Osten ein. Aus Neugierde, wie es wohl an der Brandstätte aussah, schlich er mit dem Winde auf den hellen Feuerschein zu. Da ertönten kurz hintereinander eine stärkere und eine schwächere Explosion. Ganze Glutgarben wie Feuerbälle flogen hoch, fielen hier und dort auf das Moor und brannten weiter. Es war eine unheimliche Erscheinung, dieses Explodieren der Sumpfgase, besonders unheimlich jetzt bei Nacht.

Fritz lag etwa dreihundert Meter vom Ostrande der glühenden Moorfläche entfernt im Schutze eines Gebüsches und schätzte nun mit den Augen den Umfang der bereits brennenden Stelle ab. Hundert Meter Länge besaß diese sicher. Die Breite war nicht festzustellen. Daß die eben erfolgten Explosionen die Ausdehnung abermals fördern würden, war sicher.

Der Knabe sah jetzt auch an dem Zustand des Gebüsches, in dem er lag und das gestern unter der Einwirkung des Rauches und der Hitze gestanden hatte, was der gesamten Vegetation drohte. Die Blätter waren völlig zusammengeschrumpft, die Rinde der Zweige rissig und tief geschwärzt. Bald mußte es auf der ganzen Insel mit dem Buschwerk genau ebenso bestellt sein. Und auch die Großfußhühner würden von hier verschwinden, ebenso die Seevögel, die am Außenrande der Uferhügel nisteten. Das Eiland würde sterben, würde wirklich nur ein großer gluterfüllter Backofen sein, wie der Vater dies vorausgesagt hatte.

Tiefe Wehmut beschlich den braven Jungen, der diese Insel genau so liebgewonnen hatte, als habe er hier bereits lange, lange Jahre zugebracht. Es tat ihm leid um jeden Strauch, jeden Grasbüschel, jeden der früchtereichen Bunya-Bunya-Bäume, von denen er so gern die Nüsse abgeerntet hatte.

Eine förmliche Wut gegen die beiden Franzosen als die Haupturheber dieser unaufhaltsam fortschreitenden Vernichtung packte ihn. Das allerschlimmste wünschte er ihnen …

Da – mit einemmal in seiner Nähe Stimmen. Er erkannte den tiefen Baß Bullers.

„Es ist die Strafe für Eure Zerstörungswut“, hörte er den Kapitän der gesunkenen „Karpentaria“ sagen. „Wer weiß, was uns allen noch bevorsteht! Mit den beiden Booten, die uns jetzt noch geblieben, dürfen wir uns nicht aufs Meer hinauswagen. Die Belastung ist durch den Verlust des dritten Bootes zu groß geworden. Außerdem – wo sollen wir hin? Wieder nach der kahlen Inselgruppe dort im Südwesten zurück?! – Na – kurz und gut dieses Anzünden der Torfhaufen kann uns noch teuer zu stehen kommen.“

Dann des dürren Floots stets so höhnische Stimme:

„Laßt nur erst der Wind umspringen, damit die Bucht rauchfrei wird …! Dann werde ich dem verd… Deutschen den Kutter schon abnehmen! Ihr aber, Buller, solltet Euch schämen, als Engländer noch von einer Strafe für unsere Zerstörungswut zu reden …!! Überhaupt – ich habe Euch für einen besseren Patrioten gehalten. In meinen Augen seid Ihr nichts als ein …“

„Maul gehalten, Ihr windiger Wicht!“ fiel ihm der Kapitän ins Wort. „Keine Beleidigungen – ich warne Euch!! Sonst lernt Ihr meine Fäuste kennen!“

Fritz sah jetzt, daß er außer Buller und Floot noch Kapitän Maxwell und die beiden Franzosen vor sich hatte.

Die Fünf waren dicht neben dem versengten Gebüsch stehen geblieben.

Buller schien diese Gelegenheit für günstig zu halten, endlich auch dritten Personen etwas von seinem Verdacht gegen die beiden Amerikaner mitzuteilen.

„Ich wette, in den Transportkisten der Klaviere haben Steine drin gelegen“, meinte er. „Die Halunken wollen nur die Versicherungssumme für die Fracht einstreichen. Na – ich werde die Geschichte schon aufklären, wenn ich nur erst in Adelaide bin!“

Floot widersprach Buller sehr erregt. Als dann aber auch Maxwell als alter Seemann meinte, der Verdacht eines gegen die „Karpentaria“ verübten Attentates bleibe weit eher auf Lomper und Fritt als auf dem Deutschen hängen, wurde der dürre Engländer recht still, zumal der eine Franzose noch hinzufügte, ihm sei Fritt von Ansehen schon von früher bekannt, und Fritt stehe im Rufe eines ziemlich dunklen Ehrenmannes.

