Felsenherz, der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten
erzählt von
Kapitän William Käbler.
Band 12:
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 26, Elisabeth-Ufer 44.
Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1922.
Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin
1. Kapitel.
Robb und Jobb und Minni und Finni.
Die weiten Prärien zu beiden Seiten des Pecos-Flußes, der die Westgrenze der berüchtigten nordamerikanischen Hochlandwüste, der Llano Estacado, bildet, sind von zahlreichen ausgetrockneten Flußtälern durchschnittten, die zumeist von Westen oder Osten zum Rio Pecos verlaufen und nur im Frühjahr und Herbst für kurze Zeit wieder zu wirklichen fließenden Gewässern werden.
Einem dieser Täler, deren Ränder zumeist mit Büschen und einzelnen Baumgruppen bedeckt sind und deren Boden aus gelbbraunem harten Lehm in der trockenen Jahreszeit besteht, näherten sich an einem heißen Sommertag zwei Reiter, denen man schon von Weitem die Westläufer ansah.
Das Paar hätte auf jeden, der mit den Verhältnissen im Wilden Westen nicht vertraut war, einen geradezu lächerlichen Eindruck gemacht.
Beide waren recht klein von Gestalt, trugen arg durch Witterungseinflüsse verfärbte Tuchröcke mit sehr langen Schößen, dazu enge Lederhosen und indianische Mokassins (Schuhe ohne Absätze). Jeder hatte über den in allen Farben schillernden Tuchrock einen breiten Ledergurt geschnallt, der außer Jagdmesser, Tomahawk und Kugelbeutel noch je eine doppelläufige Perkussionspistole (Vorderlader mit Zündhütchen) enthielt.
Ihre Büchsen, ebenfalls doppelläufig, verdienten scheinbar die Bezeichnung „Waffe“ längst nicht mehr, waren verrostet und mit Eisendraht und Blechstücken an Lauf und Kolben vielfach geflickt.
Ihre Reittiere, zwei Maulesel von erschreckender Magerkeit, hätte niemand geschenkt genommen, der nicht gerade Kenner war. Der Sachkundige freilich sah sofort an dem leichten Gang und den lebhaften klugen Augen dieser Kreaturen, dass sie für die Besitzer weit größeren Wert als der beste Rassegaul hatten.
Als Kopfbedeckung trugen die beiden Trapper vielfach zerlöcherte, breitrandige Filzhüte, in deren aus Rehleder geschnittenen Bändern je eine kurze Holzpfeife und ein Tabakbeutel untergebracht waren, und zwar gerade vorn, sodass diese Zier den verbeulten Filzdeckeln ein noch merkwürdigeres Aussehen verlieh.
Um den Hals hatten sie jeder einen wollenen, grünen Schal geschlungen, dessen Enden ihnen über den Rücken herabhingen. Ihre runden, braunen Gesichter waren nur spärlich behaart. Man konnte diese vereinzelten, weißblonden Haarbüschel kaum Vollbart nennen. Genau so hell und farblos waren ihre kleinen, lustigen Schweinsäuglein. Das, was aber am meisten an ihren Gesichtern auffiel, waren zweifellos die hakenförmigen, mit einzelnen Warzen geschmückten Nasen, die unwillkürlich zum Lachen reizten.
Schweigend ritten sie so im Schritt dem Flußtal zu, hatten ihren Mauleseln die Zügel auf den Hals gelegt und hingen in ihren hohen Bocksätteln wie zwei waschechte Sonntagsreiter.
Plötzlich blieben dann die beiden Tiere ganz von selbst stehen, reckten die Köpfe vor, sogen die Luft ein und stießen sie schnaubend wieder aus.
Dieses Warnungszeichen bewirkte hier Wunder.
Wie ein Blitz waren die Reiter aus den Sätteln, und ebenso schnell hatten die beiden Maulesel sich auf die Hinterhand niedergelassen, deckten so ihre Herren gegen jede Kugel, die etwa aus den Randbüschen des Flußtales abgefeuert wurde.
Man hätte den Reitern diese Gewandtheit kaum zugetraut, mit der sie sich dergestalt in Sicherheit gebracht hatten. Niemand hätte auch bei den Tieren eine so tadellose Dressur vermutet.
„Ich schätze, es sind Rote dort drüben“, sagte der eine nun, der beträchtlich wohlbeleibter als der andere war.
„Dass du dir doch das viele Reden nicht abgewöhnen kannst, Jobb!“, brummte der Dünnere vorwurfsvoll. „Wenn du Finnis und Minnis Kopfrichtung beachtet hattest, würdest du auch wissen, dass die Rotfelle nicht parterre, sondern dort in der Buche stecken!“
Die Maulesel hatten allerdings die Köpfe halb nach rechts hin hoch erhoben, wo dreißig Schritt entfernt eine mächtige Buche über das Gestrüpp hinwegragte, in deren Blätterdach sich bequem ein Dutzend Indsmen (Indianer) verbergen konnten.
„Hm“, meinte Jobb, der Dicke, nach kurzer Pause, „wenn es mehrere von den Rotfellen wären und wenn sie Schusswaffen hätten, würden sie uns schon von den Pferden geputzt haben. Das ist so klar wie Kloßbrühe!“
Sie benutzten beide die deutsche Sprache, diese wunderlichen Gestalten, und es waren auch Deutsche von Geburt, jetzt freilich schon seit fünfzehn Jahren hier im Wilden Westen beheimatet, wo sie sich einzig und allein noch behaglich fühlten.
„Du bleibst ein Schwätzer, Jobb!“, knurrte der Magere als Antwort, warf sich dann plötzlich in das hohe Präriegras und kroch im Bogen auf den einzelnen Baum zu.
Wie vortrefflich er sich aufs Anschleichen verstand, ging schon daraus hervor, dass in dem durch den Wind sich leicht bewegende Gras nichts die Richtung erkennen ließ, die er einschlug.
Zehn Minuten vergingen so.
Mit einem Mal dann eine laute Stimme aus dem Gestrüpp am Fuß der alten Buche.
„Saßtaluma, der Heulende Wolf, mag schleunigst herabklettern! Der Häuptling der Navajo macht es wie das Stinktier, das ebenfalls auf die Bäume flüchtet.“
Es erfolgte jedoch aus der Baumkrone keine Antwort. Nur eine andere Erwiderung kam: ein Schuss, dem im Gestrüpp ein gellender Aufschrei folgte.
Eine Weile nun wieder Stille.
Dann ein zweiter Schuss, jetzt aus dem Gestrüpp.
Und von oben aus dem grünen Blätterdach kam nun eine einläufige Flinte krachend und rauschend herab und fiel unter der Buche ins Gras.
„Fein, was?“, brüllte nun der Magere aus dem Gestrüpp. „Saßtaluma sieht, dass Robb Trumm noch immer ein bisschen schlauer ist! So, nun mag der Heulende Wolf der Flinte folgen. Aber etwas dalli, was so viel wie rasch bedeutet! Ich rede nie ein Wort zu viel. Das nächste Wort spricht mein zweiter Büchsenlauf!“ Jetzt hielt es der Navajohäuptling doch für ratsam, dem Befehl zu gehorchen. Er kletterte langsam herab, denn ohne seine Flinte, die Robb Trumm ihm aus der Hand geschossen hatte, war er den beiden Westläufern gegenüber wehrlos.
Saßtaluma stand dann, schlank, mittelgroß, aber kräftig gebaut, vor den Büchsenmündungen der beiden Trumms, die hier im Westen mit zu den berühmtesten Fallenstellern gehörten.
Nun ergriff der Schwätzer Jobb das Wort.
„Saßtaluma hat uns vor einem Jahre droben in den Kolorado-Bergen die Skalpe rauben wollen“, sagte er gemütlich. „Wir könnten jetzt Gleiches mit Gleichem vergelten. Aber wir sind nun mal friedfertige Leute und wollen alles vergessen sein lassen, wenn der Heulende Wolf uns der Wahrheit gemäß erklärt, was er hier allein treibt.“
Des Navajohäuptlings dunkle Augen zeigten etwas wie steigende Unruhe.
„Die beiden Blassgesichter mögen diese Gegend meiden“, erwiderte er rasch. „Die Apachen haben meine Krieger aufgerieben. Der Große Bär muss sich mit sechzig Apachen noch hier in der Nähe befinden.“
„Hm, Saßtaluma hat also wohl hier im Jagdgebiet der Apachen Pferde stehlen wollen“, meinte der dicke Jobb darauf. „Kein Wunder, dass die Apachen sich dies nicht gefallen lassen.“
Der Heulende Wolf blickte sich jetzt ängstlich um.
„Die Schüsse werden vielleicht gehört worden sein“, sagte er. „Die Ohren der Apachen sind scharf. Gestern Nachmittag vernahm der Heulende Wolf dort nach Osten zu viele Schüsse. Felsenherz und sein roter Bruder Chokariga ritten dort im Flußtal mit zwei anderen Blassgesichtern den Apachen nach, die vormittags vorübergekommen waren.“
Jobb schaute den Navajo jetzt misstrauisch an. „Saßtaluma verschweigt uns irgendetwas. Die Navajo haben stets Lügen auf der Zunge“, meinte er. „Wo hat der Heulende Wolf sein Pferd?“
„Saßtaluma musste es im Stich lassen. Die Apachen hetzten ihn“, erklärte der Häuptling widerwillig.
Jobb trat plötzlich an ihn heran, riss ihm Tomahawk und Messer aus dem Gürtel und befahl kurz: „Lege die Hände auf den Rücken! Ich werde dich binden!“
Er hatte den Navajo jedoch unterschätzt und eine große Unvorsichtigkeit begangen, denn Saßtaluma packte ihn plötzlich und warf ihn mit einer Körperkraft und Geschicklichkeit, die Jobb Trumm hier offenbar nicht erwartet hatte, gerade auf den anderen kleinen Trapper, der durch den Anprall zu Boden gerissen wurde und so von seiner Büchse keinen Gebrauch machen konnte.
Saßtaluma wollte jetzt mit einem Satz in das Gestrüpp entfliehen.
Da — aus den dichten Büschen erhob sich blitzschnell ein ganz in Leder gekleideter, blondbärtiger Mann, der den Navajo durch einen Fausthieb unter das Kann dem dürren Robb gerade in die Arme schleuderte.
Robb hatte schon sein Messer gezogen, kniete auf der Brust des Roten und drohte: „Der Heulende Wolf hat vorläufig ausgeheult! Lieg still, Bursche, oder ich kitzle dir ein bisschen die inneren Organe!“
Der blonde Jäger, der hier so unerwartet des Navajos Flucht verhindert hatte, musste lächeln. Er wusste genau, wen er vor sich hatte, denn er war ja bereits in den Büschen verborgen gewesen, als die beiden Westläufer sich dem Flußtal näherten. Der Beschreibung nach kannte er die Brüder Trumm, die stets nur „die beiden Trumms“ hießen, längst.
Jobb, der Dicke, der Redselige, schwenkte gegen den Trapper hin grüßend seinen Hut.
„Master, Ihr gestattet, dass ich Robb erst mal helfe, dem Rotfelligen dort so etwas die Fuß- und Handgelenke zwecks Behinderung der freien Bewegungsfähigkeit zu umschnüren. Dann stehe ich zur längeren Zwiesprache jederzeit zur Verfügung.“ Er hatte sich jetzt des Englischen bedient, da er noch nicht ahnte, wer der blondbärtige, stattliche Jäger war.
So wurde denn der Navajo gebunden. Er wehrte sich nicht. Gerade das Erscheinen des blonden Hünen ließ ihn einsehen, dass er am klügsten täte, sich in das Unvermeidliche zu fügen.
Robb und Jobb richteten sich jetzt auf und traten an den hochgewachsenen Trapper heran, der regungslos wie eine Statue dastand und sich leicht auf seine lange, doppelläufige Büchse gelehnt hatte.
Diese Büchse, deren Kolben zu beiden Seiten eine goldene Verzierung in Gestalt eines Jaguars trug, war es nun, die plötzlich die Blicke der beiden Trumms auf sich zog.
Sie starrten die Waffe ganz entgeistert an, rissen den Mund vor Staunen weit auf und riefen wie in einem Atem: „Das ist ja des weißen Apachenhäuptlings Juan Büchse!“
Die Blicke, mit denen sie dann den blonden Trapper musterten, hatten jetzt einen argwöhnischen Ausdruck, und Jobb, der dicke Schwätzer, erklärte unvermittelt: „He, Master, die Doppelflinte da sollte ich kennen! Wo habt Ihr sie her?“
„Aus dem Grabhügel des einstigen Besitzers“, erwiderte der Gefragte gelassen.
