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Die sagenhafte Oase

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. (1919.)

 

Die sagenhafte Oase.

 

W. Belka.

 

1. Kapitel.

Ein Empfehlungsbrief.

Als das russische Reich seine Herrschaft auch auf die freien Kirgisenstämme auszudehnen suchte, die südlich des Aralsees zwischen den Flüssen Amu-Darja und Syr-Darja hausen, legte es an diesen beiden Strömen eine Anzahl von Forts an als Rückhalt für die überall verteilten sog. Stationen, d. h. die kleineren Militärposten.

Am Syr-Darja ist auf jeder besseren Karte Zentralasiens etwa in einer Höhe mit dem südlichsten Punkte des Aralsees ein „Fort Nr. 2“ zu finden, daneben oder darüber vielleicht auch in Klammern das Wort „Karmaktschi“.

Karmaktschi ist nun gleichzeitig der Name eines riesigen Sumpfgebietes, das südwestlich von Fort 2 im ödesten Teile der Wüste Küsül-Kum zu suchen ist.

An einem sehr heißen Sommertage näherte sich ein flaches, langgestrecktes Boot, das so recht zum Befahren der von Wasserpflanzen stark verkrauteten natürlichen Kanäle des Karmaktschi-Sumpfes sich eignete, lautlos und fast zentimeterweise in übergroßer Vorsicht einem der wahllosen Inselchen, die in dieser traurigen Moorlandschaft häufig genug zu finden sind.

Auf einem umgestürzten Baume des kleinen Eilandes saßen zwei Männer in bereits recht strapazierten Leinenanzügen und unterhielten sich leise. Über ihnen aber erklomm ihr Gefährte, ein sehr kräftiger, großer Junge, eine riesige Eiche, in deren obersten Ästen ein Steinadlerpaar seinen Horst hatte.

Die beiden Männer waren ebenso wie ihr an Jahren so viel jüngerer Gefährte Deutsche und zu einem ganz besonderen Zweck nach den Gebieten südlich des Aralsees gekommen.

Das Boot hatte inzwischen an der Insel angelegt; vier von den sechs Insassen waren ausgestiegen, und auf allen Vieren sich vorwärtsschiebend, den Deutschen in den Rücken gelangt.

Und diese vier Leute nun, die an der Hautfarbe, dem Gesichtsschnitt und der Kleidung sofort als armenische Händler zu erkennen waren, warfen nun den ahnungslos Dasitzenden von hinten feine Schlingen über die Köpfe. – Kurz: Die beiden Deutschen wurden so lautlos überwältigt, daß der Knabe oben auf der Eiche nichts davon merkte.

Gleich darauf verließen zwei Boote das Inselchen, – das der Armenier und das von ihnen nun mit zweien ihrer Leute besetzte Fahrzeug der Deutschen.

Die Nachen wandten sich westwärts, schlängelten sich durch das Netzgewirr der zahllosen Kanäle, in denen ein Unkundiger sich nie zurechtfinden konnte, und landeten schließlich an einer inmitten eines gänzlich unpassierbaren Sumpfteiles gelegenen, großen Halbinsel, auf der sich eine vollständige Niederlassung der Pferdediebe und Verbündeten jenes Mannes befand, der seit Jahren in der Kirgisensteppe, hauptsächlich in deren Westteil, der Küsül-Kum, eine etwas märchenhafte Rolle spielte.

An jedem Lagerfeuer erzählte man von El Mistra, dem Gespenst der Wüste, von dem Geheimbunde der Räuber und Pferdediebe, der ebenfalls El Mistra heißen sollte, und dessen Oberhaupt ein Mann von ganz besonderen Charaktereigenschaften wäre, der „der Herr“ genannt und dessen Persönlichkeit oft mit der des Gespenstes der Küsül-Kum zusammengeworfen würde.

So liefen bei den Kirgisenstämmen Turkestans (dazu muß man ja auch die Gouvernements Amu-Darja und Syr-Darja rechnen) die seltsamsten und widerspruchsvollsten Gerüchte von Mund zu Mund. Nur wenige wußten etwas Gewisses, und diese wenigen schwiegen klüglich, da es sich zumeist um heimliche Verbündete der Verbrecher handelte.

Die beiden Deutschen freilich, die jetzt von den sechs Armeniern weggeschleppt worden waren, hätten aus eigener Erfahrung so mancherlei über all diese Dinge angeben können, mit dem sie seit ihrem Erscheinen in diesem Lande schon manchen Strauß ausgefochten hatten und der dennoch nicht ruhte, ihnen nachzustellen, um sie in seine Gewalt zu bekommen oder vollends zu verderben.

Es war dies tatsächlich wie ein hartnäckiger Zweikampf gewesen, eigentlich schon von dem Augenblick an, wo die Deutschen in Aschabad, der Hauptstadt der Transkaspischen Provinz, eingetroffen waren und ihr Gegner sich ihnen in den mannigfachsten Verkleidungen genähert hatte (Vergl. das Bändchen „Im Lande der Turkmenen“).

Bisher war dieser Kampf unentschieden geblieben. Einmal hatte Boris Aksakoff, der russische Ingenieur – denn so lautete der wahre Name des rätselhaften Mannes – scheinbar den Sieg in Händen gehabt, um ihn dann aber schleunigst wieder abtreten zu müssen, da er auf die Dauer trotz all seiner Machtmittel gegen die überlegene Schlauheit eines so klugen Kopfes, wie der Deutsche Egon Lenz es war, nicht aufkommen konnte.

Augenblicklich schien wieder Aksakoff siegen zu wollen. Er hatte die Deutschen abermals aufgespürt und konnte nun hoffen, endlich von ihnen Genaueres über jene Oase zu erfahren, die alten Überlieferungen nach mitten in der Küsül-Kum liegen und sehr wertvolle Schätze beherbergen sollte.

Aksakoff war jedoch in der Niederlassung gerade nicht anwesend, als die Gefangenen eingebracht und in eine leere Jurte (Winterzelt der Kirgisen) unter strenger Bewachung eingesperrt wurden.

Über Egon Lenz, den einen der Deutschen, ist hier bereits geäußert worden, daß er ein ebenso tatkräftiger wie schlauer Mensch war. Der andere, Doktor Heinz Wüllner, ein trotz seiner Jugend schon recht berühmter Forscher, war Lenz’ Jugend- und Duzfreund, ein vortrefflicher Charakter, nur von etwas gelehrtenhafter Umständlichkeit und stets von dem Streben beseelt, auch anderen etwas von der Überfülle seines Wissens durch lange wohlgesetzte Vorträge abzugeben.

Diese beiden Herren also saßen nun in der halbdunklen Jurte, in der es wie in allen Kirgisenbehausungen nicht gerade angenehm nach „Pferdestall“ roch, und unterhielten sich leise über die Ereignisse der letzten drei Tage, denn so lange etwa hatte die Fahrt bis zu diesem Räubernest gedauert.

