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Die Basar-Hyäne

 

Argus-Kriminal-Bibliothek

 

Die Basar-Hyäne.

 

Von

W. v. Lensen.

 

1. Kapitel.[1]

Die gelblederne Reisetasche.

Kaum war der Personenzug Halle-Berlin um elf Uhr vormittags in den Bahnhof Bitterfeld, den großen Eisenbahnknotenpunkt, eingelaufen, als auch schon aus einem Abteil dritter Klasse leichtfüßig ein kleiner, korpulenter Mann hervorsprang, dessen glattrasiertem, faltigem Gesicht die goldene Brille und das kecke Stupsnäschen einen recht harmlos gemütlichen Ausdruck gaben. Dieser, einem Dorfschulmeisterlein aufs Haar gleichende Reisende, lief jetzt mit trippelnden Schritten die Wagenreihe entlang und machte dann plötzlich vor einem Abteil zweiter Klasse Halt, wo er sich nun in aller Gemütsruhe eine Zigarre anzuzünden begann, gerade als ob er diese, jedem passionierten Raucher so wichtige Einleitungshandlung für den späteren Genuß, ausgerechnet nur an dieser einen Stelle des weiten Bahnsteigs vornehmen konnte. In dem lebhaften Bahnhofsgetriebe dachte niemand daran, dem dicken Menschen mit den hinter den Brillengläsern so freundlich glitzernden Äuglein irgendwelche Beachtung zu schenken. So wurde es denn auch nicht weiter bemerkt, daß zwischen ihm und einem in dem Fenster des Abteils 2. Klasse lehnenden, elegant gekleideten, jüngeren Herrn blitzschnell einige Blicke ausgetauscht wurden.

Als die Zigarre brannte, schlenderte der unscheinbare Reisende, indem er offenbar mit größtem Wohlbehagen den bläulichen Rauch in die klare Herbstluft hinausblies, dem Empfangsgebäude zu und verschwand in der Tür zum Wartesaal. Gleich darauf verließ auch der andere Herr, der mit jenem vorhin die heimliche Augenzwiesprache gehalten hatte, den Zug und betrat ebenfalls das Bahnhofsrestaurant, wo er wie unabsichtlich an demselben Tische Platz nahm, an dem schon der kleine, brillenbewaffnete Mann hinter einem Glase Bier saß.

„Es stimmt doch – der Berliner Zug hat hier zwölf Minuten Aufenthalt, nicht wahr?“ sagte der zuletzt Gekommene nach einer Weile sehr höflich zu seinem Tischnachbar mit jener Zuvorkommenheit, mit der man nur einen gänzlich Unbekannten um Auskunft bittet.

Diese belanglose Frage bildete merkwürdigerweise die Einleitung zu einer Unterhaltung, die von beiden Seiten in vorsichtigstem Flüsterton geführt wurde, dabei im übrigen jedoch vollkommen den Eindruck machte, als hätten die Herren sich eben erst kennengelernt und wären nur zufällig miteinander ins Gespräch geraten.

„Was gibt’s denn, Winter?“ hatte der Jüngere, dessen blonder, aufgedrehter Schnurrbart, im Verein mit der frischen Farbe des scharfgeschnittenen Gesichts und der straffen Haltung des schlanken Körpers, auf einen Offizier in Zivil hinzudeuten schien, die Unterredung begonnen. „Sie hatten es ja mächtig eilig, mich zu sprechen. Haben Sie etwas Wichtiges entdeckt?“

„Ich hoffe, Herr Kommissar.“

„Dann los, Winter, kramen Sie aus. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr!“

„In Halle suchte ich mir ein leeres Nichtraucherabteil aus, um womöglich ein kleines Schläfchen zu machen. Da, im letzten Augenblick vor der Abfahrt, stieg noch eine junge Dame ein, die eine billige, gelbe Ledertasche in der Hand trug. Das ganze Benehmen meiner Mitreisenden erschien mir vom ersten Augenblick an recht verdächtig. Sie drückte sich nämlich scheu in eine Ecke und zog mit zitternden, hastigen Griffen die Gardine so weit vor, daß sie vom Bahnsteig aus nicht mehr gesehen werden konnte. Ihre Handtasche behielt sie auf dem Schoß, indem sie diese, wie ein wertvolles Stück, mit beiden Armen fest an sich preßte. Erst als der Zug sich in Bewegung setzte, schien sie erleichtert aufzuatmen und wagte sich nun auch freier zu bewegen. Aber ihre Blicke, mit denen sie mich nun verstohlen zu mustern begann, waren noch immer so seltsam verängstigt und scheu, daß ich mir unwillkürlich sagte, die Person könnte kein ganz reines Gewissen haben. –

Ich will mich kürzer fassen. – Meine List mit dem Sichschlafenstellen hatte denn auch wirklich gleich hinter der Station Roitsch den gewünschten Erfolg. Wir waren noch immer die einzigen Insassen des Abteils, die junge Dame und ich, und fraglos war meine Reisegefährtin zu der Überzeugung gekommen, daß meine Schnarchtöne wirklich echt sein müßten. Jedenfalls begann sie plötzlich vorsichtig den Inhalt ihrer Handtasche auf die Bank zu entleeren. Obwohl sie mir dabei den Rücken zukehrte, ihre schwarze Tuchjacke aufknöpfte und diese nach beiden Seiten wie einen Schirm gegen neugierige Blicke aufschlug, gelang es mir doch, so mancherlei zu erspähen, beziehungsweise zu erlauschen. In der Reisetasche befanden sich – das stellte ich aus dem Knittern des Papiers beim Auswickeln fest – im ganzen zwölf darin eingehüllte Wertgegenstände von geringer Größe. Auf Wertgegenstände schließe ich deswegen, weil ich des öfteren ein feines Klirren wie von Edelmetallstücken vernahm und außerdem auch ebenso häufig an der Wagendecke eigenartig geformte Lichtreflexe bemerkte, die nur durch die Spiegelung der durch das Fenster fallenden Sonnenstrahlen in poliertem Golde oder geschliffenen Steinen hervorgerufen worden sein können. Die Möglichkeit, daß wir es hier mit einem Mitglied jener von uns bisher vergeblich gesuchten internationalen, hauptsächlich die D- und Luxuszüge unsicher machenden Diebesbande zu tun haben, liegt nach diesen meinen Beobachtungen immerhin vor, – das werden Sie wohl selbst zugeben müssen, Herr Kommissar, besonders, wenn man das seltsam verängstigte Benehmen der Person, die im übrigen allerdings ein ganz sympathisches Gesichtchen hat, in Betracht zieht!“

Kriminalkommissar Fritz Reinbach schaute nachdenklich vor sich hin.

„Alles ganz schön, Winter … Aber meinen Sie wirklich, daß eine gewerbsmäßige Verbrecherin so unvorsichtig sein wird, in Gegenwart eines ihr unbekannten Dritten ihre Diebesbeute einer Besichtigung zu unterziehen?“, meinte er dann gedehnt.

Der Beamte zuckte die Achseln.

„Dummheiten macht jeder Gauner mal, das wissen wir ja aus Erfahrung! Und wenn mich mein Gehör nicht gerade allzusehr getäuscht hat, so handelte es sich nicht um eine Besichtigung, sondern mehr um eine Sortierung der Wertgegenstände. Wenigstens schien es mir so, als ob das junge Mädchen immer einige der Stücke zusammen in eine Hülle packte, während die Sachen vorher einzeln in Papier eingeschlagen waren. Jetzt liegt alles wieder fein säuberlich in der gelben Ledertasche, deren Inhalt ich in Berlin ganz gern einmal näher untersuchen möchte!“

„Die Person fährt bis Berlin?“

„Jedenfalls hat sie eine Fahrkarte bis dorthin, wie ich durch den von mir eingeweihten Zugführer ganz unauffällig feststellen ließ. Und daß sie mir inzwischen nicht entwischt, dafür werde ich schon sorgen. Augenblicklich befindet sie sich auch noch ruhig in ihrem Abteil, das ich hier von meinem Platze durch das Fenster stets im Auge behalten kann.“ –

Als der Zug sich wenige Minuten später wieder in Bewegung setzte, hatten sich die Insassen des Coupees, in dem der Kriminalschutzmann Winter jene interessanten Entdeckungen machen konnte, um zwei weitere Fahrgäste vermehrt. In der dem Platze des jungen Mädchens gegenüberliegenden Ecke saß Fritz Reinbach, der seinen Untergebenen verabredungsgemäß nicht zu kennen schien, während sich neben Winter auf der anderen Bank eine einfach gekleidete ältere Frau niedergelassen hatte.

Der Kommissar, der mit dem Kriminalschutzmann eine jener zahlreichen Kriminalpatrouillen bildete, die seit Monaten auf den Eisenbahnen nach einer ebenso verwegenen wie geschickt arbeitenden Diebesgesellschaft fahndeten, hatte in den letzten Tagen deutliche Anzeichen dafür entdeckt, daß das Hauptquartier des fraglos aus mehreren Köpfen bestehenden Gaunerkonsortiums in Berlin zu suchen sei, und wollte jetzt seine weiteren Nachforschungen von dort aus aufnehmen. Während er jetzt zurückgelehnt in seiner Fensterecke saß, anscheinend von dem Inhalt seiner Zeitung ganz in Anspruch genommen, fand er doch Gelegenheit, immer wieder das Äußere seines Gegenübers unmerklich einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.

‚Winter hat Recht gehabt,‘ sagte sich Reinbach nach einem erneuten, das Antlitz des jungen Mädchens blitzschnell streifenden Blick. ‚Kein übles Gesicht, jedenfalls keines von denjenigen, denen die Tätigkeit ihres Besitzers einen für jeden Menschenkenner leicht zu enträtselnden Stempel aufgedrückt hat. Für eine Gaunerin sprechen diese zwei Leidensfalten um den schön gezeichneten Mund jedoch niemals. Und die Stirn - geradezu edel geformt, ebenso die Kinnpartie! – Ich fürchte, Winter befindet sich hier auf dem Holzwege. So ungekünstelt vornehm trotz der einfachen Garderobe und trotz des verschüchterten Wesens wirkt keine professionelle Diebin.‘

Weiter ratterte der Zug durch die herbstliche Landschaft. In dem bereits geheizten Coupee hatte sich bei den völlig geschlossenen Fenstern allmählich eine Temperatur entwickelt, die dem Kommissar immer lästiger wurde.

„Gestatten Sie, daß ich das Fenster etwas öffne? Die Hitze hier ist, wenigstens für mich, unerträglich,“ sagte er daher mit knapper Verbeugung zu dem jungen Mädchen, das bisher unverwandt durch die Seitenscheibe in die, wie eine Wandeldekoration vorüberhuschende Gegend hinausgestarrt und nur regelmäßig auf den Stationen den Kopf zurückgebogen und sich hinter der grauen Gardine zu verbergen gesucht hatte.

Die Wirkung dieser durchaus nicht in überlautem Tone gestellten Frage war derart, daß Fritz Reinbachs Ansicht über die so rätselhaft vorsichtige und verängstigte Reisegefährtin eine für diese recht nachteilige Wandlung erfuhr.

Jeder Blutstropfen war bei dem Klang seiner Stimme aus ihrem Gesicht gewichen, und ganz entgeistert starrte sie den Kriminalkommissar aus vor Angst geweiteten Augen an, während sie mit einer scheinbar unwillkürlichen Bewegung über die neben ihr liegende Handtasche wie schützend den Arm deckte. –

Winter, der von seinem Platz aus diesen auffälligen Vorgang genau verfolgt hatte, hüstelte jetzt vielsagend. Und erst dieses Hüsteln schien das junge Mädchen zur Besinnung zu bringen. Offenbar mit Aufbietung aller Energie zwang es sich zur Ruhe und preßte mühsam hervor:

„Sie wünschen, mein Herr …?“

„Ich fragte nur, ob ich das Fenster etwas öffnen dürfte, – das war alles!“ sagte Reinbach langsam und die letzten Worte besonders hervorhebend.

„Bitte – – –“, war die in höchster Verwirrung gegebene Erwiderung. Und abermals schaute die Unbekannte, jetzt aber mit vor innerer Erregung hochrotem Gesicht, krampfhaft zum Fenster hinaus.

Der Kommissar aber dachte: ‚Dir werde ich doch weiter recht genau auf die Finger sehen, mein Kind, trotz deiner Leidensmiene und der sanften grauen Augen. In Berlin wirst du deine Geheimnisse preisgeben müssen, so wahr ich Fritz Reinbach heiße!‘

*

Auf dem mittelsten Bahnsteig des Anhalter Bahnhofs in Berlin ging ein junges Mädchen wartend auf und ab. Auf ihrer trotz einer gewissen Fülle überaus schlanken Figur saß das anschließende, graue Herbstkostüm wie angegossen, zu dem ein breitkrempiger, mit einer großen Straußenfeder garnierter Sammethut in der Farbe genau paßte.

Der D-Zug von Halle war eingelaufen. Die junge Dame hatte sich dicht an der Sperre aufgestellt und überflog nun die Reisenden, die eilig dem Ausgang zustrebten, suchenden Blickes. Hinter einer größeren Gesellschaft, die lachend und scherzend fast den ganzen Bahnsteig für sich beanspruchte, erschien jetzt eine zierliche Mädchengestalt, die nur einen Schirm und eine kleine, gelblederne Reisetasche in der Hand trug.

„Vera – – nein, wie glücklich bin ich – –! – Willkommen, willkommen!“

Damit eilte die Wartende auf die langentbehrte Pensionsfreundin zu und küßte sie mehrmals innig auf den Mund.

Arm in Arm begaben sich die beiden jungen Mädchen dann zum Ausgang, schritten die breite Treppe des Bahnhofs hinunter und schlugen die Richtung nach dem Potsdamer Platz ein.

„Vera, du weißt ja gar nicht, wie ich mich freue, endlich wieder einmal mit dir zusammenzusein,“ versicherte Adda Winkler abermals und drückte zärtlich den Arm ihrer Begleiterin.

„Eigentlich war es wohl etwas unbescheiden von mir, dich so ganz plötzlich zu bitten, mich für einige Tage einzuladen,“ meinte Vera von Köhler in ihrer scheuen Art. „Hoffentlich hast du deiner Stiefmutter nicht verraten – daß ich gern den Schein gewahrt wissen wollte, als ob diese Einladung von deiner Seite ohne mein Zutun erfolgt sei.“

„Aber wo werde ich denn, Liebste!“ beruhigte Adda die Freundin schnell. „Mama ist völlig harmlos geblieben. Ich erklärte ihr vorgestern bei guter Gelegenheit, daß ich Sehnsucht nach dir hätte. Und da kam sie mir sofort entgegen und schlug mir vor, dir zu schreiben, du möchtest doch an dem morgen stattfindenden Basar des Vereins Frauenwohl, auf den ich mich, ehrlich gesagt, gar nicht freue, als unser Gast teilnehmen.“

Das junge Mädchen seufzte leise auf.

„Meine Stiefmutter hat ja nur zu sehr ihre schwerwiegenden Gründe, mich möglichst bei guter Laune zu erhalten,“ fügte sie hinzu. „Ich schrieb dir ja, wie hartnäckig sie mir mit diesem Heiratsprojekt zusetzt – –“

„Du Ärmste – –! – Aber tröste dich, Adda, es gibt noch mehr Menschen, die gezwungen sind, unter den unerquicklichsten Verhältnissen leben zu müssen. Bei uns daheim sieht es auch unsäglich traurig aus. Heinz verbraucht noch immer Summen, die wir kaum beschaffen können, und – –“

Ihre Stimme erstickte vor tiefem Weh. Schnell wischte sie verstohlen eine Träne fort, die sich ihr ins Auge gedrängt hatte.

„Ja, wer das damals alles geahnt hätte, als wir noch in der Genfer Pension bei der guten Madame Bongard so harmlos froh unsere Tage verbrachten,“ sagte Adda Winkler leise. „Diese Heirat mit Westerhart ist ja nicht das einzige, was mich bedrückt. Meine Stiefmutter ist mir seit langem so sehr entfremdet worden, daß mir das Zusammenleben mit ihr nur eine Qual ist. Du ahnst ja nicht, was ich alles ertragen muß – – Bisweilen erfaßt es mich wirklich wie ein Ekel vor diesem Dasein – –!“

Die letzten Worte wurden mit solcher Bitterkeit hervorgestoßen, daß Vera von Köhler die Freundin ganz bestürzt anschaute.

„Also so schlimm steht es auch hier bei euch!“ meinte sie trübe. „Ein trauriges Wiedersehen, das wir feiern – – Dann scheint das Schicksal ja uns beide schlecht bedacht zu haben. Und ich glaubte immer, du wärest mit deinem Lose wenigstens zufrieden – –“

Adda Winklers dunkle Augen schauten schmerzvoll in das Menschengewühl um sie her.

„Zufrieden – –?! – Zufrieden werde ich erst sein, wenn ich endlich das Haus verlassen kann, in dem stets neue Demütigungen meiner warten. – Doch – beenden wir jetzt dieses Thema, Liebste – – Dazu bist du doch nicht nach Berlin gekommen, um meine Klagen anzuhören – –“

Um Vera von Köhlers Mund gruben sich die Falten stillen Leides tiefer.

„Ich habe bereits zu lange in dieser Umgebung von Krankheit und Sorgen zugebracht, um überhaupt je wieder froh werden zu können,“ erklärte sie mit dumpfer Gleichgültigkeit. „Auch diese Fahrt zu dir hier nach Berlin hat einen tief, tief traurigen Grund, von dem eben die Meinen daheim nichts wissen dürfen. Nur scheinbar ist’s eine kleine Vergnügungsreise, in Wahrheit – – eine Pein für mich. – Frage mich nicht, Adda,“ setzte sie schnell hinzu, als diese ihr ganz erschreckt in das blasse Gesichtchen blickte. „Ich darf dir dies Geheimnis unter keinen Umständen verraten. Bitte fasse das nicht als einen Mangel an Vertrauen dir gegenüber auf. Vielleicht würdest du mich verachten, wenn du die Wahrheit wüßtest – –“ Ganz leise kamen diese letzten Worte heraus.

„Aber einziger Liebling – so rege ich doch nicht auf. Hätten wir nur nicht dieses Gespräch angeschnitten – – Da ist auch schon unsere elektrische Bahn. Schnell, daß wir noch einen Platz bekommen!“ –

Dicht hinter den beiden jungen Damen schwang sich ein kleiner, korpulenter Herr mit goldener Brille auf denselben Wagen der Straßenbahnen. Und als diese sich in der Richtung nach den westlichen Vororten in Bewegung setzte, dachte der Kriminalschutzmann Winter bei sich, während er eine neue Zigarre anzündete:

‚Ich bin wirklich gespannt, was bei der Sache herauskommt. Wenn’s Gauner sind, sind’s ganz gefährliche. Denn so vornehm aussehende junge Damen wie die beiden da drinnen geben sich mit Kleinigkeiten nicht ab, wenn sie erst mal auf dunklen Wegen wandeln.‘

 

2. Kapitel.

Gefährliche Pläne.

Frau Geheimrat Winkler bewohnte seit dem Tode ihres Gatten im vornehmen Westen der Reichshauptstadt eine elegante Vierzimmerwohnung in der stillen, ruhigen Barbarossastraße. Als die beiden jungen Damen nach einer halbstündigen Fahrt mit der Straßenbahn den erleuchteten Korridor betraten, kam ihnen die Geheimrätin, eine stattliche Erscheinung mit grauem, gescheiteltem Haar, mit ausgebreiteten Armen entgegen. Obwohl sie Vera von Köhler bisher nur zwei Mal gesehen hatte, begrüßte sie sie mit einer Herzlichkeit, die nur zu süßlich und zu wortreich schien, um ehrlich gemeint zu sein.

Für den Gast war ein zweites Bett in Addas kleine Stube aufgestellt worden, in die sich die Freundinnen sofort zurückzogen, da Vera nach der Eisenbahnfahrt ihre Toilette etwas in Ordnung bringen wollte.

„Könntest du meine Reisetasche irgendwo einschließen?“ bat Vera, als sie dann auch ihr Haar neu aufgesteckt hatte. „Ich habe darin nämlich einige Sachen, die ich gerne vor neugierigen Dienstbotenaugen verbergen möchte.“

„Es gibt auch noch andere Neugierige hier,“ meinte Adda vielsagend, während sie die gelblederne Tasche in ihrem Wäscheschränkchen unterbrachte und den Schlüssel zu sich steckte.

Gleich darauf wurden die Freundinnen durch das Stubenmädchen zu Tisch gebeten.

„Also am Nachmittag möchten Sie Ihren Herrn Bruder aufsuchen, liebe Vera,“ sagte die Geheimrätin, während man gerade den Nachttisch, eine süße Speise mit Fruchtsauce, verzehrte. „Haben Sie ihn denn auch von Ihrem Kommen benachrichtigt? Es ist doch sehr fraglich, ob Sie ihn sonst zu Hause antreffen?“

„Ich habe mich zu fünf Uhr bei ihm angemeldet, Frau Geheimrat. – Darf Adda mich vielleicht begleiten? Sie kann ja in einer nahen Konditorei auf mich warten.“

„Aber gewiß, liebe Vera, gewiß – – nur um eins möchte ich euch bitten, kommt möglichst bald wieder heim. Denn es dürfte doch für den morgigen Basar noch so allerlei vorzubereiten geben.“

*

Nachmittag vier Uhr. – Heinz von Köhler, der in der Kantstraße in Charlottenburg zwei möblierte Vorderräume bewohnte, lag regungslos, eingehüllt in eine weiche Decke, auf dem Diwan seines Wohnzimmers. Seine tiefen Atemzüge, sein bleiches Gesicht mit den dunklen Schatten unter den Augen verrieten, daß er den Schlaf der Erschöpfung schlief. Er war wieder wie so oft erst gegen Morgen aus dem Klub heimgekehrt und suchte nun am Tage die versäumte Nachtruhe nachzuholen.

Auf dem Korridor schrillte die Glocke. Schlürfende Schritte. Die Wirtin des früheren Regierungsreferendars öffnete, nachdem sie erst vorsichtig durch das Guckloch in der Tür den Draußenstehenden gemustert hatte.

„Ah – welche Ehre, Herr Graf,“ dienerte die stark in die Breite gegangene einstige Friseuse. „Herr von Köhler dürfte noch schlafen,“ fügte sie mit verständnisinnigem Lächeln hinzu.

„Schadet nichts,“ erklärte der Besucher, ein elegant gekleideter, mittelgroßer Herr mit gelblich blassem, scharf geschnittenem Gesicht.

Ungeniert betrat Graf Orsakow darauf, ohne vorher anzuklopfen, das Zimmer. Die Gestalt auf dem Diwan rührte sich nicht.

Ein verächtlicher Zug grub sich um den edelgeformten Mund des polnischen Aristokraten. Und mit ebenso geringschätzigem Blick musterte er jetzt das fahle, verlebte Antlitz des Ruhenden.

„Spieler – – Wüstling!“ murmelte er. „Und doch ein ganz brauchbares Werkzeug für meine Pläne,“ fügte er ironisch hinzu.

„Köhler – aufstehen – –! Hallo – –!“

Der junge Lebemann fuhr empor.

„Ah – Sie sind’s – –!“ Er streckte dem anderen die Hand hin und klemmte dann mit nachlässiger Bewegung sein Monokel ins Auge.

