Der Detektiv
Kriminalerzählungen
von
Walther Kabel.
Band 146:
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1925 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.
Wir kamen von Edinbourgh. Der Fall Darlington, den ich im vorigen Band geschildert habe, war erledigt. Aus der Unkultur eines Quartiers in einer nach Ziegen duftenden Hütte im schottischen Hochmoor genossen wir wieder die Annehmlichkeiten moderner Verkehrseinrichtungen, waren nur zu dreien in einem geräumigen Abteil erster Klasse …
Wir beide hatten die Fensterplätze inne. Unser Reisegefährte, den wir auf Großkaufmann einschätzten, saß an der Gangtür.
In Hull stieg ein weiterer Reisender ein. – Was mir sofort auffiel: der Mann trug trotz des heißen Junitages Rehlederhandschuhe …
Es war ein mittelgroßer Herr mit frischem Gesicht, rötlichem Vollbart und Hornbrille. Sein grauer Anzug verriet nicht gerade einen ersten Schneider. Ich riet auf Gutsbesitzer, zumal seine braunen Schuhe an den Absätzen hellen angetrockneten Lehm zeigten.
Harald las Zeitungen. Seit vier Tagen hatten wir keine Gelegenheit gehabt, uns über die neuesten Ereignisse zu unterrichten. Harst las denn auch ununterbrochen, schien für nichts anderes Interesse zu haben.
Nachmittags sechs Uhr waren wir in London, Waterloo-Bahnhof. Der Großkaufmann war schon eine Station vorher ausgestiegen.
Wir nahmen unsere Reisetaschen und Mäntel und verließen den Zug. Der Gutsbesitzer blieb sitzen – der mit den Rehlederhandschuhen, die er die ganze Zeit über anbehalten hatte.
Kaum hatten wir den Bahnsteig betreten, als Harald mir zuraunte:
„Wir fahren weiter … Folge mir …“
Das war wie ein Alarmsignal …
Harald ging bis zum vordersten Wagen … Blieb hier am Gangfenster innen stehen …
Flüsterte wieder:
„Vielleicht steigt er doch noch aus … Der Bart und das Haar waren falsch … Und drei Finger fehlten ihm – an der rechten Hand … Er hatte nur noch Daumen und kleinen Finger … Die Handschuhfinger waren ausgestopft.“
Er beobachtete den Schwarm der Reisenden …
Da erblickte ich unseren … Gutsbesitzer …
Der Zug setzte sich gerade in Bewegung … Wir konnten noch hinausspringen, blieben hinter dem Rotbärtigen, immer in respektvoller Entfernung …
Ein kleines Hotel in der Nähe des Bahnhofs in einer Seitenstraße betrat er …
Und eine Viertelstunde drauf hatten wir dem Hotel Garrick gegenüber zwei möblierte Zimmer gemietet, für acht Tage vorausbezahlt und der Wirtin … falsche Namen angegeben.
Harst stand am Fenster des sogenannten Salons und besichtigte die Vorderfront des Hotels Garrick …
Sagte leise zu mir: „Wir sind da in eine recht interessante Geschichte hineingeraten, mein Alter … In der Zeitung las ich, daß vor drei Jahren der zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilte Juwelendieb Ben Benson von der Arbeitsstelle der Zuchthäusler in Lake Spring entwichen ist, nachdem er einen der Aufseher niedergeschlagen hatte … Eine tollkühne Flucht im übrigen … Die Einzelheiten kannst Du später nachlesen … Das Signalement Ben Bensons betonte die drei fehlenden Finger der rechten Hand …“
„Und Du ließest ihn nicht sofort im Zuge verhaften?! Weshalb nicht?!“
„Weil Benson nur auf Indizien hin verurteilt worden ist, weil er bis zuletzt leugnete, der richtige Benson zu sein und weil man nichts von der Riesenbeute gefunden hat, die er im Palast der Herzogin von Lancire vor acht Wochen gemacht hat: für zwei Millionen Familienjuwelen!“
„Ah – verstehe … Du hoffst, daß Benson diese Beute holen wird – aus dem Versteck …“
„Ich hoffe vorläufig auf nichts … Ich sage mir nur, daß es für uns leidlich lohnend sein dürfte, diesem Manne einige Tage zu opfern … – Jetzt werde ich mich ein wenig verändern und dann im Hotel Garrick eine zweite Wohnung beziehen … Wir verständigen uns über die Straße in üblicher Weise.“
Nach einer weiteren Viertelstunde war ich allein … Der Wirtin erklärte ich, mein Geschäftsfreund habe plötzlich wieder abreisen müssen. Ihr war das sehr gleichgültig … Sie hatte ihr Geld erhalten und war zufrieden.
Um halb neun ließ ich mir einen Abendimbiß in den Wohnsalon bringen. Ich hatte gerade das sogenannte Rührei mit Rauchfleisch vertilgt (das Rührei war in üblicher Sparweise durch Milch „verlängert“), als irgend etwas mit dumpfem Knall gegen die Scheiben des einen Fensters flog. Es mußte eine Papierkugel gewesen sein …
Ich sprang auf und trat an das Fenster … Drüben stand Harald, gab mir ein paar Zeichen, worauf ich beide Fenster aufriß …
Harald hatte aus einem Gummiband, dessen Enden er um Daumen- und Zeigefingerspitze gebunden, eine Schleuder, ein Katapult, hergestellt … Mit Hilfe dieser Schleuder schoß er einen eng gefalteten und pfeilspitzenähnlich geknifften Papierstreifen über die Straße hinweg in meinen Salon …
Dann verschwand er.
Ich zog die Vorhänge wieder zu und las den Zettel:
„Der Mann hat den Hoteldiener beauftragt, ihm zwei Kabinen auf dem Dampfer Otranto zu besorgen, der morgen abend von Dover nach Bombay in See geht. Wende Dich sofort an das nächste Reisebüro in der Bakerstreet und versuche, die benachbarte Kabine zu belegen. Ich werde mich heute noch mit der verwitweten Herzogin von Lancire in Verbindung setzen. In jedem Falle reisen wir mit nach Bombay. Der Mann nennt sich hier im Hotel „Patterson“, ein Allerweltsname. Ich habe das Zimmer neben ihm, Nr. 19, er Nr. 18. – In dieser Nacht dürfte sich kaum mehr etwas ereignen. Schlafe Vorrat. – Verbrennen. – Gruß – – H.“
Um neun war ich im Reisebüro. Da nur noch der verringerte Nachtbetrieb herrschte, konnte ich einen der vier anwesenden Angestellten mühelos durch einen blanken Händedruck dazu bewegen, mir die Nummern der Kabinen zu nennen, die Patterson erhalten hatte:
Zweiter Kajüte, Nr. 4 und 5. – Ich belegte Nr. 6 für zwei Personen, bezahlte, erhielt die Fahrkarten und kehrte in mein möbliertes Heim zurück. Inzwischen hatte ich mir auch die Zeitungen der letzten vier Tage durch das Stubenmädchen der Wirtin besorgen lassen, befolgte Haralds Rat, legte mich zu Bett und studierte den bewußten Artikel, den ich unschwer infolge der in die Augen fallenden Überschrift
„Der internationale Juwelendieb Ben Benson entsprungen“
im Beiblatt entdeckte.
Was ich da las, war nach Art zeilenschindenden Reporterstils mit gleichgültigen Einzelheiten aufgeputzt und verwässert. Harald hatte ja bereits betont, daß der Hauptpunkt Bensons energisches Ableugnen seiner Identität mit dem „wahren“ Ben Benson sei, der selbst für die Polizei insofern eine fast mythische Persönlichkeit darstellte, als man von ihm nur wußte, daß ihm an der rechten Hand drei Finger fehlten. Im übrigen war Ben Benson stets in anderer Gestalt aufgetaucht, hatte sich lediglich stets den Hehlern gegenüber Ben Benson genannt. Desto eindringlicher sprachen für ihn seine Taten. Man hatte ihn wegen sieben Einbrüchen und Diebstählen verurteilt. Der letzte war der bei der Herzogin gewesen. Seine Eigentümlichkeit bestand darin, daß er stets am Tatort sein „Wappen“ zurückließ – an irgend einer staubigen Stelle: den flachen Abdruck seiner rechten Hand mit nur zwei Fingern! –
Alles in allem war der Fall Benson ja ganz interessant, aber keineswegs aufregend.
Nachdem ich den Artikel zweimal gelesen und zweimal darüber im Bett eingenickt war, zündete ich mir nach leidiger Angewohnheit noch eine Zigarre an, um mich etwas zu ermuntern. Ich wollte mir den neuen „Fall“ durch den Kopf gehen lassen. Unsereiner prüft derartige Angaben über einen Verbrecher ja in ganz anderer Art als der Durchschnittsleser.
Ich rauchte also, lag aufgestützt im Bett und sann darüber nach, ob unser Ben Benson alias Patterson (so hatte er sich auch nach seiner Verhaftung genannt, im übrigen aber jede Auskunft über seine Person verweigert) wirklich der „falsche“ Benson sein könne.
Ich hielt das eigentlich für ausgeschlossen, weil es einmal wenig Leute gibt, denen gleich drei Finger an der rechten Hand fehlen und weil die Londoner Polizei, mit die beste der Welt, einwandfrei die völlige Ähnlichkeit des „Wappens“ des Juwelenräubers mit des Verhafteten Handstruktur festgestellt hatte …
Und – über diesen Gedanken schlief ich ein, ohne es zu wollen – mit der brennenden Zigarre zwischen den Fingern …
Träumte, daß wir, Harald und ich, im indischen Dschungel von einem Tiger überfallen wurden und daß die Bestie mir den linken Unterarm zerfleischte …
Erwachte über wirklichen Schmerzen … Die Zigarre hatte den Ärmel meines Schlafanzugs zum Glimmen gebracht …
Im Nu war ich völlig munter …
Auch das Kopfkissen schwelte schon … Das Schlafzimmer war mit stinkendem Dunst gefüllt. Ich ergriff die auf dem Nachttischchen stehende Wasserkaraffe und löschte den kleinen Brand. Die Haut meines Unterarmes war in Talergröße böse versengt …
Dann aus dem Bett … Die Fenster auf … Und – ein Blick hinüber nach Haralds Fenstern …
Licht dort … Die Vorhänge offen … Nein – nur die des einen Fensters … Und jetzt … jetzt erschien von unten über dem Fensterkopf eine Hand, öffnete sich, ballte sich wieder zur Faust, griff gleichsam ins Leere … verschwand …
Ganz genau hatte ich die Hand gesehen … auch ein Stück des Ärmels und die Manschette des Oberhemdes …
Was bedeutete das?!
Ich wartete … spähte …
War das etwa Harald?! War ihm etwas zugestoßen?! Konnte er sich vielleicht nicht aufrichten – lag er etwa unter dem Fenster auf dem Fußboden?!
Wartete …
Und – – da erschien die in die Luft greifende Hand von neuem …
Tauchte abermals hinab …
Meine Unruhe wuchs …
Meine Angst …
Ich eilte zum Nachttischchen, sah nach der Uhr: Mitternacht!
Zurück zum Fenster …
Wartete …
Die Hand kam nicht wieder …
Was sollte ich tun?! Es war Haralds Fenster … Er konnte es sein … Er mußte es sein … Es war zwölf Uhr nachts … Längst konnte er seinen Besuch bei der Herzogin erledigt haben … –
Ich begann mich anzukleiden – in aller Hast … Hatte die Fenstervorhänge zugezogen … Stand vor dem Schrankspiegel, zog eine blonde Scheitelperücke über meine spiegelblanke Glatze, klebte mir einen blonden Spitzbart vor, prüfte die Maske … noch ein paar Schminkstriche … Ich war zufrieden …
Nahm die Handtasche, den Mantel …
Verließ das Haus … Die Schlüssel hatte ich mir von der Wirtin geben lassen …
Auf der Straße blickte ich mich um … Drüben der Hoteleingang noch erleuchtet … Nichts Verdächtiges …
Ich eilends bis zur Bakerstreet … Dort einen Wagen bestiegen … Dem Kutscher befohlen: „Hotel Garrick!“
So fuhr ich als frisch angelangter Reisender vor dem Hotel vor …
Der Nachtportier wollte mir Zimmer Nr. 3 geben. Ich sah auf der Tafel, daß Nr. 17 frei war, verlangte dieses, begründete es damit, daß ich die Zahl sieben als Glückszahl schätzte …
So kam ich denn nach Nummer siebzehn …
Und zehn Minuten später nach … Nummer neunzehn – in Harsts Zimmer. Die Tür war unverschlossen. Das Licht brannte wie vordem, als ich die Hand beobachtet hatte … Die dreiarmige Broncekrone[1] erleuchtete den mittelgroßen Raum bis in die Winkel und Ecken …
Keine lebende Seele hier … Die Vorhänge jenes Fensters noch aufgezogen …
Die Fensternischen waren in diesem alten, unmodernen Gebäude recht tief. Fensterdecken waren dort befestigt, verhüllten unten die Nischen.
Ich hob die eine empor …
Nichts …! – Doch halt …! Da war mit einer Stecknadel ein kleiner zusammengefalteter Zettel an der Tapete befestigt …
Ich nahm ihn, schaute mich nochmals im Zimmer um, entdeckte nichts mehr von Haralds Sachen …
Zurück in mein Zimmer …
Zettel auseinandergebreitet … Ich las in Hast:
„Vorsicht! Er mißtrauisch geworden. Bin zum Schein wegen Wanzen ausgezogen. Hatte dreimal gegen elf Uhr gegen Deine Fenster mit Schleuder geschossen. Er paßte auf … Daher nur Handbewegungen … Hatte Spiegel in der Hand … Sah Dich … – Bleibe hier im Hotel bis Vormittag. Treffen uns Dampfer. Du als alte Dame. – Verbrennen …“
Ich blieb also …
Das Hotelbett hier war nicht so gut wie das drüben. Jetzt konnte ich nicht einschlafen. – Haralds flüchtige Bleistiftzeilen deuteten alles nur an. Fraglos war weit mehr geschehen, als er dem Zettel anvertrauen mochte.
