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Felsenherz der Trapper
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Elisabeth-Ufer 44
Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin
Felsenherz, der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten
erzählt von
Kapitän William Käbler.
Heft: 28
Erstes Kapitel
Der Rio Benuto ist nur ein bescheidener Nebenfluß des großen Arkansasstroms, besitzt jedoch so fruchtbare und romantische Uferpartien, daß eine Schar deutscher und holländischer Auswanderer, die im Vertrauen auf ihre guten Büchsen kühn in das Indianergebiet des Wilden Westens von Nordamerika eingedrungen waren, sich am Rio Benuto niederließen und ihre Ansiedlung auch in wenigen Jahren zu ungeahnter Blüte brachten. Mit den benachbarten Osagen lebten sie in Frieden, da sie freiwillig einen aus Blei, Pulver und bunten Stoffen bestehenden jährlichen Pachtzins für das von ihnen besetzte Gebiet am Rio Benuto zahlten.
Sie hatten die Niederlassung nach dem Ältesten der Auswanderer, einem Holländer, Draakensberg getauft. Diese bestand aus einigen zwanzig Blockhütten, die sämtlich auf einem bewaldeten steilen Berg dicht am Fluß erbaut waren. Der Berg hatte nur einen einzigen Zugang von Süden her, wo die Felswand in Terrassen anstieg. Diese Terrassen waren zu einem Serpentinenweg umgewandelt worden.
Die Getreidefelder und Weideflächen zogen sich in nächster Nähe am Fluß hin.
An einem warmen Augusttag näherte sich der Ansiedlung ein plumper großer Wagen, der von acht Pferden gezogen und von einer Schar von gut bewaffneten Reitern begleitet wurde.
Dem Zug ritten drei Männer voraus, von denen der eine ein Indianer, der Haartracht und dem Adlerfederschmuck nach ein Häuptling war. Die beiden anderen waren ihrem Anzug und ihrer Bewaffnung nach Trapper.
Der Reisewagen gehörte einem Trupp von Goldgräbern, die im Felsengebirge monatelang das edle Metall mühsam aus dem Geröll eines Baches gewonnen hatten und dann nach Osten zu in zivilisierte Gegenden mit der Ausbeute ihrer Arbeit hatten heimkehren wollen. Unterwegs in den Prärien am Kimarron-Fluß wären sie jedoch beinahe durch Apachen hingemordet worden, wenn nicht der berühmte Trapper Felsenherz und seine beiden Freunde, der Komanchenhäuptling Chokariga und der Fallensteller Tom Einaug sie gerettet hätten. (Vgl. Bd. 27)[1].
Diese drei bekannten Westmänner waren es auch, die dem Wagen vorausritten und nun am Fuß des Draakensberges zuerst die rasch zusammengeströmten Ansiedler begrüßten und für einige Tage um Unterkunft baten.
Der alte Holländer Pieter Draaken bewillkommnete die Reisenden aufs Freundlichste und bat die drei Westmänner, in seiner eigenen Blockhütte seine Gäste zu sein, während die Goldsucher von anderen Ansiedlern aufgenommen wurden.
Als der Anführer der Goldgräber, ein gewisser Ben Rallay, den alten Draaken dann fragte, ob man die vier Ledersäcke mit Goldkörnern, die in dem Wagen lagen, nicht besser mit nach oben auf den Draakensberg nehmen sollte, erklärte der würdige Greis mit Stolz, daß es hier keine Diebe gäbe und das Gold hier unten im Wagen ebenso sicher sei wie oben in einer der Blockhütten.
Der Tag verging den drei Westmännern im Kreis der Familie Draakens sehr schnell. Man besichtigte die Felder und die Viehweiden, die durch einen Wasserfall getriebene Sägemühle und manches andere.
Felsenherz war erstaunt, was die Ansiedler hier alles mitten in der Wildnis geschaffen hatten.
Als er von dem alten Draaken dann wissen wollte, wie die Ansiedler mit den benachbarten Osagen sich vertragen, verfinsterte sich das weißbärtige Gesicht des Holländers etwas.
„Bisher waren wir mit den roten Spitzbuben gut Freund“, erwiderte er. „Gestern nun, als wir ihnen wieder den sogenannten Pachtzins für ein halbes Jahr entrichten wollten, schickten sie unsere jungen Leute jedoch zurück und verlangten das Doppelte an Pulver und Blei, außerdem zehn Doppelbüchsen. Ich will nun morgen selbst zu den Osagendörfern hinüberreiten, die nach Süden zu am Bisam-Bach liegen, und die Rothäute zur Vernunft bringen. Ich begreife nicht, was so plötzlich in sie gefahren ist.“
Der Alte und Felsenherz hatten jetzt gerade auf ihrem Spaziergang einen hohen Uferfelsen des Benuto erreicht, von wo aus sie das etwa vierzig Meter breite Flüßchen und die Felder sowie den Draakensberg bequem überblicken konnten.
Der blonde hünenhafte Trapper war entzückt über das abwechslungsreiche Landschaftsbild, das sich im Glanz der bereits niedergehenden Sonne seinen Augen darbot.
Dann bemerkte er nordwärts eine schmale steinige Halbinsel, die sich wie ein dunkler Strich mit ihrem Baumwuchs von Riesentannen in den Fluß hineinschob. An der Spitze der Halbinsel erkannte er eine kleine Blockhütte, aus deren Schornstein Rauch emporstieg.
„Wer wohnt denn dort, Mr. Draaken?“, fragte er den alten Holländer, indem er die Augen halb zukniff, um schärfer sehen zu können. Er hatte da soeben neben der Blockhütte zwischen den Tannen eine Gestalt erspäht, fraglos einen Indianer, der jedoch wieder verschwunden war.