„Na, wie war der gestrige Abschluß – –?“ fragte der Graf und nahm unaufgefordert in einem der Klubsessel Platz. „Viel verloren – –?“

„Es geht – – Fünfhundert Mark – –“

„In bar – –?“

Köhler zuckte die Achseln. „Wozu fragen Sie?! Sie wissen ja am besten, daß ich seit Tagen völlig abgebrannt bin. – Können Sie mir denn wirklich keinen Vorschuß auf unser bevorstehendes Geschäft geben, Orsakow?“ bat er dann mit forschendem Blick auf seinen Besucher.

Der Pole schüttelte den Kopf. „Sie kennen mich,“ meinte er fest. „Nicht eher, bis wir nicht etwas ganz Bestimmtes in Aussicht haben!“

„Nun, einen Schritt vorwärts sind wir schon,“ erklärt Heinz von Köhler eifrig. „Hier – lesen Sie diesen Brief. Er dürfte Sie interessieren.“

Dabei zog er aus der Innentasche seiner seidenen Hausjoppe einen eleganten Briefbogen in lila Farbe hervor.

„Ah – das ist sehr günstig für uns,“ rief Orsakow, nachdem er die wenigen Zeilen überflogen hatte. „Also hat die Geheimrätin durch ihre vielfachen Beziehungen erreicht, daß Schroeder als Bureaudiener im Kriegsministerium angestellt worden ist.“

Er lachte leise vor sich hin. „Man sieht, was man alles mit Hilfe falscher Ausweispapiere und Zeugnisse fertig bekommt. Die Herren sollten ahnen, wem sie diesen Vertrauensposten gegeben haben – –!“ Und dann fügte er ganz geschäftsmäßig hinzu:

„Wieviel beansprucht die Geheimrätin für ihre Vermittlung?“

„Tausend Mark.“

„Ein recht anständiger Preis. – Ich werde ihr den Betrag per Post zuschicken. Bitte bestellen Sie das.“

„Aber – es wäre doch einfacher, wenn ich der Geheimrätin die Summe persönlich übergeben würde – sieht auch anständiger aus,“ meinte Köhler zögernd.

„Ich denke, die Anständigkeit spielt bei unseren Unternehmungen eine so geringe Rolle, daß die Dame,“ – Orsakow zog dieses Wort merklich in die Länge – „nicht allzu empfindlich sein darf,“ erwiderte er kühl.

Der frühere Regierungsreferendar beschaute in leichter Verlegenheit seine polierten, spitzen Fingernägel. Der Graf fiel ihm mit seiner oft allzu plumpen Ehrlichkeit bisweilen doch recht stark auf die Nerven.

Michael Orsakow war aufgestanden und ging in dem langgestreckten Raume langsam auf und ab. Schließlich blieb er vor Köhler stehen und sagte bedächtig:

„Wenn wir nur bald Glück hätten – –! Ich brauche irgendwelche Geheimpapiere – nur wichtig müssen sie eben sein! – Schon in kurzer Zeit – – die Sache drängt. Richten Sie das auch Schroeder aus. Er soll die Augen offenhalten. Nur – das betone ich nochmals – der Mann darf nicht erfahren, daß ich meine Hände mit im Spiel habe. Für ihn existieren nur Sie als der Auftraggeber. Und nie darf er auch ahnen, daß ich für ihn die gefälschten Legitimationspapiere besorgt habe – nie!“

Köhler machte eine beruhigende Geste mit der Hand. „Seien Sie ohne Sorge, Graf. Ich halte mich aufs genaueste an unsere Abmachungen.“ – Dann schien ihm plötzlich ein anderer Gedanke zu kommen.

„Hören Sie mal, Orsakow,“ begann er, indem der den vor ihm Stehenden fast lauernd ins Gesicht sah, „ich lernte gestern abend im Klub einen Legationssekretär von Herstedt kennen. Im Laufe des Gesprächs wurden auch Sie zufällig erwähnt. Und da wollte sich Herstedt besinnen, daß Sie noch vor zwei Jahren als ein gefährliches Mitglied der polnischen Revolutionspartei in Petersburg recht berüchtigt gewesen sein sollen. Heute sind Sie – – na, sagen wir – – Agent des russischen Auswärtigen Amtes, habe also ziemlich schnell den Rock total gewechselt.“

„Ändert diese Ihnen angeblich durch einen Zufall zugegangene Mitteilung etwas an unseren Beziehungen?“ fragte der Pole kalt, ohne eine Miene zu verziehen.

„Nein – – durchaus nicht. Ich meinte nur –“ lenkte Köhler schleunigst ein.

„Na also!“ unterbrach ihn Orsakow mit überlegenem Lächeln. „Ich denke, das Geld des polnischen Revolutionärs wäre ebensoviel wert wie das des Agenten der russischen Regierung. – Im übrigen, lieber Freund – kümmern Sie sich möglichst wenig um meine Privatverhältnisse, sonst – müßte ich Sie fallen lassen. Was das für Sie für Folgen hätte, wissen Sie ja – –“

In Heinz von Köhler kochte ohnmächtige Wut. Aber er schwieg. Dieser Orsakow hatte ja leider von ihm einen Wechsel in Händen, dessen eine Unterschrift, angeblich die des alten Oberregierungsrates Köhler, nicht ganz einwandfrei war. Und dieser Fetzen Papier stellte das Mittel dar, welches jede Widersetzlichkeit des nach zweimaligem Durchfall im großen Staatsexamen aus dem Dienste ausgeschiedenen Regierungsreferendars sofort im Keim erstickte.

Orsakow hatte inzwischen seinen seidegefütterten Paletot angezogen und den spiegelblanken Zylinder ergriffen.

„Vorläufig hätten wir denn also nichts weiter zu tun, als abzuwarten,“ sagte er, die Handschuhe überstreifend. „Bevor ich mich aber verabschiede, will ich Ihnen doch noch eine kleine Freude bereiten, Köhler. Die Nachricht, daß dieser mit allen Salben gesalbte Schroeder glücklich ins Ministerium eingeschmuggelt ist, hat doch einen Wert von – – na – – von fünfhundert Mark für mich. Hier sind sie. Eine kleine Anzahlung hat mein Besuch für Sie also doch abgeworfen. – Adieu – auf Wiedersehen. Und nochmals – der Schroeder soll die Augen auftun! Und erinnern Sie den Mann auch daran, daß sich mit Hilfe von Wachs sehr leicht Abdrücke von Schlüsseln nehmen lassen. Für die Anfertigung dieser kleinen Bundesgenossen sorge ich dann schon – –“

Als der Pole gegangen war, beeilte sich Heinz von Köhler, seinen bequemen Hausanzug gegen ein schwarz und grau gestreiftes Beinkleid, einen dunklen Rock und ebensolche Weste zu vertauschen. Vera mußte ja jeden Augenblick kommen. Und er wollte es die Schwester nicht gern merken lassen, daß er wieder die ganze Nacht durchschwärmt und noch nicht einmal gehörig Toilette gemacht hatte.

Wenige Minuten vor fünf klingelte es draußen erneut. Heinz öffnete dieses Mal selbst und ließ die Schwester dann in sein Zimmer eintreten. Kaum hatte er die Tür wieder ins Schloß gedrückt, als er auch sofort ängstlich fragte:

„Hast du die Sachen mitgebracht, Vera?“

Er streckte ihr dabei die Hand zum Gruße hin.

Vera übersah sie. Langsam ließ sie sich in den Klubsessel fallen, den vorhin der Pole innegehabt hatte, und begann dann sofort mit einem Blick, in dem nichts als Verachtung für den Bruder zu lesen war:

„Die Schmuckstücke befinden sich bei Adda Winkler in meiner Reisetasche. Doch wisse – es ist dies das erste und letzte Mal, daß ich mich, um unseren guten Namen vor Schande zu bewahren, zu Handlungen verstehe, die ich vor mir selbst kaum entschuldigen kann.“

Heinz von Köhler machte nicht einmal den Versuch, irgendwie den Zerknirschten zu spielen. In leichtfertigem Ton erwiderte er nur:

„Brauchst du auch nicht, Kind – –! Ich habe mir jetzt genügend die Finger verbrannt, um mich nicht noch einmal mit Wucherern einzulassen. – Außerdem – deine so deutlich zur Schau getragene moralische Entrüstung ist höchst überflüssig, da ich die ganze Geschichte spätestens im einem Monat wieder einrenken werde. Bis dahin merkt keine Seele was – –“

„Hoffentlich.“ Vera hatte sich schon wieder erhoben. In diesem Zimmer, das von einem süßlichen Parfüm und dem starken Duft türkischer Zigaretten erfüllt war, überkam sie plötzlich ein so starker Ekel vor der Gewissenlosigkeit ihres Bruders, daß sie nur den einen Wunsch fühlte, möglichst schnell wieder ins Freie zu kommen. Und doch konnte sie es nicht über sich bringen, diesen Raum zu verlassen, ohne Heinz einmal ungeschminkt ihre Meinung gesagt zu haben.

Doch ihre wohlberechtigten Vorwürfe, ihre Tränen und ihre wilde Verzweiflung, in die sie sich schnell hineingeredet hatte – alles prallte machtlos an seiner vollständigen Abgebrühtheit ab. Er lehnte mit übereinandergeschlagenen Beinen am Schreibtisch und sagte, als ein heftiger Tränenausbruch ihre Stimme erstickte:

„Also morgen vormittag um neun Uhr treffen wir uns zur Erledigung des kleinen Geschäfts vor dem Café ‚Josty‘ am Potsdamer Platz. Sei aber bitte pünktlich. Du fährst am besten mit dem Motoromnibus, der durch die Barbarossastraße geht – ich glaube, Linie 16 ist es.“

Vera von Köhler erfaßte ein Schauder. Daß ihr Bruder bereits so völlig verderbt sei, hatte sie nicht geahnt. Wie sollte sie auch, da er sich ja in seinen heuchlerischen Briefen stets ganz anders hinzustellen wußte, eben in der Hauptsache als ein Opfer widriger Zufälle, für die er nicht verantwortlich zu machen sei.

Hastig schritt sie zur Tür, obwohl ihre Augen vom Weinen noch stark gerötet waren.

„Ich werde pünktlich sein – –“ – Kein Abschiedswort brachte sie über die Lippen. Wie im Traum stieg sie die Treppen hinab. Unten auf der Straße blieb sie aufatmend stehen, zog erst den Schleier über das Gesicht und eilte dann in der Richtung nach dem Zoologischen Garten davon, wo Adda Winkler in einer stillen Konditorei auf sie wartete.

Heinz von Köhler stand noch immer an den Schreibtisch gelehnt, unbeweglich da. Auf seiner Stirn lag eine tiefe Falte. Unmutig nagte er mit den tadellos gepflegten Zähnen die Unterlippe. Wenn er es Vera auch nicht gezeigt hatte – so gleichgültig, wie er sich den Anschein gab, waren ihm alle diese Vorwürfe doch nicht gewesen. In seinem Herzen lebten doch noch besserte Regungen, die ihm die Erkenntnis aufzwangen, daß er wirklich nichts anderes war als ein gewissenloser Lump. Auch für ihn gab es noch Stunden, in denen er sich zu den besten Vorsätzen aufschwang, in denen er daran dachte, sich frei zu machen von dieser Lebensführung, die ihn immer tiefer in einen grundlosen Sumpf hinabzog. Aber seine Charakterschwäche, seine völlige Haltlosigkeit ließen ihn ebenso schnell wieder dieses Anklingen der wenigen guten Saiten seines Innern vergessen.

Aufseufzend fuhr er sich mit der Hand über die Stirn. Weg mit den nutzlosen Gedanken – –! Seine Lebensbahn führte nun einmal abwärts. Daran konnte er nichts mehr ändern. Zu tief hatte er sich schon in Unternehmungen verstrickt, die ihm – der einzige Trost! – wenigstens goldenen Lohn verhießen. Hatte er den aber erst geerntet, so wollte er wirklich einen dicken Strich unter seine bisherige Lebensrechnung ziehen und ein ganz, ganz neues Konto beginnen.

Wenige Minuten später saß er in einem Auto und fuhr der Barbarossastraße zu.

Die Geheimrätin war daheim.

„Ich komme nur auf einen Sprung, verehrteste Freundin,“ erklärte er ihr, als sie sich im Salon gegenübersaßen.

„Frohe Botschaft,“ fuhr er leise fort und beugte sich ganz dicht zu ihr hinüber. „Orsakow läßt Ihnen für die Vermittlung in der Schroeder-Sache tausend Mark zugehen.“

„Tausend Mark – –?“ Die Geheimrätin war offenbar aufs angenehmste überrascht. „Ich hatte doch nur sechshundert erbeten!“

„Erbeten – ja, stimmt! Ich erlaubte mir aber tausend zu fordern. Die Summe ist runder. Und die vierhundert Emmchen mehr teilen wir uns eben, werte Bundesgenossin,“ erklärte er mit einem zynischen Lächeln.

„Aber selbstverständlich, lieber Herr von Köhler. – Und besten Dank für Ihre freundliche Wahrnehmung meiner Interessen. Wenn ich Ihnen wieder einmal behilflich sein darf – – gern.“

Die beiden edlen Seelen drückten sich kameradschaftlich die Hand.

Köhler war aufgestanden. „Adieu, Gnädigste – und auf Wiedersehen morgen auf dem Basar. Wünsche Ihnen schon jetzt viel Glück und recht große Einnahmen. Sie wirken ja wohl im Sektzelt zum besten der Armen und Bedürftigen.“ Wieder lag um seine Lippen ein ironisches Lächeln.

Der Geheimrätin entging weder die eigenartige Betonung des letzten Satzes noch das spöttische Verziehen der Mundwinkel in dem verlebten Antlitz ihres Besuchers. Ihre grauen Augen, die durch den goldenen Klemmer noch größer und stechender erschienen, bohrten sich förmlich in Heinz von Köhlers Gesicht ein.

„Seien Sie ehrlich,“ stieß sie gepreßt hervor, „Sie meinten etwas Besonderes mit Ihren letzten Worten – –?“ Argwohn lauerte in ihrem Blick, mißtrauische Furcht durchzitterte ihre Stimme.

Der junge Lebemann zögerte mit der Antwort. Blitzschnell über-legte er – – – nein, es war doch schlauer, wenn er diese Frau weiter bei dem Glauben beließ, daß er ihre Beteiligung bei soviel Wohltätigkeitsbestrebungen lediglich für ein Zeichen ihres mitfühlenden Herzens hielt.

Und so sagte er denn mit gut gespielter Aufrichtigkeit: „Ich weiß gar nicht, wie Sie zu solchem Mißtrauen kommen, Gnädigste! Habe ich das verdient? – Und – woran denken Sie eigentlich – Was soll ich denn – – Besonderes gemeint haben?“

Die Geheimrätin gab nicht zu erkennen, ob diese Erklärung sie voll befriedigt hatte. Jetzt spielte um ihre Lippen ein merkwürdiges Lächeln, als sie nach kurzer Pause sagte, während sie leicht ihre weiße Hand auf seinen Arm legte:

„Ihre Schwester hat ja auf der Reise nach hier einen kostbaren Schatz zu behüten gehabt. Es ist wohl der Köhlersche Familienschmuck, den sie mitbrachte, lieber Freund?“

Der ehemalige Regierungsreferendar zuckte merklich zusammen.

„Sie wissen – –?“ stotterte er unsicher.

„Freilich – – aber – – mein Mund kann schweigen, wenn man mich unbehelligt läßt,“ meinte sie, ihn scharf dabei ansehend.

Heinz von Köhler blickte an ihr vorbei auf das Bild des verstorbenen Geheimrats, das dort drüben in goldenem ovalem Rahmen an der Wand hing. – Er hatte verstanden – – das war eine Drohung gewesen, nichts anderes – – Und schnell zog er die einzig mögliche Folgerung aus diesem Wortgeplänkel.

„Glaube ich Ihnen, Gnädigste – –! Gute Kameraden wie wir mit so gleichen Interessen werden sich doch gegenseitig nicht verraten oder einer dem anderen das Spiel verderben – –! Nicht wahr – –?!“

Sie nickte nur. Dann reichte sie ihm, wieder ganz Weltdame, die Hand zum Kuß. Und der Verbündete eines Michael Orsakow drückte zum Abschied seine Lippen auf die zart duftenden Finger der gefährlichen Intrigantin.

 

3. Kapitel.

Am folgenden Vormittag.

Als Hauptmann Freiherr von Westerhart gleich nach acht Uhr morgens sein Arbeitszimmer im Kriegsministerium betrat, leuchtete ihm so recht aufdringlich von dem grünen Bezuge der Schreibtischplatte der dunkellila Umschlag eines Briefes entgegen. Er kannte diese Briefe größten Formats nur zu gut. Und so überlegte er denn, während er seinen hellgrauen Paletot, Säbel und Mütze dem Bureaudiener reichte:

‚Was will denn die Geheimrätin schon wieder von mir?! Die bombardiert mich jetzt förmlich mit ihren Schreiben! – Bin wirklich neugierig.‘ Er schnitt den Umschlag auf und las:

„Lieber Baron!

Würden Sie die Liebenswürdigkeit besitzen und mir heute abend bei dem Basar im Festzelt beim Öffnen der Flaschen behilflich sein – eine kleine Arbeit, die Sie hoffentlich zum Wohle der Bedürftigen gern verrichten werden.

Es grüßt Sie

Ihre

Therese Winkler“

Westerhart lächelte. –

Die Geheimrätin ging scharf ins Zeug, das mußte man sagen! Sie unterließ wahrhaftig nichts, um ihn, den als reich Bekannten, recht bald zum Schwiegersohn zu bekommen. – – –

Weiter eilten seine Gedanken. Er dachte an den Freund, an dessen so aussichtslose Liebe zu Adda Winkler – – und mißmutig zerriß er den Brief, schleuderte die Stücke in den Papierkorb und setzte sich an seine Arbeit.

Eine halbe Stunde später wurde er zu seinem Onkel, dem Abteilungsvorstand im Kriegsministerium, Oberst von Westerhart, gerufen.

Dieser, ein Mann anfangs der Fünfziger mit energischem, strengem Gesicht, empfing den Neffen in seinem elegant eingerichteten Bureau und wies ihm nach kurzer Begrüßung einen Stuhl neben seinem Schreibtischsessel an.

„Ich bin mit deinen bisherigen Leistungen sehr zufrieden, Egon,“ begann der Oberst mit einem fragenden Blick auf die Aktentasche, die der Hauptmann ängstlich unter dem Arm festklemmte. –

„Ich sehe auch, du hältst dich genau an die Instruktion. In der Tasche befindet sich doch deine jetzige Arbeit, nicht wahr – –? Gut so! Nie etwas von geheimen Papieren in deinem Zimmer zurücklassen, nie – auch wenn du es nur auf wenige Augenblicke verläßt. Wir sind selbst hier nicht vor Spionen sicher – vergiß das nicht! Entweder zurück mit den Sachen in den Archivraum oder bei Gängen hier im Ministerium alles mitnehmen – –! –

Doch nun zu dem eigentlichen Zweck dieser Unterredung. Ich habe hier eine Zusammenstellung der russischen Grenzfestungen nebst genauen Zeichnungen der sie schützenden Außenforts. Du siehst hier in den Zeichnungen mit seinen roten Strichen die Punkte markiert, die wir bei einem Rekontre mit Rußland auf Grund unserer bisherigen Informationen als die günstigsten bei einem Angriff festgelegt haben. Se. Exzellenz fordert nun von uns bis morgen mittag eine Ergänzung dieser Pläne an der Hand von Aufzeichnungen und Skizzen, die in diesem Umschlage eingeschlossen sind und uns von unserem Militärattache als äußerst wichtig letztens zugestellt wurden. Prüfe also die Zeichnungen nach und vergleiche, ob die Anlage neuer Forts und Batterien eine Änderung der besagten Angriffspunkte notwendig macht. Du findest in diesem Aktenstück alles Nötige und wirst dich schnell orientieren können. Aber gehe mit der größten Genauigkeit vor! Du wirst vielleicht die Nacht zu Hilfe nehmen müssen – – Und deine jetzige Aufgabe – es ist die Berechnung der artilleristischen Stärke der holländischen Festungen an der deutschen Grenze, nicht wahr? – lege nur bis auf weiteres, bis morgen mittag eben zurück. –

Hier, packe die Papiere mit in deine Ledertasche ein, damit nichts verloren geht. –

Ich freue mich wirklich, Egon, dir diese Arbeit anvertrauen zu können. Erledigst du sie zur Zufriedenheit Sr. Exzellenz, so dürfte dir eine Vorpatentierung sicher sein.“

Und der Oberst half ohne eine weitere Frage seinem Neffen höchst-eigenhändig die geheimen Aufzeichnungen und Pläne in die Aktentasche unterzubringen.

Es war beinahe elf Uhr, als der Hauptmann in sein Zimmer zurückkehrte und sich mit verzweifeltem Eifer zunächst an die Sichtung des Materials für seine neue Aufgabe machte. Sehr bald hatte er sich einen Überblick verschafft. Länger wie acht Stunden würde er zu der Arbeit kaum gebrauchen. Freilich – auf die Teilnahme an dem heutigen Basar mußte er verzichten. Das ging nicht anders. Nun, soviel lag ihm auch nicht an diesem Fest. Um die Geheimrätin zu trösten, würde er ihr durch seinen Diener einen Brief schicken, darin drei Hundertmarkscheine ‚für die Armen‘. Dann hatte er seinen Beitrag zu den Einnahmen geleistet, und das blieb ja die Hauptsache.

Die Zeit verstrich. Ohne sich eine noch so kurze Ruhepause zu gönnen, arbeitete er weiter, bis ihn der Eintritt des Bureaudieners zur ersten Unterbrechung zwang.

„Nun, was gibt’s, Schroeder?“

„Ein Telegramm für den Herrn Hauptmann,“ meldete jener, reichte ihm die Depesche hin und verschwand.

„Muß dich unbedingt heute mittag im Kasino sprechen. Ebenso mache dich auf jeden Fall für den Abend zum Basar frei. Von allergrößter Wichtigkeit.

Ottkens“

So lautete das Telegramm.

Zunächst wollte Westerhart dem Freunde sofort zurückdepeschieren, daß er nicht abkömmlich sei. Dann überlas er die dringende Aufforderung seines Regimentskameraden nochmals. Wenn Ottkens von ‚allergrößter Wichtigkeit‘ sprach, hatte die Sache fraglos etwas auf sich. –

Konnte er seinen besten Freund im Stich lassen – –? Gab es denn keine Ausweg – –? Wie, wenn er das gesamte Material mit nach Hause nahm und dann nachher den Rest der Nacht opferte? Es wäre ja nicht das erste Mal, daß er bis in den hellen Morgen bei einer schnell zu erledigen Aufgabe gesessen hätte – –! –

Freilich, dann mußte er den strengen Befehl umgehen, demzufolge keinerlei dienstliche Schriften auch nur auf Stunden aus dem Ministerium entfernt werden durften. –

Nochmals durchblätterte er die Aufzeichnungen und Skizzen und berechnete sich abermals genau die im ungünstigsten Falle notwendige Arbeitszeit, brachte auch sein etwas unruhig gewordenes Gewissen durch den Gedanken zum Schweigen, daß einmal niemand ahnen konnte, welch gefährliche und wertvolle Urkunden bald in seinem Schreibtisch daheim verschlossen sein würden, und daß ferner sein großer, auf den Mann dressierter russischer Windhund Rostan gegen zufällige Einbrecher der beste Schutz war. Gewiß – er hätte ja seinen Diener bis zu seiner Rückkehr in seinen Zimmern wachen lassen können. Aber diese bisher nie gebrauchte Maßregel wäre nur aufgefallen – – und außerdem wußte er auch nicht, welchen Grund er hierfür seinem alten Bedienten angeben sollte, wo doch nur die volle Wahrheit die Notwendigkeit einer verschärften Bewachung seiner Räume erklären konnte.

