Erlebnisse einsamer Menschen
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W. Belka.
Wo es zu suchen ist, das tote Eiland? – –: Südöstlich der zu Australien gehörigen Insel Tasmanien, dort, wo der 135. Grad östlicher Länge die auf jeder besseren Karte des Großen Ozeans leicht zu findende Treibeisgrenze der Südpolargegenden schneidet.
Es ist eine Insel von der Form und dem ungefähren Aussehen einer etwa eine halbe Meile langen und vielleicht halb so breiten Schüssel, die von Norden nach Süden sich hinzieht.
Auf diesem Eiland wohnte, als es noch lebte, einige Monate eine deutsche Familie. Beide haben seltsame Schicksale hinter sich, die Insel sowohl als auch der Ingenieur Müller und die Seinen.
Jetzt ist das Eiland tot. Woran es starb? – Lieber Leser, das ist eine besondere Geschichte. Einiges davon wirst Du noch erfahren – später.
Zunächst aber begleite uns nach der Südküste Australiens. – Ziehst Du von der Nordspitze des toten Eilandes eine Senkrechte genau nach Norden, so triffst Du auf die Spencer-Halbinsel westlich des gleichnamigen Golfes. Auf dieser Halbinsel, kaum zwei Kilometer vom Meeresstrande entfernt stehen die ausgedehnten Baulichkeiten der Ballery-Farm.
Sie gehört einem Franzosen, einem Herrn Charles Godwin. Er betreibt die Schafzucht im großen, gleichzeitig auch eine Schafwollfärberei und etwas Weizenbau.
Vor vier Monaten, im September 1915, also bereits nach einem Jahre Weltkrieg, hatte Charles Godwin aus Mangel an weißen Arbeitern (die halfen jetzt auch als dumme, brave Australier den Boden in Flandern mit Blut düngen zu Englands Vorteil) sich aus China hundert Kulis von einem Unternehmer verschrieben.
Erst ging es mit der gelben, im Essen so anspruchslosen gelben Gesellschaft ganz leidlich. Dann aber merkten sie, daß der Farmer vollständig auf sie angewiesen war, schraubten ihre Lohnforderungen höher und höher und wurden frecher und frecher.
Unter den Kulis befanden sich auch drei ältere Leute, hagere, sehnige, verwitterte Kerle aus Nordchina, die abends an den Feuern und vor den dampfenden Reiskesseln viel von ihren Seefahrten erzählten und stets geheimnisvoll lächelten, wenn dieser oder jener ihrer Gefährten meinte, sie seien früher einmal in besseren, freieren Zeiten wohl Piraten oder mindestens Opiumschmuggler gewesen.
Diese drei waren stets die Rädelsführer, wenn die gelbe Bande mal neue Vorteile erzwingen wollte. Am 3 Januar 1916 sah Herr Charles Godwin sich veranlaßt, diese alten Halunken festzunehmen und im Keller seines Wohnhauses einzusperren, bis die Polizei der nächsten kleinen Stadt sie abholen würde.
Die drei Gefangenen besaßen jedoch unter ihren Landsleuten zahlreiche Vertraute, mit denen sie schon lange darüber einig waren, daß man viel schneller und leichter Geld verdienen könne, wenn man sich Godwins großer Segeljacht, die auch einen starken Benzinmotor besaß, bemächtigte. Die „Atlanta“ wurde gleichzeitig als Frachtschiff hin und wieder benutzt, und lag häufig genug in dem kleinen, zu der Farm gehörigen Hafen vor Anker.
Der Aufruhr begann damit, daß einige Kulis das Vorratshaus erbrachen und einige Fässer Rum nach den Wohnbaracken der gelben Gesellschaft schafften, die denn auch in kurzem mit wenigen Ausnahmen sich in einem Zustande befand, in dem einem Chinesen ein Menschenleben noch weniger gilt als sonst.
Jetzt genügten ein paar Andeutungen der Anhänger der drei Rädelsführer, um die ganze schreiende Rotte zum Sturm auf das Wohnhaus zu bewegen.
Eine Stunde später waren die Gefangenen befreit und Godwin samt seiner Familie bis auf das flache Dach des Hauses gedrängt, wo er sich mutig mit Hilfe zweier weißer Aufseher weiterverteidigte.
Die sämtlichen Räume wurden geplündert und verwüstet. Die Kulis hausten dort wie die Wahnsinnigen. Was kümmerte es sie, daß zwölf der ihrigen tot oder schwerverwundet hier und da umherlagen …! Was gaben sie darauf acht, daß die drei Befreiten und dreiundzwanzig andere ihrer Gefährten sämtliche im Hause befindliche Waffen sich aneigneten und plötzlich verschwanden …! Hier in den Zimmern hatten sie ja eine Unmenge von feinen Likören und im Keller ganze Fässer süßen Weines entdeckt …! Einer nach dem anderen sank bald zu Boden, steif vor Trunkenheit. Und als die zehn Polizisten auf dampfenden Pferden auf der Ballery-Farm zwei Stunden später eintrafen, hatten sie mit der schlitzäugigen Brut leichtes Spiel.
Inzwischen hatte sich in dem kleinen Hafen am Meeresstrande ein zweites Drama abgespielt.
Urplötzlich waren dort sechsundzwanzig Chinesen erschienen, alles ausgesucht kräftige Leute. An Bord der Jacht „Atlanta“ hatten sich nur der Kapitän und drei braune Matrosen, Kanaken von der Südsee, befunden.
Der Kapitän ahnte, was die Bande vorhatte. Er wollte die „Atlanta“ schnell vom Lande fort in offenes Wasser bringen. Aber es war zu spät. Man ergriff ihn, fesselte ihn und warf ihn wie ein Bündel in den Schatten eines Schuppens. Die Kanaken waren noch rechtzeitig entflohen.
Fünf Minuten darauf ging die als Zweimastschoner getakelte „Atlanta“ unter vollen Segeln in See. Der eine der Rädelsführer, ein wahrer Riese, der sicher auch einen Schuß europäischen Blutes in den Adern hatte, übernahm ohne weiteres das Kommando über die Jacht und seine Gefährten.
Daß dieser Tsching-Lo ein tüchtiger Seemann war, bewies er durch jeden seiner Befehle. Ihn unterstützten dabei nicht minder gewandt die beiden anderen Rädelsführer, von denen Fu-Schang erster und Mingto zweiter Steuermann geworden war.
Tsching-Lo handelte nach einem vorher in allen Einzelheiten überlegten Plane. Westlich der Ballery-Farm lag auf einem Hügel hart an der See eine Funkenstation, die jetzt im Kriege für alle Fälle eine militärische Bedeckung und sogar zwei schon etwas veraltete Geschütze zur Abwehr von Angriffen von der Wasserseite erhalten hatte.
Die Funkenstation wurde überrumpelt, zerstört und die kleine Wache, nachdem man ihr Gewehre und Munition abgenommen hatte, in das weithin unbewohnte Hinterland gejagt.
So gelangte der Piratenführer neben anderem auch in Besitz von zwei Hinterladergeschützen und einigen Kisten Granaten.
„Wenn die Windstille noch ein paar Tage anhält, können wir alle unser Testament machen“, sagte Kapitän Buller leise zu dem deutschen Ingenieur, der neben ihm auf dem Vorderdeck des großen Kutters saß. „Unser Trinkwasser reicht vielleicht noch für eine Woche bei größter Sparsamkeit. Dann …!!“ Und er machte mit der Hand eine Bewegung, als wolle er sich die Kehle durchschneiden.