Draaken seufzte und erwiderte ärgerlich: „Ja, dort haust der einzige Mensch, der nicht so recht zu uns anderen paßt. Es ist ein halber Gelehrter, Mr. Felsenherz, einer, der Pflanzen, Steine und Käfer sammelt. Vor einem halben Jahr kam er hierher und ließ sich in die Ansiedlung aufnehmen. Zuerst war er recht zugänglich, dieser Harry Bleec. Jetzt, nachdem er sich seine Hütte dort auf der Halbinsel errichtet hat, lebt er ganz für sich allein mit seinen beiden großen Bluthunden. Er hat sich als ein finsterer, unfreundlicher Geselle entpuppt, den wir gern wieder los sein möchten. Ich weiß nicht: Der Mensch hat für mich etwas Unheimliches!“
Felsenherz hatte gespannt zugehört. Er verheimlichte jedoch sein Interesse für diesen Harry Bleec und fragte scheinbar gleichgültig: „Kommen die Osagen häufiger hier zu der Ansiedlung?“
„Seit Monaten hat sich keiner blicken lassen. Wir sehnen uns auch nicht nach ihnen. Sie stehlen wie die Raben, diese Osagen.“
Chokariga, der schlanke Komanchenhäuptling mit dem edel geschnittenen Gesicht, war plötzlich neben den beiden erschienen. Er hatte sich vorhin von ihnen getrennt, war zurückgeblieben.
Auf seine lange Doppelbüchse gelehnt ließ er schweigend seine Blicke in die Runde schweifen.
Felsenherz’ Mißtrauen gegen diesen Bleec war noch gestiegen.
„Was treibt dieser Gelehrte denn hier“, fragte et nach kurzer Pause wieder.
„Ich sagte es ja schon: Er durchstreift die Umgegend und sammelt allerlei zwecklose Dinge, Mr. Felsenherz. Man bekommt ihn jedoch sehr selten zu Gesicht.“
„Ist er mit den Osagen befreundet?“
Draaken schüttelte eifrig den Kopf. „Im Gegenteil. Er haßt die Rothäute wie die Sünde!“
Da mischte sich Chokariga, der Schwarze Panther ein, in dem er gleichmütig sagte: „Das Blaßgesicht, das dort auf der Halbinsel wohnt, schlich uns vorhin nach. Chokariga bemerkte es und verbarg sich, folgte dem Blaßgesicht dann. In einem Dickicht vor der Halbinsel traf es mit drei Osagenkriegern zusammen, von denen der eine der Osagenhäuptling Patakoma, der Springende Bär, war.“
Draaken starrte den Komanchen ungläubig an.
„Ihr meint also, Häuptling, daß Bleec mit den Osagen doch befreundet ist?“, rief er zögernd.
Chokariga nickte. „Was sie miteinander sprachen, konnte ich nicht verstehen. Aber das Blaßgesicht nahm die drei dann mit zu seiner Hütte.“
Felsenherz erzählte jetzt dem Komanchen, was er soeben von Draaken erfahren hatte, daß die Osagen den Pachtzins diesmal zurückgewiesen und weit mehr verlangt hätten. Er fügte hinzu: „Ich möchte Euch ja nicht gerade unnötig ängstigen, Mr. Draaken. Aber ich rate Euch doch, jetzt recht vorsichtig zu sein. Es hat fraglos etwas zu bedeuten, daß die Osagen den Pachtzins ablehnten. Die Osagen sind als falsch und hinterlistig bekannt.“
Auch der Komanche erklärte noch: „Patakoma, der Springende Bär, hat vor zwei Monaten zwei Krieger meines Stammes erschossen und deswegen an die Komanchen einen Tribut von zwanzig Flinten zahlen müssen. Die Blaßgesichter tun gut, den Rat meines Bruders Felsenherz zu befolgen und auf ihrer Hut zu sein. Chokariga wird die Ansiedlung auch sofort verlassen, damit die Osagen nicht etwa, um mich zu fangen, den Draakensberg angreifen.“
Der alte Holländer sah sehr wohl ein, daß diese gut gemeinten Warnungen nur zu berechtigt waren.
Man kehrte sofort zur Ansiedlung zurück. Draaken berief die ältesten Männer zur Beratung zusammen, an der auch Felsenherz und der einäugige Trapper Tom, stets Tom Einaug genannt, teilnahmen, während Chokariga bereits seinen Rappen gesattelt und davongeritten war, nachdem er mit seinem weißen Bruder Felsenherz noch vereinbart hatte, wo sie sich nachher treffen wollten. Nach des blonden Trappers Vorschlag sollten die Ansiedler für die nächste Zeit jedenfalls bis zu einer friedlichen Einigung mit den Osagen, die Niederlassung Tag und Nacht durch mehrere Wachen schützen. Felsenherz versprach noch, selbst aufklären zu wollen, was es mit der Freundschaft Harry Bleecs und der Osagen auf sich hätte. Dann verabschiedete auch er sich von den dankbaren Männern und verließ in Begleitung von Tom Einaug die blühende Niederlassung nach Westen zu.
Zweites Kapitel
Die Nacht war bereits angebrochen. Die beiden Trapper ritten in flottem Trab in die weite Prärie hinein, schauten sich mehrfach um, ob auch niemand ihnen nachschliche, und bogen dann scharf nach Norden ab.
In einer Stunde hatten sie sich in großem Bogen dem Rio Benuto wieder genähert und waren jetzt vom Fluß nur noch durch einen breiten Waldstreifen getrennt.
Als sie jetzt an diesem Waldrand entlang trabten, hörten sie links in der offenen Savanne plötzlich zwei Schüsse. Sie zügelten ihre Tiere sofort und der blonde Trapper flüsterte Tom Einaug hastig zu: „Wartet hier, Tom! Ich will einmal nachschauen, was dort vorgefallen ist!“
Er reichte ihm den Zügel seines hochbeinigen Fuchses und war gleich darauf im hohen Präriegras verschwunden. Die beiden Schüsse waren nach seiner Schätzung in etwa zweihundert Meter Entfernung gefallen.
Sehr bald tauchte denn auch vor Felsenherz eine dunkle, hohe Baumgruppe auf. Bevor er sie erreichte, mußte er noch einen Bach mit steinigem Bett durchwaten, der sich an den Bäumen vorbei schlängelte.
Dann hatte er die ersten Büsche erreicht. Da der Mond noch nicht aufgegangen war, konnte er nur wenige Schritte weit die nächste Umgebung erkennen. Aus Vorsicht begann er jetzt zu kriechen.
Plötzlich machte er halt.
Ein dumpfes Stöhnen war an sein Ohr gedrungen – offenbar die Schmerzensäußerungen eines verwundeten Menschen.
Lautlos schob er sich weiter vor, bis er neben einer alten Eiche eine dunkle Gestalt am Boden bemerkte.