Eine Stunde später verließ Egon von Westerhart dann das Ministerium und fuhr in einem Automobil nach seiner Wohnung. In der Aktenmappe neben sich aber trug er die geheimen Papiere über die Angriffslinien der russischen Grenzfestungen mit sich. –

*

Der dem Hauptmann von Westerhart zugeteilte Bureaudiener vertauschte nach dem Fortgange seines Herrn in fieberhafter Eile seine Dienstkleidung mit einem unscheinbaren Zivilanzug. Und wenige Minuten danach befand er sich bereits auf dem Wege zu Heinz von Köhler.

„Was gibt’s, Schroeder? Diese Unvorsichtigkeit – Wie können Sie nur!“ flüsterte der junge Lebemann hastig und ließ den Besucher, dem er selbst geöffnet hatte, schleunigst in sein Zimmer eintreten.

„Ich weiß, es war von mir leichtsinnig, Sie hier so am hellen Tage aufzusuchen,“ begann Schroeder entschuldigend. „Aber die Sache hat Eile. Ich konnte damit nicht warten, bis wir ein Zusammentreffen an dem gewöhnlichen Orte draußen in der Vorstadt verabredet hatten. Ich bin natürlich sehr aufmerksam gewesen. Niemand hat mich gesehen, als ich das Haus betrat – –“

„Schon gut – – was gibt’s denn so Wichtiges?“

„Hauptmann von Westerhart,“ flüsterte der andere mit schlauem Augenblinzeln, „hat heute verschiedene Dokumente und Papiere mit sich genommen, die er vormittags von Oberst von Westerhart ausgehändigt erhielt. Ich habe, als ich ihm eine Depesche überreichte, genau hingesehen. Es waren Zeichnungen von Festungen mit darangeklebten langen Beschreibungen. Als er dann vor etwa einer Viertelstunde das Ministerium verließ, nahm er fraglos einen Teil der Papiere in seiner Mappe mit. Ich paßte nämlich auf, wie er mit seinem Arbeitsmaterial nach dem Archivraum ging, um die Dokumente, wie immer, einzuschließen. Da fehlte eine ganze Menge von dem, was ich noch kurz vor-her auf der Schreibtischplatte erblickt hatte. Für mich besteht kein Zweifel, augenblicklich befinden sich in Hauptmann von Westerharts Wohnung Urkunden, die in unseren Händen – – zu Gold werden könnten. Sie verstehen mich, nicht wahr?“

Köhler nickte eifrig. „Sie haben recht, Schroeder, wir müssen versuchen, die Urkunden in unseren Besitz zu bekommen. Die Frage ist nur, wie man’s anfangen soll – –!“

Der Bureaudiener wiegte den Kopf bedächtig hin und her. „Ja, das ‚wie‘ – das wird uns schwer fallen! Mit Gewalt ist da nichts zu machen. Der Hauptmann hat einen alten Diener, der die Wohnung kaum verläßt, und Nachts wacht der große Windhund mit seinem gefährlichen Gebiß über seinen Herrn! – Nur List kann zum Ziele führen – – nur – – List!“ Und dabei blickte Schroeder den anderen bedeutungsvoll an.

„Heraus mit der Sprache – – Sie haben bereits eine Idee, nicht wahr?“

„Ja, die habe ich wirklich. Und sie ist nicht schlecht, scheint mir. Jedenfalls können wir es mal versuchen. Eine Gefahr ist kaum dabei – –“

Köhler lauschte gespannt auf das, was der Bureaudiener ihm vortrug, erwog dann auch selbst alle Möglichkeiten und mußte sich schließlich sagen, daß der Plan – und zwar einzig und allein dieser Plan – Erfolg versprach. –

„Gut,“ meinte er, „ich werde also sofort alles Nötige veranlassen. – Um das Weitere brauchen Sie sich nicht zu bekümmern, Schroeder. Sie erhalten dann später Ihre festgesetzte Belohnung.“

Daß Michael Orsakow die Ausführung des wirklich vorzüglichen Planes übernehmen würde, verschwieg Köhler wohlweislich. Denn der Graf sollte ja für Schroeder, einen Abenteurer schlimmster Sorte, überhaupt nicht vorhanden sein.

*

Heinz von Köhler hatte bereits an demselben Vormittag ein anderes, weniger angenehmes Geschäft erledigt. Pünktlich neun Uhr traf er sich wie verabredet mit Vera vor dem Café ‚Josty‘ am Potsdamer Platz. Das junge Mädchen hatte die Schmucksachen in einer einfachen Papierumhüllung mitgebracht und wollte sie nun ohne viel Worte Heinz aushändigen.

„Behalte sie nur,“ wehrte er jedoch ab. „Denn du mußt die Dinger auch selbst nutzbringend anlegen. – Wozu das bestürzte Gesicht? Es muß sein. Ich habe dir hier einige auf meinem Namen lautende Legitimationspapiere mitgebracht. Zeigst du diese vor, so werden dir im Leihamt nicht die geringsten Schwierigkeiten entstehen.“

Vera zitterte vor Scham und Entrüstung.

„Und das mutest du mir wirklich zu – –! Nie – nie gebe ich mich auch noch dazu her – –! Lieber mag das Verhängnis über uns herein-brechen – – Habe ich nicht schon gestern genug Demütigungen auf mich genommen, als ich, nur um zu sparen, in einem Abteile 2. Klasse verängstigt wie eine Diebin hierher fuhr, jeden Augenblick befürchtend, daß man an meiner fieberhaften Aufregung merken müßte, welchen Schatz ich in der gelben Reisetasche bei mir hatte, noch dazu Sachen, die mir nicht gehörten – daß der Zweck dieser Reise durch einen Zufall entdeckt werden konnte und ich dann entehrt fürs ganze Leben – –! –

Habe ich dir nicht schon all meinen Stolz geopfert – – Verlangst du wirklich noch mehr von mir – –?!“

Sie waren inzwischen bis an die Friedrichstraße gelangt. –

Der frühere Regierungsreferendar mochte jetzt einsehen, daß Vera sein Ansinnen tatsächlich nicht erfüllen werde.

„Dann hättest du mir auch gestern gleich den Kram mitbringen können,“ meinte er wütend. „Es sieht eben viel harmloser aus, wenn eine junge Dame derartige Schmuckstücke versetzt, als wenn ich dies tue. – Widersprich nicht – –! Davon verstehst du nichts!“

Vera weinte still vor sich hin. Schon wurden die Passanten auf sie aufmerksam. Man schaute sich neugierig nach dem Paare um, das, offenbar in heftigem Streit begriffen, am Eingang des Untergrundbahnhofs Friedrichstraße stand.

„Nimm dich zum Donnerwetter zusammen! Was soll das Geflenne!“ flüsterte Heinz ihr ärgerlich zu. „Ich werde die Sache allein besorgen. – Adieu – –“

Damit machte er kurz kehrt und ließ sie allein.

Kriminalschutzmann Reinbach, der heute die weitere Überwachung der verdächtigen jungen Dame selbst übernommen hatte und einige Schritte entfernt von einem Schaufenster aus auch Zeuge dieser letzten Szene geworden war, konnte sich nicht gleich schlüssig werden, ob er dem elegant gekleideten jüngeren Herrn folgen solle, von dem er durch Winters Ermittlungen bereits wußte, daß es ein Regierungsreferendar von Köhler war, oder ob es besser sei, dessen Schwester, die noch immer unschlüssig an derselben Stelle stand und heimlich ihre Tränen trocknete, einfach anzusprechen und von ihr Aufklärung über seine bisherigen zumindest recht auffallenden Beobachtungen zu verlangen.

Er entschied sich für das letztere.

Vera fuhr entsetzt zusammen, als plötzlich ein Herr an sie herantrat und höflich um einige Augenblicke Gehör bat. Erst wollte sie ihn entrüstet abweisen. Als er dann aber Namen und Titel nannte, folgte sie ihm willenlos durch stille Straßen nach dem Wilhelmplatz, wo beide sich auf einer leeren Bank niederließen.

Vera hatte schnell zu dem freundlich auf sie einredenden Beamten Vertrauen gefaßt. Es drängte sie förmlich, einem Menschen ihr übervolles Herz auszuschütten. Und diesem Manne gegenüber, der so eindringlich zu bitten verstand und der ihr so fest versprach, daß er nur im äußersten Notfall von dem Gehörten dienstlichen Gebrauch machen würde, befand sie sich ja außerdem geradezu in einer Zwangslage.

Still hörte der Kommissar zu. Und als sie mit ihrer Beichte zu Ende gekommen war, sagte er in seiner ruhigen, überzeugenden Weise:

„Ein wahres Glück, mein gnädiges Fräulein, daß ich gestern im D-Zug Halle-Berlin auf Sie aufmerksam wurde. Ich werde Ihr Vertrauen zu rechtfertigen suchen. Sie werden weiter von mir hören. Kehren Sie jetzt beruhigt zu Ihrer Freundin zurück. Oder noch besser – erholen Sie sich erst etwas bei einem Spaziergang durch den zu dieser Zeit noch menschenleeren Tiergarten. Wenn Sie gestatten, begleite ich Sie ein Stück.“ –

Während Vera von Köhler an der Seite des liebenswürdigen Kriminalkommissars durch die stillen Wege des Tiergartens wanderte, stand Adda Winkler vor dem hohen Eckspiegel in dem kleinen Salon und ließ sich von ihrer Stiefmutter und der Schneiderin wie eine Puppe hin und her drehen. Das neue duftige Spitzenkleid, das sie am Nachmittag zu dem Basar des Vereins ‚Frauenwohl‘ zum ersten Mal tragen sollte, wurde soeben der letzten Musterung unterzogen. Auf dem blassen Gesicht des jungen Mädchens war auch nicht eine Spur von Vorfreude auf dieses Fest, dessen Vorbereitungen die Damen der ersten Gesellschaftskreise der Reichshauptstadt seit Monaten in Atem hielten, zu bemerken. Über diesem feingeschnittenen Antlitz, das mit seinen weichen, edlen Linien an jene Frauenköpfe auf den entzückenden altvenezianischen Gemmen erinnerte, lag es wie ein Hauch von schmerzlichem Verzichten.

Und bisweilen flog ein Zucken um ihren Mund wie die ersten Anzeichen aufsteigender Tränen. –

Endlich war diese Anprobe, die für das junge Mädchen nur eine Qual bedeutete, vorüber. Die Frau Geheimrat sprach der Modistin mit vielen liebenswürdigen Worten ihre vollste Zufriedenheit aus, schien aber an eine sofortige Bezahlung der Rechnung, die ihr in bescheidenster Art mit dem Hinweis auf bevorstehende größere Ausgaben, augenblicklichen Geldmangel und die schlechten Zeiten überhaupt präsentiert wurde, gar nicht zu denken. Mit vornehmer Sicherheit ging sie über diesen unangenehmen Punkt hinweg und meinte dann, als die Schneiderin sich noch immer nicht verabschieden wollte, mit einem nicht mißzuverstehenden Blick:

„Ich danke Ihnen, Fräulein Müller. Wir brauchen Sie nicht weiter. Den Betrag stelle ich Ihnen in den nächsten Tagen zu.“

Kaum waren die Damen aber allein, als das spitze Gesicht der Geheimrätin den bisherigen sanften Ausdruck verlor und auch ihre Stimme eine schneidende Schärfe annahm.

„Was muß sich nur die Müller gedacht haben, als du mit dieser Leichenbittermiene, stumm wie ein Fisch, vor dem Spiegel standest!“ rief sie erregt. „Ich habe sehr wohl gesehen, wie sie dich des öfteren recht forschend anschaute. Sicherlich hat die Person doch jetzt nichts Eiligeres zu tun, als diese interessante Neuigkeit in ihrem Kundenkreis weiterzuverbreiten. Und ich will nicht, daß man sich mit den Vorgängen in meinem Hause mehr wie nötig beschäftigt, besonders da es mir kaum erst gelungen ist, die peinlichen Erörterungen und Klatschereien zum Schweigen zu bringen, die sich an den unter so merkwürdigen Umständen erfolgten Tod deines Vaters knüpften. Jedes andere junge Mädchen wäre über das Geschenk einer so kostbaren Toilette entzückt gewesen! Du dagegen –!? Aus deinem Verhalten kann man nur Schlüsse ziehen, die dich als launenhaft und undankbar hinstellen und deine Charakterveranlagung in das schlechteste Licht rücken. Und daß derartige Redereien über dein Benehmen den Aussichten auf eine gute Partie keineswegs förderlich sind, wirst du dir wohl selbst sagen. Und als die Tochter eines Mannes, der sich seines leichtsinnigen Lebenswandels wegen den Tod geben mußte, hast du allen Grund, der Welt zu beweisen, daß du anders geartet bist und nicht auch dessen Leichtfertigkeit und Unbeständigkeit geerbt hast.“

Die Stimme der Geheimrätin war immer schriller geworden und der goldgefaßte Kneifer auf ihrer schmalen Nase bebte leicht. „Ein für allemal verbitte ich mir eine solche Aufführung, Adda, verstehst du mich! Ich will heute nachmittag ein anderes Gesicht von dir haben, vergiß das nicht! Es dürfte dir teuer zu stehen kommen, wenn du wieder den Eindruck erwecken solltest, als ob ich dich zur Teilnahme an derartigen Veranstaltungen zwinge.“

Adda war bei diesen Worten ängstlich zusammengezuckt und kämpfte mit den aufsteigenden Tränen, obwohl sie an ähnliche Szenen gewöhnt war, die ihr schon längst jeden jugendlichen Frohsinn und jede Lebensfreude genommen hatten. Früher, da wagte sie es noch bisweilen gegen ihre verbitterte und lieblose Stiefmutter aufzutreten, da wollte sie sich nicht so willenlos deren Wünschen fügen. Aber dieser hartherzigen Frau gegenüber war sie völlig machtlos. Hatte doch die Geheimrätin stets eine Drohung in Bereitschaft, die jeden Widerstand ihrer Stieftochter sofort beugte. Den unbescholtenen Namen des geliebten Vaters, der sein einziges Kind vergöttert und ihm über den Verlust der früh verstorbenen Mutter mit so zarter Fürsorge hinweggeholfen hatte, durfte das junge Mädchen nicht preisgeben. Nie sollte die Welt die wahre Ursache erfahren, weshalb er sich damals vor fünf Jahren das Leben genommen hatte! Lieber wollte Adda ihr Elend weiter tragen und zu alldem schweigen, was sie an demütigenden Geheimnissen in ihrem Herzen verbarg. Und wenn sie trotz ihrer verschüchterten Seele einen letzten Versuch machte, dem Basar am heutigen Nachmittag zu entgehen, so geschah es nur, weil ihr ganzes sittliches Empfinden sich stets von neuem dagegen sträubte, die – – Mitschuldige ihrer Stiefmutter zu werden – ruhig zuzusehen, wie diese Frau mit dem Benehmen der gereiften Weltdame Handlungen beging, die jeder Strafrichter ahnden mußte. Alles in ihr empörte sich auch heute wieder in ohnmächtiger Wut gegen die ihr aufgezwungene Rolle – – Sie hätte das zarte Kleid mit dem reichen Spitzenbesatz in Fetzen zerreißen mögen – –! Sah sie doch darin nichts weiter als ein sie erniedrigendes Lockmittel, das die Herren an ihren Verkaufstisch fesseln und so ihre Einnahme vergrößern sollte – alles nur, damit jenes Weib, das sie gezwungen war, Mutter zu nennen, später – – –

Aber an dieser Stelle machten Addas Gedanken immer wieder schaudernd Halt. Sie mochte sie nicht ausdenken, da sich ihr dann mit entsetzlicher Klarheit die Erkenntnis aufgedrängt hätte, daß sie wirklich nichts anderes war als die Mitwisserin und Mitschuldige dieser Frau, die bisher freilich nicht ahnte, wie vollständig ihr Spiel bereits durchschaut war. Noch nie hatte Adda es gewagt, ihr einmal offen gegenüberzutreten. Dazu fürchtete sie die leicht aufbrausende und nie um eine Ausrede, eine Bemäntelung verlegene Frau zu sehr. Daher bat sie auch jetzt mit halberstickter Stimme, indem sie ihre Stiefmutter flehendlich ansah:

„Mama, sei doch barmherzig und laß mich zu Hause bleiben. Ich habe ja heute meine schlimmste Migräne. Und in dem Zustande kann ich doch nicht stundenlang hinter dem Verkaufstisch in dem Sektzelte stehen und mich unterhalten – womöglich noch vergnügt sein, wie du es verlangst – –! – Du weißt nicht, wie ich leide, wie mich sogar die Augen schmerzen – – –“ Und zwei Tränen rollten ihr langsam über die blassen Wangen.

Die Geheimrätin lachte nur höhnisch auf. Und mit einem argwöhnischen Blick, der in der Seele ihrer Stieftochter lesen zu wollen schien, sagte sie lauernd:

„Möchtest du mir nicht endlich einmal den Grund nennen, weshalb du jedes Mal in so auffälliger Weise neue Ausflüchte ersinnst, um diesen Wohltätigkeitsfesten fernzubleiben? Denn an diese Migräne glaube ich nicht. Außerdem dürfte sie wohl durch ein Pulver und einen längeren Spaziergang bald beseitigt werden. Auch wirst du doch deine Freundin Vera, die du ja besonders zu diesem Basar eingeladen hast, kaum derart im Stich lassen wollen. – Nun – ich möchte deine Antwort hören. Ich bin wirklich gespannt darauf.“

Die Sätze klangen trotz der beißenden Ironie merkwürdig tastend und unsicher. Und wieder traf jetzt Addas Antlitz ein forschender Blick, in dem es wie eine geheime Befürchtung lag. – Aber die Frau Geheimrat gewann bald ihre ganze Sicherheit zurück, als das junge Mädchen verlegen schwieg und verschüchtert zur Seite schaute.

„So, so, dann scheine ich also doch mit meiner Annahme recht zu haben. Du willst nur Hauptmann von Westerhart keine Gelegenheit geben, sich dir zu nähren, – natürlich! Der ‚schöne‘ Ottkens, der auch nicht einen Pfennig sein eigen nennt, ist dir wohl als Bewerber willkommener – –! Nun, die Gedanken schlage dir nur vollständig aus dem Sinn. Meine Einwilligung zu einer Heirat mit diesem Herrn, der nicht einmal ein besonders guter Offizier sein soll und daher kaum eine Zukunft hat, erhälst du nie und nimmermehr! Ich hoffte auch, daß Ottkens nach der Unterredung, die wir vorgestern bei unserem zufälligen Zusammentreffen bei Exzellenz Bausenitz hatten, nicht mehr die Unverfrorenheit besitzen wird, dir weiter in so offenkundiger Weise den Hof zu machen. Ich kann dir nur immer wiederholen, Adda, was du jetzt eigentlich schon längst als Richtschnur für dein ganzes Verhalten und deine Lebenspläne deinem Gedächtnis eingeprägt haben solltest: Ich verlange von dir, daß du, die in der Herrenwelt unserer Kreise soviel Anklang findet und mit Leichtigkeit einen vermögenden Mann heiraten kann, mir jene achtundzwanzigtausend Mark, die mein sauer erspartes Vermögen waren und die ich hingab, um das Defizit in der Kasse der Aktiengesellschaft bei deines Vaters Tode zu decken und dessen Spielschulden zu bezahlen, zurückerstattest, damit ich nicht für den Rest meines Lebens allein auf die kärgliche Pension angewiesen bin. Ich meine, dieses Verlangen würde wohl jeder für durchaus berechtigt halten. Und wenn du auch nur eine Spur von Dankbarkeitsgefühl und die richtige Schätzung für meine aufopfernden Bemühungen besäßest, durch die ich uns unsere Stellung in der Gesellschaft zu behaupten wußte, so würdest du meinen Wünschen auch ohne dieses ewige Mahnen an deine Pflicht entgegenkommen.“

Die Geheimrätin, die bisher langsam in dem kleinen Salon auf und ab gegangen war, blieb vor der Stieftochter stehen und legte ihr leicht die ringgeschmückte Hand auf den Arm. Und mit einer Stimme, in die sie – allerdings vergeblich – einen warmen, mütterlichen Ton hineinzubringen versuchte, fuhr sie fort:

„Nimm doch Vernunft an, Kind! Freiherr von Westerhart hat fraglos ernste Absichten. Er ist reich, ungeheuer reich, ich weiß es aus ganz sicherer Quelle. Und gegen sein Äußeres und seine sonstige Lebensführung dürftest du auch kaum etwas einzuwenden haben. Wirf dieses Glück, das du so mühelos erringen kannst, nicht leichtsinnig von dir. Sei verständig, Adda! Denke daran, wie sehr du verhöhnt bist, wie sehr – – bis zum Tode deines Vaters haben wir im Überfluß gelebt, und jetzt mache ich es durch meine – – Sparsamkeit möglich, daß wir ein ganz behagliches und nach außen hin durchaus standesgemäßes Dasein führen. Glaube mir – eine Ehe –, die mit Entbehrungen kämpfen muß, ist das Grab selbst der größten Liebe. Und – wie gesagt – dieser Ottkens muß für dich völlig ausscheiden. Sollte ich irgendwie merken, daß dieser hoffentlich noch ganz harmlose Flirt fortgesetzt wird, so würde ich nötigenfalls unseren Wohnsitz verlegen. Für eine Adda Winkler findet sich auch noch anderswo eine passende Partie. –

Und nun, mein Kind, wollen wir diesem unerquicklichen Gespräch ein Ende machen. Benutzte die Zeit bis zum Mittagessen zu einem Spaziergang, damit – – sich deine Migräne verliert und du für das Fest frische Farben bekommst.“

Dann versuchte sie das junge Mädchen auf die Stirn zu küssen.

Aber mit einer beinahe schroffen Bewegung wich Adda ihr aus. Um keinen Preis der Welt hätte sie in diesem Augenblick die Berührung mit diesem Munde ertragen, der soeben Worte ausgesprochen hatte, wie sie nur die hinter heuchlerischem Wohlwollen versteckte Selbstsucht zu formen vermag. Im übrigen jedoch ließ sie gerade dieses auch schon mehr als einmal erörterte Thema Westerhart–Ottkens kalt – allerdings aus Gründen, die ihre Stiefmutter trotz all ihrer scharfen Beobachtungsgabe wohl kaum erraten haben würde. Denn niemals wäre die von ihrer unbeschränkten Macht über die Stieftochter so fest überzeugte Geheimrätin auch nur im entferntesten auf die Vermutung gekommen, daß das so scheue, ängstliche junge Mädchen mit einer ihm sonst fremden Selbstständigkeit über seine Zukunft entschieden hatte. –

Aber einen Erfolg – einen völlig unbeabsichtigten jedoch – hatte diese heutige Aussprache zwischen den beiden so ungleichen Frauen trotzdem gehabt. Adda war ihrer Stiefmutter klugerweise jede weitere Erklärung schuldig geblieben, dabei aber zu dem festen Entschluß gekommen, sich jetzt rückhaltlos dem Manne anzuvertrauen, in dessen Hände sie vor kaum zwei Wochen mutig ihr ferneres Geschick gelegt hatte. Denn der heutige Tag zeigte ihr wieder mit erschreckender Deutlichkeit, wie hilflos sie all diesen Widerwärtigkeiten gegenüberstand und wie schwer ihre junge Liebe bedroht war. Horst Ottkens, würde schon einen Ausweg finden, würde auch begreifen und entschuldigen, warum sie so lange dieses schmachvolle Geheimnis fest in ihrer Brust verschlossen hatte.

