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Ein amerikanisches Duell

 

 

 

Harald Harst

Aus meinem Leben

 

Band: 60

 

Der Leuchter der Lady Dreabram[1]

 

Erzählt von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16, Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1922 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.

 

1. Kapitel.

Miß Sampsons Brief.

Er steht vor mir, der Leuchter der Lady Viktoria Dreabram, die eines so rätselhaften Todes starb.

Er steht vor mir und ruft mir alle Einzelheiten unseres damaligen Abenteuers in Allahabad ins Gedächtnis zurück.

Es ist ein wundervolles Erzeugnis altindischer Goldschmiedekunst. Die schlanken Linien des in Schleier gehüllten Körpers der indischen Tänzerin, deren hochgereckte Arme die Lichthülle in Form eines goldenen Tellers halten, drücken ein ungezügeltes Temperament aus. Das Gesicht aber hat einen scharf herausgearbeiteten, beinahe teuflisch-höhnischen Zug um den Mund. In dem Lichthalter steckt noch die dicke, etwa drei Zentimeter lange Kerze.

Nichts ist an dem Leuchter verändert worden seit dem Tage, als Harald Harst ihn geschenkt erhielt – nichts! Ich betone dieses Nichts, und der Leser wird das nachher verstehen. Diese goldene Tänzerin spielt die Hauptrolle in dem Drama, das ich hier schildern will. Oder doch mit die Hauptrolle. –

Und links von mir liegt auf der Schreibtischplatte jener Brief, den Miß Regina Sampson, die Gesellschaftsdame Lady Dreabrams, damals an Harst nach Bukar, der Residenz des Maharadschas Basava Pur, geschickt hatte, nachdem wir dort das Rätsel von Paragwana restlos gelöst und noch eine Woche als Gäste des Fürsten in Bukar geblieben und an zwei Tigerjagden teilgenommen hatten. –

Der Brief lautet im Auszuge:

„Ich weiß, daß Sie, Master Harst, gerade jetzt wenig Zeit haben, sich mit einem Todesfall zu beschäftigen, dessen [seltsame Begleitumstände sogleich den Verdacht in mir ent][2]stehen ließen, daß mit meiner Freundin plötzlichem Ableben – denn Viktoria Dreabram war mir mehr Freundin als Herrin – Geheimnisse recht dunkler Art verknüpft sein müssen. Um es kurz zu sagen: ich glaube nicht daran, daß Viktoria eines natürlichen Todes gestorben ist!

Doch – ich will zunächst auf Ihre eigene Person zurückkommen, Master Harst. Ich habe in den Zeitungen gelesen, daß Sie mit dem witzigen, intelligenten und so vielgestaltigen internationalen Hochstapler Vincent Saalborg eine Wette abgeschlossen haben, die Sie zwingt, ihn bei einem seiner Streiche abzufassen, falls Sie nicht die Wettsumme von einer Million Dollar einbüßen wollen. Sie können Ihre Kräfte nicht zersplittern, werden es ablehnen, den Tod Viktoria Dreabrams zu untersuchen. Trotzdem wage ich es, Ihnen hier alles mitzuteilen, was mir über Viktorias Ende und die oben erwähnten seltsamen Begleitumstände bekannt ist.

Ich selbst bin eine alte Jungfer von 45 Jahren. Seit fünf Jahren bin ich – oder war ich – Gesellschafterin bei der Witwe Lord Hamilton Dreabrams in Allahabad, wo der Lord früher Major im Kamelreiterkorps war. Mit der Zeit wurde ich Viktorias Freundin, obwohl zwischen uns nicht nur ein Altersunterschied von 20 Jahren, sondern auch eine grundsätzliche Verschiedenheit der Lebensauffassung bestand.

Viktoria war mit zwanzig Jahren Witwe nach nur einjähriger, kinderloser Ehe geworden. Ihr Gatte starb ganz unerwartet an Herzschlag. Viktoria erbte von ihm ein großes Vermögen und das bekannte Dreabram-Schloß in Allahabad, das ursprünglich ein Buddhistenkloster gewesen war. Sie nahm mich als Gesellschafterin zu sich, weil unsere Mütter sich gut gekannt hatten. Als ich aus England nach Allahabad kam, fand ich in Viktoria eine schlanke Frau mit einem Durchschnittsgesicht vor, die den Verlust ihres Mannes bereits überwunden und ihr extravagantes Leben wieder aufgenommen hatte.

Aus geselligem Verkehr machte sie sich nichts. Die 6000 Europäer in Allahabad (neben 170 000 Hindu, Mohammedanern, Chinesen und anderen Farbigen) langweilten sie. Sie hatte nur Interesse für den Sport. Sie war die erste Frau, die sich eine Talham-Flugmaschine aus England verschrieb; sie besaß sechs Reitpferde, acht Autos, etwa fünfzehn Jagdgewehre. Sie lebte ganz für sich in ihrem Riesenpark, lebte nur dem Sport.

Vielleicht können Sie sich jetzt schon ein Bild Viktorias machen, Master Harst. Betonen will ich noch, daß sie mutig, klug, gütig, mildtätig und sehr geistesgegenwärtig war. Sie war extravagant. Aber sie gab den Europäern in Allahabad keinen Anlaß zu übler Nachrede. Sie hat in den fünf letzten Jahren die Stadt kaum ein dutzendmal betreten. Sie empfing nur Damenbesuch, und auch den höchst selten. Sie war Männerfeindin. Sie spottete über die Liebe. In ihrer gütigen, weichen Seele war – anscheinend kein Raum für Liebessehnsucht.

Auch mein Leben wurde durch Viktorias sportliche Neigungen in ganz andere Bahnen gelenkt. Ich fand allmählich Vergnügen an tollen Autotouren, an Segelfahrten auf dem Ganges, an Jagdexpeditionen in die Wildnis der südlich von Allahabad gelegenen Kaimur-Berge.

Nach etwa zwei Jahren begann dann das „Geheimnisvolle“. Ich merkte, daß Viktoria allerlei vor mir verbarg. Sie schloß sich häufig abends in ihre Zimmer ein und wollte dann auf keinen Fall gestört werden.

Zu derselben Zeit etwa fing auch ein amerikanischer Forscher, Stuart Chapping, ein Mann von etwa sechzig Jahren, bei ihr zu verkehren an. Chapping war ein Original. Als „Mann“ rechnete er nicht. Er war häßlich, unhöflich und interessierte sich lediglich für Schmetterlinge, Käfer und Schlangen. Wenn er zu uns kam, meist abends, denn er war unser nächster Nachbar, saß Viktoria mit ihm stets in ihrer Bibliothek. Ich selbst habe Chapping nur selten gesprochen. Er gehörte in Allahabad der Pratischthana-Loge an, einer Vereinigung reicher Herren, die sich in ihrem Klubhause, denn diese Loge ist nichts als ein Klub von Junggesellen, viel mit Spiritismus, Mystik und ähnlichen das Seelenleben nicht gerade günstig beeinflussenden Dingen beschäftigten – oder besser noch beschäftigen.

Chapping soll, wie Viktoria oft betonte, überzeugter Spiritist gewesen sein. Ich selbst habe mit dem unfreundlichen alten Herrn keine zwanzig Worte gewechselt.

Chapping verreiste häufig und sammelte anderswo in Indien Schmetterlinge, Schlangen und Käfer, kehrte aber stets nach Allahabad zurück, wo er einen uralten Steinkasten von Haus in der Nähe der Ostmauer unseres Parkes gemietet und drei Räume darin bewohnbar gemacht hatte.

Wie gesagt: – das Seltsame begann mit Viktorias Neigung, sich abends in ihre Zimmer einzuschließen. Außerdem aber kam sie dann auch von einem Jagdausflug recht bedrückt und traurig zurück: sie hatte einen Inder erschossen, der im Gebüsch geschlafen hatte. Die Kugel Viktorias hatte einer Brillenschlange gegolten, zerschmetterte dem Reptil den Kopf, traf aber auch den Inder gerade ins Herz.

Viktoria meldete dies der Polizei. Es wurde aber kein Verfahren gegen sie eingeleitet. Der Inder war wohl ein Pilger aus einer anderen Gegend. Wie er hieß, woher er stammte, konnte nicht festgestellt werden.

Dieses Unglück passierte vor zwei Jahren.

Kurz darauf sah ich eines Tages, daß aus Viktorias Schlafzimmer ein altindischer Leuchter verschwunden war, der bis dahin stets auf dem Nachttischchen gestanden hatte.“

Hier hatte Miß Regina Sampson eine Beschreibung des Leuchters eingefügt. –

„Ich wußte nun,“ hieß es in ihrem Briefe weiter, „daß dieser Leuchter, den Viktoria sehr schön und eigenartig fand, von ihr ganz zufällig in einem alten Koffer ihres verstorbenen Gatten unter allerlei wertlosen Dingen entdeckt worden war.

Als ich sie fragte, wo die indische Tänzerin (so nannte sie den Leuchter stets) geblieben sei, tat sie sehr erstaunt und wollte vor mir den Eindruck erwecken, als hätte sie den Leuchter noch gar nicht vermißt.

Ich schwieg dazu. Aber es war mir klar, daß sie selbst den Leuchter weggepackt hatte, obwohl sie behauptete, er müsse gestohlen worden sein.

Sie, die an der indischen Tänzerin so sehr hing, zeigte den Diebstahl jedoch nicht an, meinte nur, sie wolle mit der Polizei nichts zu tun haben.

Daß dies eine Ausrede war, durchschaute ich gleichfalls.

Wieder verging ein halbes Jahr. Dann überredete Viktoria mich zur Teilnahme an spiritistischen Experimenten, die sie mit mir allein anstellen wollte. Sie erzählte mir, daß Professor Doktor Chapping ihr eine besondere Methode empfohlen hätte, um sich mit den Geistern der Abgeschiedenen in Verbindung zu setzen.

Ich halte den Spiritismus für Humbug, für Selbsttäuschung. Die sogenannten spiritistischen Phänomene[3], also die erkennbaren Äußerungen der Anwesenheit von „Geistern“, bestehen vor keiner ernsthaften Prüfung.

Viktoria kannte diese meine Ansicht. Aber sie bat so lange bis ich einwilligte.

Ich will Sie, Master Harst, hier nicht mit einer Beschreibung der Methode Professor Chappings langweilen. Viktoria wollte den „Geist“ ihres Gatten zitieren. Erst gelang es nicht. Dann – in einer stürmischen Gewitternacht, als wir wieder in der Bibliothek Lord Hamilton Dreabram aus dem Jenseits herbeizurufen suchten, bemerkten wir in dem dunklen Zimmer plötzlich zwischen zwei Bücherschränken eine schwach leuchtende Gestalt, die aber augenblicklich wieder verschwand, nachdem sie uns, die wir hinter dem großen Mitteltisch saßen, ein Papierkügelchen zugeworfen hatte.

Viktoria[4] schaltete das elektrische Licht ein, strich den Zettel – die Papierkugel – glatt und las die darauf geschriebenen Zeilen, stieß einen leisen Schrei aus und – verbrannte den Zettel mit einem Zündholz.

Als ich sie fragte, was der Zettel enthalten hätte, erwiderte sie ärgerlich:

„Unsinn – nichts weiter! Ich habe vom Spiritismus genug! Gehen wir zu Bett!“

Der Spiritismus war erledigt. –

Genau acht Monate vor Viktorias plötzlichem Tode ereignete sich abermals etwas, das ich hier erwähnen muß: Diebe versuchten nachts durch das Fenster in Viktorias Schlafzimmer einzudringen. Sie erschoß den einen. Der Inder fiel mit Kopfschuß vom Fensterbrett auf die Erde – auf den Kiesweg!

Die Polizei untersuchte den Vorfall. Der neue Detektivinspektor Raap stellte nur eins fest: daß der Erschossene nicht aus Allahabad oder Umgegend stammte. Wie der Inder hieß, konnte genau so wenig ermittelt werden wie damals, als Viktoria den anderen Pilger durch eine Kugel, durch einen unglücklichen Zufall niederstreckte.

Dann – vor vier Wochen, also drei Tage vor ihrem Hinscheiden – kam sie des Morgens gänzlich verändert an den Frühstückstisch. Sie war bleich und sehr nervös. Ihr Blick hatte etwas Leeres, Geistesabwesendes. Sie versuchte ihre völlig verwandelte Gemütsstimmung vor mir zu verbergen, aber es gelang ihr nicht.

Auf meine teilnehmenden Fragen erwiderte sie nur: „Nichts – nichts, – mein Herz setzt mir zu! Ich leide an Atemnot. Ich glaube, ich werde bald sterben.“

Sie hatte in der Tat seit langem eine geringe Herzerweiterung, und ihr Arzt Doktor Bellfast hatte ihr wiederholt geraten, sich körperlich nicht zu sehr anzustrengen.

Ich ließ noch vormittags ohne ihr Wissen den Doktor holen, der sie dann untersuchte und ihr Bettruhe verordnete.

Und sie?! Sie ritt nachmittags fünf Stunden spazieren.

Am nächsten Morgen war sie noch trüber gestimmt. Abends war Professor Chapping bei ihr gewesen und hatte sich verabschiedet, da er nach Amerika zurückkehren wollte. Mir ließ er nur eine Empfehlung ausrichten.

Ich hatte den Eindruck, daß ihr Chappings Abreise sehr nahe ginge. Chapping ist auch wirklich am Tage vor ihrem Tode in aller Stille nach Bombay gefahren. Den Entschluß, Allahabad zu verlassen, muß er sehr plötzlich gefaßt haben.

Am Abend hatte Viktoria einen Schwächeanfall. Aber – ob dieser echt war, bezweifle ich. Sie übertrieb ihre Herzbeschwerden. Weshalb, weiß ich nicht.

Und morgens fanden wir sie entseelt in ihrem Bett auf. Doktor Bellfast stellte Herzschlag fest. Sie wurde auf ihren Wunsch im Parke des Schlosses in einem kleinen Tempel beerdigt.

Sie hatte ein Testament hinterlassen, das sie erst am Tage vorher eigenhändig aufgesetzt und in dem mir sowohl ein großes Legat ausgesetzt als auch die Berechtigung zugesprochen war, Schloß Dreabram so lange zu bewohnen, als ich es wünsche. Die Erbschaft fiel im übrigen auf Wunsch ihres verstorbenen Gatten an eine entfernte Seitenlinie der Dreabrams; der Erbe selbst wird noch gesucht. Es ist der einzige männliche Sproß dieser Seitenlinie, ein Sir Hektor Bechamell, der als Mineningenieur in Australien weilen soll.

Dem Testament lag ein versiegelter Brief für mich bei. Dieses Schreiben hatte die übliche Form eines Abschiedsgrußes an eine liebe Freundin, war nur in der ganzen Art etwas zerfahren und enthielt ein paar Sätze, die ich hier wörtlich anführen möchte:

„Ich werde einmal, wenn ich sterbe, vieles mit ins Grab nehmen, wovon die Welt nichts ahnt und wovon auch ich nur die Empfindung habe, vor einem unfaßbaren Rätsel zu stehen. Ich galt für ein extravagantes Weib. Ich war etwas ganz anderes. Ich wollte Rächerin spielen und werde vielleicht an dieser Rache selbst zu Grunde gehen.“

So, Master Harst, nun wissen Sie alles. Ich bleibe noch sechs Wochen in Allahabad, will dann zu meiner Mutter nach England zurückkehren.“ –

Ich habe diesen Brief stellenweise gekürzt. Er war in vielem recht langatmig. Ich glaube, ich habe durch diese Kürzungen das besser hervorgehoben, worauf es hier ankommt: auf das, was Miß Sampson etwas unrichtig als „Begleitumstände“ bezeichnete.

 

2. Kapitel.

Der Sandalennäher.

Als Harald mir diesen Brief im Residenzschlosse in Bukar vorgelesen hatte, sagte er sofort.

„Schraut, das ist etwas für uns! Es trifft sich ja auch sehr glücklich, daß wir wissen, wo wir Vincent Saalborg zu suchen haben: in Allahabad! Da können wir beides nebeneinander erledigen.“ –

Am nächsten Morgen verließen wir mit unserer Motorjacht Atlanta die Residenz, fuhren die Gogra abwärts bis in den heiligen Ganges-Strom und diesen dann aufwärts bis Allahabad, das uns bereits recht gut von früher her bekannt war.

Allahabad liegt auf einer durch die Einmündung der Dschamna in den Ganges gebildeten Halbinsel.

Das schöne, gartenreiche Europäerviertel der „Stadt Gottes“ (Allah abad) sticht grell gegen die „farbige“ Stadt mit ihren ärmlichen Lehmhütten ab, zwischen denen allerdings zahlreiche Tempel und noch mehr Paläste reicher Inder sich erheben und den kläglichen Eindruck etwas mildern.

Die Atlanta ging in einem Seitenarm des Ganges außerhalb der Stadt vor Anker. Von hier aus hatten wir es bis zum Südeingang des großen Dreabram-Parkes und bis zum Schloß nicht weit.