Er blieb jetzt regungslos liegen. Da sich jedoch nichts Verdächtiges zeigte, kroch er näher an den Verwundeten heran, der wiederholt versucht hatte sich aufzurichten.
Felsenherz sah jetzt, daß er einen der Ansiedler vor sich hatte, einen älteren Deutschen namens Hoffner, der vorhin ebenfalls an der Beratung teilgenommen hatte.
„Landsmann, was ist geschehen?“, flüsterte Felsenherz der ja selbst ein gebotener Deutscher war.
Hoffner keuchte mühsam: „Ah … Ihr seid’s, Felsenherz! Ich … wurde … von hinten erschossen. Zwei Kugeln … durch die Brust! Mit mir … ist aus …“
Er schwieg erschöpft.
Der Trapper nahm ihn vorsichtig in die Arme.
„Ich werde Euch rasch verbinden – dort am Bach, wo ich frisches Wasser zur Hand habe“, meinte er mitfühlend.
Hoffner erwiderte kaum verständlich: „Nein … nein! Laßt mich hier sterben! Flieht! Es sind … Osagen in der Nähe! Warnt die anderen in der Ansiedlung und bestellt ihnen, daß sie die … Erben meines – Geheimnisses sein sollen …“
Ein Blutstrom schoß ihm aus dem Mund hervor. Felsenherz erkannte, daß hier jede Hilfe umsonst war. Er legte den Sterbenden wieder in das weiche Moos und fragte eindringlich:
„Landsmann, welcher Art ist Euer Geheimnis? Wer ist Euer Mörder?“
„Weiß … nicht, … wer“, gurgelte der Farmer mit letzter Kraft hervor. „Mein … Geheimnis … der Bach dort … die Höhle, wo … die geknickte Tanne … steht. Habe niemandem … verraten, was ich … fand, bin immer …“
Ein neuer Blutsturz erstickte jedes weitere Wort.
Der starke Körper des kräftigen Mannes bäumte sich im Todeskampf nochmals hoch.
Dann hatte Karl Hoffner, der Junggeselle und Farmer, ausgelitten.
Felsenherz wollte sich wieder erheben.
Da sprang ihn plötzlich von hinten ein Tier an, warf ihn zu Boden.
Er fühlte scharfe Zähne im Genick.
Hörte das Keuchen der Bestie, hörte auch eine leise Stimme: „Zurück, Troll – zurück! Loslassen, verdammtes Vieh – loslassen!“
Der große gelbe Bluthund gehorchte.
Eine Hand legte sich Felsenherz auf die Schulter.
„Steht auf, Mann!“, sagte dieselbe Stimme.
Der Trapper sprang auf die Füße.
Vor ihm stand ein hagerer bartloser Mensch in Farmertracht, auf dem Rücken eine Art Rucksack, in der Hand aber einen dicken, selbst geschnittenen Spazierstock. Zwei riesige Hunde befanden sich dicht neben ihm.
„Mein Name ist Bleec“, sagte der Fremde. „Entschuldigt, daß mein Troll Euch so hart anpackte. Was ist hier vorgefallen?“, fügte er leicht erregt hinzu. „Das ist ja Hoffner! Karl Hoffner aus unserer Ansiedlung! – Mann, wer seid Ihr? Habt Ihr etwa die beiden Schüsse abgefeuert, die mich hierher lockten?“
„Man nennt mich Felsenherz, Mister Bleec“, entgegnete der Trapper. „Ich brauche Euch wohl nicht zu versichern, daß ein anderer, nicht ich, Hoffner niederschoß.“ Dabei blickte er Bleec durchdringend an, daß dieser rasch den Kopf zur Seite wandte und sich mit, seinen beiden Bluthunden zu schaffen machte, die jetzt den Leichnam beschnupperten.
Die gelben Bestien waren fraglos Abkömmlinge jener Tiere, die in den Sklavenstaaten zur Jagd auf flüchtige Negersklaven benutzt wurden. Ihre breite Brust und der ganze Körperbau verrieten ebenso viel Kraft wie Gewandtheit.
Diese Bluthunde haben eine noch feinere Nase als der beste Jagdhund. Selbst eine schon mehrere Tage alte Spur verfolgen sie mit unfehlbarer Sicherheit.
„Legt Euch, Troll und Jack!“, befahl Bleec jetzt. Die Bestien knurrten, aber gehorchten doch. Sie schienen ihren Herrn nicht gerade zu lieben.
Felsenherz sagte dann zu Bleec, der sich nun tief über den Toten gebeugt hatte: „Ich werde Hoffner in die Ansiedlung bringen. Seid Ihr auf dem Heimweg, Master? Ich weiß Ihr wohnt auf der Halbinsel im Rio Benuto.“
Bleec erhob sich. „Stimmt – auf dem Heimweg! Habe Käfer gesammelt und einige Nachtkröten gefangen. – Ihr scheint ja in Draakensberg gut bekannt zu sein. Nun – mit mir haben die Ansiedler leider nicht viel im Sinn. Ich bin ihnen zu gelehrt!“
Die beiden Bluthunde waren plötzlich unruhig geworden, richteten sich halb auf und knurrten leise.
„He – was gibt’s denn, Troll und Jacks! Legt Euch!“
Er bedrohte sie mit dem Stock, worauf sie sich wieder niederlegten.
Felsenherz fiel jetzt die Warnung des toten Farmers ein.
„Hoffner hatte noch so viel Kraft, mir zuflüstern zu können, daß Osagen in der Nähe seien“, meinte er, indem er sich argwöhnisch umschaute und sich die Büchse schußbereit in den Arm hängte.
Harry Bleec lachte ironisch. „Osagen?! Wie sollten die hierher kommen? Ist ja Unsinn! Ich behaupte, daß Hoffners Mörder einer jener Landstreicher ist, wie sie jetzt ja leider nur zu häufig die Grenzniederlassungen heimsuchen, weil ihnen der Boden in den größeren Städten zu heiß geworden ist.“
Der blonde Trapper wußte nun, was er von diesem Bleec zu halten hatte. Gerade der Umstand, daß Bleec die Anwesenheit von Osagen hier in der Nähe der Ansiedlung abzuleugnen suchte, bewies, daß er mit den Rothäuten unter einer Decke steckte, und das Knurren der Bluthunde soeben verriet nun Felsenherz gleichfalls, daß er in ernstester Gefahr schwebte und sogar wahrscheinlich schon umzingelt war, was Bleec auch fraglos genau wußte.