„So, so!“, meinte der dicke Trumm nachdenklich. „Wo war, oder besser, wo ist denn der Juan von den Apachen bestattet worden?“
„Dort im Süden im sogenannten Regental der Guadalupe-Berge in einer Höhle, die hinter einem Wasserfall liegt.“
„Ach ne!“, platzte Jobb heraus. „Im Regental! Hört, Master, Ihr haltet uns zum Besten. Dort gibt es keine Höhle. Entschuldigt schon. Aber — hm — wer seid Ihr? Wir beide heißen Robb und Jobb Trumm und durchstreifen zumeist als Fallensteller die nördlicheren Prärien und Vorberge des Felsengebirges. Dass wir jetzt so weit südlich unsere Maulesel …“
„Halt selbst das Maul, Esel!“, unterbrach der Magere ihn grob. „Brauchst nicht jedem unsere Angelegenheiten auf die Nase zu binden! Master“, wandte er sich wieder an den Blonden. „Mit dem weißen Häuptling der Apachen hatten wir seiner Zeit so verschiedene Hühnchen zu rupfen. Leider wurde er zu früh von einem anderen Fallensteller erschossen. Kurz und gut. Die Büchse da mit dem goldenen Beschlag gehörte noch vor acht Jahren unserem Freund, dem sogenannten „Sohn des Jaguar, der wie wir ein Deutscher von Geburt und …“
„Wie auch ich!“, warf der blonde Trapper ein. „Ich bin nämlich auch im alten Deutschland zu Hause, und deshalb können wir drei getrost unsere Muttersprache unter uns gebrauchen.“
„Herr je, mir geht ein Licht auf!“, rief Jobb nun. „Ein ganz dickes Licht! Landsmann, Sie sind kein anderer als Felsenherz, unser berühmter Kollege!“
„Das stimmt!“, bestätigte lächelnd der Trapper und streckte den Brüdern die Hand hin. „Ich freue mich, meine beiden im Wilden Westen so sehr …“
Er schwieg plötzlich.
Robbs und Jobbs Maulesel hatten gleichzeitig warnend geschnaubt, kamen auf ihre Herren zugaloppiert und blieben dicht neben ihnen stehen.
Robb hatte sich schon gebückt, hatte Saßtaluma aufgehoben und warf ihn vor den Sattel über den Hals seiner Minni, wie er die Mauleselstute getauft hatte. Dann folgte er Felsenherz in die nahen Büsche. Auch Jobb und Finni, des Dicken Reittier, schlossen sich diesem Rückzug in das dichte Gestrüpp an, in dessen Mitte auf einer kleinen Lichtung ein Pferd weidete, ein hochbeiniger, kräftiger Brauner, an dessen Sattelknopf des blonden Trappers zweite Doppelbüchse hing.
2. Kapitel.
Die Baumfestung.
Felsenherz war schon wieder verschwunden. Da der Wind von Nordost kam, hatte er sich sofort gesagt, dass die beiden Maulesel nur eine größere Abteilung von Rothäuten, die in dem Flußtal entlanggeritten kamen, gewittert haben könnten. Die Witterung eines Einzelnen oder nur von drei, vier Reitern hatte nicht so stark sein können, um die Tiere unruhig zu machen.
Der blonde Trapper schob sich bis an den Rand des Buschstreifens heran und gewahrte auch wirklich einige zwanzig Apachen, die langsam von Osten her dem Flußbett folgten.
Das Verhalten der Rothäute bewies, dass sie die beiden Schüsse, die vorhin hier gefallen waren, wohl gehört hatten, aber nicht genau wussten, wo die Schützen zu suchen seien.
Inzwischen war auch Robb zu dem entgegengesetzten Rand der Büsche zurückgekrochen und spähte auf die Prärie hinaus, erblickte nun auch hier zehn Apachen, die sich noch fünfzig Meter entfernt von Osten näherten und gleichfalls durch ihr Benehmen verrieten, dass sie irgendwelche Feinde hier vermuteten.
Robb kroch schleunigst zur Lichtung zurück, wo auch Felsenherz jetzt wieder erschien. Hastig wurden ein paar aufklärende Worte gewechselt, dann ergriffen die drei Trapper auch schon die Zügel ihrer Tiere und führten sie durch eine schmale, offene Stelle in den Büschen hinab in das Flußtal, das gerade hier eine Krümmung machte, hinter der die zwanzig Apachen soeben erst verschwunden waren.
Diese Art, den Rothäuten zu entkommen, die durch ihre Übermacht den Trappern leicht gefährlich werden konnten, versprach nur dann den von Felsenherz erhofften Erfolg, wenn die drei Landsleute nicht zu früh hier im Tal entdeckt wurden.
Sie hielten sich also ganz dicht an der südlichen Talwand, damit diese sie den spähenden Augen der oben in der Prärie befindlichen Apachen entzöge.
Aufregende Minuten folgten. Jeden Moment konnte das Kriegsgeschrei der Apachen die drückende Stille unterbrechen, jeden Moment dann einer jener blutigen Kämpfe beginnen, die hier im Jagdgebiete der stets mord- und beutelüsternen Apachen nur mit der Vernichtung der Angreifer oder der Angegriffenen enden musste.
Aber die Gefahr ging zunächst glücklich vorüber.
Felsenherz kühne List, so kurz hinter der Apachenabteilung in das Tal hinabzusteigen, hatte Erfolg. Die drei Landsleute schwangen sich dann in den Sattel. Felsenherz nahm Saßtaluma zu sich auf seinen Braunen, und fort ging es erst im Trab, danach im Galopp, das Flußbett nach Osten zu entlang.
Jetzt zeigten die Maulesel Minni und Finni so recht, was sie trotz ihrer Magerkeit leisten konnten. Felsenherz’ Brauner war gewiss ein schnelles Pferd. Und doch hielten die Tiere Robbs und Jobbs sich stets dicht hinter ihm.
Robb rief dann dem Landsmann zu: „He, Felsenherz, meinen Sie nicht auch, dass wir die rote Bande sehr bald hinter uns haben werden? Die zehn Apachen in der Prärie werden unsere Fährten fraglos bemerken, und dann —“
Da — schon erscholl aus der Ferne das gellende Gebrüll der Apachen herüber und ersparte Robb jedes weitere Wort.
„Jetzt gilt es“, meinte Jobb lachend. „Wir haben nur dreihundert Meter Vorsprung! Kriegt uns die Horde, bevor wir die Insel da vorn im sogenannten Apachensee erreichen, dann werden wohl einige und etliche Rotfelle ihr Testament machen müssen, ehe die anderen mir den Schädel samt der Haut rasieren!“
Felsenherz zügelte seinen Braunen, sodass die beiden Trumms an ihm vorüberjagten.
„Ich halte sie uns schon vom Leibe!“, rief er. „Nur weiter! Und dann gleich auf die Insel! Dort sind wir vorläufig in Sicherheit!“
Die Trumms gaben Minni und Finni die Hacken, und die beiden Maulesel streckten jetzt förmlich die knochigen Leiber lang und rasten in Karriere über den harten Lehmboden hin.
Der blonde Trapper blieb hundert Meter hinter ihnen, klopfte seinem Braunen beruhigend den blanken Hals und spannte beide Hähne der berühmten Jaguar-Büchse, deren Schüsse weiter trugen als die jeder gewöhnlichen Flinte.
Wenn die Apachen klug sind, schneiden sie uns den Weg ab, indem sie oben in der Prärie die Krümmungen des Flußbettes vermeiden, dachte der Trapper mit leichter Besorgnis und schaute wiederum zurück, bemerkte jetzt auch die ersten Verfolger, deren vorzügliche Mustangs den Braunen freilich nie eingeholt hätten, wenn dieser seine volle Schnelligkeit hätte entwickeln können.
So ging die Hetzjagd wohl eine halbe Stunde lang weiter.
Die Apachen kamen langsam näher. Drei von ihnen waren kaum noch hundert Meter entfernt. Felsenherz wusste, dass bis zum Apachensee, einem ausgedehnten Gewässer weiter östlich in demselben Flußtal, noch gut zwei Meilen zurückzulegen waren.
Er musste die Feinde also unbedingt zurückscheuchen. Plötzlich riss er seinen Braunen kurz herum. Das edle Tier stand wie angemauert.
Der Trapper hob die lange Büchse.
Zwei Schüsse, und die Pferde der nächstem beiden Apachen brachen mit so einer Kugel mitten in der Stirn zusammen. Ihre Reiter flogen im Bogen aus dem Sattel.
Der dritte Apache hatte seinen Mustang herumgeworfen, da Felsenherz sofort nach seiner anderen Büchse griff.
Und auch diese Waffe bewährte sich trefflich. Der flüchtende Verfolger fühlte, wie sein Pferd zusammenzuckte, stolperte und stürzen wollte. Noch rechtzeitig war er aus dem Sattel geglitten. Die Kugel war dem Mustang durch das Rückgrat gegangen.
Felsenherz jagte weiter. Die doppelte Last, die der Braune zu tragen hatte, machte sich jetzt doch bald bemerkbar. Der Navajo verhielt sich zwar ruhig, behinderte das edle Tier aber doch stark, da das Körpergewicht des Gefangenen die Vorderbeine überanstrengte.
Der Trapper hätte ja den Navajo einfach zu Boden fallen lassen können. Er wusste aber, dass Saßtaluma dann verloren war, da die Apachen ihn sofort niedergemacht haben würden. Das wollte Felsenherz nicht. Ihm widerstrebte es, den Navajo auf diese Weise loszuwerden.
Anderseits sagte er sich, dass er des Heulenden Wolfes wegen sein Leben nicht aufs Spiel setzen dürfe.
So zerschnitt er denn die Riemen des Gefangenen, als gerade wieder eine Krümmung den Apachen die Sicht versperrte.
„Flieh in die Büsche!“, rief er kurz.
Saßtaluma richtete sich auf.
„Der Heulende Wolf wird Felsenherz zu danken wissen“, sagte der Navajo, fiel zur Erde und rannte nach links in das Buschwerk hinein.
Der Braune spürte sofort die Erleichterung, wieherte leise und schoss nun spielend leicht davon, holte die beiden Trumms sehr bald ein und setzte kaum zehn Minuten später mit langem Sprung in das aufspritzende Wasser des Apachensees, schwamm der Insel zu und befand sich gleich darauf mit seinem Reiter wieder auf festem Boden und in Sicherheit.
Die beiden Trumms hatten schon vorher wohlbehalten die kleine, runde Insel erreicht, die einen Durchmesser von etwa fünfzig Metern hatte, mit Bäumen und Büschen bestanden war und sich zur Mitte hin zu einem steilen, dornenumwucherten Hügel aufwölbte.
„Die Reittiere auf den Hügel!“, befahl Felsenherz jetzt und warf Robb den Zaum seines Braunen zu.
Jobb führte die Tiere schnell davon.
Felsenherz und der andere Trumm verbargen sich hinter den nächsten Bäumen. Kaum drei Minuten später erschienen schon die ersten Apachen drüben am westlichen Seeufer, das ebenfalls stellenweise mit Buschwerk und Baumgruppen bedeckt war.
Immer mehr Apachen sammelten sich an.
Dann ritt einer von ihnen, ein wahrer Riese, stiernackig und mit Adlerfedern in der Skalplocke, einige Meter in den See hinein und rief den Flüchtlingen zu: „Felsenherz mag sich freiwillig dem Oberhäuptling der Apachen ausliefern! Der Große Bär wird ihn diesmal nicht entkommen lassen. Hundertfünfzig tapfere Krieger werden die Ufer des Sees bewachen, und Felsenherz und die beiden anderen Bleichgesichter müssten gerade Flügel erhalten und wie die feigen Krähen davonfliegen, wenn sie von hier entweichen wollten. Der Große Bär hat die Fährten des weißen Jägers und des räudigen Komanchen, seines roten Bruders, bis an den Pecos verfolgt. Er weiß, dass Chokariga, der Schwarze Panther, sich jetzt von seinem Freund getrennt hat und nach den Komanchendörfern zurückgekehrt ist. Felsenherz wird hier am Apachensee niemand finden, der ihm hilft.“
Der blonde Trapper hielt eine Antwort für überflüssig.
Aber Jobb Trumm, der Redselige, der die Reittiere bereits auf dem Hügel untergebracht hatte, brüllte dem Großen Bär zu.