Unterwegs hatten wir häufiger über Miß Sampsons Brief gesprochen. Harst hatte wiederholt betont, daß die Sätze aus Viktoria Dreabrams Abschiedsbrief an ihre Freundin und Gesellschafterin ohne Zweifel darauf hindeuteten, Lady Dreabram habe sich zum mindesten selbst den Tod gegeben. Er betonte weiter, daß all diese Vorfälle, die Miß Sampson erwähnt hätte, zueinander in Beziehung stehen müßten und daß hier fraglos ein Rätsel seltsamster Art vorliege, das vielleicht gar mit der Person des verstorbenen Lords zusammenhänge, der ja auch durch Herzschlag verschieden sei.

„Insbesondere, mein Alter,“ hatte er einmal geäußert, „dürfte der Tod der beiden unbekannten Inder wichtig sein, ebenso der Leuchter, die Geistererscheinung und der Zettel, den die Lady so schnell vernichtete. Der Fall interessiert mich außerordentlich. Ich habe bisher nach vielem Grübeln nur eine einzige Theorie gefunden, die all diesen Vorfällen leidlich sich anpaßt. Ob sie richtig ist, werden wir nachprüfen.“

Worauf ich ihn gebeten hatte, mir diese Theorie zu entwickeln.

Er hatte erst gezögert, dann aber folgendes ausgeführt, was ich dem Leser, der nicht lediglich Sensation, sondern geistige Anregung wünscht, zur Beachtung empfehle.

„Lord Dreabram kann den Leuchter, mit dem es eine besondere Bewandtnis hat, irgendwo geraubt haben. – Beweis: der Leuchter war in einem alten Koffer versteckt. – Er raubte ihn Indern, die ihn zurückhaben wollten. Als er sich weigerte, töteten sie ihn durch ein Herzgift. – Er hinterließ seiner Frau irgend etwas Schriftliches, das auf diesen Leuchter Bezug hatte. Lady Viktoria kannte jedenfalls etwas von der Geschichte dieser indischen Tänzerin. Denn – weshalb versteckte sie den Leuchter gerade kurz nach dem „Unglücksfall“, der Erschießung des ersten Inders?! – Vielleicht war es kein Unfall, keine fahrlässige Tötung, sondern – Mord aus Notwehr! Vielleicht wollte dieser fremde Inder die Lady zur Herausgabe des Leuchters zwingen. Vielleicht wollte der zweite dasselbe; vielleicht war „der Geist“, der in der Bibliothek erschien und die Papierkugel warf, ebenfalls ein Inder, und der Zettel enthielt eine an die Lady gerichtete Drohung. – Schließlich ihr Tod und ihr Benehmen vor ihrem Tode. Sie war nervös, bedrückt: sie macht am Tage vor ihrem Ableben ein Testament, schreibt an die Sampson einen Abschiedsbrief, spricht darin von „Rache“, an der sie selbst zu Grunde gehen wird. Ich denke, sie wird den Tod ihres Gatten haben rächen wollen. Mit aus diesem Grunde erschoß sie die beiden Inder. Aber – jemand kannte die Wahrheit, drohte ihr mit Anzeige, und deshalb – tötete sie sich selbst. Dieser Jemand kann Professor Chapping gewesen sein. – Weshalb sie sich in ihre Zimmer so oft abends einschloß und ob diese meine Theorie in den Hauptzügen stimmt, wird sich ja bald herausstellen.“ –

Wir machten Miß Sampson mittags kurz nach unserer Ankunft unseren Antrittsbesuch.

Das „Schloß“ Dreabram verdient kaum diese Bezeichnung. Daß es einst ein Buddhistenkloster war, sieht man auf den ersten Blick. Es ist aus blaugrauen, gebrannten Ziegeln errichtet und besteht eigentlich aus vier Gebäuden, die erst später miteinander verbunden wurden. Nur der Mittelbau ist modernisiert, hat hohe Fenster, helle luftige Zimmer und Säle und wirkt im Innern wie die elegante Villa eines schwerreichen Mannes. –

Miß Sampson empfing uns in einem zierlichen Damensalon. Sie selbst war nicht zierlich. Sie wog wohl ihre 180 Pfund, hatte ein gutmütiges, volles Gesicht und auf der dicken Nase zwei behaarte Knollen, die mich insofern beruhigten, als ich mir sagte, daß diese Sampson auf keinen Fall unser Wettgegner, der tausendgestaltige Vincent Saalborg, sein könnte. Denn diese Knollen und Haare waren echt. Die ließen sich nicht künstlich anbringen.

Miß Sampson war hocherfreut, drückte uns die Hand und meinte, Harald solle sie nur nach Herzenslust ausfragen. Sie würde ihm nichts verheimlichen.

„Haben Sie nach dem Leuchter gesucht?“ begann Harst darauf.

„Ja. Ich habe ihn nicht gefunden.“

„Glauben Sie, daß Lady Viktoria ihren Gatten geliebt hat?“

„Hm – ich möchte mit Ja antworten, Master Harst, obwohl Vicky, eben Viktoria, stets so tat, als ob –“

„Schon gut. – Haben Sie noch etwas über Professor Chapping gehört?“

„Nein. Nichts. Er hat auch nie mehr an einen seiner hiesigen Logenbrüder – oder Klubfreunde besser – geschrieben. Das weiß ich bestimmt. – Bitte, rauchen Sie doch, meine Herren. Ich kenne Ihre Leidenschaft für Zigaretten, Master Harst –“

Harald holte sein Etui hervor.

„Rauchte Lady Vicky?“ meinte er und setzte sein Feu[erzeug in Brand.

„Ja – bei ihren spiritistischen Experimenten brauchte sie][5] diese Anregung.“

„Wie sah Chapping aus?“

„Oh – scheußlich! Er hatte eine blaurote Nase mit aufgeblähten Nüstern, graues, gescheiteltes Haar, grauen Vollbart, trug goldene Brille, hatte kleine, zusammengekniffene Augen, war mittelgroß, hager und litt an nervösem Husten. Er krächzte nach jedem dritten Wort.“

„Haben Sie ein Bild Lady Vickys da?“

„Ja – bitte, – hier!“

Es war eine Kabinettphotographie. Lady Dreabram trug Gesellschaftstoilette darauf. Sie sah aus wie ein verkleideter Mann mit ihrem mageren Sportgesicht und dem Tituskopf.

„Ich darf das Bild wohl eine Weile behalten?“ meinte Harst.

„Bitte, gern.“

Harald fragte noch dies und jenes. Aber – Neues oder etwas Aufklärendes erfuhren wir nicht.

Dann schaute er die dicke Sampson voll an.

„Ob nicht Professor Chapping ein etwas dunkler Ehrenmann war? Ob er nicht mit Lady Dreabrams Tod etwas zu tun hat?“ sagte er mehr als Behauptung denn als Frage.

Miß Sampson nickte eifrig. „Denselben Argwohn hege ich schon lange, Master Harst.“

„Wo wohnt Chapping in Amerika?“

„Das weiß hier niemand. Oder genauer: er sagte stets, er hätte keinen festen Wohnsitz. Detektivinspektor Raap hat mit mir letztens noch über Chapping gesprochen. Ich hatte das Gefühl, daß er mich aushorchen wollte.“

„So – so –“

„Ja – Raap scheint Chapping auch nicht getraut zu haben.“

„Würden Sie uns mal die Bibliothek zeigen, wo damals der „Geist“ auftauchte?“

„Kommen Sie, meine Herren. Sie liegt drei Zimmer weiter.“ –

Das Zimmer war lang und schmal und enthielt nur mächtige Bücherschränke, einen ovalen Tisch und sechs Klubsessel.

„Dort zwischen jenen beiden Schränken erschien der „Geist“,“ erklärte Miß Sampson.

Die Wände waren noch aus der Zeit der Buddhistenmönche bis zur Decke mit tief nachgedunkeltem und zum Teil reich geschnitztem Holze verkleidet.

Der Zwischenraum zwischen den beiden Schränken betrug etwa anderthalb Meter.

Harst besichtigte voller Interesse die altertümlichen Schnitzereien.

„Sehr wertvoll!“ meinte er. „So, Miß Sampson, wir werden uns jetzt verabschieden, kommen aber vielleicht schon abends wieder.“

Als wir durch den Park schritten, schob Harald seinem Arm in den meinen und flüsterte:

„Du – es war wirklich sehr wertvoll! Es ist der Anfang des Fadens, an dem wir uns weiter durch diese Geheimnisse hindurchfinden werden. In der Wandtäfelung zwischen den Schränken muß eine Tür verborgen sein. Das war mir schon klar, als ich den Brief der Sampson las. Und vorhin wurde es mir noch klarer. Der Geist ist durch diese Tür gekommen – sehr einfach! Und Professor Chapping, mein Alter, wohnte in einem alten Gebäude an der Ostmauer des Parkes! Hm – ob es nicht lohnend wäre, dieses alte Haus sich anzusehen? Wenn es leer steht, möchte ich es mieten.“ –

Wir fanden das Haus sehr leicht. Es war aus denselben blaugrauen Ziegeln errichtet, hatte ein spitzes Dach, nur ein Stockwerk und sah völlig verwahrlost aus. Es lag in einem verwilderten Garten, dessen Mauer nur noch in spärlichen Resten vorhanden war.

An der schwarzen, gebeizten Tür, zu der sechs Stufen emporführten, hing ein Klopfer.

Harst setzte ihn in Bewegung. Nach einer Weile öffnete ein schmieriger, alter Inder mit weißem Bart und schmutzstarrendem Kopftuch, erklärte in miserablem Englisch, daß er das Haus gemietet hätte und daß er mit weißen Sahibs nichts zu tun haben wolle.

Er machte Miene, die Tür wieder zuzuschlagen. Da er halb taub war, wollte Harst ohne langes Reden ihn freundlicher stimmen, hielt ihm eine Zehnpfundnote hin und fragte, ob der Alte uns nicht die drei Zimmer abtreten würde, die Professor Chapping bewohnt hätte.

Der Schmierfink griff gierig nach der Banknote, wurde jetzt die Liebenswürdigkeit selbst, ließ uns in den Flur eintreten und stieß rechts eine Tür auf. In dieser Höhle hauste er selbst, wie er uns bedeutete. Er war Sandalennäher, also Schuster, was auch der Arbeitstisch am Fenster verriet.

Dann führte er uns durch die Tür links in die drei „vornehmen“ Räume, in denen noch die bescheidenen Möbel standen, die der Amerikaner für sich gekauft und vor seiner Abreise dem Hausbesitzer, einem Kaufmann in Allahabad, geschenkt hatte.

Harald gab dem Alten weitere zehn Pfund, und damit war die Sache erledigt.

Wir kehrten auf die Atlanta zurück, und unsere Leute trugen sofort unsere beiden Koffer nach dem neuen Quartier. Unser Schiffskoch Hull sollte als Diener bei uns bleiben. – Zunächst aßen wir noch an Bord Mittag. Unser Kapitän Banfy schnitt ein sehr bedenkliches Gesicht, weil wir in „jener Räuberhöhle“ hausen wollten. Er begleitete uns nachher, bekam nun auch den alten Inder zu sehen und war recht erstaunt darüber, daß die drei Räume so behaglich, wenn auch nicht gerade luxuriös wirkten. – Hull wurde in dem dritten, nach hinten gelegenen Zimmer untergebracht.

Wir konnten uns auf Banfys und Hulls Verschwiegenheit unbedingt verlassen. Es war auch in jedem Falle besser, daß sie wußten, was wir vorhatten.

Da der Inder nach der Stadt gegangen war, machten wir vier uns sofort an die Arbeit, das heißt, wir durchsuchten Professor Chappings Zimmer und Möbel auf das allergenaueste.

Nach zweistündiger Arbeit gaben wir die Sache auf. Das, was Harald vermutet hatte, war ein Trugschluß gewesen: es war hier keine geheime Tür vorhanden, die etwa in einen unterirdischen Gang geführt hätte, der bis zum Dreabram-Schlosse hinlief. – Es war hier überhaupt nichts vorhanden, was Harald irgendwie Gelegenheit gegeben hätte, seine staunenerregende Kombinationsgabe wieder einmal zu beweisen.

Banfy und Hull verabschiedeten sich. Hull wollte von der Atlanta noch einen Petroleumkocher, Geschirr und Lebensmittel mitbringen.

Wir waren allein. Wir saßen in dem Zimmer neben dem Flur, das Chappings Arbeitszimmer gewesen war.

Harst rauchte eine seiner Mirakulum. Er war plötzlich wie verwandelt. Soeben hatte er noch mit Hull über ein paar blonde Härchen gescherzt, die der Koch auf dem Bastteppich im Schlafzimmer nebenan gefunden hatte.

Jetzt saß er da und starrte zum Fenster hinaus in den grellen Nachmittagssonnenschein, führte ganz mechanisch die Zigarette zum Munde, sprach kein Wort.

Dann hörten wir beide gleichzeitig irgendwo im Hause eine Tür knarren.

Und – der alte Sandalennäher war noch nicht anwesend! Wir waren doch allein im Hause –!

Haralds geistesabwesender Blick wurde blitzschnell lebhaft und zielbewußt.

Er stand lautlos auf.

Dann gellte ein Schrei durch das Haus – ein Schrei aus weiblicher Kehle.

Es war ein Hilferuf gewesen. Aber der verzweifelte, wahnwitzige Aufschrei wurde jäh erstickt, brach ebenso plötzlich ab, wie er erklungen war.

Selbst Harst stand vor Schreck sekundenlang regungslos. Dann sprangen wir beide gleichzeitig zur Flurtür.

 

3. Kapitel.

Das Geheimnis des Hauses.

Wir eilten also durch die Tür in den 1. Flur, der völlig dunkel war. Die Tür war verschlossen. Harst stürmte weiter in den 2. Flur, der ebenfalls ohne Beleuchtung war. Wir hatten diese Räume bisher nicht betreten, hatten vorhin auch nur in des Inders Zimmer hineingeschaut.

Unsere Taschenlampen zeigten uns, daß auch im 2. Flur nichts Auffälliges vorhanden war. Die Tür war verschlossen. Der mächtige Schlüssel steckte von innen, genau so wie bei der anderen Tür, die uns den direkten Zutritt zum 2. Flur versperrt hatte.

Wir standen nun hier und lauschten, hofften, daß wir noch irgend etwas hören würden, was uns Aufschluß über den Hilferuf hätte geben können.

Alles blieb still.

Harald schloß dann die eine Tür auf. Das Tageslicht flutete herein.

Und da erst sahen wir beide auf dem mit Ziegelsteinen ausgelegten Boden in einer Ritze etwas blinken – eine kleine Goldmünze!

Harst hob sie auf. Es war eine altindische Münze mit einer angelöteten Öse, an der noch zwei Glieder eines Kettchens hingen.

Wir beide schauten uns an. Wir hatten denselben Gedanken. Diese Münze hatte zu einer altertümlichen Goldbrosche gehört, die Miß Sampson mittags im Kragen ihrer Bluse getragen hatte!

„Man hat ihr die Kehle zugedrückt,“ flüsterte Harst. „Und dabei ist die Münze abgerissen worden.“

Er ging dann durch die Tür zum Fenster und untersuchte es, kam zu mir zurück und sagte: „Die Leute hätten nur durch dieses Fenster das Haus verlassen können. Aber das Fenster ist verriegelt. Mithin ergibt dies einen weiteren Beweis für – nun, wofür?“

„Für den unterirdischen Gang –“

„Natürlich. Also – suchen wir ihn und die Geheimtür und die Treppe, die dorthin führen. – Ist Dir nicht etwas bei der Durchsuchung unserer drei Räume aufgefallen, mein Alter? Ich meine, was die Länge unseres Arbeitszimmers betrifft?“

„Nein. Nichts.“

„So so. – Nun – es ist nicht ganz so lang, als das Haus tief ist. Und hier im Hinterflur fehlt eine nach links, also in unsere Räume mündende Tür, die auch in Hulls Zimmer fehlt. – Komm’ mal mit –“

Wir traten in den Hintergarten hinaus.

„Da, die rechte Wand – unsere Haushälfte – hat nur ein Fenster – dasjenige von Hulls Stube. Mithin muß es zwischen Haushinterwand, Hulls Stube, unserem Arbeitszimmer und diesem Flur einen kleinen, fensterlosen Raum geben – fensterlos und ohne Eingang, ohne einen Zugang, der sofort wahrnehmbar wäre –“

„Ah – das stimmt!“

„Und die Leute oder der Mann, der Miß Sampsons Hilferuf im Hinterflur mit brutalem Griff erstickte, kann nur von diesem Hinterflur aus mit der Sampson irgendwohin verschwunden sein – nicht in den Garten! Das ist ja der Sachlage nach unmöglich. Mithin –“

„– muß sich im Hinterflur eine Geheimtür befinden,“ vollendete ich den Satz.