Ebenso glaubte er jetzt, hinsichtlich der Ermordung Hoffners genügend klar zu sehen: Dieser Bleec war der Mörder! Daß er keine Büchse bei sich hatte, war nicht weiter von Belang, da Bleec seine Schußwaffe ja inzwischen hier irgendwie versteckt haben konnte. Wer sollte wohl in dieser Dunkelheit nach einer Büchse suchen?
Felsenherz fühlte geradezu, daß seine Freiheit und sein Leben jetzt lediglich von seiner Schlauheit abhingen. Mit Gewalt war hier gegenüber Bleec, den Bluthunden und den ohne Zweifel im Hinterhalt liegenden Osagen nichts auszurichten. Nur Kaltblütigkeit und List konnten helfen.
So flüsterte er denn Bleec jetzt zu, indem er einen recht vertraulichen Ton anschlug: „Ihr könntet mir einen Gefallen tun, Master. Ich habe mein Pferd dort nach Süden zu in einer Talmulde zurückgelassen, wo auch zwei Freunde von mir, der Komanchenhäuptling schwarzer Panther und der Trapper Tom Einaug sich befinden. Vielleicht holt Ihr sie hierher. Ich möchte bei dem Toten bleiben, da es nicht ausgeschlossen ist, daß der Mörder sich wieder zu seinem Opfer zurück wagt. Wenn Ihr genau nach Süden geht, müßt Ihr die Mulde finden. Außerdem braucht Ihr auch nur leise des Häuptlings Namen Chokariga zu rufen. Der Komanche hat vorzügliche Ohren und wird sich dann schon melden.“
Bleec konnte eine Bewegung freudigen Erstaunens nicht unterdrücken.
„Ah – Chokariga und Tom Einaug“, meinte er. „Gut, ich hole sie – ich hole sie! Keine Sorge, ich verlaufe mich nicht. Also auf Wiedersehen, Master Felsenherz.
Felsenherz blickte ihm finster nach. „Geh’ nur, elender Schurke“, dachte er. „Du hoffst, jetzt auch Chokariga und Tom durch deine roten Spießgesellen fangen zu können! Du ahnst nicht, daß du der Genasführte bist!“
Dann drückte er sich ganz dicht an die starke alte Eiche heran, deren Stamm mannshoch dicht mit Moos bewachsen war. Felsenherz wußte, daß bei dieser Dunkelheit selbst das schärfste Indianerauge seine Gestalt auf diesem dunklen Hintergrund nicht zu unterscheiden vermochte. Nun trat er ebenso vorsichtig hinter den Baum, duckte sich und streckte sich lang auf dem Boden aus, nahm die Büchse in die Linke und kroch so langsam im Boden auf den Bach zu, stets in der Überzeugung, daß er von den Osagen bereits eingekreist sei.
Wie richtig seine Vermutung gewesen, zeigte sich sehr bald. Als er sich jetzt völlig lautlos durch die Randbüsche der Baumgruppe schob, vernahm er plötzlich links von sich eine flüsternde Stimme, der eine tiefere dann ebenfalls leise, antwortete.
Nachdem er die Büsche glücklich hinter sich hatte, machte er kehrt und kroch auf die Stelle zu, wo er die flüsternden Stimmen vernommen hatte. Sehr bald unterschied er vor sich zwei Rothäute, die hinter einem Strauch knieten und regungslos zu der Eiche hinüber starrten.
Jetzt drehte der eine den Kopf, so daß Felsenherz das Gesicht im Profil erkennen konnte. Der Trapper traute seinen Augen nicht, glaubte im ersten Moment, daß eine Ähnlichkeit ihn täuschte.
Doch nein: Der Indianer dort war kein Osagen! Es war Mattari, der Starke Büffel, der Oberhäuptling der wilden Apachennation, die vor vierzehn Tagen am Kimarron durch Felsenherz eine böse Schlappe erlitten hatten, als sie die Goldsucher dort ausplündern wollten!
Mattari als Bundesgenoße der Osagen…! Dann war die Gefahr hier noch weit ernster, als Felsenherz bisher angenommen hatte.
Schleunigst kroch er wieder rückwärts, erreichte den Bach und stieg in das Wasser hinein, das ihm kaum bis an die Schultern reichte. Vorsichtig schnitt er einen dick belaubten Ast einer Erle ab und legte sich den Ast über den Kopf. So watete er nun hundert Meter im Bach nach Südost, verließ dann das Bachbett wieder und hoffte nun, den Ring der Feinde hinter sich zu haben.
Unangefochten gelangte er denn auch an den Waldrand, wo er sehr bald auf Tom stieß, bei dem sich jetzt auch inzwischen der Komanche eingefunden hatte.
Hastig berichtete Felsenherz, was er soeben erlebt hatte.
„Wir müßen die Ansiedler warnen“, flüsterte er zum Schluß. „Mattari ist offenbar mit seinen achtzig Kriegern, die ihm nach der Niederlage am Kimarron noch übrig blieben, uns und den Goldsuchern beständig, gefolgt und hat sich nun mit den Osagen verbündet. Wo die Apachen ihre Hand im Spiel haben, geht es nie ohne Morden und Brennen ab.“
Chokariga nickte.
„Gut, mag mein Bruder mit Tom rasch zur Niederlassung eilen. Ich werde hier Mattari und das verräterische Blaßgesicht mit den Bluthunden weiter beobachten.“
„Chokariga kennt die feinen Nasen der Bluthunde nicht! Er mag uns begleiten. Sonst wird er nur zu bald Mattaris Gefangener sein!“, sagte er eindringlich.
„Mein Bruder kann getrost davon reiten“, erklärte der Häuptling darauf. „Dort nach Norden zu gibt es eine Strecke Sumpfland, wo viele Katta-Barri (Pestwurzpflanze) wachsen. Wenn Chokariga sich mit deren Blüten sein Jagdhemd und seine Mokassins einreibt, werden die Hunde ihn nicht wittern.“
Felsenherz war jetzt beruhigt, denn auch er hatte bereits wiederholt die Katta-Barri Blüten dazu benutzt, den struppigen Kötern feindlicher Rothäute beim Beschleichen eines Lagers zu entgehen.
