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Das Geisterschiff

 

 

Harald Harst

Aus meinem Leben

 

Band: 118

 

Das Geisterschiff

 

Erzählt von

Max Schraut

(Walther Kabel)

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 36, Elisabethufer 44

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte einschließlich Verfilmungsrecht vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1924.
Druck: Buchdruckerei P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Die Frau mit dem Skelett.

In dem kleinen, altmodischen Hotel in der Bagaller-Street in London begann’s …

Dort hatten Harald Harst und ich Quartier genommen – als holländische Kaufleute …

Dort wohnten wir nun, nachdem die Ermordung Ellen Gybourgs im Hause gegenüber aufgeklärt war, unter unseren richtigen Namen: Harald Harst und Max Schraut!

Und drüben in Nr. 15 im zweiten Stock wohnte der Mann, den das Genie meines Freundes von schimpflichem Verdacht befreit hatte: der Zahnarzt Doktor John Gybourg.

All das, was den Fall Gybourg so überaus interessant machte, habe ich im vorigen Band erzählt, in „Doktor Groupys Verhängnis“.

Nun – das neue Abenteuer …

Am 26. Juli 1923 vormittags elf Uhr dreißig Minuten war’s …

Wir hatten gerade unsere Koffer gepackt, da wir abends nach Berlin-Schmargendorf, Blücherstraße 10, heimkehren wollten – endlich heimkehren und dort die paradiesische Ruhe und den Frieden unseres großen Gartens genießen – nach diesen Wochen einer beständigen Hetzjagd aufregender Geschehnisse, die mit dem „Kopf des Maharadscha“ begannen und über „Die Treppe des Todes“ zu „Doktor Groupys Verhängnis“ führten …

Elf Uhr dreißig …

Da kam Doktor Gybourgs Empfangsdame Miß Leewenstac aufgeregt in unseren Wohnsalon, noch die weiße Operationsschürze vorgebunden, und bat uns, rasch zu Gybourg uns hinüberzubemühen, weil dort eine ältere Dame bei einer Zahnoperation ohnmächtig geworden sei und weil Gybourg, als er ihr die Bluse öffnete, um freieres Atmen zu ermöglichen, auf ihrer Brust an einem Kettchen etwas so Merkwürdiges gefunden habe, das er uns unbedingt zeigen müsse …

„Denken Sie, Mister Harst,“ fügte Miß Leewenstac hinzu, „dieses Merkwürdige ist ein aus Elfenbein zierlich geschnitztes und an den Gliedern mit Goldgelenken versehenes Menschenskelett – ein Kunstwerk in seiner Art …!“

Harst griff schon nach der Sportmütze …

Wir liefen über die Straße – die beiden Treppen empor – hinein in Gybourgs Sprechzimmer …

Dort lag auf dem Diwan eine grauhaarige Dame mit seltsam fahlgelbem Teint …

Gybourg rieb ihr Stirn und Herzgegend mit Äther ein.

„Sie will gar nicht erwachen,“ meinte er verstört … „Sie kam mit einer vereiterten Wurzelhaut zu mir. Ich habe den Zahn entfernt, und da – fiel die Dame um. Ich kenne sie nicht. Sie sagte, sie sei nur auf der Durchreise hier …“

Harald fühlte der Bewußtlosen den Puls …

Schaute noch ernster drein …

„Lieber Gybourg, die Frau ist tot,“ sagte er leise. „Erschrecken Sie nicht …! Ich werde Detektivinspektor Colley anrufen, und man wird dann die Leiche in aller Stille abholen. Niemand kann Ihnen irgendeinen Vorwurf machen, und dieser Todesfall bleibt geheim, wird Ihrer Praxis nicht schaden.“

Er schaute die Tote an … bückte sich wieder … sagte:

„Übrigens – die Frau ist jung gewesen, sehr jung … Sie ist geschminkt, und – – sie hat“ – er zog ihr die graue Perücke ab – „blondes Haar, wie Sie sehen. – Diese Verkleidung, dazu noch das Goldkettchen mit dem in der Tat sehr fein ausgeführten Elfenbeinskelett geben uns wohl das Recht, das silberne Handtäschchen, den Regenschirm und die Kleidung der Toten etwas genauer zu betrachten …“

In dem Handtäschchen befanden sich:

  1. eine fünfschüssige Liliputrepetierpistole,
  2. eine silberne Morphiumspritze,
  3. einhundertfünfzig Pfund in Banknoten, in einem einfachen Briefumschlag,
  4. eine Eisenbahnfahrkarte von Dover nach Stromeferry in Westschottland,
  5. ein Spitzentaschentuch, das beim Auseinanderfalten große Tintenflecke in der Mitte zeigte.

Diese fünf so verschiedenartigen Dinge habe ich hier absichtlich so im einzelnen aufgezählt.

Weshalb – wird meinen Lesern sehr bald klar werden.

Dann nahm Harald den eleganten Regenschirm der Toten in Augenschein.

Er hatte eine Krücke von Elfenbein, und in den reichen Schnitzereien, die oben in einen glatten Knopf ausliefen, zeigte sich seltsamerweise wieder … ein Skelett!

Harald trat mit dem Schirm ans Fenster, kehrte uns den Rücken zu und sagte plötzlich:

„Sie, Doktor, und Miß Leewenstac werden nichts dagegen haben, daß ich das Kettchen mit dem Skelett vorläufig behalte und daß wir diesen Fund der Polizei verschweigen.“

Er schien an dem Schirmgriff zu drehen …

Was er eigentlich tat, sahen wir nicht. –

Gybourg und die Leewenstac waren einverstanden, und so verschwand denn Kettchen und Skelett in Haralds Jackentasche.

„Hm,“ meinte er nun, „ich hätte noch eine Bitte … Auch die Fahrkarte möchte ich unterschlagen. Ich bin nämlich schon jetzt überzeugt, daß dieses verkleidete blonde Weib, deren Kostüm und Wäsche, deren tadellos gepflegte Hände und kostbare Ringe mir zu einem neuen Fall verhelfen werden. Die Fahrkarte aber könnte die Polizei veranlassen, mir in der Hafenstadt Stromeferry, wohin die Tote offenbar reisen wollte, ins Handwerk zu pfuschen … Also …!!“

Und er schob auch die Fahrkarte in die Tasche. –

Abends elf Uhr wurde die Leiche abgeholt, und eine Stunde früher saßen wir beide reisefertig in Inspektor Colleys Dienstzimmer auf der 6. Polizeistation, und Harald bedankte sich bei dem etwas bärbeißigen Beamten für das heute abermals bewiesene liebenswürdige Entgegenkommen.

„Keine Ursache,“ lehnte Colley kurz ab. „Nur – viel Arbeit haben Sie mir da mit dieser Toten aufgebürdet, die, wie bereits im Laufe des Tages festgestellt wurde, heute morgen hier auf dem Waterloo-Bahnhof eintraf und im Wartesaal frühstückte, den Kellner nach einem Zahnarzt fragte und an Gybourg gewiesen wurde. Da sie verkleidet war, muß ich unbedingt herausbringen, wer sie ist. Ich wittere da dunkle Geschichten, zumal der Inhalt ihres silbernen Handtäschchens recht merkwürdig ist: Pistole und Morphiumspritze!“

„Ja – und dann der Schirm!“ nickte Harald.

„Der Schirm?“

„Allerdings! – Dort liegt er ja …“

Er nahm ihn vom Nebentisch …

„Bitte, Mister Colley, prüfen Sie ihn …“

„Hab’s schon getan! Sehr elegant, kunstvollste Elfenbeinschnitzerei …“

„Ja – echt chinesisch. Der Griff war einst ein Spazierstockgriff …“

„Möglich …“

„Und – ist hohl …“

„Hohl?“ Colley machte große Augen …

„Hohl – und gefüllt, Inspektor …“

Colley ließ sich den Schirm reichen, drehte an dem runden Knopf oben, betrachtete die Schnitzerei, schüttelte den Griff dicht am Ohr …

„Hm – ich höre nichts,“ meinte er.

„Oh – die Edelsteine sind in Watte gepackt …“

„Verdammt!“ platzte der Inspektor heraus. „Sie geben einem das Gift wirklich tropfenweise ein!“

„Der Knopf läßt sich losschrauben – aber nicht so, wie Sie’s versuchen … Drücken Sie erst mal kräftig auf den Kopf des Skeletts, und dann drehen Sie nach links herum.“

„Ah – verdammt – – wirklich!!“

Nun zeigte der dicke Schirmgriff seine Höhlung, nun nahm Colley das lange Stück Watte vorsichtig heraus, faltete es auseinander und legte vierzig wundervolle, wasserklare Diamanten von doppelter Erbsengröße frei …

Vierzig Stück …!!

Inspektor Colley stierte fassungslos auf die in allen Farben sprühende Pracht …

Leckte sich die Lippen, murmelte:

„Sie sind doch ein Teufelskerl, Harst! Nie im Leben hätte ich die Steine entdeckt!“

„War kein Kunststück. Ich besitze selbst einen chinesischen Spazierstock mit Elfenbeingriff. Auch der hat sein Geheimnis …“

„So … so …“ Colley dachte nach. „Hm – ob das Weib eine Schmugglerin war? Vielleicht wollte sie nach Amerika hinüber …“

„Schon möglich. – Wir müssen uns jetzt aber verabschieden, wir reisen Punkt zwölf vom Waterloo-Bahnhof heim … Gute Nacht, Inspektor … Und sollten Sie über die Frau etwas ermitteln, so schreiben Sie mir doch nach Berlin – oder depeschieren Sie … Auf Wiedersehen gelegentlich …“

Um 11 Uhr 45 Minuten bestiegen wir den Zug nach Norden – nicht nach Süden …

Im Schlafwagen hatten wir eine ruhige Nacht, waren vormittags zehn Uhr in Dingwall in Schottland und stiegen hier nach Stromeferry um, freilich nicht mehr als Harst und Schraut, sondern als zwei blondbärtige, bebrillte Herren, die miteinander holländisch sprachen, wenn jemand in der Nähe war.

Und um fünf Uhr nachmittags lief der Zug in den Bahnhof von Stromeferry an der gleichnamigen tiefen Meeresbucht ein.

 

2. Kapitel.

Verfolgung zur See …

Harald hatte bisher nach seiner üblen Manier jedes Gespräch über die geheimnisvolle Tote glatt abgelehnt …

„Unausgebrütete Eier,“ sagte er nur, „unausgebrütete Eier lassen nie ahnen, welcher Art das Küken ist, das da zum Vorschein kommen wird.“

Der verehrte Leser weiß daher bis jetzt über die blonde Frau genau so viel wie ich damals, als wir in Stromeferry den Zug verließen.

Wir standen auf dem Bahnsteig, und Harst übergab einem Gepäckträger unseren Gepäckschein.

„Können Sie uns ein Hotel empfehlen?“ fragte er.

„Yes, Mister … Hotel Zum Clan, gleich am Bahnhof.“

„Dann bringen Sie also unsere Koffer dorthin. Wohl starker Reiseverkehr jetzt?“

„Hier – – Reiseverkehr, Mister?! Hier am Ende der Welt!! Nein, Mister! Wenn hier mal Fremde eintreffen, ist das eine Seltenheit. Die Herrschaften aus der Umgegend kennt man ja. Ich bin hier schon zehn Jahre Dienstmann. Hm – allerdings … Ein paar Fremde waren letztens doch hier, Mister, fällt mir da ein … Drei Herren an einem Tage, und dann zwei Damen und ein Herr – vorgestern.“

„Woher kamen denn die beiden Reisepartien?“

„Aus Dover, Mister, aus Dover … Es waren Franzosen …“

„Die sind wohl auch im Hotel Zum Clan abgestiegen?“

„Natürlich, natürlich … Und der eine Herr wohnt noch dort …“

„Was uns im übrigen gleichgültig ist,“ log Harald.

Dann verließen wir den Bahnhof und wanderten die Straße entlang, an alten Häusern vorüber, umweht von Fischgeruch.

In Stromeferry werden ja jährlich ungezählte Tonnen Heringe verladen …

Und Heringsduft war’s, der hier die Luft verpestete, der selbst in dem kleinen, sauberen Hotel uns scheußlich belästigte.

Wir belegten zwei Zimmer, badeten, saßen gegen sieben Uhr in der großen, nach dem Hafen hinausgehenden Glasveranda und speisten Fisch – tadellosen Fisch.

Tranken dazu schwarzes Porterbier und unterhielten uns mit dem Wirt, gaben uns für Holländer aus, die hier Abschlüsse in Heringen tätigen wollten …

Harst lenkte die Unterhaltung sehr bald auf den Fremdenverkehr über – genau wie bei dem Dienstmann …

Und holte aus dem harmlosen, braven Schotten Mac Percyr alles heraus, was er wissen wollte – über die beiden Reisepartien und über den Herrn, der noch hier im Clan wohnte.

„Seevögel wollten die Herrschaften schießen,“ erklärte der Wirt. „Zwei von den Herren, die vor vier Tagen eintrafen, und die beiden Damen und der alte Herr sind mit dem Tourendampfer nach Barvas auf der Insel Lewis weitergefahren …“

„Die Hauptinsel der Hebriden?“

„Ja, Mister … – Der andere Herr ist noch hier, der junge … Er will einen Motorkutter kaufen und dann die andern von Barvas abholen. Außerdem, sagte er, erwartet er noch seine Mutter. Herbett heißt er, der Herr …“

Seine Mutter!! – Harald warf mir da einen verstohlenen Blick zu …

Seine Mutter!! Das war die Blonde!! Fraglos die Blonde! –

Aus Vorsicht gab Harald dem Gespräch nun eine andere Wendung …

Und als wir dann Schafkäse und tadellose Butter als Nachtisch serviert bekamen, als der Wirt andere Gäste begrüßte, trat von der Straße ein schlanker Herr in tadellosem Sportanzug ein und nahm am Nebentische Platz …

Ohne Zweifel war’s Herbett, der seine – Mutter erwartete!

