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Die neue „Emden“

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright by Verlag mod. Lektüre G. m. b. H., Berlin.

 

Die neue „Emden“[1].

 

W. Belka.

 

Kapitän Shooft, gleichzeitig Eigentümer des Raddampfers „Lady Milton“, zeichnete sich nicht gerade durch untadeliges Benehmen aus. Im Gegenteil. Die zwölf Passagiere, die mit dem alten Kasten, den nur noch der Weltkrieg mit seinem gesteigerten Schiffsfrachtenverdienst den Ruheposten als Tourendampfer in der Bucht von Southampton hatte aufgeben lassen, diesmal die Überfahrt über den Kanal nach Cherbourg gewagt hatten, waren entsetzt über die Eigentümlichkeiten ihres pockennarbigen und whiskynasigen Schiffsführers, der nicht nur den braunen Tabaksaft seines Priems den Damen direkt vor die Füße spritzte, sondern sich auch ein besonderes Vergnügen daraus zu machen schien, die Landratten durch Schauergeschichten von deutschen U-Booten zu ängstigen und durch eine wahre Blütenlese von unglaublichen Flüchen in Verlegenheit zu setzen.

Edward Shooft nutzte die Kriegskonjunktur in jeder Weise aus. Nach Erlegung von ein Pfund Sterling war es jedem Passagier gestattet, sich ganz nach Belieben auch auf der sonst verbotenen Kommandobrücke aufzuhalten. Von dem Dutzend Passagieren, die die „Lady Milton“ – für ein englisches Schiff eigentlich ein kurioser Name, wenn man an die gleichnamige Engländerin und ihre fragwürdige Rolle in Schillers Trauerspiel „Kabale und Liebe“ denkt – jetzt beherbergte, hatte jeder sein Pfund bezahlt, ohne Ausnahme, wahrscheinlich aus Freude darüber, auf dem halbwracken Raddampfer überhaupt noch bei dem riesigen Ansturm von Fahrgästen auf die wenigen, auch Personenverkehr übernehmenden Schiffe untergekommen zu sein.

Zumeist waren es französische Geschäftsleute, die in England zu tun gehabt hatten und denen daran lag, schleunigst wieder daheim zu sein.

Am 31. Juli gegen Abend kam die „Lady Milton“ in Sicht der Küste. Die Passagiere befanden sich sämtlich auf der Brücke, die meisten mit Ferngläsern bewaffnet, durch die man die Hafenanlagen von Cherbourg bereits deutlich erkennen konnte. Alles atmete erleichtert auf. Von feindlichen Tauchbooten hatte man nichts bemerkt. Vielleicht hätten diese die alte Lady auch in Ruhe gelassen, die nach Aussage des Kapitäns ja nur Papierballen für Schnellpressen geladen hatte. Vielleicht …! Freilich, diese deutschen U-Boot-Kommandanten sollten ja geradezu Piraten in Reinkultur sein, wenigstens nach englischen und französischen Zeitungen. Und da wäre es doch möglich gewesen, daß einer von ihnen rein aus Übermut den Raddampfer so ein bißchen torpediert hätte. Kurz – man war froh, jetzt geborgen zu sein, und gab dieser Freude auch beredten Ausdruck.

Edward Shooft stand dabei und grinste, daß die Pockennarben auf seinen Backen sich ordentlich in die Länge zogen.

„Verdammt! – meine Nase soll sofort sich in eine Laus verwandeln, wenn dies nicht der beste Witz ist, den ich seit langem erlebt habe!“ sagte Shooft jetzt mit seiner krächzenden Stimme. „Denken Sie denn, meine Herrschaften, ich freue mich nicht, daß wir das Land schon so nahe haben …!! – Ob ich mich freue …!! Mit neuen amerikanischen Geschützen sowie der dazu gehörigen Munition an Bord zu diesen Zeiten mit so einem lahmen Kahn, wie meine Lady es ist, über den Kanal zu schleichen, ist schlimmer als der Weg zum Traualtar.“

Eine Weile entsetztes Schweigen. Den Passagieren war ein Licht aufgegangen.

„Sie haben also gar nicht Papier geladen?“ rief der Fabrikant Tissier.

„Na – das ist doch eben der Witz!!“ meinte Shooft mit einem Hohngelächter. „Hätte ich Ihnen in Southampton gesagt, daß meine Lady den Bauch voller Geschütze und Granaten hat, wären Sie doch nie meine Fahrgäste geworden.“

Die Fortführung dieser scherzhaften Unterhaltung war nicht möglich, da jetzt ein französisches Wachtschiff längsseit kam und Shooft den Befehl überbrachte, bis auf weiteres westlich von Cherbourg in einer kleinen Bucht vor Anker zu gehen.

Shooft fluchte, wie er seit mindestens acht Tagen nicht gewettert hatte. Seine Hoffnung, die Ladung sofort löschen zu können und schnell neue einzunehmen, war dahin.

Es half aber alles nichts. Das Wachtschiff, ein älteres Torpedoboot, blieb in der Nähe und wies ihm nachher sogar noch einen Ankerplatz in der Bucht an.

Dort lagen außerdem noch zwei ähnliche halbwracke Frachtdampfer wie die „Lady Milton“ es war. Auch diese beiden Leidensgefährten sollten hier weitere Befehle abwarten.

Die Bucht hatte eine schmale, seichte Einfahrt, so daß nur Fahrzeuge mit geringem Tiefgang hineingelangten. An der Ostseite schmiegte sich ein großes Dorf in die grünen Hügel ein.

Das Wetter war windstill, aber sehr heiß.

Shooft feierte mit seinen acht männlichen Passagieren nach dem Abendessen auf dem Deck mittschiffs feuchten Abschied. Er hatte ein paar Lampions vorsuchen lassen und diese über den Tisch gehängt, so daß die Geschichte einen ganz festlichen Anstrich hatte.

Als er schon Dreiviertel erledigt war – wenn er auf fremde Rechnung trank, vertilgte er stets das dreifache Quantum als gewöhnlich –, hielt er sogar eine Rede, schimpfte auf die verd… Deutschen, vergaß dies aber bald und pries Deutschland als den Staat, dem er jetzt so hohen Verdienst zu danken habe.

Mitten in einen schwungvollen Satz platzte dann der Mann der Wache hinein und meldete, daß sich dem Dampfer ein Segelboot nähere.

Edward Shooft nahm ein Weinglas und warf damit nach dem Matrosen, traf aber nur eines der Fenster des Kajütaufbaus. In der Kabine dahinter wohnte Frau Tissier, die durch das Klirren der Scherben einen Nervenanfall bekam und wie besessen zu kreischen begann, in der Annahme, ein Schuß habe das Fenster getroffen. Ihr Gatte eilte zu ihr und beruhigte sie.

Shooft wand sich auf seinem Stuhl förmlich in Lachkrämpfen.

„Hören Sie, meine Herren, – hören Sie …?!“ brüllte er. „Die Dame denkt mindestens, wir fliegen in die Luft …!!“

Dann sah er den Matrosen noch immer neben dem Tische stehen.

„Scher’ Dich auf Deinen Posten, Bill, – oder …!!“ drohte er, plötzlich in Wut geratend, streckte die Hand nach einem Aschbecher aus und … ließ sie wieder sinken.

Der Steuermann war neben dem Matrosen aufgetaucht, ganz bleich, mit verzerrtem Gesicht, winkte Shooft hastig zu und verschwand dann wieder nach dem Vorschiff hin.

Dem Kapitän schwante jetzt, daß da irgend etwas nicht in Ordnung sei. Er erhob sich, lallte, er würde gleich wiederkommen, ließ sich von dem Matrosen stützen und taumelte dem Steuermanne nach bis zu der herabgelassenen Schiffstreppe. Hier beugte er sich über die Reling und glotzte das merkwürdige Ding von Segelboot an, das an der Schiffstreppe eben angelegt hatte und dem jetzt vier mit Gewehren bewaffnete Männer entstiegen, – – Männer in einer Art Uniform – – Deutsche offenbar, – – Deutsche …!!

Edward Shooft war mit einem Male vollständig nüchtern.

Da stand auch schon einer der Männer vor ihm, während die drei anderen nach der Kommandobrücke zu verschwanden.

„Sie haben meine Befehle auf das genaueste zu befolgen“, sagte der Deutsche, ein blonder, schlanker Herr, kurz und scharf in leidlichem Englisch. „Bei der geringsten Gegenwehr fliegt Ihr Dampfer mit Mann und Maus in die Luft. – Die Besatzung versammelt sich sofort hier um den Vordermast, auch die Passagiere, falls solche vorhanden. Ordnen Sie das Nötige an …!“

Shooft gehorchte willenlos.

Zehn Minuten später mußten die englischen Matrosen der „Lady Milton“ eins der neuen amerikanischen Flugzeugabwehrgeschütze nebst ein paar Kisten Munition an Bord des deutschen U-Bootes schaffen (wenigstens hielt Shooft das merkwürdige Fahrzeug für ein solches!)

Alles ging wie am Schnürchen. Die Deutschen hatten eine verd… kurze Art und ließen mit sich nicht spaßen.