„Der arme Ypsi“, meinte Doktor Wüllner. „Er wird sich schön den Kopf zerbrochen haben, als er von der Eiche wieder heruntergeklettert war, wo wir wohl geblieben sein können. – Was wird nur aus ihm werden?!“

„Oh – deshalb mache ich mir weiter keine Sorgen. Solch ein heller Kopf wie er kommt überall durch“, sagte Lenz sehr zuversichtlich. „Weit kritischer schaut die Sache hier für uns aus! Selbstredend werden wir bei der ersten sich bietenden Gelegenheit einen Fluchtversuch wagen. Aber – wann wird diese Gelegenheit erscheinen?! Ich fürchte – ich fürchte, mein lieber Heinz, wir sind hier in eine sehr böse Patsche geraten.“

Der Filzvorhang des Eingangs wurde gelüftet. Ein Mann in noch jugendlichem Alter, der Gesichtsfarbe, der Kleidung und der Größe nach ein Turkmene, trat mit zwei Schüsseln ein, in denen sich das Mittagessen für die Gefangenen befand. Der Turkmene fuhr diese sofort recht grob an, weil sie gewagt hätten, miteinander zu sprechen. Als er ihnen dann aber die Schüsseln hinstellte, ließ er geschickt in Egon Lenz Hand ein zusammengerolltes Blatt gleiten, begann darauf sofort wieder mit allerlei Drohungen den Wüterich zu spielen und trat auch laut schimpfend wieder ins Freie, – all das natürlich, um jeden Verdacht zu vermeiden, er stände zu den Gefangenen in näherer Beziehung.

Lenz und Wüllner – auch dieser hatte das heimliche Manöver bemerkt – tauschten einen langen Blick aus, nachdem der Turkmene die Jurte verlassen hatte. Dann rollte Lenz, während der Doktor angestrengt nach draußen lauschte, das beinahe bis zu schneeweiß ausgebleichte Blatt einer besonderen Distelart auf und – fuhr leicht zusammen.

Doktor Wüllner riß es ihm fast aus der Hand, schüttelte dann ungläubig erstaunt den Kopf und sagte:

„Merkwürdig Egon, nicht wahr?! Sage selbst, ist Dir so etwas schon mal begegnet! – Es handelt sich hier ja um Schriftzüge und um den Namen desselben Landsmannes, der jene seltsamen Hilferufe aussandte, die uns dazu bestimmt haben, von unserem Wege nach der Oase abzuweichen und ihm Beistand zu bringen, eine gute Absicht, die ja nun leider zuschanden geworden ist. – Dieses an Stelle eines Stück Papiers benutzte Distelblatt soll so etwas wie ein Empfehlungsschreiben sein. Lautet doch die Aufschrift:

Der Jomude El Hissar ist ein durchaus vertrauenswürdiger Mann. Seinen Angaben betreffs meiner Person kann man vollen Glauben schenken – Helft, Landsleute oder Europäer, die Ihr ein Herz für einen Unglücklichen habt – Kurt Preßler.“

Egon Lenz nickte. „Natürlich handelt es sich um denselben Preßler, der auch jene schwimmenden Pyramiden abgeschickt hat, auf denen ungefähre Angaben über die Lage der Insel verzeichnet waren, wo er gefangen gehalten wird. In jedem Falle sind unsere Aussichten, bald von hier fortzukommen, sehr gestiegen. Wir müssen versuchen, El Hissar zu bewegen, mit uns zusammen zu fliehen. Wir brauchen einen landeskundigen Führer, um die beiden Merkmale herauszufinden, nach denen die Lage jener Insel bestimmt werden kann: Adlereiche und Kreuzfelsen! – El Hissar muß beide kennen. Er muß auch mit Preßler in persönliche Verbindung getreten sein. Kurz: Gerade er ist der Mann, den wir brauchen.“

 

2. Kapitel.

Wieder vereint.

Vier Tage später.

Über den Karmaktschi-Sümpfen tobte ein nächtliches Gewitter, entwurzelte mit seinen Sturmstößen uralte Bäume, deren Stämme nicht mehr die Nachgiebigkeit der Jugend besaßen, sich zu allzu tiefen Bücklingen zu verstehen; warf seine zackigen Feuergarben in die Wipfel anderer und ließ sie, wo er auf trockenes, abgestorbenes Holz traf, wie Riesenfackeln auflohen; goß zum Schluß noch als Sintflut Wassermassen auf die Erde hinab, daß die Insel, wo die Niederlassung des geheimnisvollen El Mistra sich befand, in wenigen Minuten einem großen Tümpel glich.

Das beste Boot der Niederlassung war kurz vor Beginn des Wolkenbruchs von der Insel abgestoßen und hatte, bemannt mit drei Personen, die Richtung nach Nordost in einem der zahlreichen Kanäle eingeschlagen.

Als dann die ersten Tropfen sofort so dicht fielen, daß man das Kommende vorausahnen konnte, deckten die Bootsinsassen schleunigst eine große, fettgetränkte Leinwand über ihr Fahrzeug und warteten, selbst eng zusammengekauert darunter sitzend, das Ende des Wolkenbruchs ab.

Es prasselte so laut auf die Schutzhülle herab, daß einer der Leute fast schreien mußte, um sich verständlich zu machen.

„Ein schlechter Anfang“, rief Egon Lenz. „Das Gewitter war uns günstig. Dieser Regenguß hält uns auf.“

El Hissar wollte wissen, was Lenz soeben gesagt hätte. Er verstand nur englisch. – Wüllner, der neben ihm hockte, übersetzte des Freundes Worte daher.

Da entgegnete der junge Jomude, der vielleicht 22 Jahre alt sein mochte:

„Regen nicht schlecht für uns. Kanäle für einige Zeit voller Wasser. Leichter zu rudern daher.“

Er behielt recht. Man kam, nachdem das Gewitter vorüber war, sehr schnell vorwärts. El Hissar wußte in dem Irrgarten all dieser zahllosen Wasserstraßen so gut Bescheid wie ein Fremdenführer am Orte seiner Tätigkeit. Niemals war er sich über die einzuschlagende Richtung auch nur einen Augenblick im Zweifel.

Am Abend des ersten Tages hatte das Boot dann jedoch eine Begegnung, die sehr leicht für die drei Flüchtlinge überaus verhängnisvoll hätte werden können.

Man war gerade dabei, nach einer für das Lager geeigneten Insel Ausschau zu halten, als der leichte Wind aus einem breiteren Kanal, den man soeben verlassen hatte, die Töne eines eigenartigen Gesanges herüberbrachte. Kaum hatte der Jomude, der sich von Lenz dazu hatte bestimmen lassen, mit ihm und Wüllner gemeinsam zu fliehen, den Gesang der Ruderer eines den Blicken noch verborgenen Fahrzeuges gehört, als er das eigene Boot sofort in ein hohes Schilffeld drückte, worin es vollständig verschwand.

Leider stand aber der Wind so ungünstig, daß er den Rauch des Feuers, das die drei in ihrem Nachen als Abwehrmittel gegen die stechenden beflügelten Sumpfbewohner angezündet hatten, gerade nach der breiten Wasserstraße hindrückte, die das fremde Fahrzeug passierte.

Obwohl Lenz sofort auf einen leisen Zuruf des Jomuden hin das Feuer erstickt hatte, mußte dessen Qualm in dem andern Boot doch noch wahrgenommen worden sein.

Plötzlich verstummte nämlich der Gesang. Und El Hissar erklärte darauf: „Sie uns gerochen haben. Sie nach uns suchen werden. Dort nur sein kann im Boot „der Herr“. Nur er hat Ruderer, die singen wie die Weiber beim Hirsestampfen.“

Der Herr! – Die beiden Deutschen horchten auf. Also ihr alter Gegner Boris Aksakoff, den sie schon einmal in ihrer Gewalt gehabt hatten, – damals, als er sie in der Pagode überfiel und sie in die Katakomben von Li-au-Tsing flüchten mußten. (Vergl. das Bändchen „In der Kirgisensteppe“.) Und damals hatte er feierlich gelobt gehabt, sie nicht wieder belästigen zu wollen; Friede hatte zwischen ihm und ihnen sein sollen für alle Zeit. – Aksakoff hatte den Eid schlecht gehalten. Die Armenier, von denen sie überfallen worden waren, konnten nur von ihm beauftragt gewesen sein.