„Ja. Nur dort. Und zwar fraglos nach dem fensterlosen Raume hin!“

Wir gingen wieder in den Flur.

Die Wände bestanden aus rohem, unverputztem Mauerwerk.

Harst prüfte die linke Wand, stocherte mit der Messerklinge in den Mauerritzen, schüttelte den Kopf und sagte schließlich:

„Hier gibt es keine Geheimtür!“

Sinnend schaute er vor sich hin. Dann öffnete er die Türen und schloß sie, öffnete sie abermals.

„Sie knarren nicht!“ meinte er. „Und – wir hörten doch das Knarren einer Tür, bevor der Schrei erklang. Welche Tür hat geknarrt?“

Plötzlich richtete er den Blick nach oben.

Die Decke bestand aus ungetünchten, tief nachgedunkelten mächtigen Balken und Brettern.

Er nahm die Taschenlampe, reckte den Arm hoch, so daß der Lichtkegel den Teil der Decke über der Stelle, wo wir die Goldmünze gefunden hatten, hell bestrahlte.

Zuerst war nichts Besonderes zu bemerken.

Dann aber, als die Augen die sichtbaren Teile eines gut ½ Meter breiten Balkens genauer geprüft hatten, erkannte man, daß die Struktur des Holzes nicht einheitlich war. Es schien dort ein Stück von ein Meter Länge eingesetzt worden zu sein.

Harald nickte mir zu. „Du mußt Leiter spielen, mein Alter –“

Er kletterte mir auf die Schultern, drückte an dem eingesetzten Balkenstück und – hob es empor.

Und – da ertönte dasselbe Knarren, mit dem dieses erste Erlebnis in dem alten Backsteinhause begonnen hatte.

Harst schwang sich durch die schmale Falltür nach oben, schaltete seine Taschenlampe ein, legte sie beiseite und reichte mir eine Bambusleiter hinab, so daß ich ganz bequem ihm folgen konnte.

Wir standen nun auf dem dunklen Boden des Hauses, der einen einzigen Raum bildete. Er war leer – vollständig leer.

Harald nahm seine Taschenlampe auf und schritt über die Balken hinweg – über zwei. Beim dritten machte er halt, leuchtete ihn ab und sagte:

„So – wir haben’s!“

In dem Balken steckte ein krummer, dicker, harmloser Nagel. Und doch war er der Griff für eine zweite genau so raffiniert angelegte Falltür.

Harald zog sie auf, lehnte sie zurück, ließ den weißen Lichtkegel in die Tiefe fallen, meinte:

„Ah!“

Eine zweite Bambusleiter lehnte an der Wand des engen Gelasses. – Wir kletterten hinab. Außer der Leiter war es leer. Auch hier nackte Mauern. Aber hier fand Harald die Geheimtür, die in der sehr dicken Wand nach unserem Arbeitszimmer hin angebracht war: ein mit Backsteinen ausgefüllter dicker Eisenrahmen.

Harst schickte mich nun zurück, damit ich die Tür verschlösse und die Falltüren herabklappte.

Dann erst setzten wir die Untersuchung dieses alten Hauses fort.

In der dicken Mauer führte eine Treppe in einem schrägen Tunnel abwärts. Sie mündete nach dreißig Stufen in einen gemauerten Gang, der sehr schmal und niedrig war.

Die Mauersteine waren mit Schimmel und Pilzen bedeckt. Die Luft roch nach Moder. Der Boden, mit Backsteinen ausgelegt, war ebenfalls mit Pilzen überzogen, aber nur an den Seiten. In der Mitte hatten menschliche Füße diesen Überzug beim häufigen Hin- und Hergehen beseitigt.

„Alles genau so, wie ich es gleich vermutete und wie es mir zur Gewißheit wurde, als Hull auf dem Bastteppich die blonden Haare fand,“ meinte Harald leise, als wir jetzt den Gang hastig weiter verfolgten.

„Die blonden Haare?“

„Ja – Lady Vicky war blond und trug das Haar nach Männerart. Hull sammelte gegen zwanzig Haare. Und der Bastteppich liegt vor dem Kleiderschrank mit dem großen Spiegel.“

„Also – also hat Lady Dreabram den Professor Chapping vielleicht besucht, wenn sie sich abends einschloß und nicht gestört sein wollte?“

„Sie hat ihn besucht. Sie stand mit ihm so vertraut, wie dies zwischen zwei Menschen nur in einem Falle möglich sein kann –“

„Ah – sie war seine Geliebte oder gar heimlich mit ihm verheiratet?“

„Nein – noch vertrauter! – Errätst Du es nicht? Denke bitte an Chappings Eigentümlichkeiten, sein Hüsteln, seine Häßlichkeit, seinen Vollbart, sein graues Haar, seine Unhöflichkeit Miß Sampson gegenüber, die mit ihm kaum zwanzig Worte gewechselt hat! Denke daran, daß Lady Vicky mit ihm stets allein war. Wenn ich Miß Sampson gefragt hätte, ob sie Chapping und Vicky jemals gleichzeitig gesehen habe, würde sie bestimmt geantwortet haben: Nein!“

Da ging mir ein Licht auf.

„Die Lady war Chapping!“ rief ich. „Sie hat Chapping hier vorgestellt. Der Professor reiste ja auch am Tage vor ihrem Tode ab, und niemand hat je wieder etwas von ihm gehört!“

„Na also – endlich! Es hat nie einen Chapping gegeben, stets nur Lady Dreabram, die als amerikanischer Professor hier auftrat und die Doppelrolle mit Hilfe dieses unterirdischen Ganges tadellos durchführte, auch im übrigen so tadellos, daß niemand etwas argwöhnte. Ein seltenes Weib muß diese Vicky gewesen sein!“

Er blieb plötzlich stehen.

Unsere Taschenlampen vereinigten ihren Schein, fielen auf die Gestalt eines Weibes, das gefesselt am Fuße einer Steintreppe lag, – gefesselt und geknebelt: Miß Regina Sampson! –

Sie war bei Bewußtsein. Wir lösten die Stricke, zogen den Knebel aus ihrem Munde.

Ihre Augen waren matt und glanzlos. Sie konnte kaum flüstern. An ihrer Kehle zeigten sich noch die roten Stellen, wo sie gewürgt worden war.

Sie erholte sich rasch. Sie war keine alte Jungfer in des Wortes schlechter Bedeutung. Sie hatte Mut und Energie.

„Ich muß Ihnen schnell erzählen, was geschehen ist,“ flüsterte sie, nachdem wir sie auf die unterste Treppenstufe gesetzt hatten, wo Harst sie stützte. „Es war furchtbar. Es war das Entsetzlichste, was ich je erlebt habe. – Vor etwa zwei Stunden hatte ich mir nach dem Mittagessen alles nochmals[6] genau überlegt, was Vickys Tod betraf. Und dabei kam mir der Gedanke, es könnte zwischen den beiden Schränken in der Bibliothek eine Geheimtür geben, die –“

„– Sie dann fanden. – Weiter!“

„Ja. Und gerade als ich sie entdeckt hatte, klopfte es und ein Diener meldete mir zwei indische Herren, angeblich Kaufleute aus der Stadt Ambala am Fuße des Siwalik-Gebirges. Ich ließ sie in die Bibliothek bitten. Ich war ja ganz ahnungslos.

Es waren zwei europäisch gekleidete, gebildete Inder von tadellosen Umgangsformen, beide etwa fünfzig Jahre alt.

Sie nahmen in den Klubsesseln Platz, und der eine, der sich Pahnwar nannte, fragte, ob ich nicht indische Altertümer zu verkaufen hätte.

Ich verneinte.

Da zog der andere, Gondar, einen Revolver und drohte, mich zu erschießen, falls ich auch nur den geringsten Laut von mir geben würde.

Pahnwar benutzte meine Überraschung dazu, hinter meinen Sessel zu treten und mir die Spitze eines Dolches dicht vor die Kehle zu halten.

Gondar schloß die Bibliothek ab, stellte sich vor mich hin und fragte: „Miß Sampson, wo ist der alte goldene Leuchter geblieben, den Lady Dreabram auf dem Nachttischchen zuletzt stehen hatte?“

Ich erwiderte ziemlich gefaßt, ich wüßte es nicht. – Die beiden glaubten mir nicht. – Gondar sagte: „Wir müssen den Leuchter haben, Miß! Wir werden hier suchen. Er ist hier versteckt, hier in den Zimmern, die Lady Dreabram bewohnt hat!“ – Gondar blieb bei mir. Pahnwar ließ die Verbindungstüren offen, verschloß die Flurtüren und begann zu suchen. Als er nichts fand, kehrte er in die Bibliothek zurück, klopfte die Wände ab und warf die Bücher aus den Schränken. Die beiden Inder wurden immer erregter. Gondar wollte mir wiederholt den Dolch in die Kehle stoßen. Sie hofften, von mir ein Geständnis zu erpressen.

Dann hatte Pahnwar in dem einen Schranke plötzlich ein Geheimfach entdeckt. Es enthielt aber nur ein Bündel Papiere, eine graue Perücke, einen falschen Bart und andere seltsame Dinge – seltsam als Inhalt eines Geheimfachs: Schminken, Fläschchen, Watte, eine Tube Klebstoff und ähnliches.

Gondar war auf den verfrühten Jubelruf seines Genossen nach dem Schranke geeilt. Ich blieb für Sekunden ohne Aufsicht. Und – ich entfloh, riß die Geheimtür auf, stürzte im Dunkeln die Treppe hinab, tastete mich an den Wänden weiter, bis wieder eine Treppe mich emporführte.

Und hinter mir keuchten in der Finsternis die Inder drein.

Ich war halbtot vor Angst. Oben auf der zweiten Treppe fanden meine tastenden Finger den Hebel, der die gemauerte Geheimtür verschlossen hielt. Ich taumelte hindurch – gegen die Bambusleiter, stieg sie empor – ohne klaren Gedanken, rein instinktiv, schlug mit dem Kopf gegen den Balken oben, der etwas nachgab.

Es war die Falltür. Und auf dem Boden des Hauses flüchtete ich weiter.

Mein Rock blieb an einem Nagel hängen. Der Nagel war der Griff der anderen Falltür.

Ich packte die Leiter, wollte abwärts, hatte schon – immer im Dunkeln – drei Sprossen zurückgelegt, als der eine Inder mir auf die Hand trat.

Ich fiel hinab, schrie um Hilfe. Er würgte mich. Sie zerrten mich wieder empor. Ich verlor das Bewußtsein. –

So – das wäre alles –“

 

4. Kapitel.

Die beiden Inder.

„Bleiben Sie hier, Miß Sampson,“ sagte Harald. „Sie haben nun nichts mehr zu befürchten. Wir werden in die Bibliothek hinaufgehen. Ich denke, Gondar und Pahnwar werden in Lady Vickys Zimmern sein. Ihnen liegt offenbar so viel an dem Leuchter, daß sie von neuem suchen werden. Mit einem Erscheinen von Leuten durch die Geheimtür rechnen sie kaum.“

Wir stiegen die Treppe empor. – Der Verschluß der Geheimtür war sehr kunstvoll und gut geölt. Sie öffnete sich lautlos nach der Treppe zu.

Harald, der als erster die Bibliothek betreten wollte, stutzte.

„Ah – was bedeutet das?!“ flüsterte er.

Ich drängte mich neben ihn.

Und – ich sah allerdings dort ein Bild, das niemand vorausgeahnt hätte.

Hinter dem ovalen Mitteltisch saßen in zwei Klubsesseln die beiden Inder, – saßen so, daß ihnen die Arme mit weißen Gardinenschnüren lang über den Tisch gebunden waren. Die Schnüre waren an den Tischbeinen befestigt.

Die intelligent ausschauenden braunen Herren stierten uns aus ihren dicht an den Tisch geschobenen Sesseln mit wilder, ohnmächtiger Wut entgegen.

Ah – auch ihre Beine waren gefesselt! An die Sesselfüße! Es war eine sehr raffinierte Fesselung. –

Wir traten ein.

Die rötlichen Strahlen der sinkenden Sonne tauchten das Zimmer in ein phantastisches Licht.

Harald setzte sich den Indern gegenüber; ich neben ihn. Er zog sein Zigarettenetui, klopfte den Tabak einer Mirakulum auf der Tischplatte fest und fragte unsere wehrlosen Tischgefährten:

„Wie stahl Lord Hamilton Dreabram Ihnen den Leuchter?“

Keine Antwort.

„Er stahl ihn – das ist klar,“ meinte Harald gelassen und hielt das brennende Feuerzeug an die Zigarette. „Und Sie suchen ihn seit Jahren wiederzuerlangen. Sie oder einer Ihrer Freunde, die an dieser Leuchter-Geschichte mit interessiert sind, haben den Lord umgebracht – durch Gift.“

„Das ist nicht wahr!“ entfuhr es dem einen der Inder. „Wer sind Sie, meine Herren? Wir haben Sie noch nie gesehen!“ fügte er höflich hinzu.

„Ich heiße Harald Harst und bin Liebhaberdetektiv,“ erwiderte Harald ebenso höflich. „Dies hier ist mein Freund Schraut –“

Der Inder drehte den Kopf und flüsterte dem anderen etwas zu. – Harst duldete es ruhig. Sie besprachen sich immer lebhafter, bis dann der größere, der bis jetzt geschwiegen hatte, sagte:

„Master Harst, wir besinnen uns auf Bilder, die wir in illustrierten Zeitschriften von Ihnen beiden gefunden haben. Wir haben von Ihnen auch genug gehört und wissen daher, daß Sie das Recht schützen und das Unrecht verfolgen. Wir wollen Ihnen im Vertrauen auf Ihre Verschwiegenheit alles das über den goldenen Leuchter berichten, was wir erzählen dürfen. Ich werde mich dabei streng an die Wahrheit halten. Wir sind Mohammedaner, und ich schwöre Ihnen beim Barte des Propheten, daß ich nichts verheimlichen will, was Ihnen das klare Bild der Wirklichkeit trüben könnte.

Zunächst – niemand von uns hat Lord Dreabram ermordet. Im Gegenteil: sein Tod war uns sehr unwillkommen. Wir hätten den Lord lieber in unsere Gewalt gebracht. Aber er war zu vorsichtig. Gemordet wurde nur von der Gegenseite: durch den Lord und seine Gattin! Letztere hat zwei von uns erschossen, als sie gezwungen werden sollte, den Leuchter herauszugeben.

Lord Dreabram war Major im Kamelreiterkorps. Auf einem Übungsritt in die Kaimur-Berge, die von der Zivilisation bisher verschont geblieben und in ihren südlichen Teilen erst wenig erforscht sind, fand er bei einer Jagdstreife auf Bergschafe in einem Tale eine uralte, kleine Moschee, von deren Existenz bis dahin nur die Mitglieder unserer Familie Kenntnis gehabt hatten. Mein Großvater Mohammed ben Gondar war der letzte Priester dieser Moschee. Er hatte meinem Vater befohlen, die Moschee stets gut in Stand zu halten, und hatte ihm ganz besonders ans Herz gelegt, die in der Moschee in einer reich geschnitzten Truhe aufbewahrte Leuchterstatue vor jedem Europäer zu behüten, da mit diesem Leuchter ein Geheimnis verknüpft sei. Welcher Art dieses Geheimnis ist, darf ich nicht verraten. – Mein Sohn Ali hatte damals gerade in der Moschee die Wache. Die Männer unserer Familie lösten sich alle vier Wochen als Wächter ab. Der Lord wollte den Schrein aufbrechen. Ali trat ihm entgegen, und der Lord schoß ihn nieder. Der sterbende Ali wird dem Lord dann wohl in einer Weise mit unserer Rache gedroht haben, die Dreabram auf den richtigen Gedanken brachte: daß der goldene Leuchter mit einem besonderen Geheimnis in Zusammenhang stehe.

Er raubte ihn. Wir haben lange Zeit gebraucht, bevor wir herausbekamen, wer der Räuber gewesen. Wir sandten verschiedentlich Drohbriefe an den Lord, des Inhalts, daß er den Leuchter herausgeben solle.

Er tat es nicht. Dann starb er. Wir versuchten dasselbe bei seiner Gattin. Sie war eine mutige Frau. Es war schwer, sie einzuschüchtern. Zwei von uns tötete sie. Wir haben sie beständig beobachtet. Sie war so kühn, den Leuchter in ihr Schlafzimmer zu stellen. Aber – sie hatte sich gegen Diebe gesichert. Nachts zog sie Drähte vor die Fenster, die mit der elektrischen Lichtleitung verbunden waren. – Aus Angst vor uns hat sie den Leuchter schließlich wieder versteckt. Dann starb auch sie. Wir haben ihr ebensowenig Gift beigebracht wie ihrem Gatten.