Ein bartloses, braunes Gesicht mit schwarzem Bärtchen, unruhigen schwarzen Augen und … auffallend vielen Brillantringen an den Fingern …

„Na, Mister Herbett, einig mit dem Kutterbesitzer Laragan?!“

„Ja …“ –

Harald flüsterte rasch:

„Er war auf dem Bahnhof, als wir ankamen … Ich erkenne ihn wieder …“ –

„Meine Mutter ist leider noch immer nicht eingetroffen,“ hörten wir Herbett zum Wirte sagen. „Ich kann jedoch nicht länger hierbleiben. Meine Freunde, die nach Barvas vorausgereist sind, würden ungeduldig werden. Immerhin hat meine Mutter mir ihren Gepäckschein durch Eilbrief postlagernd zugeschickt, so daß ich wenigstens ihren Koffer auf dem Kutter mitnehmen kann. Morgen in aller Frühe fahre ich ab. Wenn Frau Therese Herbett hier absteigt, Mister Mac Percyr, so sagen Sie ihr bitte, sie möchte den nächsten Tourendampfer nach Barvas benutzen. Unsere Jagdgesellschaft wird ihr in Barvas weitere Nachricht geben.“

„Sehr wohl, Mister … Was haben Sie denn für den Kutter bezahlt?“

„Vierhundert Pfund …“

„Hm – ne Masse Geld …“

Dann bestellte Herbett Abendbrot, und der Wirt ließ ihn allein.

Auch wir erhoben uns, schlenderten dem Bahnhof zu.

„Das Ei wird interessant,“ meinte Harald und rauchte mit Behagen seine Mirakulum.

Ein Dienstmann kam uns mit einem Handwagen entgegen …

Unser redseliger Dienstmann, dem wir ein so gutes Trinkgeld gegeben …

Und auf dem Handwagen stand ein großer brauner Koffer – so ein Schrankkoffer, wie Damen ihn in die Bäder mitschleppen …

Harst blieb stehen …

„Na – noch beschäftigt?“

Der Dienstmann grüßte …

„Sehr, sehr, Mister … Ich muß den Koffer bis zum Außenhafen fahren, bis zu Fischer Laragans Grundstück. Soll ihn gleich auf den Kutter bringen, den der Herr gekauft, der – Sie wissen doch! –, der noch im Hotel Clan wohnt.“

„Dann beeilen Sie sich nur … Guten Abend …“

Der Wagen ratterte weiter …

Und hinter dem Wagen in vorsichtiger Entfernung folgten die beiden holländischen Heringsaufkäufer …

Bis zum Außenhafen, wo auf dürrem Grasboden, auf zermürbtem Fels die Häuser der Fischer standen … –

Wir beobachteten, wie der Dienstmann und ein Fischer den Schrankkoffer auf einen großen Hochseekutter trugen, wie sie ihn die Treppe hinab in die Achterkajüte schleppten.

Da sagte Harald:

„So, nun müssen auch wir uns nach einem Fahrzeug umsehen. Gehen wir zur Lotsenstation. Dort hören wir am schnellsten, ob und wo eine kleine Motorjacht aufzutreiben ist …“

Und einer der Lotsen war’s, der uns seine Jacht zu einer Vergnügungstour nach den Hebriden vermieten wollte – wenn wir fünfhundert Pfund Sicherheit hinterlegten. Dann würde sein Sohn uns begleiten. Der sei gerade auf Urlaub hier und zweiter Steuermann bei der Handelsmarine.

Das Geschäft kam zustande.

Im Hotel erklärten wir dem Wirt, daß man uns geraten habe, nach Portree auf der Insel Skye zu fahren. Wir hätten auch schon eine Motorjacht gemietet und würden sofort an Bord gehen.

Wir bezahlten unsere Rechnung, der Hoteldiener fuhr uns die Koffer zum Außenhafen, und um elf Uhr waren wir an Bord der Elf-Meter-Jacht Caledonia, eines Benzinstänkers älterer Konstruktion mit Schonertakelung.

Edward Hamilton, des Lotsen Sohn, hatte uns bereits erwartet.

Er gefiel uns auf den ersten Blick, war ein stattlicher blonder Mensch mit offenem Gesicht und dabei kein Schwätzer.

Wir hatten Proviant, Trinkwasser und Benzin für acht Tage mit, und als wir gegen Mitternacht bei klarem Mondschein den Hafen verließen, ahnte keiner von uns dreien, was alles uns noch bei dieser Kreuzfahrt bevorstand.

Wir saßen achtern am Steuer, und langsam glitt die Caledonia zwischen den ankernden Schiffen hindurch in die weite Meeresbucht hinaus.

Erst als wir vom Lande aus nicht mehr bemerkt werden konnten, sagte Harald zu Edward Hamilton:

„So, Mister Hamilton, nun sollen Sie die Wahrheit hören. Ich halte Sie für einen Mann, der Vertrauen verdient. Haben Sie schon mal den Namen Harald Harst gehört oder gelesen?“

„Gelesen, Mister … Erst heute noch … In einer Londoner Zeitung. Wir bekommen hier die Londoner Morgenblätter erst abends. Und da las ich von dem Gybourg-Morde und von dem deutschen Detektiv, der nach der Modellpuppe mit dem Dolche warf …“

„Nun denn – dieser Harst sitzt hier neben Ihnen …“

Hamilton lächelte …

„Daß Sie nicht Heringshändler sind, Mister, wußte ich sofort … Ich bin trotz meiner erst fünfundzwanzig Jahre schon weit in der Welt herumgekommen. Das schärft den Blick, Mister Harst. – Also – um was handelt sich’s?“

„Sie gefallen mir[1] immer mehr, Hamilton. Ihre kurze Art freut mich. – Hören Sie zu …“

Hamilton, der eine Holzpfeife rauchte, nickte wiederholt, als wollte er andeuten, daß auch ihm diese Jagdgesellschaft sehr verdächtig vorkäme. Dann meinte er:

„Ich verstehe, Mister Harst: wir werden dem Kutter dieses Herbett heimlich folgen! – Gut, soll geschehen. Wir kehren jetzt um und legen uns am Buchtufer südlich des Hafens auf die Lauer, bis der Kutter erscheint. Ich habe ein Fernglas mit, das erstklassig ist.“ – –

Ich möchte hier nun einen Zeitraum von drei Tagen überspringen, möchte nur erwähnen, daß wir den Kutter nie aus den Augen verloren, daß wir durch den Harris-Kanal die im Westen von Schottland sich endlos lang hinziehende Inselgruppe der Hebriden passierten und beobachteten, wie der Kutter südlich der Ortschaft Barvas nachts fünf Leute an Bord nahm, drei Männer, zwei Frauen …

Und dann – dann hatten wir Pech …

Gerade jetzt, wo alles darauf ankam, den Kutter ständig im Fernrohr zu haben, – jetzt … versagte unser Motor!

Versagte so vollkommen, daß wir vier Stunden zu tun hatten, bis wir endlich den Schaden ausgebessert hatten …

Und da war der Kutter in der windstillen Nacht längst nach Westen zu in den offenen Atlantik hinaus entschwunden.

Hamilton fluchte selten. Damals fluchte er.

Harst fluchte selten. Damals fluchte er wie ein alter Seebär …

Ich fluche nie – nur damals tat ich’s – und nicht zu knapp!

Nun lagen wir also mit unserem bockbeinigen Benzinkahn südlich von Barvas in einer schmalen Bucht der Steilküste, machten lange Gesichter und berieten, ob es wohl lohne, den Kutter zu suchen.

Die Möwen, die anderen Seevögel, die oben auf den Klippen zu vielen Tausenden nisteten, schienen uns höhnisch auszulachen.

Einen Kutter suchen …!!

Einen Kutter suchen – und hier an den Küsten der Hebriden, an diesen wild zerrissenen Gestaden, wo jede Meile sich eine neue tief ins Land einschneidende Bucht öffnet …

Wo Vorgebirge die Aussicht sperren, wo die Menschen so selten wie die ehrlichen Diebe sind!! –

Harst studierte in der Kajüte bei Lampenlicht eine Seekarte der Hebriden …

Hamilton betonte, es sei eine ganz vorzügliche Karte, ganz neu, von diesem Jahre …

Auch ich hatte den Kopf über die auf dem Klapptisch liegende Karte gereckt …

Und sah da genau westlich von Barvas weit draußen im Atlantik eine kleine Inselgruppe …

Sah an der Spitze der einen Insel ein Zeichen, das ich nicht kannte …

Fragte ganz arglos den allwissenden Steuermann:

„Was bedeutet das Zeichen?“

„Ein Wrack – ein Wrack, das auf den Klippen hängt.“

Und er tippte mit dem Finger auf den weißen Rand der Karte, wo die Zeichenerklärungen standen …

Las vor: –

„Wrack des Kreuzers „Connaught“ auf den Riffen der Flannan-Insel. Der Kreuzer, im Weltkriege torpediert, wurde von Kapitän Archibald Moncy am 17. Mai 1917 auf die Klippen gesetzt und soll dort als Denkmal britischer Seemannstüchtigkeit liegen bleiben.“

– Wenn der Leser einiges Kombinationstalent besitzt, wird er sich nun bereits sagen, daß dieses Wrack … das Geisterschiff ist.

 

3. Kapitel.

Unsere Jacht taucht …

Ältere, bewährte Freunde der Harald-Harst-Abenteuer werden sich vielleicht noch erinnern, daß ich einem unserer mehrere Jahre zurückliegenden Erlebnisse den Titel „Das Gespensterwrack“ gegeben hatte, daß die mit diesem Gespensterwrack zusammenhängenden Vorgänge sich im Christiania-Fjord abspielten und das damalige Problem mit dem jetzigen, dem Geisterschiff, in den einleitenden Ereignissen auch nicht die allergeringste Ähnlichkeit hatte. Der weitere Verlauf der Dinge wird zeigen, daß diese Ungleichheit beider Fälle so groß ist, daß nur die Titel ähnlich klingen – sonst nichts! –

Das Sprichwort von dem blinden Huhn, das auch mal ein Korn findet, hatte sich wieder mal an mir bewährt.

Und dieses Korn war eben das Wrack des Kreuzers Connaught!

Kaum hatte Steuermann Hamilton die Zeichenerklärung vorgelesen, als Harald, der sonst doch jähe Bewegungen wahrlich nicht liebte, förmlich vom Wandsofa hochschnellte, meine Hand ergriff und jubelte:

„Lieber Alter, – da stiere ich nun schon zehn Minuten auf die Karte und … übersehe trotzdem die Hauptsache! – Ich danke Dir! Wir hätten ja lange suchen können, bevor wir den Kutter entdeckt haben würden! Nun aber – nun will ich Euch beiden auch das letzte anvertrauen …!“

Und er zog das Kettchen mit dem Elfenbeinskelett hervor und begann den Oberteil des etwa kirschengroßen Schädels abzuschrauben …

Hamilton und ich schauten andächtig zu …

Nur die ungeheure Geduld und Fingerfertigkeit der Chinesen vermag so saubere, künstlerische handgeschnitzte Arbeiten in Elfenbein herzustellen. Nur diesem Volke, das von ernsthaften Forschern als Fremdlinge auf Erden, als Nachkommen von Bewohnern eines anderen Planeten angesehen wird, ist auch der spielerische Erfindungsgeist eigen, in derartige Elfenbeinsächelchen Verstecke einzubauen, wo niemand sie ahnt …

So auch hier …

Der Schädel war hohl, und aus dieser winzigen Höhlung brachte Harst ein vielfach zusammengefaltetes Stück Seidenpapier zum Vorschein, breitete es vorsichtig auf dem Tische auseinander und zeigte uns so, daß das Papier einen großen … Tintenfleck aufwies, daneben mehrere Tintenspritzer, – all das höchst harmlos und nichtssagend – – scheinbar!!

Wenn man wie ich nun bereits fast ein Jahrzehnt Harald Harsts ständiger Begleiter ist, dann färbt doch von dem Genie des anderen so ein ganz wenig auf den Durchschnittsmenschen ab … Dann ist man doch fähig, mit raschem Geiste unklare Dinge ihres Dunkels zu entkleiden und auf dem Wege logischer Schlußfolgerungen aus Nichtigkeiten Bedeutsames zu entwickeln …

Kaum hatte ich also dieses tintenbekleckste Seidenpapier gesehen, als ich schon an das Taschentüchlein der bei Zahnarzt Gybourg an Herzschlag verschiedenen Frau dachte …

Und sofort auch erkannte ich zwischen den Tintenflecken dieses Papiers und denen des Taschentuches in den Umrissen eine gewisse Ähnlichkeit.

„Es … sind die Hebriden,“ sagte Harald da schon und deutete auf die Seekarte der langgestreckten Inselgruppe … „Die Umrisse stimmen genau … Und genau so waren auch …“

„… die Tintenflecke auf dem Spitzentüchlein der Toten!“ vollendete ich den Satz.

Harald nickte. „Ja – und hier, hier außerhalb der langen Gruppe ineinanderlaufender Flecke liegt ein einzelner. Und – nur dieses Tintenpünktchen hat … einen rötlichen Rand … Bitte – schaut nur sorgfältig hin. Es ist so …“

„Es ist die eine der Flannan-Inseln,“ erklärte Edward Hamilton in seiner schlichten Art. „Es ist die, auf deren Riffen das Wrack des Kreuzers Connaught liegt …“

„Mithin, meine Freunde,“ rief Harald strahlend, „mithin hängen diese Tintenflecke doch offenbar mit dem Reiseziel des Kutters innigst zusammen, das heißt: der Kutter ist nach den Flannan-Inseln unterwegs!“

„Darauf gehe ich jede Wette ein,“ lächelte Hamilton. „Wollen Sie mit mir wetten, Mr. Schraut …?“

Ich wollte gutgelaunt etwas erwidern …

Ich wollte …!

Das Wort blieb mir in der Kehle stecken …

Ein ohrbetäubender Knall …

Ein Krachen – Splittern …

Die Kajütenfenster zerstoben in Atome … Die Kajütentür flog aus der Füllung, flog gegen den Tisch …

Und die Caledonia, durch eine unheimliche Gewalt aus ihrem Element hochgeschleudert, prallte nun wieder auf die Wasseroberfläche, lag ganz schief …

Wir drei waren übereinandergestürzt, rappelten uns auf.

„Die Koffer!!“ brüllte Harald …

„Die Jacht sinkt!!“ brüllte Hamilton …

Und im Nu hatten wir die Koffer in den Händen – stürmten an Deck, sahen mit einem Blick, daß die Jacht nicht mehr zu retten war …

Das ganze Vorderteil war weggerissen. Aber das kleine Beiboot, das achtern an einem langen Tau geschaukelt hatte, war wie durch ein Wunder unversehrt geblieben …

Wir also hinein in das Boot …

Hamilton holte noch ein Fäßchen Schiffszwieback, ein paar Büchsen Konservenfleisch …

Die Jacht sackte ihm unter den Füßen weg. Ein Sprung brachte ihn in Sicherheit – zu uns in das Dingi[2]

Bis zum Ufer waren’s keine zwanzig Meter. Während ich ruderte, während Harst, die Clementpistole in der Hand, hoch aufgerichtet dastand und mißtrauisch die felsige Küste musterte, ging die Caledonia, noch vor ihrem Anker liegend, für immer in die Tiefe …

Dreißig Meter hinab! Wir hatten’s ja abgelotet, bevor wir hier Anker warfen und den verd… Motor in Behandlung nahmen.