Und deshalb sagte Egon Lenz jetzt auch ingrimmig: „Wenn wir nochmals aneinander geraten, Boris Aksakoff, werde ich Dich nicht schonen!“

Und dabei klopfte er auf den Kolben seiner Büchse.

Heinz Wüllner deutete jetzt nach der Richtung des breiten Kanals hin.

„Ich sehe das Boot“, meinte er etwas erregt. „Es scheint feststellen zu wollen, woher die Rauchfahne kam.“ – Er hatte in Rücksicht auf El Hissar englisch gesprochen.

„So ist’s“, bestätigte der Jomude. „Meine Freunde mögen ihre Gewehre sprechen lassen und das Boot des „Herrn“ zurückscheuchen. Inzwischen wird es schnell dunkel werden, daß wir entschlüpfen können.“

Nur Egon Lenz kam diese Aufforderung wie gerufen. Er, der sich seines Schusses völlig sicher war, griff sofort nach seiner Doppelbüchse und suchte, zwischen den Binsen hindurchlugend, nach einem geeigneten Ziel in dem andern Fahrzeug, das jetzt eben hinter einem der vielen kleinen Inselchen wieder auftauchte.

Dann donnerte der Knall der Büchse über das stille Sumpfwasser hin. Die Kugel aber riß dem Europäer, der drüben aufrecht am Steuer des Bootes stand, die hohe Lammfellmütze vom Kopf, die er wie alle Nomadenvölker dieser Steppen, ringsum trug.

Diese Warnung genügte. Der von acht Ruderern vorwärtsgetriebene Nachen wendete schleunigst und verschwand. Doch – die Jagd war damit noch lange nicht zu Ende, die El Mistra, der Gebieter aller Ausgestoßenen der umwohnenden Stämme, auf die drei Flüchtlinge veranstaltete. Er mochte wohl ahnen, wer sich in dem Nachen befand, denn die Hartnäckigkeit dieser Verfolgung ließ mit ziemlicher Sicherheit darauf schließen.

Es würde zu weit führen, wenn hier all die Einzelheiten dieser Hetze zu Wasser geschildert werden sollten. Sie zog sich mehrere Tage lang hin. Dann erst gelang es El Hissar durch eine List, das andere Boot irrezuführen, und nun endlich konnten die drei Gefährten die Richtung einschlagen, die sie nach der Insel des gefangenen Deutschen bringen mußte.

Inzwischen hatte der Jomude, ein tapferer und in seiner Art recht witziger Bursche, Lenz und dem Doktor alles über jenen Kurt Preßler erzählt, was er wußte.

Preßler war ebenfalls ein Opfer des „Herrn“. Seit vier Jahren wurde er von diesem auf einer Insel festgehalten, von der es deshalb für den einzelnen Mann kein Entweichen gab, weil sie von einem mehrere Kilometer breiten Morastgürtel umschlossen wurde, der infolge hoher Eigenwärme selbst im Winter nicht zufror und so dickflüssig und zäh war, daß kein Fahrzeug, das von einem Einzelnen vorwärtsbewegt wurde und das die landläufige Nachenform hatte, diesen Moorgürtel überwinden konnte. El Hissar war mit Preßler etwa ein Jahr nach dessen Gefangennahme bekannt geworden, hatte dem Deutschen versprochen, für dessen Befreiung sorgen zu wollen und doch nie Gelegenheit gehabt, diese Zusage wahr zu machen, da der „Herr“ offenbar gegen ihn Mißtrauen geschöpft und ihn stetig hatte beobachten lassen, ebenso auch verboten hatte, daß der Jomude an den regelmäßig alle fünf Monate stattfindenden Fahrten nach der Insel des Gefangenen teilnehmen durfte. So war es El Hissar ganz unmöglich gewesen, etwas für Preßler zu tun, und erst vor einem Monat hatte er Gelegenheit gehabt, doch wieder als Ruderer nach Preßlers Insel zu gelangen, wo dieser stets, wenn Aksakoffs Abgesandte erschienen, sich in ein Versteck zurückzog, in dem niemand ihn aufzustöbern vermochte. Daß er sich noch auf der Insel befand, sahen die Boten des Herrn aus allerlei Anzeichen, die deutlich hierfür sprachen. – Und bei dieser letzten Begegnung nun hatte Preßler dem Jomuden drei aus Zweigen gearbeitete, schwimmfähige kleine Pyramiden mitgegeben, die dieser im offenen Wasser des das Sumpfgebiet durchfließenden Karmaktschi-Flüßchens aussetzen sollte. El Hissar war es auch geglückt, die merkwürdigen Schwimmbojen wie gewünscht dem Flüßchen anzuvertrauen, und die Vorsehung hatte dafür gesorgt, daß eine derselben der drei Deutschen in die Hände geriet. –

Als das Boot den Morastgürtel erreicht hatte, fingen für die Insassen ein paar überaus anstrengende Tage an, – denn so lange brauchte man, ehe man auf der Insel landete, wo man bereits von weitem neben einem hochgewachsenen Manne einen schmalen, doch kräftigen Jungen am Ufer stehen sah, die den Rettern eifrig zuwinkten.

Der Junge aber war zu Lenz’ und Wüllners größter, freudigster Überraschung kein anderer als ihr kleiner Gefährte März Ypsilon, der nach der Entführung seiner Freunde sich selbst ein Fahrzeug in Muldenform gebaut und damit nach unsäglichen Mühen die Sumpfinsel erreicht hatte, auf der er zu seiner grenzenlosen Freude in dem Gefangenen seinen Vater wiedererkannte.

März Ypsilon war ja für den stattlichen, aufgeweckten Jungen nur ein Notbehelf von Name gewesen. Egon Lenz hatte ihn dem Knaben gegeben, den er ohnmächtig in Berlin von der Straße in seine Wohnung nahm und gesund pflegte. Leider hatte der arme Junge aber infolge der seiner Krankheit vorausgehenden seelischen Erschütterungen das Gedächtnis für seine Vergangenheit so vollständig verloren, daß er nicht einmal seinen Namen oder Vornamen mehr wußte, ebenso wie es auch unmöglich gewesen war, seine Angehörigen zu ermitteln.

Diese merkwürdigen Schicksale fanden nun endlich durch des Jungen eigene Angaben eine restlose Aufklärung.

Der Gutsbesitzer Preßler war nach Turkestan gereist, um hier in der Wüste Küsül-Kum dieselbe Oase zu suchen, die auch das Ziel Egon Lenz’ und seiner Gefährten war. Nachdem Preßler dann zwei Jahre lang nichts von sich mehr hatte hören lassen, war sein ohnedies verschuldetes Gut versteigert worden und Frau Preßler mit ihrem Kinde in großer Not zurückgeblieben. Ein hartherziger Hauswirt hatte die nach Berlin verzogene Frau dann eines Tages auf die Straße gesetzt, und der Knabe hatte, um Lebensmittel zu erbetteln, die Mutter ein paar Stunden allein gelassen, war vor Entkräftung bald umgesunken und so von Egon Lenz gefunden worden.

Freilich – was aus Frau Preßler geworden, blieb auch jetzt noch dunkel. Alles deutete aber darauf hin, daß auch sie entweder schwer erkrankt war und deshalb wochenlang sich nicht um den Verbleib ihres Kindes hatte kümmern können, oder daß sie vielleicht vor Entbehrungen gestorben.