So ritt er denn nun mit Tom quer durch den dunklen Wald der Niederlassung zu, wobei er es seinem edlen Pferd überließ, sich den gangbarsten Weg zu suchen.
Drittes Kapitel
Als die beiden Trapper dann nach zwanzig Minuten aus dem Wald in die fruchtbare Niederung des Rio Benuto einlenkten, tauchte gerade der Mond auf.
Mit einem Schlag war die bisherige Finsternis in eine matte Dämmerung verwandelt, so daß die beiden Reiter ihre Tiere nun zu einem leichten Galopp aufmuntern konnten.
Nach fünf Minuten hatten sie den Draakensberg erreicht und sahen nun auch bald den großen plumpen Reisewagen der Goldsucher am Fuß des Berges stehen, sahen auch, daß in dem Leinwanddach an einer Stelle ein langes eckiges Loch klaffte.
„Was haltet Ihr davon, Tom?“, fragte Felsenherz und deutete auf den langen Riß.
„Hm – zwei von den Goldgräbern wollten ja nachts hier im Wagen schlafen und ihre Schätze bewachen. Ob etwa …“ Er führte den Satz nicht zu Ende.
Felsenherz war schon dicht an den Wagen heran geritten und hatte den Kopf durch den Leinwandriß in das Innere des Wagens geschoben, hatte gerufen: „Hallo – aufwachen!“
Keine Antwort.
Da sprang der kleine Tom aus dem Sattel und kletterte schnell in den Wagen, tastete dort mit den Händen umher, prallte zurück.
Seine Hand hatte ein menschliches Gesicht berührt, hatte in etwas Nasses gefaßt.
„Felsenherz … Felsenherz …!“, keuchte Tom, „hier liegt ein Toter … ein Skalpierter. … Ah … hier der Zweite! … Das ist Apachenarbeit, Felsenherz!“
Der blonde Trapper, der noch zu Pferde saß, erwiderte nichts. Er sah jetzt einen der Ansiedler eilends herbeikommen, der hier Posten stand.
Der Farmer erkannte den berühmten Westmann sofort wieder.
„Wer schlief von den Goldgräbern hier im Wagen?“, fragte Felsenherz kurz.
„Die beiden jüngsten der Goldsucher.“
„Habt Ihr nichts Verdächtiges bemerkt? Seit wann habt Ihr die Wache?“
„Seit anderthalb Stunden. Nein – es war bisher alles ruhig.“
Da kletterte Tom aus dem Wagen heraus und sagte: „Mann, dankt Eurem Herrgott, daß es Euch nicht ebenso ergangen ist wie den beiden Goldsuchern da drinnen! Sie sind tot, skalpiert, und die vier Goldsäcke sind verschwunden.“
Der Farmer stammelte entsetzt: „Das – das ist doch unmöglich! Ich bin doch auch hier am Wagen stets vorbeigekommen. Ich habe die Süd- und Westseite des Berges zu bewachen.“
Felsenherz wollte keine Minute unbenutzt verstreichen lassen.
„Lauft und holt die übrigen Wachen!“, befahl er. „Die Osagen haben sich mit den Apachen verbündet. Wir werden noch in dieser Nacht mit einem Angriff rechnen müssen.“
Der Farmer, ein noch sehr junger Bursche gehorchte sofort.
Felsenherz und Tom nahmen ihre Reittiere am Zügel und stiegen den Serpentinenweg hinauf.
Aus der zweiten terrassenartigen Abstufung trafen sie einen weiteren Posten, der sie anrief und ihnen dann mitteilte, daß auch er nichts Verdächtiges wahrgenommen hätte.
Felsenherz fiel jetzt der ermordete Hoffner ein.
„Dann hat Hoffner den Berg verlassen?“, fragte er den Ansiedler. „Hoffner muß doch an Euch vorübergekommen sein.“
„Hoffner?! – Nein, Landsmann Felsenherz, da irrt Ihr Euch! Der alte Hoffner ist oben in seiner Hütte. Keiner der Unsrigen hat den Berg verlassen, nachdem Sie und Tom davon geritten waren. Ich stehe hier schon die ganze Zeit über Posten.“
„Und doch ist Hoffner nicht in seiner Hütte oben!“, erklärte der blonde Trapper ebenso ernst wie nachdenklich. „Nein, Landsmann, der Ärmste wird seine Blockhütte nie wiedersehen. – Er ist drüben in der Prärie vor etwa einer Stunde erschossen worden. Ich selbst habe ihn gefunden, als er noch lebte. Er starb in meinen Armen.“
Der deutsche Farmer schüttelte ungläubig den Kopf.
„Landsmann Felsenherz, das kann nicht sein!“, meinte er. „Hoffner hätte hier an mir vorüber müssen. Ich bin sehr wachsam gewesen. Keine Katze hätte sich an mir vorbei schleichen können, geschweige denn ein Mensch.
Kaum hatte er den Satz beendet, als der würdige weiß bärtige Holländer Draaken von der oberen Terrasse nahte.
Als Draaken jetzt von Felsenherz hörte, was sich dort westwärts an der Bauminsel in der Prärie abgespielt und was Tom in dem Wagen der Goldsucher entdeckt hatte, wollte auch der rüstige Greis zunächst die Möglichkeit in Zweifel ziehen, daß Hoffner insgeheim die Ansiedlung verlassen hätte.
„Ich hatte ja den Unsrigen strengstens befohlen“, meinte er ganz verstört, „sich nicht zu entfernen. Ich habe Hoffner auch noch vor seiner Blockhütte gesehen, als die Posten bereits aufgestellt waren. Und wenn Ihr Landsmann Gruber hier behauptet, Hoffner sei nicht an ihm vorübergekommen, dann – dann ist es doch völlig unbegreiflich, daß Hoffner dort in der Prärie vor einer Stunde erschossen worden sein soll. Master Felsenherz Sie werden mir recht geben: das ist wirklich unbegreiflich, denn hier unser Berg fällt ja an den anderen Seiten über vierzehn Meter tief steil wie eine Mauer ab. Hoffner müßte also gerade an einem Seil hinabgeklettert sein! Und – ein so langes Seil besitzt keiner von uns. Außerdem – wozu sollte Hoffner solche Heimlichkeiten betrieben haben?“
Jetzt erst berichtete Felsenherz auch all das, was der Sterbende ihm über sein Geheimnis noch hatte anvertrauen können, bevor der Tod ihm für ewig den Mund verschloß.