„Der Oberhäuptling der Apachen ist wie ein elender Präriewolf, der vor Hunger den Mond anheult. Der Große Bär wird uns drei niemals in seine Gewalt bekommen. Hier ist Felsenherz, der es allein mit hundert Apachen aufnimmt. Und hier ist mein Bruder Robb Trumm, der mit Leichtigkeit dreißig von euch Rotfellen auslöscht! Dann bin ich noch hier, der dicke, kleine Jobb, den die Apachen ebenso gut kennen wie Robb! Mit zwanzig von euch werde ich schon fertig! Außerdem mag der Große Bär wissen, dass Felsenherz’ roter Bruder, der Komanchenhäuptling, sich mit 200 seiner Krieger in der nahen Llano Estacado verabredet hat und bereits in der Nacht hier sein kann. Dann wird auch noch —“ Offenbar wollte Jobb noch mehr hinzufügen, um den Apachen Angst zu machen. Er erhielt jedoch von Felsenherz einen tüchtigen Rippenstoß, merkte wohl, dass er irgendeine Dummheit begangen hatte, und beendete seine Antwort nach kurzem Schweigen mit den Worten: „Dann wird auch der Große Bär wünschen, dass er Flügel wie die feigen Krähen hätte und davonfliegen könnte! Dann werden die Apachen hingemäht werden wie die Heuschrecken, wenn sie sich im Präriebrand die Flügel versengen!“
Der Oberhäuptling der Apachen schwang jetzt drohend den Tomahawk.
„Die drei Bleichgesichter werden am Abend unsere Gefangenen sein!“, rief er zurück. „Meine Krieger werden Flöße mit Brustwehren bauen, und eure Kugeln werden nur die Baumstämme treffen!“
„Jobb“, sagte Felsenherz unzufrieden zu dem kleinen wohlbeleibten Schwätzer, „Sie sehen nun, was Sie durch Ihre Schwindelei, dass Chokariga mit 200 Kriegern hier erscheinen wird, angerichtet haben! Die Apachen hätten uns nur belagert und auszuhungern versucht, wenn Sie nicht dem Großen Bär geradezu nahegelegt hätten, uns schleunigst anzugreifen. Jetzt können wir kaum darauf rechnen, mit dem Leben davonzukommen.“
„Du bist ein Kamel, Jobb! Ich habe das schon längst gewusst!“, knurrte auch Robb Trumm wütend. „Es ist jetzt etwa fünf Uhr nachmittags. Um sieben Uhr werden die Apachen die Flöße fertig haben! Dann geht der Tanz los!“
Jobb sagte gar nichts. Was sollte er wohl auch zu seiner Entschuldigung anführen? Er hatte eben übereilt, wenn auch in bester Absicht dem Großen Bären die Lüge von des Komanchenhäuptlings baldiger Rückkehr aufgetischt.
Felsenherz und Robb erörterten nun in Eile die Verteidigungsmöglichkeiten. Hiermit war es schlecht bestellt, da das Seeufer nach Norden zu nur etwa dreißig Meter entfernt und nach Süden hin der Zwischenraum zwischen Insel und Land auch nur etwa 80 Meter breit war.
Selbst die Insel mit ihrem Gestrüpp und ihren Busch- und Baumgruppen machte es den Angreifern leicht, sich darauf festzusetzen. Wie sollten auch nur drei Verteidiger die auf Flößen nahenden Apachen abwehren können?
Dies betonte jetzt der blonde Trapper dem älteren Trumm gegenüber mit allem Nachdruck und fügte hinzu: „Sie werden einsehen, Robb, dass wir hier verloren sind. Wir müssen also die Apachen irgendwie überlisten und durchbrechen. Wenn wir uns nur bis nach Dunkelwerden die Bande vom Halse halten, ist schon viel gewonnen.“
Sie standen jetzt am Fuß des mit Dornengestrüpp bewachsenen Hügels, und Felsenherz’ scharfe Augen ruhten nachdenklich auf den vier alten, knorrigen Eichen, die dort oben auf der Spitze des Hügels wuchsen.
„Halt!“, rief er dann leise. „Ein anderer Gedanke, Robb! Wir könnten uns eine Art Baumfestung herstellen! Vorwärts — Sie und Jobb fällen jetzt mal die Erlen und Birken, die allzu nahe am Hügel stehen, damit die Apachen nicht von deren Kronen aus uns beschießen können. Beeilt euch, Freunde! Ich werde mir inzwischen die Eichen genauer ansehen!“
Dass die Apachen jetzt schon etwa schwimmend die Insel angreifen würden, war kaum zu befürchten. So konnten die drei Trapper sich denn in ziemlicher Sicherheit an die Arbeit machen.
Bald erklangen die Schläge von drei haarscharfen Tomahawks fast ununterbrochen. Felsenherz hatte schnell in den sich berührenden Kronen der vier Eichen durch starke Äste und dünnere Birkenstämme eine Plattform hergestellt, die an den Seiten durch eine Brustwehr geschützt war. Nachdem er auch noch die Zweige, die einen freien Ausblick auf die Insel verhinderten, abgehauen hatte, wobei ihm Robb bereits half, war die primitive Baumfestung gegen halb sieben abends fertig.
Am meisten sorgte sich Felsenherz jetzt um die drei Reittiere, die den Kugeln der Rothäute leider schutzlos preisgegeben waren.
„Wir sollten meinen Braunen und eure Maulesel, lieber Robb, am besten an der am weitesten entfernten Nordspitze der Insel festbinden“, sagte er zu dem älteren Trumm. „Mögen die Apachen sie von dort auch an das Seeufer hinüberbringen! Was schadet es! Wir werden uns die Tiere schon zurückholen, falls wir glücklich von hier fortkommen sollten.“
Robb stimmte dem zu. So wurden denn der Braune, Minni und Finni von Robb in ein Gebüsch an der Nordspitze geführt, nachdem man ihnen die Sättel abgenommen und nur die Zaumzeuge belassen hatte.
Mittlerweile waren auch die Apachen am Westufer nicht müßig gewesen. Dieses, ungefähr zweihundert Meter entfernt, hatte auch den stärksten Baumwuchs aufzuweisen, sodass die Rothäute es sehr bequem gehabt hatten, hier vier große Flöße zu bauen, deren eine Seite einen hohen Schutz von starken Ästen trug.
Die drei Trapper hatten sich jetzt in ihre Festung hinaufbegeben, hatten vorher noch am Fuß der Eiche alles erreichbare trockene Strauchwerk, zu Bündeln vereinigt, aufgehäuft und auch die schmalen Lücken in den Dornbüschen des Hügels durch Dornenzweige ausgefüllt.
Nach allen Seiten hin hatten sie jetzt freien Ausblick. Sie sahen, wie die vier Flöße bemannt wurden und wie auf jedem zwanzig Apachen, teilweise mit Rudern und Stakstangen ausgerüstet, die schwerfälligen Fahrzeuge vorwärtsbewegten, die sich nun verteilten und von vier Seiten zugleich der Insel zustrebten Als sie in Schussweite kamen, suchten die Rothäute hinter der Brustwehr Deckung. Aber diese Schutzwände waren nicht darauf eingerichtet worden, von oben beschossen zu werden. Die Baumfestung der Trapper lag eben so hoch, dass die hinter den Brustwehren hockenden Apachen zum Teil zu sehen waren.
„Los — feuern wir!“, meinte Felsenherz ingrimmig. „Die Bande will uns ans Leben! Da wäre es eine Torheit, sie zu schonen! Zielt aber nur auf die Schultern, wenn es irgend geht!“
Dann schob er seine Büchse vor, die lange Jaguar-Büchse, und zwei Feuerstrahlen schossen kurz hintereinander aus den Mündungen der Doppelflinte heraus.
Auf dem von Westen her nahenden Floß schnellten zwei Apachen in die Höhe und taumelten mit zerschossenen Schultern in den See.
Auch Jobb und Robb hatten bereits nicht minder gut vier anderen Apachen auf den von Norden und Süden herankommenden Flößen bleierne Grüße zugesandt.
Felsenherz aber griff zu seiner zweiten Büchse und feuerte, nachdem er seinen Platz gewechselt hatte, auf das vierte Floß. Auch hier sanken zwei Apachen verwundet hinter der Brustwehr hervor.
Doch die Rothäute ließen sich durch diese Beschießung nicht beirren. Sie wussten ja, dass sie in den Uferbüschen des Inselchens genügend Schutz finden würden.
Kaum hatten die drei Trapper ihre Waffen wieder geladen, als ein lautes Triumphgeheul der Angreifer ihnen bewies, dass diese sich auf der Insel festgesetzt hatten. Von den Flößen war jetzt nichts mehr zu bemerken. Sie lagen am Inselstrand hinter dem Buschwerk.
Nach Art der Rothäute trat dann eine fast unheimliche Stille ein. Es schien, als befände sich auf der Insel kein lebendes Wesen.
Und doch. Hinter der Brustwehr der Baumplattform lugten die drei Verteidiger angestrengt hinab, musterten jeden Busch, jeden Strauch. Und ebenso belauerten zahlreiche Apachen, gut versteckt in den grünen Sträuchern, unausgesetzt die ihnen sichtbaren Teile der seltsamen Festung.
Allmählich versank nun auch die Sonne hinter den fernen Bergen des im Westen liegenden Gila-Gebirges. Bald musste die Nacht anbrechen. Und dann würden die Apachen fraglos auf irgendeine Weise zum Angriff übergehen.
3. Kapitel.
Feinde, und doch Retter.
Robb hatte bisher kein Wort gesprochen. Jetzt zog er plötzlich die gespannte Büchse in die Schulter ein und brummte: „Warte, Rotfell, dir will ich das Klettern versalzen!“
Aber er drückte nicht ab, sondern legte seine Waffe wieder hin, lachte lautlos in sich hinein und meinte: „Klettert nur auf die Erle dort, dumme Bande! Werdet Euch wundern!“
Felsenherz schob sich neben Robb. „Was gibt es denn?“, fragte er.
„Nur eine kleine Überraschung, Felsenherz! Noch ein bis zwei Apachen, und der Spaß beginnt. Sie sehen doch die schlanke Erle dort, deren Krone so dicht mit Schlingpflanzen umsponnen ist und deren halber Stamm im Gestrüpp steht. Da klettert jetzt eben noch ein zweiter Apache hinauf. Ah — da ist schon ein Dritter — ein Vierter! Wie eilig die Gesellschaft es hat!“
„Weshalb schießt du nicht?“, rief Jobb herüber. „Die Rotfelle können uns von oben sehr lästig werden!“
„Weil ich mir die Arbeit des Bäumefällens etwas erleichtert habe“, erwiderte der magere Robb grinsend. „Man kann einen Baum auch nur einkerben, und wenn die Rotfelle so dumm sind, dies nicht zu bemerken und sich hinaufbemühen, dann —“
Er brauchte nichts mehr hinzuzufügen. Die Erle brach plötzlich nach dem Hügel zu infolge der Belastung ihrer Krone um, und mit dumpfem Krach schlug der Baum auf eine freie Stelle auf.
Nur drei der in der Krone steckenden Apachen versuchten, als sie durch den Sturz aus den schützenden Zweigen herausgeschleudert worden waren, die nächsten Büsche zu erreichen.
Sie versuchten es.
Aber Robbs und Felsenherz’ Kugeln fuhren ihnen durch die Kniegelenke, bevor sie sich noch in Sicherheit gebracht hatten.
Die drei Apachen knickten um, schleppten sich dann mühsam weiter, jeden Augenblick einen tödlichen Schuss erwartend. Doch den Trappern lag nichts daran, diese wehrlosen Feinde vollends abzutun. Sie ließen sie unbehelligt.
Der vierte Apache hatte bei dem Sturz des Baumes das Genick gebrochen. Sein Körper hing regungslos in den Ästen.
Auf die drei Schüsse hin war ein gellendes Wutgeheul der Apachen erfolgt, die nun recht zwecklos aus den Büschen auf die Brustwehr feuerten.
Dann aber des Großen Bären tiefe Stimme: „Die Krieger der Apachen sollen die Kugeln sparen. Die Blassgesichter werden morgen am Marterpfahl sterben!“
Jobb, der gerade nach der Seite hin die Insel beobachtete, woher des Oberhäuptlings Stimme aus einem hohen Erlengebüsch kam, brüllte jetzt: „Der Große Bär wird morgen nicht mehr leben!“
Dann feuerte er beide Läufe seiner Büchse in die Richtung ab, wo der Apache verborgen sein musste.
Ein wilder Aufschrei zeigte, dass zumindest eine Kugel einen der Rothäute getroffen hatte.
Nun abermals dieselbe drückende Stille. Nur der Abendwind säuselte in den Wipfeln der vier Eichen, und vom Westufer her drang das Wiehern der Apachenmustangs herüber.
Es wurde dunkler und dunkler. Bald waren die Uferbüsche des Inselchens nur noch undeutlich zu erkennen, bald beobachteten die drei Trapper auch, wie ihre Reittiere auf einem Floß an Land gebracht wurden.