Edward Hamilton, bleich wie wir, stierte auf die Wellenringe, die die Stelle bezeichneten, wo die Jacht versunken.

„Es muß eine treibende Mine gewesen sein,“ sagte er tonlos …

„Es war ein Anschlag!“ sagte Harald sehr bestimmt. „Ein Anschlag auf uns drei, die wir’s gewagt haben, der Verbrecherbande zu folgen. Verbrecher sind’s! Das haben sie jetzt bewiesen! Verbrecher, die längst gemerkt haben, daß sie verfolgt wurden, die aber schlau genug waren, so zu tun, als wähnten sie sich sicher. Eine … Wurfbombe war’s – nichts anderes! Und hätte das Ding besser getroffen, wäre es anstatt auf dem Bug mittschiffs explodiert, dann … dann lägen wir jetzt ebenfalls dort auf dem Grunde der Bucht! – Stopp, mein Alter! Rudere nicht zu hastig! Drücke das Boot mehr herum. Lande dort drüben an der Felszunge. Ich habe nicht Lust, mir eine heimtückische Kugel durch das Hirn blasen zu lassen!“

Hamilton winkte mir und übernahm die Ruder …

Ich stellte mich neben Harald …

Wir spähten und spähten, suchten die zerklüfteten hohen Ufergestade mit mißtrauischen Augen nach irgend etwas Verdächtigem ab …

Fanden nichts – nichts …! Bemerkten auch nicht das allergeringste Anzeichen dafür, daß Menschen in der Nähe …

Die durch den Knall der Explosion aufgescheuchten Seevögel schossen in dichten Schwärmen kreischend durch die Luft …

Möwen waren’s, Kormorane, Albatrosse, Wildgänse – die ganze Vogelkolonie dieses einsamen Gestades … –

Steuermann Hamilton zog die Riemen mit solcher Kraft durch, daß unser Dingi schäumend das Wasser durchschnitt.

Und Steuermann Hamilton brummte: „Niemals glaube ich daran, daß es eine geworfene Bombe war! Es war eine treibende Mine, eine, die noch vom Weltkrieg her die See unsicher machte, die sich von ihrer Verankerung losgerissen hat! Diese Dinger haben ja schon genug Unheil angerichtet!“

Und – keine drei Sekunden später, als kaum sein letztes Wort verklungen, erhielt er die eindringliche Bestätigung, daß Harald recht hatte …

Zwei – drei Kugeln pfiffen singend zwischen uns hindurch …

Der Knall der Schüsse dröhnte dann hinterher als vielfaches Echo in den Felsgestaden wider …

Harst hatte mich schnell niedergedrückt …

„Hinlegen!“ keuchte er … „Hinlegen! Oh – diese Schufte …!! – Hamilton, den Teufel auch, wollen Sie sich mal gefälligst ducken …!“

Aber der Steuermann ruderte weiter, ruderte zur Bucht hinaus …

Kein Schuß mehr .…

Nichts – nichts …

Hier draußen, wo die Wogen des Atlantiks unser Dingi auf und ab wiegten, hier zweihundert Meter vom Ufer entfernt, sagte Harald:

„Das Abenteuer wird blutig werden, fürchte ich!“

Und er fuhr sich mit dem Finger am linken Ohr entlang, zog den Finger voller Blut zurück.

Da erst sahen Hamilton und ich, daß eine Kugel unserem Freunde ein Stückchen Ohrmuschel weggerissen hatte … –

Harst ließ sich das Ohr verbinden. Ich tat’s, und das war bald erledigt.

Hamilton ruderte bedächtig nach Norden zu …

„Nein,“ meinte Harald, „nein, Steuermann, mit dieser Nußschale von Boot sind wir hier auf See zu leicht zu rammen. Wir müssen an Land, unbedingt. Wenn die Kerle auf den Gedanken kommen, uns mit ihrem Kutter hier zu besuchen, gebe ich keinen Pfifferling für unser Leben. Sie schießen uns ab wie die Hasen beim Kesseltreiben, und mit unseren Pistolen richten wir da gar nichts aus. An Land sind wir sicherer. Dort sehe ich eine zweite Bucht, Steuermann … Also hinein mit uns!“

Hamilton nicke eifrig …

„All das leuchtet mir ein, Mister Harst … Ich werde Ihnen auch nie mehr widersprechen. Sie sind ja doch der Erfahrenere …“

Und er ruderte wieder, was seine Muskeln nur leisten konnten …

Brachte uns glücklich durch die vor der Buchteinfahrt stehende Brandung und drückte das Dingi dann so dicht an das himmelhohe, überhängende südliche Steilufer, daß wir von oben nicht beschossen werden konnten.

Dann lenkte er in eine Art Kanal ein, der in zahllosen Windungen, häufig von natürlichen Felsbrücken überdacht, in einen jener Binnenseen führte, die dem eintönigen Heidelandschaftsbild der Hebriden wenigstens einige Abwechslung verleihen.

Der See war tief gelegen, eingebettet in den Fels wie eine Schüssel, und an den Ufern mit dürftigen Sträuchern umgeben.

Die größte Länge dieses Gewässers, das durch den Kanal mit dem Meere in Verbindung stand, mochte hundertfünfzig Meter betragen, während die Breite infolge einiger kahler Felseilande am Ostufer sehr ungleich war.

Auch hier ließen wir es an der nötigen Vorsicht nicht fehlen.

Auf Haralds Befehl trieb Steuermann Hamilton das Boot zwischen zwei der Eilande hinein, wo wir dann, umgeben von den zackigen Hügelkuppen dieser Inselchen, landeten und Harald rasch eine der Kuppen erstieg, um von oben Ausschau zu halten. Er kehrte sehr bald zu uns zurück, erklärte, nichts Verdächtiges bemerkt zu haben, und forderte mich auf, ihn auf einem Gang nach einem im Norden des Sees gelegenen Berge zu begleiten …

„Sie, lieber Hamilton, bleiben als Wache hier im Boot. Für alle Fälle werde ich die Kette mit dem Elfenbeinskelett und die Fahrkarte der blonden Toten hier unter den Steinen verbergen. Man kann ja nie wissen, was geschieht. Sollten Sie, Hamilton, den bisher unsichtbar gebliebenen Schurken in die Hände fallen, so verraten Sie nichts von dem, was Sie über die blonde Tote wissen. Bleiben Sie dabei, daß wir beide holländische Heringshändler sind und den Kutter nur deshalb verfolgt haben, weil wir in den Leuten dort Konkurrenten vermuteten. Es ist das zwar eine sehr fadenscheinige Ausrede, aber immerhin besser als keine. – Sollten Schraut und ich jedoch innerhalb zwölf Stunden nicht zurück sein, so versuchen Sie den Hafenort Barvas zu erreichen und warten dort nochmals einen vollen Tag. Hören Sie bis dahin nichts von uns, so melden Sie die Sache der englischen Hafenpolizei und dringen Sie darauf, daß sofort einer der mit der Überwachung der Hochseefischerei betrauten Dampfer das Wrack der Connaught aufsucht und feststellt, ob sich dort Leute verborgen halten.“

Hamilton nickte ernst. „Soll geschehen, Mister Harst … Und wenn die Polizei in Barvas mich nun fragt, was die Leute dort Ihrer Ansicht nach treiben, Mister Harst? – Bisher haben Sie über diesen Punkt nichts geäußert …“

„Dann, lieber Hamilton, erklären Sie, daß meines Erachtens der Koffer der Toten, den der angebliche Herbett auf den Kutter verfrachtete, irgendwelche äußerst kostbare Diebesbeute enthält, die von den Schurken zunächst in Sicherheit gebracht wird, bis der Eifer der Polizei nachläßt und die Veräußerung der Beute sich gefahrloser bewerkstelligen läßt.“

„Hm – an so was Ähnliches habe ich auch schon gedacht,“ meinte der junge Steuermann in seiner bedächtigen Art. „Na – wollen hoffen, daß ich nicht in die Verlegenheit komme, der Polizei in Barvas einen großen Vortrag halten zu müssen. Viel reden ist nicht gerade meine Sache! Auf Wiedersehen, die Herren! Und hoffentlich recht bald …!“ –

Hamilton ahnte ebensowenig wie wir, daß dieses Wiedersehen unter Umständen stattfinden sollte, die selbst die Phantasie eines Harst niemals vermutet oder ersonnen hätte.

 

4. Kapitel.

Die andere Jacht.

Die Eilande waren zumeist nur durch ganz schmale, flache Wasserrinnen voneinander getrennt, so daß wir bequem diese Kanäle durchwaten konnten.

Als wir das Seeufer erreicht hatten, strebten wir dem Berge drüben unter Anwendung aller nur irgend möglichen Vorsichtsmaßregeln zu, um weder bemerkt, noch etwa plötzlich überfallen zu werden. Daß diese Gegner da, die selbst mit Wurfbomben versehen waren, uns nicht schonen würden, wußten wir ja nur zu gut.

Der frische Seewind, der über diese Hebrideninsel[3] hinstrich (welche es war, entzog sich unserer Kenntnis, da zu der Gruppe ja nicht weniger als 521 Inseln und Eilande gehören), tat mir so gut, daß ich ohne Mühe kriechend meinem Freunde folgte, der mir stets einige Meter voraus war.

Durch Heidekraut und dürre Gräser, durch Steingeröll und über kahlen, sonndurchglühten Fels hinweg nahmen wir unseren Weg, bis der Steinschutt und einzelne Felsblöcke am Fuße des Berges uns gestatteten, mit ein paar langen Sprüngen in einer steil aufwärtsführenden Schlucht zu verschwinden.

Nach zehn Minuten hatten wir die Bergkuppe erklommen, lagen zwischen Steinen verborgen am Westrande und hielten zunächst einmal nach dieser Richtung Ausschau …

Das Inselpanorama eines Teiles der Hebriden und des mit weißen Schaumkämmen bedeckten Atlantischen Ozeans breitete sich vor uns aus. Hell schimmerten im Sonnenglast die Kanäle zwischen den kahlen Eilanden. Nun stellten wir auch fest, daß unsere Insel hier etwa eine Meile lang und von sehr verschiedener Gestalt war.

Aber all das konnte unsere Aufmerksamkeit nur für Sekunden bannen …

Da gab es anderes, was sich den erstaunten Blicken nach Nordwest zu hart am Steilabhang einer Bucht darbot …

Da stand ein großes gelbes Zelt, und vor diesem Zelte saß vor einer Staffelei, die durch einen riesigen Schirm gekrönt war, eine Frau in weißem Kleide mit breitem Panamahut auf dem dunklen Haar.

In dieser klaren Luft erkannte selbst ich auf diese Entfernung von vielleicht zweitausend Meter durch mein gutes Fernglas, daß die Frau ein Profil von besonderem Liebreiz hatte und daß sie noch jung sein mußte …

„Ein Touristenzelt,“ flüsterte Harald gedehnt. „Ah – ein Mann erscheint im Zelteingang – ein Matrose …“

Ich richtete mein Glas auf den Matrosen, der nun der Staffelei zuschritt und vor der Dame die Mütze vom Kopfe riß …

Sie sprachen miteinander. Der Matrose verneigte sich und verschwand am Abhang der Bucht. Offenbar lag dort das Fahrzeug, mit dem die eifrige Malerin hierher gekommen war.

„Ob’s die Gegner sind?“ fragte ich leise und schaute Harald an.

„Das werden wir sofort sehen … Wir müssen uns unbedingt bis zu der Bucht vorschleichen. Ich traue dem Frieden nicht! Es kann eine Falle sein …“

Und hastig begann er den Abstieg. –

Eine halbe Stunde später steckten wir beide am Buchtufer zwischen den Felsnadeln einiger Riffe und hatten nun das Fahrzeug keine hundert Meter vor uns.

Es war – – nicht der Kutter! Nein, es war eine Segeljacht mit Achterdeckaufbau, mit Jachttakelung und dazu schneeweiß gestrichen.

„Also doch nicht der Kutter!“ raunte ich Harald zu.

„Hm – rieche!“

Der Wind wehte schräg von der Jacht herüber …

Und – nun spürte auch ich den kennzeichnenden Geruch von Lack …!!

„Lack!“ flüsterte ich nur.

„Ja – Lack und Leim!! Wir sollten geleimt werden: Die Schufte haben den biederen Hochseekutter tadellose herausstaffiert, müssen alles Nötige dazu bei sich geführt haben! Es sind die Gegner!“

Mit solcher Bestimmtheit erklärte er das, als ob die Jachtbesatzung nicht auch zufällig den Farbentopf hätte hervorgeholt haben können.

Ich – schwieg. Ich – zweifelte …

Und Harald meinte dann ebenso bestimmt:

„Warte ab! Sie werden sich schon verraten. Sie hoffen, daß wir uns täuschen lassen und uns zeigen werden. Sie haben uns aus den Augen verloren, wollen uns aber um jeden Preis einfangen. Das Zelt – die Malerin, – alles Komödie!“

Auf der Kajütentreppe dort drüben war der Matrose erschienen …

Ein älterer Mann, bärtig, sauber gekleidet – ganz in Weiß …

„Hast Du Augen?“ flüsterte Harst. „Ein Matrose mit solchem Stadtteint ist mir noch nicht vorgekommen!“ Er lachte leise …

Und ich – ich wurde nun ebenfalls stutzig. Gewiß – ich hatte Augen, nur daß die Haralds weit besser waren! Und so mußte ich ihm denn vollkommen recht geben: der Mann dort war niemals Matrose von Beruf! Das war jemand, der diese Tracht der sonngebräunten Seefahrer zu einem käsigen Gesicht trug, dessen erdfahle Farbe mich sofort an die von Zuchthäuslern erinnerte.

Und nun, durch Harald aufmerksam gemacht, beobachtete ich auch sorgfältiger die Haltung und den Gang des Menschen, der jetzt über die Laufplanke ans Ufer hinüberging.