Immerhin war ich froh, daß ich Harald nicht enttäuscht hatte. Er hatte damit gerechnet, daß ich mich hier einfinden und auch den Zettel entdecken würde. Wir sind ja sozusagen aufeinander eingespielt. Acht lange ereignisreiche Jahre liegen hinter mir. Vor acht Jahren lernten wir uns kennen – ich, ein Gescheiterter, er, ein seelisch durch die Ermordung seiner Braut Gebrochener … Damals noch Jurist, dann Liebhaberdetektiv … bald bekannt, berühmt … –
Nein – einschlafen konnte ich jetzt nicht …
Lag im Dunkeln mit offenen Augen … Dankte dem Zufall, der mich drüben aus tiefem Schlummer rechtzeitig geweckt. Was tat die Brandwunde …?! Eine Kleinigkeit war’s – ein Nichts – bedeutungslos …! Ich würde der Wirtin drüben das verbrannte Kissen bezahlen … Ich mußte ja nochmals hinüber … Unsere Koffer standen dort.
Und als ich so gerade mir überlegte, wie ich am kommenden Vormittag wieder mein erstes Quartier ohne die jetzige Verkleidung betreten könnte, hörte ich von der Zimmertür her leise Geräusche …
Unsereiner lernt Geräusche unterscheiden …
Ein feiner Bohrer arbeitete dort … Es war wie das leise Nagen einer Maus an trockenem Holz …
Der, der dort sich derart betätigte, der hier zu mir hereinwollte, war kein Neuling in solchen nächtlichen Abenteuern.
Ich erhob mich lautlos – im Dunkeln … Nahm die Taschenlampe vom Nachttischchen, die Clement und die dünne gewachste Schnur – unzerreißbare Fessel …
Stand neben der Tür, hatte die Lampe eingeschaltet, die Linse aber mit der Hand bedeckt, ließ nur zwischen den Fingern einen haardünnen Strahl auf das Türschloß fallen.
Zwei Löcher hatte der Mann draußen bereits gebohrt …
Ich wartete … Ich hatte vor dem Zubettgehen sowohl abgeschlossen als auch den Nachtriegel vorgeschoben. Den im Schlosse liegenden Schlüssel hatte der Mann wahrscheinlich schon mit einer Schlüsselzange herumgedreht. Nun hatte er es auf den Riegel abgesehen. Wie die Herren Hoteldiebe und ähnliche zünftige Leute Riegel von außen zurückschieben, war mir längst bekannt …
Aber jetzt sah ich zum ersten Male einen dieser Herren bei der Arbeit.
Er bohrte ein drittes Loch, schob dann durch eins der drei Löcher eine Stahldrahtschlinge, durch die beiden anderen feine Häkchen, um die Schlinge dirigieren zu können.
Mit verblüffender Geschicklichkeit führte er die Schlinge über den einen Hebelarm des Riegels, zog … zog … Langsam drehte sich der Riegel, und die Schlinge glitt ab, verschwand samt den Häkchen …
Drei, vier Minuten nichts …
Ich hielt die Clement bereit … Ich brauchte nur die Finger der Linken zu öffnen, und der Lichtstrahl der Lampe traf den Eindringling.
Da bewegte sich auch schon der Türdrücker – ganz langsam …
Und dann – mit einem Ruck wurde die Tür geöffnet …
Eine Gestalt schlüpft ins Zimmer … Ich stehe halb hinter der Tür …
Erkenne eine knabenhafte Figur gegen die hellen, durch die Straßenlaternen beleuchteten Fenstervorhänge …
Ein Mann?! – Nein – – niemals ein Mann …! Das ist ein Weib im schwarzseidenen Schlafanzug – auf Strümpfen …
Ich bin im ersten Augenblick so überrascht, daß ich meine Gedanken erst umstellen muß. Ich hatte mit Patterson gerechnet … Hier nun lediglich eine Hoteldiebin … Eigentlich eine Enttäuschung …
Und – ich drücke die Tür mit dem Rücken ins Schloß.
Greller Lichtkegel trifft die Schlanke … Sie fährt herum.
Ich sage kühl: „Ich schieße, wenn Sie sich bewegen …! – Setzen Sie sich ganz artig dort in den Sessel …“
Ihre Geistesgegenwart verblüfft mich …
„Sie werden Gentleman sein, mein Herr …,“ erwidert sie bittend … „Was hätten Sie davon, wenn Sie mich der Polizei auslieferten?! Doch nur Scherereien …“
Sie gehorcht, setzt sich … In der Linken trägt sie ein Fläschchen, in der Rechten einen Wattebausch. Sie hat mich im Schlafe betäuben und ausplündern wollen.
Und ich – nehme ihr diese Absicht durchaus nicht übel … Ich schaue bewundernd in das runde, kindliche Puppengesicht, in die großen, dunklen Augen, die gegen den blonden Bubikopf so seltsam sich abheben …
Ein blutjunges Mädel habe ich da vor mir – eine trotzdem üppige und zierlich-ebenmäßige Gestalt …
Sie lächelt mich an – wirklich kindlich … Und ich denke mit Recht: „Ein gefährliches Geschöpf …! Ihr Gesicht ist ihr bester Schutz …!“
Sage dann: „Sind Sie gewerbsmäßige Hoteldiebin?“
Sie nickt eifrig … „Das werden Sie wohl an meiner Türarbeit gemerkt haben, mein Herr …“
Frech, – süß-frech, die kleine Kanaille!
„Allerdings, das habe ich gemerkt … – Hofften Sie denn bei mir Reichtümer zu finden?“
„Ich bin in Not, mein Herr … Und wenn ich eine goldene Uhr und nur zehn Pfund erbeutet hätte, würde das für mich Betriebskapital gewesen sein … In so kleinen Hotels ist nicht viel zu holen … Unsereiner muß jetzt in ein Seebad gehen …“
Unglaublich, diese Offenherzigkeit …!
„Wie alt sind Sie eigentlich?“ frage ich kopfschüttelnd.
„Älter, als Sie meinen: neunzehn Jahre …! – Bitte lassen Sie mich laufen, mein Herr … Ich werde die Löcher in der Tür verkitten … Niemand wird mir etwas anhaben, wenn Sie mich schonen …“
Ich bin mit meinem Entschluß längst fertig. Ich kann den kleinen Nichtsnutz ja gar nicht der Polizei übergeben … Es sei denn, ich lüftete mein Inkognito. Und das darf ich nicht … Patterson-Benson ist wichtiger als diese in ihrer Art einzig dastehende Hoteldiebin …
„Ich bin kein Unmensch, Miß …,“ nicke ich ernst. „Ich möchte Ihnen aber dringend raten, dieses Gewerbe aufzugeben … Sonst enden Sie doch im Zuchthaus …“
„Oh – Sie irren, mein Herr … Ich werde niemals verhaftet werden … Ich stamme aus guter, aber völlig verarmter Familie … Mein Vater hat sich das Trinken angewöhnt, meine Mutter ist aus Verzweiflung Morphinistin geworden. Die Meinen – ich bin das einzige Kind – glauben mich als Reisende für eine Keksfabrik unterwegs … Dieser alte Ring, mein Herr, enthält unter der Monogrammplatte ein Giftkügelchen, Zyankali … Da – sehen Sie …“
Sie hebt das Golddeckelchen des Ringes … Ich sehe …
„Sie verstehen: ich vergifte mich, mein Herr, wenn ich einmal Pech habe … Die Meinen müssen dann verhungern … Aber – ich entgehe dem Gefängnis …“
Mir graut …
Abgründe menschlichen Elends enthüllen sich vor mir …
Ich denke an meine eigene Vergangenheit: Schmierenschauspieler, Taschendieb – – und Harald mein Retter …!
Die Pistole stecke ich ein … Hole die Brieftasche unter dem Kopfkissen hervor, gebe dem Mädchen eine Fünfzigpfundnote …
„Werden Sie ehrlich!“ sage ich erschüttert … „Lassen Sie sich durch mich warnen, der auch einmal einen ähnlichen Pfad wandelte wie Sie …!“
Ich bemerke, wie sie jetzt vor innerer Bewegung erbleicht, wie ihre Lippen zucken … die Augen feucht werden …
Sie steht auf, wendet den Kopf zur Seite …
„Ich … danke … Ihnen …“
Und geht zur Tür …
Hat schnell die Löcher mit passendem Kitt geschlossen …
Ein leises Gute Nacht …
Ich bin allein …
Bin noch ganz im Bann des soeben Erlebten …
Ein feiner Duft weht im Zimmer – zartes Parfüm, Duft von holder Weiblichkeit …
Ich riegele mich ein, schließe ab …
Versuche zu schlafen …
Träume dann von den großen dunklen tränenfeuchten Kinderaugen …
Und am Morgen finde ich im Schlüsselloch – wie ein Fähnchen ins Zimmer ragend – – die Fünfzigpfundnote und ein Zettelchen:
„Dank – – Irina …!“
Irina …! Ein[2] Name wie Musik …
Und die beiden Worte auf dem Zettel kraftvoll hingehauen – eine überaus energische, schmucklose Schrift … die Buchstaben wie Balken …
Die Schrift paßt wenig zu Irina … Und daß Irina die Banknote mir zurückgegeben hat, paßt noch weniger zu dem, was sie mir … vielleicht über ihre Eltern und sich vorgelogen hat … Sie lügen ja alle, diese Gescheiterten, haben alle ein rührendes Märchen bereit … –
Während ich frühstücke, grübele ich über Irina nach …
Wer mag’s gewesen sein?! Wirklich eine ganz Raffinierte, ganz Verderbte …?!
Um halb elf verlasse ich das Hotel, habe meine Rechnung bezahlt, habe an der Tafel die Zimmernummern und die Namen der Gäste überflogen … Die Nummern 18 und 19 sind leer … Harst und Patterson sind ausgezogen … Und ich finde auch sonst keinen Namen, der zu Irina passen könnte … –
In einer Telephonzelle eines nahen Postamtes werde ich wieder zu Max Schraut, der dem Hotel Garrick gegenüber gewohnt hat …
Max Schraut kehrt zu der Wirtin zurück, der er ein Kopfkissen versengt hat …
Kehrt zurück unter Anwendung aller Vorsichtsmaßregeln, Spione von meiner Spur abzulenken …
Ich weihe die Wirtin ein, nachdem ich den Schaden beglichen habe: Detektiv – sie möge schweigen … Ich will mich hier in eine Dame verwandeln – alte Dame … –
Es geschieht …
Um zwölf Uhr besteigt eine grauhaarige Frau, schlicht und vornehm gekleidet, den Zug nach Dover: ich!
Dieses Kostüm habe ich schon oft getragen … Ältere Damen gehen nicht mit der Mode mit … Ich fühle mich in dieser Frauenmaske keineswegs unbehaglich. Ich weiß, daß niemand in mir einen verkleideten Mann vermuten wird, sitze im Frauenabteil erster Klasse und weiß auch, daß Patterson, falls er mich hat beobachten wollen, vollständig von meiner Fährte abgelenkt worden ist.
Ich lese einen Roman, kümmere mich in keiner Weise um die anderen Insassen des Abteils … –
Um fünf Uhr nachmittags schlenderte ich am Edward-Kai in Dover entlang …
Die Ozeanriesen liegen hier aufgereiht – mit qualmenden Schloten … Schwimmende Luxushotels, nach Indien, Afrika, Australien bestimmt … Menschengewimmel ringsum …
Ich sehe die Otranto, stehe neben einem Stapel Koffer.
Ein graubärtiger Herr, auf der etwas starken Nase einen Kneifer, spricht mich an …
Harst …
Leise sagt er:
„Tag, mein Alter … Famoses Wetter, nicht wahr …! – Wie ist’s Dir ergangen …?“
Wir schlendern zur Hafenmole … Drüben der Kriegshafen – graue Kolosse mit Panzertürmen, Geschützen … Eine U-Bootflottille …
Ich erzähle – von Irina, von dem verbrannten Kopfkissen …
Harald bleibt stehen …
„Lieber Alter, ich kenne Irina … Ich habe gestern gleichfalls ihre Bekanntschaft gemacht … Nur in anderer Weise …“
„Wollte sie Dich gleichfalls bestehlen?“
„Wie man’s nimmt …“ Er lächelte fein … „Wie man’s nimmt … – Nach meinem Einzug in das Hotel Garrick fand ich unseren Mann unten im Speisesaal … Ich saß am dritten Tische neben ihm. Er hatte sich einen Platz in einer Ecke halb hinter ein paar Oleanderbäumen ausgesucht … Und rechts von mir am Nebentisch erschien kurz nach mir eine sehr schickte junge Dame – Deine Irina … Die Kellner katzbuckelten vor ihr wie vor einer amerikanischen Dollarprinzessin. Der Hotelbesitzer flüsterte mir nachher zu, die Dame sei die intimste Freundin der Herzogin von Lancire … eine Miß Doris Gwendoll …“
Ich blickte Harald mißtrauisch an …
„Hör mal, ich glaube, Du … verkohlst mich! – wie der Berliner sich ausdrückt …“
Er blieb ernst-ironisch …
„Keine Spur, lieber Alter …! Tatsache: Doris Gwendoll, Freundin der Herzogin von Lancire, überaus reich, liebenswürdig, Waise und nur deshalb im Hotel Garrick wohnend, weil schon ihr Vater dieses Hotel stets bevorzugt hatte …“
Mir blieb rein der Atem weg …
„Das … das ist doch ausgeschlossen …!“ platzte ich heraus … „Das Mädel war und ist Hoteldiebin erster Sorte – prima Qualität, und …“
„Laß mich ausreden … – Als ich dann soupiert hatte, mir ein Auto bestellte und inzwischen längst gemerkt hatte, daß der reizende Käfer für meine uninteressante Person ein interessantes Interesse bezeigte, – als ich im Auto nach dem Palast Lancire in der Nähe des Königlichen Schlosses fuhr, da … fuhr Miß Doris Gwendoll hinter mir her …“
„Unglaublich …!!“
„Oh – es kommt noch viel unglaublicher …! – Ich lasse mich der Herzogin melden, die ich bereits vom Hotel aus angerufen hatte … Man führt mich sofort in einen Salon … Der Hausmeister der Herzogin erstirbt in Ehrfurcht vor mir … Ich bin sehr herablassend, unterhalte mich mit ihm, frage nach Doris Gwendoll … Ich hätte gehört, die junge Dame sei die beste Freundin der Herzogin und wohne zur Zeit im Hotel Garrick … – Der Hausmeister bestätigt dies, fügt hinzu: Er begreife diese Laune Miß Gwendolls nicht, die doch sonst stets hier im Palast wohne … Aber die Damen hätten eben zuweilen so ihre besonderen Einfälle …“
„Und – dann sahst Du die Herzogin?“
„Natürlich … War eine halbe Stunde mit ihr allein … Eine berückende Frau …!“
„Was sagte sie denn über den Diebstahl der Familienjuwelen?“
„Nichts … absolut nichts …“
„Nichts?! Wie soll ich das verstehen? Du hast ihr doch mitgeteilt, daß wir die verborgene Beute des Diebes zu finden hoffen …“
„Bin ich ein Idiot?!“ Und Harald schüttelt in einer Art den Kopf, als ob er mich für einen Idioten hält …
Ehrlich: ich komme mir halb wie ein solcher vor!