Dann sagte Floot, um dem Gespräch wieder eine andere Wendung zu geben:

„Das mag ja alles sein. – Vorläufig bleibt für uns die Hauptsache, daß wir den Kutter bekommen.“

Darauf schritten die Fünf nach Süden zu davon.

Fritz machte sich nun auf den Rückweg. Der Morgen graute schon, als er wieder auf der Terrasse anlangte.

Der Wind war jetzt mehr nach Norden herumgegangen, so daß der Teil der Bucht in der Nähe des Terrassenhügels frei von Rauch war. Der Kutter lag noch an seiner alten Stelle.

Immer höher stieg die Sonne. Am nördlichen Horizont lagerten dichte Dunstmassen. Als der Ingenieur dann erschien, hatte der Wind sich zum Sturm ausgewachsen und kam genau von Norden. Die ganze Westseite der Insel war wieder rauchfrei. Dafür zogen der Qualm und die Hitze nach Süden und vertrieben von dort die vierzehn Personen, die sich gegen zehn Uhr vormittags wieder am Ufer der Bucht einfanden

Das Moor brannte stellenweise lichterloh. Und an diesem Tage gab es eine ganze Reihe von Gasexplosionen, die den Boden weiter aufrissen und neue Feuerherde schufen.

Nachmittags überzog sich der ganze Himmel mit schwarzen, jagenden Gewölk. Einmal gab es auch einen kurzen Regenguß, der aber nur zur Folge hatte, daß die Rauchentwicklung auf dem Moore noch stärker wurde.

Dann nahte der Abend. Fraglos stand eine sehr dunkle Nacht bevor. Floot triumphierte:

„Heute wird der Kutter unser!“

Da erklärte Jack Fritt, er und Lomper hätten beschlossen, sie wollten an Stelle Straatsters das Segelboot entführen.

„Das Wie überlaßt nur uns“, meinte er. „Jedenfalls wird um Mitternacht der Kutter dort am Ufer neben unseren Ruderbooten liegen. Nur müßt Ihr uns alles an Schußwaffen mitgeben, was wir besitzen. Wir binden uns die Revolver, damit sie nicht naß werden, unter den Mützen auf dem Kopfe fest.“

Floot wollte jedoch durchaus Einzelheiten des neuen Planes der beiden wissen. Nach einigem Hin und Her redete sich Fritt damit heraus, daß sie schließlich auch gern auf das Wagnis verzichten würden, wenn man zu ihnen kein Vertrauen habe.

Inzwischen war es schon recht dunkel geworden.

Da schwebte von der Terrasse die erste Tranlampe herab. Neun weitere folgten. Der Sturm konnte den stark qualmenden Leuchten nichts anhaben, da die Steilwand jeden Luftzug wie ein Windschirm abfing.

Als Floot sah, wie der Deutsche sich vor Überraschungen während der finsteren Nacht zu sichern verstand, stieß er einen wilden Fluch aus.

Jetzt hatte er nichts mehr dagegen, daß Lomper und Fritt für die Allgemeinheit ihre Haut zu Markte trugen. Und so stiegen die beiden denn, nachdem sie sich die Köpfe mit Zweigen umwunden hatten, um treibendes Strauchwerk vorzutäuschen, gegen elf Uhr abends leise in das Wasser und schwammen ganz langsam der Terrasse zu.

Die List mit den belaubten Zweigen, die die menschlichen Köpfe verbargen, glückte wirklich. Allerdings gaben die zehn Tranlampen mit ihren dicken Dochten aus Stücken eines ausrangierten Wollhemdes nur gerade genügend Licht für die allernächste Umgebung des Kutters ab.

Der Ingenieur hatte oben gerade die Wache, als er plötzlich durch ein leises Pfeifen, das von dem Boot heraufschallte, aufmerksam gemacht wurde. Er beugte sich noch weiter über die Steinmauer und erkannte jetzt deutlich zwei dunkle Körper, die lang ausgestreckt auf dem Deck des Kutters lagen.