Heute nun wollten Pahnwar und ich endlich durch einen Gewaltstreich den Leuchter zurückgewinnen. Miß Sampson hat nur sechs Diener behalten. Drei davon waren heute beurlaubt. Die übrigen haben wir durch vergiftete Zigaretten, die wir dem uns anmeldenden Diener schenkten, betäubt. Miß Sampson floh. Wir fingen sie, fesselten sie, wollten hier nochmals nach dem Leuchter suchen. Als wir dieses Zimmer wieder betraten, richtete sich plötzlich dort hinter jenem Fenstervorhang ein Europäer auf, dessen Hände je einen Revolver hielten. Er hatte einen blonden Bart und trug im rechten Auge ein Monokel, zielte auf uns und zwang Pahnwar, zuerst mich zu fesseln. Dann tat er dasselbe mit mir.

Als er uns hier an den Tisch gebunden hatte, setzte er sich auf die Tischkante und zeigte uns lächelnd seine Revolver, die nur Revolverattrappen waren und Zündhölzer und Zigaretten enthielten.

Er war sehr höflich, sagte, daß er Vincent Saalborg heiße und von Beruf Gentleman-Hochstapler sei. „Ich habe die bewußtlosen Diener unten gefunden,“ – erklärte er weiter. „Ich wollte hier im Schlosse mir einiges von den Juwelen der Lady Dreabram aneignen, deren Erbe auch an der Hälfte noch genug hat. Ich habe dort hinter der Gardine gestanden, nachdem ich die Tür des Salons von außen geöffnet hatte. Ich sah die offene Geheimtür und wartete auf Ihre Rückkehr. – Was suchten Sie hier? Ich sage Ihnen gleich, daß ich besser zu suchen verstehe als Sie beide.“

Wir schwiegen. – Und er begann jetzt die Zimmer zu durchstöbern. Nach zehn Minuten kehrte er zu uns mit einer scheinbar alten, plumpen Buddhastatue aus gebranntem Ton zurück und trug in der anderen Hand eine Stahlkassette, die er in einem geheimen Wandfach gefunden hatte. Die Buddhastatue hatte ganz offen auf einer Säule gestanden. Er sagte nun: „Diese Statue ist viel zu schwer für reine Tonmasse. Sie muß einen schweren Kern haben.“ Er zerschlug sie, und – in dem Buddha hatte der goldene Leuchter gesteckt! – Er öffnete dann die Kassette mit einem Brecheisen, schob eine Menge Juwelen in die Tasche und meinte: „Ich sehe Ihren Gesichtern an, daß Sie es auf diesen Leuchter abgesehen gehabt hatten. Wären Sie offen mir gegenüber gewesen, hätte ich Ihnen das Ding gegeben und Sie befreit. So aber nehme ich ihn mit und überlasse Sie Ihrem Schicksal.“ – Dann ging er schnell davon, bevor wir ihn noch überreden konnten, uns den Leuchter auszuhändigen. Dieser Vincent Saalborg ist erst kurz vor Ihrem Erscheinen von dannen geeilt, Master Harst.“

Harald stand auf. „Ich glaube Ihnen, Mohammed ben Gondar. Ich werde Sie befreien. Gehen Sie Ihrer Wege. Ich fürchte, der Leuchter wird für Sie verloren sein, denn der Mann, der ihn jetzt im Besitz hat, ist der einzige Verbrecher, der mir ebenbürtig ist. Sollte ich den Leuchter je ihm abjagen, sollen Sie ihn wiederhaben. Wo wohnen Sie, Gondar?“

„In Bardi am Son-Fluß, Master Harst. – Wir danken Ihnen. Wir haben uns in Ihnen nicht getäuscht.“

Gleich darauf verließen die beiden Inder das Schloß.

Wir holten Miß Sampson, und Harald tat ihr gegenüber so, als wären die Inder entflohen, riet ihr auch, der Polizei nichts von diesen Vorgängen zu melden, da –

„– es jetzt klar ist,“ sagte er wörtlich, „daß Lady Vicky hier den Professor Chapping gespielt hat und daß das Ehepaar Dreabram von jemand beseitigt wurde, dem die Lady selbst heimlich aus noch unbekannten Gründen nachstellte.“

Miß Sampson bestätigte, daß sie Vicky und Chapping nie gleichzeitig gesehen hätte.

Harald deutete auf die Scherben der Buddha-Figur.

„Dort war der Leuchter verborgen, Miß Sampson“ erklärte er. „Dieser Unglücksleuchter befindet sich also nicht mehr im Schlosse. Sie können fernerhin ruhig schlafen. – Fragen Sie nichts mehr. Warten Sie ab. Die Geschichte des Leuchters kenne ich. Aber ich will auch noch aufklären, weshalb das Ehepaar Dreabram sterben mußte. – Auf Wiedersehen. Bringen Sie die Zimmer in Ordnung und schweigen Sie!“

 

5. Kapitel.

Der Diamantkäfer.

Wir benutzten wieder den unterirdischen[7] Gang zur Rückkehr in unser neues Heim.

Unterwegs sagte Harald: „Ich habe die Papiere zu mir gesteckt, die die Inder in dem Geheimfach des Schrankes zusammen mit Perücke, Schminke und so weiter gefunden und achtlos weggeworfen hatten. Ich hoffe, diese Papiere werden uns helfen, das Geheimnis des Todes des Ehepaares Dreabram restlos zu enthüllen. Übrigens – wenn Saalborg ahnen würde, was er gestohlen hat, würde er den Leuchter schleunigst herausgeben –“

Wir waren inzwischen in den Raum gelangt.

Harald fügte noch hinzu: „Saalborg kann nichts von all den Geschehnissen ahnen, bei denen der Leuchter eine Rolle spielt. Er ist fraglos nach Allahabad mit der Absicht gekommen, die Juwelen der Lady Dreabram –“ Er schwieg, rief etwas bestürzt:

„Wo ist denn die Leiter geblieben?“

Ja – die Leiter war weg.

Aber die Aufklärung kam von oben – von der Falltür her.

Unsere Taschenlampen beleuchteten des alten Sandalennähers faltiges Gesicht und zotteligen Bart.

Er kicherte hämisch.

„Also gefangen – he – he! Gefangen der schlaue Sahib Harst!“

Harald hatte schon die Clementpistole herausgerissen, zielte auf den Alten.

„Kerl, wer und was bist Du?! Sprich, oder ich drücke ab!“

Der braune Halunke kicherte und – nahm sich Bart, Turban und Perücke ab, klemmte ein Monokel ein und sagte mit liebenswürdiger Ironie:

„Ich bin der, der immer gerade dort ist, wo Sie ihn nicht vermuten, Herr Harst!“

Saalborg – Vincent Saalborg war’s!

„Glauben Sie mir, ich kriegte keinen schlechten Schreck, als Sie beide heute mittag hier erschienen. Ich wohne hier erst zwei Tage,“ fuhr er in seinem tadellosen Deutsch fort. „Ich wähnte mich in dieser Baracke ganz sicher. Von den Falltüren und dem Gange hatte ich keine blasse Ahnung. Erst vorhin nach meiner Rückkehr aus dem Dreabram-Schlosse fand ich die Falltüren. Ich muß ja nun leider dieses Quartier aufgeben, Ihnen also das Feld räumen, Herr Harst. Wenn Sie mir versprechen, noch eine halbe Stunde unten zu bleiben, lasse ich die Leiter hinab.“

„Oho!“ rief Harst. „So haben wir nicht gewettet, Saalborg. Rühren Sie sich nicht! Ich jage Ihnen sonst eine Kugel durch den Schädel. Strecken Sie die Arme nach unten. Schraut wird Sie festhalten. Jetzt haben wir Sie.“

„Aber – verehrtester Herr Harst!“ lächelte Saalborg. „Dazu kenne ich Sie viel zu gut! Sie werden nie im Leben auf mich schießen! Ich hasse jede Gewalttat. Das wissen Sie. Ich bin eben Gentleman und kein rüder Wegelagerer. Ich betreibe die Gaunerei als Kunst. Und Kunst ist erhaben über alles Gemeine. – Nein – Sie drohen nur! Sie schießen nicht!“

Harald ließ den Arm sinken. „Saalborg, Sie sind der schlimmste Gegner, den ich je hatte,“ sagte er seufzend. „Gut – herunter mit der Leiter. Die halbe Stunde ist bewilligt!“

Saalborg schob die Leiter durch die Falltür. Ich lehnte sie an die Mauer.

Der Gentleman-Gauner hatte sich in die Falltür gesetzt und den Kopf herabgebeugt.

„Herr Harst, noch eine Frage,“ meinte er. „Was hat es eigentlich mit dem goldenen Leuchter auf sich? Ich hörte, wie Sie soeben sagten: „Wenn Saalborg wüßte, was er gestohlen hat, würde er den Leuchter schleunigst herausgeben.“ – Ich bin wirklich gespannt, weshalb diese goldene Tänzerin den beiden Indern so wertvoll war, daß sie ihretwegen sogar Bekanntschaft mit meinen famosen Revolverattrappen machten.“

Harst hatte sich an die Leiter gestützt und rauchte.

„Saalborg, leihen Sie mir den Leuchter für einige Zeit,“ erwiderte er nach kurzer Pause. „Ich gebe ihn Ihnen bestimmt zurück. Ich brauche ihn. Ich möchte zwei Morde aufklären. Lord Dreabram und seine Gattin sind keines natürlichen Todes gestorben.“

„Wirklich?! Und der Leuchter hängt damit zusammen? – Oh – wie schade! Ich habe ihn bereits einem Händler verkauft, der hoch zu Kamel hier vorbeikam. Ich weiß nur, daß der Händler von auswärts ist. – Ja – es ist ein Jammer! Natürlich hätte ich Ihnen den Leuchter überlassen. – So – nun wird es für mich Zeit zu verschwinden. Auf Wiedersehen.“ –

Als wir dann unser Arbeitszimmer betraten, deckte Koch Hull beim Scheine einer großen Petroleumlampe gerade den Abendbrottisch.

„’n Abend, Master Harst,“ begrüßte er uns. „Der alte Schmierfink von Inder hat mir soeben für Sie ein Paar Sandalen gegeben. Ich soll auch noch einen Gruß bestellen. Dort hat er das Paket hingelegt. Es ist für Sandalen verdammt schwer!“

Harald hatte das längliche, in alte Zeitungen und ein Stück Leinwand gehüllte Paket schon in der Hand, riß die Hüllen ab.

Und die Sandalen waren – der goldene Leuchter, die indische Tänzerin!

Harald lächelte.

„Echt Saalborg!“ meinte er. „Er bleibt stets derselbe witzige Gauner! Die Hauptsache: wir haben den Unglücksleuchter jetzt! Nach Tisch werden wir ihn uns recht genau ansehen.“ –

Hull hatte das Geschirr abgeräumt und die Lampe auf den Tisch gestellt.

„’n feines Paar Sandalen!“ meinte er, als Harald nun den Leuchter zur Hand nahm. „Übrigens, Master Harst, ich habe da vorhin in meiner Stube noch etwas gefunden – keine blonden Haare mehr, nein, wohl so ein unbeabsichtigtes Andenken von dem amerikanischen Professor. Hier ist es. Es war in eine breite Mauerritze geschoben und ein Stück Mörtel wieder in die Fuge gedrückt. Als ich den Staub von den Wänden fegte, fiel das Mörtelstück heraus. Und da sah ich’s blinken. Chapping war ja Käfersammler –“

„Wie – ein Diamantkäfer!“ rief Harst. „Das ist ja eine so außerordentliche Seltenheit, daß ich mir gar nicht denken kann, Chapping sollte –“ – Er schwieg, fügte nach kurzer Pause hinzu: „Er wird ihn wohl recht gut haben verstecken wollen. Denn diese daumengliedergroßen Käfer, deren Körperoberseite wie mit Diamanten besät schillert, sind die Sehnsucht aller Käfersammler – – eine Sehnsucht, die nur in wenigen Fällen gestillt wird. Die Inder nennen den Käfer Schana Burut, was etwa „Höhlen-Geist“ bedeutet. Der Käfer lebt ausschließlich in tiefen Spalten des Gebirges in völliger Dunkelheit, auch in Grotten und Höhlen an schwer zugänglichen Stellen. Ich habe bisher nur ein einziges Exemplar im Museum in Kalkutta gesehen.“

Hull ging hinaus. – Harald legte den Käfer mitten auf den Tisch. Das Tierchen war tadellos erhalten, und das wundervolle Farbenspiel seines harten Leibpanzers kam im Lichte der Lampenstrahlen voll zur Geltung.

„Der Leuchter der Lady Dreabram wird uns noch viel Kopfzerbrechen machen,“ meinte Harst dann und griff nach der goldenen Tänzerin. „Wir wissen, wo er geraubt wurde, wer ihn raubte, wissen manches andere. Nur zwei mit ihm verknüpfte Geheimnisse kennen wir nicht: erstens – weshalb er so wertvoll ist, daß die Angehörigen der Familie Mohammed ben Gondar ihn um jeden Preis wiedererlangen wollten, und zweitens – weshalb das Ehepaar Dreabram von anderer Seite ermordet wurde. Nun ist noch der Käfer hinzugekommen. Chapping – oder besser Lady Dreabram, die ihn hier darstellte – hat ihn in der Mauerritze versteckt. Das ist wohl sicher.“

„So?! Kann es nicht ein anderer getan haben?“

„Nein, mein Alter. Wenn Du Gondars und Pahnwars Hände, die linken Hände, Dir genau angesehen hättest, dann –“

„Ah – die blaue – die hellblaue Tätowierung auf ihren Handrücken!“ sagte ich hastig. „Ja – sie hatte Käferform –“

„Ganz recht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser Käfer, dieser Schana Burut gleichfalls von Lord Hamilton geraubt wurde. – Da – da haben wir’s!“

Er hatte die goldene Tänzerin befühlt, hatte sie geschüttelt, hatte daran gedreht, schraubte nun den Oberkörper ab. Das Gewinde war so tadellos geschnitten, die Ränder der beiden Teile paßten so genau aufeinander, daß nichts von einer Rille zu bemerken gewesen war. – Der Leib war hohl. Und die Höhlung hatte etwa Eiform. Aber – sie war leer.

Ich hatte mich über den Tisch gebeugt.

„Leer!“ sagte ich gespannt.

„Ja – jetzt leer! Jetzt! Aber nicht leer gewesen. Das Geheimnis des Leuchters lag in dieser Höhlung. – So, jetzt werden wir mal die Papiere prüfen, lieber Alter. Schiebe die Lampe näher –“

Es begann der zweite Teil dieses Abenteuers, die Geschichte des amerikanischen Duells.

 

 

Ein amerikanisches Duell.

 

1. Kapitel.

Des Lords Aufzeichnungen.

Harald hatte die Papiere – es waren alles einzelne, beschriebene Blätter, geordnet, bevor er sie mir vorlas. Er tat es mit halblauter Stimme. –

„16. Mai 19…

Es war Notwehr. Der junge Mensch hätte mich niedergestochen. Eine Kugel ist flinker als ein Messer. – Notwehr! Und doch leide ich seelisch darunter. Ich hätte den Schrein unberührt lassen sollen. Daß ich nachher den Leuchter mitnahm, war eine Handlung des Augenblicks, eine jener unbegreiflichen Torheiten, die wir so oft begehen.

14. Oktober.

Die Unüberlegtheit rächt sich – wie jede! Gestern war ein Inder hier bei mir, ein zerlumpter Kerl mit einem Sack auf dem Rücken. Er bot mir indische Altertümer an. Er hätte, sagte er, gehört, daß ich Sammler sei. – Er legte mir ein paar Dolche und ein Diadem vor – wahre Prachtstücke.

„Sahib – der Preis ist die goldene Tänzerin – der Leuchter!“ flüsterte er.

Ich wechselte die Farbe. Ich tat, als wüßte ich nichts von diesem Leuchter.

„Sahib, wir haben alles ausgekundschaftet,“ flüsterte er eindringlich. „Gib den Leuchter heraus. Du erhältst diese Sachen dafür –“

Ich wurde grob. Er sah mich starr an, packte seine Schätze ein und ging.

Vicky hatte im Nebenzimmer gehört, daß ich den Inder so grob angefahren hatte. Sie kam und fragte nach dem Grunde meiner Erregung. Ich machte Ausflüchte.

16. März.

Eine ganze Bande stellt mir nach – alle des Leuchters wegen! Und – ich kann jetzt doch nicht mehr eingestehen, daß ich den jungen Menschen erschossen und den Leuchter mitgenommen habe. –

Gestern in der P. L. machte A. mir gegenüber eine Andeutung, die sich nur auf den Leuchter bezogen haben kann. Woher weiß er etwas davon?!

Ich bin nervös, gereizt. Am liebsten würfe ich das Ding in den Ganges. Aber – ich trenne mich so schwer davon. Der Leuchter ist mindestens dreihundert Jahre alt, wenn nicht älter.