Robb, der neben Felsenherz lag, meinte ernst: „Ja — da werden Jobb und ich nun unsere Minni und Finni los! Hoffentlich behandeln die Apachen sie gut, denn unsere Maulesel sind mehr wert als ein ganzer Rennstall! Hm, was ich noch sagen wollte, Felsenherz. Man kann ja nicht wissen, was geschieht. Jobb und ich können vielleicht bald in die ewigen Jagdgründe befördert werden, unsere Skalpe können vielleicht wirklich morgen früh des Großen Bären Gürtel zieren! Wenn Sie, Landsmann, mit dem Leben davonkommen sollten, dann versprechen Sie mir eins, dass Sie an unserer Stelle zum Big Salt am Ostrand der Llano reiten und dort die Farm des alten Summer aufsuchen und ihm bestellen werden, dass die beiden Trumms ihr Wort eingelöst haben. Sie müssen nämlich wissen, Felsenherz, dass wir, der Jobb und ich, zum Big Salt unterwegs waren. Der alte Summer ist so eine Art Pflegevater von uns. Er haust dort ganz allein in der Wildnis auf seiner kleinen Farm und hatte uns vor sechs Monaten für seine in San Francisco lebende einzige Tochter einen Lederbeutel voll Goldstaub anvertraut. Wir ritten nach Frisco hinauf und gaben der Miss Lydia Summer, die dort Lehrerin ist, das Gold ab.
Der alte Summer soll nicht denken, dass wir mit dem Beutel etwa ausgekniffen sind. Und hier, Felsenherz — er holte einen Brief aus der Innentasche seines Rockes hervor —, „hier ist ein Schreiben der Miss Lydia für ihren Vater. Sollte ich hier den Tod finden, so nehmt es und bringt es dem Alten, bestellt auch noch Grüße von uns. Ihr erlaubt doch, dass ich die Anrede Sie weglasse. Das Ihr ist bequemer.“
„Und das Du noch bequemer!“, sagte Felsenherz freundlich. „Robb und Jobb — also auf Du und Du! Und was den Brief betrifft, so werde ich ihn, falls nötig, richtig besorgen.“
Es war jetzt völlig finster geworden.
Drüben am Westufer flammten die Lagerfeuer der Apachen auf. Die Flöße, nur undeutlich zu erkennen, fuhren hin und her. Im übrigen dieselbe gewitterschwüle Stille ringsum, die ja mehr an den Nerven zerrte als der tosende Lärm eines wilden Kampfes.
Immer noch unternahmen die Apachen nichts. Die drei Trapper hatten aus ihren Satteltaschen geröstetes Hirschfleisch hervorgeholt und aßen.
Dann meldete Jobb sich.
„Hört Ihr?“, meinte er. „Die Bande regt sich! Dort nach Westen zu raschelt und knistert es fortwährend!“
„Hast recht, Jobb!“, bestätigte Felsenherz.
„Die Apachen schichten offenbar Reisig am Fuß des Hügels auf. Sie wollen uns ausräuchern. Der Wind kommt von Westen und wird die Hitze und den Qualm auf uns zutreiben. Ich habe etwas Ähnliches erwartet.“
„Verdammt!“, knurrte Robb. „Sollen die uns hier schmoren lassen?“
„Nein, Freunde“, entgegnete der blonde Trapper nach längerer Pause. „Wir werden den Apachen einen Streich spielen, Wenn wir jetzt unsere Baumfestung verlassen, können sie uns bei dieser Finsternis nicht sehen. Wenn wir dann nach Westen zu uns einen Weg durch die Dornen den Hügel hinab bahnen, hören sie uns auch nicht, da sie mit dem Auftürmen des Reisighaufens zu viel Lärm machen. Der Wind wird Rauch und Flammen allerdings gerade nach dieser Seite treiben, aber der Rauch wird sich auch zu beiden Seiten des Hügels am Boden entlangziehen und uns zwar für Minuten das Atmen erschweren, nicht aber die weitere Flucht!“
„Verstehe!“, entgegnete Jobb lachend. „Verstehe! Mit den ersten Rauchschwaden zugleich werden auch wir zum Seeufer schleichen, eingehüllt in dem dicken Qualm — ein feiner Gedanke!“
„Ja, Jobb, so ist es!“, erklärte Felsenherz. „Nur so können wir flüchten! Los denn — nehmen wir unsere Sättel mit hinab und bedecken wir sie unten mit Sand, damit sie nicht verbrennen. Wir werden hoffentlich noch Gelegenheit haben, sie uns zurückzuholen.“
Das klang sehr zuversichtlich. Aber in Wahrheit beherrschten den unerschrockenen Trapper ganz andere und recht ernste Gedanken. Ihm war es durchaus nicht so gewiss, dass die List, in den Qualmwolken des auflodernden Reisighügels zu entweichen, wirklich gelingen würde. Nein — dieser Plan besaß sehr viele Mängel, konnte nur zu leicht an einer unvorhergesehenen Kleinigkeit scheitern. Aber — und auch das wusste Felsenherz ganz genau — es gab hier eben kein anderes Mittel, der Übermacht der Apachen zu entgehen. Und deshalb spielte der blonde Trapper den durchaus von den besten Hoffnungen Erfüllten, um den Mut seiner beiden Gefährten nicht vorzeitig zu erschüttern. Die Trumms bewiesen jetzt, dass sie in der Tat Waldläufer von hervorragenden Eigenschaften waren. Mit außerordentlicher Gewandtheit kletterten sie hinter Felsenherz von den Eichen herab, halfen ihm die Sättel verscharren und krochen dann hinter ihm in das Dornengestrüpp hinein, in dem der blonde Hüne erst einen förmlichen Tunnel ausschneiden musste, was viel Zeit in Anspruch nahm.
Alles kam jetzt darauf an, dass die drei Gefährten sich durch das Gestrüpp bis zum Fuß des Hügels hindurcharbeiteten und dann dort bereitlagen, bevor die Apachen den immer mehr anwachsenden Strauchhaufen anzündeten.
Leider hatte es Felsenherz mit der Arbeit, all die Dornenzweige zu durchschneiden und beiseite zu drücken, zu schwer Seine Hände bluteten bereits. Er achtete nicht darauf. Und doch — fast ein Meter dicksten Gestrüpps trennte ihn noch von der flachen, grasbedeckten Erde, als schon aus den Uferbüschen eine Harzfackel flackernd durch die Luft flog und auf den Reisigberg fiel.
Eine Zweite — eine Dritte folgten.
Der Westwind ließ das trockene Geäst schnell aufflammen. Knisternd und fauchend griffen die Feuerzungen immer weiter um sich.
Und Felsenherz arbeitete jetzt mit der Wut der Verzweiflung, arbeitete ohne jede Rücksicht auf seine durch die Dornen gemarterten Hände.
Robb hatte sich neben ihn gedrängt, versuchte ihm zu helfen.
Ein Teil des Reisigs war doch noch etwas feucht, entwickelte starken Qualm, der gerade auf den Hügel zutrieb, der immer dichter und dichter wurde.
Die drei Trapper in dem Gestrüpp waren bald völlig eingehüllt von beißenden Rauchschwaden, konnten kaum mehr atmen, spürten auch die Hitze immer mehr, die ihre Gesichter zu versengen drohte.
Dann riss Felsenherz den letzten Dornenbusch, ihn an der Wurzel parkend, mit übermenschlicher Kraft heraus.
Der Weg war frei.
Felsenherz griff nach seinen Gewehren, richtete sich halb auf, taumelte, nahm alle Energie zusammen, sprang nach links hin in den dicksten Qualm hinein, warf sich hier zu Boden, kroch schnell im Gras weiter.
Schon lichteten sich die Rauchmassen, schon bemerkte er vor sich die ersten schützenden Büsche.
Er blickte sich um.
Von den Trumms war nichts zu sehen.
Dann von der Südseite des Hügels ein wildes Geschrei, ein paar Schüsse und Jobbs Stimme.
„Hunde — lebend fangt Ihr mich nicht!“
Felsenherz wollte schon den beiden, die den Fehler gemacht hatten, nach der anderen Seite zu fliehen, wo der Qualm weit schwächer war, zu Hilfe eilen.
Er besann sich. Nein, es hätte keinen Zweck gehabt, dort ebenfalls Leben und Freiheit aufs Spiel zu setzen. Besser war es, dass er sich in Sicherheit brachte und dann versuchte, die beiden Trumms, falls sie nicht getötet worden waren, den Apachen wieder irgendwie zu entführen.
Er schob sich rasch in die Büsche hinein, kroch weiter dem Seeufer zu.
Taghell war es hier infolge des lohenden Strauchhaufens, so hell, dass Felsenherz rechtzeitig drei Apachen bemerkte, die mit zu dem Kreis von Wachen gehörten, die den Hügel umzingelten.
Das Gebrüll der Rothäute auf der anderen Seite war verstummt.
Nun aber des Großen Bären befehlende Stimme: „Die Krieger der Apachen mögen achtgeben! Felsenherz versucht zu fliehen! Die beiden anderen Bleichgesichter sind bereits gefesselt!“
Die drei Apachen dort vor dem Erlengebüsch spähten noch eifriger umher, hielten ihre einläufigen Flinten halb im Anschlag.
Der blonde Trapper lag keine drei Schritt vor ihnen hinter ein paar niederen Sträuchern. Wenn er das Seeufer erreichen wollte, musste er die drei beseitigen. Er, der sonst nie Menschenblut vergoss, der nur im Notfall einen Feind wehrlos machte, sah hier keine andere Möglichkeit als brutalste Gewalt.
Er zog den Tomahawk aus dem Gürtel, schwang den rechten Arm rückwärts, schleuderte die oft erprobte Waffe nach dem am weitesten links Stehenden.
Kaum sauste das Schlachtbeil durch die Luft, als der Trapper auch schon hochschnellte.
Ein Sprung — ein Messerstich mit der Linken — zwei furchtbare Fausthiebe.
Die drei Gegner waren fast geräuschlos erledigt.
Er kroch zu dem Toten hin, in dessen Schädel der Tomahawk noch steckte, nahm das Schlachtbeil wieder an sich, schlich auf allen vieren davon, kam an die letzten Uferbüsche, sah hier eins der Flöße mit einem Lasso festgebunden im Wasser liegen, sprang hinauf, hieb das Lasso durch und warf sich hinter die Brustwehr, nachdem er das Floß noch mit dem Fuß vom Land abgestoßen hatte.
Langsam trieb es auf den See hinaus.
Hier erfasste es der Wind, drehte es und führte es allmählich an der Insel vorüber.
Felsenherz hatte den Kopf etwas gehoben. Er konnte beobachten, wie die Apachen die ganze Insel durchsuchten, wie sie mit Harzfackeln jedes Gebüsch durchstöberten.
Zum Glück reichte der Lichtschein des brennenden Reisighaufens nur stellenweise bis auf den See hinaus, und ebenso war es eine günstige Fügung, dass der See hier offenbar eine starke Strömung hatte, die das Floß immer schneller mit nach Osten nahm.
Nach fünf kritischen Minuten war dann anscheinend jede Gefahr vorüber.
Auf dieser Seite des Sees herrschte tiefste Dunkelheit. So durfte Felsenherz es wagen, eine der Stakstangen zu ergreifen und das Floß noch rascher der Spitze einer kleinen Halbinsel zuzutreiben, die von düsteren Tannen bedeckt war.
Er hatte seine beiden Gewehre in der Linken, sprang nun an Land, wollte sofort in dem noch dichteren Dunkel der Tannen verschwinden.
Da — vor ihm richtete sich urplötzlich eine Gestalt auf.
Und eine tiefe Stimme sagte befehlend: „Felsenherz steht vor Saßtaluma, dem Häuptling der Navajo! Der blonde Jäger ist umringt. Er reiche mir seine Gewehre. Er soll nicht unser Gefangener sein. Saßtaluma vergisst nicht, dass Felsenherz ihn vor den Apachen rettete. Aber der berühmte Trapper muss tun, was Saßtaluma, der Heulende Wolf verlangt!“
Felsenherz warf einen forschenden Blick um sich.
Tatsächlich. Er war umzingelt. Mindestens zwanzig Navajo bildeten einen engen Kreis um ihn und Saßtaluma.