Dem kleinkalibrigen Geschütz folgten sämtliche Konserven und das ganze Trinkwasser, soweit der Raddampfer damit noch versehen war. Dann mußten die Besatzung und die Passagiere in die Boote.

„Sie rudern dort nach Westen zu und gehen neben jenem Gehölz, das sich als dunkler Fleck abzeichnet, an Land“, befahl der blonde Deutsche dem Kapitän. „Aber beeilen Sie sich. In fünf Minuten fliegt Ihr Kahn auseinander, und die Granaten könnten vielleicht Neigung zeigen, obwohl sie aus Amerika stammen, auch mal auf Engländer und Franzosen herabzuregnen.“

Shooft fluchte wieder, aber ziemlich zahm. Dort am Westufer der Bucht sei weder ein Haus noch sonst was zu finden, meinte er. Man solle ihm daher erlauben, nach der Ostseite auf das große Dorf zuzurudern.

„Lieber nicht!“ erklärte der blonde Deutsche ironisch. „Sie könnten zu leicht in Versuchung geraten, die Vorgänge hier von der Poststation des Dorfes aus nach Cherbourg zu telephonieren.“

Die Boote der „Lady Milton“ stießen ab.

Die Nacht war sternenklar und hell. Shooft schaute noch einmal nach dem deutschen U-Boot hin und sagte zu seinem Steuermann:

„Der Teufel soll dieser schlauen Bande den Hals umdrehen!! Sie haben wahrhaftig ihr Boot als Segelkutter frisiert. – Ha, was ist das?! Dort sind ja noch mehr Boote nach Westen zu unterwegs! Wetten, daß die deutschen Halunken die beiden anderen Dampfer auch schon durchsucht haben …?! – Natürlich ist’s so, Steuermann! Ich will hier auf der Stelle einen Liter Wasser aussaufen, wenn da über den Decks der beiden Kollegen nicht schon Qualm aufsteigt. Die Banditen haben die Kähne in Brand gesteckt. – Geteilter Schmerz ist halber Schmerz!!“

– – – – – – – –

Auf dem Deck des deutschen Bootes tummelten sich jetzt auch freudig zwei schöne Wolfshunde umher und schienen sich absichtlich recht viel Bewegung zu machen. Die Tiere, die auf die Namen Max und Moritz hörten, machten in dem Benehmen gegen die einzelnen Mitglieder der acht Mann starken Besatzung recht feine Unterschiede. Sie waren wohl zu allen zutraulich und freundlich, zeigten aber doch durch ihr ganzes Verhalten, daß sie als ihre eigentlichen Herren nur die beiden Jüngsten des Bootes anerkannten, zwei sonngebräunte, kräftige Knaben, die vor etwa neun Monaten aus dem Gefangenenlager in Plymouth entflohen waren und eigentlich den Wolfshunden das Gelingen dieser Flucht verdankten. Sie hießen Heinrich Leitner und Fritz Burke, hatten nach ihrer Flucht lange Zeit auf einer unwirtlichen Inselgruppe der Küste der Bretagne als Robinsons gehaust, hier zwei deutsche, in Frankreich gefangengehaltene Pioniere, den Leutnant Fritz Meinke und seinen Burschen Jannek (Johann) Krapatkul bei sich aufgenommen und dann auf Anregung Meinkes dieses „Emden“ getaufte Boot erbaut, wobei den vier deutschen Flüchtlingen die Entdeckung eines geheimen Waffenlagers auf denselben Inseln sehr zu statten gekommen war. Mit Hilfe dieser kleinen, etwa zehn Meter langen Namensschwester des berühmten Kreuzers gelang es Leutnant Meinke, noch vier kriegsgefangene Kameraden zu befreien, so daß die neue „Emden“ dann am 22. Juli 1915 mit acht Deutschen ihren bisherigen Schlupfwinkel, jene Inselgruppe, verließ und die gefährliche Heimfahrt nach einem deutschen Hafen durch den Kanal antrat, indem sie das günstige Wetter benutzte, zunächst auf die zu England gehörigen, aber der französischen Bucht von St. Malo vorgelagerten Normannischen Inseln Kurs zu nehmen, die auch nach Überwindung mancher Fährnisse erreicht wurden. Von hier hielt das Boot auf das Kap de la Hague zu, westlich von dem der Kriegshafen von Cherbourg zu suchen ist. (Diese hier in aller Kürze angedeuteten Ereignisse sind in den drei vorhergehenden Heften „Die Kolonie auf den Briennes“, „Die Flucht aus Vannes“ und „Die Wundergrotten von Briennes“ ganz ausführlich geschildert worden).

Bereits während dieses ersten Teiles ihrer Reise hatte der Führer der neuen „Emden“, Oberleutnant zur See Hartner, eingesehen, daß man sich notwendig ein Geschütz und Munition beschaffen müsse, um sich im Notfalle die zahllosen Wachtschiffe, die im Kanal kreuzten, besser vom Leibe halten zu können.

Gewiß – die kleine „Emden“ besaß ja selbst Eigenschaften, die ein sich Verbergen vor diesen Wachtschiffen leicht machten. Ihr spindelförmiger, nur auf Deck abgeplatteter Schiffskörper bestand aus einer doppelten Zinkblechwandung. Als Antrieb diente eine Schraube, die durch den Motor eines zerstörten englischen Wasserflugzeuges in Umdrehung versetzt wurde und die dem merkwürdigen Fahrzeug eine Geschwindigkeit von acht bis neun Knoten verlieh. Die Hauptsache aber: die neue „ Emden“ war sozusagen ein halbes Tauchboot, da sie Einrichtungen enthielt, die es ermöglichten, sie bei abgestelltem Motor bis zu einem halben Meter unter die Wasseroberfläche verschwinden zu lassen. Ihren U-Boot-Charakter verriet sie auch durch das glatte, relinglose Deck, auf dem es nur eine flache Vorschiffluke und in der Mitte einen 40 Zentimeter hohen und eineinviertel Meter breiten, runden Turm gab, der sogar mit einem freilich recht primitiven einziehbaren Sehrohr ausgestattet war.

Gewiß – die neue „Emden“ war nur eine Schöpfung der Not, dabei aber doch recht seetüchtig und zu allem Überfluß noch mit einer leicht zu entfernenden Segelausrüstung versehen, die mit dazu beitrug, die Wachsamkeit der feindlichen Schiffe zu täuschen, denen das deutsche Boot, wenn es Takelage trug, als harmlose Segeljacht erscheinen mußte, wenigstens auf nicht allzu nahe Entfernung. – –

Also ein Geschütz nebst Munition – darauf hatte es Oberleutnant Hartner abgesehen …! – Eigentlich warf ihm dann der Zufall das Gewünschte als leicht zu pflückende Frucht in den Schoß.

In der Nacht vom 30. zum 31. Juli hatte die „Emden“ sich vorsichtig an der Küste entlanggeschlichen und war dann in dieselbe Bucht geschlüpft, in die nachher auch die „Lady Milton“ gebracht wurde. Aber am Morgen des 31. war hier noch kein größeres Fahrzeug zu sehen. Nur in der Nähe des Dorfes an der Ostseite lag eine Menge Fischerfahrzeuge vor Anker.

Hartner war gezwungen gewesen, mit der „Emden“ ein Versteck aufzusuchen, weil an der Kuppelung des Motors eine Bruchstelle entstanden war. Es mußte eine Eisenstange ergänzt werden, – eine Arbeit, die sich nur in stillem Wasser und in Ruhe vor den feindlichen Wachtschiffen vornehmen ließ.

Man hatte denn auch tief im Westwinkel der Bucht die sumpfige, mit dichtem Rohr bestandene Mündung eines kleinen Flüßchens gefunden, in der man hinter dem dichten Rohrvorhang am Ufer völlig sicher war. Hier verbrachte man den schönen Vormittag, nachdem die Reparatur in zwei Stunden erledigt war, größtenteils sogar auf dem Lande. Erlengebüsch, das die Ufer des bescheidenen Wasserlaufes umsäumte, bot genügend Deckung. Und Max und Moritz, die Wolfshunde, waren die besten Wächter, da sie die Annäherung jedes Fremden sofort gemeldet hätten.

Dieser Aufenthalt im Grünen tat Mensch und Tier in gleicher Weise wohl, zumal das Leben in den engen Räumen und auf dem kleinen Deck des Bootes nicht gerade angenehm war, wobei noch erschwerend die Notwendigkeit steter, schärfster Wachsamkeit hinzukam.

Heinrich und Fritz, die beiden Knaben, hatten sich schnell ein paar Angeln zurechtgemacht und fingen in dem Flüßchen wirklich eine ganze Menge Fische, die dann eine hochwillkommene Mittagsmahlzeit abgaben.

Kurz nach dem Essen, gegen zwei Uhr nachmittags, beobachtete Hartner, wie der erste der drei Dampfer, die im Laufe des Tages in die Bucht einliefen, von dem Wachtschiffe einen Ankerplatz angewiesen erhielt. Die Entfernung bis zu den beiden Fahrzeugen betrug vielleicht 500 Meter, so daß man mit dem Fernglase alle Vorgänge gut verfolgen konnte. Um vier Uhr kam der zweite Dampfer, und gegen halb 8 Uhr die „Lady Milton“.