All dies besprachen die jetzt auf der Sumpfinsel vereinten vier Deutschen nochmals ganz eingehend und beschlossen darauf, nunmehr ohne Zögern wieder den Marsch nach jener Oase aufzunehmen, in der, wenn nicht alle Angaben trügten, ihrer reiche Schätze warteten.

Besonders Preßler drängte, man solle die Abfahrt von der Insel auch nicht eine Minute verzögern, da man jetzt ja ein Boot hätte, das sie alle aus den Sümpfen heraus zurück in die Kirgisensteppe bringen würde.

 

3. Kapitel.

Der Sandsturm und die Oase.

Der Weg nach der Oase war nun in einem geographischen Werk durch handschriftliche Aufzeichnungen eines längst verstorbenen russischen Offiziers namens von Bleulen angedeutet. Dieser aus Riga gebürtig gewesene Deutschrusse hatte verschiedene hervorstechende Wegmarken angegeben, so auch dieselben Pagodenruinen, in denen Lenz mit dem Doktor und dem Knaben die Wunder einer unterirdischen Grottenwelt hatte schauen dürfen.

Ohne Zwischenfall gelangte das Boot mit seinen nunmehr fünf Insassen in den Fluß Karmaktschi, legte hier in der Nähe eines Kirgisenauls (Aul, Dorf) an, wo die Abenteurer gastfreundliche Aufnahme fanden, zumal Lenz dem Dorfältesten genau die Lage der Niederlassung des berüchtigten El Mistra verriet, so daß den kriegerischen Nomaden die Möglichkeit gegeben war, endlich mit den Räubern und Pferdedieben abzurechnen.

Hier tauschten die Reisenden auch gegen altpersische Waffen, die man von der Sumpfinsel Preßlers aus einem dort befindlichen Grabmal mitgebracht hatte, gute Reit- und Packpferde ein, so daß man nachher mit acht Pferden den Marsch durch die Steppe fortsetzen konnte.

Es galt nun zunächst, ein von Bleulen fernerhin erwähntes Felsental zu finden, in dem sich ein Bittersee befinden sollte.

Diese Bitterseen, das heißt Wasseransammlungen, deren Inhalt so stark mit schwefliger Magnesia gesättigt ist, daß beim Verdunsten der Flüssigkeit starke, weiße Rückstände zurückbleiben, sind berühmt durch ihre Uferstrecken, die im Lichte der Sonne geradezu augenblendend weiß von Salzen schimmern.

Die Bewohner des Auls wußten nichts von einem solchen Tal. Selbst die ältesten Leute meinten, dieses könnte dann nur nach Südwesten zu liegen, wo eine große, völlig unfruchtbare Sandwüste sich bis zum Syr-Darja hinzöge, in die sich nie ein Mensch verirre, da es dort nirgends auf viele Tagesstrecken Trinkwasser gäbe.

Bleulens Kartenskizze deutete diese Richtung ebenfalls an, und daher wurde an einem sonnenklaren Junimorgen nach herzlichem Abschied von den Kirgisen nach Südwest der Marsch ins Ungewisse hinein aufgenommen.

Bereits am nächsten Tage änderte sich das Landschaftsbild. Der Steppencharakter des Bodens wich dem eines kahlen Dünengeländes, in dem nur stellenweise der rötliche Fels, das eigentliche Wahrzeichen der Wüste Küsül-Kum, zutage trat.

Es war ein großes Wagnis, in dieses unerforschte, wasserarme Gebiet in der Hoffnung einzudringen, dort die sagenhafte Oase zu finden. Aber unsere Abenteurer, die der ihnen winkenden Schätze wegen schon so viele Strapazen und Gefahren überstanden hatten, wollten nicht so nahe vor dem Ziel kleinmütig auf den Erfolg verzichten, der, falls er ihnen wirklich beschieden war, sie reichlich für alle Leiden entschädigen mußte.

Trotzdem wurden die fünf Reiter stiller und stiller, als auch der zweite Tag verging, ohne daß sie den Bittersee und das Felsental fanden. Ihr Wasservorrat reichte bei größter Sparsamkeit noch weitere zwei Tage. Dann – war das Ende der Tod – der furchtbare Dursttod –!

Müde schleppten sich die Pferde durch den rötlichen, feinen Sand. Es war um die Mittagszeit. Man wollte baldigst rasten, sobald sich ein schattiger Platz, vielleicht hinter ein paar Felsen, darbot. Die Sonne brannte heute nicht so stark vom Himmel herab als gestern, wo auch nicht ein Wölkchen sichtbar gewesen. Jetzt schienen die Dunstschleier, die das Tagesgestirn einhüllten, sich immer dichter zusammenzuballen.

Des Jomuden Mienen wurden besorgt. Ängstlich schaute er nach dem westlichen Horizont hin, wo vor kurzem in dem fahlen Gelbgrau ein schwarzer Fleck aufgetaucht war, der nun zusehends wuchs und förmlich mit Windeseile der Mitte der Himmelsglocke zustrebte.

Dann rief El Hissar plötzlich: „Ein Sandsturm! – Vorwärts – es geht ums Leben! Dort vor uns die Felsengruppe – wir müssen sie erreichen, sonst sind wir verloren!“

Die Pferde fielen von selbst in Galopp. Aber der unheimliche Feind aller Bewohner weiter Steppenländer, der Orkan, der den feinen Sand aufwirbelt und in Wolken mit sich führt, der bald Samum, bald Giftwind oder anderswie genannt wird, – dieser in der Kirgisensteppe während des Winters noch mehr gefürchtete Bedroher der Menschen und Tiere, er war schneller.

Die Dunkelheit nahm zu. Dann das hohle Sausen der Windsbraut, die ersten Sandwolken, dann wie eine graue, wandelnde Wand die aufgewühlten Milliarden von Körnchen –

Kurt Preßlers Pferd, das die leichteste Last zu tragen hatte, ging vor Angst mit seinem Reiter durch. Es wurde ein förmlicher Wettlauf zwischen Tier und Sturm. Stets blieb dieser dicht hinter dem edlen Rosse, das, gehetzt wie von gierigen Bestien, dahinraste und sein Letztes hergab, das weder Schenkeldruck noch Zügel gehorchte und blindlings floh, den jugendlichen Reiter mit sich nehmend, der längst nichts mehr von den Gefährten erblickte.

Das Pferd war ein fast ins Rötliche spielender Fuchs. Der Knabe hatte ihn daher auch Rotbart getauft, hatte sich schnell mit ihm angefreundet, da er sehr tierlieb war und wußte, wie ein guter Reiter mit seinem Pferde umgehen muß.

Rotbart verdoppelte plötzlich scheinbar seine Kräfte. Dann – ein unerwartetes Stutzen: Vor dem Pferde wich der Boden jäh in Gestalt eines tiefen Abhangs zurück. – Der Fuchs hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt – so unvermittelt, daß der Reiter über den Hals hinweg ins Leere flog, während Rotbart vorwärts rutschend langsamer in die Tiefe nachfolgte, sich überschlug, sich aufrappelte und neben seinem ohnmächtigen Herrn stehen blieb.

Der Sandsturm raste über das weite Tal hinweg, häufte im Anfang noch hohe Sandberge auf, mußte dann aber seine Wut an allem, was ihm in den Weg trat, lediglich durch grobes Rütteln auslassen.

Eine Stunde verging. Rotbart stand noch immer mit hängendem Kopf neben seinem bewußtlosen Reiter.

Dann regte dieser sich, richtete sich auf, befühlte seine schmerzenden Glieder.