Der alte Draaken blieb eine Weile stumm.
Dann überlegte er: „Also ein Geheimnis hatte Hoffner zu hüten! Deshalb war er auch seit einigen Monaten so verändert und machte bisweilen so merkwürdige Redensarten, aus denen niemand klug wurde! – Schade, daß er Ihnen nicht alles hat anvertrauen können, Master Felsenherz! Denn aus diesen Bruchstücken läßt sich nicht entnehmen, welcher Art sein Geheimnis eigentlich war.“
Jetzt nahten auch von unten her die sechs Ansiedler, die als Wachen rund um den Draakensberg verteilt gewesen waren.
Der greise Holländer bat Felsenherz nun, alles anzuordnen, was er zur Sicherung der Ansiedlung für nötig hielt. „Sie haben in dieser Hinsicht ja weit mehr Erfahrung als wir“, begründete er seine Bitte. „Wir werden uns alle Ihnen gern unterordnen. Wir sind insgesamt die noch lebenden acht Goldsucher und Sie beide eingerechnet, einunddreißig Männer, die mit ihren Buchsen gut umzugehen wissen. Dazu kommen noch acht ältere Knaben und etwa sechs Frauen, die ebenfalls gute Schützen sind.“
Felsenherz befahl nun, daß die bisherigen Wachen sich hier am Rand der zweiten Terrasse verteilen und sofort Alarmschüsse abgeben sollten, sobald sich unten am Fuß des Berges verdächtige Gestalten zeigten.
Dann stiegen er, Draaken und Tom über die dritte Terrasse und durch den schmalen Engpaß bis zur platten Kuppe empor, die etwa dreihundert Meter lang und hundertfünfzig Meter breit war. Sie hatte stellenweise dichte Eichenbestände. Am Rand der steilen Abhänge waren starke Balkenzäune errichtet, deren untere Hälfte durch Bretter abgedichtet war, damit die Kinder der Ansiedler nicht aus Unachtsamkeit in die Tiefe stürzten.
Draakensberg konnte somit als eine fast uneinnehmbare Festung gelten, zumal sich in dem felsigen Boden eine natürliche Zisterne mit klarem kühlen Wasser befand.
Der alte Holländer führte jetzt Felsenherz und Tom zu Hoffners Blockhütte, die sich als letzte nach Norden zu erhob. Sie war ebenso sauber und praktisch angelegt wie die Übrigen.
Draaken öffnete die unverschlossene Tür und trat als Erster ein, zündete dann einen Kienspan an und setzte eine in der Küche stehende Öllaterne in Brand.
Hoffners Bett war unberührt. Seine Büchse sein Hut und seine Jagdtasche fehlten.
Als dies festgestellt war, sah Draaken ein, daß Hoffner tatsächlich irgendwie den Berg verlassen hatte.
„Gehen Sie jetzt die Männer wecken“, empfahl Felsenherz. „Tom und ich werden uns hier einmal genauer umsehen.“
Viertes Kapitel
Der blonde Trapper nahm die Laterne und begann die aus rauen Brettern bestehenden Fußböden zu untersuchen. Die Blockhütte enthielt nur die Küche und ein Wohn- und Schlafzimmer.
Tom Einaug fragte verwundert: „Worauf habt Ihr’s eigentlich abgesehen, Felsenherz?“
Der berühmte Jäger hob gerade eine im Fußboden der Küche angebrachte Falltür hoch. Sie bildete den Zugang zu einem tiefen Erdloch, das Hoffner als Keller benutzt hatte. Eine kurze Leiter führte hinab.
Tom stieg jetzt neugierig hinter dem schweigsamen Felsenherz die wenigen Sprossen hinunter.
In einer Ecke dieses primitiven Kellers war Brennholz aufgeschichtet. Daneben lagen mehrere Bretterstücke. Als Felsenherz sie jetzt mit dem Fuß beiseiteschob, kam darunter eine unregelmäßig geformte zweite Falltür zum Vorschein.
„Donnerwetter – noch ein Keller?“, brummte Tom erstaunt.
Felsenherz bückte sich und zog die Falltür empor.
Da sahen die beiden denn nun eine breite Felsspalte, die sich wie ein Schacht in die Tiefe zog.
In diesem Schacht hing – eine Strickleiter an einem starken Holzhaken.
„Begreift Ihr nun, Tom?“, fragte der blonde Jäger leise. „Dies hier ist ein Teil von Hoffners Geheimnis! – Ich werde jetzt allein hier hinabklettern. Ich vermute, daß ich in eine riesige Höhle gelangen werde, die sich nach Westen bis zu jener Baumgruppe hinzieht, an der Hoffner erschossen wurde. – Ihr seht, Tom, so ist Hoffners Verschwinden hier aus der Ansiedlung am leichtesten zu erklären.“
„Allerdings! – Und Harry Bleec?“
„Nun – der ist eben irgendwie hinter dieses Geheimnis gekommen, dessen wertvollste Besonderheit in einer Bonanza bestehen dürfte! Dieses Goldlager wird in der Höhle zu suchen sein. Auch Bleec kennt sie. Heute nun wollte der Schurke, der allmählich die Osagen gegen die Ansiedler aufgewiegelt hat, den Hauptschlag ausführen, die Niederlassung durch die Rothäute zerstören und alle Bewohner Draakensberges hinmorden lassen. Dann hatte er für seine weiteren Pläne freie Hand, dann konnte er nachher in aller Stille die Bonanza plündern und in zivilisierte Gegenden als reicher Mann zurückkehren. – Als Erster mußte Hoffner sterben, damit Bleec die Osagen und jetzt auch die Apachen durch die Höhle und den Schacht hier unbemerkt auf die Bergkuppe bringen konnte.
Um die Osagen und Apachen ganz auf seine Seite zu bringen, wird er ihnen das Gold der Gambusinos versprochen haben, das sie sich ja auch bereits geholt haben. – So, Tom, nun eilt nach oben und sagt Draaken Bescheid. Er soll hier an der Felsspalte ein paar Männer postieren – für alle Fälle! Es ist ja möglich, daß mir etwas zustößt.“
Die Strickleiter reichte bis zu einer Holzleiter hinab. Hier war der Schacht bereits drei bis vier Meter breit. Sehr bald gelangte Felsenherz denn auch, ganz wie er vermutet hatte, in eine Grotte von einer solchen Ausdehnung, daß er sich hier wohl erst nach langem Suchen zurechtgefunden hätte, wenn er nicht den Spuren Hoffners hätte folgen können.