Frage schüchtern:
„Was sprachst Du denn mit der Herzogin?“
„Ich sprach mit ihr über den Tod ihres um fünfunddreißig Jahre älter gewesenen Gatten … Der Herzog starb vor sechs Monaten, brach das Genick – bei einer Schnitzeljagd, – Sturz mit dem Pferde …“
„Nun ja – und?“
„Nun ja – ich sprach ihr eben nachträglich mein Beileid aus … Ich spielte die Person, die ich im Hotel Garrick vorstellte: einen australischen Farmbesitzer, – alten Bekannten des Herzogs …“
Ich armer Schraut wurde immer verwirrter …
„Hattest Du Dich denn nicht telephonisch als Harst angemeldet?“ wagte ich zu stammeln …
„Keine Rede …! Als Master Lincoln Maxwell Olgyn aus Australien …“
„Und … und dann …?“
„Verabschiedete ich mich wieder …“
Ich schlackerte mit dem Schädel, was mir eine Rüge Haralds eintrug: „Benimm Dich damenmäßiger, mein Alter …!“
„Sehr wohl – gern …! – Aber – aber entschuldige schon: ich verstehe Dein Verhalten nicht ganz …! Du wolltest doch offenbar mit der Herzogin über den Riesendiebstahl sprechen, und …“
„… und tat es nicht, weil Doris Gwendoll im Hotel Garrick sich zu stark für mich interessiert hatte, mir nachgefahren war und hinter mir den Lancire-Palast betreten hatte … als Intimste der Herzogin …“
Jetzt hob ich „als Dame“ nur leicht die Schultern …
„Vielleicht drückst Du Dich klarer aus, Harald …!“
„Noch klarer?! Begreifst Du denn nicht?! Vergleiche doch mal Dein Abenteuer mit „Irina“ mit dem, was Du soeben erfahren hast …!“
Und da – mogelte ich … betrog – rief:
„Ah so – ganz recht! Natürlich …! Nun ist mir alles klar …“
Und wir gingen weiter …
Nichts war mir klar …
Harald erzählte, daß er für uns Ausweise als Ehepaar aus Kopenhagen, Sven Paalsen und Frau, Gutsbesitzer, besorgt habe …
Er hatte ja tadellose Beziehungen zur Londoner Kriminalpolizei, und man kam ihm dort stets in liebenswürdigster Weise entgegen. –
Abends bezog dann das würdige ältere Ehepaar Paalsen seine Kabine Nr. 6 auf der Otranto.
Nr. 5 war noch nicht besetzt, wie der zuständige Steward erklärte … Die betreffenden Herrschaften kämen wohl erst später …
So hatte Herr Sven Paalsen denn die beste Gelegenheit, einen Blick in Kabine Nr. 5 zu werfen und festzustellen, daß dort an der Verbindungswand nach uns hin eine eingerahmte Seekarte hing …
Weiter wagte er es, in diese Seekarte ein Löchlein gerade dort zu bohren, wo es gar nicht auffiel, und ebenso an derselben Stelle die Holzwand zu durchlöchern …
Es hat eben seine Vorteile, wenn man als erster zur Stelle ist … –
Um neun Uhr wurde dann die Nebenkabine bezogen …
Harald stand am Guckloch …
Ich dicht bei ihm …
Fragte fiebernd: „Nun – ist es Patterson-Benson?“
„Nein … – Bitte …“
Und er trat zur Seite …
Ich hatte durch das enge Löchlein nur ein geringes Sehfeld …
Die Kabine war hell erleuchtet … Mit einem Male erschien jemand im Bereich des Guckloches – – eine Dame … hellblond, hohe Frisur … – kein Bubikopf – – und doch: Irina – meine Irina …!!
Ich rieb mir die Augen …
Glaubte an Sehtäuschung …
Harst lachte leise …
Ich schaute nochmals hindurch: Irina – Doris Gwendoll …!!
Mein Hirn glich einem Ameisenhaufen …
Alles kribbelte und krabbelte durcheinander – alle Gedanken wirbelten durcheinander …
Aber – was ich dann erblickte, war noch verwirrender: Doris Gwendoll nahm die blonde Perücke ab und … gähnte …
Gähnte und begann sich langsam zu entkleiden … –
Man ist Gentleman …
Also verließ ich den Lauscherposten, flüsterte Harald zu:
„Sie geht zu Bett …“
Und er steckte den schon vorbereiteten farbigen Pfropfen in das Löchlein und meinte:
„Ganz wie ich’s mir dachte, mein Alter … Deine Irina und Patterson arbeiten Hand in Hand, gehören zusammen … Deine Irina war Spionin für Patterson, den Zweifingrigen[3] … Mich belauerte, Dich wollte sie betäuben und Deine Papiere studieren, um zu sehen, wer Du bist … Auch Du warst den beiden verdächtig erschienen … Bestehlen wollte sie Dich nicht … Bist Du jetzt im Bilde, Du … Schwindler?!“
„Allerdings …!“ Und ich mußte lächeln …
Schwindler …!! Es stimmte …! Und Harald hatte natürlich gemerkt, daß ich auf der Hafenmole gelogen hatte.
Wir setzten uns an das kleine Tischchen …
Um zehn ging der Dampfer in See …
Um halb elf stand Harald wieder am Guckloch …
„Drüben alles dunkel … Sie schläft …!“ meinte er.
Und rauchte sich eine Mirakulum an …
Es war nun klar: Patterson war Ben Benson, war mit Doris Gwendoll verbündet, die ihm die Gelegenheit zum Raube der Familienjuwelen „ausbaldowert“ hatte … Und jetzt floh das Pärchen nach Indien, um dort in Ruhe die Beute zu verwerten …
So beurteilte ich den Fall …
Und wie grundfalsch diese Kombinationen waren, sah ich dann sehr bald ein …
Am nächsten Vormittag …
Auch die zweite Kajüte hat ihr Promenadendeck … Das Ehepaar Paalsen liegt in Deckstühlen und freut sich über das heitere Antlitz des sonst so ungezogenen Golfes von Biscaya …
Fünf Schritt seitwärts zwei andere Personen: Patterson, der jetzt den rechten Arm verbunden in der Schlinge trägt, plötzlich hellblondes Haar und einen ebensolchem Spitzbart bekommen hat und um fünfzehn Jahre jünger aussieht … Neben ihm meine Irina … Reizend, frisch, vergnügt …
Kanaille – kleine Kanaille …!! –
Inzwischen wissen wir durch unseren Steward: die beiden Herrschaften aus Kabine Nr. 4 und 5 sind die Geschwister Robertson …
Ausgerechnet Robertson – – und Geschwister!! Beneidenswerter Bruder! Mit der Schwester führe auch ich gern gen Bombay …! Nur müßte die Schwester in Punkto Moral weniger mit Hoteltüren bewandert sein! –
Das Pärchen fühlt sich offenbar vollkommen sicher … Bensons verräterische Hand liegt in einem schönen weißen Gazeverband … Ganz nett, der Trick …
Das Pärchen flüstert viel … Benson sieht jetzt gar nicht so übel aus … Ein strammer Bursche, und Augen besitzt er, – ähnlich wie Harst … ein Blick, der alles zu durchdringen scheint … –
Harald schmökert … Er hat sich aus der Schiffsbibliothek vier neueste englische Kriminalromane geholt …
Ich halte den Schreibblock im Schoße und lasse den spitzen harten Bleistift eilig über das Papier gleiten … schreibe mit meiner leider recht kritzligen Schrift unser vorletztes Abenteuer nieder, „Das Gespenst von Jan Mayen“ … In Genua, wo die Otranto anlegt, soll das Manuskript zur Post …
So kommt es, daß meine Gedanken im hohen Norden weilen, auf der einsamen Insel, wo des Beerenberges eisstarrender Gipfel und das Blockhaus der Wetterstation Zeugen einer blutigen Tragödie wurden … In diese Erinnerungen versenke ich mich, vergesse darüber fast Ben Benson-Robertson und sein Schwesterlein, die so geschickt mit Drahtschlingen Türriegel zu öffnen versteht …
Ja – eine seltsame Freundin für eine Herzogin, diese Doris Gwendoll! Eine unbegreifliche Freundschaft …! – Ob die schöne Herzogin von Lancire, die Harald so keck angeschwindelt hat, wirklich nicht ahnt, welche Art von Schattenpflänzchen diese Doris ist?!
Das geht mir plötzlich so durch den Kopf, während mein versonnener Blick auf dem heiteren Pärchen ruht …
Ich darf es schon wagen, häufiger hinüberzuschauen … Meine Maske als fünfzigjährige Frau Gutsbesitzer Paalsen ist tadellos … Ich weiß auch mein Benehmen danach einzurichten …
Und – mein versonnener Blick, der so halb noch im Geiste die düsteren Landschaftsbilder auf Jan Mayen schaut, wird mit einem Male lebhafter …
Ich – beobachte etwas …
Harst liest …
Ich sehe da einen europäisch gekleideten Inder, der sechs Schritt jenseits des Pärchens in einem Liegestuhle ruht und mit einer Momentkamera sich beschäftigt – wie spielend …
Die schwarzen Augen in dem kaffeebraunen Gesicht sind weniger harmlos … Unter gesenkten Lidern schießen eigentümliche Blicke zu Robertson und Schwester hin …
Und dann – – wahrhaftig, keine Täuschung! – dann hat der Inder die beiden geknipst – ganz heimlich …
Eine Weile vergeht …
Doris wendet den Kopf …
Da läßt der Inder zum zweiten Male den Momentverschluß arbeiten …
Ich … nehme schnell einen Zettel, schreibe nieder, was ich belauert habe, reiche Harald meinen Schreibblock und den Zettel …
Er liest, knüllt den Zettel zusammen und nickt nur …
Ich merke, wie er jetzt den Inder scharf im Auge behält.
Der steht nach einer halben Stunde auf … geht die Treppe hinab …
Und wieder eine halbe Stunde später hat Harst ermittelt, daß der Inder ein Kaufmann namens Schama Semli aus Bombay ist, daß er in der allen Passagieren zur Verfügung stehenden Dunkelkammer sofort seine Rollfilms entwickelt hat und nun in seiner Kabine Nr. 12a (die Nummer 13 fehlte auf der Otranto – – Aberglaube!) weilt.
Wir essen in unserer Kabine … Auch die Robertsons verzichten auf die gemeinsame Tafel im Speisesaal … Sie lassen sich das Diner in Doris Gwendolls Kabine servieren. – Unser Guckloch bewährt sich wieder …
Wir stehen abwechselnd an dem Löchlein … Die Geschwister sind recht zärtlich … Meine Irina sitzt eine Weile auf des Bruders Schoß und küßt ihn …
Wir stellen fest, daß der Verband um den Unterarm Ben Bensons eine feste Röhre ist, die er im Moment herunterziehen kann …
Wir sehen seine verstümmelte Hand … Er hat an der Rechten nur zwei Finger – es stimmt! – Daumen und kleinen Finger … –
Jedenfalls – wir werden uns kaum langweilen … Zumal der Inder als dritte Person überwacht werden muß. Harald hat sich über den schwarzbärtigen Gentleman noch nicht geäußert …
Nachmittags fünf Uhr hat der kaffeebraune Amateurphotograph vier Kopierrahmen neben seinem Liegestuhl in die Sonne gestellt …
Schaut hin und wieder nach, ob die Abzüge schon genügend getönt sind …
Dann packt er seine Kopierrahmen in einen Bogen Papier und verschwindet.
Unsere Liegestühle stehen jetzt dicht nebeneinander …
Harald sagt unvermittelt:
„Ich werde Dir hier ein paar Sätze aus diesem tadellosen Roman vorlesen … Der Autor verfügt als Kriminalschriftsteller über einen außerordentlich trockenen Humor …“
Und tut, als ob er vorliest:
„Vielleicht ist es ratsam, mein Alter, Dir schon jetzt zu sagen, daß der Inder für mich keine Neuerscheinung ist … Er lungerte in anderer Aufmachung, als farbiger Straßenhändler, vor dem Hotel Garrick umher … Mithin hat er es in der Tat auf das Pärchen abgesehen, ist ein Spion dessen Persönlichkeit den Fall Ben Benson noch mehr kompliziert. Die heimlichen Aufnahmen des Pärchens müssen einen ganz bestimmten Zweck haben. Ich werde versuchen, in die Kabine 12a einzudringen … Die Otranto legt in Gibraltar an. Dann werden alle Fahrgäste an Deck sein.“
Die … Vorlesung ist beendet …
Harst tut, als ob er über einen Scherz des Autors lachte …
Damit ist dieses Intermezzo erledigt, und ich versuche weiterzuschreiben – Jan Mayen … Aber es gelingt nicht recht … Mein Hirn ist jetzt zu sehr auf Ben Benson eingestellt …
Der Inder – – und das Pärchen fährt nach Indien … Wo ist da Anfang und Ende?! Ist meine Theorie etwa falsch?! Haben die Robertsons die Riesenbeute gar nicht bei sich?! Sollte Harald etwa die Dinge ebenfalls ganz anders beurteilen?!
