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Kabel an Brümmer

 

Zoppot, d. 8. II. 1910.

Franziusstr. 14.

Herrn

Franz Brümmer,

          Konrektor,

                             Nauen.

Ihrer Bitte komme ich nachstehend gerne nach:

Biographie von Walther Kabel.

Als einziges Kind meiner Eltern wurde ich zu Danzig am 8.8.1878 geboren. Schon frühzeitig machte sich bei mir eine gewisse Begabung zum Fabulieren bemerkbar. Von wem ich sie geerbt habe, weiß ich nicht. Denn meine Vorfahren waren sämtlich nüchterne und praktische Geschäftsleute. Als Knabe schrieb ich blutrünstige Indianergeschichten und wehleidige Märchen, letztere in recht starker Anlehnung an Grimm und Hauff. Die „notwendige“ Gymnasialbildung gaben mir in recht unzureichendem Maße die Gymnasien zu Berent, Danzig und Kulm a. W.. Besonders befruchtend auf meine Phantasie wirkte der Aufenthalt in der früheren Ordensburg Kulm, von deren alten Wällen man bei Sonnenuntergang einen wunderbar schönen Ausblick über das Weichseltal hin hatte. Dort in Kulm schrieb ich als Primaner meine ersten Novellen. Leider habe ich sie später in einer zerstörungswütigen Stimmung sämtlich verbrannt. Ich weiß nur noch, daß sie alle sehr auf einem weltschmerzlichen Akkord ausklangen, – sehr sogar, trotzdem ich damals unter Sorgen irgendwelcher Art noch nicht zu leiden hatte. Ostern 1900 bestand ich mit Note „sehr gut“ im Deutschen und „völlig ungenügend“ in Mathematik das Abiturientenexamen. Diese mangelnde Befähigung für das Rechnen hat mir dann als Studio sehr geschadet. Mit meinem Wechsel bin ich nie recht ausgekommen. In München, und Berlin und Königsberg habe ich mich angeblich studienhalber aufgehalten. In Wirklichkeit vergingen meine ersten sieben Semester, ohne daß ich von dem Inhalt des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer juristischer Schriften eine Ahnung bekommen hatte. Offen gestanden – das trockene Jus hat mich stets ehrlich angeekelt, – stets, noch heute! Und daher verbrachte ich meine ersten Semester meist auf dem Mensurboden, wovon meine Quartseite beredtes Zeugnis ablegt. Dann kam der große Umschwung in meinem Dasein! Mit 25 Jahren lernte ich eine Frau kennen, die mein Innenleben lange Jahre völlig ausgefüllt hat und die mir Beraterin und treue, wohlmeinende Freundin war. Sicher ist sie die einzige große Leidenschaft meines Lebens gewesen, fraglos diejenige, die mich zu dichterischem Schaffen wie keine andere begeistert hat. Als Student habe ich, angeregt durch den Verkehr in vielen schöngeistigen Familien und besonders durch Félicie, eine ganze Menge Novellen und Skizzen geschrieben, darunter auch „Aschermittwoch“, – nichts anders als die Geschichte jener heißen Leidenschaft. „Aschermittwoch“ hat ein trauriges Schicksal ereilt. Eine Redaktion verlegte das Manuskript, ich klagte auf Schadenersatz und erstritt mir im Prozeßwege das Honorar! Ein prosaischer Abschluß all der langen Nachtstunden, die ich klopfenden Herzens und mit zitternder Sehnsucht im Herzen über dieser Novelle zugebracht habe, – ebenso prosaisch wie überhaupt das Ende dieser Liebe war. Genug davon … Nach einem mißglückten Versuch bestand ich endlich das Referendar-Examen, ich verließ Königsberg und siedelte nach Zappot über. Referendare sterben bekanntlich an Arbeitsüberlastung nie. Und so fand ich genügend Muße, meinem Hange für die Schriftstellerei zu folgen. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich ein tägliches Arbeitspensum setzen und dieses unter allen Umständen erledigen. Oft faulenze ich wochenlang, arbeite dann wieder ebenso wochenlang ohne Ruhepause, bis meine Nerven versagen. Leider – leider bin ich ja nebenbei noch Jurist! Und zu oft drängt sich dies Bewußtsein recht störend in meine Stimmungen ein, – besonders dann, wenn es heißt, juristische Arbeiten zu erledigen. Auch sonst ist mein Leben, seitdem jene seltene Frau mir nicht mehr zur Seite stand, durchaus nicht so ruhig dahingeflossen wie ich es gewünscht hätte. Manch törichter Streich wirkt noch heute in seinen Folgeerscheinungen nach, oft bereut und doch nie gutzumachen … Auch davon genug. Wenn man mich fragt, ob ich jene Zufriedenheit empfinde, die den wahren Seelenfrieden für immer verleihen soll, so muß ich leider mit „nein“ antworten … Warum dem so ist, … darüber werde ich den Helden meines neuen „Aschermittwochs“ sprechen lassen … Félicie weiß es schon!