„Alle guten Dinge sind drei“, sagte Hartner zu Hauptmann von Berchem, dem Feldartilleristen, der neben ihm im Erlengebüsch lag und nach den Schiffen hinüberschaute. „Sobald es dunkel genug ist, werden wir uns die Kähne mal genauer ansehen – ganz genau!“

Und so geschah es auch.

Jetzt schwelte in den beiden anderen Dampfern bereits die rote Glut, und im Ladegange der „Lady Milton“ unten zwischen den Granatkisten hatte Leutnant Meinke, der Pionier, ein paar brennende Kerzen in lose verstreute Holzwolle gestellt, so daß nach etwa einer Viertelstunde auch hier die Flammen hochzüngeln und der alte Raddampfer in die Luft fliegen mußte.

Die Boote mit den Besatzungen der drei dem Untergang geweihten Schiffe waren jetzt außer Sicht. Auf der „Emden“ verschwand die Segelvorrichtung, und gleich darauf begann sie auch mehr und mehr unterzutauchen, bis das flache Deck nur noch so eben aus dem Wasser herausragte. Mit voller Maschinenkraft steuerte sie dem Ausgange der Bucht zu, indem sie sich dicht am Ostufer hielt.

Um den runden Turm schäumten und quirlten die gurgelnden Wellen. Halb mit dem Oberkörper über dem Rande standen in dem Turme Jannek Krapatkul, Meinkes Bursche, und Heinrich Leitner, der ältere der Knaben, während Berchem und Hartner nur gerade noch die Köpfe im Freien hatten.

Krapatkul hatte das Fernglas in der Hand und spähte alle Augenblick nach vorwärts in die Fahrtrichtung. Man befand sich jetzt etwa mitten in dem kaum zweihundert Meter breiten Ausgange der Bucht.

Der stämmige Ostpreuße meldete rechts voraus zwei dunkle Schiffskörper, die dicht hintereinander mit abgeblendeten Lichtern auf das Innere der Bucht zusteuerten.

Hartner nahm das Glas und beobachtete die Fahrzeuge kurze Zeit, ließ dann den Kurs ändern und die Maschine stoppen.

„Sehen kann man uns nicht“, erklärte er Berchem. „Wir wollen in der Nähe bleiben, um den letzten Akt des Dramas mitzuerleben. Vielleicht ereilt die beiden neuen Ankömmlinge da – es ist ein Wachtschiff und ein Frachtdampfer – das gleiche Schicksal wie …“

Er beendete den Satz nicht. Urplötzlich zuckten im Süden, dort, wo die brennenden Dampfer lagen, zwei riesige Feuerfontänen zum sternenklaren Nachthimmel auf: die im Inneren wütenden Flammen hatten sich durch das Deck nach oben hin Luft gemacht.

„Die „Lady Milton“ wird auch sofort den Reigen mitmachen“, sagte Hartner kalt. „Und ich hoffe jetzt bestimmt, daß auch die beiden neuen Buchtgäste etwas amerikanische Munition zu schmecken kriegen.“

Die Viertelstunde war gerade um, die Leutnant Meinke bis zum Aufflammen der Holzwolle vorgesehen hatte.

Noch drei Minuten vergingen. Inzwischen hatte das Wachtschiff gemerkt, daß die Sache in der Bucht nicht recht geheuer war. Berchem stellte durch das Glas fest, wie der armierte französische Fischdampfer wendete. Gleichzeitig ließ er seine Sirene ein paar warnende Heultöne geben.

Zu spät. – Der dunkle Fleck, den die „Lady Milton“ von der „ Emden“ aus gesehen darstellte, verwandelte sich urplötzlich in einen feuerspeienden Vulkangipfel. Ein furchtbarer Knall, verbunden mit einem Luftstoß, der Krapatkul und Heinrich nach hinten schleuderte, begleitete die Explosion. Und dann wälzte sich ein Wasserberg wie eine Springflutwelle mit großer Geschwindigkeit auf die „Emden“ zu.

„Hinunter mit uns!“ rief Hartner, und gleich darauf schlug der Turmdeckel zu.

Keinen Moment zu früh …!

Es war, als ob die Faust eines Riesen das Boot mit hartem Schlag traf und in die Tiefe hinabdrückte. Wild wurde es hin und her geworfen. Aber nur eine knappe Minute. Dann war die durch die Explosion hervorgerufene Welle vorübergeeilt, und die „Emden“ taumelte nur noch ein wenig umher, als müsse sie sich erst wieder auf sich selbst besinnen.

Der Turmdeckel hob sich. Neugierige Augen schauten nach den feindlichen Fahrzeugen aus.

Die beiden Riesenfackeln dort drüben brannten noch. Von der „Lady Milton“ war nichts zu entdecken, und das Wachtschiff und der zuletzt gekommene Frachtdampfer trieben mit starken Schlagseiten auf dem Wasser, waren also offenbar schwer beschädigt worden.

„Nun wird es Zeit, daß wir verduften …“, meinte Hartner mit ingrimmiger Befriedigung. „Unsere „Emden“ macht sich – dagegen ist nichts zu sagen! Der Beginn unserer Kapertätigkeit kann sich sehen lassen!“

Die Explosion war offenbar weithin gehört worden und hatte die ganze Meute der Wachtschiffe munter gemacht. Als die „Emden“ jetzt in die offene See hinaussteuerte, zuckten überall in großem, nach Norden gewölbtem Bogen die weißen Lichtkegel von Scheinwerfern auf.

Hartner zündete sich eine der Zigarren an, die man an Bord der „Lady Milton“ „beschlagnahmt“ hatte, setzte sich auf den breiten Rand des Turmes und sagte zu Hauptmann von Berchem:

„Das sieht ganz so aus, als ob die Bande da vor uns zwischen sich Stahlnetze zum Abfangen von U-Booten schleppt. Auch nicht ein Loch zum Entschlüpfen haben sie uns gelassen.“

Dann beugte er sich vor und rief Leutnant Sembritzki, einem blutjungen Jägeroffizier, der gerade den Motor zu bedienen hatte, zu:

„Stopp! Wir wollen nicht zwecklos Benzin vergeuden. Erst müssen wir feststellen, wie die Dinge sich hier entwickeln.“

Die „Emden“ schaukelte nun vor einer leichten Ostbrise träge auf den kurzen Wellen.

„Es wird eine schlaflose Nacht für uns werden, fürcht’ ich“, meinte Hartner wieder. Und zu Krapatkul gewandt: „Beobachten Sie scharf die nähere Umgebung. Es ist nicht ausgeschlossen, daß englische oder französische U-Boote sich hier jetzt gleichfalls herumdrücken.“

Das linke Ende des von den Wachtschiffen gebildeten Bogens lag dicht hinter der Bucht an der Küste, das rechte erstreckte sich bis zu den blinkenden Lichtern des Hafens von Cherbourg hin.

„Eine richtige Mausefalle!“ knurrte Meinke, der eben den Kopf zum Turme herausgesteckt und umhergeblickt hatte. „Vielleicht zahlt Frankreich uns das Drama in der Bucht sofort mit gleicher Münze heim! Stimmt die Geschichte mit den Stahlnetzen, dann … ade „Emden“!“

„Na na“, meinte Hartner seelenruhig. „So schlimm wird’s wohl nicht werden. Jedenfalls dürfen wir auf keinen Fall etwa in die Bucht zurück. Das wäre das verkehrteste, was wir tun könnten. Nein – am ratsamsten ist, direkt auf die feindliche Polonaise zuhalten und zwar als … Segelkutter. Meiner Ansicht schöpft die Gesellschaft kaum Verdacht, wenn wir die Sache nur einigermaßen schlau anfangen.“

Wenige Minuten später hob sich die „Emden“, da die beiden vollgefluteten Ballasttanks leergepumpt wurden, bis zu ihrer gewöhnlichen Bordhöhe aus dem Wasser, legte sich gleichzeitig leicht auf die Seite und kam unter dem Druck der Segel in Fahrt.

Hartner steuerte frech und gottesfürchtig auf den Hafen von Cherbourg, also nach Nordost, zu. Er sagte sich, daß ein Segelboot in der Nähe des Kriegshafens nie und nimmer für ein feindliches gehalten werden würde.

Dann ließ er von Krapatkul auf dem Vor- und dem Hinterschiff ein paar der flachen Munitionskisten, die von der „Lady Milton“ herrührten, so aufstellen, daß sie ganz gut niedrige Deckaufbauten einer Segeljacht vortäuschen konnten.

Krapatkul wurde auch noch eine besondere Rolle zugewiesen. Im Mannschaftslogis des gesprengten Raddampfers hatte er eine wunderschöne Ziehharmonika erbeutet. Und mit dieser bewaffnet mußte er nachher, als der kritische Augenblick gekommen war, sich an den Mast lehnen und den amerikanischen „Sterne und Streifen-Marsch“ spielen, den einzigen fremdländischen, den er auswendig konnte. Er war ein Künstler auf der Ziehharmonika, und als nun noch Hartner und Meinke, die außer dem Ostpreußen allein an Deck geblieben waren, die Melodie gellend mitpfiffen, gab das ein wundervolles Konzert ab, und zwar ein Konzert bei Scheinwerferbeleuchtung, da man keck auf den nächsten Wachtdampfer zusteuerte, der das Segelboot nun genauer unter die Lupe nahm.