Und dies Letzte läßt mir keine Ruhe …
Ich beuge mich zu meinem Herrn Gemahl hinüber …
„Harald, ich …“
„Ich heiße Sven … Sprich gefälligst dänisch … Wir sind Dänen …“
„Entschuldige, Sven … Ich wollte nur etwas fragen … Teilst Du meine Ansicht, daß die Robertsons die Familienjuwelen bei sich haben?“
„Diese Ansicht ist Blödsinn …“ Er schaut gar nicht von seinem Schmöker auf … „Störe mich nicht … Dieses Kapitel ist außerordentlich interessant … Der Detektiv dieses Romans liegt gerade in einen Teppich eingerollt in einem Möbelwagen, in dem sich zwischen Hausgerät auch eine Kiste befindet, in der zwei flüchtige Verbrecher stecken …“
Ich verzichte auf weitere Fragen …
Blödsinn!!
Meine Theorie ist also grundfalsch … Ich grübele … Es muß sich doch die richtige Theorie finden lassen … – Die Familienjuwelen der Herzogin von Lancire sind aus dem Palast gestohlen worden – so beginne ich dem Rätsel von neuem auf den Leib zu rücken … Die Polizei findet im Palast „das Wappen“ des Juwelendiebes Ben Benson … Benson wird durch einen Zufall verhaftet, leugnet, nennt sich Patterson und verweigert nähere Angaben über seine Person, wird verurteilt, entflieht …
So gehe ich die Ereignisse von Anfang an nochmals durch …
Meine Arbeit, Jan Mayen, muß jetzt zurückstehen … Haralds „Blödsinn!“ hat mich schwer geärgert … Ich bin doch schließlich auch nicht gerade auf den Kopf gefallen …! Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn ich nicht das Richtige herausfände …
Ich sinne, kombiniere, baue Theorien auf, reiße sie wieder nieder und komme endlich zu der unumstößlichen Gewißheit, daß es Zeitverschwendung ist, fernerhin mit diesen ungereimten Dingen in Gedanken zu jonglieren …
Seufzend greife ich zum Bleistift und schreibe – schreibe immer flotter, wie Harald auf der Felsentreppe über dem Stationshaus in Jan Mayen am Holzgeländer die Eindrücke des Taues findet, an dem „das Gespenst“ sich auf das Dach der Hütte hinabgelassen hat … –
Auch dieser Tag vergeht …
Spät abends ist Mr. Robertson bei seiner Schwester …
Mir scheint, er hat der Schwester bis zum Morgen Gesellschaft geleistet. Er ist eben ein sehr zärtlicher Bruder …
O Irina …!! –
Und dann Gibraltar … Riesenfelsen, gespickt mit Geschützen … Englischer Besitz auf spanischem Boden …
Die Mittelmeerflotte Britanniens ankert hier … Harst macht eine bissige Bemerkung über den Abrüstungsschwindel und … verschwindet von Deck …
Sonnenuntergang … Alle Passagiere an der Reling … Auch der indische Gentleman …
Ich beobachte ihn … Sobald er etwa Miene macht, in seine Kabine hinabzusteigen, werde ich Harald warnen … Aber er bleibt oben …
Die Otranto wirft Anker …
Passagiere kommen an Bord … Gepäck …
Zwei Stunden bleibt der Dampfer unter Wind der Felsenfeste … Dann das Mittelmeer … Meeresleuchten, Mondschein, milde Luft, Hitzewellen von der afrikanischen Küste, wo der Kabyle Abd el Krim[4] die Spanier und Franzosen arg zur Ader läßt …
Ich betrete unsere Kabine … Der Tisch ist gedeckt … Das Abendessen steht seit einer halben Stunde bereit …
Harald liegt auf seinem Bett – angekleidet, Zigarette im Munde, nickt mir zu …
„Erledigt …!!“
„Nun – – und?!“
„Die Bilder sind fertig … Vier verschiedene Aufnahmen der beiden … Und dann fand ich noch ein Schreiben an die Polizei in Genua – sehr eingehend … Eine anonyme Anzeige, daß sich auf der Otranto der entsprungene Zuchthäusler Ben Benson befinde, Kabine Nr. 4 … Die beiliegenden Photographien seien der beste Beweis, zeigten Bensons verbundenen rechten Arm … – Also dazu hat der Kerl das Pärchen geknipst … dazu! Er will, daß sie verhaftet werden … Und es wird ihm natürlich gelingen … – Ich habe Hunger … Wir wollen soupieren …“
Und weiter redet er nichts mehr über die Sache … Lehnt jede Aussprache ab …
So ist er … Weiß Gott: leicht ist’s nicht, mit ihm umzugehen …
Ist’s ein Wunder, daß ich unter diesen Umständen förmlich fiebere, als wir in Genua anlegen?!
Ein Wunder, daß ich Schama Semli stets im Auge behalte?! – Er geht an Land … Harald bleibt auf der Otranto … Ich verfolge den Inder … Kenne Genua … Er gibt einem Gepäckträger am Hafen einen versiegelten Brief und Geld, spricht eindringlich mit dem schmierigen Italiener … Der rennt davon … Der Inder geht wieder an Bord …
Ich auch …
Ich fiebere … fiebere …
Sitze im Deckstuhl …
Neben uns das Pärchen – vergnügt wie immer …
Arme Irina …! Noch eine halbe Stunde vielleicht, und Du wirst den Kriminalbeamten folgen müssen … Mit den Flitterwochen ist’s aus …
Sie tut mir leid, die kleine Kanaille … Sie hat wirklich etwas Liebes an sich … Und wenn ich an die Szene denke, wie sie mir gerührt für die Fünfzigpfundnote dankte (die sie dann wieder durch das Schlüsselloch zurückgab!), bedauere ich sie noch mehr … –
Die halbe Stunde verstreicht …
Jetzt müssen die Schergen jeden Augenblick auftauchen.
Harst liest den letzten seiner vier Kriminalromane – mit einer abscheulichen Bierruhe … Er hat kein Mitleid mit Irina … offenbar auch nicht die Spur von Mitleid …
Dann entdecke ich auch den braunen Verräter, den Denunziant Schama Semli – an der Reling, etwas abseits …
Lump … Lump …!
Er schielt zu den Robertsons hinüber …
Ein Steward kommt und überreicht mir die Postquittung über den eingeschriebenen Brief an meinen Verleger … dankt für das Trinkgeld … Mein Jan-Mayen-Manuskript wird pünktlich in Berlin sein.
Aber – unpünktlich sind die italienischen Kriminalbeamten …
Sie kommen immer noch nicht …
Der Lump wird unruhig …
Nach einer halben Stunde geht die Otranto wieder in See …
Der Lump schielt immer häufiger zu dem Pärchen hin.
Wird nervöser … Rennt auf und ab …
Ich zittere – innerlich …
Meine Irina sieht ihren zweifingrigen Geliebten so schwärmerisch an … Sie ist heute so entzückend in dem weißen schlichten Kleidchen …
Aber – ich zittere ohne Grund …
Die Ankerwinden rasseln …
Signalpfeifen schrillen …
Die vier Riesenschlote spucken schwarzen Qualm aus …
Der Lump macht ein Gesicht, als hätte er Essig gesoffen …
Ich gönne ihm ein ganzes Wasserglas Essig …
Die Otranto dampft davon …
Und – ich atme auf – – hörbar …
Harald wendet den Kopf, lächelt …
„Der Brief enthielt lediglich eine alte Zeitung,“ sagt er leise …
Ich starre ihn an … Er lächelt und liest weiter …
Mir geht ein Licht auf …
Harst hat den bereits versiegelten Brief damals in Gibraltar geöffnet und die Denunziation und die Bilder gegen die Zeitung vertauscht, den Umschlag dann wieder versiegelt!! Deshalb kamen die Beamten nicht – deshalb …!!
Ich flüstere ihm wütend zu:
„Das hättest Du mir auch früher sagen können …!“
Und er:
„Dann hätte ich Dich um ein paar nette Zeilen in Deiner späteren Schilderung des Falles Benson gebracht, verehrte Gemahlin …! Du wirst jetzt Deinen Lesern recht hübsch ausmalen können, wie Dein halb verliebtes Herze um Irina sich sorgte … Und Deine Leserinnen werden diese bangen Minuten mitfühlend mit erleben …! – Jetzt müssen wir in Suez aufpassen, ob der Bursche es dort nochmals versucht …“ –
Und Schama Semli versuchte es …
Er hatte offenbar neue Abzüge von den Filmen hergestellt, hatte auch wieder einen Brief bereit. Diesmal aber gelang es Harald nicht, in die Kabine 12a einzudringen.
Als wir in Suez anlegten, kam der Inder jedoch merkwürdigerweise nicht an Deck …
Harald beruhigte mich …
„Vielleicht hat er sich’s anders überlegt … Vielleicht fürchtet er, daß er als Absender der Denunziation doch entdeckt werden könnte. Und das mußte er vermeiden … auch sein Konto ist fraglos nicht ganz sauber. Im Gegenteil …“
Nach zwei Stunden fuhr die Otranto den Riesenkanal weiter hinab – dem Roten Meere zu …
Alle Passagiere waren wieder an Deck … Nur der Inder nicht …
Und als eine halbe Stunde vergangen, sahen wir ein paar Stewards erregt zur Kommandobrücke eilen …
Der Kapitän verschwand dann mit ihnen im Kabinengang … Dort lag auch unsere Kabine – im selben Gang an Backbordseite.
Harald rauchte seine Mirakulum … Wir beide waren in unseren Liegestühlen geblieben …
Er schaute sich um …
Flüsterte mir zu …:
„Jetzt haben sie ihn gefunden …“
„Wen?!“
„Törichte Frage: den Inder! – Ich habe den Steward im Gang angehalten, der ihm Eislimonade brachte … Vier Kügelchen fielen in das Glas … Der Steward sah nichts davon … Herr Schama Semli dürfte bewußtlos auf dem Teppich gelegen haben, als wir in Suez waren … Nun ist auch diese Gelegenheit für ihn verpaßt, und jetzt wird er’s in Bombay zum dritten Male versuchen … Früher legt die Otranto nicht an …“
Und jetzt – sagte ich gar nichts … Jetzt war ich lediglich gespannt darauf, wie Schama Semli dieses kleine Attentat auf seine Person deuten würde und ob man nicht doch gegen Herrn Gutsbesitzer Paalsen Verdacht schöpfte … –
Sehr bald war denn auch auf dem ganzen Schiffe bekannt, daß der indische Passagier Schama Semli das Opfer eines frechen Anschlages geworden … Man hatte ihn irgendwie betäubt und offenbar berauben wollen …
Irgendwie betäubt …
Alle Welt zerbrach sich über diese „Wie“ die Köpfe, soweit dies bei der Siedehitze im Roten Meere möglich war …
Vielleicht machte es diese Backofenglut: die Geschichte geriet schnell in Vergessenheit … –
Im Indischen Ozean hatten wir zwei Sturmtage … Die Hälfte der Fahrgäste war seekrank …
Auch die arme Doris-Irina Robertson …
Ich sah sie durch das Guckloch im Bett liegen und immer wieder Neptun opfern … Ihr zärtlicher Bruder hielt ihr das Puppenköpfchen, wenn der Magen abermals sich umkrempelte …
Arme Irina! Grünbleich war sie … Schweißperlen auf der Stirn … Nichts half … –
Ich konnte diesen Anblick nicht ertragen … Denn mir ging es so unverschämt gut … Wir waren seefest … Wir standen abermals an der Reling und schauten den Wogenbergen entgegen, die immer wieder gegen den scharfen Bug anrannten und dem Prachtschiff doch nichts anhaben konnten.
Fünf Schritt seitwärts lehnte der kaffeebraune Lump …
Schade – der Kerl war ebenso frisch und munter wie wir …
Dann ging er an uns vorüber …
Die Otranto verneigte sich gerade vor einer Riesenwoge …
Schama taumelte …
Wollte sich an Harald festhalten, griff nach dessen Gesicht.
Harst sprang seitwärts, und der Inder fiel gegen die Reling, hinkte davon …
„Also doch!“ meinte Harald nur … „Er hat sich soeben verraten … Er hat Verdacht gegen mich … wollte probieren, ob mein Vollbart echt … Er taumelte mit Absicht … Seine Hand hätte mir den Bart abgerissen … – Sehr gut so, Herr Schama Semli …! Ich werde mich danach richten …!“
Von dem Augenblick an fühlte ich mich auf der Otranto nicht mehr behaglich …
Ich kenne Indien, die Inder und die indische Verbrecherwelt, indische Methoden. Auch Harald war jetzt die Vorsicht selbst … Trotzdem beachteten wir Schama Semli nicht … hüteten uns, irgendwie zu zeigen, daß wir … Bescheid wußten …
So kam der Abend heran, an dem die Küste Vorderindiens am Horizont auftauchte. Gegen elf Uhr sollten wir in den Hafen der Inselstadt einlaufen …
Gegen neun Uhr saß ich in unserer Kabine und packte die Koffer … Harald war noch an Deck …
Es nahte also für die „Geschwister“ Robertson abermals eine Entscheidungsstunde. Harst hatte sich in keiner Weise darüber geäußert, wie er das Pärchen diesmal vor dem Inder zu schützen gedächte. Hier in Bombay war dies weit schwieriger als anderswo, da die Otranto einen vollen Tag im Hafen blieb, bevor sie ihren Weg nach Ostasien fortsetzte. Außerdem hatten wir sowohl als die Robertsons und Schama Semli nur Fahrkarten bis Bombay. Irgend etwas in der Tat Entscheidendes mußte sich also unbedingt ereignen … –
Ich war mit dem Packen fertig …
Es klopfte … Ein Steward erschien und bat Frau Paalsen in die Kapitänskajüte. Etwas beunruhigt betrat ich zum ersten Male diesen Raum, wo mir der Kapitän jedoch sofort sehr höflich entgegenkam …
Harald war nicht zu sehen …
„Mr. Schraut,“ sagte der allgewaltige Beherrscher der Otranto, „Ihr Freund hat sich mir anvertraut und auch für Ihre Bekannten, die Geschwister Robertson, gebeten … Ich werde es also so einrichten, daß Sie vier in aller Stille mit Ihrem Gepäck auf den Polizeidampfer übergesetzt werden, der den Quarantänearzt an Bord bringt … Sie sollen hier so lange in meiner Kajüte bleiben, Mr. Schraut … Ich werde im übrigen schweigen – selbstverständlich …! Ihr Freund verhandelt mit den Robertsons …“ –
Um zehn Uhr nahte der kleine Dampfer der Hafenpolizei.