Seine erste Empfindung war ein heißer Schreck. Dann streckten sich seine Hände nach den bereitliegenden Wurfgeschossen aus. Aber nun hörte er auch eine Stimme, die ihm zurief:

„Müller – wir kommen als Freunde! Wir sind’s, Lomper und Fritt! Werft uns Eure Strickleiter herunter, damit einer von uns nach oben klettern und besser mit Euch verhandeln kann. Ihr braucht keine Hinterlist zu fürchten. Wir meinen es ehrlich!“

Der Ingenieur überlegte nicht lange. Warum sollte er nicht auf den Vorschlag eingehen?! Ein paar Steinwürfe genügten ja, um die Amerikaner unschädlich zu machen, falls es sich hier um Verräter handelte.

Die Strickleiter glitt herab, und Fritt schwang sich langsam und ängstlich empor. Er war an derartige Kletterpartien nicht gewöhnt. Aber ganz bis an den Rand der Mauer ließ Müller ihn nicht hoch. So verhandelten sie denn, während Fritt an der Strickleiter genau über dem Kutter hing.

Müller traute seinen Ohren nicht, als ihm der Amerikaner jetzt allen Ernstes erklärte, er und Lomper hätten sich von den anderen losgesagt, da sie als die einzigen Neutralen nicht weiter mithelfen wollten, die Deutschen ins Unglück zu bringen.

„Wir haben uns durch List in Besitz aller Schußwaffen gebracht, so daß Floot und die übrigen uns gegenüber machtlos sind und ruhig dulden müssen, wenn wir mit dem Kutter auf und davon segeln. Damit Ihr aber seht, daß wir es wirklich ehrlich mit Euch meinen, werde ich Euch nachher die Revolver unten an die Strickleiter anbinden, und Ihr könnt sie dann zu Euch hochziehen.“

Der Ingenieur hatte die beiden schon längst für abgefeimte Schurken gehalten. Aber dieses Bubenstück war ihm doch zunächst geradezu unverständlich. Daß Fritt und Lomper nicht als Neutrale, wie sie behaupteten, sich jetzt auf die andere Seite schlugen, war ganz sicher. Sie mußten recht schwerwiegende Gründe für diesen Verrat an ihren bisherigen Gefährten haben.

Da fiel Müller der Untergang der „Karpentaria“ ein. Sollte etwa auch Buller ebenso wie er selbst Verdacht gegen die beiden geschöpft haben? Und – hatten Lomper und Fritt dies vielleicht bemerkt und suchten sich nun auf diese Weise auf und davon zu machen?

Der Ingenieur war schnell mit sich einig, wie er sich zu verhalten habe. Zum Schein nahm er das Anerbieten der beiden Schurken an.

Als er dann wirklich die Revolver in Händen hatte, weckte er seinen Jungen und gab diesem schnell einige Verhaltungsmaßregeln.

Dann erst durften die Amerikaner an der Strickleiter einer hinter dem anderen hochklettern und die Terrasse betreten.

 

5. Kapitel.

Deutsche Treue.

Vom Ufer der Bucht aus, wo Floot und die übrigen die gespannten Zuschauer des nächtlichen Unternehmens abgaben, waren die einzelnen Vorgänge auf dem Kutter nicht genau zu erkennen gewesen, besonders nicht, was einer der Amerikaner oben auf der Terrasse wollte und warum dann beide emporkletterten und nicht wieder erschienen.

Auch Buller ahnte den wahren Zusammenhang nicht. Wenigstens nicht sofort. Erst als Stunde um Stunde verrann und von den beiden weder etwas zu sehen noch zu hören war, dämmerte dem Kapitän der „Karpentaria“ die Wahrheit auf.

Er fragte Floot, ob dieser etwa Fritt und Lomper erzählt habe, daß er – Buller – die beiden für schuld an dem Verluste seines Dampfers halte.

Der dürre Engländer machte erst Ausflüchte. Dann gab er zu, einige Andeutungen fallen gelassen zu haben, die die Amerikaner wahrscheinlich verstanden hätten.

Buller lachte verächtlich auf.