Eine wippende Laufplanke so vorsichtig und ungeschickt zu überschreiten wie der da: nein, das konnte kein Seemann sein! Das war Maskerade, nichts weiter, das war Komödie, wie Harald sich ausgedrückt hatte! –

Der Matrose verschwand in einer Art Hohlweg, der sich durch das steile hohe Felsufer als schräge Spalte nach oben zog …

„Wir wagen’s!“ flüsterte Harald da. „Wir wagen’s! Ich wette, der Rest der Bande steckt im Zelt! Vorwärts denn, der Kutter muß unser werden!“

Mein Gesicht verriet wohl deutlich, wie ich über diesen Vorschlag dachte …

„Hast Du Angst, mein Alter?!“ lächelte Harst, und in seinem Antlitz war jener Zug von Energie und Entschlossenheit, der mich schon so oft trotz aller Bedenken mit fortgerissen hat …

Ich zuckte nur die Achseln …

Dann – liefen wir am Strande entlang …

Erreichten die Planke …

Hinüber – aber so, daß sie nicht wippte …

Hinüber – und für alles vorbereitet: die Clement in der Hand, damit die Bombenwerfer uns nicht einfach niederknallten, falls da noch ein paar entgegen Haralds Annahme in der Kajüte steckten …

Und nun hinab die kurze Kajütentreppe …

Nun vor uns die halb offene Tür …

Harst zögerte …

Drehte den Kopf zurück …

Sein Gesicht zeigte schwere Enttäuschung, Unsicherheit …

„Es ist doch nicht der Kutter!“ flüsterte er. „Ich erkannte es schon, als wir näherkamen. Die Länge stimmt, aber die Form ist anders! Dies ist eine Jacht!“

Er deutete in die Kajüte hinein …

„Ein Hochseekutter enthält keine Kajüte wie diese! Keine Wandsofas, keine Mahagonitäfelung, nicht diese eingebauten Schränke und die andere Luxusausstattung …“

Seine Stirn lag in Falten. Seine Wangenmuskeln spielten. Der Ausdruck der Augen wurde versonnen, weltentrückt, – – bewies, daß seine Gedanken das wahre Wesen dieses Fahrzeugs zu ergründen suchten …

Dann – wie ein heller Schein lief’s über dieses Gesicht hin. Die Stirn glättete sich …

Ein überlegen-ironisches Lächeln umzuckte den Mund …

„Anfänger!! Anfänger sind’s auf der Bahn des Verbrechens!“ sagte er leise. „Da – sieh den Beweis, daß die Bande über zwei Fahrzeuge verfügt, über den Kutter und über diese Jacht!“

Sein Arm reckte sich vor …

Ich drängte mich neben ihn, halb in die Tür hinein …

Da lag auf einem Wandbrett auf einem tintenbeklecksten Taschentuch – Spitzentaschentuch – ein goldenes Kettchen mit einem winzigen künstlerisch aus Elfenbein geschnitzten menschlichen Skelett …

„Scheinbar das Erkennungszeichen der Bande,“ meinte Harald. „Es muß eine ganz gefährliche, großzügige Verbrechergesellschaft sein! Die Leute arbeiten mit Hilfsmitteln, die ihre Vielseitigkeit beweisen. Es sind fraglos Seeleute darunter … Wir werden nun doch die Jacht – stehlen … Los denn! Ziehe die Laufplanke ein. Ich werde …“

Und da – da warnte uns das laute Gepolter aus dem Hohlweg herabrollender Steine …

„Ducken – hinein in die Kajüte!“ raunte Harst, schob mich vorwärts …

Und – dann ein Blick durch die Oberlichtfenster nach dem Lande zu …

Der Matrose – zwei Männer in Sportanzügen …

Beladen mit den Zeltstangen, dem Zeltstoff …

Und – – hinter … hinter ihnen Steuermann Edward Hamilton, mit auf den Rücken gefesselten Händen, bewacht von der weißgekleideten Frau, deren … Revolver im Sonnenschein funkelte … –

Ein Blick nur …

Und Harald wieder:

„Dort die zweite Tür … Wir werden vorn ein Versteck finden … Jede Jacht hat Reservesegel mit … Hinter den Segelballen …“

Und – wir erreichten die niedere Segelkammer, krochen hinein in das stickige Dunkel, zogen die Tür hinter uns zu. Das Schnappschloß knackte … Zwängten uns an den Segelballen vorüber, fanden im schmalsten Winkel hinter einem Reservesteuer und ein paar Brettern Raum genug zum Sitzen …

Und all das, indem wir scheinbar nur einer augenblicklichen Eingebung Haralds folgten – scheinbar …

Er belehrte mich eines Besseren …

Kaum hatten wir unsere jagenden Lungen etwas beruhigt, als er mir zuraunte:

„So – und hier, hoffe ich, werden wir nun ein Wiedersehen mit Edward Hamilton feiern, den die Schurken also doch abgefangen haben! Und dann sind wir unserer drei, – drei, die es mit diesem Gesindel schon aufnehmen werden! – Wenn’s anders käme, wenn meine Rechnung nicht stimmt, wird auch noch Rat werden!“

Das also hatte er in Sekunden sich überlegt! Das war seine Eingebung. Das war ein fertiger Plan, der – die Jacht in unsere Gewalt bringen mußte!

 

5. Kapitel.

Der Geisterreigen.

Und – Hamilton kam …

Hamilton wurde in die Segelkammer hineingeschoben, unter Flüchen und Schimpfworten …

Diese Flüche, diese den Neuyorker Verbrecherkellern entstammenden wüsten Schimpfworte verrieten die Herkunft der Bande: Amerikaner! – Nicht Engländer, nicht Franzosen waren das! Ihr Dialekt sprach für Amerikaner aus den Oststaaten.

Die Tür flog zu …

Stützen wurden von außen lärmend vorgekeilt.

Dann – wurde es still hier im Vorschiff …

Auf Deck lebhaftes Hin und Her …

Die Ankerkette rasselte … Quietschend scheuerte die Laufplanke am Außenbord … Und der Hilfsmotor der Jacht sprang an. Regelmäßiges Schaukeln, das gurgelnde Arbeiten der Schraube verrieten, daß die Jacht der offenen See zustrebte …

„Begrüßen wir Hamilton,“ flüsterte Harald. „Zunächst wird uns hier niemand stören … Hamilton wird sich etwas wundern, glaube ich …“

Wir krochen der Tür zu …

Da – Hamiltons Stimme – – ruhig, bedächtig wie immer, nur leiser:

„Ist dort jemand? Sind Sie’s, Mister Harst?“

Dunkelheit ringsum … Nicht die Hand vor Augen zu sehen … Kein Fenster hier … Nicht einmal durch die Türritzen ein Lichtstrahl …

„Wir sind’s, Hamilton …“

„Eigentlich habe ich drauf gehofft. Und nun, da Sie beide auch hier sind, ist ja alles gut. Den Kerlen habe ich da ein nettes Lügengarn vorgesponnen, nachdem sie mich so hinterrücks niedergerungen hatten und mit dem Revolver mich bedrohten. Zwei waren’s, und ich will nie wieder Pfeife rauchen, wenn die nicht im Schatten Neuyorker Wolkenkratzer groß geworden sind … – Ja – ein nettes Lügengarn, Mister Harst … Ich blieb also bei den Heringsaufkäufern, sagte, daß Sie beide versuchen wollten, zu Fuß eine Fischerhütte zu erreichen. Und dann wollten Sie mich abholen, log ich … – Ob sie mir’s geglaubt haben, die Schufte, weiß ich nicht. Jedenfalls waren sie vor Wut rein wie die Narren, weil Sie beide ihnen entwischt waren …“

Dunkelheit – – drückendste Hitze … Teergestank nach Tauwerk, Benzindunst …

Und Harald fragte: „Glauben Sie, daß die Bande ahnt, wer hinter ihnen drein ist?“

„Nein, nein, von Harst und Schraut ahnen sie bestimmt nichts … Die Kerle hätten sich sonst durch ihre Fragen verraten. – Übrigens, der Herbett ist nicht dabei …“

„Nein, der ist auf dem Kutter …“

„Ja, es ist richtig, Mister Harst, – die Bande hat zwei Fahrzeuge zur Verfügung …“

„Allerdings, lieber Hamilton … – Was gedenken die Banditen mit Ihnen anzufangen?“

„Sie … wollen mich ersäufen … – Eine rabiate Gesellschaft! Aber – den Ton gibt das schwarze Frauenzimmer an, die da die Malerin spielte … Ein verteufelt hübsches Weib, Mister Harst … Und fraglos was Vornehmes … Wie die Lämmer benehmen sich die Kerle ihr gegenüber …“

„Und sonst? Hörten Sie sonst irgend etwas Wichtiges?“

„Hm – nur etwas, Mister Harst … Eine Kleinigkeit. Als der Kerl im Matrosenanzug mich anbrüllte, daß sie keine Zeugen brauchen könnten und daß ich den Atlantik von unten kennenlernen würde, da sagte das schwarze Weib: „Was geschehen, soll auch zu Ende geführt werden! Rücksichten gibt es nicht! Sie haben sich Ihr Schicksal selbst zuzuschreiben! – Groner, der Mann kommt vorläufig in die Segelkammer!“ … Der eine heißt also Groner, und das Weib ist nicht gerade weichherzig, Mister Harst …“

Und all das sprach der brave Steuermann Hamilton mit der ihm eigenen unnachahmlichen Ruhe hin – etwa so, als ob’s ein Wildfremder und nicht er selbst wäre, der da – ersäuft werden sollte. –

Eine Weile Stille …

Dann Harald:

„Sie können sich ganz auf uns beide verlassen, Hamilton. Bleiben Sie gefesselt. Wenn Not am Mann, reden unsere Neunschüssigen. – Wie lange sind wir etwa bis zu den Flannan-Inseln unterwegs?“

„Nun – jetzt ist’s etwa elf Uhr vormittags … Gegen zehn Uhr abends dürften die Inseln in Sicht kommen, falls die Jacht ihre zwölf Knoten läuft, und das wird sie wohl, schätze ich …“

„Gut … Falls bis dahin also nichts geschieht, werden wir erst dicht vor dem Ziel Ihnen die Stricke abnehmen und die Banditen dann hier einsperren …“ Das klang so selbstverständlich, als hätte es sich um eine Partie Schach mit einem minderwertigen Gegner gehandelt …

„Einverstanden, Mister Harst … Verstehe Sie vollständig … Sie rechnen eben mit der Möglichkeit, daß die Jacht vorher noch mit dem Kutter zusammentrifft und daß wir dann vielleicht die Geschichte gleich total und ganz ins Reine bringen … – Auf Wiedersehen denn also …“

Oh – unser Steuermann Hamilton war nicht auf den Kopf gefallen! Das bewies er jetzt abermals – und nicht zum letzten Male! – –

Ich möchte die für uns endlos eintönigen, qualvollen Stunden dieses Tages auf hoher See, eingepfercht in die Enge unseres Verstecks, ohne Licht, ohne Luft, schwitzend, keuchend, oft hindämmernd in halbem Schlaf, nicht näher beschreiben. Ich könnte es. Wäre viel Stimmungsmalerei dabei, – eine seltsame Stimmung in seltsamer Lage … Da vorn, zwei Meter entfernt, der gefesselte Gefährte … Und dort weiter in der Kajüte ein Weib, das schön sein sollte, eine schöne Tigerin, erbarmungslos, mit Menschenleben spielend …

Wer mochte diese Frau sein? Und – was war’s, das ihren Weg über den Ozean leitete bis hin nach dem stählernen Wrack des englischen Kreuzers, des einsamen Denkmals zur Erinnerung an das Massenmorden des zwecklosesten aller Kriege, die je die Erde erlebte?!

Was war’s – und wer war’s?! – –

Harst neben mir regte sich. Ich sah das Leuchtzifferblatt seiner Taschenuhr …

Halb zehn … halb zehn abends …

Und nichts war inzwischen geschehen – nichts! Nicht ein einziges Mal hatte sich einer der Bande um Hamilton gekümmert. Unablässig hatte der Motor gerattert, hatte sich die Jacht auf den langen Wogen des Atlantik gewiegt …

„Halb zehn,“ sagte Harald. „Es wird Zeit … Ich denke, wir beginnen …“

Die Kleider klebten mir am Leibe …

Luft – Luft – – nur frische Luft!

„Gut – beginnen wir!“ murmelte ich und leckte die trockenen, spröden Lippen …

Harald kroch vorwärts …

Hamilton meldete sich …

„Ich habe tadellos geschlafen, Mister Harst …“

„Da sind Sie zu beneiden, lieber Hamilton …“

Seine Taschenlampe flammte für Sekunden auf … Er knotete die Stricke von den verquollenen Handgelenken des Schotten, massierte diese Gelenke …

Sagte: „Da liegt ein großer Schraubenschlüssel, Hamilton. In Ihrer Hand genügt der als Waffe …“

Dann die von außen verrammelte Tür …

„Ich schneide die untere Füllung heraus,“ meinte Hamilton nur. – Sein derbes Seemannsmesser, halb Dolch, halb Miniaturbeil, arbeitete rasch und sicher …

Die Füllung wurde beiseitegestellt. Und durch das Loch schob Harald sich in die kleine Kombüse hinein, die Küche, von der aus eine zweite Tür in die Achterkajüte führte …

Wir, Hamilton und ich, standen nun dicht hinter Harald an dieser Tür und horchten …

Der Motor war soeben verstummt …

Und in der Kajüte alles still – totenstill …

Nur auf Deck ein paar Geräusche …

„Wir müssen bereits zwischen den Klippen der Hauptinsel sein,“ flüsterte Hamilton. „Die Jacht liegt still … Jedes Schwanken hat aufgehört …“

Harst öffnete langsam die Tür – ganz langsam …

Dunkelheit … Die Lampe mußte soeben ausgedreht worden sein. Es roch nach Acetylengas – nach faulen Eiern …

„Vorwärts – an Deck!“ befahl Harald …

Tastend schoben wir uns an dem Klapptisch vorüber …

Vor uns ein helleres großes Viereck: die offene Treppentür …

Harst schob den Kopf vorsichtig über den Rand des Treppenniedergangs …

Bog den Kopf wieder nach unten …

„Kommt …! Die vier stehen ganz vorn … Kommt – und seht!“

Er flüsterte das letzte in merkwürdig erhöhtem Tone – fast schrill …

Hamilton und ich traten auf die zweite Stufe, reckten uns hoch …

Sternenhimmel … im Norden eine riesige schwarze Wolkenbank, fast bis zum halben Firmament reichend …