Alles ging glatt … Der Dampfer legte kurze Zeit am Fallreep an … Der Arzt und drei Beamte kamen an Bord. Ich verließ die Otranto … In der kleinen Kajüte traf ich mit Harald und den Robertsons wieder zusammen … Wir vier waren allein … Der Dampfer jagte dem Hafen wieder zu …
Harald wendete sich an Benson-Robertson-Patterson:
„Jetzt will ich Ihnen erklären, wer ich bin und weshalb ich Sie beide vor dem Inder gewarnt habe …“ – Er zog eine englische Zeitung aus der Tasche … Im Anzeigenteil waren zwei Steckbriefe mit Bildern veröffentlicht …
„Hier – das sind wir, Mr. Robertson … Das Hochstaplerehepaar John Bennitt und Frau … Der Inder ist Detektiv und war auch uns auf der Spur …“
Ich sagte gar nichts – absolut gar nichts … Mir verschlug diese Frechheit die Sprache … –
Und damit beginnt der indische Teil von … Ben Bensons drei Fingern …
Die „Geschwister“ waren außerordentlich erregt, wenn sie dies auch recht gut zu verbergen wußten … Sie trauten dem Frieden nicht, und die Blicke, mit denen sie uns beide musterten, sagten mehr als Worte …
Benson-Patterson-Robertson meinte dann ärgerlich:
„Spielen Sie doch nicht mit uns Katz’ und Maus …! Die Sache mit dem Inder ist Schwindel …! Sie beide sind Detektive, und wir sind Ihnen nur gefolgt, weil ja doch alles verloren ist …“
Harald holte aus der Tasche einen Brief und vier unaufgezogene Momentaufnahmen hervor …
„Bitte – lesen Sie …! Sehen Sie sich die Bilder nur an …!“
Und er erklärte, was wir beobachtet hatten: Schama Semlis heimliche Aufnahmen – all das übrige!
Er schilderte die Tatsachen so geschickt und überzeugend, daß die Robertsons wieder aufatmeten …
„Den Kapitän der Otranto habe ich dann eben bestochen,“ meinte er zum Schluß leichthin … „Um sein Gewissen zu beruhigen, sagte ich ihm noch, daß wir unbedingt den Mitternachtzug nach Dehli erreichen müßten … Es hinge für uns geschäftlich unendlich viel davon ab … – Im übrigen ist doch Ihr Verdacht, Mr. Robertson, daß wir Detektive seien, geradezu lächerlich …! Wären wir es in der Tat, dann hätten wir Sie beide doch schon in Gibraltar festnehmen lassen können. Nein – wir sind wirklich John Bennitt und Frau … Da – hier steht: „John Bennitt, achtunddreißig Jahre, hager, etwas über Mittelgröße, starke, leicht gekrümmte Nase, graue Augen, volles dunkelblondes Haar, trägt aber zumeist blonde Perücke …““
Er lächelte stolz …
„Ja – es stimmt schon …! Und trotzdem hat man mich und meine Frau nicht erwischt …!“
Die Robertsons waren nun vollkommen … „eingewickelt“ …
Er reichte Harald mit herzlichen Dankesworten die Hand.
Doris-Irina tat das Gleiche …
Wir setzten uns um den kleinen Tisch … Niemand kümmerte sich um uns …
Robertson fragte dann leise – wir flüsterten überhaupt nur:
„Wie haben Sie denn nun aber herausbekommen, daß ich der entsprungene Zuchthäusler Ben Benson bin, Mr. Bennitt?“
„Durch das von mir in die Verbindungswand gebohrte Loch, Mr. Robertson … Nennen Sie mich aber unter allen Umständen weiter Paalsen … Unsere Papiere lauten auf diesen Namen. – Durch das Löchlein sahen wir, wie Sie Ihre Verbandattrappe einmal vom Unterarm zogen … Da kam Ihr „Wappen“ zum Vorschein – die zweifingrige Hand … Alles sehr einfach …“
„Allerdings,“ nickte Robertson … „Sehr einfach, wenn man erst alles weiß … – Und wie denken Sie sich die Fortsetzung der Flucht vor dem Inder?“
„Das lassen Sie nur meine Sorge sein … Der Polizeidampfer setzt uns mit unserem Gepäck in dem kleinen Jachthafen von Malabar Hills ab. Dort besorgen wir uns ein Auto, fahren zum Haupthafen, mieten ein Motorboot und sagen dem Bootsführer, daß wir nach dem kleinen Badeort Sellerby-Banks übergesetzt werden möchten … Unterwegs überwältigen wir den Bootsführer und seinen Gehilfen und fahren die Küste entlang nach der Eisenbahnstation Bassein, landen an abgelegener Stelle, mieten einen Wagen und begeben uns zum Bahnhof … Dort trennen wir uns … Denn zu vieren können wir unmöglich flüchten … Meine Frau und mich wird man niemals erwischen, dafür will ich schon sorgen … Wir kostümieren uns anders … Meine Frau legt Männerkleider an, und die Polizei kann dem Ehepaar Bennitt nachpfeifen …!“
„Donnerwetter – Sie verstehen’s!“ meinte Robertson mit ungeheurer Hochachtung …
Harst-Bennitt grinste …
„Bitte – wir haben ja in London den größten Scheckbetrug verübt, der je gewagt wurde …! Und das Ding war schwerer zu drehen als eine Polizeimeute zu täuschen – das dürfen Sie mir schon glauben, Mr. Robertson …! Sie haben wohl in der Zeitung davon gelesen: wir erleichterten die Bank von England um achtzehntausenddreihundert Pfund!“
Oh – mit welchem Stolz er das sagte …! Mit welcher Schadenfreude …!
Und ich saß stumm dabei, versunken in Doris Gwendolls Anblick …
Wenn Irina geahnt hätte, daß der Herr aus dem Hotel Garrick, der ihr die Banknote geschenkt hatte, hier neben ihr saß …!
Aber – sie ahnte nichts …
Das merkte ich jetzt, als sie mit ihrem Stuhl näher zu mir heranrückte – ganz nahe – und verlegen flüsterte, so daß nur ich, Frau Paalsen, es hören konnte:
„Haben Sie … haben Sie auch nachts an dem Guckloch gestanden?“
„Nein …!“ beruhigte ich sie und nahm ihr schmales Katzenpfötchen und drückte es … „Nein, so indiskret waren wir nicht …“
Und meine Irina schmiegte sich leicht an meine Schulter, raunte weiter:
„Bestimmen Sie doch Ihren Gatten dazu, daß wir beisammen bleiben … Ich … ich habe Angst vor der Polizei … Robertson ist lange nicht so … so gewandt wie Ihr Gatte … Die Polizei darf uns nicht fangen …! Ich würde Gift nehmen …! Sehen Sie hier diesen Ring, Frau Paalsen … Unter der Monogrammplatte liegt ein Kügelchen Zyankali …“
Wieder drückte ich ihre Hand …
War das eine kleine süße Kanaille …!!
Und versprach ihr, meinem „Gatten“ gut zuzureden, daß wir vorläufig beieinander blieben … –
Ich könnte hier noch so manches über unsere „Flucht“ bis Bassein erzählen … Aber es gibt ja leider so unendlich viel Wichtigeres zu berichten …
Jedenfalls: alles kam so, wie Harald es geplant hatte … Das Motorboot hatte nur zwei Mann Bedienung, Harst sperrte die beiden mit vorgehaltener Pistole in einen Verschlag ein …
Gegen zwei Uhr morgens landeten wir in einer von dichtestem Dschungel umgebenen Meeresbucht nördlich von Bassein … Trotz der Dunkelheit steuerte Harald dann nach kurzem Erkundungsgang in einen kleinen Fluß hinein. Rechts am Ufer erhob sich ein indisches Dorf – elende Hütten … Hunde kläfften … Wir fuhren vorüber.
Ich stand am Motor, der nur mit einem Eisenkasten umgeben war … Meine Irina hockte neben mir auf einer Kiste …
Der Mond leuchtete hinter den Baumkronen … Im Ufergehölz kreischten verschlafene Affen … Das seltsame Schreien der indischen Waldeule erfüllte die Stille der Nacht mit höllischem Gelächter …
Der Dschungel duftete …
Duftwellen begrüßten uns … Indien grüßte uns …
Ich war vergnügt und redselig …
Dann rechts ein kahler Berg … Gesteinmassen, Felsen engten das Flüßchen ein …
Oben auf dem Gipfel hob sich scharf gegen den Nachthimmel eine Tempelruine ab …
Wir landeten abermals, das Boot drückte sich in übermannshohe Schilfstengel hinein … Ein besseres Versteck konnte es kaum geben.
Dann ging Harald zu dem Bootsbesitzer und dessen Gehilfen in den Verschlag, zahlte ihnen zehn Pfund und sperrte sie wieder ein …
Wenn sie erst merkten, daß wir nicht mehr an Bord, konnten sie die Brettertür unschwer aufbrechen und davonfahren. Sie hatten kein schlechtes Geschäft gemacht und das kleine Abenteuer reichlich bezahlt erhalten.
Wir vier aber brachen nun nach der Ruine auf. Wir wollten uns dort oben auf dem Berggipfel, wo wir schon einen passenden Raum in der Ruine finden würden, anders kostümieren.
Dieser nächtliche Marsch durch den Dschungel war sowohl gefährlich als auch außerordentlich mühsam. Wir hatten vier Kabinenkoffer, vier Reisetaschen, zwei Schirme und Irinas lederne Hutschachtel zu schleppen. Einen Pfad gab es nicht. Dafür mußten wir mit Giftschlangen rechnen, vielleicht auch mit einem Panther, denn diese Bestien lieben die Nähe von Dörfern und Gehöften.
Harst ging mit zwei Kabinenkoffern voran. Seine eingeschaltete Taschenlampe trug er an der Brust befestigt.
Nachdem wir uns mühsam einen Weg gesucht und etwa zehn Minuten gewandert waren, stellten wir aus Ästen eine Tragbahre her, auf die wir das gesamte Gepäck verluden. Harald und Robertson trugen die schwere Last, während ich nun Pfadfinder spielte. Den Beschluß des Zuges machte Irina-Doris …
Das Mondlicht hatte uns getäuscht. Der stumpfe Bergkegel war doch weiter entfernt, als wir anfänglich geglaubt hatten. Der neue Tag dämmerte schon herauf, als wir die Ruine erreicht hatten.
Es war ein vollständig verfallener und mit Schlingpflanzen dicht bewachsener Hindutempel. Nur einzelne Mauerreste ragten noch kahl und hoch empor. Trotzdem gab es in der Haupthalle einen Winkel, in dem wir uns häuslich einrichten konnten. Bevor diese Säuberung erledigt war, hatte die Sonne längst die fernen Kenia-Berge überwunden und warf ihre Strahlenbüschel in die leichten Nebelschleier, die über dem Dschungel sich nachts zusammengeballt hatten.
Das Bild dieses Sonnenaufgangs war einzig schön …
Irina und ich standen auf der zertrümmerten Tempeltreppe zwischen hohen Unkrautstauden und genossen schweigend die wundervolle Szenerie … Die Nebel zerflatterten … Die Landschaft zu unseren Füßen enthüllte all ihre Reize …
Da fragte das junge Mädchen träumerisch:
„Waren Sie schon einmal in Indien, Frau Paalsen …?“
„Oft …!“ – Es entfuhr mir so … Es war ja die Wahrheit …
„Oft …?! – Oh – dann …“
Sie schwieg …
Ich wurde mißtrauisch …
„Dann …?! – Weshalb sagen Sie „dann“ …?!“
„Ja – dann … könnten Sie uns vielleicht helfen … Wir sind hier völlig fremd …“
„Wir helfen Ihnen doch schon, Miß Robertson …“
„Nein – so meine ich das nicht … Wir … wir … haben hier etwas vor, etwas … Gefährliches, Frau Paalsen.“
„So?! Ich denke, Sie sind lediglich geflüchtet …“
„Nein – ehrlich gestanden, wir … wir hätten … nicht zu flüchten brauchen … Aber – ich muß erst mit meinem … Bruder darüber sprechen, Frau Paalsen …?“
Sie schaute mich an …
So forschend …
Fügte hinzu:
„Wenn ich nur wüßte, wo ich Sie schon einmal gesehen habe, Frau Paalsen …“
Ich lächelte …
„Oh – ein Allerweltsgesicht wie das meine …!!“
„Vielleicht … Aber – – aber es ist so merkwürdig … Ich werde das Gefühl nicht los … Ich muß Ihnen schon einmal begegnet sein …“
„Ausgeschlossen!“ Und ich lachte ganz harmlos … –
So begannen Harst und ich unsere Rollen als Hochstaplerehepaar John Bennitt und Frau.