Ingenieur Müller, ein blonder Hüne, schaute trübe nach dem Hinterdeck hin, wo unter einem Sonnendach seine Frau und sein Töchterchen Platz gefunden hatten. Fritz, des Ingenieurs einziger Sohn, lag dagegen mittschiffs lang auf Deck und beobachtete angestrengt einen Haifisch, der lüstern um eine Angel herumschwamm.
Der Kutter war ein recht merkwürdig gebautes Fahrzeug, hatte Segel aus gegerbten Robbenfellen und zeigte auch in so mancher anderen Einrichtung, daß er aus einem uralten Ruderboot mit sehr bescheidenen Hilfsmitteln in einen Kutter verwandelt worden war. An Bord befanden sich nicht weniger als achtzehn Personen, alles Schiffsbrüchige, die das Schicksal zusammengeführt hatte. Ein Teil von ihnen gehörte zu einem Dampfer, der durch eine Kesselexplosion gesunkenen „Karpentaria“, die übrigen zu einem ebenfalls wrackgewordenen Walfischfänger.
Der deutsche Ingenieur hatte sich mit den Leuten, zumeist Engländern, erst infolge besonderer Umstände nach anfänglichen Feindseligkeiten ausgesöhnt. Er war es gewesen, der die Schiffbrüchigen davon überzeugt hatte, daß zwei zu ihnen gehörige Amerikaner namens Lomper und Fritt schuld an dem Untergang der „Karpentaria“ gewesen waren.
Die beiden Amerikaner befanden sich als Gefangene an Bord. Daß sie den Deutschen als ihren Todfeind[1] haßten und auch den übrigen Schiffbrüchigen das Schlimmste wünschten, ist leicht begreiflich.
Der Kutter hatte vor vier Tagen jene kleine Insel verlassen, die durch die Unvorsichtigkeit eines der Leute dem Untergang geweiht worden war. Eine Windstille und sengende Hitze, die über der bleifarbenen See lagerten, schienen nun auch den Insassen des Kutters den Tod bringen zu wollen. – –
Neben dem vierzehnjährigen, kräftigen Fritz saßen noch einige Männer auf den Deckplanken und vertrieben sich wie er durch Beobachten der Angel die trostlos langsam hinschleichenden Stunden.
Dann elektrisierte jedoch ein Ausruf aus dem Mund des am Mast lehnenden Kapitäns des untergegangenen Walfischfängers den ganzen Kutter.
„Ein Schiff – ein Schiff!!“
Alles sprang auf die Füße, aller Augen richteten sich nach Westen, wo deutlich die schlanken Masten und der Rumpf eines mittelgroßen Fahrzeugs ohne Schornstein zu erkennen waren.
Eine halbe Stunde später lag der Kutter dicht neben der „Atlanta“ dem jetzigen Piratenschiffe, vertäut.
Buller hatte sich bedenklich den kahlen Schädel gekratzt, als er wahrnahm, daß die elegante Jacht eine nur aus Chinesen bestehende Besatzung hatte. Er ahnte, wie ungefähr diese schlitzäugige Bande in Besitz des schlanken Fahrzeugs gelangt war – eben mit Gewalt.
Tsching-Lo ließ Buller als den ältesten der Schiffbrüchigen jetzt an Bord der „Atlanta“ kommen und fragte ihn hier sehr genau aus.
Buller hatte keinen Grund, etwas zu verschweigen, und erwähnte daher auch die beiden Amerikaner.
Tsching-Lo horchte auf. Er sprach fertig englisch.
„Amerikaner? Wie heißen sie?“
Als der Kapitän der „Karpentaria“ den Namen Fritt nannte, hob der Chinese den Kopf. Dann rief er ein paar von seinen Leuten einen Befehl zu. Und gleich darauf waren die beiden Gefangenen frei und standen an Deck der Jacht dem Piratenanführer gegenüber.
Fritt musterte Tsching-Lo sofort sehr eingehend.
„He – wir sollten uns doch kennen“, rief er dann freudig erstaunt. „Ihr seid doch derselbe Mann, dem ich damals in Hongkong zur Flucht verhalf.“
Tsching-Lo nickte lächelnd.
„Heute mache ich die alte Dankesschuld wett“, meinte er, streckte Fritt die Hand hin und führte dann diesen und Lomper in seine Kajüte.
Buller lehnte sich jetzt über die Reling und sagte zu dem deutschen Ingenieur in französischer Sprache, um nicht von den Chinesen verstanden zu werden, die wohl sämtlich etwas englisch konnten:
„Wir sind aus dem Regen in die Traufe geraten!
Unsere Aktien stehen verd… schlecht! Hier haben eben zwei Schurken ein Wiedersehen gefeiert …“
Es dauerte eine gute halbe Stunde, bevor Tsching-Lo und die Amerikaner wieder an Deck erschienen. Diese grinsten jetzt vor Hohn und Schadenfreude.
Buller wurde es immer unbehaglicher zumute. Er ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern wandte sich möglichst selbstbewußt an den Chinesen:
„Wir sind zumeist Engländer, wie ich schon erwähnte, und ich hoffe, daß Ihr uns baldigst nach einem südaustralischen Hafen bringen werdet.“
Tsching-Lo nickte nur und sagte kurz:
„Steigt wieder auf den Kutter über – vorwärts!“
Buller gehorchte schweigend. Aber dunkle, böse Ahnungen bedrückten ihn. – –
Tsching-Lo freute sich, gerade Fritt hier gefunden zu haben. Niemand von den Gelben verstand nämlich so recht mit einem Benzinmotor umzugehen. Hier konnte der Amerikaner einspringen.
Die „Atlanta“ nahm den Kutter ins Schlepptau und verschwand mit südlichem Kurs. – –
Zwei Tage darauf – inzwischen hatte sich das Piratenschiff immer mehr von der Küste Australiens entfernt – kam eine Anzahl niedriger, kahler Felseninseln in Sicht. Buller erkannte sie sofort wieder. Hier in der Nähe hatte der Walfischfänger von einem riesigen, blindwütigen Wale den Todesstoß erhalten, hier hatte man eine ganze Weile ein trostloses Robinsondasein geführt.
Der deutsche Ingenieur sagte jetzt leise zu Buller:
„Ich fürchte, die gelben Schufte werden uns hier aussetzen.“
Der Kapitän der „Karpentaria“ seufzte.
„Ich fürchte dasselbe.“
Und diese Sorge war nur zu berechtigt.
Fritt erklärte den Insassen des Kutters, daß sie hier auf den Inseln „es sich vorläufig recht behaglich machen möchten“, wie er sich höhnisch ausdrückte.
Die „Atlanta“ blieb fünf Tage in einem Kanal zwischen den kleinen Inseln und wurde von den Chinesen sehr geschickt mit Deckaufbauten und anderer Takelage versehen, ebenso auch dunkel gestrichen, damit man in ihr die frühere Jacht nicht wieder erkannte.
Dann mußte der Ingenieur mit den Seinen wieder an Bord.
„Ihr seid mir zu schlau, um Euch hier zu lassen“, sagte ihm Fritt schadenfroh. „Ihr könntet Mittel und Wege finden, von hier fortzukommen. Das wird den anderen nicht gelingen.“
Was die Piraten mit ihm vorhatten, ahnte Müller nicht. Die frühere „Atlanta“, die jetzt den Namen „Neptun“ führte und einen dicken, falschen Schornstein aus Blech besaß, ging wieder in See.
Einen Tag später näherte sie sich demselben Eiland, das zu Anfang unserer Geschichte erwähnt ist, in später Abendstunde, setzte ein Boot aus und entledigte sich der vier Deutschen, die so, wie sie waren, an Land geschafft wurden. Nichts gab man ihnen mit, nichts … Nur höhnische Zurufe, Verwünschungen und Flüche.