Segelkutter, Ziehharmonika und amerikanischer Marsch …!! Das beruhigte den Führer des Wachtschiffes schnell über den Charakter der Nußschale da drüben. In fünfzig Meter Entfernung glitt der Franzose vorüber, langsam, schwerfällig. Von seinem Heck ging eine starke Stahltrosse in die See hinab: die Schleppleine des Stahlnetzes.

Hartner unterbrach den „Sterne und Streifen-Marsch“ für ein paar Takte und raunte Meinke zu:

„Wahrhaftig – Stahlnetz! Wir werden gerade mit unserem Tiefgang drüberweg kommen. Hätten wir versucht in untergetauchtem Zustande die „Polonaise“ vorbeizulassen, so hätten wir bald wie eine Riesenflunder in den Maschen festgesessen.“ – –

Zehn Minuten darauf änderte Hartner den Kurs, ließ die „Emden“ erst eine halbe Stunde scharf nördlich laufen und bog dann nach Osten ab, um auf diese Weise den Hafen von Cherbourg zu umgehen. Als dessen Lichter rückwärts verschwunden waren wurden die Segel, da der Morgen zu grauen begann, eingeholt und auch der aus drei Teilen bestehende Mast entfernt. Der Motor sprang an, und eilig glitt die „Emden“ nach Osten zu weiter, indem sie so die östlich von Cherbourg tief einschneidende, große Seine-Bucht abzuschneiden suchte.

– – – – – – – –

Zwei Tage später.

Die „Emden“ hatte unverdrossen und unbelästigt ihre Fahrt fortgesetzt und befand sich jetzt etwa auf der Höhe des Hafens von Dieppe, näherte sich also bereits dem gefährlichsten Teile des Kanals, der engen Straße von Dover.

Das bisher sehr günstige Wetter änderte sich leider gegen Abend. Von Westen kam eine mächtige, schwarze Wolkenwand auf, die alles mögliche, nur nichts Gutes, verhieß.

Gegen neun Uhr war der Sturm da – Sturm und Regen. Es goß wie mit Eimern.

Die Stimmung der acht Köpfe starken Besatzung der „Emden“ war nicht eben rosig. Eines der Benzinfässer, das Leutnant Meinke den Fischern von Vannes seiner Zeit abgenommen hatte, enthielt so schlechtes Benzin, daß der Motor alle Augenblick aussetzte. Und dieses Faß war der letzte Vorrat.

Hartner ließ daher Segel setzen, um die „Emden“ manövrierfähig zu halten. Zwei Stunden hielt der Mast, zwei Stunden kämpfte das Boot wacker gegen die gierigen Wellenberge an und bot allen Angriffen Trotz.

Dann knickte der Mast gerade an der Stelle, wo die beiden oberen Teile durch eine vierfache Zinkblechtülle verbunden waren.

Hartner, der eine Öltuchplane sich um den Leib gebunden hatte, die gleichzeitig wie eine Krinoline sich schützend über die Turmöffnung breitete, um das Eindringen von Wasser in das Boot zu verhindern, hatte ähnliches längst vorausgesehen. Noch gab das noch halbgeblähte Segel der „Emden“ genügend Fahrt. Aber begegnete man in dieser Verfassung einem Wachtschiffe, so war tausend gegen eins zu wetten, daß dieses dem havarierten Segelkutter seine Hilfe anbot. Und dann war „die Geschichte oberfaul“, wie der Oberleutnant zu Berchem sagte, der eben sich durch die Falten der Öltuchplane mit dem Kopf hindurchdrängte.

Der Hauptmann schnappte wie ein Fisch auf dem Trocknen nach frischer Luft.

„Da unten ist’s zum Ersticken!“ meinte er. „Ich nehme lieber hier ein paar tüchtige Duschen in Kauf, als daß ich …“

Die erste Dusche war schon da. Das ganze Deck wurde überflutet. – Berchem spie das in den Mund eingedrungene Salzwasser aus.

„So eine verd… Welle!“ schimpfte er.

Plötzlich ein paar hin und her gleitende, weiße Lichtbüschel – gerade vor der „Emden“. Die Scheinwerfer tasteten in die Dunkelheit hinein. Drei waren es. Jetzt blieben sie an einer Stelle der wildbewegten See haften. Dort trieb das Wrack eines Dampfers, dem das halbe Vorschiff fehlte. Es war nur ein kleineres Fahrzeug, ein Kanalfahrer. Seine Schotteneinrichtung hielt ihn über Wasser. Und sein dünner, langer Schornstein, der weit nach hinten stand, deutete darauf hin, daß es sich um ein Motorschiff handelte.

Die Scheinwerfer erloschen wieder. Dunkle Nacht lastete abermals über der See. Nur die weißen Schaumkronen der Wogen leuchteten gespenstisch auf und krochen eiligst in unaufhörlichem Spiel wie ekles Gewürm auf die „Emden“ zu.

Oberleutnant Hartners Entschluß war schnell gefaßt. Er suchte das Wrack zu erreichen. Zu sehen war davon jetzt nichts mehr. Aber er fand es doch nach einer halben Stunde trotz Nacht und stürmischer See. Unter Wind legte die „Emden“ an dem treibenden Motorschiff an. Die bedeutend tiefer liegende Backbordseite war gerade dem Sturme abgekehrt. – Krapatkul und Meinke hatten sich freiwillig erboten, an Bord zu gehen und Ausschau nach Benzinvorräten zu halten.

In starken Blechgefäßen war tatsächlich dort noch genug vorhanden. – Inzwischen hatte die „Emden“ sich einige zwanzig Meter von dem schwerfällig umhertaumelnden Wrack gehalten. Äußerst gefährliche Augenblicke kamen, als nun die Kannen an Bord des Bootes übernommen werden sollten. Ein paarmal ging das Unheil, von dem Motorschiff zerdrückt zu werden, nur um Haaresbreite an der „Emden“ vorüber.

Als die acht Kannen glücklich verstaut waren, wischte Hartner sich die dicken Schweißperlen von der Stirn.

„So nah wie eben war uns der Tod lange nicht“, meinte er zu Berchem, der schwer seekrank geworden war, unten in einer der engen Kojen gelegen hatte und nun im Turm wieder frische Luft schöpfen wollte.

Der Hauptmann war zu matt, etwas zu erwidern. Sein Gesicht war wie eine Totenmaske. –

Das neue Benzin versprach bessere Eigenschaften als der Rest des alten Vorrates. Dieser flog in die See als unnützer Ballast.

Eben wollte Hartner Befehl geben, den Motor anzuwerfen, als wie eine riesige Geisterhand ein Strahlenkegel über das Wasser tastete – aus nächster Nähe.

Dem Oberleutnant stockte der Atem.

Da war das Verhängnis auch schon eingetreten. Der Scheinwerfer lag still – gerade auf der „Emden“, jede Einzelheit ihrer Bauart enthüllend. Ein Glück war es, daß man den geknickten Mast noch in seiner Lage belassen hatte, so daß das herabhängende Großsegel die eigentümliche Form des Deckes etwas verbarg.

Das Wachtschiff gab ein paar Sirenensignale ab, die Berchem auf Hartners Geheiß durch Schwenken der Mütze erwiderte. Der Hauptmann trug jetzt zumeist Heinrich Leitners aus einer Flagge gefertigten Seemannsanzug, um bei Begegnungen mit feindlichen Fahrzeugen sich nicht durch seine feldgraue Uniform zu verraten. Bei Hartner war dies nicht zu befürchten, da seine blaue Marinejacke nicht weiter auffiel. Und der Oberleutnant hatte auch angeordnet, daß in kritischen Lagen nur er, Berchem und Krapatkul sich an Deck sehen lassen sollten, weil eine größere Anzahl von Leuten nur Mißtrauen erregt hätten.

Als der Scheinwerfer so dicht vor der „Emden“ erschienen war, hatten Meinke und der ältere der Knaben, die im Turm mit dem halben Oberkörper nach draußen standen, schleunigst die Köpfe wieder unter den Wasserschutz der Turmöffnung, die Öltuchplane, zurückgezogen, so daß nur noch Hartner und Berchem sichtbar waren.

Das Wachtschiff kam schnell näher. Es war eine für Kriegszwecke armierte, mittelgroße Dampfjacht von elegantem Äußeren, die hier in den kurzen Wellen des Kanals allerdings böse schlingerte. Sehr sicher steuerte sie dicht an Backbord der „Emden“ vorüber, und durch das Sprachrohr kam der Anruf auf Französisch:

„Braucht Ihr Hilfe? Sollen wir Euch nach Dieppe schleppen?“

Sekunden gehören bisweilen nur dazu, um im menschlichen Hirn eine Kette logischer Gedanken aufblitzen zu lassen.