Alles heil – zum Glück! – Kurt Preßler faltete unwillkürlich die Hände. Und gerade in diesem Augenblick, als er ein stilles Gebet zum Himmel emporschickte, öffneten sich die Wolkenschleier und die Sonne tauchte das Tal in hellen Schein –

Der Junge rieb sich die Augen, glaubte zunächst an eine Fata Morgana, eine trügerische Luftspiegelung.

Vor ihm in der Ferne, wo das Tal sich immer mehr verbreiterte und gleichzeitig abwärts senkte, – vor ihm, gut ein Kilometer entfernt, schimmerte es freundlich grün von Baumlaub, Sträuchern und saftigem Gras, lag inmitten dieses tiefen Erdeinschnitts mit seinen steilen Felsrändern, die selbst von hier aus wie ungeheure Mauern wirkten, ein grüner Fleck – eine Oase –

Kurt Preßler sprang auf.

Die Schmerzen waren vergessen. Er fühlte sich frisch wie nie zuvor. Ein einziger Gedanke war nur in seinem Hirn lebendig:

„Die Oase – die gesuchte Oase!“

Sie mußte es ja sein! Das, was der russische Offizier darüber in seinen Aufzeichnungen angedeutet hatte, stimmte ja genau: das langgestreckte, tiefe Felsental, fast schon ein Kanon, eine Schlucht, die rötlich schimmernden Felswände und dann besonders das Bauwerk, die halbe Ruine, die dort zwischen den grünen Bäumen geheimnisvoll hindurchlugte –

Der Knabe mußte seinem Herzen irgendwie Luft machen, klopfte nun seinem Pferde den Hals und rief:

„Rotbart – wir haben sie gefunden, wir beide! Da werden die anderen schöne Gesichter machen, daß wir sie um den Ruhm gebracht haben –“

Plötzlich hielt er inne.

Die anderen – die Gefährten –! – Da erst dachte er an den verderblichen Sandsturm, an den Vater, den Doktor, Herrn Lenz und den wackeren El Hissar. Was mochte aus ihnen geworden sein?! Und – war es nicht mehr als selbstsüchtig von ihm, daß er sich bisher an sie gar nicht erinnert, daß nur die Oase da drüben all seine Gedanken gefangen genommen hatte –?!

Die Freude über die wichtige Entdeckung zerflatterte schnell in alle Winde. Jetzt war bei dem braven Jungen die Sorge um das Wohlergehen der Gefährten so mächtig geworden, daß Oase und altes Bauwerk, Schätze und all das Geheimnisvolle dieses Ortes vollständig in den Hintergrund gedrängt wurden.

Kurt Preßler schaute gar nicht mehr hin nach dem lockenden Grün, schaute sich nur nach einer Stelle um, wo er die Steilwand der Schlucht erklimmen könnte. Er wollte in der Richtung zurückreiten, woher er gekommen. Weit konnten die Gefährten ja nicht sein. War er doch nach seiner Schätzung kaum eine Stunde lang in diesem wahnwitzigen Jagen vor dem Orkan geflohen, – kaum so lange, da auch ein Steppenpferd wie Rotbart ein solches Tempo nicht über Gebühr verträgt.

Er wollte zurückreiten! – Diese gute Absicht durchkreuzte der durstige Fuchs, der ohne Zweifel das in der Oase vorhandene Trinkwasser gewittert hatte und nun plötzlich, als sein jugendlicher Reiter gar keine Anstalten machte nach dorthin aufzubrechen, sich von selbst in Trab setzte und sehr bald in einen langen Galopp überging.

Kurt war so überrascht, daß er wie versteinert eine Weile dastand. Dann sagte er halblaut:

„Eigentlich hat Rotbart recht! Auch mir kann ein Schluck Wasser nicht schaden, besonders nach dem fauligen Zeug aus den Lederschläuchen, das kaum mehr genießbar war.“

So setzte denn auch er sich in Trab. Aber der Fuchs war längst unter den Büschen und Bäumen verschwunden, bevor der Junge auch nur die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte.

Viel zu langsam für seine jetzt mit aller Macht wiedererwachte Neugier kam er vorwärts. Mit dem Traben ging’s ja nicht allzulange. Da blieb ihm der Atem weg, und er mußte seinem Gefühle nach wie eine Schnecke kriechen – Schritt für Schritt – Schritt für Schritt –

Doch auch aus Schritten wird eine Meile!

Die Oase rückte näher und näher. Das Tal selbst wurde hier unvermittelt so breit, wie Kurt von dem Platze seines Absturzes aus gesehen, es nie hätte vermuten können. Diese Ausbuchtung war ziemlich kreisrund, hatte einen Durchmesser von gut 2000 Meter, und mitten darin lag der große, grüne Fleck – das Geheimnis der Wüste Küsül-Kum, die sagenhafte Oase.

Welch liebliches Bild bot sie dar! Des Knaben Augen schwelgten geradezu in diesen köstlichen Farben, in diesem Grün der Blätter, das in allen Schattierungen vertreten war, in dieser Farbenorgie von Blumen, die der fruchtbare Boden hier hervorgezaubert hatte.

Kurt hatte doch bereits so manche Oase der Kirgisensteppe gesehen. Nicht eine reichte an die Üppigkeit und Schönheit dieser heran – nicht eine!

Und das wunderbarste: Er fand hier Bäume und Sträucher vertreten, die weit mehr der tropischen Zone als dem im Winter so rauhen und unwirtlichen Turkestan entsprachen, bemerkte Palmen, seltsame, überdicke Bäume mit riesigen Früchten, andere von gar seltsamen Formen der Blätter, wieder andere, die er von Abbildungen her kannte.

Die Fruchtbarkeit des Bodens in diesem gewaltigen Talkessel nahm ganz allmählich nach der Mitte hin zu. Erst wurde der Sand seltener, wich einer grauschwarzen, bröckligen Oberschicht, die dann wieder in dunkle Erde überging, auf der bereits sehr hohe Gräser und Blumen gediehen. Dann merkte man, wie die Erde feuchter ward; hier standen nun schon Gruppen von Büschen und vereinzelte Bäume. Dann fanden sich Stellen, die geradezu das Aussehen kleiner Wiesenstücke hatten. Und dann begann der Baumwuchs der inneren Oase, wenn man so sagen will, die hier einen Hain von verschiedenartigen Bäumen, vermischt mit starkem Buschwerk, darstellte.

Jetzt betrat Kurt diesen Hain, indem er weiter wie bisher stets auf der Fährte seines Rotbart entlangschritt.

Daß ihm hier eine Gefahr drohen könne, hielt er für ganz ausgeschlossen. Seine kurze Büchse hing am Sattelknopf. Er hatte nur seinen sechsschüssigen Revolver, sein Messer und ein afghanisches Wurfbeil, ein Geschenk des Dorfältesten des zuletzt angetroffenen Kirgisenauls, bei sich. Davon war der Revolver infolge der in das Schloß hineingewehten Sandkörnchen unbrauchbar. Also blieb nur das Wurfbeil als Fernwaffe.

Unbekümmert ging er unter den Bäumen hin. Schmetterlinge und Bienen belebten die Luft. In den Zweigen flatterten Vögel, in den Kronen kreischten sogar ein paar kleine, langschwänzige Affen, turnten von Ast zu Ast, bis sie dann plötzlich, in jähem Schreck offenbar, wie der Wind auseinanderstoben und verschwanden.