Das Boot verschwand, und sehr bald auch das Piratenfahrzeug.
Mit zusammengepreßten Lippen hatte der blonde Hüne der Jacht nachgeschaut. Jetzt wandte er sich an die Seinen, die sich hinter ihm auf ein paar Felsstücke gesetzt hatten.
„So hätte uns das Schicksal also wirklich hierher zurückgebracht, wo wir bereits einmal als Robinsons gehaust haben“, sagte er trübe. „Als wir aber damals hier landeten, lebte die Insel noch, grünten auf dem Moor, das ihr Inneres bildet, Sträucher, Blumen, Gräser und einige der nußtragenden Bunya-Bunya-Bäume, nisteten hier die so leicht zahmwerdenden Großfußhühner und lieferten uns Eier und Fleisch. Damals besaßen Fritz und ich unsere Taschenmesser, Feuerzeuge und manches andere, womit wir uns den Kampf ums Dasein erleichtern konnten. Heute treten wir unser zweites Robinsonleben unter weit schlechteren Bedingungen an. Eine übermütige Laune und Zerstörungswut ließen das Moor mit seinen fetten Bodenschätzen an Torf in Flammen aufgehen. Die furchtbare Glut der brennenden Torfmassen hat alles pflanzliche und tierische Leben hier vernichtet. Das Eiland ist tot … Und wir selbst besitzen nichts als unsere damals selbstgefertigten Kleider aus Robbenfellen – nichts weiter – nichts! Trotzdem dürfen wir nicht verzagen! Gott wird uns beistehen, daß wir hier nicht zugrunde gehen. Anscheinend ist der Brand des Torfmoores durch starke Regengüsse in den letzten Tagen erstickt. Seht, dort in den Vertiefungen steht ja noch überall das Regenwasser. Auch von Rauch und Feuerschein ist nichts mehr zu bemerken. Also brauchen wir das Feuer wenigstens nicht zu fürchten. Und dann: wir wissen ja, wo wir sofort für die Nacht ein Unterkommen finden, – in unserer alten Hütte auf der Felsterrasse an der Westseite der Insel. – Kommt, meine Lieben, gehen wir dorthin! Und morgen wollen wir sehen, was aus unserer Insel während unserer Abwesenheit eigentlich geworden ist.“
Frau Müller weinte leise vor sich hin.
Da legte Fritz ihr liebevoll den Arm um den Hals und sagte:
„Mutter, denk’ daran, daß der Vater damals in den ersten Tagen unseres früheren Aufenthaltes hier schwer krank war! Heute sind wir alle gesund, heute wartet auf uns dort auf der Terrasse das eingerichtete, kleine Häuschen! Es ist, als ob wir in eine alte, vom Kriege halb zerstörte Heimat zurückkehren. Vater hat recht: Gott wird halfen, – Gott und unsere Tüchtigkeit, unser Fleiß, die uns schon einmal ein ganz behagliches Dasein geschaffen haben.“
Im Nordwesten der Insel zog sich eine nach Norden zu gekrümmte Bucht tief ins Land hinein, an deren Endpunkt steil aus dem Wasser ein wildzerklüfteter Hügel, schon mehr ein Berg, emporstieg und gerade über der Bucht eine große Felsterrasse bildete, deren Rückwand von einer in einem Tunnel endigenden Spalte durchbrochen wurde Dieser Tunnel mündete auf der Nordostseite des Hügels in eine Schlucht. – Auf diesem Wege gelangten nun auch Müller und die Seinen wieder an den Ort, wo sie bereits erwartet zu werden schienen: von ihrer alten Hütte, von dem jetzt leeren Hühnergehege, von den Blumen des kleinen Gärtchens und all den anderen Beweisen ihres Fleißes, die an dieser geschützten Stelle dem furchtbaren Moorbrande entgangen waren.
All die primitiven, selbstgefertigten Gegenstände waren in dem Häuschen noch vorhanden: die Lagerstätten, der Herd mit dem Tongeschirr, der Tisch, die Bänke und vieles mehr. Nur Eßvorräte fehlten. Und dabei hatten die vier Deutschen sämtlich einen nagenden Hunger. Doch der mußte sich für diese Nacht noch im Schlaf beschwichtigen lassen.
Vor Erschöpfung schliefen Frau Müller und Ännchen dann auch wirklich bald ein.
Der Ingenieur und Fritz standen noch eine ganze Weile an der Randmauer der Terrasse und blickten hinab auf die Bucht und die Insel, soweit sie diese von hier aus überschauen konnten.
Der Himmel war sternenklar und der Mond eben aufgegangen.
Silberner Glanz lag auf dem Wasser der Bucht. Aber deren früher grüne, buschige Ufer waren jetzt schwarz und kahl. Nur verkohlte Zweige streckten ihre schwarzen Finger anklagend zum Firmament empor. Kein Blätterrauschen, kein Vogelschrei war zu hören.
Das Eiland war gestorben. – –
Fritz schlief wenig in dieser Nacht. Immer wieder mußte er daran denken, wie seltsam das Schicksal den Lebensweg der Seinen beeinflußt hatte. Es dünkte ihm, als habe eine höhere Fügung sie hier auf die Insel zu irgendwelchem Zwecke zurückgeführt. In all den Ereignissen der letzten Monate sah er nicht etwa eine Reihe von Zufällen, sondern die lenkende Hand des Allmächtigen. Frohe Zuversicht schöpfte er aus diesen Gedanken, und bereits mit Tagesanbruch erhob er sich leise, um zu versuchen, ob er nicht einige Nahrungsmittel finden würde. Trinkwasser gab es ja in dem Verbindungstunnel der Terrasse nach der Schlucht hin in einem tiefen Felsloche genug. Darum brauchte er sich also nicht zu sorgen.
Zunächst erklomm er die Spitze des sonst völlig unzugänglichen Hügels mit Hilfe der die Rückwand der Terrasse durchbrechenden Felsspalte. Von der Höhe aus hatte er nun einen weiten Rundblick über das ganze Eiland. Als er oben anlangte, trat gerade die Sonne aus den Dunstmassen des östlichen Horizontes hervor. Die Randhügel des Eilandes, die dieses wie ein Kranz umgaben, schimmerten in ihren höheren Teilen in hellem Licht. Desto düsterer wirkte aber dafür das Innere der Insel, das nichts wie eine verkohlte, schwarze Fläche bildete, auf der die Gebüschgruppen und die darüber hinausragenden Bunya-Bunya-Bäume mit ihren vom Feuer geschwärzten Überresten doppelt traurig aussahen. Kein grüner Halm, kein grünes Blatt war geblieben. Und dort, etwa in der Mitte des großen Torfmoores, zog sich, deutlich an den grauen Aschenresten und den tiefen Bodenlöchern zu erkennen, die eigentliche Brandstätte wohl tausend Meter weit in wechselnder Breite hin. Weißlicher Rauch stieg noch hier und da in dünnen Fäden auf, während selbst in dieser Höhe noch der beizende Brandgeruch zu spüren war, der über der ganzen Insel lagerte, Tod und Vernichtung ankündigend.
Dann verließ der Knabe die Terrasse durch die Schlucht und wandte sich nach Süden zu. Seine Füße schritten über die verkohlte Grasnarbe hin. Wie häßlich, wie unendlich traurig alles hier ausschaute! Früher waren stets bald hier bald dort die schnellfüßigen großen Wildhühner aufgetaucht, hatten Hennen mit jungen Völkern vor dem Wanderer eilig die Flucht ergriffen. Jetzt war alles hier öde und leer. Der Gluthauch der brennenden Insel, von dem wechselnden Winde bald hierhin bald dorthin getrieben, hatte jede Lebensäußerung erstickt. (Wir verweisen den Leser auf die beiden vorhergehenden Bändchen, „Der Untergang der „Karpentaria““ und „Die brennende Insel“, in denen all die Vorgänge genau geschildert sind, die hier nur als der Vergangenheit angehörig angedeutet werden können).