Und dieses schwarze ungeheure Tuch als Hintergrund für das seltsamste, phantastischste, unheimlichste Bild, das ich je schauen durfte …

Da lag keine dreißig Meter ab, jetzt bei Ebbe das Wrack des Kreuzers hoch auf den Klippen …

Der zweite Gefechtsmast ragte schief empor. Schief lag die Connaught da – mächtige Löcher in den Bordwänden, Löcher mit zackigen Rändern …

Und eins war da, genau mittschiffs, – ein Loch wie ein Scheunentor …

Hinter diesen Schußöffnungen im Innern des Wracks greller Lichtschein …

Und hinter dem Scheunentor, deutlich erkennbar im leeren Batteriedeck, eine Anzahl grell beleuchteter Gestalten …

Seeleute alles – Matrosen … Offiziere …

Und – – alle … ohne Kopf …

Ohne … Kopf, – so tanzten sie in dem jetzt plötzlich wechselnden Lichtschein, im grellen Blau, eine Art Reigen …

Stumm – lautlos …

Als ob die Geister der Toten des Kreuzers heute hier ein Fest feierten … –

Hamilton hatte meinen Arm umklammert …

Abergläubisch wie alle Schotten, dachte er sofort an Übernatürliches …

Sein Atem pfiff an meinem Ohr …

„Totentanz – Geistertanz, Mister Schraut …“

Und wieder wechselte das Licht …

Hellgrün nun – hellgrün dort die Beleuchtung des spukhaften Reigens …

Ohne Köpfe … gegen dreißig Matrosen, Offiziere …

Flatternde weiße Seemannshosen … sich drehende Gestalten …

Unheimlich – unwahrscheinlich … wie ein Traum nach einem furchtbaren Erlebnis …

Dann – mit einem Schlage das ganze Schiff dunkel …

Nur noch unklar die Umrisse …

Und neben uns Haralds Stimme:

„Warten wir noch! Zurück in die Segelkammer!“

Wir setzten die Füllung wieder ein, klemmten sie fest, so gut es ging …

Der Motor der Jacht ratterte wieder …

Die Jacht entfernte sich von dem Wrack – floh in den Atlantik hinaus … – –

Und hiermit schließe ich nun den ersten Teil des Geisterschiffes und bitte die verehrten Leserinnen und die liebenswürdigen Leser, mit mir Hand in Hand einen Zeitraum von vier Tagen zu überspringen und mich in den Speisesaal eines der vornehmsten Londoner Hotels zu begleiten …

 

 

Die schwarze Tigerin

 

1. Kapitel.

Im weißen Saale des Excelsior …

Ein Saal, ganz in Weiß und Gold …

Dazu eine so fein abgetönte diskrete Beleuchtung, eine so diskrete Musik, so gedämpfte Unterhaltung an all den vielen Tischen, daß hier jedes laute Wort unangenehm aufgefallen wäre.

Das war der Speisesaal des Excelsior-Hotels, der Treffpunkt der wahrhaft vornehmen Londoner Welt …

Das war der Ort, wo die Raffkes und Neureichs von Kellnern, die wie die reinblütigen Lords aussahen, mit soviel unverschämten und doch feiner Nachlässigkeit bedient wurden, daß sie nie wieder sich hierher wagten, da sie ja doch Stunden warten mußten, bis die bedienenden Lords ihnen das Bestellte mit irgendeiner peinlichen Redensart brachten …

Und hier war’s, wo wir beide, Harald und ich unmaskiert im Frack, wie üblich, an einem Tischchen mitten im Saal unser Menü mit dem Verständnis von Männern vertilgten, die zuletzt von Möweneiern sich ernährt hatten – nur von Möweneiern – zwei Tage lang …

Wie das gekommen? Weshalb die Möweneier?

Das ist bald berichtet …

Nachdem wir dem Geistertanz dort bei dem Wrack zugeschaut, nachdem wir unsere Segelkammer wieder aufgesucht hatten und nachdem der brave Steuermann Hamilton von Harald dahin belehrt worden war, daß dieser Geisterreigen später wohl eine sehr schlichte Erklärung finden würde, war’s auf der Jacht plötzlich sehr lebhaft geworden.

Wir hörten hastige Schritte an Deck, hörten, daß man die Tür der Segelkammer noch stärker verrammelte, daß man Kisten davorschob und daß der Motor plötzlich wieder verstummte …

Und – gerade als Harst aus alledem die einzig richtige Folgerung gezogen, als er uns leicht erregt zuraunte: „Wir sind entdeckt!! Vorwärts – hinaus aus diesem Loch!“ … da – da ertönte achtern ein dumpfer Krach …

Ein Zittern ging durch den Rumpf der Jacht …

Sie richtete sich steil auf, fiel zurück …

Und im selben Moment hatte Harald auch schon die Füllung herausgestoßen – stieß die Kisten beiseite …

Wir, Hamilton und ich, dann hinter ihm drein – hindurch durch die in die Kajüte eindringenden Wassermassen.

Und – hinein in die dunkle See, und mit langen Schwimmstößen dem nahen Lande zu …

Ein Blick nach rückwärts …

Die Jacht versank, – versank wie unsere Caledonia, vernichtet durch eine Explosion, durch eine Bombe …

Und wir, die wir hatten in unserem Kerker elend wie die Ratten ersäuft werden sollen, – wir stiegen triefend an Land …

Eine der kleineren Flannan-Inseln war’s. Und hier – hier spielten wir zwei Tage Robinson, bis der Dampfer der Londoner Filmgesellschaft Britannia auf unsere Notsignale hin uns aufnahm, derselbe Dampfer, dessen Insassen im Wrack der Connaught damals abends Generalprobe für eine Filmaufnahme abgehalten hatten …

Das war der Geisterreigen gewesen: eine Szene aus dem Sensationsfilm „Das Schiff der Toten“, der dann auch in Berlin über die Leinwand ging, aber wenig Beachtung fand, da die Engländer es nicht recht verstehen, ihren Sensationsfilmen auch das mitzugeben, was die tüchtigeren Geschäftsleute, die Amerikaner, stets tun: Rührseligkeit, knallige Liebeseffekte! –

Jedenfalls – der Dampfer brachte uns nach Greenock, nachdem wir noch unsere Koffer von der einsamen Hebrideninsel hatten abholen können, wo die Verbrecherbande sie nach Hamiltons Gefangennahme einfach in dem Dingi hatte stehen lassen.

Von dieser Verbrecherbande erfuhr niemand etwas. Den Filmherrschaften erzählte Harald eine wundervolle Geschichte, die sehr spannend war, aber keineswegs den Tatsachen entsprach. Niemand wußte auch, daß unsere ehrlichen Namen Harst und Schraut waren. Und Hamilton log gleichfalls großartig. Kurz: in Greenock dankten wir den freundlichen Filmleuten, verabschiedeten uns von Hamilton, dem Harst die Caledonia voll bezahlte, und reisten mit der Bahn nach London.

Denn – was sollten wir unter diesen Umständen wohl anderes tun? Etwa den Kutter der Verbrecherbande suchen, der die Jachtbesatzung doch fraglos an Bord genommen und dann anderen Gefilden sich zugewandt hatte?! Sollten wir all die Hebridenhäfen abklappern und fragen, ob jemand etwa den Kutter gesehen und wo?

Nein – uns blieb nichts anderes übrig als zunächst in London abzuwarten, was Hamilton uns melden würde. Ihn hatten wir beauftragt, in aller Stille Nachforschungen anzustellen und der Polizei in Barvas zu raten, einige Tage das Wrack des Kreuzers zu bewachen. –

Wir waren im Excelsior-Hotel abgestiegen – wie stets, wenn wir London die Ehre gaben.

Wir waren nachmittags bei Detektivinspektor Colley gewesen, und dem hatte Harald nun erzählt, was er ihm damals vorenthalten: Fahrkarte, Elfenbeinskelett – und alles übrige.

Colley hatte nach Luft geschnappt und gemeint, wir verdienten eingesperrt zu werden, weil wir so eigenmächtig gehandelt hätten.

Er beruhigte sich wieder, und wir schieden als gute Freunde.

Nun also war es abends elf Uhr, und wir genossen Musik, elegante Frauen und auserlesene Gerichte im diskret beleuchteten Prachtsaal des Excelsior …

Harald schaute zuweilen in das Riesenformat des Londoner Herald hinein …

Zuweilen …

Schaute weit öfter nach einem Tische hin (wie mir allmählich auffiel), wo zwei Damen mit dem Rücken nach uns hin ebenfalls speisten …

Der Kellner brachte als Nachtisch Weintrauben.

Harst streichelte die prächtige goldgelbe Traube und meinte:

„Sie hängen jetzt nicht mehr so hoch für uns, die Trauben …“

„Hm – was soll das?“

„Das soll heißen: die schwarze Tigerin ist gefunden …“

„Wer – –?! Schwarze Tigerin?!“

„Dein Gedächtnis ist wie ein Sieb! Hamilton nannte doch die schwarzhaarige Malerin von der Hebrideninsel … die schwarze Tigerin …“

Ich starrte ihn an … Ich begriff jetzt …

„Herr Gott – etwa eine der beiden Damen dort am fünften Tische?“

„Ja … Die Schlanke, die mit dem tiefen Rückenausschnitt … Blendende Haut hat sie, und einen Nacken – – allerhand Achtung!“

„Du hast sie wiedererkannt?“

„Nein. Ich habe ihr Gesicht noch nicht gesehen …“

„So?! Und da willst Du …“

„Gestatte: sie trägt ein Goldkettchen aus Filigranarbeit um den Hals, und genau dasselbe Kettchen trage ich in der Brieftasche – samt dem Elfenbeinskelett! Außerdem aber tauscht sie mit Monsieur Herbett Zeichen aus. Er sitzt rechts neben dem Musikerpodium ganz allein. Und die beiden telegraphieren nun schon eine ganze Weile …“ –

So war Harst …

So überfiel er mich geradezu mit seinen wichtigsten Mitteilungen. Und – das tat er stets. Eine Schwäche von ihm, die man ihm nicht abgewöhnen kann. Er hat seine Freude an meinem verblüfften Gesicht, und so sehr ich mir auch nach jedem neuen derartigen Überfall vornehme, mich nicht verblüffen zu lassen: stets beweist mein Gesichtsausdruck das Gegenteil!

Und nun gar hier in diesem Falle! – Man bedenke: wir hatten anscheinend jede Spur der Bande verloren, die, als sie das Wrack anderweit besetzt fand, schleunigst umkehrte, besonders da die Entdeckung zweier Männer in der Segelkammer (und das waren ja wir gewesen) die Unsicherheit der Verbrecher noch vermehrt hatte.

Anscheinend jede Spur verloren … anscheinend!

Ich zweifelte jetzt sehr stark daran. Und brachte diese Zweifel Harst gegenüber durch die Worte zum Ausdruck:

„Dann berichte nur gleich alles! Du hast doch gewußt, daß Du die … die schwarze Tigerin oder Herbett hier finden würdest!“

Er zerpflückte die Weintraube und erwiderte mit feinem Lächeln:

„Ich habe es – herausgefunden, daß Frau Lydia Gwindamoor hier abgestiegen ist …“

„Wer? Lydia Gwindamoor – die amerikanische Filmkönigin …“ – Ich war noch verblüffter als vorhin. Und ich vergaß vollständig vor Verblüffung, mich über diese Verblüffung zu ärgern …

„Dieselbe!“ nickte Harst gemütlich. „Sie ist die – schwarze Tigerin …“

„Und – die Bombenwerferin?“ entfuhr es mir recht ungläubig.

„Ob sie selbst die Bombe nach der Caledonia geschleudert hat, weiß ich nicht. Jedenfalls geschah’s mit ihrem Einverständnis.“

„Aber – aber, – – diese Frau, die doch über Millionen verfügt, um die alle Filmgesellschaften sich reißen, – – die soll …“

„Bitte!“ unterbrach Harald mich, „die steht mit Verbrechern im Bunde, das ist doch wohl erwiesen. Es fragt sich lediglich, weshalb sie diese Beziehungen zu so fragwürdigen Leuten angeknüpft hat. Und ohne Zweifel müssen bei ihr sehr starke Beweggründe mitsprechen. Hunger und Liebe sind die mächtigsten Impulse. Hunger scheidet hier aus. Also – – bleibt Liebe übrig …“

Er hatte dabei behaglich von der Weintraube genascht, griff nun nach seinem Zigarettenetui, nahm eine seiner stark parfümierten Mirakulum und rieb ein Zündholz an …

Fuhr fort: „Ich will Dir nun alles sagen, was ich weiß, mein Alter. Viel ist es nicht. Leider …! – Zunächst eine Frage: Hast Du auf den Namen der Jacht geachtet?“

„Nein … Nur als wir so schnell an Bord huschten, bemerkte ich die verschnörkelten goldenen Buchstaben am Bug. Hamilton hat sie ja auch nicht entziffern können.“

„Ich auch nicht … ganz – nicht ganz …“ – Er rauchte ein paar Züge. – „Immerhin war der Anfangsbuchstabe fraglos ein S, und dann sah ich in der Wortmitte ein m und ein i.“

Nun holte er aus der Tasche ein Blatt aus einer Sportzeitung hervor.

„Hier bitte – hier sind einige Jachten bedeutender Persönlichkeiten abgebildet, die an der diesjährigen Regatta in Dover teilgenommen haben. Ich habe die Zeitschrift auf der Bahnfahrt hierher mir gekauft, wie Du weißt. Und – da sah ich dieses Bild …“

Ich schaute hin. Da stand unter dem Bilde:

Die beiden Jachten Semiramis 1 und 2 der amerikanischen
Filmschauspielerin Lydia Gwindamoor.

Nun begriff ich. „Ein S, ein m und ein i, – das deutet allerdings auf Semiramis hin,“ meinte ich eifrig. „Und hier die kleinere Jacht Semiramis 2 gleicht auch auffallend unserem Unglücksfahrzeug.“

„Aufs Haar!“ nickte mein Freund. „Als wir also hier in London eintrafen, durfte ich vermuten, daß Lydia Gwindamoor die schwarze Tigerin gewesen sein könnte. Da ich noch nie ein Bild von ihr gesehen hatte, besorgte ich mir heute eine Filmzeitschrift, die eine Photographie der großen Lydia enthielt. Du ließest Dich gerade rasieren. Und – hier ist nun auch diese Photographie – bitte.“

Ein Blick genügte …

So flüchtig ich die Malerin auch damals gesehen hatte, ich erkannte sie in diesem Lichtbild sofort wieder.