„Der Heulende Wolf weiß, dass ein Krieger seine Waffen behält“, sagte er daher. „Ich werde den Navajo freiwillig folgen. Ich bin ihr Freund, wie ich der Freund jedes roten Mannes bin, der mir nicht nach dem Leben trachtet. Meine Zunge ist nie gespalten. Die Lüge ist mir verhasst.“
Saßtaluma überlegte kurz. „Felsenherz ist im Lager der Navajo willkommen“, erklärte er dann. „Die Apachenhunde werden noch in dieser Nacht aufgerieben werden. Saßtaluma hatte zweihundert Krieger nördlich am gelben Bach zurückgelassen, bevor er in die Guadalupe-Berge sich hineinwagte. Jetzt hat er diese Krieger herbeigeholt. Die am Westufer zurückgebliebenen vierzig Apachen sind vor einer Stunde von uns in ihren Zelten überrascht worden. Die Navajo haben viele Skalpe gemacht, und der Große Bär ahnt noch nicht, dass er jetzt auf der Insel drüben eingeschlossen ist. Felsenherz mag mir folgen —“
Der Trapper sah noch, wie etwa dreißig Navajo das Floß bestiegen und der Insel zuruderten.
Bald hatte er mit dem schweigsamen Saßtaluma das Apachenlager am Westufer erreicht.
Die Feuer brannten noch. Unter den Bäumen neben den Zelten lagen die getöteten Apachen. Navajo huschten hin und her. Einige Späher meldeten dem Heulenden Wolf, was jetzt auf der Insel vorging. Saßtaluma erteilte noch verschiedene Befehle, dann ließ er sich vor dem großen Zelt, das hier für den Oberhäuptling der Apachen errichtet war, nieder und winkte Felsenherz ein Gleiches zu tun.
Vor den beiden loderte eines der Lagerfeuer. Die Flammen warfen zuckende Lichter auf das bronzene, dick mit den Kriegsfarben bemalte Gesicht des Heulenden Wolfes.
Nach längerem Schweigen begann der Navajohäuptling: „Felsenherz weiß, dass Saßtaluma von den Guadalupe-Bergen aus zwei Bleichgesichter verfolgte, die dort die Schätze der Bonanza des Regentales geraubt hatten und dass die Säcke mit dem Gold dann drüben im See versanken. Dieses Gold gehört den Navajo, deren Jagdgebiete einst bis nach Süden über die Guadalupe-Berge hinausreichten. Erst die Apachen haben den Stamm der Navajo weiter nach Norden gedrängt, haben jedoch bisher nicht gewagt, die Bonanza zu plündern, da es in unserem Volk eine alte Sage gibt, nach der jenes Gold jedem Unheil bringt, der es berührt.“
Der Heulende Wolf wurde hier unterbrochen.
Ein junger Krieger erschien und meldete, dass ein mit fünfzehn Apachen besetztes Floß, auf dem auch die beiden Blassgesichter sich befänden, dem Westufer zugerudert würde.
Saßtaluma erhob sich schnell.
„Felsenherz mag mich hier erwarten“, sagte er kurz und verschwand.
Gleich darauf knallten etwa dreißig Schüsse, denen das gellende Angstgeschrei der auf dem Floß überfallenen Apachen und wilder Kampfeslärm folgten.
Dann erschienen die beiden Trumms, geführt von fünf Navajo. Ihnen waren die Hände auf dem Rücken gebunden.
Einer der Navajo sagte nun zu Felsenherz: „Saßtaluma ist ein Feind der beiden Bleichgesichter, die sich die Trumms nennen. Wenn Felsenherz es wagt, die beiden zu befreien, wird ihn der Tomahawk der Navajo treffen. Der Heulende Wolf ist jetzt auf dem Floß zur Insel unterwegs. Ich, der Unterhäuptling Langes Messer, habe hier zu befehlen. Felsenherz wird seine Waffen sofort ausliefern.“
Das Lange Messer war ein älterer Krieger von kräftigem Körperbau und offenbar ein grimmiger Feind aller Weißen.
Felsenherz ließ unauffällig seine Blicke umherschweifen, bevor er langsam aufstand und erwiderte: „Das Lange Messer weiß nicht, dass ich hier Gast der Navajo bin! Man fordert einem Gast nicht die Waffen ab.“
Der stiernackige Rote machte eine verächtliche Handbewegung.
„Felsenherz ist unser Gefangener. Er möge gehorchen“, so erklärte er dazu drohenden Tones.
Der blonde Trapper legte scheinbar eingeschüchtert seine beiden Büchsen auf die Erde.
Als er sich halb wieder aufgerichtet hatte, geschah etwas, womit das Lange Messer kaum gerechnet hatte. Felsenherz schnellte sich vorwärts. Die berüchtigte Felsenfaust traf des Unterhäuptlings Herzgrube, warf den Navajo zu Boden, traf den Zweiten, den Dritten.
Die beiden anderen wollten fliehen.
Schon hatte der Trapper sie gepackt, riss sie zu Boden, umkrallte mit jeder Hand eine Kehle und erstickte so die Hilferufe, die nur zu schnell noch weitere Navajo herbeigelockt hätten.
Die Brüder Trumm hatten inzwischen schon gegenseitig ihre Fesseln mit dem Messer eines der bewusstlosen Navajo zerschnitten, hoben ihre Waffen auf, die der Unterhäuptling getragen hatte, und liefen jetzt hinter Felsenherz her, der vorhin schon gesehen hatte, wo abseits von den Apachen- und Navajogäulen sein Brauner und die beiden Maulesel nach Norden zu weideten.
Sehr bald hatten die drei Gefährten sich auf ihre ungesattelten Tiere geschwungen und jagten, verfolgt von den Schüssen der Pferdewächter, in die nächtliche Prärie hinaus.
4. Kapitel.
In den Kakteenfeldern der Wüste.
„Donner noch eins!“, gab jetzt der dicke Jobb lachend von sich. „Das war ein feiner Streich, Felsenherz! Möchte den Navajo kennenlernen, der jetzt in der Nacht auf unserer Fährte zu bleiben vermag!“
„Schade nur um unsere Sättel!“, rief Robb. „Der Rücken meiner Minni ist verdammt hart!“
„Schritt!“, meinte Felsenherz und zügelte den Braunen, der noch das Zaumzeug genau so wie die Maulesel trug. „Im Schritt jetzt weiter! Du hast recht, Freund Robb, ohne Sattel können wir nicht bleiben. Reiten wir also im Bogen von Süden wieder an den See heran. Dann will ich drei Navajosättel holen, was nicht schwer sein dürfte. Ihr hört ja drüben die Schüsse. Saßtaluma greift die Insel an —“
Eine halbe Stunde später näherten sich die drei Landsleute wieder dem Apachensee. Das Gewehrfeuer war jetzt verstummt.
„Sollten die Navajo etwa die Apachen schon ausgelöscht haben?“, meinte Jobb, als die Gefährten nun in einem Gebüsch am Ufer haltmachten.
„Das glaube ich nicht“, flüsterte Felsenherz. „Saßtaluma unterschätzt den Großen Bär, der noch immer die Möglichkeit hat, den Navajo, die ja nur zum geringsten Teil mit Flinten bewaffnet sind, eine Schlappe beizubringen. Warten wir erst mal ab, was geschieht.“
Nach einer Viertelstunde ging der Mond auf. Nun konnten die drei Trapper den See und die Insel bequem beobachten. Von den Rothäuten war nichts zu bemerken. Selbst im Lager am Westufer waren die Feuer ausgelöscht worden.
„Man könnte wirklich annehmen, dass weder dort auf der Insel noch am Ufer sich Rotfelle befinden“, meinte der dicke Jobb leise. „Aber gerade diese Ruhe besagt nichts Gutes. Der Tanz wird wohl bald losgehen.“
„Ah — zwei Flöße verlassen die Insel“, fügte Robb hastig hinzu. „Und wahrhaftig! Der Große Bär hat sie jetzt an allen Seiten mit Brustwehren umgeben. Die Apachen wollen landen!“
Vor den Augen der drei Landsleute spielte sich nun am Westufer ein erbitterter Kampf ab, in den auch die beiden anderen, von den Navajo bemannten Flöße eingriffen.
Hier zeigte sich aber, dass der Oberhäuptling der Apachen an Intelligenz dem Navajoanführer weit überlegen war. Die Apachen eroberten zuerst die beiden Flöße, deren Besatzung größtenteils unter ihren Kugeln fiel. Dann nahmen sie die Uferbüsche unter Feuer, und die Bemannung der beiden soeben erbeuteten Flöße erzwang auch weiter nördlich hin die Landung und brach nach den Pferden hin durch.
„Es wird Zeit!“, so sagte Felsenherz da. „Ich werde jetzt zur Insel hinüberschwimmen. Unsere Sättel sind diese Mühe wohl wert. Wartet hier auf mich.“
Er schlich davon, eilte zum Ufer hinab und war in kaum zehn Minuten auf der Insel. Seine Büchsen hatte er Robb übergeben. Sie wären ihm nur hinderlich gewesen.
Der Hügel war an der Westseite jetzt völlig kahl gebrannt. Felsenherz stellte bald fest, dass sich nicht ein einziger Apache hier befand. Er konnte in aller Ruhe die Sättel ausgraben und sie dann auf einem Baumstamm festbinden, den er schwimmend vor sich herschob.
So langte er wohlbehalten bei den Trumms wieder an.
Inzwischen hatten die Navajo das Westufer schon geräumt. Der Lärm des Kampfes zog sich mehr nach Norden hin.
„Die Navajo werden böse eins abkriegen“, kicherte der dicke Jobb, als er seiner Finni den Sattel aufschnallte.
Dann ritten die Gefährten nach Osten zum Pecos River entgegen, überquerten ihn beim Morgengrauen an einer seichten Stelle und erklommen, als die Sonne aufging, die Randhöhen der berüchtigten Llano Estacado, der ungeheuren Hochlandwüste, die ihren Namen „gepfählte Ebene“ infolge der Holzstangen erhalten hat, die in diesem Sandmeer dem Wanderer die Richtung zur nächsten Wasserstelle anzeigen.
Hier, inmitten der wild zerklüfteten, steinigen Randberge, lagerten sie und schliefen abwechselnd bis zum Nachmittag. Daun erst brachen sie wieder auf und folgten einer Reihe von Stangen, die direkt nach Osten zu verlief.
Im Schritt ritten sie behaglich nebeneinander. Robb und Jobb rauchten ihre kurzen Holzpfeifen und ließen sich von Felsenherz erzählen, wie die Bonanza im Regental von zwei weißen Banditen geplündert worden war und wie die Goldsäcke durch einen Zufall im See versanken.
„Mein roter Bruder Chokariga und ich haben jene Stelle des Apachensees mit den Lassos auf ihre Tiefe gemessen“, fuhr der blonde Trapper jetzt fort. „Es ist unmöglich, das Gold etwa durch Tauchen heraufzuholen. Es muss sich dort im Seeboden eine Vertiefung befinden, und aller Voraussicht nach ist das Gold für alle Zeit verloren. Trotzdem wollte ich aber, nachdem ich mit dem Schwarzen Panther eine Zusammenkunft nach zwei Wochen am Nordrand der Llano verabredet hatte, mich davon überzeugen, ob etwa der Große Bär, der uns bis an den Pecos gehetzt und dort erst unsere Spur verloren hatte, etwa auf den Gedanken kommen würde, den See abzulassen, was nicht allzu schwierig wäre, wenn man genügend Leute zur Verfügung hatte. So geschah es, dass ich mit euch zusammentraf, als die Apachen mich zufällig entdeckt hatten und wieder hinter mir her waren.“
„Und jetzt reiten wir drei gemütlich zu Vater Summer, übergeben ihm seiner Tochter Brief und —“
Jobb, der Geschwätzige, schwieg plötzlich und rief dann: „Verdammt — das da ist eine frische Fährte zweier Reiter!“
Er zeigte auf den Sandboden, wo die Spuren sich nur verschwommen abhoben.
„Stimmt!“, entgegnete darauf Felsenherz. „Die Fährte habe ich schon vor zehn Minuten bemerkt. Da, sie läuft als doppelter Strich von Nordwest her durch den Sand und biegt hier in die Richtung der Pfahlreihe ein. Es sind zwei beschlagene Pferde, die Reiter also wohl Weiße. Die Tiere sind ermüdet, mehr noch — erschöpft! Die Spuren haben —“
„Dort hinten — Rothäute!“, rief der magere Robb dazwischen.
Felsenherz und Jobb blickten nach links.
Von Nordwest her kamen etwa dreißig Indianer im Gänsemarsch auf der Fährte der beiden Reiter daher. Sie ritten Trab, waren noch etwa achthundert Meter entfernt, ließen jetzt aber ihre Mustangs in Galopp übergehen.
„Wieder Apachen!“, erklärte Felsenherz kurz. „Wahrscheinlich Mescalero, die dort in den Jicarilla-Bergen im Norden ihre Dörfer haben. Vorwärts! Die Bande darf uns nicht zu nahe auf den Leib rücken!