So erging es jetzt auch Hartner. – Eine Ablehnung des Angebotes des Wachtschiffes hätte Verdacht erwecken können. Außerdem bot sich so vielleicht auch Gelegenheit, dem Namen „Emden“ weiter Ehre zu machen.

Der Oberleutnant schwenkte seine Mütze zum Zeichen der Bejahung um den Kopf. Daraufhin wendete die Jacht, überholte das schwer stampfende Boot und schleuderte eine gut gerollte Leine über das Deck hin, die Hartner glücklich erwischte und vorn im Ankerring festknotete.

Wieder schwenkte er die Mütze, und der Dampfer, der ein paar Sekunden die Maschine gestoppt hatte, ging wieder mit halber Fahrt voraus. Das Hanftau straffte sich, die „Emden“ schwenkte in den Kurs der Jacht ein und folgte ihr dann getreulich auf etwa fünfzig Meter Entfernung. So lang war die Schlepptrosse zwischen den beiden Fahrzeugen.

Der Sturm hatte schon bei der Übernahme des Benzins von dem Wrack des Motorschiffes nachgelassen und flaute jetzt zusehends ab. Am Himmel zerteilte sich das schwarze Gewölk, und einige Sterne blinkten hier und da auf.

Berchem hatte, als der nach dem Festknoten der Leine pudelnasse Oberleutnant wieder in den Turm hinabkletterte und sich die Ölplane um den Leib zog, ganz ärgerlich gesagt:

„Aber Hartner – Mensch! – sind Sie ganz des Deubels! Nun lassen Sie uns von dem Franzosen da hübsch brav als Gefangene nach Dieppe bringen …?!“

Das magere, braune und vor Nässe glänzende Gesicht des Marinefliegers verzog sich zu einem Lächeln.

„Abwarten! Die Jacht wird noch eine böse Überraschung erleben! Das, was ich plane, ist zwar der schwärzeste Undank für die bereitwillige Rettung aus scheinbarer Seenot! Aber – von solchen Gewissensbedenken muß man in diesem Kriege absehen. – Noch eine halbe Stunde, dann wird die See wohl etwas friedlicher geworden sein. Dann können Sie, Berchem, Ihre Fähigkeiten als Artillerist an dem Ballonabwehrgeschütz beweisen.“

Der Hauptmann verstand sofort.

„Donner noch eins – das ist eine Idee, Hartner, – eine glänzende Idee! Mit ihrem Scheinwerfer lassen die Franzosen uns jetzt in Ruhe, und bei dieser Dunkelheit können sie nicht sehen, was wir hier treiben!! Ich verstehe alles – alles! – Die Aufstellung des Geschützes mit seiner Ständerlafette wird auch keine Schwierigkeiten bereiten. Und treffen werde ich – falls das amerikanische Fabrikat eben kein zu großer Schund ist …!“ –

Die Jacht änderte gleich darauf den Kurs und suchte näher an die Küste heranzukommen. Ihre Absicht wurde bald klar: eine vorspringende Halbinsel hielt den Wind ab und brachte von Minute zu Minute ruhigere See.

Das kleinkalibrige Geschütz war längst hinter dem halb herabhängenden Großsegel aufgebaut. Heinrich Leitner, überhaupt ein fixer kleiner Kerl, sollte den zweiten Bedienungsmann spielen. Die Offiziere und auch Krapatkul hatten jeder einen anderen, wichtigeren Befehl in einem bestimmten Augenblick auszuführen.

Hartner rief dem Hauptmann jetzt mit unterdrückter Stimme zu:

„Also tief halten und die Maschine zu beschädigen suchen …!! – Los denn …!!“

Berchem hielt die Abzugsleine in der Hand, visierte in vornübergebeugter Haltung hinter dem Geschütz stehend, wartete ab, bis die Emden nach Steuerbord ganz weit übergeholt hatte und …

Der scharfe Knall eines Schusses mischte sich in die brausende Musik der See.

Berchem riß den Verschluß auf, nahm Heinrich die Kartusche ab, schob sie ins Rohr …

Kaum sechzehn Sekunden später fuhr ein zweiter Feuerstrahl aus der Mündung heraus.

„Kappen!! Kappen!!“ brüllte Hartner, und Jannek Krapatkul hieb die Schlepptrosse mit einem Beile durch.

Dieses „Kappen!“ war auch für Meinke das Zeichen gewesen, den Motor anzuwerfen.

Die „Emden“, jetzt frei von der Jacht, begann in spitzem Winkel von dem Wachtschiff abzuhalten.

Da feuerte Berchem zum drittenmal.

Hartner hatte schon nach dem ersten Schusse gesehen, daß die weißen Schaumsprudel des von der Schraube des Franzosen aufgewühlten Wassers kleiner und kleiner wurden. Die Schraube arbeitete nicht mehr, mithin war ein Treffer in den Maschinenraum gegangen.

Aber die Leute auf der Jacht zeigten, daß sie Geistesgegenwart besaßen. Drüben blitzte der Scheinwerfer auf, suchte nach der „Emden“. Ähnliches hatte Hartner erwartet.

Und die beiden nächsten Schüsse setzte Berchem, wie vereinbart, auf die Stelle, wo der helle Strahlenkegel aus dem Vorschiff des Franzosen hervorleuchtete.

Der zweite Schuß tat seine Schuldigkeit. Urplötzlich erlosch das Strahlenbündel, zuckte auch nicht wieder auf.

Die „Emden“ blieb in der Nähe des langsam sinkenden Wachtschiffes. Hartner hatte die Takelage wegnehmen lassen, zwei Ballasttanks vollgeflutet und konnte so mit dem Boot, das nur noch mit dem Deck kaum einige Zentimeter über dem Wasser lag, es recht gut wagen, den Franzosen weiter zu beobachten.

Dort hatte man ein paar Notsegel angebracht und suchte die Jacht auf Strand zu setzen. Hierzu kam es nicht. Die Besatzung mußte schleunigst in die Rettungsboote, nachdem eine Kesselexplosion, die auf der etwa 500 Meter entfernten „Emden“ gut zu hören war, die Schußlöcher wohl noch weiter aufgerissen hatte.

Fünf Minuten später versank die Jacht.

Es war die vierte Beute der „Emden“. –

Hartner und Berchem hielten Kriegsrat ab.

„In kurzem wird es hier von Wachtschiffen wimmeln“, meinte der Oberleutnant. „Die Jacht hat Funkeneinrichtung gehabt und sicher Hilfe herbeigerufen. Trotzdem ist es besser, wir entfernen uns nicht allzu weit, sondern suchen dort hinter der Landzunge einen Schlupfwinkel, bis die französische Meute die Suche nach dem frechen Segelkutter aufgegeben hat. Auf See ist es jetzt zu gefährlich für uns. – Da – fünf Scheinwerfer … Sie kommen …! – Jedenfalls wird der Feind uns kaum die Frechheit zutrauen, so nahe am Tatorte zu bleiben.“

Berchem war ganz einverstanden. Die „Emden“ wendete also und lief nach Westen zurück. Je näher sie der hügeligen, bewaldeten Landzunge kam, desto stiller wurden die Wasser.

Hartner, das Fernglas vor den Augen, suchte die Küste nach einem passenden Versteck ab. Der Motor lief nur mit halber Kraft. Es konnten hier leicht Untiefen vorhanden sein. Rannte man mit voller Geschwindigkeit auf eine solche auf, so waren die Folgen gar nicht abzusehen.

Es war jetzt, da der Himmel sich immer mehr aufklärte, mit Hilfe des Glases leidlich festzustellen, welche Gestaltung der Strand hatte. Die „Emden“ fuhr parallel der Landzunge nach Süden zu, wo Hartner eine Flußmündung vermutete, da das Wasser hier eine lehmige Farbe hatte, die stärker und stärker wurde.

Der Oberleutnant hatte sich nicht getäuscht. Ein an der Mündung vielleicht hundert Meter breiter Fluß trat an dieser Stelle in den Kanal ein.

Häuser waren nirgends zu bemerken, auch keine Lichter, die auf eine Ortschaft in der Nähe hingedeutet hätten. So ließ Hartner denn sehr vorsichtig die „Emden“ in den Fluß einlaufen.

Es war genau zwei Uhr morgens, als das Boot, sich dicht am rechten Ufer haltend, gegen die sich schon fühlbar machende Strömung ankämpfte und dann hinter einer Steinbuhne (Buhne, Wellenbrecher zur Erhaltung des Ufers und der Fahrrinne) festmachte.

Sofort wurden Krapatkul und Heinrich mit den beiden Hunden an der Leine auf Rekognoszierung ausgeschickt. Das Ufer war mit Weiden bewachsen, der Boden lehmig und ohne jeden Graswuchs. Bei Hochwasser wurde hier alles überflutet. Jetzt ging man zwischen den Weiden wie auf einer harten Tenne entlang.

Den Weidengürtel hatte man bald durchschritten. Eine moorige Wiese schloß sich an. Links lag der Kanal, rechts ein paar Hügel mit einzelnen Bäumen darauf.