Immerhin hoffte Fritz noch, daß von den Früchten der Bunya-Bunya-Bäume, die etwa faustgroß werden und eine nußartige Schale haben, wenigstens noch einige genießbar geblieben sein würden. Er wandte sich daher einer Stelle im Südwesten der Insel zu, wo dieser Baum, der zur rein australischen Flora gehört wie manche andere Pflanzen des kleinsten Erdteils, die nirgends anderswo sonst Anzutreffen sind, ziemlich häufig war.
Und in seiner Hoffnung sah er sich auch wirklich nicht getäuscht. Im Gegenteil, die Nüsse hatten die Hitze zum Teil ohne erheblichen Schaden überstanden, und Fritz fand davon eine solche Menge, daß er, seine Lederjacke als Sack benutzend, eine recht schwere Last nach der Terrasse mitnehmen konnte.
Nachdem er die Nüsse vor dem Häuschen aufschichtet hatte, begab er sich zum nahen Weststrande, indem er dem Ufer der Bucht folgte, und suchte hier nach einer bestimmten Art von handgroßen Krebstieren, die man auch während des ersten Aufenthaltes auf dem Eiland als Nahrungsmittel benutzt hatte.
Außer einer Anzahl von Krebsen fing er hier auch ein noch junges Exemplar der sog. Suppenschildkröte, die hauptsächlich im mittleren Teile des Stillen Ozeans vorkommt. Erst auf dem Rückwege fiel ihm aber ein, daß man in der Ansiedlung auf der Terrasse zwar noch die alten Tongefäße zum Kochen vorgefunden hatte, jedoch kein Mittel besaß, um ein Feuer anzuzünden. Dieser Gedanke veranlaßte ihn, seinen Fang einstweilen in der Nähe der Schlucht an der Nordostseite des Hügels niederzulegen und sich der Brandstelle zuzuwenden. Seine Absicht war nachzusehen, ob er nicht irgendwo noch glimmende Torfreste fand, die er mit nach der Terrasse nehmen konnte. Er sagte sich, daß die zahlreichen aus den ausgebrannten Löchern des Moores noch aufsteigenden Rauchsäulen eigentlich vermuten ließen, daß in der Tiefe hier und da das Feuer noch weiterglühe.
Sehr vorsichtig stieg er dann in die tiefe Grube hinab, die er seiner Zeit zusammen mit dem Vater ausgehoben und an deren Rand sich zuerst der Brand weiter verbreitet hatte. Bis zum Knie sank er oft genug in die grauen Aschenmassen ein. Aus einer Aushöhlung der verkohlten Torfwand kräuselte sich ein gelblicher Qualmfaden in die Luft. Fritz bückte sich und stocherte mit einem langen Ast in dem Loche umher. Glühende Torfstücke kamen zum Vorschein, nachdem die Aschenteile dort hinten weggekratzt waren. Jetzt fühlte Fritz auch die Wärme, die aus der Aushöhlung hervordrang, jetzt konnte er feststellen, daß hier in der Tiefe sich noch ein großer Glutherd befand. Vorläufig war allerdings für ihn die Hauptsache, daß er auf einer schnell hergestellten Unterlage von Holzstücken ein paar glimmende Torfbrocken mitnehmen konnte. Im Laufschritt strebte er der Terrasse zu, damit der so entstehende Luftzug die schwelende Masse noch mehr anfache.
Als er vor dem Häuschen anlangte, fand er den Vater bereits damit beschäftigt, die Nüsse zu öffnen und die Kerne herauszunehmen.
Der Ingenieur war ganz gerührt durch die treue Fürsorge seines Jungen.
„Du bist ein braver, kleiner Kerl“, meinte er und strich Fritz über das schon reichlich lange, blonde Kopfhaar. „Wenn wir Dich nicht hätten …!! Du wirst mal ein tüchtiger Mensch werden! Und vielleicht ist diese Zeit harter Prüfungen, die wir jetzt durchmachen, für Deine geistige und körperliche Entwicklung nur von Nutzen.“
In dem kleinen Küchenanbau prasselte auf dem Herde bald ein lustiges Feuer, und als eine Stunde später auch die beiden weiblichen Mitglieder der Ansiedlung erschienen, waren sie nicht wenig erstaunt, den Tisch bereits gedeckt zu finden, der draußen vor der Hütte unter dem Sonnendach stand.
Mit gutem Appetit, den die neuerwachte Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang auch dieses Abenteuers noch steigerte, aßen die vier Deutschen, würzten das Mahl durch ernste Gespräche, die sich um die zunächst vorzunehmenden Arbeiten drehten, und gedachten dabei auch der zwölf Leute, die die chinesischen Piraten auf der felsigen Inselgruppe im Südwesten ausgesetzt hatten.
Ännchen, die früher hier mit großem Eifer Hühnermutter gespielt und ganz allein für die in dem Gehege gehaltenen alten und jungen Großfußhühner gesorgt hatte, war recht traurig, daß der große Hühnerhof auf der anderen Seite der Terrasse nun leer bleiben würde. Daran ließ sich jedoch nichts ändern. Die Großfußhühner waren, das unterlag keinem Zweifel, entweder in der furchtbaren Hitze umgekommen oder hatten das Eiland rechtzeitig verlassen.
Nach der Mahlzeit ging man dann frischen Mutes an die Arbeit. Die Mutter und Ännchen brachten die Hütte und die Terrasse in Ordnung, und Müller und Fritz gedachten in den felsigen Randhügeln nach passenden Steinen zu suchen, die allerlei notwendige Werkzeuge ersetzen sollten.
Fritz stand mit dem Vater vor der tiefen Grube auf dem Torfmoor, in der unten der Brand noch weiterfraß, wie der Knabe am Morgen festgestellt hatte.
„Wir müssen alle Stellen, an denen der Torf in den unteren Schichten noch glüht, sorgfältig mit nassem Sande vom Seeufer bedecken“, meinte der Ingenieur. „Sonst kann uns ein Sturm, der die Glut wieder anfacht, recht böse Überraschungen bringen. Wir dürfen nicht vergessen, daß das ganze Innere dieser Schüsselinsel ein riesiges Lager fetten Torfes darstellt, das, erst einmal wieder an der Oberfläche in Brand geraten, nur durch einen sehr starken, anhaltenden Regen gelöscht werden kann.“
Dann schritten sie weiter, suchten das ganze Eiland nach einem vielleicht noch am Leben gebliebenen Großfußhuhn ab.
„Ich hätte Ännchen so gern einen Pflegling beschafft“, sagte der Ingenieur. „Doch – auf diesen ausgebrannten Flächen gibt es nichts Lebendes mehr. Wie trostlos alles hier aussieht …!“
Fritz war vor einem kuppelförmigen, vielleicht ein Meter hohen Haufen aus Zweigen und Blättern stehen geblieben, der, da er hinter ein paar verstreuten Felsen am Innenrande der Uferhügel lag, nur wenig durch die Hitze beschädigt war.