Gerade diese wilde Flucht des munteren Völkchens der Affen, die Kurt heute zum erstenmal in Freiheit gesehen hatte, war die Veranlassung dazu, in dem Knaben ganz unbestimmte Furchtempfindungen auszulösen.

Er hatte plötzlich das Gefühl, daß in seiner Nähe sich irgend etwas befinde, das ihn bedrohe, vor dem er Grund habe, auf seiner Hut zu sein.

Sein Blick wurde argwöhnisch. Er schwelgte nicht mehr in den Farbensymphonien dieser köstlichen Pflanzenwelt. Die Freude war getrübt durch eine lose Ideenverbindung – von den lustigen Äffchen, die so wild auseinanderstoben, zu einer unsichtbaren, auch ihm vielleicht verhängnisvollen Gefahr –

 

4. Kapitel.

Das alte Bauwerk.

Des Knaben Schritte wurden immer zögernder. Das Alleinsein bedrückte ihn. Furcht kannte er nicht. Er hatte schon mehr als einmal bewiesen, daß er in jeder Lage sich zurechtzufinden wußte. Hier aber kam noch etwas anderes hinzu: Das Bewußtsein, an einem Orte zu weilen, der nach allem, was darüber bekannt war, reich an Geheimnisvollem sein mußte.

Wie er nun um eine dichte Gebüschgruppe herumbog, lag plötzlich auf einem weiten, freien Platze nun auch das alte Bauwerk vor ihm.

Er blieb unwillkürlich stehen, schaute und schaute.

Wie seltsam sich dieses Gebäude ausnahm! Noch nie hatte er Ähnliches auch nur auf einem Bilde gesehen.

Auf einem Viereck von doppelten Säulen, dessen Seitenlänge gut dreißig Meter betrug, ruhte erst der eigentliche, tempelähnliche Bau, schwebte also sozusagen in der Luft. Man konnte durch die Säulengänge bequem hindurchblicken. In dem von ihnen eingeschlossenen, erhöhten Hofraum befand sich eine Felsgruppe, darauf eine lebensgroße Figur aus schwarzem, glänzendem Stein. Eine breite Steintreppe wieder führte in der Mitte des einen Säulenganges zu dem Oberbau empor. Dieser bildete offenbar ein geschlossenes Ganzes, hatte unzählige kleine Fenster mit golden schimmernden Gittern, viele Türmchen, ein gewölbtes Dach, das in der Mitte an einen niedrigen, runden Turm sich anlehnte, der in seinem oberen Teile bereits recht verfallen war. Immerhin ließ sich noch erkennen, daß er Zinnen in Gestalt von Tierfiguren der verschiedensten Art gehabt hatte, daß nach vier Seiten balkonartige Austritte angebracht waren und daß in das Gemäuer selbst in bunten Steinen Bilder großer Drachen eingelassen waren. Diese Mosaikfiguren erinnerten Kurt etwas an chinesische Drachen und Ungeheuer, während der andere Oberbau an indische Tempel gemahnte.

Noch zögernder als bisher setzte Kurt jetzt den Weg fort. Ihn trennten nur noch ein paar Schritt von dem nächsten Säulengang, als er eine überraschende Entdeckung machte: Der Säulengang entpuppte sich als ein von Säulen eingefaßter Kanal, in dem klares Wasser fast bis zum Rande hoch stand.

Dieses gemauerte Bassin war gut fünf Meter breit. Und nirgends zeigte sich etwas wie eine Brücke. Vielmehr bildeten die vier Kanäle der Grundfläche des ganzen, merkwürdigen Baues einen fortlaufenden Wasserbehälter, der sicherlich aus unterirdischen Quellen gespeist wurde.

Noch anderes bemerkte der Junge: Seines Pferdes Spuren, die bis jetzt geradeaus auf das Bassin zugeführt hatten, wichen hier plötzlich ab und waren durchkreuzt von den Eindrücken eines Mannesstiefels, an dessen Hacken deutlich das kleine Hufeisen sich abzeichnete.

Kurt hatte jetzt lange genug in der freien Steppe gelebt, um augenblicklich sich aus dem Auftauchen dieser Menschenfährte das Richtige zurechtlegen zu können. Nicht nur das: Er war auch geistesgegenwärtig genug, sofort in den Schutz des Gebüsches zurückzuspringen und sich in eine Lücke in demselben hineinzudrücken.

Hier blieb er regungslos stehen, alle Sinne bis zum Äußersten gespannt. Mancherlei Fragen zuckten ihm durch den Kopf: Hatte der Unbekannte, der Rotbart doch ohne Zweifel eingefangen und weggeführt hatte, ihn bemerkt? War er beobachtet worden? Mußte er damit rechnen, von dem Manne feindselig behandelt zu werden? Waren die Affen vor diesem Manne geflüchtet?

Jedenfalls war es keine angenehme Lage, in der er sich befand. Gerade die Unsicherheit über all diese Fragen war das Peinvolle. Lieber eine Gefahr, noch so groß, vor Augen haben, als still abwarten und denken müssen: Was wird nun geschehen?

Und – zunächst geschah nichts – gar nichts!

Die Minuten schlichen. Ringsum nur das Geräusch der vom Winde leicht bewegten Blätter, der Vögel, der Insekten, – all die Laute, die uns so sehr erfreuen, wenn wir, im Grase liegend, friedlich einen Sommertag genießen dürfen.

Kurt verwünschte heute die Wildtauben, die mit ihrem lauten Rufen umherstrichen, die Gabelweihe, die über den Hain hinstrich und einen gellenden Pfiff ausstieß, die bunten, zwitschernden, kleineren Gesellen, die überall sich zeigten –

Denn sie alle erschwerten ihm das Lauschen.

Wieder vergingen wohl fünf Minuten.

Da verlor der kühne Junge, der jetzt wieder den alten kecken Wagemut in allen Nerven prickeln fühlte, die Geduld. Indem er sich auf alle Viere niederließ und so tief geduckt wie eine Schlange durch Gras und Buschwerk kroch, hoffte er jede unerwartete Begegnung vermeiden zu können. Offene Stellen mied er. Stets hielt er sich am Rande von Sträuchern, in denen er blitzschnell verschwinden konnte. Er schlug dabei die Richtung ein, nach der scheinbar sein Rotbart weggebracht worden war.

Diese Art der Vorwärtsbewegung war nun so anstrengend, daß er es bald wie halbe Lähmung in allen Gliedern spürte. Er war doch nicht so leichten Kaufes bei dem Sturz weggekommen, wie er jetzt fühlte. Öfters ruhte er sich aus, raffte sich bald wieder empor, von der Sorge um seinen Rotbart erfüllt, den er jetzt noch mehr liebte, nachdem das Tier ihm während des Sandsturmes vielleicht das Leben gerettet hatte.

So umging er allmählich das Gebäude. Vor diesem Säulengang, oder besser überdachten Kanal, vor dem er sich befand, zog sich hier ein kleiner Garten hin, in dem noch deutlich Beete und Wege zu erkennen waren. Dies fiel Kurt mit Recht auf.

Er sagte sich: Das Gebäude ist doch mindestens fünfhundert Jahre alt. Wenn diese Beere ebenso viele Jahrhunderte hinter sich hätten, dürften sie sich nie so genau von den Rasenstücken abheben!

Nein – hier in der sagenhaften Oase müssen sogar vor kurzem Leute eine ganze Zeitspanne gehaust haben, sonst würden sie nicht diesen Ziergarten angelegt, nicht diese mit Schlinggewächsen berankten Steingruppen geschaffen haben –!