Hoffner mußte hier sehr oft durch die Stille und Einsamkeit gewandert sein, denn er hatte mit der Zeit einen förmlichen Pfad mit seinen Stiefeln glatt getreten. So brauchte der kühne Trapper denn nur diesen Pfad zu benutzen, um nach fast halbstündigem Marsch in eine schmale Nebenhöhle geleitet zu werden, in der ein unterirdischer Bach murmelnd dahin floß.
Gleich darauf sah Felsenherz auch schräg über sich Teile des mächtigen Wurzelstocks eines uralten Baumes und dicht daneben ein enges Loch, das ins Freie, in ein Dornendickicht führte. Nun konnte er kehrt machen. Nun wußte er alles, was er wissen wollte.
Er hatte die Laterne unten in der Höhle zurückgelassen und lag jetzt lang ausgestreckt in dem Dickicht, schob sich bereits rückwärts wieder dem Felsloch zu, als er plötzlich einen Indianer bemerkte, der lautlos durch das Gestrüpp kroch.
Der Trapper schmiegte sich noch enger in das auch hier üppig wuchernde Gras, zog mit der Linken das Jagdmesser aus der Scheide und hielt sich bereit, die Rothaut geräuschlos unschädlich zu machen.
Da fiel ein Mondstrahl durch die Zweige und zeigte Felsenherz das edle Gesicht seines roten Bruders Chokariga.
Sofort ahmte er das Zirpen der Grille rasch.
Chokariga antwortete in derselben Weise.
Dann tauschten sie hastig ihre Beobachtungen aus. Der Häuptling hatte vorhin gesehen, wie Bleec den Osagenhäuptling und Mattari hier in das Gestrüpp geführt hatte und dann die drei belauscht. So hatte er Kenntnis von der Höhle erhalten, mit deren Hilfe Bleec die Ansiedler noch in dieser Nacht überfallen lassen wollte.
Felsenherz und Chokariga waren sich rasch einig, wie man am gründlichsten die schändlichen Absichten Bleecs vereiteln könnte.
Dann kehrte der Trapper durch die Höhle und den Schacht auf die Bergkuppe zurück, während Chokariga abermals die gefährliche Aufgabe übernahm, die Feinde unausgesetzt im Auge zu behalten.
Fünftes Kapitel
Felsenherz fand die ganze Ansiedlung in eifrigster Tätigkeit vor. Frauen und Kinder schleppten Steine an die schroffen Abhänge der Südseite des Bergs, um diese Wurfgeschoße im Notfall gegen die über die Terrassen vordringenden Rothäute schleudern zu können. Die Männer setzten ihre Waffen instand, gossen Kugeln und häuften Brennholz auf.
Auf Toms Rat vermied man jedoch, Laternen anzuzünden, damit der Feind nicht merkte, daß die Ansiedler sich für die Abwehr eines Angriffs rüsteten.
Felsenherz rief jetzt die ältesten Männer zusammen und unterbreitete ihnen seinen Plan, der denn auch allseits gebilligt wurde.
Es kam nun darauf an, daß die Hälfte der Verteidiger die Bergfeste unbemerkt verlassen konnte. Der blonde Trapper rechnete bestimmt mit einer ständigen Beobachtung der Ansiedlung durch die verbündeten Osagen und Apachen, deren Hauptmacht freilich in der Prärie bei der Baumgruppe in der Nähe des Höhleneingangs weilte. Diese feindlichen Späher, die ohne Zweifel in den Uferbüschen des Benuto steckten, mußte man auf irgendeine Art unschädlich machen, damit sie keinen Boten mehr zur Hauptabteilung senden konnten.
Diese gefährliche Aufgabe übernahmen Felsenherz und Tom Einaug. Kriechend schoben sie sich im Schatten der Terrassenwände abwärts und dann weiter am Fuß des Bergs entlang bis zu einem Buschstreifen, der es ihnen ermöglichte, bis ans Ufer des Benuto zu gelangen. Hier begann nun das schwierigste, das Aufsuchen der Späher. Eine Stunde verging, bevor die beiden Trapper zwei Osagen und zwei Apachen entdeckt und diese einzeln und völlig geräuschlos überwältigt hatten. Einem der Osagen entlockte Felsenherz dann mit List das Geständnis, daß keine weiteren Beobachter sich in der Nähe des Draakensberges befanden.
Nun hatte man schon halb gewonnenes Spiel.
Tom wurde zum Führer der dreizehn Männer bestimmt, die jetzt in aller Stille in die Prärie aufbrachen, wo Chokariga sie an einer mit Felsenherz vereinbarten Stelle erwarten wollte.
Als dieser Trupp unterwegs war, ließ Felsenherz in den Keller der Blockhütte des ermordeten Hoffner eine genügende Anzahl Laternen bringen; die jedoch vorläufig nicht angezündet wurden. Auch die Falltür über dem Schacht wurde wieder herab geklappt.
Nochmals schärfte der blonde Trapper dem alten Draaken dann genau ein, wie man sich hier verhalten solle, sobald die Rothäute durch den Schacht einzudringen, versuchten.
Dann bestieg er seinen Fuchs und ritt ebenfalls durch die Felder und den Waldstreifen in die Prärie hinaus, wo er an dem kleinen Bach in einem Erlenwäldchen auch Tom und die dreizehn Ansiedler vorfand. Der Komanche, meldete Tom, sei soeben hier gewesen und habe berichtet, daß die Osagen und Apachen, insgesamt etwa zweihundert Krieger, nach Untergang des Mondes den Überfall bewerkstelligen wollten und daß sie jetzt noch am Rand der Baumgruppe lagerten.
Felsenherz schlich jetzt zu Fuß am Bachrand weiter, umging die Baumgruppe und gelangte an deren Nordecke in die Nähe jenes Gestrüpps, das den Höhleneingang hier verbarg. Jetzt sah er auch die geknickte Tanne, die der sterbende Farmer erwähnt hatte, sah auch, daß der Bach hier in nächster Nähe vorüber floß.