17. März.

Ich habe einen Brief von der Bande erhalten. Was mag ihnen nur an dem Leuchter liegen?! Sie werden jetzt frech, drohen mir mit einer Anzeige bei der Behörde. Nun – vor der Polizei habe ich keine Angst. Man soll mir erst mal nachweisen, daß ich der Dieb bin! – Bei alledem ist nur eins bedenklich: A. hat heute abend in der P. L. abermals eine Bemerkung gemacht, die mir das Blut ins Gesicht trieb. Er sah mich dabei so merkwürdig an. – Ich begreife nicht, wie er – Ach was! Vielleicht bilde ich mir auch nur ein, daß A. etwas weiß. Ich werde immer nervöser. Auch Vicky ist das schon aufgefallen. Sie ist ein so reizendes Frauchen. Wer hätte das je von diesem Wildfang gedacht. – Ich möchte den Leuchter aus dem Hause schaffen. Aber diese Bande bekommt ihn nicht! Jetzt gerade nicht! – Vicky hat mich soeben beim Schreiben überrascht. Ich deckte ein Löschblatt über das Blatt, sagte scherzend. „Es ist mein Testament“ – Da wurde sie ganz böse; ich solle mit derlei Dingen nicht Scherze machen. – Ich merkte wieder, wie lieb sie mich hat. Sie fragte so besorgt, was mich eigentlich quäle; ich sei so verändert in letzter Zeit.

Der verdammte Leuchter! Ich werfe ihn bestimmt in den Ganges.

18. März morgens.

Eine üble Nacht! Zwei Inder hatten sich in mein Arbeitszimmer eingeschlichen. Zum Glück bin ich gerade jetzt so mißtrauisch, daß ich jede knarrende Diele untersuche.

Der eine Kerl lag unter dem Diwan. Ich sah, daß das Tigerfell anders als sonst lag. Mein Revolver hielt die Burschen in Schach. Ich ließ sie hinaus. Es waren wieder zwei mit derselben Tätowierung auf der linken Hand. Das hellblaue Bild soll wohl ein Käfer sein. – Käfer?! Ich kenne Indien und alle Geheimbünde und dergleichen. Was bedeutet der Käfer?! – Die Kerle forderten abermals den Leuchter. Als ich sie hinausgelassen hatte, war ich so vorsichtig, meine Zimmer nochmals zu durchsuchen. Und – in meinem Papierkorb lag eine Brillenschlange, eine zweite in der Bibliothek unter einem Schranke, drei im Billardzimmer. Diese Banditen!

18. März ¾12 Uhr nachts.

Meine arme, arme Vicky! Wie wird sie es nur tragen? Mein armes Weib! – Die Welt wird denken, Hamilton Dreabram ist eigentlich sehr bescheiden und lautlos aus dem Leben gegangen. –

Ach – ich möchte so gern noch leben! Vickys wegen! Ich war weiß Gott nie feige. Und ich weiß ja, daß ich – Nein – weg mit den Gedanken! Ich werde Vicky diese Blätter zusammen mit meinem Testament hinterlassen – gut eingesiegelt. Morgen früh gehe ich zu dem Notar und werde die eingesiegelte Nachschrift zu meinem Testament ihm überreichen. Dann habe ich noch … Tage Zeit. –

Wenn ich mir die Ereignisse dieses Abends überlege, dann – dann – ja, ich muß sehr vorsichtig sein. Ein Eid bindet meine Zunge, ein Eid, den ich um so mehr halten muß, als die Verpflichtungen daraus über das Verständnis des Durchschnittsmenschen hinausreichen.

Nein – es ist mir unfaßbar, wie A., dieser sonst so ruhige Mensch, plötzlich derart den Gentleman abstreifen konnte! Es gab danach ja keinen anderen Ausweg.

Und – einer muß Pech haben! Zwei können nicht gewinnen. –

Bald wird die P. L. dasitzen und warten, ob sich jemand meldet. Ich bin nun der dritte, der sich melden soll. Die dunkelsten Rätsel werden sich mir auftun.

Meine arme Vicky! –

Verdammt – hast Du etwa Angst, Hamilton?! Lächerlich! Je schneller je besser! –

Vicky, Du wirst diese Blätter sofort verbrennen. Und Du wirst den Leuchter in den Ganges werfen! Nein – doch nicht, mein einziger Liebling! Behalte ihn und versuche zu ergründen, weshalb er den Indern so wertvoll ist. Du bist besser geeignet als ich, ein solches Geheimnis aufzudecken. Du liebst Geheimnisse.

Leb’ wohl, mein Liebling! Ich war mit Dir sehr glücklich! Und – ich sterbe an Herzschlag! Rühre nicht an dieser Tatsache! Auf keinen Fall!

Leb’ wohl. – Dein

Hamilton Dreabram.“

– Harald legte die Blätter beiseite, griff nach einer frischen Zigarette, drehte das Rädchen des goldenen Benzinfeuerzeugs und – starrte geistesabwesend in das Flämmchen, ohne die Zigarette anzuzünden.

Dann formten seine Lippen halb unbewußt einzelne Worte. Seine Stirn lag in Falten. Seine Backenknochen traten schärfer hervor. Seine Augenlider schlossen sich immer mehr.

„P L – P L – Pratischthana-Loge. Und Pratischthana war das sagenhafte Volk, das einst Indien beherrscht haben soll, waren die Abkömmlinge des Mondes, das Geschlecht der Halbgötter, dem Monde entsprossen. – Ja – P L – Pratischthana-Loge. Der Lord war ebenfalls Mitglied. Und – der Amerikaner, also Lady Vicky, war es auch –“

Ich lauschte mit vorgerecktem Kopf. Kein Wort entging mir.

„Er hat den Käfer also nicht gestohlen. Nein – er hat sich über die Käfer-Tätowierungen gewundert. Er stahl ihn nicht. Und die Höhlung in dem goldenen Leuchter ist gerade groß genug, den Käfer aufzunehmen. Vielleicht hat Vicky ihn gefunden und in Hulls Stube versteckt – als wertlos! Ja – so wird es gewesen sein –“

Harsts Augen waren jetzt fest geschlossen. In seiner Rechten flackerte auf dem Tischrande das Flämmchen des Feuerzeugs; zwischen den Fingern der Linken hing die Zigarette, die bei jedem Schlage seines Herzens kaum merklich wippte.

„Aber das andere alles – Hamiltons Tod?! Weshalb tötete er sich?! Und was sollen die letzten Sätze?! Was heißt das: „Zwei können nicht gewinnen“? Was heißt –“

Da – es ging wie ein Ruck durch seinen Körper. Seine Lider flogen hoch.

Ein Schimmer des Triumphs breitete sich über sein Gesicht aus. –

„Lieber Alter, – einer muß – Pech – haben –!“ flüsterte er. „Einer! Zwei können nicht gewinnen! Also das ist’s! Das!“

Er hob das Feuerzeug.

Die blauen Rauchringe stiegen empor.

Nur Harst bekam es fertig, einen größeren zu formen und einen kleineren hindurchzutreiben.

„Du begreifst doch!“ sagte er dann. „Nur einer kann gewinnen! – Kennst Du die Unsitte des amerikanischen Duells? – Es ist eine Erfindung übersättigter, überreizter Modemenschen. Es ist die höchste Anforderung an persönlichen Mut – insofern, als es ein Spiel ums Leben ist. Man legt zwei Kugeln in eine[8] Urne, eine weiße und eine schwarze. Die Duellgegner losen, wer in die Urne hineingreifen muß. Und – zieht der, den das Los bestimmte, zufällig die weiße Kugel aus der verdeckten Urne, dann muß der andere sich in einer bestimmten Frist umbringen – vergiften oder erschießen oder sonstwie seinem Leben ein Ende machen. Zieht er die schwarze Kugel – eben der durch das Los bestimmte –, dann hat er verloren! Zwei können nicht gewinnen! – Das amerikanische Duell hat seine Abarten. Man wählt statt der Kugeln zwei Pillen, die sich völlig gleichen. Nur im Innern sind sie verschieden. Die eine ist giftig, die andere harmlos. Und die Gegner müssen – alles auf Ehrenwort – nach ein paar Stunden daheim die Pillen verschlucken. Diese Art ist die grausamste. Stelle Dir vor, Du ahnst nicht, ob Deine Pille die giftige ist. Male Dir die Empfindungen aus, wenn Du auf die Wirkung wartest! – Eine andere Art des Duells wieder ist die, daß die beiden Pillen vorher äußerlich gezeichnet werden – durch einen Unparteiischen, der dann dem Verlierer sofort erklärt, daß dieser die Giftpille gewählt hat. Dann bleiben dem Todeskandidaten wenigstens die Qualen des Zweifels erspart.“

„Ich verstehe!“ nickte ich. Aber mir wurde das Sprechen vor Erregung schwer. „Lord Dreabram wurde das Opfer eines solchen Duells!“

„Ohne Zweifel. Seine letzten Aufzeichnungen sind nur so auszulegen. Und – der Amerikaner Chapping alias Lady Vicky starb auf die gleiche Weise, fürchte ich. Nur daß bei ihrem Tode noch –“

Er schwieg.

Auch ich hatte draußen vor dem Fenster ein Geräusch gehört.

Wir hatten die Vorhänge dicht geschlossen, und Harald hatte durch Hull noch eine dicke Decke als zweiten Vorhang anbringen lassen. –

Dann pochte jemand an die Scheiben.

Wir standen auf, gingen in den Flur, nahmen die Taschenlampen mit, steckten die Mehrlader für alle Fälle entsichert in die Außentaschen unserer Sportjacken.

Harst öffnete die große Flurtür.

Draußen stand ein älterer Herr in gelbem Leinenanzug, hatte ein Monokel im rechten Auge, lüftete den Strohhut, schnarrte heiser:

„Gestatten – Rechtsanwalt Doktor Arnwyll. Ich habe auf der Atlanta gehört, daß Sie hier gemietet haben, Master Harst. Ich möchte Sie gern in einer sehr diskreten Angelegenheit sprechen. Deshalb komme ich auch zu so später Stunde. Ich wollte nicht beobachtet werden.“ –

Ah – diese Unverfrorenheit! Es war natürlich Vincent Saalborg! –

„Bitte, Herr Rechtsanwalt, Sie sind uns willkommen!“ meinte Harald höflich. „Sogar sehr willkommen. Dort hinein!“ – Die Ironie der letzten Worte war unverkennbar. Aber Saalborg merkte nichts.

Er nahm am Tische Platz. Harst schob ihm die Zigarrenschale hin.

 

2. Kapitel.

Ein Mitglied der Mond-Loge.

„Sie rechnen allzu stark auf meine Großmut,“ sagte er. „Sie denken, weil Sie mir die Tänzerin überließen, würde ich Sie laufen lassen, Vincent Saalborg! Sie glaubten: komme ich jetzt mit Monokel zu Harst, dann wird er niemals annehmen, ich sei Saalborg! Sie haben sich verrechnet. Eins verrät Sie unfehlbar: Ihre kleinen, zierlichen Füße, die ich aus Benares her noch gut in der Erinnerung habe – Wartehalle und so!“

Unser Gast lächelte.

Weiß der Henker, dachte ich, dieser Saalborg versteht es, sich zu verändern! Dieses Vollmondgesicht mit dem grauen Bart und den buschigen Augenbrauen hat auch nicht die Spur von Ähnlichkeit mit dem Sandalennäher. –

Und unser Gast sagte:

„So – also Saalborg! Hm – schade!“

„Ja – Sie bedauern, daß ich Sie nun doch erwischt habe, Saalborg! Mann – diesmal sitzen Sie fest!“

„Das stimmt. – Ich sitze fest – in einem leidlich bequemen Korbsessel. Schade, schade, daß ich Ihnen eine bittere Enttäuschung bereiten muß, Master Harst. Sehr bitter. Ich bin nicht Ihr Wettgegner, Vincent Saalborg, das Hochstapler-Gentleman-Genie, sondern ein ganz gewöhnlicher, seit fünfzehn Jahren hier in Allahabad wohnhafter Advokat namens Nathanael Arnwyll. Ich erlaube Ihnen gern, außer meinen allerdings kleinen Füßen auch meinen Bart zu prüfen. Bitte – zupfen Sie daran! Reißen Sie auch an meinem spärlichen Haupthaar! Befühlen Sie diese Warze an der Wange – alles echt!“

Er lächelte. „Wirklich – es tut mir leid. Aber ich bin nun mal Arnwyll, obwohl ich als Saalborg fraglos reicher wäre! Der Mensch hat ja schon Millionen zusammengestohlen. – Außerdem – hier ist mein Reisepaß nebst Photographie –“

Harst trat neben ihn. „Sie verzeihen – ich will sicher gehen!“ Er untersuchte den Bart, stutzte, sagte:

„Master Arnwyll – es ist einfach zum Verrücktwerden! Ich sehe, Sie sind Doktor Arnwyll! Wenn ich Saalborg in einer Person nicht vermute, dann ist er es. Hoffe ich, ihn erwischt zu haben, ist er es nicht! – Bitte bedienen Sie sich doch. Trinken Sie ein Glas Eispunsch mit?“

„Natürlich!“ Arnwyll nickte uns zu. „Ich fühle mich direkt geschmeichelt, für Saalborg gehalten worden zu sein.“

Ich hatte ihm ein Glas gefüllt. Er trank, fuhr fort:

„Trotzdem werden Sie mit mir zufrieden sein, hoffe ich, meine Herren. Ich bringe Ihnen etwas besonderes – – einen Kriminalfall höchst eigentümlicher Art. Etwas für Leute Ihrer Geschmacksrichtung, die das Alltägliche meiden und das Rätselhafte suchen. Sie werden staunen! Allerdings – mein „Fall“ liegt viele Jahre zurück, ereignete sich in – Doch der Ort tut nichts zur Sache. Darf ich beginnen, Master Harst?“

„Für einen Rechtsanwalt, für einen Vertreter des starren Paragraphenrechts sind Sie merkwürdig unlogisch,“ meinte Harald. „Vorhin an der Haustür sagten Sie, Sie wollten nicht beobachtet werden, deshalb kämen Sie so spät. Und jetzt tun Sie so, als hätte Ihr Fall mit der Gegenwart keinerlei Verbindung mehr.“

Nathanael Arnwyll wurde leicht verlegen. „Hm – bei Ihnen muß man jedes Wort auf der Goldwage erst prüfen, bevor –“

„Das muß man. – Bitte – fangen Sie an.“

„Ja – das ist schwer. Ich muß bestimmte Einzelheiten weglassen, anderes wieder nur andeuten. – In jener Stadt gab es damals einen Klub mit besonderen Zielen und Statuten. Ich gehörte ihm ebenfalls an. Sie wissen ja, daß das Klubwesen in England, daher auch in Indien, sehr ausgebildet ist. – In jenem Klub war auch ein Freund von mir Mitglied. Nennen wir ihn Marbryd. Er hieß anders –“

„Ja – er hieß –“ – Harald blickte den Anwalt durchdringend an – „nicht Marbryd, sondern so ähnlich – von hinten gelesen, nämlich Dreabram, und der Klub dürfte die hiesige Pratischthana-Loge sein!“

Arnwyll fiel die Zigarre aus der Hand und auf das Tischtuch. Er griff schnell danach, stammelte:

„Das – das ist ein Irrtum, Master Harst!“

„Nun gut. Also ein Irrtum. Erzählen Sie nur weiter.“

Arnwyll rauchte hastig ein paar Züge, meinte:

„Master Harst, es muß ein Irrtum sein! Muß! Sonst – darf ich – nicht weitersprechen.“

Harst verbeugte sich. „Ein Irrtum – ohne Zweifel! – So, bitte, nun wird Ihr Gewissen beruhigt sein.“

„Ja – danke! – Ihr Wohl, meine Herren! Ich muß mich erst stärken. Mir ist der Schreck etwas in die Glieder gefahren. – So – ich beginne. – Mein Freund – Marbryd bekam im Klub eines Abends Streit mit einem anderen Klubmitglied. Nennen wir den zweiten Axholm. – Axholm war ein sehr vornehmer, ruhiger Charakter. Trotzdem wurde er Marbryd gegenüber damals so ungezogen, so grob, daß nach den strengsten Satzungen des Klubs ein Zweikampf unvermeidlich war –“

Arnwyll schaute nicht auf, sah stets geradeaus auf den goldenen Leuchter, den Harst vorhin, als gegen die Scheiben gepocht wurde, lang auf den Tisch gelegt und mit Zeitungen bedeckt hatte. Man konnte unmöglich erkennen, was unter den Zeitungen verborgen war.

„Marbryd fiel in diesem Duell,“ sagte Harald jetzt. „Und dann –?“

„Dann vergingen zwei Jahre, bis es abermals zwischen Axholm und einem Klubmitglied ernste Differenzen gab –“

„Gut – nennen wir dieses Mitglied Bingchapp,“ meinte Harst.

Arnwyll blickte auf. In seinen Augen lag ein Ausdruck maßlosen Staunens.

„Bingchapp fiel ebenfalls im Duell mit Axholm,“ sprach Harst gelassen weiter.