Die Bedeutung dieser Haufen kannten Vater und Sohn nur zu gut. Es waren Gebilde, die die Großfußhühner geschaffen hatten, und zwar die Hennen, die sich das Brüten ersparen und ihre großen Eier in die Mitte solcher Anhäufungen aus Blättern, Gras, Unrat und Zweigen ablegen, wo sich im Innern bald eine erhöhte Temperatur entwickelt, die gerade hinreicht, um die Eier auszubrüten.
Fritz schaute nachdenklich auf den kuppelförmigen Bau und sagte dann, während ein heller Hoffnungsschimmer über sein braungebranntes, frisches Gesicht lief:
„Vater, soeben ist mir ein Gedanke gekommen. Wäre es nicht möglich, daß in diesen primitiven Brutmaschinen, die doch hier überall zu finden sind, noch hier und da ein paar Eier liegen, aus denen noch Junge auskriechen werden?“
Müller schlug seinen Jungen derb auf die Schulter. Und eifrig erwiderte er:
„Fritz, wenn Du doch recht hättest! Jedenfalls ist die Idee wert, daß man ihr nähertritt. Vorwärts – untersuchen wir mal einige der Haufen!“
Der, vor dem sie standen, enthielt drei Eier. Diese zeigten keinerlei nachteilige Veränderungen, wenigstens von außen, und wurden wieder sorgsam bedeckt.
Zwei Stunden brauchten Vater und Sohn dazu, um alle die Nisthügel, die ihnen noch leidlich unbeschädigt schienen, nachzusehen. Wo sie Eier vorfanden, wurde neben dem Haufen ein Ast in den Boden gesteckt, um die Stellen kenntlich zu machen. Im ganzen handelte es sich um 64 Eier, an die sich nun die Hoffnungen der Ansiedler knüpften.
Ännchen jubelte, als sie vernahm, daß sie vielleicht bald wieder eine Schar langbeiniger Küchlein würde warten können, und sie erklärte auch, täglich morgens und abends die Bruthaufen daraufhin untersuchen zu wollen, ob nicht irgendwo schon Junge ausgeschlüpft seien.
Den Rest des Tages benutzten der Ingenieur und Fritz, nachdem sie die nötigen Steinwerkzeuge in den Felshügeln mühsam herausgesucht hatten – sie besaßen ja nicht einmal ein einziges Messer! – zu der recht anstrengenden Arbeit, alle die noch glühenden Stellen des Torfmoores dick mit Seesand zu bedecken.
In drei Tagen hatte die deutsche Familie sich auf dem toten Eiland schon wieder völlig eingelebt. Das Wetter blieb schön, wenn auch nicht allzu warm. In diesen Breiten machte sich der Unterschied zwischen Winter und Sommer nicht lediglich durch stärkere Regenfälle wie sonst in tropischen Gebieten bemerkbar, sondern vielmehr auch durch einen erheblichen Temperaturunterschied.
Der Regen blieb sogar vorläufig ganz aus. Und doch hätte der Ingenieur gewünscht, daß es einmal ein paar Tage „wie aus Eimern goß“, damit die häßliche Asche von dem Torfmoor fortgespült würde.
Schon am zweiten Tage hatte Müller aus schmalen, scharfen Steinsplittern Messer, ein Beil und sogar Spitzen für ein paar Lanzen hergestellt. Er war außerordentlich geschickt und praktisch veranlagt, und Fritz gab ihm in dieser Beziehung nicht viel nach.
Als erst die Lanzen fertig waren, versuchten Vater und Sohn sich wieder wie früher als Robbenjäger. Denn Robben fanden sich besonders in der Bucht recht häufig ein, manchmal in ganzen Scharen.
Tran und Felle brauchten die Ansiedler sehr nötig. Ersteren, um auch abends eine Beleuchtung in der Hütte zu haben, letzteren, um sie zu Riemen, geflochtenen Tauen und manchem anderem zu verarbeiten. Außerdem besitzen aber auch die Knochen dieser Meeressäugetiere eine sehr erhebliche Härte und werden daher auch von den Eskimos der Nordpolargegenden zu Herstellung von Werkzeugen und Waffen benutzt.
Am dritten Tage der Anwesenheit auf dem Eiland wurden morgens die ersten beiden Robben glücklich erlegt Und am Nachmittag erschien Ännchen freudestrahlend auf der Terrasse und brachte nicht weniger als sieben ausgeschlüpfte Küchlein mit, denen dann im Laufe der nächsten Woche noch einundzwanzig weitere folgten, so daß das kleine Mädelchen nun alle Hände voll zu tun hatte, um für ihre Pfleglinge das nötige Futter zuzubereiten, zumeist weich gekochtes und klein gehacktes Robbenfleisch.
Die ersten vierzehn Tage gingen für die deutsche Familie ohne sonstige Ereignisse von Wichtigkeit hin. Neben der Robbenjagd beschäftigten der Ingenieur und Fritz sich häufig mit dem Fischfang, wobei sie ihre früheren Fanggeräte benutzten, die in der Wirtschaftshütte seiner Zeit zurückgeblieben waren. Jetzt besaßen sie auch schon wieder Bogen und Pfeile, letztere mit Knochenspitzen, ebenso Harpunen mit Widerhaken aus demselben Material.
Anfang Februar 1916, in der dritten Woche, begann der Ingenieur dann das Gerippe zu einem Fellboot herzustellen, bei dem die einzelnen Holzteile durch Riemen sehr fest und dauerhaft aneinander gebunden wurden.
Fritz beteiligte sich bei dieser Arbeit mit wahrem Feuereifer. Hatte doch der Vater erklärt, daß man später vielleicht an den Bau eines seetüchtigen großen Bootes sich heranwagen wolle, wenn dieser erste Versuch im kleinen glücke.
Gerade am 7. Februar 1916, an Ännchens Geburtstag, setzte dann bei recht warmer Luft ein Regen ein, der alles das nachholen zu wollen schien, was er in den letzten Wochen versäumt hatte.
Es regnete ununterbrochen fünf volle Tage. Die Luft wurde immer wärmer, und zeitweise war die Insel förmlich in Dampfwolken gehüllt. Hier bewährte sich nun die aus Robbenfellen bestehende Dachbedeckung der beiden Hütten aufs beste. Kein Wassertropfen drang hindurch, und die Ansiedler hatten es ganz behaglich in ihrem Heim.
Trotzdem murrte Fritz. Ihm dauerte diese Regenperiode zu lange. Er brannte darauf, daß das Fellboot fertiggestellt würde und fürchtete außerdem, die Feuchtigkeit könne dem aus Ästen und Zweigen erbauten Bootsgerippe, das offen am Strande der Bucht unterhalb der Terrasse lag, schaden.
Am Abend des 12. Februar klärte sich endlich der Himmel auf. Ein recht warmer, fast heißer Nordwind sorgte dafür, daß die überflüssige Feuchtigkeit überall schnell verschwand. Am nächsten Morgen schien die Sonne heiter und klar auf das tote Eiland herab. Dieses hatte jetzt viel von seinem düsteren Aussehen verloren. Die schwarzen Aschenreste der Gräser, die verkohlten Stengel und Äste waren sozusagen einem Dauerreinigungsbade unterzogen worden. Gewiß – das Moor wirkte noch immer in seiner Kahlheit mit den entblätterten Büschen und Bäumen höchst trostlos. Aber der Eindruck häßlicher Vernichtung war doch geschwunden.
An diesem Tage hatten der Ingenieur und Fritz besonderes Glück. Nicht weniger als zehn Robben erlegten sie, darunter ein paar recht stattliche Exemplare. Mittags wurde es so heiß, daß Fritz bereits die Lederjacke ablegte. Leider war das Hemde, das er darunter trug, so schadhaft, daß die Mutter ihm scherzend riet, lieber die Jacke wieder überzuziehen, da er doch in diesem Kostüm zu abgerissen aussehe.