Gespannt schaute ich Harald an. „Und – weiter?“ fragte ich …

„Ja – weiter gibt es kaum etwas zu berichten, mein Alter. Hier im Hotel fand ich Lydias Namen im Fremdenbuch. Sie ist vorgestern hier abgestiegen. Das stimmt also tadellos der Zeit nach. Vorgestern konnte sie hier eintreffen, nachdem der Kutter sie irgendwo an Land gesetzt hatte. Na – und dann heute abend: da ist sie in Gesellschaft einer älteren Dame, und da drüben sitzt jener Herbett, der uns schwerlich wiedererkennen wird. Und – Lydia und Herbett haben, wie schon erwähnt, telegraphiert …“

„Wie denn?“

„Ähnlich einfach wie wir’s vereinbart haben … für gewisse Fälle. Also Morsezeichen – lang, kurz, – und die üblichen Kombinationen von lang und kurz … – Lydia benutzte zum Andeuten von „lang“ ihr Tischmesser und von „kurz“ das Messerbänkchen, indem sie je eins davon nach Bedarf in die Finger nahm, was Herbett beobachten konnte, der wieder seinerseits mit einer langen Zigarrenspitze und einem goldenen Bleistift operierte. – Daß ich den Inhalt dieses gegenseitigen Telegraphierens mir unschwer merken konnte, wirst Du nicht weiter erstaunlich finden. Jetzt – weiß ich infolge dieses Zeichenaustausches noch mehr …“

„Und – das wäre?“

„Lydia depeschierte nur folgendes:

„Wann und wo?“

Und Herbett antwortete:

„Ein Uhr morgens, Pawaret-Street 19.“

Was doch für uns sehr wichtig ist, mein Alter.“

„Allerdings …“

„Und was uns für die Nacht Arbeit gibt …“

„Ah so!! Pawaret-Street 19!!“

„Freilich. Auch wir werden uns erlauben, um ein Uhr morgens dort zu sein.“

„Sehr gut …! Die schwarze Tigerin wird uns dann Rede und Antwort stehen müssen.“

Harald machte ein sehr ernstes Gesicht. „Du unterschätzt das Gefährliche dieser unserer Einmischung. Du kennst bereits die brutalen Methoden dieser Banditen, von denen wir immer noch viel zu wenig wissen. Viel zu wenig. Es ist doch schließlich nur eine Vermutung von uns, daß die Leute dort im Wrack der Connaught Beute verbergen wollten – so ein Notbehelf von Vermutung, der mir jetzt, wo ich eine Lydia Gwindamoor beteiligt weiß, gar nicht mehr zusagt. Nein, um ehrlich zu sein, lieber Alter: diese Vermutung ist jetzt – Blech! Es handelt sich fraglos um ganz andere Dinge. Um was – ich ahne es nicht im entferntesten. Ich tappe im Dunkeln, nehme nur eins mit größter Bestimmtheit an: daß es hier um recht geheimnisvolle Machenschaften geht, die mit Diebstahl, Raub, dergleichen nichts zu tun haben. – Und dann …“

Eine Kunstpause …

„Dann, mein Alter, möchte ich Dich noch auf etwas aufmerksam machen: auf die Segelregatta in Dover! Sie fand genau zwei Tage vor jenem Vormittag statt, als Doktor Gybourg uns zu sich rief und als ich in der Toten mit der grauen Perücke ein junges, blondes Weib feststellte, die nun als unbekannt beerdigt worden ist, wie Inspektor Colley uns erzählte.“

Ich beugte mich vor …

„Harald – die Tote kam aus Dover!! Die Fahrkarte!!“

„Ja – aus Dover, mein Alter, und wollte die Mutter jenes Herbett spielen, der übrigens soeben bezahlt … – Ich werde ihm folgen …“ Er sprach hastiger. „Er wohnt nicht hier im Hotel. Wir treffen uns dann um halb eins an der Ecke der Pawaret- und der Gloucester-Street, – übrigens ein ganz übles Viertel dort …! – Wiedersehen! Und bringe das Notwendigste zum Verkleiden mit … Wiedersehen …“

 

2. Kapitel.

Der erste Akt …

Ich schaute ihm nach …

Ich merkte mir: Ecke Gloucester-Street! Und – ganz übles Viertel …!

Harald war hier in London zu Hause. Er kannte es fast so gut wie Berlin. – Nicht so ich. Ich würde mir nachher ein Auto nehmen und mich einfach nach der Gloucester-Street fahren lassen …

So dachte ich. Andere dachten anders … –

Ich winkte dem Kellner, zahlte …

Die Musik spielte gerade den neuen Radio-Shimmy[4]. Radio war ja hier in England jetzt Trumpf, war der Massenfimmel. Uns Deutsche packte dieser Fimmel erst sieben Monate später. Wir hinken überall nach, holen das Versäumte aber stets wieder auf – durch unsere Gründlichkeit …

Also Radio-Shimmy …

Und da – erhoben sich auch die beiden Damen, die Alte und Lydia Gwindamoor … Herbett und Harald waren längst nach der Vorhalle zu verschwunden.

Nun sah ich auch Lydia Gwindamoors Gesicht. Nun gab ich Steuermann Hamilton recht: ein verteufelt hübsches Weib, eine Männerschönheit, so eine von dem Schlage, die den abgelebtesten Meergreis noch in den Mai zurückversetzt …

Gang, Haltung – alles von klassischer Ruhe und Rundung. Und doch in allem so ein leiser Timbre zitternder Nerven, heißen Blutes …

So war Lydia Gwindamoor. –

Vor mir stiegen die beiden Damen in den einen Fahrstuhl …

Der Liftboy hätte vor der Königin von England keinen ehrfurchtsvolleren Bückling machen können.

Auch ich fuhr nach oben – dritten Stock, Zimmer Nr. 85, 86 …

Betrat unseren Wohnsalon …

Drückte die innere Doppeltür hinter mir ins Schloß, schaltete das Licht ein …

Und – dort gleich neben der Tür im gepolsterten Korbsessel saß … Lydia Gwindamoor, und jenseits des Tisches im zweiten Sessel die … alte Dame …

Und die Dame – zielte auf mich mit einer klobigen Pistole – einer Luftpistole, deren geräuschlose Schüsse solche Waffen für solche Zwecke nur zu geeignet erscheinen lassen …

Frau Lydia Gwindamoor aber sagte sofort mit einer melodischen, angenehm tiefen Stimme:

„Nehmen Sie dort Platz, Mr. Schraut, – dort am Kamin …!“

Ich wußte genau: nicht gehorchen war hier so gut wie sicherer Tod!

Ich gehorchte, setzte mich auf den Hocker und versuchte ein möglichst gleichgültiges Gesicht zu machen.

Die Gwindamoor musterte mich von oben bis unten, von unten bis oben …

Sagte kühl:

„Ich habe mir Mister Max Schraut imponierender vorgestellt …!“

Das war eine Frechheit – eine Beleidigung.

„Ich imponiere nur meinesgleichen,“ erwiderte ich mit ironischem Lächeln.

Ein nadelscharfer Blick traf mich …

„Sie meinen also: anständigen Charakteren?“ fragte sie mit demselben Lächeln …

„Allerdings …“ –

Das war die Einleitung unserer Beziehungen, die Ouvertüre …

Dann der erste Akt, der ja in jedem Drama die Exposition bringt, auf deutsch: die Entwicklung der Verwicklungen!

Lydia Gwindamoor lächelte nicht mehr …

„Ein Zufall hat mich darüber aufgeklärt, wer die beiden holländischen Heringshändler in Wirklichkeit waren,“ begann sie mit größtem Freimut, denn in diesen ihren Worten lag ja das Zugeständnis ihrer Teilnahme an den Vorgängen auf den Hebrideninseln …

„… ein Zufall, der dadurch eintrat, daß wir, die Mitglieder der Loge „Zum Skelett des Erhabenen“, bei den Nachforschungen nach dem Verbleib einer unserer Logenschwestern zu Zahnarzt Gybourg geleitet wurden, wo aus der Hausdame Gybourgs unschwer alle Einzelheiten herauszulocken waren …“

„Sehr interessant,“ warf ich ein. Ich hatte so manches von Harald gelernt, der einen Gegner stets durch ironische Zwischenbemerkungen zu reizen suchte und oft auch Erfolg damit hatte: der Gegner verriet mehr, als er ursprünglich hatte preisgeben wollen!

„Es wird noch interessanter …!“ Die schwarze Tigerin verriet sich … Ihre Augen flammten auf. „Es wird noch so interessant werden, Mister Schraut, daß Sie und Ihr Freund Harst … um Ihr Leben betteln werden …!“

Das war keine leere Drohung! Diese Worte aus dem Munde – hervorzischend über zuckende Lippen, dazu dieser Gesichtsausdruck …!!

Ich – richtete mich auf …

Ich wollte beweisen, daß ich keine Furcht kannte …

Und doch: die dumpfe Ahnung, daß diese „Logenmitglieder“ auch meinen Harst in eine Falle gelockt haben könnten, ließ mein Herz jagen …

„Harald Harst ist jetzt schon in unserer Gewalt,“ erklärte die Tigerin weiter … „Er ist trotz all seiner Schlauheit uns ins Garn gegangen! Nicht wahr: er hat doch auch den Zeichenaustausch zwischen mir und Herbett beobachtet? Hat mit Genugtuung festgestellt, daß die Pawaret-Street Nr. 19 Stelldichein sein sollte …“

Jetzt lächelte sie wieder …

„Pawaret-Street 19 ist – ein alter Lagerschuppen …! Nun, wir haben Ihnen beiden die Mühe erspart, diesen Schuppen zwecklos zu besuchen. Wir werden Sie beide anderswohin bringen, und dort werden wir Sie zwingen, uns mitzuteilen, wo Sie das Kind verborgen halten, denn – noch haben Sie es dem Vater nicht ausgeliefert, das wissen wir …“

Kind – – Vater – – ausgeliefert – – wir – – wir?! – Was hieß das alles …

Und – in meinem in diesem Moment gewiß nicht gerade geistvollen Antlitz zeigte sich offenbar so deutlich mein totales Nichtbegreifen, daß Lydia Gwindamoor sich vorbeugte und zögernd fragte:

„Wo haben Sie also das Kind verborgen, Mister Schraut?“

Tatsächlich: Kind – – Kind!! Anscheinend sollten wir ein Kind entführt haben!

Ich … kam zu mir, erholte mich, merkte, daß ich ziemlich blöde dreinschaute und gab meinen Zügen rasch den Ausdruck überlegener Schläue …

„Das möchten Sie gern wissen, Lydia Gwindamoor,“ sagte ich mit einer Geste, die andeuten sollte, daß Lydia es von mir nie erfahren würde. Und – das stimmte ja auch, denn ich hatte ja genau so wenig wie Harst von diesem Kinde auch nur die allerleiseste Ahnung. Mithin konnte ich auch beim besten Willen nichts verraten.

„Sie bleiben bei ihrer Weigerung?“ fragte sie scharf.

„Ich pflege meine Entschlüsse in Sekunden nicht zu ändern, Mistreß …“

Sie stand auf …

„John!!“

Das galt der alten Dame …

Teufel noch mal – das war also ein verkleideter Kerl, dieser John!

John stand gleichfalls auf, kam näher, hielt mir die Pistole vor die Stirn …

Und Lydia Gwindamoor entnahm ihrem goldenen Handtäschchen einen Wattebausch und ein Fläschchen mit eingeschliffenem Stöpsel …

Goß den Inhalt des Fläschchens auf die Watte …

Und da – da fühlte ich plötzlich eisige Kälte im Rücken. Da merkte ich: es wurde ernst!! Bitter ernst …

Und – ich war wehrlos …

John hatte den Zeigefinger am Drücker der Pistole, konnte mir jeden Moment einen Klumpen Blei ins Hirn pusten …

Ich dachte an Harald …

Sollte ich nicht wenigstens den Versuch machen, diesen beiden feinen Logenmitgliedern zu beweisen, daß Max Schraut kein Lämmchen sei!!

Aber wie – wie?!

Schon nahte Lydia Gwindamoor mit dem chloroformgetränkten Wattebausch …

Und – die Pistole keine fünf Zentimeter vor meiner Stirn …

Und – –

Da – – da preßte mir die schwarze Tigerin bereits die Watte unter die Nase …

Und da – – besann ich mich auf Haralds Trick, nur den Betäubten zu spielen …

Hielt den Atem an …

Hielt den Atem an und senkte und hob doch die Brust, als ob ich atmete …

Täuschte beginnenden Schwindel vor, schwankte, schloß die Augen …

Aber – das Weib preßte noch immer die feuchte Watte gegen meine Oberlippe …

Ich … mußte atmen … Funken sprühten mir bereits vor den Augen …

Sog das Chloroform ein – und sank vom Hocker auf den Teppich – so echt, daß ich Lydia sagen hörte:

„Das genügt, John … Nun rasch – den Schrank von der Tür …!“ –

So – – endete der erste Akt …

 

3. Kapitel.

Das Kind …

… Rasch den Schrank von der Tür!

Das konnte nur der Kleiderschrank in unserem gemeinsamen Schlafzimmer sein …

Denn der stand vor der Verbindungstür nach dem Nebenzimmer, wo ein alter Herr wohnte, wie wir vom Etagenkellner wußten … –

Der alte Herr also auch ein Logenbruder!! Die Bande hatte uns wirklich fein eingekreist!

Man schleppte mich auch wirklich in dieses Zimmer, legte mich in einen großen Koffer …

Der Deckel klappte zu …

Noch ein zweiter Deckel …

Und – das machte mich stutzig …

Nur ein moderner Schrankkoffer pflegt zwei Deckel zu haben …

Und – damals in Stromeferry hatte der redselige Dienstmann ebenfalls einen Schrankkoffer nach dem Kutter gefahren!! –

Ich lag im übrigen hier ganz bequem. Mein Kopf ruhte auf einem Bündel Kleider.

Ich wartete nun – brauchte nicht lange zu warten …

Gedämpfte Stimmen …

Der Koffer wurde verschlossen, wurde emporgehoben …

Im Fahrstuhl ging’s abwärts …

In ein Auto … Dann Straßenlärm, – der immer mehr verklang …

Ich hatte Zeit, überlegte …

Ich überlegte sehr sorgfältig. Man hatte mich nicht gefesselt, hatte mir nichts aus den Taschen genommen …

Und daher … steckte ich nun die treue kleine Clement in – den rechten Strumpf – in den Strumpf über dem Schnürschuh …

Für alle Fälle …!!