Die beiden Kundschafter wandten sich den Hügeln zu. Vier verkrüppelte Buchen standen auf dem höchsten. Und von hier aus senkte sich das Land wieder zu einer buschbewachsenen Ebene nach Südosten zu.

Heinrich deutete auf einen roten, flackernden Punkt zwischen den Büschen.

„Ein Feuer – ohne Frage! – Jannek, was meinen Sie, ob ich mal zusehe, was es damit auf sich hat? – Sie können ja inzwischen weiter flußaufwärts gehen. Wir treffen uns dann wieder hier bei den Buchen.“

Krapatkul war einverstanden, nahm beide Hunde mit und schritt davon.

Nachdem er festgestellt hatte, daß das Flußufer etwa ein Kilometer weit unbewohnt war, machte er kehrt. Vergeblich wartete er dann aber auf dem Hügel auf den Knaben. – Im Osten zeigte sich bereits der erste fahle Schimmer des neuen Tages, als er, von ernsten Besorgnissen gequält, dem Liegeplatz der „Emden“ zueilte. Er verirrte sich jedoch und brauchte zehn kostbare Minuten, ehe er die richtige Buhne gefunden hatte.

Die Meldung von dem Ausbleiben des Knaben erregte allgemeine Bestürzung. Meinke und Krapatkul erboten sich dann freiwillig, nach ihm zu suchen, nahmen Gewehre mit und verschwanden hinter den Weiden. Hartner hatte mit ihnen genau verabredet, was in diesem oder jenem Falle zu geschehen habe.

Nach einer knappen halben Stunde – mittlerweile war es bereits ziemlich hell geworden – näherten sie sich im Bogen von Osten her, stets Gebüsche als Deckung benutzend, dem noch immer hell brennenden Feuer.

Dieses war unter einem eisernen Dreifuß angezündet, über dem ein großer Kessel dampfte. Eine Art Blockhaus stand dicht daneben, vor dem sich … französische Soldaten, alles ältere Leute, hin und her bewegten.

Von Heinrich war keine Spur zu bemerken.

Leutnant Meinke und sein braver Bursche lagen jetzt fünfzig Schritt entfernt in einem Gestrüpp. Flüsternd teilten sie sich ihre Befürchtungen mit, daß Heinrich den Franzosen in die Hände gefallen sein mußte.

Dann ruckten beide förmlich zusammen. Aus der Tür des Blockhauses trat der Vermißte heraus, eine Blechschale in der Hand. Ihm folgte ein graubärtiger Unteroffizier, und Meinke hörte, wie Heinrich sorglos lachend zu diesem in miserablem Englisch sagte: „Gebt mir erst Kaffee, bevor ich zu unserem Kutter zurückkehre. Der Kaffee riecht gut.“

Der Unteroffizier entgegnete darauf in noch schlechterem Englisch:

„Noch einen Augenblick. Er ist gleich fertig.“ Er ergriff eine neben dem Feuer liegende Schöpfkelle, rührte in dem Kessel umher und fügte hinzu: „Ich werde Dich zu Eurem Kutter begleiten. Es ist seltsam, daß meine Leute, die in der Nacht Patrouille gegangen sind, Euer Fischerfahrzeug nicht bemerkt haben.“

„Sie werden nicht gut aufpassen“, erwiderte Heinrich frech.

Der Unteroffizier drohte ihm gutmütig lächelnd mit der Faust.

„Ihr Engländer habt alle ein großes Maul!“ meinte er.

Da rief eine Stimme aus der Blockhütte:

„Sergeant – Sergeant, – soeben telephonische Meldung eingegangen, daß die Patrouillen verdoppelt werden sollen. Ein armiertes Segelboot hat vor drei Stunden etwa die Jacht „Jeanne d’Arc“ versenkt, hier ganz in der Nähe der Küste.“

Der Unteroffizier schaute jetzt den Knaben offenbar mit wachsendem Mißtrauen an.

„Also ein Segelboot, Pierre?“ fragte er dann nach der Hütte hin.

„Jawohl, Sergeant.“ –

Leutnant Meinke dachte in diesem Augenblick: „Wenn der Junge doch nur so schlau wäre, jetzt davonzulaufen …! Es wird die allerhöchste Zeit für ihn!“

Heinrich war nicht umsonst lange Monate zusammen mit seinem Freunde Fritz Burke auf den Briennes-Inseln an der bretonischen Küste ganz allein auf sich angewiesen gewesen. Er hatte dort gelernt, schnelle Entschlüsse zu fassen. Wenn er auch nicht alles verstanden hatte, was der Telephonist dem Unteroffizier zurief, so genügte das wenige und des Sergeanten veränderter Gesichtsausdruck doch, um ihm klarwerden zu lassen, daß seine Rolle als Schiffsjunge eines englischen Fischerkutters, der wegen einer Beschädigung des Mastes in den Fluß eingelaufen sei, bald ausgespielt sein würde.

Ganz unvermutet sprang er jetzt in der Richtung landeinwärts in die Büsche und war im Augenblick verschwunden.

Es dauerte immerhin ein paar Dutzend Sekunden, bevor die Franzosen sich von ihrer Überraschung erholt hatten. Mit dem Knaben es im Wettlauf aufzunehmen, war unmöglich. Aber der alte Sergeant gedachte ihm dafür den Weg nach dem Flusse abzuschneiden.

„He – Ihr vier nach dorthin!“ befahl er seinen Leuten, indem er auf die Hügel wies. „Der Bursche will uns täuschen und gedenkt auf Umwegen nach dem Flusse zurückzukehren. Er gehört sicher zu dem deutschen armierten Boot … Vorwärts – und verteilt Euch dort oben! – Wir anderen besetzen die Flußmündung.“

Acht Mann waren’s mit dem Sergeanten. – Meinke sagte sich sofort, daß er diesen Plan des Feindes um jeden Preis verhindern müsse. – Die Franzosen drängten sich gerade in das Blockhaus hinein, um ihre Gewehre zu holen, als zwei Schüsse aus einem nahen Gebüsch fielen. Der Leutnant und Krapatkul hatten nur auf die Beine gezielt. – Ein paar Schreie der Getroffenen, dann wieder zwei Schüsse. Drei Mann lagen jetzt vor der Hütte und suchten ihren Kameraden kriechend zu folgen, die schleunigst im Innern Deckung genommen hatten.

Der Leutnant war schon auf den Füßen und rannte dem Flusse zu. Krapatkul dicht hinter ihm drein.

Die Franzosen wagten sich aus dem Blockhause offenbar nicht ins Freie. Jedenfalls feuerte niemand auf die beiden Deutschen.

Atemlos langten sie bei der Buhne an. Heinrich, der an all diesen Aufregungen schuld war, stand schon neben Hartner und Berchem auf Deck.

Es gab ein eiliges Hin und Her von Fragen und Antworten.

Heinrich erzählte, daß er von einer Patrouille der französischen Küstenwache in der Nähe der Hütte aufgegriffen worden wäre und daß er dann dem Sergeanten die Geschichte von dem englischen Fischerkutter aufgebunden hätte. Etwas Besseres sei ihm im Augenblick nicht eingefallen, um seine Anwesenheit an Land zu begründen.

Hartner sagte dann trocken, als er über alles genau unterrichtet war:

„Du hast uns eine nette Suppe eingebrockt, Junge! Das kann uns teuer zu stehen kommen! Der Sergeant wird natürlich telephonisch weitermelden, was hier vorgefallen ist, und die Folge wird sein, daß die Wachtschiffe, die da draußen noch immer kreuzen, die Flußmündung blockieren werden, mit Netzen und all den anderen Fangmitteln gegen U-Boote. Denn daß der Segelkutter ein verkapptes Tauchboot gewesen sein muß, werden die Franzosen schnell heraushaben, wenn sie den Fluß hier leer finden.“

Berchem meinte darauf, unter diesen Umständen sei es doch das beste, sofort in See zu gehen, – eben bevor die Blockade Tatsache würde.

Worauf der Oberleutnant den Hauptmann wortlos auf die Buhne führte und mit dem Arm nach der Mündung des Flusses hindeutete, wo jetzt in dem bleichen Licht der Morgendämmerung deutlich ein Dampfer zu erkennen war, der gerade ein Boot aussetzte.

„Die Besatzung des Wachtschiffes da will sich bei der Küstenwache erkundigen, ob diese nicht vom Strand aus einen Segelkutter in der Nacht bemerkt hat“, sagten Hartner einfach. „Nein – Rettung gibt es für uns zunächst nur flußaufwärts!“

Kaum vier Minuten später fuhr die „Emden“ mit drei gefüllten Ballasttanks und nur etwa dreißig Zentimeter aus dem Wasser hervorragendem Turm mit voller Geschwindigkeit nach Süden – gegen die Strömung. Hartner allein hatte den Kopf so weit aus dem Turm herausgestreckt, daß er dem das Steuer bedienenden Meinke die nötigen Winke geben und die Ufer beobachten konnte. Nach etwa einem Kilometer wurde das Boot dann in einen schmalen Nebenarm hineingebracht, der zu beiden Seiten in Sumpf überging. Birken und Erlen gab es hier in Menge, leider aber kein Rohr oder Schilf, um die „Emden“ darin verbergen zu können.