Unweit des ausgedehnten Gestrüpps stand eine uralte Buche. Felsenherz kletterte hinauf, denn von hier oben mußte er genau beobachten können, wann die Apachen und Osagen die Höhle betraten.
Vorsichtig schwang er sich von Ast zu Ast, bis eine leise Stimme ihn anrief. Zu seinem Erstaunen gewahrte er nun Chokariga, der sich ebenfalls diese Buche als sichersten Beobachtungsposten erwählt hatte.
Langsam verschwand die Mondscheibe nun hinter den fernen Bergen. Es wurde dunkel – so dunkel, daß die beiden Westmänner kaum die Umrisse der Gestalten ihrer Feinde zu erkennen vermochten, die jetzt einer hinter dem anderen in das Gestrüpp hineinschlüpften. Als Letzter kam ein Indianer, der zwei Bluthunde an der Leine mit sich führte. Felsenherz schaute schärfer hin. Nein – es war keine Rothaut, es war der Verräter Harry Bleec, der sich recht geschickt als Osagen herausgeputzt und sogar Gesicht, Hals und Nacken rotbraun gefärbt hatte.
Bleec war noch nicht völlig durch das enge Loch hinab gelangt, als er die Hunde dumpf knurren und dann auch bellen hörte. Hierdurch gewarnt machte er kehrt und schlüpfte wieder ins Freie, um sich zu überzeugen, was die Hunde dort oben gewittert hätten.
Chokariga war jetzt nämlich rasch von der Buche herabgeklettert, um Tom und die Ansiedler herbeizuholen. Der Geruch der Pestwurz hatte sich inzwischen jedoch bereits so sehr verflüchtigt, daß die beiden gelben Bestien ihn witterten und sofort anschlugen. Er kümmerte sich nicht weiter darum, sondern überließ es Felsenherz, die Hunde zu beseitigen.
Als Bleec jetzt aus dem Gestrüpp auftauchte, schienen die Bluthunde, zumal er den Jagdanzug eines Osagen angelegt hatte, der stark nach Indianer duftete, ihren Herrn nicht zu erkennen. Seine drohende Armbewegung, durch die er sie zur Ruhe wies, hielten sie wohl für eine ihnen geltende Feindseligkeit. Mit kurzem wütenden Aufheulen setzten sie gleichzeitig zum Sprung an. Die Riemen rissen, und trotz des lauten Zurufs Bleecs fielen die Bestien jetzt über ihn her, warfen ihn zu Boden.
Felsenherz, der vom untersten Ast der Buche aus Zeuge dieses Angriffs wurde, wollte den schwer Bedrohten retten, stürmte um das Gestrüpp herum, kam jedoch zu spät.
Zwar streckte er mit zwei gut gezielten Tomahawkhieben die beiden Bluthunde nieder, daß sie wie vorm Blitz getroffen mit eingeschlagenen Schädeln zusammenbrachen, aber Bleec war bereits durch die Bestien, die ihm die Kehle halb durchbissen und ihm auch das Gesicht förmlich zerfetzt hatten, derart zugerichtet worden, daß er nur noch wenige Sekunden lebte. Er schien zu fühlen, daß er sterben mußte, und freiwillig gestand er nun mit kaum noch verständlicher Stimme all seine Schandtaten ein, bestätigte auch Felsenherz Vermutung, daß in der Höhle sich Gold befinde, und zwar im Bett des unterirdischen Baches.
Kaum hatte er seinen letzten Seufzer ausgehaucht, als auch schon Chokariga, Tom und die Ansiedler erschienen. Man schnitt nun rasch in das Gestrüpp eine breite Lücke und legte den Höhleneingang frei, wälzte Steine über das Loch und verbarrikadierte es so, daß die Apachen und Osagen unmöglich wieder hier ins Freie gelangen konnten, zumal man sie leicht durch die Schüsse wieder zurückscheuchen konnte.
Dann warf Felsenherz sich auf seinen Fuchs und galoppierte zur Ansiedlung zurück. Er traf hier gerade ein, als zwei Apachen in dem Schacht an den Leitern hochstiegen. Einer von ihnen war der blutgierige Mattari, der Oberhäuptling der Apachen. Als Erster drückte er nun die Falltür hoch, hielt dann mit der Linken die Harzfackel empor, wurde aber auch im selben Moment von Felsenherz von hinten gepackt und vollends hochgerissen.
Im Nu war er gebunden. Dem zweiten Apachen warf Felsenherz schnell eine Lassoschlinge über den Kopf und zog den halb Erwürgten ebenfalls nach oben.
Die übrigen in der Höhle eingeschlossenen Apachen und Osagen ergaben sich schon am nächsten Mittag, da sie eingesehen hatten, daß sie hier im Erdinnern elend verhungern müßten, falls sie auf die Bedingungen nicht eingingen, die Felsenherz ihnen stellte.
Der blonde Trapper handelte ganz im Sinne der Ansiedler, als er zunächst die Osagen waffenlos durch den Schacht emporklettern ließ. Der Osagenhäuptling war dann auch bereit, da er und seine Leute nur durch Bleec verführt worden waren, den Friedensvertrag zu erneuern. Dafür sollte er sämtliche Waffen und Pferde der Apachen als Geschenk erhalten.
Mattari mußte dann diejenigen seiner Krieger bezeichnen, die die beiden Goldsucher im Wagen ermordet und skalpiert Alten. Diese wurden standrechtlich erschossen.
Ohne Pferde und ohne Waffen mußte Mattari mit den Seinen zu Fuß abziehen, drei Tage lang noch ständig beobachtet von einer Abteilung Osagen, die verhüten sollte, daß die Apachen etwa umkehrten und einen neuen Anschlag auf die Ansiedlung versuchten.
Fortan lebten die Ansiedler mit den Osagen in Frieden. Die Goldausbeute des unterirdischen Baches war so reich, daß die Bewohner von Draakensberg nunmehr die Viehzucht im Großen betreiben und ihre Verwandten aus Holland und Deutschland nachkommen lassen konnten. Oft genug noch weilten Felsenherz, Chokariga und Tom Einaug als stets gern gesehene Gäste auf dem Draakensberg, wenn ihre Streifzüge sie in die Nähe des Rio Benuto führten.
Nächste Band:
Anmerkung:
[1] Heft 27, Der Kundschafter am Kimarron