Sie verfolgen fraglos die beiden Reiter, die hier vor kaum einer Stunde mit ihren matten Pferden vorübergekommen sind.“
Die drei Trapper jagten weiter, immer die Pfahlreihe entlang und auf der Fährte der beiden von den Indsmen Verfolgten dahin.
Die Llano Estacado ist durchaus keine einheitliche Sandwüste, sondern wird vielfach von kahlen Höhenzügen durchschnitten, besitzt auch zahlreiche felsige Strecken mit tiefen Canyons, bietet aber doch in der Hauptsache das Bild einer öden, wenig fruchtbaren Sandsteppe dar, in der nur ungeheure Kakteenfelder neben spärlichen Gräsern gedeihen. Diese Kakteenfelder mit ihrem gelblichen Grün geben dieser Hochlandwüste ihr charakteristisches Gepräge. Nirgends anderswo in Nordamerika findet man solche endlosen Flächen, die mit Kakteen so dicht bewachsen sind, dass kein Reiter, kein Fußgänger sich in diese stachlige Masse hineinwagen dürfte, da die glasharten Stacheln leicht abbrechen und gefährliche, eiternde Wunden erzeugen.
Nachdem die drei Gefährten an einem solchen Kakteenfeld etwa eine Viertelstunde entlanggaloppiert waren, mussten sie eine Reihe felsiger Hügel passieren.
Hier nun, wo die Rothäute hinter ihnen in dem unübersichtlichen Gelände sie aus den Augen verloren hatten, sprang der blonde Trapper mit einem Mal aus dem Sattel.
„Wir müssen die Apachen aufhalten“, erklärte er, indem er den Braunen hinter ein paar hohe Felsen führte. „Jobb mag die Tiere bewachen. Wir beide, Robb, werden ein Stück zurückkriechen und den Apachen ein paar Kugeln zusenden. Wenn wir ihnen sechs Mustangs erschießen, werden sie wohl etwas vorsichtiger und langsamer uns folgen, sodass wir sie bis zum Anbruch der Dunkelheit los sind. Inzwischen dürften wir die beiden Reiter eingeholt haben.“
Er nahm seine beiden Gewehre und schritt davon. Robb ließ sich noch seines Bruders Büchse geben, damit er ebenfalls über zwei Flinten verfügte.
Felsenherz bog etwas nach rechts von der Fährte ab und begann jetzt auf allen vieren sich weiterzubewegen. Er wollte hinter ein kleines Kakteenfeld gelangen, an dessen anderer Seite die Apachen, der Spur folgend, vorüber mussten.
Jetzt hob der blonde Trapper, als er die Spitze eines Hügels erreicht hatte, etwas den Kopf und spähte nach den Rothäuten aus. Zu seinem Erstaunen waren die Apachen jedoch verschwunden.
Robb war bald neben ihn, suchte gleichfalls den Reitertrupp vergebens und meinte kopfschlackernd: „Gefällt mir nicht, die Geschichte! Nein — gefällt mir gar nicht! Da steckt irgendeine Teufelei dahinter! Die Bande wird doch klüger gewesen sein, als wir glaubten, und wird in einem Tal um diese Anhöhe herumreiten wollen, um einem Hinterhalt zu entgehen.“
Felsenherz’ scharfe Augen musterten angestrengt den westlichen Horizont.
„Hm — schau mal dorthin, Robb!“, sagte er dann. „Gerade nach Westen zu, woher wir gekommen sind! Siehst du dort den schwarzen Strich, der sich dauernd wie eine Schlange in Windungen vorwärtsschiebt?“ „Verdammt, Landsmann, das sind Indianer, Reiter, eine schwere Menge, wohl gegen zweihundert, schätze ich!“
„Ja — Apachen werden es sein! Wahrscheinlich der Große Bär, der die Navajo dort jenseits des Pecos am See fraglos versprengt, Zuzug erhalten und dann unsere Fährten trotz all unserer Vorsicht doch gefunden hat. Wenn der Große Bär erst einmal auch nur die geringste Aussicht hat, mich zu fangen, lässt er es an der nötigen Ausdauer wahrlich nicht fehlen. Kehren wir zu Jobb zurück, sonst kommen die dreißig Mescalero uns noch in den Rücken.“
Fünf Minuten darauf sprengten die drei Gefährten im Galopp weiter.
Von den Mescalero war auch jetzt, als man die offene Steppe wieder erreicht hatte, nichts zu entdecken.
So ging es denn wieder eine Stunde lang immer auf der Fährte der beiden Reiter und den Pfählen nach Osten — immer tiefer in die Einöde der Llano hinein.
Die Sonne versank hinter dem fernen Felsengebirge. Die Dämmerung kam.
Da wurde Felsenherz unruhig, meinte zu den Trumms: „Ich begreife nicht, dass wir die beiden noch nicht eingeholt haben. Ihre Tiere waren doch so ermüdet. Und auch hier sieht man an den Spuren, dass ihre Pferde immer wieder stolperten und wiederholt stehen blieben.“
Die Stangenreihe ließ jetzt zwischen zwei Kakteenfelder hinein — Felder von einer solchen Ausdehnung, dass ihr Ende gar nicht zu überblicken war.
Es wurde nun auch rasch dunkel. In der Luft lastete eine drückende Schwüle.
„Es wird ein Gewitter geben“, sagte Jobb und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Eins von den verdammten Llano-Gewittern, bei denen nur selten Regen fällt.“
Felsenherz und Robb nickten nur. Auch die drei Trapper merkten, dass ihre Tiere allmählich durch das anstrengende Waten im Sand ermüdeten. Man ritt jetzt im Schritt. Die Gasse zwischen den gelbgrünen Feldern, die zuerst reichlich hundert Meter Breite gehabt hatte, wurde enger und enger.
Mit einem Mal hielt Felsenherz an und sprang aus dem Sattel, kniete an einer der Stangen nieder und untersuchte den Sand rund um die Stange.
„Freunde“, meinte er dann, sich aufrichtend, „wir sind in eine böse Patsche geraten. Die beiden Reiter haben die Stangen anders gesteckt, haben ihre Verfolger, die Mescalero, täuschen wollen und sie hier in diesen Engpass zwischen die stachligen Wände gelockt, der sicher eine Sackgasse ist. Sie haben dies sehr schlau angefangen, das muss man ihnen lassen! Hier an dieser Stange erkennt man genau, dass sie frisch in den Sand eingegraben worden ist. Kehren wir im Galopp um, bevor etwa die Mescalero uns den Rückweg versperren. Wir dürfen unsere Tiere nicht schonen.“
Robb war jetzt auch abgestiegen und schritt tief gebückt erst am linken, dann am rechten Rand des hier nur dreißig Meter breiten Zwischenraumes zwischen den Kakteenfeldern hin.
„He — Felsenherz, wenn du recht hättest, wenn dies eine Sackgasse wäre und die beiden Reiter die Richtung der Pfähle verändert hätten, dann müssten sie doch aus dieser Sackgasse wieder herausgeritten sein, dann müssten meine beiden leidlich zuverlässigen Sehorgane hier Spuren finden, die am Rand der Felder zurückführen, zumindest verwischte Spuren! Aber — davon ist keine Rede. Überzeuge dich selbst, Landsmann. Noch ist es hell genug dazu!“
Felsenherz wurde stutzig. „Robb, wenn keine Fährten da sind, dann —“ Er suchte nun gleichfalls, vollendete nach Minuten den Satz. „— Dann reiten auch wir weiter! Und — es sind keine Spuren vorhanden! Und doch haben die Reiter die Pfähle anders gesteckt! Das verstehe ich nicht.“
Er nahm seinen Braunen am Zügel und ging auf der nach Osten laufenden Spur langsam weiter.
Die Kakteen selber bedeckten hier Hügel und Täler völlig gleichmäßig. Nirgends war eine freie Stelle außer dieser immer schmaler werdenden Gasse zu sehen. Nur einzelne Felspartien ragten über die gelbgrünen, unabsehbaren Flächen hinaus wie seltsame, düstere Inseln, unerreichbar für jeden Menschen, jedes Tier. Nur die spärlichen Vögel der Llano konnten diese Inseln der Stachelwildnis als Ruheplatz benutzen.
Noch eine Viertelstunde setzten die drei Trapper so den Weg fort. Dann hatte die Gasse wirklich ein Ende, erhob sich vor den dreien auch nach Osten zu dieselbe fast brusthohe Wand der ineinander gewachsenen Kakteenstauden.
Es war mittlerweile völlig finster geworden, es wetterleuchtete im Süden ununterbrochen. Das Gewitter zog herauf, und nur wenn der fahle Lichtschein den südlichen Himmel überflog, konnte man hier in der gefährlichen Sackgasse Einzelheiten erkennen.
„Verdammt!“, murmelte Jobb. „Da sitzen wir ja fein fest! Inzwischen werden die Mescalero uns vielleicht wirklich den Ausweg verlegt haben. Was nun?“
Felsenherz überlegte kurz, sagte dann: „Reitet zurück bis zu dem Dünenkamm, den wir soeben überschritten haben. Dort ist die Gasse kaum zehn Meter breit. Dort können wir uns die Mescalero vom Halse halten. Ich werde derweil trockene Kakteenzweige abschneiden und mir eine Art Fackel herstellen. Die Fährte der beiden Reiter muss doch irgendwo kehrtmachen. Sie können doch nicht durch die Luft davongeflogen sein!“
Jobb und Robb verschwanden.
Der blonde Trapper schnitt mühsam ein paar verdorrte Kakteenzweige ab. Das war wirklich eine schwere Arbeit. Diese Kakteenstauden sind ja so hart, dass sie jedes Messer sehr bald stumpf machen.
Dann holte er sein Präriefeuerzeug hervor und versuchte sie in Brand zu setzen. Es gelang auch. Nun kroch er mit dieser Fackel über den Sand hin, suchte und suchte, musste neue Zweige absäbeln, da die Fackel nicht lange vorhielt, suchte aufs Neue, stellte fest, dass die beiden Reiter an der letzten Stange tatsächlich umgekehrt und nach rechts an den Rand der Gasse hinübergegangen waren, nachdem sie die Hufe ihrer Pferde mit Decken umwickelt hatten.
5. Kapitel.
Die Felsblöcke in den Kakteen.
Die beiden Trumms waren kaum auf dem Dünenkamm angelangt und hatten gerade ihre Maulesel durch einen kurzen Befehl sich hinter der sandigen Anhöhe niederlegen lassen, als der erste Blitz des nahenden Gewitters ihnen schon drei Apachenspäher zeigte, die die Gasse vorsichtig im Schritt entlangkamen.
Der zweite Blitz gab ihnen dann genügend Licht, zwei gut gezielte Kugeln anzubringen. Die Trumms waren ja nun von anderem Schlag als ihr Landsmann Felsenherz. Sie schonten keinen Indianer. Ihnen galt nur ein Gesetz — das der Wildnis. Auge um Auge, Zahn um Zahn!
Und so sanken drüben denn zwei der Späher mit Kopfschüssen lautlos von den Mustangs. Der Dritte riss seinen Gaul herum und jagte davon. Ihm folgten die reiterlosen Tiere ebenfalls in Karriere.
„So!“, meinte Jobb. „Zwei Rotfelle weniger! Robb, wie denkst du eigentlich über das Verschwinden der beiden Reiter?“
„Ich denke, dass du besser den abgeschossenen Lauf deiner Büchse laden und nicht unnötiges Zeug reden solltest!“, knurrte der ältere Trumm. „Wo die beiden geblieben sind, wird Felsenherz schon rauskriegen. Der ist doch so ein wenig klüger als wir, mein lieber Jobb!“
Felsenherz hatte derweil etwa hundert Meter hinter dem Dünenkamm mithilfe einer fünften Fackel herausgefunden, dass die kaum sichtbare Spur der beiden Pferde mit ihren umwickelten Hufen in eine tiefe, aber schmale Ausbuchtung der Gasse einbog und hier im äußersten Winkel dieser Abzweigung plötzlich aufhörte.
Gerade hier zog sich eine Bodenwelle nach Norden hin, und hier wuchsen die Kakteen besonders hoch hinter dieser Bodenwelle, an deren Fuße vielleicht mehr Feuchtigkeit vorhanden war, die das Gedeihen der Pflanzen gefördert hatte.
Felsenherz vernahm jetzt außer dem Grollen des Gewitters auch die beiden Schüsse der Trumms, die fraglos den Apachen gegolten hatten.
Dann zuckte ein ganzes Bündel von Blitzen auf, das für mehrere Sekunden die Umgegend taghell erleuchtete.