Der Sonnenuntergang sagte für den nächsten Tag ebenfalls gutes Wetter voraus. Wie immer waren die Ansiedler früh zur Ruhe gegangen. Ihr Tagewerk nahmen sie ja stets gleich nach Tagesanbruch auf. Fritz erhob sich an diesem 14. Februar als erster, wusch sich draußen auf der Terrasse und atmete mit Wohlbehagen die frische Morgenluft ein.
Über Insel und Meer hatte ein leichter Nebel gelegen, als er aufstand. Jetzt wichen die grauen Schleier immer mehr. Siegreich brach die Sonne durch, und ihre Strahlen beleuchteten heute fast liebkosend das tote Eiland.
Fritz trat jetzt an die Einfassungsmauer der Terrasse und blickte nach dem weiten Meer hinüber.
Wie ein Ruck ging es plötzlich durch seinen Körper. Er riß die Augen auf, rieb sie, schüttelte starr vor Staunen den Kopf …
Er mußte das Opfer einer Sinnestäuschung sein – mußte …! Das, was er sah, zu sehen glaubte, war ja nicht möglich, war ausgeschlossen …
Und doch …! – Das Bild blieb …
Die Insel war über Nacht zu neuem Leben wie mit einem Zauberschlage erwacht … Zartes Grün schimmerte auf der Oberfläche des Torfmoores. Alles Häßliche war verschwunden …
In diesem Augenblick trat der Ingenieur aus der Hütte heraus.
„Vater“, rief Fritz begeistert, „Vater – frische Gräser überall …! Sieh nur, sieh …!“
Müller stand neben seinem Jungen, hatte ihm den Arm um die Schultern gelegt und sagte leise:
„… und neues Leben blüht aus den Ruinen …! – Dieses Wunder verdanken wir dem warmen Regen und der Sonne … Die Keimfähigkeit der Gräser war durch die Hitze nicht vernichtet. Die Feuchtigkeit und die Sonnenstrahlen halfen mit, die jungen Pflänzchen aus der Erde hervorzulocken. Und auch die Bäume und Sträucher werden in kurzem diesem guten Beispiele folgen …“ – –
Der Ingenieur behielt recht. Bereits zwei Tage darauf zeigten sich an den Zweigen kleine Blättchen. Und sie wuchsen mit erstaunlicher Geschwindigkeit, wie dies nur in der subtropischen Zone möglich ist.
Kurz: das Eiland war völlig wieder aufgelebt. – Jetzt fanden sich auch wieder die Seevögel ein, umflatterten in Schwärmen die Randhügel und suchten sich Nistplätze. Dann mußte Ännchen zehn von ihren Lieblingen, gerade die kräftigsten, abgeben. Sie wurden in Freiheit gesetzt, sollten das Eiland auch wieder mit Großfußhühnern bevölkern.
Eine Untersuchung der Bunya-Bunya-Bäume ergab dann bereits eine Woche später, daß man in spätestens zwei Monaten würde die ersten Nüsse ernten können. Dieser Baum trägt ja das ganze Jahr über Früchte, deren Wachstum geradezu überraschend ist.
Kein Wunder, daß unsere vier unfreiwilligen Ansiedler jetzt mit größter Zuversicht in die Zukunft blickten. Der allgütige Gott hatte ihnen ja bewiesen, daß er sie nicht zu Grunde gehen lassen wollte. Er würde auch dafür sorgen, daß sie irgendwie früher oder später in bewohnte Gegenden zurückkehren konnten.
Ende Februar war das Fellboot fertig, die einzelnen Felle der Außenhaut waren auf eine besondere Art wasserdicht aneinandergenäht worden. Viel Mühe und Arbeit hatte dieser breite Nachen gemacht. Dafür erwies er sich nachher aber auch als völlig gebrauchsfähig. Dabei war er so leicht, daß selbst Fritz imstande war, ihn hochzuheben. – Nicht minder praktisch hatte der Ingenieur die Ruder hergestellt. Jetzt konnte man den Robben weit leichter zu Leibe gehen, jetzt wurde auch der Fischfang, damit die Küche stets gut versorgt war, mit allem Eifer betrieben.
Dann trat ein Ereignis ein, das für Fritz sehr leicht hätte verhängnisvoll werden können.
Die Insel lag, wie schon einmal erwähnt wurde, auf der Treibeisgrenze, das heißt, bis hierher verirrten sich die riesigen Wanderer aus den Südpolargegenden, die Eisberge. Mitte März wurden von den Ansiedlern zwei davon gesichtet, die jedoch in weiter Ferne vorüberzogen.
Dann kam jener 15. März heran, der für die vier Deutschen große Aufregungen, aber auch einen völligen Umschwung in ihren Lebensbedingungen bringen sollte.
Fritz war an diesem Tage noch früher als gewöhnlich aufgestanden, um nach den in der Bucht ausgelegten Angelschnüren zu sehen, bevor die gefräßigen Robben die Haken geplündert hatten. Er nahm zwei Harpunen und seinen Bogen nebst einem halben Dutzend Pfeile mit, bestieg das Fellboot und ruderte dem Ausgange der Bucht zu. Es war ein klarer, warmer Morgen, und der Knabe verspürte die größte Lust, ein Bad zu nehmen. Dies hatte ihm der Vater jedoch der Haifische wegen, die zuweilen sich in der Bucht zeigten, aufs strengste verboten Und daher widerstand Fritz auch der Versuchung, in die grüne, durchsichtige Flut hineinzuspringen.
Als er dann die Krümmung der Bucht hinter sich und nun freien Ausblick auf die See hatte, bemerkte er sofort einen Eisberg, der offenbar mit seinem unter Wasser befindlichen Teile sich gerade vor dem Ausgange der Bucht festgefahren hatte, da er vollkommen stillag.
Fritz vergaß bei diesem Anblick Angelschnüre, Robben und alles.
Er mußte auf den Eisberg hinauf, mußte sich den weißen Gast aus den Regionen ewigen Winters näher ansehen …! – So hastig wie jetzt hatte Fritz die Ruder noch nie gehandhabt. Und das leichte Boot schoß förmlich vorwärts, und doch noch viel zu langsam für des Knaben Ungeduld.
Näher und näher kam er der riesigen Eismasse, die etwa dreihundert Meter vom Ufer entfernt war. Dort gab es eine Reihe von Untiefen, wie Fritz sehr wohl wußte. Der Vater hatte ihn auf diese Stellen mit ihrer scharf abgegrenzten, anderen Farbe des Wassers aufmerksam gemacht, als sie einmal auf der Spitze des Hügels hoch über der Terrasse gestanden hatten. Und auf eine dieser flachen Stellen war der Eiskoloß eben aufgerannt.
Jetzt hatte Fritz ihn erreicht. Aber von dieser Seite war keine Möglichkeit hinaufzugelangen. Steil und glatt wie polierter Stein fielen die Ränder ab. Daher ruderte Fritz nun um den seltsamen Besucher herum, dessen Oberfläche aus einem wahren Labyrinth von Eisspitzen, Blöcken und steilen Wänden bestand und sich bis zu gut zwanzig Meter Höhe auftürmte.
Der Knabe handhabte jetzt ganz langsam die Ruder. Der von der Sonne beschienene Eisberg, von dem unzählige Wasserrinnsale in die See sich ergossen, bot einen Anblick dar, der das helle Entzücken des naturliebenden Jungen hervorrief.
Daß der Koloß in voller Auflösung begriffen war, zeigten nicht nur die abfließenden Schmelzwasser, sondern auch der bröcklige Zustand des Eises und das fortwährende Knistern und Poltern losbrechender Zacken und Spitzen.