Zoppot, den 8. Februar 1910.

Walther Kabel, Referendar, Schriftsteller u. Leutnant d. Res. des Grd. Rg. Kronprinz.

 

Bisher erschienen:

I.) Bücher

1. Das Geheimnis der Ginsterschlucht.

Krim. Roman. 1906. Verl. Ensslin & Laiblin in Reutlingen

2. Die Gefangenen von Folkerston.

Phantastische Erzählung. Verlag E. Leonhardi Dresden. 1909.

 

II.) Erschienen in Zeitungen, Zeitschriften etc.

1. „Jugendliebe“, Novelle.           Danziger Allg. Zeit. 1907

2. „Automobil Nr. ?“ Krim. Roman.  „            „        „     1908.

3. Der König von Wara. Erzählung. „            „        „     1908.

4. „Jugendliebe“. Novelle.              „             „        „     1907[1]

5. „Der Doppelgänger.“ Krim. Roman. 1908. Verlag „Zeit im Bild.“

6. „Das Auge des Brahma“. Erzählung 1908. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart.

7. „Das Tagebuch des Irren“. Erzählung 1908. Union Deut. Verlagsgesellschaft.[2]

8. „Alice Weathers Bekehrung“. = Erzählung 1909. Union wie 6. u. 7.

9. „Ein Wiederfinden“. Novelle. 1910. wie 8.

10. „Das Tal der Tränen“. = Erz. 1908. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart.

11. Verlag Greiner & Pfeiffer, Stuttgart

a. Kasimir Jaworskis Hasenerziehung. Humoreske 1908.

b. Der Ring der Borgia. Novelle 1909.

12. Verlag A. Jahn, Nürnberg

a. Die Einsiedler vom schwarzen Berge. Erz. 1909.

b. Durch das Hunderennen. Novelle. 1909

c. Unter Weichselpiraten. Erz. 1909

d. „Bix“. Novelle 1910.

13. Verlag Ph. Reclam, Universum

a. Die gelbe Gefahr. Humoreske 1908.[3]

b. Im Kugelregen. Novelle 1909.

 

14. Außerdem eine große Anzahl kleinere Skizzen, Novellen, Erzählungen, ferner wissenschaftliche Artikel aller Art.

 

 

Anmerkungen:

  1. Walther Kabel führte die Novelle „Jugendiebe“ zweimal in seiner handschriftlichen Bibliographie auf. Nach Peter Wanjek fehlt in der Aufzählung jedoch die Novelle „Die Erlöserin“, welche im selben Jahrgang in der Danziger Allgmeinen Zeitung erschien.
  2. Die Erzählung erschien unter dem Titel „Das Tagebuch eines Irren“.
  3. Die Erzählung konnte jedoch erst 1917 in Reclams Universum nachgewiesen werden. Möglicherweise geben die Jahreszahlen von Walther Kabel daher weniger das Erscheinungsjahr, als vielmehr das Ankaufsjahr durch den Verlag an.