Und an dieser Stelle fand der Knabe nun auch das, was seinen Blicken vorhin entgangen war: einen Steg aus Steinplatten, der von dem Garten aus über den Kanal führte. Auf diesen Steg aber – seltsam genug! – lief des Pferdes Spur und die der derben Männerstiefel zu! Unschwer ließ sich erkennen, daß man Rotbart über dieses Brückchen geleitet hatte – hinein in den offenen, von den Steinsäulen umgebenen Hof, in dem doch von dem Pferde nichts zu entdecken war – nichts!

Mithin – ja mithin mußte der Unbekannte es gerade die Treppe hinauf in den Oberbau gebracht haben. Diese Treppe war so steil, daß ein Kirgisenpferd wohl kaum ohne Zwang eine solche Kletterpartie mitgemacht haben würde.

Sei dem wie ihm wolle, sagte sich Kurt, – es steht jetzt fest, daß der Mann mit den Stiefeln zur Zeit innerhalb des Gebäudes sich befindet und daß er aus irgend einem Grunde sich meines Fuchses bemächtigt hat.

Nachdem der Knabe so zu dieser Überzeugung gelangt war, wagte er es, sich ein wenig freier zu bewegen. Er durchstreifte den Hain nach allen Seiten, war nur immer darauf bedacht, daß er von dem Gebäude aus nicht gesehen werden könnte, stellte fest, welch zahlreiche kleinere Rinnsale, anscheinend[1] Abflüsse des Kanals, die Oase bewässerten und wie köstlich kühl dieses Naß war, das er begierig schlürfte, indem er es mit der hohlen Hand zum Munde führte.

Die Oase hatte, das merkte Kurt bald – nicht etwa runde Gestalt, sondern ihre Umrisse verliefen mit Buchten und Winkeln mehr in Form eines Doppelringes, an dessen Berührungspunkt der beiden Ringe etwa der uralte Tempel sich erhob.

Für den wackeren Jungen war es recht schwer, jetzt einen Entschluß zu fassen was er weiter tun solle. Ohne Pferd sich in die Wüste hinauszuwagen und nach dem Vater und den Gefährten zu suchen, war unmöglich. Was sollte er zu Fuß in dem öden Sandmeer, das diese Oase umgab und das so trostlos und so verderbenbringend mit seiner Wasserarmut war, daß nicht einmal die Kirgisen sich hineingetrauten, vielmehr nur an ihren Lagerfeuern zusammen mit Heldenmärchen ihrer Vorfahren von der grünen Oase erzählten, deren Schätzen und Geheimnissen –

Nein – diese Suche nach den anderen, die der Sandsturm vielleicht weithin zersprengt hatte, erschien ausgeschlossen. Also – hier bleiben! – Aber auch dieser Gedanke war Kurt nicht recht gewesen. Er wurde nun einmal das Gefühl nicht los, daß dieser Ort noch vieles barg, was sich auf den ersten Blick nicht wahrnehmen ließ, was aber doch allerlei dunkle Schrecken in sich schloß. Trotzdem: Wo sollte er sich hinwenden? Planlos etwa umherstreifen und warten, bis der Vater und die übrigen sich – vielleicht! – einfanden – ?!

Und bei diesem Vielleicht, das er in seine Gedanken folgerichtig einschaltete, befiel ihn neue Sorge. Wer konnte wissen, ob die Gefährten überhaupt den Weg nach diesem riesigen Tale zufällig entdecken würden – zufällig wie er selbst! Ja – war dies nicht sogar recht zweifelhaft! Hatte ihn nicht eigentlich nur der Sandsturm allein bis hierher gejagt, – war’s nicht ein blinder Zufall gewesen, dieser Sturz in die Tiefe und der nachfolgende Anblick der grünen Oase?! Hätte er, wenn sein Pferd nur fünfzig Meter weiter links sich gehalten hätte, wohl je etwas von diesem versteckten, in das Sandmeer eingebetteten Platze bemerkt –?!

Kurt setzte sich müde und gepeinigt durch all dieses Grübeln jetzt am Rande einer kleinen Lichtung nieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Palmenstamm, dessen mächtige Wedel über ihm mit feinem Knistern ihre Blattstiele aneinander rieben. Eine tiefe Mutlosigkeit hatte ihn befallen. So lange er noch seinen Rotbart bei sich gehabt, war das Gefühl der Verlassenheit auch nicht eine Sekunde in ihm aufgestiegen. Jetzt kam er sich vor wie einer, dem man einen guten Freund geraubt. – Was Tiere dem Menschen bedeuten können, weiß nur der, der einmal ganz einsam war – verlassen von allen und allem! Der wird zum Tierfreund, der lernt im Geschöpf den Schöpfer ehren.

 

5. Kapitel.

Der Herr der Oase.

Dem Knaben fielen die Augen zu. Sein Körper sank zusammen, der Kopf auf die Brust. Er schlief – schlief bald ganz fest, so, wie nur die ermüdete Jugend schläft.

Er träumte auch. Und, was nicht oft geschieht, ganz folgerichtige Geschehnisse: Er sah das alte Bauwerk vor sich, sah Rotbart im Hofe weiden, während auf der Treppe zum Oberbau kein anderer als El Mistra, der Herr der Räuber der Küsül-Kum, saß und in einem alten Buche blätterte – demselben Buche, in das Leutnant von Bleulen seine Angaben über die geheimnisvolle Oase eingetragen hatte. – Dann nahm El Mistra sein Gewehr, zielte auf Rotbart, lächelte wie ein Teufel und –

Kurt Preßler fuhr hoch –

Das war kein Traum mehr gewesen. Das war Wirklichkeit: Ein Schuß war gefallen, – und gar nicht weit von ihm!

Er schlüpfte in die Büsche, schlüpfte lautlos weiter, von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch, bis vor ihm eine größere Lichtung sich auftat.

Und auf dieser mit üppigem Grase bestandenen Lichtung erblickte er ein Bild, das ihn im ersten Moment so seltsam phantastisch anmutete, daß er schon glauben wollte, er träume doch noch weiter –

Unter einem Baume mit ähnlich überhängenden Ästen wie unsere Trauerweiden, stand ein Greis, ganz in hellgelbes, fein gegerbtes Leder gehüllt. Die Tracht ähnelte der altrömischer Senatoren, nur daß der Umhang, die Toga, hier bedeutend kürzer war.

In der Hand hielt der Alte, dessen schneeweißer Bart gegen das gebräunte Antlitz noch schärfer abstach, ein modernes, doppelläufiges Gewehr, dessen eine Patrone er soeben erneuerte.

Nur hin und wieder rief er den beiden Tieren, die zu seinen Füßen kauerten, ein beruhigendes Wort zu, da sie Miene machten, sich auf den zweiten Mann zu stürzen, der sich auf der Lichtung befand und der dem Greise auf kaum vier Schritt gegenüber stand.

Dieser Mann war – Boris Aksakoff, auch El Mistra genannt –!

Sein Gesicht war bleich. Seine Fäuste umklammerten seine Büchse. Die Augen verfolgten [jede Bewegung][2] der beiden Tiere.

Und diese Tiere waren prächtige, ausgewachsene Exemplare der Gattung Leopard, derselben Leopardenart, wie sie in Persien zur Jagd abgerichtet werden und die, in der Gefangenschaft großgezogen, ebenso zahm wie Hunde werden, vor diesen aber als Wächter den Vorteil schärferer Sinnesorgane und stärkerer natürlicher Waffen voraushaben.

Der Greis sprach jetzt ein paar Worte zu Aksakoff, die der Knabe jedoch nicht verstehen konnte. Offenbar hatte der Alte den Russen aber aufgefordert, die Büchse fallen zu lassen.