„Wenn die Sache so steht“, meinte er, „werden wir die beiden sicherlich hier bei uns nicht wiedersehen …! Sie sind samt unseren Waffen eben zu den Deutschen übergegangen –sehr einfach! Verteufelt schlau haben die Schufte das ja angefangen. Das muß ihnen der Neid lassen …!“

Floot war zunächst ganz sprachlos vor Schreck. Bald sah er ein, daß es hier wirklich keine bessere Erklärung für die Ereignisse der Nacht gab. Inzwischen war es nämlich hell geworden, und die am Ufer der Bucht Befindlichen konnten beobachten, daß der Ingenieur mit Hilfe seines Sohnes den Mast wieder auf dem Kutter anbrachte und ebenso auch die Takelage, die ledergeflochtenen Taue und die Segel.

Auffallend war es jedoch, daß weder Fritt noch Lomper sichtbar wurden.

Schließlich hielt Buller diesen Zustand der Ungewißheit nicht länger aus, bestieg das kleinere der beiden Boote und näherte sich dem Kutter.

Müller ließ ihn ruhig herankommen.

Dann zog der Kapitän die Ruder ein und machte das Boot mit einer Leine am Kutter fest.

„Morgen, Master Müller“, begrüßte er diesen etwas verlegen. „Sagt mal, was ist eigentlich aus Lomper und Fritt geworden?“

„Gefangene“, erwiderte der Ingenieur kurz.

„Gefangene?!“ Buller glaubte, der Deutsche treibe Scherz mit ihm.

„Allerdings“, erklärte Müller. „Ich habe die Schurken einen nach dem anderen, wie sie oben bei mir auf der Terrasse anlangten, gefesselt. Es war ein Kinderspiel, da Fritz mit einem Revolver in der Hand den beiden bewies, daß sie zu gehorchen oder eine Kugel zu gewärtigen hätten.“

„Wollt Ihr mir nicht das alles genauer erzählen“, bat Buller bescheiden.

„Bitte. Die Sache verhält sich folgendermaßen.“

Und nun erfuhr der Kapitän, daß seine Vermutung völlig zutreffend gewesen war. Fritt und Lomper hatten die anderen verraten, um zusammen mit den Deutschen die Insel verlassen zu können. – Es war dann aber anders gekommen. Müller hatte die Halunken dingfest gemacht, da er mit den verächtlichen Burschen nichts zu tun haben wollte.

Zum Schluß erklärte er Buller dann:

„Ich könnte jetzt, wenn ich ein Mann von dem Kaliber Floots wäre, mit den Meinen in aller Ruhe in See gehen und Euch alle hier Eurem Schicksal überlassen. Das erlaubt mir aber mein deutsches Barbarengewissen nicht. So schlecht Ihr auch an mir gehandelt – Euch nehme ich von diesem Vorwurf zum Teil aus, Master Buller –, ich kann nicht gleiches mit gleichem vergelten. Diese Insel hier wird bald ein einziges Feuermeer bilden, der Aufenthalt hier unmöglich werden. Ihr müßtet also in kurzem mit Euren beiden Booten Euch wieder dem Meere anvertrauen, wo Euch schon eine etwas steifere Brise verderblich werden kann. Wenn Ihr alle mir nun durch einen Schwur versichert, mich als den Besitzer des Kutters zu betrachten und nichts gegen mich und die Meinen zu unternehmen, sollt Ihr die Reise nach Australien mitmachen dürfen. – So, nun kehrt zu Euren Gefährten zurück, Master Buller! Bestellt ihnen aber von mir, daß jede Schurkerei Blut fordern würde! Ich habe die Revolver in Händen – vergeßt das nicht!“

Buller streckte dem Deutschen die Hand hin.

„Ihr seid ein wahrer Gentleman! Ich habe das längst gewußt. Jedenfalls werde ich zusehen, wie Floot und die anderen Eure Botschaft aufnehmen. Merke ich auch nur im geringsten, daß sie falsches Spiel mit Euch treiben wollen, sollt Ihr es sofort erfahren.“

Zur Ehre Floots und seiner Gesinnungsgenossen muß gesagt werden, daß sie sich sämtlich durch diese Großmut Müllers tief beschämt fühlten.

Einmütig wurde Kapitän Buller damit beauftragt, Müller die nötigen Erklärungen abzugeben. Es kam nun zu einem förmlichen, feierlichen Friedensschluß zwischen den Parteien. Floot entschuldigte sich sogar bei dem Ingenieur wegen seines Verhaltens. Kurz, für alle mit Ausnahme der beiden Amerikaner waren die Ereignisse der verflossenen Nacht nur segensreich.