Der Advokat strich mit zitternder Hand die Zigarrenasche ab, beugte sich vor und flüsterte:

„Nein – er starb nicht! Es – es gab gar keinen Bingchapp!“

„Interessant! Es gab keinen?“

„Nein – und deshalb komme ich zu Ihnen, Master Harst. Ich alter Rechtsverdreher stehe hier vor einem unfaßbaren Rätsel. Ich hatte diesen Bingchapp –“

„Doktor,“ unterbrach Harst ihn ernst, „wollen wir doch mit offenen Karten spielen! Ich nehme an, daß Sie als Logenbruder der Pratischthana-Loge durch einen Eid zum Schweigen über alles das verpflichtet sind, was in der Loge vorgeht. Wenn ich Ihnen nun aber erkläre, daß ich das, was Sie mir hier als „Fall“ vortragen, kenne, dann verletzen Sie Ihren Eid nicht mehr. Ich weiß, daß es keinen Professor Chapping gegeben hat. Ich weiß, daß Lord Dreabram im amerikanischen Duell fiel, das heißt, Selbstmord verüben mußte. So – nun mit offenen Karten.“

„Allerdings,“ meinte Arnwyll, „wenn die Sache so steht! Also gut. – Ich hatte diesen Amerikaner von vornherein beargwöhnt. Er spielte sich als Sonderling auf, sprach wenig, war unzugänglich, aber – hm ja, aber überzeugter –“

„– Spiritist,“ ergänzte Harst.

„Stimmt. So tat er wenigstens. – Er starb dann – angeblich! – Ich stellte Nachforschungen an. Er hatte in der entscheidenden Logensitzung, nachdem er die Todespille gezogen hatte –“

„Also eine vergiftete Pille – ein Herzgift!“

„Ja. – Er hatte erklärt, er würde zum Schein abreisen und seine Leiche von den Gangeskrokodilen fressen lassen. – Ich ermittelte, daß es in Amerika nie einen Professor Chapping gegeben hatte. – Nun kommt das Seltsamste: damals, als Chapping hätte sterben müssen, falls es eben einen Chapping gegeben hat, starb jemand anderes –“

„Lady Viktoria Dreabram!“

„Ah – auch das wissen Sie! – Ja – sie starb. Und zwar ganz plötzlich. Ihr Mann war mein Freund. Ihr Tod ging mir nahe. Ich glaubte nicht an einen natürlichen Tod, sondern – an einen Mord!“

„Deshalb haben Sie aufzuklären versucht, wer der Mann war, der sich Chapping nannte –“

„Das versuchte ich allerdings, doch – ohne jeden Erfolg.“

„Glaube ich gern, Doktor.“

„Wie, – sollten Sie etwa Chapping kennen?“

„Ja und nein! – Bevor wir diese Unterredung fortsetzen, müssen Sie mir einige Fragen beantworten. Hat Dreabram Ihnen jemals etwas von einer indischen Tänzerin erzählt, die gern ein Licht in den Händen trug?“

Arnwyll schüttelte den Kopf. „Nie! – Dreabram war auch sehr glücklich verheiratet, und er hätte seine Vicky niemals betrogen!“

Harald lächelte etwas. „Sie verstehen mich nicht ganz. Es gibt auch tote Tänzerinnen –“

„Oh – ich verstehe Sie noch nicht!“

„Eine andere Frage. Hatten Sie des Lords Testament in Verwahrung?“

„Ja. Auch einen Abschiedsbrief an seine Frau.“

„Waren Sie es, der mit Dreabram den Zwist in der Loge hatte?“

„Ich?! Ich?! Wie kommen Sie auf den Gedanken?! Nein – ich war es nicht!“

„Wie hieß denn Dreabrams Gegner, der später auch Chappings Gegner wurde?“

„Bedauere, Master Harst. Das muß ich verschweigen. Das würde gegen meinen Logeneid gehen.“

Harald richtete sich auf und stützte die Arme halb auf den Tisch.

„Master Arnwyll, Ihr Name beginnt mit einem A,“ sagte er, jedes Wort betonend. „Und der Gegner, den Sie Axholm tauften, auch mit einem A! Ich meine: der Gegner mit seinem richtigen Namen! Ich weiß, daß sein Name mit A anfängt. – Master Arnwyll – kennen Sie dies?“

Dabei hob er die Zeitungen auf und stellte den goldenen Leuchter aufrecht.

Arnwylls Mienen verrieten lediglich Interesse für das wunderschöne antike Stück von Goldschmiedekunst.

„Nein – ich sehe ihn zum ersten Mal,“ erwiderte er fest. „Nun begreife ich auch Ihre Frage nach der indischen toten Tänzerin. Sie meinten diesen Leuchter. Ich habe nie etwas von seiner Existenz gewußt bis auf diese Minute.“

Harald hatte Arnwyll genau beobachtet.

„Ich glaube Ihnen jetzt, Doktor,“ sagte er. „Sie sind jener A nicht. Wären Sie es gewesen, hätten Sie beim Anblick des Leuchters nicht so kühl bleiben können. Sie hätten sich irgendwie verraten. Jener A hat nämlich den Leuchter gekannt. – Hier – lesen Sie diese Blätter. Es sind Aufzeichnungen Lord Dreabrams, die ein halber Zufall mir in die Hände spielte.“ –

Arnwyll las. Dann rauchte er schweigend ein paar Züge, sagte stockend:

„Haben Sie alles verstanden, was diese Blätter enthalten, Master Harst, – alles?“

„Nein – zuerst nicht! Jetzt aber glaube ich auch das „Dunkle“ darin begriffen zu haben. – Doch – bleiben wir bei Professor Chapping. – Chapping war niemand anders als Lady Vicky Dreabram.“

Arnwyll schnellte aus seinem Sessel hoch.

„Unmöglich!“ stammelte er.

„Oh – das sagte Miß Sampson auch. Und doch ist es so.“ Er zählte ihm die Beweise auf: den geheimen Gang, die Perücke, den Bart, – und daß Miß Sampson niemals Chapping und die Lady gleichzeitig gesehen hätte.

Arnwyll war in den Sessel zurückgesunken, trocknete sich den Schweiß von der Stirn.

„Ich bin jetzt überzeugt,“ meinte er leise. „Wer hätte das geahnt! Vicky also starb für Chapping sozusagen! Sie hatte als Chapping ihr Wort verpfändet, binnen 36 Stunden die Pille zu schlucken. Armes, armes Weib! Aber – weshalb diese Maskerade als Chapping?! Weshalb ließ sie sich in die Loge aufnehmen? – Ich stehe jetzt vor noch weit mehr Rätseln als anfangs.“

„Ich nicht! Es gibt hier noch Rätsel. Aber sie werden sich lösen lassen, wenn Sie es uns ermöglichen, in die Loge aufgenommen zu werden.“

Arnwyll machte eine kurze Handbewegung.

„Warum nicht?! Es wäre dazu nur nötig, daß Sie hier ansässig werden. Kaufen Sie doch diese Baracke und behaupten Sie, Sie wollten vorläufig in Allahabad bleiben. Ich will Sie unterstützen, so gut ich kann. Nur darf mein Name nicht als der Ihres Förderers genannt werden. Denn, Master Harst: ich sehe hier noch nicht ganz klar! Aber eins weiß ich doch: dieser A hat nach einem ganz bestimmten Plan gehandelt, als er erst Lord Dreabram tötete und dann auch dessen Gattin. Er hat eben Chapping als Lady Dreabram durchschaut. Und er muß bei der Wahl der Pillen beide Male irgendwie einen Betrug verübt haben, der ihn sicherte, das heißt, der den Gegnern die Giftpille zukommen ließ.“

„Mit geringen Einschränkungen nehme ich dasselbe an, Doktor. A hat gewußt, wer Chapping ist. Das Geheimnis des Leuchters war A bekannt. Er wollte den Leuchter an sich bringen.“

Harald zog ein Schächtelchen aus der Tasche, öffnete es, hielt es Arnwyll hin.

„Diesen Diamantkäfer halte ich für die Hauptsache bei dem Geheimnis,“ sagte er. „Sie sollen nun alles erfahren. Wir haben heute zwei der Inder zu einem Geständnis gezwungen, die zu Lord Hamiltons Feinden gehörten.“ Er berichtete den ganzen Verlauf des Nachmittags.

Der Anwalt lauschte atemlos. Und Harald schloß seinen Bericht mit den Worten:

„Aus des Lords Aufzeichnungen geht hervor, daß dieser A ihn durch Andeutungen über den Raub des Leuchters einzuschüchtern suchte. Mithin hat A den Leuchter gekannt, mithin läßt die Sachlage nur den einen Schluß zu: A wollte selbst den Leuchter besitzen, wollte aber auch die beiden Personen, die dessen Geheimnis ahnten, ich meine den Wert, den der Leuchter irgendwie in besonderer Art haben mußte, – wollte also diese beiden als ihm lästig beseitigen. – So, und nun noch eine Frage, Doktor: In Dreabrams Niederschrift stehen die Sätze: „Bald wird die P. L. dasitzen und warten, ob sich jemand meldet. Ich bin nun der dritte, der sich melden soll.“ – Und Lady Vicky wieder gab sich mit spiritistischen Experimenten ab; ihr erschien einmal ein Geist und warf ihr einen Zettel zu. – Auch die Loge beschäftigt sich mit Mystik und Spiritismus. Meine Frage lautet: sollten die Selbstmörder, die dem amerikanischen Duell zum Opfer fielen, sich den Logenmitgliedern als Geist „manifestieren“? Wurden diese Opfer dazu verpflichtet? Wollte die Loge auf diese Weise feststellen, ob die Toten sich den Lebenden irgendwie kundtun würden oder könnten?“

„Ich darf darauf nicht antworten,“ erklärte Arnwyll zögernd.

„Oh – das genügt mir! – Doktor, Sie werden später erstaunt sein, daß der Sachverhalt, was Lady Vickys Tod betrifft, doch ein anderer ist als Sie jetzt annehmen. – Morgen kaufe ich dieses Haus; morgen wird die hiesige englische Zeitung melden, daß Harald Harst sich hier ein Jahr lang ausruhen und seine Wette mit Saalborg verschieben will. Ich werde sehr bald dann Logenbruder der Pratischthana werden. Schraut ebenso. Wer ist jetzt Vorsitzender der Loge, Vorstand oder Meister vom Stuhl?“

„Das darf ich Ihnen sagen. Es ist kein Geheimnis. Begründer und „Bruder des Mondes“, also Vorsitzender, ist der Arzt Doktor Stuart Aldenberry, ein sehr geistvoller kluger Mann. Er gründete die Loge vor sechs Jahren. Sie hat jetzt 38 Mitglieder, die „Söhne des Mondes“ heißen. Sie wissen wohl, daß Pratischthana –“

„Danke – ist mir bekannt, Doktor. – Hm – Aldenberry! – A–ldenberry! Ein A!“

Arnwyll verstand. „Nein – da sind Sie im Irrtum! Aldenberry war nicht der, den Sie meinen!“ –

Der Anwalt verabschiedete sich sehr bald. Wir ließen ihn hinaus. Es war mittlerweile ½12 Uhr geworden.

 

3. Kapitel.

Der Fischkasten.

Harst ging auf und ab. Wenn er am Tische vorüberkam, strich er stets wie liebkosend über die goldene Tänzerin hin. Dann sagte er:

„Wir haben nicht viele „Fälle“ von solcher Eigenart wie diesen in Arbeit gehabt, mein Alter. Mord, Spiritismus, ein geheimer Gang, ein Leuchter-Geheimnis, ein Diamantkäfer, ein exzentrisches Weib, das als Mann auftritt, eine Loge mit verrückten Satzungen – mehr kann man nicht verlangen! Anfangs nach Miß Sampsons Brief konnte man diese Entwicklung nicht ahnen, wenn ich auch den Hauptfaden dieses Gespinstes leidlich richtig herausgefunden hatte.“

„Allerdings – das hast Du!“ – Ich war müde und gähnte.

Harst stand jetzt am Tisch und wickelte den Leuchter in die Zeitungen ein, fragte: „Wo verstecken wir ihn? Unsere Koffer sind nicht sicher genug. – Hm – wo ließ ich die Schachtel mit dem Diamantkäfer?“

Er begann zu suchen. Dann lachte er: „Hier in die Schlüsseltasche habe ich sie gesteckt. Mag sie dort bleiben!“

Ich gähnte wieder.

„Pst!“ machte Harald. „Es ist jemand am Fenster –“

Es klopfte – erst schüchtern, dann kräftiger gegen die Scheiben.

„Wie – noch ein Gast?“ meinte Harst. „Vielleicht noch ein Sohn des Mondes!“

Wir gingen in den Flur, öffneten.

Ein sehr sauber gekleideter, älterer Inder stand vor uns.

„Sahib Harst, ich habe diesen Brief von Sahib Doktor Arnwyll abzugeben. Er hat gesagt, es eile sehr.“

„Du bist sein Diener? – Du scheinst gelaufen zu sein.“

„Ja. Der Sahib Doktor ist überfallen worden.“

„Tritt ein.“ – Harald riß den Umschlag auf. Darin befand sich ein Zettel. Die Bleistiftzeilen waren kaum leserlich.

Habe zwei Revolverschüsse, Arm und Schulter. Mein Diener Thuma wird Sie zu mir führen. Aber hinten durch den Garten. Chapping-Sache! – Arnwyll.

Harald nahm die eingewickelte Tänzerin, trug sie ins Schlafzimmer und legte sie in das Bett unter das Kopfpolster.

Dann ging er und weckte Hull, befahl ihm, die Tür nach unserem Schlafzimmer offen zu lassen und bis zu unserer Rückkehr zu wachen. –

Thuma eilte uns stets drei Schritt voraus. Auf einer gut gepflegten Promenade neben einer breiten Verkehrsstraße näherten wir uns der Stadt.

Allahabad, die Stadt Gottes, ist auch die ruheloseste aller indischen Städte. Benares, Dehli, Lahore sind berühmte Wallfahrtsorte. Sie sind im Vergleich zu dem Pilgerandrang nach Allahabad schäbige Dörfer. Jedes Jahr kommen nach Allahabad rund eine halbe Million Pilger mindestens, die oft bis zu einer Million anschwellen. – Ich habe das Pilgertreiben in Allahabad bereits[9] früher einmal recht genau geschildert, als wir, ebenfalls in Folge einer Wette, einen Verbrecher ganz anderer Art als Vincent Saalborg bekämpften. In der Erzählung „Das Auge der Prinzessin Singawatha“ findet der Leser die Ursachen dieser Ruhelosigkeit Allahabads eingehender beleuchtet. Sie liegen eben in dem dauernden Gehen und Kommen von Pilgerscharen und dem damit verbundenen nächtlichen Geschäftsleben. –

Bereits nach fünf Minuten flüsterte Harst mir zu, daß wir verfolgt würden. „Es schleicht uns jemand nach – ein Weib mit Gesichtstuch, mein Alter. Wir müssen Thuma daher anweisen, uns einen Weg zu führen, auf dem wir dieses Weib loswerden oder festnehmen können.“

Er rief den Diener an. Thuma ging neben uns her und überlegte. Dann sagte er: „Dort näher dem Flusse zu liegt das Rasthaus Gulgar Bhat. Es hat viele Ausgänge, Sahib. Wir werden das Weib täuschen.“

Er bog nach links in eine Seitenstraße ein. Wir befanden uns hier auf der Grenze zwischen dem Villenviertel der Europäer und der Eingeborenenstadt. Zwischen den Bäumen rechter Hand erschien eine hohe Ziegelmauer. In einer riesigen Eisenpfanne brannte über einem Tore der Mauer ein Feuer und warf sein flackerndes Licht über die Straße.

Wir huschten schnell durch diesen Eingang hinein, durchschritten drei kleine Höfe, schwenkten nach links ab und erreichten so das Westtor des Rasthauses. Es mündete auf einen Seitenarm der Dschamna, wo die „schwimmende“ Stadt Allahabads begann.

Thuma ließ den Flußarm rechts liegen und brachte uns durch die Gasse einer Pilgerzeltstadt wieder auf eine Promenade, wo freundliche weiße Bungalows in zierlichen Gärten lagen. Ein Fußweg lief bald zwischen zwei Mauern eine Anhöhe hinan. Es war wieder dunkel um uns her. Immerhin gaben die Sterne so viel Licht, daß wir unsere Lampen nicht einzuschalten brauchten.

Thuma machte halt, zog einen Schlüssel hervor und öffnete eine kleine Balkentür, die genau wie die Mauer weiß getüncht war. Wir betraten einen uralten, verwilderten Park, tauchten im Baumschatten unter.

„Wenn Du eine Laterne hast, Sahib,“ meinte Thuma, „dann zünde sie ruhig an.“

Harst ließ seine Taschenlampe aufblitzen. Wir hörten vor uns das Rauschen eines Bächleins. Eine Brücke mit weißem Marmorgeländer überwölbte einen künstlichen Wasserfall. Die Brücke war nur schmal. Thuma war wieder ein paar Schritt voraus.