„Ausgeschlossen!“ hatte ich heuchlerisch erklärt … Und, wie schon erwähnt, wir standen auf der Treppe mit dem Rücken nach dem halb verschütteten Ruineneingang hin … Im Sonnenschein … Ich als Frau Paalsen, ältere Dame, bescheidenen Reisehut, graue Frauenperücke …
„Ausgeschlossen …!“ wiederholte ich und lachte nochmals …
Aber zum dritten Male lachte ich nicht … Nein, dazu hatte ich beileibe keine Veranlassung mehr …
Eine Hand hatte mir plötzlich von hinten Hut und Perücke vom Schädel gerissen …
Von meinem leider so blanken, haarlosen Schädel …
Ich war im ersten Moment wie versteinert …
Gewahrte noch Irinas Gesicht – diesen unbeschreiblichen Ausdruck des Entsetzens, als sie meine Billardkugel von Kopf im Sonnenlicht gleich einem bleichen Mond leuchten sah …
War im nächsten Moment schon Herr der Situation …
Robertson – – Überfall!! Und meine Hand fuhr nach der Kleiderrocktasche … Gleichzeitig wollte ich ein paar Stufen abwärts springen …
Wollte …
Von der Seite ein Boxhieb … Nähe der Herzgrube …
Ich klappte zusammen wie ein Taschenmesser … Die Puste verging mir … Ich wollte die Treppe hinab – wenig damenmäßig … Zeigte vieles an Unterwäsche, was Damen sonst nicht zeigen …
Lag japsend da … Schon war Robertson-Benson neben mir …
Ich hörte Irinas Schrei …
Ich spürte Robertsons Bullenkräfte … Im Nu hatte er mir die Hände auf den Rücken gefesselt …
„John, was tust Du …!“
Und eine grimme Männerstimme fauchte:
„Närrchen, Du hast Dich betrügen lassen …! Ich nicht! Nicht einen Augenblick …! Habe jetzt drinnen in der Ruine den andern erledigt, seine Brieftasche durchgesehen … Weißt Du, wer die beiden sind?! Du wirst staunen …! Harst und Schraut sind’s, die beiden deutschen Detektive!“
„Um Gott …!!“ kreischte Irina … Und das klang nicht schön …
„Ja – das wäre eine nette Bescherung gewesen, wenn auch ich mich hätte einwickeln lassen! Aber ich traute dem famosen Ehepaar Bennitt nicht – zum Glück!“
Ich lag da – ein Häuflein Unglück …
Irina bückte sich und brachte meine Kleider in Ordnung, seufzte dabei:
„Wer hätte das gedacht …!! Ein Mann!!“
„Zwei Männer, Doris … zwei, die gefährlicher sind als die ganze englische Geheimpolizei …!“
Und dann riß er mich hoch, nahm mich in die Arm, trug mich die Treppe empor – hinein in das Halbdunkel des Hallenwinkels …
Dort lag Harald … ein zusammengeschnürtes Bündel, krampfhaft atmend, aber die Augen weit offen …
Robertson-Benson legte mich neben Harald …
„So – nun können wir uns ja in Ruhe unterhalten,“ meinte er bissig … „Doris, nimm Deinen Revolver … Und wenn einer der beiden frech genug sein sollte und …“
„Oh – Sie sind sehr undankbar, John Patterson …,“ unterbrach Harald ihn mit gequetschter Stimme … „Sie hätten die Sachlage auch auf weniger brutale Art klären können … Ihr Hirn reicht nicht aus, unsere wahren Absichten richtig zu beurteilen. Wenn wir es schlecht mit Ihnen beiden gemeint hätten, wenn unser Ziel Ihre Verhaftung gewesen wäre, dann würden wir Sie längst hinter Schloß und Riegel haben, dann hätten wir Sie kaum vor dem Inder geschützt …“
„Schwindel, der Inder …!“ hohnlachte Benson … „Die Photographien haben Sie selbst hergestellt … den Brief an die Polizei in Genua selbst verfaßt! Ich bin doch nicht dumm!“
Harald setzte sich aufrecht …
„Und doch sind Sie dumm, John Patterson …! Wer hat denn den Inder in Suez betäubt?! Sie etwa?!“
Patterson-Robertson-Benson wurde etwas stutzig …
Und Irina, die mich und meine Glatze noch immer staunend betrachtete, rief leise:
„John, Du kannst Dich doch auch irren …! Weshalb hat denn Herr Harst uns von der Otranto mit an Bord des Polizeidampfers genommen?! Weshalb uns hierhergeführt?!“
John machte eine Handbewegung, die geradezu verächtlich war …
„Doris, Du kennst diese Herren nicht …! Ich habe vieles von ihnen gehört … Harst hat seine eigenen Methoden … Harst hoffte wohl, die Familienjuwelen der Herzogin von Lancire in unserem Gepäck zu finden …!!“ Und er lachte grell und schneidend … „Die Diebesbeute, Doris, – Du verstehst …!!“ – Das Pärchen tauschte einen langen Blick … Dann fügte Benson noch bissiger hinzu: „Im Hotel Garrick waren die beiden ebenfalls, Doris … Du weißt! Der eine fuhr zur Herzogin … Der andere – na, da warst Du ja tätig …“
„Ach ja …!“ fiel ich ein und setzte mich gleichfalls aufrecht … „Ach ja, Miß Gwendoll, wir schieden damals als gute Freunde … Sie schienen gerührt über die fünfzig Pfund …“
„War ich auch, Herr Schraut … Sie haben Herz …“
„Harald noch mehr als ich, Irina …,“ nickte ich trübe. „Und er hat ganz recht: Sie beide sind ungeheuer undankbar! Wir wollten Sie vor dem Inder schützen – mein Ehrenwort darauf …!“
„Allerdings!“ sagte Harald schlicht …
Aber Benson hatte sich nun einmal in seine Idee verrannt, daß der Inder ganz harmlos sei …
„Ach was – hören Sie mir mit dem Inder auf!“ meinte er unwillig. „Ihre Schliche kennt man …! Ich werde jetzt mit Doris beraten … Zunächst aber muß ich Ihnen noch die Füße fesseln, Herr Schraut …“
Er tat’s … Dann verließen die beiden den muffigen, düsteren Raum … blieben draußen stehen, so daß sie uns im Auge behalten konnten …
Harald sagte laut, indem er mehr nach der Wand hinrutschte, um eine Rückenstütze zu haben:
„Sie werden es bereuen, sogar bitter bereuen …!“
Und ich, der ich all meine Theorien über den Fall Benson stets wieder als zwecklose haltlose Kartenhäuser eingerissen hatte, fragte leicht gereizt:
„Worum geht es hier eigentlich?! Ist dieser Mann nun Benson oder nicht …?!“
„Es geht um die Familienjuwelen der Herzöge von Lancire, mein Alter … Und Patterson ist John Patterson und niemals Benson … Ben Benson ist …“
Da kehrte das Pärchen schon zu uns zurück.
Es schien Doris doch gelungen zu sein, ihren John ein wenig umzustimmen. Sie lächelte ganz wenig, nickte mir zu … – Sie setzten sich auf zwei Mauertrümmer uns gegenüber, und John begann:
„Herr Harst, Sie dürften sich, was Doris und mich betrifft, in einem großen Irrtum befinden …“
„Durchaus nicht,“ warf Harald kühl ein …
„So?!“ – Patterson wurde verwirrt, erklärte dann jedoch energisch: „Sie müssen sich in einem Irrtum befinden … Sie können die Dinge unmöglich überschauen …“
„Wieder ein Irrtum, Patterson … Die Dinge waren mir bereits in London klar … mit durch den Bericht über Ihre tollkühne Flucht …“
Eine Weile Schweigen …
Patterson schaute finster vor sich hin, murmelte:
„Ja – wenn man Ihnen glauben könnte …! Aber – – es steht hier zu viel auf dem Spiele …! Außerdem: es ist glatt unmöglich, daß selbst Sie die Sachlage richtig einschätzen … Wirklich unmöglich …!“
Harald zuckte nur die Achseln.
Patterson fuhr zögernd fort: „Wir, Doris und ich …“
„Ja – Ihre Gattin und Sie …,“ warf Harald ein …
Das Pärchen stierte ihn an …
Meine Irina flüsterte:
„Oh – woher wissen Sie, Herr Harst …?!“
Und Harst hob nur die Schultern fast bis zu den Ohren und lächelte verschmitzt … Seine Laune schien plötzlich glänzend …
Patterson hatte die Lippen zusammengepreßt …
Dann sagte er mit etwas scheuem Blick: „Mit Ihnen kommt man nicht mit, Herr Harst … Sie sind berühmt für Ihre extravaganten Arbeitsmethoden als Detektiv … – Jedenfalls: Doris und ich haben beschlossen, Sie beide hier gebunden zurückzulassen, aber Ihnen die Möglichkeit zu geben, sich nach zwölf Stunden zu befreien, wenn … Sie uns versprechen, bis sieben Uhr abends hier zu bleiben.“
„Gut – das versprechen wir,“ nickte Harald. „Obwohl ich genau weiß, daß Sie in Ihr Unglück hineinrennen, Patterson … Aber jeder ist seines Peches Schmied, jeder schläft schlecht, der sich auf Dornen bettet …“
„Redensarten, Herr Harst …! – Sie bleiben also hier in diesem Raum bis sieben Uhr abends …“
„Wie Sie wünschen, Patterson … Nach sieben Uhr können wir tun und lassen, was wir wollen …“
„Ja …“
Er nahm uns die Stricke ab … –
Irina-Doris und John verluden dann ihr Gepäck auf die Trage. Irina reichte uns beiden die Hand zum Abschied – wortlos, mit traurigen Augen …
Sie war doch ein liebes Geschöpfchen …
Aber Kraft hatte sie … mit der immerhin schweren Last ging sie um wie ein gelernter Gepäckträger.
Patterson sagte lediglich:
„Wir werden uns nicht wiedersehen, meine Herren … Leben Sie wohl …!“
„Irrtum!“ meinte Harald. „Wir sehen uns wieder …! Und dann werden Sie erkennen, wie sehr Sie mich unterschätzt haben! Seien Sie vorsichtig! Schama Semli ist ein Mann, der fraglos seine Erfahrungen besitzt … Hüten Sie sich vor ihm, Patterson …!“
Dann waren wir allein …
Und es war jetzt genau sechs Uhr morgens …
Allein …
Harald gähnt herzhaft … „Eigentlich habe ich Hunger … Packe mal unsere Aluminiumgeschirre und die Konserven aus, mein Alter … Nachher werden wir abwechselnd schlafen.“
Ich, sehr bestimmt: „Keinen Finger rühre ich, bevor Du mir nicht sagst, was all das bedeutet! Es ist ein Skandal, daß …“
„… daß Du noch immer im Dunkeln tappst – allerdings, ein Skandal! Acht Jahre habe im Dich in der Lehre. Dein Verstand ist nicht gewachsen, nur Dein Bäuchlein, mein Alter … Deine Figur als Frau Paalsen ließ jede Schlankheit vermissen … – Und im Interesse der Leser Deiner mir höchst unangenehmen schriftstellerischen Versuche über unsere Abenteuer – sie riechen nach Reklame – werde ich Dich zappeln lassen … Wenn ich Dir jetzt des Pudels Kern enthüllte, würde der Leser gähnend – wie ich zurzeit – den Rest dieses Problems genießen – wie schales Bier … Ein Problem ist’s nämlich … Eine Geschichte, die nicht alle Tage passiert, die ein kennzeichnendes Licht auf gewisse Kreise wirft … – Packe das Geschirr aus, den Spirituskocher … Ich werde mal dort durch den Mauerriß in den Nebenraum der Ruine kriechen … Jeder Tempel hat einen Brunnen … Wir brauchen frisches Wasser …“
Und er kroch und verschwand …
Was sollte ich tun?! Harald ist schwer etwas übelzunehmen … Ich packte aus …
Nach zehn Minuten kam er zurück …
„Hat ihm schon, mein Alter … Da ist hinten ein kleiner Hofraum und ein Brunnen … Gib mal den Kessel her und eine lange Schnur … Du kannst übrigens mitkommen … Der Hof ist ganz interessant …“
Wir wanden uns durch Gestrüpp, Mauertrümmer und enge Mauerspalten …
Plötzlich vor uns ein von Gras überwucherter quadratischer Hofraum … in Sonnenlicht gebadet … In der Mitte ein Brunnen mit hoher Marmoreinfassung – ein vermorschter Ziehbalken mit einem mürben Tau … Und – – an diesem Tau hing ein menschliches Skelett …
Nein – kein Skelett … Eine Mumie mehr, noch halb von Zeugfetzen bedeckt – etwa vier Meter über dem Boden …
„Ein Inder …,“ sagte Harst. „Ob der sich hier wohl eigenhändig aufgeknüpft hat?! – Kaum …! Eine Tragödie, die uns nichts angeht …“
Und gleichmütig ließ er den Kessel in den Brunnen hinab, holte ihn wieder empor …
Ich schaute mir die kläglichen menschlichen Überreste dort oben an … Es war ein Inder … Der Turban hing ihm tief in das entsetzlich entstellte Gesicht … Ein Teil des Unterkiefers war nur noch weißer Knochen …
Kein schöner Anblick vor dem Frühstück …!
Schon wollte ich mich wegwenden, als ich im Grase unterhalb der vertrockneten Leiche etwas blinken sah … etwas wie einen Tautropfen im Sonnenlicht … Es funkelte, gleißte, sprühte …
Vorsichtig bog ich die Gräser auseinander und bückte mich …
„Was gibt’s?“ fragte Harald …
Da hob ich schon den wunderbarsten Diamant auf, den ich je in den Fingern gehalten …
Einen wasserklaren, tadellos geschliffenen Stein von weit über Haselnußgröße …
Streckte ihn Harald entgegen …
Der stellte den Aluminiumkessel hin …
„Donnerwetter – interessant!“ – Nahm den Stein …
„Erstklassig – fehlerfrei, keine Trübung, kein Riß …!“
Ich durchwühlte das Gras, die Steine …
Harald lachte … „Du, so etwas findet man nicht gleich zu Dutzenden …!“
Ich – mit ruhigem Stolz: „Bitte – hier – dies dürfte der zu dem Stein gehörige Ring sein …“
Und ich betrachtete den breiten, altertümlichen Goldreif, feinste indische Arbeit … –
Dann kehrten wir in unseren Hallenwinkel zurück … Ring und Stein hatte ich in der Hand …
Während nun das Wasser im Kessel über dem Spiritusflämmchen leise sang und sich zum Kochen anschickte, legten wir beide unsere Kostüme ab, wuschen uns und schlüpften in unsere Sportanzüge …
Harald bürstete gerade die Zähne, und der Geruch des Mundwassers mischte sich mit den Düften des bereits aufgebrühten Tees, als von der Seite her, hinter einem Vorhang von Schlinggewächsen hervor eine tiefe ruhige Stimme uns anrief:
„Greifen Sie nicht etwa nach Ihren Waffen … Wir müßten sonst energisch werden …!“
Daß unsere Köpfe herumflogen, ist wohl selbstverständlich …
Und daß diese Überraschung nicht angenehm war, ist noch selbstverständlicher, zumal dort zwei Hände sichtbar waren, die keineswegs nur Kinderflinten, sondern regelrechte Browningpistolen hielten, also Instrumente, denen gegenüber eine gewisse Vorsicht geboten erscheint …
Mit einem Wort: wir waren vollständig überrascht worden …
Harald stand da, Zahnbürste in der Rechten. Glas mit Zahnwasser in der Linken … Und dieses Glas war zu drei Viertel mit der milchigen duftenden Flüssigkeit gefüllt …
Ich selbst war ähnlich bewaffnet – mit Kamm und Bürste … Hatte soeben die traurigen Reste meines einst so üppigen Haarwuchses gestriegelt und versucht, diese Reste künstlich über den Billardball zu verteilen …
Und da hatten die fremden Eindringlinge sich gemeldet, traten nun auch hinter dem grünen Vorhang hervor und zeigten sich uns als der kaffeebraune Gentleman Mr. Schama Semli und ein zweiter Inder …
Zeigten uns aber auch ihre Browningpistolen und ließen uns durch die ganze Art, wie sie die ungemütlichen Knallbüchsen auf uns gerichtet hielten, keinen Augenblick darüber im Zweifel, daß wir als tote Leichname hier an Ort und Stelle unser Frühstück einnehmen würden, wenn wir auch nur zu mucksen wagten …
Der zweite Inder, der nicht einmal so viel Lebensart besaß, sich uns vorzustellen, befahl jetzt, wir sollten regungslos stehen bleiben, andernfalls er für nichts garantieren könnte – eine Mahnung, die gänzlich überflüssig war, da wir ohnedies wie Statuen verharrten …
Der Gentleman Nr. 2 hatte in tadellosem Englisch gesprochen … Das Halbdunkel unseres Quartiers verhinderte leider eine genauere Prüfung seines Äußeren … Immerhin war die Stimme brutal, scharf und die eines Menschen, der nicht lange zögert, eine Drohung in die Tat umzusetzen.