Und – wartete das Weitere ab, wollte weiter den Betäubten spielen … –

Das Auto hielt.

Der Koffer wurde herausgehoben …

Die Sirene eines Dampfers heulte – noch eine – noch eine …

Es mußte der Innenhafen von London sein, die Themse.

Über eine wippende Planke trug man den Koffer auf ein leise schaukelndes Fahrzeug – hinab in eine Kajüte offenbar.

Ich ahnte: Semiramis 1, die andere Jacht Lydia Gwindamoors, die Kreuzerjacht!

Dann wurde der Koffer aufgeschlossen, die Deckel hochgeklappt …

Man nahm mich heraus aus dem Koffer, trug mich weiter – durch zwei schmale Türen – ich stieß mit den baumelnden Füßen gegen die Füllung …

Man legte mich auf ein weiches Lager …

Und – – fesselte mich: die Fußgelenke – die Hände über der Brust!

Ich – lag still … Mit geschlossenen Augen … Lauschte nur …

Lauschte, ob ich irgend etwas vernähme, das auf Haralds Anwesenheit hindeutete … –

Ohne jedes Wort hatten die Männer, die mich hierher gebracht, bisher ihre Arbeit an mir verrichtet …

Nun sagte der eine:

„Drei, vier Stunden, dann werden sie aufwachen, meint Lydia …“

Sie – sie …!! Also zwei! Also war auch Harald hier!!

Dann fiel eine Tür ins Schloß. Ein Schloßriegel schnappte zu …

Schritte entfernten sich …

Stille …

Ich schlug die Lider auf – vorsichtig – langsam …

Eine Kabine – eine enge Jachtkabine. Die Deckenlampe brannte. Ich lag auf dem unteren Bett. Das andere, über mir, wie im Schlafwagen, mußte Harald als Lager dienen.

Ich lauschte …

Alles still …

Richtete mich auf …

Kam auf die Füße, reckte den Kopf noch höher …

Und … schaute im Harsts lächelndes Gesicht, das aus schneeigen Kissen mir entgegenstrahlte …

Er lächelte, flüsterte:

„Wirst Du Dich sofort wieder niederlegen!! Willst Du alles verderben?!“

Ich zauderte … fragte hastig:

„Hat man auch Dir etwas von einem Kinde mitgeteilt, – wollte man auch von Dir wissen, wo wir dieses Kind verborgen halten?“

Sein Lächeln erstarb …

Seine Stirn wurde faltig …

„Ich … Narr!!“ stieß er leise hervor …

„Weshalb – – Narr?“

„Weil ich, der doch sonst die scheinbar entlegensten Dinge irgendwie zueinander in Beziehung bringt, diesmal an dem – Kern des Ganzen vorbeigetapert bin!! – Das Kind – das …“

Und dann – warnend:

„Hinlegen – – Schritte!!“

Im Nu lag ich wieder auf dem unteren Bett …

Horchte …

Schritte draußen im Kabinengang …

Vorsichtig wurde die Tür aufgeschlossen …

Vorsichtig wieder zugedrückt …

Der, der da soeben eingetreten war, regte sich nicht, stand noch an der Tür, atmete keuchend wie in hochgradiger Erregung oder wie nach eiligem Lauf …

Gelaufen war der Betreffende nicht. Also – war er erregt …

Und wie erregt er war, verriet sein stoßweises Selbstgespräch – eine Art heiseren Flüsterns …

„… Verdammte Geschichte! Und – – ich konnte doch nicht ablehnen! Ausgerechnet die beiden – und hierher!! Die Pest ist das! Wenn sie erst wieder bei Besinnung sind, bin ich so gut wie verloren! Ein Wunder, daß sie noch nicht stutzig geworden ist! John erzählte ja …! – Eine verdammte Sache …! Es hilft nichts! Die beiden müssen dran glauben … Merken wird’s niemand, und nachweisen kann’s mir auch niemand …“

Kleiderrascheln – schleichende Schritte …

Atem schlug mir ins Gesicht …

Der Mann beugte sich tief zu mir hinab …

Und – fiel mir plötzlich über die Brust …

Atmete röchelnd …

Harsts Stimme – dicht neben mir:

„Lieg still! Ich werde schon mit ihm fertig …“

Augen auf …

Und – Kopf gehoben …

Ich sah – Herbett – – Herbett, dem Harst von oben in den Rücken gesprungen war, – Harst ohne Fesseln … Harst, der den Menschen würgte, bis dieser still dalag …

Harald erhob sich, schaute sich um …

Schnitt die Zugschnur von den Vorhängen des Doppelbettes …

Fesselte den Bewußtlosen, stopfte ihm einen Knebel in den Mund, band den Knebel im Genick fest …

Trug den Mann bis zu dem großen Schrankkoffer, legte ihn hinein, schloß ab …

Die Schlüssel steckten …

Kam zum Bett zurück, hob aus den Falten des Unterbetts eine winzige Nickelspritze mit Glasrohr auf, hielt sie gegen das Licht, drückte auf den Spritzenkolben, ließ zwei Tropfen aus der haardünnen Metallspitze hervorquellen, roch an den Tropfen …

Wandte sich mir zu …

„Blausäure, mein Alter …!“

Und schob die Spritze oben unter sein Kopfkissen …

Sagte nur: „Der Fall liegt nun klar, vollkommen klar. Ich werde mir die Stricke wieder umschlingen, die Deinen aber bis auf wenige Fasern zerschneiden …“

Er tat’s …

Ich war noch so völlig benommen von dem einen Wort Blausäure, daß ich kaum auf das andere achtete, was Harst unternahm …

Er setzte sich nicht wieder auf sein Bett. Er hatte sich’s wohl anders überlegt …

Öffnete den Koffer …

Und – mit einem Ruck richtete sich der bereits wieder erwachte Herbett halb auf …

„Falls Sie sich nicht still verhalten,“ sagte Harald drohend, „werde ich Ihnen die Blausäure verabfolgen, Sie jämmerlicher Wicht!“

Dann klappte er den Hauptdeckel wieder herab, nickte mir zu und schwang sich auf sein Lager empor …

Ich hörte, wie er sich noch eine Weile bewegte …

Dann – Stille – Stille …

Dann deutete nichts mehr darauf hin, was hier soeben vor sich gegangen …

Und ich – ich fühlte noch immer eisige Frostschauer mir über den Rücken laufen …

Dachte noch immer an die Nickelspritze, an die beiden Tropfen Blausäure, die Harald durch den Geruch geprüft hatte …

In meinem Hirn jagte stets dieselbe Frage wie ein nimmermüder Kreisel umher: Weshalb hatte Herbett uns heimlich ermorden wollen – – weshalb?!

Wie – wie konnte das wohl mit diesem rätselhaften Kinde zusammenhängen …

Und – weshalb hatte Harald sich selbst einen Narren gescholten – – weshalb?!

Weshalb so plötzlich erklärt: „Der Fall liegt nun klar, vollkommen klar …!“

Wußte er, um welches Kind es sich handelte? Besaß etwa Lydia Gwindamoor, die nun bereits die dritte Scheidung hinter sich hatte, ein Kind?! – Ich hatte nie davon gehört … Nur von ihren unglücklichen, abenteuerlichen Ehen …

Drei Männer in drei Jahren – und drei Scheidungen, weil Lydia die Abwechslung liebte, weil sie nicht treu sein konnte …

Schwarze Tigerin – Tigerweibchen in zügellosen Lüsten …

Die Zeitungen waren stets voll von Skandalgeschichten. Aber – das Publikum stürmte die Kinos, in denen ein Gwindamoor-Film lief – gerade der Skandalgeschichten wegen. So ist das Publikum. Ehebruch als Reklame – smart ist das!!

Ja – das war aber auch alles, was ich von Lydia wußte.

Ein Kind? Sie – ein Kind?! Nein – das hätte zu der Tigerin nicht gepaßt. Kinder sind unmodern geworden.

Also – woher dieses Kind?! Vielleicht ein Kind aus einer früheren Ehe eines der drei glücklich wieder von der Tigerin losgesprochenen Gatten?

Vielleicht – vielleicht war’s so. –

Und als ich mithin auf diese Weise immerhin etwas Klarheit in dieses Chaos gebracht hatte, da gönnte ich meinem Hirn Ruhe …

Schloß die Augen … Sammelte Kraft für später – für das Wiedersehen mit Lydia …

Wenn … wir angeblich erwacht sein würden – wir, Harald und ich … –

Ich lag still, ruhte aus … Schaltete alle Gedanken aus – alle … – –

Und so endete der zweite Akt.

 

4. Kapitel.

Harst als Ankläger.

Stunden gingen hin …

Das fahle Licht der Morgendämmerung lugte durch die kleinen Kabinenfenster …

Im Hafen wurde es lebendiger …

Immer häufiger schrillten die Sirenen in allen Tonarten, bellten die Heulsirenen von Kriegsschiffen, pfiffen die Schleppdampfer, knatterten Motorboote.

Der neue Tag brach an … –

Schritte im Kabinengang …

Harst flüsterte: „Wir sind wach!“

Ich verstand. Mit offenen Augen schaute ich den Eintretenden entgegen: Lydia Gwindamoor und der Graubart, der auf den Hebriden den Matrosen so mangelhaft mit käsigem Gesicht gespielt hatte.

Lydia trat an die Betten heran …

„Ah – schon munter!“ rief sie leise. „Wie fühlen Sie sich? Kräftig genug, ein Verhör zu bestehen?“

„Ich glaube ja,“ erwiderte Harald über mir.

Ich – nickte nur …

Und richtete mich auf, ließ die Beine herabhängen …

Harald tat dasselbe …

So saßen wir denn auf den Betträndern übereinander. Und uns gegenüber nahm Lydia … auf dem Kofferdeckel Platz …

Ahnungslos, daß der Schrankkoffer nicht mehr leer war.

Der Graubart aber lehnte hinter Lydia an der mit Brokatstoff bespannten Kabinenwand und hatte nun eine klobige Pistole unter der Jacke hervorgeholt, eine Pistole, die mir sehr bekannt vorkam …

Hm – sollte dieser Graubart etwa John, die alte Dame, sein?! Dann war der Mensch wahrhaftig sehr vielgestaltig – sehr sogar! –

Lydia blickte Harald an …

Von oben bis unten, von unten bis oben …

„Also das ist Harst, der berühmte Harst!“ begann sie dann mit sanfter Ironie.

„Ja – das bin ich,“ hörte ich Harald ganz vergnügt antworten. „Harald Harst – der echte Harald Harst, meinetwegen der berühmte …“

Lydia schien dieser Ton nicht zu behagen.

„Sie schätzen Ihre Lage unrichtig ein,“ sagte sie finster.

„Glauben Sie?!“ Er lachte klingend … „Ich schätze meine Lage vollkommen richtig ein, denn – ich liege nicht, sondern sitze hier … sprungbereit …“

„Ein Sprung brächte Ihnen den Tod,“ meinte die schwarze Tigerin drohend.

„Glauben Sie?! – Ich könnte Ihnen das Gegenteil beweisen. Aber zunächst wollen wir uns über Lord Cecil Weccerlays Töchterchen, über die kleine Evelyn, unterhalten, Lydia Gwindamoor …“

„Ah – Sie geben zu, daß Sie sie entführt, gestohlen haben und verborgen halten?“

„Langsam – langsam, Mistreß! Ich gebe nichts zu. Ich bin ein sehr gründlicher Mensch. Mithin möchte ich diese Geschichte von Anfang an aufrollen. Beginnen wir also mit der Introduktion …“ –

Mit einem Schlage waren jetzt die Rollen vertauscht. Harsts, der Gefangene, der hier hatte verhört werden sollen, war zum Ankläger geworden.

Nur eine Persönlichkeit wie er brachte einen solchen Umschwung fertig. Nur ein Harst besaß diese ungeheure Macht der Persönlichkeit, daß selbst die schwarze Tigerin zahm wurde.

„Also, Lydia Gwindamoor,“ fuhr er in demselben halb ironischen, halb selbstbewußt-nachlässigen Tone fort, „also – die Introduktion … – Sie haben Ihre Jacht Semiramis 1, auf der wir uns jetzt befinden, zur Regatta in Dover gemeldet gehabt, nachdem Sie im Frühjahr in Chikago Lord Weccerlay kennen gelernt hatten, den schönen Weccerlay, den melancholischen Witwer, der seine Gattin nicht vergessen kann, die ihm nach zweijähriger Ehe die kleine Evelyn schenkte und bei der Geburt des Kindes starb. – Die Zeitungen berichteten von dem starken Eindruck, den Ihre eigenartigen Reize auf den Lord ausübten, der dann jedoch Amerika fluchtartig verließ, um … Ihnen nicht wirklich anheimzufallen – milde ausgedrückt …“

Da schnellte Lydia hoch …

Ihre Augen flammten …

Harst sagte schon: „Behalten Sie Platz. Ich bin noch lange nicht fertig …“

Lydia zögerte. Es war wohl Haralds durchdringender Blick, der sie schließlich bezwang.

Sie – setzte sich wieder, mit einem Achselzucken, das nur ihre Niederlage bemänteln sollte.

„Sie kamen also nach Dover, weil Sie wußten, daß auch Lord Weccerlay seine Jacht Astarte zur Regatta gemeldet hatte und daß er sich nie von seinem Kinde, der jetzt sechs Jahre alten Evelyn, trennte. Außerdem hofften Sie, in Dover Gelegenheit zu einem der gemeinsten Streiche zu finden, die je ein Weib ersonnen hat. – Bleiben Sie sitzen, Lydia Gwindamoor! Ich bin noch nicht fertig. – Sie spekulierten in ihrem maßlosen Ehrgeiz, Lady Weccerlay zu werden, folgendermaßen: „Durch Evelyn wird der Lord dauernd an seine erste Gattin erinnert, und deshalb muß Evelyn verschwinden! Dann – habe ich mehr Chancen als bisher!“ – Das Kind wurde gestohlen, durch Ihre Zofe Hanna Mourray, deren Bild nebst Unterschrift dort an der Wand hängt. Diese Hanna Mourray betäubte das Kind, verpackte es in den Schrankkoffer und gab den Koffer als Eilgut nach Stromeferry auf …“ –

Es war für mich sehr interessant, jetzt der schwarzen Tigerin Mienenspiel zu beobachten, als Harst ihr so auf Grund glänzender Kombinationen ihre Schandtaten mit allen Einzelheiten vorhielt.