Aksakoff tat’s. Man merkte, daß nur die Angst vor den Raubtieren ihn hierzu veranlaßte.

Abermals redete der Greis ihn an, hob auch den rechten Arm und deutete geradeaus.

El Mistra, der „Herr“, nickte dazu widerwillig mit dem Kopf, begann jetzt langsam rückwärts gehend, sich zu entfernen, dabei immer die Leoparden im Auge behaltend. So verschwand er drüben zwischen den Büschen.

Der Alte hob die Waffe auf und folgte ihm ohne Eile.

Der Knabe hatte sich während dieser Minute nicht zu rühren gewagt. Die Leoparden mit ihren feinen Nasen hätten ihn nur zu wittern brauchen, und er wäre ebenso in der Gewalt des Greises gewesen wie soeben der Russe, der ohne Zweifel gewagt hatte, auf eine der gelben Bestien zu feuern, aber gefehlt haben mußte.

Kaum war der Alte mit seinen beiden gefährlichen Begleitern gleichfalls im Buschwerk untergetaucht, als Kurt blindlings nach der anderen Richtung davonstürmte. Nur ein Wunsch beseelte ihn: Fort aus der Nähe dieser Raubtiere, gegen die ein Dutzend von El Mistras Gesindel als harmlos gelten mußte!

Blindlings raste er durch den prächtigen Hain – und sah sich als Folge dieser sinnlosen Flucht mit einem Male dem Garten an der einen Seite der Säulenhallen gegenüber. Er prallte zurück, wollte schon kehrt machen. Da – war das nicht Rotbart, der dort behaglich das frische Gras des Hofes rupfte –?!

Kurt war schon mit ein paar langen Sätzen über das Brückchen hinweg, ergriff die Zügel, zog den Fuchs hinter sich her – hinüber über den Steinsteg, schwang sich in den Sattel, – und im Galopp ging’s hinaus aus der Oase ins Freie, in das weite Tal, zurück den Weg, der den Knaben hierher gebracht. Rotbart zeigte, was er leisten konnte. Ihm schien dieses Tempo jetzt, wo er ausgeruht war, Freude zu machen.

Wiederholt blickte Kurt sich ängstlich um. Er fürchtete, der Alte könnte die Bestien hinter ihm drein hetzen.

Nichts geschah. Bald war die Stelle erreicht, wo Roß und Reiter so schön weich von oben in den Sand gefallen waren, bald auch ein schmaler Einschnitt in der Steilwand der Schlucht aufgefunden, der ein Ersteigen der Höhe der umliegenden Wüste ermöglichte.

So ritt denn Kurt Preßler, kaum hoffend, noch einen der Gefährten zu finden, gen Westen zu davon – auf gut Glück.

Er sollte nicht allein bleiben. Nach zwei Stunden, die er damit zugebracht hatte, die Spitzen so und so vieler Sanddünen zu erklimmen und ringsum Ausschau zu halten, bemerkte er einen einsamen Reiter, der auf einem völlig erschöpfen Tiere mehr hing als saß.

Es war El Hissar, der Jomude.

Auch er hatte den Sandsturm leidlich gut überstanden. Nur der Durst quälte Roß und Mann. Beide waren dem Umsinken nahe.

Nachdem die erste Wiedersehensfreude, die auf beiden Seiten gleich ehrlich war, sich gelegt hatte und nachdem Kurt mit der Schilderung seiner Abenteuer fertig geworden, erklärte der Turkmene, er müsse unbedingt für sich und sein Pferd die Wasserschläuche neu füllen. Er würde nach Dunkelwerden bis zur Oase schleichen und dann zu Kurt zurückkehren, der in der Nähe auf ihn warten solle.

So geschah es auch. El Hissar kam glücklich mit vollen Wasserschläuchen wieder, tränkte sein Pferd und wollte sich dann nochmals auf denselben Weg machen. Diesmal jedoch begleitete der Knabe ihn. Und auch jetzt ereignete sich nichts Aufregendes. Nur eins stellten die nächtlichen Wasserholer fest, daß im Oberbau hinter den kleinen Fenstern auf der einen Seite des Gebäudes Licht schimmerte. –

Die Nacht schliefen Kurt und El Hissar in einem steinigen, nahen Seitentälchen. Am Morgen machten sie sich auf, die drei Gefährten zu suchen.

Der Tag verging. Der Erfolg blieb aus.

Kurt wurde immer gedrückter und trauriger, beklagte den Vater bereits als Toten, als unter den Sandmassen des Orkans Begrabenen. El Hissar sprach ihm Mut zu.

„Wir wollen noch einmal einen größeren Bogen nach Norden zu reiten“, meinte er. „Vielleicht stoßen wir dort auf irgend welche Spuren der Vermißten.“

So kam es, daß bereits bei sinkender Sonne dieser letzte Versuch unternommen wurde.

Abermals nichts! – Die Nacht sank herab. Es wurde schnell dunkel. Der Jomude riet, zwischen ein paar Felsen das Lager aufzuschlagen. Bald brannte ein armseliges Feuer, an dem Kurt und El Hissar traurig hockten und aufgeweichte Hirsekuchen aßen, während die Pferde dicht daneben mit hängenden Köpfen dastanden.

Kurt war eingenickt. Plötzlich rüttelte der Jomude ihn wach, raunte ihm zu:

„Das Gespenst der Küsül-Kum –!“

Und wirklich: Da kam’s herbei, das unförmige, leuchtende Etwas, erstrahlend in seltsamem Licht, kam schnell und lautlos näher – immer näher –

Kurt sprang auf, griff nach dem Stutzen. Der Geist sollte heute ein Loch bekommen –!

Da – keine dreißig Schritt vor dem Lagerfeuer machte das Gespenst halt.

Der Knabe riß die Büchse hoch –

Ein lautes, fröhliches Lachen erscholl darauf, dann eine Stimme:

„Aber Junge, Du wirst doch nicht etwa Deinem leiblichen Vater eins in den Leib blasen wollen –!“

Kurt war völlig zu Stein geworden.

Dann warf er den Stutzen beiseite, stürmte auf Preßler zu.

„Vater – Vater – Du –“

Preßler wickelte sich aus all den Leinentüchern heraus, lachte wieder –:

„Ja ich bin’s! Ich wollte Dir nur mal den Geist der Wüste vorführen, mein Sohn! – Ein schlauer Halunke, der Aksakoff, das muß man ihm lassen. Alles ist mit Phosphorlösung eingerieben, sogar die Leine des Dromedars, das freilich unter den langen Tüchern schwer zu erken

nen war. – Doch nun: Auf zu unserem Lagerplatz! Dort findet Ihr den Doktor und Lenz, aber auch Aksakoff –! Ja – staunt nur! Auch wir haben manches erlebt!“ –

Meine jungen Freunde, es soll vorkommen, daß ein Schriftsteller sich vornimmt, eine Erzählung so und so lang zu machen, und nachher – wird’s weit mehr –! – Also: Vielmals Entschuldigung, wenn wir für heute von den Helden dieser Geschichte Abschied nehmen müssen. Immerhin sei so viel gesagt, daß unsere deutschen Landsleute glücklich heimkehrten, daß auch Frau Preßler aufgefunden wurde und daß alles Weitere hierüber nachgelesen werden kann in:

 

Die Säulenburg.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin S. 14.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „erscheinend“.
  2. Die Vorlage ist an dieser Stelle unleserlich. Text sinngemäß ergänzt.