Hartner ließ den Motor nur mit halber Tourenzahl laufen. Er fürchtete, die Tiefe des Wassers könnte für das Boot plötzlich nicht mehr ausreichen. Diese Besorgnis war überflüssig. Aber ein anderer Feind machte sich mit einemmal bemerkbar.

Die Schraube drehte sich langsamer und langsamer. Der Motor war in Ordnung; aber es gab in diesem Nebenarm verkrautete Stellen, und die Wasserpflanzen hatten die Schraube schließlich mit einem dicken Ballen umgeben.

Der Oberleutnant brachte das Boot mit genauer Not noch an eine vorspringende, kleine Landzunge, wo es dann von selbst, ohne Anker, liegen blieb.

Jetzt sofort die Schraube klarzumachen, war unmöglich. Man mußte damit rechnen, daß vielleicht schon in kurzem der Fluß aufs sorgfältigste von den Franzosen abgesucht würde.

Als Hartner diese Bedenken den Kameraden mitteilte, sagte Berchem achselzuckend:

„Verloren sind wir doch! Gewiß – wir könnten mit der „Emden“ ganz unter Wasser gehen, wenn sich feindliche Boote nähern. Aber länger wie eine halbe Stunde reicht die Luft für uns alle nicht. Dann müssen wir wieder hoch. Und vielleicht ist dann gerade eins der Boote in der Nähe, wenn unser Turm auftaucht.“

Der Oberleutnant schwieg eine Weile. Dann richtete er sich straffer hoch.

„Es gibt ein Mittel, um dennoch den Feind zu täuschen …! Wir müssen den Turm, der jetzt nur knappe dreißig Zentimeter über Wasser liegt, künstlich in eine Sumpfinsel verwandeln, das heißt, um ihn und über ihm abgestorbene Äste, Zweige, Moor und Kraut zu einem Inselchen vereinen, in dessen Mitte, gegen jedes neugierige Auge geschützt, der Turm liegt, der uns so genügend frische Luft spenden wird, um es bis zum Abend hier auszuhalten.“

Der Hauptmann reichte dem Marineflieger herzlich die Hand.

„Wahrhaftig, Ihr Kameraden von der Kahnfahrerkolonne wißt doch immer noch ein Löchlein zum Durchschlüpfen! – An die Gewehre – nein, an die trockenen Äste, und eine Insel gebaut!“

Diese Arbeit bot weiter keine Schwierigkeiten. Aber eine Insel wurde es doch nicht, – nein, sondern eine künstliche Verlängerung der Landzunge, vor deren Spitze die „Emden“ lag, die jetzt noch mit einem Anker am Grunde festgemacht war, damit sie sich ja nicht vom Fleck rühre. – Das Werk gelang vorzüglich. Jeder Uneingeweihte mußte annehmen, daß hier ein Strauchhaufen an der Spitze der Landzunge durch einen Zufall übereinandergeschichtet worden war.

Zwei Stunden später kam eine kleine Motorpinasse vom Flusse her langsam in den Nebenarm. Die Gefahr ging aber glücklich vorüber – dank der Maske, die der Turm der „Emden“ trug. Hartner, der das feindliche Boot vorsichtig beobachtet hatte, berichtete dann, als es wieder verschwunden war, daß die Matrosen der Pinasse die Tiefe ausgelotet und kurz vor der „Emden“ wieder kehrt gemacht hätten, da nach ihrer Ansicht das Wasser hier für ein deutsches U-Boot zu flach wäre, wie sie sich zugerufen hätten.

„Sie wissen also wirklich schon, daß der Segelkutter, der die „Jeanne d’Arc“ versenkte, so etwas wie ein Tauchboot gewesen sein muß“, fügte der Oberleutnant hinzu. –

Am Nachmittag erschien dieselbe Pinasse nochmals. Jetzt wurde die Sache schon etwas kritischer, da die Franzosen mit langen Stangen häufig in das braune, undurchsichtige Wasser stießen, um festzustellen, ob sich vielleicht ein neuartiges U-Boot von geringen Abmessungen irgendwo verborgen hielte. Der Feind betrieb aber auch diese Art von Nachsuche ziemlich oberflächlich. Trotzdem gab es für die Deutschen ein paar Augenblicke höchster Spannung, als die Pinasse dicht an der „Emden“ vorüberkam, um den Nebenarm des Flusses auch in seinen entlegeneren Teilen zu durchforschen. Erfolg hatten die Franzosen aber auch jetzt nicht.

Bei Einbruch der Dunkelheit schickte Hartner dann Meinke und Fritz Burke nach der Stelle des Flußufers als Beobachtungsposten, wo der Nebenarm sich abzweigte. Sie sollten das Nahen verdächtiger Fahrzeuge sofort melden. Inzwischen wurde die „Emden“, nachdem sie ganz aufgetaucht war, wieder in Ordnung gebracht, die Schraube mit dem eisernen Bootshaken von dem Ballen Kraut befreit und der Motor gründlich nachgesehen.

Da es ganz ausgeschlossen war, daß man hier längere Zeit blieb, wo man den Tag über in dem engen Bootskörper wie in einem stickigen Gefängnis ausharren mußte, weil ja auch vom Lande her jeden Augenblick unangenehme Überraschungen drohten, kam man überein, gegen Morgen einen Durchbruch zu wagen. Hartner vertraute bei diesem Unternehmen auf dieselbe List, die sich im Laufe des vergangenen Tages zweimal so gut bewährt hatte. Er wollte im Morgengrauen, wo die Wachtschiffe den maskierten Turm der „Emden“ als harmlos erscheinenden, treibenden Asthaufen erkennen konnten, den Kanal zu gewinnen suchen, nicht etwa bei Dunkelheit, da dann sicherlich jeder sich auf der Wasseroberfläche abzeichnende Fleck als verdächtig von den Franzosen näher in Augenschein genommen werden würde.

Dieser Plan, bei dem jede Aussicht auf Gelingen so genau abgewogen war, bewies wieder einmal des Oberleutnants seltene Findigkeit.

Gegen drei Uhr morgens verließ die „Emden“ ihr Versteck, nachdem die Strauchinsel über dem Turm möglichst naturgetreu hergerichtet und auch so befestigt war, daß sie nicht auseinanderfallen konnte. Die Gefahr eines abermaligen Unklarwerdens der Schraube vermied man dadurch, daß man das Boot mit Hilfe von Stangen, die aus schlanken Birken schnell zurechtgehauen wurden, aus dem verkrauteten Nebenarm hinausbrachte.

Mit halber Kraft fuhr die „Emden“ flußabwärts. Hartner und Berchem hielten durch das Strauchgewirr nach allen Seiten hin scharf Ausguck. Der Turm ragte wie bisher etwa 30 Zentimeter aus dem Wasser heraus. Seine Außenwand war jetzt noch mit großen, verfilzten Moosstücken belegt, die das Bild eines treibenden Strauchinselchens noch vervollständigten.

Der Fluß war zunächst leer. Aber unweit der Mündung lag ein Wachtschiff, und hinter diesem im Bogen acht weitere Dampfer: die Blockadelinie, die Hartner durchbrechen wollte.

Der Morgen war zum Glück windstill. Seegang draußen im Kanal hätte dem Turm nur zu schnell die Maskierung fortgerissen und die Gefahr eines Vollschlagens der „Emden“ durch die offene Turmluke gebracht.

Über den Fluß zogen leichte Morgennebel hin, so daß Hartner es wagen durfte, erst vierhundert Meter vor dem Wachtschiff den Motor zu stoppen. Dann trieb die „Emden“ nur von der Strömung mitgenommen, weiter.

Den acht Deutschen in dem Boot klopfte vor Erregung das Herz, – diesem mehr, jenem weniger, ganz wie es um die Nerven des Betreffenden stand. Die nervöse Unruhe äußerte sich auch ganz verschieden. Krapatkul zum Beispiel mußte immerfort sprechen, und Meinke putzte unausgesetzt an dem Motor herum, nur um eine Beschäftigung zu haben.

Hartner beobachtete jetzt allein die Vorgänge draußen und meldete leise, was geschah. Seine größte Sorge war – er hatte sie den Gefährten verschwiegen –, daß das Boot auf eine Sandbank oder Untiefe auflaufen könne.

Aber die Vorsehung war den Flüchtlingen gnädig.

Vierzig Meter kaum von dem Wachtschiff entfernt schwamm die Strauchinsel vorüber, ebenso sich langsam drehend, wie dies ihr Unterwasseranhängsel, die „Emden“ tat. An Bord des vor Anker liegenden Dampfers, dessen zwei Geschütze nach dem Flusse hin gerichtet waren, wurde scharf Ausguck gehalten. Die Strauchinsel beachtete niemand.

Die erste Gefahr war glücklich überwunden. Nun kam die zweite, schlimmere, – die Blockadelinie. – Hartner merkte, daß die Wachtschiffe gleichfalls Anker geworfen hatten. Durch das Fernglas erkannte er auch die ins Wasser hinablaufenden Trossen, die die Stahlnetze hielten.