Dann ließ Fritz plötzlich die die Ruder bewegenden Arme wie kraftlos herabsinken. Soeben hatte er das Boot um eine weit vorspringende Eiszunge getrieben. Dahinter schnitt eine tiefe Bucht in die weiße Masse hinein, und in dieser Bucht, halb noch auf dem Eise, lag ein Schiff, ein Segler – eine kleine Brigg mit ihren vollgetakelten zwei Masten … –
Gleich darauf landete das Fellboot dicht neben dem Schiffe und wurde von Fritz ein Stück auf das flache Eis gezogen.
Gar nicht schnell genug konnte der Knabe an Bord des Seglers kommen, der mit dem Heck ziemlich tief im Wasser ruhte, während der Bug völlig auf dem Trockenen lag.
An einem herabhängenden Tau kletterte Fritz an Deck, wo eine wilde Unordnung herrschte. Dann wich er mit einem Male scheu einen Schritt zurück. Er hatte die umhergestreuten Gebeine eines Menschen erkannt. Der Schädel, an dem noch ein paar Haare hafteten, sagte ihm, daß er Teile eines menschlichen Skelettes vor sich habe.
Doch – es war nichts als ein Skelett. Und Furcht war nicht gerade des mutigen Jungen Sache. So ging er denn weiter auf den Kajütaufbau zu. Abermals stutzte er. Eine der beiden niedrigen Türen dort stand offen. Und aus dem dunklen Raume dahinter war deutlich an des Knaben Ohr ein leises Geräusch gedrungen.
Sollten sich wirklich Leute auf dem Schiffe befinden?! Der Zustand des Decks sah nicht danach aus …!
Fritz stand still. Dann rief er laut „Hallo!“, rief nochmals …
Keine Antwort. Dafür ereignete sich aber etwas anderes.
In der offenen Tür erschien … ein Eisbär, ein mächtiges Tier, das den Knaben nur einen Augenblick wie prüfend musterte und dann auf ihn zurannte.
Fritz war einen Moment wie gelähmt. Gerade noch zur rechten Zeit schüttelte er diese Erstarrung von sich ab, tat einen Sprung nach der Reling hin und kletterte in den Wanten (seitliche Haltetaue der Masten) des Vordermastes empor.
Der Eisbär, außerordentlich abgemagert wie nach langer Fastenzeit, gab sich alle Mühe der menschlichen Beute zu folgen. Es gelang ihm aber nicht.
Dann beobachtete Fritz, der sich schnell von dem ersten Schreck erholt hatte, wie das Fellboot langsam durch eine der Schmelzwasserrinnen von dem Eise herabgedrängt wurde, schließlich davonschwamm und hinter der langen Eiszunge verschwand.
Eine Stunde verging – noch eine. Fritz hing noch immer oben über dem Deck in den Tauen, und der Eisbär saß unten und äugte lüstern zu ihm hinauf.
Der Knabe war sich längst darüber klar geworden, daß seine Lage recht verzweifelt war. Das ausgehungerte Raubtier würde diese Belagerung kaum freiwillig aufgeben. Und für ihn gab es keinen Ausweg, seinen luftigen Zufluchtsort zu verlassen. Gewiß – der Vater würde ihn bald vermissen. Aber wie sollte er ohne Boot nach dem Eisberg hinübergelangen, wo es doch in der Nähe zahlreiche Haifische gab …!!
Fritz begannen die Arm- und Beinmuskeln zu schmerzen, obwohl er häufig seine Stellung wechselte.
Abermals mußte eine Stunde vergangen sein.
Dann stieß der Knabe plötzlich einen lauten Jubelruf aus. Eben bog das Fellboot um die Eiszunge, in dem der Ingenieur aufrecht stehend die Ruder handhabte.
Kaum hatte dieser dann von Fritz die nötigen Erklärungen erhalten, als er auch schon, bewaffnet mit zwei der längsten Harpunen, an Deck kletterte und hinter einen Haufen von Fässern sich aufstellte.
Der Eisbär schickte sich sofort zum Angriff auf den neuen Gegner an. Müller ließ ihn ruhig näherkommen – im Vertrauen auf seine Kraft und Gewandtheit. Ein furchtbarer Stoß mit der einen Harpune mitten zwischen die Rippen warf das durch Hunger entkräftete Raubtier hintenüber. Ein zweiter, ein dritter Stoß folgten … Der Eisbär erhob sich nicht wieder, verendete inmitten der menschlichen Gebeine, an denen er selbst einmal ekle Mahlzeit gehalten hatte. – –
Fritz kletterte aus den Wanten an Deck
„Junge, die Sache hätte böse ablaufen können“, meinte Müller ernst. „Ein Glück, daß Ännchen das Boot bemerkte, das am Nordufer der Insel angetrieben war. Ich ahnte ja schon, wo ich Dich zu suchen hätte. Aber – wie wäre ich wohl ohne das Boot auf den Eisberg gelangt …?!“
Fritz versprach, nie wieder so eigenmächtig zu handeln. Es tat ihm aufrichtig leid, den Eltern und dem Schwesterlein bange Stunden der Sorge bereitet zu haben.
Dann nahmen Vater und Sohn die Brigg, die den Namen „Julianne“ führte, genauer in Augenschein. Es stellte sich heraus, daß es ein holländischer, in Batavia beheimateter Walfischfänger war. Das Schiff, neu und sehr gut ausgerüstet, mußte durch eine Verkettung besonderer Umstände in die Bucht des Eisberges geraten und dann von der Besatzung verlassen worden sein. Später erfuhr Müller denn auch genaue Einzelheiten über die Leiden der Leute der „Julianne“, die in dem Großboot zwei Monate fast auf dem Meere umhergeirrt waren, ehe ein Dampfer sie aufnahm.
Auf der Brigg waren noch zwei Boote vorhanden, ein Achtmeter-Kutter und eine Jolle. Beiden befanden sich in tadellosem Zustande.
Außerdem fanden Vater und Sohn aber noch drei Gewehre und vier Revolver nebst reichlicher Munition in der Kajüte des Kapitäns. Schließlich sei auch noch erwähnt, daß die „Julianne“ mit zwei Harpunengeschützen zum Schleudern der Walfischharpunen ausgerüstet war und daß das Schiff nebenbei noch eine Menge Proviant und auch allerlei Handwerkszeug und seemännische Instrumente enthielt.
Jedenfalls dachte der Ingenieur sofort daran, die Brigg, die keinerlei Beschädigungen zeigte, womöglich zu bergen, das[2] heißt sie nach der Insel zu schleppen und sie dort in der Bucht zunächst vor Anker zu legen.
Die Ausführung dieses Vorhabens gelang. Zwei Tage arbeiteten Vater und Sohn mit Äxten und schlugen unter dem Schiffe das Eis weg, das dessen Hinabgleiten ins Wasser hinderte. Am dritten Tage wurde bei windstillem Wetter der Kutter vorgespannt, und nach manchen Tropfen Schweiß bugsierte man den Walfischfänger glücklich in die Bucht, wo er einen Ankerplatz fand, wie er besser kaum sein konnte.
Obwohl die Gattin des Ingenieurs von dem Plane ihres Mannes, mit Hilfe des seetüchtigen Kutters die auf der kleinen, felsigen Inselgruppe im Südwesten ausgesetzten zwölf Personen zu befreien, zunächst nichts wissen wollte, gab sie schließlich doch nach, da sie einsah, daß es Nächstenpflicht sei, den Unglücklichen dort auf den kahlen Felsen zu Hilfe zu kommen.