So konnte der blonde Trapper denn auch eine Wahrnehmung machen, die höchst eigenartig war. Dort, wo die undeutliche Fährte der beiden Reiter ein Ende hatte, dort also, wo Felsenherz jetzt mit seiner soeben erloschenen fünften Fackel am Boden kniete, gab es am Rande des Kakteenfeldes drei große Stauden, die völlig verdorrt waren. Und unter diesen Stauden erblickte er beim Schein der elektrischen Entladungen eine Fortsetzung der so schwer erkennbaren Fährte unter den Stauden im Sand, wo doch ein Pferdehuf nur hätte hingelangen können, wenn — wenn die Stauden vorher entfernt worden waren.
Felsenherz lächelte flüchtig. Er war hier fraglos einem wichtigen Geheimnis auf der Spur!
Dann fasste er vorsichtig die Wurzel der einen Staude an und konnte den ganzen Busch mühelos herausziehen.
Genau so war dies bei den anderen beiden Stauden möglich, die unterhalb der Bodenwelle nach Osten hin standen.
Ein neuer Blitz zeigte dann dem blonden Trapper, dass die folgenden Stauden in der so entstandenen Bresche ebenfalls verdorrt waren. Auch sie waren mit den Wurzeln nur lose in den Sand eingedrückt worden.
Nachdem er noch acht Stauden so herausgezogen und hinter sich geworfen hatte, enthüllte ihm ein abermaliger Blitz einen schmalen Pfad, der am Fuß der Bodenwelle in nördlicher Richtung weiterlief.
Er befahl seinem Braunen nun, sich niederzulegen. Das edle Tier gehorchte sogleich. Dann kroch er den zwischen den teilweise mannshohen Büschen sich hinschlängelnden Pfad rasch entlang. Nach etwa dreihundert Metern tauchte eine jener Felsinseln auf, die scheinbar unzugänglich über die Kakteen hinauswuchsen. Diese wirre Masse von Steinblöcken hatte eine Höhe von gut zehn Metern und eine Ausdehnung von mindestens zwanzig Meter. Der Pfad endete zwischen zwei enormen Felsblöcken, hinter denen ein dritter lag, den man nach links umgehen konnte.
Als der Trapper so weit vorgedrungen war, hörte er plötzlich ein meckerndes Lachen und dann eine helle Fistelstimme, die auf Englisch sagte: „Die drei Buschklepper und die Mescalero werden sich nun schön die Köpfe zerbrechen, wo wir geblieben sind! Ja, ja, der lange Hilpray traf Euch gerade zur rechten Zeit, Miss! Sonst wäret Ihr jetzt wohl in den Händen der drei Weißen, die es so eilig hatten, uns einzuholen.“
Felsenherz begriff sofort, welche Bedeutung diese Sätze hatten. Der lange Hilpray war ihm ja vom Hörensagen genügend bekannt. Er war ein Trapper, der stets allein jagte, eine Art Sonderling, wie es so viele im Wilden Westen gibt. Und dieser Hilpray hatte ihn und die Trumms für Buschklepper aus der Entfernung gehalten! Aber — wer war die Miss, der Hilpray zufällig begegnet war und die er hier mit in sein Versteck genommen hatte?
Eine Miss — ein Mädchen? Was hatte ein Mädchen hier allein in der Wildnis zu tun?
Da — eine andere, helle, klangvolle Stimme.
„Mister Hilpray, wie soll ich Euch nur danken, dass Ihr Euch meiner sofort in so hochherziger Weise angenommen habt? Ich war ja bereits so erschöpft von der Verfolgung durch die Apachen, dass ich in der nächsten Minute bewusstlos aus dem Sattel gesunken wäre. Dabei bin ich wahrlich kein zimperliches Frauenzimmer. Nein, im Gegenteil, ich bin so in der Wildnis groß geworden und später erst hat mein Vater mich als meine Mutter und meine Geschwister von den Shoshonen oben im Felsengebirge hingemordet worden waren, nach San Francsico gebracht, wo ich zuletzt Turnlehrerin war. Ich bin sehr sportgeübt, schieße recht gut und reite noch besser. Nun, da ich Euch schon so viel von mir erzählt habe, sollt Ihr auch den Rest wissen. Ich habe meinen Namen bisher verschwiegen, und dazu hatte ich besondere Grund. Kennt Ihr vielleicht den Namen Fred Summer?“
„Und ob ich den kenne! Der alte Summer haust ja da drüben jenseits der Llano in einem versteckt liegenden Blockhaus und ist sozusagen mein nächster Nachbar. Seid Ihr etwa seine Tochter, Miss?“
„Ja — das bin ich! Die Tochter des berüchtigten Fred Summer, der in seiner Jugend der schlimmste Pferdedieb und Buschklepper am Missouri war, dann aber durch meine Mutter auf dem rechten Weg gebracht wurde und seine Verfehlungen durch ehrliche Arbeit gesühnt hat! Heute ist er ein alter Mann mit schlohweißem Haar, der nur noch eine Liebe kennt: die zu mir, seinem einzigen Kind!“
„Ah — Fred Summer — Fred Summer!“, meinte der lange Hilpray. „Wie seltsam doch das Schicksal manchmal alte Bekannte wieder zusammenführt, Miss! Dass dort am Big Salt Bach ein Master Summer wohnt, weiß ich ja längst. Aber dass dieser menschenscheue Greis, der jeder Begegnung mit Europäern ausweicht, jener selbe Fred ist, der mir mal das Leben rettete, — wer hätte das gedacht! — Entschuldigt schon, Miss, aber weshalb in aller Welt habt Ihr jetzt nur dieses ungeheure Wagnis unternommen und seid so allein von Frisco —“
Lydia Summer unterbrach ihn.
„Oh — so allein war ich zunächst nicht. Ich hatte mich einem Auswandererzug angeschlossen, der hinab nach Westarizona wollte. Erst seit einer Woche bin ich allein auf mich angewiesen. Was den Grund meines abenteuerlichen Rittes zu meinem Vater angeht, so hat es damit folgende Bewandtnis. Mein Vater hatte mir stets sorgfältig seine unglückselige Vergangenheit verheimlicht. Vor zwei Monaten schickte er dann durch zwei bekannte Westmänner, die jahrelang bei uns verkehrten, als wir noch oben im Felsengebirge lebten, einen Beutel Goldstaub und einen Brief, in dem er mir seine wilde Jugend offenbarte und zugleich von mir Abschied nahm, da er merkte, dass seine Kräfte immer mehr nachließen. Als ich dieses Schreiben gelesen hatte, waren die beiden Trumms bereits wieder in die Wildnis unterwegs. Sie blieben nur ganz kurze Zeit bei mir, denn sie fühlen sich in einer Stadt nicht recht wohl und fürchteten fraglos auch, ich könnte sie bitten, dass sie mich mitnehmen sollten. Ich hatte ihnen noch einen bereits fertigen Brief an meinen Vater ausgehändigt. Wie ich dann das Schreiben meines Vaters nochmals überflogen hatte, überkam mich die Sehnsucht nach ihm. Ich wollte ihm beweisen, dass ich ihn noch genau so liebte wie bisher, traf schnell meinem Reisevorbereitungen und verließ Frisco. So, Master Hilpray, nun wisst Ihr alles —“
„Ja — und nun freue ich mich doppelt, dass ich an Fred Summers Tochter das gutmachen konnte, was er einst für mich getan hatte, Miss! Wir werden hier in meinem Versteck jetzt so lange bleiben, bis die drei Buschklepper und die verdammten Mescalero sich gegenseitig die Hälse aufgeschnitten haben oder mit langer Nase abgezogen sind. Hier vermutet uns niemand, hier sind wir ganz sicher. Vorhin die beiden Schüsse sind übrigens der beste Beweis dafür, dass die Buschklepper und die Apachen bereits aneinandergeraten sind. Ich werde jetzt mal nachschauen, wie es draußen steht. Das Gewitter scheint nach Westen abzuziehen. Schade, dass es keinen Regen gegeben hat. Na — Wasser für uns und die Pferde haben wir noch für drei Tage. Inzwischen werden die Banditen draußen längst verschwunden sein. Noch eins, Miss. Die beiden Trumms kenne ich persönlich. Und jetzt, wo Ihr mir sagtet, sie seien in Frisco gewesen und hätten einen Brief an Euren Vater zu bestellen, ist mir eingefallen, dass zwei der Buschklepper recht klein waren. Vielleicht habe ich infolge der weiten Entfernung gar die beiden Trumms für Desperados gehalten! Das wäre ein Spaß! Jedenfalls will ich dies jetzt mal feststellen. Entschuldigt mich also, Miss. Ich bin nach einer halben Stunde wieder hier.“
6. Kapitel.
Der Tod des Großen Bären.
Er erhob sich von dem Graslager, das sich unter einem oben weit vorspringenden, dachähnlichen Steinblock befand.
Im selben Augenblick zuckte ein letzter Blitz des fernen Gewitters auf und zeigte ihm eine hohe, schlanke Gestalt, die soeben in dem schmalen Zugang dieses Schlupfwinkels erschienen war.
„Bleibt nur hier, Master Hilpray“, sagte der Fremde ruhig. „Ihr habt ganz recht. Es sind die beiden Trumms! Und ich bin der dritte — Buschklepper!“
Er lachte leise und gutmütig und fügte hinzu: „Man nennt mich hier in der Wildnis Felsenherz, den Trapper. Wir drei folgten Euch nur, um Euch vor den Mescalero zu beschützen.“
Der lange Hilpray, in der Tat ein endlos langer, dürrer Mensch mit scharfer Hakennase, streckte Felsenherz sofort freundlich die Hand hin.
„Willkommen, Master. Ihr habt uns nach Westmannsart belauscht. Da wisst Ihr ja Bescheid. Dort sitzt Miss Stummer. Es ist verdammt dunkel hier. Aber ein Feuer dürfen wir nicht anzünden. Nun sagt mir nur, wie Ihr den Zugang zu meinem Versteck gefunden habt?“
„Davon später“, meinte Felsenherz ernst. „Folgt mir, Master. Wir wollen die beiden Trumms nicht allein lassen —“
Beide Männer schritten dann eilends den schmalen Pfad hinab.
Als sie in die Gasse zwischen den Kakteenfeldern einbogen, hörten sie abermals zwei Schüsse, dann wieder zwei.
Sie begannen jetzt zu laufen.
Und abermals zwei hellere Knalle — aus den Pistolen der beiden Trumms, die jetzt von einer ganzen Schar von Apachen angegriffen worden waren.
Felsenherz und Hilpray kamen gerade noch zur rechten Zeit.
Die Mescalero hatten sich bereits mit der Abteilung des Großen Bären vereinigt, und dieser trieb jetzt seine Krieger ohne Rücksicht auf Verluste vorwärts, nachdem er von den Mescalero gehört hatte, dass Felsenherz hier in der Sackgasse der Kakteen mit eingeschlossen war.
Der blonde Trapper feuerte sofort mitten in den dunklen Schwarm der Andringenden hinein — feuerte alle vier Kugeln seiner beiden Büchsen ab. Da auch der lange Hilpray eine Doppelflinte besaß, da auch seine Schüsse ein paar Angreifer niederwarfen, fluteten die Apachen nach Verlust von zehn Toten und Verwundeten zurück.
„Rasch — holt Eure Reittiere!“, rief Hilpray jetzt den Trumms zu. „Wir können uns hier nicht halten! Führt sie durch die Kakteen zu den Felsen! Ich werde dafür sorgen, dass die rote Bande schleunigst verduftet! Auch für solche Fälle bin ich vorbereitet!“
Felsenherz und die Trumms zögerten nicht einen Moment. Sie sahen ein, dass der lange Hilpray recht hatte. Wenn der Große Bär, dessen wütende Stimme vorhin deutlich vernehmbar gewesen war, seine Krieger nochmals vortrieb und den Angriff zu Pferde unternehmen ließ, wären die vier Männer fraglos überrannt worden.
Der blonde Trapper wartete am Eingang des schmalen Pfades, bis die Trumms ihre Maulesel geholt hatten. Dann zeigte er ihnen den Weg, ließ sie vorangehen und band den Zügel seines Braunen am Sattel von Jobbs Finni fest, blieb zurück und fragte Hilpray, ob er ihm irgendwie helfen könne.
„Steckt ein paar trockene Kakteenstauden drüben in Brand!“, rief der lange Trapper zurück.
Was dieser da zeigt Schritt weiter vorn tat, konnte Felsenherz in dieser Finsternis, die nicht einmal mehr durch einen Blitz erhellt wurde, nicht erkennen.
Bald flammten denn auch ein paar Stauden, die der blonde Trapper durch Befühlen der Blätter als vertrocknet herausgefunden und ausgerissen hatte, knisternd hoch.
„Gut so!“, kam Hilprays Stimme aus der Dunkelheit herüber. „Nun her mit dem brennenden Zeug!