Lomper und Fritt übergab Müller an Buller als den Kapitän der gesunkenen „Karpentaria“. „Tun Sie mit ihnen, was Sie wollen“, meinte er. „Mich gehen die beiden nichts weiter an.“ – –

Gegen Morgen hatte der Sturm erheblich nachgelassen. Das Moor brannte jetzt an verschiedenen Stellen lichterloh. Von der Spitze des Hügels konnte man gerade bei der nördlichen Windrichtung so recht sehen, welchen Umfang das Feuer bereits angenommen hatte. Die Hitzewelle, die der Wind nach Süden trieb, mußte alles verkohlen, was es im Südteil der Insel an Bäumen und Sträuchern gab.

Buller drängte unter diesen Umständen mit Recht zu schleunigem Aufbruch. Der vorhandene Proviant der deutschen Ansiedler wurde schleunigst an Bord des Kutters gebracht, ebenso genügend Trinkwasser. Auch die Hühner wurden für alle Fälle mitgenommen.

Die Amerikaner, die natürlich hartnäckig leugneten, daß die Klavierkisten nur wertlose Dinge enthalten hätten und daß ein Versicherungsbetrug vorliege, wurden von Buller trotzdem mit rücksichtsloser Strenge behandelt und im Vorschiff in einen niedrigen Verschlag eingesperrt.

Vor der Abfahrt unternahm der Ingenieur mit den Seinen noch einen Spaziergang nach jener Stelle des Nordstrandes, wo man seiner Zeit gelandet war. Die deutsche Familie wollte gerade dieser Stätte Lebewohl sagen, an die sich für sie so ernste Erinnerungen knüpften. Auch jenen Hügel erstieg man wieder, von dem aus man den ersten Blick über das Eiland geworfen hatte.

Aber wie traurig, wie düster und unheimlich sah heute die Insel trotz des lachenden Mittagssonnenscheines aus …!! Gräser und Sträucher überall rauchgeschwärzt, versengt, dazu etwa in der Mitte der brennende Teil des Moores mit rötlichen Glutmassen, hochleckenden Flammenzungen und dichten Rauchwolken, die sich unaufhörlich nach Süden wälzten und noch weit, weit über das Meer hinstrichen. Überall roch es nach Brand, Vernichtung – – die Seevögel selbst mieden die ungastliche Stätte.

„Unsere arme Insel!!“ meinte Müller traurig. „Sie hat uns monatelang alles gegeben, was wir zum Leben brauchten. Nun aber kann sie niemandem mehr etwas spenden, kein Schiffbrüchiger wird hier, wie wir es konnten, in Einsamkeit, aber Zufriedenheit hausen dürfen. Rauch und Hitze verwehren jedem einen längeren Aufenthalt.“

Auch der Abschied von der Terrasse, von dem kleinen Häuschen, dem Gärtchen und all den Dingen, die deutscher Fleiß hier geschaffen hatte, wurde unseren vier Robinsons nicht leicht.

Diesen und jenen Gegenstand nahmen sie noch zum Andenken. Besonders Fritz wollte sich natürlich nicht von seinen Waffen, Bogen und Pfeilen, Lanze und Robbenharpune, trennen. Ännchen wieder packte all die Holzpuppen und -tiere sorgfältig zusammen, die der Vater ihr geschnitzt hatte.

Nachmittags gegen drei Uhr stach der Kutter „Hoffnung“ dann in See. Buller hatte die Führung des großen Bootes übernommen. Er hielt strenges Regiment an Bord, was bei der Enge der Räume und der Anzahl von Menschen auch nötig war.

Die Reise wurde zunächst vom Wetter sehr begünstigt. Dann trat leider eine viertägige völlige Windstille ein.

Inwiefern diese die Heimkehr der Mitglieder der Reisegesellschaft nach Australien sehr beträchtlich verzögerte, kann in diesem Bande nicht mehr erzählt werden.

Jedenfalls verging noch fast ein viertel Jahr, bevor Ingenieur Müller mit seiner Familie in einem neutralen Hafen landete. Erwähnt sei hier nur noch, daß die beiden Amerikaner die gerechte Strafe für ihr freventliches Attentat auf die „Karpentaria“ ereilte, freilich nicht durch bürgerliche Rechtsprechung, sondern durch das Eingreifen einer ausgleichenden Vorsehung.

Dies alles soll im nächsten Bande „Das tote Eiland“ geschildert werden.

 

Ende.

 

Das nächste Heft enthält:

Das tote Eiland.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.