So wurde denn der Kutter für eine längere Reise hergerichtet und stach am 24. März in See.
Wind und Wetter begünstigten die Fahrt. Am Abend des zweiten Tages kamen die niedrigen, kahlen Eilande in Sicht. Und abgezehrte, vor Entbehrungen halb wahnsinnige Gestalten schwankten hier den Rettern entgegen.
Die Rückreise verlief nicht ganz so glatt. Ein Sturm verschlug den Kutter weit nach Osten. Aber schließlich landete man doch wohlbehalten auf der Schüsselinsel, wo man alles unverändert vorfand.
Hier mußten sich die glücklich Befreiten erst gründlich erholen, bevor man daranging, die „Julianne“ gehörig in Stand zu setzen. Diese Arbeiten beaufsichtigte Kapitän Buller, und unter seiner fachmännischen Leitung wurde die Brigg in einer Woche reisefertig gemacht.
Das Verhältnis der deutschen Familie zu den zwölf Geretteten, die sämtlich Engländer und Franzosen waren, konnte kaum ein besseres sein.
Als der Ingenieur vor der Abreise den Wunsch aussprach, man solle ihn und die Seinen nicht nach Australien bringen, wo man ihm als Deutschen schon längst mit Internierung gedroht hätte, sondern nach dem neutralen holländischen Hafen Batavia, widersprach niemand, obgleich eine solche Seereise für die anderen eine Verzögerung der Heimkehr um viele Wochen bedeutete.
Am 29. April 1916 nahm die deutsche Familie für immer von dem ihm liebgewordenen Eiland Abschied.
Mittags sollte die „Julianne“ die Ausreise antreten. Zwischen dem Lande und der Brigg fand in den letzten Stunden vor der Abfahrt noch ein sehr lebhafter Bootsverkehr statt. Trinkwasser wurde an Bord genommen, ebenso mancherlei von dem, was des Ingenieurs geschickte Hände hier an Werkzeugen und Einrichtungsgegenständen für die Wohnhütte geschaffen hatten.
Buller gedachte die Abfahrt besonders feierlich zu gestalten. Er hielt denn auch oben auf der Terrasse eine Ansprache, in der er betonte, daß die Engländer und Franzosen unter den Anwesenden nie vergessen sollten, daß sie ihre Rettung einem hochherzigen Deutschen verdankten, der, obwohl man ihn seiner Zeit nur feindselig behandelt habe, dann geradezu feurige Kohlen auf die Häupter seiner Widersacher gesammelt habe.
Eine halbe Stunde später war die Brigg aus der Bucht herausgeschleppt, entfaltete ihre Segel und steuerte mit Nordwestkurs in das Meer hinaus.
Als letzten Gruß für das tote Eiland, das inzwischen wieder zu vollem Leben erwacht war, ließ Buller aus den beiden Harpunengeschützen vier Schüsse abfeuern, – vier – zu Ehren der aus vier Köpfen bestehenden Familie Müller.
Man befand sich noch in Sicht der Insel, als in der Fahrtrichtung der Brigg ein Segler auftauchte, der, wie Buller bald mit Hilfe des Fernglases feststellte, eine recht unangenehme Ähnlichkeit mit der von den Chinesen geraubten und äußerlich sehr geschickt verwandelten Jacht „Atlanta“ hatte.
Auf der „Julianne“ war bald alles in heller Aufregung. Bullers Ansicht, daß das näherkommende schlanke Schiff die „Atlanta“ sei, hatte nämlich auch von Seiten der anderen Seeleute, die mit zu den Geretteten gehörten, Unterstützung gefunden.
Die Aufregung war mithin verständlich. Hatte man das Piratenschiff vor sich, so waren die Folgen dieser Begegnung gar nicht abzusehen.
Nur der Ingenieur verlor seine kaltblütige Ruhe nicht. Auf seinen Vorschlag hin wurden die beiden Harpunengeschütze mit Eisenstücken und Bleikugeln bis an die Mündung geladen und dann unauffällig mit Segeln bedeckt. Die Bedienung der Kanonen wurde vier Leuten übertragen, die sich darauf verstanden. Die vorhandenen Gewehre und Revolver wieder sollten die besten Schützen zu schnellem Gebrauch bereithalten.
Inzwischen war das verdächtige Fahrzeug so nahe gekommen, daß man durch das Glas die Leute drüben gut erkennen konnte. Es waren Chinesen, außerdem aber auch zwei Weiße. Und dies konnten nur die Amerikaner Fritt und Lomper sein.
Man hatte es also tatsächlich mit der „Atlanta“ zu tun.
Die Jacht hielt scharf auf die „Julianne“ zu. Dann wurden drüben die Segel eingezogen, und gleichzeitig gingen ein paar Signalwimpel hoch.
Das Signal bedeutete: „Schickt ein Boot herüber.“
Buller hatte mit dem Ingenieur genau vereinbart, wie man den Feind am besten unschädlich machen könne.
Jetzt rief Buller dem Manne am Steuer einen Befehl zu, worauf die Brigg in kurzem Bogen dicht an der Jacht vorüberfuhr.
Drüben standen an der Reling die Chinesen in dichtem Haufen. Daß sie ihre früheren Gefangenen jetzt erkannt hatten, war sicher anzunehmen. Aber offenbar wußten die Piraten sich nicht recht zu erklären, wie die Leute, die sie auf den Inseln ausgesetzt hatten, in Besitz der Brigg gelangt waren, und vermuteten auch nicht im entferntesten, daß man ihnen Widerstand zu leisten wagen würde.
Als die beiden Schiffe so in kaum vierzig Meter Entfernung langsam aneinander vorüber glitten, flogen plötzlich von den Harpunengeschützen die Segel herunter und gleich darauf prasselte ein furchtbarer Eisen- und Bleihagel in den Haufen der Gelben hinein. Die Wirkung der beiden Schüsse war derart, daß Buller es wagte, sofort zu wenden und sich Bord an Bord mit der Jacht zu legen, bevor die noch unverletzten Piraten recht zur Besinnung gekommen waren.
Dieses Entermanöver gelang tadellos, und ebenso leicht wurde der Rest der Piraten, zehn Mann, dann überwältigt.
Die „Atlanta“ hatte ihre Rolle als Freibeuter wieder ausgespielt. An Deck aber lagen neben einer Anzahl von toten und verwundeten Chinesen auch Fritt und Lomper, deren Körper von Eisenstücken förmlich zerfetzt waren. So hatte diese beiden Verbrecher endlich die gerechte Strafe ereilt.
Was von den Gelben noch lebte, baumelte einen Monat darauf in Adelaide am Galgen. Für Seeraub gibt es nur eine Strafe – den Tod.
* * *
Die Familie Müller kam wohlbehalten in Batavia an, wo der Ingenieur von der Reederei, der die „Julianne“ gehörte, für deren Bergung eine erhebliche Summe ausgezahlt erhielt, mit der er sich eine neue Existenz gründen konnte. –
* * *
Auf dem „toten Eiland“ grünt die Grasdecke des weiten Moores, grünen die Sträucher und die fruchtbaren Bunya-Bunya-Bäume. Großfußhühner lassen wieder in kuppelförmigen Haufen von Gras, Laub und Zweigen ihre Eier ausbrüten und erzählen vielleicht ihren Jungen von der deutschen Familie, die hier einmal gewohnt hat, von dem munteren Mädelchen, der kleinen Hühnermutter, und von dem kräftigen Knaben, der ein so zerrissenes Hemde trug und der stets schon beim Morgengrauen seine Tagesarbeit begann. – – –
Ende.
Das nächste Heft enthält:
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.
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