„Sie, Mr. Harst, und Ihr Freund, haben sich sehr Überflüssigerweise in Dinge eingemischt, die Sie absolut nichts angehen. Sie haben nicht nur in Genua die Absichten meines Dieners Schama Semli durchkreuzt, sondern auch in Suez ein Attentat auf ihn verübt … – Sie stören mich auch jetzt … Ich werde Sie beide auf ein Schiff bringen lassen, das Sie an einem Orte absetzen wird, wo Sie jahrelang darüber nachdenken können, ob es zweckmäßiger ist, seine Nase in fremder Leute Angelegenheiten zu stecken – nämlich auf eine jener Inselchen zwischen Australien und den Sunda-Inseln, die nie ein Schiff zu sehen bekommen.“
So sprach er … Mit unendlichem Hohn … Und verriet durch seine ganze Ausdrucksweise, daß er alles andere nur kein echter Inder war – genau wie sein Englisch all die Merkmale des Londoner Dialektes trug …
Nein, niemals war das ein Inder …! Das war ein waschechter, mit Themsewasser[5] getaufter britischer Halunke schlimmsten Stiles …
Harst sagte da: „Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie uns zu einer Robinsonade vielleicht recht interessanter Art verhelfen wollen … Und ich bedauere unendlich, daß die Familienjuwelen der Herzöge von Lancire es leider unmöglich machen, Ihre freundliche Einladung zu einer kostenlosen Seereise anzunehmen …“ – Er kopierte die Ausdrucksweise des verkleideten Schurken tadellos, war dabei so seelenruhig, daß dieser gefärbte Inder etwas außer Fassung kam … Dann aber polterte der Kerl heraus:
„Unmöglich?! Sie vergessen, daß ich hier jetzt die Oberhand habe und daß die geringste verdächtige Bewegung Ihrerseits …“
Schwapp … klatsch …
Diese verdächtige Bewegung war schon erfolgt …
Harald hatte mit einem kurzen Ruck der Hand den beizenden Inhalt des Glases, das scharfe Mundwasser, den beiden Herrschaften in die Gesichter und Augen geschleudert.
War auch schon zugesprungen …
Hatte jetzt jedoch Pech …
Hatte im Eifer des Gefechts den einen Koffer übersehen – den flachen Kabinenkoffer, stolperte, riß lediglich Schama Semli zu Boden …
Der zweite riß aus – rannte, halb blind, gegen die Mauer, prallte zurück, schoß wieder vorwärts und … kollerte draußen die brüchige Steintreppe hinab …
Ich war leider nicht flink genug …
Es half nichts, daß ich das Genick riskierte und die Stufen hinabraste … Der Lump war schon in die Büsche entwischt, und eine Kugel, die recht dicht an meinem Ohr vorbeipfiff, zwang mich dann zu ebenso schleunigem Rückzug in die Ruine, wobei noch vier weitere Kugeln mir Beine machten …
Ein Segen, daß der Halunke so miserabel mit der Browning zu hantieren wußte … Ich hätte sonst kaum mehr miterlebt, wie Harald unseren alten Bekannten Schama Semli an einen Mauerblock fesselte, seine Taschen durchsuchte und mancherlei fand, was nicht gerade in die Taschen eines angeblich harmlosen Kaufmannes hineingehört, also: noch eine Browning, zwei Schachteln Patronen, einen Dolch mit Scheide, ein Fläschchen mit Chloroform, ein seidenes Taschentuch, zwei Kunstschlüssel, eine Brieftasche mit Inhalt.
Als Harald jetzt diese Brieftasche öffnete, während ich am Eingang Wache hielt, brüllte Schama Semli in ohnmächtiger Wut:
„Sie werden es bereuen, Mr. Harst …! Geben Sie mich frei …! Sie werden es so bestimmt bereuen, wie ich …“
„… soeben Mundwasser als Augenwasser verabreicht bekam …,“ setzte Harald den begonnenen Satz fort und … stopfte Schama Semli das feine seidene Taschentuch gewaltsam als Knebel in den Mund …
In aller Ruhe besichtigte er dann die Papiere, nickte befriedigt und rief mir zu:
„Schama Semli heißt in Wahrheit Abdullah Mir Schamsa, ist Diener und Schofför bei Mr. Lewis Balland in Bombay, der hier auf dem Schofförausweis nebst Lichtbild als „Rentier“ bezeichnet ist und auf den Malabar Hills in der Villa Balland-Castle wohnt … Dieser Lewis Balland dürfte der verkleidete Mann mit dem Londoner Slang[6] gewesen sein …“
Er wandte sich an Abdullah …
„Es ist so, Abdullah, nicht wahr?“
Der schwieg …
Da nahm Harald seine Clement, schob die Sicherung zurück und hielt die Mündung Abdullah gegen die Stirn.
„Ich zähle bis drei …!“ sagte er kalt …
„Zähle bis dreißig!“ kreischte der Inder, dem Harst mit der Linken den Knebel herausgerissen hatte … „Zähle bis dreißig, ungläubiger Hund …!! Ich werde sterben – gut … Das Fatum hat es gewollt … Ich fürchte den Tod nicht … Du aber wirst hundertfach sterben …“
„Dann eben nicht,“ lachte Harald … „Und – hundertfach sterben?! Lieber Abdullah, so flink geht das nicht … Zunächst werden wir nach Bombay zurückkehren, Dich aber sorgsam hier unterbringen …“ –
Eine Viertelstunde drauf stand Abdullah gefesselt und geknebelt in dem Brunnen der Tempelruine. Das Wasser reichte ihm nur bis zum Bauchnabel … Er konnte hier unmöglich entfliehen … Und man würde ihn auch kaum finden, falls man nach ihm suchte …
Über ihm aber hing an dem morschen Tau des Ziehbalkens die vertrocknete Leiche … – dicht über dem Brunnenrand. Harald hatte den Ziehbalken etwas heruntergeschwenkt.
Malabar Hills, – Halbinsel im Westen des Welthafens Bombay, Villenvorstadt, schroffe Anhöhen, liebliche Gärten, weiße Häuser in Grün gebettet … Beiderseits vom Meere umspült … An der Südspitze die Türme des Schweigens, die Begräbnisstelle der Parsen …
Ich habe Bombay, seine Lage, Eigenart und Bevölkerung hier schon so oft geschildert, daß ich diese Andeutungen über die Örtlichkeit für genügend erachte … –
Nacht war’s – Mitternacht …
Wir hatten getreulich unserem Robertson-Patterson gegebenen Versprechen gemäß bis sieben Uhr in der Ruine gewartet … Hatten inzwischen mehrmals den braunen Schofför Abdullah aus dem Brunnen emporgezogen und ihn gefragt, ob er nunmehr genügend durchkältet und bereit sei, einige Fragen zu beantworten …
Er hatte uns lediglich beschimpft und uns gedroht, wir würden „den Verstand und noch mehr verlieren“ – wie er sich ausgedrückt hatte …
Dann waren wir mit unserem Gepäck durch eine Mauerspalte an der dem Ruineneingang entgegengesetzten Seite den Bergkegel hinabgeklettert … Ein Bauerngehöft fanden wir … Mieteten dort einen elenden Karren, der mit einem altersschwachen Kamel bespannt war …
Um zehn Uhr waren wir in Bombay, Hotel d’Angleterre.
Und jetzt war es Mitternacht …
Jetzt lagen wir dicht an der Parkmauer von Balland-Castle – übrigens das nördlichste Villengrundstück an den Westabhängen der Malabar-Hills …
Eine heiße Nacht … sternenklar. Nur der Seewind milderte die Schwüle … Wir hörten das Meer in der Ferne rauschen, sahen auch den endlosen, matt schillernden Spiegel des Indischen Ozeans … –
Wir hatten uns bei Detektivinspektor Perkins, Bombay, (alter Bekannter von uns), vorsichtig nach Lewis Balland erkundigt, und Perkins hatte voller Hochachtung gesagt: „Ein früherer Edelsteinhändler, sehr reich, sehr wohltätig und angesehen … Ist im übrigen heute mittag mit der Bahn nach Dehli gereist. Ich traf ihn auf dem Bahnhof … Haben Sie etwas gegen den Herrn, lieber Harst?“
„Durchaus nicht … Ich wollte nur einen Diamant von ihm abschätzen lassen …“
Also Lewis Balland war ausgekniffen, hatte seinen Schofför elend im Stiche gelassen …
Was Harald trotzdem in der Villa wollte, was dieser Balland eigentlich mit Patterson und „meiner“ Irina zu tun hatte – ich ahnte es nicht …
Ich war wie meist blindes Werkzeug – gut genug, mitzumachen … schlecht genug, mich über Harsts Verschwiegenheit innerlich grimmig zu wüten … – oder dumm genug: Mensch, ärgere Dich nicht! –
Die Parkmauer war recht hoch … Aber Harald hatte eine Leine mit eisernem Doppelhaken bei sich …
Diese Leine warf er jetzt in die Äste eines mächtigen Baumes jenseits der Mauer. Der Haken faßte, und er kletterte empor …
Ich folgte … schwitzte … keuchte … als ich neben ihm auf dem Ast hockte … Ließ sie hinab auf den Weg fallen, der sich hier innen an der Mauer entlangzog – ein Weg, mit Muschelkies betreut …
Wir schlichen dem noch immer unsichtbaren Hause zu …
Haus?! Villa?! – Nein – ein förmlicher Palast, der die Bezeichnung Castle durchaus rechtfertigte …
Nach englischem Geschmack lag das zierliche, phantastische Schlößchen auf einer weiten Terrasse inmitten einer freien Rasenfläche …
Nur niedere Hecken, Marmorspringbrunnen und Marmorbänke belegten das satte eintönige Grün …
Wir standen hinter einer dieser Hecken, hatten soeben das Haus umrundet und alle Fenster dunkel gefunden …
Eine breite Freitreppe führte zu einer Terrasse empor, deren Hintergrund wieder riesige Türfenster bildeten.
Auf den Absätzen der Marmorbrüstung der Treppe erhoben sich dunkle Broncefiguren – die Statuen nackter Inder in den verschiedensten Stellungen … Ähnliche Figuren standen auf Steinsockeln auch dicht an den Grundmauern der Villa – bis zur Hintertür verteilt …
Die klare Tropennacht gestattete uns alles deutlich zu erkennen …
Harst verharrte regungslos neben mir im Schatten der Hecke …
Merkwürdig lange … Dann flüsterte er: „Nette Vorbereitungen!!“
„Inwiefern?!“
„Lebende Bilder, mein Alter …“
Ich wurde noch stutziger …
„Wie meinst Du das?“
„So, wie ich es sage … genau so: lebende Bilder – alle! Man braucht nur scharf hinzusehen …“
Und da wußte ich’s …!
Keine Broncestatuen all das – lebende Gestalten, lebende Wächter, lauernde Hüter, Kreaturen Lewis Ballands …!
„Er ist natürlich gar nicht verreist oder vielmehr umgekehrt,“ flüsterte Harald wieder … „Ich ahnte das, und es ist mir nur lieb … Die Geschichte muß erledigt werden … Und wir sind im Vorteil … Die Partie steht für Balland sehr schlecht …“
Ich schwieg …
Und er – ebenso gelassen:
„Wir werden jetzt die Treppe emporkriechen … Wir werden überfallen werden … Wir wehren uns nur mäßig … Balland wird uns nicht gleich abschlachten lassen …“
„Hm …!!“
„Hast Du Angst, mein Alter …?“
„Angst?! – Ich möchte den sehen, dem es Vergnügen macht, Stufen emporzukriechen und zu wissen, daß ihm bestimmt ein paar nackte Kerle in den Rücken springen werden …“
„Stimmt – kein Vergnügen, aber in Irinas Interesse notwendig … Denn John Patterson und Frau sind so bestimmt in Ballands Gewalt wie wir nach wenigen Minuten seine Gefangenen sein werden und sein müssen … Ich will diesen Menschen ganz kennen lernen … Er wird in dieser Nacht die Familienjuwelen der Herzöge von Lancire herausgeben müssen …“
Das ging mir wie ein elektrischer Schlag durch den Körper …
„Wie – – Balland hat die Ju…“
Ich stoppte …
Harst war schon hinter der Hecke hervor … duckte sich, kroch über den Rasen – auf die Treppe zu …
Was blieb mir anderes übrig, als ihm zu folgen?! – Es war ja fraglos eine Verrücktheit, sich selbst einem Menschen in die Hände zu spielen, der uns meiner Ansicht nach kaum mehr schonen würde. Aber – Harald hatte die Verantwortung übernommen … Wenn wir hier elend abgewürgt werden sollten, dann kündigte ich ihm die Freundschaft … ganz bestimmt!