Die mittelsten der acht im Bogen vor der Flußmündung aufgestellten Wachtschiffe lagen etwa 700 Meter vom Lande ab. Auf diese ließ Hartner mit ganz langsam sich drehender Schraube zuhalten, so daß die „Emden“ hier, wo die Strömung des Flusses nicht mehr wirkte, kaum merklich vorwärts kam. Das Geräusch des arbeitenden Motors drang durch den offenen Turm nur undeutlich nach oben und war als Verräter kaum zu fürchten, eher schon die Schraubenwirbel.

Alles kam darauf an, daß es den Eindruck machte, als würde die Strauchinsel durch den Südwestwind auf die Wachtschiffe zugetrieben. Von Zeit zu Zeit ließ der Oberleutnant daher auch den Motor abstellen. Er hatte sich jetzt auch selbst ein großes Stück Moos über den Kopf gelegt und nur für die Augen zwei Löcher eingebohrt.

Eine volle Stunde brauchte die „Emden“ um die Stelle zwischen zwei der mittleren Dampfer der Blockadelinie zu erreichen. Bisher hatte die Strauchinsel keinen Verdacht erregt.

Nun war der entscheidende Moment da. Lag das Stahlnetz hier so hoch, daß das Boot nicht darüber hinweggleiten konnte, so war das Schlimmste zu befürchten. Umkehren durfte man nicht. Eine gegen den Wind sich vorwärtsbewegende Strauchinsel mußte auffallen. Aber auch eine solche, die hier längere Zeit stillag.

Da – eine ganz leichte Erschütterung durchzitterte die „Emden“ … Sie hatte sich mit der Spitze in die großen Maschen des Stahlnetzes eingebohrt. Der Motor war abgestellt gewesen. – Hartner ließ die Schraube sofort rückwärts laufen. Jetzt war alles gleich. Man mußte alles auf eine Karte setzen.

Die „Emden“ kam frei. Gleichzeitig hatte der Oberleutnant die Ballasttanks zu entleeren befohlen, um den Tiefgang des Bootes zu verringern. Nun schwebte die Maske des Turmes beinahe schon in der Luft, und nur noch einige Zentimeter Wasser lagen über dem Deck.

Da wagte Hartner es ein zweites Mal, ließ die „Emden“ gegen das Netz vorgehen. Und jetzt schrammte dieses am Boden des wackeren Fahrzeuges entlang, blieb auch nicht am Steuer haften …

Die Netzsperre war überwunden …!!

Wieder sank die „Emden“ tiefer, bis die Strauchinsel schwamm, und entfernte sich langsam weiter und weiter aus der gefährlichen Nachbarschaft.

Hartner wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn.

„Die Geschichte hätte leicht schief gehen können“, sagte er aufatmend zu Berchem. –

Vier Tage später hatte die „Emden“ sich bis Calais glücklich durchgeschlichen, oft dem Feinde nur dadurch entgehend, daß sie wieder harmlose Strauchinsel spielte.

Hier in der vielbefahrenen, engsten Stelle des Kanals drohten außer den Wachtschiffen und den nicht weniger zu fürchtenden anderen Seglern und Dampfern jedoch auch Minenfelder, fest verankerte Sperrnetze und Wasserflugzeuge, die gleichfalls zum Patrouillendienst verwendet wurden.

Der Oberleutnant gönnte sich täglich kaum ein paar Stunden Schlaf. Dann vertrat ihn Meinke, der nächst Hartner am meisten für die Stellung als Führer eines von so zahlreichen Feinden umlauerten Schiffleins sich eignete.

Jetzt lag Calais hinter den Flüchtlingen. Näher und näher kam man der belgischen Küste, die jetzt in deutschem Besitz war.

Um die Mittagszeit sichtete man Dünkirchen. Der Strand war hier zumeist sandig und flach. Mit dem Glase erkannte Hartner drei Zerstörer, die eben aus Dünkirchen ausliefen und deren Qualmfahnen sich wie schwarze Striche über die helle Sandküste legten.

Die „Emden“ fuhr nordöstlichen Kurs und lag bis zum Deck im Wasser. Die Strauchmaske war nicht aufgesetzt, dafür hatte man aber über den Turmrand grüne Moosstücke festgebunden, um diesen einzig sichtbaren Teil der „Emden“ mehr mit der Farbe des Wassers in Übereinstimmung zu bringen.

Einer der drei Zerstörer, ein Schiff von außerordentlich hoher Geschwindigkeit, mußte in ziemlich bedrohlicher Nähe vorüberkommen. Hartner hielt es daher für ratsam zu tauchen. Eine Viertelstunde blieb die „Emden“ unter Wasser. Dann wurde zunächst das Sehrohr vorsichtig ausgeschoben. – Die See war frei, und drei Ballasttanks wurden entleert. In voller Fahrt ging es nun in dem Kurse, den ein anderer der Zerstörer genommen und den Hartner sich eingeprägt hatte, weiter nach Nordost. Auf diese Weise war man wenigstens vor Minenfeldern sicher. Der Zerstörer mußte ja das Fahrwasser kennen.

Hartner und Berchem standen eine Stunde später nebeneinander in dem Turm, nur mit den Köpfen über dessen Rande, und suchten mit dem Glase Einzelheiten der Küste zu unterscheiden.

Nach des Oberleutnants Berechnung mußte man das von Deutschland besetzte Gebiet bereits erreicht haben.

Dann plötzlich über ihnen das Knattern eines Flugmaschinenmotors, so plötzlich, daß sie einen Augenblick völlig erstarrt waren.

Es handelte sich um ein großes Wasserflugzeug, das offenbar aus großer Höhe im Gleitflug niedergegangen war und nun, Kreise ziehend, feststellen wollte, ob es ein deutsches U-Boot war, das da halb aufgetaucht durch die leichten Wogen glitt.

Der Flieger trug die englischen Abzeichen auf den Tragflächen. Jetzt ging er wieder ganz tief herunter, setzte elegant mit den Schwimmkörpern auf der Wasseroberfläche auf und kam herbeigeschossen.

Hartner brüllte schon – wirklich, er brüllte – in das Boot hinab: „Gewehre her – es gilt unser Leben!“

Zu spät …! Das Flugzeug schwenkte dicht vor der „Emden“ zur Seite, und einer der drei Insassen rief auf Englisch:

„Welche Nationalität?“

Berchem hatte noch gerade Zeit, Meinke zuzuraunen, die Gewehre unten zu lassen. Widerstand war hier nutzlos. Der Flieger hatte ein Maschinengewehr an Bord, und der Engländer, der die „Emden“ angerufen hatte, hielt in der Rechten eine Wurfbombe bereit.

Hier entschieden Bruchteile von Sekunden.

Hartner sprach fertig Holländisch. Weder Berchems noch sein eigener Anzug verrieten, daß sie Deutsche waren. Und so erwiderte der Oberleutnant mit voller Lungenkraft:

„Holländisches Tauchboot. Tauchvorrichtung in Unordnung.“

Das Flugzeug ließ den Motor auslaufen.

„Stoppen Sie!“ kam der Befehl für die „Emden“.

Diese lag gleich darauf still, und der Flieger kam längsseit, warf eine Leine hinüber und schwamm nun dicht neben der „Emden“ auf dem Wasser.

„Schicken Sie einen Mann mit den Schiffspapieren herüber“, befahl der Engländer wieder.

Hartner verschwand nach unten, flüsterte eifrig mit Krapatkul, der ebenso eifrig nickte, dann eine Pistole in die Tasche schob, ein Päckchen französische Zeitungen vorn in seine blaue Jacke als „Schiffspapiere“ steckte und gleich darauf sich auf den einen Schwimmkörper des Fliegers schwang, am Gestell hochkletterte und dann mit der Linken nach den Papieren griff – nein, zu greifen schien, … und mit der Rechten dem Manne am Maschinengewehr, den er gerade vor sich hatte, einen furchtbaren Fausthieb vor die Stirn versetzte. Es war eine ostpreußische Faust, und der Engländer knickte denn auch bewußtlos vornüber.

Der andere mit der Bombe hatte diese inzwischen weggelegt. So kam es, daß die drohend auf ihn gerichtete Pistolenmündung und die zwei jetzt auf der „Emden“ in Anschlag liegenden Gewehre die Sachlage zu Gunsten der Deutschen entschieden.

„Keine Bewegung – oder …!!!“ hatte Hartner den durch den Angriff völlig Überraschten zugerufen, die man jetzt auch weiter in Schach hielt.

– – – – – – – –

Das Flugzeug war der neuen „Emden“ letzte Beute.

Eine Stunde später landete sie wohlbehalten in Ostende. Deutsche Zurufe begrüßten die glücklich Heimgekehrten, deutsche Hände streckten sich ihnen entgegen …

Und auf der Strandpromenade spielte eine deutsche Matrosenkapelle gerade …

„Deutschland Deutschland über alles …!“

 

Ende.

 

Das nächste Heft enthält:

Auf leuchtendem Boden.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

 

Anmerkung:

  1. Auf der Titelseite heißt diese Geschichte „Die neue Emden“ (ohne Anführungszeichen).