Lydia Gwindamoors Augen ruhten starr und ängstlich auf Harald. Ihr Mund zuckte zuweilen in nervöser Spannung. –

„Ihre Zofe starb plötzlich – bei meinem Freunde Gybourg,“ sprach Harst weiter, jetzt sehr ernst und sachlich, ohne Pathos, kein Staatsanwalt, sondern – Harald Harst. „Ich fand bei ihr das Elfenbeinskelett und die Fahrkarte nach Stromeferry, außerdem im Schirmgriff vierzig Diamanten.“

Da – – schnellte die Tigerin abermals hoch …

Stammelte: „Vierzig … Diamanten?! Dann – dann hat also Hanna mein Brillantkollier, das mir vor zwei Monaten verschwand, gestohlen! Oh – wie erbärmlich ist das! Wie habe ich ihr vertraut, einer – Unwürdigen!“

„So – nun ist also auch dieser Diamantenfund aufgeklärt!“ erklang Haralds Stimme wieder über mir. „Nun weiter. Was dann in Stromeferry und auf den Hebriden und dicht bei dem Geisterschiff geschah, wissen Sie am besten, Lydia Gwindamoor. Zuerst wollten Sie uns mit der Caledonia zugleich durch die Wurfbombe in den Tod schicken, dann durch Gewehrschüsse …“

„Halt – Sie irren, Mister Harst! Sie irren! All das geschah gegen meinen Willen. Ich bin keine Mörderin. – Hier – John Lavaillac wird Ihnen bestätigen, daß ich mit Herbett alle dreimal hart aneinander geriet, als er eigenmächtig Sie drei ermorden wollte! Bei Gott – nie habe ich die Absicht gehabt, die Dinge so auf die Spitze zu treiben! Ich habe gedroht, – ich hätte diese Drohungen nie ausgeführt!“

„Möglich … Das kann ich nicht nachprüfen. – Weiter also … Jetzt hat dieser Herbett Ihnen Evelyn wieder entzogen, hat Ihnen vorgelogen, Evelyn sei ihm geraubt worden – durch uns …!“

Er hatte diese Sätze lauter gesprochen – so laut, daß auch der in dem Schrankkoffer steckende Herbett die Worte verstehen mußte.

Lydia war rasch einen Schritt vorgetreten. Ihr Gesicht, ihre Körperhaltung drückten ungläubige Überraschung aus.

„Ah – Sie suchen sich herauszureden!“ meinte sie recht zögernd … „Wie können Sie, Mister Harst, einen Mann derart verdächtigen, der zwar mit Menschenleben brutal umspringt, mir aber so treu ergeben ist, daß ich –“

„Oh – Sie sind eine mäßige Menschenkennerin, Lydia Gwindamoor, wenn auch eine vorzügliche Schauspielerin! Ihre Zofe bestiehlt Sie …“

„… Sie war Herbetts Verlobte –“

„Nun also, – dann mögen die beiden sich wohl von vornherein vorgenommen haben, Evelyn für besondere … Lösegeldzwecke zu benutzen …“

„Nein – nein, Herbett ist treu!! Sie wollen mich täuschen, Sie, der große Menschenbezwinger und Seelenjongleur …!“

„Sie … täuschen?! Nein, die Augen will ich Ihnen öffnen …!“

Und mit einem Ruck hatte er die über der Brust gefesselten Hände frei und … holte unter dem Kopfkissen die kleine Nickelspritze hervor.

John Lavaillac dachte gar nicht daran, zu schießen. Nein, er hatte die klobige Luftpistole längst gesenkt …

So bewaffnet,“ erklärte Harald, „kam Herbett vor drei Stunden hierher. Sein Selbstgespräch war vielsagend genug. Die mit Blausäure gefüllte Spritze sollte Schraut und mich ins Jenseits befördern, da er fürchtete, ich könnte Ihnen über seinen wahren Charakter und über den wahren Verbleib Evelyns Klarheit verschaffen …“

Lydia lächelte jetzt ironisch …

„Lüge all das – – Lüge!!“ sagte sie verächtlich. „Herbett ist in der Stadt, um auf dem Hafenamt die Abreise der Jacht zu melden und …“

„Halt – das Hafenamt befindet sich dann anscheinend neuerdings in dem Koffer, auf dem Sie sitzen, Lydia Gwindamoor! Vielleicht heben Sie einmal den Deckel empor … Bitte!“

Nicht die schwarze Tigerin, – John riß den Deckel hoch.

Da lag, scheu nach oben schielend, der gefesselte Schurke, – ein Bild des verkörperten schlechten Gewissens, – ein Bild der nie ausbleibenden Vergeltung alles Bösen …!

Lydia stierte den Elenden sekundenlang regungslos an. Und – riß John die Pistole aus der Hand …

„Gestehe, – wo hast Du Evelyn gelassen, Du – Du … treuloser Schuft!“

Auf Herbetts fahlem Gesicht erschien plötzlich ein freches Grinsen. Jetzt erst mochte ihm einfallen, daß er ja in der Person Evelyns noch immer eine Waffe besäße, die ihn vor Lydia und uns schützen würde.

„Gebt mich frei,“ sagte er frech, „dann sollt Ihr das Kind haben!“

Er richtete sich auf …

Frechheit und Hohn leuchteten aus seinen Augen …

 

5. Kapitel.

Und doch … Liebe …!

Da mischte sich Harald ein.

„Sie werden uns sofort mitteilen, wo das Kind sich befindet,“ sagte er ohne besondere Schärfe.

„Daß ich dumm wäre!“ lachte Herbett. „Der Lord hat eine halbe Million …“

Harst trat rasch an den Koffer heran …

„Ich hätte Sie laufen lassen, wenn Sie die Unverschämtheit nicht wie jetzt auf die Spitze getrieben hätten! Jetzt – werde ich Evelyn suchen und Sie der Polizei übergeben!“

„Polizei?!“

Lydia rief’s … Lydia war bleich geworden.

„Mister Harst, dann – dann wandere auch ich ins Gefängnis …!“ Sie hob flehend die Hände. „Glauben Sie mir: ich liebe Cecil Weccerlay! Sie täuschen sich: ich lege keinerlei Wert darauf, Lady zu werden! Bin ich als Lydia Gwindamoor nicht eine der gefeiertsten Frauen der Welt?! Was nützt mir ein Adelstitel?! Und – auch Weccerlays Millionen locken mich nicht. Ich bin reich – reicher als er, den ich liebe …!“

„Eine merkwürdige Liebe!“

„Weil ich Evelyn entführen ließ, weil ich sie zunächst im Wrack der Connaught verbergen wollte?! – Mister Harst, Weccerlay hätte sein Kind wiedergesehen, sobald ich sein Weib geworden! An dieser Tat, die Sie als gemein bezeichnet haben, hätte er die Größe meiner Liebe messen können!“

„Oder – die … Größe Ihres Charakters, Lydia Gwindamoor!“

„Sie kennen mich nicht … Niemand kennt mich, niemand …! Was will es besagen, daß ich meine Jugend genossen habe?! Daß ich …“

Harald machte eine sehr energische Handbewegung.

„Lassen wir das … Lord Weccerlay mag entscheiden, ob Sie ohne Strafe ausgehen sollen, nicht ich!“

Er wandte sich wieder Herbett zu …

„Haben Sie sich eines besseren besonnen?“

„Noch nicht. Falls ich meinen gesunden Verstand mal verlieren sollte, werde ich vielleicht …“

„Schweigen Sie! Ich finde Evelyn auch so!!“

„Na – da bin ich wirklich gespannt!“ höhnte der Verbrecher. „Sehr gespannt …! Vielleicht laufen Sie hier in London von Haus zu Haus und fragen nach, ob sich vielleicht zufällig …“

Harst hatte mir gewinkt.

Längst lagen meine Fesseln am Boden …

Wir packten Herbett, hoben ihn aus dem Koffer, legten ihn auf den Teppich …

„Was soll das?!“ schnauzte er.

„Ich will mir nur mal den Inhalt Ihrer Taschen ansehen,“ meinte Harald gleichmütig.

Wir durchsuchten Herbett …

Fanden mancherlei – nur nichts, was uns einen Fingerzeig gegeben, wo Evelyn gefangengehalten wurde.

Anscheinend nichts …

Anscheinend …!! – Harald dachte anders. Harald hob drei zerknitterte Straßenbahnfahrscheine, die ich achtlos beiseite geworfen, langsam auf, glättete sie und meinte, auf die Durchlochung der Teilstrecken deutend:

„Hm – bis zur Gloucester-Street …! Und – heute im Excelsior-Hotel, bevor Sie mich im Auto drei gegen einen überwältigten, als ich Ihnen folgte, da hatten Sie Lydia Gwindamoor die Pawaret-Street als Treffpunkt telegraphiert …“

„Oh – das war ja nur Spiegelfechterei,“ sagte Lydia rasch. „Das sollte Sie nur verführen, Mister Harst, vielleicht …“

„Bitte – wenn Sie soeben Herbetts Gesicht beobachtet hätten, wäre Ihnen kaum entgangen, daß er – leicht erschrak, als ich die Fahrscheine aufhob. – Weshalb erschrak er? Weil er Ihnen, Lydia Gwindamoor, nicht irgendeinen beliebigen Ort depeschierte, sondern die Straße, die für ihn jetzt Bedeutung hat: die Pawaret-Street! Er tat’s, weil er nie befürchtet hat, Sie oder ich würden jemals auf den Gedanken kommen, Evelyn könnte gerade dort verborgen sein.“

Herbett lachte schrill …

„Sucht dort nur – sucht dort nur!! Viel Vergnügen!“

„Oh – wir nehmen Sie mit, Herbett,“ sagte Harald mit unheimlicher Freundlichkeit. „Lassen Sie ein Auto holen, Lydia Gwindamoor, ein geschlossenes Auto …“ –

Die dünnen Nebelschleier der Themse hingen noch über den Kais, als wir Herbett rasch in den Kraftwagen trugen. Wir hatten ihm einen langen Mantel umgehängt, und der Chauffeur mußte glauben, es handele sich um einen Kranken.

So fuhren wir denn, Lydia neben Harald, ich neben dem höhnisch grinsenden Herbett, durch die noch stillen Straßen dem übel berüchtigten Gloucester-Viertel zu.

Als das Auto in die düstere, alte Pawaret-Gasse einbog, setzte sich Harald neben Herbett und überließ mir seinen Platz neben der schweigsamen blassen Lydia.

Er nahm die gefesselte Rechte des Verbrechers in die seine und meinte:

„Ihr Puls ist sehr lebhaft – – sehr!“

Dann – hielt das Auto vor Nr. 19 … – Es war dies kein alter Schuppen, wie Lydia mir gegenüber auf gut Glück behauptet hatte, sondern ein schmales, schiefes Haus, in dem sich eine Kellerspelunke befand, einer jener Keller, wie auch Berlin sie zahlreich genug aufweist.

„Ah – Ihr Puls beschleunigt sich, Herbett!“ nickte Harald befriedigt.

Und zu Lydia: „Sie haben ja Ihren Revolver mit. Bewachen Sie diesen Menschen. Schraut und ich werden das Haus durchsuchen.“ –

Die Spelunke war bereits geöffnet.

Der hagere, bucklige Wirt, der uns fraglos für Londoner Geheimpolizisten hielt, katzbuckelte unaufhörlich …

Harald ließ sich die Mietparteien des Hauses nennen und fragte dann unvermittelt:

„Sie kennen doch Herbett?“

Der Bucklige wurde rot, schüttelte aber eifrig den Kopf.

„Bleibe hier! Der Mann rührt sich nicht vom Fleck!“ befahl Harald dann, nahm die Clementpistole und verschwand durch eine Tür im Hintergrunde der Kneipe …

Der Wirt gab das Spiel verloren …

„Mister, ich – ich will ehrlich sein,“ sagte er plötzlich zu mir, immer angstvoll nach meiner Waffe schielend … „Das Kind ist oben bei der Witwe Smitson … – Der Teufel hole die ganze Geschichte!! Ich ahnte gleich, daß ich mir dabei die Finger verbrennen würde …“ –

Ich eilte hinter Harald drein, nahm den Wirt mit.

So … fanden wir Evelyn Weccerlay …

Zum Glück hatte die Kleine all die Aufregungen recht gut überstanden und war nur etwas blaß und verschüchtert. –

Wir fuhren mit ihr sofort nach Weccerlay-House, dem Landsitz des Lords, hinaus, nachdem wir Herbett auf der nächsten Polizeiwache abgeliefert hatten.

Auf ihre Bitten hin erlaubte Harald dann, daß Lydia Gwindamoor das Kind allein dem Vater wieder zuführte. Sie wollte gleichzeitig Weccerlay alles beichten und ihn um Verzeihung und Schonung anflehen.

Wir beide kehrten, als Lydia Gwindamoor nach einer Stunde noch immer nicht wieder am Parktor erschienen war, in demselben Auto nach London zurück. –

Ich brauche hier nicht näher auszuführen, weshalb wir umsonst auf Lydias Rückkehr gewartet hatten.

Daß Lydia Gwindamoor Lord W. geheiratet hat, weiß jeder aus den Zeitungen, und daß diese Ehe äußerst glücklich ist, kann ich meinen Lesern hiermit verraten …

Die schwarze Tigerin muß den Lord tatsächlich über alles geliebt haben. – –

Hiermit beende ich die Geschichte des Geisterschiffes, deren Ausgang für meinen Geschmack etwas zu sehr an Familienroman erinnert. Ich bin unschuldig daran. Liebe ist blind und nachsichtig, und Lydia Gwindamoor ist eine Frau, die alles erreicht, wenn sie will und – liebt …

Mag sie glücklich bleiben! Ich gönne ihr’s! Und das von ganzem Herzen … – –

Unser folgendes Abenteuer führte uns wieder in den Orient …

Wohin – das mögen meine Freunde im nächsten Band nachlesen …

 

Nächster Band:

Der Tennisschläger der Rani.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „wir“.
  2. In der Vorlage steht: „Diggy“. – Gemeint ist natürlich ein Dingi. Fünf Vorkommen auf „Dingi“ geändert.
  3. „Hebrideninsel(n)“ / „Hebriden-Inseln“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Hebrideninsel(n)“ geändert.
  4. Shimmy ist ein aus dem Foxtrott entstandener Gesellschaftstanz, der etwa um 1918 in den USA kreiert wurde und 1920 nach Europa kam. Siehe auch Wikipedia: Shimmy.