Die Frau Geheimrat war nicht wenig erstaunt, als Adda dann nach kaum zwei Stunden mit frischgerötetem Gesicht und fröhlich blinkenden Augen von ihrem Spaziergange heimkehrte und sogar leise ein Liedchen trällerte, während sie Hut und Jakett draußen im Flur in den großen Schrank hängte. Sie ahnte ja nicht, daß zwei junge, verliebte Menschenkinder im Tiergarten einer aus den strahlenden Augen des anderen neuen Mut zu getreuem Ausharren und die zuversichtliche Hoffnung auf eine glückliche Lösung aller Schwierigkeiten geschöpft hatten.

 

4. Kapitel.

Vor dem Basar.

Der Tischälteste, Major von Garlehn, hatte soeben das offizielle Mittagessen mit dem üblichen ‚Gesegnete Mahlzeit, meine Herren!‘ aufgehoben. Sofort flammte hie und da ein Streichhölzchen auf, und die leichten Rauchwolken von Zigarren und Zigaretten bildeten schnell einen feinen Dunstschleier über der Tafel, die jetzt einige der in kurze, blaugestreifte Jacken gekleidete Ordonnanzen abzuräumen begannen, während andere den Kaffee in den wappengeschmückten Tassen herumreichten. –

Es mochten in dem Speisesaale des Kasinos vielleicht fünfzehn Offiziere des altberühmten Garde-Regiments versammelt sein, die meisten Angehörigen des ältesten Adels, mit deren Namen Jahrhunderte deutscher Ruhmesgeschichte verknüpft waren, alles rassige, schmale Gesichter, denen selbst der rote Uniformkragen das frische Aussehen nicht nehmen konnte. Die bisher nur mit gedämpfter Stimme geführte Unterhaltung wurde allgemeiner und ungezwungener. Besonders an dem einen Ende des Tisches ging es plötzlich recht lebhaft zu. Von allen Seiten wurde der kleine Leutnant von Osteroden, der seine vielfachen Talente in den Dienst des am Nachmittag um sechs Uhr beginnenden Basars gestellt und unvorsichtigerweise einige Bemerkungen über die zu erwartenden Überraschungen fallen gelassen hatte, mit neugierigen Fragen bestürmt, die sämtlich darauf hinausliefen, ob sich der Besuch des Wohltätigkeitsfestes denn wirklich verlohne. Auch die Herren Hauptleute waren mit einem Male von ihrem bisherigen Gesprächsthema, das sich um die Güte des letzten Rekrutenersatzes gedreht hatte, abgekommen und wollten ebenfalls wissen, was ihnen dort ‚fürs Geld geboten würde‘, wie Hauptmann von Sperber sich ausdrückte. Doch Osteroden hüllte sich weiter in vielsagendes Schweigen, bis endlich der Tischälteste selbst eingriff.

„Raus mit der Sprache, Osteroden!“ rief er ihm über die Tafel zu. „Wir sind doch hier ganz unter uns – –! – Oder hat man Ihnen etwa das Ehrenwort abgenommen und Ihnen so auf die sicherste Art den Mund verschlossen – –?! – Na also! Denn man los! Außerdem nützten Sie doch nur der guten Sache, wenn Sie uns die Kaviarbrötchen recht prima schildern – – Wegen Automaten-Groschenbrötchen und Apfelwein läuft ja selbst mein ‚Kognak‘ nicht hin. –

‚Kognak‘ ist nämlich mein Terrier, meine Herren, und der Köter säuft Ihnen wahrhaftig nur Champagner von zwölf Mark aufwärts und frißt Kaviar nur, wenn man ihm die unbezahlte Rechnung über dasselbe Pfund zu 29,50 vorher unter die Augen hält.“

Die Mordsgeschichten von dem berühmten ‚Kognak‘ kannte man schon zur Genüge. Aber trotzdem lachte alles – selbst die aufwartenden Ordonnanzen grinsten heimlich. Denn der Major wußte seine Münchhausiaden mit so unerschütterlichem Ernst vorzubringen, daß ihn darum jeder Berufskomiker hätte beneiden können.

Jetzt ließ sich auch Osteroden nicht länger nötigen.

„Gut,“ meinte er mit einer leichten Verbeugung zu dem Major hin, „ich werde die heutige Veranstaltung also mit kurzen Worten zeichnen. – Zunächst, – Herr Major können mit ‚Kognak‘ uns ruhig die Ehre Ihres Besuches schenken. ‚Kognaks‘ Feinschmeckergaumen dürfte kaum enttäuscht werden. Das genügt wohl, um die materiellen Genüsse als tatsächlich erstklassig hinzustellen. Sodann, meine Herren, mache ich auf das wirklich drehbare Karussell aufmerksam, dem ich als geistiger Leiter vorstehe.“ –

Ohne die mehr oder weniger witzigen Zwischenrufe zu beachten, die zumeist seine ‚geistigen‘ Fähigkeiten zur Bewältigung dieser schwierigen Aufgabe in Frage stellten, fuhr er fort: „Weiter gibt es dann, entsprechend dem Charakter des Basars als ‚Ein Fest am Rhein‘ auch einen wahrhaftigen Dampfer, dessen Pappteile wir aus dem Königlichen Schauspielhause haben. Auf diesem Dampfer, der in der großen Konzerthalle des Zoologischen Gartens untergebracht ist und von dem aus man einen wunderbaren Ausblick auf die goldstrotzenden Wände des Saales haben dürfte, wird ein Kranz schöner Frauen und Jungfrauen edle Weine ausschenken, auch französischen Sekt, Herr Major. Ihr ‚Kognak‘ gehört also fraglos auf dieses Rheinschiff. Ich nenne dann nur noch den Loreley-Felsen, den man ganz gefahrlos ersteigen kann und auf dessen Spitze es nicht etwa goldene Kämme, sondern Wienerwürstchen und Echtes zu kaufen gibt. Woraus dieser Felsen besteht, mag Geschäftsgeheimnis bleiben. Daß auch Bauernschenken, Würstelbuden und Verkaufsstände für die überflüssigen Gegenstände vorhanden sind, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Auch Liebhaber der ganz leichten dramatischen Muse kommen in einem Parodietheater auf ihre Kosten, in dem alle halbe Stunde die große Oper ‚Der Konservenfabrikant oder die Geheimnisse der Abdeckerei‘ zur Aufführung gelangt. Ich mache darauf aufmerksam, daß ich dabei ebenfalls mitwirke – als totes Pferd, das zu echtem Korned-Beef verarbeitet wird. Ferner kann ich sehr den Besuch der berühmten Menagerie empfehlen – –“

„Bei der Sie hoffentlich gleichfalls in einer Tierrolle mitwirken!“ vollendete der Major trocken und prostete Osteroden, der den Scherz durchaus nicht übel nahm, lächelnd zu. „Doch nun einmal die Frage, auf die ich eine ganz bündige, wahrheitsgetreue Antwort verlange,“ meinte Garlehn dann bedeutungsvoll. „Also, Osteroden – wer ist denn von bekannten Damen auf dem Pappdampfer als holde Hebe alles tätig – –?“

„Herr Major finden dort entsprechend den verschiedenen Weinsorten auch Frauencharaktere in angenehmster Abwechslung vertreten. Ich nenne nur die geistsprühende, übermütige Komtesse Alice Haßling, die ernste und unnahbare Herta von Gutzkow, die schelmisch-schnippische Vera Bausenitz und – fraglos die schönste Zierde des Papp – pardon Rheindampfers und seines Sektzeltes! – Fräulein Adda Winkler mit ihren melancholischen Augen und dem wehen Lächeln um den süßen Mund. – Dieser letzte Name dürfte dich besonders interessieren, Ottkens, falls du nicht eben schon – was eigentlich anzunehmen ist, längst über alles orientiert bist.“

Doch Horst von Ottkens, der einige Stühle weiter neben seinem Freunde Westerhart saß und sich bisher ebensowenig wie dieser an der Unterhaltung beteiligt, vielmehr versonnen vor sich hingestarrt hatte, schien diese Bemerkung absichtlich überhört zu haben. Major von Garlehn überhob ihn auch einer Antwort, da er jetzt mit seiner knarrenden Stimme dazwischenrief:

„Also Adda Winkler auch wieder auf dem Plan! Das freut mich. Nun gehe ich mit ‚Kognak‘ ganz bestimmt hin – –“ –

Und nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: „Wenn nur nicht immer die kneiferbewaffnete Geheimrätin hinter dem wirklich reizenden Geschöpfchen als Schutz – – na, sagen wir schon – Schutzengel auftauchen würde! Ganz unter uns gesprochen – als Schwiegermutter möchte ich sie nicht haben trotz ihrer stets gleichbleibenden Liebenswürdigkeit. Mir sagt so eine innere Stimme, daß die kleine Adda daheim nicht auf Rosen gebettet ist. Die Frau hat Haare auf dem tadellos sitzenden falschen Gebiß – fraglos!“

„Muß auch das reine Finanzgenie sein!“ vollendete Hauptmann von Sperber ernst. „Denn wie sie es möglich macht, mit ihrer geringen Pension ohne einen Pfennig Privatvermögen diesen Hausstand zu unterhalten und sich und die Stieftochter so hochanständig zu kleiden, ist mir jedenfalls ein vollkommenes Rätsel.“

„Die Geschichte wird hinter den Kulissen wahrscheinlich auch recht ärmlich aussehen,“ meinte der Major achselzuckend und erhob sich dann. „Adieu, meine Herren, – ich verschwinde. Es ist bereits drei Uhr, und ich möchte meine Knochen auf dem Diwan daheim für die Strapazen des Abends noch etwas ausruhen.“

Man brach jetzt allgemein auf, und nach wenigen Minuten befanden sich nur noch Hauptmann von Westerhart und Ottkens allein in dem großen Speisesaale, dessen Wände mit alten wertvollen Schlachtenbildern und Waffengruppen geschmückt waren.

„Und was fangen wir an, Horst?“ fragte Egon von Westerhart, plötzlich aus seinen Grübeleien auffahrend, und warf den Rest seiner Zigarette noch immer halb geistesabwesend in den Aschbecher. „Am besten – wir gehen ins Lesezimmer. Dort kannst du mir ja dann anvertrauen, was dich so schwer bedrückt.“

In dem kleinen gemütlichen Raum mit den rotledernen Klubsesseln waren die Fenstervorhänge geschlossen. Über dem mit Büchern und Zeitschriften bedeckten Tisch brannte der elektrische Kronleuchter, verbreitete ein gedämpftes Licht, das die Ecken des Gemaches in tiefem Schatten ließ und den beiden Freunden die trauliche Stimmung einer Dämmerstunde vortäuschte, obwohl es draußen noch vollkommen hell war. –

Westerhart lehnte in bequemer Stellung in einem Sessel, während Ottkens mit unhörbaren Schritten auf dem dicken Teppich auf und ab ging und hin und wieder mechanisch seine Zigarette zum Munde führte. Endlich begann er, und die Stimme des schlanken, so energisch aussehenden Mannes klang seltsam weich:

„Egon – ich muß dir ein Geständnis ablegen. Ich bin seit vierzehn Tagen mit Adda Winkler verlobt.“

Der Hauptmann streckte ihm herzlich die Hand hin.

„Gratuliere! Neu ist mir die Nachricht freilich nicht. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich dir auch gleich erklären, warum ich mich in letzter Zeit soviel mit deiner jetzigen Braut bei allen sich bietenden Gelegenheiten beschäftigt habe. Ich wollte sie nur prüfen, ob sie auch deiner wert ist. Denn ich liebe dich wie einen Bruder Ottkens, das weißt du, wollte dich vor ähnlichen Enttäuschungen bewahren, wie ich sie durchgemacht habe. –

Vertrauen gegen Vertrauen! So höre denn zunächst die Geschichte meiner Liebe:

Im vorigen Winter war ich, wie du weißt, Vortänzer bei Hofe. Gleich auf dem ersten Hofball lernte ich die Prinzessin Ursula Hildungen kennen. Meine bevorzugte Stellung brachte es mit sich, daß ich häufiger Gelegenheit hatte, mich ihr zu widmen, als es sonst einem Menschen vergönnt gewesen wäre, der nur die Freiherrnkrone über seinem Namenszug zu führen berechtigt ist. Wir fanden bald Gefallen aneinander, und aus dieser aufkeimenden Neigung wurde schnell bei uns beiden eine anscheinend tiefe, aufrichtige Liebe. Ich will dir nicht die Einzelheiten dieses Romans schildern, da sie eigentlich alltäglich sind. Wir korrespondierten durch die Vermittlung von Ursulas Kammerfrau, trafen uns bisweilen in der Oper, auf Kassinobällen, haben uns heimlich geküßt, sind auch einige Male im Tiergarten spazieren gegangen. An die Zukunft dachten wir nicht. Denn eine Heirat zwischen uns war ja vollkommen ausgeschlossen. Die Hildungens sind ein reichsunmittelbares Geschlecht, ungeheuer reich und ihrer verwandschaftlichen Beziehungen zu den regierenden Häusern so weitverzweigte, daß ein Freiherr von Westerhart sich mit einer Werbung um die einzige Tochter nur lächerlich gemacht hätte. Dann kam der zweite Dezember vorigen Jahres. Ich wurde zu meinem Regimentskommandeur befohlen – –

Alles war entdeckt. Einer meiner Briefe muß in unrechte Hände geraten sein; der Fürst wird sicherlich Wut geschnaubt haben, meldete die Geschichte, und ich erhielt von meinem Oberst dann in einer Weise den Kopf zurechtgesetzt, wie ich’s nicht zum zweiten Mal zu erleben wünsche. –

Von Ursula kam keine Nachricht – – nur die völlig niedergeschmetterte Kammerfrau, die sofort entlassen worden war, suchte mich auf, erzählte mir, daß – ja, Ottkens, gib acht! – daß Ursula ihrem Vater gesagt hätte, ich wäre ihr nicht mehr als – – ein Spielzeug, ein Zeitvertreib für müßige Stunden gewesen – –

Mein damaliger Seelenzustand läßt sich schwer schildern. Ich hatte, bevor ich Ursula kennen lernte, noch nie tiefer für ein Weib empfunden. Sie habe ich geliebt, so geliebt, Ottkens, wie nur ein reifer Mann lieben kann.“ Und ganz leise setzte er hinzu: „Ich liebe sie noch, Horst, noch ebenso glühend wie einst. Das ist das Schlimmste dabei. Vergebens habe ich diese Leidenschaft zu überwinden gesucht. Ursulas Bild lebt weiter in meinem Herzen. In meinen Träumen erscheint sie mir, ich verzehre mich in Sehnsucht nach ihr, täglich, stündlich – – und so bin ich der – – Sonderling geworden, wie man mich hier im Regiment nennt. Denn damals, als mein Glückstraum zusammenbrach, da verlor ich auch den Glauben an das Gute im Menschen, da lernte ich die Allgemeinheit Weib – – verachten – –! – Genug von der Vergangenheit. Die Gegenwart fordert ihr Recht! – Und darum erzähle mir, was dich quält.“

„Ich hatte mich für heute vormittag,“ begann Ottkens, „mit Adda im Tiergarten verabredet. Und da habe ich von ihr Dinge erfahren, die ich im ersten Augenblick gar nicht begriff, so ungeheuerlich sind sie!“

Und nach einer Weile setzte er ganz heiser vor Erregung hinzu: „Adda muß fort von diesem Weibe – keine Minute länger darf sie die-selbe Luft mit der Frau atmen, die dieses reine, unschuldige Wesen in die schwersten Gewissenskonflikte gebracht und sie für ihre – ich kann es nur verbrecherische Pläne nennen – ausgenutzt hat. Wir beide haben ja bisher den geringsten Teil von dem Elend geahnt, Westerhart, in dem mein armes Mädchen seit Jahren lebt. Wir dachten bisher nur, daß die Geheimrätin Adda als Spekulationsobjekt für ihre egoistischen Wünsche, die alle auf eine reiche Heirat abzielen, betrachtet. Aber das Schlimmste ist uns entgangen! –

Allerdings – wie wäre ich allein darauf gekommen, daß eine Dame der besten Gesellschaftskreise fähig sein kann, auf eine ebenso raffinierte wie verwerfliche Art sich die Mittel zu einem behaglichen Leben zu verschaffen, gerade die Ärmsten, die Notleidenden des Volkes zu bestehlen, um ihrer Sucht nach Toilettenluxus und Prunk genügen zu können! Hauptmann von Sperber, der vorhin so anerkennend von der Geheimrätin als einem – – Finanzgenie sprach, sollte nur wissen, wie – wie sich dieses Genie betätigt – –!“

Westerhart hatte ruhig zugehört, hatte nur bisweilen verständnislos den Kopf geschüttelt. Jetzt unterbrach er den Freund, indem er ihm, jedes weitere Wort abwehrend, die Hand entgegenstreckte:

„Verzeih schon, Horst – –! Aber von alldem, das du da eben andeutetest, habe ich nichts, nichts begriffen. Erzähle mehr im Zusammenhang – – und zünde dir vorher eine frische Zigarette an. Die kleine Nebenbeschäftigung des Rauchens hindert ein allzu rasches Galopptempo der Gedanken und ist der logischen Entwicklung deiner Eröffnungen sicher nur förderlich.“

„Du magst recht haben – – so! – Zunächst möchte ich aber deine Kenntnis über die Winklerschen Familienverhältnisse ergänzen, damit du klar siehst. –

Addas Vater war, bevor er Direktor der vor ungefähr acht Jahren gegründeten Stahlwerke A.G. wurde, Geheimer Regierungsrat beim Ministerium für Handel und Gewerbe. Er hat seine Stellung nur auf Betreiben seiner zweiten Frau gewechselt, für deren luxuriösen Lebenswandel das Gehalt nicht hinreichte.

Die von Anfang an schlecht finanzierte Aktiengesellschaft hielt sich jedoch nur drei Jahre und verkrachte dann vollständig. Kurz vor dem Konkurse erschoß sich Winkler eines Tages. Sofort tauchten allerlei Gerüchte auf über Unregelmäßigkeiten in der Kassenverwaltung, die in der Presse aber widerrufen und von den beteiligten Kreisen ebenfalls als unwahr abgestritten wurden.

Trotzdem wäre an dem Namen Winkler wohl ein Makel haften geblieben, wenn es die Geheimrätin nicht verstanden hätte, allen weiteren Mutmaßungen über die Gründe des Selbstmordes ihres Mannes dadurch zuvorzukommen, daß sie ihren nächsten Bekannten erzählte, der Geheimrat hätte sich Spielschulden wegen, die er nicht begleichen konnte, das Leben genommen. Nun war eine Erklärung gefunden, die auch der Gesellschaft genügte, da man Winkler als großen Lebemann und gelegentlich wütende Jeuratte kannte. Allgemein wurden die zurückbleibenden Damen bedauert, jeder bewies ihnen die größte Teilnahme, besonders der – – ‚armen Geheimrätin‘, die sogar – wie sie anzudeuten wußte – ihre Ersparnisse zur Tilgung jener Spielschulden hingegeben hatte und sich nun von der geringen Witwenpension mit ihrer Tochter so anständig durchschlug. Frau Winkler verkehrte also weiter in den ersten Kreisen, wurde bald Vorstandsdame von so und so vielen Wohltätigkeitsvereinen, deren Kassen sie verwaltete, wurde in jedes Komitee hineingewählt, das irgendeinen Basar oder eine ähnliche Veranstaltung zum Besten der Armen und Notleidenden vorbereitete. Und da war es ganz selbstverständlich, daß Adda als Verkäuferin teilnahm und natürlich immer in einer Verkaufsbude, um die sich die vornehme Welt scharte und in der daher auch die größten Einnahmen zu verzeichnen waren.“

 

5. Kapitel.

Die Basarhyäne – –

Ottkens beugte sich jetzt weit über den Tisch vor und fuhr ganz leise fort:

„Nun kommt das, Egon, was mir Adda heute vormittag in ihrer Verzweiflung endlich unter heißen Tränen gestanden hat – – Denk’ dir, immer wenn mein armes Mädchen auf einem Basar beschäftigt war, hat ihr die Geheimrätin in dem betreffenden Zelte – meist war es das Weinzelt – hilfreiche Hand geleistet, hat Gläser gespült und getrocknet, Flaschen geöffnet, Geld gewechselt, – sich überhaupt nach Kräften nützlich gemacht. Aber gleich bei dem ersten Basar ist es Adda aufgefallen, daß in ihrer Kasse, die sie nach Schluß des Festes überzählte, bedeutend weniger enthalten war, als sie erwartet hatte. Ahnungslos teilte sie damals diese ihre Enttäuschung der Geheimrätin mit, bevor sie das Geld an eine der Vorstandsdamen ablieferte. Die Antwort, die sie hierauf von ihrer sichtlich recht verlegenen Stiefmutter erhielt, machte sie zwar stutzig, offenbarte ihr aber noch nicht die ganze demütigende Wahrheit. Die Geheimrätin erwiderte ihr nämlich ziemlich schroffen Tones, wobei sie ihre Stimme jedoch vorsichtig dämpfte, daß man sich bei oberflächlicher Schätzung nur zu leicht hinsichtlich der Größe der vorhandenen Summe verrechnen könne. Und Adda sollte es sich nicht etwa einfallen lassen, diese ihre irrtümliche Beobachtung zu irgend jemandem zu äußern, da dies nur den Verdacht erwecken könnte, als ob sie auf andere junge Damen, die mehr vereinnahmt hätten, neidisch wäre. Und das müßte sie in ihrem eigenen Interesse verhüten – – –

So einleuchtend die Begründung dieser Warnung auch schien, bei meiner Braut hatte sie doch einen unbestimmten Argwohn hervorgerufen, besonders da die Geheimrätin ihr dann noch in den folgenden Tagen wiederholt einschärfte, über diesen Punkt mit niemandem zu sprechen. Diese Vorkommnisse spielten sich vor drei Jahren ab, als Adda kaum siebzehn war. In derselben Saison fand dann nach Weihnachten noch ein Basar statt und zwar zum besten der in Südwest kämpfenden Truppen, für die man eine reichliche Spende zum Osterfest aufbringen wollte. Und an diesem Tage nun wurden meiner Braut vollends die Augen geöffnet. –

Wieder stand sie hinter dem Verkaufstisch im Weinzelt, wieder half ihr die Geheimrätin bei den gröberen Arbeiten – – aber dieses Mal hatte Adda von Anfang an ungefähr ihre Einnahmen mitgezählt und zusammengerechnet, was sie an Goldgeld und Scheinen in ihre grüne Drahtkassette hineinlegte. Eigentlich tat sie’s nur, um sich eine spätere Enttäuschung zu ersparen.

Und schluchzend hat sie mir heute vormittag erzählt, wie sehr sie sich innerlich gefreut hätte, als die ersten vierhundert Mark voll waren, als die meisten Herren gerade von ihr bedient sein wollten und viele mit einem Zehnmarkstück bezahlt hätten, ohne sich etwas herausgeben zu lassen – – aber dieses Entzücken über den harmlosen Sieg, den ihre eigenartige Schönheit und ihre Liebenswürdigkeit feierten, sollte bei meiner armen Adda am Schluß des Festes in die tiefste Herzensangst und Verzweiflung umschlagen. Denn – – in ihrer Kasse fehlten über zweihundert Mark, wie sie dann zu ihrem Schrecken feststellen mußte. Und ein Irrtum war ja jetzt vollkommen ausgeschlossen, vollkommen –! Ihr erster Gedanke war, ihrer Stiefmutter von ihrer Entdeckung Mitteilung zu machen. Aber ebenso schnell kam sie hiervon ab. Niemand hatte sich ja an der Kassette zu schaffen gemacht als sie selbst und die Geheimrätin, niemand war das darin eingeschlossene Geld zugänglich gewesen als nur ihnen beiden – –!