Als wir mitten auf der Brücke waren, kam Thuma zurückgestürzt, rief halblaut: „Vorsicht, – es ist –“

Wir waren stehen geblieben – leider! Und zu spät merkten wir, daß hier eine böse Teufelei geplant war.

Der Balkenbelag der Brücke hatte nachgegeben, senkte sich blitzschnell. Es war hier eine große Falltür vorhanden. Wir sausten hinab, hörten noch Thumas schrilles Auflachen und den dumpfen Krach, mit dem die Falltür sich wieder schloß.

Inzwischen waren wir unten schon gelandet. Wir rappelten uns aus der Nässe auf. Harst hatte seine Lampe nicht verloren. Der Lichtkegel zeigte uns einen nach unten zu sich verengenden Holzkasten, in dem wir nebeneinander gerade Platz hatten. Das Wasser reichte uns bis an die Knie.

Über uns sahen wir – vier Meter entfernt – die Umrisse der Falltür und die langen Eisenhebel, die zum Öffnen und Schließen dienten. Die Wände des Kastens waren naß und schlüpferig. Sie irgendwie zu erklimmen war unmöglich.

Harald deutete auf eine Anzahl Löcher von etwa zwei Zentimeter Weite, die in die Wandungen des Kastens gebohrt waren.

„Ein Fischkasten!“ sagte er. „Ein Behälter zum Aufbewahren von –“

Er verstummte.

Das Plätschern und Gurgeln des kleinen Wasserfalles war zum donnernden Brausen geworden. Mit dumpfem Knall prallte von außen eine hohe Woge gegen den Kasten.

Harst schrie mir ins Ohr:

„Sie haben eine Schleuse geöffnet! Sie wollen uns ersäufen! Da –!“

Und ich sah durch die Löcher überall dicke Wasserstrahlen schießen, fühlte, wie die Strahlen auch von oben her mich trafen.

Das Wasser stieg unheimlich schnell. Es reichte uns schon bis an die Brust. Und – hier mußten wir elend umkommen; hier gab es keinen Halt für Füße und Hände; hier konnte man vielleicht minutenlang Wasser treten, bis dann die Kräfte versagten.

Mein Blick suchte Haralds Augen.

Und er nickte mir zu, gab mir seine Taschenlampe, rief:

„Her mit Deiner Pistole – schnell! Hier handelt es sich um Sekunden!“

Er schob meine Waffe in die Brusttasche, bückte sich, tauchte unter.

Ich stand wie in einem Platzregen da. Ich fühlte, wie Harst meine Füße zur Seite drückte.

Und das Wasser stieg.

Es reichte mir bis an den Hals.

Da begann die Angst um das bißchen Leben – diese Angst, die niemandem erspart bleibt – auch dem Mutigsten nicht.

Meine Gedanken jagten.

Was tat Harst dort auf dem Grunde des Fischbehälters?! Was beabsichtigte er?! – Hier mußte ja jeder Rettungsversuch zwecklos sein – jeder! Der Behälter hing offenbar mitten in dem Wasserfall.

Ich reckte mich hoch, stellte mich auf die Fußspitzen.

Dann – eine Erschütterung des Behälters.

Nochmals – nochmals.

Da begriff ich: Harst schoß – schoß unter Wasser!

Was sollte das uns wohl helfen?!

Das Wasser kroch bis an die Lippen.

Und unter mir abermals dieselben Erschütterungen.

Ich mußte mich mit dem Zeigefinger der rechten Hand in eins der oberen Löcher einkrallen, mußte mich etwas emporziehen.

Der Finger glitt aus.

Ich sank. Und ich merkte, daß jemand meine Beine packte.

Ich sank – stieß mit dem Kinn gegen etwas Hartes, stieß mit dem Hinterkopf auf, schluckte Wasser, wehrte mich gegen die Kraft, die mich ins Verderben riß.

Dann schoß ich hoch, schon halb besinnungslos. Jemand hatte mich jetzt bei der Schulter ergriffen. Die Lampe war mir längst entfallen.

Ich fühlte Grund unter den Füßen.

„Kriechen!“ raunte Harst mir zu. „Kriechen! – So – hier –“

Er zerrte mich aufs Trockene. Ein Zweig schlug mir ins Gesicht. Ich lag auf dem Bauche im Grase, hörte wieder Harsts Stimme:

„Lieg’ still! Rühr’ Dich nicht!“

Wie gern lag ich still! Das Rauschen der Büsche war wie köstliche Musik; die laue Nachtluft wie ein Gruß des Lebens.

Irgendwo donnerte noch immer der Wasserfall.

Dann wieder Haralds Stimme: „Allein durch die Schüsse hätte ich es nicht geschafft! Du kennst doch die Sprengwirkung eines mit Wasser gefüllten Gewehrlaufes! Gießt man oben auf die Patrone Wasser und feuert gegen ein Brett, dann zersplittert dieses. Darauf rechnete ich, und auch auf den morschen Boden des Behälters, der der Sprengwirkung von Pistolenschüssen unter Wasser nicht Widerstand leisten würde. – Übrigens, setz’ Dich nur aufrecht. Die Luft ist rein –“

Ich tat es, rieb mir die Augen, befühlte meinen Hinterkopf.

„Ich habe die Pistolenmündung in eine Ecke gedrückt, mein Alter. Beim zweiten Schuß splitterte das Brett los. Und die achtzehn Schüsse unserer beiden Waffen genügten leidlich. Aber – es half noch ein dritter – mit einer Eisenstange. Ich habe ihn nicht zu Gesicht bekommen. Als ich Dich durch das Loch gezerrt und die Strömung uns mit fortgezerrt hatte, als ich auftauchte, da war der Dritte schon verschwunden. Es kann nur Saalborg gewesen sein. Ich denke, das verschleierte Weib war es. – Und Thuma – das war einer von der Gegenpartei!“

„Du meinst, einer der Familie Mohammed ben Gondar?“

„Möglich. Es kann aber auch einer der zweiten Gegenpartei gewesen sein.“

„Der zweiten?“

„Ja,“ flüsterte Harald. „Der zweiten! Nämlich einer, den A ausgeschickt hatte – der Wettgegner des Ehepaares Dreabram! – Überlege Dir: es ist in Allahabad bereits bekannt geworden, daß wir hier eingetroffen sind. Arnwyll kam „aus Vorsicht“ so spät abends. Er gab durch Schweigen zu, daß er fürchtete, beobachtet zu werden. Er muß also schon gemerkt haben, daß man ihn überwachte. Ich habe absichtlich nicht weiter danach gefragt. Ich sagte mir: Er hat über Chappings Person Erkundigungen eingezogen. Das kann A, der noch Unbekannte, irgendwie entdeckt haben. Und A hat ein sehr, sehr schlechtes Gewissen. Mithin wird A gefürchtet haben, Arnwyll könnte sich an uns Chappings wegen wenden.“

„Ich verstehe. Allerdings, hiernach kann Thuma ein Genosse A’s gewesen sein.“

„Ja – und als ich Dir vorhin zuraunte, still zu liegen, da standen dort oben auf der Brücke zwei Männer und beugten sich über das Geländer, um nach dem Fischkasten auszuspähen. Einer der Leute war Thuma; der andere trug einen Korkhelm, war ein Europäer und rauchte eine Zigarre. Von seinem Gesicht sah ich nur so viel, als er ein Streichholz an die Zigarre hielt, daß es fast bartlos war. Jetzt sind die beiden verschwunden. – Kehren wir nach Hause zurück, mein Alter, und zwar schleunigst. Du hast Dich jetzt ja genügend erholt.“

Wir schlichen bis an die Mauer und kletterten hinüber, suchten dann die Pforte, durch die Thuma uns eingelassen hatte, und Harst machte neben ihr in dem Anstrich der Mauer mit einem Stein ein Zeichen.

Wir liefen dann in kurzem Trab zur Hauptstraße zurück. Als wir unser Arbeitszimmer betreten hatten, riß Harald sofort die Schlafstubentür auf und rief:

„Hull!“

Keine Antwort. – Ich hatte die Petroleumlampe schon angezündet.

Wir gingen in Hulls Stube. Er lag auf seinem Bett – tot! Er hatte in der Herzgegend zwei Stiche.

Harald untersuchte die Leiche nur flüchtig, sagte dann:

„Der Tod ist vor kaum drei Minuten eingetreten. Wir sind um ein Geringes zu spät gekommen. Der Leuchter hat ein neues Opfer gefordert.“

Er schritt auf sein Bett in unserem Schlafzimmer zu, hob die Kopfpolster hoch: der Leuchter war gestohlen.

 

4. Kapitel.

Die fünf A’s.

Wir zogen uns trockene Kleider an. Harst war still und bedrückt. Ihm ging Hulls Tod sehr nahe.

Dann sagte er plötzlich: „Halt – die Schachtel mit dem Diamantkäfer hatte ich ja in der Schlüsseltasche!“

Er griff nach den nassen Beinkleidern.

„Die Schachtel ist ganz aufgeweicht. Da – und den Käfer habe ich platt gedrückt, als ich unter Wasser die Sprengschüsse abgab –“

Er hielt den funkelnden Käfer auf der flachen Hand unter die Lampe.

Dann beugte er den Kopf tiefer.

„Sieh Dir den Käfer an!“ flüsterte er in seltsamer Erregung. „Das Geheimnis des Leuchters ist enthüllt!“

Und ich beugte mich gleichfalls über seine Hand. Der Oberteil des Käfers hatte sich etwas von der Bauchseite gelöst und verschoben. In dem leeren Innern des daumengliedgroßen Tierchens schimmerte es weiß.

Harst hob den Oberteil völlig ab, faßte mit den Fingerspitzen zu und zog – ein Stückchen nasse Seide hervor – weißen Seidenstoff, der sich von selbst entfaltete.

Das Stückchen Seide war acht Zentimeter lang und vier Zentimeter breit. Es hatte in dem Käfer eng zusammengefaltet gelegen. Man erkannte darauf eine durch die Nässe jetzt verschwommene Zeichnung. –

Ich kann mich im Rahmen dieser Erzählung mit dieser Zeichnung nicht näher beschäftigen. Sie spielt im nächsten Band (Die Ganges-Piraten) eine Rolle. Der Leser wird also schon noch erfahren, wie sie aussah und was sie bedeutete. –

„Das Geheimnis ist enthüllt!“ wiederholte Harald ernst. „Lady Vicky war es fraglos, die zuerst den Leuchter auseinander schraubte und den Käfer fand, den sie in der Mauerritze ahnungslos versteckte. Daß gerade dieses Tierchen die Hauptsache des Leuchters war, konnte sie genau so wenig vermuten wie wir, – das heißt, vermutet habe ich’s insofern, als ich bei der ersten Besichtigung des Diamantkäfers schon sah, daß der Ober- und Unterteil zusammengeklebt waren. Ich hätte den Käfer auf jeden Fall geöffnet. Schade, daß er nun so stark beschädigt worden ist. – Würdest Du allein zur Polizei gehen und die Ermordung Hulls melden? Ich will den Käfer wieder zusammenkleben und auch das Stückchen Seide über der Lampe trocknen und es wieder dort hineintun, wo es am besten verborgen ist.“ –

Ich beeilte mich. Nach einer halben Stunde war ich mit Detektivinspektor Raap, dem Polizeiarzt und zwei Beamten wieder zur Stelle.

Ich will die Ereignisse der nächsten drei Tage als unwichtig kurz zusammenfassen. Harst ließ die Polizei über die Leuchter-Tragödie in Unkenntnis, erwähnte gar nicht, daß der Leuchter uns gestohlen war und daß ein solcher überhaupt existierte. Bei der Untersuchung im Falle Hull kam nichts heraus. Harald tat so, als ob er sich alle Mühe gäbe, die Mörder zu entdecken, die er Inspektor Raap gegenüber als Helfershelfer jenes falschen Thuma bezeichnete, der uns als angeblicher Diener Arnwylls von Hause weggelockt hatte. Den Anschlag auf uns stellte er als Racheakt früherer Feinde hin. – Es wurde leicht ermittelt, daß dieser Thuma uns in den zum Stadtlazarett gehörigen Park gelockt hatte. Der Fischbehälter wurde als solcher noch jetzt von der Lazarettküche benutzt. Westlich der Brücke lag ein großer Teich mit einer Schleuse. Haralds Vermutung, es sei eine Schleuse geöffnet worden, traf also zu. –

Ich beginne die eingehendere Schilderung mit dem vierten Abend nach Hulls Ermordung. Inzwischen war unser braver Koch beerdigt worden, und wir hatten auch durch Raap den Arzt Doktor Stuart Aldenberry kennen gelernt, ebenso andere Mitglieder der Mond-Loge. Harst war auch Eigentümer des alten Hauses geworden und hatte mittags im Union-Klub, wo wir jetzt die Mahlzeiten einnahmen, den Wunsch Aldenberry gegenüber geäußert, in die Loge aufgenommen zu werden.

Wir beide waren außerordentlich vorsichtig und mißtrauisch. In Hulls Stube wohnte jetzt der Matrose Preatgar, ein wahrer Riese. Mit Arnwyll verkehrten wir absichtlich wenig. Raap kam häufiger zu uns und war ganz untröstlich, weil er Hulls Mörder nicht entdecken konnte. –

An diesem vierten Abend gingen wir in unserem Garten gegen sieben Uhr auf und ab. Preatgar und zwei andere Leute der Atlanta brachten die Wege etwas in Ordnung. – Dann kam ein Bote Doktor Aldenberrys mit einer Einladung an uns beide für eine heute um 10 Uhr stattfindende Logensitzung. Aldenberry hatte hinzugefügt, daß wir nicht etwa im Frack, sondern in weißen Leinenanzügen wie die anderen Mitglieder erscheinen möchten. Harald ließ den Doktor grüßen und sagen, wir würden uns pünktlich einfinden.

Gleich darauf fuhren wir mit dem Ponywagen, den Harald sich angeschafft hatte, zu dem Rechtsanwalt Arnwyll, der auf der Grenze des Europäer- und des Basarviertels wohnte.

Wir hatten Arnwyll zwei Tage nicht gesprochen. Er drückte uns die Hände, und seine Freude, uns wiederzusehen, war ebenso herzlich wie das Abendessen vorzüglich genannt werden mußte, zu dem er uns einlud.

Um ¾9 erhoben wir uns von Tisch und setzten uns in Arnwylls Bibliothek, schlossen die Türen und nahmen am Fenster Platz.

„Arnwyll,“ begann Harst leise, „das Drama nähert sich seinem Ende. Ich habe in diesen vier Tagen anscheinend Hulls Mörder gesucht, in Wahrheit aber mich mit den Mitgliedern der Loge beschäftigt.“

Das war selbst mir etwas Neues. Harst hatte allerdings zwei Nächte allein außer dem Hause zugebracht, ohne mir vorher mitzuteilen, daß er eine nächtliche Streife vorhätte.

„In der Mond-Loge gibt es fünf Mitglieder, deren Namen mit A anfangen,“ fuhr er fort. „Die Namen lauten:

1. Arnwyll, Rechtsanwalt,
2. Aldenberry, Doktor, Arzt,
3. Astromelle, Chef der Firma Astromelle u. Komp.,
4. Arpahly, Ingenieur,
5. Axlon, Doktor der Philosophie, Dozent am Muir Central College.

Ich weiß nun, daß A, der Wettgegner des Ehepaares, den Sie infolge Ihres Logeneides nicht nennen dürfen, der Ingenieur Thomas Arpahly gewesen ist. Ich weiß es daher, weil nur zwei von den fünf A’s kleine blonde Schnurrbärte haben, nämlich Aldenberry und Arpahly. Der Europäer im Tropenhelm auf der Brücke damals nachts war bartlos, den ich Raap ja genau so unterschlagen habe wie den Leuchter. – Arpahly kommt allein in Betracht, da Sie, Arnwyll, bereits erklärt haben, Aldenberry sei es nicht gewesen.“

Der Rechtsanwalt schwieg und rauchte weiter.

„Arpahly hat es also auf den Leuchter abgesehen gehabt und die Dreabrams beseitigt,“ erklärte Harst ebenso ernst und bestimmt weiter. „Arpahly wollte uns beide ersäufen. Er hat jetzt den Leuchter in seinem Besitz. Es handelt sich darum, ihn zu überführen. Er soll zu einem Geständnis gezwungen werden. Dabei müssen Sie helfen, Arnwyll –“

Harst redete lange und eindringlich, sagte zum Schluß: „Es handelt sich um einen Mörder, Arnwyll. Die Pflicht, diesen Menschen zu entlarven, geht über Ihre Logenpflicht hinaus!“

„Gut – ich will!“ sagte Arnwyll fest. „Sie haben auch darin ganz recht, daß die Loge auffliegen wird, sobald diese Dinge bekannt werden.“ –

Das Haus der Loge Pratischthana lag auf einer kleinen Insel am Ostufer der Dschamna. Es war das einzige Gebäude dort und mit einer hohen Mauer mit einer Stacheldrahtverlängerung umgeben.