Jedenfalls: ich folgte, kroch, schwitzte, schielte zu den nackten Kerlen nach oben, als wir uns auf allen Vieren die Stufen emporarbeiteten …
Ich vergoß Ströme von Schweiß …
Ich fühlte jeden Moment in Gedanken das, was dann seltsamerweise nicht geschah: wie ein Kerl mir ins Genick sprang, wie ein paar andere mich gleichfalls auf die Stufen quetschen und ein indischer Dolch ein Loch in meine Außenhaut und in die inneren edlen Teile machte …
Nichts von alledem …
Wir waren bereits oben auf der Terrasse …
Nichts …
Und da wagte ich einen Blick nach rückwärts …
Erschrak … Das Herz setzte einen Schlag aus …
Hinter uns her kam lautlos eine nackte Leibgarde – an die fünfzehn Kerle – jeder mit einem Revolver in der rechten Pfote …
Lautlos – wie Gespenster …
Eine unheimliche Wache …
Eine Bande, gegen die wir nichts ausrichten konnten …
Und als Harald nun vor einem der hohen Bogentürfenster haltmachte, flüsterte ich ihm zu:
„Eingekreist!“
„Weiß ich längst, mein Alter … Ist nicht schlimm … Die Trümpfe haben wir in der Hand … Mag da kommen was will …“
Und als er mir dies so zuraunte – so mit seiner unerschütterlichen Ruhe und mit dem ganzen Selbstbewußtsein, wieder einmal die Situation zu beherrschen, da … schwitzte ich nicht mehr, da beruhigte sich mein Puls und da war ich auch gar nicht weiter verblüfft, als die Flügeltür sich nach innen plötzlich öffnete und ein Diener heraustrat …
Wir hatten uns erhoben …
Ich erkannte Abdullah, den wir in den Brunnen eingesperrt gehabt und der sich uns nun in tadellos weißem Gewande präsentierte …
Er kreuzte vor uns die Arme über der Brust, verneigte sich tief und sagte mit eisiger Höflichkeit:
„Sahib Harst, mein Herr erwartet Dich und Deinen Freund … Ich werde mir erlauben, voranzugehen …“
Gleichzeitig wurde die Vorhalle, in die diese vier Türfenster führten, blendend hell … Das Licht war eingeschaltet worden …
Wir folgten Abdullah …
Und hinter uns her kamen wie Gespenster diese splitternackten Kerle, die nur Turban und Revolver trugen, – Kerle, von denen jeder einzelne tadellos gewachsen war …
So ging’s denn durch die märchenhafte Pracht dieser Räume, in denen Orient und Abendland sich in der phantastisch-geschmackvollen Einrichtung aufs glücklichste vereinigten, in einen Saal, der von einer Glaskuppel überwölbt war …
Diese Kuppel strahlte ein mildes Licht aus, ließ jede Einzelheit des großen Raumes erkennen …
Aus einem tiefen Klubsessel erhob sich ein kahlköpfiger Europäer in weißem Leinenanzug … Ein hageres, bartloses Gesicht mit merkwürdig glanzlosen Augen, – Augen, die wie zu trüben Eisstücken erstarrt zu sein schienen …
Ein Lächeln umspielte die dünnen Lippen …
Er winkte … Und das galt den nackten lebenden Statuen …
Man packte uns … Und im Nu saßen wir an der anderen Seite des Tisches auf niederen Hockern – festgeschnürt wie Kerle, denen man Riesenkräfte zutraut …!
Wieder winkte Lewis Balland …
Die braune Garde verließ den Saal …
Auch Abdullah … – Balland setzte sich wieder, lächelte weiter, blieb stumm …
Und da – – gab ich für unser Leben keinen Pfifferling mehr …
Gegenüber diesem satanischen Grinsen traute ich Haralds Trümpfen nicht mehr …
Schweigen herrschte in dem prächtigen Saale …
Waffen, kostbare Teppiche hingen an den Wänden … Seidig glänzten Kaschmirgewebe, vertraten die Tapeten … – Ein Blick ringsum genügte: Lewis Balland mußte ungeheuer reich sein …! Detektivinspektor Perkins hatte nicht übertrieben … Dieser ehemalige Juwelenhändler war ein Krösus … Seine Dienerschaft – das waren die Statuen – bestand aus ausgesuchten Leuten und war ihm fraglos blind ergeben …
Schweigen …
Immer drückender wurde die Schwüle … Mir schien’s, als ob ein unsichtbarer Ofen Feuergluten aushauchte …
Balland hatte sich nachlässig eine Zigarette angezündet.
Seine erfrorenen Augen – sie sahen wirklich wie die eines toten Fisches aus – ruhten abwechselnd auf Harald und mir …
Im Hintergrunde plätscherte ein Springbrunnen … ganz leise … träumerisch … Das Wasser war offenbar nach indischer Sitte parfümiert …
Wie eine Entspannung aller Nerven war’s für mich, als endlich Abdullah wieder eintrat …
Und hinter ihm ein zweiter Diener …
Abdullah trug vor der Brust, mit beiden Händen sie haltend, eine silberne Platte … Der andere trug genau so feierlich eins jener breiten altindischen Schwerter, die von Kennern mit Unsummen bezahlt werden, aber höchst selten sind …
Abdullah trat neben uns … Der andere stellte sich hinter Harald, indem er die Haltung der chinesischen Scharfrichter einnahm, die gewohnt sind, dem knienden Delinquenten den Kopf abzuschlagen …
Ich fühlte, daß ich jäh erbleichte …
Und doch vergaß ich den Mann mit dem Schwerte über dem Anblick, den Abdullahs silberne Platte darbot.
Auf dieser reich gravierten Platte lagen drei Finger.
Drei präparierte Finger – so tadellos präpariert, daß sie den Eindruck machten, als wären sie ganz frisch von einer menschlichen Hand abgetrennt worden …
Und an dem einen Finger steckten noch zwei Brillantringe – wirkten geradezu abschreckend an diesen toten Gliedern …
Harald schaute gleichfalls scharf hin …
Lewis Balland rauchte … grinste … Es gibt eben ein Lächeln, das von der Seele gleichsam alle Schleier hinwegzieht, das alle Abgründe enthüllt …
Jetzt begann Balland zu sprechen …
„John Pattersons drei Finger …,“ sagte er, und ein Haß zitterte in seiner Stimme, als müßte er an diesem Haß ersticken …
Bevor er noch hinzufügen konnte, was ihm schon auf der Zunge schwebte, sagte Harald mit einer gewissen ironischen Höflichkeit:
„Ich danke Ihnen, Mr. Balland … Nun weiß ich auch das Letzte … Der Fall Ben Benson war anfänglich doch recht undurchsichtig … Erst als ich in London am Tage nach meinem Aufenthalt im Hotel Garrick über Doris Gwendoll nähere Erkundigungen einzog – bei der Polizei in Scotland Yard[7] –, als ich ferner berücksichtigte, daß der sogenannte Ben Benson als Zuchthäusler nur flüchten konnte, weil er sich eines Autos bemächtigte, kam mir allmählich die Erkenntnis …“
Ein schneidendes Auflachen Ballands …
„Da bin ich wirklich neugierig, Mr. Harst …!! Sollten Sie in der Tat die Zusammenhänge richtig durchschaut haben, so will ich Sie beide freigeben, mein Wort darauf …“
„Danke …,“ meinte Harst kühl. „Sie werden sowohl uns als auch das Ehepaar Patterson freigeben müssen – auch ohne mein Zutun … Ich pflege mir stets den Rücken zu decken, Lewis Balland … Ich tappe nicht so ohne weiteres ins Verderben hinein …“
Balland krümmte sich jetzt vor Lachen … „Ah – Sie haben vielleicht Mr. Perkins gebeten, Balland-Castle in dieser Nacht zu umstellen?! – Verehrter Mr. Harst, meine Spione haben mir längst mitgeteilt, daß die hiesige Polizei sich heute ebensowenig um mich kümmert wie früher … – Sie, Schraut und die beiden Pattersons sind mein!!“ Er kreischte förmlich … „Mein, – – und niemand wird je erfahren, wo …“
„Sie irren sich, Lewis Balland … Aber – davon später … Ich will Ihnen kurz die Zusammenhänge, die Ihnen ja am besten bekannt sind, schildern … Ich erzähle also Ihnen nichts Neues … – – Wie Perkins uns mitteilte, sind Sie vor zweieinhalb Jahren hier in Bombay aufgetaucht. Sie kamen aus London, wo Sie einem Ihrer Angestellten durch einen … unglücklichen Zufall mit einem kleinen Handbeil drei Finger abgehackt hatten … Sie wurden wegen fahrlässiger Körperverletzung mit einem Monat Gefängnis bestraft …“
„Sehr richtig!“ höhnte Balland … „Aber nun – – bitte weiter …!“
„Dieser Angestellte war John Patterson … In Ihrem Geschäft war aber auch Doris Gwendoll als jüngste Korrespondentin erst kurze Zeit tätig. Sie hatten sich in Doris, die aus sehr guter, aber völlig verarmter Familie stammte, verliebt. … Doris wies Ihre Anträge zurück. Ihr Herz gehörte John Patterson … Und deshalb haben Sie bei guter Gelegenheit Patterson verstümmelt, hieben ihm die drei Finger ab, hatten es wahrscheinlich auf die ganze Hand abgesehen, damit Doris sich von dem Krüppel dann abwende …“
Ich beobachtete Balland … Sein Gesicht war starr geworden, das Lächeln eingefroren …
„Aber Sie hatten sich getäuscht, Balland,“ fuhr Harald fort. „Doris hielt weiter treu zu John Patterson … Sie aber wanderten ins Gefängnis und verließen dann England – Rache brütend, das Herz voller finsterer Gedanken … Doris Gwendoll war die große Leidenschaft Ihres Lebens … Doris Gwendoll war Ihr Verhängnis … – Sie waren es, der dann den Juwelendieb Ben Benson erfand … Es hat nie einen Ben Benson gegeben … Nur einen Einbrecher, der noch zu ermitteln ist und der Ihr Werkzeug war, den Sie bestachen, der überall „Ben Bensons Wappen“ zurücklassen mußte, wo er eingebrochen war … Eine teuflische Schlauheit lag in diesem Ihren Racheplan … Sie wußten, daß es John Patterson schlecht ging … daß auch Doris Gwendoll nur durch Ihre Freundin, der Herzogin von Lancire, vor Elend und Not bewahrt wurde … Sie hofften darauf, daß die Polizei eines Tages auf John Patterson aufmerksam werden würde …“
Ich … stierte dieses Scheusal von Balland geradezu entsetzt an …
Sollte – konnte dies alles denn richtig sein? Konnte ein Mensch auf Derartiges aus Eifersucht verfallen?!
Lewis Ballands Gesicht aber war noch starrer geworden.
Harst wandte den Kopf nach dem Inder mit dem Hauschwert und befahl sehr energisch:
„Schere Dich weg …!! Diese Komödie ist lächerlich …!“
Seine Augen drohten …
Und – wahrhaftig! – Der Inder warf einen scheuen Blick auf seinen Herrn und … schlich davon, denn Lewis Balland war wie geistesabwesend – – hatte den Kopf gesenkt …
Harald nun – noch eindringlicher als bisher:
„Dann kam die Tragödie der Herzogin von Lancire … Sie, die aus gut bürgerlichen Kreisen stammte, war nach dem Tode ihres Gatten durch die Verwandten ihres Mannes in niederträchtige Prozesse verwickelt worden … Diese ganze „vornehme“ Verwandtschaft hatte ihr den Krieg erklärt … Man focht die Rechtsgültigkeit der Ehe noch nachträglich noch an … Man suchte das Testament des Herzogs, das der Witwe eine jährliche Rente sicherte – denn Titel und Güter des Herzogs fielen mangels leiblicher Erben an eine Nebenlinie –, als Fälschung hinzustellen … Insbesondere wollte man den Familienschmuck, den der Herzog seiner Frau notariell geschenkt hatte, beschlagnahmen lassen … Da kam die Herzogin und Doris Gwendoll, die Jugendfreundinnen waren, auf den Gedanken, den Schmuck stehlen zu lassen. John Patterson gab sich dazu her, Einbrecher zu spielen … Aber als er mit der Beute kaum den Park verlassen hatte, wurde er von Ihrem Diener Abdullah, Ihrem Spion, niedergeschlagen und beraubt … Abdullah denunzierte ihn dann der Polizei … Patterson wird verhaftet: endlich glaubt man „Ben Benson“ erwischt zu haben … Er wird verurteilt … Im Zuchthaus läßt er sich mit Doris trauen … Die Herzogin gibt ihr Auto her, damit Patterson fliehen kann, und er und Doris reisen hier nach Bombay, um Ihnen den Familienschmuck wieder abzunehmen … – Ich aber, Lewis Balland, habe dem Schofför des Autos, das uns vor einer Stunde hier nach den Malabar Hills brachte, einen Zettel für Inspektor Perkins zugleich mit einem reichlichen Trinkgeld in die Hand gedrückt … – Bitte – horchen Sie, Lewis Balland … Sie hören wohl ebenso wie ich draußen im Park das heisere Schreien der indischen Nebelkrähe: ein Signal von Perkins …! – Geben Sie den Schmuck heraus – geben Sie uns und die Pattersons umgehend frei, und Sie werden unbelästigt bleiben, weil die Herzogin nicht mit in diese Sache hineinverwickelt werden soll …“
Balland biß die Zähne in ohnmächtigem Grimm so scharf in die Unterlippe, daß ein paar Blutstropfen hervorsprangen …
Dann … erhob er sich …
Und drei Minuten später stand das Ehepaar Patterson neben uns … Doris trug den eleganten Lederkasten, der die Juwelen … und die drei Finger Ben Bensons enthielt.
„Begleiten Sie uns bis zum Parktor …,“ befahl Harst dem bleichen Balland …
Wir gingen …
Am Parktor sagte Harald mit feinem Lächeln:
„Leben Sie wohl, Lewis Balland … Die Nebelkrähe war ein Vogel und kein Mensch … Ich habe diesen schrillen Vogelschrei nur benutzt, um Sie zu täuschen …“
Balland wollte vorstürzen …
Harsts Clement trieb ihn zurück …
Wir vier eilten ins Hotel d’Angleterre … –
Die Juwelen sind später der Herzogin vom Gericht zugesprochen worden … – Und ich mache nun Schluß mit Ben Bensons Geschichte … Im folgenden Band wird der Leser die Tempelruine, den großen Edelstein und die halbe Mumie am Tau des Brunnenbalkens nochmals wiederfinden.
Nächster Band:
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Der Detektiv Eine Reihe höchst spannender Detektivabenteuer. Bisher sind folgende Bände erschienen: |
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Band |
108: |
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