Blitzschnell überlegte sich Adda damals diese schwerbelastenden Umstände, und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Nur ihre Stiefmutter konnte sich an den Einnahmen vergriffen haben, nur sie – – sie allein! Jetzt verstand meine Braut auch, weshalb die Geheimrätin ihr so streng anbefohlen hatte, über jene gleiche Beobachtung bei dem ersten Basar zu schweigen, jetzt wußte sie, daß sie sich nicht geirrt hatte. Auch damals schon war ihre Kasse bestohlen worden, bestohlen von der Frau, die sie stets mit kluger Berechnung als Verkäuferin dort hinstellte, wohin der goldenen Regen der Wohltätigkeit am dichtesten floß! Und so, Egon, so hat es dieses verbrecherische Weib nun bis heute getrieben. Keine Gelegenheit hat sie vorübergehen lassen, um sich auf Kosten der Armen und Hilfsbedürftigen zu bereichern! Nicht nur hier in unserer Stadt hat sie es so gehandhabt, oh nein! Das hätte der Frau Geheimrat nicht genügt! Ihre Verbindungen, ihre gesellschaftlichen Beziehungen reichten auch in die Nachbarstädte, die sie gleichfalls heimgesucht hat – immer mit Hilfe meiner bemitleidenswerten Braut, die sie auf ihren Raubzügen überall mitschleppte.

Und, Westerhart, die Kassen von den Vereinen, die dieser – edlen Dame anvertraut sind, die möchte ich auch nicht genau redigieren! Ich fürchte, es könnten sich dort ebenfalls Fehlbeträge herausstellen, so kleine Rechenfehler, deren Früchte gleichfalls in die Taschen der Frau Geheimrat Winkler geflossen sind!

Das ist’s, Egon, was mir Adda gebeichtet hat. Leicht ist’s ihr nicht geworden, sich mir anzuvertrauen. Aber heute nachmittag auf dem Fest am Rhein sollte sich ja dasselbe Spiel abermals wiederholen, da sollte meine Braut in glänzender Toilette wieder die Mildtätigen heranziehen und ihrer teuren Stiefmutter helfen – zu stehlen – zu stehlen – –! Sag’, kannst du dir das alles ausdenken! Bleibt dir da nicht auch der Verstand stehen vor soviel raffinierter Gemeinheit – –?!“

Ottkens Züge waren vollkommen verzerrt, als er, halb sinnlos vor Wut, donnernd mit der Faust auf den Tisch schlug.

„Weißt du, Egon, was ich möchte, wonach es mir in den Fingern kribbelt – –?“ keuchte er hervor. „Ich habe da zu Hause an der Wand eine Nilpferdpeitsche hängen und damit – – damit – –“

Aber unter Westerharts strengem, zurückweisenden Blick wagte er den Satz doch nicht zu Ende zu führen. Und aufstöhnend ließ er sich jetzt in den nächsten Sessel fallen.

Eine Weile war es totenstill in dem Gemach.

„Basarhyäne – –!“ sagte der Hauptmann dann schneidend. „Also auch das noch! Nicht nur ein herzloses, selbstsüchtiges Weib, das die Stieftochter gern an den Reichsten, den Meistbietenden verschachern möchte – nein, eine Diebin, die unter der heuchlerischen Maske der eleganten Weltdame die Kassen plündert, mit deren Inhalt Elend und Not gelindert werden sollten – –! Pfui Teufel! Und der habe ich die Hand geküßt, der – – der – –!“

„Und doch kennst du noch nicht alle Abgründe dieses gemeinen Charakters, Egon, – vielleicht gerade die entsetzlichsten noch nicht,“ sagte Ottkens mit bebenden Lippen. „denn daß Adda sich zu alldem nicht freiwillig hergegeben, daß sie nur notgedrungen bis heute geschwiegen hat, daran wirst du wohl keinen Augenblick gezweifelt haben. Also muß dieses Weib doch über sie eine unheimliche Macht besessen haben, einen Einfluß, gegen den es kein Sträuben gab. Und so ist es auch gewesen. Meine Braut, die bei dem Tode ihres Vaters noch ein halbes Kind war, hat bisher fest geglaubt, daß von dem Geheimrat in seiner Stellung als Direktor der Stahlwerke wirklich Unredlichkeiten begangen worden waren und daß das Defizit in der Kasse dann durch ihre Stiefmutter gedeckt und nur so ein öffentlicher Skandal vermieden wurde. In diesem Glauben hat die Geheimrätin sie erzogen, hat ihr dann immer wieder vorgehalten, daß sie von ihrer Stieftochter die Rückerstattung der damals hingegebenen Summen verlangen könne. Auf diese Weise suchte sie Adda ihren Wünschen gefügig zu machen, indem sie auf deren Dankbarkeit hoffte, auf ihre Erkenntlichkeit dafür, daß sie den Namen Winkler durch die Opferung ihres kleinen Privatvermögens vor Schimpf und Schande bewahrt hatte. Und meine Braut, die nie Gelegenheit fand, mit jemandem über die Vergangenheit ihres Vaters zu sprechen und dieses Thema aus leicht begreiflicher Scheu auch ängstlich vermied, konnte ja nicht ahnen, daß an alldem kein wahres Wort war. Denn ich habe mich, als ich meine aufkeimende Neigung für Adda spürte, bei Kommerzienrat Wendland, dem früheren Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Stahlwerke, erkundigt, ob den Gerüchten über die Veruntreuungen Winklers irgendetwas Tatsächliches zu Grunde lag. Der alte Herr, der wohl ahnen mochte, warum ich mich für die Familie interessierte, gab mir bereitwilligst Auskunft.

Und da erfuhr ich, daß Winkler bis zum letzten Augenblick ein tadelloser Ehrenmann gewesen ist und daß auch seine angeblichen Spielverluste wahrscheinlich nur ein von seiner Frau zu irgendwelchen Zwecken erfundenes Märchen sind. Über den letzten Punkt wollte der Kommerzienrat nicht recht mit der Sprache heraus. Er machte so verschiedene Andeutungen, die ich damals nicht verstand, die ich aber heute vollkommen begriffen habe. Danach hat das raffinierte Weib diese Geschichte von den Spielschulden nur deshalb in die Welt gesetzt, um ihre peinliche Ehrenhaftigkeit in das rechte Licht zu rücken. Sie hat ja angeblich diese Schulden bezahlt – man denke, Spielschulden in der Höhe von vielen Tausenden von Mark – welche Aufopferung! Nur schade, daß niemand weiß, wer damals vor fünf Jahren der glückliche Gewinner gewesen ist – –!

Jedenfalls steht das eine fest, Winkler erschoß sich aus Verzweiflung über den Zusammenbruch des von ihm geleiteten Unternehmens in einem Zustande von Überreiztheit, an dem sicherlich auch das unerträgliche Wesen seiner Frau, die ihm nach Addas Schilderung das Leben daheim zur Hölle gemacht haben muß, einen großen Teil der Schuld trägt – derselben Frau, die ihre Stieftochter dann so schlau in die Lügen-gewebe einzuspinnen wußte wie eine blutgierige Spinne ihr Opfer. Gewiß, als Adda damals sichere Beweise von den verbrecherischen Neigungen der Geheimrätin erlangt hatte, da sträubte sie sich das nächste Mal unter Angabe von allerlei Gründen, wieder einen Basar mitzumachen. Aber ihren Widerstand gab sie bald auf. Scheute sich ihre Stiefmutter doch nicht, ihr zu drohen, aller Welt die Betrügereien ihres Vaters mitzuteilen, falls sie sich in törichtem Trotz gerade von Festlichkeiten zurückziehen wollte, auf denen sie am leichtesten Gelegenheit fand, einen reichen Freier kennen zu lernen.

Du kannst dir wohl vorstellen, welche Szenen sich zwischen den beiden Frauen abgespielt haben müssen, Egon! Wirst dir auch die Seelenqualen ausmalen können, unter denen meine arme, arme Adda seit Jahren gelitten hat. Wenn sie nur schon früher den Mut besessen haben möchte, mir alles einzugestehen! Es hätten sich doch sicher Mittel und Wege finden lassen, sie aus dieser schmachvollen Sklaverei zu befreien. Aber die Scham hat ihr stets den Mund verschlossen, die brennende Scham, daß sie diese gemeinen Diebereien einer Frau, die gleich ihr den Namen Winkler trägt, einem Freunde offenbaren sollte – der ich ihr ja noch bis vor kurzer Zeit war – eben bis zu dem letzten Ball bei Minister von Breitling, wo aus dem treuen, fürsorglichen Freunde dann endlich ein überglücklicher Bräutigam wurde.

Und jetzt, Egon, wende ich mich rat- und hilfesuchend an deine gereiftere Lebenserfahrung. Ich gestehe es ehrlich ein, ich habe bisher keinen Ausweg gefunden aus dieser so überaus schwierigen Lage. Denn wir dürfen nicht vergessen, die Geheimrätin ist Addas Vormund, und meine Braut hat noch über ein Jahr bis zu ihrer Mündigkeit. Es muß also mit äußerster Vorsicht gegen diese Frau vorgegangen werden, weil wir ihr schwer etwas werden nachweisen können und sie auch sicherlich bei ihrer geistigen Gewandtheit alles ableugnen und der Angelegenheit vielleicht sogar eine Wendung gegen würde, die uns nur schaden könnte. Ebensowenig darf es auch zu einem öffentlichen Skandal kommen. Der Name Winkler soll durch dieses Weib nicht in den Schmutz gezogen werden, das habe ich Adda versprechen müssen. Hiernach wirst du zugeben, Egon – uns sind die Hände eigentlich vollkommen gebunden. Und doch muß etwas geschehen – muß! Geht’s nicht anders, so scheue ich mich auch nicht, es gegen den Willen meiner Braut auf einen – – –“

„Ruhe, Ottkens, Ruhe – –! Derartige Hindernisse sind nicht mit Gewalt fortzuräumen; dazu gehört vor allen Dingen Kaltblütigkeit und viel diplomatisches Geschick. Du darfst nicht übersehen, daß, so sehr auch das gute Recht auf Seiten deiner Braut ist und so sehr sie auch vor ihrem eigenen Gewissen rein und schuldlos dasteht, der öffentlichen Meinung in solchen Dingen nie die letzte Entscheidung über ihr richtiges Verhalten in dieser Angelegenheit überlassen werden darf. Die sogenannte öffentliche Meinung besteht leider aus einer Unzahl von verschiedenen Köpfen, in denen vielleicht Addas bisheriges Schweigen und ihr willenloses Sichfügen recht verschieden beurteilt werden kann. Und dieser Gefahr werden wir deine Braut nicht aussetzen. Ich traue mir wohl zu, mit deiner Hilfe die brave Frau Geheimrat zu einer Nachgiebigkeit zu zwingen, die uns alle Vorteile sichert. Zwar sind die Mittel, mit denen wir diesen Feldzug betreiben müssen, für einen Offizier eigentlich nicht recht anwendbar. Doch – in diesem Falle können wir nicht wählerisch sein, besonders wo es gegen eine – – ‚Dame‘ geht, deren endliche Unschädlichmachung ein gutes Werk genannt werden muß. Dabei ist mein Plan höchst einfach. Er paßt sich der gegnerischen Stellung genau an und nutzt deren Schwächen aufs beste aus.“

Westerharts Idee fand ohne irgend welche Einschränkung Ottkens vollste Billigung. Nachdem die Freunde dann nochmals jede Einzelheit genau besprochen hatten, brachen sie auf.

„Ich komme dich also in einer Stunde abholen, Horst,“ meinte Westerhart dann, als sie vor seiner Haustür angelangt waren. „Und vergiß nicht, deiner Braut einzuschärfen, daß sie sich völlig harmlos gibt und besonders zu mir recht freundlich tut. Wir müssen die Geheimrätin in die größte Sicherheit wiegen. Je ahnungsloser sie ist, desto bedeuten-der wird unser Erfolg sein. Und – überlege dir auch meinen Vorschlag hinsichtlich der Übernahme der Verwaltung meines märkischen Gutes. Dir als dem Sohne eines Landwirts kann es nicht schwerfallen, sich schnell in den Beruf einzuarbeiten. Bleibst du Offizier, so müßt ihr noch jahrelang warten. Ziehst du dagegen den bunten Rock aus, so ist dir die Möglichkeit gegeben, Adda in kurzer Zeit ein eigenes Heim zu bieten. Und meine Schwester werde ich unserer Verabredung gemäß zu Anfang des Festes einweihen. Sie wird deine Braut und deren Freundin mit offenen Armen bei sich aufnehmen. –

Kopf hoch, alter Horst! Wenn alles klappt, bist du morgen im Besitz der schriftlichen Ehebewilligung von der – – ‚verehrungswürdigen‘ Frau Rat – –! – Auf Wiedersehen also!“ –

 

6. Kapitel.[2]

Mitleid.

Hauptmann von Westerhart litt es nicht lange auf dem glänzenden Basar, der sämtliche Festräume des Zoologischen Gartens mit einem eleganten Publikum gefüllt hatte. Der Gedanke an die dringende Arbeit, die daheim seiner wartete, trieb ihn bereits kurz vor elf Uhr heim. Trotzdem wurde es ihm nicht leicht, die lichtdurchfluteten Säle schon jetzt zu verlassen. Und dies hatte einen besonderen Grund. Als Ottkens ihn der Freundin seiner Braut, der in ihrer eleganten Gesellschaftstoilette doppelt liebreizenden Vera von Köhler vorgestellt hatte, war Westerhart im ersten Augenblick fast betroffen zurückgeprallt. Er, der gesellschaftlich so völlig Sichere, hatte in der ersten Verwirrung kaum die notwendigen Phrasen gefunden, um die jungen Damen begrüßen zu können. Sein Blick ließ die schlanke Gestalt, das feine, zarte Gesichtchen Veras nicht los, bis Ottkens ihm durch ein leises geflüstertes ‚Aber was hast du denn nur, Egon!‘ die Fassung wiedergab. Ebenfalls verließ der Hauptmann dann auch nicht einen Augenblick den Rheindampfer und das Sektzelt, in dem Adda und ihre Freundin ihres Amtes walteten. Und als sich dann eine gute Gelegenheit bot, raunte er Ottkens verstohlen zu:

„Ich habe nie geglaubt, daß zwei Menschen sich so ähnlich sehen können – – nie! – Besinnst du dich noch auf die Prinzessin Ursula Hildungen, Horst?“

„Nein – – –“

„Nun, dann schau dir Fräulein von Köhler an. Die Ähnlichkeit ist so überraschend, daß ich bei der Vorstellung vorhin völlig verblüfft war.“

„Das merkte ich – – –!“

„Wohlverstanden nur die äußere Ähnlichkeit. Denn daß Vera von Köhler aus ganz anderem Holz geschnitzt ist, als meine einstige große Liebe, habe ich bereits trotz der Kürze unserer Bekanntschaft bemerkt. Diese Ausgereiftheit, diesen melancholischen Ernst und diese mädchenhafte Bescheidenheit besaß die Prinzessin Hildungen ja leider nicht – –! – Horst, Horst – – ob vielleicht dieser Basar auch mir ein neues Glück beschert – –? – Denn ehrlich gesagt – ich fühle mich schon jetzt seltsam hingezogen zu diesem lieben, scheuen Geschöpfchen – –“

Weiter kamen die beiden Freunde in ihrer vorsichtigen Unterhaltung nicht, da ein Regimentskamerad und gleich darauf auch die Geheimrätin, die ahnungslose Geheimrätin, das Wort an den Freiherrn richtete. – – –

*

Egon von Westerhart bewohnte in Schöneberg in einer stillen Straße ein im Hochparterre gelegenes, vornehmes Heim, dem er jetzt in einem Auto in schneller Fahrt zusteuerte. Aber des Hauptmanns Gedanke waren auf dem Fest geblieben, umspielten eine zierliche Mädchengestalt, ein feines, melancholisches Gesichtchen, formten sich schließlich zu Zukunftsträumen, die des einsamen Mannes Herz seltsam erregten.

Das Automobil hielt. Westerhart bezahlte schnell, nahm, da ein feiner Regen herabrieselte, seinen Mantel um die Schulter und schritt die Stufen zu seiner Haustür empor. Schon hatte er den Schlüssel umgedreht, gerade die Hand auf den Drücker gelegt, als der wimmernde Laut einer Kinderstimme ihn erschreckt zur Seite blicken ließ.

In einer dunklen Ecke der großen, zweiflügligen Tür kauerte, in einen zerfetzten, triefenden Umhang gehüllt, ein vielleicht zehnjähriger Knabe, der jetzt bei des Hauptmanns Anruf scheu den Kopf hob, sich aufzurichten versuchte, aber mit einem Wehlaut wieder zurücksank.

Der Hauptmann, der sich heute in selten weicher Stimmung befand und gern irgend einem Menschen etwas Gutes getan hätte, beugte sich mitleidig über das Kind und fragte sanft, während seine Blicke in dem mageren, blassen Knabengesicht forschten:

„Was tust du hier, Kleiner? Geh nach Hause, du wirst dich nur erkälten – – Da, nimm das – – nimm nur – –“ Und er hielt ihm ein Talerstück vor die Augen.

Aber der Junge rührte sich nicht, schenkte auch dem Geldstück keinerlei Beachtung. Nur das wimmernde Stöhnen wurde stärker, und der kleine Körper zitterte jetzt wie Espenlaub – –

Ratlos stand Westerhart da. Wieder sprach er in liebreichstem Tone auf den Knaben ein. Und endlich hatte er die Genugtuung, daß das Weinen schwächer wurde, daß ein Paar verängstigte Augen flehend zu ihm emporschauten.

„So sprich doch, Kind – – ich tue dir ja nichts, meine es nur gut mit dir,“ ermunterte er nochmals den Kleinen.

„Herr, ich habe Hunger – solchen Hunger!“ erklang ein feines Stimmchen. „Ich kann nicht gehen, bin schon umgefallen, und alle meine Streichhölzer liegen dort – dort hinten im Schmutz – –! – Ach, Herr, – – nicht zur Polizei, nicht zur Polizei,“ flehte er mit gerungenen Händen, wieder in Tränen ausbrechend. „Sie sperren mich ein – – ich soll nicht betteln – – und die Mutter schlägt mich doch, wenn ich ohne Geld nach Hause komme – –“

Der Hauptmann kannte das Straßenleben der Großstadt, das Elend und die Armut in den niederen Volksschichten nur zu gut. Er begriff alles – – Dieser Junge war eines jener bedauernswerten Geschöpfe, die von den Eltern auf die Gasse hinausgeschickt werden – am Arm ein Körbchen mit Zündholzschachteln, nur notdürftig bekleidet, um das Mitgefühl der Passanten zu erregen – einer jener kleinen Straßenhändler, die nichts weiter als gut abgerichtete Bettler sind – – –

Er überlegte nicht lange – – Das Kind war sicher halb ohnmächtig vor Hunger umgesunken, hatte sich dann hier in diesen geschützten Winkel geschleppt. Unmöglich konnte er den Knaben seinem Schicksal überlassen oder ihn einem der Schutzleute übergeben, der ihn mit zur Polizeiwache genommen und vielleicht lieblos behandelt hätte – – nein, dieser arme Junge sollte einmal fühlen, daß es wirklich noch barmherzige Menschen gab, sollte sich einmal ordentlich satt essen und im warmen, behaglichen Zimmer schlafen – –

Westerhart war’s, als ob er jetzt Veras liebes Gesicht vor sich sah, das ihn zustimmend ablächelte – Da überwand er sich, nahm das Kind in seine Arme und trug’s die wenigen Stufen zu seiner Wohnung empor – –

„Der arme, kleine Kerl – –!“ murmelte er dabei – – und empfand schon jetzt etwas wie stolze Zufriedenheit, daß er sich bei seiner peinlichen Sauberkeit nicht vor der Berührung der schmutzigen, nach Armut riechenden Kleider des Straßenjungen gescheut hatte – – –

Zehn Minuten später saß Willi Böhm, wie er sich nannte, in trockene, ihm allerdings viel, viel zu große Wäsche und eine Reisedecke gehüllt, in einem Sessel vor dem Mitteltisch in das Hauptmanns Arbeitszimmer und schlang gierig die kalten Speisen hinunter, die ihm vorgesetzt wurden. Westerhart hatte davon Abstand genommen, seinen alten Diener, der in einem kleinen Gemach hinter der Küche schlief, zu wecken und alles selbst aus dem Eisschrank hervorgesucht, auch dem Kinde beim Ausziehen der völlig durchnässten Lumpen geholfen. Jetzt stand er dabei und freute sich, wie es dem Kleinen schmeckte. Auch Rostan, der große Windhund, hatte mit dem seltsamen Gast nach anfänglichem Anknurren schnell Freundschaft geschlossen.

Vorsichtig begann der Hauptmann den Jungen nach seinen näheren Verhältnissen auszuforschen. Er tat dies mit der Neugier eines Menschen, der sich vorgenommen hatte, auch weiter für dieses Kind zu sorgen, das ihm das Schicksal gerade heute in den Weg geführt hatte, – gerade heute, wo für ihn vielleicht ein neuer Lebensabschnitt anfing, wo er endlich wieder ein Weib gefunden, das sein Herz höher schlagen machte. –

Was der Kleine ihm stockend erzählte, hatte er vorausgeahnt. Willi Böhm war das jüngste von sechs Geschwistern, die Mutter Witwe und arm, so blutarm. Sie wohnte da draußen in dem verrufenen Vorstadtviertel, das Egon Westerhart nur dem Namen nach bekannt war – –

Nach allen möglichen Einzelheiten fragte der Hauptmann. Und immer schauten ihn die so merkwürdig altklugen Kinderaugen erst eine Weile nachdenklich an, bevor er eine Antwort erhielt – – ‚Arme verschüchterte Seele, armer, kleiner Kerl – –!‘ dachte der mitleidige, weichherzige Egon immer wieder – der ahnungslose, blinde Egon, dem es vollkommen entging, wie dieselben Augen aufmerksam jeden Gegenstand im Zimmer musterten und wie es öfters in höhnischem Triumph in ihnen aufblitzte.

Dann, als das Kind gesättigt war, bereitete er ihm auf dem Diwan in der Ecke ein weiches Lager, führte auch Rostan hinaus ins Schlafzimmer, damit der Hund den Kleinen nicht stören sollte. Bald vernahm er auch, wenn er aufhorchend in seiner Arbeit eine Pause machte, die tiefen regelmäßigen Atemzüge des armen Jungen, dem die Erschöpfung sicherlich einen tiefen, traumlosen Schlaf brachte – – –

So entschwanden die Stunden. Aber mit Westerharts Arbeit wollte es nicht recht vorwärts gehen. Vergebens suchte er sich durch eine Zigarre und öfteren Genuß eines Kognaks frisch zu erhalten. Seine Gedanken irrten immer wieder ab, umschwärmten Vera von Köhler und zauberten ihm eine große, große Sehnsucht ins Herz – – Und in solcher Stimmung schaffte es sich so schlecht – – Öfters schon waren ihm die Augen vor Müdigkeit zugefallen. Gewaltsam riß er sie wieder auf – – Er mußte ja fertig werden – – mußte – –! –

Eine weitere halbe Stunde verging. Der Hauptmann war jetzt fest in seinem Schreibtischsessel eingeschlafen, den Kopf in die Hände gestützt, die auf der Tischplatte ruhten – – Er schnarchte, und die lauten, rasselnden, sägenden Töne, die bald anschwollen, bald zu einem dumpfen Schnauben sich milderten, brachten in die kleine Gestalt auf dem Diwan plötzlich Leben.