Um ¾10 fuhren wir mit Arnwylls Motorboot hinüber. Schon an der Anlegebrücke begannen die Vorsichtsmaßregeln, die jedem Unbefugten den Eintritt in das Haus unmöglich machten. Zwei indische Diener und der Hausmeister wachten hier. Wir mußten durch einen gemauerten Gang, der von dem Torweg nach dem Hause führte, dessen Fenster vergittert und abends noch durch Eisenläden verschlossen wurden.

Ich kann hier leider nicht alles schildern, was diesem seltsamen Klub das Gepräge des Exzentrischen, Phantastischen gab. – Nachdem wir im Empfangszimmer den bereits vollzählig versammelten Mitgliedern vorgestellt worden und auf Aldenberrys Frage erklärt hatten, daß wir in die Loge einzutreten wünschten und auch alle durch den Eintritt übernommenen Pflichten getreulich erfüllen würden, ließ man uns allein.

Nach einer Viertelstunde holte uns eins der Mitglieder in den großen Saal, der eine getreue Nachahmung einer vom Mondlicht beschienenen wilden Felsenlandschaft war. Der Himmel, die Sterne, der Vollmond als einzige Leuchte waren vorzüglich hergestellt, nicht minder die Felsgruppen und die Steinblöcke, deren größter den Tisch bildete.

Auf kleineren Steinen saßen die „Söhne des Mondes“. Aldenberry als „Bruder des Mondes“ hatte seinen Platz auf einer Art Felsenthron. Nur er trug einen Smoking.

Man wies uns zwei Steine neben dem Tische als Sitz an. – Ich gebe zu: das Ganze wirkte eigenartig und schön. Es lag Geschmack in dieser Phantastik.

Von irgendwoher ertönte dauernd eine weiche, verschwommene Musik – offenbar ein Harmonium.

Aldenberry erhob sich. Niemand rauchte. Auf dem Steintisch stand lediglich eine altertümliche, große Messingurne.

„Ich habe die Ehre, Ihnen beiden mitzuteilen, daß die geheime Abstimmung nur zwei schwarze Kugeln ergeben hat,“ sagte Doktor Stuart Aldenberry. „Da die Statuten der Loge zur Ablehnung drei schwarze Kugeln vorgesehen haben, steht Ihrem Eintritt nichts mehr entgegen. Bevor ich Ihnen die Geheimstatuten vorlese, muß ich Sie beide auf Ehrenwort verpflichten, über den Inhalt dieser Statuten selbst dann unbedingtes Schweigen zu bewahren, falls Sie nach Anhören derselben erklären, auf eine Aufnahme zu verzichten.“

 

5. Kapitel.

Die beiden Pillen.

Es trat eine kurze Pause ein. Wir beide waren gleichfalls aufgestanden. Dann sagte Harst:

„Ich gebe hiermit zugleich in Schrauts Namen die verlangte Zusicherung ab, bemerke aber einschränkend, daß ich mich an dieses Versprechen und den später abzulegenden Eid nicht gebunden fühle, falls Mitglieder der Loge sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben sollten, das ich zufällig aufklären sollte. Ich will Schraut und mir nur den Rücken sozusagen decken.“

Es entstand eine allgemeine Bewegung. Der älteste der Anwesenden erhob sich und erklärte, diese Einschränkung könnte man wohl getrost gelten lassen. Die Loge prüfe ihre Mitglieder so scharf vor der Aufnahme, daß es fragwürdige Elemente in der Pratischthana nicht gebe.

Doktor Aldenberry zögerte, seine Zustimmung zu erteilen. Nach einigem Hin und Her wurde Harsts Vorbehalt trotzdem genehmigt.

Die Verlesung der Geheimstatuten bestätigte, daß ernste Zwistigkeiten unter den Mitgliedern durch ein amerikanisches Duell nach Beschluß der Vollversammlung aus der Welt zu schaffen und daß die Todeskandidaten verpflichtet seien, die spiritistischen Experimente der Loge dahin zu unterstützen, daß sie am dritten Tage nach ihrem Ableben sich hier im Mondsaale irgendwie „melden“ sollten.

Zum Schluß der Statuten gab es noch einen Paragraph, der besagte, daß ein Bruch der Schweigepflicht durch den Tod bestraft würde.

Alles in allem waren die Geheimstatuten bis auf die Duellbestimmung und den letzten Paragraph harmlos, wenn auch phantastisch herausgeputzt und mit allerlei Beiwerk umgeben, das sich hauptsächlich auf das geheime Logenzeremoniell bezog. –

Wir wurden dann durch Aldenberry durch Handschlag vereidigt. – Eine halbe Stunde später begann unten im Speisesaal das Festmahl. Es ging dabei sehr heiter und zwanglos her. Der Ingenieur Thomas Arpahly saß links von Aldenberry; wir beide rechts; uns gegenüber Arnwyll.

Arpahly machte eigentlich einen recht sympathischen Eindruck. Er hatte etwas Verträumtes in seinem Wesen. Seine Stimme war leise, und sein Benehmen bescheiden und zurückhaltend. Ich konnte mir nicht denken, daß dieser weltfremde Träumer zwei Menschen, nein drei, gemordet haben sollte – alles des Leuchters wegen.

Es wurde bei Tisch scharf getrunken. Doktor Aldenberry war ein glänzender Gesellschafter, witzig und belesen. Er unterhielt sich viel mit uns und zeigte für Harsts selbsterwählten Beruf glühendes Interesse.

Als er dann gerade die Tafel aufgehoben hatte, erschien der Hausmeister und brachte für Harst einen großen Pappkarton und einen Brief, die, wie er sagte, soeben durch einen Inder abgegeben worden seien.

Harst öffnete den Brief, überflog ihn, reichte ihn mir und meinte laut:

„Meine Herren – man hat mir hier soeben ein Geschenk übermittelt – nichts weiter! Und zwar ist mein Wettgegner Vincent Saalborg der Spender.“

Ich hatte inzwischen den Brief gelesen. Er lautete:

In aller Eile, Herr Harst. – Vielleicht können Sie das, was Ihnen durch Hulls Ermordung abhanden kam, in der Loge gebrauchen. Ich nehme an, daß Sie heute in der Pratischthana zu einem bestimmten Zwecke weilen.

Ihr V. S.[10]

Harsts Mitteilung hatte allgemeine Sensation erregt. Jeder kannte ja aus den Zeitungen Saalborgs geniale Streiche.

„Ich werde das Geschenk sofort nachher im Rauchzimmer auspacken,“ erklärte Harald.

Alles strömte in den Nebensaal. Es wurden Zigarren und Zigaretten gereicht. Harald hatte den großen Pappkarton auf einen Sessel gestellt. Aldenberry meinte nach einer Weile, Harst solle doch Rücksicht auf die Neugier der Anwesenden nehmen; der Inhalt des Kartons sei gewiß nicht alltäglich. – Man stand im Kreise um uns herum. Harald erwiderte sehr spöttisch:

„Ich hätte Sie für charaktervoller gehalten, Aldenberry. Aber – Sie sind eben kein Charakter!“

Todesstille folgte dieser groben Beleidigung. Aldenberry war blaß geworden. Dann – warf er Harst seine Zigarette ins Gesicht, sagte kalt: „Sie werden mir Genugtuung geben!“

„Gewiß. Sofort. Die Herren sind wohl einig, daß es eines Beschlusses hier nicht bedarf. Das Duell ist unvermeidlich. – Arnwyll, wollen Sie bitte Unparteiischer sein. Holen Sie die Pillen und den goldenen Teller.“

Arnwyll verbeugte sich. „Bitte um den Schlüssel zum Tresor,“ sagte er zu Stuart Aldenberry, der sich abseits in einen Sessel gesetzt hatte und vor sich hinstierte. – Aldenberry reichte ihm den Schlüssel. –

Die Herren flüsterten nur noch. Unfreundliche Blicke trafen uns. Wir fühlten, daß man Harst für einen schlimmen Rowdy hielt.

Ich begriff diese Vorgänge nicht. Harst hatte doch bei Arnwyll gesagt, er würde Arpahly durch beleidigende Äußerungen zu einem Duell dieser Art zwingen. Und nun hatte er es plötzlich auf Aldenberry abgesehen?! –

Rechtsanwalt Arnwyll kehrte mit einem goldenen Teller zurück. Auf dem Teller lagen in kleinen Vertiefungen zwei grauweiße Pillen.

„Meine Herren,“ erklärte Arnwyll, „ich habe wie üblich diese Pillen gezeichnet. Nur ich weiß, welche das Gift enthält. Die eine hat oben zwei, die andere drei schwarze Punkte. Master Harst verlangt sofortigen Austrag des Duells, das heißt, der Verlierer muß die Pille hier sofort verschlucken und dann schleunigst das Logenhaus und die Insel verlassen, damit er daheim stirbt. Die Wirkung tritt ja erst nach einer halben Stunde ein.“

Aldenberry war näher getreten. Der Kreis der Logenbrüder schloß sich wieder enger um uns.

Harald hatte eine Holzsäule ergriffen und stellte sie in den Kreis, packte dann den Karton aus, entfernte die Papierhüllen von einem länglichen Gegenstand, und – es kam der Leuchter der Lady Dreabram zum Vorschein. Er setzte ihn wortlos auf die Säule. In der Lichttülle steckte eine kurze weiße Kerze.

Aldenberry war beim Anblick des Leuchters zurückgeprallt, schien sich auf Harst stürzen zu wollen, bezwang sich und – wischte sich die dicken Schweißperlen von der Stirn.

Arnwyll gab mir den goldenen Teller. Die beiden Gegner standen sich gegenüber.

„Aldenberry, Sie als Beleidigter haben die Wahl,“ sagte Arnwyll dann. „Wählen Sie! Die Entscheidung ist in Ihre Hand gegeben.“

Der Doktor zauderte. Dann – griff er zu, nahm die Pille mit den zwei schwarzen Punkten, verschluckte sie. Harst nahm die andere, tat das gleiche.

„Aldenberry – Sie haben verloren!“ sagte der Rechtsanwalt laut und hart.

Aldenberry stieß einen Wutschrei aus. Sein Gesicht war verzerrt. Er hatte vorhin ein Monokel ins Auge geklemmt. Es fiel herab, zersplitterte.

Dann rief er heiser: „Auf Wiedersehen, Brüder, in einer anderen Welt!“

Er wollte zur Tür. Harst streckte die Hand aus. Und in dieser Hand blinkte matt die Clementpistole.

„Nicht von der Stelle, Sie – Mörder!“ befahl er. „Setzen Sie sich! Sie könnten die Pille draußen wieder ausbrechen! Ich habe den Herren in Ihrer Gegenwart einige Erklärungen abzugeben.“

Aldenberry war in den nächsten Sessel gesunken.

„Sie waren Militärarzt,“ fuhr Harald fort. „Sie machten damals vor sechs Jahren den Übungsritt des Kamelreiterkorps mit, beobachteten, wie Lord Dreabram den Leuchter raubte. Später merkten Sie, daß mit dem Leuchter ein wertvolles Geheimnis verknüpft sein müsse. Sie wollten ihn an sich bringen und Dreabram beseitigen. Ihr Freund Arpahly, der ein gutes hypnotisches Medium ist, wurde von Ihnen gezwungen, Lord Dreabram zu beleidigen. Sie waren Unparteiischer bei diesem Duell mit dem Lord, später auch Unparteiischer bei dem zweiten Duell Chapping und Arpahly. Beide Male haben Sie Arpahly gewinnen lassen. Er ahnte nicht, daß er lediglich Ihrem Willen bei alledem gehorchte. Ich habe Sie und ihn in der verflossenen Nacht belauscht – in Ihrem Hause. Da haben Sie Arpahly in der Hypnose befohlen, mich heute gegen ein Uhr morgens zu beleidigen. Sie wollten sich seiner also ein drittes Mal zu einem Morde bedienen, nein, ein viertes Mal, denn Arpahlys vertrauter Diener war der Inder, der uns nach der Brücke lockte – auch auf Ihren Befehl. – Lord Dreabram starb. Und Chapping sollte sterben. Sie wußten längst, daß Chapping Lady Dreabram war, die den Tod ihres Gatten in dieser Verkleidung hier aufklären wollte. Sie haben Sie in doppelter Weise in den Tod gejagt: einmal durch den Eid und das Duell, dann durch die Drohung, sie der Polizei wegen Ermordung der beiden Inder anzuzeigen. Sie waren es, der als Geist in der Bibliothek der Lady und Miß Sampson erschien. Sie warfen ihr ein Papierkügelchen hin, auf dem wohl geschrieben stand, den Leuchter irgendwo zu vergraben, damit Sie ihn sich holen könnten. – Aldenberry, legen Sie ein Geständnis ab! Sie haben nicht mehr lange zu leben!“

Stuart Aldenberry lächelte. Es war ein verzerrtes, unnatürliches Lächeln. Dann sagte er laut:

„Gut – ich gebe zu, daß Sie mich entlarvt haben. Ich habe den Leuchter durch Arpahly stehlen lassen. Und – in dieser Nacht muß ihn dann Saalborg mir gestohlen haben.“

Harald verbeugte sich leicht. „Meine Herren, Sie alle sind Zeugen dieses Geständnisses. Ich habe hier ein Paar Stahlfesseln –“ Er war an Aldenberry herangetreten, hatte ihm blitzschnell die Fesseln um die Handgelenke zugedrückt.

„Die Pillen,“ fügte er hinzu, „waren beide harmlos: Ich hatte alles mit Arnwyll vorher vereinbart.“

Aldenberry schnellte hoch. „Ah – betrogen!“ keuchte er. „Ich – ich widerrufe mein Geständnis!“

„Das wird Ihnen wenig helfen,“ sagte Harst achselzuckend. „Schraut, wir werden Aldenberry zur Polizei bringen. Und Sie, meine Herren, sehen nun wohl ein, daß dieser Mensch die Loge Pratischthana nur gegründet hat, um durch das amerikanische Duell morden zu können! Er gründete sie kurz nach dem Raube des Leuchters. Sie alle waren seine Werkzeuge. Ich denke, hiermit dürfte die Loge für alle Zeiten aufgelöst sein.“ –

Das Geheimnis der goldenen indischen Tänzerin war nun restlos enthüllt. Der Mörder des Ehepaares Dreabram war entdeckt.

Das Stückchen Seide in dem Diamantkäfer war ein Geheimnis für sich und hat mit diesem Abenteuer nur wenig zu tun. Ich widme diesem Stückchen Seide die nächste Erzählung.

 

Nächster Band:

Die Ganges-Piraten.

 

 

Verlagswerbung:

Olaf K. Abelsen:

Abseits vom Alltagswege

 

Diese einzigartige Serie der Abenteuer hat ein gewaltiges Aufsehen erregt. Und mit Recht. Selten hat es ein Schriftsteller verstanden, eigenartige Erlebnisse in einer so spannenden Weise zu schildern, wie es Olaf K. Abelsen tut.

Wir empfehlen unsern Freunden dringend, sich den soeben erscheinenden 5. Band dieser Serie, welcher den Titel trägt:

Das Kreuz der Wüste

umgehend zu besorgen. Schöne und unterhaltsame Stunden wird dieser Band einem jeden Leser bereiten. In weite, unbekannte Fernen, die wir nicht kennen, zu Menschen und Tieren, die uns fremd und eigenartig sind, führt uns der Autor. Und mit stillem Ergötzen und heimlicher Freude werden wir von all den herrlichen Dingen Kenntnis nehmen, die das Schicksal denjenigen offenbart, die „Abseits vom Alltagswege“ gehen.

Die Bändchen: „Abelsen, Abseits vom Alltagswege“ sind durch jede Zeitschriftenhandlung zu beziehen. Man erhält dieselben auch gegen Voreinsendung von 50 Pfg. für einen Band portofrei vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO. 16, Michaelkirchstraße 23a.

 

 

Anmerkungen:

  1. Hier wurde in den ersten Auflagen die zweite Geschichte als Hefttitel angegeben, in späteren Auflagen dagegen die Erste. Siehe dazu auch unter „Zusätzliche Informationen“.
  2. Hier fehlt eine Zeile in der Vorlage. Text sinngemäß ergänzt.
  3. In der Vorlage steht: „Phänomen“.
  4. In der Vorlage steht: „Vikoria“.
  5. Hier fehlen zwei (oder mehr) Zeilen in der Vorlage. Text sinngemäß ergänzt.
  6. In der Vorlage steht: „nomchals“.
  7. In der Vorlage steht: „unterridischen“.
  8. In der Vorlage steht: „einer“.
  9. In der Vorlage steht: „bereis“.
  10. In der Vorlage steht: „V. as.“ – Einheitlich und bandübergreifend auf „V. S.“ (für Vincent Saalborg) geändert.