Und Felsenherz nahm die lodernden Sträucher und lief zu dem langen Jäger hin, sah nun, dass dieser in dem Engpass einen ganzen Wall von Stauden aufgeschichtet hatte.
„Nun gebt acht“, meinte Hilpray lachend. „Diese Stauden hatte ich mir längst für die Stunde der Not zurechtgelegt. Der Wind kommt von Norden. Werft die Brandfackel nur in den Haufen hinein! Ihr werdet Euer blaues Wunder erleben. Denn dort die ganze linke Seite der Gasse besteht ans Stauden, die ich durch Messerschnitte in das Stammende zum Absterben gebracht habe —“
Felsenherz schleuderte die lohenden Büsche in den Haufen.
Und im gleichen Augenblick ertönte von Westen her auch schon das Angriffsgeheul der Apachen.
Im Schein der brennenden Kakteen, die mit Zischen und Fauchen aufloderten und grelle Lichtstreifen in die Finsternis schickten, erschienen daherrasende Pferdeleiber, deren Reiter sich an den Schweifen festhielten und zu Fuß hinterherrannten.
Eine dicht gedrängte Phalanx von Rossen stürmte heran — eine lebende Welle, die alles vor sich zu erdrücken drohte.
Noch fünfzehn — noch zehn Meter.
Dann legte Felsenherz die Jaguar-Büchse an die Schulter, zielte, drückte ab.
Auch Hilpray hatte seine Büchse nach alter Trappersitte längst wieder geladen.
Auch er war seines Schusses sicher, zielte auf die Stirnen der Mustangs.
Zwei Feuerstrahlen — zwei weitere Pferde der Angreifer brachen wie vom Blitz getroffen zusammen.
Vier Gäule wälzten sich am Boden, ließen den Ansturm ins Stocken geraten.
Da — ein starker Windstoß fachte die Glut noch mehr an. Das Feuer sprang auf die abgestorbenen Stauden am südlichen Rand der Gasse über.
Mit seltsamen Lauten flammten auch hier die Pflanzen auf. Die trockenen Fruchtknollen platzten mit hellem Knall.
Die Apachenmustangs waren nicht mehr vorwärtszubringen, machten kehrt.
Hinter ihnen leckten die hüpfenden Flammen, vereinigten sich zum breiten Fetterbrand, fraßen weiter und weiter, sandten ihre Glutwellen vor sich her, trieben den Großen Bär mit all seinen Kriegern in die Flucht.
Der lange Hilpray wandte sich Felsenherz zu.
„So, nun müssen wir den Zugang zu meinem Versteck verschließen“, meinte er triumphierend. „Für eine Stunde sind wir unbelästigt. Das reicht hin, alle Spuren zu tilgen, die uns verraten könnten. Helft mir, die Fährten auszulöschen, die in den engen Pfad führen.“
Felsenherz erschien all dies kaum genügend, die Aufmerksamkeit der Apachen von dem Schlupfwinkel abzulenken.
„Die Rothäute werden fraglos ahnen, dass es hier einen Pfad durch das Kakteenfeld gibt, wenn sie uns nachher nicht finden“, meinte er zögernd, da er bereits vermutete, dass Hilpray noch weitere Mittel besaß, die Apachen irrezuführen.
„Oh, sie werden ja am Ende der Sackgasse auch wirklich so einen Pfad finden“, sagte der lange Trapper ganz stolz. „Es ist ein natürlicher Pfad, vorn nur durch vier Stauden verschlossen. Er läuft im Bogen wieder nach Osten zu. Vorwärts — bringt hier die Stauden wieder an ihre alte Stelle, Master, pflanzt sie ein, glättet den Sand mit den Händen. Ich werde dort am Ende der Sackgasse den Boden gehörig zerstampfen.“
Inzwischen hatten die Trumms zwischen den Steinblöcken, wo auch mehrere Pferde sehr bequem Platz hatten, mit Lydia Summer ein überraschendes Wiedersehen gefeiert.
Der dicke Jobb konnte sich gar nicht beruhigen, dass das junge Mädchen so waghalsig gewesen und seit einer Woche allein durch die Wildnis gen Osten geritten war.
„Lydia, Kind“, meinte er vorwurfsvoll, „wie konntest du nur so leichtsinnig sein! Wenn dich die Mescalero erwischt hätten, dann —“
„— dann würde die letzte Kugel aus meiner Büchse mich selbst getroffen haben!“, erklärte die junge Frau ernst. „Ihr beide, Onkel Robb und Jobb, hättet mich ja doch nicht mitgenommen, selbst wenn Ihr noch da gewesen wäret, als ich meines Vaters Beichte las.“
„Wir sollten dich nicht mitbringen“, brummte Robb nun. „Vater Summer hatte es uns streng verboten. Er wollte dir nicht mehr unter die Augen treten. Er schämte sich wohl vor dir, Lydia! Nun — jetzt wird er sich um so mehr freuen —“
Bald erschienen dann auch Felsenherz und der lange Hilpray in dem Versteck.
Man beschloss, dass man abwechselnd wachen wolle. Auf dem höchsten der Steinblöcke gab es eine muldenartige Vertiefung, in der ein Mann sich recht gut verbergen konnte. Von da aus hatte man eine weite Fernsicht und konnte alles beobachten, was die Apachen unternehmen würden.
Felsenherz verlangte, dass er die erste Wache bis Mitternacht bekäme. Die anderen waren einverstanden. Er erklärte dann, er würde zunächst auf dem schmalen Pfad bis an die den Zugang verdeckenden Stauden vorschleichen. Er nahm die Jaguar-Büchse mit und machte sich lautlos davon.
Dann lag er hinter den abgestorbenen Kakteenstauden und horchte angestrengt in die Nacht hinaus.
Das Feuer war bereits im Erlöschen. Der Mond hatte sich hinter der südlichen Wolkenbank hervorgearbeitet und übergoss mit bläulichem Schein die endlose Llano-Wüste.
Eine halbe Stunde verstrich.
In der Gasse draußen waren das Knarren von Sätteln dumpfe Huftritte zu hören.
Vier Apachenspäher ritten langsam, tief auf die Hälse ihrer Mustangs gebückt, vorüber.
Kaum acht Meter trennten den blonden Trapper von der Gasse zwischen den Stachelfeldern.
Und nun ein einzelner Apache — ein wahrer Riese mit Adlerfedern in der Skalplocke, mit Ketten von Bärenkrallen um den Hals: der Oberhäuptling — der Große Bär!
Er folgte den vier Spähern.
Seine nie schlummernde Rachgier trieb ihn vorwärts. Kein anderes Bleichgesicht hasste er so wie den blonden Trapper, der ihm bisher stets entwischt war, der ihm auch die Plünderung der reichen Hazienda im Süden vor einem Monat unmöglich gemacht hatte. (Vergl. Band 9 Die belagerte Hazienda)
Seine Rachgier machte ihn unvorsichtig, ließ ihn auch heute manches übersehen, was ihn hätte warnen sollen. Sein Mustang von bester indianischer Dressur hatte Felsenherz gewittert, blieb stehen, wieherte leise, drehte den Kopf nach links — dorthin, wo der Pfad begann und der Trapper verborgen lag.
Der Große Bär musterte zwar argwöhnisch, aber nur stachlig das weite, mondscheinhelle Kakteenfeld.
Daun drängte er den Gaul weiter vorwärts.
Sehr bald kamen die vier Späher mit dem Oberhäuptling vom Ende der Sackgasse zurückgeritten. Der Große Bär erteilte einige Befehle.
Felsenherz verstand das Wort Fackeln.
Die vier Späher trabten weiter, während der Große Bär an derselben Stelle, wo sein Mustang sich so auffällig benommen hatte, absprang.
Abermals wieherte der Indianergaul warnend. Der Große Bär merkte, dass hier ein Feind in der Nähe sei, spannte die einläufige Flinte und blickte sich nach allen Seiten um.
Felsenherz hielt es für ratsam, eine Strecke zurückzukriechen, damit der Mustang seine Witterung verlöre.
Nach fünfzig Metern etwa blieb er wieder liegen.
Der Oberhäuptling, mit den Eigentümlichkeiten der Llano gut vertraut, hatte bereits gesehen, dass gerade hier, wo sein Pferd so deutliche Zeichen von Unruhe gegeben hatte, eine Menge vertrockneter Kakteenstauden stand.
Er beugte sich herab, betastete die Wurzel der einen Staude, zog sie heraus.
Er spürte dabei, dass sie nur lose in den Sand eingegraben gewesen war.
Er riss eine zweite, dritte Staude heraus.
Felsenherz hatte längst die Gefahr erkannt, hatte sehr wohl bemerkt, dass der Apachenhäuptling nahe daran war, das Geheimnis dieses Verstecks zu entdecken. Hier gab es kein Zaudern, hier durfte der blonde Jäger nicht schonend mit einem Menschenleben umgehen, hier galt es, die Sicherheit der drei Gefährten und des wackeren Mädchens zu bewahren.
Er kroch wieder vorwärts, nahm den Tomahawk in die Rechte.
Der Große Bär hatte soeben wieder zwei Stauden entfernt. Er wusste bereits, dass sie einen Pfad verdeckt haben mussten. Er ahnte, dass die Bleichgesichter dort mitten im Kakteenfeld einen Schlupfwinkel hatten.
Da — eine Gestalt richtete sich kaum drei Meter entfernt jenseits der letzten Kakteen auf, die noch den Zugang markierten.
Das Mondlicht fiel dem blonden Trapper gerade ins Gesicht.
Der Große Bär wollte die Flinte emporreißen. Hass und Mordgier sprühten aus seinen Augen.
Eine blitzartige Armbewegung des schlanken Westmannes.
Ein Tomahawk traf den Apachen mitten vor die Stirn. Mit einem Ächzen fiel der Große Bär sterbend nach vorn über die stachligen Büsche.
Im Nu hatte Felsenherz dann die Leiche geborgen, hatte den Mustang des toten Häuptlings fortgescheucht, hatte die Kakteenstauden wieder an die alte Stelle gebracht und die auffälligen Spuren im Sand beseitigt.
Schon näherten sich dreißig bis vierzig Apachen zu Fuß mit Fackeln in den Händen.
Sie schritten vorüber, dem Ende der Sackgasse zu.
Felsenherz schleppte den toten Häuptling bis zwischen die Steinblöcke, erkletterte den höchsten, beobachtete, wie drüben die Apachen immer unruhiger den Großen Bären suchten.
Mitternacht war vorüber. Neben Felsenherz lag jetzt auf dem Steinblock noch Robb Trumm. Die Apachen hatten den anderen Pfad entdeckt. Das Licht der Fackeln irrte durch das Kakteenfeld nach Osten zu.
Der Morgen nahte. Abermals ritten Apachenspäher durch die Gasse der Stachelfelder, noch immer nach dem verschwundenen Häuptling forschend. Bis gegen Mittag tauchten stets neue Späher auf.
Dann zog die ganze Apachenabteilung plötzlich fluchtartig ab.
Kaum zehn Minuten später kam ein einzelner Reiter in voller Karriere die Gasse entlanggesprengt, ein Indianer mit wehendem schwarzen Haar, mir reichem Federschmuck, mit offenem, energischem Gesicht.
Einen Rappen ritt er, ein prachtvolles Tier, eines jener edlen Pferde, wie sie nur der Komanchenstamm züchtet.
Und der Reiter war ein Comanche — war Chokariga, der berühmte Häuptling, Chokariga, der Schwarze Panther, der Freund und Bruder des blonden Trappers.
Hinter ihm aber erschienen bald weitere Reiter, gegen zweihundert Krieger, Komanchen, vor denen die Apachen schleunigst geflohen waren.
Felsenherz sprang auf, schwenkte von der Höhe des Steinblocks den breiten Schlapphut, rief Chokarigas Namen.
Gleich darauf standen die beiden berühmten Westmänner vor der Leiche ihres alten Feindes, des Großen Bären.
„Er soll begraben werden, wie es einem tapferen Krieger gebührt“, sagte Chokariga ernst zu Felsenherz.
„Dort drüben in den Bergen werden wir ihn bestatten mit all seinen Waffen, sitzend, das Gesicht der aufgehenden Sonne zugekehrt.“
So geschah es.
Eine Woche später konnte dann der alte Vater Summer sein einziges Kind jubelnd in die Arme schließen, die unter dem Schutz von zweihundert Komanchen und fünf der besten Westläufer ihm zugeführt worden war.
Hiermit endet die Geschichte dieses Abenteuers unseres Helden Felsenherz, der ich den Titel Die beiden Trumms gegeben habe.
Der Leser wird Robb und Jobb nochmals begegnen, und zwar im folgenden Band, in