Vorsichtig richtete sich der Junge erst zu sitzender Stellung auf, glitt dann von seiner Lagerstatt herab und schlich lautlos zu seinen zerlumpften Kleidern, die in einer Ecke zu einem Haufen geschichtet unordentlich dalagen. In wenigen Sekunden hatte er sie übergestreift, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Das vorhin so leidensvoll aussehende Kindergesicht war jetzt vollkommen verändert. In diesen scharfen, spitzen Zügen, um diese fest aufeinandergekniffenen Lippen und in den forschenden, unruhigen Augen, die unermüdlich den Schläfer beobachteten, wohnte die ganze frühreife Energie und Verderbtheit des Berliner Straßenjungen – –

Langsamem schob sich der Knabe über den weichen Teppich, näher an den Schreibtisch heran, bis er dicht neben seinem schlafenden, ahnungslosen Wohltäter stand. Eine schmutzige Kinderhand griff behutsam nach den Zeichnungen, und den mit Zahlen und Worten dicht bedeckten Zetteln und zusammengefalteten Bogen, nahm sie Stück für Stück an sich, legte sie zusammen und schob sie trotz des leisen Knitterns sacht in die lederne Aktentasche – – Nur an drei Blätter wagte sich die diebische Hand nicht heran – – denn auf diesen ruhten fest Egon Westerharts Arme. –

Willi Böhm – der arme, kleine Kerl! – hatte sein Werk fast vollendet – fast! Noch hieß es, sich mit der Beute auch glücklich und ungesehen aus dem Staube machen. Und das war wohl das schwerste – – Ruhig eilten jetzt seine Blicke über die Fenstervorhänge hin, prüfend und überlegend – – Aber – wozu sollte er wohl die schöne, goldene Uhr, die da neben dem dicken Portemonnaie auf dem Mitteltische lag, nicht mitgehen heißen – –? Und Uhr und Börse verschwanden gleichfalls lautlos in der Ledertasche. Dann schlich der Junge zum Fenster, schlug die Stores zurück. Draußen graute bereits der Morgen. Eile tat nun wirklich not – – Gewandt wie eine Katze kletterte er auf den Fensterkopf – – mit kreischendem Geräusch drehte sich der Fensterverschluß, der eine Flügel öffnete sich – – –

In das stille Zimmer drang von der Straße her ein dumpfes Aufschlagen, wie von dem Fall eines Körpers auf die Steinplatten des Trottoirs, – darauf ein halb unterdrückter Schmerzensschrei, der bald in wimmerndes Weinen verklang – – Klappend stieß die Zugluft den Fensterflügel wieder zu – – Aber Egon Westerhart erwachte nicht, träumte weiter von zwei blauen, seelenvollen Augen, von einem neuen, großen Glück – –

In derselben Straße, in der Freiherr von Westerhart wohnte, hielt in dieser Nacht an der anderen Seite stundenlang ein Privatauto, dessen Chauffeur unausgesetzt nach den erleuchteten Fenstern des Hauptmanns hinüberspähte. Bisweilen kam auch ein einzelner Herr die Straße entlang, machte nach vorsichtiger Umschau bei dem Automobil einen Moment Halt und setzte nach kurzer Zwiesprache mit dem Chauffeur wieder seinen Weg fort.

Als Willi Böhm jetzt mit gebrochenem Bein nach dem unglücklichen Sprung aus dem Fenster wimmernd am Boden lag, sprang der Chauffeur eiligst aus dem Wagen, rannte über die Straße hinüber und trug den Knaben im Laufschritt in das Auto, wo er ihn vorsichtig auf den Sitz bettete. In demselben Augenblick erschien auch der einsame Nachtschwärmer wieder und fragte mit unterdrückter Stimme:

„Alles in Ordnung?“

„Ja, die Papiere haben wir, Köhler. – Schnell, steigen Sie ein. Der Junge hat sich wohl das Bein gebrochen. Wir müssen ihn nach Hause bringen.“

Nachdem Orsakow dann seinem Helfershelfer noch alle möglichen genauen Anweisungen gegeben und ihm ein Päckchen Banknoten gereicht hatte, fuhr das Auto davon.

Nach halbstündiger Fahrt hielt der Kraftwagen vor einem alten Hause im Süden Berlins. Inzwischen war es draußen bereits so hell geworden, daß Heinz von Köhler eine günstige Gelegenheit abpassen mußte, um ungesehen mit dem Knaben auf dem Arm in das Haus schlüpfen zu können, dessen Eingangstür bereits geöffnet war.

Der Bureaudiener Schroeder wohnte in der ersten Etage. Er ließ Köhler auf dessen Läuten sofort ein. Daß seinem Sohne der kleine Unfall bei der Ausführung des verbrecherischen Planes passiert war, berührte ihn nicht weiter. Ihm schien die Hauptsache: Der Streich war geglückt.

„Sie lassen also sofort einen Arzt holen, Schroeder,“ befahl Heinz von Köhler kurz. „Der Junge ist soeben erst von der Trittleiter gefallen. Er wollte etwas an der Hängelampe in Ordnung bringen. Das klingt durchaus glaubwürdig. –

Sie selbst versehen noch eine Woche weiter Ihren Dienst im Kriegsministerium, damit Ihr plötzliches Fernbleiben nicht auffällt. Dann melden Sie sich krank, bitten um Ihre Entlassung und verschwinden aus Berlin. – Verstanden?“

„Jawohl. – Und – – meine Belohnung – –?“

„Hier – zählen Sie die Scheine durch. Es sind fünftausend Mark, wie vereinbart.“

„Danke, stimmt.“

„Wir werden uns ja wohl nicht mehr wiedersehen – Adieu also, Schroeder, – und – versuchen Sie ein ehrlicher Mann zu werden.“

Damit verließ Köhler die kleine Wohnung.

Der Bureaudiener schaute ihm grinsend nach – – – „Werden Sie ein ehrlicher Mann!“ wiederholte er höhnisch. „Das sagt der mir, und ist doch nichts Besseres wie ich – – Schafskopf – –!“

Inzwischen hatte Orsakow das Automobil, das ihm für die Nacht gegen Hinterlegung einer größeren Summe von einem Autoleihgeschäft überlassen worden war, nach der Garage zurückgefahren und sich dann in einem Taxameter nach Köhler Wohnung begeben, wo er diesen bereits vorfand.

 

7. Kapitel.

Reue.

„Nun wollen wir zunächst einmal unseren Fang genau in Augen-schein nehmen,“ meinte Graf Orsakow mit leuchtenden Augen, legte die Aktentasche auf den Schreibtisch und warf seinen dunkelbraunen, hochgeknöpften Reisemantel und die blaue Schirmmütze auf den Diwan. Offenbar in bester Laune fuhr er dann fort, während er die Zeichnungen und die engbeschriebenen Blätter auf der Tischplatte ausbreitete.

„Sie sehen, Köhler, ich verstehe tatsächlich alles. Auch Chauffeur kann ich spielen. Und nachher werden Sie Gelegenheit haben, mich auch als Verkleidungskünstler bewundern zu können. Bei dem Metier, das ich treibe, muß man eben ungeheuer vielfertig sein. –

Ah – das hätte ich allerdings nicht gedacht! Die Geheimurkunden hier sind ja bedeutend wertvoller, als ich’s zu hoffen wagte. Sehen Sie diese Zeichnung – dafür zahlt die russische Regierung unbesehen ihre zehntausend Rubel. Und hier noch die Aufmarschstraßen für die deutschen Streitkräfte an der russischen Grenze – –! Alles von ungeheurer Wichtigkeit – Jeder dieser Papierfetzen wird mir mit Gold bedeckt werden – –!“

Dann begann er die sämtlichen Schriftstücke und Zeichnungen zu einem möglichst kleinen, flachen Bündel zusammenzupacken.

„Den Hauptmann von Westerhart dürfte diese Nacht recht teuer zu stehen kommen,“ sagte er während dieser Beschäftigung in ernstem, beinahe mitleidigem Ton. „Man wird ihn fraglos aus dem Dienst entlassen, besonders da er gegen den ausdrücklichen Befehl die Urkunden mit nach Hause genommen hat. Dies ist der einzige Gedanke, der mich bei diesem unsauberen Handel stört.“

Heinz von Köhler, der neben dem Schreibtisch stand und Orsakow zuschaute, wie dieser jetzt das Bündel mit einem dünnen Bindfaden umschnürte, glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Prüfend blickte er dem Grafen in das bleiche, von dunklem Spitzbart umrahmte Gesicht.

„Wirklich, Orsakow, der Hauptmann von Westerhart tut Ihnen leid?“ fragte er unsicher. „Dann würde ich ja soeben eine ganz neue Seite Ihres Charakters kennen gelernt haben.“

„Wofür halten Sie mich?“ meinte der Pole mit einem hochmütigen Schürzen der Lippen. „Etwa für einen gemeinen Spitzbuben, der nur um des Geldes wegen derartige Pläne zur Vollendung bringt – –? – Gewiß – ich habe Mitleid mit Westerhart! Und wüßte ich nicht, daß dieser ungeheuer reich ist, so würde ich später auch Mittel und Wege gefunden haben, ihm weiterzuhelfen, falls ich ihn durch diesen Streich auch in Not und Elend, und nicht nur wie jetzt in – – Schande und Verzweiflung gestürzt hätte. Wahrlich – lieber wäre es mir gewesen, wenn wir dieses wertvolle Material hier auf andere Weise in unseren Besitz gebracht haben würden, eben ohne auch noch ein Menschendasein halb zu vernichten.“

Heinz von Köhler wußte nicht, ob er dies alles wirklich für ernst nehmen sollte. Unsicher schaute er dem Grafen noch immer in das edelgeschnittene Antlitz, in das jetzt vor innerer Erregung eine feine Röte gestiegen war. Nein – der Pole mußte fraglos Komödie spielen – –! Und das war bei der ganzen Sachlage doch mehr als lächerlich.

„Alle Achtung vor Ihren moralischen Bedenken, Orsakow,“ sagte er daher spöttischen Tones. „Aber ich hoffe, das Geld, das Ihnen dieses gelungene Gaunerstückchen einbringt, wird Ihre – – Gewissensbisse schleunigst zerstreuen!“

Des polnischen Aristokraten dunkle Augen richteten sich mit so eigenem Ausdruck auf den früheren Referendar, daß dieser unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.

„Sie irren!“ meinte Orsakow mit Würde und richtete sich höher auf. „Jetzt, wo wir uns bald trennen werden, – vielleicht für immer, kann ich Ihnen auch die Wahrheit über meine Person sagen. –

Sie halten mich noch heute für einen Agenten der russischen Regierung, der hier nach Berlin kam und allerlei Beziehungen anknüpfte, um Spionage zu treiben. Ich bin alles weniger als ein Spion. Legationssekretär von Herstedt, bei dem Sie ja anscheinend über meine Person Erkundigungen eingezogen haben, wußte besser Bescheid. Der, der hier vor Ihnen steht, ist nichts als ein glühender Patriot, ein Mann, der seinem polnischen Lande die Freiheit wiedergeben will – ist derselbe, den man in Petersburg als den rührigsten Führer der geheimen Revolutionspartei – vielleicht mit Recht – fürchtet. Nun wird Ihnen auch klar werden, weshalb ich hier in Berlin jeden meiner Schritte zu verbergen suchte, weshalb ich oft genug mit Ihnen Zusammenkünfte in allerlei Spelunken verabredete und über eine unbegrenzte Anzahl von Hilfskräften verfügte, die jedem meiner Winke blindlings gehorchten. Ich bin überzeugt, daß kein Mensch in der deutschen Reichshauptstadt im letzten halben Jahre von so vielen Aufpassern umgeben war, keiner so unter steter Beobachtung stand wie ich. Trotzdem habe ich diese Agenten des russischen Zaren stets hinters Licht geführt, wenn ich wollte. Sie ahnen ja nicht, Köhler, in welch’ mannigfacher Gestalt, in wieviel Verkleidungen ich mich hier in Berlin bewegt habe. Und alles das nur für mein Vaterland, nur für Polen! –

Begreifen Sie mich jetzt, verstehen Sie nun, weshalb ich kein gemeiner Verbrecher bin, – daß ich mein Gewissen rein erhalten habe, daß alle meine Handlungen lediglich einem großen, edlen Gedanken entsprangen, dem, mein Vaterland wieder selbstständig zu machen! –

Sie sollen auch jetzt noch das letzte erfahren. Denn als mein Mitschuldiger bin ich Ihres Schweigens sicher. –

Die Kassen unseres Revolutionskomitees sind seit langem leer, unsere Mittel erschöpft. Ohne Geld konnten wir den geheimen Krieg gegen Rußland, diese Vorbereitungen für einen späteren großen Schlag nicht weiter fortsetzen. Ich sann auf einen Ausweg, uns zu helfen und uns mit einem Mal eine größere Summe zu beschaffen. Als hart verfolgter Flüchtling kam ich damals nach Berlin. Hätte man mich in Rußland gefangen, so wäre ich für immer in den Eiswüsten Sibiriens verschwunden. Hier lernte ich Sie in dem Spielklub kennen, Sie, einen Mann, der mir durch seine Beziehungen zu Offizieren und höheren Beamten nützlich werden konnte. Ich hatte einmal Gelegenheit, Ihnen mit Geld auszuhelfen. Sie gaben wir als Sicherheit einen Wechsel, dessen nicht ganz tadellose Unterschrift, die von Ihrem Herrn Vater herrühren sollte, dann das kleine Zwangmittel wurde, um Sie nötigenfalls meinem Willen unterzuordnen. Ich habe von dem Wechsel in dieser Hinsicht nie Gebrauch zu machen brauchen. Freiwillig schlossen Sie sich mir an. –

Schon seit langem hatte ich nun den Plan gefaßt, mir wertvolle Geheimurkunden zu besorgen und diese an einen interessierten Staat weiterzuverkaufen. Zu diesem Zweck wurde dann Schroeder, ein mehrfach vorbestrafter, gewandter Abenteurer, als Bureaudiener mit Hilfe der Geheimrätin in das Kriegsministerium eingeschmuggelt. So kam die vergangene Nacht – – Ich habe erreicht, was ich wollte. Jetzt werde ich persönlich diese kostbaren Urkunden nach Rußland bringen und sie in Petersburg durch einen meiner Leute der Regierung anbieten lassen. Ich verstehe mich darauf – eine Million, vielleicht auch mehr sind die Papiere fraglos wert.“

Über Orsakows Gesicht flog ein schadenfrohes Lächeln, als er fortfuhr:

„Die Million werde ich erhalten, aber – keine Gegenleistung dafür geben. Ich werde das mir verhaßte Rußland eben um die Urkunden betrügen. Wie, das ist meine Sache. Und dann werde ich sie der deutschen Regierung zum Rückkaufsrecht offerieren. Doppelt wird so mein Lohn sein, doppelt mein Stolz, daß ich Rußland mit seinem eigenen Golde bekämpfen kann. –

Das bin ich in wahrer Gestalt, – ein Pole, ein Patriot, ein glühender Feind des Zarenreiches!“

Heinz von Köhler hatte mit atemloser Spannung zugehört. Wie Keulenschläge trafen ihn diese Sätze, durch die so deutlich die edelste Begeisterung für eine große Sache hindurchklang. Mit einem Schlage wuchs die ganze niederdrückende Erkenntnis der eigenen Erbärmlichkeit in ihm empor – – Wie unendlich tief stand er doch unter diesem Manne, er, der nur um schnöden Geldes willen sich auf diese unsauberen Unternehmungen eingelassen und der für sein Abweichen von dem geraden Wege der Ehrlichkeit auch nicht den geringsten Milderungsgrund anzuführen hatte – – Im Gegenteil – –! War er nicht zum Verräter am eigenen Vaterlande geworden, war er es nicht, der ohne Bedenken einen seiner Landsleute in die für einen Offizier so entsetzliche Lage gebracht hatte – –! –

Blitzschnell rollte sich jetzt vor seinem geistigen Auge sein ganzes bisheriges Leben ab, dieses verfehlte Dasein, in dem stets nur Genußsucht, Arbeitsscheu und freventlicher Leichtsinn regiert hatten – – Endlich einmal wurde ihm in dieser Minute klar, wie dicht er stets am Rande eines schrecklichen Abgrundes dahingewandert war, in dem Entehrung, Schande und Schmach für ihn und seine Familie lauerten. Was seiner Schwester bittere Tränen, ihre wilde Verzweiflung nicht erreichen konnte, das hatte die Beichte dieses Mannes wie mit einem Zauberwort bewirkt. Der frühere Regierungsreferendar begann sich plötzlich auf sich selbst zu besinnen. Sein Gewissen war erwacht – –

Jeder Tropfen Blut schien aus Heinz von Köhlers fahlem Gesicht gewichen zu sein. Mit unnatürlich weiten Augen stierte er vor sich hin, bis Orsakows Stimme ihn aus dieser halben Betäubung weckte.

„Haben Sie vielleicht irgend einen größeren, festen Briefumschlag, in den ich dies Bündel hineintun kann?“ fragte der Pole, der von der Veränderung in dem Antlitz des anderen nichts bemerkt hatte.

Heinz raffte sich auf. –

„Ich will mal nachsehen,“ erwiderte er tonlos, und noch immer wie in einem Dämmerzustand öffnete er die große Schublade seines Schreibtisches. Darin lagen in einer Ecke ein paar jener aus gazegefüttertem Papier bestehende Kuverts, wie sie zum Verschicken von Wertsendungen benutzt werden.

„Das paßt ausgezeichnet,“ meinte der Pole, schob die umschnürten Urkunden in den Umschlag, nahm dann von dem Schreibtisch eine Stange Siegellack und brachte diesen über dem angezündetem Zigarrenlämpchen zum Erweichen.

„Ich darf wohl Ihr Petschaft benutzen, Köhler?“ bat er, ganz von seiner Arbeit in Anspruch genommen. Aber schnell setzte er hinzu: „Nein, doch lieber nicht. – Da ist ja Ihr Familienwappen eingeschnitten. Das könnte gefährlich werden, falls ich das Unglück habe, der Polizei in die Hände zu geraten. Durch das Wappen würde man zu leicht auf Ihre Person geführt werden.“

Damit feuchtete er seinen Daumen mit den Lippen an und preßte auf diese einfache Weise die drei großen Siegellackflecken auf der Rückseite des Umschlages fest.

„So, das wäre erledigt. Und nun müssen Sie mir Ihr Schlafzimmer für eine Viertelstunde zur Verfügung stellen. Ich möchte an meinem Äußeren einige kleine Veränderungen vornehmen.“

„Bitte,“ entgegnete Köhler und öffnete dem Grafen zuvorkommend die Tür. Orsakow verschwand. Das mitgenommene Kuvert legte er neben sich auf den Ankleidetisch.

„Mich entschuldigen Sie wohl,“ meinte Köhler, der in der Tür stehen geblieben war. „Ich habe einen dringenden Brief zu schreiben.“

„Aber gewiß – –!“

Der Referendar zog die Tür hinter sich ins Schloß. Aufatmend blieb er dann stehen – – Der Gedanke, der ihm vorhin durch den Kopf geschossen war, als Orsakow sich das Geldbriefkuvert geben ließ, mußte zur Tat werden, obwohl er eigentlich eine große Verräterei enthielt. Trotzdem – es gab ja für ihn kein anderes Mittel, um seine Verfehlungen wieder einigermaßen gutzumachen. –

Bitter lächelte er – – So hatte die eine Schlechtigkeit wie immer notwendig eine zweite im Gefolge – –! Und – würde es für ihn denn überhaupt noch eine Umkehr auf dem nun einmal betretenen Wege geben –? Trotzdem – wenigstens den Versuch wollte er wagen – – Wer konnte wissen, ob sein Plan überhaupt gelang.

Eilig begann er, des öfteren vorsichtig nach dem Schlafzimmer hinlaufend, einen äußerlich genauen ebenso aussehenden Umschlag herzurichten wie den, der jetzt drüben auf der Platte seines Ankleidetisches lag. Mit einigen leeren Bogen Papier und mehreren Zeitungen, die er ebenfalls mit Bindfaden verschnürte, füllte er dieses Geldbriefkuvert und versiegelte es dann in derselben Weise, wie Orsakow es getan.

Die kleine Arbeit war ihm, wie er sich zum Schluß überzeugte, tadellos gelungen. Nun kam das Schwerste.

Lose steckte er den so präparieren Briefumschlag unter seinen Rock und klemmte ihn mit dem linken Arm unauffällig fest. Dann begab er sich zu dem Grafen in das Schlafzimmer hinein.

Dieser hatte zwischen mit Hilfe einer scharfen Flüssigkeit, die er in einer flachen Glasflasche bei sich führte, seinen vorher dunklen Bart, das Kopfhaar und die Augenbrauen hellblond gefärbt und außerdem sehr geschickt durch ein beizendes Färbemittel seine blasse Gesichtsfarbe in ein kräftiges, gesundes Rötlichbraun verwandelt. Schon jetzt war er in seinem Aussehen derart verändert, daß man in ihm kaum noch den früheren Grafen Orsakow erkannt hätte.

„Nun – was meinen Sie zu dieser Maske? Ist sie gelungen?“ fragte er Köhler, der wirklich bei seinem Anblick überrascht zurückgefahren war, mit gewissem Stolz.

„Vorzüglich!“ gab dieser sein ehrliches Urteil ab.

Der Pole zog jetzt aus seiner Tasche einen Schminkstift hervor, nahm den Handspiegel vom Tisch und trat ans Fenster.

„Geben Sie acht, Köhler, wie klein nachher meine Augen aussehen werden,“ erklärte er, indem er die natürlichen dunklen Schatten unter seinen Augen durch ein paar Striche entfernte.

Köhler antwortete nicht. Blitzschnell hatte er diese günstige Gelegenheit, wo der Graf mit dem Rücken nach dem Zimmer hin stand, benutzt und den Austausch der beiden Umschläge vollzogen. Sein Herz jagte noch minutenlang hinterher in wilden Schlägen, so sehr hatte dieser Moment seine Nerven in Aufruhr gebracht. –

Orsakow war mit seinen Verwandlungskünsten fertig. Die große goldene Brille, die er sich noch aufgesetzt hatte, nahm ihm auch noch das letzte seines früheren Aussehens. –

Er schaute nach der Uhr.

„Ein Viertel neun. – Um neun fährt der D-Zug nach Königsberg ab. Den erreiche ich noch in aller Bequemlichkeit. – Es heißt also jetzt scheiden, Köhler.“

Sie waren wieder in das Wohnzimmer zurückgegangen, nachdem der ahnungslose Pole den versiegelten Umschlag sorgsam in der großen Innentasche seiner Weste verborgen hatte. Inzwischen konnte auch Köhler das andere Kuvert mit dem kostbaren Inhalt unauffällig unter ein paar auf dem Bücherständer liegende Zeitungen schieben.

Orsakow entnahm jetzt seiner Brieftasche zehn Tausendmarkscheine und reichte sie seinem Verbündeten hin.

„Hier – bitte.“

Der Referendar legte die Banknoten wortlos auf seinen Schreibtisch.

„Ich will Ihnen einen neuen Beweis meines Vertrauens geben,“ fuhr der Graf nach kurzem Überlegen fort. „Hier – ich zerreiße den Wechsel. – Verbrennen Sie die Stücke nachher. Die zweitausend Mark, die Sie mir noch schulden, mögen als besondere, freilich nicht vereinbarte Belohnung für Ihre wertvolle Hilfeleistung gelten.“ Damit schleuderte er die zusammengeknüllten Fetzen des Wechsels achtlos auf den Teppich.

Doch Köhler schüttelte ablehnend den Kopf. „Nein – Orsakow – hier nehmen Sie nur Ihre zweitausend Mark. Es bleibt noch genug von dem – – Sündengeld übrig.“

Der Graf blickte etwas überrascht auf. „Gut – wie Sie wollen.“ Damit zog er seinen Mantel an und nahm auch die blaue Schirmmütze in die Hand.

„Und so ganz ohne Gepäck wollen Sie reisen? – Was geschieht denn mit Ihrer Wohnung und den dort zurückgelassenen Sachen?“ – Unwillkürlich hatte sich dem Referendar diese Frage über die Lippen gedrängt.

Orsakow lächelte. „Sie ahnen nicht, wie gut ich alles für eine plötzliche Abreise stets vorbereitet habe. Meine Leute sind tadellos instruiert. Ich werde auf dem Bahnhof Friedrichstraße mit allem Nötigen von einem als Dienstmann verkleidetem Manne erwartet. Meine Wohnung bezieht ein guter Bekannter. –

Und nun leben Sie wohl, Köhler. Mein Weg führt mich nach dem Hafenort Neufahrwasser bei Danzig, von wo aus ich ungehindert über die Grenze zu kommen hoffe. Dort in Neufahrwasser ist alles nicht minder gut vorgesehen wie hier. –

Sie staunen – – Ja, ist es nicht zum Beispiel ganz unverfänglich, wenn ein Dampfermaschinist plötzlich krank wird und ich für ihn einspringe – –? – Der Mann verdient bei der ‚Krankheit‘ noch einen schönen Batzen Geld. ‚Bestechen‘ nennt man das zwar mit einem häßlichen Ausdruck, doch … – Adieu.“

Der Abschied zwischen den beiden Männern war kühler, als dies ihren ganzen Beziehungen nach hätte der Fall sein dürfen.

*

Etwa eine Stunde, bevor Orsakow die Wohnung des Regierungsreferendars verließ, betrat der Diener des Hauptmannes von Westerhart das Arbeitszimmer seines Herrn. Die Lampe brannte noch immer auf dem Schreibtisch. Und immer noch schlief Egon von Westerhart, tief über die Schreibtischplatte gebeugt, auf seinem Arbeitssessel einen festen, traumlosen Schlaf.

Und keine zehn Minuten später jagte der völlig verzweifelte Offizier in einem schnell herbeigeholten Auto nach dem Polizeipräsidium am Alexanderplatz, ließ sich bei einem der gerade anwesenden Kriminalkommissare melden, trug diesem den Fall vor, bat um schleunige Hilfe, berief sich auf die Wichtigkeit der gestohlenen Papiere und erreichte, daß ungesäumt alle dienstfreien Beamten ihm zur Verfügung standen, um den Jungen zu suchen, der die Urkunden gestohlen haben mußte. –

Mehr konnte er für den Augenblick nicht tun. Völlig gebrochen kehrte er in seine Wohnung zurück – – Wenn die Dokumente nicht wiedergefunden wurden, wenn sie ins Ausland, in die Hände einer fremden Macht gelangten, war er entehrt für alle Zeiten. Ein Disziplinarverfahren wurde dann gegen ihn eingeleitet, dessen Ausgang – schimpfliche Dienstentlassung – kaum zweifelhaft sein konnte – –

Als Westerhart in Begleitung des Kommissars in seinem Junggesellenheim wieder anlangte, überreichte ihm sein Diener ein sorgfältig versiegeltes Paket.

„Ein Dienstmann brachte es soeben. Herr Hauptmann möchten es sofort öffnen.“

Die Umhüllung wurde von nervösen Fingern aufgerissen, ebenso der große, ebenfalls versiegelte Briefumschlag, der sich dahin vorfand.

Westerhart wurde leichenblaß. Er zitterte am ganzen Körper.

„Die Papiere – – die Papiere,“ stieß er stotternd hervor.

Der Kommissar war mehr Herr der Situation. Er nahm die Schriftstücke sämtlich aus den Umschlag und legte sie auf den Tisch. Jetzt erst bemerkte man obenauf einen Zettel, der in offenbar verstellter Handschrift folgende Zeilen enthielt:

‚Niemand hat Einsicht in die Dokumente genommen. Ich sende sie zurück, damit Herr von Westerhart und mein Vaterland nicht geschädigt werden. Nur eine Bitte – man forsche nicht nach mir!‘

„Reue!“ sagte der Kommissar kurz. Und mit leichter Verbeugung gegen Westerhart fügte er hinzu: „Sie haben Glück gehabt, Herr Hauptmann. Ich wette, daß der, der Ihnen diesen Streich spielte, erst kurze Zeit auf der Bahn des Verbrechens wandelt und sie trotz dieses ersten geglückten Versuchs nie wieder betreten wird. – Der Fall ist damit erledigt.“

Und er verabschiedete sich, nachdem er dem überglücklichen Westerhart noch versprochen hatte, die Sache völlig als Dienstgeheimnis zu behandeln und auch seinen Unterbeamten strengstes Stillschweigen aufzuerlegen.

 

8. Kapitel.[3]

Abrechnung.

Als die Geheimrätin am Morgen nach dem Basar erwachte und die Einzelheiten dieses so vortrefflich gelungenen Festes nochmals an ihrem geistigen Auge vorüberziehen ließ, überkam sie ein stolzes Gefühl der Genugtuung. Ja, sie konnte mit diesem Abend zufrieden sein, an dem ihre Stieftochter wieder von der eleganten Herrenwelt wie keine andere umschwärmt worden war. Und wie verständig sich Adda benommen hatte, ganz über Erwarten verständig! Nicht nur, daß sie dem ‚schönen‘ Ottkens mit kühler Reserve begegnet war, nein, sie hatte auch dem reichen Westerhart ein so herzliches Entgegenkommen gezeigt, daß dieser nicht einen Augenblick von ihrer Seite gewichen war. Und auch Westerharts Schwester, die sonst so unnahbare Gräfin Rahnstein, hatte sich mit Adda so auffallend lange unterhalten, daß sogar die anderen Damen aufmerksam geworden waren, und die Geheimrätin mehrfach gefragt wurde, ob man denn schon gratulieren könne. Hierzu hatte sie nur mit vielsagendem Lächeln geschwiegen. Jeder Zweifel an des Freiherrn Absichten wurde ihr dann genommen, als dieser sie gegen Schluß des Basars mit wenigen höflichen Worten bat, ihm am morgigen Nachmittag eine Unterredung zu gewähren. Was Westerhart ihr zu sagen hatte, das glaubte sie ganz genau zu wissen. Es konnte sich dabei ja nur um Adda handeln, nur – –! –

Und der Geheimrätin klopfte jetzt schon das Herz schneller im Gedanken an die glänzende Zukunft, der sie entgegenging und die sie sich allein durch ihre zielbewußte Schlauheit geschaffen hatte.

Nie war Adda von ihrer Stiefmutter so liebenswürdig behandelt und so mit Zärtlichkeiten überschüttet worden als an diesem Morgen. Und als sich dann die beiden jungen Mädchen gegen Mittag zu dem Besuch bei der Gräfin Rahnstein rüsteten, um den diese sie am Abend vorher gebeten hatte, half die Geheimrätin ihrer Stieftochter höchst eigenhändig in die Kostümjacke, wobei sie es nicht unterlassen konnte anzudeuten, daß sie ihre liebe Adda heute als glückliche Braut wiederzusehen hoffe.

Langsamem stiegen die Freundinnen die Treppe hinab. Vor dem Hause blieb Adda aufatmend stehen.

„Vera,“ flüsterte sie leise, „du ahnst ja nicht, wie glücklich ich bin, daß ich jetzt nie mehr zu dieser Frau zurückzukehren brauche.“

Vera von Köhler legte ihr den Arm liebreich um die Schulter und zog sie vorwärts.

„Komm schnell, schnell – Es geht ja dem neuen Leben entgegen!“ –

Die Geheimrätin wunderte sich zwar, als die beiden auch zur Tischzeit nicht zurückkehrten, beruhigte sich aber schnell in dem Gedanken, daß Gräfin Rahnstein die jungen Mädchen wahrscheinlich den Tag über bei sich behalten wollte. –

Zur verabredeten Stunde stand dann Freiherr von Westerhart, der die Aufregungen des Vormittags noch immer nicht ganz überwunden hatte, in großer Uniform der Frau Geheimrätin gegenüber. Herzlich hatte diese ihm bei der Begrüßung die Hand zum Kusse gereicht. Aber zu ihrem höchsten Befremden wurde diese Hand mit einer fast beleidigenden Absichtlichkeit übersehen, und ebenso kurz lehnte der Hauptmann auch den ihm angebotenen Sessel ab.

„Gnädige Frau, wir können hier hoffentlich nicht belauscht werden,“ begann er mit so ernster Stimme und so undurchdringlichem Gesichtsausdruck, daß die Geheimrätin plötzlich eine dumpfe Ahnung wie von einem drohenden Unheil überkam.

„Es dürfte in Ihrem eigenen Interesse liegen, daß diese Unterredung ganz, ganz unter uns bleibt,“ fuhr Westerhart kalt fort, und sein Blick eilte dabei prüfend über die beiden Türen des kleinen Salons hin.

Die Unsicherheit der Geheimrätin wuchs. – Was bedeutete dies alles nur?!

„Wir sind hier ganz ohne Zeugen, Herr von Westerhart,“ sagte sie trotzdem mit schmeichelnder Höflichkeit. Aber ihre unruhigen Augen forschten immer von neuem in diesem schmalen, vornehmen Gesicht, dessen Züge ihr heute in ihrer steinernen Unbeweglichkeit vollkommen fremd erschienen.

„So will ich denn ohne Umschweife auf den Zweck meines Besuches kommen,“ meinte Westerhart mit gedämpfter Stimme. „Ich stehe hier als Freiwerber für meinen Freund Horst von Ottkens vor Ihnen, gnädige Frau. Ottkens liebt Ihre Stieftochter und bittet um deren Hand, die Sie ihm hoffentlich nicht verweigern werden.“

Diese Worte, die mit so kühler Sachlichkeit vorgebracht wurden, trafen die Geheimrätin wie ebensoviele Ohrfeigen. Sie taumelte beinahe zurück, und es dauerte eine geraume Weile, bis sie sich wieder gefaßt hatte. Denn diese Enttäuschung kam selbst für ihre starken Nerven zu plötzlich. Alles andere hatte sie erwartet, nur das nicht – – –

Fast ungläubig starrte sie den Hauptmann jetzt an. Und sagte dann spitzen Tones:

„Sie scherzen wohl, Herr von Westerhart – –?! Herr von Ottkens hat doch schon letztens bei Exzellenz Bausenitz gehört, daß ich seine Bewerbung um Adda nicht wünsche.“

„Ich spreche vollkommen im Ernst, gnädige Frau,“ erwiderte der Freiherr ruhig und stützte sich leicht auf seinen Säbel. Er wußte – jetzt begann der Kampf. Aber er konnte ihm ja getrost entgegensehen. Er mußte siegen!

Die Geheimrätin lachte schrill auf. Sie hatte ihre Selbstbeherrschung vollständig verloren. Ihr Gesicht zeigte jetzt eine Färbung, die ins Grünliche spielte, und der Kneifer auf ihrer Nase begann drohend zu zittern, so sehr bebte alles an ihr vor Wut.

„Nun, Herr von Westerhart, dann sagen Sie nur Ihrem Freunde, daß er, so lange ich es hindern kann, mit seinen Absichten auf die Hand meiner Stieftochter kein Glück haben wird. Adda ist noch nicht mündig, und – – ich besitze die Macht, sie gegebenenfalls meinen Wünschen auf andere Weise gefügig zu machen.“ Kreischend hatte sie diese Worte hervorgestoßen, und ihre harten Augen schauten Westerhart mit einem so höhnischen Blick an, daß auch in ihm jetzt das Blut zu kochen begann. Und schneidend, verächtlich sagte er, einen Schritt näher auf die ahnungslose, innerlich triumphierende Frau zutretend:

„Mit dieser Macht über Ihre unglückliche Stieftochter ist es ein für allemal aus! Ihr Spiel haben wir aufgedeckt – vollkommen! Und sollten Sie es wagen, der Verbindung meines Freundes mit Ihrer Stieftochter irgendwelche Hindernisse in den Weg zu legen, so werden wir Sie nicht weiter schonen, nicht einen Augenblick, verstehen Sie mich wohl! Wir wissen, in welcher Weise Sie sich seit Jahren auf den Basaren – – – ‚nützlich‘ gemacht haben! Sie haben Addas Kasse bestohlen, haben das arme Mädchen immer wieder gezwungen, an diesen Festen sich zu beteiligen, nur damit Sie Gelegenheit fanden, im trüben zu fischen.“

Halb ohnmächtig war die entsetzte Geheimrätin in den nächsten Sessel gesunken. Aber schnell raffte sie sich wieder auf. Noch gab sie ihre Sache nicht verloren.

„Und diese – – diese unwürdigen Verdächtigungen wagen Sie mir entgegenzuschleudern, Herr von Westerhart!“ rief sie aufspringend mit schlecht geheuchelter Empörung. „Verlassen Sie mein Haus – sofort, so – – fort – –!“

Doch der Hauptmann rührte sich nicht. Er hatte schon wieder seine ganze kaltblütige Ruhe zurückgewonnen. Das Opfer konnte ihm ja nicht entgehen.

„Gewiß – ich werde nicht länger bleiben, wenn Sie es wünschen,“ meinte er ironisch. „Mein nächster Gang wäre dann zur Polizei, um gegen Sie Anzeige zu erstatten. Sie sind nämlich gestern während des ganzen Festes von zwei Angestellten eines hiesigen Detektivbureaus beobachtet worden, und man hat auch gesehen, daß Sie aus der grünen Geldkassette Ihrer Stieftochter mehrere Male Geld herausgenommen und zu sich gesteckt haben. Wir wissen auch, wieviel es zusammen ist, gnädige Frau! Denn Adda hat ihre Einnahme mitgezählt, jeden Pfennig, und ich, der sich ja von dem Weinzelt nicht fortgerührt hat, habe ebenfalls im Kopf darüber Buch geführt. Dreihundert Mark fehlen ungefähr, das könnte ich nötigenfalls beschwören.“ –

Und eindringlicher fuhr er fort: „Versuchen Sie nicht zu leugnen. Es würde Ihnen gegenüber der Aussage der beiden Detektive wirklich nichts helfen. Wie gesagt – Ihre Rolle ist ausgespielt! Auch über die Ursachen des Selbstmordes Ihres Gatten sind wir orientiert. Das – – Märchen von den Spielschulden können Sie jetzt nicht mehr aufrecht erhalten.“

Jetzt erst war der Widerstand dieser willensstarken Frau gebrochen. Aufstöhnend ließ sie sich in den Sessel zurückfallen, schlug die Hände vor das Gesicht und begann wimmernd zu weinen. –

Doch Westerhart kehrte sich nicht daran. Er wollte mit dieser widerlichen Szene endlich Schluß machen.

„Ihnen wird nichts geschehen, falls Sie auf unsere Bedingungen eingehen,“ sagte er rücksichtslos laut. „Ich habe hier ein Schriftstück mitgebracht, in dem Sie einmal Ihre Schuld eingestehen, dann aber auch die Zustimmung zu der Heirat Ihrer Stieftochter geben und sich zugleich verpflichten, nie wieder deren Weg zu kreuzen. Adda wird nicht mehr in Ihr Haus zurückkehren, ebensowenig Fräulein von Köhler. Die jungen Damen bleiben bei meiner verheirateten Schwester. –

Hier, ich stelle Ihnen meinen Füllfederhalter zur Verfügung. Unterschreiben Sie – –! Sie können wirklich nicht anders! Bei einer Frau wie Ihnen muß man vorsichtig sein, da wäre Rücksicht gänzlich unangebracht.“

Mit zitternder Hand setzte die Geheimrätin ohne ein weiteres Wort des Widerspruchs, ihren Namen unter das Papier.

„So – damit ist meine Mission beendet,“ meinte Westerhart und schob das Schriftstück in die Tasche. „Ich möchte nur noch bemerken, daß Ihr zukünftiger Schwiegersohn die dreihundert Mark dem Komitee des Basars anonym zustellen und so den Fehlbetrag ausgleichen wird. Außerdem erwarten wir, daß Sie die Hauptstadt sofort verlassen und Ihren Wohnsitz in eine andere Gegend verlegen. Ihre plötzliche Abreise können Sie ganz nach Belieben Ihren Bekannten gegenüber begründen. Weiter hätte ich Ihnen nichts zu sagen.“ Und ohne jede Verbeugung ging Westerhart hinaus, zog leise die Tür des Salons hinter sich ins Schloß – – –

Die Basarhyäne war für immer unschädlich gemacht. –

*

Der Rentier Felix Hornemann, der im Norden Berlins in einem alten, verräucherten Gebäude hauste, gehörte zu jenen mildtätigen Menschen, die ständig in den Zeitungen annoncierten, daß sie jedem Geldsuchenden gegen genügende Sicherheit Darlehn in beliebiger Höhe gewähren. Daß eine derartige Mildtätigkeit stets Zinsen bis zu fünfzig Prozent und mehr einbringt, ist aus unzähligen Wucherprozessen zur Warnung aller deren genugsam bekannt geworden, die sich in augenblicklicher Geldverlegenheit befinden. Trotzdem gibt es noch immer genug Leichtsinnige, die die Hilfe dieser Leute in Anspruch nehmen, sogar so viele, daß jene berüchtigten ‚Wohltäter der Menschheit‘ bei ihrem dunklen Gewerbe trotz einzelner Verluste zumeist ein recht bequemes und einträgliches Dasein führen. –

Zu Herrn Hornemanns Kunden gehörten seit Jahren Korpsstudenten, junge Juristen und Einjährige, soweit die pekuniären Verhältnisse der Eltern der hoffnungsvollen Herren Söhne die Anknüpfung geschäftlicher Beziehungen als lohnend erscheinen ließen. Mit Offizieren gab Felix Hornemann sich grundsätzlich nicht ab. Da existierten so unangenehme Regimentskommandeure, die sich ohne jede Scheu in die Privatangelegenheiten ihrer Leutnants einmischten und sogleich mit dem Staatsanwalt drohten, selbst wenn es sich nur um lumpige zwölf bis fünfzehn Prozent handelte – die Abschlußprovision von einem Zehntel des Darlehns allerdings nicht mitgerechnet, welche der Wohltäter aus dem Norden Berlins sich stets nebenher von der Darlehnssumme gleich abzog.

Um dieselbe Zeit, als Adda die Wohnung ihrer Stiefmutter für immer verließ, saß in Hornemanns Geschäftszimmer auf dem roten Polsterstuhl ein Herr mit einem aufgedrehten blonden Schnurrbärtchen, der ganz den Eindruck eines Offiziers in Zivil machte.

„Also fünfhundert Mark wünschen Sie, Herr Assessor?“ fragte der mildherzige Rentier soeben, indem er die Erscheinung des neuen, ihm völlig unbekannten Kunden nochmals mit taxierendem Blick überflog. Diese Prüfung mußte zu Gunsten des blonden Herrn ausgefallen sein. Denn Hörnemännchen, wie er in den Kreisen der Eingeweihten nur genannt wurde, rieb sich mit wohlwollendem Lächeln die Hände und nickte dann seinem Gegenüber aufmunternd zu.

„Allerdings – fünfhundert Mark brauche ich und zwar auf drei Monate.“

„Schön – schön – – hm, vielleicht dürfte ich fragen, wer den Herrn Assessor an mich empfohlen hat. Dafür interessiert man sich doch.“

„Herr Referendar von Köhler, wenn Sie’s denn durchaus wissen wollen.“

Bei dem Namen ‚von Köhler‘ wurde Hornemännchens eben noch so freundliche Miene urplötzlich eisig kühl und steinern.

„So, von Herrn Referendar also?“ meinte er gedehnt.

„Der Name meines Bekannten scheint in Ihnen nicht gerade sehr angenehme Gefühle auszulösen, Herr Hornemann,“ sagte der angebliche Assessor mit ironischer Aufrichtigkeit. „Die Veränderung in Ihrem Gesichtsausdruck läßt mich jedenfalls auf diesen Gedanken kommen.“

„Sie haben richtig geraten, Herr Assessor. Ich werde wahrscheinlich an diesem Herrn von Köhler eine ganze Masse Geld verlieren.“

„I was Sie sagen!“ platzte der Assessor mit offensichtlichem Spott heraus. „So schlimm wird’s wohl nicht sein. Denn so viel mir bekannt ist, haben Sie Köhler doch nur einmal vor einem Jahr ein Darlehn von achthundert Mark gegeben zur Deckung von Spielverlusten. Sollte er diese Summe wirklich noch nicht zurückgezahlt haben?“

Herr Hornemann begann plötzlich sehr unruhig auf seinem Sessel hin und her zu rutschen. Das Benehmen dieses so scherzhaft veranlagten Herrn wurde ihm immer verdächtiger. Da steckte mehr dahinter, diesen Assessor führten fraglos andere Absichten her – Aber welche, welche –?

„Bitte, wollen Sie mir nicht antworten?“ sagte der unglaubliche Mensch jetzt sogar noch in geradezu herrischem Tone. „Wie verhält es sich mit den Schulden Köhlers, sprechen Sie!“

Hornemännchen schnappte förmlich nach Luft.

„Herr, was geht das Sie an?“ stieß er endlich mühsam hervor und erhob sich wie ein gereizter Tiger. „Ich verzichte auf – –“

Worauf er verzichten wollte, blieb unausgesprochen. Denn der angebliche Assessor unterbrach ihn schneidend:

„Bleiben Sie sitzen! Ich weiß lange, wes Geistes Kind Sie sind! Damit Sie aber auch wissen, wer ich bin, hier ist meine Legitimation, lautend auf Kriminalkommissar Fritz Reinbach, Berlin. –

Und nun möchte ich Ihnen zunächst mal eine kleine Geschichte erzählen. Auf den eigentlichen Zweck meines Kommens werde ich später eingehen. –

Gestern wurden hier in Berlin in einem Leihhause verschiedene Schmucksachen versetzt, an sich eine Sache, die alle Tage vorkommt. Aber dieses Leihgeschäft hat eine besondere Vorgeschichte, die ich von Fräulein Vera von Köhler erfuhr, der Schwester Ihres – – Kunden. Die junge Dame erzählte mir nun folgendes: Ihr Bruder hat vor einem Jahre bei einem hiesigen Wucherer – damit sind Sie gemeint, Herr Hornemann. – Bleiben Sie nur ruhig sitzen! – Also bei einem Wucherer achthundert Mark gegen einen Wechsel aufgenommen, die Summe aber bisher nicht zurückzahlen können, da sein Vater, der Geheimrat von Köhler, sehr bald nach Erhebung des Darlehns von einem schweren Schlaganfall betroffen wurde und sich infolgedessen pensionieren lassen mußte, wodurch die zahlreiche Familie des bisher völlig lebensfrischen Herrn in bedrängteste pekuniäre Lage geriet. Heinz von Köhler sah sich daher gezwungen, von Ihnen immer wieder eine Prolongation des Wechsels zu erbitten, was Sie zunächst auch gutwillig taten, bis Sie dann eines Tages erklärten, ihm die inzwischen auf 1600 Mark angelaufene Summe nicht länger stunden zu wollen. Sie drohten, sich an seinen Vater zu wenden, dem eine solche Nachricht bei seiner Hinfälligkeit hätte den Tod bringen können. In seiner Angst stellte Heinz von Köhler Ihnen nun ein Schriftstück aus, in dem er Ihnen als ältestes Kind der Familie mit Einwilligung seiner Geschwister den Köhlerschen Familienschmuck verpfändete. Dieses Papier, das an sich als eine Verfügung über erst später zu erwartende Erbschaftsgegenstände wertlos ist, nutzten Sie nun in geradezu raffinierter Weise gegen den jungen Menschen aus. Zunächst ließen Sie sich für die weitere Prolongation ganz enorme Zinsen bezahlen und erklärten regelmäßig, wenn Ihr Opfer nicht gleich willfährig war, Sie würden eine Klage bei Gericht einreichen unter Vorlegung der Verpfändungsurkunde, die Heinz von Köhler in der Hast leider derart abgefaßt zu haben scheint, daß man ihm daraus unter allen Umständen den Vorwurf des versuchten Betruges machen könnte.

Jetzt, wo die Wechselschuld mit den gestundeten Zinsen bis zu 3400 Mark angewachsen ist, versuchten Sie nun dem grausamen Spiel ein für Sie recht gewinnbringendes Ende zu bereiten, indem Sie erst einmal die 3400 Mark und dann noch 250 Mark für die Aushändigung des verhängnisvollen Verpfändungsscheines forderten. Alle Bitten Heinz von Köhlers waren umsonst. Sie gaben ihm noch bis heute Mittag zwölf Uhr Zeit. Sollte bis dahin das Geld nicht bezahlt sein – im ganzen also 3650 Mark – so wollten Sie die Angelegenheit unweigerlich einem Anwalt zur weiteren Verfolgung unterbreiten, ein Schritt, der, worauf Ihr bedauernswertes Opfer Sie immer wieder flehend aufmerksam gemacht hat, sicherlich den Tod des ohnehin schon so schwergeprüften Geheimrats zur Folge gehabt hätte.

In dieser Not entschloß sich Fräulein Vera von Köhler auf Bitten ihres Bruders, da sich nirgends ein anderer schneller Ausweg zeigte, den Familienschmuck, den ihr Vater in einer Kassette eingeschlossen in seinem Schreibtisch aufbewahrte, heimlich ohne Wissen der Eltern nach Berlin zu bringen, damit ihn ihr Bruder hier verpfänden und Sie mit dem Erlös bezahlen könne. Welch schwere Gewissenskonflikte sich für die junge Dame aus der ganzen Sachlage ergeben mußten, das werden Sie sich allerdings kaum vorstellen können. Zwar hoffte Fräulein von Köhler, daß der Geheimrat vorläufig das Fehlen der altertümlichen Pretiosen nicht gewahr werden und daß es ihr und ihrem Bruder inzwischen gelingen würde, von Verwandten und Bekannten soviel Geld zusammenzubringen, um die Sachen wieder auslösen zu können. Aber dies war eben nichts als eine Hoffnung, und Hoffnungen trügen leicht, Herr Hornemann, wie Sie heute noch zu Ihrem eigenen Leidwesen hinsichtlich der 3650 Mark merken werden. Daß Herr von Köhler nun tatsächlich die Schmucksachen bereits heute vormittag wieder auslösen konnte, ist ein glücklicher Zufall, mit dem von vornherein nicht zu rechnen war. Jedenfalls wird der Vorwurf hartherzigster Gewissenslosigkeit, den man Ihnen mit Recht machen kann, dadurch nicht im geringsten abgeschwächt. –

Bitte – versuchen Sie nicht zu protestieren, bleiben Sie auch hübsch ruhig weiter auf Ihrem Stuhl und lassen Sie mich aussprechen. Hier habe nur noch ich zu reden und Sie lediglich zu schweigen und zu gehorchen. Andernfalls wäre es sehr leicht möglich, daß Sie Ihre Mittagsmahlzeit heute zwischen den grauen Wänden des Untersuchungsgefängnisses einnehmen müßten. –

Ich zähle Ihnen hier jetzt eintausend Mark aus. Das Papiergeld ist echt, wirklich echt. Dafür liefern Sie mir den Wechsel und die Verpfändungsurkunde aus. –

Sie wollen nicht? Auch gut! Ihr eigener Schade.“

Der Kommissar erhob sich: „Sie wissen vielleicht, daß wir Kriminalbeamten im Notfalle berechtigt sind, eine Verhaftung auch ohne einen vorschriftsmäßigen Haftbefehl auszuführen. Von diesem Recht werde ich jetzt Gebrauch machen, da mir Heinz von Köhler, mit dem ich vor einer Stunde eine längere Unterredung hatte, nicht weniger als zwölf Herren seiner Bekanntschaft genannt hat, die Sie geradeso wie ihn förmlich ausgepreßt haben. Um Ihnen nun nicht Gelegenheit zu geben, etwaige Sie belastende Papiere und Aufzeichnungen zu beseitigen, werde ich – –“

Aber Fritz Reinbach hatte nicht nötig, noch deutlicher zu werden. ‚Hornmännchen‘ war schon in verbissener Wut an seinen Schreibtisch geschlichen und reichte dem Kommissar jetzt die Papiere hin.

„So – die Tugend siegt!“ meinte diese ironisch und schob die Blätter nach kurzer Durchsicht in die Tasche. „Noch eins, eh’ wir scheiden, Herr Hornemann. Sollte je von dem Inhalt unserer heutigen Unterredung auch nur ein Sterbenswörtchen über Ihre Lippen kommen, so rettet Sie nichts mehr von einer Anklage wegen Wuchers, da noch immer genug Belastungsmaterial gegen Sie vorhanden ist. Ebenso werden Sie selbst-verständlich derartige Darlehnsgeschäfte, die man so hübsch mit ‚Krawattenmachen‘ bezeichnet, nie mehr wagen können. Ich werde nämlich dafür Sorge tragen, daß die hiesige Polizei Ihrer geschäftlichen Tätigkeit weiterhin die liebevollste Aufmerksamkeit schenkt.“

Damit verließ der Kommissar ohne Gruß das Zimmer, genau so wie es Freiherr von Westerhart an demselben Tage einige Stunden später bei der ‚Basarhyäne‘ getan hatte.

 

9. Kapitel.

Wie zwei sich finden – – –

Frau Geheimrat Winkler hatte den ‚guten Rat‘ des Freiherrn von Westerhart wörtlich befolgt und bereits nach drei Tagen die Reichshauptstadt auf Nimmerwiedersehen verlassen. Abschiedsbesuche zu machen, wagte sie doch nicht mehr, und nur einigen ihrer intimsten Freundinnen teilte sie schriftlich mit, daß sie aus Gesundheitsrücksichten für längere Zeit nach dem Süden gehen müsse. Trotzdem waren, wie dies bei solchen Anlässen häufig zu geschehen pflegt, sehr bald über den wahren Grund ihres plötzlichen Verschwindens allerlei Gerüchte aufgetaucht, die zwar nicht ganz die Wahrheit trafen, dieser aber immerhin recht nahe kamen. Jetzt zeigte sich erst, wie wenig Sympathien diese Frau, deren spitze Zunge und kalt berechnendes Wesen fast allgemein gefürchtet waren, in Wirklichkeit besessen hatte. Auch nicht ein einziger aus ihrem früheren Umgangskreise fand sich bereit, ein Wort der Verteidigung für sie einzulegen. Ohne weiteres ließ die Gesellschaft die Geheimrätin fallen, als ob die stolze Erscheinung mit dem eingefrorenen, liebenswürdigen Lächeln nie eine Rolle in den obersten Zehntausend der Reichshauptstadt gespielt hätte. Sie war abgetan und in kurzem völlig vergessen. Wurde hie und da noch einmal ihr Name genannt, so geschah dies nie ohne den kennzeichnenden Zusatz ‚die Geheimrätin – die Basarhyäne, Sie wissen doch – –!‘ Auf welche Weise dieser von Westerhart damals im Kasino geprägte, so ungemein treffende Ausdruck in die Öffentlichkeit gedrungen sein konnte, war ebenso unerklärlich wie das Bekanntwerden all jener traurigen Einzelheiten, die den Liebesroman Adda Winklers und Horst von Ottkens bildeten.

Adda selbst sollte ihre Stiefmutter weder vor deren Abreise noch später jemals wieder zu Gesicht bekommen. In der eleganten Grunewaldvilla der Schwester Westerharts lebte das junge Mädchen, nun endlich für alle Zeiten von der herzlosen Tyrannin befreit, bald ganz wieder auf und blühte in dem Bewußtsein jener gesicherten, glücklichen Zukunft von Tag zu Tag schöner und liebreizender auf.

Aber noch andere Dinge bereiteten sich in dem vornehmen Heim der Gräfin Rahnstein langsam vor. Noch nie hatte diese ihren Bruder so häufig als Gast bei sich gesehen wie jetzt, wo dort in der Person der zarten, echt mädchenhaft bescheidenen Vera von Köhler ein Magnet vorhanden war, der den Hauptmann immer aufs neue in jeder freien Stunde den weiten Weg nach der idyllischen Grunewaldkolonie zurücklegen ließ.

Zwischen Vera und ihrem Bruder hatte eine völlige Aussöhnung stattgefunden, und Heinz war es denn auch gewesen, der die wieder eingelösten Schmucksachen unauffällig in das Elternhaus zurückschaffte. Von dem Sündenlohn, eben den von Orsakow ihm ausgezahlten achttausend Mark, verbrauche er für sich gerade nur so viel, um die Überfahrt nach Südwestafrika bezahlen zu können, wo er in der Farm eines Bekannten eine Stellung angenommen hatte. Den Rest des Geldes sandte er unter Angabe eines beliebigen Absendernamens einem Wohltätigkeitsverein zu. Nach herzlichem Abschied von den Seinen verließ er dann Europa, um drüben auf fremder Erde ein neues Leben zu beginnen und sich durch angestrengte Arbeit und gewissenhafte Pflichterfüllung wieder ein Anrecht auf die Achtung seiner Mitmenschen zu erringen. Und wenn er später im glühendsten Sonnenbrand über die grünen Weideflächen der Farm dahinschritt und seine Gedanken dabei unwillkürlich einmal in die traurige Vergangenheit zurückkehrten, gedachte er des polnischen Aristokraten nicht nur ohne Groll, sondern sogar mit einem gewissen Gefühl der Dankbarkeit. War es doch Orsakow allein gewesen, der ihn noch im letzten Moment zum Besinnen auf sich selbst gebracht und somit aus ihm einen anderen, besseren Menschen gemacht hatte.

*

Vera von Köhler weilte nun bereits vierzehn Tage zusammen mit Adda, der glückseligen Braut, in dem gastlichen Hause der Gräfin Rahnstein, wo sich noch immer täglich Horst von Ottkens und Westerhart einstellten, als mit einem Male über diesem bisher so harmonischen Kreise trübe, allen Frohsinn verdunkelnde Wolken erschienen. Die ersten Anzeichen eines drohenden Unheils offenbarten sich darin, daß Egon von Westerhart sich zwei Tage lang in der Grunewaldvilla nicht blicken ließ, ohne für sein Fernbleiben irgend einen Grund anzugeben. Auch der plötzlich auffallend ernst gestimmte Ottkens, der dieserhalb von den Damen mit Fragen bestürmt wurde, hüllte sich in verlegenes Schweigen. Als dann auch noch der dritte Tag verging und von dem Hauptmann noch immer keine Nachricht eingetroffen war, erklärte die resolute Gräfin kurzerhand, daß sie am nächsten Vormittag den Bruder in seiner Wohnung aufsuchen würde, um endlich zu erfahren, was ihm zugestoßen sei.

„Denn irgend etwas ist passiert,“ sagte sie bestimmt. „Und diesen Verdacht reden auch Sie mir nicht aus, lieber Ottkens!“ wies sie dessen Bemäntelungsversuche zurück. –

Daß Vera von Köhler, die längst ihr Herz an den männlich ernsten und doch auch wieder so jugendfrisch empfindenden Westerhart verloren hatte, der mit so viel Zartheit um ihre Liebe warb, am folgenden Tage der Rückkehr ihrer neu gewonnenen mütterlichen Freundin mit ängstlicher Spannung entgegensah, war nur zu natürlich. Aber auch die Gräfin tat nachher den jungen Mädchen gegenüber genau so geheimnisvoll wie vorher schon Ottkens, und der einzige Trost für Vera war es, daß Frau von Rahnstein tröstend zu ihr sagte, indem sie ihr dabei liebevoll über das blonde Haar strich:

„Es wird ja alles noch gut werden, Kleines –! Hoffen wir das Beste. – Am Nachmittag haben wir beide etwas in der Stadt zu erledigen, liebe Adda,“ wandte sie sich dann mit feinem Lächeln an diese. „Und da müssen Sie sich schon ohne uns hier die Zeit zu vertreiben suchen.“

*

Egon von Westerhart saß in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch, den Kopf in die Hand gestützt. Über seinem Gesicht lag der Ausdruck tiefster Trostlosigkeit. Vor ihm auf der grünbezogenen Platte war ein weißer Bogen ausgebreitet. Ort, Datum und Adresse standen in peinlich sauberer Schrift darauf. Die Adresse lautete:

An Seine Exzellenz den Herrn Kommandierenden General des Gardekorps,

Berlin

Weiter war der Hauptmann mit der Abfassung dieses Schreibens, das ihn aus den Reihen der Armee für immer entfernen würde, noch nicht gekommen, obwohl er bereits eine Stunde über dieser Arbeit zugebracht hatte.

Mit aller Energie sich aufraffend, griff er jetzt abermals zur Feder. Es mußte sein – – mußte –! Es gab keinen anderen Ausweg mehr für ihn.

Da – draußen das Schrillen der Flurglocke. Rostan, der Windhund, der bisher regungslos zu Füßen seines Herrn auf dem prächtigen Wolfsfell gelegen hatte, richtete sich auf.

Westerhart lauschte. Das war ja eine neue Galgenfrist – – Minuten vergingen.

Dann erschien der alte Diener und meldete mit tiefer Verbeugung:

„Eine Dame wünscht den Herrn Hauptmann zu sprechen. Sie wartet im Salon.“

„Eine Dame – –? – Wer ist’s denn?“ fragte Westerhart erstaunt.

Der Alte zuckte verlegen die Achseln. „Ich kenne sie nicht,“ meinte er unsicher und schaute fast ängstlich zur Seite.

Egon Westerhart erhob sich. „Wahrscheinlich wieder eine Bettelei,“ meinte er arglos und öffnete die nach dem Salon führende Tür. Ein forschender Blick in das Gemach, und er prallte betroffen zurück.

„Vera – – Sie – – Sie?“

Zum ersten Mal gebrauchte er diese vertrauliche Anrede. Ganz unwillkürlich war sie ihm entschlüpft – wie etwas Selbstverständliches.

Und dann stand er vor dem wie mit Blut übergossenen jungen Mädchen und führte die behandschuhte Rechte mit tiefer Zärtlichkeit an seine Lippen.

„Herr von Westerhart,“ begann Vera stockend, „ich bin in Begleitung Ihrer Frau Schwester hierhergekommen, die mir sagte, Sie wollten mir persönlich Aufschlüsse darüber geben, weshalb – –“

Sie kam nicht weiter, suchte in holder Verlegenheit umsonst nach einem passenden Ausdruck.

Westerhart hatte sofort dieses kleine, von der Gräfin eingefädelte Intrigenspiel durchschaut. Galant half er daher dem jungen Mädchen über diese peinliche Situation hinweg.

„Nehmen Sie Platz, gnädiges Fräulein, und schenken Sie mir gütigst einige Augenblicke Gehör.“

Zögernd nur ließ sich Vera in einem der Sessel nieder, während Westerhart sich leicht gegen den großen, kaminartig gebauten Ofen lehnte. Und dann begann er mit leiser, vor innerer Erregung durchzitterter Stimme:

„Diese Stunde verlangt volle Offenheit zwischen uns beiden. Ich will mich kurz fassen, um die Qual für mich nicht noch mehr zu erhöhen. Daß ich Sie liebe, von ganzem Herzen verehre und keinen sehnlicheren Wunsch kenne, als Sie für immer an mich zu fesseln, wird Ihnen längst klar geworden sein. Desto härter mußte mich dieser Schlag treffen, der jetzt all mein Hoffen so urplötzlich zerstört hat. Ein unseliges Verhängnis lud mir eine Schuld auf, für die ich jetzt büßen muß.“

Und Westerhart schilderte dem jäh erblaßten jungen Mädchen die Ereignisse jener Nacht nach dem Basar, in der ihn Mitleid allein dazu bewog, einen gefährlichen Dieb in der Gestalt jenes armseligen Jungen mit in sein Arbeitszimmer zu nehmen, erzählte weiter von dem Verschwinden der wichtigen Urkunden und ihrem geheimnisvollen Wiederauftauchen.

„In der Überzeugung, daß ich nichts Unrechtes damit beging, verschwieg ich den Vorfall meinen Vorgesetzten,“ fuhr er dann fort. „Durch die Indiskretion eines Unterbeamten der Polizei muß Seine Exzellenz der Herr Kriegsminister nun ebenfalls auf Umwegen Kenntnis von den Geschehnissen jener Nacht erhalten haben. Jedenfalls wurde ich vor drei Tagen zu ihm befohlen. Diese Unterredung, bei der ich nichts zu beschönigen suchte – denn tatsächlich hatte ich ja durch die Mitnahme der Papiere einen schweren Verstoß gegen die Vorschriften begangen – endete damit, daß Se. Exzellenz mir erklärte, ich sei vorläufig vom Dienst suspendiert. Das Weitere werde sich finden. –

Aber erst aus der Art und Weise, wie dann auch mein Onkel, der Oberst und Abteilungsvorstand im Kriegsministerium, von Westerhart, mir seinen Unwillen über meinen damaligen – – Leichtsinn ausdrückte, wie er es milde nannte, ersah ich, daß – – ich mir meine weitere militärische Laufbahn für immer verpfuscht hatte. Ich bin stets mit Leib und Seele Soldat gewesen, habe mit Liebe und Stolz den bunten Rock getragen. Der Gedanke, jetzt schon womöglich aus der Armee ausscheiden zu müssen, brachte mich an den Rand der Verzweiflung. Diese drei letzten Tage habe ich mich kaum aus meiner Wohnung herausgewagt. Ich fürchtete, einem Bekannten zu begegnen, kam mir wie ein Verfemter vor! Ottkens hat vergeblich versucht mich zu trösten. Was gab es da auch noch zu trösten, wo ich gestern ein dienstliches Schreiben erhielt, in dem mir in knappen Worten mitgeteilt wurde, daß man von einem Disziplinarverfahren gegen mich absehen wolle, ich jedoch umgehend meinen Abschied einzureichen habe.

Sie haben genug in Offizierskreisen verkehrt, Fräulein Vera, um ermessen zu können, was es heißt, so auf Befehl den Rock Seiner Majestät ausziehen zu müssen. Wenn einem auf diese Weise ‚der erbetene Abschied gnädigst gewährt wird‘, ist man für alle alten Freunde ein – toter Mann. –

Widersprechen Sie mir nicht, Fräulein Vera. Es ist so! Und – – mit diesem Makel behaftet werde ich nie und nimmer ein Weib dazu verleiten, meine Einsamkeit – denn einsam werde ich fortan sein! – zu teilen. Deshalb mied ich das Haus meiner Schwester, deshalb mied ich Sie – – die dich liebe.“

Ganz leise sprach er die letzten Worte. Und doch hörte Vera so deutlich darin das Klingen einer bangen Hoffnung. – –

Sie war schnell aufgestanden und trat nun dicht an Westerhart heran. Und in seinen Augen lag eine schmeichelnde Zärtlichkeit, als sie, scheu zu ihm aufblickend, sagte:

„Und wenn ich dich nun bitte, Egon, daß du mich mitnimmst in deine Einsamkeit, wenn ich dir sage, daß dein übertriebenes Ehrgefühl ein großes Glück – –“

„Du – du – du weißt ja nicht, wie ich mich gerade in diesen schweren Tagen nach dir gesehnt habe, wie ich gelitten habe – deinetwegen!“

Und ihre Lippen fanden sich in einem langen, heißen Kuß. –

Wie dann die Gräfin Rahnstein, der die Zeit endlich lang wurde und die bereits sämtliche Zeitschriften im Arbeitszimmer ihres Bruders durchgeblättert hatte, vorsichtig an die Salontür klopfte, trat ihr Arm in Arm ein junges, seliges Brautpaar entgegen.

„Schwester,“ rief Egon Westerhart mit einem Lächeln, in dem nur noch eine letzte Spur von Wehmut zu erblicken war, „meine Uniform habe ich verloren, aber dafür gefunden, wonach mein Herz sich seit langem sehnte, das Glück!“

*

Als man ein halbes Jahr später auf Schloß Rahnstein, dem Stammsitz dieses alten Geschlechts, eine prunkvolle Doppelhochzeit gefeiert hatte, zog Egon von Westerhart mit seinem jungen Weibe nach Schlesien, um die Bewirtschaftung seiner dortigen Güter selbst in die Hand zu nehmen. Horst von Ottkens dagegen, der inzwischen gleichfalls den erbetenen Abschied erhalten hatte, führte seine strahlende Adda als Hausfrau in das Gutsgebäude auf seines Freundes märkische Besitzung, deren Verwaltung ihm anvertraut worden war. –

Wenn aber die Damen der nächsten Kreisstadt, bei denen die bildhübsche und ebenso muntere Frau Adda von Ottkens bald allgemein beliebt wurde, immer wieder den Versuch machten, sie zur Übernahme irgend eines Verkaufsstandes bei einem der alljährlich sich wiederholenden Basare zu bewegen, so verlor das feine Gesichtchen der jungen Frau regelmäßig den sorglos heiteren Ausdruck, und stets lehnte sie mit derselben Begründung ab, ohne jedoch eine nähere Erklärung zu geben.

„Ich liebe derartige Veranstaltungen nicht. Es knüpfen sich für mich zufiel traurige Erinnerungen daran.“

– – Von Basarhyänen wußte man eben in der idyllischen kleinen Welt der märkischen Kreisstadt nichts – – nichts!

 

 

Anmerkungen:

In der Erzählung wurden verwendet:

  1. Anfang 1. Kapitel und ein Teil 8. Kapitel aus: Die Diebin. Von Walter Kabel. Im Anhang ab Seite 109 in: Der Scheck über eine Million von O. von Hanstein, Polyp-Romane Nr. 2.
  2. Anfang 6. Kapitel aus: Der Strassenjunge. Erzählung von Walther Kabel. In: Düsseldorfer Sonntagsblatt, Nr. 49, 1910 sowie Der Streichholzjunge. Erzählung von Walther Kabel. In: Das Neue Blatt. Ein illustriertes Familien-Journal, Heft 30 des 42. Jahrgangs 1911 auf den Seiten 477–479. Später erneut abgeändert veröffentlicht als: „Armer kleiner Kerl“! In: Salonblatt. Moderne illustrierte Wochenschrift für Gesellschaft, Theater, Kunst und Sport, Heft 1 des 12. Jahrgangs [1917] auf den Seiten 11–12.